Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen: Eine Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und der bei der Gründung und dem Grunderwerb aufgetretenen Rechtsprobleme [1 ed.] 9783428491285, 9783428091287

Gegenstand der Untersuchung ist die Entwicklung der Rechtsgrundlagen des Eisenbahnbaus in Preußen und deren praktische A

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German Pages 278 Year 1998

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Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen: Eine Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und der bei der Gründung und dem Grunderwerb aufgetretenen Rechtsprobleme [1 ed.]
 9783428491285, 9783428091287

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KLAUS BRACHT

Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Konisch

Band 13

Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen Eine Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und der bei der Gründung und dem Grunderwerb aufgetretenen Rechtsprobleme

Von

Klaus Bracht

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bracht, Klaus: Der Bau der ersten Eisenbahnen in Preußen : eine Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und der bei der Gründung und dem Grunderwerb aufgetretenen Rechtsprobleme I von Klaus Bracht. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte ; Bd. 13) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09128-0

©

Alle Rechte vorbehalten 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-09128-0

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Inhaltsverzeichnis Einleitung....................................................................................................................

Erster Abschnitt Die Gründung der Eisenbahngesellschaften

Teill: Privatbahnen..................................................................................................

11

14

14

I. Die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen...............................................

14

1. Die Zeit bis zum Erlaß des Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838 .

14

a) Die Vorschriften über den Chausseebau.............................................

14

b) Die "Allgemeinen Bedingungen"........................................................

16

c) Das Eisenbahngesetz vom 3. November 1838....................................

20

2. Die Entwicklung des Aktienrechts und das Aktiengesetz von 1843.........

24

a) Allgemeines Landrecht.......................................................................

24

b) Rheinisches Recht...............................................................................

25

c) Das preußische Aktiengesetz von 1843..............................................

27

3. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch.........................................

28

II. Die Erteilung der Konzession..........................................................................

28

1. Das Verfahren der Konzessionserteilung nach den Allgemeinen

Bedingungen von 1836 und dem Eisenbahngesetz...................................

28

a) Der Antrag auf Erteilung einer Konzession (§ 1 Satz 1 Eisenbahngesetz).................................................................................................

28

b) Die Prüfung des Antrags(§ 1 Satz 2 Eisenbahngesetz)......................

33

c) Die Erteilung der Konzession(§ 3 Eisenbahngesetz).........................

36

d) Die staatliche Aufsicht über die Eisenbahngesellschaften..................

36

2. Die Rechtsnatur der Konzession...............................................................

37

3. Rechtsprobleme, die sich aus der Rechtsnatur der Konzession ergaben...

39

4. Die Konzessionsbedingungen ...................................................................

47

a) Konzessionsvoraussetzungen nach dem Eisenbahngesetz .................

47

6

Inhaltsverzeichnis

m.

aa)

Die Voraussetzungen für die Ausgabe von Aktien (§ 2 Nr. 1 und 2 Eisenbahngesetz) ............................................................

47

bb)

Die Haftung des Aktienzeichners (§ 2 Nr. 3 Eisenbahngesetz).......................................................................................

48

b) Die Veränderungen durch das Aktiengesetz von 1843.......................

49

c) Die Arten der ausgegebenen Wertpapiere ..........................................

50

Der Inhalt der Gesellschaftsstatuten. .. ...... .. ...... ...... .... ........ ........ ........ .... .. .... ...

51

1. Die Bestätigungsurkunde ..........................................................................

52

2. Aktienrechtliche Bestimmungen...............................................................

53

3. Die Verfassung der Gesellschaften...........................................................

56

a) Die Generalversammlung ...................................................................

57

b) Die Direktion ........................... ........ .............. .............. .. .... .. ...............

59

c) Der Verwaltungsrat ............................................ .......... .... .. .......... .......

63

d) Allgemeine Bestimmungen.................................................................

64

e) Zusammenfassung..............................................................................

66

4. Rechtsprobleme, die sich aus der Fassung der Gesellschaftsstatuten ergaben.........................................................................................................

68

Teil2: Staatsbahnen..................................................................................................

74

I. Die staatliche Förderung von Privatbahnen....................................................

74

1. Gründe für die Zurückhaltung des Staates................................................

75

2. Die wachsende Bereitschaft des Staates zu Unterstützungsleistungen .....

77

3. Die ersten staatlichen Unterstützungen.....................................................

79

4. Die Vereinigten Ständischen Ausschüsse von 1842 .. ...... .. .... .. .................

81

5. Besonderheiten in den Statuten der Gesellschaften..................................

87

6. Die Auswirkungen der staatlichen Fördermaßnahmen .... .. .. .. ............ .......

93

ll. Der Eisenbahnbau auf Staatskosten ................................................................

95

1. Die verfassungsrechtliche Situation..........................................................

95

a) Der erste Vereinigte Landtag..............................................................

96

b) Das weitere Vorgehen der Staatsregierung.........................................

98

2. Die Verstaatlichungspläne des Ministeriums v. Auerswald/Hansemann.

99

3. Der Aufschwung für den Staatsbahnbau nach 1848 ................................. 101 4. Der Rückgang des Staatsbahnbaus nach 1857 .......................................... 103

5. Zusammenfassung ..................................................................................... 105

Inhaltsverzeichnis

7

Zweiter Abschnitt Der Grunderwerb

107

Teill: Die Vorarbeiten für den Baubeginn ............................................................ 107 Tei/2: Der Grunderwerb durch freiwiltigen Vertragsabschluß ........................... 110 I. Gesetzliche Grundlagen ..... .............................. .. ...... ............ ...................... ..... 110 1. Der Grunderwerb nach dem Allgemeinen Landrecht ........ ....................... 111 2. Gesetzliche Grundlagen nach Rheinischem Recht................................... 114 3. Die Kosten des Vertragsschlusses............................................................. 115 ll. Die Durchführung des Erwerbes durch Kauf.................................................. 116 1. Die Vertragsparteien .................................... ...................... ....................... 116 2. Das Zustandekommen des Vertrages ........................................................ 120 a) Die Veräußerungsfähigkeit der Grundstücke...................................... 120 b) Die Formerfordernisse ........................................................................ 121 c) Zusammenfassung .............................................................................. 126 3. Die Hinzuziehung der Realberechtigten ................................................... 127 a) Die in das Hypothekenbuch eingetragenen Realberechtigten............. 127 b) Die nicht in das Hypothekenbuch eingetragenen Lasten .................... 132 c) Zusammenfassung.............................................................................. 134 4. Besonderheiten in der Rheinprovinz......................................................... 134 5. Die Zahlung des Kaufpreises.................................................................... 137 6. Die Auswirkungen der gesetzlichen Bestimmungen ........... ..................... 138

Tei/3: Der Grunderwerb durch Enteignung.......................................................... 140 I. Die historische Entwicklung des Enteignungsrechtes in Preußen ................... 140 ll. Die Rechtsnatur der Enteignung...................................................................... 148

m.

Der Gegenstand der Enteignung...................................................................... 161

IV. Der Umfang der Enteignung ........................................................................... 163 V. Die beteiligten Personen.................................................................................. 165 VI. Die Grundsätze der Entschädigung................................................................. 165 1. Die Entschädigung für den Grundeigentümer........................................... 165 a) Allgemeine Grundsätze....................................................................... 165 b) Die konkrete Schadensberechnung ...... .. .... ........................ .. .... .. .. ....... 168 c) Die F,ntschädigung der Nebenberechtigten ......................................... 175 Vll. Das Verfahren der Enteignung und zur Feststellung der Entschädigung........ 182

8

Inhaltsverzeichnis 1. Das Enteignungsverfahren ........................................................................ 182 a) Das Verfahren in den Gebieten des Allgemeinen Landrechts............ 182 b) Rheinisches Recht............................................................................... 185 c) Zusammenfassung .............................................................................. 188 2. Das Entschädigungsverfahren ................................................................... 189 a) Allgemeines Landrecht ....................................................................... 189 b) Rheinisches Recht............................................................................... 193 c) Die Gebühren für den Vertragsschluß ................. ............ ................ .. . 197 d) Zusammenfassung .............................................................................. 198 3. Das Verfahren nach dem Enteignungsgesetz von 1874 ............................ 199 a) Das Enteignungsverfahren .................................................................. 199 b) Das Entschädigungsverfahren............................................................. 201 c) Zusammenfassung .............................................................................. 203 4. Der Vollzug der Enteignung ..................................................................... 203

vm.

5. Die Rechte des Enteigneten nach Abschluß der Enteignung.................... 205 Die zwangsweise vorübergehende Nutzung von Grundstücken ..................... 208 1. Der Umfang des Nutzungsrechtes............................................................. 208 2. Der Anspruch auf Entschädigung ............................................................. 212 a) Die Entschädigung des Eigentümers .................................................. 212 b) Die Entschädigung der Nebenberechtigten ......................................... 213

IX. Der Schutz der Anlieger .................................................................................. 214 X. Die Durchführung des Grunderwerbs in der Praxis ........................................ 216 Ergebnis ..... ...... .......... ........................................ ............ .................... .... ..................... 224

Anhang ........................................................................................................................ 227 Quellenverzeichnis .................... ...................... .............. .............................. ............... 270 Literaturverzeichnis ..................................................................................... ............. 271 Sachwortverzeichnis .................................................................................................. 276

Abkürzungsverzeichnis AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AfE

Archiv für Eisenbahnwesen, hrsg. im königlich preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Berlin, 1878 ff.

Bd.

Band

DR

Die Reichsbahn, Amtliches Nachrichtenblatt der Deutschen Reichsbahn und der Reichsautobahnen, hrsg. im Reichsverkehrsministerium, Berlin

GS

Gesetzsammlung für die königlichen Preußischen Staaten

GStA

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Jahrbücher

Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, herausgegeben im Auftrage des königlichen Justizministeriums, Berlin

IW

Juristische Wochenschrift für die Preußischen Staaten, Berlin 1835 ff.

kgl.

königlich

Ministerialbl. d.innern Verw.

Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung in den königlich preußischen Staaten, herausgegeben im Bureau des Ministeriums des Innem, Berlin 1840 ff.

N.C.C.

Novum corpus constitutionum Prussicio-Brandenburgensium, Neue Sammlung kgl. Preußischer und kurfürstlich Brandenburgischer Ordnungen, Edicte, Mandate, Respcripte seit 1751 Band I - Xll

Pr.Enteignungsgesetz

Preußisches Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom ll.Iuni 1874

RegBl.

Regierungsblatt

Rep.

Repositur

RGZ

Entscheidung des Reichsgerichtes in Zivilsachen

10 Rh.Arch

Abkürzungsverzeichnis Rheinisches Archiv, Archiv für das Zivil- und Kriminalrecht der königlich preußischen Rheinprovin-

zen Striethorst, Archiv

Archiv für Rechtsfalle, die zur Entscheidung des königlichen Ober-Tribunals gelangt sind, herausgegeben von Theodor Striethorst

VSWG

Vierteljahresschrift für Sozial- und WirtschaftsGeschichte

ZfgStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

Z.f.H.R.

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht

ZRGGA

Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung

Einleitung Der Bau von Eisenbahnen begann in Preußen Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts. Erste Vorschläge für die Anlage von Eisenbahnen waren bereits in den zwanziger Jahren entstanden, nachdem in England die ersten Eisenbahnstrecken, die allerdings nur auf den Pferdebetrieb ausgerichtet waren, ihren Betrieb aufgenommen hatten. In England machte der Eisenbahnbau rasche Fortschritte. Auf die 1825 eröffnete Strecke zwischen Stockton und Darlington folgte 1830 mit der Verbindung zwischen Liverpool und Manchester die erste Eisenbahn, die für den Personenverkehr bestimmt war. Auf beiden Strecken wurden erstmals Dampflokomotiven eingesetzt. In Deutschland begann der Eisenbahnbau für den Lokomotivenbetrieb erst im Jahre 1835 mit der kurzen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth, die am 7. Dezember 1835 eröffnet wurde. Am 27. Apri11836 wurde der erste Teilabschnitt der Strecke Leipzig-Dresden eröffnet. Die erste Linie in Preußen wurde im November 1838 zwischen Berlin und Potsdam eröffnet. In den folgenden Jahren nahm der Eisenbahnbau in Preußen dann einen starken Aufschwung. Gebaut wurden die Eisenbahnen in Preußen überwiegend von Privatgesellschaften. Der Staat begann zwar Ende der vierziger Jahre auf eigene Kosten Eisenbahnen anzulegen, der Schwerpunkt des Bahnbaus blieb jedoch bis in die siebziger Jahre hinein bei Privatgesellschaften. Die Gründung privater Eisenbahngesellschaften, insbesondere der Erwerb des für den Bahnbau erforderlichen Grund und Bodens, löste Rechtsfragen aus, wie sie zuvor in sehr viel kleinerem Ausmaß nur beim Straßenbau aufgetreten waren. Dabei ging es vor allem um folgende Problemkreise: 1. Die privaten Eisenbahngesellschaften wurden von Beginn an in der Form staatlich konzessionierter Aktiengesellschaften gegründet. Damit berührte die Gründung der Gesellschaften aktienrechtliche Fragen. Die Zahl der Aktiengesellschaften war bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein gering gewesen, und so gab es zu dieser Zeit in Preußen - sieht man einmal von den linksrheinischen Gebieten ab - kein spezielles Aktienrecht

12

Einleitung

2. Für den preußischen Staat stellte sich die Frage, ob der Eisenbahnbau allein privaten Gesellschaften überlassen werden sollte. Unabhängig von der grundsätzlichen Entscheidung, ob auch der Staat Eisenbahnen bauen und betreiben sollte, war zu klären, ob und wie die für die Finanzierung einer staatlichen Beteiligung erforderlichen Haushaltsmittel aufgebracht werden konnten. 3. Mit der Anlage von Eisenbahnen war ein erheblicher Landbedarf verbunden. Um Grundeigentümer, die ihre Grundstücke nicht freiwillig an die Eisenbahngesellschaften veräußern wollten, zum Verkauf zwingen zu können, mußte der Weg der Enteignung beschritten werden. Da zuvor ein derart großer Landbedarf nie bestanden hatte, erlangte die Enteignung erstmals größere Bedeutung. Die Gründung von Eisenbahngesellschaften wurde zudem durch den Umstand erschwert, daß sich Preußen in mehrere Rechtsgebiete aufteilte. In dem größten Teil des Staatsgebietes galt das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten aus dem Jahre 1794. In den linksrheinischen Gebieten war nach den Befreiungskriegen das durch Napoleon eingeführte französische Recht in Kraft geblieben. Grundlegend für den Eisenbahnbau wurde das preußische Eisenbahngesetz vom 3. November 1838. Die Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit der Gründung von Eisenbahngesellschaften entstanden, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer Vielzahl von Autoren untersucht. Da bei den Eisenbahnen die Enteignungsfrage im Vordergrund stand, erschienen vor allem Schriften, die sich mit dem Enteignungsrecht befaßten, ohne sich speziell auf Eisenbahnen zu beziehen. Erste zusammenhängende Bearbeitungen des preußischen Eisenbahnrechts kamen in den 50er Jahren heraus. Hervorzuheben sind dabei vor allem die Untersuchungen von BesseVKühlwetter und Wilhelm Koch. Die Bearbeitungen aktienrechtlicher oder enteignungsrechtlicher Fragen beziehen sich naturgemäß auf die zum Erscheinungszeitpunkt gerade aktuelle Gesetzeslage und gehen nur mit Einschränkungen auf die praktischen Auswirkungen der rechtlichen Bestimmungen ein. Gegenstand dieser Arbeit ist es daher, ausgehend von den genannten Problemkreisen, die Entwicklung der Rechtsgrundlagen und vor allem deren praktische Auswirkungen auf die Gründung und die Bauvorhaben verschiedener bedeutender Eisenbahngesellschaften darzustellen. Zeitlich liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf den Anfangsjahren bis ungefähr zum Jahre 1860. Bis zu diesem Zeitpunkt setzten sich die Eisenbahnen als Verkehrsmittel durch, und die rechtlichen Probleme aus den ersten Jahren des Eisenbahnbaus waren weitgehend gelöst. Dies galt allerdings nicht

Einleitung

13

für den Grundetwerb durch Enteignung, der nach der Darstellung der Gründung von Eisenbahngesellschaften den zweiten Schwerpunkt der Untersuchung bildet. Einheitliche rechtliche Regelungen brachte hier erst das preußische Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874, dessen Bestimmungen deshalb einbezogen werden.

Erster Abschnitt

Die Gründung der Eisenbahngesellschaften Es wurde zwischen Privat- und Staatsbahnen unterschieden. Bei privaten Bahnen lagen die Errichtung und der spätere Betrieb der Eisenbahn in der Hand einer privatrechtlich organisierten Eisenbahngesellschaft. Staatsbahnen fanden sich dagegen in unterschiedlichen Gestaltungen. Es gab Bahnen, die vollständig in staatlicher Regie gebaut und betrieben wurden, und solche, bei denen der Staat lediglich die Verwaltung oder den Betrieb übernahm, während die Strecke von Privatunternehmern gebaut wurde. Auf die unterschiedlichen Formen der Staatsbeteiligung wird im Anschluß an die Darstellung der Privatgesellschaften näher eingegangen.

Teil]

Privatbahnen I. Die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen 1. Die Zeit bis zum Erlaß des Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838

a) Die Vorschriften über den Chausseebau In Preußen lag der Eisenbahnbau bis 1842 fast ausschließlich in privater Hand. Als sich die ersten Initiativen von Privatunternehmern, die den Bau von Eisenbahnlinien im Königreich Preußen anregten, in den Jahren um 1830 bildeten, gab es für die Gründung von Bahngesellschaften keine gesonderten gesetzlichen Bestimmungen. Die Eisenbahnvorhaben orientierten sich am bis dahin üblichen gewöhnlichen Chausseebau. Die rechtliche Grundlage für die Beurteilung der ersten Eisenbahnvorhaben bildeten daher die bestehenden Vorschriften über den Bau von Chausseen. Über den Straßenbau durch Privatpersonen war mit Datum vom 21. Juli 1809 eine Allerhöchste Kabinettsordre ergangen. Sie erlaubte, daß "Chaussee-,

l. Teil: Privatbahnen

15

Kanal-, Brücken- und andere gemeinnützige Anlagen zum öffentlichen Gebrauch gegen Verleihung angemessener Abgaben durch Privatpersonen, einzeln oder in Gesellschaften vereinigt, bewerkstelligt" werden konnten1• Durch Ministerialerlaß des preußischen Ministers der Finanzen und des Handels vom 3. Mai 1816 wurde die erwähnte Kabinettsordre erneut zur Kenntnis gebracht. Wer derartige Anlagen zu errichten beabsichtigte, hatte dies danach unter Beifügung von Plänen und Kostenvoranschlägen der Regierung des jeweiligen Bezirks anzuzeigen. Die Regierung prüfte die Gemeinnützigkeit und die Ausführbarkeit des Projekts. Lagen die Voraussetzungen für eine Genehmigung vor, so wurde durch eine königliche Verleihungsurkunde, die über den Minister der Finanzen und des Handels zu beantragen war, das Projekt genehmigt. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bewirkte, daß entgegenstehende Rechte von Privatpersonen, wie z.B. Eigentumsrechte, die Ausführung des Projektes nicht verhindem konnten2• Mit der Verleihungsurkunde erhielt das Unternehmen zudem das Recht der notfalls zwangsweisen Enteignung des für den Bau erforderlichen Grund und Bodens. Anerkannt wurde die Zulässigkeil der Errichtung von Straßen durch Privatuntemehmen. Erforderlich war damit die Erteilung einer staatlichen Konzession, die erst nach Prüfung der Gemeinnützigkeit erteilt werden durfte. Die erwähnten Vorschriften über den Chausseebau enthielten damit, wie noch zu zeigen sein wird, bereits Kernpunkte der später für die Genehmigung von Eisenbahnen erlassenen gesetzlichen Bestimmungen. Die Gleichstellung von Eisenbahnen und öffentlichen Straßen zeigte sich auch in den Vorstellungen über den Betrieb der Eisenbahnen. Weit verbreitet war die Ansicht, daß auf der Schiene wie auf einer Straße freie Konkurrenz herrschen müsse. Die ausschließliche Benutzung der Strecke durch die ausführende Gesellschaft wurde nicht als Regel betrachtee. Die Bahnen sollten dem öffentlichen Gebrauch überlassen und nicht von den Aktionären allein betrieben werden4 • Auf der Grundlage der bestehenden Bestimmungen wurden die ersten Genehmigungsanträge beurteilt. In der Rheinprovinz handelte es sich um Projekte für Eisenbahnen von Köln nach Antwerpen und Amsterdam.

Abgedruckt bei Stumpf, DR 1938, S. 1056, 1058.

2

Zit. nach Stumpf, DR 1938, S. 1058.

4

Kumpmann, S. 79.

Kumpmann, S. 79.

16

Erster Abschnitt: Die Gründung

Für die Strecke von Köln nach Amsterdam wurde durch Kabinettsorder vom 29. Oktober 1832 eine vorläufige Konzession erteilt, wobei eine Regelung entsprechend derjenigen für Kunststraßen in Aussicht gestellt wurde5 . Die Genehmigung der Bahnlinie und des Statuts blieb vorbehalten. Durch Kabinettsorder vom 5. Dezember 1833 wurde der Bau einer Eisenbahn von Antwerpen nach Köln genehmigt. In die von König Friedrich Wilhelm III. erlassene Genehmigung wurde ebenfalls die Gleichstellung mit den Kunststraßen aufgenommen. Es hieß dort, daß die Unternehmung: "sowohl bei Erwerbung des zur Anlage erforderlichen Grundeigentums als auch hinsichtlich des Schutzes während der Ausführung des Baus und dessen künftiger Unterhaltung den öffentlichen Kunststraßen gleichgestellt werden soll. "6

Während das Projekt Amsterdam-Köln aus Mangel an ausreichenden finanziellen Mitteln scheiterte, wurde für die Strecke Antwerpen-Köln am 25. Juli 1835 eine Aktiengesellschaft, die "Rheinische Eisenbahnaktiengesellschaft", gegründee. In den übrigen Provinzen entstanden Anfang der 1830er Jahre ebenfalls eine Vielzahl von Eisenbahnprojekten. Zu nennen sind vor allem die Strecke von Berlin nach Potsdam, eine Bahnlinie zwischen Wupper und Ruhr, die Strecke von Magdeburg nach Leipzig und eine Verbindung zwischen Rhein und Weser. Endgültige Konzessionen wurden auf der Grundlage der Vorschriften über den Chausseebau jedoch nicht erteilt.

b) Die ''Allgemeinen Bedingungen" Die Beratungen über die Konzessionsbedingungen für die ersten Bahnlinien führten im Jahre 1836 zur Aufstellung "Allgemeiner Bedingungen", die durch den Chef des Departments für Handel, Fabrikation und Bauwesen, den Staatsminister Rother, entscheidend vorbereitet wurden. Den unmittelbaren Anlaß boten die Verhandlungen über die Konzessionsbedingungen für die Bahnstrecke von Mageieburg nach Leipzig8• Für diese Eisenbahnlinie war am 29. Juni 1835 ein Gründungskomitee unter Vorsitz des Magdeburger Bürgermeisters Francke gebildet worden9• Durch Schwarz u. Strutz, S. 572. 6

Zitiert nach Kumpmann, S. 78.

1

Schwarz u. Strutz, S. 572. Stumpf, DR 1938, S. 1069.

9

v.d. I..eyen, AfE 1880, S. 221, 253; Kumpmann, S. 35.

1. Teil: Privatbahnen

17

Allerhöchste Kabinettsorder vom 14. Februar 1836 wurden 14 Bedingungen erlassen, bei deren Erfüllung die Anlage einer Bahn von Magdeburg nach Leipzig gestattet werden würde10• Ausdrücklich hinzugefügt wurde, daß diese Bedingungen auch bei künftigen Eisenbahnanlagen Anwendung finden sollten11. Der Wortlaut der Konzessionsbedingungen bezog sich noch ausschließlich auf die Magdeburg-Leipziger Eisenbahn. Ihr Inhalt war jedoch grundlegend für das spätere Eisenbahngesetz und damit für die Genehmigung aller nachfolgenden Eisenbahngesellschaften. Die wichtigsten Regelungen sollen daher an dieser Stelle dargestellt werden. Nr. I der Bedingungen lautete: "Dem ... vorläufig gebildeten Vereine wird die Befugnis erteilt, binnen 6 Monaten, widrigenfalls die Conzession erlischt, eine Aktiengesellschaft zur Erbauung einer Eisenbahn von Magdeburg über Halle nach Leipzig zustande zu bringen. Sobald die Einzahlungen die Summe von 1 Million Taler erreichen (insgesamt wurde von einem Kapitalbedarf in Höhe von 2,3 Millionen Talern ausgegangen), wird die Gesellschaft sich unter der Firma Magdeburg-Halle-Leipziger Eisenbahngesellschaft förmlich konstituieren und ihre Statuten zur Allerhöchsten Genehmigung einreichen. Für diesen Fall werden der Gesellschaft Corporationsrechte zugesichert." 12

Die Staatsverwaltung behielt sich vor, die Bahnlinie und deren Konstruktion einer gesonderten Genehmigung zu unterwerfen. Die Vorarbeiten hierzu hatte die Gesellschaft auf eigene Kosten vorzunehmen (Nr. III der Bedingungen). Nr. IV und V betrafen den Erwerb der Grundstücke. Dieser blieb der Gesellschaft überlassen. Ihr wurde jedoch das Recht eingeräumt, die Grundstücke notfalls zwangsweise erwerben zu können. Von besonderer Bedeutung für die Gründung der Gesellschaft waren die Vorschriften der Nr. VII und VIII der Bedingungen: "VII. Der Chef der Verwaltung für Handel, Fabrikation und Bauwesen hat nach näherer Vereinbarung mit der Gesellschaft die Fristen zu bestimmen, in welchen die Anlage fortschreiten und vollendet werden soll. Er hat sich die nötigen Bürgschaften stellen zu lassen." "VIII. Der Zeichner der Aktie bleibt für die Einzahlung der Valuta verhaftet. Die Aktien werden auf den Inhaber ausgestellt, dürfen aber vor Einzahlung von 25 % ihres Nominalwerts nicht ausgegeben werden;... Die Erteilung von Interimsscheinen... ist untersagt Über Partialzahlungen unter 25 % hat der 10

GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.27 ff. GStA Rep.77 Titel 258a Nr.2 VoLl Bl.26; Stumpf, DR 1938, S. 1077, v.d. Leyen, AfE 1880, S. 259. 11

12

GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.27.

2 Bracht

18

Erster Abschnitt: Die Gründung Rendant der Gesellschaft einfache Quittungen auf den Namen der Einzahler auszustellen."

Beide Bestimmungen sollten die Solidität der Gründung sicherstellen und vor allem einen Aktienschwindel durch Handel mit noch nicht voll eingezahlten Aktien verhindern. Dies zu gewährleisten, war, wie noch zu zeigen sein wird, eine vordringliche Absicht der Staatsregierung13• Von den übrigen Bestimmungen sind, soweit sie die Gründung der Gesellschaft betrafen, noch die Nr. IX und XIV. zu nennen. Der Staat behielt sich die Aufsicht über die Gesellschaft vor und übertrug diese Aufgabe einem dauerhaft bestellten Staatskommissar (Nr. IX). Der Gesellschaft wurde zudem zugesichert, daß ohne ihre Zustimmung keine andere Gesellschaft eine Erlaubnis für die Errichtung einer Eisenbahnlinie für dieselbe Strecke erhalten werde (Nr. XIV) 14. Aufgrund von Änderungsvorschlägen des Magdeburger Komitees und Beratungen im Staatsministerium über das Projekt einer Rhein-Weser Bahn wurden die Bedingungen im April 1836 erneut beraten und von 14 auf 23 Punkte erweitert1s. Das Ergebnis waren die durch Allerhöchste Kabinettsordre vom 11. Juni 1836 von König Friedrich Wilhelm lll. genehmigten "Allgemeinen Bedingungen, welche bei denjenigen Eisenbahn-Unternehmungen, die für gemeinnützlich und zur Genehmigung geeignet befunden worden, den weiteren Verhandlungen zur Vorbereitung der Allerhöchsten Bestätigung der Gesellschaft und Erteilung der Concession zu Grunde zu legen sind" 16. Die Allgemeinen Bedingungen bauten auf den Bestimmungen für die Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft auf. Dies wird hinsichtlieb der Gründung der Gesellschaften vor allem an folgenden Vorschriften deutlich: Nach Erteilung einer vorläufigen Genehmigung hatte die Gesellschaft nach Nr. I der Allgemeinen Bedingungen innerhalb einer festzusetzenden Frist das Zusammentreten der Gesellschaft und die Zeichnung von 2/3 des Kapitals nachzuweisen. Weggefallen war damit die Festlegung auf eine Frist von sechs Monaten.

13

14 15 16

GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.28. GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.28. Stumpf, DR 1938, S. 1079; v.d. Leyen, AfE 1880, S. 261. v. Wendt, Expropriationskodex, S. 35 ff.; abgedruckt auch bei Stumpf, DR 1938,

s. 1080 ff.

l. Teil: Privatbahnen

19

Nr. II enthielt Vorschriften über die Ausgabe von Aktien, die in dem zur Genehmigung vorzulegenden Gesellschaftsstatut beachtet werden mußten. Das Komitee der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft hatte unter anderem zu Nr. Vlll der dieser Gesellschaft gestellten Bedingungen angeregt, daß der Zeichner nicht für die Einzahlung des vollen Aktienbetrags, sondern lediglich für 30 % haften sollte. Das Komitee wies auf den Umstand hin, daß es inkonsequent sei, den Zeichner für die Einzahlung des vollen Nennbetrages haften zu lassen, andererseits aber den Handel mit den Aktien bereits nach Einzahlung von 25% zu erlauben 17• Hintergrund für die Einführung dieser 25 %-Grenze war die Befürchtung, die sofortige Einzahlung des vollen Nennwertes würde die Unterbringung der Aktien zu sehr erschweren 18• Im Ergebnis setzte man sich über diese Bedenken hinweg und beseitigte die gerügte Inkonsequenz, ohne jedoch den Vorschlägen des Magdeburger Komitees zu folgen. Nr. II, lautete: "2) Die Ausgabe der Actien darf vor Einzahlung des ganzen Nominalbetrages derselben nicht erfolgen und ebensowenig die Erteilung von ... Interimsscheinen und dergleichen, welche auf den Inhaber gestellt sind. Über Partialzahlungen dürfen bloß einfache Quittungen auf den Inhaber lautend erteilt werden. 3) Der erste Zeichner der Actie ist für die Einzahlung von 40 % des Nominalbetrages der Actie unbedingt verhaftet; von dieser Verpflichtung kann derselbe weder durch Übertragung seines Anrechtes auf einen Dritten sich befreien, noch seitens der Gesellschaft entbunden werden."

Die übrigen Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen entsprechen, soweit sie die Gründung der Gesellschaft betreffen, inhaltlich dem Vorbild der Statuten der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft. Durch die Genehmigung des Statuts sollte die Gesellschaft die Rechte einer Korporation bzw. einer anonymen Gesellschaft erlangen (Nr. lll). In Nr. IV und V folgten Bestimmungen über die Genehmigung der Bahnlinie. Der Gesellschaft konnten nach Nr. XI Fristen für die Vollendung der Bahn gesetzt werden. In Nr. VIII fanden sich Bestimmungen über den Grunderwerb und die Verleihung des Enteignungsrechtes. Weitere Bestimmungen regelten unter anderem die Festsetzung des Bahngeldes (Nr. XIII-XVIII), das Verhältnis zur Post (Nr. XIX), die Bestellung eines staatlichen Kommissars zur Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts (Nr. XVII) und die staatliche Zusicherung, innerhalb von 60 Jahren keine Parallelbahnen zuzulassen (Nr. XXI).

17 Bericht über die Sitzung des Komitees vom 12.März 1836, GStA Rep Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.43. 18 Beratung des Staatsministeriums vom 27.1.1836, GStA Rep.89 Nr.2967l.

20

Erster Abschnitt: Die Gründung

Aufgrund der Allgemeinen Bedingungen war damit für die Gründung der Gesellschaft eine doppelte Genehmigung erforderlich. Sowohl die Bildung einer Gesellschaft im Allgemeinen (Nr. I) als auch der Gesellschaftsvertrag bzw. das Statut mußten vom Staat gebilligt werden. Beide Genehmigungen konnten gleichzeitig erteilt werden19 • Eine weitere staatlich Genehmigung war hinsichtlich der Linienführung und der Konstrukton vorgeschrieben (Nr. V). Die durch die Allgemeinen Bedingungen geschaffene gesetzliche Basis führte dazu, daß Konzessionsgesuche nun schneller erledigt werden konnten. Noch im Jahre 1836 wurden vorläufige Konzessionen für folgende Bahngesellschaften erteilt: Düsseldorf-Elberfeld, Elberfeld-Witten, Derlin-Stettin und Berlin-Potsdam20• Endgültige Konzessionen erhielten im Jahre 1837 bis Anfang 1838 die Gesellschaften für folgende Strecken: Köln über Aachen zur belgiseben Grenze (Rheinische Bahn, Konzession vom 21. August 1837), Köln-Mioden (Rhein-Weser Bahn, Konzession vom 21. August 1837), Berlin-Potsdam (Konzession vom 23. August 1837), Düsseldorf-Elberfeld (Konzession vom 23. September 1837) und Magdeburg-Leipzig (über Köthen und Halle, Konzession vom 13. November 1837i1•

c) Das Eisenbahngesetz vom 3. November 1838 Nachdem die "Allgemeinen Bedingungen" vorlagen, kam es im Staatsministerium zu weiteren Beratungen. Dabei ging es vor allem um das Verhältnis der Eisenbahnen zur Post. Generalpostmeister von Nagle?2 war bemüht, die Belange der Post gegenüber den Privatgesellschaften durchzusetzen und eine 19

BesseVKühlwetter, Teil I, S. 12.

20

Schwarz u. Strutz, S. 575. Fleck, AfE 1895, S. 8f.

21

22 Karl Friedrich Ferdinand v. Nagler (1770-1846) Chef des Postwesens seit 1821 (seit 1823 Generalpostmeister).

1. Teil: Privatbahnen

21

unentgeltliche Beförderung der Post zu erreichen23 • Zudem ging es ihm um einen Ausgleich für die befürchteten Einahmeverluste der Post durch Eisenbahngesellschaften, da der bisherige Posttransport über Straßen unter der Konkurrenz der Schiene zu leiden drohte24• Die Post erzielte vor allem auf den stark frequentierten Straßen hohe Überschüsse, die zur Finanzierung weniger ertragreicher Strecken verwendet wurden. Gerade auf den stark frequentierten Strecken sollten nun Eisenbahnen gebaut werden25• Ein weiterer Streitpunkt war die Frage der Amortisation des Aktienkapitals und der damit verbundenen Möglichkeit, die Bahngesellschaften später einmal in Staatsbesitz überführen zu können. Zur Lösung beider Fragen wurden zwei Varianten diskutiert: Die Mehrheit im Staatsministerium sprach sich für die Einführung einer Eisenbahnsteuer aus. Deren Einnahmen sollten zur Entschädigung der Post und zur Amortisation des Aktienkapitals der Eisenbahngesellschaften eingesetzt werden. Nach 30 Jahren sollte der Staat berechtigt sein, die Eisenbahnen zu übernehmen. Die Minderheit, zu der Generalpostmeister von Nagler gehörte, lehnte die Einführung einer Steuer ab und befürwortete stattdessen, die Entschädigung der Post jeweils in den einzelnen Konzessionsbedingungen festzulegen. Im Vordergrund stand das Ziel, die Post schadlos zu halten. Zudem sollten die Eisenbahnen nach 90 Jahren bedingungslos in Staatseigentum übergehen26• Der Abschluß von Einzelvereinbarungen mit der Postverwaltung entsprach der bisherigen Praxis und war bereits auf Kritik gestoßen. Insbesondere der Aachener Kaufmann und Eisenbahnunternehmer David Hansemann befürwortete die Aufstellung allgemeiner Grundsätze, da Einzelvereinbarungen zu verschiedenartigen Belastungen führen würden und daher mit dem Grundsatz der" gleichverteilenden Gerechtigkeit" nicht zu vereinbaren wären27 •

23

Stumpf, DR 1938, S. 1083 f.

24

Stumpf, DR 1938, S. 1086.

25

Enkling, S. 30.

26 Gutachten der Staatsratabteilungen für Innere-, Justiz-, Finanz-, und Militärangelegenheiten GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.360 ff., 362; Kumpmann, S. 36.

27

Hansemann, Eisenbahnfrage, S. 12.

22

Erster Abschnitt: Die Gründung

Zur Klärung des Verhältnisses der Eisenbahnen zur Post und der Frage der Amortisation des Kapitals wurde am 14. März 1837 eine Kommission eingesetzt28. Die Majorität faßte die Regelungen zwischen der Gesellschaft und der Post in fünf Artikeln zusammen. Der König weigerte sich jedoch in einer Kabinettsorder vom 31. Juli 1837, diesem Vorschlag zuzustimmen29. In der weiteren Diskussion gelang es der Majorität jedoch, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Es setzte sich die von Hansemann vertretene Auffassung durch, daß Einzelverträge ungerecht seien. Zum Ausgleich der Einnahmeverluste für die Post wurde die Einführung einer allgemeinen Steuer befürwortet30• Die Steuer sollte so bemessen werden, daß sie auch zur Amortisation des Aktienkapitals verwendet werden konnte. Bei einem Heimfall der Gesellschaften an den Staat nach 90 Jahren befürchtete man der Verschwendung Vorschub zu leisten, da die Aktionäre veranlaßt würden, das Gesellschaftskapital zuvor durch Zinsbezug zu verbrauchen31 • Die Vorschläge der Kommission führten zum Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 183832• Für die Gründung von Eisenbahngesellschaften waren vor allem folgende Vorschriften von Bedeutung: Nach§ 1 Eisenbahngesetz bedurfte es, wie bereits nach Nr. I. der Allgemeinen Bedingungen, für die Anlegung der Bahn einer landesherrlichen Genehmigung. Die Voraussetzungen für den Erhalt einer solchen Genehmigung wurden ebenfalls genannt. § 2 Eisenbahngesetz enthielt aktienrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der Ausgabe von Aktien und der Pflichten der Aktienzeichner. Die Vorschrift entsprach weitgehend der Nr. ll der Allgemeinen Bedingungen. Das Gesellschaftsstatut war nach § 3 Eisenbahngesetz zur landesherrlichen Genehmigung einzureichen, während die genaue Linienführung nach § 4 vom Handelsministerium genehmigt werden mußte. Die Fragen des Grunderwerbs, 28 Gutachten der Staatsratabteilungen für Innere-, Justiz-, Finanz-, und Militärangelegenheiten GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.360 ff., 362; Stumpf, DR 1938, S. 1087. 29 Gutachten der Staatsratabteilungen für Innere-, Justiz-, Finanz-, und Militärangelegenheiten GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.360 ff., 363.

30 Gutachten der Staatsratabteilungen für Innere-, Justiz-, Finanz-, und Militärangelegenheiten GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.360 ff. , 365. 31 Gutachten der Staatsratabteilungen für Innere-, Justiz-, Finanz-, und Militärangelegenheiten GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.360 ff., 367 f. 32

OS 1838, S. 505, s.Anhang.

1. Teil: Privatbahnen

23

die Enteignung eingeschlossen, regelte § 8 Eisenbahngesetz. Die Bestimmungen des Eisenbahngesetzes über die Gründung der Gesellschaften entsprachen damit den Allgemeinen Bedingungen von 1836. Neu war die Vorschrift des § 42, die den Staat berechtigte, das Eigentum einer Bahn mit allem Zubehör gegen vollständige Entschädigung zu erwerben. Hierfür mußten unter anderem die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Es mußten mindestens 30 Jahre seit dem Betriebsbeginn vergangen sein (§ 42 Nr. 1), 2. Die Erwerbsabsicht war der Gesellschaft mit einer Frist von einem Jahr anzukündigen(§ 42 Nr. 3), 3. Der Staat mußte die Schulden der Gesellschaft übernehmen und den Aktionären eine Entschädigung in Höhe des 25fachen Betrages der an sie innerhalb der letzten 5 Jahre durchschnittlich ausgezahlten Dividende anbieten(§ 42 Nr. 4 a, b). Die bereits erwähnte Eisenbahnsteuer wurde in § 38 geregelt. Die Höhe der Steuer wurde nicht festgelegt. Die Bemessung sollte vielmehr erst erfolgen, nachdem die zweite konzessionierte Bahn wenigstens drei Jahre vollständig in Betrieb gewesen war. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Post für die ihr nachweislich entstandenen Nachteile von jeder Gesellschaft gesondert zu entschädigen. In § 48 Eisenbahngesetz wurde zudem eine Anwendung dieses Gesetzes auf bereits genehmigte Gesellschaften festgelegt. Das Gesetz wurde von den Eisenbahnunternehmern und Aktionären teilweise als höchst ungünstig angesehen. Zum Ausdruck gebracht wurde die Kritik vor allem von David Hansemann, der an der Gründung der Rheinischen Eisenbahngesellschaft in führender Position beteiligt war. Er faßte seine Kritik dahingehend zusammen, daß die Gesellschaften in eine ungünstige Stellung, "einen durchaus rechtlosen Zustand versetzt sind". Ihr Bestehen hänge allein von der "Billigkeit der Staatsverwaltung" ab33• Er räumte allerdings ein, daß die Staatsregierung sich "billiger und wohlwollender" verhalten habe als ihr Eisenbahngesetz34•

33

Hansemann, Kritik, S. 125.

34

Hansemann, Kritik, S. 126.

24

Erster Abschnitt: Die Gründung

2. Die Entwicklung des Aktienrechts und das Aktiengesetz von 1843

a) Allgemeines Landrecht Aus Nr. II der Allgemeinen Bedingungen und § 2 Eisenbahngesetz, den Vorschriften über die Ausgabe von Aktien, ergab sich, daß man bei Eisenbahngesellschaften generell von der Rechtsform der Aktiengesellschaft ausging. Die Gründung von Aktiengesellschaften lag nahe, da die Kosten für die Anlegung einer Bahn von Einzelpersonen weder allein noch zu mehreren getragen werden konnten. Ein Aktiengesetz existierte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Allgemeine Landrecht kannte die Aktiengesellschaft niche5• Es enthielt in Teil I Titel17 §§ 183-310 Vorschriften über die "besonderen Gesellschaften" und in Teil2 TitelS §§ 614-683 Bestimmungen über "Handelsgesellschaften". Diese Vorschriften über die Gesellschaften bezogen sich auf Personengesellschaften. In Teil 2 Titel 6 ALR fanden sich Bestimmungen über die Gesellschaften überhaupt und Korporationen im besonderen. Während § 1 unter Gesellschaft im allgemeinen "Verbindungen mehrerer Mitglieder des Staats zu einem gemeinschaftlichen Endzwecke" verstand, kamen die Rechte einer Korporation nach§ 25 "nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zweck verbunden haben".

Den vor Erlaß des Eisenbahngesetzes konzessionierten Gesellschaften mußten die Rechte einer Korporation ausdrücklich verliehen werden, während § 3 Eisenbahngesetz bestimmte, daß den Eisenbahngesellschaften mit Bestätigung ihres Statuts zugleich die Rechte einer Korporation verliehen wurden. Die Vorschriften über die Korporationen regelten neben der Grundverfassung derselben (§§ 27-41) vor allem die "Inneren Rechte" (§§ 42-80) und die "Äußeren Rechte"(§§ 81-113). Die inneren Angelegenheiten der Korporation wurden nach § 51 durch Beschlüsse der Mitglieder geregelt. Die Ausübung der äußeren Rechte erfolgte ebenfalls durch Beschlüsse der Mitglieder (§§ 86, 87). Zu den äußeren Rechten gehörte vor allem, daß die Korporationen nach § 81 in den Geschäften des bürgerlichen Lebens als "moralische Person" angesehen wurden. Für die Schulden der Korporation haftete nach § 91 nur das gemeinschaftliche Vennögen.

35

C.F.Koch, Bd.l, S. 699; Pöhls, S. 11.

1. Teil: Privatbahnen

25

Die Ausübung der Gesellschaftsrechte konnte nach § 114 einzelnen Personen als "Repräsentanten oder Stellvertretern" der Gesellschaft übertragen werden. Die Repräsentanten waren nach § 177 jedoch nur zur Ausübung der äußeren Rechte der Gesellschaft berufen. Innere Gesellschaftsrechte standen ihnen nur dann zu, wenn sie ihnen gesondert übertragen worden waren(§ 125). § 137 bestimmte schließlich noch, daß die Korporation wenigstens einen Vorsteher haben mußte. Im Gegensatz zum heutigen Recht, wo der Vorstand einer AG sowohl zur Geschäftsführung (=innere Rechte) als auch zur Vertretung der Gesellschaft (=äußere Rechte) befugt ist, kennzeichnete die Korporation eine strikte Trennung zwischen inneren und äußeren Rechten. Aus dem Allgemeinen Landrecht ergaben sich damit Vorschriften über eine körperschaftlich organisierte Gesellschaft, die auf Eisenbahngesellschaften Anwendung finden konnten. Die Bestimmungen über die Korporationen galten nach Teil2 Titel6 § 26 jedoch nur subsidiär. Vorrangig bestimmten sich die Rechte und Verhältnisse der Korporationen nach dem Inhalt ihrer vom Staat erteilten Konzessionen. Nur wenn sich aus den Konzessionen oder aus anderen Gesetzen keine näheren Bestimmungen ergaben, galten nach Teil2 Titel6 § 41 die Vorschriften der§§ 42 ff.. Daraus folgt, daß sich die Gründung von Eisenbahngesellschaften in erster Linie zunächst nach den Allgemeinen Bedingungen und später nach dem Eisenbahngesetz als vorrangigen gesetzlichen Regelungen im Sinne von Teil 2 Titel 6 § 40 ALR richtete.

b) Rheinisches Recht In der preußischen Rheinprovinz galt seit 1807 der napoleonische "Code de Commerce" als Rheinisches Handelsgesetzbuch36• In Westfalen wurde der CDC im Jahre 1825 durch das ALR ersetze7 , während im Rheinland das französische Recht weiter Gültigkeit behielt. Der CDC enthielt in seinem dritten Titel mit der Überschrift "Von Gesellschaften" in den §§ 19, 29-37, 40 und 45 allgemeine Vorschriften, nach denen sich die Genehmigung von Aktiengesellschaften richtete. § 19 CDC erwähnte drei Arten von Handelsgesellschaften: 1.

Die Gesellschaft unter einem gemeinschaftlichen Namen (en nom collectiO,

36 Zum Gebiet des rheinischen Rechts gehörten das gesamte linke Rheinufer, sowie die rechtsrheinischen Gebiete des ehemaligen des ehemaligen Großherzogtums Berg. 37

Gesetz vom 21. Juni 1825, GS 1825, S. 153ff..

26

Erster Abschnitt: Die Gründung 2. 3.

die Gesellschaft, bei der nicht alle Interessenten an der Besorgung der Handelsgeschäfte teilnehmen (en commandite), die anonymisehe Gesellschaft.

Die§§ 29, 30 CDC regelten, daß der Name der anonymisehen Gesellschaft sich nach dem Gegenstand des Handelsunternehmens bestimmte und die Namen der Gesellschafter nicht erwähnte. Bestimmungen über die Vertretungsmacht fanden sich in§§ 31, 32. § 31 bestimmte: "Sie wird von Bevollmächtigten verwaltet, deren Auftrag auf bestimmte Zeit beschränkt und widerruflich ist .. "

Die Vertreter hafteten nach § 32 persönlich nur für die Vollziehung ihres Auftrags, nicht aber darüber hinaus.§ 34 CDC enthielt den Begriff "Actie": "Das Capital der anonymisehen Gesellschaft wird in Actien und selbst in kleinere Teile von Actien, die gleichen Wert haben, vertheilt".

Eine Aktie verkörperte damit, wie nach heutigem Recht, einen Anteil am Kapital der Gesellschaft. Nach § 35 CDC konnte eine Aktie auf den Inhaber lauten. Die Errichtung der Gesellschaft bedurfte gemäß § 37 einer staatlichen Genehmigung. Dies hatte nach § 40 CDC durch öffentliche Urkunde zu erfolgen. Nach § 45 CDC mußten die Genehmigung sowie der "Societätsact" öffentlich angeschlagen werden. Nach den Vorschriften des ALR bedurfte es demgegenüber lediglich einer Bekanntgabe gegenüber der Kaufmannschaft oder der Obrigkeitdes Heimatortes (feil2 TitelS§§ 618,619 ALR). Damit regelte der Code de Commerce, anders als das Allgemeine Landrecht, zwar die Grundprinzipien der AG, jedoch waren die Regelungen nur bruchstückhaft. Es fehlten Vorschriften über die Kapitalaufbringung oder den Gesellschaftsvertrag. Um die gesetzlichen Lücken bei Eisenbahngesellschaften wenigstens hinsichtlich der Kapitalaufbringung zu schließen, wurde, wie bereits erwähne8, unter Nr. II der Allgemeinen Bedingungen und § 2 Eisenbahngesetz bestimmt, welche Grundsätze hinsichtlich der Aktien und der Aktienzeichner beachtet werden mußten.

38

Unter 1., 1., b).

1. Teil: Privatbahnen

27

c) Das preußische Aktiengesetz von 1843 Mit dem Aktiengesetz vom 9. November 184339 wurden in Preußen die unterschiedlichen Regelungen in der Rheinprovinz (Code de Commerce) und den übrigen Landesteilen (Allgemeines Landrecht) durch allgemeine Bestimmungen über Aktiengesellschaften vereinheitlicht. Für die Gründung der Eisenbahngesellschaften waren folgende Bestimmungen von Bedeutung: An dem Konzessionszwang änderte sich nichts(§ 1 AktG). Die Verleihung der Korporationsrechte war nunmehr überflüssig, da die Aktiengesellschaft nach § 8 AktG als juristische Person anerkannt wurde. Der Gesellschaftsvertrag (das Statut) war zur landesherrlichen Bestätigung vorzulegen. § 2 AktGenthielt Vorschriften über den Inhalt des Gesellschaftsvertrages, wie sie im Eisenbahngesetz noch nicht zu fmden waren. Detaillierte Regelungen über die innere Verfassung und die Organe der Gesellschaft fanden sich nicht. Es wurden lediglich die Mitgliederversammlung und der Vorstand mit ihren Rechten genannt. So mußten die Art der Vertretung der Gesellschaft (§ 2 Nr. 5 AktG), die Zusammenrufung der Mitglieder(§ 2 Nr. 6 AktG) und die Beschlußfassung der Mitglieder (§ 2 Nr. 7 u. 8 AktG) im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden. §§ 19-25 AktG regelten die Rechte und Pflichten des Vorstandes. Die Trennung zwischen inneren und äußeren Rechten, wie sie das ALR für die Korporationen vorsah, findet sich hier nicht mehr. Die §§ 6 und 7 Aktiengesetz enthielten Vorschriften über den Entzug der Konzession durch den Staat. Voraussetzung hierfür waren überwiegende Gründe des Gemeinwohls(§ 6 AktG) oder ein grober Mißbrauch des Privilegs (§ 7 AktG). Im Falle des § 7 Aktiengesetz konnte das Privileg nur durch Richterspruch entzogen werden. Im Eisenbahngesetz sah lediglich§ 47 für den Fall der Nichterfüllung von Bedingungen eine Verwirkung der Konzession vor. Zuvor war eine Frist von drei Monaten zu setzen. Der Vorschrift des § 2 Eisenbahngesetz über die Aktien und die Pflichten der Aktienzeichner entsprach § 11 AktG. Im Gegensatz zum Eisenbahngesetz fand das Aktiengesetz nach § 30 keine Anwendung auf bereits bestehende Gesellschaften. Das Zusammenspiel von Eisenbahngesetz und Aktiengesetz funktionierte wie folgt: Die mit dem Bau und dem Betrieb der Eisenbahnen zusammenhängenden Rechtsfragen, wie z.B. die Enteignung von Grundstücken, wurden weiter nach dem Eisenbahngesetz beurteilt. Für die Genehmigung zur Gründung einer 39

GS 1843, S. 341 ff.

28

Erster Abschnitt: Die Gründung

Eisenbahngesellschaft als Aktiengesellschaft fand das Aktiengesetz Anwendung. 3. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch Das ADHGB, das in Preußen am 1. März 186240 in Kraft trat, behielt den Konzessionzwang für Eisenbahngesellschaften bei und führte zu keinen nennenswerten Veränderungen. Zunächst galt das ADHGB nur für Aktiengesellschaften, deren Unternehmensgegenstand in Handelsgeschäften bestand (Art. 207-249). Durch Gesetz vom 15. Februar 186441 wurde seine Anwendung auf alle Aktiengesellschaften ausgedehnt. Neu gegenüber dem Aktiengesetz von 1843 waren vor allem die Regelungen über die Verfassung der Gesellschaft und die Rechtsverhältnisse der Aktionäre42.

ß. Die Erteilung der Konzession 1. Das Verfahren der Konzessionserteilung nach den Allgemeinen Bedingungen von 1836 und dem Eisenbahngesetz Die Erteilung der Konzession erfolgte nach dem Eisenbahngesetz, ebenso wie nach den Allgemeinen Bedingungen von 1836, in mehreren Stufen.

a) Der Antrag auf Erteilung einer Konzession ( § 1 Satz 1 Eisenbahngesetz) Nach § 1 Satz 1 Eisenbahngesetz mußte sich jede Gesellschaft, die den Bau einer Eisenbahn beabsichtigte, an das Handelsministerium wenden und neben den Hauptpunkten der Bahnlinie die Höhe des Aktienkapitals genau angeben. Der erste Schritt zur Erlangung einer Konzession war damit ein entsprechender Antrag an das Handelsministerium. Durch das Gesetz vom 17. April 1848 trat das neugebildete Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten an die Stelle des bisherigen Handelsministeriums43• Das Gründungs- und Antragsverfahren lief im allgemeinen wie folgt ab:

40

GS 1861, S. 449 ff.

41

GS 1864, S. 57ff.

42

Im einzelnen hierzu: Landwehr ZRG GA 82, S. llff.

43

GS 1848, S. 109.

1. Teil: Privatbahnen

29

Die an der Anlage einer Bahn interessierten Privatpersonen bildeten ein Gründungskomitee. Die Idee bierfür soll von Friedlich List stammen, der dieses Verfahren in Amerika kennen gelernt hatte44 • Erstmals gebildet wurde ein Gründungskomitee auf Betreiben von Friedrich List in Sachsen anläßtich der Gründungsversammlung am 17. März 1834 für die Eisenbahn von Leipzig nach Dresden45 • Das Komitee entwarf einen Plan für die Anlegung der Bahn und veröffentlichte ihn. Mit der Veröffentlichung des Bahnprojektes wurde das Publikum im allgemeinen zur Zeichnung von Aktien aufgefordert. Da bereits die Vorbereitung des Antrages Kosten verursachte, es mußte die ungefahre Linienführung bestimmt werden, bestand die Notwendigkeit, bereits in diesem frühen Stadium Aktionäre zu gewinnen. Der Aufforderung zur Zeichnung von Aktien zum Zeitpunkt der Antragsteilung standen zunächst keine Vorschriften entgegen. Durch ein Gesetz vom 17. Juni 183346 mit dem Titel: "Gesetz wegen Ausstellung von Papieren, welche eine Zahlungsverpflichtung an jeden Inhaber enthalten"wurde lediglich untersagt, ohne vorherige Genehmigung, Papiere auszugeben, mit denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme an jeden Inhaber versprochen wurde47 • Die Einleitung von Aktienzeichnungen beschränkte dieses Gesetz nicht. Bei Erlaß des Eisenbahngesetzes war von der Staatsregierung zwar erwogen worden, bereits die Ausgabe von Aktien im Gründungsstadium der Gesellschaft zu untersagen oder hierfür eine Genehmigung der Provinzialbehörden vorzuschreiben. Man kam jedoch zu dem Ergebnis, daß es an einem Rechtstitel fehlte, die Gesellschaft schon in diesem Stadium unter die Aufsicht des Staats zu stellen. Es wurde sogar befürchtet, eine Genehmigungspflicht würde Mißbräuche eher noch verschärfen, da die Genehmigung mangels nachprüfbarer Unterlagen fast nie versagt werden konnte. Ein mit einer Genehmigung versehenes Projekt würde zudem gegenüber dem Publikum als besonders seriös erscheinen. Der Staat müsse sich darauf beschränken, das Publikum zu warnen48 • In diesem Sinne bestimmte ein Rescript der Ministerien des lnnem, der Polizei und der Finanzen vom 23. September 184049 , "die Einleitungen zu Eisen44 List hatte in Nordamerika Erfahrungen mit dem Bau und dem Betrieb einer eigenen Bahnstrecke gesammelt, Seidenfus, Dt. Verwaltungsgeschichte, S. 236.

45

v.d. Leyen, AfE 1880, S. 223.

46

GS 1833, S. 75.

47

§ 1 des Gesetzes vom 17.6.1833.

48

GStA Rep.89 Nr.29518 Bl.85.

49

Ministerialbl. d. innem Verw. 1840, S. 420.

30

Erster Abschnitt: Die Gründung

bahnuntemehmungen und Aktienzeichnungen auf dieselben betreffend", das an den Oberpräsidenten der Provinz Schlesien gerichtet war, daß die Einleitung von Aktienzeichnungen ohne landesherrliche Genehmigung zulässig ist. Begründet wurde dies mit den erbeblichen Gründungskosten und dem Risiko der Gründer, im Falle einer Versagung der Genehmigung, die Ausgaben allein tragen zu müssen. Es wurde argumentiert, der Wortlaut des § 1 Eisenbahngesetz stehe der Einleitung von Aktienzeichnungen nicht entgegen, da dort nur von einer Frist die Rede sei, innerhalb der die Zeichnung des Aktienkapitals nachgewiesen werden müsse. Hinsichtlich der Einleitung der Zeichnung ergebe sich hieraus nichts. Die Möglichkeit einer Fristsetzung habe allein den Zweck, das Unternehmen nach Erteilung der Genehmigung entweder innerhalb einer absehbaren Zeit zur Ausführung zu bringen oder, wenn dies nicht gelinge, die Konzession wieder entziehen zu können. Einzige Einschränkung bei der Einleitung der Zeichnung war, daß nicht durch unrichtige Angaben über die Sachlage getäuscht und insbesondere nicht der Eindruck hervorgerufen werden durfte, die Ausführung der Anlage sei bereits genehmigt worden. In diesem Sinne, so wird weiter ausgeführt, sei auch eine Bekanntmachung vom 14. Juni 1837 zu verstehen, in der vor Täuschungen beim Ankaufvon Aktien gewarnt wurde50• In dieser Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, daß verschiedene Komitees zu Aktienzeichnungen aufgerufen hatten, obwohl deren Projekte weder genehmigt noch anderweitig gesichert gewesen seien51• Dem Publikum wurde offenbar verschwiegen, daß diese Aktien nicht mit Rechten und Ansprüchen verbunden waren. Die Regierung fühlte sich daher veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß Papiere, die von noch nicht konzessionierten Unternehmen ausgegeben wurden, ohne jeden Wert für den Inhaber seien. Als sich trotz der ergangenen W amungen der schwunghafte Handel mit Wertpapieren von Eisenbahngesellschaften, deren Genehmigung noch nicht gesichert war, fortsetzte52, erging mit Datum vom 24. Mai 1844 eine Verordnung mit dem Titel, "Verordnung, die Eröffnung von Aktienzeichnungen für Eisenbahn-Unternehmungen und den Verkehr mit den dafür ausgegebenen Papieren betreffend"53•

50

Ministerialbl. d. innern Verw. 1840, S. 420.

51

Ministerialbl. d. innern Verw. 1840, S. 421.

Beispielsweise gingen im Jahre 1844 bei der Thüringischen Bahn, deren Kapital auf 9,5 Millionen Taler veranschlagt war, Zeichnungen im Wert von 400 Millionen Taler ein, Bericht des Finanzministers v. Bodelschwingh vorn 9. April 1844, GStA Rep.89 Nr.29490 Bl.l. 52

53

OS 1844, S. 117.

1. Teil: Privatbahnen

31

§ 1 Satz 1 dieser Verordnung bestimmte, die Eröffnung von Aktienzeichnungen für Eisenbahnunternehmen sei nur noch mit Genehmigung des Finanzministers erlaubtS4. Für Zuwiderhandlungen drohte § 1 Satz 2 eine Geldbuße von 50 bis zu 500 Thaiern an. Zudem konnte der erzielte Gewinn konfisziert werden.

Als Begründung wurde angeführt, daß Mißbräuche, zu welchen die Eröffnung von Aktienzeichnungen und der Verkehr mit Aktienpromessen und ähnlichen Papieren geführt hätten, beseitigt werden sollten. Der Schwindel mit inund ausländischen Aktien habe überband genommen55• Bereits mit Publikandorn vom 11. April 1844 hatte Finanzminister von Bodelschwingh auf schwere Mißstände im Aktienwesen hingewiesen und vor dem Ankauf von Aktien von Eisenbahnen gewarnt, die noch nicht konzessioniert waren56• Zugleich verwies er darauf, daß dem übrigen Handel die erforderlichen Betriebskapitalien entzogen würden. Die Folgen der Verordnung vom 24. Mai 1844 waren gravierend. Sie führte zu einem allgemeinen Kursverfall bei Eisenbahnaktien. Schon wenige Tage nach ihrer Bekanntgabe sind die Aktienkurse um durchschnittlich 10 % gesunken und erholten sich auch in den folgenden Jahren nicht57• Es wird die Auffassung vertreten, daß die Verordnung den wirtschafliehen Aufstieg Preußens auf Jahre hinaus verzögerte, da die Belebung des preußischen Bahnbaus abrupt beendet worden sei58• Nach der Auffassung von BesseVKühlwetter wurde durch die Verordnung von 1844 zwar die Aktienzeichnung ohne staatliche Genehmigung untersagt, nicht jedoch, zur Teilnahme an der projektierten Eisenbahn aufzufordern. Die Teilnehmer konnten sich zur anteiligen Erstattung der Gründungskosten verpflichten und nach Ausarbeitung der Statuten den Gesellschaftsvertrag unter dem Vorbehalt der landesherrlichen Genehmigung abschliessen59• Diese Aufassung ist plausibel, denn es muß berücksichtigt werden, daß die Regierung nach dem Text der Verordnung ein Interesse daran hatte, Mißbräu54 An die Stelle des Finanzministeriums trat durch das bereits erwähnte Gesetz vom 17. April1848 (GS 1848, S. 109) das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten.

55

Bl.6. 56

Stellungnahme des Staatsministeriums vom 30.4.1844, GStA Rep.89 Nr.29490 Ministerialbl. d. innem Verw. 1844, S. 100.

57

Denkschrift vom 31.10.1846, GStA Rep.89 Nr.29490 Bl.158. Bösselmann, S. 22. Aufgehoben wurde die Verordnung erst durch ein Gesetz vom 1.6.1860, GS 1860, S. 220. 58 59

Bessel/Kühlwetter, Teil1, S. 8.

32

Erster Abschnitt: Die Gründung

ehe bei der Ausgabe von Aktien und beim Aktienhandel zu unterbinden. Die anteilige Übernahme der Gründungskosten stand dem Sinn der Verordnung nicht entgegen, sofern nicht im Gegenzug Anteilsscheine von der Gesellschaft ausgegeben wurden. Im allgemeinen wurde die Regierung jedoch auch schon vor 1844 von den Gründungskomitees um die Erlaubnis zur Einleitung von Aktienzeichnungen im Gründungsstadium gebeten. Sofern das Projekt vertrauenswürdig erschien, wurde diesen Gesuchen entsprochen. Wurde die Genehmigung, Aktienzeichnungen aufzunehmen, erteilt, so konnte sich das Gründungskomitee an die Öffentlichkeit wenden und diese zur Zeichnung von Aktien auffordern. Gelang es, eine ausreichende Anzahl von Interessenten zu gewinnen, trafen die Aktionäre zusammen und schlossen einen förmlichen Gesellschaftsvertrag vor einem Notar bzw. vor Gericht, der die Statuten des beabsichtigten Unternehmens enthielt60• Ausdrücklich geregelt wurde dies in§ 2 Satz 1 Aktiengesetz (1843). Anschließend wurde eine Kommission gewählt, die die Leitung der notwendigen Vorarbeiten übernahm und den nach § 1 Eisenbahngesetz erforderlichen Antrag auf Genehmigung des Statuts beim Handelsministerium stellte. Diese Vorgehensweise war nicht die einzig denkbare. Es bestand alternativ die Möglichkeit, daß das Gründungskomitee zunächst selbst einen Statutenentwurf erstellte und diesen zur Genehmigung beim Handelsministerium einreichte. Erst nach Erteilung der Genehmigung wurde zur Aktienzeichnung aufgefordert und das Statut dann von der Aktionärsversammlung verabschiedet. Voraussetzung hierfür war allerdings, daß die Staatsregierung den wenigen Gründem das notwendige Vertrauen entgegenbrachte. Dieses Procedere hatte den Vorteil, daß bereits bei der Beschlußfassung über das Statut die von der Regierung geforderten Änderungen berücksichtigt werden konnten. Wurde das Statut dagegen schon vor Stellung des Genehmigungsantrages beschlossen, bedurfte es wegen der zu erwartenden Änderungswünsche der Regierung eines erneuten Beschlußes über die Statuten. Bei einem solchen Änderungsbeschluß, der von der Versammlung der Aktionäre zu fassen war, bestand die Gefahr, daß er nicht zustande kam und das gesamte Projekt damit scheiterte. Zur Vermeidung solcher Risiken war es nach der Auffassung von BesseU Kühlwetter, für den Fall der Verabschiedung des Statuts vor Antragstellung,

60 Die gesetzlichen Bestimmungen hierfür ergaben sich zunächst aus § 185 Teil 1 Tite117 und§ 617 Teil2 TitelS i.V.m. §§ 155 ff. Teill TitelS ALR.

1. Teil: Privatbahnen

33

sinnvoll, das Komitee im Statut zu ermächtigen, von der Regierung geforderte Änderungen bindend einzuarbeiten61 • Dies geschah auch in der Praxis. Bei der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft ermächtigte die Generalversammlung den Ausschuß, der zusammen mit der Direktion unter anderem die Statuten ausarbeiten sollte, die von der Regierung geforderten Statutenänderungen vorzunehmen62 • Diese Verfahrensweise führte nicht zu Streitigkeiten zwischen Aktionären und der Gesellschaft. Es stellte sich die Frage nach den Grenzen einer solchen Änderungsbefugnis. In der Literatur wurde eine entsprechende Ermächtigung generell für bedenklich gehalten, da nicht jede wesentliche Entscheidung in die Hand des Komitees gelegt werden dürfe63• Nach anderer Auffassung schloß die Ermächtigung lediglich grundlegende Änderungen des Statuts aus64• Solange sich das Komitee bei dem Beschluß über Veränderungen im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung bewegte, waren die Aktionäre nicht zum Rücktritt von ihrer Beteiligung berechtigt65• Überschritt das Komitee seine Kompetenzen, so stand den Aktionären ein Rücktrittsrecht zu, sofern sie die Veränderungen nicht genehmigten. Die Genehmigung galt jedoch als stillschweigend erteilt, wenn gegen die Änderungen kein Widerspruch eingelegt wurde66• Es ist nicht erkennbar, ob die Ermächtigung des Komitees in der Praxis zu Mißbräuchen oder zu Streitigkeiten zwischen den Komiteemitgliedern und den Aktionären geführt bat. b) Die Prüfung des Antrags ( § I Satz 2 Eisenbahngesetz) Nach § 1 Satz 2 Eisenbahngesetz war der Antrag, sofern nicht allgemein etwas gegen das Unternehmen einzuwenden war, einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Über den Inhalt dieser Prüfung enthielt das Eisenbahngesetz keine Bestimmungen. Nach welchen Gesichtspunkten die Prüfung erfolgen sollte, bestimmte vielmehr ein Circularrescript des Königlieben Staatsministeriums vom 30. Novem-

61

Bessel/Kühlwetter, Teil 1 S. 7.

62

v.d. Leyen, AfE 1880, S. 267, 269.

63

Beschomer, S. 39.

Bessei/Kühlwetter, Teil 1, S. 7. Als Beispiel wird die Umstellung der Bahn von Pferdebetrieb auf Lokomotiven angeführt. 64

65

Appellhof Köln, E.v. 8. Feb.l847, Rh.Arch 41.1.175.

66

Bessei/Kühlwetter, Teill, S. 8.

3 Bracht

34

Erster Abschnitt: Die Gründung

her 1838 an sämtliche Oberpräsidenten67, dem eine vom König genehmigte Instruktion beigefügt war. Die Instruktion trug die Überschrift:"Bestimmungen über die Prüfung der Anträge auf Concessionierung von Eisenbahnanlagen"68• § 1 dieser Instruktion verlangte, daß der Antrag durch die Nützlichkeit des Unternehmens begründet werden mußte. Dazu gehörte eine Aufstellung über den derzeitigen Verkehr auf der geplanten Strecke und das erwartete Güteraufkommen. Ferner mußte die technische Ausführbarkeit des Projektes nachgewiesen werden. Hierzu bedurfte es einer möglichst genauen Beschreibung der Linienführung und einer Skizze des Terrains

Bei der Prüfung der Anträge sollte darauf geachtet werden, einerseits unausgewogene und unsichere Projekte zu verhindem und andererseits die Anforderungen nicht zu hoch zu schrauben, um die Antragsteller nicht von vornherein abzuschrecken69• Nach § 2 der Instruktion prüfte der Chef des Handelsministeriums zunächst die allgemeine Zulässigkeit des Unternehmens. Verneinte er sie, so hatte er den Antrag mit seinem Gutachten nach § 3 dem Staatsministerium vorzulegen und diesem den Vorschlag zu machen, den Antrag zurückzuweisen. Kam er hingegen zu dem Ergebnis, das Projekt sei zulässig, mußte er den Entwurf dem Kriegsministerium zur Prüfung in militärischer Hinsiebt vorlegen (§ 4 der Instruktion). Die übrigen Departements waren davon in Kenntnis zu setzen, daß eine nähere Prüfung des Antrages durch die Oberpräsidenten der betroffenen Provinzen veranlaßt worden sei. Etwaige Bedenken der einzelnen Departements waren an das Handelsdepartement zu richten. Konnte ein Widerspruch nicht durch Verhandlungen ausgeräumt werden, war der Antrag zurückzuweisen. Die einzelnen Provinzregierungen hatten den Antrag nach § 5 der Instruktion zu begutachten und dabei auch die betroffenen Kommunalbehörden einzubeziehen. Worauf bei der Prüfung geachtet werden sollte, wurde im einzelnen in 8 Unterpunkten aufgeführt. Neben der Nützlichkeit und der technischen Ausführbarkeit waren entgegenstehende Rechte Dritter zu prüfen, die möglicherweise Entschädigungsansprüche auslösen konnten. Zu beurteilen waren zudem die Solidität der Unternehmensleitung und die Vorschläge zur Verhütung eines Aktienschwindels bei der Einwerbung des Kapitals. Vorliegende Konkurrenzangebote waren ebenfalls zu prüfen. 67

GStA Rep.77 Titel258 Vol.II Bl.125-128.

Öffentliche Bekanntmachung durch das Oberpräsidium der Provinz Brandenburg v. 14. Dezember 1838, Kameralistische Zeitung 1839, S. 193. 68

69 Erläuterungen zu den Bestimmungen über die Prüfung der Anträge auf Konzessionierung von Eisenbahnanlagen, GStA Rep.89 Nr.29518 BI. 84.

