Der Geist der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft: Eine Untersuchung über seine Grundlagen und Voraussetzungen 9783486743180, 9783486743173


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German Pages 452 Year 1914

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Ein kritisches Vorwort: Max Webers „Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus"
II. Die Persönlichkeit Jesu. Gin Versuch zur Erklärung des Gegensatzes antiker und christlicher Geistesart
III. Die altchristliche Gemeinschaftsidee, ihr Zusammenhang mit der antiken sowie ihre Ausgestaltung bei Augustin
Schlußwort
Anmerkungen
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Der Geist der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft: Eine Untersuchung über seine Grundlagen und Voraussetzungen
 9783486743180, 9783486743173

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Der Geist der burgerlich'kapitalistischen Gesellschaft Eine Untersuchung über seine Grundlagen und Voraussetzungen von D r . Bruno Archibald Fuchs

» . . . il nous manque une histoire des idées ; nous ne voyons pas la formation, les époques, les révolutions d e l'esprit commun. C e n ' e s t pas assez d e prendre les idées générales dans les ouvrages des métaphysiciens . . i l

faut

les surprendre e n pleine action, quand elles s'emparent des h o m m e s . . . «

München und Berlin 1914 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

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Vorwort. »Wie die Philosophie ohne Geschichte abstrakt und leer ist, ebenso ist die Geschichte ohne Philosophie blind und vernunftlos.« (B. Croce, Filosofia dello spirito.)

»Libro completo saltat scriptor pede laeto.« Leider muß Verfasser bekennen, daß er beim Abschluß der vorliegenden Arbeit sich seinerseits von dem in dieser poetisch-impulsiven Äußerung zum Ausdruck gebrachten Dankesüberschwang von Herzen, Mund und Füßen recht entfernt fühlt. Abgesehen davon, daß die jetzige Zeit mit ihren auch in das Leben und Schaffen des einzelnen tief eingreifenden Wirkungen ein solches Hochgefühl der Freude nur schwer aufkommen läßt, will auch der Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieses Buches, die sich als ein fortgesetzter Kompromiß, als ein beständiges Kapitulieren vor materiellen und eben deshalb nicht überwindbaren Hindernissen darstellt, die Empfindung einer vollen und ganzen Befriedigung nur in sehr bedingtem Maße gewähren. Wenn man an ein Werk die fast unablässige Gedankenarbeit von mehr als zwölf Jahren und eine dementsprechend lange Zeit auf das Sammeln und Sichten des Materials verwandt hat, so wird man naturgemäß auch das Verlangen tragen, diese Arbeit in einer möglichst großzügig angelegten Form zu veröffentlichen. Daß solches Vorhaben eine Unmöglichkeit war, mußte Verfasser zu seinem lebhaften Bedauern nur zu bald gewahr werden, insofern der Verwirklichung dieses Planes sowohl materielle Hindernisse als auch andere Erwägungen sich entgegenstellten. Wollte er daher nicht auf eine Verarbeitung und Veröffentlichung der ihn seit langem bewegenden Gedanken überhaupt verzichten.

VI

Vorwort.

so mußte er nunmehr danach streben, statt einer in weitem Rahmen gehaltenen, das ad hoc gesammelte Material übersichtlich verarbeitenden Darstellung vielmehr die in langjähriger Vorarbeit gewonnenen gedanklichen Resultate in tunlichst knapper und präziser Gestalt mehr allgemein verständlich vorzuführen und nur das gerade notwendigste Material (sowie die bestausgewählten Belegstellen) dabei heranzuziehen. Zu diesem Zweck empfahl es sich, eine mehr essayartige Darstellungsform zu wählen, den recht umfangreichen und schwer zu ordnenden Stoff unter einige überragende Gesichtspunkte zu gliedern und also in sechs großen, wiewohl an Größe jeweilig recht verschieden ausfallenden Abschnitten dem gesteckten Ziele kontinuierlich zuzustreben. Das Mißliche, das in dieser Art der Darstellung lag, wurde doch auch dadurch wieder ausgeglichen, daß innerhalb eines solchen Rahmens eine größere Bewegungsfreiheit möglich war, ohne die es freilich auch gar nicht möglich gewesen wäre, die mannigfaltigen, aus der Masse des historischen Materials mühsam herausgelösten Gedankengänge zu einer neuen, innerlich gegebenen Einheit wiederum hinzuführen. Daß dabei anderseits auch manche Unebenheiten in der Komposition unterliefen, manchen vielleicht weniger wichtigen Dingen eine relativ zu große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, während andere wichtigere Momente weniger beachtet wurden, das dürfte seine Erklärung eben in den naturgemäßen Mängeln dieser Darstellungsform finden. (Nebenbei sei bemerkt, daß einige unzweifelhafte Mängel sich aus der Zurückhaltung erklären, welche Verfasser an gewissen Punkten zu beobachten für angemessen erachtete.) Und wenn bei sotaner Kompositionsweise eine äußere Einheit auf den ersten Blick auch schwer zu ersehen sein mochte, so durfte man sich anderseits doch auch wieder der Hoffnung hingeben, daß gerade das durch diese Form erstrebte Ziel einer inneren Einheit bei näherem Zusehen sich um so eindrucksvoller darstellen würde. Außerdem gab es schließlich auch gar keine andere Möglichkeit. War der erstere Weg als nicht gangbar befunden worden, also daß man den anderen gehen mußte, so mußte man auch die dadurch sich ergebenden Folgen mitnehmen. Insoweit wäre also alles in Ordnung gewesen, wenn nicht eben dann, als es zur Publikation besagter Arbeit kam oder kommen