I. Teil: Privatbahnen

35

Durch Circularrescript vom 22. April1845 70 an alle Oberpräsidenten wurde bekräftigt, daß bei der Prüfung besonderer Wert auf die Solidität des zu gründenden Unternehmens und der leitenden Personen gelegt werden sollte. In diesem Zusammenhang stellte sich zumeist das Problem, den Kapitalbedarf schon zu Beginn genau zu ermitteln. Kostensteigerungen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen, so daß in diesem Punkt ein Unsicherheitsfaktor bestehen blieb. Die Gutachten waren beim Handelsministerium einzureichen, das die übrigen Ressorts darüber in Kenntnis setzte(§ 7 der Instruktion). Waren alle Einwände beseitigt, hatte der Chef des Handelsministeriums dem Staatsministerium Bericht zu erstatten. Das Staatsministerium entschied über die Zulässigkeil und Gemeinnützigkeit des Unternehmens. Kam es zu einem günstigen Ergebnis, so ersuchte es den König um Erteilung der Genehmigung (§ 8 der Instruktion). Der Antrag an den König bezog sich nach § 9 der Instruktion auf drei Punkte: 1. die Ermächtigung zur Bildung einer Gesellschaft mit einem bestimmten Aktienkapital,

2. die Genehmigung zur Bauausführung nach Bestätigung des Gesellschaftsstatuts und 3. die Anwendbarkeit der gesetzlichen Expropriationsbestimmungen auf das genehmigte Unternehmen auszusprechen. Die Erteilung der Konzession erfolgte durch die Genehmigung des Königs, die vor dem Statut der Gesellschaft in der Gesetzessammlung abzudrucken war (§ 10 der Instruktion). Wurde als Ergebnis der Prüfung die landesherrliche Genehmigung für die Gründung der Gesellschaft erteilt, so hatte das Handelsministerium nach § 1 Satz 3 Eisenbahogesetz, unter Mitteilung etwaiger Auflagen, eine Frist zu setzen, innerhalb der die Gesellschaft die Zeichnung des Aktieokapitals nachzuweisen hatte. Zugleich mußte die Gesellschaft in dieser Zeit ein Statut verabschieden und auch tatsächlich zusammengetreten sein.

10

Ministerialbl. d. innem Verw. 1845, S. 120 Nr.144.

36

Erster Abschnitt: Die Gründung

c) Die Erteilung der Konzession(§ 3 Eisenbahngesetz) Nach§ 3 Satz 1 Eisenbahngesetz war das Statut zur landesherrlichen Bestätigung einzureichen. Zu diesem Zeitpunkt mußte der Bauplan bereits im wesentlichen festgestellt worden sein. Auf die hierzu erforderlichen Vorarbeiten wird später eingegangen. § 3 Satz 2 Eisenbahngesetz regelte die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft bis zu ihrer Genehmigung. Danach fanden die allgemeinen gesetzlieben Vorschriften über Gesellschafts- und Mandatsverträge Anwendung. Durch Genehmigung des Statuts erlangte die Gesellschaft die Rechte einer Korporation oder einer anonymen Gesellschaft und wurde damit zu einem eigenen Rechtssubjekt mit aktiver und passiver Parteifähigkeit71 . Die Erlangung der Rechte einer Korporation spielte eine Rolle für die Provinzen, in denen das ALR galt. In Teil2 Titel6 ALR war, wie bereits erwähnt, die Korporation gesetzlich geregelt. Das Mandatsverhältnis zwischen Interessenten und Komitee verpflichtete die Interessenten in Höhe ihrer Anteile zur Beteiligung an den Gründungskosten. Dies galt auch für den Fall, daß die Genehmigung versagt wurde72•

d) Die staatliche Aufsicht über die Eisenbahngesellschaften Oberste Aufsichtsbehörde war die Handelsabteilung des Finanzministeriums, bis im Jahre 1848 durch ein Gesetz das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten geschaffen wurde73• Zur Ausübung des Aufsichtsrechts des Staates über das Unternehmen wurde von den jeweiligen Bezirksregierungen ein ständiger Kommissar ernannt, an den sich der Unternehmer bei allen Fragen, die die Beziehung zum Staat betrafen, zu halten hatte. Er konnte nach § 46 Eisenbahngesetz Vorstandssitzungen einberufen und den Sitzungen beiwohnen. Angesichts der gewachsenen Zahl von Eisenbahngesellschaften wurden durch ein Regulativ vom 24. November 1848 Eisenbahnkommissariate eingerichtet, bestehend aus 2 Mitgliedern, einem administrativen und einem technischen74.

71

Bessei/Kühlwetter, Teill, S. 15. Beschomer, S. 25; Leipziger Stadtgericht, Wochenblatt [merkwürdige Rechtsfalle, 1842, s. 338. 73 GS 1848, S. 109. 72

74

Regulativ v. 24.11.1848, Ministerialbl. d.innem Verw. 1848, S. 390 Nr.489.

1. Teil: Privatbahnen

37

Die Eisenbahnkommissariate, die zunächst in Berlin, Breslau, Erfurt und Köln eingerichtet wurden, hatten die Aufgabe, die Interessen des Staates gegenüber den Eisenbahngesellschaften, sowie die Interessen der Eisenbahngesellschaften und des die Eisenbahn benutzenden Publikums zu wahren7s. Gemeint waren damit vor allem die Fragen des Eisenbahnbetriebs. Die für jede Eisenbahn bestellten Regierungskommissare, wurden durch sie nicht ersetzt. Der Aufgabenkreis der Regierungskommissare bezog sich nun jedoch in erster Linie auf das Stadium der Gesellschaftsgründung. Die Kompetenzaufteilung im einzelnen wurde durch das erwähnte Regulativ vorgenommen.

2. Die Rechtsnatur der Konzession Die Konzssion zur Gründung einer Eisenbahngesellschaft wurde gemäß § 3 Eisenbahngesetz durch den König als Landesherrn erteilt. § 3 Absatz 1 lautete: "Das Statut ist zu unserer landesherrlichen Bestätigung einzureichen; es muß jedoch zuvor der Bauplan im Wesentlichen festgestellt worden sein."

Die Konzessionpflicht hatte ihren Ursprung bei den Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts, denen durch den Landesherrn spezielle Privilegien gewährt wurden76• Die den Eisenbahnen verliehene Konzession wurde daher zunächst den Privilegien gleichgestellt77• Die Ansicht, es handele sich bei der Konzession um einen Vertrag, da sie durch Willenseinigung zwischen dem Erteilenden und dem Begünstigten zustande komme78, wurde allgemein mit der Begründung abgelehnt, es handele sich bei der Konzessionserteilung um einen einseitigen staatlichen Hoheitsake9• Die Einordnung als Vertrag beruhte auf der im 18. Jahrhundert noch überwiegend vertretenen Auffassung von der Vertragsnatur des Privilegs80• Die genaue Definition des Privilegienbegriffs war jedoch unklar und Gegenstand der juristischen und politischen Diskussion, auf die hier nur kurz eingegangen werden soll81 • 15

§ I des Regulativs.

76

Pöhls, S. 25; Martin VSWG Bd.56 (1969), S. 528.

77 Pöhls, S. 49; Meili, Z.f.H.R., Bd.24, S. 359; Mohnhaupt Ius Commune Sonderheft 21, S. 55.

78 79

Rüttimann, Z.f.H.R., Bd.19, S. 330. Dernburg, S. 41; Meili, Z.f.H.R., Bd.24, S. 359; Endemann, S. 280 f.

80

Mohnhaupt lus Commune Sonderheft 21, S. 46.

81

Im einzelnen hierzu: Mohnhaupt Ius Commune V, S. 72 ff.

38

Erster Abschnitt: Die Gründung

Seit dem 18. Jahrhundert wurde unter einem Privileg im allgemeinen die einem privaten Rechtsträger durch Einzelurkunde erteilte Sonderberechtigung verstaodeo82• Privilegien wurden von dem Souverän als Inhaber der Gesetzgebungsgewalt erteilt83• Sie übernahmen die Funktion fehleoder gesetzlicher Bestimmuogeo84. Deutlich wird dies in der Einleitung des Allgemeinen Landrechts, wo Privilegien unter den Vorschriften über die Auslegung und die Aufbebung der Gesetzes erwähnt werden(§§ 46 ff., 59 ff. EinlALR). Für die Gleichstellung der Konzession mit einem Privileg im herkömmlichen Sinn sprach, daß den begünstigten Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts eine monopolartige Stellung für ihren jeweiligen Handelszweig garantiert wurde85• Die den Eisenbahngesellschaften erteilten Konzessionen hatten insofern den Charakter eines Monopols, als sie das alleinige Recht für die Anlage einer bestimmten Bahnlinie gewährten. Es handelte sich um die einem privaten Rechtsträger erteilte Sooderberechtiguog. Im Unterschied zu den herkömmlichen Privilegien stellte die Erteilung der Eisenbahnkonzession keine Durchbrechung bestehender gesetzlicher Bestimmungen dar. Die Allgemeinen Bedingungen und das Eisenbahngesetz bildeten die gesetzliche Grundlage, so daß die Erteilung der Konzession als Anwendung bestehender Gesetze angesehen werden konnte. Eine Gleichstellung der Konzession mit den Privilegien der Handelscompagoien früherer Jahrhunderte schied daher aus. Angesichts der unklaren begrifflichen Deftoition wurde die Konzession deonoch als Privileg betrachtet. Bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert war das Privilegiensystem vor dem Hintergrund der Aufklärung in die Kritik geraten. Die Erteiluog von Privilegien wurde als Verstoß gegen die Gleichheit der Rechtssubjekte angesehen und die uokontrollierte Privilegienwillkür kritisiert86• Der herkömmliche Privilegienbegriff verlor daher im 19. Jahrhundert seine Bedeutung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Konzession daher auch nicht mehr als Privileg betrachtet. Sie wurde vielmehr als Verwaltungsakt bezeichnet87•

82

Mohnhaupt Ius Commune Sonderheft 21, S. 44 und lus Commune V, S. 74.

83

Schwennicke, S. 239.

84

Mohnhaupt Ius Commune Sonderheft 21, S. 47.

85

Pöhls, S. 6, 49.

86

Mohnhaupt Ius Commune V, S. 72 ff.; Demburg, S. 40.

87

Endemann, S. 281.

1. Teil: Privatbahnen

39

Der Begriff des Verwaltungsaktes, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand und von Otto Mayer im Jahre 1895 erstmals definiert wurde, unterschied sich von einem Privileg dadurch, daß er das Gesetz nicht durchbrach, sondern auf gesetzlichen Bestimmungen beruhte88• Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß die Konzession nach heutigem Verständnis als Verwaltungsakt zu beurteilen ist. Da der Begriff des Verwaltungsakts bei der Genehmigung der ersten Eisenbahngesellschaften jedoch noch unbekannt war, wurde die Konzession zur damaligen Zeit als Privileg angesehen. Daß die unklare Rechtsnatur der Konzession nicht nur ein theoretisches Problem war, soll im folgenden an den im Rahmen der Konzessionsecteilung für die Berlin-Sächsische Eisenbahngesellschaft (seit Mai 1840: Berlin-Anhalter Bahn89) entstandenen Streitfragen dargestellt werden. 3. Rechtsprobleme, die sich aus der Rechtsnatur der Konzession ergaben Vor der Erteilung der endgültigen Konzession erhielt die Eisenbahngesellschaft, wie bereits dargestellt, zunächst eine vorläufige Konzession, deren Rechtsnatur ebenfalls nicht gesetzlich geregelt war. Im Zusammenhang mit der Konzessionierung dieser Bahngesellschaft stellte sich die Frage, inwieweit sich aus der Erteilung der vorläufigen Genehmigung zur Anlegung einer Eisenbahnlinie ein Anspruch der Gesellschaft auf Erteilung der endgültigen Konzession ergab. Diese Streitfrage, die Anlaß für eine umfangreiche Denkschrift des Staatsministeriums wurde, ergab sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Bahn. Im Jahre 1836 bildete sich ein Komitee zur Anlegung einer Eisenbahnverbindung von Potsdam über Jüterbogk nach Riesa in Sachsen zum Anschluß an die geplante Eisenbahnverbindung zwischen Leipzig und Dresden90• Das Komitee beantragte im April1836, die Bildung einer Aktiengesellschaft vorläufig zu genehmigen91 und erhielt mit Datum vom 11. Juni 1836 die erbetene vorläufige Genehmigung zur Errichtung einer Eisenbahn von Potsdam bis

88

Mohnhaupt Ius Commune Sonderheft 21, S. 45.

Umbenennung durch Kabinettsorder vom 15.5.1840, Amtsblatt der Kgl.Regierung zu Merseburg 1840, S. 159 in GStA Rep.77 Titel258a Nr.9 Bl.72. 90 Bericht des Staatsministeriums vom 31.12.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.73. 89

91

Bl.74r.

Bericht des Staatsministeriums vom 31.12.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl

40

Erster Abschnitt: Die Gründung

zur preußisch-sächsischen Grenze bei Nieska mit Anschluß an die LeipzigDresdener Eisenbahn bei Riesa92• Die Genehmigung stand unter der Bedingung, daß innerhalb von sechs Monaten die Zeichnung von 2/3 des Kapitals nachgewiesen werden mußte. Zudem sollte die Gesellschaft den Anschluß an die Leipzig-Dresdener Eisenbahn sicherstellen93• Bereits nach vier Monaten war das erforderliche Kapital gezeichnet und ein Vertrag mit der Leipzig-Dresdener Eisenbahngesellschaft über eine Verbindung beider Bahnen geschlossen worden94• Da es der Gesellschaft nicht gelang, eine Vereinbarung mit der Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft über die Fortführung dieser Linie zu erzielen95, änderte sie ihren Konzessionsantrag am 2. Januar 1837 und bat darum, die Bahn direkt in Berlin beginnen lassen zu dürfen. Von Seiten des Staatsministeriums wurden gegen die Änderung keine Einwände erhoben96• Durch eine Allerhöchste Kabinettsorder vom 25. Februar 1837 wurde der Gesellschaft eine Genehmigung für die Errichtung einer Bahn von Berlin bis zur sächsischen Grenze unter der Bedingung erteilt, daß die Leipzig-Dresdner Bahn zur Ausführung gelangt oder ihre Ausführung zumindest gesichert ist97 • Wenig später reichte die Gesellschaft den Entwurf ihres Statuts zur Genehmigung ein98• Die Gesellschaft hatte damit die übliche vorläufige Konzession erhalten. In der Folgezeit wartete die Gesellschaft vergeblich auf die Erteilung der endgültigen Konzession. Der Grund für die Verzögerung ergab sich aus dem Umstand, daß von verschiedenen Seiten Widerstand gegen die beabsichtigte Linienführung nach Riesa laut geworden war. Widerstand gegen die Richtung der geplanten Bahn regte sich zum einen in Magdeburg. Dort befürchteten die Vorsteher der Kaufmannschaft, daß eine

92 93

Bl.75. 94

Bl.76r.

GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.6. Bericht des Staatsministeriums vom 3l.l2.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bericht des Staatsministeriums vom 3l.l2.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl

95 Man befürchtete in Abhängigkeit von der Berlin-Potsdamer Gesellschaft zu geraten. Zudem gab es in Potsdam nicht genügend Platz für einen größeren Bahnhof, Bericht des Staatsministers Rother vom 8.2.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.7. 96 Bericht des Staatsministeriums vom 3l.l2.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.77. 97 Bericht des Staatsministeriums vom 3l.l2.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.77r. 98 Bericht des Staatsministeriums vom 3l.l2.1837, GStA Rep.89 Nr. 29592 VoLl Bl.77r.

1. Teil: Privatbahnen

41

Verbindung zwischen Berlin und Leipzig hergestellt werden könnte, die Magdeburg aussparte99• Der Magistrat der Stadt Halle wandte sich ebenfalls gegen die Bahn nach Riesa. Ein weiteres Beispiel für Widerstände gegen die geplante Bahn bildeten zwei Memoranden des Justizkommissars Robert, der ebenfalls zu dem Ergebnis kam, daß die Verbindung mit Riesa nicht dem preußischen Interesse entspreche100. Auffällig ist, daß Robert Rechtskonsulent einer Gesellschaft zur Anlegung einer Bahn von Potsdam nach Halle war101 und deshalb ein Interesse daran gehabt haben dürfte, die unerwünschte Konkurrenz auf der Verbindung mit Sachsen zu verhindern. Von besonderem Gewicht war eine Denkschrift des Generalpostmeisters v. Nagler vom 31. März 1837, in der er die durch die geplante Bahn für die Post zu erwartenden Nachteile darlegte. V. Nagler befürchtete, daß die Verbindungen von Magdeburg nach Leipzig und von Berlin nach Riesa mit Anschluß an die Leipzig-Dresdener Strecke, das Projekt einer Eisenbahn von Berlin nach Magdeburg verhindem würde. Für die geplanten Bahnen nach Kassel und Frankfurt am Main würde sich durch den Umweg über Sachsen eine Verlängerung von 9 3/4 Meilen ergeben. Eine Verbindung von Berlin über Magdeburg nach Halle wäre zudem eine rein preußische Bahn geworden, während bei der Linienführung über Riesa das Königreich Sachsen beteiligt war102. Dem Staatsministerium stellte sich daher die Frage, ob angesichts der Eingaben des Magistrats der Stadt Halle und des Ministers v. Nagler das eingeleitete Unternehmen einer Bahn nach Riesa rückgängig gemacht werden sollte103. Hierbei tauchte als Vorfrage das Problem auf, ob das Eisenbahnkomitee bereits durch die vorläufige Genehmigung ein "wohlbegründetes Recht" auf Erteilung einer definitiven Konzession für die Ausführung des Unternehmens

99 Memorandum der Vorsteher der Kaufmannschaft vom 30. November 1837, GStA Rep.77 Titel258a Nr.9 Bl.22. 100 Memoranden vom 20.3.1837 und 15.11.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.45-50 bzw. 65-70. 101 GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.64. 102 GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.30. 103 Bericht des Staatsministeriums vom 31.12.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.72r.

42

Erster Abschnitt: Die Gründung

erlangt hatte, oder ob die endgültige Konzession verweigert werden konnte, ohne Entschädigungsansprüche der Gesellschaft auszulösen104• Die Meinungen im Staatsministerium waren gespalten und wurden in einem Gutachten des Staatsministeriums vom 31. Dezember 1837 zusammengefaßt105 • Die Mehrheit von fünf gegenüber vier Stimmen im Staatsministerium vertrat die Auffassung, daß der vorläufigen Konzession, die der Gesellschaft erteilt worden war, die Wirkung einer endgültigen Konzession beizulegen seiul6. Sie stellte fest, die Gesellschaft habe aufgrund der vorläufigen Konzession ein Recht auf Erteilung der definitiven Konzession oder eines förmlichen Privilegs erlangt. Ihr sei ein bindendes Versprechen gegeben worden, das sogar im Rechtswege geltend gemacht und nach § 70 EinlALR nur gegen Entschädigung wieder aufgehoben werden könne107• Begründet wurde diese Auffassung wie folgt: Die Gesellschaft erhebe Anspruch auf ein Privileg, dessen Bewilligung Teil des Majestätsrechts sei 108• Es gehe um die einseitige Bewilligung eines von einem Untertanen erbetenen Privilegs durch den König. Die Genehmigung sei aus zwei Gründen dem öffentlichen Recht zuzuordnen: 1. Die Gesellschaft erhalte die Rechte einer Korporation und das nur dem Staat zustehende Enteignungsrecht 2. In gewissem Maße werde der Gesellschaft ein ausschließliches Recht zur Anlegung einer Bahn in der bezeichneten Richtung, mithin ein Monopol, zuteil.

104

Bl.72r.

Bericht des Staatsministeriums vom 31.12.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl

lOS Bericht des Staatsministeriums vom 31.12.1837, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.72-123. 106 Zur Majorität gehörten neben dem Kronprinz die Minister v. Brenn, Mühler, v. Rochow und v. Alvensleben. Die Minorität bildeten die Minister v. Kamptz, v. Nagler, v. Werther und v. Rauch. 107 Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.73. § 79 EinlALR lautete wie folgt: "Privilegia, auch solche, die durch einen lästigen Vertrag erworben werden, kann der Staat, jedoch nur aus überwiegenden Gründen des gemeinen Wohls, und nur gegen hinlängliche Entschädigung des Privilegierten, wieder aufheben.". 108 § 7 Teil1 Titell3 ALR; § 36 des Anhangs der Regierungsinstruktion vom 23.10 1817, GS 1817, S. 150.

1. Teil: Privatbahnen

43

Die definitive Feststellung des Rechtsverhältnisses der Gesellschaft hänge noch von der Einreichung des förmlich vollzogenen Statuts ab 109. Es stelle sich daher die Frage, ob in den beiden Allerhöchsten Kabinettsordern, mit denen der Gesellschaft die vorläufige Genehmigung erteilt wurde, bereits der Botschluß angesprochen worden sei, das erbetene Privileg zu erteilen. Nach Ansicht der Majorität bestand daran nach dem Wortlaut der Genehmigungen kein Zweifel110. Zwar sei trotz entsprechendem Antrag keine ausdrückliche Zusicherung einer späteren Konzessionserteilung gegeben worden, daraus folge aber noch nicht, daß keine Zusicherung vorliege111 • Wenn eine vorläufige Genehmigung erteilt werde, dann sei darin die Zusicherung zu sehen, die Privilegien zu erteilen, um die nachgesucht wurde112. Wenn schon die vorläufige Genehmigung einer Bahn nach Riesa erfolgte, so durfte die Gesellschaft erwarten, daß die Bahn nach den gesetzlichen Bestimmungen wie alle anderen Bahnen behandelt werde. Die Zusicherung habe sie zudem bereits zu bedeutenden Kostenaufwendungen veranlaßt113• Die vorläufige Genehmigung solle der Gesellschaft die Sicherheit geben, daß die Aufwendungen für die Vorarbeiten nicht umsonst sein werden. Die Genehmigung sei nur insofern vorläufig, als die Gesellschaft wirklich gebildet werden und das Unternehmen zur wirklichen Ausführung kommen müsse. Dagegen liege bereits die bestimmte Entscheidung vor, ob das Unternehmen ansich zu gestatten sei. Die Gesellschaft habe die ihr gestellten Bedingungen erfüllt. Sie sei zwar noch nicht förmlich konstituiert, die Aktionäre hätten das Komitee jedoch ermächtigt, das Statut so festzustellen, wie es von der Regierung genehmigt werde. Der Statutenentwurf sei bereits eingereicht worden 114. Die Bedingung, daß die Fertigstellung der Leipzig-Dresdener Bahn gesichert sein müsse, habe lediglich aufschiebende Wirkung. Zudem sei bereits feststellbar, daß diese Bedingung erfüllt werdem. Da Aktionäre insofern ein Privileg besitzen, könne es ihnen nur gemäß § 70 EinlALR wieder entzogen werden.

109

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.78.

110

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l BL79.

111

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl BLSO.

112

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl BL80r.

113 114

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.8lr. Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l BL83.

115

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.l Bl.84.

44

Erster Abschnitt: Die Gründung

Eine Entziehung bedeute auch die Zumutung, die Bahn nicht nach Riesa, sondern nach Halle zu führen. Die Kosten für die Vorarbeiten auf der Strecke nach Riesa wären vergeblich aufgewendet worden. Die von der Gesellschaft eingegangenen116 Verpflichtungen beliefen sich auf 250.000 Taler. Weitere Kosten seien aus Streitigkeiten mit der Leipzig-Dresdener Bahn zu erwarten, da beide Gesellschaften bereits einen von der sächsischen Regierung gebilligten Vertrag geschlossen hätten, der die LeipzigerDresdener Bahn zu Investitionen in Höhe von mehr als 100.000 Taler veranlaßt habe117• Im Ergebnis kamen nach Auffassung der Majorität damit erhebliche Belastungen auf den Staatshaushalt zu. Die Minorität sah in den Verhandlungen weder eine schon erteilte Konzession noch ein schon bewilligtes Privilegium. Sie verneinte damit einen Entschädigungsanspruch aus§ 70 EinlALR118• Die Argumentation der Minorität knüpfte an den Wortlaut der Genehmigungen an, die der Gesellschaft gegeben worden waren: Die erste Genehmigung sei ausdrücklich als vorläufig bezeichnet worden und hätte sich auf den Anfangspunkt in Potsdam und nicht in Berlin bezogen. Vor Genehmigung der Änderung des Anfangsbahnhofs sei nur über die beantragte Änderung beraten worden119• Es sei nicht anzunehmen, daß der König angesichts dieser Situation eine Zusicherung habe geben wollen. Genehmigungen seien ausnahmslos vorläufig erteilt worden 120• Eine nur vorläufige Genehmigung könne kein Recht gegen den Staat begründen. Die Aktionäre hätten nicht einmal das Recht, nach Zustandekommen der Gesellschaft, die Erteilung der Konzession zu verlangen. Das Komitee habe vergeblich eine Zusicherung beantragt121 • Im Ergebnis hielt jedoch auch die Minorität eine entschädigungslose Verweigerung der endgültigen Konzession nicht für berechtigt. Es wurde eine Entschädigung aus Gründen der Billigkeit bejaht122• Zur Begründung wurde folgendes angeführt:

116

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.84r.

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.85; Eingabe des Komitees vom 7.10.1837 Bl.149. 117

118

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl BI.73.

119

121

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.86. Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.88. Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.89.

122

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.89r.

120

1. Teil: Privatbahnen

45

Die Unternehmer konnten die ihnen erteilten vorläufigen Genehmigungen möglicherweise so verstehen, daß bei Erfüllung aller Bedingungen, die definitive Genehmigung wohl erteilt werden würde 123• Zudem hätten die Unternehmer, nach Bekanntwerden von Bedenken gegen das Projekt, versucht dieses zu erzwingen. Eine entsprechende W amung der Regierung wäre daher geboten gewesen, ist aber nicht erfolgt. Daher konnten die Unternehmer Rücksichtnahme erwarten124• Die Auseinandersetzung im Staatsministerium läßt erkennen, daß die Grundfragen des Aktienrechts, insbesondere die Bedeutung der Konzession, nicht geklärt waren. Sah man bereits die vorläufige Konzession als Privileg an, war der Staat an sie gebunden und konnte sie aus Gründen, die bei Erteilung der vorläufigen Konzession bereits Gegenstand der Prüfung gewesen waren, nicht entschädigungslos entziehen. Im Ergebnis wird man der Aufassung der Majorität folgen müssen. Die vorläufige Konzession erlaubte die Vorbereitung des Bahnbaus, wozu insbeondere die Festlegung der Bahnstrecke gehörte. Wurde nun die Genehmigung zum Bau einer bestimmten Strecke erteilt, so mußte sich der Staat hinsichtlich der Streckenführung an dieser Entscheidung festhalten lassen, wollte er sich nicht dem Schadensersatzanspruch aus § 70 EinALR aussetzen. Deutlich wird an den Beratungen des Staatsministeriums -neben dem Bemühen, Schadensersatzansprüche der Eisenbahngesellschaft zu vermeiden- zudem, daß der Staat Privatgesellschaften zwar den Bahnbau übertrug, auf der anderen Seite jedoch hinsichtlich der Linienführung die eigenen Interessen in den Vordergrund stellte. Zu einer abschließenden Entscheidung der umstrittenen Rechtslage kam es dank des Verhandlungsgeschicks des Finanzministers von Alvensleben nicht. Ihm gelang es, die gewünschte Änderung der Linienführung auch ohne Entschädigungszahlung herbeizuführen. In einem Bericht vom 13. März 1838125 führte er aus, daß er sich angesichts der noch nicht geklärten Entschädigungsfrage unter der Hand an die Gesellschaft gewandt habe, um zu klären, ob eine Verlegung der Bahnlinie in Richtung auf Köthen in Betracht komme. Ein Teil der Aktionäre erklärte sich hierzu bereit. Für einen Kapitalanteil in Höhe von 800.000,- Talern war die Zustimmung jedoch ungewiß. Er empfahl daher, den sich weigernden Aktionären die eingezahlten 10 % des Aktienbetrages zurückzuzahlen und neue Aktionäre eintreten zu lassen, die

124

Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.90r, 91. Gutachten, GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.9l.

125

GStA Rep.89 Nr.29592 VoLl Bl.224-228.

123

46

Erster Abschnitt: Die Gründung

mit der Richtungsänderung einverstanden waren. Zu einem Eintritt unter Leistung der zutückzuzahlenden 10 % hatte sich Staatsminister Rother126 von Seiten der Seehandlung bereit erldärt127• Damit ließe sich erreichen, daß die Gesellschaft selbst das Unternehmen einer Bahn nach Riesa aufgebe, ohne das von seiten des Staats wegen Entschädigung mit ihr verhandelt werden müßte. Eine Belastung drohe der Staatskasse nur bei einem Verkauf der Aktien zu einem niedrigeren Kurs als dem Anschaffungspreis. Eine derartige Belastung sei wenig wahrscheinlich. Der Gesichtspunkt der Entschädigung solle jedoch nicht als Grund für die Richtungsänderung angegeben werden, um die Gesellschaft nicht in ein schlechtes Licht zu rücken. Es sollte daher keine Entschädigung angeboten werden. Mit einem Gesuch vom 17. April 1838 drängte v. Alvensleben den König, die Richtungsänderung ohne Verzögerung zu genehmigen, um die Übertragung des Unternehmens auf die neue Richtung zu sichern. Die Zeit dränge, weil von den Aktionären zur Bezahlung der bestellten Schienen Einschüsse auf die von ihnen gezeichneten Aktien in Höhe von weiteren 10% gefordert werden müßten, diese ohne endgültige Genehmigung der Bahnlinie dazu aber nicht bereit seien128• Daraufhin übernahm die königliche Seehandlung Aktien im Wert von 800.000 Talern und trat mit diesem Betrag an die Stelle der Aktionäre, die sich der Richtungsänderung der Bahn nicht anschließen wollten. Es stellte sich heraus, daß darüberhinaus eine Finanzierungslücke von 600.000 Talern bestand. Die Gesellschaft beantragte daher, daß die Seehandlung weitere Aktien im Wert von 400.000 Taler übernahm. Für die fehlenden 200.000 Taler stellte v. Rother als Chef der Seehandlung bei Bedarf ein Bezugsangebot in Aussicht129• Im Ergebnis wurden durch diese Vorgehensweise Schadensersatzforderungen der Gesellschaft verhindert.

126 Christian v. Rother (1778-1849), 1821-1849 Präsident der Seehandlung (seit 1836 im Ministerrang). 127 GStA Rep.89 Nr.29592 Vol.1 Bl.225. 128 GStA, Rep.89 Nr.29593 Vol.2 Bl.13-16. 129 Bericht v. 22. Januar 1839 der Minister v. Alvensleben und Rother, GStA Rep.89 Nr.29593 Vol.2 Bl.44.

l. Teil: Privatbahnen

47

4. Die Konzessionsbedingungen

a) Konzessionsvoraussetzungen nach dem Eisenbahngesetz Über den Abschluß des Gesellschaftsvertrages enthielt das Eisenbahngesetz keine Bestimmungen. Diese wurden erst durch § 2 Satz 2 des Aktiengesetzes von 1843 eingeführt. Eine bestimmte Anzahl von Gründem war nicht vorgeschrieben. aa) Die Voraussetzungen für die Ausgabe von Aktien (§ 2 Nr. 1 und 2 Eisenbahngesetz) Die aktienrechtlichen Vorschriften, die für die Gründung der Gesellschaft maßgeblich waren, ergaben sich aus § 2 Eisenbahngesetz, worin sechs Grundsätze aufgestellt wurden: § 2 Nr. 1 erlaubte zunächst die Ausgabe von auf den Inhaber lautenden Aktien. Die Aktien durften nach§ 2 Nr. 2 erst ausgegeben werden, wenn der gesamte Nominalbetrag eingezahlt war. Für Teilzahlungen durften Quittungen ausgestellt werden, die jedoch auf den Namen des Aktionärs lauten mußten. Die Ausgabe von Interimsscheinen und ähnlichen vorläufigen Papieren, die auf den Inhaber lauteten, war ausdrücklich untersagt. Die bereits erwähnte130 Verordnung vom 24. Mai 1844 über die Eröffnung von Aktienzeichnungen für Eisenbahnuntemehmungen131 bestimmte zudem in § 2, daß Verträge über Aktienpromessen, Interimsscheine oder Quittungsbögen vor vollständiger Einzahlung des Nominalbetrages nur dann gültig waren, wenn sie sofort von beiden Parteien Zug um Zug erfüllt wurden. Andernfalls wurden sie als nichtig angesehen, und die vertraglichen Verpflichtungen konnten dann nicht eingeklagt werden. Makler und Agenten durften mit diesen Papieren ebenfalls nur dann handeln, wenn die Geschäfte von beiden Seiten sofort erfüllt wurden. Ihnen drohte sonst die Amtsenthebung (§ 3 der Verordnung). Zweck dieser Bestimmungen war, den Verkehr mit noch nicht voll eingezahlten Aktien zu erschweren und es der Gesellschaft zu erleichtern, das gezeichnete Kapital zu erhalten. Die Einzahlung der Aktienbeträge erfolgte auf Anforderung der Gesellschaft in mehreren Stufen. Zur Deckung der Gründungskosten wurde zunächst 1/2 % des Aktiennennbetrages eingefordert. Anschließend folgte mit Baubeginn die

130

Unter ll., 1., a).

131

GS 1844, S. 117.

48

Erster Abschnitt: Die Gründung

Einzahlung von 5-10 % des Aktiennennbetrages. Die weiteren Einzahlungen wurden je nach Bedarf während der Bauausführung eingefordert. Stellte sich bereits während der Bauausführung heraus, daß das vorgesehene Kapital nicht ausreichte, so mußte entweder der Weg der Kapitalerhöhung beschritten oder eine Anleihe begeben werden. Für die Emission von Aktien über die ursprünglich festgesetzte Zahl hinaus und die Aufnahme von Darlehen bedurfte die Gesellschaft nach § 6 Eisenbahngesetz einer gesonderten Genehmigung. Die Gesellschaft hatte ein Klagerecht auf Einzahlung der Raten. Die Aktienzeichner waren mit den Ratenzahlungen vielfach säumig. Dies führte, wie an anderer Stelle 132 bei der Rhein-Weser Bahn zu zeigen sein wird, zu großen Schwierigkeiten für die Gesellschaften. bb) Die Haftung des Aktienzeichners (§ 2 Nr. 3 Eisenbahngesetz) Gemäß § 2 Nr. 3 Eisenbahngesetz haftete der Zeichner der Aktie für die Einzahlung von 40% des Nominalbetrages. Von dieser Haftung konnte er sich weder durch die Übertragung der Aktie befreien, noch konnte ihn die Gesellschaft aus der Haftung entlassen. Blieb der Zeichner mit den angeforderten Teilzahlungen im Rückstand, konnte die Gesellschaft gegen ihn Konventionalstrafen verhängen. Nach Einzahlung von 40% des Nominalbetrages stand der Gesellschaft ein Wahlrecht zu, ob sie sich im Falle einer Abtretung weiter an den ursprünglichen Zeichner oder an den Zessionar halten wollte. Hierüber hatte nach § 2 Nr. 4 Eisenbahngesetz der Vorstand der Gesellschaft zu entscheiden. Das W abirecht bestand bei jeder weiteren Zession. Hatte der Zeichner 40 % des Nominalbetrages eingezahlt und stellte er dann die Zahlungen ein, so konnte die Gesellschaft wählen, ob sie ihn weiter in Anspruch nehmen oder ihn aus seiner Verpflichtung entlassen wollte. Im zweiten Fall verlor der Zeichner die Rechte aus den bisherigen Zahlungen und hatte hinsichtlich des bereits Gezahlten keinen Rückzahlungsanspruch. Da eine Kaduzierung erst nach Einzahlung von 40 % des Nominalbetrages möglich war, befand sich derjenige im Vorteil, der weniger eingezahlt hatte. Von ihm konnte zwar Zahlung verlangt werden, sein Anteil konnte ihm aber nicht entzogen werden. Die Gesellschaft hatte nach § 2 Nr. 6 b Eisenbahngesetz das Recht, in Höhe der Beteiligung des auf die erwähnte Weise ausgeschiedenen Zeichners neue Aktienzeichnungen zuzulassen.

132

Unterm., 4..

l. Teil: Privatbahnen

49

Die nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages beitretenden Aktionäre hafteten, ebenso wie diejenigen, die den Gesellschaftsvertrag abgeschlossen hatten, nicht nur für die Gründungskosten, sondern auch für die Einzahlung des von ihnen gezeichneten Betrages. Deutlich werden diese Grundsätze in einer Entscheidung des Rheinischen Appellationsgerichtshofes (3.Senat) vom 7. April 1847 133 • Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Einige Zeichner von Aktien der Aachen-Düsseldorfer Bahn, von denen die Einzahlung verlangt wurde, machten geltend, sie seien nicht Aktionäre, und der Gesellschaftsvertrag sei für sie nicht bindend. Sie argumentierten, der Vertrag über eine anonyme Gesellschaft müsse durch öffentliche Urkunde errichtet werden, um eine Nichtigkeit zu verhindern. An der Errichtung der Gesellschaft hätten sie sich nicht beteiligt, sondern seien erst später durch Zeichnung von Aktien beigetreten und daher nicht als eigentliche Gesellschafter zu betrachten. Auch sei der nach Art. 42 und Art. 45 Rh.HGB erforderliche Anschlag beim Handelsgericht Aachen nicht wirksam erfolgt, da die Namen der Aktionäre fehlten. Die Einreden wurden mit folgender Begründung verworfen: 1. Die Zeichnung von Aktien nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages verpflichte ebenso, wie die Beteiligung an dem Abschluß. 2. An dem Gesellschaftsvertrag müssen sich nicht alle Aktionäre beteiligen, sondern nur so viele, wie erforderlich sind, um den Staatsbehörden hinreichende Garantie für die Grundlage der Gesellschaft zu gewähren.

b) Die Veränderungen durch das Aktiengesetz von 1843 Das Aktiengesetz von 1843 brachte folgende Veränderungen: Der Vorschrift des § 2 Eisenbahngesetz über die Aktien und die Pflichten der Aktienzeichner entsprach, wie bereits erwähnt134 § 11 Aktiengesetz, wonach Inhaberaktien erst nach Einzahlung des gesamten Nominalbetrages ausgegeben werden durften. Der erste Zeichner haftete weiterhin für die Einzahlung von 40 % des Nominalbetrags. Neu war die Bestimmung der Nr. 3 des § 11 Aktiengesetz. Nunmehr mußte im Gesellschaftsvertrag zwingend geregelt werden, inwieweit die Rechte und Pflichten der Zeichner nach Einzahlung von 40 % auf Dritte übertragen werden konnten. Nach § 2 Nr. 4 Eisenbahngesetz konnte die Gesellschaft sich nach

133

Rheinisches Archiv 42.1.146, weiteres Bsp. bei Beschorner, S. 36 ff.

134

Unter I., 2., c).

4 Bracht

50

Erster Abschnitt: Die Gründung

ihrer Wahl an den Zessionar halten. Hierfür bedurfte es jetzt einer ausdrücklieben Ermächtigung im Gesellschaftsvertrag. § 14 Aktiengesetz ermöglichte, wie § 2 Eisenbahngesetz, die Verhängung von Konventionalstrafen, wenn der Aktienbetrag verzögert eingezahlt wurde.

c) Die Arten der ausgegebenen Wertpapiere Die Finanzierung des Bahnbaus erfolgte durch Ausgabe von Aktien oder die Begebung von Anleihen. Aktien konnten auf bestimmte Inhaber oder auf jeden Inhaber lauten. Inhaberaktien waren nach dem Eisenbahngesetz und dem Aktiengesetz von 1843 die Regel (§ 2 Nr. 1 Eisenbahngesetz § 11 AktG 1843). Die Mitgliedschaft in der Gesellschaft wurde bei Inhaberaktien durch den Besitz einer oder mehrerer Aktien ohne Rücksicht auf den Besitztitel begründet. Das Stimmrecht der Aktien in der Generalversammlung war zumeist beschränkt. Es gewährte nicht jede einzelne Aktie bereits eine Stimme. Bei Namensaktien mußte die genaue Bezeichnung der Person im Aktienbuch der Gesellschaft eingetragen werden. Eigentumsübertragungen waren in das Aktienbuch aufzunehmen, da im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Eigentümer galt, der im Aktienbuch eingetragen war. Neben Stammaktien, die einen Anspruch auf Teilnahme an der Generalversammlung mit Stimmrecht begründeten, wurden auch Prioritätsaktien ausgegeben. Die Ausgabebedingungen für diese Aktien wurden gewöhnlich im Nachtrag zu den Statuten veröffentlicht. Statt Dividenden wurde den Vorzugsaktionären in der Regel eine bestimmte Verzinsung zugesagt. Während Stammaktien nicht zurückgezahlt werden durften, wurden Prioritätsaktien von der Gesellschaft getilgt. Dem Ausgabeprospekt wurde ein Amortisationsplan beigefügt und darin die Summe festgelegt, welche, unter Hinzurechnung der durch die eingelösten Prioritätsaktien ersparten Zinsen, zur Tilgung der Schuld aus dem Ertrage des Eisenbahnunternehmens verwendet werden sollte135 • Obgleich rechtlich Aktionäre, wurden die Prioritätsaktionäre vielfach den Inhabern von Obligationen gleichgestellt. Sie durften an den Ge-

135 Als Beispiel soll hier das Nachtragsstatut der Oberschlesischen Eisenbahngesellschaft vom 7.3.1843 angeführt werden (GS 1843, S. 171):

§ 4 Abs. 1 lautete: "Die Prioritäts-Aktien unterliegen der Amortisation, wozu alljährlich die Summe von 1800 Reichsthaler. unter Zuschlag der durch die eingelösten Prioritäts-Aktien ersparten Zinsen aus dem Ertrage des Eisenbahnunternehmens verwendet wird."

I. Teil: Privatbahnen

51

neralversammlungen teilnehmen, hatten aber weder Wahl- noch Stimmrecht136. Ferner wurde in der Regel bestimmt, daß die Gesellschaft, solange die Aktien nicht eingelöst worden waren, nicht berechtigt war, Bahnbetriebsgrundstücke zu verkaufen oder neue Aktien auszugeben 137• Neben Aktien konnten auch sogenannte Prioritätsobligationen ausgegeben werden. Ihre Inhaber wurden nicht Mitglieder der Aktiengesellschaft, sondern deren Gläubiger und hatten ein hinsichtlich der Zinszahlung unbedingtes Vorzugsrecht vor den Stammaktien. Andererseits gingen ihnen vorher ausgegebene Vorzugsaktien vor. Prioritätsobligationen unterlagen ebenfalls der Amortisation, die nach einem bestimmten Plan erfolgte.

m.

Der Inhalt der Gesellschaftsstatuten

Im folgenden soll auf den Inhalt der Gesellschaftsstatuten der ersten Eisenbahngesellschaften eingegangen werden. Verglichen werden die königlichen Bestätigungen und Statuten von Eisenbahngesellschaften vor dem Hintergrund der Entwicklung der Gesetzgebung. Nach ihrem Gründungsdatum lassen sich die Gesellschaften in drei Gruppen einteilen:

1. Zur ersten Gruppe gehören die Gesellschaften, die im Jahre 1837 vor Erlaß des Eisenbahngesetzes konzessioniert wurden. Dabei handelt es sich um die Rheinische Bahn138, die Rhein-Weser Bahn139, die Strecken BerlinPotsdam140, Düsseldorf-Elberfeld141 und Magdeburg-Leipzig 142. 2. Zur zweiten Gruppe, die den Zeitraum vom Erlaß des Eisenbahngesetzes von 1838 bis zum Aktiengesetz von 1843 umfaßt, gehören die Berlin-

136 Z.B. § 12 des Nachtragsstatuts der Oberschlesischen Eisenbahn: "Die Inhaber der Prioritäts-Aktien sind zwar berechtigt, an den Generalversammlungen teilzunehmen, aber weder Stimm- noch wahlfahig". 137 Z.B. § 6 des Nachtragsstatuts der Oberschlesischen Eisenbahn: " Solange nicht die gegenwärtig kreirten Prioritäts-Aktien eingelöst oder der Einlösungs-Geldbetrag gerichtlich deponiert ist, darf die Gesellschaft keines ihrer Grundstücke, welches zum Bahnkörper oder zu den Bahnhöfen gehört, veräußern... " 138

Konzession vom 21.8.1837, GS 1855, S. 38 ff.

139

141

Konzession vom 21.8.1837, Abdruck bei Steitz, S. 291 ff. Konzession vom 23.8.1837, Kameralistische Zeitung 1837, S. 1058 ff. Konzession vom 21.9.1837, GS 1847, S. 300 ff.

142

Konzession vom l3.ll.l837, GS 1851, S. 726 ff.

140

52

Erster Abschnitt: Die Gründung

Sächsische Eisenbahngesellschaft (später Berlin-Anhalt), deren Konzession aus dem Jahre 1839 stammt143, die Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft aus dem Jahre 1840 144 und die Berlin-Frankfurter Eisenbahngesellschaft, deren Statut 1841 die allerhöchste Genehmigung erhielt145 . 3. Als Beispiel für die dritte Gruppe ist die Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft anzuführen, die im Jahre 1845 konzessioniert wurde 146• Dargestellt werden sollen der Inhalt und die Unterschiede der königlichen Bestätigungserklärungen, der aktienrechtlichen Bestimmungen und der Gesellschaftsverfassungen. Auf die Besonderheiten in den Statuten der Eisenbahngesellschaften, die mit Unterstützung des Staats gebaut wurden, wird unter dem Kapitel Staatsbahnen näher eingegangen.

1. Die Bestätigungsurkunde Die Bestätigungsurkunden der Gesellschaften aus dem Jahre 1837 weichen von denen ab, die auf der Grundlage des Eisenbahngesetzes und des Aktiengesetzes erteilt wurden. Den ersten Gesellschaften wurden ausdrücklich die Gemeinnützigkeit zuerkannt und die Rechte einer Korporation gewährt147 • Dies erklärt sich aus der Vorschrift des§ 25 Teil2 Titel6 ALR, wonach die Korporationsrechte nur solchen Gesellschaften verliehen werden durften, die einen gemeinnützigen Zweck verfolgten 148• Mit Erlaß des Eisenbahngesetzes bedurfte es einer ausdrücklichen Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht mehr, da § 3 Eisenbahngesetz die Erteilung der Korporationsrechte mit Erteilung der Bestätigung ausdrücklich vorsah. Ebenfalls durch das Eisenbahngesetz entbehrlich wurde die ausdrückliche Gewährung des Enteignungsrechts in der Bestätigung. Den Gesellschaften wurde das Recht verliehen, Grundstücke notfalls zu enteignen oder zumindest vorübergehend zu benutzen. Es wurde auf die für "Kunststraßen" bestehenden

144

Konzession vom 15.5.1839, GS 1839, S. 177 ff. Konzession vom 12.10.1840, GS 1840, S. 305 ff.

145

Konzession vom 15.5.1841, GS 1841, S. 95 ff.

146

Konzession vom 28.2.1840, GS 1845, S. 167 ff.

143

Berlin-Potsdam KamZ 1837, S. 1058, Magdeburg-Leipzig GS 1851, S. 726. Bei der Rheinischen Bahn und der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft kam es nicht zur Verleihung von Korporationsrechten, da die Genehmigung beider Gesellschaften nach französischem Recht (Art. 37 CDC) erfolgte. 147 148

1. Teil: Privatbahnen

53

Vorschriften verwiesen. Die Ausübung dieses Rechtes durfte nur unter der Leitung der jeweils zuständigen Regierungsbehörde ausgeübt werden. Die §§ 8 ff. Eisenbahngesetz machten diese Bestimmung entbehrlich. Im übrigen wurde in den Bestätigungen darauf hingewiesen, daß die endgültige Linienführung der Genehmigung des Finanzministers bedürfe, eine Formulierung, die in § 4 Eisenbahngesetz übernommen wurde. Die Zuständigkeit war allerdings mit dem Eisenbahngesetz auf das Handelsministerium übergegangen. Ein Vorbehalt des Widerrufs der Bestätigung, wie er sich bei den ersten Konzessionen findet, wurde in§ 47 Eisenbahngesetz aufgenommen. Die im Jahre 1837 trotz Erlaß der "Allgemeinen Bedingungen" noch unsichere Rechtslage fand in den Bestätigungsurkunden ebenfalls ihren Niederschlag. Bei allen im Jahre 1837 konzessionierten Gesellschaften wurde der Vorbehalt eingefügt, daß sie alle in Zukunft ergehenden Bestimmungen über Eisenbahnen so zu beachten hätten, als wären sie bereits zu diesem Zeitpunkt der Bestätigung beigefügt gewesen. Eine derartige Klausel findet sich in den Konzessionen, die nach Erlaß des Eisenbahngesetzes gewährt wurden, nicht mehr. Die Bestätigungsurkunden der Bahnen, die erst nach dem Jahre 1838 konzessioniert wurden, beschränkten sich auf die Genehmigung der Bahn. Spezielle Konzessionsbedingungen wurden in den Text im allgemeinen nicht mehr aufgenommen. Es wurde lediglich auf die Geltung der Vorschriften des Bisenbahngesetzes und nach 1843 zusätzlich auf die des neuen Aktiengesetzes hingewiesen. Die Bestätigungsurkunden der ersten im Jahre 1837 konzessionierten Bahngesellschaften waren damit detaillierter als die nach 1838 ergangenen. Rechtlich ergaben sich hieraus keine Unterschiede. Die in den Bestätigungsurkunden aufgeführten Bedingungen wurden inhaltlich in das Eisenbahngesetz übernommen. Ihre Erwähnung in der Bestätigungsurkunde erübrigte sich damit. 2. Aktienrechtliche Bestimmungen Die aktienrechtlichen Bestimmungen in den Statuten der Gesellschaften gleichen sich. So sahen bereits die Statuten der ersten Gesellschaften die Bestimmung vor, nach der jeder Aktionär auch bei Übertragung seines Anteilsrechts unbedingt für die Einzahlung von 40 % des Aktiennennwertes haftete. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrag bestand ein Wahlrecht der Gesellschaft, ob sie den Zedenten oder den Zessionar auf weitere Einzahlung in Anspruch nehmen wollte. Die inhaltliche Übereinstimmung dieser Vorschriften ergibt sich daraus, daß sie in dieser Form bereits in den "Allgemeinen Bestimmungen" aus dem Jahre 1836 enthalten und in das Eisenbahngesetz übemom-

54

Erster Abschnitt: Die Gründung

men worden waren. Die Bestimmungen konnten damit in den Statuten bereits berücksichtigt werden. Generell wurden, wie nach § 2 Eisenbahngesetz zugelassen, Inhaberaktien ausgegeben. Entsprechend Nr. ll Allgemeine Bedingungen und § 2 Eisenbahngesetz durfte dies erst nach vollständiger Einzahlung geschehen und zuvor nur Quittungen erteilt werden. Der Aktiennennwert variierte. Er belief sich zumeist auf 200 Taler149 oder 100 Taler150. Bei der Rheinischen Bahn war der Nennwert auf 250 Talern festgelegt151. Für die Einzahlung wurden feste Raten vorgeschrieben. Im allgemeinen waren, nachdem bei der Zeichnung bereits 112 % des Nennbetrages geleistet werden mußte, entsprechend dem Baufortschrittjeweils weitere 10% einzuzahlen. Die Statuten enthielten Vorschriften, wie im Fall der Nichtzahlung der Einschüsse zu verfahren war. Ging die geschuldete Zahlung nicht ein, wurde dem Anteilseigner zunächst eine Konventionalstrafe angedroht. Zahlte er trotzdem nicht, so war die Gesellschaft berechtigt, seinen Anteil einzuziehen. Die bisher geleisteten Einschüsse wurden nicht erstattet, und die eingezogenen Aktien vernichtet152• Für derartige Bestimmungen bestand ein Bedürfnis, da§ 2 Bisenbahngesetz zwar bestimmte, wen die Gesellschaft in Anspruch nehmen konnte, nicht jedoch, wie der Zahlungsanspruch durchzusetzen war. Die Einzahlungen wurden bei allen Gesellschaften mit 4-5 % verzinst. Darüberhinaus bestand ein Anspruch auf Dividendenzahlung. Obwohl es sich um Aktien handelte, bestand damit unabhängig vom Ertrag der Gesellschaft ein fester Zinsanspruch, vergleichbar mit einer Anleihe. Angesichts der verbreiteten Schwierigkeiten der Gesellschaften, das notwendige Kapital aufzubringen, und der unsicheren Ertragsaussichten des neuen Verkehrsmittels, dürfte das Angebot einer festen Verzinsung die einzige Möglichkeit gewesen sein, Kapitalanleger zu gewinnen. Allein die Aussicht auf Dividendenzahlung war nicht attraktiv genug, da in der Bauphase keine Gewinne erwartet werden konnten.

149 Berlin-Potsdam §5; Berlin-Sächsisch §4; Derlin-Stettin §8; Rhein-Weser Bahn §3; Berlin-Hamburg §6. 150 Düsseldorf-Elberfeld §2, Magdeburg-Leipzig §1; Berlin-Frankfurt/Oder §4. 151 § 13 des Statuts. 152 Rheinische Bahn §16; Magdeburg-Leipzig §6, Rhein-Weser Bahn §9; Berlin Sächsisch §9; Derlin-Stettin § 13.

1. Teil: Privatbahnen

55

Nach Fertigstellung der Bahnlinie wurde in Nachträgen zum ursprünglichen Statut die Verzinsungsverpflichtung aufgehoben. Die Aktionäre hatten dann nur noch einen Dividendenanspruch. Die Höhe des Kapitals wurde jeweils in den ersten Bestimmungen der einzelnen Statuten festgelegt. Ein bestimmtes Minelestkapital sahen weder das Eisenbahngesetz noch das Aktiengesetz von 1843 vor. Die Festlegung des erforderlichen Gesellschaftskapitals war schwierig, da mangels Erfahrung die zu erwartenden Kosten auch nach Fertigstellung der ersten Bahnen nur schwer vorherzusehen waren. So wurden z.B. die für den Grunderwerb anzusetzenden Beträge vielfach unterschätzt. Viele Gesellschaften beklagten sich nach Fertigstellung darüber, daß die Kosten für den Grunderwerb unerwartet hoch ausgefallen waren. Dasselbe galt für die Anschaffung der Betriebsmittel. Daß man sich der Unsicherheit der Feststellung des Kapitalbedarfs bewußt war, zeigt sich im Statut der Berlin-Sächsischen Eisenbahngesellschaft153. In § 4 des Statuts wurde das Kapital "nur vorläufig" auf 3 Millionen Taler festgelegt. Für den Fall, daß dieser Betrag nicht ausreichen sollte, behielt sich die Gesellschaft das Recht vor, das Kapital durch Ausgabe weiterer Aktien auf 3,5 Millionen Taler zu erhöhen. Um den erhöhten Kapitalbedarf zu decken, wurden über Nachträge zum Statut Kapitalerhöhungen vorgenommen. Ausgegeben wurden zumeist keine neuen Stammaktien, sondern Prioritätsaktien oder Anleihen. Auf derartige nachträgliche Kapitalerhöhungen, vielfach auch mehrere, konnte bei keiner der hier untersuchten Gesellschaften verzichtet werden. Prioritätsaktien gewährten Anspruch auf einen festen Zins. Der Zinsanspruch ging den Zins- und Dividendenansprüchen der Stammaktionäre vor. Die Besonderheit bei den Prioritätsaktien bestand darin, daß sie, wie bereits erwähnt154, der Amortisation unterlagen. Jedes Jahr wurde eine bestimmte Anzahl von Aktien anband der Aktiennummern durch Auslosung getilgt. Die Rückzahlung erfolgte zum Nennwert1ss. Die Prioritätsaktien wurden mit diesen Bedingungen Obligationen, die bis zur Tilgung ebenfalls einen Anspruch auf einen festen Zins verbrieften, gleichgestellt. Die Amortisation wirkte sich zumeist nachteilig auf die Kursentwicklung aus, da der Prioritätsaktionär nicht absehen konnte, wann seine Aktien ausgelost wurden und wieviel Zinsen sie damit noch abwerfen würden. ts3 GS 1839, S. 177. ts4 Unter ll., 5., c). tss Nachtrag zum Statut der Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft. KamZ 1839, S. 507 f., §4; Nachtrag Düsseldorf-Elberfeld von 1840, GS 1847, S. 311, §8; Oberschle-

sische Bahn GS 1843, S. 311, §11.

56

Erster Abschnitt: Die Gründung

Im zweiten Nachtrag zum Statut der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft aus dem Jahre 1842 findet sich in § 9 die Bestimmung, daß zehn Jahre lang weder eine Kündigung noch eine Amortisation erfolgen würde. Im Jahre 1842 war es für Eisenbahngesellschaften zunehmend schwieriger geworden, das notwendige Kapital aufzubringen. Die Zusicherung einer kündigungsfreien Zeit ist als Reaktion auf diese Schwierigkeiten anzusehen. Aktienrechtlich weisen die Gesellschaftsstatuten im Ergebnis nur geringe Unterschiede auf. Die grundlegenden Bestimmungen über die Kapitalautbringung waren bereits durch die Allgemeinen Bedingungen festgelegt worden. Sowohl das Eisenbahngesetz als auch das Aktiengesetz von 1843 knüpften an diese Vorschriften an. 3. Die Verfassung der Gesellschaften Bei den untersuchten Gesellschaften fand sich einheitlich eine dreigliedrige Organisation. Die Aktionäre traten in der Generalversammlung zusammen. Als Leitungsorgan der Gesellschaft fungierte die Direktion. Daneben wurde aus der Gesamtheit der Aktionäre ein Verwaltungsrat gebildet, der auch die Bezeichnung Ausschuß, Repräsentanten oder Administrationsrat156 trug. Diese dreigliedrige Organisation war gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Eisenbahngesetz erwähnte nur den Vorstand157• Die Notwendigkeit einer Generalversammlung ergab sich mittelbar aus dem Gesetz, da nach § 1 Eisenbahngesetz das Statut von den Aktienzeichnern vereinb~ werden mußte, was eine entsprechende Versammlung voraussetzte. Die Rechte und Pflichten beider Gesellschaftsorgane wurden nicht beschrieben. Das Aktiengesetz enthielt Vorschriften über die Generalversammlung. § 2 AktG bestimmte unter anderem: "Derselbe (gemeint ist der Gesellschaftsvertrag) muß insbesondere bestimmen: 6) 7)

die Form, in welcher die Zusammenberufung der Mitglieder erfolgt; die Art und Weise, wie das Stimmrecht von den Mitgliedern ausgeübt wird;"

Im übrigen fanden sich in §§ 19 ff. AktG Bestimmungen über die Rechte und Pflichten des Vorstands. § 19lautete: "Die Geschäfte der Gesellschaft werden durch einen nach Vorschrift des Statuts bestellten Vorstand verwaltet,... " 156 Aus Vereinfachungsgründen wird in der Folge einheitlich von Verwaltungsrat gesprochen. 157

§ 2 Nr. 4 Eisenbahngesetz.

1. Teil: Privatbahnen

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Die Stellung und die Aufgaben des Verwaltungsrats regelten weder das Eisenbahngesetz noch das Aktiengesetz von 1843. Ein Aufsichtsrat wurde erstmals in Art. 225 ADHGB erwähnt: "Ist ein Aufsichtsrath bestellt, so überwacht derselbe die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Verwaltung;... "

Der Verwaltungsrat wurde lediglich in Art. 231 ADHGB erwähnt, ohne seine Aufgaben näher festzulegen. Nach dem ADHGB war die Bestellung eines Aufsichtsrats bei einer Aktiengesellschaft damit fakultativ. Eine dreigliedrige Organisation wurde keineswegs von allen Aktiengesellschaften gewählt. Außerhalb des Bereichs der Eisenbahnen gab es vereinzelt zweigliedrige Organisationsformen, bei denen neben der Generalversammlung nur der Vorstand existierte158• Daneben bestanden eine viergliedrige Gesellschaftsverfassung, bei der Rechnungs- und Bilanzprüfer, sogenannte Revisoren, als selbständige Gesellschaftsorgane auftraten und verschiedene Zwischenformen, die für Eisenbahngesellschaften in der Anfangszeit jedoch nicht relevant waren 159• a) Die Generalversammlung Die Generalversammlung mußte nach allen Statuten einmal jährlich einberufen werden. Der vorgeschriebene Termin lagjeweils in der ersten Jahreshälfte. Daneben bestand die Möglichkeit, außerordentliche Generalversammlungen einzuberufen. Die Einberufung erfolgte entweder durch die Direktion 160 oder durch den Verwaltungsrat161 • Sahen die Statuten bierfür die Direktion vor, hatte der Verwaltungsrat zumindest das Recht, außerordentliche Generalversamm-

158 Beispiele bei Landwehr ZRG GA 99 (1982), S. 27 Fn.110. Insgesamt zählt Landwehr lediglich 10 Unternehmen vor allem Bau- und Bergbaugesellschaften. In die Untersuchung einbezogen wurden 124 Aktiengesellschaften. 159 Landwehr ZRG GA 99 (1982), S. 62: Diese Organisationsform zählte Landwehr bei 16 Unternehmen. Dabei handelt es sich vor allem um Banken, Textilfabriken und zwei Eisenbahngesellschaften aus den späten 1860er Jahren. 160 Rheinische Bahn § 33. 161 Berlin-Potsdam § 23; Magdeburg-Leipzig § 25; Berlin-Sächsisch § 24; BerlinFrankfurt § 24; Berlin-Hamburg § 31.

58

Erster Abschnitt: Die Gründung

Iungen einzuberufen162. Den Vorsitz in der Generalversammlung führte zumeist der Vorsitzende des Verwaltungsrats 163. Die meisten Statuten enthielten eine Auflistung der Entscheidungen, die dem Beschluß der Generalversammlung vorbehalten waren. Dazu gehörten Änderungen des Statuts, die Auflösung der Gesellschaft, Kapitalerhöhungen und die Entscheidung über den Bau von Zweigbahnen164. Jedes Statut enthielt zudem Bestimmungen über das Stimmrecht der Aktionäre. Nicht jede Aktie gewährte eine Stimme in der Generalversammlung. Es wurde festgelegt, wieviel Aktien man besitzen mußte, um eine Stimme zu haben. In der Regel waren dies drei bis fünf Aktien pro Stimme165. Bei der BerlinSächsischen, der Berlin-Frankfurter und der Berlin-Hamburger Bahn waren es 10 Aktien166. Die Höhe des Stimmrechts unterlag ebenfalls Beschränkungen. Es wurde bei nahezu allen untersuchten Eisenbahngesellschaften ein Höchststimmrecht festgelegt167. Die Obergrenze lag im allgemeinen bei 5-10 Stimmen168 , im Falle der Rheinischen Bahn bei 55 Stimmen, die bei einem Besitz von 400 Aktien erreicht wurden 169. Vielfach bestand -abhängig von der Anzahl der Aktien- eine genaue Abstufung des Stimmrechts. Durch den Erwerb von zusätzlichen Aktien konnte damit der Einfluß in der Generalversammlung nicht unbegrenzt gesteigert werden. Entscheidungen der Generalversammlung mußten mit absoluter Mehrheit erfolgen170• Änderungen des Statuts bedurften bei den meisten Gesellschaften

Rheinische Bahn§ 55; Düsseldorf-Elberfeld § 27; Berlin-Stettin §52. Rheinische Bahn§ 38; Magdeburg-Leipzig § 27; Berlin-Sächsische Bahn § 30; Berlin-Stettin § 55; Berlin-Frankfurt § 30; bei der Berlin-Hamburger Bahn konnte es auch ein anderes Mitglied des Verwaltungsrats sein§ 34. 162 163

164 Düsseldorf-Elberfeld § 32; Magdeburg-Leipzig § 28; Berlin-Sächsisch § 26. 165 5 Aktien: Berlin-Potsdam §24; Magdeburg-Leipzig § 24; Berlin-Stettin § 26; 4

Aktien: Rheinische Bahn § 36; 3 Aktien: Düsseldorf-Elberfeld § 10. 166 Berlin-Sächsische Bahn§ 27; Berlin-Frankfurt § 27; Berlin-Hamburg §33. 167 Keine Obergrenze gab es bei der Düsseldorf-Elberfelder, der Berlin-Sächsischen Bahn und der Berlin-Hamburger Bahn.

168 Magdeburg-Leipzig: 5 Stimmen,§ 24; Berlin-Potsdam: 10 Stimmen,§ 24; Berlin-Stettin: 10 Stimmen, § 27. 169 Rheinische Bahn § 36.

170 Berlin-Potsdam § 29, Rheinische Bahn § 40; Berlin-Sächsisch § 33; BerlinFrankfurt § 34.

l. Teil: Privatbahnen

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einer 2/3 Mehrheit111 , während die Auflösung der Gesellschaft nur mit einer 3/4 Mehrheit beschlossen werden konnte172• Bei der Berlin-Stettiner, der BerlinSächsischen und der Berlin-Frankfurter Bahn war in beiden Fällen eine 2/3 Mehrheit erforderlich, wobei bei der Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft mindestens 3/4 des stimmberechtigten Kapitals vertreten sein mußte173• Bei der Düsseldorf-Elberfelder Bahn besaß für diese Abstimmung jede Aktie eine Stimm.e174• Die Aktionäre mußten eine gewisse Zeit vor dem Termin der Generalversammlung, im allgemeinen zwei Wochen vorher, der Gesellschaft anzeigen, daß sie noch Eigentümer der Aktien waren. Dies geschah, solange die Aktien noch nicht ausgegeben waren, durch eine Einschreibung bei der Gesellschaft unter Vorlage der Aktien bzw. der Quittungsbögen 175• Ein bis zwei Tage vorher mußten sie sich erneut als Aktionäre legitimieren176• Die Aktionäre der Berlin-Frankfurter Bahn hatten die Aktien acht Tage vor Beginn der Generalversammlung bei der Gesellschaft zu hinterlegen177•

b) Die Direktion Der Direktion oblag die Leitung der Geschäfte. Sie vertrat die Gesellschaft bei allen Geschäften nach außen. Sie hatte den Etat und nach Schluß des Jahres eine Bilanz zu erstellen178• Für eine Anzahl von Geschäften bedurfte die Direktion im Innenverhältnis der Zustimmung des Verwaltungsrats. Welche Geschäfte davon betroffen waren, wurde in den Statuten jeweils aufgeführt. Die Beschränkungen waren nicht bei allen Gesellschaften gleich. Bei der Berlin-Potsdamer Bahn durfte die Direktion zwar Immobiliengeschäfte tätigen, nicht jedoch Grundstücke veräußern oder erwerben. Für Ge-

171

Ausnahme: 3/4 Mehrheit§ 28 des Statuts der Rheinischen Bahn.

Berlin-Potsdam § 67, wobei zusätzlich die Zustimmung des Staats erforderlich war; Berlin-Hamburg § 61. 172

173

Berlin-Sächsisch § 33; Herlin-Stettin §59; Berlin-Frankfurt § 69.

174

Düsseldorf-Elberfeld § 34.

175

Berlin-Potsdam § 26, Rheinische Bahn§ 30.

Rheinische Bahn§ 31; Düsseldorf-Elberfeld § 12; Berlin-Sächsische Bahn§ 28, wobei bei den beiden letztgenannten Bahnen keine vorherige Legitimation vorgesehen war. 177 Berlin-Frankfurt § 28. 176

178

Herlin-Stettin § 46.

60

Erster Abschnitt: Die Gründung

schäfte, bei denen es um höhere Summen ging, wie die Einstellung der leitenden Beamten mit einem Jahresgehalt über 400 Talern oder die Ausführung von Bauten mit Kosten von mehr als 1.000 Talern, bedurfte sie ebenfalls einer Genehmigung179. Ähnliche Bestimmungen fanden sich bei der Rheinischen Bahn, wo unter anderem die Einstellung der höheren Beamten, der An- und Verkauf von Maschinen mit einem Wert von mehr als 20.000 Talern, sowie die Errichtung von Anlagen mit Kosten von über 10.000 Talern zustimmungsbedürftig waren1so. Bei der Düsseldorf-Elberfelder und der Berlin-Stettiner Bahn lag die Gehaltsobergrenze für die Einstellung von Beamten bei 500 Talern 181 . Bei der Magdeburg-Leipziger182 und der Berlin-Sächsischen Bahn183 war die Einstellung leitender Beamter in jedem Fall genehmigungsbedürftig. Die Anzahl der Direktoren variierte von Gesellschaft zu Gesellschaft. Bei der Rhein-Weser Bahn waren es drei Direktoren, während es im übrigen fünf oder sechs waren. Eine Besonderheit bestand bei der Berlin-Hamburger Gesellschaft. Sie hatte sieben Direktoren184, von denen je einer von der Stadt Harnburg und der Großherzoglich Mecklenburgischen Regierung bestimmt wurden. Beide hatten sich am Kapital der Gesellschaft beteiligt, da die Bahnlinie dur~h ihr Gebiet führte. Die Direktoren - es ist auch teilweise von einem Direktor, dem mehrere Direktorialräte zur Seite stehen, die Rede185- hatten aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden zu wählen. Bei der Magdeburg-Leipziger und der Berlin-Sächsischen Bahn wurde der Vorsitzende durch den Verwaltungsrat bestimmt186. Der Vorsitzende berief bei allen Gesellschaften die Sitzungen der Direktion ein. Bei einigen Gesellschaften hatte er weitergehende Befugnisse. So konnte er in wichtigen Fällen Beschlüsse der Direktion suspendieren, mußte die Sache dann aber dem Verwaltungsrat zur Entscheidung vorlegen 187• Bei einigen Ge-

179 § 42 des Statuts; gleiche Obergrenze für die Einstellung der Beamten fmdet sich bei der Berlin-Frankfurter Bahngesellschaft in§ 39.

180 Vergleichbare Bestimmungen auch bei der Berlin-Hamburger Bahn§ 51. 181

Düsseldorf-Elberfeld § 21; Berlin-Stettin § 45.

182 § 39 Nr. 3 des Statuts. 183

§ 38 des Statuts.

184 § 50 des Statuts. 18 ~

Düsseldorf-Elberfeld § 15, Rhein-Weser Bahn§ 30.

187

Düsseldorf-Elberfeld § 24; Magdeburg-Leipzig § 63.

186 Magdeburg-Leipzig § 56; Berlin Sächsische Bahn § 48.

1. Teil: Privatbahnen

61

sensehaften hatte der Vorsitzende das Recht, einfache Geschäfte ohne vorherige Abstimmung innerhalb der Direktion zu entscheiden188• Gewählt wurden die Direktoren entweder von der Generalversammlung 189 oder vom Verwaltungsrat190• Bei der Berlin-Stettiner Bahngesellschaft bestand die Besonderheit, daß der Verwaltungsrat ein Vorschlagsrecht hatte, während dieWahldurch die Generalversammlung erfolgte191 • Die Wahlperiode war ebenfalls nicht einheitlich. Bei einigen Gesellschaften dauerte die Amtszeit 3 Jahre192, bei der Berlin-Sächsischen und der BerlinPotsdamer Bahngesellschaft 5 Jahre193 und bei der Rheinischen Bahn sogar 6 Jahre194• Eine Wiederwahl war möglich. Damit nach Ende der ersten Wahlperiode nicht alle Direktoren gleichzeitig ausschieden, fand sich in den Statuten folgende Bestimmung: Bereits nach einem Jahr schieden ein oder zwei Direktoren aus, im zweiten Jahr zwei weitere usw. 195 • Bei der Berlin-Sächsischen und der Berlin-Potsdamer Bahn verteilte sich das Ausscheiden der Direktoren über einen Zeitraum von fünf Jahren. Bei dieser Bahn, der Berlin-Potsdamer und der Berlin-Frankfurter Bahn fand sich zudem die Bestimmung, daß die Direktoren bis zum Ende der Bauzeit im Amt blieben196• Bei der Berlin-Hamburger Bahn wurde die Amtsdauer der fünf vom Ausschuß zu wählenden Direktoren im Anstellungsvertrag festgelegt. Die Amtsdauer der beiden übrigen Direktoren bestimmten die Regierungen in Harnburg und Mecklenburg197• Bei der Düsseldorf-Elberfelder Bahngesellschaft schieden alle zwei Jahre zwei der insgesamt vier Direktorialräte aus, die Amtsdauer des Direktors war nicht festgelegt 198•

188 189

Magdeburg-Leipzig § 65; Berlin-Sächsische Bahn§ 58; Berlin-Frankfurt §58. Rheinische Eisenbahn§ 59; Berlin-Potsdam § 32; Berlin-Frankfurt § 26.

190 Berlin-Hamburg §50; Düsseldorf-Elberfeld § 17; Magdeburg-Leipzig §50, Berlin-Sächsisch §§ 38,48; Rhein-Weser Bahn§ 27. 192

§ 32 des Statuts. Berlin-Stettin § 33; Magdeburg-Leipzig §50.

193

Berlin-Sächsisch § 52, Berlin-Potsdam § 38 .

191

194

§ 61 des Statuts.

195 196

Magdeburg-Leipzig § 50; Berlin-Stettin § 33. Berlin-Sächsisch § 52, Berlin-Potsdam § 34;Berlin-Frankfurt § 52.

197

§50 des Statuts.

198

§ 18 des Statuts.

62

Erster Abschnitt: Die Gründung

Die Direktoren erhielten im allgemeinen kein Gehalt. sondern nur eine Aufwandsentschädigung199. Bei einigen Gesellschaften hatten sie jedoch einen Tantiemeanspruch200• Festgesetzt wurde die Tantieme auf Antrag des Verwaltungsrats von der Generalversammlung201 • Die Direktoren mußten wenigstens eine Aktie besitzen und diese für die Dauer ihrer Amtszeit bei der Gesellschaft hinterlegen. Zumeist war die Anzahl der zu hinterlegenden Aktien jedoch höher. Bei mehreren Bahnen mußten die Direktoren mindestens 10 Aktien besitzen202• Bei anderen nur fünf03• Am höchsten war die Zahl bei der Berlin-Frankfurter Bahn mit 50 Stück204 • Nur bei der Rhein-Weser Bahn findet sich die Bestimmung, daß der Direktor nicht zugleich Aktionär sein mußte. Dafür hatte er jedoch für die Dauer seiner Amtszeit bei der Gesellschaft eine Kaution zu hinterlegen205. Anforderungen an die Qualifikation der Direktoren finden sich im Statut der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft. Nach § 49 mußten sich unter den sechs Direktoren ein Jurist und ein "Bauverständiger" befinden. Bei der BerlinFrankfurter Bahn hatten Direktion und Verwaltungsrat gemeinsam einen Rechtskonsulenten zu wählen, der jedoch nicht die Stellung eines Direktors erlangte, sondern zu den bezahlten Beamten der Gesellschaft gehörte206 • Eine vergleichbare Bestimmung findet sich bei der Berlin-Hamburger Bahn, deren Ausschuß einen Rechtskonsulenten und einen Syndikus bestellte207• Der Direktion oblag zwar generell die Leitung der Geschäfte, die Direktoren führten aber ihre Beschlüsse nicht selbst aus. Dies übernahm vielmehr der oberste Beamte der Gesellschaft, der die Bezeichnung eines "Spezialdirektors" trug. Er war der für den Betrieb allgemein verantwortliche Oberbeamte der Gesellschaft208.

199 Eine Vergütung gab es bei der Magdeburg-Leipziger Gesellschaft§ 69 und der Berlin-Sächsischen Bahn § 60. 200

rialräte.

Rheinische Bahn § 15; Düsseldorf-Elberfeld § 18, galt aber nur für die Direkto-

Rheinische Bahn§ 75. Berlin-Potsdam § 10; Rheinische Bahn § 59; Magdeburg-Leipzig § 54; Berlin Sächsische Bahn §50. 201

202

203

Herlin-Stettin § 29.

204

Berlin-Frankfurt §51.

205

§ 30 des Statuts.

206

Berlin-Frankfurt § 65.

207

Berlin-Hamburg §57.

208

Berlin-Potsdam § 56; Rheinische Bahn § 76.

1. Teil: Privatbahnen

63

c) Der Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat wurde als "Vertreter der inneren Rechte der Gesellschaft'' bezeichnefOO. Seine Mitglieder wurden von der Generalversammlung gewählt. Ähnlich wie die Direktoren mußten die Mitglieder des Verwaltungsrats Aktien in unterschiedlicher Menge besitzen und diese für die Dauer ihrer Amtszeit bei der Gesellschaft hinterlegen210• Die Spannbreite reichte von einer Aktie bei der Magdeburg-Leipziger Bahn bis zu 25 Aktien bei der Berlin-Sächsischen Bahngesellschaft211 • Ebenso wie die Direktoren schieden sie zeitlich gestaffelt aus dem Amt212• Die Anzahl der Mitglieder und ihrer Stellvertreter wurde durch die Statuten in unterschiedlicher Höhe festgelegt. Sie schwankte zwischen 6 bei der Berlin-Sächsischen Bahngesellschaft und 24 Mitgliedern bei der Rheinischen213 sowie der Magdeburg-Leipziger Bahn214• Die Mitglieder hatten aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden zu wählen, der die Aufgabe hatte, die Sitzungen des Verwaltungsrats einzuberufen und der Generalversammlung vorzusitzenm. Bei der Rheinischen Bahn wurde der Vorsitzende nicht von den Mitgliedern des Verwaltungsrats, sondern von der Generalversammlung gewählt216• Bei der Berlin-Sächsischen Gesellschaft bestand die Besonderheit, daß die Königliche Seehandlung, solange sie wenigstens 1.000 Aktien besaß, den Vorsitzenden zu bestimmen hatte217 • Diese Bestimmung erklärte sich aus der erwähnten Beteiligung der Seehandlung am Kapital der Gesellschaft218• Die Stellung des Verwaltungsrats bei den einzelnen Gesellschaften unterschied sich. Zu seinen Aufgaben gehörte in erster Linie die Kontrolle der Verwaltung219. Übereinstimmend waren dem Verwaltungsrat der Jahresetat und die 209 210 211

Berlin-Potsdam § 45; Berlin-Sächsische Bahn § 38; Berlin-Stettin § 52. Rheinische Bahn § 46. Magdeburg-Leipzig § 36; Berlin-Sächsische Bahn § 34.

Berlin-Potsdam § 48, Rheinische Bahn§ 45; Düsseldorf-Elberfeld § 16; Magdeburg-Leipzig § 32; Berlin-Sächsische Bahn § 35; Berlin-Stettin § 48; Berlin-Hamburg § 42. 213 Rheinische Bahn § 43. 214 Magdeburg-Leipzig § 32. 212

215 Rheinische Bahn§ 38; Berlin-Potsdam § 28; Düsseldorf-Elberfeld § 15; Magdeburg-Leipzig § 27.

216 218

Rheinische Bahn § 48. Berlin Sächsische Bahn § 42. Unter II., 4.

219

Magdeburg-Leipzig § 40.

217

64

Erster Abschnitt: Die Gründung

Geschäftsberichte von der Direktion zu Prüfung und Feststellung vorzulegen220• Zudem stand ihm gegenüber der Direktion ein allgemeines Auskunftsrecht zu221 • Es gehörte zu den Aufgaben des Verwaltungsrats, die Rechnungsführung und die Etats der Direktion zu prüfen und ihr für ihre Rechnungsführung Entlastung zu erteilen222• Nach dem Statut der Berlin-Potsdamer Bahn war die Abrechnung zuvor den Aktionären zur Einsicht vorzulegen223 • Bei der BerlinFrankfurter Bahn galt dies für Bau- und Betriebsrechnungen224 Wie vorstehend bereits erwähnr25, bedurften bestimmte Geschäfte der Zustimmung des Verwaltungsrats. Dabei handelte es sich um Geschäfte von größerer Bedeutung für die Gesellschaft. Besonders herausgehoben wurde die Stellung des Verwaltungsrats bei der Magdeburg-Leipziger Bahn. Nach § 38 des Statuts hatte der "Ausschuß" die Vollmacht, "die Gesellschaft nach Maßgabe ihres Statuts vollständig zu vertreten". Ausführende Behörde der Gesellschaft und Vertreterio nach außen war jedoch wie bei allen anderen Bahnen die Direktion226• Die Einberufung der Generalversammlung oblag dem Verwaltungsrat, wie bereits erwähnt227, nur nach einigen Statuten. Die Generalversammlung leitete der Vorsitzende des Verwaltungsrats. d) Allgemeine Bestimmungen Beinahe alle Statuten enthielten die Bestimmung, daß Streitigkeiten unter den Aktionären und zwischen den Gesellschaftsorganen durch ein Schiedsgericht zu entscheiden seien228 • 220 Berlin-Potsdam §52 Nr. 2,3; Magdeburg-Leipzig § 42; Berlin Sächsische Bahn § 38; Berlin-Stettin §52; Berlin-Frankfurt § 39; Berlin-Hamburg § 47. 221 Berlin-Potsdam §52; Rheinische Bahn §55 Nr. 2; Düsseldorf-Elberfeld § 29; Berlin Sächsische Bahn § 39; Berlin-Frankfurt § 40. 222 Berlin-Potsdam §§ 62; Rheinische Bahn § 54; Düsseldorf-Elberfeld § 28, die Entlastung der Direktion erfolgte hier jedoch durch die Generalversammlung; Magdeburg-Leipzig § 42; Berlin Sächsische Bahn § 38; Berlin-Stettin §52; Berlin-Frankfurt § 39; Berlin-Hamburg § 47. 223 Berlin-Potsdam §§ 62, 63. 224 Berlin-Frankfurt § 41.

Unterm., 3., b). §§ 56, 57 des Statuts. 227 Unterm., 3., a). 228 Eine Ausnahme bildeten die Rheinische Bahn die Berlin-Stetti.ner und die Berlin-Hamburger Bahn. 225

226

1. Teil: Privatbahnen

65

Bei der Berlin-Potsdamer Bahn wurde die Kompetenz des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten über das Stimmrecht bescbränkr29• Zusammengesetzt wurde das Schiedsgericht bei dieser Bahn aus dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats, dem zwei Stimmen zustanden, einem Mitglied der Direktion und zwei von den Aktionären zu bestimmenden Mitgliedern230. Gegen die Entscheidung des Schiedsgerichts gab es keinerlei Rechtsmittet231 • Abweichend war die Regelung in § 72 des Statuts der Magdeburg-Leipziger Bahngesellschaft: Hier konnten sich die Aktionäre auch bei Streitigkeiten zwischen Aktionären und Nichtaktionären im Falle eines entsprechenden Antrags nicht dem schiedsrichterlichen Verfahren entziehen. Die Schiedsrichter hatten die Parteien zu benennen Ge einen). Die Gewählten mußten dann einen Vorsitzenden benennen. Rechtsmittel waren gleichfalls nicht zugelassen. Die Vollstreckung der Entscheidung übernahm der ordentliche Richter. Für den Fall, daß ein Aktionär die Mitwirkung verweigerte, wurden die Behauptungen der Gegenpartei als wahr unterstellt und auf dieser Basis die Entscheidung gefällt. Ähnlich war die Regelung bei der Berlin-Sächsischen und der BerlinFrankfurter Bahn. Je ein Schiedsrichter wurde von beiden Parteien ernannt. Verzögerte eine Partei das Verfahren um mehr als 4 Wochen, so konnte die Gegenpartei beide Schiedsrichter bestimmen. Ein Obmann wurde nur bestellt, wenn sieb die beiden Schiedsrichter nicht einigen konnten. Rechtsmittel gab es nicht. Hinsichtlich des Verfahrens wurde auf die Preußische Allgemeine Gerichtsordnung Teilt Titel2 §§ 164 ff. verwiesen. Bei der Düsseldorf-Elberfelder Bahn waren alle Streitigkeiten der Aktionäre in "Sachen der Gesellschaft" auf schiedsrichterlichem Wege nach Art 51 des Rheinischen Handelsgesetzbuchs und Art. 1003 ff. der Civilprozeßordnung zu schlichten. Berufungen waren bei diesem Verfahren ausdrücklich zugelassen232• Eine Ausnahmestellung nimmt die Berlin-Hamburger Bahngesellschaft ein, bei der eine schiedsrichterliche Entscheidung grundsätzlich ausgeschlossen wurde233• Streitfragen waren entweder vom Ausschuß oder von der Generalversammlung zu entscheiden. Der ordentliche Rechtsweg konnte nur in drei Fällen beschritten werden: 1. bei der Verweigerung der Dividendenzahlung an einen Aktionär,

229

Berlin-Potsdam § 65.

230

232

Berlin-Potsdam § 65. Berlin-Potsdam § 65; Magdeburg-Leipzig § 72. Düsseldorf-Elberfeld § 33.

233

Berlin-Hamburg §59.

231

S Bracht

66

Erster Abschnitt: Die Gründung

2. wenn ein Aktionär wegen rückständiger Einschüsse in Anspruch genommen werden sollte und 3. wenn der Generalversammlung die Jahresrechnung der Direktion nicht befriedigend erschien. Im letzteren Fall konnte mit Zustimmung des Ausschusses auch ein schiedsrichterliches Verfahren eingeleitet werden234 •

e) Zusammenfassung Die Verfassung der untersuchten Eisenbahngesellschaften bot mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben eine Vielzahl von Varianten. Ein oder mehrere "Musterstatuten", an denen sich spätere Gesellschaften orientierten, hat es nicht gegeben. Es kann nicht festgestellt werden, daß es nach der Bestätigung der ersten Statuten im Jahre 1837 zu einer Weiterentwicklung der Gesellschaftsverfassungen in eine oder mehrere Richtungen gekommen ist. Die Statuten lassen sich auch nicht nach ihrer Entstehungszeit und den jeweils zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen einteilen. Jede Bahngesellschaft gab sich das Statut, das ihren besonderen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprach. Die fehlenden gesetzlichen Vorgaben eröffneten den Gesellschaften einen breiten Raum, ihre Verfassungen zu gestalten. Dies läßt sich vor allem an der Zusammensetzung und der Anzahl der Mitglieder von Verwaltungsrat und Direktion erkennen. Besonders deutlich wird dies bei den Organen der Rheinischen Bahn. Hier wurde genau festgelegt wieviel Mitglieder beider Organe aus Köln, Aachen und anderen Gegenden stammen durften. Erklärbar werden diese Bestimmungen, die sich in ähnlicher Form nur bei wenigen anderen Gesellschaften fanden235, aus der Entstehungsgeschichte dieser Bahn. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft war durch einen Zusammenschluß zweier Gesellschaften, der in Aachen gegründeten Preußisch Rheinischen Bahn und der Rheinischen Bahn in Köln entstanden. Zur Vereinigung kam es erst nach Überwindung erheblicher Widerstände, die aus der Rivalität der beiden Städte resultierten. Beide Städte waren daher um ihren Einfluß in der Gesellschaft besorgt und vereinbarten aus diesem Grunde eine paritätische Besetzung236•

234 235 236

Berlin-Hamburg §59. Düsseldorf-Elberfeld § 15: 10 Mitglieder aus Düsseldorf, 5 aus Elberfeld.

Im einzelnen: Kumpmann, S. 109 ff.

1. Teil: Privatbahnen

67

Bei der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft waren die Beteiligung der Stadt Harnburg und des Großherzogtums Mecklenburg Ursache für Besonderheiten des Statuts, die sich bei den übrigen Gesellschaften nicht finden. Das gleiche gilt für die Berlin-Sächsische Eisenbahn, bei der die Beteiligung der Seehandlung eine Rolle spielte. Diese Beispiele lassen erkennen, daß es bei jeder Gesellschaft spezielle Umstände gab, die die Ausformung der Statuten bestimmten. Versucht man trotz aller Unterschiede die Statuten in Gruppen einzuteilen, so läßt sich dies an der Kompetenzabgrenzung zwischen den Organen der Gesellschaft vornehmen. Vor allem gilt dies für die Stellung von Direktion und Verwaltungsrat zueinander. Äußeres Zeichen war bereits die Gliederung der Statuten. Einheitlich wurden zunächst die Aufgaben und Kompetenzen der Generalversammlung dargestellt237. Die weitere Reihenfolge war dagegen uneinheitlich. Entweder folgten zunächst die Bestimmungen über den Verwaltungsrat und dann diejenigen über die Direktion238 oder umgekehrt239• Wurde der Verwaltungsrat zuerst genannt, so war dies ein erstes aber keineswegs zwingendes Indiz für seine herausgehobene Stellung. Als Beispiele für Gesellschaften mit einer besonders starken Stellung des Verwaltungsrats gegenüber der Direktion lassen sich die Statuten der Magdeburg-Leipziger und der Berlin Sächsischen Bahngesellschaften anführen. Bei beiden Gesellschaften wurden die Mitglieder der Direktion von dem als Ausschuß bezeichneten Verwaltungsrat gewählf40. AufVerlangen des Ausschusses waren die Direktoren verpflichtet, jederzeit ihr Amt niederzulegen241 • Der Vorsitzende des Direktoriums und sein Stellvertreter wurden beide vom Ausschuß bestimmt242• Die Generalversammlungen wurden vom Ausschuß einberufen und geleite~3 • Die Direktion erscheint bei beiden Gesellschaften der Form nach dem Verwaltungsrat untergeordnet.

237 Ausnahme Berlin-Stettin, wo die Generalversammlung erst am Ende erwähnt wird, ein Teil ihrer Kompetenzen jedoch schon in einem allgemeinen Teil zu Beginn erscheint. 238 Rheinische Bahn; Düsseldorf-Elberfeld. 239

Berlin-Potsdam.

240

Magdeburg-Leipzig § 50; Berlin-Sächsische Bahn § 48.

241 242

Magdeburg-Leipzig § 53. Magdeburg-Leipzig § 56; Berlin-Sächsische Bahn § 48.

243

Magdeburg-Leipzig §§ 23, 27; Berlin-Sächsische Bahn§ 24.

68

Erster Abschnitt: Die Gründung

Als Gegenbeispiel läßt sich das Statut der Rheinischen Bahn anführen. Die Generalversammlung wird hier von der Direktion einberufen244• Die Direktoren werden nicht vom Verwaltungsrat, sondern von der Generalversammlung gewählt245 und sie bestimmen ihren Vorsitzenden selbsf46. Es handelt sich jedoch nur um formale Unterschiede in der Stellung von Direktion und Verwaltungsrat Auswirkungen auf die Vertretungsbefugnisse der Direktion hatten diese Bestimmungen nicht. Sowohl bei der Rheinischen Bahn als auch bei der Magdeburg-Leipziger Bahn war die Direktion bei gewissen Geschäften an die Zustimmung des Verwaltungsrats gebunden. Dabei ist nicht zu erkennen, daß die Kompetenzen der Direktion bei der Rheinischen Bahn umfangreicher waren als bei den anderen Gesellschaften. Als Ergebnis ist daher festzustellen, daß die einzelnen Statuten inhaltlich von einander abwichen. Da jedoch alle untersuchten Gesellschaften eine dreigliedrige Struktur hatten, waren die rechtlichen Unterschiede nur gering.

4. Rechtsprobleme, die sich aus der Fassung der Gesellschaftsstatuten ergaben Die Unterschiede in den Statuten und der fehlende gesetzliche Rahmen in Form eines umfassenden Aktiengesetzes führte bei der Gründung der ersten Eisenbahngesellschaften zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Gesellschaften und ihren Aktionären. Deutlich wurde dies bei der Rhein-Weser Eisenbahngesellschaft. Unmittelbarer Anlaß waren die Schwierigkeiten dieser Gesellschaft, von den Aktionären die geschuldeten Einzahlungen auf die gezeichneten Aktien zu erhalten. Die Aktionäre der Eisenbahngesellschaften waren verpflichtet, die Einzahlungen auf ihre Aktien zu leisten. Die Beträge wurden stufenweise von der Gesellschaft eingefordert. Als die ersten Eisenbahnaktiengesellschaften in den 1830er Jahren zur Zeichnung ihrer Aktien aufforderten, setzte eine Spekulationswelle mit Eisenbahnaktien ein. Das neue Verkehrsmittel versprach hohe Gewinne. Bereits gegen Ende des Jahrzehnts erlitt diese Spekulation jedoch einen empfindlichen Rückschlag. Es hatte sich herausgestellt, daß die Kostenvoranschläge für den Bau der Bahnen in der Regel nur ungenau berechnet und viel zu niedrig ange-

244 245

246

Rheinische Bahn§ 33. Rheinische Bahn§ 59. Rheinische Bahn § 63.

1. Teil: Privatbahnen

69

setzt waren247 . Zudem waren die Gewinnerwartungen der Eisenbahngesellschaften überschätzt worden. Die Folge dieser Entwicklung war ein erheblicher Kurssturz der Eisenbahnaktien in ganz Preußen in der zweiten Hälfte des Jahres 1837. Viele Aktienzeichner hatten in Erwartung von schnellen Gewinnen mehr Aktien gezeichnet als sie fmanzieren konnten. Sobald Einzahlungen auf die Aktien verlangt wurden, waren diese Aktionäre gezwungen, ihre Papiere sofort zu veräußern. Dies führte, in Verbindung mit der allgemeinen Ernüchterung hinsichtlich der Ertragsaussichten von Eisenbahngesellschaften, zu einem Verlust des Vertrauens in Eisenbahnaktien und beschleunigte den Kursverfall248. Die zweite Möglichkeit für diese Aktionäre bestand darin, die Einzahlung auf ihre Aktien zu verweigern und ihre Verpflichtung zu bestreiten. Die Gesellschaft, die von dieser Entwicklung besonders hart getroffen wurde und am fehlenden Kapital letztlich scheiterte, war die Rhein-Weser Eisenbahngesellschaft. Bereits im Jahre 1832 hatte sich in Minden ein Komitee für den Bau einer Eisenbahn von der Weser bis zum Rhein bei Düsseldorf oder Köln gebildet249. Konzessioniert wurde die Bahn am 19. Juni 1836. Das auf 3,8 Millionen Taler festgesetzte Kapital wurde innerhalb kurzer Frist gezeichner50• Am 31. August 1837 wurde das Statut genehmigr51 • Im Oktober 1837, und damit in der Phase des allgemeinen Kursverfalls von Eisenbahnaktien, wurden die ersten 5 % des Aktienkapitals eingefordert. Während diese Rate von den meisten Aktionären eingezahlt wurde, geriet die Einzahlung der zweite Rate von 10 % ins Stocken252• Eine Vielzahl von Aktionären verweigerte die Zahlung. Als Vorwand für die Zahlungsverweigerung wurde von den Aktionären vorgebracht, die Bahn sei nicht rentabel, das Kapital werde nicht ausreichen, und eine große Zahl von Aktionären sei nicht zahlungsfähig253. Hinzukamen noch die als nachteilig empfundenen Bestimmungen des

247 248

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 771. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 771; Fleck, AfE 1897, S. 25.

249 v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 768; Steitz, S. 131, der die Entstehung und das Scheitern der Rhein-Weser Eisenbahngesellschaft detailliert beschreibt.

250

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 769.

Bestätigt durch Kabinettsorder vorn 21.8.1837, Amtsblatt der Regierung zu Minden vorn 15.9.1837. 251

252 253

Geschäftsbericht der Direktion vorn 10.12.1838, abgedruckt bei Steitz, S. 321. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 772; Fleck, AfE 1897, S. 26.

70

Erster Abschnitt: Die Gründung

Eisenbahngesetzes, das aufgrund des § 48 auf bereits bestehende Gesellschaften Anwendung fand2S4. Diese Vorwände waren nicht aus der Luft gegriffen. Die erste im Oktober 1837 vom Verwaltungsrat der Gesellschaft bestellte Direktion unterließ es, die Solidität der Aktienzeichnungen zu überprüfen und Zahlungseinreden durch vertragliche Vereinbarungen mit den Zeichnern von Anfang an auszuschließen255. So kam es, daß eine Vielzahl der Zeichner tatsächlich nicht zahlungsfahig war. Die Direktion wurde zwar Anfang 1838 abgelöst, der Schaden war jedoch bereits eingetreten. Die Gesellschaft sah sich gezwungen, gegen die säumigen Aktionäre zu klagen. Der Zahlungsanspruch der Gesellschaft ergab sich aus der mit der Zeichnung übernommenen Verpflichtung der Aktionäre, den Nennbetrag ihrer Aktien einzuzahlen. Die Gesellschaft verlor in erster Instanz den größten Teil der Prozesse256• Problematisch war dabei nicht die Frage, ob die Aktionäre zu den Einzahlungen verpflichtet waren. Die beklagten Aktionäre bestritten bereits die Legitimation der Direktion, von ihnen die Einzahlungen verlangen zu können257• Anlaß hierfür war die Entlassung der ursprünglich gewählten Direktoren nach der Aufdeckung der Unregelmäßigkeiten und die Wahl einer neuen Direktion durch den Verwaltungsrat. Nach dem Statut wurde die Gesellschaft von einem Verwaltungsrat vertreten258, der wiederum die Direktion wählte259• Die Direktion vertrat die Gesellschaft gegenüber Dritten. Danach war die Direktion legitimiert, die Aktionäre in Anspruch zu nehmen. Die Aktionäre zweifelten jedoch die ordnungsgemäße Bestellung der Direktion durch den Verwaltungsrat an. Die Gesellschaft beschritt den Weg der Appellation und war in der zweiten Instanz erfolgreicher. Die Prozesse zogen sichjedoch mit unterschiedlichen ErFleck, AfE 1897, S. 26. Geschäftsbericht der Direktion vom 10.12.1838, abgedruckt bei Steitz, S. 321. Hinzukam, daß die Direktion unsolide arbeitete. Sie bestellte mehr Schienen als zunächst benötigt, schloß Verträge über die Lieferung von Lokomotiven ab und schmälerte so die Liquidität der Gesellschaft. Zudem begann sie ohne entsprechende polizeiliche Genehmigung mit den Bauarbeiten (Bericht der Direktion aaO., sowie Steitz, S. 194). 254

255

256 Geschäftsbericht der Direktion vom 10.12.1838, abgedruckt bei Steitz, S. 323. 257 258

Geschäftsbericht der Direktion vom 10.12.1838, abgedruckt bei Steitz, S. 323. §§ 18-26 des Statuts.

259 § 27 des Statuts.

1. Teil: Privatbahnen

71

gebnissen über mehrere Jahre hin, bis das Plenum des preußischen Obertribunals mit einer Grundsatzentscheidung im Jahre 1845 die noch offenen Streitfragen beantwortete260• Kernpunkt der Auseinandersetzung waren folgende zwei Fragen: 1. Können die Aktionäre bei ordnungsgemäßer Legitimation der Direktion die Rechtmäßigkeit der Wahl der Direktoren überhaupt zum Gegenstand des Prozesses machen?, 2. In welcher Form müssen die Direktoren ihre Legitimation nachweisen? Die beiden Fragen vermengten sich in drei Prozessen vor einem Stadtgericht in den Jahren 1839/40261 • Die Direktoren legten ein vom Stadtgericht Minden am 22. Februar 1838 ausgefertigtes Verhandlungsprotokoll mit folgendem Inhalt vor: "Vor den unterschriebenen Gerichtsdeputierten erschienen folgende dispositionsfähige Personen: (es folgen 20 Namen) als Mitglieder des konstituierten Verwaltungsrates der Rhein-Weser Eisenbahngesellschaft hieselbst wohlbekannt und erklären: auf Grund des§ 27 der Statuten hätten sie nach Entlassung des bisherigen Direktors mittels gehörig vorgenommenen Wahlakts den A. zum interimistischen Direktor, sowie die Herren B. und C. zu Direktorialräten ernannt"

Die beklagten Aktionäre wandten ein, durch das Protokoll sei weder nachgewiesen, daß die Direktoren mit der erforderlichen 3/4 Mehrheit vom Verwaltungsrat gewählt wurden, noch daß die Wahl in statutenmäßiger Art erfolgt ist262• Sie bezweifelten auch die ordungsgemäße Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrats263. In seinem Revisionsurteil vom Februar 1840 verwarf das Obertribunal diese Einwendungen als unbegründet. Das Obertribunal sah es als ausreichend an, daß das Land- und Stadtgericht zu Minden den Verwaltungsrat, der die klagenden Direktoren gewählt hatte, als solchen anerkannt hatte. Außerdem wurde der Ansicht des Appellationsgericht zugestimmt, daß es in Beziehung auf die Beklagten genügte, wenn die klagende Gesellschaft Korporationsrechte erhalten hatte und damit zu einer selbständigenjuristischen Person geworden war.

260

Entscheidung des Obertribunals vom 27. Juni 1845, Entscheidungen Bd.ll,

261

Obertribunal, S. 64. Obertribunal, S. 64. Obertribunal, S. 65.

s. 62 ff. 262 263

Erster Abschnitt: Die Gründung

72

Damit sprach das Obertribunal den Aktionären das Recht ab, im Prozeß die ordnungsgemäße Bestellung der Gesellschaftsorgane überprüfen zu lassen. Im Jahre 1841 kam es jedoch zu weiteren Prozessen mit einer ähnlichen Streitfrage. Die Direktoren legten dem Gericht wiederum die gedruckte Abschrift eines von dem Land- und Stadtgerichte in Minden ausgefertigten Verhandlungsprotokolls vor. Im Unterschied zu den ersten Prozessen wurden die Direktoren nun nicht mehr als interimistische, sondern als vom Verwaltungsrat gewählte Direktoren bezeichnet Die beklagten Aktionäre trugen erneut vor, die als Kläger auftretenden Personen seien von einem nicht statutengemäß konstituierten Verwaltungsrat gewählt worden und deshalb nicht prozeßführungsbefugt264• Der Richter 1. Instanz verwarf den Einwand mit dem Argument, das Verhandlungsprotokoll, das öffentlichen Glauben genieße, sei vom zuständigen Gericht ausgefertigt worden. Zudem habe der für die Bahngesellschaft bestellte königliche Kommissar den Verwaltungsrat anerkannt. Die Beklagten wurden daraufhin antragsgemäß verurteilf65• Aufgrund ihrer Appellation wies der Appellationsrichter die Klage dagegen mit der Begründung zurück, die Direktion sei nicht zur Prozeßführung legitimiert, da der Verwaltungsrat von der Gesellschaftsversammlung nicht ordentlich gewählt worden sei. Weder das Stadtgericht, noch der Staatskommissar hätten die Legitimation der Direktion bestätigen können. Es hätten vielmehr alle Dokumente vorgelegt werden müssen, um die Zuständigkeit des Wahlakts überprüfen zu können266• Auf die Revision der Gesellschaft schloß sich die Mehrheit des Senats des Obertribunals der Ansicht des Appellationsrichters an. Insbesondere wurde angenommen, daß die verklagten Aktionäre die Wahl, durch die der Vorstand in sein Amt berufen wurde, anfechten könnten. Vor allem seien die Beklagten berechtigt, die vorschriftsmäßige Bildung des Verwaltungsrats, der die klagende Direktion bestellt hatte, in Frage zu stellen und die Rechtmäßigkeit der Wahlen zum Gegenstand des Prozesses zu machen. Da diese Entscheidung im Widerspruch zu der zuerst genannten des Obertribunals aus dem Jahre 1840 stand, wurde die Entscheidung des Plenums des Obertribunals notwendig267•

264

Obertribunal, S. 65 f.

265

Obertribunal, S. 66.

266

Obertribunal, S. 66.

267

Obertribunal, S. 67.

1. Teil: Privatbahnen

73

Das Plenum erörterte in seiner Sitzung vom 27. Juni 1845 die beiden eingangs genannten Streitfragen und kam zu folgendem Ergebnis: Die erste Frage, ob die Aktionäre berechtigt waren, die Bestellung der Direktion zum Gegenstand des Prozesses zu machen, wurde verneint. Unter Bezugnahme auf die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts über Korporationen268 definierte es die Eisenbahngesellschaft als eine fortdauernde, zu einem gemeinnützigen Zweck zusammengeschlossene, von dem Staat bestätigte Gesellschaff69, die zudem unter der Oberaufsicht des Staates stehe270. Durch die staatliche Bestätigung wurde die Korporation zur juristischen Person271, deren Rechtspersönlichkeit von dritten Personen nicht mehr in Frage gestellt werden konnte. Dasselbe galt nach der Ansicht des Obertribunals für die Organe der Gesellschaft, soweit die staatliche Aufsichtsbehörde sie anerkannt hatte. Was gegenüber Fremden gelte, müsse auch gegenüber Mitgliedern der Gesellschaft Anwendung flnden212• Ein Mitglied könne Mängel in der Organisation namentlich bei Wahlen der Staatsbehörde anzeigen. Werde er dagegen auf Erfüllung seiner Verbindlichkeiten in Anspruch genommen, so stehe er der Gesellschaft wie jeder Dritte gegenüber. Gegenstand des Prozesses könne nur der Klageanspruch sein, während die Verfassung der Gesellschaft auf administrativem Wege gerügt werden müsse213 • Das Gericht kam daher zu dem Ergebnis: "daß es den einzelnen Mitgliedern einer Korporation, wenn sie von den mit Genehmigung der vorgesetzten Staatsbehörde ernannten, in Funktion befmdlichen Vorstehern derselben, auf Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft in Anspruch genommen werden, nicht freistehen dütfe, die Gültigkeit der Wahlen, aus denen der klagende Vorstand hervorgegangen, zum Gegenstande einer Einrede zu machen. "274

Zu der zweiten Frage, wie sich die Direktion vor Gericht legitimieren müsse, führte das Obertribunal aus: Da die Korporation unter der Aufsicht des Staates stehe, könne die Legitimation nur durch ein Attest der übergeordneten Staats-

268 269

210

Teil 2 Titel 6 ALR. § 25 Teil 2 Titel 6 ALR. §§ 30, 31, 34, 35 Teil2 Titel6 ALR.

§ 81 Teil 2 Titel 6 ALR. Obertribunal, S. 69. 273 Obertribunal, S. 70. 274 Obertribunal, S. 71. 271

212

74

Erster Abschnitt: Die Gründung

behörde, mit dem Inhalt, daß die in Rede stehenden Personen die Korporation in dem Prozesse zu vertreten befugt seien, geführt werden275• Die Direktoren der Eisenbahngesellschaften mußten daher nach § 46 Bisenbahngesetz eine entsprechende Bestätigung des ihnen zugeordneten Regierungskommissars vorlegen. Die von den Direktoren vorgelegten gerichtlichen Verhandlungsprotokolle genügten diesen Anforderungen nur, wenn sie die Bestätigung des Regierungskommissars enthielten276• Im Ergebnis hat die Gesellschaft damit zwar die Prozesse gewonnen, gerettet werden konnte das Projekt hierdurch jedoch nicht. Bereits auf der Generalversammlung des Jahres 1839 wurde die Auflösung der Gesellschaft eingeleitet. Das Bahnprojekt wurde schließlich von der Rheinischen Eisenbahn als KölnMindener Eisenbahngesellschaft übernommen und realisierr77• Diese Rechtsstreitigkeiten der Rhein-Weser Eisenbahngesellschaft zeigen besonders deutlich die Folgen einer fehlenden Aktiengesetzgebung. Die inneren Organisationsformen der Gesellschaften, die voneinander deutlich abwichen, waren noch nicht gefestigt. Daraus ergab sich für die Aktionäre die Möglichkeit, die Legitimation der Direktion vor Gericht anzuzweifeln. Auch wenn die Aktionäre im Ergebnis unterlagen, nahm die Gesellschaft angesichts der langen Dauer der Prozesse hierdurch Schaden.

Teil2

Staatsbahnen I. Die staatliche Förderung von Privatbahnen In Preußen ist zwischen der Beteiligung des Staates am Eisenbahnbau durch Privatgesellschaften und dem Bau durch den Staat selbst zu unterscheiden. Bereits die ersten Eisenbahnkomitees bemühten sich in den dreißiger Jahren um staatliche Unterstützung, da die Kapitalbeschaffung für Privatgesellschaften schwierig war. Bis 1842 wurden entsprechende Bitten, die sich auf die Gewährung einer staatlichen Zinsgarantie für die ausgegebenen Aktien richteten, grundsätzlich abgelehnt. Eine Ausnahme stellte im Jahre 1840 ein königliches 275

Obertribunal, S. 71 f.

276

Obertribunal, S. 73. Ausführliche Darstellung hierzu bei Steitz, S. 202 ff.

277

2. Teil: Staatsbahnen

75

Legat Friedrich Wilhelms IV. in Höhe von 1 Million Talern zur Förderung des Baus einer Eisenbahn über Kassel in Richtung auf die preußische Rheinprovinz

da?78.

Abgelehnt wurden auch die Anträge der Eisenbahngesellschaften, die um den Erlaß des Einfuhrzolles auf englisches Eisen baten. Inländische Werke waren nicht in der Lage, die benötigten Schienen zu liefern, so daß sie aus England importiert werden mußten279• Der Zoll, der auch auf Lokomotiven erhoben wurde, belief sich auf einen Taler pro Zentner und stellte damit einen erheblichen Kostenfaktor dar. Die Vergünstigungen wurden mit Hinweis auf das Verhältnis zu den übrigen Zollvereinsstaaten abgelebnf8°. Unterstützung gewährte der Staat bei den Vorarbeiten für den Bau der Bahn. So wurden staatliche Landvermesser und andere Fachleute für die Bestimmung der Linienführung freigestellt und Zuschüsse gezahlt. Im Gegenzug mußten sich die Gesellschaften verpflichten, dem Staat die Ergebnisse der Vorarbeiten zur Verfügung zu stellen, wenn die Bahn nicht zur Ausführung kam281 • Im weiteren Sinn als Unterstützung von Privatbahnen ist der Abschluß von Staatsverträgen anzusehen. Für die Berlin-Hamburger Bahn und die Thüringische Eisenbahn schloß der preußische Staat mit den übrigen betroffenen Staaten Verträge ab, die den Bau der Bahnen ermöglichten.

1. Gründe für die Zurückhaltung des Staates Für die Zurückhaltung des Staates gab es mehrere Gründe. Zunächst erschienen die Ertragsaussichten des neuen Verkehrsmittels keineswegs als sicher. Man wollte demzufolge den Staatshaushalt nicht mit unkalkulierbaren Risiken belasten. So führte der Geheime Rat und Chef der Seehandlung Rother am 16. August 1835 in einem Schreiben an Friedrich Wilhelm III. aus, die Mitteilungen über die Rentabilität der bestehenden Bahnen in Großbritannien und Nordamerika seien nicht zuverlässig282• Es sei zudem fraglich, ob überhaupt ein Bedürfnis nach neuen Transportmitteln bestehe, da die Frachtpreise auf den Kunststrassen erheblich gesunken seien283• Die Anlage- und Betriebs278

Steitz, S. 84.

Bericht des Komitees der Magdeburg-Leipziger Eisenbahn vom 12.3.1836, GStA Rep. 77 Titel 258a Nr.2 VoLl Bl.45. 279

280 Antrag der Magdeburg-Leipziger Eisenbahn vom 19.5.1839, GStA Rep.89 Nr.29671 Bl.113. 281

Fleck, AfE 1897, S. 41.

282

v.d. Leyen, AfE 1880,217, 218; Henderson, S. 143.

283

v.d. Leyen, AfE 1880, 217, 219; Henderson, S. 143.

76

Erster Abschnitt: Die Gründung

kosten der Bahnen seien hoch. An den Chausseen könne nicht gespart werden. Diese müßten erhalten bleiben, da Eisenbahnen für gewöhnliches Fuhrwerk nicht zugänglich seien. Er kam zu dem Ergebnis, daß der Staat keine Veranlassung habe, Eisenbahnen auf eigene Kosten anzulegen284• König Friedeich Wilhelm III., der von 1797 bis 1840 regierte, äußerte zudem in Zusammenhang mit dem Projekt der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam, er könne "keine große Seligkeit darin erblicken, ein paar Stunden schneller von Berlin nach Potsdam zu reisen" 285 • Ein weiteres Argument gegen eine Beteiligung des Staates war, daß es sich um privatwirtschaftliche Unternehmungen handelte und der Staat keine Mittel der Allgemeinheit zur Förderung privater Interessen einzusetzen habe. Die wichtigste Rolle spielte -wenn auch nicht immer ausgesprochen- die Verfassungssituation. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege hatte Friedeich Wilhelm III. im Jahre 1815 die Einsetzung einer ständischen Versammlung versprochen. In der "Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volks" vom 22. Mai 1815286 wurde in§ 1 festgelegt: "Es soll eine Repräsentation des Volks gebildet werden."

Die §§ 2, 3 bestimmten die Bildung von Provinzialständen, aus denen eine Versammlung der Landesrepräsentanten gewählt werden sollte. Die Aufgaben dieser Versammlung umschrieb § 4 wie folgt: "Die Wirksamkeit der Landes-Repräsentanten erstreckt sich auf die Beratung über alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigentumsrechte der Staatsbürger mit Einschluß der Besteuerung betreffen."

Es wurde die Einsetzung einer Kommission versprochen, die sich nach § 6 sowohl mit der Organisation der Provinzialstände und der Landesrepräsentanten als auch "mit der Ausarbeitung einer Verfassungs-Urkunde nach den aufgestellten Grundsätzen" beschäftigen sollte. Dieses Versprechen blieb bis zum Erlaß der oktroyierten Verfassung im Dezember 1848 unerfiillt. In der Verordnung vom 17. Januar 1820, "wegen der künftigen Behandlung des gesammten Staatsschuldenwesens"287 (Staatsschuldenedikt) wurde unter II. bestimmt:

284

v.d. Leyen, AfE 1880,217, 220; Henderson, S. 143.

285

286

Cohn ZfgStW 47 (1891), S. 559. GS 1815, S. 103.

287

GS 1820, S. 9 ff.

2. Teil: Staatsbahnen

77

"Wir erklären diesen Staatsschulden-Etat auf immer für geschlossen. Über die darin angegebene Summe hinaus darf kein Staatsschuldschein oder irgend ein anderes Staatsschulden-Dokument ausgestellt werden. Sollte der Staat künftighin zu seiner Erhaltung oder zur Förderung des allgemeinen Besten in die Notwendigkeit kommen, zur Aufnahme eines neuen Darlehns zu schreiten, so kann solches nur mit Zuziehung und unter Mitgarantie der künftigen reichsständischen Versammlung geschehen."

Eine derartige Versanunlung der Reichsstände existierte nicht. Allein in den Provinzen gab es mit den durch die Kabinettsorder vom 5. Juni 1823 gebildeten Provinzialständen Ansätze für eine Volksvertretung. Durch Verordnungen waren sie für jede der acht preußischen Proviozen288 einberufen worden, hatten aber nur geringe Kompetenzen. Die Gutachten und Beschlüsse der Provinzialstände unterlagen staatlicher Entscheidung und Genehmigung289. Die Verfiigbarkeit staatlicher Mittel war danach begrenzt, wollte man nicht die Stände beteiligen. An dieser verfassungsrechtlichen Situation scheiterten im Jahre 1833 Überlegungen hinsichtlich einer staatlichen Ausführung der Bergisch-Märkischen Bahn290 oder im Jahre 1841 eine Unterstützung der Thüringischen Bahngesellschaft291.

2. Die wachsende Bereitschaft des Staates zu Unterstützungsleistungen Die Kapitalgewinnungsprobleme privater Bahngesellschaften Iiessen das Bedürfnis nach staatlicher Unterstützung wachsen. Im ganzen Land herrschte als Folge der Zerstörungen und Handelsbeschränkungen aus der Zeit der napoleonischen Kriege ein allgemeiner Kapitalmangel292. Es entstand allgemein die Ansicht, daß der Staat einschreiten müsse293• Überdies hatte man inzwischen erkannt, daß Preußen eines Eisenbahnnetzes mit Berlin als Zentrum bedürfe, war doch der öffentliche Nutzen der Eisenbahnen immer deutlicher geworden294.

288

GS 1823, S. 129 ff.

289

Fleck, AfE 1897, S. 890.

290

Fleck, AfE 1896, S. 41f.; 1897, S. 890.

291

Fleck, AfE 1895, S. 35; 1897, S. 890.

292 293

Bösselmann, S. 12ff. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 300.

294

Schwarz u. Strotz, S. 577.

78

Erster Abschnitt: Die Gründung

Eine Vollendung dieses Planes allein durch Privatgesellschaften war in absehbarer Zeit im übrigen schon deshalb nicht zu erwarten, weil ein Teil der vor allem auch aus militärstrategischen Gründen erforderlichen Strecken nur geringen Gewinn erwarten ließ. Dies galt zum Beispiel für die Bahnlinie von Berlin nach Ostpreußen. Bereits seit den Anfangen des Eisenbahnwesens in Preußen hatten auch private Eisenbahnuntemehmer, wie David Hansemann, Ludolf Camphausen und Friedrich Harkort in der Rheinprovinz den Staatsbau befürwortet. Besonders hervorgetreten ist dabei David Hansemann. In seiner Schrift "Die Eisenbahn und deren Aktionäre in ihrem Verhältnis zum Staat" führte er aus, entscheidend für den Nutzen des neuen Verkehrsmittels seien möglichst niedrige Transportpreise. Diese könnten nur durch den Staatsbau erreicht werden295 • Privatgesellschaften müßten Gewinn erzielen und seien daher nicht in der Lage, vergleichbar niedrige Preise anzubieten. Auch würden Privatbahnen sich nur an der Rentabilität der Strecken ausrichten und nicht "am Allgemeinen", wie es der Staat könnte296 • Schließlich wies er darauf hin, daß auch die bestehenden "Kunststraßen" und Kanäle im Eigentum des Staates stünden297 • Den Betrieb der Bahnen sollte der Staat jedoch Privatgesellschaften überlassen298 • Andere Stimmen in der Literatur betonten ebenfalls das Staatsinteresse an den Eisenbahnen299• Privatunternehmer könnten nicht die notwendigen Kapitalien aufbringen. Zudem sei der Staat in der Lage, billiger zu bauen300• Er solle auch die Verwaltung der Bahnen übemehmen301 • Umstritten war, auf welchem Wege der Staat sich an der Förderung des Bahnbaus beteiligen könnte. Diskutiert wurden vor allem die folgenden drei Varianten: 1.

Der Staat konnte sich direkt am Kapital von Privatgesellschaften durch Aktienerwerb beteiligen oder

2.

sich auf die Gewährung einer Zinsgarantie für das Aktienkapital beschränken,

3.

war der Bahnbau unmittelbar durch die Staatsregierung möglich.

295

Hansemann, S. 42f.

296

Hansemann, S. 43f.

297

Hansemann, S. 44.

298

Hansemann, S. 48.

299

Bülow-Cummerow, S. 135.

300

Bülow-Cummerow, S. 136; Pöhls, S. 79.

301

Bülow-Cummerow, S. 137.

2. Teil: Staatsbahnen

79

Baute der Staat selbst, konnte er nach Fertigstellung der Bahnlinie wählen, den Betrieb selbst zu übernehmen oder ihn Privaten zu überlassen. Der vollständige Bau auf Staatskosten war im Hinblick auf das Staatsschuldenedikt von 1820 die schwierigste Alternative, weil ohne die Aufnahme einer Anleihe kaum zu realisieren.

3. Die ersten staatlichen Unterstützungen Erste Unterstützungen wurden zunächst über die königliche Seehandlung gewährt. Sie beteiligte sich, wie bereits erwähnt302, im Jahre 1840 sowohl durch Übernahme von Aktien als auch durch die Gewährung eines Darlehens an der Berlin-Sächsischen Eisenbahngesellschaft. Die Höhe der gesamten Beteiligung belief sich auf 1,4 Millionen Tale.-303• Ein solches Verfahren war jedoch nicht unbedenklich und wurde in der Literatur teilweise als Umgehung des Staatsschuldenedikts von 1820 angesehen. Dies wurde damit begründet, daß es sich bei der Seehandlung um ein Geldinstitut des Staates handele und dieser für deren Verbindlichkeiten hafte304• Auf der Ebene der Provinzen kam es im Jahre 1839 zu einer ersten Kapitalbeteiligung. Der Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft, die mit der Kabinettsorder vom 10. Juli 1836 eine vorläufige Genehmigung erhalten hatte, war es -nach Verzögerungen durch Verhandlungen mit der Staatsregierung über das Statut- nicht gelungen, das notwendige Kapital aufzubringen. Die Zeichnungen erbrachten lediglich etwas mehr als 1 Million Taler, benötigt wurden jedoch 2,5 Millionen Taler. lnfolge des Eisenbahngesetzes wurden Zeichnungen von über 2 Millionen Talern zurückgezogen305• Das Projekt drohte zu scheitern, da die vorläufige Konzession am 31. Dezember 1840 erlosch, sofern bis dahin die Ausführung des Projektes nicht gesichert werden konnte. Die Stadtverordneten von Berlin, die um Hilfe gebeten worden waren, verweigerten eine Unterstützung306• Daraufhin wandte sich das Komitee an den Altpommersehen Landtag mit der Bitte, das Projekt zu befürworten und den König um Unterstützung zu bitten.

302

Unter II., 4.

303

Schwarz u. Strotz, S. 578; Berlin-Sächsische Bahn §4 des Statuts, GS 1839,

s. 177 ff.

Bülow-Cummerow, S. 166. Bericht des Oberpräsidenten von Pommern v. Bonin vom 27.11.1839, GStA Rep.89 Nr.6 VoLl Bl.6 f. 304 305

306

Heck, AfE 1897, S. 50.

80

Erster Abschnitt: Die Gründung

Die pommersehe Regierung hielt die geplante Bahn für äußerst wichtig. Der Kommunallandtag schloß sich dieser Auffassung an, vertrat jedoch die Auffassung, die Ausführung der Bahn müsse aus Mitteln der Provinz aufgebracht werden307. Der Kommunallandtag gewährte daraufhin mit Beschluß vom 22. November 1839, vom König durch Kabinettsorder vom 30. November 1839 genehmigt, folgende Unterstützung: Für den noch fehlenden Aktienbetrag wurde eine Zinsgarantie in Höhe von 4 % für die ersten sechs Jahre nach Vollendung der Bahn übernommen. Die Garantie galt für alle Aktien, die bis zum 1. Juli 1840 gezeichnet wurden. Die Garantie stand unter dem Vorbehalt, daß der Bau der Bahn bis zum I. Januar 1841 sichergestellt sein mußte. Die Stadt Stettin beteiligte sich darüber hinaus mit einer Summe von zunächst 100.000 Talern und später mit 500.000 Talern am Kapital der Gesellschaft308. Das Staatsministerium genehmigte die Unterstützung der Eisenbahngesellschaft im März 1840309, nachdem Finanzminister v. Alvensleben zuvor in einem Gutachten die Zu1ässigkeit der Unterstützung durch den Altpommerscben Landtag geprüft hatte310• Fraglich war, ob der Landtag die Kompetenz hatte, die vorgeschlagene Garantie zu übernehmen. Die Kompetenzen des Landtages waren nicht detailliert geregelt. Gesetzliche Regelungen zu den Aufgaben der Landtage fanden sich zunächst in dem "Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände im Herzogthorn Pommern und Fürstenthum Rügen" vom I. Juli 1823311 • § 56 dieses Gesetzes bestimmte, daß die bestehenden Kommunalverhältnisse auf die Landtage übergingen. Ergänzend regelte§ 7 der "Verordnung, wegen zukünftiger Verfassung der Kommunal-Landtage in Pommern" vom 17. August 1825312, daß dem Kommunallandtag bei der Verwaltung der Kommunalangelegenheiten, diejenige Geschäfte zugewiesen waren, die den bisherigen ständischen Behörden oblagen.

307 Bericht des Oberpräsidenten von Pommern v. Bonin vom 27.11.1839, GStA Rep.89 Nr.29687 VoLl Bl.6 f. 308

Heck, AfE 1897, S. 50.

309

311

GStA Rep.89 Nr.29687 VoLl Bl.28. Gutachten vom 18. Januar 1840, GStA Rep.89 Nr.29687 VoLl Bl.21 ff. OS 1823, S. 146.

312

OS 1825, S. 215.

310

2. Teil: Staatsbahnen

81

Aus diesen Bestimmungen folgerte der Finanzminister, dem Kommunallandtag seien nur die Aufgaben übertragen worden, die den Landständen schon vorher zustanden und sich auf den Kreis der Provinz beschränkten313• Die Unterstützung der Eisenbahn ging nach der Aufassung des Ministers über die eigentlichen Kommunalangelegenheiten hinaus. Er stellte seine Bedenken jedoch mit dem Argument zurück, es sei unhaltbar, die Kompetenzen der Landtage auf dem Stand des Jahres 1823 festzuschreiben. Im Interesse einer Förderung der ständischen Institutionen sei eine freiere Auslegung vertretbar. Zudem stünden die übernommenen Risiken in keinem Mißverhältnis zu dem Aufwand der Provinz314• Diese Einschätzung sollte sich schon bald als richtig bestätigen. Das fehlende Kapital wurde fristgerecht gezeichnet. Einer ständischen Kapitalbeteiligung bedurfte es nichtm. In Anspruch genommen wurde die Zinsgarantie zu keiner Zeit. 4. Die Vereinigten Ständischen Ausschüsse von 1842 Zur Entscheidung der Frage, welche Art der Staatsbeteiligung in Betracht kommmen sollte, entschloß sich die preußische Regierung, die Meinung der Stände einzuholen. Durch acht königliche Verordnungen -für jede Provinz eine- mit Datum vom 21. Juni 1842316 wurden die Provinziallandtage aufgefordert, aus Mitgliedern, die ihr besonderes Vertrauen genossen, einen ständigen Ausschuß zu bilden. Zweck dieser Ausschüsse sollte die Möglichkeit sein, ständische Organe auch dann gutachtlich zu hören, wenn die Provinziallandtage gerade nicht versammelt waren. § 4 der Verordnungen vom 21. Juni 1842 bestimmte die Zuständigkeit der Ausschüsse. Es sollte auch bei Angelegenheiten, die bisher in der Regel nicht an die Provinzialstände gelangt waren, eine Gelegenheit geschaffen werden, den "Rat erfahrenerMänneraus den Eingesessenen der Provinz einzuholen". Zudem sollte die Möglichkeit geschaffen werden, bei den ersten Vorbereitungen zu wichtigen Gesetzen die Ausschüsse zu gutachterliehen Stellungnahmen aufzufordern317 •

313

Gutachten vom 18. Januar 1840, GStA Rep.89 Nr.29687 Vol.l Bl.22.

314

Gutachten vom 18. Januar 1840, GStA Rep.89 Nr.29687 VoLl Bl.22.

Schreiben des Finanzministers v. Alvensleben vom 21.1.1841, GStA Rep.89 Nr.29687 VoLl Bl.37. 316 GS 1842, S. 215-241. 315

317

GS 1842, S. 215-241.

6 Bracht

82

Erster Abschnitt: Die Gründung

Diese Formulierungen lassen erkennen, daß zwar eine Beteiligung der Stände eingeführt werden sollte. Zugleich wurde den Ausschüssen jedoch keine Entscheidungskompetenz eingeräumt. Es war nur von gutachterliehen Tätigkeiten die Rede, so daß es sich nicht um die im Jahre 1815 versprochene Ständeversammlung handelte. König Friedrich Wilhelm IV., der seit 1840 regierte, soll jedoch in der Versammlung der Ausschüsse einen ersten Schritt zur Einberufung von Reichsständen gesehen haben318• Durch Kabinettsordre vom 19. August 1842 wurde die erste gemeinsame Sitzung aller Ausschüsse auf den 18. Oktober 1842 festgesetzt. Neben einer für 1843 versprochenen Steuersenkung und einem Gesetzentwurf über die Benutzung der Privatflüsse sollte sich der Ausschuß mit der Frage der Errichtung eines umfassenden Eisenbahnnetzes mit staatlicher Hilfe beschäftigen319 • Dem Ausschuß wurden zwei Fragenkomplexe in einer Denkschrift unterbreitee20• Zum einen war Preußen aufgrund einer günstigen Haushaltsentwicklung in der Lage, die Steuern um 1,6 Millionen Taler zu senken. Die Ersparnis sollte zur Verminderung des Salzpreises eingesetzt werden. Zum anderen wurde die Förderung eines umfassenden Eisenbahnnetzes in Aussicht gestelle21 • Die Denkschrift sprach sich dafür aus, die noch zu errichtenden Bahnlinien Privatgesellschaften zu überlassen und staatliche Hilfe nur zur Verhinderung unverhältnismäßiger Verluste einzusetzen. Staatliche Hilfen wurden für erforderlich gehalten, weil die Rentabilität neuer Eisenbahnlinien ungewiß und das Kursniveau ausgegebener Aktien vielfach stark gefallen sei322• Der Bahnbau sollte weiter Privatgesellschaften überlassen bleiben, weil man, so die Denkschrift, "die fortschreitende Gewerbsamkeit und (den) erwachenden Assoziationsgeist im Volke", der den Eisenbahnen zu verdanken sei, fördern wollte. Unternehmer sollten nur vor "unverhältnismäßigen Verlusten" bewahrt werden.

Vorgeschlagen wurde eine Zinsgarantie für das Grundkapital mit einer Obergrenze von 3,5 % über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Zugleich solle der Staat den Gesellschaften Bedingungen auferlegen, die das staatliche Interesse und das des Publikums sichern helfen sollten323•

318 319

AfE 1881, s. 15. AfE 1881, s. 3.

GStA Rep.77 Titel258 Nr.1 Vol.2 Bl.303, Abdruck bei v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 305. 320

321

AfE 1881, s. 4.

322

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 305.

323

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 305.

2. Teil: Staatsbahnen

83

Insgesamt wurden fünf Bahnprojekte genannt, die noch nicht gesichert aber unbedingt wünschenswert waren. Es handelte sich dabei um folgende Strecken: 1. von Minden nach Köln, 2. von Halle durch Thüringen zum Mittelrhein, 3. von Berlin nach Königsberg bis zur russischen Genze, 4. von Frankfurt an der Oder nach Breslau und von Oppeln bis zur Österreichischen Grenze, 5. von Posen nach Preußen bzw. Schlesien.

Diese fünf Bahnen hatten eine Gesamtlänge von ca. 220 Meilen. Legt man den bisherigen durchschnittlichen Kostenaufwand von 250.000 Talern pro Meile zugrunde, so ergab sich ein Kapitalbedarf von 55 Millionen Talem324• Gewährte man für diesen Kapitalbetrag einen Zinssatz von 3,5 %, so ergab sich eine jährliche Maximalbelastung des Haushalts von 1.925.000 Talern. Dem ständischen Ausschuß wurden in der Denkschrift drei Fragen zur Begutachtung vorgelegt. Äußern sollte er sich zu folgenden Fragen: 1. ob das vorgeschlagene Eisenbahnnetz als Bedürfnis des Landes angesehen werde, 2. ob die Übernahme einer Zinsgarantie für notwendig und wünschenswert erachtet werde, 3. ob die Übernahme einer Garantie den Wünschen des Landes entspreche, und zwar auch dann, wenn der nun gesenkte Salzpreis eventuell wieder erhöht werden müsse32S. Auf der Versammlung -der Ausschuß tagte vom 18. Oktober bis zum 10. November 1842- gab es weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der ersten Frage, da der größte Teil der Versammlung das vorgeschlagene Netz für sinnvoll hielt. Mit einer Mehrheit von 90 zu 8 Stimmen sprachen sich die Ausschußmitgliederfür die Notwendigkeit eines Eisenbahnnetzes aus326• Teilweise bezweifelte man die Rentabilität weiterer Bahnlinien. Es wurde auch befürchtet, daß die Industrie in den kleinen Städten von der durch die Eisenbahn wachsenden Konkurrenz geschädigt werden könnte327 •

324 325 326 327

AfE 1881, s. 5. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 305; AfE 1881, S. 5. AfE 1881, s. 10. AfE 1881, s. 8.

84

Erster Abschnitt: Die Gründung

So äußerte ein Graf Raczynski als Vertreter des Großherzogtums Posen, daß Eisenbahnen nur ein Bedürfnis für Handel und "Fabrikwesen" treibende Länder seien328 • Er befürchtete, eine Bahn von Schlesien nach Posen könnte Spekulanten aller Art anziehen, die Produkte aus ganz Deutschland nach Posen schaffen würden. Diese Waren wären unzweifelhaft besser als die einheimischen und würden daher die eigenen Handwerksbetriebe zugrunde richten329 • Für die Einführung von Eisenbahnen sei es daher noch zu früh. Vielmehr sollten zunächst sichere Postverbindungen und bessere Straßen geschaffen werden330• Es handelte sich jedoch um eine Einzelmeinung, die zugleich einen Eindruck von den schlechten Verkehrsverbindungen in den östlichen Provinzen Preußens vermittelt. Im Ergebnis bewertete die Mehrheit die politischen Vorteile höher. "Die Einheit des großen Vaterlandes erscheine als Hauptgrund, Räume und Zeit müßten überwunden werden"331 • Durch verbesserte Kommunikationswege werde zudem die gegenseitige Verbreitung des Wissens und die Mitteilung gefördert332• Erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab es bei der Diskussion über die Frage der Zinsgarantie. Von der Regierung wurde als Alternative der vollständige Bau auf Staatskosten angeführt, aber nicht befürwortet333• Zur Begründung führte Finanzminister v. Bodelschwingh aus, "der erwachende Assoziationsgeist" solle nicht zurückgedrängt werden. Der Bau durch den Staat mache zudem nur Sinn, wenn alle Bahnlinien in der Hand des Staates seien und es sich daher um eine "res integra" handele334• Angesichts der bereits bestehenden Privatbahnen würde allenfalls ein Mischsystem zu erreichen sein. Im übrigen wurde auf wichtige, "hier nicht zu erörternde" Gründe verwiesen335. Bei diesen ungenannten Gründen konnte es sich nur um die verfassungsrechtliche Lage handeln. Die Regierung war sich bewußt, daß sie für den Bau auf Staatskosten Anleihen aufnehmen mußte, zu deren Bewilligung sie der Zustimmung der "Reichsstände" bedurfte. Die zusammengerufenen Ausschüsse

328 329 330 331 332 333 334 335

Stellungnahme in der Sitzung vom 22.10.1842, GStA Rep.89 Nr.29518 Bl.227. Stellungnahme in der Sitzung vom 22.10.1842, GStA Rep.89 Nr.29518 Bl.228. Stellungnahme in der Sitzung vom 22.10.1842, GStA Rep.89 Nr.29518 Bl.229. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 309 f. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 310. v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 311. AfE 1881, s. 11. AfE 1881, s. 11.

2. Teil: Staatsbahnen

85

bildeten keine reichsständische Versammlung im Sinne des Staatsschuldenedikts von 1820. Erstmals in der Sitzung vom 26. Oktober 1842 erklärte Finanzminister v. Bodelschwingh, daß der Staatsbau ohne Anleihen nicht zu bewerkstelligen sei336. Die Regierung blieb bei ihrer Auffassung, obwohl von der Versammlung immer wieder ein Eisenbahnbau auf Kosten des Staates gefordert wurde. Der Finanzminister erklärte sich jedoch bereit, eine Abstimmung über die Frage zuzulassen, ob die Versammlung einen Eisenbahnbau durch den Staat befürwortete und dies ins Sitzungsprotokoll aufzunehmem wünsche. Dieser Vorschlag wurde mit der knappen Mehrheit von 50 gegen 47 Stimmen abgelehnt337• Die Befürwortung des Staatsbaus fand im Sitzungsprotokoll somit keinen Niederschlag. Zu der Diskussion über die zweite Frage, die Gewährung einer Zinsgarantie, wurde vorgebracht, die Aktionäre würden angesichts eines sicheren Zinsertrages das Interesse an der Kontrolle der Gesellschaft verlieren, und diese wäre dann weniger gezwungen, sparsam zu wirtschaften338 • Andere Stimmen versprachen sich dagegen von einer staatlichen Unterstützung eine Förderung des Aktienwesens und eine verstärkte Anziehungskraft auf ausländisches Kapital. Auch wurde die Auffassung vertreten, daß es sich bei der Zinsgarantie in Wirklichkeit um eine Anleihe handele, die nach dem Staatsschuldengesetz vom 17. Januar 1820 der Zustimmung der Stände bedürfe. Die zusammengetretene Versammlung sei zur Entscheidung der gestellten Fragen daher nicht ermächtige39. Die Auffassung, Zinsgarantien seien anleiheähnlich, wurde auch in der Literatur vertreten340• Es wurde argumentiert, eine Zinsgarantie stelle eine Schuld dar. Sie sei der Zins eines Kapitals und gehöre daher unter die Kategorie der Staatsschulden, für die die gesamten Staatseinnahmen hafteten und die notfalls durch neue Abgaben gedeckt werden müßten. Der Name ändere nichts an der Sache341 • 336 337 338

AfE 1881, s. 12. AfE 1881, s. 7, 16.

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 312, AfE 1881, S. 12f.

339

AfE 1881, s. 15.

340

Bülow-Cummerow, S. 165.

Bülow-Cummerow; Er schlägt vor die Gelder für den Bahnbau durch die Postverwaltung zu beschaffen. Dies solle ohne Garantien des Staates geschehen. Der Staat könne stattdessen auf die jährlich von der Post abgeführten Überschüsse verzichten, mit denen die Post die nötigen Kapitalien garantieren könne. Ein Verzicht auf Einnahmen durch den Staat stelle keine Umgehung des Gesetzes von 1820 dar, S. 165. 341

86

Erster Abschnitt: Die Gründung

Der Finanzminister lehnte diese Meinung entschieden ab342• Er argumentierte, eine "temporäre Zinsgarantie" habe keine Ähnlichkeit mit einer Anleihe. Vielmehr entstehe ein Verhältnis wie zwischen einem Bürgen und dem Hauptschulder. Andernfalls müßte die Übernahme jeder dauernden Last einer Anleihe gleichgestellt werden, was nicht angenommen werden könne. Zur Kompetenz führte er aus, es gehe nicht darum, daß der Ausschuß Garantien übernehme, sondern es solle lediglich dem König eine Entscheidungsgrundlage gegeben werden343• Die Übernahme einer Zinsgarantie wird man -entsprechend der Ansicht des Finanzministers- nicht in den Geltungsbereich des Staatsschuldenedikts vom 17. Januar 1820 einordnen können. Unter§ II. dieser Verordnung wurde die Ausgabe neuer Staatsschuldscheine oder anderer Staatsschuldendokumente ausgeschlossen. Für die Aufnahme neuer Darlehen war die Zustimmung der reichsständischen Versammlung vorgesehen. Aus dieser Formulierung folgte nicht, daß der Staat gehindert war, jede Art von Verbindlichkeiten einzugehen. Die Verordnung bezog sich lediglich auf die Staatsschulden im engeren Sinn. Darunter wurden Verbindlichkeiten verstanden, die auf dem ganzen Staate lasteten, von ihm zu verzinsen und zurückzuzahlen waren344• Nicht erfaßt wurden die Verbindlichkeiten, die im Rahmen der Verwaltungstätigkeit entstanden und aus den laufenden Einnahmen zu tilgen waren345• Mit den staatlichen Zinsgarantien war die Gefahr einer Inanspruchnahme des Staatshaushalts verbunden. Je nach der Höhe der Belastung, bestand jedoch die Möglichkeit, die Garantiesumme aus dem laufenden Etat zu decken. Die Inanspruchnahme aus der Garantie konnte nur mittelbar zur Aufnahme einer Anleihe führen. Eine Staatsschuld im engeren Sinne, d.h. eine verzinsliche und rückzahlbare Verbindlichkeit wurde durch die Übernahme der Zinsgarantie nicht begründet. Der Staat nahm kein verzinsliches Darlehen auf, wenn er den Eisenbahngesellschaften eine Mindestverzinsung garantierte, die vorrangig von den Gesellschaften selbst zu erwirtschaften war. Es handelte sich nur um eine Eventualverbindlichkeit, die den Staatshaushalt vorläufig nicht belastete und damit auch die Staatsschulden nicht erhöhte.

342

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 314.

343

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 314.

344

v. Rönne, Staatsrecht 11.1., § 496, S. 528, Fn.3; 1.1. § 71, S. 352 Fn.3.

345

v. Rönne, Staatsrecht 11.1., § 496, S. 528, Fn.3; 1.1. § 71, S. 352 Fn.3.

2. Teil: Staatsbahnen

87

Entgegen der genannten Ansicht stellte sich die Übernahme der Zinsgarantie nicht als die Aufnahme einer Anleihe unter anderer Bezeichnung dar. Im Ergebnis wurde die vorgeschlagene Zinsgarantie von dem Ausschuß mit einer Mehrheit von 83 zu 14 Stimmen gebilligt346• Das gleiche galt auch für die dritte Frage aus der Denkschrift. Eine Erhöhung der Salzpreise wurde angesichts der Bedeutung des Eisenbahnbaus für hinnehmbar gehalten. Das Gutachten des Ausschusses führte zu einer Allerhöchsten Kabinettsorder mit Datum vom 22. November 1842347 • In ihr wurde hinsichtlich der Bisenbahnprojekte festgelegt, sie könnten in Zukunft staatliche Unterstützung erhalten. Ausdrücklich wurde die Möglichkeit von Zinsgarantien erwähnt. Der Gesamtbetrag dürfe zwei Millionen Taler jährlich nicht übersteigen. Es wurde die Erwartung ausgesprochen, den gesamten Betrag aus Haushaltsüberschüssen decken zu können. Zur Ausführung der Kabinettsorder wurde eine weitere Kabinettsorder mit Datum vom 31. Dezember 1842 erlassen. Sie ermächtigte den Finanzminister, zur Förderung des Eisenbahnbaus 500.000 Taler in den Etat des Jahres 1843 einzustellen und diese Summe jährlich um den Betrag zu erhöhen, mit dem die Einnahmen aus dem Salzregal den Voranschlag aus dem Jahre 1843 überschritten. Der Höchstbetrag wurde auf 2 Millionen Taler festgelegt. Durch die Allgemeine Kabinettsordre vom 28. April 1843 wurde angeordnet, aus den Haushaltsüberschüssendes Jahres 1842 einen Kapitalfonds in Höhe von 6 Millionen Talern zu bilden. Dieser sollte neben dem laufenden Fonds von jährlich 500.000 Talern der Finanzierung der staatlichen Eisenbahnf6rderung dienen348• Damit wurden zwei Fonds mit der gleichen Zweckbestimmung geschaffen.

5. Besonderheiten in den Statuten der Gesellschaften In die Statuten der Gesellschaften, für die der Staat eine Zinsgarantie übernahm, wurden besondere Bestimmungen zur Sicherung des Staatsinteresses aufgenommen. Der Inhalt und die Bedeutung dieser Vorschriften sollen am Beispiel der ersten vier Bahngesellschaften, die eine staatliche Unterstützung erhielten, dargestellt werden. Die erste Zinsgarantie übernahm der Staat für die Oberschlesische Eisenbahngesellschaft zur Weiterführung der Strecke von Oppeln bis zur ästerreichen Grenze. Die Gesellschaft war bereits durch die Bestätigungsurkunde vom

346

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 314.

347

GS 1842, S. 307.

348

Schwarz u. Strutz, S. 579.

88

Erster Abschnitt: Die Gründung

2. August 1841 konzessioniert worden349, zunächst war jedoch nur die Distanz von Breslau bis Oppeln in Angriff genommen worden. Eine staatliche Unterstützung sah das ursprüngliche Statut nicht vor. Für die erwähnte Fortsetzung der Strecke bis zur Österreichischen Grenze mit dem Anschluß an die KaiserFerdinands-Nordbahn wurde mit Datum vom 11. August 1843 ein Nachtrag zum Statut der Gesellschaft bestätige50• Es folgte die Bestätigung des Statuts der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft am 27. November 1843351 und der Statuten der KölnMindener Eisenbahngesellschaft mit Datum vom 18. Dezember 1843 352• Am 12. Juli 1844 wurde die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft für die Strecke von Biberfeld nach Dortmund als Verbindung zwischen der Düsseldorf-Elberfelder und der Köln-Mindener Bahn konzessioniert353• Die staatliche Unterstützung sah bei den genannten Bahnen wie folgt aus:

1. Der Staat beteiligte sich am Kapital der Gesellschaften. Er übernahm gegen Zahlung des entsprechenden Gegenwertes In der Aktien der Untemehmen354. Höher lag der Staatsanteil mit 1/4 des Aktienkapitals bei der Bergisch-Märkiscben Bahn355• Die vom Staat erworbenen Aktien kamen nicht in den Verkehr. Der eingezahlte Aktienbetrag wurde vielmehr direkt zur Amortisation der Aktien zum Nennwert verwendet. Bei der Bergisch-Märkischen Bahn, die keine Amortisation des Aktienkapitals durch den Staat vorsah, mußten die Einschüsse dagegen an die Gesellschaft geleistet werden356. Für den Fall eines erhöhten Kapitalbedarfs konnte entweder eine Kapitalerhöhung durch Ausgabe weiterer Aktien vorgenommen werden, wobei der Staat wiederum In übernahm, oder eine Anleihe ausgegeben werden. Die Entscheidung bedurfte der Zustimmung des Finanzministeriums357 .

349

GS 1841, S. 233 ff.

3SO

GS GS GS GS

351 352 353 354

§9. 355 356

1843, S. 310 ff. 1843, S. 371 ff. 1844, S. 21 ff. 1844, S. 315 ff.

Oberschlesische Bahn§ 2; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 6; Köln-Minden Hergiseh-Märkische Bahn§ 10. Hergiseh-Märkische Bahn § 11.