Vorwort

VII

sollte, materielle, unter den jetzigen Zeitverhältnissen aber nur um so dringlicher sich geltend machende Momente zu einem abermaligen, aber durch in letzter Stunde noch vorgenommene Umarbeitungen und Kürzungen nicht abwendbaren Kompromiß führten. Mit anderen Worten, von den vorgesehenen sechs Hauptabschnitten konnten nur drei dem Druck übergeben werden, und damit fielen eben die Teile, in denen, genau genommen, doch der Schwerpunkt des Ganzen lag und auf die vielleicht die größte Arbeit verwandt worden war, einfach fort. Da indessen an eine Überwindung der genannten Schwierigkeiten auch nicht von ferne gedacht werden konnte, so blieb einem nichts übrig, als sich in die freilich recht bittere Notwendigkeit einer solchen teilweisen Publikation zu schicken. Um dann wenigstens diesen Teil als ein geschlossenes Ganzes annehmbar zu machen, waren weitere Umarbeitungen und Ergänzungen erforderlich, wiewohl der prekären Lage entsprechend bei besagter letzter Umarbeitung nicht so sehr Ergänzungen als vielmehr weitere (oft recht bedenkliche) Streichungen sowie eine weitere Ausscheidung erklecklicher Mengen von gesammeltem Material in Frage kamen. Damit nun aber die also notwendig gewordene neue Zurechtstutzung des Stoffes nicht den leitenden Gedanken der vorliegenden Arbeit beeinträchtigte oder gar zerstörte, und um also die eigentliche, grundlegende Idee derselben nicht preisgeben zu müssen, sondern im Gegenteil zu erhalten, ward in allerletzter Stunde noch diesem Buche ein Schlußwort angegliedert. Auf dieses Schlußwort sei hier in diesem Vorworte nachdrücklichst verwiesen, und zwar auch aus dem Grunde, weil daselbst eigentlich die leitenden Gedanken dieser Arbeit in tunlichster Knappheit entwickelt worden sind, an jener Stelle also das geleistet wurde, was andernfalls in einem Vorwort hätte getan werden müssen, in einem Vorwort freilich, welches eben an der Spitze der g e s a m t e n Arbeit seinen Platz dann hätte einnehmen müssen. Nachdem aber nun einmal dieselbe in zwei Teile hatte geschieden werden müssen, empfahl es sich, in besagtem Schlußwort nicht nur ein Resumé des vorliegenden Bandes zu geben, sondern auch durch eine kurze Skizze des der gesamten Arbeit zugrunde hegenden Plans die Kontinuität zwischen den hier zunächst veröffentlichten drei Ab-

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Vorwort.

schnitten und den (in absehbarer Zeit vielleicht doch noch zu publizierenden) weiteren Teilen zu wahren. Dadurch ward gleichzeitig auch der schon im Untertitel angedeutete eigentliche Zweck des vorhegenden Buches sozusagen noch unterstrichen: durch die hier gebotenen Untersuchungen eine Grundlage und damit die Voraussetzungen für das Folgende zu schaffen. Der Leser möge entschuldigen, wenn er hier mit einer langwierigen Auseinandersetzung über das Schicksal usw. dieser Arbeit behelligt wird. Indessen schien es rebus sie stantibus doch angemessen, eine solche Aufklärung dem Ganzen vorauszuschicken, damit ein jeder von vornherein die richtige Basis für eine Beurteilung des in vorliegender Arbeit Angestrebten fände. Weitaus lieber wäre es dem Verfasser freilich gewesen, wenn er statt dieser mehr persönlichen Erörterungen dieses Vorwort zu einer mehr prinzipiellen Auseinandersetzung hätte verwenden dürfen, welche die dieser Arbeit zugrunde hegenden resp. zugrunde gelegten »geistesgeschichtlichen« Motive näher beleuchtet haben würde. Daher möge hier nur soviel kurz bemerkt werden: Wer nach einem Verständnis seiner Zeit strebt, weil er ihr genugtun möchte, wer den Geist derselben zu erfassen sich müht, weil er an ihm gelitten hat, dem werden Philosophie und Geschichte wertvolle Hilfsmittel bei diesen Bestrebungen bieten. Aber freilich genügt es hierbei nicht, nur ein bloßes pragmatisches Geschehn auf Grund »objektiven« Quellenstudiums zu konstruieren, wie es anderseits nichts fruchtet, eine Geschichte der Philosophie, der menschlichen Geistesentwicklung, ohne Berücksichtigung der Kultur- als auch der politischen Geschichte zu treiben. Hier muß vielmehr beidem in seiner Art Rechnung getragen werden. Hier ist es nötig, einen neuen Standpunkt einzunehmen, ja sich zu erobern, und von ihm aus Welt und Menschen zu betrachten. Man muß in dem Strome des Geschehns die mannigfaltigen »sozialen« Gebilde in ihrer Totalität zu erfassen suchen, sodann aber die vielfach sich kreuzenden Einflüsse aufdecken, die zwischen diesen soziologischen Realitäten und den von ihnen umschlossenen kleineren Gruppen und vor allem den Individuen hin und her spielen. Will man eine derartige Methode als soziologische bezeichnen, so kann das vielleicht ohne Schaden geschehn, vorausgesetzt eben,

Vorwort.

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daß man sich bewußt bleibt, daß diese Soziologie nicht auf von vornherein festgelegten »absoluten« Prinzipien oder »Ideen« beruhen kann oder darf. Wenn neuerdings von kompetenter Seite eine Soziologie abgelehnt worden ist und an deren Stelle vielmehr eine »Anthropologie« gefordert und gesetzt wurde, wenn ferner von einer anderen Seite die Parole »Idee und Persönlichkeit« ausgegeben ward, so liegt diesen und ähnlichen Forderungen doch sicher die richtige Erkenntnis zugrunde, daß, wenn es im irdischen Geschehn höhere, ideelle Notwendigkeiten gibt, dieselben sich eben doch in einem mit eigener Lebenskraft erfüllten Stoff jeweilig verwirklichen; die Erkenntnis, daß diese »Welt« nicht nur Idee, Vorstellung, reine Vernunft usw. ist, sondern auch Wille, und zwar bedingt freier, d. h. eben bewußter, schöpferischer Wille. Eine objektiv sein wollende Geschichtschreibung, die sich n u r an das empirisch gegebene Tatsachen- resp. das (von tausend zeitlich bedingten Faktoren abhängige) Quellenmaterial halten will, de facto aber nur allzu oft von der lastenden Fülle eben dieses Materials geknebelt wird, sowie anderseits eine Philosophie, die die Entwicklung des menschlichen Geistes nach einem vorgefaßten »logischen« Schema konstruieren möchte, sie beide folgen, wenn auch jeweilig in besonderer Weise, einem überspannten Rationalismus, der sowohl dem realen wie dem geistigen Geschehn und Erleben allen tieferen Sinn nimmt. Wozu noch kommt, daß jene als absolut jeweilig gehandhabten Maßstäbe sich letzten Endes als recht zeitlich-beschränkte herausstellen, insofern dieselben zumeist das unterbewußte Resultat des modernen Milieus sind, welches selbst die Geister der von ihm umschlossenen Menschen in einer Weise beeinflußt, daß es den wenigsten gelingen mag, sich diesem »Dogmatismus« zu entziehen (Schulbeispiel: Auguste Comte). Die Soziologie im Sinne einer das Leben durchdringenden, es in seine letzten, feinsten Zellen verfolgenden und aus diesen Urzellen hell und bewußt hinwiederum aufbauenden, stets am bewußten, schöpferischen Leben sich orientierenden wissenschaftlichen Methode mag ein guter Führer aus diesem Dogmengehäuse sein. Ein Führer nicht nur in der Wissenschaft, nämlich in der Vergangenheit, dem Wissen vom Ge-

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Vorwort.

schehenen wie geistig Erlebten und Ererbten, sondern darüber hinaus auch ein Führer zum Verständnis der Zeit, in der man lebt, denkt, wirkt und in der und an der man arbeiten und wirken möchte. Kurz, ein fruchtbarer Vermittler zwischen Wissen, Denken und Leben, eine Weisung mithin zum Leben und zur Überwindung desselben im bewußten Leben. »Denket um!«, also sprach Jesus. Um noch kurz einige rein technische Fragen zu erledigen, so möchten wir bemerken, daß wir beim Zitieren der Quellen uns, wenn irgend möglich, stets an die besten Ausgaben gehalten haben. Indessen war es uns infolge häufigen Aufenthaltswechsels und der daraus resultierenden Schwierigkeiten der Bibliothekbenutzung nicht immer möglich, stets genau die gleichen Ausgaben bei den Zitaten zu verwenden. Diese Situation bewog uns auch, die lateinischen und griechischen christlichen Autoren nach der relativ weitest verbreiteten und demgemäß stets leichter zugänglichen Migne'schen Patrologie zumeist zu zitieren, obwohl deren Ausgaben bekanntlich nicht immer sehr zuverlässig sind. Die lateinische Serie haben wir (wie auch sonst oft üblich) mit der Chriffre M. P. L., die griechische dementsprechend mit M. P. Gr. jeweilig angeführt. Es bleibt mir zum Schluß noch die angenehme Pflicht, denjenigen Personen, die mich bei vorliegender Arbeit mit Rat und Tat unterstützt haben, meinen innigen Dank abzustatten. So meinen verehrten und heben Freunden, den R. P. R. P. Anselmus Manser und Aloysius Mager O. S. B., von denen der erstere mich mit seinem reichen Wissen auf patristischem wie liturgischem Gebiete, der letztgenannte mit seiner umfassenden Kenntnis sowohl der antiken als auch insbesondere der scholastischen Philosophie in reichem Maße unterstützt haben. Ob freilich alle Teile der vorliegenden Arbeit ihre Billigung finden werden, darüber habe ich denn doch begründete Zweifel. Indessen selbst dann glaube ich mich mit ihnen in jenem Geiste verbunden zu wissen, in dem einer der feinsinnigsten Köpfe des an bedeutenden Männern wahrüch nicht armen 12. Jahrhunderts an eine fern von ihm weilende Freundesperson die Zeilen richtete:

Vorwort.

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»Locorum vel temporis incommoda sanctus amor ignorat. Affectus in eo principatur, qui Semper s u i i u r i s est, nec ei vis praeiudicat aliena.« Last not least möchte ich auch noch meinem lieben Freunde, Herrn Carl Barbarino, für die ausdauernde und unablässige Mühewaltung danken, mit der mich derselbe beim Lesen der Korrekturen unterstützt hat. Verdanke ich doch seiner Einsicht und seinem Rate die Beseitigung mancher Fehler, die ansonst den Sinn sowie die Klarheit des Textes empfindlich gestört haben würden. M ü n c h e n , im September 1914.

Bruno Archibald Fuchs.

Inhaltsverzeichnis. Seit*

I. E i n k r i t i s c h e s V o r w o r t : Max Webers »Dieprotestantische Ethik und der .Geist' des Kapitalismus« Calvinistische Berufsethik »Geist« der calvinistischen Berufsethik Mittelalterlich-mönchische Askese Resumé II. D i e P e r s ö n l i c h k e i t J e s u . Ein Versuch zur Erklärung des Gegensatzes antiker und christlicher Geistesart Die »Theoria« des Griechen Der jüdische Willensgott Das Gotterleben Jesu und die christliche Liebesidee . . . Die Liebesethik Jesu und das Ressentiment Die antiken ethischen Wertmaßstäbe Das Vernunitethos der Stoa und sein Gegensatz zur Lehre ( = Liebesethik) Jesu Der Gemeinschaitsgedanke Jesu Ich und Welt bei Jesus Jesus und unsere Zeit III. D i e a l t c h r i s t l i c h e G e m e i n s c h a f t s i d e e , ihr Zusammenhang mit der antiken sowie ihre Ausgestaltung bei Augustin Gotterleben und Kultus Neuer und alter Bund Konstitutive Ideen im religiös-staatlichen Leben der Antike Die paulinische Gemeinschaftsidee des Corpus Christi oder des Organismus Kirchliche Gemeinschaft und christliche »Weltanschauung«; ihre Darstellung bei Ambrosius Die Ausgestaltung der altchristlichen Gemeinschaftsidee zur mittelalterlich-kirchlichen Einheitskultur und Augustin Die historisch-genetischen Grundlagen von Augustins »Civitas Dei« Die ideellen Grundlagen von Augustins »Civitas Dei« . . .

i 2 10 14 18 19 20 27 44 48 5» 56 60 62 68 71 71 80 87 150 167 186 190 220

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Inhaltsverzeichnis. Salto

Staat und Persönlichkeit bei Augustin 228 Der einzelne and die Kirchengemeinschaft bei Augustin 247 Bekennerkirche und ökumenische Kirche: das Problem ihrer Darstellung bei Augustin 259 Das theokratische »Programm« Augustins: Kirche und Staat bei Augustin 282 Die alttestamentliche Theokratie als Basis der neutestamentlich-kirchlichen 294 Die neutestamentlich-kirchliche Theokratie: der Priesterkönig 304 Schlußwort Anmerkungen

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I.