357 Oberschlesische Bahn § 20; Niederschlesisch-Märkische Bahn § 7; Köln-Minden § 15; Hergiseh-Märkische Bahn§ 20.

2. Teil: Staatsbahnen

89

2. Der Staat übernahm eine Zinsgarantie in Höhe von 3,5 %. Die Aktien aller vier Gesellschaften wurden, wie bereits bei den Privatbahnen erwähnt358, während der Bauzeit mit 4 % aus dem Kapitalfonds der Gesellschaften verzinst. Nach Fertigstellung der Bahn trat an die Stelle dieser Zinsverpflichtung die Beteiligung am Gewinn durch Zahlung einer Dividende. Es wurde den Aktionären jedoch ein jährlicher Mindestertrag in Höhe von 3,5 % des Aktiennennwertes zugesichert. Reichte der Reinertrag der Eisenbahn hierzu nicht aus, so verpflichtete sich der Staat die Differenz auszugleichen359. Der Staat übernahm damit eine Ausfallgarantie, die den Aktionären die Sicherheit eines Minelestertrages gab. Abweichend war die Regelung bei der Bergisch-Märkischen Bahn. Bei ihr übernahm der Staat keine Zinsgarantie. Dennoch wurden die Privataktionäre bevorzugt. Sie sollten nach Ablauf des Jahres in dem der Betrieb der Bahn eröffnet wurde, vorrangig aus dem Reinertrag eine Dividende von 3,5 % erhalten. Nur wenn nach dieser Ausschüttung noch ein Überschuß verblieb, sollte dem Staat hieraus eine Dividende in Höhe von bis zu 3,5 % auf seinen Kapitalanteil zustehen360• Die Begünstigung der Aktionäre bestand damit in einem Rangrücktritt des Staates bei der Verteilung des Gewinns. Diesen Vorteil konnten die Aktionäre frühestens nach 15 Jahren verlieren. Ergab sich nach Ablauf von 10 Jahren seit der vollständigen Eröffnung der Bahn in fünf aufeinander folgenden Jahren ein Reinertrag für das gesamte Kapital der Gesellschaft von mindestens 4 %, so wurde der Staat bei der Gewinnverteilung den Privataktionären gleichgestellt361 • Nach 30 Jahren sollte die Bevorzugung der Privataktionäre in jedem Fall authören362• Den Privataktionären war damit zwar kein Mindestertrag ihrer Aktien garantiert, ihre Aussicht auf eine Dividende war jedoch angesichts des mit einem Anteil 25 % mehr als bei den anderen Bahnen beteiligten Staates deutlich höher. Im Gegenzug wurden in die Statuten zugunsten des Staates folgende Bestimmungen aufgenommen:

358

Unterm., 2.

Oberschlesische Bahn § 7; Niederschlesisch-Märkische Bahn § 23-25; KölnMinden § 14,16,17. 359

361

Bergisch-Märkische Bahn § 23. Bergisch-Märkische Bahn § 24.

362

Bergisch-Märkische Bahn § 25.

360

90

Erster Abschnitt: Die Gründung

1. Soweit Teile des Gewinns der Gesellschaft in den Reservefond eingezahlt werden sollten, bedurfte es hierfür des Einverständnisses des Finanzministeriums363.

2. Das Aktienkapital der Gesellschaften, mit Ausnahme der Bergisch-Märkischen Bahn, unterlag der Amortisation. Die an Privatinteressenten ausgebeneo 6n des Aktienkapitals wurden, beginnend mit der Fertigstellung der Bahn, vom Staat getilgt. Zur Amortisation verwendet wurden zum einen die auf das im Staatsbesitz befmdliche Siebtel des Aktienkapitals entfallenden Zinsen und Dividenden und zum anderen die ersparten Zinsen für die im Laufe der Zeit getilgten Aktien. Die Amortisationsverpflichtung übernahm der Staat auch für den Fall, daß er aus der übernommenen Zinsgarantie in Höhe von von 3,5% in Anspruch genommen wurde364• Darüberhinaus war der Staat nach dem Statut der Köln-Mindener Bahn berechtigt, nach seinem Belieben den Amortisationsbetrag bis auf jährlich 1% des gesamten Aktienkapitals zu erhöhen365• Unter Zugrundelegung einer jährlichen Verzinsung von 3,5% wurde 112% des Aktienkapitals (3,5 % von 117) bereits durch die Verwendung des auf die Aktien im Staatsbesitz entfallenden Zinsanteils amortisiert. Hinzu kam noch ab dem zweiten Jahr die Dividende, die auf die bereits eingelösten Aktien entfiel. Die sich im Privatbesitz befindeneo 6n des Aktienkapitals wurden so spätestens nach 57 Jahren getilgt. Bei der Köln Mindener Eisenbahn kam man auf einen Zeitraum von 41 Jahren. Welche Aktiennummern unter die Amortisation fielen, bestimmte in jedem Jahr das Los. Die Aktionäre erhielten den Nennwert ihrer Aktien ausgezahl~. Die Rechte aus den ausgelosten Aktien gingen auf den Staat über. Ihm flossen Zinsen und Dividenden für diese Aktien zu. Es war lediglich untersagt, die Aktien erneut auf den Markt zu bringen367• Auf den Kurs der Aktien wirkte sich die Rückzahlung zum Nennwert, wie bereits erwähnt, nachteilig aus368• So stieg der Aktienkurs der Köln-Minde363 Oberschlesische Bahn § 4; Niederschlesisch-Märkische Bahn § 11; Köln-Minden § 15 Nr. D. 364 Oberschlesische Bahn§ 11; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 29; Köln-Minden § 21. 365

Köln-Minden § 21.

Oberschlesische Bahn § 11, 12; Niederschlesisch-Märkische Bahn § 29, 30; Köln-Minden § 22. 366

367 Oberschlesische Bahn§ 16; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 34; Köln-Minden § 24. 368

Unter m., 2.

2. Teil: Staatsbahnen

91

ner Eisenbahngesellschaft stark an, als bei ihr die Amortisation für 15 Jahre ausgesetzt wurde369• Bei der Bergisch-Märkischen Bahn war eine Amortisation des Aktienkapitals nicht vorgesehen. Bei dieser Bahn bestand eine genau umgekehrte Regelung. Die Gesellschaft konnte sich nach Ablauf von 10 Jahren seit Betriebsaufnahme der Bahn entscheiden, ob sie den sich in Staatsbesitz befmdenden Aktienanteil übernehmen wollte. Den Beschluß hierzu hatte die Generalversammlung zu fällen, wobei das Stimmrecht des Staates ausgeschlossen war370• Die Rückerstattung zum Nennwert konnte jedoch nur mit dem Ablauf des fünfzehnten oder des dreißigsten Betriebsjahres stattfinden. Mit vollständiger Ablösung der Aktien verlor der Staat sämtliche Rechte an der Gesellschaft, die mit seiner ursprünglichen Beteiligung verbunden gewesen waren371 • 3. Belief sich der Reinertrag der Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung auf mehr als 5 %, so verblieben 213 des überschießenden Betrages bei der Gesellschaft. 1/3 des Überschusses war dagegen an den Staat abzuführen. Der Staat konnte mit diesem Ertrag, der sogenannten "Superdividende" entweder geleistete oder noch zu leistende Zinszuschüsse finanzieren oder Aktien der Gesellschaft zum Tageskurs erwerben372• Diese Klausel erwies sich im Verlauf als sehr vorteilhaft für den Staat. So hätte sich beispielsweise bei der Oberschlesischen Bahn für das Jahr 1854 eine Dividende von 18 % ergeben. Tatsächlich schöpfte jedoch der Staat vorweg eine Dividende von knapp 70 % ab, während die Privataktionäre nur auf 10 113 % kamen373 • Bei der Köln-Mindener Eisenbahn stiegen die Dividendenerträge von 8.433 Talern im Jahre 1850 auf 267.500 Taler im Jahre 1855. Für den gesamten fünfjährigen Zeitraum beliefen sich die staatlichen Einnahmen auf 758.579 Taler. Einen Zinszuschuß hatte der Staat bei der Köln-Mindener Bahn zu keiner Zeit leisten müssen374•

369

BesseVK.ühlwetter, Teil 2, S. 12.

370

Bergisch-Märkische Bahn§ 26 des Statuts.

371

Bergisch-Märkische Bahn § 27 des Statuts.

Oberschlesische Bahn § 9; Niederschlesisch-Märkisc.he Bahn § 26; Köln-Minden § 16 Nr. IV; Bei der Bergisch-Märkischen Bahn findet sich eine derartige Bestimmung angesichts der ausgeschlossenen Amortistion nicht. 372

373

Berechnung bei BesseVK.ühlwetter, Teil 2, S. 6.

374

BesseVK.ühlwetter, Teil 2, S. 6.

92

Erster Abschnitt: Die Gründung

4. Für den Fall, daß der Staat für drei aufeinander folgende Jahre Zinszuschüsse leisten mußte (bei der Köln-Mindener Bahn betrug die Frist fünf Jahrem) oder in einem Jahr einen Zuschuß von mehr als 1 %des Aktienkapitals (1,5% bei der Köln-Mindener Bahn376), hatte er das Recht, die Verwaltung der Gesellschaft zu übernehmen. Er war daraufhin verpflichtet, Rechnung zu legen und den Gewinn nach den Gesellschaftsstatuten an die Aktionäre zu verteilen377• Die Zinsgarantie in Höhe von 3,5 % blieb bestehen. Der Staat übernahm in solchen Fällen die Verwaltung im eigenen Namen für fremde Rechnung. Seine Stellung entsprach der eines Kommissionärs378. Die Übernahme der Verwaltung hatte jedoch zunächst nur vorübergehenden Charakter. Ergab sich nämlich im Verlauf von drei Jahren in Folge ein Reinertrag von mehr als 3,5 %, so war die Gesellschaft berechtigt, die Verwaltung wieder zu übernehmen. 5. Der Staat nahm Einfluß auf die einzelnen Gremien der Gesellschaft. In der Generalversammlung wurde er durch einen von ihm bestellten Kommissar vertreten, der das Stimmrecht für die im Staatsbesitz befindlichen Aktien ausübte. Die Höhe des Stimmrechts belief sich auf 116 der Stimmen der übrigen anwesenden Aktionäre379. Je mehr Aktien amortisiert wurden, um so größer wurde der Stimmenanteil des Staates. Bei der Bergisch-Märkischen Bahn verringerte sich das Stimmengewicht des Staates dagegen von dem Zeitpunkt an, an dem die Gesellschaft den staatlichen Aktienteil zu übernehmen begann380. 6. Ein Mitglied der Direktion und sein Stellvertreter wurden vom Staat bestimme81. Bei der Niederschlesisch-Märkischen Bahn handelte es sich dabei um den Vorsitzenden der Direktion382. Bei der Köln-Mindener und derBergisch-Märkischen Bahn bestimmte das Finanzministerium aus der Mitte der

31s

Köln-Minden § 76.

Köln-Minden § 76. Oberschlesische Bahn§ 22; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 14; Köln-Minden § 76. 378 Endemann, S. 22; v. Rönne, Pr.St.R. § 467 (S. 463, Fn.l). 376 377

Oberschlesische Bahn§ 17; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 41; Köln-Minden § 35; Dergiseh-Märkische Bahn§ 68, der Stimmenanteil betrug hier 114. 379

Dergiseh-Märkische Bahn § 68. Oberschlesische Bahn§ 18; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 57; Köln-Minden § 60; Dergiseh-Märkische Bahn§ 39. 380 381

382

Niederschlesisch-Märkische Bahn § 62.

2. Teil: Staatsbahnen

93

von der Generalversammlung gewählten Verwaltungsratsmitglieder den Vorsitzenden383• 7. Die Bestellung des "Spezialdirektors", der höheren Beamten und des Hauptkassierers bedurfte der Zustimmung des Finanzministers. Er konnte die Vorschläge der Verwaltung ohne Angabe von Gründen ablehnen und eine eigene Wahl treffen. Die Besoldung und die Entlassungsbedingungen dieser Beamten bedurften ebenfalls einer Zustimmung des Finanzministeriums384• Eine Besonderheit gegenüber Statuten von Gesellschaften ohne staatliche Beteiligung stellte es dar, daß die garantierten Eisenbahnaktien für Mündelund Depositalvermögen zugelassen waren. Dies wurde durch Allerhöchste Kabinettsordre vom 22. Dezember 1843 bestimme85• Die Erklärung der Mündelsicherheit führte zu einem Aufschwung der Spekulation mit Eisenbahnaktien, da in Preußen ein Mangel an geeigneten Anlagemöglichkeiten für Pupillen- und Mündelgelder herrschte386• Durch Allerhöchsten Erlaß vom 29. Dezember 1851 387 wurde die Mündelsicherheit auch auf die inzwischen auf Staatskosten gebauten Bahnen ausgedehne88•

6. Die Auswirkungen der staatlichen Fördermaßnahmen Im Jahre 1844 gewährte der Staat Zinsgarantien für ein Kapital von insgesamt 26,65 Millionen Talem389• Bis Ende 1847 erhöhte sich diese Summe auf 31,5 Millionen Taler. Unterstützt wurden auf diese Weise zunächst insgesamt acht Eisenbahngesellschaften. Neben den in der Denkschrift genannten Strecken handelte es sich um die Linien Köln-Herbesthai und Elberfeld-Dortmund. Insgesamt hatten zu diesem Zeitpunkt 27 Bahngesellschaften mit einem Anlagekapital von 156 Millionen Talern und einem Streckennetz von 3.200 km eine Konzession erhalten.

Köln-Minden §51; Bergisch-Märkische Bahn§ 55. Oberschlesische Bahn§ 20; Niederschlesisch-Märkische Bahn§ 71; Köln-Minden § 75; Bergisch-Märkische Bahn § 63. 385 GS 1844, S. 45; Es handelt sich dabei um eine Ausdehnung der AKO vom 3.5.1821 bzgl. Annahme v. Staatsschuldscheinen auf Eisenbahnaktien. 383

384

386 387 388

389

Bössehnann, S. 21. GS 1852, S. 34. Schwarz u. Strotz, S. 579. Fleck, AfE 1897, S. 1096.

94

Erster Abschnitt: Die Gründung

Neben der Zinsgarantie wurden Aktien mit einem Nominalwert von 6,16 Millionen Talern übernommen390. Die Finanzierung des Aktienerwerbs erfolgte zum einen aus dem Eisenbahnkapitalfonds in Höhe von 6 Millionen Talern und zum anderen aus dem erwähnten Legat Friedrich Wilhelms N. Aus der Zinsgarantie in Anspruch genommen wurde der Staat nur in wenigen Fällen, so daß sich die anfangliehe Angst vor Belastungen für den Staatshaushalt bald als unbegründet herausstellte. Zu einer Übernahme der Verwaltung führte die staatliche Zinsgarantie zunächst nur bei der NiederschlesischMärkischen, der Bergisch-Märkischen und der Stargard-Posener Eisenbahngesellschaft391. Die Niederschlesisch-Märkische Eisenbahngesellschaft geriet im Jahre 1848 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Staat mußte seiner Zinsgarantie nachkommen, wobei die Höhe des Zuschusses 1 % des Aktienkapitals überstieg. Nach § 14 des Statuts der Gesellschaft war damit die Voraussetzung für eine Übernahme der Verwaltung gegeben. Die Staatsregierung machte von ihrem Recht zunächst keinen Gebrauch, sondern beschränkte sich auf eine Überwachung der Geschäftsführung. Als dieses Vorgehen im Laufe des Jahres 1849 zu keiner Verbesserung führte, machte die Staatsregierung am 1. Januar 1850 von ihrem Recht Gebrauch und setzte eine königliche Eisenbahnbehörde ein, die die Verwaltung der Gesellschaft übemahm.392. Die Gesellschaft setzte sich gegen dieses Vorgehen mit einer Besitzstörungsklage zur Wehr, die in erster Instanz abgewiesen wurde. Da die Staatsverwaltung zu einer Verbesserung der Betriebsergebnisse führte und der Ausgang des Rechtsstreits offen war, entschloß sich die Gesellschaft, eine gütliche Einigung mit der Staatsregierung anzustreben. Sie bot dem Staat die Veräußerung des Gesellschaftsvermögens an, sofern er sich zu einer Verzinsung der sich im Privatbesitz befindenden Aktien in Höhe von 4 % entschloß393. Durch Gesetz vom 31. März 1852 wurden die Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, sowie der Finanzminister ermächtigt, einen entsprechenden Vertrag mit der Gesellschaft zu schließen394.

390 Steitz, S. 84. 391 Bessel/Kühlwetter,Teil 2, S. 11. 392 Fleck, AfE 1901, S. 771. 393 Fleck, AfE 1901, S. 772. 394 GS 1852, S. 89.

2. Teil: Staatsbahnen

95

Die vom Staat in die Statuten eingefügten Einflußrechte für den Fall der Inanspruchnahme der Zinsgarantie hatten sich bei dieser - mit einer Länge von ca. 385 km nicht unbedeutenden Bahn - erstmals bewährt. Im Jahre 1851 ging auch die Stargard-Posener Eisenbahn aus ähnlichen Gründen in staatliche Verwaltung über. Diese Gesellschaft überließ die Verwaltung dem Staatjedoch freiwillig395 • Andere Gründe hatte die Übernahme der Verwaltung durch den Staat bei der Bergisch-Märkischen Eisenbahn. Ihr gelang es im Jahre 1848 nicht, eine für die Fertigstellung der Bahn benötigte Anleihe vollständig zu plazieren. Daraufhin erklärte sich die Seehandlung bereit, der Gesellschaft ein Darlehen zu gewähren und den Verkauf der Obligationen zu übernehmen. Im Gegenzug verlangte die Seehandlung, daß der Staat die Verwaltung der Gesellschaft übernahm. Die Aktionäre stimmten diesem Vorschlag zu, so daß im Jahre 1850 ein Betriebsüberlassungsvertrag geschlossen wurde396•

II. Der Eisenbahnbau auf Staatskosten 1. Die verfassungsrechtliche Situation Die angebotenen Finanzierungshilfen erwiesen sich bald als nicht ausreichend, um das für notwendig erachtete Eisenbahnnetz zu errichten. Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Zum einem kam es 1845 zu einer schweren Krise auf dem Kapitalmarkt. Die bis dahin für Eisenbahnaktien günstige Stimmung kehrte sich -wie bereits erwähne97- aufgrunddes Gesetzes vom 24. Mai 1844, mit dem die Aufforderung zur Aktienzeichnung von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht wurde, um. Die Kapitalanleger waren auf dieses Gesetz nicht vorbereitet gewesen. Hinzukam im Jahre 1846 eine Mißernte, die zu einem allgemeinen Preisanstieg und damit zu einer weiteren Belastung des Kapitalmarkts führte398• Der zweite Grund war, daß vor allem die geplante Ostbahn nach Königsberg durch wirtschaftlich rückständige Gebiete verlief und für Privatunternehmer nur einen geringen Gewinn erwarten ließ. Eine private Eisenbahngesellschaft kam daher gar nicht zustande.

395

Fleck, AfE 1901, S. 773.

396

Fleck, AfE 1901, S. 770.

397

Unter II., 1., a).

398

Fleck, AfE 1898, S. 669.

96

Erster Abschnitt: Die Gründung

Die Staatsregierung sah sich daher gezwungen, die Bahn nach Königsberg auf Staatskosten zu bauen. Mit den vorhandenen Staatsmitteln ließ sich der Bau von Staatsbahnen jedoch nicht finanzieren. Der durch Kabinetsordre vom 28. April 1843 gebildete Kapitalfonds reichte beispielsweise nicht einmal zur Finanzierung der gesamten Ostbahn aus. Bereits der Brückenbau bei Dirschau und Marlenburg erforderte mehr als 2 Millionen Tale~99 • Die Aufnahme einer Anleihe war nicht zu umgehen. Eine Genehmigung der "Reichsstände" nach dem Staatsschuldenedikt von 1820 wurde damit unausweichlich.

a) Der erste Vereinigte Landtag Die Staatsregierung entschloß sich deshalb, aus den Mitgliedern der Provinziallandtage einen "Vereinigten Landtag" zusammenzurufen. Dies geschah durch das Patent vom 3. Februar 1847 "die ständischen Einrichtungen betreffend"400. Die Zustimmung des Landtages zu einer Anleihe war zu erwarten, da sich die ständischen Ausschüsse von 1842 nur knapp gegen einen Staatsbau ausgesprochen hatten. Der Vereinigte Landtag trat Anfang April 1847 erstmals zusammen. Finanzminister v. Duesberg legte in einer Denkschrift eine königliche Botschaft vom 28. März 1847 vor, in der die Zustimmung zu einer Staatsanleihe für den Bau der Ostbahn erbeten wurde401 • Die Bahn sollte aus Gründen der Kostenersparnis zunächst in Driesen beginnen, wo ein Anschluß an die Bahnstrecke von Stettin nach Posen bestand. Die direkte Verbindung von Driesen über Küstrin nach Berlin sollte erst später ausgeführt werden402 • Das Baukapital wurde mit 26,6 Millionen Talern angesetzt, wobei die Verzinsung und Tilgung aus dem laufenden Eisenbahnfonds von jährlich 2 Millionen Talern erfolgen sollte. Die Denkschrift wies nach, daß beide Eisenbahnfonds, der laufende Fonds und der Kapitalfonds, zusammengenommen nicht nur der Inanspruchnahme durch Zinszahlung und Tilgung gewachsen waren, sondern daneben noch die Förderung anderer Bahnen zuließen. Der Eisenbahnfonds war bis 1847 noch nicht aus den übernommenen Zinsgarantien in Anspruch genommen worden403 •

399

Heck, AfE 1898, S. 671.

400

GS 1847, S. 33.

401

Abdruck der königlichen Botschaft und der Denkschrift bei Bleich, Teil 1, S.

65 ff.

Denkschrift v. Duesberg bei Bleich, Teil1, S. 77 u., S. 79. Denkschrift v. Duesberg bei Bleich, Teil 1, S. 73; Heck, AfE 1897, S. 1096 u. 1898, s. 673. 402

403

2. Teil: Staatsbahnen

97

Die zweite Abteilung des Landtags erstellte ein Gutachten zu der in der königlieben Botschaft beantragten Ausführung der Ostbahn mittels einer Anleihe. Die Frage nach der Kompetenz des Landtages, über die Bewilligung einer Anleihe zu entscheiden, wurde in dem Gutachten ausdrücklich ausgeklammert404. Die Notwendigkeit der Herstellung der Ostbahn wurde bejabt405 • Man sprach sich für den Bau auf Staatskosten aus, da der Bau angesichts seiner Bedeutung für den Staat nicht von der Bildung einer Aktiengesellschaft abhängig gemacht werden sollte406• Trotz Bedenken wegen des angespannten Kapitalmarktes wurde daher im Ergebnis auch die Aufnahme der vorgeschlagenen Anleihe befürwortet407 • Dennoch lehnte der Vereinigte Landtag nach Abschluß der Debatte über den Bericht der zweiten Abteilung durch Beschluß vom 8. Juni 1847 mit einer Mehrheit von 360 zu 179 Stimmen die Aufnahme einer Anleihe ab408• In der darauf folgenden Sitzung am 9. Juni 1847 beschloß die Versammlung, den König zu bitten, wegen der Ausführung der großen Ostbahn dem nächsten Vereinigten Landtag eine "allerhöchste Proposition" vorzulegen und die begonnenen Arbeiten bis dahin in geeigneter Weise fortzusetzen409 • Der Vereinigte Landtag forderte in seinem an den König gerichteten Abschlußgutachten410 als Voraussetzung für die Zustimmung zu einer Anleihe Einsicht in den Staatshaushalt und dessen Kontrolle im Rahmen einer regelmäßigen Einberufung. Gegen die Eisenbahnanleihe wurden die gleichen Bedenken, wie gegen jede andere Staatsanleihe vorgebracht. Es fehle ebenso eine "gründliche Kenntnis des gesamten Staatshaushalts" wie eine Kontrolle der gesamten Ein- und Ausgaben des Staats. Es bestehe daher keine Möglichkeit, über die Notwendigkeit einer Anleihe zu entscheiden. Ebenso sei es unsicher, ob der Vereinigte Landtag die Verwendung der Anleihe kontrollieren könne, da seine periodische Einberufung nicht gesichert sei411 . Als weiterer Ablehnungsgrund wurde angeführt, daß nicht gesichert sei, ob der Eisenbahnfonds für die Zinszahlung ausreichen werde. Zudem wurde die

404

Bleich, Teil3, S. 1438.

405

Bleich, Teil3,S. 1439. Bleich, Teil3, S. 1443.

406 407

Bleich, Teil3, S. 1447.

408

Schwarz u. Strutz, S. 582. Bleich, Teil 3, S. 1542. Bleich, Teil4, S. 2338 ff.

409

410 411

Bleich, Teil4, S. 2339.

7 Bracht

98

Erster Abschnitt: Die Gründung

Befürchtung geäußert, eine Staatsanleihe werde auf dem Geldmarkt zu Schwierigkeiten führen412• Die zusätzlichen Ablehnungsgründe ließen sich allgemein gegen jeden Eisenbahnbau auf Staatskosten vorbringen. Entscheidend für das Scheitern des Königlichen Antrages waren die verfassungsrechtlichen Gründe. Die Bisenbahnanleihe wurde nicht aus grundsätzlichen Bedenken gegen den Bau auf Staatskosten oder aus mangelnder Einsicht in die Notwendigkeit des Bahnprojekts abgelehnt. Es ging allein um das prinzipielle Bestreben des Vereinigten Landtags, größeren Einfluß durch eine wirksame Kontrolle des Haushalts und das Zugeständnis regelmäßiger Einberufung zu gewinnen. Da die Regierung hierzu nicht bereit war, kam es trotzunbestrittener Notwendigkeit des Projekts zur Ablehnung der Anleihe. b) Das weitere Vorgehen der Staatsregierung

Da die Staatsregierung die Ostbahn für unverzichtbar hielt und bereits entsprechend einer Kabinetsorder vom 22. Februar 1845 mit ersten Vorarbeiten zwischen Elbing und Königsberg aus Mitteln des Eisenbahnfonds begonnen hatte, entschloß sie sich nun, die gesamte Strecke mit den vorhandenen Mitteln zu bauen413 • Aus der Denkschrift des Finanzministers ergab sich jedoch, daß der Bau in diesem Fall insgesamt 18 1/4 Jahre dauern würde414• Selbst diese Frist erwies sich als theoretisch, da sie nur bei Verwendung der gesamten Mittel des Eisenbahnfonds einzuhalten war. Es mußten jedoch noch andere Bahnprojekte finanziert werden. Im Saargebiet ließ sich der Bau einer Verbindungsbahn zwischen der Bayerischen Grenze bei Wellesweiler über Neunkirchen und Saarbrücken bis zur französischen Grenze nicht länger aufgeschieben, da in Bayern und Frankreich bereits an den Anschlußbahnen gebaut wurde. Zudem ließ die Anhindung des Saargebietes eine Förderung des dortigen Industriegebietes, dessen Kohlegruben sich weitgehend im Besitz des preußischen Staats befanden, erwarten415• Die Kabinettsorder vom 28. November 1847 bestimmte die vorrangige Ausführung dieser mit 36,4 km Länge relativ kurzen Strecke mit Mitteln des Eisenbahnfonds416• Darüberhinaus sollten die Erträge der saarländischen Koh-

412

Bleich, Teil4, S. 2339.

413

Heck, AfE 1898, S. 670.

414

Denkschrift v. Ducsberg bei Bleich, Teil1, S. 77 u., S. 79.

415

Henderson, S. 149.

416

Schwarz u. Strutz, S. 585.

2. Teil: Staatsbahnen

99

legruhen zur Finanzierung herangezogen werden417 • Folglich verzögerte sich der Bau der Ostbahn. König Friedrich Wilhelm IV. war zudem über die Ablehnung der Anleihe so erbost, daß er Finanzminister v. Duesberg befahl, die Brückenbauarbeiten bei Dirschau und Marlenburg einzustellen418 • Die verfassungsrechtliche Situation, die durch das Staatsschuldenedikt von 1820 geschaffen worden war, bremste damit den Bau von Staatsbahnen in Preußen, während in anderen Ländern, wie z.B. im Königreich Hannover und in Baden fast ausschließlich Staatsbahnprojekte in Angriff genommen und die erforderlichen Mittel bewilligt wurden. Den Ausweg aus dieser Situation brachten die politischen Veränderungen des Jahres 1848. 2. Die Verstaatlichungspläne des Ministeriums v. Auerswald/Hansemann Das Ministerium Auerswald/Hansemann entwickelte während seiner nur 10wöchigen Regierungszeit419 auf Betreiben von David Hansemann, der die Position des Finanzministers bekleidete, einen Plan zur Verstaatlichung der Eisenbahnen. Es wurde ein Gesetzentwurf "über die Erwerbung der von Aktiengesellschaften gebauten oder noch im Bau begriffenen Eisenbahnen und die Beschaffung der dazu sowie zur Herstellung einiger anderer Eisenbahnen, namentlich der Ostbahn, erforderlichen Geldmittel" erstellt420• Neben der Ostbahn ging es vor allem um die Saarbrücker Bahn, sowie die Berliner Verbindungsbahn421 • Der Kreditbedarf, um die Eisenbahnen allmählich in Staatseigentum zu überführen und den weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes zu fordern, wurde mit 50 Millionen Talern ermittelt422• Zunächst wurden Untersuchungen angestellt, wie die Verstaatlichung der Eisenbahnen am schnellsten erreicht werden konnte. Dabei wurde eine Enteignung, da zu gravierend in das Privateigentum eingreifend, als ungeeignet verworfen. Die Verwendung der Einnahmen aus einer Eisenbahnabgabe oder der

417

Fleck, AfE 1899, S. 257.

418

Fleck, AfE 1898, S. 678.

419

Vom 25.Juni bis Mitte September 1848. GStA Rep.77 Titel258 Nr.1 Vol.III Bl.91; AfE 1880, S. 142.

420 421 422

AfE 1880, s. 145.

AfE 1880, s. 142.

100

Erster Abschnitt: Die Gründung

Beteiligung an Bahngesellschaften aufgrund der Kabinettsorder vom 22. November 1842 sah man als zu langwierig an423• Vorgeschlagen wurde, daß der Staat mit dem Erwerb des Eigentums an Privateisenbahnen beginnen müsse. Zu diesem Zweck sollten jedoch nicht einzelne Aktien an den Börsen erworben, sondern die interessierten Gesellschaften zu einer Selbstauflösung bewogen werden. § 1 des Gesetzes lautete daher: "Die Minister der Finanzen und des Handels werden ermächtigt, von Eisenbahngesellschaften, die sich auflösen und bereit sind, ihr Unternehmen zu angemessenen Bedingungen an den Staat abzutreten, sowohl vollendete als auch im Bau befindliche Eisenbahnen zu übernehmen."

Von den Gesellschaften begebene Anleihen sollte der Staat als Schuldner übernehmen, der zudem die Stammaktionäre abzufinden hätte424• Die erforderlichen 50 Millionen Taler sollten nach § 2 des Gesetzes wie folgt aufgebracht werden: a) eine Summe von 10 Millionen Talern durch Ausgabe von Domänenschuldscheinen, b) 30 Millionen durch die Begebung einer mit vier Prozent zu verzinsenden Staatseisenbahnobligation und 10 Millionen Taler durch die Emission unverzinslicher Eisenbahnkassenscheine. Begründet wurde der Entwurf mit Vorteilen für das Gesamtwohl, wenn alle Bahnen zu einer organischen Einheit verbunden würden. Durch die Vereinfachung und Zusammenfassung der Verwaltung seien bedeutende Einsparungen zu erzielen, und zudem könnte der Staat durch Tarifsenkungen den Verkehr fördern425 • Damit lag zum ersten Mal ein Plan zur Verstaatlichung von Eisenbahnen vor, der aufgrundder politische Ereignisse in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1848 und dem Rücktritt des Ministeriums Auerswald allerdings nicht zur Ausführung kam. An der Mitwirkung der Nationalversammlung bei Aufnahme der Anleihe bestanden im Gegensatz zum Vorjahr jedoch keine Zweifel mehr.

423 424 425

Affi 1880, s. 144. Affi 1880, s. 145. Affi 1880, s. 147.

2. Teil: Staatsbahnen

101

3. Der Aufschwung für den Staatsbahnbau nach 1848 Durch die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848426 wurde ein Zweikammersystem eingeführt. Nach Art. 60 der Verfassung übten beide Kammern zusammen mit dem König die gesetzgebende Gewalt aus. Die Mitglieder der ersten Kammer wurden nach Art. 63 von den Provinzial-, Bezirks- und Kreisvertretern gewählt, während die Abgeordneten der zweiten Kammer gemäß Art. 68, 69 durch vom Volk gewählte Wahlmänner bestimmt wurden. Die Aufnahme von Anleihen bedurfte nach Art. 102 der Verfassung eines Gesetzes. Dasselbe galt für die Übernahme von Garantien durch den Staat. Art. 102 löste auch die Streitfrage aus den Sitzungen der Vereinigten Ausschüsse von 1842, ob die Übernahme einer Zinsgarantie der Begebung einer Anleihe gleichzustellen sei. Nach Art. 60 war nun zu jedem Gesetz die Zustimmung beider Kammern und des Königs erforderlich. Die 1815 versprochene Repräsentation des Volkes war damit endlich geschaffen worden. Die revidierte Verfassung vom 31. Januar 1850427 änderte an der geschaffenen Verfassungslage insoweit nichts. Die Beteiligung der Kammern an der Gesetzgebung war nun in Art. 62 geregelt. Die Notwendigkeit eines Gesetzes für die Aufnahme von Anleihen und die Übernahme von Zinsgarantien ergab sich aus Art. 103. Bereits im Jahr 1849 schlug die Regierung den Kammern durch die neuen Minister für Handel v.d. Heydt und Finanzen v. Rabe die Aufnahme einer Anleibe in Höhe von 21 Millionen Talern vor. Zusammen mit den Mitteln des Eisenbahnfonds sollte sie der Finanzierung der Ostbahn, der Saarbrücker Bahn und der Verbindungsbahn von Köln über Minden nach Thüringen dienen. Die Kammern stimmten dem Vorschlag zu, der mit Datum vom 7. Dezember 1849 Gesetz wurde428 • Die Kommission der II. Kammer sprach sieb darüberhinaus dafür aus, den Übergang sämtlicher Eisenbahnen in Staatsbesitz anzustreben429 • Nach der Aufnahme dieser ersten Anleihe bemühte sich die Staatsregierung, die Mittel für die Beteiligung an Privatbahnen ohne erneute Kreditaufnahme aufzubringen. Sie knüpfte an die Vorschläge des Ministers Hansemann aus dem Jahre 1848 an, der die Einführung einer Eisenbahnabgabe vorgeschlagen hatte.

426

GS 1848, S. 375.

427

GS 1850, S. 17ff.

428

GS 1849, S. 437.

429

Schwarz u. Strutz, S. 583f.

102

Erster Abschnitt: Die Gründung

§ 38 Eisenbahngesetz sah die Einführung einer Abgabe auf Eisenbahnen vor, die jedoch erst erhoben werden sollte, wenn die zweite konzessionierte Bahn mindestens drei Jahre in Betrieb gewesen war. Die Einnahmen aus einer solchen Abgabe durften nach § 39 Eisenbahngesetz ausschließlieb dem Ausgleich der Einnahmeverluste der Staatskasse durch die Eisenbahnen sowie der Amortisation des Aktienkapitals dienen.

Eine derartige Abgabe war bislang nicht eingeführt worden, obwohl die in § 38 Eisenbahngesetz vorgeschriebene Frist bereits im August 1843 abgelaufen war , als die Ma:gdeburg-Leipziger Eisenbahn die vorgeschriebene Betriebsdauer von drei Jahren hinter sieb hatte. Das Staatsministerium hatte jedoch mit einer Eingabe vom 30. Juli 1843 an den König beantragt, von der Einführung der Abgabe vorläufig noch Abstand zu nehmen und sie in eine allgemeine Revision des Eisenbahngesetzes einzubezieben430• Um die Lücke zu schließen, wurde das Gesetz, "die von den Eisenbahnen zu entrichtende Abgabe betreffend" (Eisenbahnabgabegesetz) vom 30. Mai 1853 erlassen431 • § 39 Eisenbahngesetz entsprechend, bestimmte § 6 des Eisenbahnabgabegesetzes, daß aus den Mitteln der Eisenbahnabgabe das Aktienkapital von Privatbahnen zu amortisieren sei. Es sollten Stammaktien im freien Verkehr erworben und die auf diese Aktien entfallenden Zinsen und Dividenden gleichfalls zur Amortisation verwendet werden.

In dem Jahrzehnt nach 1850 verstärkte das Staatsministerium seine Absichten, den Eisenbahnbau auf Staatskosten zu forcieren und bereits bestehende Bahnen zu übernehmen. Wie bereits erwähnt, übernahm der Staat im Jahre 1850 die Verwaltung der Bergiscb-Märkischen Bahn432• Die NiederscblesiscbMärkiscbe Bahn wurde durch Gesetz vom 31. März 1852 in staatliches Eigentum überführt433 • Das gleiche gilt für die Münster-Hammer Bahn. Die Beteiligung des Staates an den Privatgesellschaften ließ die Befürchtung aufkommen, die Regierung wolle alle Privatbahnen beseitigen. Beschorner meinte in seiner Bearbeitung des Eisenbahnrechts aus dem Jahre 1858, die Regierung bemühe sieb ohne "besondere Pressionen" möglichst viele Bahnen in Besitz zu nehmen434• Demgegenüber hatte die königliebe Eisenbahnbehörde in Köln schon im Jahre 1856, in der Kölnischen Zeitung vom 15. August 1856, 430

GStA Rep.89 Nr.29519 Vol.ill, 1843-1862.

431

GS 1853, S. 449.

432 433

Unter 1., 6. GS 1852, S. 89.

434

Beschomer, S. 17.

2. Teil: Staatsbahnen

103

aus Anlaß des Übergangs der Düsseldorf-Elberfelder auf die Bergisch-Märkische Eisenbahn, die sich im Besitz des Staats befand, erklärt, der Grund fiir den Zusammenschluß sei nicht die Absicht, Privatbahnen allmählich zu beseitigen, sondern es gehe allein um die Bedürfnisse des Verkehrs und den Vorteil der Aktionäre, der sich aus der Zusammenfassungzweier Bahnlinien ergebe435. Auf Staatskosten gebaut wurden in den Jahren nach 1850 unter anderem die Berliner Verbindungsbahn zwischen den einzelneo Stadtbahohöfen, die Westfälische Bahn von der Kurhessischeo Grenze über W arburg, Paderborn, Soest nach Hamm und die Bahn von Münster zum Anschluß an die Bahn nach Hanoover436. Weitere Anleihen zur Vollendung der Ostbahn437 , fiir die Strecke MünsterRheioe-Osnabrück438, fiir die Verbindung der Ostbahn mit Frankfurt/Oder, fiir die Strecke Driesen-Küstrio-Fraokfurt/0. und für die Strecke SaarbrückeoTrier-Luxemburg wurden in den Jahren 1855 und 1856 aufgelegt. 4. Der Rückgang des Staatsbahnbaus nach 1857 In der zweiten Hälfte der füofziger Jahre verlangsamte sich der Bahnbau erneut. Dies hing mit einer internationalen Wirtschaftskrise zusammen, die 1857 ganz Deutschland erfaßte. Im Anschluß hieran drängte um 1860 der preußische Verfassungskonflikt die Eisenbahnfrage in den Hiotergruo. Ähnlich wie bei einer Vormerkung nach heutigem BGB wurde er so vor zwischenzeitliehen Dispositionen des noch als Besitzer eingetragenen Verkäufers über das Grundstück geschützt. Einzutragen war die Protestation in die zweite Rubrik des Hypothekenbuchs.

94 Instruktion wegen Benachrichtigung der hypothekarischen Gläubiger bei Veräußerungen von Grundstücken vom 12. Juni 1835, Jahrbücher Bd.45 (1835), S. 510-512. 95

96 97

§§ 1, 2 der Instruktion vom 12. Juni 1835. § 5 der Instruktion vom 12. Juni 1835. § 7 der Instruktion vom 12. Juni 1835.

Rescript vom 2. November 1840, Justizministerialblatt 1840, S. 350. 99 Instruktion vom 1. Oktober 1839, bestätigt durch den Justizminister am 3. November 1839, Justizministerialblatt 1839, S. 365 ff. 98

100

§57 Teil2 AHO, § 5 der Instruktion, Bsp. bei Westermann, S. 239.

2. Teil: Der Grunderwerb durch freiwilligen Vertragsabschluß

129

Durch Rescript des Justizministers vom 8. Februar 1834101 wurde angeordnet, daß der Hypothekenrichter die Protestation auch ohne Antrag von Amts wegen einzutragen hatte. Etwas anderes galt nur, wenn der Käufer ausdrücklich die Eintragung ablehnte102• Mit der Eintragung sollten mögliche Verwicklungen von Anfang an verhindert werden. Komplizierter war das Verfahren, wenn der Verkäufer nicht als Besitzer im Hypothekenbuch eingetragen war. Nach der Kabinettsorder vom 31. Oktober 1831 war er zu einer solchen Eintragung nicht verpflichtet. In diesem Fall konnte keine Protestation eingetragen werden. Es bedurfte vielmehr einer vorherigen Eintragung des Verkäufers, einschließlich aller Vorbesitzer, wenn diese ebenfalls nicht im Hypothekenbuch erfaßt waren103. Andernfalls wäre eine Lücke eingetreten, so daß der letzte Besitzer sein Eigentum von einem nicht eingetragenen Vorbesitzer hätte ableiten müssen. Die Kosten des Verfahrens trug der letzte Besitzer unter Vorbehalt des Regresses 104. Im Jahre 1845 wurde für diesen Fall eine gesetzliche Erleichterung eingeführt, die es erlaubte, die nicht eingetragenen ehemaligen Besitzer zu präkludieren105. Unverzichtbar blieb die Eintragung des Verkäufers. Um das Regulativ zwischen den Kaufvertragsparteien und den Realberechtigten zu vereinbaren, hatte der Hypothekenrichter nach dem Rescript vom 8. Februar 1834 die Beteiligten vorzuladen, ihnen die Eineeichung ihrer Dokumente aufzugeben und von den Realberechtigten Erklärungen zu folgenden Punkten zu verlangen: 1. ob sie bereit waren, auf ihr Recht an dem abgetrennten Grundstücksteil zu verzichten, 2. die unveränderte Übertragung ihrer Rechte auf die abgetrennte Parzelle verlangten, oder 3. ob sie eine Verteilung mit der Beibehaltung oder Aufbebung der solidarischen Verpflichtung gemäߧ§ 467 f. Titel20 Teil1 ALR verlangten. Äußerte sich ein Realberechtigter nicht, so wurde angenommen, daß er eine Übertragung seines Rechts auf die abgetrennte Parzelle verlangte. Nach Maßgabe der abgegebenen Erklärungen waren dann die Abschreibung der Parzelle 101 Rescript über das Verfahren der Dismembrationen von Gütern, Jahrbücher Bd. 43, s. 108, 109-lll. 102

Kabinettsorder vom 2. Juni 1834.

103 Rescript vom 30. April1834, Jahrbücher Bd.44, S. 406 f. 104 Rescript vom 30. April1834, Jahrbücher Bd.44, S. 406 f. 105 Gesetz vom 7. März 1845, GS 1845, S. 160 ff. 9 Bracht

130

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

und die Verteilung der Realrechte vorzunehmen 106• Einzubeziehen waren nach § 443 Teilt Titel 20 ALR nur die Realgläubiger, deren Recht bereits vor Abtrennung und Übereignung der Parzelle bestanden hatte, da nur sie eine Sicherung durch das ungeteilte Grundstück erlangt hatten 107• Verhindem konnten die Realgläubiger eine Veräußerung damit nicht. Dies ergab sich bereits aus einem Edikt vom 9. Oktober 1807 108• § 4 dieses Edikts lautete: "Die Besitzer an sich veräußerlicher städtischer und ländlicher Grundstücke aller Art, sind nach erfolgter Anzeige bei der Landespolizeibehörde, unter Vorbehalt der Rechte der Realgläubiger.., zur Trennung der...Pertinenzien sowie überhaupt zur theilweisen Veräußerung ... berechtigt."

Polizeiobrigkeit war in den betroffenen Kreisen der Landrat. Denselben Inhalt hatte§ 1 des Landeskulturedikts vom 14. September 1811 109• Beide Edikte modifizierten insofern die Regelung des § 91 Titel 2 AH0 110• Die Verfahrenserleichterung, die das Rescript vom 8. Februar 1834 einführte, kam für Eisenbahngesellschaften jedoch nicht in Betracht. Da das Grundstück für die Anlegung der Bahnstrecke dem Wirtschaftsverkehr praktisch auf Dauer entzogen wurde, war eine Übernahme von Hypothekenschulden nicht sinnvoll. Die Eisenbahngesellschaften mußten sich um einen lastenfreien Eigentumsübergang bemühen. Die Verzichtserklärung der Hypothekengläubiger war daher nicht entbehrlich. Zahlte die Eisenbahngesellschaft als Parzellenerwerberio den Kaufpreis, bevor die Verhältnisse der Realgläubiger geregelt waren, so bestand die Gefahr, daß sie von den Hypothekengläubigem nach § 11 Titel 3 Teil 2 der Allgemeinen Gerichtsordnung aus dem Realrecht in Anspruch genommen wurde. Auf § 9 der Instruktion. § 443: "Das dingliche Recht des Hypothekengläubigers erstreckt sich auf das ganze Grundstück, und alle zur Zeit der Eintragung dabey befmdlichen Pertinenzstücke; bestätigt durch Rescript vom 6.8.1840, Justizministerialblatt 1840, S. 279 und Rescript vom 25. Dezember 1840, Justizministerialblatt 1841, S. 29. 108 Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums, sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend, OS 1807, S. 170 ff. 106 107

109 Edikt zur Beförderung der Landeskultur vom 14.9.1811, OS 1811, S. 300, § 1 lautete: ... (wir) setzen fest, daß jeder Grundbesitzer ohne Ausnahme befugt sein soll, über seine Grundstücke insofern frei zu verfügen, als nicht Rechte, welche Dritten darauf zustehen und aus... , Schuldverpflichtungen, Servituten und dergleichen herrühren, dadurch verletzt werden. Demgemäß kann mit Ausnahme dieser Fälle, jeder Grundeigentümer sein Gut oder seinen Hof durch Ankauf oder Verkauf... willkürlich vergrößern oder verkleinem... ".

110

So ausdrücklich in dem Rescript vom 24.12.1832, Jahrbücher Bd.40, S. 471 f.

2. Teil: Der GrundeiWerb durch freiwilligen Vertragsabschluß

131

dieses Risiko war die Etwerberin von den Richtern und Notaren von Amts wegen hinzuweisen111 • War das Hauptgut infolge der gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzung ein mit einer Rentenzahlung oder anderen Abgaben belasteter Bauernhof, so mußte das Regulativ zwischen dem anspruchsberechtigten Gutsherrn, dem Besitzer des belasteten Hofes und dem Parzellenetwerber getroffen werden112• Kam eine Einigung nicht zustande, sondern wurde eine Verteilung oder Aufhebung der Abgaben nach§ 28 des Edikts vom 14. September 1811 113 verlangt, so war die Entscheidung von der Generalkommission zu treffen. Verlangte die Eisenbahngesellschaft als Erwerbeein die sofortige Abschreibung ihrer Parzelle, so mußte sie sich gefallen lassen, daß bis zu einer Entscheidung über die Verteilung die gesamte Abgabenlast auf die Parzelle übertragen wurde114• Nach erfolgter Einigung gemäß § 91 Titel 2 AHO konnte die Abschreibung des Grundstückteils gemäß § 36 Titel 1 AHO erfolgen. Für die abgeschriebene Parzelle mußte gemäß § 37 Titel 1 AHO ein neues Hypothekenblatt angelegt oder sie mußte einem anderen Grundstück zugeschrieben werden. Das Gesetz über die Teilung von Grundstücken und die Gründung neuer Ansiedlungen vom 3. Januar 1845ttS änderte an den Verfahrensvorschriften nichts. Eine Abschreibung der abgetrennten Parzelle im Hypothekenbuch durfte nach § 7 Nr. 2 dieses Gesetzes, wie nach der bisherigen Rechtslage, erst erfolgen, nachdem zuvor gemäߧ 91 Titel2 AHO vor dem Hypothekenrichter über das Regulativ verhandelt worden war. Für die Veräußerung kleiner Grundstücke führte das Gesetz vom 3. März 1850116 Erleichterungen ein. Nach § 1 dieses Gesetzes konnte eine Veräußerung ohne Einwilligung der Realgläubiger erfolgen, wenn von den zuständigen Behörden 111 bescheinigt wurde, daß die Veräußerung für die Gläubiger unschädlich war. Ein derartiges Unschädlichkeitszeugnis durfte nach § 2 des Gesetzes nur erteilt werden, wenn das abgetrennte Grundstück gegenüber dem Hauptgrundstück nur von untergeordnetem Wert und Umfang war und der Kaufpreis den Wert des Trennstückes erreichte. Das veräußerte Trennstück

112

§ 11 der Instruktion des OLG Insterburg, Justizministerialblatt 1839, S. 365 ff. § 12 der Instruktion des OLG Insterburg aaO.

113

GS 1811, S. 300 ff.

111

114

Rescript 17. Juli 1834, Jahrbücher Bd.44, S. 131 f.

115

GS 1845, S. 25 ff.

116

Gesetz, betreffend den erleichterten Abverkauf kleiner Grundstücke, GS 1850,

s. 145.

117 Dies waren bei landschaftlich beliehenen Gütern die Kreditdirektionen, ansonsten die Auseinandersetzungsbehörden.

132

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

schied aus dem Realverband des Hauptgrundstückes aus, und das Kaufgeld trat zugunsten der Realgläubiger an die Stelle des abgetrennten Stücks 118•

b) Die nicht in das Hypothekenbuch eingetragenen Lasten Hinsichtlich nicht in das Hypothekenbuch eingetragener Interessen der Landespolizei, der Steuerverwaltung sowie öffentlicher und grundherrlicher Abgaben galten folgende Bestimmungen: Die Einzelheiten des Verfahrens wurden in einem Publikandorn vom 11. Januar 1827 festgelegt 119• Danach bestimmte es sich nach der jeweiligen Kreisverfassung, welche Lasten als Kreis- und Reallasten anzusehen waren. Ziel der Verteilung war es, die einzelnen Grundstücksteile im Verhältnis ihrer Größe gleichmäßig zu belasten. Die Aufteilung der landesherrlichen und der Reallasten des Kreises nahm der Landrat entweder selbst vor oder er überprüfte die Aufteilung nur, bevor sie von der Regierung vor der Absendung an die Gerichte genehmigt wurde120• Es war nicht erforderlich, mit dem Landrat eine Übereinkunft zu erzielen, da es bei der Teilung von Grundstücken nach dem bereits erwähnten§ 4 des Ediktes vom 9. Oktober 1807 121 nur einer Anzeige an den Landrat als Polizeibehörde bedurfte. Für die Aufteilung der auf dem Grundstück liegenden Abgabenbelastungen war die Regierung zuständig. Das Gericht konnte daher die Vorlage einer Bescheinigung des Landrates verlangen, aus der hervorgehen mußte, daß die Anzeige der beabsichtigten Abtrennung bei ihm eingegangen und von ihm an die Regierung weitergeleitet worden war122• Damit wurde den Anforderungen des § 4 des Ediktes vom 9. Oktober 1807 Genüge getan. Das Vorliegen einer Zustimmung der Landespolizeibehörde war für die Berichtigung des Besitztitels oder die gerichtliche Aufnahme des Kaufvertrages nicht erforderlich. Es genügte, daß die Polizeibehörde, d.h. der Landrat Kenntnis erlangte. Die Verteilung der öffentlichen Abgaben gehörte nicht zu den Aufgaben des Hypothekenrichters 123• Im Hinblick auf die nicht im Hypothekenbuch eingetragenen grundherrliehen Abgaben war die Ortsobrigkeit, einschließlich des betreffenden Domä118

§ 3 des Gesetzes vom 3.3.1850.

119

Potsdamer Amtsblatt 1827, S. 21, abgedruckt bei Westermann, S. 234.

120

Potsdamer Amtsblatt 1827, S. 21.

121

GS 1807, S. 170 ff.

122

Rescript vom 16.11.1830, Jahrbücher Bd.36, S. 293.

123

Rescript vom 20.1.1838, Jahrbücher Bd.51, S. 173 f.

2. Teil: Der Grunderwerb durch freiwilligen Vertragsabschluß

133

nenamtes, von der Aufteilung des Grundstücks in Kenntnis zu setzen. Die Einzelheiten hierzu ergaben sich aus § 1 des bereits erwähnten Publikandums vom 11. Januar 1827 124• Danach wurde es den Vertragsparteien überlassen, sich binsichtlich der Verteilung der grundherrliehen Lasten zu einigen. Der Grundherr mußte der Aufteilung zustimmen. Besaß ein Bauer Grundstücke von unterschiedlicher Qualität (Eigentum, Erbpacht, Zinsland, Lastzinswiesen etc.), so mußten die auf jedem einzelnen Grundstück ruhenden Lasten gesondert aufgeteilt werden. Es wurde daher empfohlen, in einem solchen Fall für jedes Grundstück gesonderte Verträge abzuschließen. Handelte es sich um Domänengrundstücke, so bedurfte es einer Genehmigung der Regierung. Die Domänenabgaben waren von den Domänenämtern aufzuteilen und anschließend der Regierung zur Genehmigung vorzulegenm. Bestätigt wurden die genannten Bestimmungen über nicht eingetragene Lasten und Abgaben durch das bereits mehrfach erwähnte Gesetz "betreffend die Zerteilung von Grundstücken und die Gründung neuer Ansiedelungen" vom 3. Januar 1845126• § 7 Nr. 1 des Gesetzes bestimmte, daß eine Abschreibung der abgetrennten Parzellen im Hypothekenbuche erst erfolgen durfte, nachdem alle öffentlichen Lasten endgültig oder zumindest vorübergehend verteilt worden waren. Nach § 8 des Gesetzes vom 3. Januar 1845 oblag die Regulierung der in§ 7 Nr. 1 bezeichneten Fälle dem Landrat und in den kreisfreien Städten dem Magistrat. Der Landrat konnte die Regulierungsverhandlungen der Ortsobrigkeit übertragen. Nach§ 19 des Gesetzes hatte die Behörde einen Plan zur Regulierung der in § 7 Nr. 1 genannten Verhältnisse zu entwerfen. Die Beteiligten waren anzuhören und der Plan anschließend der Regierung zur Genehmigung zu übersenden. Gegen die Entscheidung der Regierung war gemäß § 22 des Gesetzes vom 3. Januar 1845 der Rekurs an das Ministerium des Ionern zulässig. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Januar 1845 wurden durch das Änderungsgesetz vom 24. Februar 1850127 modifizert. § 2 des Änderungsgesetzes bestimmte, daß die Abschreibung des Trennstücks im Hypothekenbuch und die Übertragung auf ein anderes Folium nicht mehr von der in § 7 Nr. 1 des Gesetzes vom 3. Januar 1845 vorgesehenen vorherigen Verteilung der öffent-

125

Potsdamer Amtsblatt 1827, S. 21. Potsdamer Amtsblatt 1827, S. 21.

126

GS 1845, S. 25 ff.

127

GS 1850, S. 68.

124

134

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Iichen Lasten abhing. Nach§ 3 des Änderungsgesetzes waren die Kaufverträge von der Hypothekenbehörde unmittelbar an den Landrat weiterzuleiten. Der Landrat hatte die Regulierung von Amts wegen vorzunehmen. Die AbtrenDung der von der Eisenbahngesellschaft erworbenen Parzelle wurde damit beschleunigt Das Gesetz vom 3. Januar 1845 wurde im Jahre 1853 erneut abgeändert128• Die Bestimmung des§ 7 Nr. 1 blieb hinsichdich des Abschlußes von Kaufverträgen unverändert.

c) Zusammenfassung Zwischen dem Grundstückskäufer und den Realberechtigten mußte hinsichdich der im Hypothekenbuch eingetragenen Grundstückslasten eine Vereinbarung erzielt werden. Um dieses sogenannte Regulativ zustandezubringen, waren die Realberechtigten von Amts wegen zu benachrichtigen. Der Käufer konnte sein Eigentumsrecht durch Eintragung einer Protestation zwischenzeitlich vor unberechtigten Verfügungen des Verkäufers sichern. Die nicht im Grundbuch eingetragenen öffentlichen und grundherrliehen Lasten mußten ebenfalls aufgeteilt oder hinsichdich des erworbenen Grundstücksteiles vom Käufer abgelöst werden. Da der für die Eisenbahn abgetrennte Grundstücksteil praktisch dem Wirtschaftsverkehr entzogen wurde, war in jedem Fall ein lastenfreier Bigenturnsübergang anzustreben. Durch die Bestimmungen über die Beteiligung der Realberechtigten wurde damit erreicht. daß einerseits ihre Rechte nicht beeinträchtigt wurden und andererseits der Käufer vor einer späteren Inanspruchnahme seitens der Realberechtigten geschützt wurde.

4. Besonderheiten in der Rheinprovinz Im Bereich des Rheinischen Rechts konnte die Eisenbahngesellschaft, wie jeder andere Erwerber, den Kaufvertrag in die Hypothekenbücher übertragen lassen. Die Eintragung war erforderlich, damit eventuelle Gläubiger des Verkäufers keine Belastungen mehr auf das Grundstück eintragen lassen konnten. Zwar bestimmte Art. 2166 Rh.CGB, daß Pfand- und Vorzugsrechte nur solange auf

128

Durch Gesetz vom 24. Mai 1853, GS 1853, S. 241.

2. Teil: Der Grunderwerb durch freiwilligen Vertragsabschluß

135

einem Grundstück eingetragen werden konnten, wie der Schuldner noch Eigentümer war. Art. 834 Code de procedure verlängerte jedoch die Eintragungsfrist. Nicht eingetragene Hypothekengläubiger hatten nach der Übertragung des Kaufvertrages in das Hypothekenbuch 14 Tage Zeit, sich gegenüber dem Verkäufer als ihrem Schuldner im Hypothekenbuch eintragen zu lassen, obwohl dieser nicht mehr der Eigentümer war. Die Gläubiger, deren Grundpfandrechte im Hypothekenbuch eingetragen waren, konnten von dem Käufer verlangen, daß er die eingetragenen Schulden zuzüglich Zinsen und Kosten ablöste oder das Grundstück aufgab (Art 21662168 Rh.CGB). Nach Zustellung einer entsprechenden Aufforderung hatte der Käufer 30 Tage Zeit, sich zu entscheiden. Antwortete er nicht, so konnten die Gläubiger gemäß Art 2174 Rh.CGB die Versteigerung des Grundstücks einleitenl29. Entschied sich der Käufer für die Aufgabe des Grundstücks, so hatte er dies in der Kanzlei desjenigen Gerichts erster Instanz zu erklären, in dessen Bezirk das Grundstück lag (Art. 2174 Rh.CGB) 130• Der Käufer blieb bei Erklärung der Aufgabe bis zur Erteilung des Zuschlags im Rahmen der anschließenden Versteigerung Eigentümer der Liegenschaft131 . Wollte die Eisenbahngesellschaft das erworbene Grundstück von Grundpfandrechten befreien, so mußte sie entweder mit den Gläubigem und dem Verkäufer eine Einigung über den Kaufpreis erzielen oder das in Art. 2183 Rh.CGB vorgeschriebene sogenannte "Purgationsverfahren"132 einleiten. Das Purgations-oder "Hypothekenreinigungsverfahren" 133, vollzog sich wie folgt: Der Käufer mußte zunächst gemäß Art. 2181 RhCGB seinen Erwerbstitel im Hypothekenbuch eintragen lassen. Anschließend hatte er allen eingetragenen Gläubigem nach Art. 2183 Rh.CGB eine Übersicht über die auf dem Grundstück haftenden Lasten und einen Auszug aus dem Kaufvertrag zu übersenden134. Neben der genauen Bezeichnung des Grundstücks mußte der Auszug den Kaufpreis und den Wert der vom Käufer übernommen Grundstückslasten ausweisen. Gleichzeitig hatte der Käufer gemäß Art. 2184 Rh.CGB den Gläu-

130

Zachariä, Bd.2, § 287 (S. 222 f.). Zachariä, Bd.2, § 287 (S. 225).

131

Zachariä, Bd.2, § 287 (S. 225).

132

Zachariä, Bd.2, § 294 (S. 247).

129

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 25. 134 War der Käufer von einem Gläubiger bereits aufgefordert worden zu erklären, ob er seinen Anspruch befriedigen oder das Grundstück aufgeben wolle, so mußten die Unterlagen innerhalb einer Anschlußfrist von 30 Tagen allen Gläubigem zugestellt werden. 133

136

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

bigem zu erklären, daß er bereit sei, sämtliche auf dem Grundstück haftenden Lasten, unabhängig von ihrer Fälligkeit, sofort zu einem von ihm angegebenen Preis abzulösen. Die Gläubiger hatten die Wahl, das Angebot anzunehmen oder die öffentliche Versteigerung zu verlangen. Nahmen sie das Angebot an, so konnte die Gesellschaft den vereinbarten Kaufpreis zuzüglich Zinsen bei einer Bank deponieren und den Gläubigem hiervon Anzeige machen. Um die Verteilung des Kaufpreises mußte sie sich nicht kümmern. Das Grundstück ging gemäß Art. 2186 Rh.CGB frei von allen Grundpfandrechten auf die Eisenbahngesellschaft über. Die öffentliche Versteigerung konnte der Gläubiger nur unter der Bedingung verlangen, daß er: 1. die in Art. 2185 Rh.CGB bestimmte Frist einhielt,

2. für das Grundstück einen Preis anbot, der um mehr als 10% über dem Angebot des Käufers lag, 3. dem Käufer das Gebot und den Versteigerungsantrag mitteilte, und 4. einen oder mehrere Bürgen für die Erfüllung seines Gebots benannte. Eine Mißachtung dieser Vorschriften führte gemäß Art. 2185 Rh.CGB zur Nichtigkeit des Versteigerungsantrags und damit zum lastenfreien Übergang des Grundstücks auf den Käufer. Wurden die Voraussetzungen eingehalten, so wurde das Grundstück versteigert. Der Erwerber konnte eine Versteigerung dann nur noch verhindern, wenn er sämtliche eingetragenen Forderungen beglich oder nachwies, daß der von ihm zu zahlende Preis dazu ausreichte135• Der Ersteigecer mußte gemäß Art. 2188 Rh.CGB dem Käufer, wenn dieser den Zuschlag nicht erhielt, die Kosten des Kaufvertrags und alle übrigen durch das Purgalionsverfahren entstandenen Aufwendungen ersetzen. Um dennoch an das Grundstück zu gelangen blieb, der Eisenbahngesellschaft in diesem Fall nichts anderes übrig, als das Enteignungsverfahren einzuleiten136• Die Hypothekengläubiger, die bei der Verteilung des Kaufpreises übergangen wurden, konnten wie folgt vorgehen: Nach dem Rheinischen Civilgesetzbuch konnten sie das Grundstück zur Versteigerung bringen. Dies galt auch dann, wenn es sich bereits in der Hand der Eisenbahngesellschaft befand. Nach der Ansicht von Bessel/Kühlwetter erlosch dieses Recht jedoch im Moment der Betriebseröffnung der Bahn 137• Dem Gläubiger sollte dann lediglich analog

135 136 137

Zachariä, Bd.2, §294 (S. 256). Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 26. Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 27.

2. Teil: DerGrunderwerb durchfreiwilligen Vertragsabschluß

137

Art. 2169 Rh.CGB das Recht zustehen, die Gesellschaft aufzufordern, eine fällige Hypothekenforderung zu berichtigen oder den Gesamtwert des Grundstücks zu hinterlegen. Die Verteilung sollte dann vom Gericht vorgenommen werden 138• 5. Die Zahlung des Kaufpreises Der Kaufpreis für das erworbene Grundstück war nach § 221 Titel 11 Teil 1 ALR grundsätzlich bei Empfang der Sache zu entrichten 139• Hinsichtlich der Zahlung des Kaufpreises für Grundstücke, die nach § 8 Eisenbahngesetz enteignet werden konnten, verwies § 15 Eisenbahngesetz auf die Vorschriften über den Chausseebau. Anzuwenden war die bereits erwähnte Verordnung vom 8. August 183i40, die die Zahlung der Geldentschädigungen für Grundstücke regelte, die zum Bau von Chausseen abgetreten werden mußten. Zur Absicherung der Realgläubiger des Verkäufers durfte der Kaufpreis vom Käufer nicht ohne weiteres in voller Höhe an den Verkäufer ausgezahlt werden. An die Besitzer von Rittergütern konnte, sofern ihr Vermögen nicht mit einem offenen Arrest belegt war, der Kaufpreis ohne Nachweis ausgezahlt werden, sofern die Summe einen Betrag von 200 Talern nicht überstieg 141 • Lag die Summe darüber, so mußte der Rittergutsbesitzer ein Attest der Hypothekenbehörde beibringen, daß entweder alle Hypothekare der Auszahlung an ihn zugestimmt hatten oder, wenn dies nicht der Fall war, mit dem Geld der erste hypothekarische Gläubiger, der sein Einverständnis nicht erteilt hatte, befriedigt wurde. War das Grundstück mit einer Abgabeverpflichtung belastet, so mußte die Kaufsumme zu deren Ablösung verwandt werden 142• Für die übrigen Grundstücksbesitzer galten diese Bestimmungen ebenfalls. Bei ihnen bestand jedoch die Besonderheit, daß an sie lediglich ein Kaufpreis von maximal 10 Talern ohne weiteren Nachweis ausgezahlt werden durfte143 • Darüber hinaus war eine Auszahlung nur zugelassen, wenn nachgewiesen werden konnte, daß das Restgrundstück nach der Aufteilung bei Landgütern noch 138

BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 27.

§ 221: "Gegen Empfang der Sache ist der Käufer das Kaufgeld sofort zu erlegen schuldig, wenn nicht ein Andres im Vertrage verabredet worden." 139

140

GS 1832, S. 202 ff.

141

litt. c) Abs. 1 der Verordnung vom 8.8.1832.

142

litt. c) Abs. 2 der Verordnung vom 8.8.1832.

143

litt. e) der Verordnung vom 8.8.1832.

t38

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

2/3 und bei Stadtgrundstücken 112 des Wertes des ursprünglichen Grundstückwertes darstellte. Legten die Grundeigentümer die erforderliche gerichtliche Bescheinigung nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht vor oder waren sie, wie bei Lehens- und Fideikommißgütem, nicht verfiigungsbefugt, so konnte der Kaufpreis hinterlegt werden. Die Hinterlegung hatte für Rittergüter bei den Landesjustizkollegien144 und für die übrigen Grundstücke bei dem Gericht zu erfolgen, das das Hypothekenbuch für das jeweilige Grundstück führte 145• Beide Hinterlegungsstellen verwalteten die Kaufpreissumme, bis der Verkäufer die geforderten Nachweise vorlegte. In der Verordnung wurden zwar nur Hypothekengläubiger ausdrücklich erwähnt, das vorgeschriebene Verfahren war jedoch auch bei den übrigen Grundstückslasten, wie sie in § 7 des Gesetzes vom 3. Januar t845 aufgeführt wurden, anzuwenden 146• Die Hinterlegung des Kaufpreises befreite den Schuldner nach § 2t3 Titelt6 Teilt ALR von seiner Verbindlichkeit. Bei Grundstücken, die nicht der Enteignung nach § 8 Eisenbahngesetz unterlagen, fanden die Vorschriften über den Chausseebau keine Anwendung. Dennoch war auch bei diesen Grundstücken eine Hinterlegung nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts möglich. § 222 Titel tt Teil t ALR erlaubte eine teilweise Hinterlegung des Kaufpreises unter anderem dann, wenn vor der Zahlung Ansprüche eines Dritten an dem Kaufgegenstand zum Vorschein kamen. Zu den Rechten Dritter waren die dinglichen Belastungen des Grundstücks zu rechnen. Die Hinterlegung erfolgte in diesem Fall beim Gericht des Zahlungsorts, gemäߧ 2t4 Titelt6 Teilt ALR. 6. Die Auswirkungen der gesetzlichen Bestimmungen Die Vomahme der Eintragungen im Hypothekenbuch erschwerte den Grunderwerb in der Praxis erheblich. Dies lag nicht an den Formerfordernissen, sondern an der Vielzahl der Hypothekenbehörden. In den altländischen Provinzen soll beinahe für jede Meile eine andere Hypothekenbehörde zuständig gewesen sein 147 •

144

litt. d) der Verordnung vom 8.8.1832.

145

litt. e) der Verordnung vom 8.8.1832.

146

Juristische Wochenschrift 1845, S. 585 ff.

147

Odebrecht, JW 1839, S. 556.

2. Teil: Der Grunderwerb durch freiwilligen Vertragsabschluß

139

Für die Strecke der Berlin-Potsdamer Eisenbahn mit einer Länge von lediglich 3,5 Meilen waren insgesamt neun verschiedene Hypothekenbehörden zuständig148. Die Direktion der Köln~Bonner Eisenbahn teilte in ihrem Jahresbericht vom 8. November 1844 mit149, daß die Bahn bei einer Länge von insgesamt 3,9 Meilen 812 Parzellen berührte. Besonders stark parzelliert war der Streckenabschnitt entlang des Vorgebirges, so daß sich von den 812 Parzellen allein 312 auf eine Strecke von lediglich 1/2 Meile verteilten 150. Eine einheitliche Behandlung der Eintragungen für eine Bahnstrecke war damit praktisch nicht zu erreichen. Zur Vereinfachung des Eintragungsverfahrens wurde daher von den Eisenbahngesellschaften angeregt, für die Bezirke der einzelnen Oberlandesgerichte oder für bestimmte Bahnstrecken besondere Kommissarien zur Aufnahme der Landerwerbungsverträge zu ernennen. Damit sollte eine einheitliche Behandlung der Eintragungsanträge gewährleistet werden. Für die Anlage Berlin-Potsdamer Bahn wurde auf Veranlassung der Gesellschaft ein entsprechender Kommissar durch das Kammergericht bestellt1s1. Zur Bestellung von Kommissaren soll es auch bei der Berlin-Frankfurter und der Niederschlesisch-Märkischen Bahn gekommen sein1S2. Später wurden entsprechende Anträge durch das Justizministerium jedoch abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kommissare seien praktisch zu Mandataren oder Konsulenten der Gesellschaften geworden, so daß die Gefahr von Interessenskollisionen mit den amtlichen Geschäften der Kommissare bestanden habe. Die Kaufverhandlungen hätten den Charakter gerichtlicher Verhandlungen verloren, und die Geschäfte seien auf diese Weise den an sich zuständigen Untergerichten entzogen worden1s3• Dagegen wurde argumentiert, die Kommissare würden dem Interesse der Eisenbahngesellschaften und der Rechtspflege dienen, da sie die nötige Kompetenz besäßen. Die Gefahr Mandatar oder Konsulent der Gesellschaft zu werden, sei nicht gegeben, da die Kommissare weiter Angehörige des Gerichts blieben. Eine von der üblichen Höhe abweichende Vergütung der Kommissare durch die Bahngesellschaften stehe dem nicht entgegen, da sie der Kontrolle

148

Odebrecht, JW 1839, Fn. 3.

149

Abgedruckt bei v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 1067 ff.

tso v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 1076. tst Odebrecht, JW1839, Fn.3, der ausgewählte Kommissar war der Verfasser des

Aufsatzes selbst, der die Stellung eines Landgerichtsdirektors hatte. 152

JW 1845, S. 585 ff., abgedruckt bei Westermann, S. 135.

153

Westermann, S. 135, JW 1845, S. 585 ff. mit Kritik.

140

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

der vorgesetzten Behörde unterliege. Als Vergleich wurden die grundherrliehen Patrimonialgerichte angeführt, vor denen auch der Grundherr selbst Verhandlungen auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufnehmen lassen könne, obwohl die Richter von ihm bezahlt wurden. Den Gerichten entgingen auch keine Gebühreneinnahmen, da die Verhandlungen gebührenfrei waren. Die Bedenken gegen die Ernennung von Kommissaren müßten zurückgestellt werden, da ihre Ernennung sachgemäß sei. Durch die Ablehnung der Vereinfachungsvorschläge blieb das umständliche Eintragungsverfahren bestehen.