Ein kritisches Vorwort: Max Webers „Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus". »Gegner glauben uns zu widerlegen, wenn sie ihre Meinung wiederholen und auf die unsrige nicht achten.« »Diejenigen, welche widersprechen und streiten, sollten mitunter bedenken, daß nicht jede Sprache jedem verständlich ist.« »Die schwer zu lösende Aufgabe strebender Menschen ist, die Verdienste älterer Mitlebenden anzuerkennen und sich von ihren Mängeln nicht hindern zu lassen.« (Goethe, Aus dem Nachlaß. Über Literatur und Leben.)

In seinen Aufsätzen über »Die protestantische Ethik und der .Geist' des Kapitalismus« hat Max W e b e r den Nachweis zu führen unternommen, in wie starkem Maße das heutige bürgerliche Berufsleben, die auf kapitalistischer Grundlage ruhende heutige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, ja, allgemeiner genommen, die »moderne Welt« überhaupt, bei ihrem Entstehen vom Protestantismus, speziell vom Calvinismus, beeinflußt worden ist. Seine Ausführungen haben zum großen Teil Widerspruch, ja offene Ablehnung erfahren, und den auf parallelem Gebiet sich bewegenden Forschungen von T r o e l t s c h ist es nicht viel besser ergangen1). Dennoch sind die Darlegungen W e b e r s für denjenigen, der nach einem Verständnis der modernen Welt strebt, in mehr als einer Hinsicht äußerst schätzbar. Es ist gewiß, daß W e b e r nicht das ganze, so überaus komplizierte Gebilde der heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung damit erklärt hat; indessen hat er selber auf eine restlose Erklärung desselben auch nicht entfernt den Anspruch gemacht. Nur eine Seite wollte er erFuchs, Der Geist der bttrcerlich-kapitalist. Gewllschaft.

I

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Kritisches Vorwort

klären, die von dieser Seite ausgehenden Wirkungen darlegen und von dieser betreffenden Seite aus neues Licht auf die Erscheinungen werfen2). Wenigstens kann das jeder Willige aus seinen Aufsätzen entnehmen und sich im übrigen der von dieser einen Seite aus neu gewonnenen, reichen Erkenntnis freuen. Daß so viele Gelehrte dieser neuen Erkenntnis gegenüber also skeptisch sich verhalten, ist befremdend, wüßte man nicht, daß der Wald häufig vor lauter Bäumen nicht gesehen wird. Es möchte verlohnen, im folgenden auf die Ausführungen W e b e r s etwas näher einzugehen und das Resultat derselben (soweit dies in gedrängter Form möglich ist) kurz wiederzugeben. W e b e r will, wie wir schon eben angedeutet, den Einfluß darlegen, den der Protestantismus, vor allem aber der Calvinismus und ferner pietistische und andere Sekten auf die Entstehung der heutigen bürgerlichen Gesellschaft, des heutigen bürgerlichen Berufslebens, der auf Handel, Arbeitsteilung und Geldwirtschaft beruhenden heutigen Wirtschaftsordnung, die man schlechthin die kapitalistische nennt, ausgeübt haben. Den in diesem bürgerlichen Berufsmilieu sich kundgebenden, für dasselbe recht eigentlich typischen Geist nennt er speziell den kapitalistischen resp. den »Geist« des Kapitalismus. W e b e r will, um das gleich vorweg zu nehmen, unter kapitalistischem Geiste aber doch etwas anderes verstanden wissen als bloßes Streben nach Gewinn oder auch bloßen ökonomischen Rationalismus (oder Geist der Rechenhaftigkeit). Die »auri sacra fames«, das brutale Streben nach größtmöglichem Gewinn, das sei zu allen Zeiten dagewesen und gäbe es ebenso auch jetzt noch8), dieser Habitus des Geistes sei aber sehr verschieden von derjenigen Gesinnung, aus der der kapitalistische Geist als Massenerscheinung hervortrat 4 ), d. h. er ist nicht schlechthin der Geist des bürgerlichen Berufs- und Erwerbsmenschen, nicht völlig identisch mit dem Geist der bürgerlichen Gesellschaft, deren Glieder die Hauptträger kapitalistischer Wirtschaft sind. Wir möchten hier gleich einige Worte kurz zur Sache bemerken. Unseres Erachtens wäre es vielleicht besser gewesen, wenn W e b e r seine Studie resolut als eine geistesgeschichtliche von vornherein charakterisiert hätte 6 ). Falls wir ihn recht verstanden haben, so

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Calvinistische Berufsethik.

ist doch seine Arbeit (zum mindesten in der ersten Hälfte) vorwiegend von sozialethischen Gesichtspunkten beherrscht, ist weniger eine wirtschafts- als eine geistesgeschichtliche®). E r will dartun, welche Art von Menschen diese moderne, traditionell komplizierte Wirtschaftsordnung, die wir die kapitalistische nennen, wenn nicht begründet, so doch auf ihren heutigen Grad hoher Vollendung allmählich geführt haben. E r läßt den Menschen und in der Religion den menschlichen Geist die Verhältnisse seiner Umgebung formen und versündigt sich freilich so am Manchester-Evangelium wie am alleinseligmachenden Marxismus, die beide anscheinend fast schon unausrottbar in allen Köpfen heute festgewurzelt sind und den Menschen zum restlosen Produkt der wirtschaftlichen Faktoren machen wollen. Anstatt dessen betont W e b e r die große Rolle, die religiöse und ethische Faktoren zunächst bei der allmählichen Formung oder Erziehung des bürgerlichen Berufsmenschen gespielt haben, und legt dann anschaulich dar, wie eben die religiös-ethischen Voraussetzungen und Lebensmaximen den also gearteten Menschen auf den Weg unermüdlicher, zumal kaufmännischer Betätigung getrieben haben. Als das schlechthin Eigenartige an der Geistesverfassung des hier aufkommenden Menschentypus, dieser sozusagen neuen Abart des »homo oeconomicus« hebt er den Umstand hervor, daß eben die von der Religion und der entsprechenden Ethik diesem Menschentypus gegebenen Impulse es sind, die ihn zu einer so intensiven Betätigung auf wirtschaftlichem Gebiete antrieben, j a demselben nach dieser Richtung hin geradezu eine neue Bahn eröffneten. Diese intensive Betätigung auf wirtschaftlichem Gebiete, welche die auf Handel, Arbeitsteilung und Geldwirtschaft basierende, als kapitalistisch zu bezeichnende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung allmählich auf ihren Höhepunkt geführt hat, erscheint Weber also nicht so sehr als das Produkt gleichsam selbsttätig fortschreitender, wirtschaftlicher Entwicklung und dementsprechender Anpassung des Menschengeistes an dieselbe, er will vielmehr beweisen, wie umgekehrt bei der Entstehung dieser Wirtschaftsordnung menschliche Geisteskraft sich als schöpferisch und autonom erwiesen und die Verhältnisse gemeistert, in die dem Geiste entsprechenden Bahnen gewiesen hat. Den Grund für diese vom i*