Teil3

Der Grunderwerb durch Enteignung I. Die historische Entwicklung des Enteignungsrechtes in Preußen Die Möglichkeit, Grund und Boden zwangsweise erwerben zu können, erlangte im 19. Jahrhundert im Rahmen der einsetzenden Industrialisierung große Bedeutung. Die Wurzeln des Enteignungsrechts reichen allerdings weiter in die Geschichte zurück. Im römischen Recht läßt sich die Enteignung nicht als eigenständiges Rechtsinstitut nachweisen. In der Literatur wird lediglich auf einige Quellen verwiesen, aus denen sich die Möglichkeit zur zwangsweisen Eigentumsentziehung ergab 154• Dabei ging es weniger um Grundstücke als um den Verkauf und die Freilassung von Sklavenm. Für die Entstehung des Enteignungsrechts kommt diesen Quellen keine Bedeutung zu. Als wissenschaftlicher Begründer des modernen Enteignungsrechts wird Hugo Grotius angesehen, der von 1583 bis 1645 lebte 156• Nach Grotius beruhte die Möglichkeit, einer Privatperson ein Recht zu entziehen, auf einem "dominium eminens" des Staates1S7. Die Ausübung dieses Rechtes setzte neben einem öffentlichen Interesse eine Entschädigung aus Staatsmitteln voraus. Das 154

S. 25 f.

G. Meyer, S. 14 ff.; Grünhut, S. 18 f.; Häberlin, AcP 39, S. 1, 3 ff.; W. Koch,

155

Löbell, s. 1 ff.

156

Grimm, S. 121; G. Meyer, S. 119 ff.

157 G. Meyer, S. 121; Grimm, S. 121; Löbell, S. 4 unter Hinweis auf Grotius Werk Deiure belli ac pacis, lib. II,c.14, §§7, 8.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

141

"dominium eminens" stellte sich als eine Art Obereigentum des Staats über das Eigentum Privater darm. Seit Grotius standen die Grundprinzipien des Enteignungsrechts -überwiegende Interessen des Gemeinwohls und vollständige Entschädigung für die Aufgabe des Rechts- fest. In der Rechtslehre des 17. Jahrhunderts wurde die Existenz eines "dominium eminens" teilweise bestritten. Der Staat habe lediglich ein "imperium", das ihm aber ebenfalls das Recht gab, im öffentlichen Interesse Eigentum gegen Entschädigung zu entziehen 159• Praktische Auswirkungen hatte dieser Theorienstreit, der sich bis in das 18. Jahrhundert fortsetzte, nicht. Im 19. Jahrhundert wurde die Theorie von einem "dominium eminens" des Staates nicht mehr zur Rechtfertigung des Enteignungsrechts herangezogen160• Man argumentierte stattdessen, die Enteignung beruhe auf der Notwendigkeit, die Anforderungen des Gesamtinteresses des Staates mit der Unverletzlichkeit des Eigentums in Einklang zu bringen 161 • Die Enteignung oder Expropriation wurde einheitlich als ein Recht des Staates bezeichnet, von einem Grundeigentümer die Abtretung seines Eigentums oder anderer dinglicher Rechte gegen volle Entschädigung fordern zu können 162• Die Gewährleistung des Eigentums führte nicht zu einem Ausschluß der Enteignung, sondern begründete nur einen Anspruch auf Entschädigung für den Verlust des Eigentumst63. Erste gesetzliche Regelungen über die Enteignung von Grund und Boden finden sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Zusammenbang mit dem Entstehen des Bergbaus 164• Neben dem Bergbau kam die Anlage von Festungen als Anwendungsfall der Enteignung in Betracht. 158

G. Meyer, S. 164.

Darstellung des Streits bei G. Meyer, S. 125 ff.. Die Theorie von einem "imperium" des Staats wurde von Wilhelm Leyser in seinem Werk "Dissertatio juridica de Proprietate rerum" (Wittenberg, 1658) entwickelt. Sein Gegenspieler war Johann Friedrich Horn, der zur gleichen Zeit einer seiner Dissertation (Dominium supereminens, Wittenberg, 1658) die Theorie des "dominium eminens" verteidigte, zit. nach G. Meyer, s. 125. 160 G. Meyer, S. 164; Forsthoff, S. 328 f. 159

161

Beseler, 4. Aufl., S. 378; Häberlin, AcP 39, S. 147 ff.; G. Meyer, S. 164.

Stobbe, Bd.2, §92, S. 169; Förster, S. 139; Beseler, 2. Aufl., §92 X, S. 348f.; Häberlin, AcP 39, S. 147 ff.; Grünhut, S. ; Laband, AcP 52, 151, 169f. 163 Beseler, 4. Aufl., S. 381; Häberlin, S. 147 ff. 162

164 Löbell, S. 4 f.; Ein Beispiel hierfür ist die Brandenburgische Urkunde des Privilegs für die Stadt Wiesenstadt von 1476, Wagner Corp. iur.met., S. 418 a.E.

142

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Am Ende des 18. Jahrhunderts begann in Preußen der Ausbau des Straßennetzes, der von Friedrich dem Großen noch aus militärischen Gründen abgelehnt worden war165• Es wurde vor allem der Bau von Chausseen eingeleitet, um bessere Verbindungen zwischen den einzelnen Provinzen des Königreichs zu schaffen. Da das bestehende Straßensyrern unzureichend war, konnte man sich nicht auf den Ausbau vorhandener Strecken beschränken. Es mußten völlig neue Verbindungen bergestellt werden. Damit entstand ein erheblicher Bedarf an Grund und Boden, der von privaten Grundstückseigentümern erworben werden mußte. Damit der Chausseebau nicht durch die Weigerung von Grundeigentümern, die erforderlichen Grundstücke abzutreten, verzögert werden konnte, wurden sie durch Gesetz zur Abtretung der erforderlichen Flächen verpflichtet. Das erste preußische Gesetz, das dem Staat das Recht einräumte, zur Anlegung von Straßen Grund und Boden zwangsweise zu erwerben, war das Edikt vom 18. Apri11792. Es trug den Titel: "Edikt über die Verbindlichkeiten der Untertanen in der Kurmark in Ansehung des Chausseebaues und deren Entschädigung" 166•

Die Grundeigentümer wurden verpflichtet, unabhängig von einem möglichen Rechtsstreit über die Höbe der vom Staat zu leistenden Entschädigung, ihr Land ohne Verzögerung abzutreten 167• Der Begriff Enteignung oder Expropriation wurde nicht verwendet. Die Verpflichtung bestand sowohl, wenn Land zur Verbreiterung einer bestehenden Straße benötigt wurde, 168 als auch, wenn im Interesse einer möglichst geraden Trassenführung die bisherige Straße aufgegeben werden mußte169• Zur Bestimmung der Linienführung und zur Ermittlung der Entschädigungsbeträge wurden besondere Cbausseebau-Kommissionen gebildet110. Die Gesichtspunkte, nach welchen die Entschädigung festgesetzt werden sollte, regelte§ 18 des Edikts in insgesamt 15 Unterpunkten. Gegen die von der Cbausseebau-Kommission ermittelte Entschädigung konnte der Grundeigen-

165 Grimm, S. 125; In andem deutschen Staaten hatte der Straßenbau bereits zur Jahrhundertmitte eingesetzt, z.B. in Baden und Hannover, Salzwedel, Dt.Verwgeschichte Bd.2, S. 206 m.w.N.

166

NCC IX, S. 134; abgedruckt bei Westermann, S. 139 ff.

167

§ 5 des Edikts vom 18. April1792.

168 169

§ 8 des Edikts vom 18. April1792. § 9 des Edikts vom 18. April1792.

170

§ 3 des Edikts vom 18. April1792.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

143

tümer das Hof- und Kammergericht bzw. das Obergericht der Altmark anrufen17t. Vergleichbare Vorschriften im Zusammenhang mit dem Straßenbau gab es auch in anderen deutschen Staaten172• Die Bestimmungen des Edikts vom 18. April 1792 über die Zahlung der Geldentschädigung wurden im Jahre 1832 durch die bereits im Zusammenhang mit dem freiwilligen Grunderwerb erwähnte Verordnung vom 18. April 183i73 abgeändert. Die zunächst nur für die Kurmark erlassene Verordnung wurde durch eine Anzahl von Kabinetsordem auch in den Provinzen Preußen174, Posenm, Sachsen176, Schlesien, Pommern (ohne Neuvorpommem) 177 und Westfalen 178 eingeführt. Ausgeschlossen blieb die Rheinprovinz. Nach dieser spezialgesetzlichen Regelung für den Straßenbau wurden im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten die rechtlichen Grundlagen für eine Enteignung geschaffen. Die Rechtfertigung für staatliche Eingriffe in geschützte Rechtspositionen des einzelnen Bürgers ergab sich aus §§ 74-75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht. § 74 EinlALR lautete: "Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehn." Wer auf seine Rechte zugunsten des Gemeinwohls verzichten mußte, war vom Staat nach§ 75 EinlALR zu entschädigen 179. Diese Entschädigungspflicht konnte zudem aus§ 76 EinlALR abgeleitet werden, da nach dieser Vorschrift, jeder Einwohner den Schutz des Staates für seine Person und sein Vermögen

171 § 5 des Edikts vom 18. April1792. 172 In der Braunschweigischen Wegeordnung v. 10.3.1704 und im sächsischen Straßenbaumandat vom 28.4.1781. Eine weitere Regelung der Enteignung enthielt der Codex bavaricus civilis v. 1756 (Teil IV Kap.3). 173 GS 1832, S. 202. 174 Kabinettsorder vom 17.Februar 1833, GS 1833, S. 23. 175 Kabinettsorder vom 28.August 1833, GS 1833, S. 117. 176 Kabinettsorder vom 18.0ktober 1834, GS 1834, S. 179. 177 Kabinettsorder vom 25.März 1837, GS 1837, S. 69. 178 Kabinettsorder vom 8.Dezember 1837, GS 1838, S. 6. 179 § 75 :"Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten."

t44

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

verlangen konnte. Die§ 74 und§ 75 EinlALR waren die zentralen Vorschriften für das Enteignungsrecht Die Rechtfertigung staatlicher Zwangseingriffe in der Einleitung des Allgemeinen Landrechts, fand für Eingriffe in das Eigentum ihren Niederschlag in Teil t Titel S ALR. In diesen Vorschriften über das Eigentum bestimmte zunächst § 9, daß zum Eigentum das Recht gehöre: "die Sache zu besitzen, gebrauchen und sich derselben zu begeben."

Nach §§ 29, 30 Teil 1 Titel S ALR war der Staat jedoch ermächtigt, das Privateigentum einzuschränken, wenn ein drohender Schaden oder ein möglicher Vorteil des Staats oder anderer Bürger den für den Eigentümer entstehenden Nachteil überwog 180• Entsprechend§ 75 EinlALR bestimmte§ 31 Teill TitelS ALR, daß der Eigentümer für den erlittenen Verlust vollständig schadlos gehalten werden müsse181 • Einschränkungen des Eigentums durften in allen Fällen nur durch Gesetze begründet werden, sofern sie nicht aus den von anderen erworbenen Rechten resultierten, gemäߧ 32 TitelS Teilt ALR. Damit stellte das Allgemeine Landrecht die Enteignung unter folgende Voraussetzungen: Vorrangige Interessen des Allgemeinwohls und Entschädigung des Eigentümers. In welchen Fällen nach dem Allgemeinen Landrecht vorrangige Interessen des Gemeinwohls anzunehmen waren, ergab sich aus §§ 4-11 Teilt Titelll ALR, die die Überschrift "vom notwendigen Kaufe" trugen. § 5 Teil l Titel 11 ALR bestimmte, daß zur Anlegung oder Verbreiterung öffentlicher Straßen und schiffbarer Kanäle, die Besitzer anliegender Grundstücke zum Verkauf ihrer Grundstücke verpflichtet werden konnten. Das Enteignungsverfahren wurde nur hinsichtlich der Feststellung der Entschädigung geregelt. Der Kaufpreis war, sofern keine Einigung zustandekam, durch ver-

180 § 29: "Der Staat kann das Privateigentum seiner Bürger nur alsdann einschränken, wenn dadurch ein erheblicher Schade von Andem oder von dem Staate selbst abgewendet, oder ihnen ein beträchtlicher Vorteil verschafft werden, beides aber ohne allen Nachteil des Eigentümers geschehen kann." § 30: "Ferner alsdann, wenn der abzuwendende Schade, oder der zu verschaffende Vorteil des Staats selbst, oder anderer Bürger desselben, den aus der Einschränkung für den Eigentümer entstehenden Nachteil beträchtlich überwiegt." 181 § 31: "Doch muß in diesem letztem Falle der Staat zugleich dafür sorgen, daß der einzuschränkende Eigentümer für den dadurch erleidenden Verlust vollständig schadlos gehalten werde."

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

145

eidigte Taxatoren zu bestimmen182• Bei der Bemessung war auch der außerordentliche Wert zu berücksichtigen 183 • Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für einen notwendigen Kauf vorlagen, stand dem Staatsoberhaupt zu184• Die Höhe der Entschädigung konnte der Eigentümer jedoch gerichtlich überprüfen lassen185• In den nach den Freiheitskriegen zu Preußen gekommenen linksrheinischen Gebieten blieb das französische Recht in Kraft, wodurch auch das französische Enteignungsrecht Einfluß auf die preußische Rechtsentwicklung gewann. In Frankreich wurde die Unverletzlichkeit des Eigentums bereits im Zuge der französischen Revolution verfassungsrechtlich anerkannt. Art. 17 der Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers, die an die Spitze der französischen Verfassung vom 3. September 1791 gestellt wurde, erklärte das Eigentum für unverletzlich. Eingriffe waren nur im Interesse des Allgemeinwohls und gegen eine angemessene Entschädigung erlaubt186• Die französische Verfassung stellte an die Enteignung von Grundstücken damit die gleichen Anforderungen wie wenige Jahre später das Allgemeine Landrecht in §§ 74, 75 EinlALR. In einer preußischen Verfassung wurde die Unverletzlichkeit des Eigentums erst im Jahre 1850 garantiert. Art. 9 der revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850187 lautete: "Das Eigentum ist unverletzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden".

Der Code Civil bestimmte in Art. 545 (2.Buch Titel 2) über die Abtretung von Grundstücken: "Niemand kann gezwungen werden, sein Eigentum abzutreten, es sei denn des öffentlichen Nutzens wegen, und gegen eine gerechte und vorgängige Entschädigung."

182

§ 8 Teil 1 Titel 11 ALR.

183

§ 9 Teil 1 Titel 11 ALR.

184

§ 10 Teil 1 Titel 11 ALR.

185

§ 11 Tei11 Titel 11 ALR.

"La propiete est inviolable et sacree; nul ne peut en etre prive, que lorsque la necessite publique, legalement constatee l'exige evidemment et SOUS Ia condition d'une juste et prealable indemnite". 186

187

GS 1850, S. 17 ff.

10 Bracht

146

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Als Art. 545 des Rheinischen Civilgesetzbuches galt diese Vorschrift in den linksrheinischen Provinzen Preußens. Zur Ausführung der Bestimmung des Art. 545 wurde am 8. März 1810 das französische Gesetz mit dem Titel: "Gesetz betreffend das Verfahren bei zwangsweiser Abtretung von Grundstücken zum öffentlichen Nutzen"

eingeführt188. Es handelte sich um das erste allgemeine Enteignungsgesetz, das auch den Begriff Enteignung oder Expropriation verwendete. In den linksrheinischen Gebieten Preußens blieb das Gesetz auch nach den Befreiungskriegen bis zum Jahre 1874 in Kraft. Es wurde lediglich im Jahre 1857 geringfügig modifiziert189. Das Gesetz vom 8. März 1810 beruhte auf einer Note Napoleons an den französischen Staatsrat aus dem Hauptquartier in Schönbrunn vom 29.9.1809, in der er die Intervention der Gerichte zum Schutz des Privateigentums gegenüber der Verwaltung anregte190. Zu diesem Zeitpunkt existierte bereits ein Gesetz vom 16. September 1807 191 , das Eingriffe in das Eigentum, einschließlich Enteignungen, zugunsten öffentlicher Arbeiten regelte. Die Zuständigkeiten für das Verfahren lagen allein bei der Verwaltung. Die bei der Ausführung des Gesetzes aufgetretenen Mängel veranlaßten Napoleon zu seiner lntervention192•

Art. 1 des Enteignungsgesetzes von 1810 bestimmte, daß die Enteignung nur durch die richterlichen Behörden ausgesprochen werden durfte. Hier lag ein Unterschied zum Allgemeinen Landrecht, das die Entscheidung über die Notwendigkeit der Enteignung allein in die Hände der Verwaltung legte. Allerdings erfolgte nach dem französischen Enteignungsgesetz nur der Ausspruch der Enteignung durch die Gerichte. Die Frage, wann eine Enteignung im Interesse des öffentlichen Wohles geboten war und für welche Grundstücke,

188 189 190 191 192

Bulletin des Lois 1810 No.273; Wendt, Expropriationskodex, I. Abteilung, V. Gesetz vom 25. Mai 1857, GS 1857, S. 473. 0 . Mayer, Frz. VerwR, S. 236; Grünhut, S. 46. Wendt, Expropriationskodex I. Abteilung, VII. Grünhut, S. 46.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

147

entschied die Regierung, was den Einfluß der Gerichte erheblich einschränkte193. Das Enteignungsgesetz regelte, neben den Voraussetzungen der Enteignung und der Bemessung der Entschädigungshöhe, auch das Enteignungsverfahren. Außerhalb Preußens wurde das französische Enteignungsgesetz zum Vorbild für entsprechende gesetzliche Regelungen in Deutschland. So erließen das Königreich Bayern am 14. August 1815 eine königliche Verordnung, "die Abtretung des Privateigentums für öffentliche Zwecke betreffend" 194 und HessenDarmstadt am 27. Mai 1821 ein Gesetz über die Abtretung von Privateigentum für öffentliche Zwecke195. Die Enteignungsgesetzgebung nahm mit dem Beginn des Eisenbahnbaus einen großen Aufschwung 196. Es zeigte sich rasch, daß die Anlegung von Eisenbahnen ohne die Möglichkeit einer Enteignung des erforderlichen Grund und Bodens nicht durchzuführen war. In England wurde das Enteignungsrecht bereits im Jahre 1830 für die Bahn von Liverpool nach Manchester, die als erste für den Personenverkehr vorgesehen war, gewährt197• Die in den einzelnen Ländern erlassenen Eisenbahn- oder Expropriationsgesetze schufen in der Folgezeit eine allgemeine Rechtsgrundlage für den zwangsweisen Erwerb von Grundstücken 198. In Preußen gewährten die Allgemeinen Bedingungen über den Bau von Eisenbahnen aus dem Jahre 1836 den Bahngesellschaften das Recht zur zwangsweisen Enteignung der benötigten Grundstücke199. Die entsprechende Befugnis wurde, wie bereits erwähnf00, in die Konzessionen der ersten vier im Jahre 1837 genehmigten Bahngesellschaften übernommen. Das Eisenbahnge-

193 In der Praxis bewährt hat sich das Gesetz in Frankreich nicht, da es Reibereien zwischen der Verwaltung und Gerichten nicht verhindern konnte, Grünhut, S. 50 f. 194

RegBI. 1815, S. 724.

195

RegBI., S. 187; Grünhut, S. 50/51.

196

Bzgl. England s.Grirnm, Gesetze in Harnburg und Hannover.

197

Grimm, S. 126.

Die Vorreiterrolle übernahm Bayern. An die Stelle des bayerischen Enteignungsgesetzes von 1815 trat im Jahre 1837 das "Gesetz die Zwangsabtretung von Grund-Eigentum betreffend", BayGVB11837, Sp. 109. 198

199

35 ff. 200

Nr. VIII. der Allgemeinen Bedingungen Beschl. v. Juli 1836, bei v. Wendt, S. Erster Abschnitt, Erster Teil, III., 1.

148

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

setz vom 3. November 1838 übernahm die Enteignungsermächtigung aus den Allgemeinen Bedingungen201 . Es gewährte den Eisenbahngesellschaften neben dem Recht zur Enteignung202 auch das Recht, während der Bauausführung fremde Grundstücke vorübergehend zu benutzen203. Für die Abtretung und die vorübergehende Nutzungsüberlassung waren die Grundeigentümer zu entschädigen204. Die Höhe der Entschädigung wurde von Taxatoren bestimmt, die von der Regierung ernannt wurden. Die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts sowie des Enteignungsgesetzes von 1810 in den linksrheinischen Gebieten blieben neben dem Eisenbahngesetz in Kraft. Bei dieser Gesetzeslage blieb es bis zum Jahre 1874. Am 11. Juni dieses Jahres wurde das preußische Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum erlassen, daß die bestehenden Einzelgesetze ablöste und eine umfassende Regelung herbeiführte205. Im Anschluß an die bisherige Gesetzgebung bestimmte § 1 Enteignungsgesetz: "Das Grundeigentum kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles für ein Unternehmen, dessen Ausführung die Ausübung des Enteignungsrechtes erfordert, gegen vollständige Entschädigung entzogen oder beschränkt werden"

Das Enteignungsgesetz von 1874 regelte die Zulässigkeit der Enteignung, die Ermittlung der Entschädigung und das Enteignungsvedahren206.

ll. Die Rechtsnatur der Enteignung Die Grundlage des Enteignungsrechts war, wie bereits erwähnt, die Befugnis des Staates, aus Gründen des öffentlichen Nutzens von Privatpersonen die Abtretung ihres Eigentums gegen Entschädigung verlangen zu können207 .

201 202 203

OS 1838, S. 505. § 8 Eisenbahngesetz. § 9 Eisenbahngesetz.

204

§§ 11, 13 Eisenbahngesetz.

20S

OS 1874, S. 221 ff. Titel m, §§ 15 ff.

206

207 Beseler, 4. Aufl., S. 381; Häberlin, AcP 39, S. 147 ff.; Georg Meyer hielt den Begriff des öffentlichen Nutzens für zu unbestimmt und wollte ihn durch den Begriff des Staatszwecks ersetzen, S. 177 ff.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

149

Abgeleitet wurde das Enteignungsrecht damit aus dem Verhältnis der Staatsgewalt zu den Staatsangehörigen, so daß sich die Frage der Zulässigkeil der Enteignung nach staatsrechtlichen Kriterien richtete208• Die Frage, ob es sich bei dem Bau von Eisenbahnen um einen öffentlichen Zweck handelte, der die Verleihung des Enteignungsrechtes rechtfertigte, war in Preußen durch die Allgemeinen Bedingungen vom Juli 1836209 entschieden worden. Danach kamen Eisenbahngesellschaften in den Genuß des Enteignungsrechtes. Das Eisenbahngesetz übernahm diese Regelung in § 8. Die Beschränkung des Enteignungsrechtes auf öffentliche Zwecke bedeutete nicht, daß der Staat notwendigerweise selbst die Enteignung vornehmen mußte. Umstritten war jedoch, ob Privatunternehmen das Enteignungsrecht verliehen werden konnte oder ob in jedem Fall der Staat als Enteignender auftreten mußte. Grünhut vertrat in seiner Bearbeitung des Enteignungsrechts (1873) die Auffassung, Subjekt der Enteignung könne immer nur der Staat sein, da nur er die Pflicht habe, für das Gemeinwohl zu sorgen210• Der Staat könne das Enteignungsrecht zwar auf seine organischen Teile, wie z.B. Provinzbehörden, übertragen, nicht jedoch auf Privatgesellschaften. Diese könnten nur ermächtigt werden, das Enteignungsrecht im Namen der Staatsgewalt auszuüben211 • Als Begründung wurde angeführt, die Privatgesellschaften könnten das Grundstück nicht zu ihrem persönlichen Nutzen, sondern nur im Rahmen seiner öffentlichen Bestimmung verwenden212• Der Staat werde in jedem Fall zunächst der Eigentümer des enteigneten Grundstücks. Das Grundstück werde zum "öffentlichen Gut" 213• Die Eisenbahngesellschaften könnten das Eigentum an dem enteigneten Grundstück nur mittelbar über den Staat erwerben214• In der übrigen Literatur wurde die Auffassung von der Unübertragbarkeit des Enteignungsrechts allgemein abgelehnt. Eine Verwendungsbeschränkung hinsiebtlieh des enteigneten Guts spreche nicht gegen die Übertragbarkeit des Enteignungsrechts. Privatpersonen könnte das Enteignungsrecht unter dem Vorbehalt verlieben werden, das Grundstück nur für bestimmte Zwecke zu 208

v. Rohland, S. 29; G. Meyer, S. 163; Stobbe, § 92, S. 169; Endemann, S. 299.

209

Expropriationskodex, S. 35 ff.

210

Grünhut, S. 78.

211

Grünhut, S. 79 f.

212

Grünhut, S. 80.

213

Grünhut, S. 80.

214

Grünhut, S. 81.

150

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

veiWenden. Quelle und Inhaberin des Enteignungsrechtes bleibe dabei der Staat, der das Enteignungsrecht privaten Unternehmen zur Ausübung verleihen könnem. Zudem wurde auf einen Widerspruch in der Argumentation Grünhuts hingewiesen: Einerseits werde das enteignete Grundstück zum öffentlichen Gut, das den Privatgesellschaften nicht zu freiem Eigentum übertragen werden könne. Andererseits solle doch eine Möglichkeit für einen EigentumseiWerb durch Private bestehen und zwar mittelbar über den Staat216• Diesen Widerspruch, der sich aus dem Umstartd ergab, daß die Eisenbahngesellschaften in der Praxis das Eigentum an den enteigneten Grundstücken eiWarben, vermochte Grünhut nicht zu entkräften. Da die Eisenbahngesellschaft Eigentürnenn der Grundstücke wurde, bestartd kein Anlaß, die Figur eines DurchgangseiWerbes über den Staat zu konstruieren. Die Auffassung von Grünhut widersprach zudem dem Wortlaut des § 8 Eisenbahngesetz, wonach der Eisenbahngesellschaft das Enteignungsrecht "verliehen" wurde. Die Gesellschaft handelte danach im eigenen Namen und nicht im Namen der Staatsgewalt. Sie wurde unmittelbar Eigentümerin des Grundstücks ohne einen ZwischeneiWerb des Staates. Allgemein wurde daher vertreten, daß das Enteignungsrecht zwar dem Staat zustartd, er es jedoch auf Privatpersonen zur Ausübung übertragen konnte217• Für den Grundeigentümer war die Entscheidung des Streits ohne Bedeutung. Er war in jedem Fall zur Abtretung seines Grundstückes verpflichtet. Wenn somit anerkannt war, daß die Frage, ob eine Enteignung gerechtfertigt war, ihre Grundlage im öffentlichen Recht hatte, so ergaben sich auch privatrechtliche Wirkungen, da das Grundstück übereignet wurde. Ob und wie der Enteignungsvorgang privatrechtlich einzuordnen war, wurde vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert.

Stobbe, Bd.2, § 92, S. 174, Fn.23; Laband, AcP 52, 151, 170; Endemann, S. 306. v. Rohland, S. 11 f. 217 v. Rohland, S. 13; Häberlin, AcP 39, S. 173; Stobbe, Bd.2, §92, S. 173; Endemann, S. 306; G. Meyer, S. 260 f.; Demburg, § 34, S. 58. 215

216

Eine Einzelmeinung vertrat Thiel (S. 17), der die Enteignung der privatrechtliehen Cession gleichstellte. Eine Zession der Enteignungsrechts hielt er zwar für zulässig, die Ansprüche des enteigneten Grundeigentümers sollten sich jedoch gegen den Staat als Zedenten richten. Diese Auffassung widersprach jedoch der allgemeinen Zuordnung des Enteignungsrechts zum öffentlichen Recht (v. Rohland, S. 10, G. Meyer, S. 261).

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

151

Das allgemeine Landrecht behandelte die Enteignung als Kaufgeschäft und zwar als gezwungenen oder notwendigen Kauf. Dies ergab sich aus der systematischen Stellung der Vorschriften über die Enteignung unter den allgemeinen Bestimmungen über Kaufverträge. Die §§ 3-11 Teil 1 Titel 11 trugen die Überschrift: "vom notwendigen Kaufe". Die Formulierung der einzelnen Vorschriften unterstrich diese Einordnung. So hieß es in § 5 Teil 1 Titel 11 .ALR: "Zur Anlegung oder Verbreitung einer öffentlichen Landstraße ... können die Besitzer der angrenzenden Grundstücke so viel davon, als zu diesem Behufe erfordert wird, dem Staate käuflich zu überlassen gezwungen werden"

und in § 8 Teil 1 Titel 11 ALR: "In allen Fällen des notwendigen Verkaufs muß, wenn über den Preis kein Einverständnis stattfindet, derselbe nach dem Ennessen vereideter Taxatoren bestimmt werden"

Das Eisenbahngesetz knüpfte an diese Rechtslage an. Zum einen ergab sich dies aus § 11 Eisenbahngesetz, der die §§ 8-11 Teil 1 Titel 11 ALR für anwendbar erklärte. Zum anderen wurde dem enteigneten Grundeigentümer in besonderen Fällen, auf die noch eingegangen wird, das Recht des Wiederkaufs bzw. Vorkaufs eingeräumt. In § 18 Eisenbahngesetz wurde bestimmt, daß der Eigentümer im Falle eines Wiederkaufs den ursprünglichen "Kaufpreis" zu zahlen habe. Damit ging auch das Eisenbahngesetz von einem Kaufvertrag über das zu enteignende Grundstück aus. Die Rechtsprechung des preußischen Obertribunals behandelte die Enteignung ebenfalls als gezwungenen Kauf. In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1857 führte das Obertribunal aus, daß die Grundsätze vom Kauf im allgemeinen, vor allem hinsichtlieb der Zahlung und Verzinsung des Kaufpreises Anwendung fänden218 • Im übrigen sei der Enteignete lediglich verpflichtet, die Enteignung zu dulden. Zwar werde ein Gegenstand gegen ein entsprechendes Kaufgeld übereignet, daraus folge aber nicht, daß der Zwangsverkäufer alle Pflichten eines freiwilligen Verkäufers habe219 • Der Enteignete sei weder verpflichtet, einen förmlichen Vertrag abzuschließen, noch schulde er die Übergabe der Sache oder die Ablösung von Grundstückslasten220• Begründet wurde dies mit der Natur der Sache und dem Wortlaut der Bestimmungen über die Enteignung in Teil1 Titel1l ALR. Nach diesen Vorschriften konnte von dem Eigentümer nicht verlangt werden, daß er

219

Obertribunal, Entscheidung vom 1.5.1857, Entscheidungen Bd.35, S. 390, 394. Obertribunal, Entscheidungen Bd.35, S. 390, 394.

220

Obertribunal, Entscheidungen Bd.35, S. 390, 394 ff.

218

152

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

die Ausübung des Enteignungsrechts durch positive Handlungen unterstütztezzt. In einer weiteren Entscheidung wurde festgestellt, daß der Eigentümer keine Gewährleistungspflicht für den enteigneten Gegenstand übemehm.e222• Nach dem Allgemeinen Landrecht haftete der Verkäufer dafür, daß der Kaufgegenstand die gewöhnlichen Eigenschaften besaß223• Fehlten diese Eigenschaften, war die Sache fehlerhaff24 und der Käufer berechtigt, vom Vertrag zurückzutretenzzs. Die Gewährleistungspflicht wurde vom Obertribunal verneint, da die Tauglichkeit der Sache allein von dem Boteigner beurteilt werden könne. Der Eigentümer müsse die Auswahl hinnehmen, eine Einwirkung stehe ihm hierbei nicht zu, so daß er auch keine Verantwortung für die Tauglichkeit trage226• Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Obertribunal die Enteignung als Kauf bewertete, weil ein Gegenstand gegen Entgelt übereignet wurde. Die Regeln über den Kaufvertrag waren jedoch nur insoweit anwendbar, als sie zur Enteignung paßten227 • Der überwiegende Teil der Literatur beurteilte die Enteignung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprechend der gesetzlichen Regelung des allgemeinen Landrechts nach den Regeln des Kaufvertrages als Zwangskauf28 oder jedenfalls als ein Rechtsgeschäft, auf das die Regeln des Kaufs Anwendung finden mußten229• Das Hauptargument für diese Auffassung war, daß die Enteignung die wesentlichen Elemente des Kaufvertrages enthalte. Das enteignete Grundstück werde gegen einen bestimmten Preis getauscht und damit ein Vermögen gegen

221

Obertribunal, Entscheidungen Bd.35, S. 390, 395.

222

Obertribunal, Entscheidung vom 28.1.1862, Striethorst Archiv Bd.43, S. 339,

34t ff. 223

§ t93 Teilt Titelll ALR.

224

§ t97 Teilt Titelll ALR.

225

§ t98 Teil! Titelll i.V.m §§ 331, 326 f. Teilt TitelS ALR.

Obertribunal, Entscheidung vom 28.1.1862, Striethorst Archiv Bd.43, S. 339, 343, in der Entscheidung geht es um die Gewähleistung für im Rahmen einer Mobilmachung requirierte Pferde. 226

227

Weitere Nachweise für Entscheidungen des Obertribunals bei Löbell, S. 17 ff.

Bessei/Kühlwetter, Teil t, S. t06; Häberlin, AcP 39, S. 20 f.; Martin, S. 78; Förster!Eccius, § 13t, S. 142; Beseler, 2. Aufl., § 90; Beschomer, S. 110. 228

229

W. Koch, Abt.l, S. 35.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

153

Geld veräußerr30• Die Benennung dieses Preises als Entschädigung sei für die rechtliche Einordnung unerheblich231 • Die erforderliche Einigung über den Kaufpreis komme entweder zustande, indem der Eigentümer die vom Boteigner angebotene Entschädigung annehme, oder sie werde durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzr32• Diese Argumentation entsprach der des Obertribunals. Die Notwendigkeit der Veräußerung hebe danach zwar den Konsens zwischen den Parteien auf, sie ergänze bzw. fingiere jedoch den Willen des Verkäufers, die Sache zu übertragen233• Der Konsens werde nur durch eine faktische, d.h. durch Zwang, Irrtum, Arglist oder Furcht herbeigeführte und damit rechtswidrige Störung der Willensfreiheit aufgehoben. Die Enteignung sei jedoch nicht rechtswidrig234• Es wurde jedoch darauf hingewiesen, daß die Festsetzung der Entschädigung und die Besitzeinweisung nur dann subsidiär Anwendung fanden, wenn nicht aufgrunddes Zwanges eine Einigung zustandekam235• Der Mangel der freien Willensbestimmung auf Seiten des Verkäufers führe dazu, daß nicht alle Regeln über den Kauf auch auf den Zwangskauf anwendbar seien236• Auch in diesem Punkt entsprach diese Auffassung der Rechtsprechung des Obertribunals. Die Kritik der Gegenansicht in der Literatur knüpfte vor allem an die fehlende Einigung zwischen den Parteien an. Es wurde argumentiert, daß man von einem Vertrag nicht sprechen könne, wenn es auf einen Konsens zwischen den Parteien nicht ankomme, sondern nur der eine Teil seinen Willen zur Geltung bringe237• Die Gegenmeinung laufe darauf hinaus, daß das Gesetz die rechtsverbindliche Erklärung des Willens ersetzen könne238• Da zwischen den Parteien kein tatsächlicher Konsens über die Übereignung des Gegenstandes zustandekomme, sei die juristische Basis für die Annahme eines Zwangskaufes demnach eine Fiktion, da der fehlende Wille des Verkäu230

Häberlin, AcP 39, S. 201; Förster/Eccius, § 131, S. 142; Martin, S. 78.

231

Förster/Eccius, § 131, S. 142.

232 233

Häberlin, S. 201; Beschomer, § 71. Martin, S. 79.

234

Martin, S. 79.

235

Förster/Eccius, § 131, S. 142.

Beseler, 2. Aufl., § 92, S. 351, Fn.4. W. Koch, Abt. 1, §§ 17, 22 ff,; G. Meyer, S. 189; Grünhut, §9; Stobbe, Bd.2, §92, S. 176; Beseler, 4. Aufl., §90, S. 382, Fn.15 unter Aufgabe seiner bisherigen Meinung; Thiel, S. 2. 236

237

238

Grünhut, S. 179.

154

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

fers fingiert werde239• Eine solche Fiktion sei allein dann hinzunehmen, wenn die Regeln des Kaufrechtes bei der Enteignung tatsächlich zur Anwendung kämen. Die Unterschiede zwischen Enteignung und Kaufvertrag seien jedoch zu groß, als daß sie durch eine bloße Fiktion geschlossen werden könnten240• So beruhe der Abschluß eines Kaufvertrages auf dem einvernehmlichen Willen beider Vertragsparteien. Der Boteigner schöpfe seinen Rechtstitel dagegen aus dem Gesetz und nicht aus dem Willen des Enteigneten241 • Da ein Kauf den Konsens der Parteien verlange, sei die Konstruktion eines Zwangskaufs ein Widerspruch in sich selbst242• Die Fiktion widerspreche zudem, so argumentierte Laband, dem wirklichen Sachverhalt. Man könne nicht einem Hausbesitzer, der sich mit allen Mitteln gegen die Hergabe seines Hauses gewehrt habe, einreden, er habe einen Konsensualvertrag geschlossen, da seine Willenserklärung durch das Gesetz ersetzt werde243• Es wurde darauf hingewiesen, daß außer einer gütlichen Einigung auch andere Merkmale eines Kaufvertrages fehlten. So entfalle die beim Kaufvertrag erforderliche Tradition des Kaufgegenstandes durch den Verkäufer, da das Eigentum bereits durch den Enteignungsbeschluß auf den Boteigner übergehe. Der bisherige Eigentümer verliere sein Eigentum im Moment des Enteignungsbeschlusses. Der Verkäufer schulde die Übergabe der Sache und hafte für die Mängelfreiheit des Gegenstande sowie für das Vorliegen von Eigenschaften, die nach den Umständen zu erwarten waren. Demgegenüber übernehme der Enteignete keinerlei schuldrechtliche Verpflichtungen, sondern sei nur verpflichtet, sich den in der Enteignung liegenden Verwaltungsakt gefallen zu lassen244• Der Eigentumsübergang finde bei der Enteignung unabhängig von Veräußerungsverboten, wie z.B. bei Fideikommissen245, statt und sei auch dann wirksam, wenn es sich bei dem Besitzer nicht um den wirklichen Eigentümer handelte. Ebenso bestehe bei der Enteignung im Unterschied zum Kaufvertrag

239 240

Laband, AcP 52, 151, 171. Laband, AcP 52, 151, 171; Grünhut, S. 182; v. Rohland, S. 30.

241

Stobbe, Bd.2, § 92, S. 177; Grünhut, S. 179.

242

G. Meyer, S. 192 f.

243 Laband, AcP 52, S. 171: Sonst könne man genauso gut fmgieren, der verurteilte Verbrecher habe seine Zelle gemietet; ebenso Grünhut, S. 178. 244 Beseler, 2. Aufl., S. 351 ; Stobbe, Bd.2, § 92, S. 177; Grünhut, S. 182; Laband, S. 173; v. Rohland, S. 30 f.; Obertribunal E.v. 28.1.1862, Striethorst Archiv Bd.43, 339. 24s Stobbe, Bd.2, § 92, S. 177; Grünhut, S. 180.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

155

nicht die Möglichkeit. die Sache unberechtigt ein zweites Mal zu verkaufen. Nicht erforderlich sei bei der Enteignung zudem die Übergabe der Sacbe246• Der Boteigner habe den Eigentümer zudem zu entschädigen und keinen Kaufpreis zu zahlen247 • Es lägen danach erbebliche Unterschiede zwischen einer Enteignung und einem Kaufvertrag vor. Die Gegner der Theorie eines Zwangkaufes waren sich in der Frage uneinig, welche Rechtsnatur die Enteignung stattdessen haben sollte. Eine abweichende Begründung des zivilrechtliehen Charakters der Enteignung vertrat Georg Meyer. Er argumentierte, man könne nicht von einem Kauf ausgeben, wenn es an einer Einigung zwischen den Parteien feble248 • Es müsse vielmehr wie folgt differenziert werden: Einigen sich die Parteien über die Abtretung und die Entschädigung, dann handele es sich um einen Kauf49 • Komme eine Einigung nicht zustande, so liege eine Obligation vor, die aus einem "Zustand" hervorgehe. Mit Zustand bezeichnete er das Verhältnis zwischen dem Enteignungsgegenstand und dem öffentlichen Unternehmen. Die Tatsache, daß der Gegenstand zur Ausführung eines öffentlichen Unternehmens notwendig sei, erzeuge die Verpflichtung, ihn dem Boteigner zu überlassen. Der Unterschied zum Kauf liege allein in der fehlenden Einigung zwischen den Parteien2so. Die übrigen Gegner der Zwangskaufstheorie lehnten die zivilrechtliche Begründung der Enteignung ab. Die Begründungen und die Einordnung im einzelnen gingen auf dieser Grundlage allerdings erbeblich auseinander. Thiel betrachtete die Enteignung unter Hinweis auf § 75 EinlAlR als ein vom Privatmann dem Staat dargebrachtes Vermögensopfe~51 • Privatrechtliche Folgen habe allein die Zahlung der Entschädigung252• Die Entschädigung hatte nach seiner Auffassung den Charakter von Schadensersatz für das dargebrachte Opfe~s3.

Gegen diese Auffassung wurde jedoch vorgebracht, daß Thiel die Enteignung in den Bereich des Deliktsrechts, d.h. der unerlaubten Handlungen, ein-

246

Laband, AcP 52, S. 173 f.; Stobbe, Bd.2, § 92, S. 177.

247

Stobbe, Bd.2, §92, S. 178.

248

G. Meyer, S. 192 f.

249

G. Meyer, S. 188.

250

G. Meyer, S. 190.

251

Thiel, S. 3 f., 8.

252

Thiel, S. 8.

253

Thiel, S. 21 f.

156

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

ordne, obwohl sie rechtlich zugelassen sei und damit keine deliktische Handlung darstellen könne254• Nach der Ansicht von Laband standen sich bei der Enteignung Staat und Eigentümer nicht wie Gläubiger und Schuldner, sondern wie Obrigkeit und Untertan gegenübe:rs5 • Die Erkenntnis des staatsrechtlichen Charakters der Enteignung würde über Bord geworfen, wenn man aus ihr, wie Georg Meyer meint, eine zivilrechtliche Obligation mache, die die Verpflichtung begründe, das aufgrund des Expropriationsrechtes Geschuldete zu leisten256• Die Konstruktion einer zivilrechtliehen Obligation sei überflüssig und falsch, da andernfalls der Enteignete, sofern er die Leistung verweigere, zunächst auf Erfüllung verklagt werden müßte. Über die Enteignung entscheide jedoch die Verwaltungsbehörde, und nur über die Entschädigung werde gerichtlich entschieden257. Die Enteignung begründe nur eine einseitige schuldrechtliche Verpflichtung auf Seiten des Enteigners, die Pflicht zur Leistung der Entschädigung. Diese Verpflichtung könne der eines Käufers gleichgestellt werden258. Während Laband die Beurteilung der Enteignung als Vertrag ablehnte, ging er hinsichtlich der Zahlung der Entschädigung von einer schuldrechtlichen Verpflichtung aus. Zivilrechtliche Grundlagen der Enteignung lehnte er damit nicht vollständig ab. Grünhut schloß sich Laband an und argumentierte, die Enteignung lasse sich vom Standpunkt des Vertrages her nicht erklären. Es handele sich bei der Enteignung nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um eine einseitige Maßregel der Verwaltung. Der Boteigner schöpfe seinen Rechtstitel aus dem Gesetz und nicht aus dem Willen des Enteigneten259• Er definiert die Enteignung als Legalerwerb, der ipso iure unmittelbar durch das objektive Recht erfolge, ohne daß es auf den Willen des bisherigen Eigentümers ankomme260• Im Gegensatz zu Laband sah er auch die Zahlung der Entschädigung als eine öffentlich-rechtliche Pflicht an261 •

254 255 256

Grünhut, S. 182 f., Fn.l. Laband, AcP 52, 176. Laband, AcP 52, S. 177.

257

v. Rohland, S. 32.

258

Laband, AcP 52, S. 179.

259 Grünhut, S. 180, 183, ebenso Burckhard, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1849, s. 208, 221.

260

Grünhut, S. 183.

261

Grünhut, S. 184.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

157

Grünhut wurde vorgeworfen, seine Argumentation stehe im Widerspruch zu seiner Begründung des Wiederkaufsrechtes262. Das gesetzlich begründete Rückerwerbsrecht vollzog sich nach seiner Auffassung nämlich in Form eines Kaufvertrages263. Es wurde daher argumentiert, wenn Enteignung und Rückabtretung beide gesetzlich angeordnet wären, hätten sie nach der Auffassung von Grünhut konsequenterweise denselben Rechtscharakter haben müssen264• V. Rohland kritisierte sowohl die Auffassung von Laband als auch die von Grünhur65. Gegenüber Grünhut argumentierte er, zwar beruhe der Entschädigungsanspruch auf einer staatsrechtlichen Tatsache. Daraus folge aber nicht, daß ihm der privatrechtliche Charakter abzusprechen sei266• Laband warf er vor, er stelle die Entschädigung in unzulässiger Weise mit dem Kaufpreis gleich. Während die Entschädigung neben dem gemeinen auch den außerordentlichen Wert umfasse, könne der Kaufpreis auch niedriger als der tatsächliche Wert sein267. Bei der Entschädigungspflicht handelte es sich nach seiner Ansicht um eine zivilrechtliche Schadensersatzobligation. Diese Verpflichtung beruhe jedoch, anders als bei Thiel, nicht auf einer deliktischen Handlung, sondern werde kraft Gesetzes erzeugf68. Er sah in der Entschädigung damit eine privatrechtliche Verpflichtung, die sich aus der staatsrechtlichen Tatsache der Enteignung ergab269. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm man Abschied von der Einordnung der Enteignung in zivilrechtliche Kategorien. Es setzte sich die Ansicht durch, daß die Unterschiede zwischen der Enteignung und einem Kaufvertrag gößer waren als die Gemeinsamkeiten270. Das Recht zum zwangsweisen Erwerb von Grundstücken wurde nun aus dem Gesetz abgeleitet. Dem

262 263 264 265

Löbell, s. 20 f.

Grunhut, s. 169. Löbell, s. 21.

v. Rohland, S. 34 f.

266

v. Rohland, S. 34.

267

v. Rohland, S. 35. v. Rohland, S. 35.

268 269 270

v. Rohland, S. 34. Demburg, S. 72.

158

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

stand die staatsrechtliche Pflicht des einzelnen Bürgers gegenüber, sein Eigentum abzutreten271 . Dies galt auch, wenn im Enteignungsverfahren eine Vereinbarung über Abtretung und Entschädigung zustandekarn. Eine solche Vereinbarung bewege sich immer auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit, die durch das Enteignungsverfahren bereits bestehe, und regele nur die Konsequenzen272. Eine andere Frage war, wie eine Einigung zwischen den Parteien nach Einleitung des Enteignungsverfahrens zu beurteilen sei. Während Georg Meyer, wie bereits erwähnt, in diesem Fall vom Abschluß eines Kaufvertrages ausging, wandten sich andere Stimmen gegen die Auffassung, daß in jedem Fall ein Kaufvertrag zustandekomme, wenn sich die Parteien über die Abtretung und die Entschädigung einigten. Nach ihrer Auffassung mußte differenziert werden: Stand die Notwendigkeit der Abtretung im Zeitpunkt der Einigung bereits fest, so änderte sich die Rechtsnatur der Abtretung nicht273• Die Parteien einigten sich lediglich über die unvermeidliche Abtretung. Der Unterschied zum Normalfall der Enteignung sei kein rechtlicher, sondern nur ein faktischer274• Nur wenn die Parteien sich vor der endgültigen Feststellung der Abtretungspflicht einigten, lag nach dieser Auffassung ein Kaufvertrag vor275• Zusammenfassung Die rechtliche Beurteilung der Enteignung als Zwangskauf im Allgemeinen Landrecht und in der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung beruhte auf der Einordnung der Enteignung als Übereignungsvorgang. Das Allgemeine Landrecht und das Eisenbahngesetz erlaubten die Enteignung nur in dem Fall, daß eine gütliche Einigung zwischen den Parteien gescheitert war. Damit hatte die Enteignung den Charakter eines "Ersatzgeschäfts"276 anstelle einer vorrangig anzustrebenden Einigung zwischen den Parteien.

271 272 273 274 275 276

Stobbe, Bd.2, § 92 S. 177; Demburg, § 34, S. 72; Endemann, S. 300. Endemann, S. 300. Grünhut, S. 185. Grünhut, S. 186; Laband, AcP 52, S. 172 Fn.30; v. Rohland, S. 36. Grünhut, S. 187; v. Rohland, S. 36. Weber, Grundrechte, S. 350; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 123.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

159

Die Enteignung bezog sich zudem nur auf Grundstücke und sonstige dingliche Rechte, die dem Eigentümer oder Berechtigten ganz oder teilweise entzogen wurden277 • Diesen heute als "klassisch"278 bezeichneten Enteignungsbegriff charakterisierte neben der Funktion als Ersatzgeschäft der Vollzug durch einen Einzelak:t, ein Anspruch auf vollständige Entschädigung und die Voraussetzung, daß die Enteignung dem Gemeinwohl dienen mußte279 • Der Anspruch auf vollständige Entschädigung rechtfertigte sich aus der Tatsache, daß bei dem eigentlich anzustrebenden Vertrag ein Kaufpreis als Gegenleistung für den Wert des Grundstückes hätte gezahlt werden müssen280• Die Merkmale des klassischen Enteignungsbegriffs lassen sich im Bisenbahngesetz deutlich nachvollziehen. Das Eisenbahngesetz erlaubte nur die Enteignung von Grundstücken und anderen dinglichen Rechten. Die Enteignung wurde aufgrundeines Beschlusses der Regierung ausgesprochen, und für die Entschädigung wurde auf die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts verwiesen. Die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts in Teil 1 Titel 11, bezogen sich vorrangig auf Grundstücke. Die Ausübung von Zwang zur Veräußerung von beweglichen Sachen war nur für den Sonderfall einer Hungersnot und damit des Staatsnotstandes erlaubt281 • Das Enteignungsrecht ist im 19. Jahrhundert aus den besonderen Bedürfnissen der Praxis entstanden. Straßen und Eisenbahnen wurde als unentbehrlich für die wirtschaftliche Entwicklung in Preußen und ganz Deutschland angesehen. Für den Straßenbau und vor allem für die Anlegung von Eisenbahnen wurden erhebliche Flächen benötigt. Nicht jeder Grundeigentümer war bereit, die erforderlichen Grundstücke überhaupt und zudem zu einem akzeptablen Preis zu verkaufen. Um den Widerstand der Grundeigentümer brechen zu können, war die Regelung des Enteignungsrechts unentbehrlich. Auf der Grundlage der durch die Gesetzgebung geschaffenen Tatsachen erfolgte die rechtliche Einordnung der Enteignung.

277

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 123. ·

Weber, Grundrechte, S. 350; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 123; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 84 f. 278

279

Weber, Grundrechte, S. 350; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 123.

Weber, S. 350. § 7 Teil 1 Titel 11 ALR ermächtigte den Staat zur Abwendung einer Hungersnot, die Besitzer von Getreidevorräten zum Verkauf zu zwingen. 280

281

160

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Es lag nahe, die Enteignung angesichts ihres Ersatzcharakters nach zivilrechtlichen Kategorien dem Kauf gleichzustellen. Die Argumentation der Anhänger der Theorie des Zwangskaufs läßt die Schwierigkeiten bei der Bewertung der Enteignung als Kauf erkennen. Die Autoren und die Rechtsprechung konnten nicht bestreiten, daß das Wesensmerkmal eines Vertrages, die Einigung zwischen den Parteien, bei der Enteignung notwendigerweise fehlte. Der Schwerpunkt ihrer Argumentation betraf daher die Frage, wie die fehlende Einigung ersetzt werden konnte. Am einfachsten war es, sie durch den Beschluß der Regierung zu fingieren. Diese Begründung konnte jedoch nicht befriedigen, da die Enteignung gerade deshalb erforderlich war, weil die Parteien sich nicht einigen konnten.

Die Versuche Georg Meyers die Enteignung zivilrechtlich einzuordnen, ohne auf eine Fiktion zurückzugreifen, waren jedoch auch nicht überzeugend, da er ebenfalls von einer privatrechtliehen Verpflichtung des enteigneten Grundeigentümers ausging. Andere Gegner der Zwangskauftheorie, wie Laband und v. Rohland,lösten sich hinsichtlich der Zahlung der Entschädigung nicht von zivilrechtliehen Kategorien. Die Autoren, die die Enteignung aus dem öffentlichen Recht ableiteten, standen andererseits vor dem Problem, daß ihrer Argumentation der eindeutige Wortlaut der Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts und des Eisenbahngesetzes entgegenstand. Das änderte sich erst durch das Enteignungsgesetz von 1874, das diese Vorschriften ablöste und keine Hinweise mehr auf die Annahme eines Zwangskaufs enthielt. Ob sich mit diesem Gesetz eine Abkehr von der Theorie des Zwangskaufs verband, war umstritten. Es wurde vertreten, daß sich an der zivilrechtlieben Beurteilung nichts geändert habe282• Demgegenüber vertrat das Reichsgericht die Auffassung, die preußische Gesetzgebung habe mit dem Enteignungsgesetz vom 11. Juni 1874 die landrechtliche Fiktion der Enteignung als eines erzwungenen Kaufvertrages verlassen283• Die Enteignung sei allein nach den Gesichtspunkten der§§ 74, 75 EinlALR zu beurteilen. Der Eigentümer erhalte keinen Kaufpreis, sondern eine Entschädigung für seinen Schaden284• Praktische Auswirkungen hatte die zivilrechtliche Einordnung der Enteignung nicht, da der Eigentümer weder zum Abschluß eines förmlichen Vertrages noch zur Übergabe oder Mängelgewährleistung verpflichtet war. Untersuchun-

283

Löbell, s. 22. Entscheidung vom 22. November 1880, Gruchot, Bd.25, S. 971.

284

Reichsgericht, Gruchot, Bd.25, S. 971.

282

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

161

gen über die privatrechtliche Natur der Enteignung anzustellen, wurde daher auch für überflüssig gehalten285• Heute ist der ''klassische" Enteignungsbegriff wegen der inzwischen eingetretenen Erweiterung des Eigentumsbegriffs und der Vermehrung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten nur noch von rechtsgeschichtlicher Bedeutung286.

m.

Der Gegenstand der Enteignung

Gegenstand der Enteignung zugunsten von Eisenbahngesellschaften waren Grundstücke und Rechte an Grundstücken. Welche Grundstücke zum Zwecke des Eisenbahnbaus enteignet werden durften, regelten erstmals die Allgemeinen Bedingungen über die Konzessionierung von Eisenbahngesellschaften aus dem Jahre 1836287. Sie enthielten unter Nr. VIII. folgende Bestimmung: "Es bleibt der Gesellschaft überlassen, die für das Unternehmen erforderlichen Grundstücke zu erwerben. Für den Fall, daß eine desfalsige Einigung mit den betreffenden Grundbesitzern nicht zustande kommt, wird indessen in der ihr zu erteilenden Konzession das Recht der gezwungenen Expropriation verliehen".

Erforderlich im Sinne dieser Vorschrift waren folgende Grundstücksflächen: 1. der für die Bahn selbst erforderliche Grund und Boden, 2. der Raum für die Anlage von Ausweichstellen, 3. der Raum, der für die Unterbringung des bei Einschnitten und Abtragungen anfallenden Erdreichs benötigt wurde, und 4. der Grund und Boden für Anlagen, die entweder notwendig waren, damit die Bahn als öffentliche Straße zur allgemeinen Benutzung dienen konnte oder Anlagen, die an eine bestimmte Stelle gebunden waren. Als Beispiele für die zuletzt genannten Anlagen wurden Wärterhäuschen an Bahnübergängen oder Wasserstationen genannt. Auf Anlagen im "Privatinteresse" der Gesellschaft bezog sich das Enteignungsrecht ausdrücklich nicht. Als Beispiele wurden Warenmagazine und vergleichbare Anlagen erwähnt288•

285

Endemann, S. 300.

286

Ossenbühl, S. 123. Wendt, Expropriationskodex, S. 35 ff. Nr. Vlll, S. 3 Allgemeine Bedingungen.

287 288

II Bracht

162

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Diese Regelungen wurden in das Eisenbahngesetz von 1838 übernommen. § 8 Eisenbahngesetz, der das Enteignungsrecht regelte, stimmte inhaltlich mit Nr. VIII. der Allgemeinen Bedingungen von 1836 überein. Der Umfang des Enteignungsrechts wurde im Gegensatz zur bisherigen Regelung nun in fünf statt vier Unterpunkten beschrieben. § 8 Abs. 1 Nr. 1-3 stimmten wörtlich mit der entsprechenden Vorschriften der Allgemeinen Bedingungen überein. § 8 Abs. 1 Nr. 4 Eisenbahngesetz führte neben Wärterhäusern das Gelände für Bahnhöfe ausdrücklich auf. In § 8 Abs. 1 Nr. 5 Bisenbahngesetz fand sich die Bestimmung, daß der Grund und Boden für alle "sonstigen Anlagen", die für die allgemeine Benutzung der Bahn als öffentliche Straße oder im öffentlichen Interesse notwendig waren, enteignet werden konnte. Die Entscheidung der Frage, welche Grundstücke für die genannten Zwecke beansprucht werden konnten, stand nach § 8 Abs. 2 Eisenbahngesetz in jedem Einzelfall der Regierung zu. Gegen die Entscheidung bestand die Möglichkeit der Beschwerde ("Rekurs") an das Ministerium. Der Rechtsweg zu den Gerichten blieb dagegen verschlossen. Ausdrücklich ausgeschlossen wurde in § 8 Abs. 3 Eisenbahngesetz, ebenso wie bereits in den Allgemeinen Bedingungen, lediglich die Enteignung zur Anlage von Einrichtungen, die ausschließlich dem Privatinteresse der Bahngesellschaft zu dienen bestimmt waren. Als Beispiel wurden wiederum Warenmagazine erwähnt. Ebenfalls ausgeschlossen war eine Enteignung von Flächen, die für die Gewinnung von Baumaterial und zur Anlage von vorübergehend benötigten Wegen erforderlich waren. Hierbei handelte es sich um Räume, die zwar für die Anlage der Bahn, nicht aber für die Bahn selbst benötigt wurden. Für diese Flächen kam nur ein Anspruch auf eine vorübergehende Benutzung in Betracht. Das Recht zur vorübergehenden Nutzung von Grundstücken, auf das noch näher eingegangen wird, ergab sich aus § 9 Eisenbahngesetz. Die Aufzählung der Enteignungsfälle in § 8 Eisenbahngesetz war abschließend. Sofern die Regelungen über den Chausseebau weitergehende Enteignungsrechte vorsahen, galten diese nicht für den Eisenbahnbau289 • Ein Beispiel für eine solche Bestimmung bot Art. 55 des französischen Gesetzes vom 16. September 1807, der dem Staat ein Enteignungsrecht auch für solche Grundstücke einräumte, die nur vorübergehend zur Materialgewinnung genutzt werden sollten. Diese Bestimmung des Rheinischen Rechts fand keine Anwendung zugunsten von Eisenbahngesellschaften290 • Die Regelungen über den Bau 289

Bessei/Kühlwetter, Bd.l, S. 31.

290

Bessei/Kühlwetter, Bd.l, S. 32.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

163

von Chausseen wurden von§ 15 Eisenbahngesetz nur hinsichtlich der Zahlung der Geldvergütungen für die enteigneten Grundstücke für anwendbar erklärt. § 8 Abs. 2 Nr. 5 Eisenbahngesetz, der nur von "sonstigen Anlagen" sprach, ohne diese näher zu beschreiben, eröffnete der Regierung einen Ermessensspielraum bei der Auswahl der Grundstücke. Ermessensschranken ergaben sich aus dieser Vorschrift nicht. Die Regierung mußte nach ihrem "Gewissen"291 handeln. Gerichtlich überprüft werden konnte ihre Entscheidung nicht. Die Grenze des Ermessens ergab sich jedoch aus dem Zusaounenhang mit den Beispielen in § 8 Abs. 1 Nr. 1-4 und §9 Eisenbahngesetz. Die "sonstigen Anlagen" mußten mit den dort genannten Zwecken vergleichbar sein. Ausgeschlossen waren daher Grundstücke, die das notwendige Baumaterial liefern konnten, da sie zum einen nicht zu den für die Bahn selbst benötigten Flächen gehörten, und zum anderen § 9 Eisenbahngesetz für diese Flächen nur das Recht zur vorübergehenden Benutzung vorsah. Handelte es sich um ein Grundstück im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1-5 Eisenbahngesetz, so unterlag es dem Enteignungsrecht unabhängig von der Person des Eigentümers, sofern keine spezielleren gesetzlichen Regelungen vorlagen. Zu einem Lehn- oder Stammgut oder zu einem Familienfideikommiß gehörende Grundstücke konnten ebenso enteignet werden wie Mündelgrundstücke292. Die Unveräußerlichkeit von Grundstücken schloß deren Enteignung nicht aus. Das Enteignungsgesetz von 1874 änderte den Gegenstand der Enteignung nicht. Das Enteignungsrecht zur Anlage von Eisenbahnen wurde ausdrücklich in § 23 Enteignungsgesetz geregelt. Diese Vorschrift unterschied sich von § 8 Eisenbahngesetz nur dadurch, daß sich das Enteignungsrecht auch auf das für die Herstellung von "Aufträgen" erforderliche Schüttungsmaterial erstreckte.

IV. Der Umfang der Enteignung Beim Umfang der Enteignung war zwischen Vollenteignung des ganzen Grundstückes und der Teilenteignung zu unterscheiden.

291

BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 31.

v. Rohland, S. 18; G. Meyer, S. 262; W. Koch, Abt. 1, S. 29; Häberlin, AcP 39, S. 147, 175; Stobbe, Bd.2, §92, S. 174, Fn.24a. 292

164

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Da für die Bahnanlage in der Regel nicht ein ganzes Grundstück, sondern nur Teile benötigt wurden, stellte sich die Frage, inwieweit der Grundstückseigentümer die Übernahme des ganzen Grundstückes oder zumindest größerer Teile als für die Anlage erforderlich verlangen konnte. Als Grund hierfür kamen insbesondere Nutzungseinschränkungen oder Behinderungen für die nicht enteigneten Grundstücksteile in Betracht, wenn diese sich z.B. nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll nutzen ließen. Ein Beispiel hierfür sind die Bestimmungen über die Veräußerung staatlicher Forstgrundstücke zur Anlegung von Eisenbahnen. Das Rescript "die Überlassung von Forstterrains zu Eisenbahnunternehmungen betreffend"293, das bereits bei der Darstellung des freiwilligen Grunderwerbs erwähnt wurde, enthielt eine entsprechende Verpflichtung. Wurde durch die Bahnstrecke ein Stück des Forsts abgetrennt, das nicht mehr sinnvoll zu bewirtschaften war, so mußte die Eisenbahngesellschaft auch dieses Teilstück erwerben, sofern es nicht anderweitig veräußert werden konnte294• Für die linksrheinischen Gebiete regelte Art. 51 des Gesetzes vom 16. September 1807 die Frage, ob der Boteigner gezwungen werden konnte, größere Flächen zu erwerben, als er tatsäeblieb benötigte. Nach dieser Vorschrift mußten Gebäude, die nur teilweise auf dem zu enteignenden Grundstück lagen, insgesamt übernommen werden295• Das ALR sah die Übernahmepflicht für das ganze Gebäude nicht ausdrücklieb vor. Nach allgemeinen Grundsätzen ergab sieb ein entsprechender Anspruch jedoch unter dem Gesichtspunkt der vollständigen Entschädigung, die nach dem allgemeinen Landrecht zu leisten war, wenn sich der verbleibende Gebäudeteil nicht mehr sinnvoll nutzen ließ296• Welche Auswirkungen die Pflicht, abgeschnittene Flächen mitzuerwerben, hatte, zeigte sich bei der Anlegung der Thüringischen Eisenbahn, die im Jahre 1844 konzessioniert wurde und von Halle über Merseburg, Weimar, Erfurt und Eisenach bis zur kurbessischen Grenze führen sollte297 • Nach den Enteignungsgesetzen der Thüringischen Staaten298 mußten abgeschnittene Geländeteile miterworben werden, wenn ihr Flächeninhalt unter 1/4 Acker(= ca. 7 ar) lag. Dies führte für die Thüringische Eisenbahngesellschaft zu einem zwangsweisen

293

Ministerialblatt der inneren Verwaltung 1841, S. 41 ff.

294

Ministerialblatt der inneren Verwaltung 1841, S. 41 ff.

29s

Bessei/Kühlwetter, S. 97; Rheinischer Appellhof Entscheidung vom 31.8.1843, Rh.Arch 36.1.64. 297

Häberlin, S. 177 f.; Bessei/Kühlwetter, S. 97. Konzession vom 20. August 1844, GS 1844, S. 419ff.

298

Fleck, AfE 1895, S. 480.

296

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

165

Mehrerwerb von über 40 % der benötigten Grundstücksfläche, woraus sich erhebliche Kostensteigerungen ergaben299•

V. Die beteiligten Personen An der Enteignung beteiligt war zunächst die Regierung, die das Enteignungsverfahren leitete. Unter der Bezeichnung Regierung verstand das Eisenbahngesetz die jeweiligen Bezirksregierungen. Die Enteignung selbst wurde von dem sogenannten Exproprianten betrieben. Beim Eisenbahnbau konnten je nach dem, ob es sich um eine Staatsbahn oder eine von einem Privatunternehmen erbaute Bahnlinie handelte, entweder der Staat als Betreiber der Staatsbahn oder das Privatunternehmen Exproprianten sein. Enteignet wurden zum einen der Eigentümer des Grundstücks, der sogenannte Expropriat, und zum anderen die Inhaber dinglicher Rechte an dem Grundstück, sogenannte Nebenberechtigte.

VI. Die Grundsätze der Entschädigung 1. Die Entschädigung für den Grundeigentümer a) Allgemeine Grundsätze Der Grundstückseigentümer hatte Anspruch auf volle Entschädigung300• Dies ergab sich in den Provinzen des allgemeinen Landrechts aus § 75 EinlALR und § 31 Teilt TitelS ALR301• In den linksrheinischen Gebieten enthielt Art. 545 RhCGB eine entsprechende Festsetzung. Art. 9 der Verfassung von 1850 begründete schließlich einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf vollständige Entschädigung. Es stellte sich die Frage, was unter vollständiger Entschädigung zu verstehen war. Dieser Punkt wurde als der schwierigste der ganzen Enteignungsgesetzgebung bezeichnet302•

299

Fleck, AfE 1895, S. 480.

Häberlin, AcP 39, S. 147, 186 u., W. Koch, Abt. 1, S. 86, Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 95. 301 § 31:"Doch muß...der Staat dafür sorgen, daß der einzuschränkende Eigentümer für den dadurch erleidenden Verlust vollständig schadlos gehalten werde". 300

302

Mittermaier, Staatsle:xik:on, S. 795.

166

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Mit dem Argument, durch die Enteignung werde das Recht auf freie Disposition über das Eigentum genommen, für das es eigentlich keine Entschädigung geben könne, wurde vertreten, daß die Politik verpflichtet sei, eher mehr als zu wenig zu geben303. Der Eigentümer werde zur Aufgabe einer Sache gezwungen, an die ihn die Familientradition binde und mit der er daher in besonderer Weise verbunden sei304• Diese Ansicht konnte allenfalls ein Kriterium für Grenzfälle liefern, jedoch keine Anhaltspunkte für eine Definition des Begriffs der vollständigen Entschädigung. Im allgemeinen Landrecht bestimmte § 9 Teil 1 Titel 11 ALR für den notwendigen Kauf, daß bei der Bestimmung des Kaufpreises neben dem gemeinen auch auf den außerordentlichen Wert Rücksicht zu nehmen sei. Den Begriff des Gemeinen Werts erläuterte das Allgemeine Landrecht in §§ 111-113 Teil1 Titel2 ALR. § 111 Teil1 Titel2 ALR definierte den Wert einer Sache mit dem Nutzen, den sie ihrem Besitzer leisten kann. Der Gemeine Wert einer Sache ist nach§ 112 Teill Titel2 ALR: "der Nutzen, welchen die Sache einem jeden Besitzer gewähren kann".

Was unter "Nutzen" einer Sache zu verstehen war, ergab sich aus § 109 Teil 1 Titel 2 ALR: "Unter dem Nutzen einer Sache wird aller Gebrauch verstanden, welchen jemand von derselben zu machen berechtigt ist."

Bestandteil des gemeinen Werts waren nach§ 113 Teil1 Titel2 ALR: "Annehmlichkeiten oder Bequemlichkeiten, welche einem jeden Besitzer schätzbar sind, und deswegen gewöhnlich in Anschlag kommen."

Den Begriff des außerordentlichen Werts definierte das allgemeine Landrecht in§ 114 Teil1 Titel2 wie folgt: "Der außerordentliche Wert einer Sache erwächst aus der Berechnung des Nutzens, welchen dieselbe nur unter gewissen Bestimmungen oder Verhältnissen leisten kann"

Bei der Wertbestimmung mit zu veranschlagen waren danach alle diejenigen Vorteile, die durch die richtige Benutzung der Sache erreicht werden konnten305.

303 304

Häberlin, AcP 39, S. 181; Mittermaier, Staatslexik:on, S. 795. Häberlin, AcP 39, S. 181.

305 Bessei/Kühlwetter, Bd.1, S. 108 unter Bezugnahme auf die Entscheidung eines preußischen Gerichts aus dem Jahre 1855.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

167

Für die linksrheinischen Gebiete galt nach Art 545 RhCGB lediglich, daß eine angemessene Entschädigung zu zahlen sei. Art. 16 Enteignungsgesetz von 1810 bestimmte, daß die Entschädigung unter Berücksichtigung der "in jüngster :leit geschlossenen Kaufbriefe, sei es für die nämlichen Grundstücke oder für benachbarte nämlicher Qualität" zu bestimmen sei.

Die unterschiedlichen Formulierungen in den beiden Landesteilen führteq nicht zu rechtlichen Unterschieden. Die Heranziehung der Preise vergleichbarer Grundstücke, wie ihn Art. 16 Enteignungsgesetz vorsah, führte zu einer Wertbestimmung im Sinne der Definition des gemeinen Werts durch das ALR. Es wurde nicht allein auf den Wert des Grundstückes für einen einzelnen Besitzer abgestellt, sondern versucht, den Wert zu ermitteln, den das Grundstück für jeden anderen Besitzer hatte. Der Anspruch auf eine "angemessene" Entschädigung ließ daneben die Berücksichtigung des außerordentlichen Wertes zu. Hieraus ergab sich das Problem, die Grenze des ersatzfähigen Schadens zu bestimmen. Unbestritten war, daß dem Grundeigentümer jeder irgendwie durch die Enteignung entstandene Schaden zu ersetzen war und seine individuellen Verhältnisse dabei berücksichtigt werden mußten. Nicht zu ersetzen war jedoch das reine Affektionsinteresse, das "pretium affectionis"306• Dies wurde in der Literatur damit begründet, daß es sich bei dem Liebhaberwert um einen eingebildeten Wert handele, der als solcher nicht in Geld meßbar sei, somit keinen materiellen Schaden darstelle und daher keinen Entschädigungsanspruch begründen könne307 • Das allgemeine Landrecht sprach von dem "Wert der besonderen Vorliebe". § 115 Teil 1 Titel 2lautete: "Der Wert der besonderen Vorliebe entsteht aus bloß zufalligen Eigenschaften oder Verhältnissen einer Sache, die derselben in der Meinung ihres Besitzers einen Vorzug vor allen andern Sachen gleicher Art beilegen"

Der Wert der besonderen Vorliebe durfte nach § 118 Teil 1 Titel 2 ALR nur in Ansatz gebracht werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmte. § 9 Teil1 Titel 11 erwähnte diesen Wert nicht, so daß er auch nicht in Ansatz gebracht werden konnte. Der Enteignete hatte damit in Preußen Anspruch auf Ersatz des gemeinen und des außerordentlichen Wertes seines Eigentums. Für die Berechnung der Entschädigung war von einem Vergleich des Vermögens des Grundstücks306

BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 94; Häberlin, AcP 39, S. 185 f.; W. Koch, Abt.l,

307

Häberlin, AcP 39, S. 185; W. Koch, Abt.l, S. 89.

s. 88.

168

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

eigentümersvor der Abtretung mit dessen Wert nach vollzogener Enteignung auszugehen308• Zu ersetzen waren alle Schäden oder Nachteile, welche den Eigentümer durch die Abtretung vorübergehend oder dauernd trafen309•

b) Die konkrete Schadensberechnung Der gemeine Wert eines Grundstücks umfaßte zunächst den Bodenwert. Bei landwirtschaftlich genutzten Flächen war in den Bodenwert der Ertragswert einzubeziehen. Der Ertragswert ergab sich aus den durchschnittlichen Erlösen der letzten Jahre für die angebauten Früchte, abzüglich ersparter Aufwendungen, wie z.B. für Saatgut, Düngemittel und Lohnkosten für Tagelöhne~10.

Zu ersetzen war auch der Wert der bereits gesäten Früchte, die aufgrund der Enteignung nicht mehr abgeerntet werden konnten311 • Bei der Enteignung von Teilstücken eines Grundstücks konnte der Eigentümer Ersatz für den Nutzen verlangen, den das abgetretene Teilstück in Verbindung mit dem bei dem Enteigneten verbleibenden Grundstücksrest gewährte312• Über diesen außerordentlichen Wert des abgetretenen Grundstücks hinaus, konnte nicht noch zusätzlich eine gesonderte Vergütung für einen Wertverlust des Restgrundstücks verlangt werden. Dieser Wertverlust war bereits bei der Bewertung des Nutzens, den der abgetretene Teil für das Gesamtgrundstück hatte, zu berücksichtigen313• Dieser Punkt war für den Eisenbahnbau von besonderer Bedeutung, da der Bahndamm bisher zusammenhängende Grundstücksteile trennte. Überquert werden konnte er nur an dafür besonders eingerichteten Stellen, so daß nicht nur die einheitliche Feldbestellung erschwert wurde, sondern sich auch verlängerte Anfahrtswege ergaben.

308

Häberlin, AcP39, S. 182; Treichler, S. 153ff.

309

Beschomer, S. 99.

310

W. Koch, Abt.l, S. 91; Häberlin, AcP 39, S. 185.

311

Häberlin, AcP 39, S. 185; Bessel/Kühlwetter Band 1, S. 95.

312

Obertribunal, Entscheidung vom 28.6.1850, bei Gruchot, Bd.9, S. 93.

313

Obertribunal, Entscheidung vom 28.6.1850, bei Gruchot, Bd.9, S. 92 f.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

169

Die erschwerte Bewirtschaftung des Grundstücks durch den Verlust der unmittelbaren Verbindung und die möglicherweise erforderliche Änderung der Feldaufteilung begründeten einen Entschädigungsanspruch314• Mußten neue Wege angelegt werden, so hatte die Eisenbahngesellschaft die dafür erforderlichen Aufwendungen zu erstatten. Zu diesen Aufwendungen gehörte der Ersatz für die Verwendung von Grundstücken zur Anlegung der neuen Wege und die Kosten durch notwendig werdende Umwege31S. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch war jedoch, daß der Wertverlust unmittelbar und ausschließlich durch die Aufspaltung des Grundstücks hervorgerufen wurde. Allein die Nähe der Bahnlinie vermochte keinen Schadensersatzanspruch zu begründen316• Auf das Recht des Grundstückseigentümers, bei Teilenteignung von der Eisenbahngesellschaft die Übernahme eines Gebäudes im ganzen verlangen zu können, wurde bereits eingegangen. Bei der Bemessung der Entschädigung waren Realrechte, wie z.B. Wegerechte, die zugunsten des enteigneten Grundstücks bestanden, zu berücksichtigen. Derartige Reallasten gingen auf den Enteigner über. Erhöhte die Realberechtigung den Wert des abzutretenden Grundstückes und konnte sie von dem bisherigen Grundeigentümer aufgrund der Enteignung nicht mehr ausgeübt werden, so führte dies zu einer höheren Entschädigung. Konnte die Eisenbahngesellschaft die Realberechtigung aufgrund des Bahnbaus nicht nutzen, so bestand die Möglichkeit, sich mit dem Eigentümer des dienenden Grundstücks gütlich über die Aufbebung zu einigen. Ansprüche gegen den Eigentümer des dienenden Grundstücks entstanden ansonsten nicht. Die Unmöglichkeit für die Eisenbahngesellschaft, die Reallast zu nutzen, war ihm nicht zuzurechnen317•

314 Obertribunal, Entscheidung vom 30.6.1854, bei Gruchot, Bd.9, S. 93; Rheinischer Appellhof, Rh.Arch 31.1.70,72. Der klagende Grundeigentümer scheiterte allerdings mit seinem Antrag von einer vollständigen Trennung der beiden Grundstückshälften auszugehen. Das Gericht lehnte seine Argumentation ab, durch die zu erwartende hohe Frequenz der Zugverbindung (es ging um die Strecke Düsseldorf-Elberfeld) könnten die Übergänge nicht genutzt werden. 315 Obertribunal, Entscheidung vom 31.1.1859, Striethorst Archiv Bd.32, S. 181 f.; Appellationsgericht Hamm, Entscheidung vom 26.6.1856, Gruchot, Bd.I, S. 284, 288. 316 Rheinischer Appellhof, Entscheidung vom 31.8.1843, Rh.Arch 36.1.64,69; Häberlin, AcP 39, S. 184. 317 Häberlin, AcP 39, S. 193; W. Koch, Abt. 1, S. 92 f.

170

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Neben dem Bodenwert war der Wert der sich auf dem Grundstück befindenden Anlagen und Gebäude zu ersetzen, sofern sie den Wert des Grundstücks erhöhten. Die Entschädigung umfaßte neben dem reinen Bauwert auch Wertsteigerungen, die sich aus der Lage und der Nutzungsmöglichkeit für gewerbliche Zwecke ergaben318• Mußten aufgrund der Grundstücksabtretung Gebäude abgerissen und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden, so waren die Verluste durch den vorübergehend eingestellten Betrieb zu ersetzen. Das gleiche galt für voraussichtliche Mindererträge am neuen Standort319• Zu ersetzen waren auch Kosten für eine Wohnung, wenn das bisherige Haus nicht vorläufig weiter bewohnt werden konnte320• Nicht zu ersetzen waren dagegen die Aufwendungen für den Neubau der Gebäude an anderer Stelle. Hierfür diente die für das abgetretene Grundstück gezahlte Entschädigung321 • Als Beispiele für sonstige Anlagen auf dem Grundstück lassen sich Steinbrüche oder Fischteiche anfiihren322• Der außerordentliche Wert eines Grundstücks umfaßte auch den entgangenen Gewinn323• Fraglich war, inwieweit künftige Vorteile oder Gewinnerwartungen bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen waren. Es wurde vertreten, daß solche Vorteile ersetzt werden mußten, die in naher Zukunft mit Bestimmtheit zu erwarten seien. Ob ein behaupteter Vorteil tatsächlich sicher zu erwarten war, hatten Sachverständige zu beurteilen324• Als Maßstab für die Erreichbarkeil von Vorteilen diente § 6 Teil I Titel 6 ALR. Diese Vorschrift bestimmte für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen den Begriff des zu ersetzenden entzogenen Gewinns. Danach waren nur solche Vorteile zu ersetzen, "die entweder nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Geschäfte des bürgerlichen Lebens, oder vermöge gewisser schon getroffener Anstalten und Vorkehrungen, vernünftiger Weise erwartet werden konnten".

318 319

W. Koch, Abt. 1, S. 92. Häberlin, AcP 39, S. 184; W. Koch, Abt. 1, S. 93.

320

Appellhof Köln, Rh.Arch 36.1.64,71.

321

323

Häberlin, AcP 39, S. 184. Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 95; W. Koch, Abt. 1, S. 92. G. Meyer, S. 272; Häberlin, AcP 39, S. 186 f.; Gruchot, Bd.IX, S. 95.

324

Häberlin, AcP 39, S. 187.

322

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

171

Beispiele für den von Grundstückseigentümern geltend gemachten entgangenen Gewinn finden sich in mehreren Gerichtsentscheidungen, die, soweit es sich nicht um preußische Gerichte handelte, von dem Allgemeinen Landrecht entsprechenden Rechtsgrundsätzen ausgingen. Im ersten Fall handelt es sich um eine Entscheidung des Oberappellationsgerichtes in Lübeck vom 23. Mai 1850325• Der Grundstückseigentümer behauptete, sein bisher nur für den Gemüseanbau genutztes Grundstück als Bauland verkaufen zu können und verlangte daher eine der Baulandqaulität entsprechende Entschädigung. Das Gericht entschied, der höhere Baulandwert sei zu zahlen, wenn das Grundstück nach seiner Beschaffenheit als Bauland geeignet wäre und zum Zeitpunkt der Enteignung wahrscheinlich als Bauplatz hätte verkauft werden können326• Diese Gesichtspunkte hatten die Sachverständigen bei der Bewertung des Grundstücks zu berücksichtigen. Nicht zu ersetzen war ein Gewinn, der nur möglicherweise erzielt werden konnte, ohne daß sein Eintritt sicher war. Zu ersetzen war nur derjenige Nutzen, den das Grundstück unter den zur Zeit vorbandenen und deutlieb erkennbaren Bedingungen und Verhältnissen erbrachte327 • Bei der Bewertung von Gemüseland war daher auf die in den letzten Jahren tatsächlich angebauten Pflanzen abzustellen und nicht auf eine theoretisch mögliche Nutzung, die einen höheren Ertrag abgeworfen hätte328 • So wurde in einem anderen Urteil entschieden, daß die Behauptung, das enteignete Grundstück werde aufgrund des Wachstums einer angrenzenden Stadt in wenigen Jahren zu Bauland werden, zum Zeitpunkt der Enteignung keine konkrete Gewinnmöglichkeit begründete. Der höhere Baulandwert durfte deshalb nicht angesetzt werden329 • Ein weiteres Beispiel für einen ungewissen zukünftigen Gewinn findet sieb in einer Entscheidung des Obertribunals in Stuttgart330• In dem zugrundeliegenden Fall war der Garten hinter dem Haus eines Weinhändlers für eine Eisenbahnlinie enteignet worden.

325

Oberappellationsgericht Lübeck Seuff.Arch.Bd.3 (1851) Nr. 176, S. 200 f.

326

Oberappellationsgericht Lübeck Seuff.Arch.Bd.3 (1851) Nr. 176, S. 200 f.

327

Obertribunal Entscheidung vom 10. November 1851, Gruchot, Bd.IX, S. 96, 97.

328 329

Obertribunal Entscheidung vom 10. November 1851, Gruchot, Bd.IX, S. 96, 98. Obertribunal, Entscheidung vom 17.2.1860, Gruchot, Bd.IX, S. 100, 101.

330

Obertribunal Stuttgart, Entscheidung vom 22.12.1849, Seuff.Arch.Bd.5 Nr.178,

s. 224.

172

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Der Kläger behauptete, er hätte auf dem enteigneten Platz Weinkeller errichten können und verlangte daher eine entsprechend höhere Entschädigung331 • Für die Absicht, die Keller zu bauen, lagen jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, so daß die Klage erfolglos blieb. Schließlich hatte das Oberappellationsgerichts in Darmstadt über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Auf dem enteigneten Grundstück stand ein Buchenwald, der für die Anlegung einer Bahnlinie gefallt wurde. Die Sachverständigen gingen bei der Wertermittlung des Waldbodens jedoch nicht von Buchenwald aus, sondern legten Tannenwald zugrunde332• Das Gericht entschied, bei der Bemessung der Entschädigung könnte eine mögliche Umwandlung von Buchen- in Tannenwald nicht zugrundegelegt werden, da für eine solche Umwandlung keine Anhaltspunkte vorlagen. Als weiteres Beispiel läßt sich der Erwerb von unfruchtbarem Land anführen, dessen Umwandlung in Ackerland durch Bewässerung beabsichtigt war333• Die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Gewinnerwarrungen war einheitlich. Es mußten konkrete Anhaltpunkte dafür vorliegen, daß der Grundstückseigentümer den Gewinn ohne die Enteignung sicher gemacht hätte. Nicht zu ersetzen waren bloße Gewinnchancen. Diese Auffassung fand sich auch in der Literatur wiede~34 • Als Beispiel für nicht ersatzfa.hige Gewinnerwartungen wurden Pläne für die Errichtung einer Fabrik und der aus ihr zu erwirtschaftende Gewinn aufgeführt, weil sie - falls der Bau noch nicht begonnen hatte - ebenso gut auf einem anderen Grundstück verwirklicht werden konnten335• Für die Realisierung solcher Pläne mußten daher schon Vorarbeiten geleistet worden sein, die zu einer konkreten Werterhöhung für das enteignete Grundstück geführt hatten. Ausgeschlossen war ein Ersatzanspruch für wertsteigemde Maßnahmen, die nur in der Absicht vorgenommen worden waren, bei der Enteignung eine höhere Entschädigung zu erzielen. In diesem Fall handelte der Grundstückseigentümer unredlich, so daß schon aus diesem Grunde keine Entschädigung zu gewähren war. Dem Eigentümer stand nur das Recht zu, die Anlagen wegzu-

331

s. 224.

Obertribunal Stuttgart, Entscheidung vom 22.12.1849, Seuff.Arch.Bd.5 Nr.178,

332 Oberappellationsgericht Darmstadt, Entscheidung vom 28.1.1854, Seuff.Ar. Bd.7 Nr. 323, S. 387.

334

Häberlin, S. 187. Häberlin, S. 187; W. Koch, Abt. 1, S. 95, G. Meyer, S. 272.

335

Häberlin, S. 187; W. Koch, Abt. 1, S. 95.

333

3. Teil: Der Grundetwerb durch Enteignung

173

nehmen336• Dieser Grundsatz wurde im Jahre 1874 in das preußische Enteignungsgesetz übernommen337 • Schwierigkeiten bereitete die Bestimmung des Zeitpunktes, von dem an eine unredliche Absicht zu unterstellen war338• Es wurde vorgeschlagen, generell einen Zeitraum von sechs Monaten vor Beginn des Enteignungsverfahrens anzusetzen. Begründet wurde dies mit dem Umstand, daß die geplanten Anlagen im Regelfall lange vor Einleitung des Enteignungsverfahrens in der Öffentlichkeit bekannt würden339• Dieser Vorschlag setzte sich in Preußen jedoch nicht durch. Es mußte daher in jedem Einzelfall überprüft werden, ob der Grundstückseigentümer die Investitionen in Kenntnis der geplanten Enteignung vorgenommen hatte. Die Enteignungsgesetze anderer deutscher Staaten enthielten demgegenüber vielfach die Festlegung betimmter Zeiträume340• Im übrigen war -selbst bei Vorliegen unredlicher Absicht- Entschädigung für solche Anlagen zu leisten, die den Wert des Grundstücks auch fiir die Eisenbahngesellschaft erhöhten. Da bestimmte Umstände zu einer Erhöhung des Entschädigungsanspruchs führten, stellte sich umgekehrt die Frage, ob Vorteile, die sich durch den Bau der Bahn für das Restgrundstück ergaben, anspruchsmindernd berücksichtigt werden müßten. In der Literatur wurde eine Kompensation des Entschädigungsanspruches mit etwaigen Vorteilen überwiegend für unzulässig gehalten341 • Vorteile, die durch die Unternehmung entstünden, seien als zusätzliche billige Entschädigung für die Opfer anzusehen, die der Eigentümer trotz vollständiger Entschädigung erbringen müsse. Billigkeitsgründe könnten·zu keinem anderen Ergebnis führen, da andernfalls jede Person, die einen Vorteil durch die Anlage der Bahn gewinne, zu Ausgleichszahlungen verpflichtet werden müßte. Die alleinige Belastung der Eigentümer mit Kompensationen wurde nach den Grundsät-

336

W. Koch, Abt. 1, S. 96 ; Grünhut, S. 108, Häberlin, S. 188.

337

§ 13 Pr.Enteignungsgesetz.

338

Häberlin, S. 188.

339

Thiel, S. 27.

340

Bayern, Baden, Hannover, Hamburg, Thüringische Staaten, s. G. Meyer, S. 296

m.w.N.

341 Häberlin, AcP 39, S. 191; Treichler, S. 157; W. Koch, Abt. 1, S. 97; Pöhls, S. 136 f., Beschorner, S. 102; a.A. Thiel, S. 32 unter Hinweis auf Art. 51 des französischen Enteignungsgesetzes von 1841, der eine Anrechnung von Vorteilen, die speziell für das verbleibende Grundstück entstanden, vorsah.

174

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

zen der Rechtsgleichheit und Billigkeit für unzulässig befunden342• Es wurde argumentiert, derjenige, der Grund- und Boden abtreten müsse, werde schlechter behandelt als derjenige, der als Bahnanlieger ebenfalls in den Genuß der Vorteile komme, dabei aber das Glück habe, daß die Bahnlinie nicht über sein Grundstück verlaufe und damit den Vorteil umsonst erhalte343• Eine Kompensation sei nur zu rechtfertigen, wenn jeder, der aus der Unternehmung einen Vorteil erhalte, diesen auch bezahlen müsse344• Die Gegenauffassung in der Literatur argumentierte, der Enteignete habe Anspruch auf Ersatz der von ihm gebrachten Opfer. Eventuelle Vorteile verringerten dieses Opfer jedoch. Der Eigentümer könne nicht verlangen, auf Kosten der Allgemeinheit einen Vorteil zu erlangen345• Eingeschränkt wurde die Anrechnung jedoch auf solche Vorteile, die speziell dem Grundstückseigentümer zugute kamen und nicht nur allgemein der gesamten Gegend346• Diese Argumentation wurde auch von dem Rheinischen Appellhof in Köln in einer Entscheidung vom 15.11.1854 vertreten. Er legte fest, daß nur solche Vorteile anzurechnen seien, bei denen sich die Werterhöhung als unmittelbare Folge der Enteignung darstellte. Vorteile dagegen, die der gesamten Gegend durch die Anlegung eines Weges zugute kommen, wie z.B. eine höhere Verkehrsfrequenz, sollten nicht anzurechnen sein347• Ein Erläuterung zu der Frage, wann ein konkreter Vorteil anzunehmen sei, enthielt die Entscheidung nicht. Überhaupt scheint die Anrechnung von Vorteilen bei der Enteignung zugunsten von Eisenbahnen keine besondere Rolle gespielt zu haben. Die Entscheidung des Rheinischen Appellhofs bezog sich auf die Anlegung einer Straße. Eine Straße konnte eher als eine Eisenbahn, die zwischen festgelegten Haltepunkten verkehrte, einen konkreten Vorteil für ein einzelnes Grundstück bedeuten. Vorteile für das Grundstück traten zudem in der Regel nicht schon durch die Enteignung selbst, sondern erst durch die spätere Errichtung der Anlage auf. Solche Vorteile waren jedoch in keinem Fall anzurechnen, da sich die Berech-

342 Treichler, S. 157; Häberlin, S. 191, W. Koch, Abt. 1, S. 97; Dernburg, § 34; Beschorner, S. 98. 343 Treichler, S. 157; Häberlin, S. 191, W. Koch, Abt. 1, S. 97; Demburg § 34; Beschorner, S. 98.

344

Treichler, S. 157.

345

Grünhut, S. 124.

346

Grünhut, S. 125.

347

Rheinisches Archiv 50.1.140; BesseVKüh1wetter, Bd.1, S. 109, W. Koch, Abt. 1,

s. 98.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

175

nung der Entschädigung ausschließlich nach dem Wert des Grundstücks zur Zeit der Abtretung richtete. § 10 des preußischen Enteignungsgesetzes von 1874 stellte ausdrücklich klar, daß Vorteile, die erst als Folge der neuen Anlage entstehen, bei der Bemessung der Entschädigung nicht zu berücksichtigen seien.

Für die Bewertung des Grundstückes war auf den Zeitpunkt der Abtretung abzustellen. Wertveränderungen, die sich im Laufe eines möglichen Prozesses über die Höhe der Entschädigung ergaben, konnten keine Berücksichtigung finden348• Der Appellhof in Köln stellte dies in einer Entscheidung aus dem Jahre 1841 ausdrücklich klar349• Begründet wurde dies damit, daß dem Eigentümer mit dem Ausspruch der Enteignung das Verfügungsrecht über sein Eigentum entzogen werde. Da die Entschädigung das Äquivalent für die Entziehung des Verfügungsrechts darstellte, sei für ihre Berechnung der Zeitpunkt entscheidend, zu dem sie an die Stelle des Grundstücks trete350• c) Die Entschädigung der Nebenberechtigten

Neben dem Eigentümer waren die übrigen Inhaber von Grundstücksrechten, die durch die Enteignung beeinträchtigt wurden, zu entschädigen. Die Entschädigung der sogenannten Nebenberechtigten konnte auf zwei Wegen erfolgen. Ihnen konnte entweder ein selbständiger Entschädigungsanspruch eingeräumt werden, oder die Entschädigungsleistung wurde an den Grundstückseigentümer gezahlt, gegen den die Nebenberechtigten ihre Ansprüche anschließend geltend machen mußten. Für Realberechtigte war in Preußen eine selbständige Entschädigung vorgesehen. Nach § 12 Eisenbahngesetz, war die Entschädigungssumme, wenn neben dem Eigentümer auch Realberechtigte zu berücksichtigen waren, von der Eisenbahngesellschaft bei Gericht zu hinterlegen oder eine Kaution zu stellen. Eine separate Entschädigung der Realberechtigten wurde damit vorausgesetzt. Für die Rheinprovinz ergab sich aus Art. 18 Abs. 2 Enteignungsgesetz, daß die Entschädigung für dritte Personen in derselben Form wie die für den Eigentümer festgesetzt werden sollte. Etwas anderes bestimmte Art. 18 Abs. 1 EntBesseVKühlwetter, Bd.1, S. 95, W. Koch, Abt. 1, S. 90; Gruchot, Bd.IX, S. 102. Entscheidung des Appellhofs zu Köln vom 17.3.1841, Rheinisches Archiv 30.1.248. 350 Appelhof Köln, Rh.Arch 30.1.248; ebenso das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 21. September 1821, RGZ 7, 258,261. 348 349

176

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

eignungsgesetz nur für den Fall, daß der Grundstückseigentümer die Berechtigten nicht von der Enteignung benachrichtigte. In diesem Fall schuldete nicht die Eisenbahngesellschaft, sondern der Grundeigentümer die Entschädigungssumme. Da§ 12 Eisenbahngesetz nur allgemein von Realberechtigten sprach, stellte sich die Frage, wer damit gemeint war. Erfaßt wurden Personen, denen ein dingliches Recht an dem Grundstück zustand. Nach dem allgemeinen Landrecht lag ein dingliches Recht vor, wenn der Berechtigte fremdes Eigentum gebrauchen oder nutzen durfte und er sich im Besitz der Sache befand351 • Bei Grundstücken und Gerechtigkeiten stand die Eintragung im Hypothekenbuch dem Besitz an der Sache gleich352• Die den Realberechtigten zustehende Entschädigung war bei dem Grundstückseigentümer wertmindernd zu berücksichtigen353• Zu den dinglich Berechtigten, die nach § 12 Eisenbahngesetz gesondert zu entschädigen waren, gehörten zunächst Personen, denen ein Nießbrauch an dem Grundstück eingeräumt worden war354• Sie hatten Anspruch auf Ersatz des jährlichen Reinertrages aus dem Nießbrauchsobjekt An die Stelle des Nießbrauchs an dem Grundstück trat dann der Nießbrauch an dem Entschädigungskapital355. Die dem Nießbrauchsberechtigten zustehende Entschädigung entsprach daher im Regelfall deri Zinsen auf das Entschädigungskapital356• Umstritten war, ob Mieter oder Pächter zu den Realberechtigten im Sinne von§ 12 Eisenbahngesetz gehörten. Nach den Bestimmungen des ALR zählten Miet- und Pachtverträge zu den dinglichen Rechten. Das Kreisgericht Herford entschied jedoch im Jahre 1853357, daß zu den Realberechtigten nur die Personen zählten, denen ein dauerndes dingliebes 3s1

§§ 1, 2 Teilt Titel21 ALR.

3s2

§ 4 Teil 1 Titel 21 ALR.

3s3

Bessei/Kühlwetter, Bd.l, S. 47.

3s4 BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 47; nach den Expropriationsgesetzen in anderen deutschen Ländern hatten Nießbrauchsberechtigte z.T. keinen selbständigen Entschädigungsanspruch, sondern mußten sich an den Eigentümer halten: Harnburg § 9, Baden §39, W. Koch, Abt. l, S. 102.

m Grünhut, S. 131. 3s6

Entscheidung des Rh.Appellhofs vom 9.6.1847, Rh.Arch 42.1.149; Grünhut,

3s7

Entscheidung vom 13.Januar 1853 zitiert bei Bessei/Kühlwetter, Bd.l, S. 47 f.

s. 131.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

177

Recht an dem Grundstück zustand. Pächter und Mieter hätten dagegen nur ein zeitlich begrenztes Recht. Der Verpächter oder Vermieter hafte ihnen für die Erfüllung des Miet- oder Pachtvertrages und bei vorzeitiger Vertragsauflösung auf Schadensersatz. Diese Entscheidung stieß auf Widerspruch in der Literat~ss.

§ 12 Eisenbahngesetz bezog sich allgemein auf Realrechte, ohne zwischen dauernden und vorübergehenden Lasten zu unterscheiden. Die Eisenbahngesellschaft war danach verpflichtet, Mieter oder Pächter selbständig zu entschädigen. Die Entscheidung des Kreisgerichts soll von der nächsten Instanz demzufolge auch aufgehoben worden sein359•

Für die linksrheinischen Gebiete ergab sich die separate Entschädigungspflicht für Mieter und Pächter ausdrücklich aus Art. 18 Enteignungsgesetz von 1810360• Die Eisenbahngesellschaft wurde jedoch nach dieser Vorschrift von der Entschädigung der Mieter, Pächter und Nutznießer befreit, wenn diese sich nicht während des Entschädigungsverfahrens gemeldet und ihre Ansprüche geltendgemacht hatten. Dies mußte spätestens im Zuge des gerichtlichen Verfahrens über die Höhe der Entschädigung geschehen. Versäumten sie es, ihre Forderungen rechtzeitig anzumelden, so konnten sie nur noch den Eigentümer in Regreß nehmen, sofern dieser sie nicht rechtzeitig über die Entschädigungsverhandlungen informiert hatte361 • Zu ersetzen war dem Pächter der Nutzungswert des Grundstückes für die laufende Pachtzeie62• Grundsätzlich waren die Pächter aus den nach Abzug der Pacht verbleibenden Zinsen des Kapitals zu entschädigen, das der Eigentümer für sein Grundstück erhalten hatte363• Die Zinsen des Kapitals mußten jedoch nicht notwendigerweise dem Wert des Nutzungsrechtes entsprechen. War der

3s8

BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 48.

s

BesseVKühlwetter, Bd. 1, S. 49.

3 9

Art. 18, Abs. 1:"Falls dritte Personen, als, ...Pächter oder Mieter interessiert sind, muß der Eigentümer sie vor Festsetzung der Entschädigung herbeirufen, damit sie, so viel es sie angeht, zu den darauf Bezug habenden Verhandlungen mitwirken; unterläßt er dies, so bleibt er allein denselben gegenüber mit der ihnen gebührenden Entschädigung belastet. 360

361

Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 97.

Entscheidung des Rh.Appellgerichtshofes vom 9. Juni 1847 hinsichtlich der Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft, Rh.Arch 42.1.149, 154; Koch I, S. 104. 362

363

Entscheidung des Rh.Appellgerichtshofes vom 9. Juni 1847, Rh.Arch 42.1.149.

12 Bracht

178

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Zinsertrag geringer als der Pachtertrag, so hatte der Pächter einen daliiber hinausgehenden Entscbädigungsanspruch364• Für die linksrheinischen Gebiete faßte die Ministerialinstruktion vom 23. Juli 1821 365 die Grundsätze über die Entschädigung der Pächter oder Nießbrauchsberechtigten zusammen. Lag ein mündlicher Miet- oder Pachtvertrag vor, so konnte dieser gemäß Art. 1736 Rh.CGB unter Beachtung ortsüblicher Fristen gekündigt werden. Bei schriftlichen Verträgen war Voraussetzung, daß der Mietvertrag nachweisbar vor der Enteignung abgeschlossen worden war. Hierzu genügte ein bloßer privatschriftlicher Vertrag nicht als Nachweis. Erforderlich war vielmehr gemäß Art. 1328 Rh.CGB entweder eine Registrierung des Vertrages beim Friedensgericht oder die Aufnahme des Vertrages in andere öffentliche Urkunden. Ein sicheres Datum stellte zudem der Todestag eines der Unterzeichner dar. Fehlte es an einem sicheren Entstebungsdatum, so hatte der Pächter oder Mieter nach Art. 1750 Rh.CGB 366 keinen Entschädigungsanspruch gegen den Enteigner. Er konnte dem Pächter ohne weiteres kündigen. Das sichere Abschlußdatum mußte bereits mit Beginn der Auslage des Bauplanes beim Bürgermeister gemäß Art. 6 Enteignungsgesetz vorliegen. Eine weitere Besonderheit des Rheinischen Rechts ergab sich aus den Art. 1744 bis 1748 Rh.CGB. Nach Art. 1744 Rh.CGB konnte sich der Verpächter oder Vermieter vertraglich das Recht vorbehalten, dem Pächter oder Mieter für den Fall des Grundstücksverkaufs gegen eine entsprechende Entschädigung zu kündigen. Art. 1745-1747 Rh.CGB bestimmten, in welcher Höhe dem Pächter/Mieter dann Entschädigung zu leisten war. Die festgesetzten Beträge waren niedriger als nach den allgemeinen Entschädigungsgrundsätzen. So hatte der Pächter von Feldgütern nach Art. 1746 lediglich Anspruch auf 113 des Pachtgeldes für die verbleibende Pacbtzeit367•

364 Entscheidung des Rh.Appellgerichtshofes vom 9. Juni 1847 hinsichtlich der Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft, Rh.Arch 42.1.149,155. 365

Lottner, Bd.2, S. 210 ff.

Art. 1750: "Ist der Mietcontract nicht in einer öffentlichen Urkunde enthalten, oder hat derselbe kein glaubwürdiges Datum, so ist der Käufer zur Schadloshaltung nicht verbunden". 366

367 Bei Wohnhäusern war nach Art. 1745 Rh.CGB die Summe des Mietzinses flir den ortsüblichen Zeitraum zwischen Kündigung und der tatsächlichen Räumung zu ersetzen. Nur bei Fabrikanlagen war die Entschädigung gemäß Art. 1747 Rh.CGB durch Sachverständige zu ermitteln.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

179

Nach der Instruktion vom 23. Juli 1821 mußte der Enteigner bei einer entsprechenden Vertragsklausel nur die darin festgelegte Entschädigung zahlen368 • Bestand im Falle einer Teilenteignung das Pachtverhältnis weiter, so führte dies nicht zu einer gesonderten Entschädigungszahlung an den Pächter. Der in einer Verminderung des Ertrages des Pachtgrundstückes bestehende Nachteil wurde bereits durch die Entschädigung für den abgetretenen Grundstücksteil ausgeglichen. Eine über die Entschädigung für den Verlust des Grundstückes selbst hinausgehende Ersatzforderung entstand auf diese Weise nicht369• Der Anspruch des Pächters gegen den Verpächter ergab sich bei der Teilenteignung aus §§ 418, 419 Teill Titel21 ALR. Nach§ 418 war der Verpächter verpflichtet, dem Pächter während der Pachtzeit die ungehinderte Nutzung des des Grundstücks zu gewähren. Nach § 419 mußte er ihn für Nutzungseinschränkungen entschädigen. Die Höhe der Entschädigung entsprach den Zinsen für das Entschädigungskapitai370• Eine geringere Entschädigung hätte sich bei einer Anwendung von §§ 420, 421 Teil1 Titel21 ALR ergeben. Nach diesen Bestimmungen war bei Einschränkungen des Nutzungsrechtes durch zufallige Ereignisse die Entschädigung nach dem Verhältnisse der erwarteten Erträge zu dem Umfange (Quantum) der Pacht zu berechnen. Das Obertribunal entschied jedoch, daß es sich bei einer Enteignung nicht um ein zufalliges Ereignis handele. Bei der Enteignung erhalte der Verpächter, im Gegensatz zu einem zufalligen Ereignis, eine Entschädigung. Es sei daher gerechtfertigt, den Pächter an dieser Entschädigung entsprechend zu beteiligen371 • Zu den Realberechtigten im Sinne von § 12 Eisenbahngesetz gehörten ferner die Inhaber von Grunddienstbarkeiten372• War die Beibehaltung der Dienstbarkeit oder Reallast auch unter der neuen Zweckbestimmung möglich, ohne daß sie die Anlage der Bahn behinderte, so blieb die Dienstbarkeit bestehen. Der

368 Anderer Ansicht sind BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 105: Die Art 1744-1748 RhCGB seien nur auf den freiwilligen Verkauf anwendbar, da die einjährige Kündigungsfrist gemäß Art. 1748 nicht eingehalten werden müsse. Bei der Enteignung verliere der Pächter seine Nutzungsrechte sofort. Deshalb müsse sein voller Schaden ersetzt werden. 369

Häberlin, AcP 39, S. 185.

370

Obertribunal, Entscheidung vom 31.1.1862, Entscheidungen Bd.47, S. 203, 207. Obertribunal, Entscheidung vom 31.1.1862, Entscheidungen Bd.47, S. 203,

371

206 f. 372

Obertribunal, Entscheidung vom 7.3.1851, Striethorst Archiv Bd.1, S. 295, 297.

180

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Boteigner mußte lediglich dafür sorgen, daß die Ausübung der Servitut nicht beeinträchtigt wurde373. Bestand eine Wegegerechtigkeit, war der Bahnunternehmer verpflichtet, deren störungsfreie Nutzung zu ermöglichen. War dies am bisherigen Orte nicht möglich, hatte er auf seine Kosten eine Verlegung vorzunehmen und, falls notwendig, für Brücken oder Übergänge zu sorgen. § 14 Eisenbahngesetz enthielt zu diesem Zweck die Regelung, daß die Eisenbahngesellschaft auf Verlangen der Regierung verpflichtet war, für die notwendigen Wege und Bahnübergänge zu sorgen. Konnte die Dienstbarkeit oder Reallast dagegen nicht mehr ausgeübt bzw. erfüllt werden, so war der Enteignungsberechtigte verpflichtet, die Lasten abzulösen und den Berechtigten durch Zahlung des Kapitalwertes oder eine Rente zu entschädigen. Der Inhaber einer privaten Wegegerechtigkeit hatte Anspruch auf Entschädigung für Umwege, die durch die Anlage der Bahn verursacht wurden374. Handelte es sich dagegen um einen öffentlichen Weg im Eigentum der Gemeinde, hatten die ihn benutzenden Gemeindebürger keinen Ersatzanspruch gegen die Bahngesellschaft. Ihnen stand nur ein allgemeines Gebrauchsrecht und kein privates Nutzungsrecht zum. Ein Entschädigungsrecht hatte in diesem Fall nur die Gemeinde selbst. Sie konnte auch die den einzelnen Gemeindemitgliedern durch die Aufbebung des Weges zugefügten Nachteile gegenüber der Eisenbahngesellschaft geltendmachen376. Wurde das Grundstück von der Bahnlinie durchschnitten und somit nur ein Streifen enteignet, war der Expropriationsberechtigte verpflichtet, dem bisherigen Eigentümer eine Wegegerechtigkeit unentgeltlich einzuräumen, sofern sie für die Bewirtschaftung des Landes erforderlich war377• Diese Verpflichtung beruhte auf dem Grundsatz, daß der Eigentümer für jeden ihm entstehenden Nachteil zu entschädigen sei.

373 W. Koch, Abt. 1, S. 101. 374 Entscheidung des Obertribunals zu Berlin vom 15.3.1850 (Köln-Mindener Bahn gegen Gieselmann) erwähnt bei BesseVKühlwetter Band 1, S. 145; und Entscheidung des Obertribunals vom 7.3.1851, Striethorst Archiv Bd.1 Nr.64, S. 295,297. m Entscheidung des Obertribunals v. 7.3.1851, Striethorst Archiv Bd.1 Nr.64, s. 295,297. 376 Entscheidung des Rh.Appellhofs v. 20.1.1854, Rh.Arch 49.1.154. 377

Häberlin, AcP 39, S. 194.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

181

Nicht zu den Realberechtigten im Sinne von§ 12 Eisenbahngesetz gehörten Hypothekengläubigec78• Hypotheken blieben bei einer Veräußerung des Grundstücks grundsätzlich bestehen379• Das enteignete Grundstück diente nach der Anlage der Bahnlinie jedoch öffentlichen Zwecken und wurde dem privaten Rechtsverkehr entzogen. Das Fortbestehen von Sicherungsrechten, aus denen bei Eintritt des Sicherungsfalles die Verwertung des Grundstückes betrieben werden konnte, ließ sich mit der Enteignung nicht vereinbaren380• Ihr wurde daher der Charakter einer Subhastation, d.h. einer Zwangsversteigerung beigemessen381 , bei der die Grundpfandrechte ebenfalls erlöschen. Daraus folgte, daß sich der Hypothekengläubiger die vorzeitige Rückzahlung der Hypothek gefallen lassen mußte. Das Pfandrecht an dem Grundstück wandelte sich in ein Recht auf Befriedigung aus der Entschädigungssumme382• Eine vom Eigentümer getrennte Entschädigung, wie sie § 12 Eisenbahngesetz vorsah, kam damit nicht in Betracht. Zur vollständigen Entschädigung gehörte dabei das Recht, Ersatz für die durch die vorzeitige Ablösung der Hypothek entstehenden Nachteile verlangen zu können. Die Hypothekengläubiger wurden der Rangfolge ihrer Hypotheken entsprechend befriedige83 • Dabei konnte es vorkommen, daß die Entschädigungssumme nicht zur Befriedigung aller Hypothekengläubiger ausreichte, wodurch die Enteignung, im Unterschied zu einer Zwangsversteigerung, besondere Nachteile für die Hypothekengläubiger mit sich brachte. Bei einer Versteigerung bestand die Möglichkeit, durch ein höheres Gebot den Erlös zu vergrößern und damit eine Befriedigung aller Gläubiger zu gewährleisten. Bei der Enteignung hätte ein solches Verfahren dazu geführt, daß die Mitbieter zwar den Preis hätten hochtreiben können, jedoch nicht verpflichtet gewesen wären, das Grundstück zu übernehmen. Ein Versteigerungsverfahren schied damit aus. Der Bahnunternehmer war hingegen nicht verpflichtet, alle Hypothekengläubiger auch über den Schätzwert des Grundstückes hinaus zu befriedi-

378

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 46.

379

§ 496 Teil 1 Titel 20 ALR.

380

W. Koch, Abt. 1, S. 99.

381

382

Häberlin, AcP 39, S. 196. W. Koch, Abt. 1, S. 100.

383

§ 500 Teil 1 Titel 20 ALR.

182

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

gen. Ausfälle beruhten so gesehen nicht auf der Enteignung, sondern waren die Folge einer zu hohen Belastung des Grundstückes, für die die Verantwortung nicht bei der Eisenbahngesellschaft lag384• War das Bestehen des Pfandrechtes nicht streitig, so konnte die Auszahlung der Entschädigung unmittelbar an den Hypothekengläubiger erfolgen. Andernfalls mußte die vom Gericht festgestellte Entschädigungssumme bei diesem hinterlegt werden385• Lehens- und Grundherren, sowie Lehens- und Fideikommißanwärter mußten bei der Entschädigung ebenfalls berücksichtigt werden. Die Art und Weise, in der dies zu geschehen hatte, richtete sich nach den jeweiligen Rechtsverhältnissen. Lehens- und Fideikommißanwärter konnten keine sofortige Entschädigung, sondern nur eine Sicherstellung ihrer eventuellen Ansprüche verlangen. Die Veräußerung war in diesen Fällen grundsätzlich verboten, so daß es einer genauen Feststellung aller Berechtigten bedurfte. Die Lebens- und Grundherren hatten nur Anspruch auf Abfindung für ihr Obereigentum, während die eigentliche Entschädigung den Untereigentümern gebührte386• Aus § 12 Eisenbahngesetz ergab sich, daß die Zahlung der Entschädigung für die Nebenberechtigten der Enteignung nicht vorangeben mußte, da die Stellung einer Kaution zugelassen war387 • Die dem Eigentümer geschuldete Entschädigung mußte demgegenüber gemäß § 11 Eisenbahngesetz vor der Besitzentziehung gezahlt werden.

Vll. Das Verfahren der Enteignung und zur Feststellung der Entschädigung 1. Das Enteignungsverfahren a) Das Verfahren in den Gebieten des Allgemeinen Landrechts

Das Eisenbahngesetz regelte in § 8 lediglich, welche Grundstücke der Enteignung unterlagen und verwies in § 11 Eisenbahngesetz für das Enteignungsverfahren auf §§ 8-11 Teil 1 Titel 11 ALR. Diese Bestimmungen legten binsichtlieb des Enteignungsverfahrens lediglich fest, daß die Entscheidung über

384

Häberlin, AcP 39, S. 197.

385 386

Verordnung vom 8. 8. 1832 Buchstabe c, e, GS 1832, S. 202. W. Koch, Abt. 1, S. 103.

387

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 41, Koch I, S. 98.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

183

die Notwendigkeit der Enteignung dem "Oberhaupt des Staates" oblag388 • Sowohl im Eisenbahngesetz als auch im Allgemeinen Landrecht fehlte es damit an einer detaillierten Regelung des Enteignungsverfahrens. In der Praxis vollzog sich die Enteignung folgendermaßen: Ausgangspunkt der Enteignung war die endgültige Feststellung des Verlaufs der Bahnlinie durch das Handelsministerium, gemäß § 4 Eisenbahngesetz. Waren die Bemühungen, die erforderlichen Grundstücke durch freiwilligen Vertragsschluß zu erwerben, gescheitert, mußte die Eisenbahngesellschaft bei der zuständigen Regierung den Antrag auf Einleitung des Enteignungsverfahrens stellen. Gemäß § 8 Satz 3 Eisenbahngesetz stand der Regierung die Entscheidung über die zu enteignenden Flächen und die Höbe der Entschädigung zu. Die Eisenbahngesellschaft ließ sieb in den einzelnen Abschnitten der Bahn von den bereits erwähnten Grunderwerbungskommissaren vertreten. Diese wurden von der Direktion ermächtigt, die notwendigen Verbandlungen mit der Regierung zu führen und die vorbandenen Unterlagen, wie z.B. Karten und Grunderwerbungsverzeicbnisse, zu übergeben389 • Die Regierung ernannte einen Kommissar zur Leitung des Abschätzungsverfabrens und gemäß § 11 Abs. 2 Eisenbahngesetz Bewertungssacbverständige. Es folgten Streckenbegehungen, um die Grundstücke taxieren und die Höhe der von der Eisenbahngesellschaft zu leistenden Entschädigung festlegen zu können. Bei den Begebungen und Taxationsverbandlungen waren gemäß § 11 Abs. 2 Eisenbahngesetz ein Vertreter der Gesellschaft und sämtliche betroffenen Grundeigentümer hinzuzuziehen. Gegen die Entscheidung der Regierung, welche Grundstücke zu den in § 8 Abs. 2 Nr. 1-5 Eisenbahngesetz genannten Zwecken zu enteignen waren, bestand gemäß § 8 Abs. 3 Satz 3 Eisenbahngesetz die Möglichkeit der Beschwerde an das Ministerium. Da die Genehmigung der gesamten Bahnlinie gemäß § 4 Eisenbahngesetz dem Handelsministerium oblag, war es auch Be-

388

§ 10 Teil 1 Titel 11 ALR.

389

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 34.

184

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

schwerdeinstanz390• Dieses Recht stand neben dem Grundeigentümer auch der Eisenbahngesellschaft zu391 • Die Grundeigentümer glaubten nicht immer an eine unparteüsche Entscheidung der Regierung, wie sich aus einer Beschwerde im Zusammenhang mit der Anlegung der Berlin-Stettiner Eisenbahn ergibt392• An dem Bahnunternehmen waren mehrere Mitglieder der Regierung, unter anderem der zuständige Oberpräsident und zwei Regierungsräte als Aktionäre beteiligt. Auf diese Beteiligung wies eine Grundeigentümerin aus der Gegend von Stettin im Rahmen ihrer Beschwerde gegen die Enteignung ihres Grundstücks hin. Weder Regierungspräsident Müller in Stettin noch Minister v. Bodelschwingh sahen jedoch hierin einen Grund, der Regierung das Verfahren zu entziehen. Sie argumentierten, die Regierungsmitglieder hätten lediglich die Stellung einfacher Aktionäre. Die Beziehung des einzelnen Aktionärs zu der einzelnen Enteignung sei zu entfernt, als daß sich hieraus Interessenkollisionen ergeben könnten393 • War der Eigentümer mit der Höhe der festgesetzten Entschädigung nicht einverstanden, konnte er sich allerdings nicht an das Ministerium wenden, sondern mußte nach § 11 Abs. 2 Eisenbahngesetz den Rechtsweg beschreiten. Die Ausübung des Beschwerderechts war nach dem Wortlaut des§ 8 Bisenbahngesetz an keine Ausschlußfristen gebunden. Damit konnte es in Bezug auf die Auswahl der Grundstücke praktisch bis zum Baubeginn ausgeübt werden und diesen gegebenenfalls erheblich verzögern. Wurde die Beschwerde vom Ministerium für begründet erachtet, so mußte ein neuer Enteignungsbeschluß erlassen werden. In der Praxis behalf man sich damit, die Grunderwerbungsverzeichnisse und Situationspläne in den Gemeinden zur Einsicht mit der Aufforderung offenzulegen, Einwendungen zu Protokoll zu geben. Auf diese Weise bestand die Möglichkeit, diese vor Erlaß des Enteignungsbeschlusses zu erledigen394•

390 Wie bereits erwähnt trat im Jahre 1848 das Ministerium für öffentliche Arbeiten an die Stelle des Handelsministeriums, gemäß Gesetz vom 17.4.1848, GS 1848, S. 109 f.

391

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 34.

392 393

GStA Rep.89 Nr.6 Vol.I Bl.57 ff. GStA Rep.89 Nr.6 Vol.I Bl.58.

394

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 35.

3. Teil: Der Grundetwerb durch Enteignung

185

Nach Beendigung der Verhandlungen erließ die Regierung dann den Expropriationsbeschluß, dem als Anlage ein Verzeichnis der enteigneten Grundstücke einschließlich der Entschädigungsbeträge beigefügt wurde. Möglich war auch, daß die Regierung gegenüber jedem einzelnen Grundstückseigentümer einen gesonderten Enteignungsbeschluß erließ395• Die Grundbesitzer, die mit der Wertfeststellung ihres Grundstückes nicht einverstanden waren, wurden in dem Enteignungsbeschluß auf den Rechtsweg verwiesen. Zugleich stellte man aber fest, daß eine Anrufung der Gerichte den Baubeginn nicht aufschieben könne396• Sobald die Eisenbahngesellschaft den Schätzwert des Grundstückes an den Grundbesitzer gezahlt oder bei Gericht hinterlegt hatte, war dieser nach § 11 Abs. 2 Eisenbahngesetz zur Übergabe des Grundstücks an die Eisenbahngesellschaft verpflichtet. Der Besitz ging durch freiwillige Übertragung seitens des Enteigneten über. Verweigerte er die Besitzübertragung, so erfolgte die Besitzeinweisung durch die Regierung oder den zuständigen Landrat.

b) Rheinisches Recht In den linksrheinischen Gebieten Preußens richteten sich die Ausübung des Expropriationsrechts und die Feststellung der Entschädigung gemäß § 11 Abs. 3 Eisenbahngesetz nach den dort geltenden Enteignungsbestimmungen. Anwendbar war das französische Enteignungsgesetz vom 8. März 1810. Im Gegensatz zum Allgemeinen Landrecht enthielt das Enteignungsgesetz detaillierte Verfahrensvorschriften. Dem Enteignungsgesetz lag die Annahme zugrunde, daß die Vorhaben, die Enteignungen erforderlich machten, allein vom Staat ausgeführt wurden. An die Enteignung zugunsten privater Unternehmen hatte man bei Erlaß des Gesetzes nicht gedacht397• Das Enteignungsgesetz und die hierzu ergangene Ministerialinstruktionvom 23. Juli 1821 398 hatten nur die Enteignung zu Zwecken des öffentlichen Nutzens im Auge. In dem Ressortreglement vom 20. Juli 1818

395

Bessei/Kühlwetter, Bd.l, S. 35.

396

Abdruck des Musters eines Enteignungsbeschlußes bei BesseVKühlwetter, Bd.l,

s. 35-37. 397

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 62.

398

Lottner, Bd.2, S. 210 ff., abgedruckt auch bei Westermann, S. 155.

186

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

wurden diese Fälle spezifiziert. Es waren nur solche, die das öffentliche Staatsinteresse zum Gegenstand hatten399• Da sämtliche Aufgaben und Befugnisse auf verschiedene Staatsbehörden verteilt waren, ergab sich die Frage, welche Stellung die Eisenbahngesellschaft einnahm und welche Kompetenzen den Behörden verblieben. In Frankreich wurde die Ausrichtung des Enteignungsgesetzes auf Staatsunternehmen durch das neue französische Enteignungsgesetzes vom 7. Juli 1833 beseitigt. Art. 63 diese Gesetzes lautete: "die konzessionierten Unternehmer öffentlicher Anlagen genießen alle durch das Expropriationsgesetz der Regierung übertragenen Rechte und unterliegen allen durch das Gesetz der Regierung auferlegten Verpfl.ichtungen" 400•

Zu dieser Auslegung des Enteignungsgesetzes mußte auch Preußen kommen. Da § 8 Eisenbahngesetz den Eisenbahngesellschaften das Enteignungsrecht verlieh, übernahmen sie die Kompetenzen, die dem Staat als bauausführende Behörde zustanden. Dem Staat verblieben, entsprechend dem Verfahren nach dem Allgemeinen Landrecht, die Aufsichtsfunktionen. Berücksichtigt man diese Modifikation des Enteignungsgesetzes von 1810, so lief das Enteignungsverfahren wie folgt ab: Nach Erteilung der Konzession und der Genehmigung der Bahnlinie nach

§ 4 Eisenbahngesetz übergab die Eisenbahngesellschaft die von ihr erstellten

Karten und das Verzeichnis der benötigten Grundstücke der Regierung (gemeint war die Bezirksregierung).

Nach Art. 6 Enteignungsgesetz mußte der Plan mit den betroffenen Grundstücken und den Namen der Eigentümer acht Tage lang bei den Bürgermeistem der einzelnen Gemeinden ausgelegt werden. Die Frist begann mit der Bekanntgabe der Auslegung. Die Bekanntgabe erfolgte öffentlich durch Anschlag an der Kirche und dem Gemeindehaus. Der Anschlag war nach Art. 6 Abs. 3 durch "Trompetenklang oder Trommelschlag" anzukündigen. Nach Ablauf der Frist ernannte die Regierung gemäß Art. 7 Enteignungsgesetz eine Kommission. Diese setzte sich aus dem Landrat, dem Bürgermeister der jeweiligen Gemeinde, einem Ingenieur und zwei von der Regierung benannten Mitgliedern des Bezirksrates zusammen. Da Bezirksräte nicht existierten, bestimmte die Instruktion an die Regierungen über die Ausführung des

399

Bessel!K.ühlwetter, Bd.l, S. 67.

400

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 68.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

187

Enteignungsgesetzes vom 23. Juli 1821401 , daß die Regierung zwei Einwohner des betreffenden Kreises benennen sollte. Die Aufgaben der Kommission ergaben sich aus Art. 8 und 9 Enteignungsgesetz. Sie prüfte den Bauplan und machte Vorschläge für Abänderungen402 • Beschwerden von Eigentümern, die der Meinung waren, die Ausführung der Arbeiten erfordere nicht die Abtretung ihres Eigentums, waren an die Kommission zu richten403 • Dieses Beschwerderecht bestand unabhängig von der nach § 8 Eisenbahngesetz eröffneten Möglichkeit der Beschwerde an das Ministerium, wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen des§ 8 Abs. 2 Nr. 1-5 Eisenbahngesetz404 • Die Instruktion aus dem Jahre 1821legte fest, daß sich die Beschwerde nach dem Enteignungsgesetz nicht gegen die Notwendigkeit des Vorhabens an sich richten durfte. Es konnte aber vorgebracht werden, daß eine andere Linienführung ebenso günstig sei. Einzureichen war die Beschwerde beim Landrat, der den Vorsitz in der Kommission führte. Die Aufgabe der Kommission beschränkte sich auf die Begutachtung der eingegangenen Beschwerden. Kam es zwischen der Eisenbahngesellschaft und den Grundeigentümern zu keiner Einigung, so sandte die Kommission einen Bericht und eine eigene Stellungnahme an die Regierung405 • Die Regierung erließ daraufhin den Enteignungsbeschluß und übergab ihn der Eisenbahngesellschaft zur weiteren Veranlassung. Während das Enteignungsverfahren bis zu diesem Punkt weitgehend dem nach den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts entsprach, zeigt sich nun der wesentliche Unterschied der beiden Verfahren. Nach dem Enteignungsgesetz der Rheinprovinz erließ die Regierung zwar den Enteignungsbeschluß, die Enteignung aussprechen konnte sie jedoch nicht. Diese Aufgabe oblag den Landgerichten, gemäß Art. 1 und 2 Enteignungsgesetz. Die Eisenbahngesellschaft mußte daher den Enteignungsbeschluß der Regierung bei Gericht mit dem Antrag einreichen, die Enteignung auszusprechen. Das Gericht prüfte nach Art. 13 Abs. 1 Enteignunggesetz die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, sprach anschließend die Enteignung durch Urteil aus und ermächtigte die Eisenbahngesellschaft, sich in den Besitz des Grundstücks

401

Lottner, Sammlung, Bd.2, S. 210 ff., abgedruckt auch bei Westermann, S. 155.

402

Art. 9 Enteignungsgesetz.

403

Art. 8 Enteignungsgesetz.

404

Bessei/Kühlwetter, Bd.l, Fußnote, S. 64.

405

Art. 9, Abs. 3 Enteignungsgesetz.

188

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

zu setzen. Das Urteil mußte an der Gerichtstür angeschlagen und in den betreffenden Gemeinden bekanntgemacht werden. Die öffentliche Bekanntgabe setzte eine Frist von acht Tagen in Gang, in der die Grundeigentümer beim Gericht einen Antrag mit der Begründung einreichen konnten, ihre Beschwerden seien nicht beachtet worden. Das Gericht gab den Antrag an die Regierung zur Stellungnahme weiter. Zugleich konnte es den Aufschub der Vollziehung des Enteignungsbeschlußes anordnen406• Anschließend hatte das Gericht spätestens nach Ablauf von 15 Tagen über die Verletzung von Verfahrensvorschriften des Enteignungsgesetzes zu entscheiden407. Kam das Gericht zu dem Ergebnis, daß gegen die Vorschriften des Enteignungsgesetzes verstoßen worden war, so wurde der Vollzug des Enteignungsbeschlusses bis zur Beseitigung dieser Fehler ausgesetzt408 •

c) Zusammenfassung In den beiden Rechtsgebieten Preußens lag die Entscheidung über die Auswahl der Grundstücke entsprechend den Bestimmungen des Eisenbahngesetzes in der Hand der Regierung. Während in den Provinzen des Allgemeinen Landrechts das gesamte Verfahren, einschließlich der Entscheidung über Beschwerden, in der Hand der Verwaltung lag, hatten die Grundbesitzer in der Rheinprovinz die Möglichkeit, wenigstens die Einhaltung von Verfahrensvorschriften gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vorschriften des französischen Enteignungsgesetzes zeichneten sich zudem durch eine genaue Regelung des Verfahrens insbesondere hinsichtlich der Bekanntmachung des Enteignungsvorhabens in den einzelnen Gemeinden aus. Zudem war die Erhebung von Einwendungen, anders als nach dem Eisenbahngesetz, an kurze Fristen gebunden. In der Praxis ergaben sich jedoch, abgesehen von der Entscheidung über die Enteignung durch das Gericht, keine große Abweichungen, da die Eisenbahngesellschaften auch in den alten Provinzen die Grunderwerbungsverzeichnisse in den Gemeinden auslegten, um rechtzeitig Kenntnis von allen Einwendungen zu erhalten.

406

Art 14, Abs. 1 Enteignungsgesetz.

407

Art 14, Abs. 2 Enteignungsgesetz.

408

Art. 15 Enteignungsgesetz.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

189

2. Das Entschädigungsverfahren a) AllgemeineslAndrecht Nach dem Eisenbahngesetz wurde über die Enteignung und die Entschädigung in einem einheitlichen Expropriatioosbeschluß entschieden. Die Regierung ernannte, wie bereits erwähot409 einen Kommissar zur Leitung des Abschätzuogsverfahrens und gemäß § ll Abs. 2 Eisenbahngesetz Sachverständige zur Bewertung der Grundstücke. Ernannt wurden jeweils drei Sachverständige, von denen zwei als Wertgutachter und der dritte als Schiedsperson bei abweichenden Ergebnissen auftrat. Die Auswahl sämtlicher Gutachter durch die Regierung wich von der Regelung in anderen deutschen Staaten ab, wo häufig je ein Gutachter von den Parteien und nur der dritte als neutrale Person von der Regierung benannt wurde410• Daraufhin erfolgten Streckenbegehungen zur Bewertung der Grundstücke und der Feststellung der Höhe der von der Eisenbahngesellschaft zu Ieistendeo Entschädigung. Bei den Begehungen und Taxationsverhandlungen waren ein Vertreter der Gesellschaft und sämtliche betroffenen Grundeigentümer hinzuzuziehen, gemäß § 11 Abs. 2 Eisenbahngesetz. Die Bewertung der Grundstücke durch die Sachverständigen war für die Regierung nicht bindend. Sie hatte die Gutachten zu prüfen und konnte von ihnen abweichen411 • Eine Biodung der Regierung an das Gutachten der Sachverständigen ergab sich auch nicht aus § 48 Teil l Titel 11 ALR. Nach dieser Vorschrift waren die Parteien eines Kaufvertrags an das Urteil eines Dritten gebunden, wenn dieser den Kaufpreis zu bestimmen hatte. Es wurde argumentiert, daß diese Vorschrift auch bei der Feststellung der Entschädigung nach § 11 Eisenbahngesetz Anwendung fmden müsse. Das preußische Obertribunal lehnte dies mit der Begründung ab, daß § 48 nur auf die einvernehmliche Feststellung des Kaufpreises und nicht auf das Verfahren der zwangsweisen Enteignung Anwendung finden könne412• Es ist dem Obertribunal zuzustimmen, da es zudem darauf hinwies, daß die Behörde, obwohl sie das Verfahren leitete,

409

Unter 2. Abschnitt, Dritter Teil, VII., 1., a).

Art. 39 des Gesetzes, "die Veräußerungsverpflichtung behuf Eisenbahnen betreffend" für das Königreich Hannover vom 8. September 1840, GS Hannover 1840, S. 371. 410

411

Obertribunal, Entscheidung vom 18.4.1855, Entscheidungen Bd.31, S. 104, 107.

412

Obertribunal, Entscheidung vom 18.4.1855, Entscheidungen Bd.31, S. 104, 107.

190

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

andernfalls auch an völlig falsche Bewertungen gebunden wäre, durch die die Rechte der Parteien verletzt würden413• Die Gerichte konnten erst nach der Festsetzung der Entschädigung durch die Regierung angerufen werden. Im Gegensatz zu Bestimmungen des Enteignungsgesetzes von 1810, das beiden Parteien die Einleitung des Gerichtverfahrens ermöglichte, stand dieses Recht in den alten Provinzen nach § 11 Abs. 3 Eisenbahngesetz allein dem Grundeigentümer zu. Betrachtete die Eisenbahngesellschaft die von der Regierung festgesetzte Entschädigung als zu hoch, so konnte sie sich nicht dagegen wehren. Ein Klagerecht stand ihr nicht zu, und die Beschwerde an das Ministerium war nach § 8 Eisenbahngesetz nur hinsichtlich der Auswahl der Grundstücke zugelassen. Diese Einschränkung wurde damit begründet, daß die Nachteile durch die Enteignung vollständig ausgeglichen werden sollten. Es wurde vertreten, daß die Eisenbahngesellschaft bei einer Klageerhebung durch den Grundstückseigentümer aus Gründen der W affeng1eichheit ebenfalls berechtigt sein sollte, die Höhe der Entschädigung anzufechten414. Begründet wurde dies damit, daß der Ausschluß des Klagerechtes für die Gesellschaft den Zweck habe, die Zahl der Prozesse im Rahmen der Enteignung zu verringern. Im Hintergrund stehe die Befürchtung, die Gesellschaft könne aufgrund ihrer größeren Finanzkraft hinsichtlich des Prozeßkostenrisikos gegenüber dem Eigentümer im Vorteil sein. Dieser Grund falle weg, wenn der Eigentümer einen Prozeß anstrenge. Zudem ergebe sich aus § 11 Abs. 3 Eisenbahngesetz lediglich, daß nur der Eigentümer die gerichtliche Entscheidung über den Wert beantragen könne. Die Anfechtung der Entschädigung durch die Eisenbahngesellschaft nach Klageerhebung werde dagegen nicht ausgeschlossen415 • Diese Ansicht vermochte sich in der Rechtsprechung jedoch nicht durchzusetzen416. Die Klageerhebung war auch noch nach Annahme der Entschädigung zulässig, sofern der Grundeigentümer sie unter dem Vorbehalt der Nachforderung angenommen hatte. Die Klage verjährte nicht, sondern stand dem Enteigneten 30 Jahre ab Zustellung (Insinuation) des Enteignungsbeschlusses zu417 • Die

413

414 415 416 417

Obertribunal, Entscheidung vom 18.4.1855, Entscheidungen Bd.31, S. 104, 107. BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 40; W.Koch Abt.l, S. 127. BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 41. BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 40. BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 40.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

191

dreijährige Verjährungsfrist des §54 Teilt Titel6 ALR418 fand auf die Geltendmachung der Enteignungsentschädigung keine Anwendung419. Gegen das Urteil waren die allgemeinen Rechtsmittel zulässig420. Es war umstritten, ob die Klage des Grundeigentümers gegen die Eisenbahngesellschaft oder die das Verfahren leitende Regierungsbehörde zu richten war. Die Regierung kam als Klagegegner in Betracht, da das Enteignungsverfahren unter ihrer Leitung stand und sie die Höhe der Entschädigung in dem Enteignungsbeschluß festgesetzt hatte. Die Enteignung erfolgte jedoch auf Antrag der Eisenbahngesellschaft, der das Enteignungsrecht nach § 8 Eisenbahngesetz verliehen worden war. Sie schuldete die Entschädigung, so daß sie als der richtige Klagegegner anzusehen war. Durch eine Reihe von Gerichtsentscheidungen wurde die Streitfrage in diesem Sinne in der Folgezeit auch entschieden. Die Regierung habe, so hieß es, weder das Recht noch die Pflicht, die Gesellschaft im Prozeß zu vertreten oder in ihrem Namen Vergleiche abzuschließen42I. Die örtliche Zuständigkeit ergab sich aus Teil 1 Titel 2 der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten (AGO). Danach galt für Klagen gegen die Eisenbahngesellschaft der ordentliche Gerichtsstand derselben. Der ordentliche Gerichtsstand befand sich in dem Gerichtsbezirk, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hatte422. Der Zwang für die Grundeigentümer, am Sitz der Gesellschaft klagen zu müssen, führte in der Praxis jedoch zu Nachteilen für die Grundbesitzer. Am deutlichsten traten diese Probleme bei der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft zutage423. Der Sitz der Gesellschaft lag in Köln. Grundeigentümer in Westfalen mußten daher ihre Klage in Köln erheben. Dort galt im Gegensatz zu ihrer Heimatgegend französisches und damit für sie fremdes Recht. 418 §54: "Wer einen außerhalb dem Falle eines Contracts erlittenen Schaden innerhalb dreier Jahre, nachdem das Dasein und der Urheber desselben zu seiner Wissenschaft gelangt sind, gerichtlich einzuklagen vernachlässigt, der hat sein Recht verloren". 419 Appellationsgericht Hamm, Entscheidung vom 11.10.1860, Gruchot, Bd.VI, s. 74 f. 420 Nichtigkeitsbeschwerde wegen wesentlicher Prozeßmängel, Verletzungen in der Sache selbst durch gewöhnliche Appellation; Koch, S. 121.

Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 98. §§ 2, 9 Teil Titel 2 AGO. 423 Schreiben des Finanzministers v. Duesberg an Justizminister Uhden, GStA Rep.77 Nr. 41, Bl.2, 4. 421

422

192

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Alternativ wäre eine Klage bei dem Gericht. in dessen Bezirk das Grundstück lag, in Betracht gekommen, dem dinglichen Gerichtstand, der sich aus § 112 Teil 1 Titel 2 AGO ergab. Der Anspruch auf eine höhere Entschädigung wurde jedoch nicht als dinglicher Anspruch angesehen, so daß dieser Ausweg verschlossen blieb424. Anders war es dagegen bei der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft, die in§ 5 ihres Statuts regelte, daß sich der Gerichtsstand der Gesellschaft an ihrem Sitz in Berlin befand. Für Ansprüche auf eine höhere Entschädigung für Enteignungen in Schlesien wurde jedoch das Stadtgericht in Breslau für zuständig erklärt. Um den aufgetretenen Mißständen abzuhelfen, wurde durch eine Allerhöchste Kabinettsorder vom 1. März 1847425 für Entschädigungsansprüche das Obergericht für zuständig erklärt, in dessen Bezirk das enteignete Grundstück lag. Dem Erlaß der Verordnung war eine Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Regelung für die Parteien vorangegangen. Für die Eisenbahngesellschaften wurde der Nachteil in dem Umstand gesehen, daß sie sich wegen eines an sich persönlichen Anspruches bei verschiedenen Gerichten einlassen mußten. Die Interessen der Grundbesitzer, die ihr Eigentum abtreten mußten, wurden jedoch höher bewertet426. Diese Regelung wurde bereits im Jahre 1849 wieder aufgehoben. Die "Verordnung über die Aufbebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximierten Gerichtsstandes, sowie über die anderweitige Organisation der Gerichte" räumte dem Kläger in§ 9 Abs. 2 ein Wahlrecht ein427 • Er konnte sieb entweder an das ordentliche Gericht wenden, in dessen Bezirk das Grundstück lag (dinglicher Gerichtsstand) oder bei dem ordentlichen Gerichtsstand der Eisenbahngesellschaft klagen (persönlicher Gerichtsstand). Dies galt auch dann, wenn die Enteignung durch den Staat zur Anlegung einer Staatsbahn erfolgte428. Hinsichtlich der Kostenübernahmepflicht für das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren galten folgende Regelungen: 424 GStA Rep.77 Nr.41 Bl.2. 425 "Allerhöchste Kabinettsorder vom 1. März 1847 betreffend den Gerichtsstand

der Eisenbahngesellschaften bei Entschädigungsansprüchen der Grundbesitzer", GS 1847, s. 112. 426 GStA Rep.77 Nr.41 Bl.4. 427 GS 1849, S. 1 ff. 428 Obertribunal, Entscheidung vom 11.11.1859, Entscheidungen Bd.43, S. 365 ff.

3. Teil: Der Grundetwerb durch Enteignung

193

Die Kosten des Verwaltungsverfahrens trug in jedem Fall die Bahngesellschaft, da das Enteignungsverfahren auf ihrer Initiative beruhte. Für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren verteilte sich das Kostenrisiko im Geltungsbereich des allgemeinen Landrechts nach den allgemeinen Regeln. Wurde die Klage des Eigentümers zurückgewiesen, so trug er die Kosten des Verfahrens. War die Klage erfolgreich, so hatte die Bahngesellschaft die Kosten zu tragen, sofern sie dem Grundeigentümer nicht zuvor eine der vom Gericht festgestellten Entschädigung entsprechende oder höhere Summe angeboten hatte429• Für das Rheinische Recht entschied der Appellhof in Köln im Jahre 1850 dagegen, die Kosten einer gerichtlichen Feststellung der Entschädigung seien in jedem Fall von der Bahngesellschaft zu tragen430• Dies gelte auch dann, wenn die angebotene Summe höher als die gerichtlich festgestellte sei431 • Begründet wurde dies mit einer Analogie zu Art. 1593 Rh.CGB, wonach der Käufer die Kosten des Kaufaktes zu tragen hatte. Gegen diese Entscheidung wurde vorgebracht, daß es dem Eigentümer auf diese Weise ermöglicht werde, ohne jedes Kostenrisiko gegen die Gesellschaft auch mit überzogenen Entschädigungsforderungen prozessieren zu können432 • Die Zahlung der Entschädigung richtete sich, ebenso wie die Zahlung des Kaufpreises bei einem freiwilligen Grunderwerb, gemäߧ 15 Eisenbahngesetz nach den Vorschriften über den Chausseebau. Anwendung fand die Verordnung von 8. August 1832. Unterschiede zur Zahlung des Kaufpreises ergaben sich nicht, so daß auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem freiwilligen Grunderwerb verwiesen werden kann433 • b) Rheinisches Recht

In der preußischen Rheinprovinz erfolgte die Festsetzung der Entschädigung nach Art. 10 Enteignungsgesetz ebenso wie der Ausspruch der Enteignung nicht durch die Regierung, sondern das zuständige Landgericht. Zuständig war das Landgericht, in dessen Bezirk das Grundstück lag. Dagegen konnte im Gegensatz zur Rechtslage in den alten Provinzen auch die Eisenbahngesellschaft klagen, sofern eine Einigung mit dem Eigentümer

429

Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 101.

430

Entscheidung vom 28.11.1850, Rh.Ar.45,1,221.

431

Entscheidung vom 28.11.1850, Rh.Ar.45,1,222.

432

Bessel/Kühlwetter, Bd. l , S. 101.

433

unter 2. Abschnitt, 2. Teil, II., 5.

13 Bracht

194

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

gescheitert war. Der Antrag auf Feststellung der Entschädigung konnte mit dem Enteignungsantrag verbunden werden434• Die Berufung von Sachverständigen war nicht zwingend erforderlich. Art. 16 Enteignungsgesetz sah vorrangig eine Wertermittlung durch Heranziehung der in den letzten Jahren abgeschlossenen Kaufverträge über das enteignete oder benachbarte Grundstücke vergleichbarer Qualität vor. Fehlte es an entsprechenden Unterlagen oder waren die Dokumente nach Ansicht des Gerichts unzureichend, so erlaubte Art. 17 Enteignungsgesetz die Ernennung von bis zu drei Sachverständigen. Sie wurden vom Gericht berufen. Das von ihnen erstellte Gutachten war für das Gericht nicht bindend, sondern sollte gemäß Art. 17 Enteignungsgesetz nur der Entscheidungstindung dienen435 • Das Gericht bestimmte einen Termin zur mündlichen Verhandlung über die Entschädigungsfrage, zu dem alle Entschädigungsberechtigten zu laden waren. Damit verbunden war eine Besichtigung des betreffenden Grundstückes. In diesem Termin mußten die Entschädigungsberechtigten ihre Einwendungen gegen das Entschädigungsangebot geltend machen. Die Parteien waren nach der Erstellung des Gutachtens erneut zu hören. Schwierigkeiten bereitete die Feststellung der Entschädigung, wenn der Boteigner sich nicht an das vorgegebene Verfahren hielt. Das konnte durch Vomahme von Veränderungen, z.B. die Aufnahme von Erdarbeiten, vor Erwirkung des Expropriationsbeschlusses geschehen, die den früheren Wert des Grundstücks nicht mehr erkennen ließen. Die Wertermittlung konnte in diesem Fall durch einen sogenannten Schätzungseid des Eigentümers vorgenommen werden. Deutlich wird dieses Verfahren in einer Entscheidung des Rheinischen Appellhofs aus dem Jahre 1841436: Bei den Bauarbeiten für die Rheinische Bahn waren vor der förmlichen Einweisung der Gesellschaft in den Besitz eines Wiesengrundstücks die Bauarbeiten aufgenommen worden. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft hatte sich weder um eine Einigung mit dem Grundeigentümer bemüht noch das Enteignungsverfahren eingeleitet.

434

W. Koch, Abt. 1, S. 114 mwN.

43s

§ 38 1.9 Pr. Allg.Gerichts-Ordnung, Koch pr.Civ.Prozeß, S. 270.