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Kritisches Vorwort.

menschlichen Geiste ausgehenden Kräfte sucht und findet er in der Eigenart des protestantischen, speziell des calvinistischen Bekenntnisses und der aus ihm sich ergebenden Berufsethik. Daher der Titel: »Die protestantische Ethik und der .Geist' des Kapitalismus«. Im ersten Teil seiner Arbeit führt W e b e r als anschauliches Beispiel dessen, was er speziell unter diesem »Geist« des Kapitalismus verstanden wissen will, gewisse Aussprüche Benjamin Franklins vor, der in seiner stark von ethischen Maximen geleiteten Auffassung seines Geschäfts- und Berufslebens einen eklatanten Gegensatz bietet zu der nur von schrankenlos egoistischem Erwerbstrieb bestimmten kaufmännischen Betriebsamkeit z. B. eines Jakob Fugger, der gewinnen will, dieweil er kann7). Während dieser letztere Typus eines kapitalistischen Geschäftsmannes alles auf seine Person, sein Ego bezieht, und in der schrankenlosen Bereicherung, dem Aufhäufen aller Güter zu seinen Gunsten, seiner Lust, das Ziel seines Mühens sieht, haftet der gewiß auch äußerst intensiven Tätigkeit eines Franklin ein sozusagen unpersönlicher8), ja asketischer Zug an. Ein Fugger ist von der »auri sacra fames« bestimmt, will die also errafften Schätze zur Befriedigung seiner Passionen nützen; ein Franklin sieht in der rastlosen Erwerbsart die peinlich gewissenhafte Erfüllung seines Berufs, der ihm als ein gottgewollter erscheint; an die Nutzung des so erworbenen Wohlstandes zum Zweck behaglicherer Lebensgestaltung aber denkt er auch nicht im entferntesten. Hier scheint der fast paradoxe Fall eingetreten, daß der Mensch auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck, nämlich zur Befriedigung der materiellen Lebensbedürfnisse des Menschen, bezogen wird. Das Erwerben von möglichst viel Gut und Geld ist aber in diesem Falle für den betreffenden Menschen ein Beweis seiner Tüchtigkeit, ein Zeichen, daß er seinen Beruf richtig ausgefüllt hat. Ihm ist das Streben nach stets neuem Gewinn eine Pflicht, die ihm von seinem Gewissen auferlegt ist und der er sich widmet, ohne von dem also mühsam Erworbenen eine leibliche Ergötzung oder irgendein materielles Wohlbehagen zu erwarten. Er selbst »hat nichts« von alledem für sich selbst, das einzige persönliche Lustgefühl, das ihm sein Mühen einträgt,

Calvinistische Beruisethik.

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ist das rein ethisch, ja sozusagen transzendental bestimmte Bewußtsein, seine Pflicht, seinen Beruf erfüllt zu haben. Diesem Begriff des »Berufes« hat W e b e r im ersten Teil seiner Studie9) ein höchst interessante Untersuchung zuteil werden lassen, in der er an der Hand reichen Materiales darlegt, wie das Wort resp. der Begriff »Beruf«, den wir modernen Menschen als einen völlig bürgerlich weltlichen zu betrachten uns gewöhnt haben, früher einen rein religiösen Inhalt gehabt hat und eigentlich erst seit Luther den Sinn angenommen hat, den wir heutzutage allgemein mit dem Worte verbinden. Im Mittelalter sprach man lediglich vom Berufe, d. h. Berufensein eines Mönches oder Priesters, der eben kraft göttlicher Gnade berufen schien, sein Leben ganz Gott zu weihen, d. h. in einem der »Ehre Gottes« allein dienenden Berufe dasselbe zu vollbringen; jetzt, seit Luther, und vornehmlich in calvinistischen Kreisen, nimmt auch der im bürgerlichen Erwerbsleben stehende Mensch das Wort »Beruf« für sein Leben in Anspruch und deutet damit an, daß auch er sein geschäftliches Arbeiten als ein Gott wohlgefälliges, zur größeren Ehre Gottes10) dienendes betrachtet. Die Inanspruchnahme dieses Begriffes durch den bürgerlichen Erwerbsmenschen jener Zeit zeigt deutlich, wie sehr derselbe sein Wirken in der Welt als ein religiös bestimmtes, mit der Religion in engster Verbindung stehendes auffaßt. Gleichwie der Mönch seinem »Beruf« nachkommt, indem er im Kloster ein den Äußerlichkeiten der Welt ab- und zu Gott hingewandtes Leben zu führen sich bestrebt, wie er, um diesen Beruf wahrhaft auszufüllen, ein streng methodisches, diszipliniertes Leben tagtäglich innehält und dergestalt sein ganzes Leben als ein Gott wohlgefälliges »auszurichten« sich bemüht — welch Leben also als ein in jeder Hinsicht zu Gottes Ehre und nicht zum eigenen Belieben geführtes sich darstellen soll —, also bemüht sich auch der calvinistische wahrhaft Fromme, seinen innerhalb der Welt sich abspielenden Beruf in der gleichen strengen Weise zu einem methodischen, durchweg streng disziplinierten Leben zu gestalten, wobei auch er alles unter den Aspekt des »zur größeren Ehre Gottes« stellt und für sich selbst auf jede persönliche sinnliche Befriedigung verzichtet. W e b e r hat dies methodische, möglichst rationell ausgerichtete und disziplinierte Leben im Gegensatz oder

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Kritisches Vorwort.

auch als Pendant zur mönchischen Askese als »innerweltliche Askese« bezeichnet. Die christliche Askese, wie sie im Mittelalter ins Kloster sich geflüchtet und vom Kloster aus indirekt die Welt beeinflußt hatte, sie trat eben mit dem Calvinismus, speziell Puritanismus, heraus auf den Markt des Lebens und unternahm es, das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methodik zu durchdringen, es zu einem rationalen Leben in der Welt und doch nicht von dieser Welt umzugestalten11). Der Hauptteil der W e b e r ' sehen Arbeit aber liegt in der Darlegung, inwieweit diese Berufsethik mit ihrer strengen Rationalisierung des alltäglichen Lebens in der Religion verankert ist, d. h. inwieweit dieselbe von der Religion ihre eigentlichen Impulse empfängt. Hier scheidet W e b e r ziemlich scharf zwischen Luthertum und Calvinismus und stellt die Ethik der beiden Bekenntnisse mit Recht als sehr verschieden voneinander dar. Eigentlich ist dieser Gegensatz ja schon in den Personen der Stifter beider Bekenntnisse gegeben, nämlich in Luther und Calvin. Luther hat sich allmählich dem Kloster und der darin geübten Askese völlig entfremdet, wiewohl er zuerst als junger Mönch es sehr ernst mit derselben genommen hatte. Aber seine skrupulöse Natur vermochte sich darin nie genug zu tun und sein ganzer seelischer Habitus fand in der strengen Methodisierung des ganzen Lebens keine innere Befriedigung. Er geriet infolgedessen in tief innerliche Zweifel ob seiner Erwählung, und nachdem er im Verlaufe dieser also durchgefochtenen Seelenkämpfe fast schon »zur Hölle resigniert«1*), d. h. sich als endgültig verloren aufgegeben hatte, ward es dennoch langsam Licht in seinem Innern. Luther fand selbst den Zugang zu seinem Gotte, fand ihn im innersten, schmerzlichsten Erleben des eigenen Ich, bahnte sich über alle guten Werke, alle objektive Kirchlichkeit hinweg den Weg zum Vaterherzen Gottes, an das er sich wie ein verlorener und wiedergewonnener Sohn dahingab. Dem Gott, der sich in Christus also voll Liebe zu uns herabgeneigt, dem mußte man fest im Glauben anhangen, dann würde er auch den Menschen kraft dieses Glaubens rechtfertigen, d. h. ihn zu einem Gerechten machen. Er hat ja in Christus alle unsere Sünden hinweggenommen, hilft uns in Christus die Vorschriften des Gesetzes erfüllen; darum glaube und vertraue auf ihn. Wenn dein Sinnen-

Calvinistische Berufsethik.

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und Triebleben dich täglich in Schuld und Sünde verstrickt, wenn du felsenfest an ihn glaubst, von ihm nicht ablässest, wirst du an ihm stets einen barmherzigen Helfer finden. So ungefähr war Luthers Entwicklung! Man sieht, wie entfernt Luther davon war, die mönchische Askese, die er schon im Kloster nur unwillig ertragen und in ihrem Wert nie erkannt hatte, in das bürgerliche Berufsleben herüberzunehmen. Seine Entwicklung war, wie W e b e r treffend bemerkt, erlebt, wogegen Calvins Bekenntnis sich weit weniger als die Frucht eigenen reichen Innenlebens als allmählichen rationellen Denkens und Spekulierens darstellt 13 ). W e b e r hat den fast völlig transzendenten Gottesbegriff Calvins meisterlich dargelegt und auch im einzelnen näher ausgeführt, wie ein »gemütlicher« Verkehr eines solchen religiösen Bekenners mit seinem Gott undenkbar war. Dieser Gott war in der Tat dem alttestamentlichen des Zorns und der Rache nur zu ähnlich, war auf alle Fälle von dem Menschen durch eine ungeheure Kluft getrennt. Die Menschen waren hiernach um Gottes willen da, nicht aber Gott um der Menschen willen14), wie denn ein Maßstab irdischer Gerechtigkeit gegenüber Gottes Ratschluß schlechthin sinnlos erschien15). Dieser also geartete Gott hatte kraft unabänderlichen Ratschlusses einen Teil der Menschen — und wohl den kleinsten nur! — zur Seligkeit, den anderen aber zu ewiger Verdammnis bestimmt, also daß dagegen jedes Argumentieren von vornherein nutzlos war. Eine solche doppelte Prädestination schien dem abstrakten Geiste eines Calvin wohl allein verträglich mit einer also über jedes menschliche Nachempfinden hinaus gesteigerten, absoluten Souveränität Gottes. Doch hat Calvin selbst spezielle praktische Schlußfolgerungen aus seiner Prädestinationslehre nicht gezogen. Das haben eben dann seine Nachfolger getan, ja mußten es wohl auch tun 16 ). Hier hegt dann der eigentlich springende Punkt der ganzen W e b e r ' sehen Beweisführung, nämlich in dem Problem der Wirkung des Prädestinationsdogmas auf eine Ausbildung des bürgerlich praktischen Berufslebens. Denn anders wie Calvin konnten sich seine Nachfolger und insbesondere die große Masse der Calvinisten nicht bei der bloßen abstrakten Lehre beruhigen; dazu war jener Generation die Frage des eigenen Seelenheils eine viel zu wichtige17).

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Kritisches Vorwort.