436

Entscheidung des Rheinischen Appellhofs vom 4.2.1841, Rh.Arch 30.1.251.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

195

Auf dem Grundstück wurde der Abraum aus der Herstellung eines Tunnels abgelagert. Diese Erdarbeiten veränderten das Grundstück derart, daß sich weder die Bodenqualität noch die ursprüngliche Größe feststellen ließen. Das Gericht entschied, daß der Eigentümer zum Schätzungseide zuzulassen sei, wenn die Bahngesellschaft das Grundstück vor einer gütlichen Übereinkunft mit dem Eigentümer und vor einer förmlichen Besitzeinweisung in Besitz genommen habe und die Ermittlung des Wertes durch die Dispositionen über das Grundstück ausgeschlossen werde437• In den Voraussetzungen für die Zulässigkeil eines Schätzungseides des Eigentümers bestanden wichtige Unterschiede zwischen der Rechtslage in der Rheinprovinz und derjenigen in den alten Provinzen. Nach Rheinischem Recht, Art. 1369 Rh.CGB, war der Schätzungseid des Enteigneten immer schon dann zugelassen, wenn sieb der Wert des Grundstücks auf eine andere Art und Weise nicht mehr feststellen ließ438 • Ob die Eisenbahngesellschaft die Erdarbeiten vor Erlaß des Expropriationsbeschlusses oder danach vornahm, spielte damit keine Rolle für die Zulässigkeil des Schätzungseides. In den alten Provinzen war dagegen der Schätzungseid nach §§ 10 und 12 Teil 1 Titel12 der Allgemeinen Gerichtsordnung nur zugelassen, wenn eine Sache, die nicht mehr zurückgegeben werden konnte, dem Eigentümer durch Betrug oder Gewalt entzogen worden war, und der Wert sieb nicht anders ermitteln ließ. Der genannte Beispielsfall wäre danach in den alten Provinzen ebenso zu entscheiden gewesen, da die Eisenbahngesellschaft vor förmlicher BesitzeiDweisung mit den Arbeiten begonnen hatte. Es lag eine gewaltsame Entziehung des Grundstücks vor. Wäre der Expropriationsbeschluß dagegen bereits erlassen gewesen, hätte es an einer gewaltsamen Entziehung gefehlt. Ein Schätzungseid wäre nicht zugelassen gewesen, sondern es hätte der von den Taxatoren ermittelte Wert angesetzt werden müssen, sofern dem Eigentümer nicht der Nachweis eines höheren Wertes gelungen wäre. Umstritten war in der Rbeinprovinz, ob die Regierung oder die Gesellschaft vor Gericht auftreten mußte.

437

Entscheidung des Rheinischen Appellhofs vom 4.2.1841, Rh.Arch 30.1.251,253.

Art. 1369 Rh.CGB: "Den Eid über den Wert der eingeklagten Sache kann der Richter nur als dann dem Kläger auferlegen, wenn es unmöglich ist, diesen Wert auf andere Weise auszumitteln. 438

Selbst in diesem Falle muß der Richter die Summe bestimmen, bis zu deren Betrage dem Kläger auf seinen Eide geglaubt werden soll."

196

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Der Rheinische Appellhof in Köln hatte zunächst im Jahre 1841 entschieden, daß die Klage gegen die Regierung zu richten sei439 • Als Begründung wurde angeführt, die Regierung beantrage im Interesse der Eisenbahngesellschaft die Enteignung. Daher sei die Regierung die einzige rechtmäßige Vertreterin der Eisenbahngesellschaft. Dieses Ergebnis erklärte sich aus der Formulierung des Enteignungsgesetzes, das auf die Enteignung durch den Staat zugeschnitten war. Das Gericht änderte seine Rechtsprechung im Jahre 1843. Da die Eisenbahn die Ländereien erhalte, schulde sie die Entschädigung und sei daher auch der richtige Klagegegner440• Bei dieser Rechtsauffassung blieb es in den folgenden Jahren441 • Es wurde klargestellt, daß sich die Rolle der Regierung auf die Mitwirkung beim Verfahren der Enteignung und Entschädigung beschränke442 und die Eisenbahngesellschaft in den Besitz der Grundstücke einzuweisen sei443 • Nach Art. 19 Enteignungsgesetz konnte das Landgericht bei Dringlichkeit der Arbeiten die Gesellschaft vor Festsetzung der Entschädigung provisorisch in den Besitz einweisen. Das Urteil wurde für sofort vollziehbar erklärt. Eine derartige Eilbedürftigkeit war bei Eisenbahngesellschaften nahezu die Regel. Argumente für die Annahme einer Dringlichkeit waren bei ihnen der öffentliche Nutzen, abgeschlossene Lieferverträge und die Sicherung der Beschäftigung der Arbeiter444• Vor Inkrafttreten der preußischen Verfassung von 1850 war für die provisorische Besitzeinweisung nur die Dringlichkeit der Arbeiten zu prüfen. Art. 9 der preußischen Verfassung erlaubte eine Eigentumsentziehung und damit auch eine Besitzeinweisung durch die Regierung nur gegen vorherige Zahlung eines wenigstens vorläufig festgestellten Entschädigungsbetrages. Es stellte sich die Frage, wer die vorläufige Festlegung der Entschädigung vornehmen konnte. Der Rheinische Appellhof ließ durch einen Beschluß vom 28. Mai 1851 eine Schätzung durch zwei von der Eisenbahngesellschaft ernannte Sachverständige 439

Rh.Arch 31.1.138,146.

Entscheidung vom 30.8.1843, Rh.Arch 37.1.13,18; dies gilt gemäß Entscheidung vom 31.7.1844 auch für die Entschädigung bei vorübergehender Grundstücksnutzung, Rh.Arch 37.1.223. 440

441

Entscheidung vom 19.1.1848, Rh.Arch 43.1.35,40; Rh.Arch 43.1.143.

442 443

Rh.Arch 43.1.143,147. Entscheidung vom 19.1.1848, Rh.Arch 43.1.35,40.

444

Entscheidung des Rheinischen Appellhofs vom 19.1.1848, Rh.Arch 43.1.35,40.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

197

zu445 • Dieses Ergebnis wurde kritisiert, da Bedenken gegen die Objektivität der von einer Partei ernannten Gutachter nahelagen446• Beim Bau der Köln-Krefelder Eisenbahn, die auf Staatskosten errichtet wurde, erging demgegenüber ein Rescript vom 17. März 1855, das die vorläufige Festsetzung der Entschädigung durch von der Regierung zu ernennende Sachverständige anordnete447 • Endgültig wurde diese Frage im Jahre 1857 durch§ 1 des Änderungsgesetzes zum Enteignungsgesetz von 1810 geregelt448 • Danach bestimmte die Bezirksregierung einen besonderen Kommissar zur Feststellung der vorläufigen Entschädigungssumme.

c) Die Gebührenfürden Vertragsschluß Wie bereits bei der Darstellung des freiwilligen Grunderwerbs ausgeführt, waren die beim Grunderwerb stattfindenden Verhandlungen, unabhängig davon, ob es sich um einen Erwerb durch freiwilligen Vertrag oder durch Enteignung handelte, nach§ 15 Eisenbahngesetz stempel-und sportelfrei. Die Befreiung von diesen Abgaben bezog sich neben der Veräußerung von Grundstücken im Wege der Enteignung auch auf den Erwerb durch freien Vertrag. Durch ein Rescript des Justizministeriums vom 7. November 1843449 wurde aus Anlaß einer Beschwerde der Berlin-Frankfurter Eisenbahngesellschaft festgestellt, daß sich die Sportel- und Stempelfreiheit auf alle durch die Veräußerung überhaupt hervorgerufenen Verhandlungen erstrecke. Gemeint waren damit nicht nur die Verhandlungen, die die Enteignung selbst betrafen, sondern alle Verhandlungen, die durch die Enteignung hervorgerufen wurden, unabhängig davon, ob sie bei der Enteignung selbst oder erst in deren Folge entstanden. Zu den Verhandlungen, die erst in Folge der Enteignung entstanden, gehörten die Prozesse über die Höhe der Entschädigung des Grundeigentümers. Begründet wurde diese Auslegung mit einem Hinweis auf die Motive des§ 15 Eisenbahngesetz450•

445

Zit nach BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 80.

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 80 f., der stattdessen eine Schätzung durch die Regierung vorschlug. 446

449

Abdruck bei Bessel/Kühlwetter, Bd.1, S. 81 f. GS 1857, S. 473 ff. Justizministerialblatt 1843, S. 276.

450

Justizministerialblatt 1843, S. 276.

447 448

198

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Im Jahre 1845 wurde diese Ansicht durch ein neues Resript des Justizministeriums jedoch wieder eingeschränkt451 • Prozesse über die Höhe der Entschädigung waren danach nicht mehr von Stempeln und Sporteln befreit. d) Zusammenfassung

Vergleicht man die gesetzlichen Bestimmungen über das Enteignungs- und Entschädigungsverfahren in den alten Provinzen und den linksrheinischen Gebieten, so ist festzustellen, daß die Vorschriften des allgemeinen Landrechts das Verfahren nur unzureichend regelten. Dies galt vor allem für die Berechnung der Entschädigung. In der Literatur wurde der Mangel an positiven Bestimmungen über die Entschädigungsgrundsätze darum auch kritisiert452 • Das Verfahren nach dem allgemeinen Landrecht wurde jedoch als einfacher und schneller beschrieben453 • Das französische Enteignungsgesetz von 1810 enthielt zwar eine detaillierte Beschreibung des Enteignungs- und Entschädigungsverfahrens. Zur Verlängerung des Verfahrens führte jedoch die Aufspaltung der Kompetenzen zwischen der Regierung und dem Gericht. Das Gesetz bat sieb darum auch in Frankreich nicht bewährt und wurde im Jahre 1831 reformiert. Zu besonderen Verzögerungen führte die Bestimmung der Entschädigung durch das Gericbt454 • Durch das französische Enteignungsgesetz vom 7. Juli 1833 wurde die gerichtliche Abschätzung daher durch die Einführung einer Jury aus Geschworenen des jeweiligen Arrondissements ersetzt. Die Jury setzte fortan die Entschädigung fest. Ihr Beschluß wirkte unmittelbar. Der Richter prüfte nur noch die Einhaltung der Verfabrensvorscbriften455 • In Preußen blieb es bei der geschilderten Rechtslage bis zum Erlaß des preußischen Enteignunggesetzes von 1874, nachdem das französische Enteignungsgesetz von 1810 durch ein Gesetz vom 25. Mai 1857 nur geringfügig modifiziert worden war456• Auf die Veränderungen, die das Enteignungsgesetz von 1874 für das Enteignungsverfahren brachte, soll im folgenden eingegangen werden.

451

Reskript vom 13.Juli 1845, Justizministerialblatt 1845, S. 137.

452

Beschomer, S. 100 f.

453

BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 30.

454 455

0. Mayer, Frz. VerwR, S. 242. 0. Mayer, Frz. VerwR, S. 242 f.

456

GS 1857, S. 473.

~

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

199

3. Das Verfahren nach dem Enteignungsgesetz von 1874 a) Das Enteignungsverfahren Das Enteignungsverfahren, geregelt in den §§ 15-23 des Preußischen Enteignungsgesetz vom 11. Juni 1874457, wich von der bisherigen Praxis nur unwesentlich ab. Der Unternehmer hatte wie bisher nach der Genehmigung der Bahnlinie im ganzen für die Enteignung einen speziellen Plan aufzustellen, der von der zuständigen Bezirksregierung geprüft und vorläufig festgestellt wurde458 • Die Parteien konnten sich daraufhin gemäß § 16 Satz 1 Pr.Enteignungsgesetz untereinander über die sofortige Abtretung des Grundstücks oder die Überlassung des Besitzes einigen. Einer Einigung über die Höhe der Entschädigung bedurfte es zu diesem Zeitpunkt nicht(§ 16 Satz 2). Dies konnte einer späteren Feststellung vorbehalten bleiben. Da häufig weniger die Tatsache der Abtretung als die Höhe der Entschädigung Anlaß zu Streit gab, bestand nun für den Unternehmer die Möglichkeit, schneller und einfacher zu dem benötigten Land zu kommen. Diese Erleichterung, die, wie noch zu zeigen sein wird, schon vor 1874 gängiger Praxis entsprach, wurde nunmehr auch gesetzlich geregelt. Kam eine Einigung zustande, so lag ein freiwilliger Vertragsabschluß vor, für den die allgemeinen Regeln Anwendung fanden. § 17 Pr.Enteignungsgesetz enthielt jedoch einige Erleichterungen für den Abschluß des Vertrages mit in der Verfügung beschränkten Grundbesitzem459 • Kam keine Einigung zwischen den Parteien zustande, so konnte der Unternehmer das Verfahren zur Feststellung des Planes einleiten460•

457 458

Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum, GS 1874, S. 221 ff. § 15 Pr.Enteignungsgesetz.

Dabei handelte es sich um folgende Vereinfachungen: 1. Bei handlungsunfahigen Personen genügte Abschluß durch den Vertreter mit Genehmigung des Gerichts, das die Obervormundschaft führt. 2. Lehns- oder Fideikommißbesitzer konnten Verträge mit Zustimmenung der beiden nächsten Agnaten abschließen. 3. Im Bezirk des Appellationsgerichtshofs in Köln waren die Vertreter handlungsunfahiger Personen befugt in die Veräußerung einzuwilligen, wenn sie vom Gericht nach Anhörung des Ministeriums dazu ermächtigt wurden. Dasselbe galt für Fideikommisse. 4. Veräußerungsbeschränkungen zur Verhütung der Trennung von Gutsverbänden oder der Zerstückelung von Ländereien fanden keine Anwendung. 460 § 18, Abs. 1 Pr.Enteignungsgesetz. 459

200

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Der Unternehmer mußte nun entsprechend dem bisherigen Verfahren der Bezirksregierung die in den einzelnen Gemeinden erforderlichen Grundstücke bezeichnen461 • Bereits aus dem Enteignungsgesetz von 1810 bekannt war die Pflicht, den Plan nebst Beilagen in den einzelnen Gemeinden auszulegen. Die Auslegungsfrist wurde jedoch von acht auf vierzehn Tage verlängert462• In dieser Zeit konnten Einwendungen gemäß § 19 Pr.Enteignungsgesetz bei einer von der Regierung bezeichneten Stelle schriftlich vorgebracht werden. Nach Fristablauf wurde hierüber vor einem dazu bestellten Regierungskommissar verhandelt. Die Eisenbahngesellschaft, die Einwendungserbeher und alle anderen Betroffenen wurden zu diesem Termin eingeladen und angehört. Die Verhandlung betraf nur die Frage der Abtretungspflicht und nicht die Höhe der Entschädigung463 • Auch in diesem Punkt bestanden keine Abweichungen zu der bisherigen Rechtslage. Anschließend legte der Kommissar das Verhandlungsergebnis der Bezirksregierung vor, die nach Prüfung der Einwendungen und der Einhaltung der Formvorschriften den Enteignungsbeschluß erlassen konnte464• Der Erlaß des Enteignungsbeschlusses wurde damit für ganz Preußen entsprechend der bisherigen Rechtslage in den alten Provinzen vereinheitlicht. Neu war jedoch die Bestimmung des§ 21 Nr. 1 Pr.Enteignungsgesetz, nach der die Frist zur Ausübung des Enteignungsrechts beschränkt werden konnte. Machte die Eisenbahngesellschaft von dem Enteignungsrecht bis zum Ablauf der gesetzten Frist keinen Gebrauch oder gab sie ihr Vorhaben vor dem Beschluß über die Feststellung der Entschädigung auf, so verlor sie nach § 42 Pr.Enteignungsgesetz das Enteignungsrecht und haftete zivilrechtlich für die Nachteile, die der Entschädigungsberechtigte bereits erlitten hatte. Gegen die Entscheidung der Behörde war nur die Beschwerde an das Ministerium zugelassen465• Der Rechtsweg war ausgeschlossen. Über die Notwendigkeit der Enteignung, ihren Gegenstand und die Rechtmäßigkeit des Enteignungsverfahrens konnte somit vor den Gerichten nicht gestritten werden.

461

§ 18, Abs. 2 Pr.Enteignungsgesetz.

462

Nach Art. 6 Enteignungsgesetz von 1810 betrug die Frist allerdings nur acht

Tage. 463 464 465

§ 20 Pr.Enteignungsgesetz. § 21 Pr.Enteignungsgesetz. § 22, Abs. 1 Pr.Enteignungsgesetz.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

201

Die Beschwerde mußte innerhalb von zehn Tagen nach Zugang des Beschlusses bei der Bezirksregierung eingelegt werden. Die Bezirksregierung forderte dann den Gegner auf, innerhalb von sieben bis vierzehn Tagen Stellung zu nehmen. Anschließend waren die Akten dem Minister zur Entscheidung vorzulegen466• Unterblieb eine Beschwerde oder war diese erfolglos, so war die Enteignung, vorbehaltlich der Entschädigung, endgültig. Dieser Zeitpunkt war, wie bisher, für die Berechnung der Entschädigung maßgeblich467• Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Enteignungsverfahren durch das Gesetz von 1874 vereinheitlicht wurde. In den linksrheinischen Gebieten wurde die Aufteilung des Verfahrens zwischen Regierung und Justiz beseitigt. Gegenüber dem bisherigen Verfahren ist vor allem die Einführung von Fristen für die Erhebung von Einwendungen gegen die Auswahl der Grundstücke und für die Einlegung der Beschwerde gegen die Entscheidung der Bezirksregierung bemerkenswert. Nach der bisherigen Gesetzgebung hatte es -vor allem bei dem Verfahren nach dem allgemeinen Landrecht- an der Festlegung von Fristen gefehlt, die eine Beschleunigung des Verfahrens ermöglichen sollten.

b) Das Entschädigungsverfahren Die Entscheidung über die Entschädigung, geregelt in §§ 24-32 Pr.Enteignungsgesetz, stand der jeweiligen Bezirksregierung zu. Die Zuständigkeit wurde damit nach den Bestimmungen des Eisenbahngesetzes für die alten Provinzen geregelt. Nachdem der Unternehmer einen Antrag auf Festsetzung der Entschädigung gestellt hatte468 , mußte eine Verhandlung vor dem Regierungskommissar stattfinden469. Zu diesem Termin wurden die Parteien geladen und bis :tu drei Sachverständige hinzugezogen. Neu war die Möglichkeit, daß sich die Parteien auf bestimmte Gutachter einigen konnten. Nur wenn eine solche Einigung nicht zustande kam, wurden sie von der Bezirksregierung emannt470• Einigten sich die Parteien in der Verhandlung vor dem Kommissar über die Entschädigung, so wurde das Verfahren beendet. Das Protokoll hatte die Wir-

466 467 468 469

470

§ 22, Abs. 2 Pr.Enteignungsgesetz. RGZ 7 Nr.73. § 24 Pr.Enteignungsgesetz. § 25 Pr.Enteignungsgesetz. § 27 Pr.Enteignungsgesetz.

202

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

kung einer notariellen oder gerichtlichen Urkunde471 . Kam es nicht zu einer Übereinkunft, so erließ die Bezirksregierung den Beschluß über die Höhe der zu zahlenden Entschädigung472• Entsprechend der Regelung in der Rheinprovinz konnten beide Parteien gegen die Entscheidung der Regierung gerichtlich vorgehen. Die Klage mußte innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Zustellung des Regierungsbeschlusses eingelegt werden473. Damit konnte nun auch die Eisenbahngesellschaft die Höhe der Entschädigung gerichtlich überprüfen lassen. Zuständig war das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück lag474. Der Ausspruch der Enteignung, der die Besitzeinweisung einschloß, konnte erst erfolgen, nachdem entweder die Klagefrist von sechs Monaten abgelaufen war oder ein rechtskräftiges Urteil vorlag und die vereinbarte oder endgültig festgestellte Entschädigungssumme gezahlt bzw. hinterlegt worden war47s. Um Verzögerungen zu vermeiden, sah§ 34 Pr.Enteignungsgesetz die Möglichkeit eines abgekürzten Verfahrens vor. Das Eilverfahren war eigentlich nur für dringende Fälle vorgesehen, wurde wegen seiner Vereinfachungen aber zur Regel476. Wann ein dringlicher Fall anzunehmen war, wurde nicht bestimmt und stand daher im Ermessen der Regierung. Die Regierung konnte auf Antrag des Unternehmers anordnen, daß die Enteignung bereits vor Erledigung des Prozesses über die Höhe der Entschädigung erfolgen solle, sofern die im Verwaltungswege festgestellte Entschädigung oder Kaution geleistet worden war. Die Anordnung konnte von der Leistung einer Kaution abhängig gemacht werden477 . Gegen die Anordnung der Behörde konnten die Beteiligten innerhalb von drei Tagen nach Zustellung Beschwerde beim zuständigen Minister einlegen. Zudem konnte jeder Beteiligte innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung der Anordnung eine Feststellung des Zustandes der Gebäude und Anlagen verlangen478.

471

§ 26 Pr.Enteignungsgesetz.

472

§ 29 Pr.Enteignungsgesetz.

473

§ 30 Pr.Enteignungsgesetz.

474

§ 30, Abs. 3 Pr.Enteignungsgesetz.

47~

§ 32 Pr.Enteignungsgesetz.

476

Endemann, S. 324.

477

§ 34, Abs. 2 Pr.Enteignungsgesetz.

478

§ 35, Abs. 1 Pr.Enteignungsgesetz.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

203

Zuständig für die Feststellung war das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Grundstück lag. Das Gericht mußte innerhalb von sieben Tagen einen Termin anberaumen und hiervon die Beteiligten und die Regierung benachrichtigen479 • Die Zuziehung eines oder mehrerer Sachverständiger konnte das Gericht von Amts wegen anordnen. Die Durchführung hatte in Bezug auf die Enteignung aufschiebende Wirkung. Sie durfte erst nach Beendigung des Verfahrens erfolgen480 • Die Regelungen über das Entschädigungsverfahren lassen, obwohl sie ebenfalls von der bisherigen Praxis nur partiell abwichen, das Bemühen nach einer Beschleunigung des Verfahrens erkennen. Dafür spricht die Einführung der Klagefrist in § 30 Pr.Enteignungsgesetz und die Einführung des Eilverfahrens. Art. 19 Enteignungsgesetz von 1810 hatte zwar bereits eine provisorische Besitzeinweisung vorgesehen. Das Verfahren lag jedoch nun einheitlich in der Hand der Regierung, und der Schutz des Grundeigentümers war durch die Kautionsleistung und die Möglichkeit, den Zustand des Grundstückes feststellen zu lassen, verbessert worden.

c) Zusammenfassung Das preußische Enteignungsgesetz vom 11. Juni 1874 brachte vor allem in den alten Provinzen keine wesentlichen Veränderungen. Der Schwerpunkt der Bedeutung des Gesetzes lag in einer Vereinheitlichung, mit der auch in den linksrheinischen Gebieten die Leitung des Verfahrens auf die Regierung überging. Daneben wurde mit der Einführung eines Eilverfahrens und der Festlegung kurzer Fristen für die Eiolegung von Beschwerden oder Rechtmitteln eine Beschleunigung des Verfahrens angestrebt.

4. Der Vollzug der Enteignung Mit dem Vollzug der Enteignung erlangte die Eisenbahngesellschaft das Eigentum an dem Grundstück und der bisherige Eigentümer den Anspruch auf die Entschädigung. Zu welchem Zeitpunkt die Enteignung als vollzogen anzusehen war, ergab sich nicht aus dem Gesetz. Aufgrund der in der Literatur umstrittenen Beurteilung der Rechtsnatur der Enteignung wurden unterschiedliche Zeitpunkte angenommen.

479

§ 35, Abs. 1 u. 2 Pr.Enteignungsgesetz.

480

§ 35, Abs. 5 Pr.Enteignungsgesetz.

204

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Für die Vertreter der Theorie des Zwangskaufs war die Enteignung vollzogen, sobald das Enteignungsobjekt feststand und der Enteignete sich zu der angebotenen Entschädigung geäußert hatte. Nahm er das Angebot an, so lag eine Vereinbarung über das Kaufobjekt und den Kaufpreis vor. Verlangte er eine höhere Entschädigung, so wurde sie durch das jeweils vorgeschriebene Verfahren ermittelt. Damit stand fest, auf welche Weise die Preisbestimmung erfolgen würde, die Wirksamkeit der Festlegung war lediglich zeitlich aufgeschoben481 • Dieser zeitliche Aufschub sollte jedoch nichts daran ändern, daß die Enteignung bereits mit der Ablehnung der Entschädigung vollzogen war. In diesem Moment stand sowohl das Enteignungsobjekt fest als auch das Verfahren, durch das die Entschädigungssumme bestimmt wurde. Die noch ausstehende Ermittlung der Entschädigung führte nicht zu der Annahme eines bedingten Geschäfts, da sich an der Enteignung selbst nichts mehr ändern konnte482 • Für die Stimmen in der Literatur, die die Theorie des Zwangskaufs ablehnten und stattdessen die Enteignung als ein aus dem Gesetz abgeleitetes Rechtsinstitut ansahen, kamen drei verschiedene Zeitpunkte für die Vollendung der Enteignung in Betracht. Der früheste Zeitpunkt war der Moment, in dem die Enteignung verlangt wurde483 • Die Annahme dieses Termins hätte jedoch zu Nachteilen für den Boteigner geführt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung stand der Umfang der Enteignung noch nicht endgültig fest, trotzdem hätte der Eigentümer bereits die Entschädigung verlangen köooen484• Der späteste Zeitpunkt war der Begion der Verwendung des Grundstücks durch den Enteigner485 • Gegen diese Annahme sprach, daß es in der Hand des Boteigners gelegen hätte, den Entschädigungsanspruch des Eigentümers beliebig hinauszuzögem486• Abgestellt wurde dahet: auf den Augenblick, in dem die Enteignung als unabänderlich feststand Es wurde argumentiert, die Enteignung stehe fest, sobald sich der Eigentümer mit ihr einverstanden erklärt habe oder über seine Rechtsmittel bzw. seineo Widerspruch gegen die Entscheidung abschließend

481

W. Koch, Abt. 1, S. 61.

482

W. Koch, Abt. 1, S. 61 f.

483

Bw'Clchardt, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1839, S. 208, 228.

484

Burckhardt, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1839, S. 230.

485

Burckhardt, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1839, S. 225.

486

Burckhardt, Zeitschrift fürCivilrecht und Prozeß 1839, S. 226.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

205

entschieden worden sei487 • In diesem Moment entstand der Anspruch auf die Entschädigung. Der Unterschied dieser Auffassung zu der des Zwangskaufs bestand darin, daß es für den Vollzug der Enteignung nicht auf die Feststellung der Entschädigungssumme ankam. Die Festlegung der Entschädigung wurde dem Ausführungsverfahren zugerechnet488 • In Preußen wirkte sich dieser Theorienstreit in der Praxis nicht aus, da die Regierung über die Enteignung und die Höhe der Entschädigung einen einheitlichen Beschluß faßte. Der rheinische Appellhof in Köln entschied im Jahre 1843, daß mit dem Erlaß des Enteignungsbeschlusses durch die Regierung oder das gerichtliche Urteil über die Entschädigungshöhe in den linksrheinischen Gebieten dem Eigentümer das Eigentum entzogen und der Gesellschaft mit der Verpflichtung zur Entschädigungsleistung zugesprochen worden sei489 • Die Festlegung des Zeitpunktes, zu dem die Enteignung vollzogen war, spielte nicht nur für den Entschädigungsanspruch einen Rolle. Für die Eisenbahngesellschaft bedeutete er, daß es nun nicht mehr in ihrem Belieben stand, von der Enteignung ganz oder zum Teil Abstand zu nehmen. Der ehemalige Eigentümer war nicht verpflichtet, einen Teil des Grundstücks zurückzunehmen, wenn dieser, entgegen den Erwartungen, für die Bahnlinie nicht benötigt wurde490•

S. Die Rechte des Enteigneten nach Abschluß der Enteignung §§ 16-19 Eisenbahngesetz räumten dem ursprünglichen Grundstückseigentümer ein Vorkaufs- und ein Wiederkaufsrecht ein. Nach § 16 Eisenbahngesetz erstreckten sieb beideRechte auf Grundstücke, die nach § 8 der Enteignung unterworfen waren. Unerheblich war dagegen, ob die Eisenbahngesellschaft die Grundstücke tatsäeblieb im Wege der Enteignung erworben hatte, oder ob sieb die Parteien vertraglieb einigen konnten. Der Anspruch auf Wiederkauf oder Vorkauf entstand, wenn das Eisenbahnprojekt aufgegeben worden war oder das Grundstück für die Bahn nicht mehr

487

Burckhardt, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1839, S. 230 f.; Grünhut,

488 489

Burckhardt. Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1839, S. 231. Rheinischer Appellhof, Entscheidung vom 31.8.1843, Rh.Arch 36.1.64.

490

Rheinischer Appellhof, Entscheidung vom 31.8.1843, Rh.Arch 36.1.64.

s. 187.

206

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

benötigt wurde. Anspruchsberechtigt war nach § 17 Eisenbahngesetz der derzeitige Eigentümer des verldeinerten Grundstücks. Aus dieser Formulierung folgte, daß beide Rechte nur bei einer Teilenteignung, nicht dagegen bei einer vollständigen Enteignung des Grundstücks eingriffen491 • Die Voraussetzungen für den Wiederkauf waren in § 18 Eisenbahngesetz geregelt. Danach konnte der Eigentümer das Wiederkaufsrecht, sobald die Voraussetzungen des § 16 Eisenbahngesetz vorlagen, zu jeder Zeit geltendmachen. Bestritt die Gesellschaft, daß das Grundstück für ihre Zwecke entbehrlich geworden war, so hatte der Richter zu entscheiden. Der Rheinische Appellhof hatte sich in diesem Zusammenhang mit der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Grundstück für die Zwecke der Eisenbahn entbehrlich geworden war492 • Nach der Entscheidung des Gerichts war das Wiederkaufsrecht nicht begründet, wenn die Eisenbahngesellschaft behauptete, das Grundstück bei einer in späteren Jahren möglichen Anlegung eines zweiten Gleises für die Erweiterung des Bahnhofs zu benötigen. Die Entbehrlichkeit des Grundstücks war jedoch gegeben, wenn es an einen Dritten veräußert worden war493 • Bei Ausübung des Wiederkaufsrechts mußte der Eigentümer nach § 18 Satz 3 Eisenbahngesetz den ursprünglichen Kaufpreis abzüglich einer inzwischen eingetretenen Wertminderung zahlen. § 18 Satz 4 Eisenbahngesetz bestimmte ausdrücklich, daß die Gesellschaft keinen Ersatz für von ihr vorgenommene Verbesserungen verlangen konnte. Sie hatte lediglich das Recht, von ihr errichtete Anlagen zu entfernen. Zur Ausübung des Wiederkaufs konnte die Gesellschaft dem Eigentümer eine Frist von zwei Monaten setzen. Zeigte dieser innerhalb dieser Frist nicht an, das Grundstück zurückerwerben zu wollen, so verlor er das Wiederkaufsrecht gemäß § 18 Satz 2 Eisenbahngesetz. Das Vorkaufsrecht trat nur ein, wenn die Gesellschaft einen Käufer für die entbehrlich gewordene Grundstücksfläche gefunden hatte. Sie hatte den Grundstückseigentümer hiervon zu benachrichtigen. Wollte der ehemalige Eigentümer das Vorkaufsrecht ausüben, so mußte er das Grundstück zu den Bedingungen des mit dem Dritten geschlossenen Vertrages erwerben494•

491

Bestätigt durch den Rheinischen Appellhof, Entscheidung vom 18.11.1852,

Rh.Arch 48.1.111 ff. 492

Rh.Arch 36.1.233,238.

493

Rh.Arch 36.1.233,238.

494

§ 568 Teil 1 Titel 20 ALR.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

207

Wie beim Wiederkauf mußte sich der Eigentümer innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Benachrichtigung entscheiden, ob er den Vorkauf ausüben wollte oder nicht Andernfalls verlor er sein Recht. Unterließ die Gesellschaft dagegen die Benachrichtigung, so ging das Vorkaufsrecht nicht verloren, sondern konnte nach § 19 Satz 3 Eisenbahngesetz gegen den neuen Besitzer geltend gemacht werden. Beide Rechte konnten nebeneinander bestehen, sofern die Frist von jeweils zwei Monaten noch nicht abgelaufen war. Schloß die Eisenbahngesellschaft einen Kaufvertrag über das Grundstück mit einem Dritten und bestand das Wiederkaufsrecht noch, so hatte der ehemalige Eigentümer die Wahl, ob er von seinem Wiederkaufs- oder seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen wollte. War das Grundstück an den Dritten bereits übereignet worden, so konnte es der Berechtigte nur nach § 19 Satz 3 Eisenbahngesetz im Wege des Vorkaufs zurückerhalten. Das Wiederkaufsrecht konnte nach§ 18 Eisenbahngesetz nur gegenüber der Eisenbahngesellschaft geltendgemacht werden. Während das Wiederkaufsrecht in §§ 296 ff. Tei11 Titel11 ALR und das Vorkaufsrecht in§§ 568 ff. Teil1 Titel20 ALR geregelt waren, fanden sich in der Rheinprovinz keine vergleichbaren Regelungen. Das Rheinische Civilgesetzbucb kannte das Vorkaufsrecht nicht. Es fanden sich zwar Regelungen zu einem Wiederkaufsrecht in Art. 1659 ff. Rh.CGB, diese bezogen sich jedoch auf eine unter einer aufschiebenden Bedingung erfolgte Eigentumsübertragung495 • Zudem konnte das Recht gemäß Art. 1660 Rh.CGB für längstens fünf Jahre vereinbart werden496• Es ist daher nicht verwunderlich, daß die §§ 16-19 Eisenbahngesetz in der Rheinprovinz heftig angegriffen wurden. David Hansemann kritisierte497 , daß das "manchmal fünffach bezahlte Eigentum" auch noch mit einer Last beschwert werde, die es der Gesellschaft erschwere, ihre Verluste zu vermindern, und sie zwinge, dem Eigentümer das Vor- und Wiederkaufsrecht abzukaufen. Er sah hierin eine "grelle" Verletzung allgemeiner Rechtsregeln, die zudem bei Kunststraßen nicht vorgesehen sei498 •

495 Art. 1659: "Das Wiederkaufsrecht ist ein Vertrag, wodurch der Verkäufer sich vorbehält, gegen Wiedererstattung des Kaufpreises, ... , die verkaufte Sache zurückzunehmen. 496 Art. 1660: "Das Wiederkaufsrecht kann auf eine längere Zeit, als fünf Jahre, nicht ausbedungen werden". 497

Hansemann, Kritik, S. 52.

Hansemann, Kritik, S. 52, 53. Den Grund für die Regelung sah er in der Besorgnis einiger Gutsbesitzer, daß die Grundstücke andernfalls von unvermögenden Leu498

208

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Grünhut rechtfertigte das Rückerwerbsrecht dagegen mit dem Prinzip der Enteignung. Diese dürfe sich nur auf das unbedingt notwendige erstrecken, so daß es eine Forderung der Gerechtigkeit und Billigkeit sei, dem Enteigneten die Möglichkeit des Rückerwerbs einzuräumen499• Das Wiederkaufsrecht wurde durch § 57 Abs. 1 des Enteignungsgesetzes von 1874 aufgehoben. Zur Begründung wurde in den Beratungen des Gesetzes angeführt, daß es erfahrungsgemäß zu vielen Prozessen Veranlassung gegeben habe und der Enteignete zudem den vollen Gegenwert für sein Grundstück erhalten habesoo. Nach einer Entscheidung des Obertribunals wurden durch§ 57 auch alle bereits begründeten Wiederkaufsrechte rückwirkend beseitigt501 • Das Vorkaufsrecht wurde dagegen beibehalten, da es weder öffentliche Interessen gefahrde noch für den Unternehmer von Bedeutung sei, wer das Grundstück erwerbe, da der Kaufpreis der gleiche bleibe502•

vm.

Die zwangsweise vorübergehende Nutzung von Grundstücken 1. Der Umfang des Nutzungsrechtes

Bei der Anlegung der Bahnlinie wurden nicht nur Grundstücksflächen für die eigentliche Streckenführung benötigt. Um die Baustelle erreichen und versorgen zu können, mußten Zufahrtswege angelegt werden. Für die Aufschüttung des Bahndammes entstand zudem ein erheblicher Bedarf an BaumateriaL Die Anlegung von Wegen und die Gewinnung von Baumaterial mußte zu Lasten von Grundstücken erfolgen, die in der Nachbarschaft der Baustelle lagen. Im Wege der Enteignung konnten diese Grundstücke nicht beschafft werden, da sie nicht zu den in § 8 Eisenbahngesetz genannten für die Anlage der Bahn selbst notwendigen Flächen gehörten. Das preußische Eisenbahngesetz gewährte der Bahngesellschaft deshalb in § 9 neben dem Expropriationsrecht auch das Recht zur zwangsweisen vorübergehenden Benutzung von Grundstücken. Das Recht war nicht schrankenlos. Als Beispiele für eine zulässige vorübergehende Nutzung erwähnte das Gesetz die Einrichtung von Interimswegen und ten gekauft werden könnten, die ihnen unbequem werden könnten. Einen Beleg für diese Vermutung gab er nicht an. 499

Grünhut. S. 162, ebenso G. Meyer, S. 263 f.

' 00 ' 01

Justiz Ministerialblatt 1864, S. 372; Löbell, §57, Anm. 3. Obertribunal, Entscheidungen Bd.79, S. 45.

502

Löbell, § 57' Anm.4.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

209

die Materialgewinnung, und zwar in dem Umfange, wie sie dem Staat bei der Anlegung und der Unterhaltung von Straßen erlaubt war. Die Befugnisse des Staates bei der Anlegung von Straßen ergaben sich aus §§ 18, 19 Teil2 Titel 15 ALR503 und wurden zudem für die einzelnen Provinzen jeweils gesondert geregelt504• Sie bezogen sich in erster Linie auf die Entnahme von Sand, Kies und Feldsteinen. § 9 Satz 3 Eisenbahngesetz schränkte die Befugnisse nach den Chausseebauvorschriften jedoch ein, indem die Befugnis zur Anlegung neuer oder die Benutzung bereits vorhandener Steinbrüche, sowie zum Ausgraben von Feldsteinen und Erde zur Ziegelfabrikation nicht erteilt wurde. Diese Materialien mußten daher durch freien Vertrag erworben werden. Die Vorschriften über den Straßenbau waren daher nur noch hinsichtlich der Gewinnung von Sand und Kies anwendbar.

Der Grund für diese Abweichungen von den Straßenbauvorschriften ergibt sich aus einem Gutachten der Staatsrats-Abteilungen für Inneres, Justiz, Finanz- und Militärangelegenheiten über den Entwurf des Eisenbahngesetzes aus dem Jahre 1838505• Hinsichtlich der Nutzung von Steinbrüchen wurde der Unterschied zum Straßenbau damit gerechtfertigt, daß Straßen, anders als Eisenbahnen, ohne Steine nicht gebaut werden könnten. Für Eisenbahnen bestehe keine dringende Notwendigkeit, Steine unentgeltlich zu erhalten, so daß Eingriffe in das Privateigentum nicht gerechtfertigt seien506. Die unentgeltliche Gewinnung von Ziegelerde wurde mit der Begründung abgelehnt, die Bahn bestehe in erster Linie aus Holz und Eisen. Da es für diese Materialien keine Möglichkeit des zwangsweisen Erwerbs gebe, sei dies auch für Ziegelerde nicht gerechtfertigt. Die Entschädigung des Eigentümers könne hierfür keine Rechtfertigung geben,

503 §18 Teil2 Titel15: "Den zur Anlegung, Verbreitung oder geraden Führung einer solchen Dammstraße erforderlichen Boden, ingleichen die dazu nötigen, auf der benachbarten Feldflur befmdlichen Materialien ist ein jeder dem Staat zu überlassen verbunden". §19: "Er muß aber dafür von dem Staate entschädigt werden." 504 Grafschaft Mark: Chaussee-Reglement vom 31. Mai 1796, §§ 26-33; Kurmark und Neumark: Edict v. 18. April1792, §§X, XVIll Nr. 10 und die Kabinettsorder vom 9.2.1828; Magdeburg und Halberstadt Publicandum vom 13.11.1787; Provinz Preußen: Kabinettsorder vom 11. Juni 1825, Abdruck sämtlicher Texte bei BesseYKühlwetter, Bd.l, S. 51-55. 505 GStA Rep.77 Titel258 Nr.l Vol.II Bl.360-389. 506

Gutachten, GStA, Rep.77 Titel258 Nr.l Vol.II Bl.371.

14 Bracht

210

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

da ihm nur der augenblickliche Wert der Erde vergütet werde, ohne zu berücksichtigen, daß er selbst die Ziegelfabrikation aufnehmen könne507• Im welchem Umfang die Benutzung erlaubt war und welche Grundstücke in Anspruch genommen werden durften, hatte die Regierung nach § 9 Satz 2 Eisenbahngesetz unter Berücksichtigung des jeweiligen Landesrechtes zu entscheiden. Gegen die Entscheidung der Regierung war wie bei der Enteignung die Beschwerde an das Handelsministerium zugelassen. Eine gerichtliche Kontrolle der Entscheidung war, ebenso wie hinsichtlich der Auswahl der zu enteignenden Grundstücke, ausgeschlossen. Für die Benutzung von Grundstücken mußte wie bei der Enteignung ein Beschluß erlassen werden, in dem die betroffenen Grundstücke und die Entschädigung festgelegt wurden508 • In der Rheinprovinz stellte sich die Frage, ob die Entscheidung über die vorübergehende Benutzung von Grundstücken von den Gerichten auszusprechen war, oder ob allein die Behörde zu entscheiden hatte. Die Kompetenz der Gefichte konnte sich aus dem Enteignungsgesetz von 1810 ergeben. Dieses bezog sich nach seinem Wortlaut jedoch ausschließlich auf die Enteignung von Grundstücken. Die übrigen Straßenbaugesetze, insbesondere das Gesetz vom 16. September 1807, sahen keine Mitwirkung der Gerichte vorw. Es wurde daher vertreten, daß über die vorübergehende Nutzung von Grundstücken ebenso wie in den alten Provinzen allein die Regierung zu entscheiden habe510• Bei einem Streit über die Höhe der Entschädigung waren die§§ 16 ff. des Enteignungsgesetzes allerdings anwendbar, da § 13 Eisenbahngesetz auf § 11 Eisenbahngesetz und damit auf die Vorschriften über die Enteignung in der Rheinprovinz verwies. Angesichts der unklaren Gesetzeslage fällten die Regierungen der Rheinprovinz keine einheitlichen Entscheidungen. Die Unterschiede traten beim Bau der Rheinischen Eisenbahn zutage. Während die Regierung in Köln den Standpunkt vertrat, die Besitzeinweisung müsse durch die Gerichte erfolgen, wies die Regierung in Aachen die Gesellschaft unmittelbar in den Besitz der Grundstücke einm. Die Position der Regierung in Köln wurde durch ein Rescript des Finanzministers vom 25. Februar 1841 unterstützt. Zur Begründung wurde angeführt, daß § 9 Eisenbahngesetz der Regierung nur die Befugnis gebe, die be507

Gutachten, GStA, Rep.77 Titel258 Nr.l Vol.ll Bl.371.

Ein generelles Schema für ein Beschluß nach § 9 Eisenbahngesetz fmdet sich bei BesseVKühlwetter, Bd. l, S. 60-62. 509 0. Meyer, Frz. VerwR, S. 236; BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 85 m.w.N. 510 BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 87; W. Koch, Abt. 1, S. 133, Fn.15. 508

511

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 88.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

211

treffenden Grundstücke zu bezeichnen, nicht jedoch die Eisenbahngesellschaft auch in Besitz einzuweisen512• Dieser Argumentation wurde zu Recht entgegengehalten, daß auf der anderen Seite auch keine Befugnis der Gerichte genannt würde513• Ein Rescript des Justizministers vom 17. Juni 1842 an den Oberprocurator in Düsseldorf soll wiederum die Position der Aachener Regierung unterstützt haben514• Beim Bau der Köln-Mindener Eisenbahn blieb die Kölner Regierung bei ihrer Auffassung, während die Regierung in Düsseldorf die Besitzeinweisung selbst aussprachSIS. Nach dem Wortlaut des Eisenbahngesetzes kann der Auffassung der Regierung in Köln nicht gefolgt werden. § 9 Eisenbahngesetz stellte das Recht zur vorübergehenden Benutzung fremder Grundstücke ausdrücklich neben das Enteignungsrecht Während § 11 Abs. 3 Eisenbahngesetz für die Ausübung des Enteignungsrechts in der Rheinprovinz auf die geltenden Bestimmungen verwies, erklärte § 13 Eisenbahngesetz die Vorschriften über die Enteignung nur hinsichtlich der Entschädigung für anwendbar. Das Enteignungsgesetz von 1810 sprach allerdings nur von einer Entziehung des Eigentums. Darunter konnte man bei wörtlicher Auslegung auch eine vorübergehende Entziehung verstehen. Dieser Auslegung stand jedoch entgegen, daß man bei Erlaß des Gesetzes von 1810 unter der Entziehung des Eigentums nur die dauernde Entziehung verstand und vorübergehende Beschränkungen, einschließlich der Gewinnung von Materialien ausschloß516• Nach Art. 27 Enteignungsgesetz wurde das Gesetz vom 16. September 1807 nur insoweit aufgehoben, als es den neuen Bestimmungen entgegenstand. Damit lag die Kompetenz für die Besitzeinweisung bei Grundstücken zur vorübergehenden Benutzung in den linksrheinischen Gebieten wie in den alten Provinzen bei der Regierung. Durch den Bau der Bahn ergab sich nicht nur ein Bedarf an Baumaterial und an Zufahrtswegen. Ein erheblicher Platzbedarf entstand für die Unterbringung von Schutt und Erde, die bei der Anlage von Tunneln oder bei Einschnitten in die Landschaft anfielen. Es lag im Interesse der Eisenbahngesellschaft, auch diese Flächen nur vorübergehend zu nutzen. Dies wurde jedoch durch § 8 Nr. 512

Abgedruckt bei BesseVK.ühlwetter, Bd.l, S. 88.

513

BesseVK.ühlwetter, Bd.l, S. 88.

514

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 88.

515

BesseVK.ühlwetter, Bd.l, S. 89.

BesseVK.ühlwetter, Bd. l, S. 84 unter Bezugnahme auf De Laileu "Traite de l'expropriation pour cause d'utilire publique" Paris 1842 Nr. 35, 41, 43, 45, 48. 516

212

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

3 i.V.m. § 10 Eisenbahngesetz ausgeschlossen. Danach konnte das zur Unterbringung von Schutt und Erde erforderliche Land nur im Wege der Enteignung und nicht nach § 9 Eisenbahngesetz zur vorübergehenden Benutzung erworben werden. Begründen läßt sich das Erfordernis der Enteignung mit der starken Veränderung und Entwertung die ein Grundstück durch die Ablagerung des Bauschuttes erleidet. § 10 Eisenbahngesetz gab dem Eigentümer jedoch ein Wahlrecht, es bei der Enteignung zu belassen oder das Grundstück gegen Entschädigung zurückzunehmen. Im Gegensatz zur Enteignung zum Zwecke der Anlage der Bahnstrecke selbst war die Enteignung damit nicht endgültig. Die Eisenbahngesellschaft hatte dagegen kein Recht, dem Eigentümer gegen seinen Willen das Grundstück nach Abschluß der Nutzung zurückzugeben. In der Praxis hatte § 10 Eisenbahngesetz allerdings solange keine Bedeutung, als dem Eigentümer in allen Enteignungsfällen aus§ 16 Eisenbahngesetz ein Wiederkaufsrecht zustand.

2. Der Anspruch auf EnUchädigung a) Die Entschädigung des Eigentümers Für die vorübergehende Nutzung seines Grundstückes war der Eigentümer nach § 13 Eisenbahngesetz in gleicher Weise zu entschädigen wie im Falle der Enteignung. Anders als bei der Enteignung bestand jedoch die Möglichkeit, für die Regulierung der Entschädigungsfrage die Stellung einer Kaution zu verlangen. Die Festsetzung der Entschädigung erfolgte durch Ermittlung einer Taxe. Dabei waren die zu erwartende Bodenverschlechterung, die zeitweilige Entziehung der Nutzungsmöglichkeit und jeder weitere Nachteil für den Eigentümer zu berücksichtigen. Nutzte der Eigentümer sein Grundstück selbst, so bestand die Entschädigung aus zwei Beträgen. Taxiert werden mußten zunächst die zu erwartende Verschlechterung des Bodens und die übrigen damit zusammenhängenden Nachteile. Desweiteren war die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit zu berücksichtigen. Da die Dauer der Entziehung des Grundstücks bei der Bemessung der Entschädigung noch nicht sicher abzusehen war, konnte diese periodenweise festgestellt werdenm.

517

BesseVKühlwetter, Bd.l, S. 56.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

213

Die Entschädigung für die Besitzentziehung war zunächst für ein Jahr im voraus zu berechnen. Die Zahlung für ein Jahr stand zu dem Grundsatz der vorherigen Entschädigungsleistung nicht in Widerspruch, da sie mit der tatsächlichen Dauer der Nutzungsentziehung übereinstimmen konnte. War eine längere Nutzungsentziehung zu erwarten, so hatte der Eigentümer nach § 13 Eisenbahngesetz das Recht, die Stellung einer Kaution zu verlangenm. Bevor der Eigentümer zur Besitzüberlassung gezwungen werden konnte, waren die Taxe für die Bodenverschlechterung und die Entschädigung für die Besitzentziehung an ihn zu zahlen oder eine entsprechende Kaution zu leisten. Voraussetzung für die Auszahlung der Entschädigung war wie bei der Enteignungsentschädigung der Nachweis der Hypothekenfreiheit des Grundstückes durch den Eigentümer. Andernfalls kam nach der Verordnung über die Geldentschädigung für den zum Chausseebau abgetretenen Grund und Boden vom 18. April 1832519 nur die Hinterlegung des Betrages in Betracht, um die Entschädigung sämtlicher Berechtigter zu sichern. Gegen die Festsetzung der Entschädigungshöhe konnte der Eigentümer nach § 13 i.V.m. § 11 Eisenbahngesetz Klage erheben. Da§ 13 ohne Einschränkung auf § 11 verwies, hatte die Eisenbahngesellschaft auch bei vorübergehender Grundstücksnutzung keine Möglichkeit, die Entschädigungshöhe gerichtlich überprüfen zu lassen. b) Die Entschädigung der Nebenberechtigten War das Nutzungsrecht an dem Grundstück von dem Eigentümer auf Dritte, wie z.B. Mieter oder Pächter, übertragen worden, so stand diesen die Entschädigung für die Nutzungsentziehung zu. Der Eigentümer konnte lediglich den Ausgleich für die Verschlechterung des Bodens geltend machen. Wurde das Miet- oder Pachtverhältnis durch die Nutzungsentziehung beendet, so hatte die Eisenbahngesellschaft den Mietern oder Pächtern auch den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen520• War das Grundstück mit Servituten, wie z.B. einer Wegegerechtigkeit, belastet, so konnte der Eigentümer Schadensersatz für die Bodenverschlechterung und die Nutzungsentziehung verlangen. Den Realberechtigten stand ein Aus-

518

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 57.

519

GS 1832, S. 202.

520

Bessel/Kühlwetter, Bd.l, S. 58.

214

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

gleichsanspruch für die zeitweilige Unterbrechung der Nutzungsmöglichkeit zus21.

IX. Der Schutz der Anlieger Von dem Bau der Eisenbahnlinie wurden nicht nur die Grundeigentümer betroffen, deren Grundstücke für die Strecke auf Dauer oder zeitweise benötigt wurden. Beeinträchtigungen konnten sich auch für die unmittelbaren Bahnanlieger ergeben. Die Vorschriften über die Enteignung begründeten für diesen Personenkreis keine Entschädigungsansprüche. Um die Anlieger vor Nachteilen für ihre Grundstücke zu schützen, bestimmte § 14 Eisenbahngesetz, daß die Gesellschaft neben der Zahlung der Geldentschädigungen auf Anordnung der Regierung die notwendigen Anlagen einzurichten hatte, um die benachbarten Grundbesitzer vor Gefahren für die Benutzung ihrer Grundstücke zu sichern. Zu den Anliegern gehörte auch derjenige, dessen Grundstück nur teilweise enteignet worden war522. Die Entscheidung, ob Schutzanlagen zu errichten waren, fällte allein die Regierung. Weigerte sich die Behörde, so hatten die Anlieger keine Möglichkeit, eine entsprechende Anordnung auf dem Rechtsweg zu erreichen. Die Anordnung zur Errichtung von Schutzanlagen mußte im übrigen vor dem Zeitpunkt der Eröffnung der Bahn erfolgen. Stellte sich die Notwendigkeit von Schutzanlagen erst nach Eröffnung der Bahn heraus, so war die Eisenbahngesellschaft nach§ 14 Abs. 2 Eisenbahngesetz zwar ebenfalls verpflichtet, die erforderlichen Anlagen zu bauen, die Kosten hierfür hatten aber die betreffenden Grundbesitzer zu tragen. Voraussetzung war zudem, daß es auf den benachbarten Grundstücken zu einer Veränderung gekommen war. Abgesehen von diesem Sonderfall war die Eisenbahngesellschaft nach Eröffnung der Bahn vor der Anordnung von Schutzanlagen durch die Verwaltungsbehörde geschützt523• Umstritten war in der Anfangszeit, ob die Eisenbahngesellschaft verpflichtet war, den Anliegern den durch den Bau der Bahnlinie entstandenen Schaden zu ersetzen.

m 522

BesseiiKühlwetter, Bd.l, S. 59. Bessei/Kühlwetter, Bd.l , S. 147.

523 Rescript des Handels-Ministeriums vorn 8.12.1849, abgedruckt bei BesseVKühlwetter, S. 136.

3. Teil: Der GrundeiWerb durch Enteignung

215

Das Oberlandesgericht Paderbom hatte im Jahre 1848 den Fall zu entscheiden, daß es durch den Eisenbahndamm zu einer teilweisen Überschwemmung des Nachbargrundstücks gekommen w~24 • Das Gericht lehnte einen Schadensersatzanspruch gegen die Eisenbahngesellschaft ab, da sie bei der Ausführung und Konstruktion der Bahnlinie nur an die Genehmigung der Staatsbehörde gebunden gewesen sei. Für Nachteile, die sich aus der Anlegung ergaben, sei sie daher nicht verantwortlich. Benachbarte Grundbesitzer würden allein durch § 14 Eisenbahngesetz geschützt. Schutzanlagen müsse die Gesellschaft jedoch nur dann errichten, wenn es von der Regierung verlangt werde. Solange sich die Gesellschaft an die Anordnungen der Regierung hielt, konnte sie nicht zu Entschädigungszahlungen verpflichtet werden. Es wäre Aufgabe des klagenden Nachbarn gewesen, sich rechtzeitig um die Anordnung geeigneter Schutzmaßnahmen zu bemühen525• Durch diese Entscheidung, wurde die Eisenbahngesellschaft besser gestellt als ein gewöhnlicher Grundstücksnachbar. Nach allgemeinem Nachbarrecht wäre dieser nach Art. 640 Rh.CGB bzw. nach§§ 99-100 Teil I TitelS ALR zur Beseitigung des Dammes oder jedenfalls zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet gewesen. Das Obertribunal hat in der Folgezeit einen anderen Rechtsstandpunkt vertreten. Durch einen Pienarbeschluß vom 20. Oktober 1851 526 entschied das Gericht, daß die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über Schadensersatz durch § 14 Eisenbahngesetz nicht abgeändert worden seien. Danach war die Eisenbahngesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet, wenn sie entweder die Anordnungen der Regierung nicht befolgt hatte oder nach allgemeinen Grundsätzen als Privateigentümer zur Entschädigung der Anlieger verpflichtet war527• Aus § 14 Eisenbahngesetz ergab sich damit lediglich, daß der Nachbar keinen gerichdich durchsetzbaren Anspruch auf Errichtung von Schutzanlagen hatte528 • Entstanden wegen des Fehlens derartiger Anlagen jedoch Schäden an seinem Grundstück, so hatte er einen einklagbaren Entschädigungsanspruch.

524 Oberlandesgericht Paderbom, Entscheidung vom 18. September 1848, abgedruckt bei BesseVKühlwetter, Bd.1, S 138 f. 525 Oberlandesgericht Paderbom, Entscheidung vom 18. September 1848, abgedruckt bei BesseVKühlwetter, Bd.1, S 138 f.

Obertribunal, Entscheidungen Bd. 21, S. 177. Obertribunal, Entscheidungen Bd. 21, S. 177. 528 BesseVKühlwetter, Bd.1, S. 142; Endemann, S. 356; Einzelfalle: Striethorst E.d.O.Trib.Bd.99, S. 105; Bd.79, S. 132 bzgl desAbschneidenseines Wasserlaufs; RGZ 7 Nr. 74. 526

527

216

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Zur Auslegung des § 14 Eisenbahngesetz führte das Obertribunal in einer zweiten Entscheidung vom 20. Oktober 1851 529 aus, daß es sieb bei § 14 Eisenbahngesetz um eine Vorschrift im landespolizeilieben Interesse handele, die an den Rechten des einzelnen nichts geändert babe530 • Die Entschädigungsverpflichtung ging allerdings auch nicht über die nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen geschuldete binaus531 • Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch war in jedem Fall eine in Geld abschätzbare Benachteiligung, die dem Anlieger in seinem Privatrecht durch die Eisenbahnanlage und deren bestimmungsgemäßen Gebrauch entstanden war. Die Pflicht, Anlieger zu entschädigen, stand neben der Entschädigung des Enteigneten. Sie bezog sich sowohl auf Nachteile durch die erste Anlegung als auch durch spätere Änderungen532 • Eine dem § 14 Eisenbahngesetz nachgebildete Vorschrift wurde in das Grundenteignungsgesetz von 1874 übernommen. In§ 14 verpflichtete das neue Gesetz den Unternehmer, Anlagen zur Sicherung gegen Gefahren und Nachteile der Eisenbahn zu errichten. Als Zweck kam nur die Sicherung vor Gefahren und Nachteilen in Betracht, die mit Sicherheit zu erwarten oder bereits eingetreten waren533• Mit der Pflicht zur Herstellung von Schutzanlagen verband § 14 Abs. 1 Satz 2 Grundenteignungsgesetz die Verbindlichkeit zur Unterhaltung dieser Anlagen. Es galten damit die gleichen Grundsätze wie nach § 14 Eisenbahngesetz.

X. Die Durchführung des Grunderwerbs in der Praxis Der Grunderwerb war nach der Bestätigung des Statuts und der Festlegung der Linienführung die wichtigste Aufgabe der neuen Eisenbahngesellschaft. Er verschlang einen wesentlichen Teil des Baukapitals. Die Untersuchung hat ergeben, daß sowohl der Grunderwerb durch freiwilligen Vertrag als auch der im Wege der Enteignung mit Nachteilen verbunden waren.

s29 Striethorst Archiv Bd.3, S. 300. SJO

Striethorst Archiv Bd.3, S. 300.

SJ t

Obertribunal, Entscheidung vom 10.3.1853, Striethorst Archiv Bd.8, S. 340.

S32

Bessei/K.ühlwetter, Bd.1, S. 137. Löbell, §14 Anm.13.

SJJ

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

217

Bei dem Abschluß der vorrangig anzustrebenden freiwilligen Verträge war die Berichtigung des Besitztitels im Hypothekenbuch angesicbts der Vielzahl von Hypothekenbehörden sehr aufwendig. Bei der Enteignung konnten vor allem die Ermittlung der Grundstückswerte durch Sachverständige und anschließende Gerichtsverfahren mit Grundstückseigentümem, die mit der Höbe der Entschädigung nicht zufrieden waren, zu Verzögerungen des Baubeginns führen. Im folgenden soll am Beispiel einiger ausgewählter Eisenbahngesellschaften der Frage nachgegangen werden, in welcher Form sich der Grunderwerb in der Praxis vollzogen bat. Dabei soll vor allem untersucht werden, wie hoch der Anteil der durch Enteignung erworbenen Grundstücke war. Bei der ersten preußischen Eisenbahn, der Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft, wurde vor derErteilungder endgültigen Konzession im Jahre 1837 im Staatsministerium zunächst die Frage diskutiert, ob der Bahn das Expropriationsrecht überhaupt verlieben werden könne. Staatsminister v. Rother führte in einem Schreiben an König Friedrich Wilhelm III. vom 8. Januar 1836534 aus, für die Bahn bestehe in kommerzieller Hinsicht kein Bedürfnis, so daß strenggenommen die Voraussetzungen, nach denen dem Staat ein Expropriationsrecht zustehe, nicht vorlägen. Dennoch befürwortete er die Verleihung des Expropriationsrecbts, da die Verweigerung seiner Meinung nach der Versagung der Genehmigung selbst gleichkomme. Ohne Enteignungsmöglichkeit würden die Grundeigentümer ihre Forderungen überspannen. Erfahrungen aus dem Chausseebau liessen erkennen, daß die Grundeigentümer nicht benachteiligt würden, da ein zu geringer Wertersatz für die Grundstücke zu den Ausnahmen gehört habe. Vor der endgültigen Genehmigung der Bahn könnten zudem eventuelle Nachteile für einzelne Grundeigentümer überprüft werden. Zudem könne später ein kommerzielles Bedürfnis für die Bahn entstehen, wenn diese in Richtung Magdeburg oder Harnburg verlängert würde. Diese Bedenken Rothers, die durch die Allgemeinen Bedingungen und das Eisenbahngesetz überholt wurden, verhinderten die Verleihung des Enteignungsrecht an die Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft nicht. Sie erledigten sich vielmehr von selbst, weil die Gesellschaft ihre Grundstücke durch gütliche Einigung mit den Grundbesitzern erwerben konnte. Bereits im September 1837 wurde berichtet, daß bei dem Grunderwerb keine besonderen Mißstände auf-

534 GStA Rep.89 Nr.29546 Vol.I, 1833-1843, Kgl. Civilkabinett 1. Abt. betr. die Vorschläge wegen Errichtung einer Eisenbahn und Dampfwagenfahrt zwischen Berlin und Potsdam Bl. 9.

218

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

getreten seienm. Es sei der Gesellschaft gelungen, einen "namhaften Teil des Grund und Bodens"536 gütlich zu erwerben. Im Ergebnis konnten alle Grundstücke auf der gesamten Strecke von insgesamt 3,5 Meilen im Wege des freien Vertrags erworben werden. Besonders gut verfolgen läßt sich die Durchführung des Grunderwerbs aus den Berichten der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft an ihre Aktionäre. Das Statut der Gesellschaft wurde am 13. November 1837 bestätigt, der Bauplan am 24. Januar 1838 genehmigt. Im ersten Aktionärsbericht vom Juni 1838537, zeigte man sich binsichtlieb des Grunderwerbs noch zuversichtlich: "Wir haben im März, April mit der Einleitung des Expropriationsgeschäfts begonnen und inzwischen bereits eine große Anzahl von Grundstücken erworben. Die Entschädigungen sind entweder dun:h Taxatoren oder dun:h gütliche Einigung festgelegt worden. Die Höhe der Entschädigungen hat sich zumeist im Rahmen der Erwartungen gehalten."

Gerechnet wurde mit einem Durchschnittspreis von 200 Talern pro Morgen. Zusammenfassend hieß es, das Expropriationsgeschäft gehe im allgemeinen schnell und für beide Seiten befriedigend vonstatten. Den Grund hierfür sah die Gesellschaft in nicht näher beschriebenen Erleichterungen höheren Orts und der umsichtigen Leitung durch die beauftragten Behörden. Ein Jahr später war zwar der Grunderwerb abgeschlossen, jedoch wurde im Geschäftsbericht vom 23. Mai 1839 ausgeführtm: "Die Acquisition des Grund und Bodens ist zu unserem Bedauern nur in verhältnismäßig wenigen Fällen möglich geworden. Die Ausnahme ist der Kreis Calbe, wo es aufgrundder Bemühungen des dortigen Landrats gelungen ist, durch gütlichen Vergleich in den Besitz des Landes zu kommen. In Halle konnte das Gelände für den Bahnhof durch freien Kauf erworben werden. Im Bitterfelder Kreis wurde nur in einer Gemeinde gütlich verhandelt. Im übrigen (Saalu. Merseburger Kreis) mußte das Taxationsverfahren eintreten. Die Taxen sind nach unserer Meinung übermäßig hoch ausgefallen. Es wurden auch bei weitem mehr

m Bericht des Finanzministers v. Alvensleben vom 8. September 1837, GStA Rep.89 Nr.29546 Vol.I Bl.18. 536 Bericht des Finanzministers v. Alvensleben vom 8. September 1837, GStA Rep.89 Nr.29546 Vol.I Bl.19. 537 Bericht an die Aktionäre vom 14. Juni 1838, GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.61 ff. 538 GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.88 f.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

219

Parallelwege verlangt, so daß in beiden Kreisen die Anschläge überschritten wurden. Wäre der Rechtsweg nicht nach dem Eisenbahngesetz ausgeschlossen, würde er beschritten werden. Grundeigentümer haben davon trotz der hohen Taxen im Saalkreis Gebrauch gemacht 11

In den folgenden Jahren wurde berichtet, daß die Prozesse der Grundeigentümer wegen der Entschädigung im Ergebnis entweder zugunsten der Gesellschaft entschieden539 oder durch Klagerücknahme bzw. Vergleiche beendet worden seien540• Die Kosten für den Grunderwerb beliefen sich auf insgesamt 278.500 Taler. Ursprünglich war auf der Basis eines Preises von 200 Talern pro Morgen mit einer Gesamtsumme von 112.160 Talern gerechnet worden541 • Die Ursache wurde vor allem in dem Umstand gesehen, daß mehr Nebenwege als erwartet angelegt werden mußten. Die Gesellschaft bedauerte zudem, daß die Grundentschädigung für die erworbenen staatlichen Domänenparzellen nicht erlassen wurde. Die optimistischen Erwartungen des Jahres 1838 hatten sich damit nicht erfüllt. Es zeigte sich, daß die Höhe der Grundentschädigungen bei der Gründung der Gesellschaft nur sehr ungenau prognostiziert worden war. Das Enteignungsrecht erwies sich somit als unentbehrlich für den Erwerb der Grundstücke. Dieser Eindruck wird durch die Berichte der Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft bestätigt. Im Jahresbericht der Direktion für den Zeitraum von Mai 1841 bis Mai 1842542 wird über die Grunderwerbungen folgendes ausgeführt: "Wegen zu hoher Forderungen der Grundbesitzer verhieß der Ankauf aus freier Hand keinen Erfolg. Es wurde daher das Expropriationsverfahren eingeleitet. Teilweise wurden auch Vergleiche geschlossen. Manche Besitzer haben gegen die Taxe geklagt. Dennoch ist das erforderliche Terrain weitgehend im Besitz der Gesellschaft. Es ist lediglich ein Grundstück noch nicht überwiesen worden, dessen Besitzer die Notwendigkeit der Abtretung bestreitet II

Der durchschnittliche Preis pro Morgen belief sich auf ungefabr 194 Taler. Ohne die teuren Grunderwerbungen in und bei Berlin, bei denen es sich zum

539 Geschäftsbericht der Direktion vom 15. Februar 1840, GStA Rep.77 Titel 258a Nr.2 Vol.IBI.l17.

540

Geschäftsbericht vom 15. Mai 1841, GStA Rep.77 Titel258a Nr.2 Vol.I Bl.160.

Geschäftsbericht der Direktion vom 15. Februar 1840, S. 4, GStA Rep.77 Titel 258a Nr.2 Vol.I Bl.117. 541

542

GStA Rep.77 Titel258a Bl.258.

220

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Teil um bebaute Grundstücke handelte, hätte der Durchschnittspreis nur 104 Taler betragenS43• Staatliche Domänen- und Forstgrundstücke wurden ebenfalls bezahlt. Der folgende Jahresbericht aus dem Jahre 1843544 enthält die Bemerkung, daß insgesamt 12 Prozesse von Grundeigentümern gegen die Gesellschaft liefen. Die Gesellschaft sei jedoch bemüht, Prozesse zu vermeiden und die höchste noch vertretbare Entschädigung zu zahlen. Das Bemühen, Prozessen auszuweichen und dafür wenn nötig auch höhere Entschädigungen in Kauf zu nehmen, findet sich auch bei anderen Bahngesellschaften. So stellte sich der Grunderwerb bei der Berlin-Anhalter Bahn ebenfalls als kostspielig heraus, was den langwierigen Enteignungsverfahren zugeschrieben wurde. Um ein Fortschreiten der Arbeiten nicht aufzuhalten, entschloß sich die Gesellschaft statt, zeitraubender Verhandlungen lieber gleich einen höheren Preis zu zahlenS45 • Die Direktion der Köln-Bonner Eisenbahngesellschaft führte in ihrem Jahresbericht vom 8. April1844 aus546 : "Mit 25 Eigentümern schweben Prozesse. Von den übrigen (insgesamt mußten noch 268 Parzellen erworben werden) scheinen die meisten zwar keinen Prozeß zu suchen, vielmehr der Hoffnung zu leben, auf dem Wege gütlicher Verständigung übertriebene Zugeständnisse zu erhalten. Wie sehr wir auch geneigt waren, durch loyale Bewilligungen unsere große Abneigung gegen gerichtliche Schritte zu bekunden, so durften wir doch die schon gezogenen weiten Grenzen nicht überschreiten und erwarten, daß die Direktion unangemessenen Ansprüchen nach wie vor mit Festigkeit entgegentreten werde."

Andere Bahngesellschaften waren bei den freiwilligen Grunderwerbungen erfolgreicher. Die Direktion der Berlin-Frankfurter(Oder) Eisenbahngesellschaft berichtete am 30. März 1842S47 , daß es trotzdes noch nicht verliehenen Expropriationsrechts gelungen sei, sämtliche Privatgrundstücke entweder auf gütlichem Wege 543 Insgesamt wurden folgende Durchschnittspreise gezahlt: Grundstücke vor Berlin bis auf 1/2 Meile Entfernung: 352 Taler, etwas weiter entfernt: 300 Taler, vor Stettin bis auf eine 112 Meile Entfernung: 656 Taler, etwas weiter entfernt: 155, 150, 129 Taler, v. Reden, Bd.2, 2.Teil, S. 703.

546

GStA Rep.77 Titel258a Bl.235. Fleck, AfE 1895, S. 465. Abdruck des Berichts bei v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 1077.

547

Abdruck des Berichts bei v. Reden, 2. Abschnitt, 2.Lieferung, S. 495 ff.

544 545

3. Teil: Der Grundetwerb durch Enteignung

221

anzukaufen, oder wo dies wegen übertriebener Forderungen nicht möglich gewesen war, von den Eigentümern die Bauerlaubnis zu erwirken. Zuvor hätten Sachverständige als Basis für die zu bewilligenden Kaufgelder, die Taxwerte der einzelnen Grundstücke ermittelt. Der Morgen Land kostete durchschnittlich 290 Talel48• Die Direktion der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft führte in ihrem ersten Jahresbericht vom September 1844 zu den Grunderwerbungen aus549 : "Fast auf der ganzen in Bau genommenen Strecke ist es gelungen, im Wege der Güte und unter Aussetzung der zu zahlenden Entschädigung bis nach gehöriger Ermittlung, in den Besitz des nötigen Bodens zu gelangen, so daß der ungestörte Fortgang des Baus von dieser Seite als gesichert betrachtet werden kann"

Gedankt wurde der großherzoglich mecklenburgischen Regierung für die unentgeltliche Überlassung des berührten Domänenterrains, soweit sie nicht mit fremden Nutzungsrechten belastet waren. Auch die preußische Regierung hat Domänen- und Forstgrundstücke zur Verfügung gestellt und die Bäume gefällt. Die Gesellschaft war der Auffassung, daß dieses Entgegenkommen der Regierungen und die Mitwirkung der Landräte die anderen Grundbesitzer veranlaßte, ihre Grundstücke bereitwilliger abzutreten. Der vierte Jahresbericht vom April 1847550 enthielt Hinweise auf die erwähnten Nachteile des freiwilligen Grunderwerbs. So wurde ausgeführt: "Die Regulierung der Grundentschädigungen steht immer noch aus. Bei Abtretung hat nur eine vorläufige Abflndung stattgefunden. Es bedarf auch einer genaueren Nachmessung zur Erfüllung der gerichtlichen Formen. Die Arbeit ist langwierig, da die Pläne dreifach ausgefertigt werden müssen, für beide Parteien und die Hypothekenbehörde."