Für Calvin selbst war die Frage zwar auch keine völlig abstrakte gewesen, aber er war sich eben der eigenen Erwählung bewußt, fühlte sich als auserwähltes Rüstzeug seines Gottes, lehnte aber im übrigen eine spezielle Ausdeutung des Dogmas ab. Hier haben eben seine Nachfolger eingesetzt und die religiöse Lehre Calvins in sozialethischer Hinsicht höchst bedeutsam weitergebildet. Denn auf die Dauer konnte, wie gesagt, »die breite Schicht der Alltagsmenschen« sich nicht bei der abstrakten Dogmenposition beruhigen, sie verlangte nach einer Deutung derselben, ja nach einer Antwort auf die ihr Inneres tief aufwühlende Frage: bin ich erwählt oder nicht? Aber wie das erfahren? Einen Priester mit »character indelebilis«, eine objektive Kirche als Gnadenanstalt mit Sakramenten, in denen gleich Kanälen die Gnade hindurch und ausströmt, alle die Heils- und Gnadengüter, alle diese objektiven Gewährsmittel, an die sich ein Katholik anklammern konnte, all das gab es nicht für den Bekenner calvinischer Lehre18). Allein stand er seinem Gott gegenüber, einem Gott, von dem er eigentlich doch nur das wußte, daß derselbe über jedes menschliche Begriffsvermögen hinaus erhaben, von aller Kreatur durch eine unüberbrückbare Kluft geschieden war. Man sollte meinen, daß diese Lehre »in ihrer pathetischen Unmenschlichkeit« eben infolge des Gefühls tiefster Vereinsamung, das sie in ihrem Bekenner erzeugen mußte, denselben zu einem dumpfen Fatalismus, ja sogar zur Verzweiflung oder gar zur Selbst Vernichtung hätte treiben müssen. Anstatt dessen ist sie gerade zu einem eminenten sozialethischen Faktor, ja ein stärkster Antrieb zur aktiven Betätigung im äußeren praktischen Leben geworden. Die calvinistischen Seelsorger pflegten nämlich ihren Schäflein, die sich um Hilfe in diesen Gewissensnöten an sie wandten, in der Hauptsache zwei Ratschläge zu erteilen. Einmal empfahlen sie dem Betreffenden, sich einfach für erwählt zu halten, da ja Zweifel daran schon unzulänglichen Glauben und mithin mangelnde Wirkung der Gnade verrate. Damit derselbe nun aber dieses Glaubens wie der eigenen Erwählung auch gewiß werde, schärften sie ihm des weiteren rastlose Berufsarbeit als ein vorzügliches Mittel ein, um den Zweifel zu verjagen und die Sicherheit des Gnadenstandes zu erlangen.

Calvinistische Beruisethik.

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Warum aber wurde rastlose weltliche Berufsarbeit für geeignet gehalten, als Gewißheitsmoment der Erwählung zu dienen? Das hat nach W e b e r seinen Grund in dem eigenartigen religiösen Empfinden der reformierten Kirche, das man sich an seinem Gegensatze zum Luthertum, besonders hinsichtlich der Lehre von der Natur des rechtfertigenden Glaubens, gut klar machen kann. Luther 19 ) und zumal die spätere lutherische Frömmigkeit sahen ihr höchstes religiöses Erlebnis in der »unio mystica« mit Gott, jener Vereinigung der menschlichen Seele mit der Gottheit, wie sie schon bei den Mystikern des Mittelalters eine so große Rolle spielte20). Für Calvin und seine Epigonen war eine solche Art des Gotterlebens unmöglich. Die Gottheit, wie sie sie sich vorstellten, war ja von der Kreatur durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt: »finitum non est capax infiniti«. Eine derartige Religiosität wäre ihnen als trügerische Stimmungs- und Gefühlsreligiosität erschienen, die mit ihrem strengen Rationalismus völlig unvereinbar war. Indessen, wenn der Calvinist auch auf ein Einswerden mit Gott verzichten mußte, eine gewisse Gemeinschaft mit Gott konnte er bei aller Transzendenz dieser Gottheit doch nicht entbehren. Nur stellte sich diese Gemeinschaft ihm so dar, daß Gott in seinen Begnadeten wirkt und diese (echt rationell!) sich dessen bewußt werden21), »daß also ihr Handeln aus dem durch Gottes Gnade bewirkten Glauben entspringt und dieser Glaube sich durch die Qualität jenes Handelns als von Gott gewirkt legitimiert«. »Sola fide« wollte auch der Calvinist selig werden, aber die Gewißheit des Glaubens, die »certitudo salutis« konnten ihm subjektive, bei aller Erhabenheit doch unkontrollierbare Gefühle einer »unio mystica« mit Gott nicht verschaffen, vielmehr mußte sich der Glaube in objektiven Wirkungen bewähren, sich als eine »fides efficax« ausweisen. Die fides wies sich aber als efficax, als ein rechter Glaube aus, falls man ein Leben führte, das durchweg zu Gottes Ruhm diente, d. h. ein durchweg methodisch unter diesen Gesichtspunkt gestelltes Berufsleben einhielt. Freilich, an sich waren gute Werke recht ungeeignet zur Erlangung der Seligkeit, aber dennoch waren sie unentbehrlich als Zeichen der Erwählung. Praktisch hieß das: Hilf dir selber, so hilft dir Gott. Der Calvinist schafft also selber seine Seligkeit oder, korrekter ausgedrückt: die Gewißheit seiner Selig-

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Kritisches Vorwort.

keit; nur ist dieses Schaffen ein streng methodisches, unter steter systematischer Selbstkontrolle stehendes, wie das ja auch in dem eben erwähnten Charakter der Gemeinschaft mit Gott liegt: Gott wirkt, der Gläubige wird sich dessen bewußt*2). Darin liegt ein stetes Hinhorchen auf sich selbst, ein stetiges banges Fragen, das zwar dann gleich unterdrückt wird resp. sich in streng geregelte Berufsarbeit umsetzt, aber dennoch als ein stetes Memento dem Calvinisten zur Seite steht, ja wie ein Damoklesschwert über ihm schwebt. In obigem glauben wir den Gedankengang W e b e r s im ganzen richtig wiedergegeben zu haben, wiewohl wir uns nicht enthalten konnten, schon hier und da ein paar Gedanken einzufügen. Und das aus dem Grunde, weil sich uns das Problem nach einer gewissen Richtung hin doch anders darstellt. Im folgenden möchten wir das näher begründen, zumal die hier bestehende Diskrepanz der Anlaß zu weiteren Untersuchungen unsererseits geworden ist. Es ist gewiß, daß in der ganzen Art der dogmatischen oder religiösen Problemstellung des Calvinismus ein sehr aktives, selbstgewisses Moment liegt, insofern nämlich den Calvinisten empfohlen wird, sich für erwählt zu halten, sich die Beweise der Erwählung selbst zu schaffen. Eben infolge der Transzendenz Gottes, des daraus resultierenden28) furchtbaren Entweder-Oder, des: hie Gnadenstand — hie Verwerfung, dessen quälende Frage ihm keine objektive Autorität beantwortet, sieht sich der Mensch resolut auf sich selbst zurückgeworfen, wird er gezwungen, in sich selbst die Antwort und Heilung zu suchen. Dieses Zurückgeworfenwerden des Menschen auf sich selbst, auf das eigene Innere, konnte ein gewaltiger Hebel zur religiösen Verinnerlichung und damit auch zur festen Konsolidierung des eigenen Ich werden, aber unter den speziellen Umständen, wie hier im Calvinismus die religiöse Problemstellung nun einmal sich gestaltet hatte, konnte eine solche Verinnerlichung, wenn sie auch nicht ausgeschlossen war, doch zum mindesten keine nachhaltige werden. Denn, was war dem Calvinisten der Glaube an einen völlig transzendenten Gott, der dem alttestamentlichen Gott des Zorns und der Rache nur zu ähnlich sah und demgemäß ein völlig willkürlicher Despot schien, ein Gott, vor dem man nur zittern, demgegenüber man in sklavischer Furcht nur das Problem der Er-