Im fünften Jahresbericht der Gesellschaft vom 9. Mai 1848m wurde abschließend mitgeteilt, daß mit allen Grundeigentümern entweder ein gütlicher Vergleich zustandegekommen oder der Wert durch ein Expropriationsverfahren festgelegt worden sei. Mehrere Grundeigentümer hätten gegen die Entschädigungshöhe geklagt, wobei die Prozesse, soweit sie bereits beendet waren, zum Vorteil der Gesellschaft ausgegangen seien.

548

v. Reden, 2.Abschnitt, 2.Lfg., S. 495 f.

549 550

GStA Rep.77 Titel258a Bl. 174. GStA Rep.77 Titel258a Bl.298.

551

GStA Rep.77 Titel258a Bl.330.

222

Zweiter Abschnitt: Der Grunderwerb

Von anderen Bahnprojekten wurde berichtet, daß Versuche des freiwilligen Grunderwerbes weitgehend erfolglos geblieben seien. Das galt beispielsweise für den Bau der Bahn von Köln nach Minden im Jahre 1844, bei der aus dem Regierungsbezirk Köln verlautete, bis auf eine Ausnahme seien die Versuche des freiwilligen Grunderwerbs gescheitert552• Über den Stand der Bauarbeiten hieß es im Juli 1844, mit einer gütlichen Einigung über die noch fehlenden Grundstücke sei kaum noch zu rechnen553• Die Direktion der Rheinischen Eisenbahngesellschaft bemerkte bald nach Erteilung der Konzession ein lebhaftes Steigen der Grundstückspreise554. Die rapide Preisentwicklung wurde zumindest zum Teil auf Spekulation zurückgeführt. Dies galt vor allem für städtische Gebiete und dort für die in der Nähe der zukünftigen Bahnhöfe gelegenen Grundstücke. Um das aus Sicht der Gesellschaft umständliche Enteignungsverfahren zu umgehen, entschloß sich die Direktion, so schnell wie möglich große Grundstücksflächen -auch über den aktuellen Bedarf hinaus- zu erwerben555. Dabei bediente man sich auch eigener Mitglieder als Strohmänner, um den Zweck des Grunderwerbs zu verschleiem556. Trotz dieser Bemühungen waren Enteignungen nicht zu vermeiden. Obwohl man mit den Enteignungsverhandlungen schon im September 1838 begonnen hatte, waren am Ende des Jahres 1841 rund 100 Prozesse noch nicht entschiedenm. Die Feststellung der Direktion, daß das Enteignungsverfahren langwierig war, hatte sich damit bestätigt. Die Beispiele zeigen, daß sich der Grunderwerb bei den einzelnen Gesellschaften auf ganz unterschiedliche Art und Weise vollzogen hat. Bei allen Gesellschaften stand das Ziel im Vordergrund, möglichst schnell in den Besitz der Grundstücke zu kommen, um mit dem Bau beginnen zu können. Da die Aktionäre erst nach Eröffnung der Bahn mit Gewinnen der Gesellschaft rechnen konnten, war ein schneller Baubeginn geboten. Andernfalls drohte der Verlust des Vertrauens der Aktionäre in den Erfolg der Gesellschaft. Dem Ziel, die Grundstücke so schnell wie möglich zu erwerben, wurde das Interesse der Bahngesellschaften an möglichst niedrigen Kaufpreisen untergeordnet. Notfalls nahm man bewußt überhöhte Preise in Kauf.

552

v. Reden, 2. Abschnitt, 2.Lieferung, S. 806.

m

v. Reden, 2. Abschnitt, 2. Lieferung, S. 814.

554

Kumpmann, S. 195.

555

Kumpmann, S. 195.

556

Kumpmann, S. 196.

557

Kumpmann, S. 196.

3. Teil: Der Grunderwerb durch Enteignung

223

Im Ergebnis führte dies dazu, daß bei nahezu allen Gesellschaften die ursprünglichen Kostenanschläge für den Grunderwerb erheblich überschritten wurden. Erkennbar wird dies an dem Umstand, daß in der Regel schon wenige Jahre nach Gründung der Gesellschaften erste Kapitalerhöhungen erforderlich wurden. Die Annahme der preußischen Regierung, ohne Enteignungsmöglichkeit könnten Eisenbahnen nicht gebaut werden, bestätigte sich erwartungsgemäß. Sieht man einmal von der kurzen Strecke zwischen Potsdam und Berlin ab, ist es auf keiner Strecke gelungen, alle Grundstücke allein durch freiwilligen Vertragsabschluß zu erwerben. Wo es in größerem Umfang zu freiwilligen Verträgen kam, ist zu berücksichtigen, daß die "Freiwilligkeit" seitens der Grundeigentümer durch die Gewißheit geprägt wurde, das Grundstück in jedem Fall abtreten zu müssen. Die zu erwartende Dauer des Enteignungsverfahrens stärkte auf der anderen Seite die Verhandlungsposition der Eigentümer. Sie konnten darauf hoffen, daß die Eisenbahngesellschaften im Gegenzug für ihre Bereitschaft, das Grundstück zu verkaufen, zu höheren Kaufpreiszahlungen bereit waren. Die vollständige Durchführung eines Enteignungsverfahrens war bei den untersuchten Gesellschaften jedoch offenbar die Ausnahme. War es erst einmal eingeleitet, folgte oft eine gütliche Einigung über die Höhe der Entschädigung zwischen den Parteien. Die Beschwerde gegen die Enteignung als solche war die Ausnahme. Die Grundeigentümer waren häufig bereit, den Gesellschaften ihre Grundstücke zu überlassen und die Höhe der Entschädigung anschließend zu ermitteln. Die Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaften und den Grundeigentümern beschränkten sich in aller Regel auf die Höhe der Entschädigung. Die von den Grundeigentümern angestrengten Prozesse zogen sich zwar über eine längere Zeit hin, gingen jedoch bei den untersuchten Gesellschaften in der Regel zu Lasten der Kläger aus. In der Praxis gab es damit keine strikte Trennung zwischen freiwilligem Grunderwerb und der Enteignung, wie sie die getrennte Darstellung der beiden Erwerbsarten nahelegt. Die Einleitung des Enteignungsverfahrens förderte in vielen Fällen die Bereitschaft, zu einer gütlichen Übereinkunft zu kommen.

Ergebnis Die Untersuchung über die Gründung von Eisenbahngesellschaften führt zu folgenden Ergebnissen: Die ersten Eisenbahnen entstanden durch Privatinitiative. Es bildeten sich Gründungskomitees, die bei der Regierung die Genehmigung privater Eisenbahngesellschaften in der Rechtform von Aktiengesellschaften beantragten. Der Staat beteiligte sich erst nach 1842 in nennenswertem Umfang am Bau von Eisenbahnen. Die Gründung privater Eisenbahngesellschaften richtete sich zunächst nach den bestehenden Vorschriften über den Straßenbau. Durch das auf den Allgemeinen Bedingungen aufbauende Eisenbahngesetz von 1838 wurden die grundlegenden rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung und die Genehmigung von Eisenbahngesellschaften geschaffen. Das Eisenbahngesetz, obwohl zur Zeit seines Erlasses vielfach kritisiert, war für die Entwicklung des Eisenbahnbaus von großer Bedeutung. Es schuf für ganz Preußen mit seinen unterschiedlichen Rechtsgebieten (Allgemeines Landrecht und französisches Recht) einheitliche Bestimmungen, nach denen sich die Gründung von Eisenbahngesellschaften richtete. Geregelt wurde allerdings vorrangig das Verfahren der Konzessionserteilung. Das Aktienrecht war bis zum Erlaß des Aktiengesetzes von 1843 nur unzureichend geregelt, was in den sich deutlich voneinander unterscheidenden Statuten der Gesellschaften seinen Ausdruck fand. Die Verfassungen der Gesellschaften glichen sich allerdings insoweit, als einheitlich eine dreigliedrige Organisationsform gewählt wurde. Rechtsprobleme ergaben sich im Verhältnis zum Staat aus dem Konzessionszwang und gegenüber den Aktionären bei der Einforderung der gezeichneten Ak.tienbeträge. Bei der staatlichen Beteiligung am Eisenbahnbau lassen sich mehrere Etappen unterscheiden. Nachdem allgemeine Vorbehalte gegen das neue Verkehrsmittel und seine Aussichten um 1840 überwunden waren, standen bis zur Revolution von 1848 vor allem verfassungsrechtliche Gründe einem Bau von Eisenbahnen durch den Staat entgegen. Ohne die Beteiligung einer Ständeversammlung konnte der

Ergebnis

225

Staatsbahnbau aufgrund des Staatsschuldenedikts von 1820 nicht finanziert werden. Bis zum Jahre 1848 waren die Vorbehalte des Königs und des Staatsministeriums gegen eine Beteiligung der Stände jedoch nicht zu überwinden. Die Regierung wählte daher einen Mittelweg und unterstützte Privatgesellschaften, die für besonders wichtig erachtete Bahnstrecken bauten, indem sie Aktien übernahm und Zinsgarantien gewährte. Die Ereignisse des Jahres 1848 veränderten die verfassungsrechtliche Situation. Dennoch dauerte der Aufschwung für den Staatsbahnbau nur bis etwa zum Jahre 1857. Danach hemmten eine Wirtschaftskrise und vor allem der preußische Verfassungskonflikt den weiteren Ausbau des Bahnnetzes. Einen grundlegenden Umschwung zugunsten eines Staatsbahnsystems brachten erst die Verstaatlichungen Bismarcks nach der Reichsgründung. Der Grunderwerb vollzog sich entweder durch den Abschluß von Kaufverträgen mit den Grundeigentümern oder durch Enteignung. Die Rechtsgrundlage für die Enteignung von Grund und Boden wurde durch das Eisenbahngesetz geschaffen. Das Enteignungsverfahren war zunächst nicht einheitlich geregelt, sondern richtete sich in den linksrheinischen Gebieten nach den Bestimmungen des französischen Rechts, während in den übrigen Provinzen das Allgemeine Landrecht Anwendung fand. Der Unterschied bestand vor allem darin, daß die Enteignung in den Provinzen, in denen das Allgemeine Landrecht galt, durch die jeweils zuständige Regierung ausgesprochen wurde, während dieses Recht in den linkrheinischen Gebieten allein den Gerichten oblag. Vereinheitlicht wurde das Enteignungsrecht erst durch das preußische Enteignungsgesetz von 1874. Der freiwillige Grunderwerb wurde durch die erforderlichen Eintragungen in den Hypothekenbüchern und die damit verbundenen Formalien erschwert. Angesichts des Landbedarfs für den Eisenbahnbau war oftmals eine Vielzahl verschiedener Hypothekenbehörden zu beteiligen. Das Enteignungsrecht wurde bereits den ersten Eisenbahngesellschaften verliehen, es zeigte sich jedoch bald, daß die Eisenbahngesellschaften die lange Dauer des Enteignungsverfahrens scheuten. Im Interesse eines schnellen Baubeginns waren sie daher oftmals bereit, auf die Entschädigungsforderungen der Grundstückseigentümer einzugehen. Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den Grundeigentümern und den Eisenbahngesellschaften war somit in der Regel weniger die Frage, ob ein bestimmtes Grundstück abgetreten werden mußte, als die Höhe der angemessenen Entschädigung. Der Streit über die Höhe der Entschädigung konnte das Enteignungsverfahren erheblich verzögern. Im Gegensatz zu der Auswahl der Grundstücke, die lS Bracht

226

Ergebnis

der Eigentümer nur im Verwaltungswege überprüfen lassen konnte, war gegen die Festsetzung der Entschädigung der Rechtsweg eröffnet. Die vollständige Durchführung des Enteignungsverfahrens bildete in der Praxis die Ausnahme. Häufig kam es bereits nach der Einleitung des Verfahrens zu einer Einigung zwischen den Parteien über die Abtretung des jeweiligen Grundstücks. Da die Enteignung durch den Eisenbahnbau erstmals größere praktische Bedeutung erlangte, begann eine Vielzahl von Autoren sich seit den vierziger Jahren mit der Enteignung zu beschäftigen. Umstritten war dabei vor allem die Rechtsnatur der Enteignung, die überwiegend entsprechend dem Allgemeinen Landrecht als Zwangskauf angesehen wurde. Trotz der praktischen Schwierigkeiten des Enteignungsverfahrens, wurde der Eisenbahnbau damit zu einer maßgebenden Ursache für die Entwicklung des Enteignungsrechts.

Anhang 1. Die allgemeinen Bedingungen von 1836 I. Nachdem die vorläufige Genehmigung zur Anlage einer Eisenbahn in der beabsichtigten Richtung im Allgemeinen ertheilt worden, wird der Chef der Verwaltung für Handel, Fabrikation und Bauwesen eine Frist bestimmen, binnen welcher der Nachweis zu führen ist, daß das für das Unternehmen überschläglich erforderliche Kapital wenigstens bis zur Höhe von zwei Drittheilen gezeichnet, und die Gesellschaft nach einem von den Aktienzeichnern vereinbarten Statute wirklich zusammengetreten sei. II. In diesem Statut, welches zur Allerhöchsten Genehmigung einzureichen ist, müssen hinsichtlich der Aktien und der Verpflichtungen der Aktienzeichner folgende Grundsätze beachtet werden: 1. Die Aktien, deren Ausfertigung stempelfrei erfolgen kann, dürfen auf den Inhaber gestellt werden. 2. Die Ausgabe der Aktien darf vor der Einzahlung des ganzen Nominalbetrags derselben nicht erfolgen, und eben so wenig die Ertheilung von Promessen, Interimsscheinen und dergleichen, welche auf den Inhaber gestellt sind. Ueber Partialzahlungen dürfen blos einfache Quittungen auf den Namen lautend ertheilt werden. 3. Der erste Zeichner der Aktie ist für die Einzahlung von 40 Prozent des Nominalbetrags der Aktie unbedingt verhaftet; von dieser Verpflichtung kann derselbe weder durch Uebertragung seines Anrechts auf einen Dritten sich befreien, noch seitens der Gesellschaft entbunden werden. 4. Nach Einzahlung von 40 Prozent steht der Gesellschaft nach dem Beschlusse ihrer Vorstände die Wahl zu, ob sie a) die ersten Zeichner, welche ihre Anrechte an Andere abgetreten haben, ihrer Verhaftung entlassen und sich blos an die Cessionarien halten, oder ob sie b) der Abtretung ungeachtet, die ersten Zeichner noch ferner in Anspruch nehmen wolle. Der diesfallsige Beschluß ist beim Ausschreiben der nächsten Partialzahlung bekannt zu machen. 5. Wenn nach Einzahlung von 40 Prozent die ferneren Partialzahlungen nicht eingehen, so ist die Gesellschaft befugt, entweder:

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a) den Zahlungspflichtigen dieserhalb weiter in Anspruch zu nehmen, oder aber b) denselben seiner Verpflichtung gegen die Gesellschaft zu entbinden, in welchem Falle er des bereits Gezahlten und aller Rechte wegen der bisherigen Zahlungen unbedingt verlustig geht; von der Geltendmachung dieser Befugnis ist ihm sofort Kenntnios zu geben. Bis zu dem Betrage, mit welchem die auf diese Weise ausscheidenden Interessenten betheiligt waren, dürfen neue Aktienzeichnungen zugelassen werden; die neuen Aktienzeichner haben sodann die bereits ausgeschriebenen Prozent sofort zu zahlen, stehen aber hiernächst den übrigen Interessenten gleich. III. So lange die Allerhöchste Genehmigung des Statuts nicht erfolgt ist , bestimmen die Verhältnisse der Gesellschaft und ihrer Vertreter sich nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über Gesellschafts- und Mandats=Vertäge. Mitteist der Allerhöchsten Genehmigung des Statuts werden derselben die Rechte resp. einer Corporation oder einer anonymen Gesellschaft ertheilt werden. IV. Diese Allerhöchste Genehmigung wird nicht erfolgen, bevor nicht 1. die Bahnlinie und der Bauplan im Wesentlichen festgestellt worden, und

2. das für das Unternehmen anschlagsmäßig erforderliche Kapital zum vollen Betrage gezeichnet ist. V. Die Genehmigung der Bahnlinie wird der Staatsverwaltung und nöthigenfalls der Allerhöchsten Entscheidung vorbehalten; ebenso sind die Verhältnisse der Konstruktion, sowohl der Bahn als der anzuwendenden Fahrzeuge, falls die Gesellschaft die Dampfbeförderung beabsichtigt, an die Genehmigung des Staats gebunden. Alle Vorarbeiten zur Begründung der Genehmigung hat die Gesellschaft auf ihre Kosten zu beschaffen. VI. Zur Anlage von Zweigbahnen ist die Genehmigung des Statuts in gleicher Art wie für neue Eisenbahnanlagen überhaupt erforderlich. VII. Die Emission von Aktien über die bei Genehmigung des Statuts ursprünglich festgesetzte Zahl hinaus, sowie die Aufnahme von Darleben bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Staats. VIII. Es bleibt der Gesellschaft überlassen, die für das Unternehmen erforderlichen Grundstücke zu erwerben. Für den Fall, daß eine desfallsige Einigung mit den betreffenden Grundbesitzern nicht zu Stande kommt, wird indessen in der ihr zu ertheilenden Konzession das Recht der gezwungenen Expropriation in dem Maße verliehen werden, daß dasselbe sich erstreckt: 1. auf den zum Raume der Bahn selbst erforderlichen Grund und Boden;

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2. auf den zu den nöthigen Ausweichungen erforderlichen Raum; 3. auf den Raum zur Unterbringung der Erde und des Schuttes sc. bei Einschnitten und Abtragungen; 4. auf den Grund und Boden für solche Anlagen, welche a) zu dem Zwecke, damit die Bahn als eine öffentliche Straße zur allgemeinen Benutzung dienen könne, nöthig, und zugleich b) an eine bestimmte Stelle gebunden sind, mit der Maßgabe, daß die Entscheidung hierüber in jedem einzelnen Falle der betreffenden Regierung, mit Vorbehalt des Rekurses an den Chef der Verwaltung für Handel sc., zusteht. (Es können hierher, den Umständen nach, die Aufseher- und Wärterhäuser beim Durchschneiden von Straßen, die Wasserstationen und längs der Bahn gelegenen Kohlenniederlagen zur Versorgung der Dampfwagen und dergl. gehören.) Dagegen ist das Expropriationsrecht auf solche Anlagen nicht auszudehnen, welche, wie W aarenmagazine und dergleichen, nicht jenen allgemeinen Zweck, sondern nur das Privat-Interesse der Gesellschaft angehen. Außerdem wird derselben das Recht zur temporairen Benutzung fremder Grundstücke behufs der Einrichtung von Interimswegen, der Materialienbeschaffung sc. ebenso, wie es bei der Anlage von Kunststraßen dem Staate zusteht, zugestanden werden; es kann sich solches jedoch auf Ziegeleien und Steinbrüche nicht erstrecken. IX. Findet rücksichtlich des Preises der abzutretenden Grundstücke kein Einverständnis Statt, so kommen in denjenigen Landestheilen, wo das Allgemeine Landrecht in Kraft ist, die Vorschriften der§§ 8 bis 11. Tb. I. Tit. 11. in Anwendung. Die Ernennung der Taxatoren erfolgt Seitens des Staats, und der Eigenthümer ist, vorbehaltlich der richterlichen Entscheidung, gehalten, gegen Empfang des nach deren Taxe bestimmten Preises, das der Expropriation unterworfene Grundstück der Gesellschaft zu übergeben, Weigert er sich dessen, so ist letztere berechtigt, den Betrag gerichtlich zu deponieren, damit hiernächst die Uebergabe bewirkt werde. Vor geleisteter Zahlung oder gerichtlicher Deposition darf die Gesellschaft den Besitz des betreffenden Grundstückes nicht antreten. Für die vorübergehende Benutzung fremder Grundstücke ist die Entschädigung in gleicher Art zu bestimmen; es kann aber für deren Gewährung die Bestellung einer angemessenen Kaution verlangt werden, in welchem Falle die betreffende Regierung der Sache interimistisch zu regulieren hat. Hinsichtlich der Zahlung der Entschädigungen kommen die für den Chaussee-Bau in den verschiedenen Landestheilen dieserhalb bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung.

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In der Rheinprovinz, soweit das Allgemeine Landrecht daselbst nicht in Kraft ist, erfolgt die Ausübung der obigen Befugnisse (Nro. VIII) und die Feststellung und Zahlung der Entschädigungen nach den für die Expropriation dort geltenden besonderen Verordnungen und den wegen deren Ausführung ergangenen Bestimmungen. X. Für alle durch die Anlage in irgend einer Beziehung gegen den Staat hervorgerufenen Entschädigungs-Ansprüche muß die Gesellschaft unbedingt aufkommen und sich verpflichten , denselben gegen einen Jeden, welcher ihn mit Erfolg in Anspruch nehmen sollte, vollständig zu vertreten. Bei Anstellung desfallsiger Prozesse gegen den Staat ist derselbe befugt, von der Gesellschaft die Bestellung einer Kaution bis zum vollen Betrage des erhobenen Anspruchs zu verlangen, auch die Erstattung aller Kosten des Prozesses sich sicher stellen zu lassen. XI. Der Chef der Verwaltung für Handel sc. wird nach vorgängiger Vernehmung der Gesellschaft die Fristen bestimmen, in welchen die Anlage fortschreiten und vollendet werden soll, und kann für deren Einhaltung sich die nöthig scheinenden Bürgschaften stellen lassen. Auch bleibt dem Staate insbesondere die Befugnis vorbehalten, im Falle der Nichtvollendung binnen der bestimmten Zeit die Anlage, wie sie liegt, für Rechnung der Gesellschaft zur öffentlichen Versteigerung bringen, damit sodann von den anderen Unternehmen, welche die Anlage gekauft haben, solche zur Vollendung gebracht werde. XII.Die Handhabung der Bahnpolizei wird nach einem darüber von der Staatsverwaltung zu erlassenden Reglement der Gesellschaft übertragen. XIII. Zur Benutzung der Bahn nach den Vorschriften des Bahnreglements ist gegen Entrichtung des betimmten Bahngeldes ein Jeder berechtigt., welcher hierzu die Konzession des Staats erhalten hat. XIV. Das Bahngeld wird auf den Antrag der Gesellschaft unter Berücksichtigung ihres Interesses, sowie des Interesses des Publikums, vom Staat festgesetzt. Dasselbe gilt als ein Maximum, innerhalb dessen die Gesellschaft Abstufungen machen kann; es müssen jedoch diese Abstufungen, sowie die jedesmaligen Änderungen der Staatsverwaltung angezeigt werden. Der BahngeldTarif, und die Abänderungen, welche darin getroffen werden, sind öffentlich bekannt zu machen und auf alle Transporte, ohne Unterschied der Unternehmer, gleichmäßig anzuwenden. XV. Das Bahngeld ist in näher festzusetzenden bestimmten Perioden von Neuern zu regulieren. Die Gesellschaft hat über die Bahogeldeinnahme, sowie über die daraus bestrittenen Unterhaltungs- und Administrationskosten, soweit sie die Bahn selbst und deren Zubehör betreffen, Rechnung zu führen und den Rechnungsabschluß für jene Perioden der Staatsverwaltung vorzulegen. So lange die Bahngeldeinnahme nach dem Rechnungsabschlusse für die zuletzt

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verlaufene Perioden an Zinsen und Gewinn nicht einen Reinertrag von mehr als 10 Prozent des auf die Bahn und deren Zubehör verwendeten Anlagekapitals ergibt, soll das bewilligte Bahngeld ohne Zustimmung der Gesellschaft nicht herabgesetzt werden.. Bei Berechnung dieses Reinertrages kann indessen von dem Überschusse über die Ausgaben ein angemessener Betrag vorweg in Abzug gebracht werden, um für außergewöhnliche Ausgaben, Verbesserungen und dergleichen einen Reserve Fonds zu bilden, dessen Höhe der näheren Festsetzung des Staats vorbehalten bleibt. XVI. Wenn die Gesellschaft selbst die Transport-Beförderung auf der Bahn unternimmt, so ist der bestehende Bahngeld Tarif für dieselbe eben so bindend wie für andere Unternehmer; es müssen daher bei Berechnung der Einnahme an Bahngeld, auch für die von der Gesellschaft selbst beförderten Transporte die tarifmäßigen Bahngeldsätze in Rechnung gestellt werden. Dagegen bleibt es der Gesellschaft überlassen, die Preise, welche sie fiir die Transportbeförderung an Fuhrlohn, neben dem Bahngelde, erheben will, beim Beginn des Geschäfts nach ihrem Ermessen anzusetzen, doch mit der Verpflichtung: 1. die Frachtliste, sowohl für die Waaren als den Personen Transport, beim Beginn des Geschäfts der Staatsverwaltung einzureichen und öffentlich bekannt zu machen: 2. die hierin angesetzten Preise ohne Zustimmung des Staats nicht zu erhöhen und die innerhalb dieser Preise vorgenommenen Änderungen sofort ebenfalls der Staatsverwaltung anzuzeigen und öffentlich bekannt zu machen; 3. für die vorgenommenen Preise alle zur Fortschaffung aufgegebene Waaren, ohne Unterschied der Interessenten, zu befördern, mit Ausnahme solcher Waaren, deren Transport auf der Eisenbahn nach dem Bahnreglement oder sonst polizeilich fiir unzulässig erklärt ist. XVII. Die Gesellschaft hat über die Einnahme an Fuhrlohn, so wie über die Ausgaben, welche das Unternehmen der Transportbeförderung angehen, abgesondert von der Rechnung über die Bahngeldeinnahme und die Ausgaben, welche die Bahn selbst betreffen, Rechnung zu fiihren und den Rechnungsabschluß über jenes Unternehmen fiir eben die Perioden, welche in Betreff des Bahngeldes bestimmt sind, der Staatsverwaltung vorzulegen. Sofern daraus fiir die zuletzt verlaufene Periode an Zinsen und Gewinn ein Reinertrag von mehr als 10 Prozent des in dem Unternehmen der Transportbeförderung angelegten Kapitals hervorgeht, müssen die Förderungspreise in dem Maße herabgesetzt werden, daß der Reinertrag diese 10 Prozent nicht überschreite. Es kann indessen aus dem Überschusse über die Ausgaben ein Reservefonds vorweg entnommen werden, welcher fiir jedes einzelne Unternehmen vom Staate besonders festzusetzen ist.

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XVIII. Wenn über die Anwendung des Bahngeld-Tarifs oder der Frachtliste zwischen der Gesellschaft und Privatpersonen Streitigkeiten entstehen, so steht die Entscheidung hierüber, mit Vorbebalt des Rekurses an den Chef der Verwaltung für Handel sc. der betreffenden Regierung zu. XIX. Die vorstehenden Bestimmungen finden im Verhältnisse zur Postverwaltung nicht Anwendung; es ist vielmehr das Verhältnis zu derselben in jedem einzeln Falle nach folgenden Grundsätzen besonders zu regulieren: 1. Die Postverwaltung wird ihre Vorrechte den Unternehmen für eine verhältnismäßige Entscheidung in so weit abtreten, als der Betrieb der Eisenbahnen auf Privat Rechnung es unumgänglich erheischt. 2. Sie wird sich jedenfalls die Berechtigung vorbehalten, die Eisenbahn zur Beförderung von Posten zu benutzen. Geschieht dies durch die Betriebsmittel der Unternehmer, so wird sich die Postverwaltung mit diesen über eine kontractlich dafür zu gewährende Entschädigung verständigen. 3. Die Postverwaltung überläßt hiernach den Unternehmern der Eisenbahnfahrt, in Concurrenz mit ihr, Personen und alle nicht dem Postzwange unterworfene Gegenstände , namentlich Pakete von größerem als postzwangmäßigem Gewichte ohne alle Abgabe an die Post, zu befördern, und leistet sogar darauf Verzicht, schwerere Pakete als von 120 bis 150 Pfund aus dem Privatverkehr zum Transport zu übernehmen. 4. Für den Fall, daß die Postverwaltung Einrichtung zur eigenen Beförderung der Posten auf der Bahn trifft, ist dieselbe an das nach den obigen Grundsätzen (Nr. XIV. XV.) regulirte Bahngeld nicht gebunden; es muß vielmehr über das von ihr zu entrichtende Bahngeld eine besondere Übereinkunft mit der Postverwaltung stattfinden, wobei von dem Grundsatze auszugehen sein wird, daß mitteist des für die gesammte Benutzung der Bahn zu berechnenden Bahngeldes das Anlagecapital der Bahn angemessen verzinset und die Unterhaltungskosten derselben gedeckt werden. Demgemäß ist mit der Postverwaltung von jeder Gesellschaft, vor Ertheilung der Concession, eine besondere Vereinbarung zu treffen. XX. Der Staat wird zur Ausübung seines Aufsichtsrechtes über die Gesellschaft einen beständigen Commissarius ernennen, an welchen jene sich in allen Beziehungen zur Staatspolizei zu wenden hat. Derselbe ist befugt ihren Vorstand zusammen zu berufen und dessen Zusammenkünften beizuwohnen. XXI. Die Anlage einer zweiten Eisenbahn, welche neben der ersten in gleicher Richtung auf dieselben Orte fortliefe, wird binnen eines Zeitraumes von 60 Jahren keinesfalls zugelassen werden; es dürfen jedoch dieserhalb anderweite Verbesserungen der Communication zwischen diesen beiden Orten und in derselben Richtung, sofern sie nicht in der Anlage von Eisenbahnen beste-

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hen, z.B. die Benutzung von Dampfwagen auf Chausseen, wenn solche sich dereinst als practisch ausführbar erweisen sollte., auf keine Weise erschwert oder beschränkt werden. Es ist aber die Gesellschaft verpflichtet, den Anschluß anderer Eisenbahnunternehmungen an die bestehende Bahn nach der Bestimmung des Staats geschehen zu lassen, es möge die beabsichtigte neue Bahn in derselben Richtung, oder in einer Seitenverbindung nach anderen Richtungen bestehen. Auch ist dieselbe schuldig, die Anlage von Zweigbahnen, sei es in gößerer oder geringerer Ausdehnung, auf Verlangen des Staats zu gestatten. XXII. In Fällen, wo die beabsichtigte Eisenbahn sich durch das Gebiet auswärtiger Staaten erstrecken, oder an dort vorhandene oder anzulegende Eisenbahnen sich anschließen soll, bleibt der Gesellschaft die Erwirkung des Konsenses der auswärtigen Regierungen überlassen. Sofern wegen der Berührung des Auslandes zur Kontrolle der Ein-, Aus-, und Durchfuhrabgaben von den auf der Bahn gehenden W aaren bauliche Einrichtungen im Inlande erforderlich werden, hat die Gesellschaft solche auf ihre Kosten auszuführen und zu erhalten. XXIll. Der Staat behält sieb vor, die ertbeilte Konzession zurückzunehmen, sobald die eine oder der vorstehenden allgemeinen oder andere der für die einzelnen Unternehmungen etwa gestellten besonderen Bedingungen nicht erfüllt werden sollte.

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2. Das Eisenbahngesetz vom 3. November 1838

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~efet) ~ ~onigltd)en

6ammlung

f\\r bh

~teujifd)en

etanbeliminifleriumiS1 tllellf>eiS biefelbt an bie ~eblnsung eineiS fejll ~~~eDenDm Sini, unb ~iliung14fonbiS au rm'tpfen befugt ifl. ~· 7.

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507 ~· 7. Si)ie Q3efeDfatftlbe erttrectt ficf) infont>erbeit: 1) auf t>en au ber ~abn ftlbfl erforbedlcf)en Q3runb unb ~oben; 2) auf btn au ben n6tbigen m~~eicf)ungen etforberlicf)en ffiaum; 3) auf ben ffiaum aur Unterbringung ber ~rbe unb bu ~cf)uttd lC. 1 bei ~infcf)nitten, 'tunne(d unb m&traoungen; 4) auf ben ffiaum fur bie Q3abnb6fe, bie !lrffe~er• unb Sßldrterbdufer, bie Sßlafferflationen unb ldngd ber Q3abn au emQ}tenben .ftoblenbel)dllniffe aur c.:nerforgung ber st>ampfmafcf)inen, unb 5) uberbaupt auf ben ~runb unb Q3oben (Ur aDe fonmgen ~nlagen1 ~tlcf)e lU bem ~ebufe bamit bit Q3abn a(d eine offentlicf)e etrafie aur aUgtß meinen Q;enu~ung bienen r6nnel n6tblg ober in ljolge ber ~abn~~lnlage im olfentlicf)en ,3ntereffe erforbedicf) ftnb. Sl)ie Q:ntfcf)eiDung baruber, ~elcf)e ~runbjll\cte fur bie obigen Stt)ecfe ('J?r. 1-5.) in 2tnfprucf) au ne6men ftnb 1 flebt in itbem einadnen ljaUe t>er ffiegierung 1 mit c.:norbebalt bed ffiefurfed an bad >minijlerium1 au. Sl:>agegen ifl batS ~moprias tiondrecf)t auf folcf)e mnragen nicf)t autSaubtbnen, toeld,e, toie Sßlaaren '>maga&ine unll bergleid)en 1 nicf)t ben unter ~r. 5. gebacf)ten llUgemeinen Slllect 1 fonDem nur bad SJ}ti\)at·.3nteretfe btr QJefeUfd}aft llngeben. §. 9. muper bem ~J'PtOpriationdrecf)te tt!irb ber @efeUfd}aft aucf) bad ffied,t aur t>orubergebenben ~enu~ung frember ~runbOucte Q)e~uftS t>er ~inricf)• tung t>on ,3nteriml!•c:IDegenl ber >materialiens@ett)innung 2C.1 ebenfo, toie ed bei t>er ll!nlegung unb Unterbaituns t>on .ftunnnraöen bem en l)erfcf)iebenen ~an~ bttStbeilen bcflebenben c.:norfcf)riften geltenD au macf)en 1 unb llldct,e !SrunbjlUcte babei in lllnfpruct, au ne6men finb, bat bie 0\egierungl borbe6altlid, b~l! ffierur' fu an t>al! {Janbe1Gntinijlerium1 AU &enimmen. ~ebocf) in uberaii t>lld 2tul!gra' ben 1>011 Q:rt>e aur Siegelfabrifatton unb t>on ~dbfleinen, fott)ie bie Q:r61fnung bon ~teinbrud,en unb bie ~enu~ung fd,on l)orbanbencr aften beigelegten ~efugniffen nid)t entbalten. §. 10. Slßenn bie ~efeiifcf)aft. ein bmad)bartü !SrunbOuct &ur Unters bringuns ber ~rbe unb bell ect,utted tn ll!nfprucf) genommen bat (§. s. ~r. 3.), fo foU, nllcf)betn t>iefer Srocct uoiifldnbig meicf)t ifl, t>er ~igentbumer bie Slßa~l baben, biefe~ @runbjluct (nacf) ~- 8.) ber @efellfd)aft fortllldbrenb au uberlaffen, ober (nncf) §. 9.) gegen €rfaQ ber Slßertbl!berminbtrung aurtictaunebmen. e5oUte jtt>ocb ber forttt!dbrenbe Q;eftq beffelben ber CSefellfcf)aft fur t>ie @Siebe:., ~tt t>er •::aabn n6tbig fer>n1 fo fdUt ber mnfprucf) bed ~igentbtimm! auf 9\uctgabe bintt)eq. (No. mi.) lj fff 2 §. 11. I

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IMI8

i· 11. i:>ie ~~ropriation erfojgt in benjenigen ~llnb~t~tilen, n>o bat! ~~~­ eemeine ~bre~t in .traft 1p, n~t~ C.Uorf~rift ber ~~- 8-11. ~eil I. ~itd 11. i:>ie ~CGierung ernennt bie ~ll~atore~ unb leitet batl ~bf~dQungtll)erfa~· ren unter ßuaie~ung beibtr ~eile. i:>er Q:igent~dmer iP »erp~id)td, gegen Q:m, pfang ober geri~tli~e i:>epo(ition betl ~a~~ert~tl, batl ®runbPuct t>er Q3efell• f~aft au dbergeben, unb n>irb n6t~igen l!alltl l)On ber ~egierung ~ierau ange• ~alten.

~er ~igent~umer rann, ~enn er mit ber ~d)d~ung l>er ~~~~atoren ni~t aufrieben iP, auf rid)tedi~e ~ntf~eibung über ben ~ert~ antragen. i:>er !Se• fellf~aft fle~t ein folcf)etl ote~t ni~t au. 311 ber ~~einprol)ina, ro~eit batl ~((gemeine ~anbre~t bafdbfl ni~t in Jtraft ifl, erfOlgt bie 21Utlilbung beß ~Jpropriationtlre~ttl C~- 8.) unb bie 3efl• fleUung ber ~ntf~dbigungen nacf) ben für bie Q:Jpropriation bort geltenDen reeflimmungen. §. 12. ~enn bei ber Q:ntfd)dbigung, au6er bem Q:igent~umer, aud) ~talbered)tigte in Q3etrad)t fommen 1 fO ~dngt etl I)On bem ~tmeffen btf ~e' ßitrung ab, ob bit ~tfd)dbigungtlfumme serid)tli~ beponirtl ober ob bafür .taution gefleUt ~erben foUl in ~tldjem le~ten 3all bie 0efellfcf]aft 1 »um ßeirt punrt ber Uebergabe an, lllnDttlublid)e ßinfen &U aa~len ~11t. §. 13. l5ur bie l)oruberge~enbe Q3enu~ung »on Q3runbflucfen (~. 9.) iP bie Q:ntfd)llbigung in glei~er ~rt1 ~ie bei ber Q:~ropriation (§. 11.)1 au betlim• men. ~ rann aber fUr beten ®e~d~rung bie retfleUung einer angemeffenen .taution !>erlangt n>erben1 in roeld)em l5alle bie ~egierung bie aft bal !4)aferm ber im §. 16. &eflimtlten Q)ebingungen, fo tritt ri~ttrli~e ~tf~eiDuno ein. !4)ie '-!lefeOflf>aft rann t>on i~rtr ~eite ben ~igent~umu aufforbern, fllf> u6er bie 2t~ubung Dlefe' ffielf>U au tdldren, un~ er l?erliert bA1feC6e, 1\!enn er nilf>t binnen aroei Wlonaten Diefe ~rrd, rung ab~iebt. ~ei bem mlieberfauf aa~lt btr ~igent~umer bcn urfpninglicf)tn Jtaufpreid 1 nacf> ~baug ber btttcf) bie bid~erige ~enu~ung in bem '-!lrunbfluct entflanbenen ~ert~'l?erminberung. !4)agegen rann bie ~efeUflf>aft feine c..tlerbef$ ferungen in ~nre~nung bringen, roo~r aber bie t?on ibr auf biefem ~oben ttl\la enicf)teten Q}ebdube ober anDere 21n!Agea binroegnebmen. ~· 19. Si)er 'llorfauf tritt ein, roenn bie ~efeDf~aft bad entoebrlicf) l}eroorbent QSrunbflucE anberroeit au t?erraufen Q}efegenbeit ~nbet. E5ie bat biefe ~bPif>t, fol\!ic ben angebotenen .ftaufpreid bem nacf) §. 17. bmcf>tigttn ~igentbumer anauaeigen, rodd)er fein c..tlorfaufl!recf)t l?trliert, roenn er fl~ ni~t binnen &1\!ei ®onaten baruber erftdrt. Untnld6t bte ~efeOf~aft bie ~naeige, fo rann ber ~md;!tigtc feinen ~nfprucf) gegen jeben ~efaver gdtenb macf,en. ~· 20. 3lir aae ~ntfcf)dbigung,,~nfpni~el "eld)e in 3olge ber ~abn$ 21nlage an ben ~taat gemacf)t, unb enmeber l?on btr Q}efeUflf>aft ftlbfl aner$ rannt I oDer unter ibm suate~ung rilf>terlicf) feflgefleDt roerDen I ifl i>ie Q3efeU, fcf)aft t?erp~i~tet. §. 21. !4)al! J.:)anbdl!miniflerium roirb nacf) t?orgdngiger c..tlernebmung ber QSefeOfcf)aft bie 3riflen befllmmen, in "dd)tn Die 21nlage fortfd)rdten unb l?OUs enbet I'OttDtn foU, unb rann fur Deren ~inbaltung fa~ ~urgfcf)afren jl(Uen laffen. ~m 3aDe ber ~i~tt?oUenbun~ binnen ber beflimmten ßeit bleibt t>orbebalten, bie 2lnlage, fo roie fie liegt, fur ffic~nung ber ~efeDf~aft unter ber ~ebingung JUr 6jfentfid)tn Cl}erfleigetung !U bringen 1 OQÖ biefefbt \>On btn ~nPdufern QUIS~ gefUbrt l'Ottbe. bem ~ntrage auf 'llerfleigerung bie ~eflimmung einer fd)lie61i~en 3rifl l?on fed)~ 'D?one1ten aur 'lloDenDung ber ~a~n t>orangt~tn. ~· 22. !nie ~a~n barf bem c..tlerfebr nilf>t e~er er6ffntt roerben, ahl, na~ t?orgdngiger ffiet?i(lon ber 21nlage, \?On ber ffiegierung Oie 0enebmigung baJU ertbeilt roorben. ~· 23. Si)ie ~anb~abung ber ~a~iwoli!(i roirb , nacf) einem baruber l?tn Dem J.:)anbell!miniflerium au erla1fenben ffieglement, ber ember 1838.

(L. S.) ~>.

s.1ȟffling.

1>. JtamH. '.1»11 bler. 1). Dtocf}o~. @raf t>. 9UbentHeben. "'· @;tlllpnagel.

1>.

Wagler.

flit brn .!ttirs•minifht. erglaubist:

~IltiS berg.

246

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3. Das preußische Aktiengesetz vom 9. November 1843

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Nr. 31. (Nr. 2391.) 0rfr' Übn bir !lftirngrfrllfd)aftrn. !Iom 9. !lloormbrr 1843.

~ir ~iebrid) flßil~dm, 'rtufim JC. Je.

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~ottr~ ~nobrn, Jtonig

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l)ttOrbnen \lbcr bie ~e~ttlbtr~dltniffe Der "rriengefeUf~aften, auf Dtn "ntrag Unfmtl e>taattlminijleriumtl unD na~ erforDertem ~uta!tten Unfcretl e:>taatd• rat~!!, f\lr ben ganaen Umfang Unferer ®onard}ie, roatl folgt:

s. ).

unb

~ftiengefeUf~aften mit ben im gegenrodrtigen Q3efete bejlimmttn Dted,ttn !p~i~ten r6nnen nur mit lanbetl~rrlid}er ~ene~mtgung trrid,ltet roerbtn. ~er Q5efcUf~afttlbertrag (Datl e>tatut) ijl aur lanbttlbmli~en ~ejldtt•

gung boraulegen. au

s.

2.

~er Q)efeDf~afttll:lertrag ijl gerid,ltli~ obtr notarieB aufaunebmen ober boDaieben. ~erfelbe muj intlbefonbm btflimmcn: 1) bie 3irma unb Den e5i~ Der 0efeDf~aft; 2) ben Q.5egenflanb bell Unterne~mentl unb ob baffdbe auf eine geroiffe

Seitbauer befcf)rdnrt ifl ober nid,lt;

3) bie ~6~e bell ~runorapitaltl, fo roie btr einaelnen 2lftien, unb ob biefe

auf jeben 3'n~aber, oDer auf bejlimmte 3'n~aber gejleDt roert>en foUen; 4) bie Q)runbfdte, na~ rod~en bie ~ilana (§. 24.) aufaune~men ijl. ö) bie ~rt ber Qlerttetung unb bie IJormen fur bie ~egitimation ber C,Uertteter; 6) Die 3orm, in rotl~er bie 3ufammenberufung ber ®itglieber erfolgt; 7) bie ~rt unb c:IDeife, roie bat! dDigung auructgenommen tterDen. ~ie ~ntfd)dbigung erjtrecrt ftd.J jebod) nur auf ben "'idlid)en e>d}aben, nid)t auf ben entgangenen ~~inn. Utbtr Die J)6be ber ~ntfd,ldbigung entfd)eibet in flreitigen t!dUen ber 0\id}ter. ~ie ~onaefjion

'J)lild)t ftd) eint ~lhirn!JefeOfdJilft einet! groben l.))lijbrautf>t! i~rtll !pril)i• ltgiutnll fd}ulbi9 1 fl) gebt t'icjdbe ibrell ffied)te o~ne ~ntfd)4bigung \mlutlig. ~te ~uf~ebung Det! ~Cd)tt! r11nn jeb~d) in biefem \!ilße nur Durd) 0\id}, tcrfprud} erfolgen. §. 8.

Anhang

248

:M3

s.

8.

erlangen burd) bie fanbt.Sberrfi~e Q5ent~mi~ung bit Q:igenfd)aft juriflifd)er 1},\erfontn 1 u:tb inebefonbtrt baiS tl\ed)t 1 Q:lrunNlucte unb .ttapitalicn auf ibren ~amen au monben unb in ba~ S;>ppotbefenbud) eintrasen au laffen. ~ftiengefcUfd)aften

§. g.

rotfd)e auf Q:l~.r&tt ober ~anbeldunterne~mun, gen gcri~tet ftnb1 baben faufm4nnif~• Dted)tc unb !p~id)ten. Uebcrnebmen fit ~ed}fd'Oerbinblid}ftittn 1 fo ifl gegen fic aroar btr ~ed)t fclproae6 aul4fftg1 bie ~~erution ~nbet jebod) nur in ba.S 'llerm6gen btr Q:lcfdls fd)aft flatt. ~n .Orten, roo faufm4nnifd)e Jtorporationen befleben 1 ftnb fie benfclben &eijutreten -~id)tet. ~ie ~PtiengefeUfd)aften 1

s.

10.

@5o t'Hit bd @5tlltllt 11btr bic atc~tc unb '})~i~tcn ber ~ftionairc gcgcntinanbtf feint btfonbcrt ~flimmungtn tnfb4ff 1 fommtn l)jf am ej, btf Q:lefeUfd)aft gdtenbtn gcfc,lid)en 'llorfd)riften uber Q:lcfeUfd)aftd'Ocrtrdgc aur ~n, rocnbung. §. 11.

c:lBirb ber Q5efeDfd)aft bic ttu~fleDung 'Oon !lftien auf jebtn $nbaber geflattet, fo t>arf t) bic ~udgabc bn ~fticn 'Oor Q:inaabfung bef ganaen enben gefe'li~cn ~inf~r4nrungen fc~gc, fe~t 1\!crben.

s. u;.

jtein 2lftionair ifl flf)ulbig, au ben al\!ecten ber ~cfeUfd)aft unb aur ~r, fiiUung i~m merbinblid)Peit mebr beiautragen, allf ben 9?ominalbetrag bct tlftic; er rann aber llUif), au~er bem ~aUe Der ~uflofung ber @)efeDfd)aft, ben einatt aa~lten ~etrag niemllllf auructforbern.

s. 16.

~er ~Ptionair tritt filr feine l))erfon au btn in bad Qlerb41tni~ einet! ~d)ulbner,, fonbnn

@)14ubigern Der ~efeDfd)aft nilf)t bleibt, fo 1\!rit ber ~etraa ber 21Ptie nod) nid)t berld)tigt ifl, nur 6d)ull>ner ber @)efeUfcf}aft.

s.

17.

s.

18.

Q)efeUfd)aft ilarf bat! flntutenm46ige @runbfapital burcf} ~tlctaa~, lung an bie mrtionaire nid)t berPieinern. ~ie 6tipulation bon 3infe!l au bcflimmtcr S)6be ifl nur filr Denjenigen, im tatutc anaugebenben, 3eitraum aul4fftg, 1\!eld)en bie Qlorbereitung bel Un, termbment! bit! aum llnfange bet! boUen ~etriebe.S erforbert. Qlon le~tcrcm 3eitpunrte an barf unter ~ie llftionaire I ft9 eil in ~orm bOn ainfcn ober ~i· t'ibent>en ein ~e~tetet! al& nalf) ben ,3n~re.Snbfd>hilfen fad> an Ueberfd>u~ er• giebt, nid)t btrt~eilt 1\!ttben. ~ie

entOebenber 3nfoll)tnA ber ®efeUfd)aft ftnb bie ~rtionaire fUt er fril~er an fit Clllllge~a~lten 2infen unt> ~i\)ibenben nid>t \'erbunben. ~ci

S· UJ.

250

Anhang

ua

s. 19-

Si)ic 0eflf14ftc bcr 0efcUflf1aft 1\)tfbtq burlf1 einen 1 nalf1 'llorflf1rift be~ etatut• btfleUttn q}orjlanb tlemaltet1 belfen jebclmalige SJJlitglieber 61fentlilf1 befannt gemalf1t 1\)tfben muffen. (S. 2. ~r. 9.)

s.

20.

s.

21.

$i)ie Qlor~e~er ftnb au4 ben ~on i~nen ~amenl ber Q)efeUf~aft gefu~r­ ten Q)efd)4ften unb eingegangenen c:nerbtnblilf1feitcn fur i~re ~erfon einem $i)ritten nur bann ~erp"l~tct, 1\)tnn fie Den ~e~immungen im s. 11. ~r. 1., ss. 12., 17.1 24.1 21i.1 27. unb 29. entgegen banbeln. $t>ic ~efugni6 be• q}or~anbe• aur q}crtretung Der QJeftUfd}aft bei !}t• rilf1tli~en unD au6ergeri~tli~en 0eflf14ftcnl er~ectt fi~ au~ auf Diejenigen 34De, in rocl~en eine l!)peaial~oUma~t crforDtrlilf1 ifl.

s. 22.

Si)ie $nfinuation btf c:norlabungen unb anbem auftttigungen an bie 0efeUflf11lft ijlgültig1 aulf1 1\)tnn fie nur an ~in SJJlitglieb t>tl c:norflanbcl gef~iebt. ~be, ~amentJ

ber

s. 23. roerbcn t~on s. 21.

~efeUf~aft1

bem 'llorflanbe abgtleiflet.

Si)cr q}orflanb ijl (~ulbig I bit aur Ucbcrfl~t ber c:nerm6gen"age crforbedid)en ~üd)er au fubren 1 aud) in ben erflen brri SJJlonaten eine~ jcben Q)e, fd)4ft~jabre• eine ~ilana bel ~cfeUfd)aftlt~erm6genl au aicben, unb in ein baau beflimmtd ~ud) rinautragen. SOie ~lana ifl ber altgieruns mitautbeilen 1 in beten ~eairf bie 0tftUf~aft i~ten ei, bat.

s.

2&.

s.

26.

s.

27·

ftd) au• btr le,ten ~ilan1 1 ba6 fid} bal 0runbfapital um Die ,f.)41fte t~trminbert ~at 1 fo mu6 ber c:norflanb Diel un»erauglid} 61fentlid} berannt mad)en. $i)ie meginung mu6 in bitfern ~aßt tiOn ben ~ud)ern ber ~tfeUfcf}'* ~inftlf1t nel}men unb rann nalf1 ~e~nDen ber Umfl4nbc Die mufl6fung Der ie oUaogcn roerben, all nacf} '.lJerlauf bon fecf}l g)}onatcn, t>on bem ~age an gerccf)net, roo bie ~eranntmad}ung aum britten 'l»ale erfolgt ifl. !i:>urcf) biefe ~fanntmacf}ung muffen augleicf) bie QSI4ublger aufgeforDert rocrben 1 (lcf) bei bcr QjefeOfcf>aft lU mdbtn. !i:>ie btfannten 014ubi9" (lnb ~icrau burcf} befonbere ~rlatfe aufauforbern. !i)iejenigen ~ldubiger, rodcf}e f&d} nid}t inntt~lllb fed}ll ~onaten mdbcn, geben i~m ffied}te, au Qjunflen ber QjefeOfcf>aft, t>erluflig. ,3m lJaOe ber 21ufl~fung roegen ,3nfoh.lena (S. 28. 9?r. 6.) tritt bal .«'On• futil• (3aUimentll•) '.lJerfabren ein.

252

Anhang

~uf

~n"enbung.

tem

bie bereittl beflcbenben

s.

30.

~ftiengcfcUf~4ften ~nbet

bicfd Q)cfet feine

Urfunbli~ unter Unfem ~6~fleigenb4nbigcn Unterf~rift .it6nigli~en 3nflegtl.

CSege(\en elantlfouci, Den

{L. S.)

unb beigebrulf,

9. Wo~ember 1843.

Writbri d) tm il~ef m.

"· U\o~o"'. ~ubler. "· e>Qt>i9n9. "· ~obdf~"'ing~. 18talaulligf:

0orncm4nn. (Nr. 2392.)

253

Anhang

4. Das Gesetz über die Enteignung vom Grundeigentum vom 11. Juni 1874

(Nr. 8207:) ~cft. 1U1ct ble ~tdnnuno \Im Grunbdgmt~uzn. mom 11.

5unf

1814.

~'ßit ®il~elm 1 uon G3otteß ~nabm ~bnig non ~ttuöen

1c.

bnorbnrn, unter 8ujlimmung btt btibtn ~iiufct beB &nbtagtl, für btn QllnJm Umfang btr IDlonard)ie, roa8 folgt:

i::ftel L

Sul&fligftit btt

§.

~ttiSlnung.

1.

{)al m IBo~lrl für ein Untemr~mrn 1 beffen tiu8fü~rung bie ~uGübung bcl Cintrlgnunglre~trl aforbnt, grgm 'OoUjlänbige intf~dbigung rntaogen ober bef~tlinft merbm. §. 2. unb bcllttmbe iBefd)tcinfung bel Clnmbdßm~uml nfolgt auf tgtn in öfftntlid)t ®ege, 'OOt• aulgeftit 1 bafi bal bafiit in ~lnfprud) gtt\Llltlllltnt ®runbei!Jent~um außer~al& bet Stäbte unb IDiirfn brltgm unb nid)t mit ~t~itubm befeit ijl. 3n bieftll\ ijaUe luirb bie .8ul,'ijjigfeit ber ~nttit)lllln\l non ber fBe&itfereginung (~anb· bropei) llul!lgefprod)tn. §. 4. ll.JotÜbttge~enbt mefd)t.infllllt)tn IUetbtn 'OOlt btt. ~t3irfßttgitrung an• georbnd. IDitftlbrn btirfm n>ibH btn m3illen bet! ~runbeigmt~ümerl bie IDauet uon brei :\a9ren nid)t übcrfL1)rtilcn. ~lud) b,ltf b,lburd) bie ~efd>affen~tit bet! ®tunbftücfä ni~t n>efrnllid) obrr bauernb ueriinbtrt n>ttbm. 8ut Ue&erf~tti• tung bieftr ®ttnarn bcbarf et! rimG nnd) §. 2. eingrleiteten unb burd)sefü~rten (tnteignungCSun:f,•~rent!.

®egm bm 23eiLilluö bet ~e~itfeuginunß in btn fi,'illm ber §§. 3. unb 4. innerl),llb At~n ~.wn nndl brr 8nftcllun!1 jebm1 23ctl)eilistm bn; 9ltfur3 nn bie \>otgeftblt ~.lliuifterillliuft,m.l otlm. llt~t

§. 5. _f.)nnbhm~tn 1 ttleld)e ~ur ~'L'r&mitung eintl bic a tnl)a~fcnbcl nöt~igmf11Ut! im Bttd}t&n>tge fejl(uJlcUenbc 5cf}aben ~u uerguten. 8ut 6tcf)crjldlung ber äbigunß barf bie ~e~rJiregittung nor ~eginn ber .e,mblunscn \Iom Unteme(Jmer tme staution beJtellen laffen, unb bmn .s)ö~e beftinmltn. Sie ip ~iequ t>tr\)~id)td 1 \\)tnn fin fBd~eiligtet bie ~llutionii!ldhm!J ucrl11n~t. IDie ®ePilttung ber ffiorarbeiten wirb 'Oon ber ~eaid8regierung im Dlt• Aittung8 • ~hntsbh\Ut genmU bcf,mnt gtnt.td)t. mon jebet ll.Jorarbtit ~at btt Unttrtlt~llltt untet me3chi)IIUng bcr 8eit unb bu: etellel n>o pe ft,ltt~nbcn foll, minbellent! An>ti '!a!JC AU\lor bm IDorjl11nb bee bctreffenbcn ®utß• ober ®t• mtinbtbt3id8 in stmntniti an fr~m I '"'hi)tr bll\>Oß bit bd()eiligtcn ®turtbbtPitr fpeaieU ober in ort3iiblidjer ~rifc generrll bcn,ldJtid)tigt. IDiefcr IDorjlanb ftl ermiicf}tigt1 bem Untmttl)mer auf beffen Sloften einm &eeibigten %1l!;ator au brm 8roecfe aur 8tih au ftellm I 11111 uorfommfnbe mcfd),'ibi\)IIII!JCII fL'tlltid) ft~IU• fttUcn unb ob~ufd>,'lQtn. 1:\n •l&gcfd);ivte ed)llbfll ift I llOtbt~nlllid) btffen nnbttn>tiftt ßejljltllung im Sltd)lÖitiC!)t 1 ben mcll)tiligtcn ((titlflll()t\lllef 1 inU•• nie8er 1 ~äd)ttr 1 ll.Jmu.lltn) fofL'rt 11uä,1uln~len 1 roihigenf.:~ll11 ber Drt8uorttanb auf ben ~lntrag bee metl)tilinten bit ßorljeuuns bcr ll3ot.ltbtiten au ~inbem l>tt• p~id)td ift. 8mn mttreten uon ~cb.'ittbcn unb ehwfriebiAttn ,6.of· ober ~nrtenriiumen bebarf ber Unternr()mer1 injo1ueil b.t~u ber tßnmbl,etiUer feine illisung nid)t auebriidlid) ctl~eilt 1 in jebem tin1dnm ß•tlle cinn btjonbmn ~rl.tubni8 ber Ortepoli3ti&t~örbc I rotld)e bie mdi~tr au btlt.ld)rid)tiuen unb aur Clffen~eUung bet ffiöume All \>emni11Hm ~11t. Cfine ~tflttr ilUf feintlll ~tunb llllb mv~tn gcfd)e~en lnfftn. ~icrbur~~J

Anhang

255

-·~-

tint Sttft&tatrts ".," eAumr,rfittat jtb«' ,fitt, f.,!Dfe dtt tjallcn ·»on 8liu··

mnt· ilt na1 ntit l)tfotibattt

et für btn ü&dßtlt ~tunb• &ePt burcfJ bie 9lbttttung ent(te~t. ~ie

§. 9. lnltb Kür tfn $~eil \)on tiittm (l}ta"tlf'lütf fn tln~~ gtii6mmrn, fcJ fQnn ~tf figtnt~iimtr l!tdangm, baß brr Unttme~mrt b~t tlliiae ßegen int• fd)liblguna it~rtnhnmt, wenn bat ~runb~üd burd) bie $ilttdüns. fo artfhldelt lllcrbcn "'ütbt, b~.tfi b~.t8 ffie~gturlb(tiid nacf} feinn &iB~erlgtn ee[timmunQ nllf>t ntf~( a"'tllttäfiig bemtbt werbtri fann. ' ~rifft bic geminbette ~enu\&adrit nut titfltmnHc c:ltielfe bet 9le(tgtunb• (tücre, fo &efd>tänft Pd) bfe ~~id)t enr ID'litii&m1a~me auf biefe 9:6tik mei ~tb.lubtn 1 lt!tfcf}t t~ei(llleift in mnfprud) genommen hletben 1 umf4fit biefe ~~i~t jebenfaiiB b.te gefanmlte (Jebäube. ~\ei bcn IDorfcf}tiften biefcs ~tagtäp~en lfl unter brt )Beaeic~Jnung o7J lilgen rntfpt(~tnben IDlofi~a&e aufau~rllen

17 Bracht

258

Anhang

-

226 -

lagen \lotaufeQenl rod~t bit au tntti!lntnbtn tl'f•lhi'I'IHJ \ILIII j{NI' 1lll t-cm (~)nmbfliicfc einlrdmbtn llled_Jiß• ueriinberuu\1 1 lueldye jiir bie !tlnlnllm1J bct' ('i\nmbftiittiS L1bct bit %t~3•llJiung ber ti'ntjd).'ibignn!J uon ~tbtulun 11 ifl 1 uon '2hnli!li>CIJCU bcr C~tn mu8• aabiUII!\ ober .\)interl~!\1111\\ bCl' lcbltrtll ll>trbc \.1Cl'Jii\ll lNrbcn. :\n b~m ~ mnine ill jrbu 1lll 'Dfln ,;u mtci!\Hmbcn LS\runbpücfc ~ercd)tigte btfunt 1 ~~~ nfc{Jcinm unb je in :\ntmfjc nn ba t\t•jqldhm!l btt ,'ibigung1 foluit bt]ii!llid) ba ~hlll)•ll)hlll!l unb ~interlr!Jllll!l berfdben ll>•ll)I'AIIIltl)men. 3n brm ~muiur h.11 ba (\hunbei!Fnthiimcr jtine ~lntr.1,1e •lllf uoup,inbigt llrbern.ll)lliC tili~S thcilwcife iu ~lnjpmdJ !l~IIOIIlllltllCII @nmb(tiicfil (§. U.) anau· brin~Jm . Eip,'itm ~(ntr;i 1,~ bicf~r ~~~ 1 jinll un,\ul;1fti 1J.

§. 2ti. inNidlfdt ~er uor b~an ~h,mmilT•u a~ßefchh'ITmm mntr.'i!Je fonuueu bic ))Jeftiuuuun 1lm be~ §. 1'i. ~lbjllU ~. unl> 5. aut ~ltt• luenbung.

§. 27.

Anhang

-

261

229 -

§. 21.

8u bet fommiffatifd)rn mer~anb(ung ~nb ein [)18 brtl Eillt{)Utt~önbige JU• aulif~tn, n>dd)c \)Oit lln mcaidärtgimmg entn>cbrr für baG 1Jilll3C Untnm~nuf\ ober cin~dne %~eile bt·ITdbm au crnmnen ~nb. 1)od) flr~t aucl) btn mtt~cilig• ttn .~II, ftd) \)0[ btm ~lbjd)ii~ungl!ttrmint ubct Sad}uerfliinbigt au einigen I unb biefdben bcm Rommiffm: ~~~ bqeid)nm. . IDie em1mntm IS•lCl)Uttll,'inbißtn müffen bie in ben bdreffmbm llroaefi• geftien \>otgefd)riebenrn ~i 1Jenfd)nften· dne8 uöllig ulaubnJürbißtn 8ru~en 6rPitn; bitfdben bürfm inäbefonbm nid)t AU benjcnigen ~trfonen ge~ötcn1 bte fd&p all ~ntfd}iibigungäbmd)tigte uon bn riftlid) eingmid)t. 1:l•l1Ttl&e muö niit @rünben unter• ftiillt nnb becibrt ll'nbrn. einb bit ~ad)Utrfliinbistn ein· für oUcmnl al8 fold}t umibtl, fo gtnii!]~ bic ~~ertid)erung bn: 9tid)liß,fcit bds ®utad}tenG auf ben ge• ltifltten (fib im ~lroMoll ober unter btm fd)nftlid} eingmid)ten ®utad}ten. 1:ltn 58d~riligtcn ifl 'Uot bet (fntfd}tibung bcr fßta.!rflregienmg (§. 29.) ®tltgen~eit au grben1 über bal ®utad}ten fid} aUIAUfpttd}en.

§. 29.

IDfe ~~f~tibung ber ~tairfßrrgierung ti&et bit ~tf~öbigung1 bfe au &e· fltUenbe ~aution unb bie fonflioen au~ §§. 7-13. fi~ nge&enben merpfli~tun• grn nfolut mitteltl motiuirtm ~efd)luffe8. IDit (fntfd>iibignn!,ßfumme ifl für jcben ~igent~ümert fowle für jebe!1 ber im §. 11. btAtid)nelm 9tebmbered)tigtm, fon>eit ibm tine ntd}t fd)on im m.\ert~e bc8 enttigndtn ®runbdgmtbum8 btgriffent (fntfd)6blgung auaufprt~cn f~ 1 be• fonbttl ft~ßlllltlltn. mud) ijl bitt IDO bie btn !Jlcf>tnbmd)tigtm gtfiÜ~ttnbe ~nt• fd),1bitJung in btm ~trtl)t be8 cnttigndcn ~runbeigmt~uml &egtiffrn ifl 1 auf ~lntr.lß be8 (fil}tnt~ümerl4 ober bdJ brtttfftnbrn ~tbrnbmd)tia_ten ba8 ~lnt~dll· \ltd).'iltnifj feft3nftdlm, 1111d) n>dd}em bent leitmn inner~11lb feiner \>om (figtn• tbümer annf.nmtm ~creti)tigung aul btt für ba3 (tigtnl~mn fejlgefleUten (tnt• fd)iibiounglfummc obet bcrm lllueungm (fntfd)äbigung gebü~rt. .:\n bnn !Brfdltuffc ift ausltidJ au beflinmtcn, baD bie t bC3•l~lt ober in ~tll ;,'ifl()cit teil §. H7. binlctlcot i~. ~irb bie burd) mefcl,lfujj ber 9lc!1itrUII\J fcji \Vftille l.!nljli)•lbiiJ!Ill\JiSfnmme burd) bie geri~tlid}e lfntfdJribung ~tmlwiclit 1 ft' n()iiit ~er Untmtt~mer bm gea1t~Uen IDte~r&drng o~ne 8inftn 1 ben l)interlenten ~)lelJtbctmg nbec mit btn ba'Oon in ber 8wifd)en3tit dl1lll aufgefammdten 8infcn auriid. ~epfteUung

§. 37. IDer Untnne~mer ifl 'Otf\'flid)ttt, bit mibdtn mwu.lltllng~beamten ~aben babti bm ~Iauben ber aur 8u~ellun!J !Jttid\tlid}er IDtrfÜ!JIIIl!Jtll befteUttn meamten. ~lllt

§. 40. unb ®tridlte ~a~en bie ~tttlei8frage unter pd)tigung alfer Umft.1nbt nadJ frticr Uebeqeugun!J 0u beurtl}eilen. IDet'ro~tltun~öbe~örbtn

t~

~etüd·

§. 41 . m3o bitft8 ®efe~ bie ~lnor~l\1111\1 einer St.ullion \lorfd)reibt ober auläöt, gleid)\l.>o~l ber lji~,fuß 1.1o11 i:ltr ~.llltil'lhJlciPun!J frei.

§. 42. m3enn ber Unterne~mer \'Oll bem if,un tltrlie~enm !fnttignunAirecf)te nid}t binnm ber in §. 21. !Vb•ldJtm 3dt l:ßcl't\lthiJ nMdJI, o~er t>on 'bem Unternc~mtn auriicftriltl bt\>0\' l-ie ßeftfCQIIII!J btt ~ntj,ü! ~ntdontlll\)tll>trf•llirm eno.uhfeu fJnb. %ritt btr Untcrnt~mer 3uriicf, n.ldJbcm llmit8 bit ~tflfldluna btr ~nt• fdj(ibißlll\ß blltd} ~~tfl"f)(U)j btt Httl)itntllq trfo(~j ip 1 fo ~1lt btt amml. 5 . 309.) bmd)nd. 5ämmtlid)e übrigen IDer~anblungen »ot ben licfllid) bet OuittunQen unb ~onfenfe bet ~'l)votbtfengliiubigtt unb fontlis_cn ~d~eiligten 1 ~nb gebü~rtn• unb jlem~dfm. Qlucf) ll)ttben feint

li*'

IDevoptalgebü~ttn an"efe~t. ~nb

E)oll)eit biefe fie fl.empdfni.

mtr~llnblungtn

»ot ben motarm uorgenonmltn ll)ttben,

5tlttl IV.

!Bidungtn btr (inttignung. §. 44.

rolit guprUung br8 ~nttignung8[,efd)luffrll (§. 32.} an (!igmtbtimtt unb ba8 (figmt~um brll enteigneten ®tunbpüd8 auf bcn Untet• ne~met tibet. (!rfolgt bir Suftdlung an brrt itb mit bem in §. 44. &tflimmten 3ciq,unft l>On allen batllllf ~Gfttnbtn ~tiUOittd)tlilf}tn metp~id)IU11QC11 fni 1 foll)tft btt llnterne~met bieftlbtn nid)t ueil'rfltllm4~ ll~tmonnnm ~at. {Nr. tl:l07.) !Die

Untnnr~mtt ge~t

18 Bracht

266

Anhang

-

234 -

IDit erjd)itbmen S2onbtöt~eiltn fi"tt bie ~crfii!1un 1 1t'n iibrr ~n.uli~lc @ütcr unb bie an bmn StcUe trdmben .5!api• tafien llhlUßd•wl> finb. §. 48. ~.n b11B mld!lnrlc mnmbpiicf mit 9lcaUaflm 1 j)lJl'Ot~tftn obtr altunb• jd)ulbtn [•cr).tjtct 1 iu f,um --- mit ~ln:3nnl)me btß §. 38. uorgcfc~mm iJallcöbcr G:iomt()iialll'r iih'l" ti1· l.!utjd_~;it·i!]tm 1}ufumme nur uerfügcn 1 \'llcnn bic ffica(• bmd)tigtm tilm•iUi~m. §. 49. 1)er ~i!lcnthiinln bei!! (5\runbpiicfs ifl jcbodJ in btn ß,'illcn bct §S. 47. unb 48. befu\JI 1 1vc11cn '!lu{''•lhlun!\ L•t-cr ~nw.·n~llll!\ bcr binterltQitn c~orben flir Bleauliruno. guta. l)errlid)et unl> [•,'iucrticl ..:r ~~nt);iltniffc 1 ~lbliifungen unb ®emein~eittt~etlungen in ~lnfptudl ,,u nchmm. 1)ic ~lu3dlhlll\:lcri,·tun\l~btf)örbe l).li bic bti i~r ringt~tnbm 9lnträgt nad) btn mcpinllliiiii!1W \II l•w LI h~ilm nnb .;u crlci:li!JCill )'Oel~e llltßtn Wa~rnt~mung btt m~d)lt britl~t ~n"fl'IICll [•ei fficm•mbun~l btr ~(bll'fungef,lpitalitn fn bfn §§. 110. biß 112. bfs (\\cfetlcß l.•om ~ . ~l.'ir3 1~50. 1 bttrefftnb bte Qlblöfung bct ~ltalla~cn unb megulilllll!l btr lllllO(Jtrdid)en unb biiuetlid}tn Ultt~ä(tniffc1 ert~eilt motbcn pnl>. 1)icft morfcr)rift folllllll in bm ~llltbc{!tbtiftn bt~ linftn tJl[)tinufer~ 1 in ber ~rouin3 .'~Cllllll't'~r unb l:lrn ~L)dlrn ~es ~llc!'immg~lir3irf~ ®itöbabtn 1 in mddJcn bie ffit'rl'l'bnunqm t•um I H. ~1JI,ti Iklii. (Ncft. • €aunnl. fa. 716.) unb 2. ervteml1n 1:-ilii. (t'il'f,·~"Z,munl. e. l·lli:l.) uidJt ting4ü~rt ftnb 1 nid)t aur ~lnmcnbun\) 1 l>idmd)r Hiibt "'' IJi'( bd bm bit.'l~tr bc~e~wbcn IDorf~riftcn. ~itd V.

Anhang

267

-~·~lttl

~tfonbtl't ~C~illtt11U11gtn

Ubtt

V.

OU

mltgtbaumatctialicn.

§. 50.

IDle lunt 1Bmt unb aur Unttr~altun~ öffentlid)et ®tge (mit Qlul!fd)luä trfotbtrlid)cn t5t1'o • Ullb mrud)ftdne 1 .ftit~ 1 9l,tftn 1 i61ll1b1 s:!c~m unb 11n'l>m ~rbe ift 1 follleit bet nl\tfitl>.mvflid)tige nid)t bicfc ~n,ttni.tlim in braud)bam ~efd)affenhdt unb angrmtfftntr ~l,'ihe auf ri 1vncn ®runt-ftüdtn förbrtn fann 1 un'o 'ocr ~itJtnl[)ümer ftc nid)l fclbll gebmud>l 1 ein ,5cbtt Utt• ~flid)td 1 nad) \1lnort-nuntJ ber ~t~örbe uon frinm lanbroirt~fdJ•tfllid)cn unb ijorpgrunbftüden 1 feinem' Unlanbe ~ ober au8 feinen ®eroiiffrrn entnebmen unb ball muffud)tn 'ottftlbtn burd) Sd)urfcn 1 ~o~ren u. f. lll. baftlbjl unttt Bontrole be8 l!igentf)ümrrl! ftd) gefaUen au laffen.

bet

(!jfenfla~ntn)

s. 51.

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