•Geist« der calvinistisehen Berufsethik.

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wählung aufwerfen konnte? Dieser Glaube, der in dem nicht geoffenbarten Gott vor allem den Willensgott, den willkürlichen Despoten sah, anderseits aber einen in der Schrift sich offenbarenden Gott annahm 24 ); der dem absoluten göttlichen Willensmoment einen ebenso absoluten Rationalismus in bezug auf die irdischen Dinge gegenüberstellte, d. h. Gott dem Maßstabe menschlicher Logik und Vernunft weit entrückte, aber annahm, daß eben dieser Gott »die Vernunft zum Zwecke irdischer Arbeit und zur Verherrlichung Gottes« gegeben habe 25 ). Ein Glaube, der, wohl gerade im Gegensatz zu diesem erschreckenden Willensmoment im Wesen Gottes, sonst völlig rationell sich gestalten mußte, der nirgendwo dem Gefühle Raum ließ, der das Mysterium nach Kräften zu rationalisieren strebte und die Bernde, die das Menschenherz mit Gott verbinden, streng logisch zu deuten und zu katechisieren sich angelegen sein ließ. Ein Luther und ein auf ihm letzten Endes fußender Schleiermacher konnten im »Gefühl«28) des Einsseins und Einswerdens mit Gott das eigene subjektive Ich in einem Größeren, Absoluten, eben in Gott, aufgehen lassen und dadurch ihr Ich in diesem höheren, objektiven Sein erweitern und erheben. Solch höchstes Erleben blieb dem Calvinisten aber versagt, ja, er hätte es, gleich dem modernen Rationalisten, seinem Erben, für trügerische Stimmungsreligiosität gehalten und als subjektiv unmaßgeblich verworfen. Der Calvinist stand mit seinem alleweil rationell gestimmten Glauben allezeit wie vor einer unübersteiglichen Mauer. Wäre er konsequent gewesen, er hätte sich den Kopf daran einrennen müssen, zum Glück aber blieb er es nicht, er fand ein Loch, durch das er hindurchschlüpfen konnte. Die Berufsarbeit bot sich ihm als das willkommene Ventil, als ein Ausweg, als eine Ablenkung aus diesen Nöten. Will man diese ganze seltsame Situation kurz charakterisieren, so kann man etwa sagen: Diese in Werken sich äußernde Glaubensgnade und ebenso dieses Beweisen des Glaubens mittels trefflicher sozialer Leistungen war ein Fort von Gott und ebenso ein Fort von sich selbst. Denn, wie wir schon oben bemerkt, war eine Gemeinschaft mit Gott im Glauben für den Calvinisten eigentlich unmöglich. Diese seltsame Vorstellung einer Gemeinschaft, die

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darin bestehen soll, daß Gott im Gläubigem wirke, er aber sich dessen bewußt werde, könnte man sich bestenfalls so deuten, daß der Calvinist gleichsam verstohlen annimmt, er sei erwählt; tatsächlich ist sie aber ein recht fadenscheiniges Raisonnement seiner Dogmatiker, eine post factum ausgeklügelte, saft- und kraftlose Abstraktion, die einem von Gewissensskrupeln geplagten Menschen schwerlich hätte helfen können. Nein, der Calvinist, der unter dem furchtbaren Drucke des Prädestinationsgedankens beständig stand, der ganz unfähig war, den Glauben für das eigene Ich fruchtbar zu machen, das Rationelle seines Glaubens in sich zu verarbeiten, er warf sich auf ein rastloses bürgerliches Berufsleben, weniger wohl, um darin Zeichen der Erwählung und des rechtfertigenden Glaubens zu finden, als weil er auf die Dauer den furchtbaren Druck des Gnadenwahldogmas nicht ertragen konnte. Anstatt erst mit seinem Innern ins reine zu kommen, dort im Glauben fest zu werden, nahm er, weil dieses eben bei einem so beschaffenen Glauben unmöglich war, die Richtung auf die Außenwelt. Daß er dieses Berufsleben dann äußerst methodisch gestaltete, war ebenso durch diese Art Glauben geboten, der eigentlich gar kein Glaube mehr war. Denn dadurch betäubte man am besten alle Gewissensskrupel. In der Rastlosigkeit des Schaffens wurde man der drückenden Gedanken ledig, und so sich dieselben wieder regten, war weiteres Arbeiten ein immer wieder sich bietender Ausweg. Hinterher ward man vielleicht des Geschaffenen froh und verklärte dieses rastlose Arbeiten durch den Gedanken eines zur größeren Ehre Gottes getanen Werkes, wo in Wirklichkeit das Ganze ein Fliehen vor Gott und dem eigenen Inneren war 47 ). Anderseits liegt auch in dieser Bewertung der getanen Arbeit als einer zur größeren Ehre Gottes getanen, das stillschweigende oder verstohlene Eingeständnis, wie wenig man diese Arbeit als Ausfluß des eigensten innersten Lebensgefühls bewerten konnte. Man klebte daher das Etikett darüber »zur Ehre Gottes«, wo man doch eigentlich von diesem Gott gar nichts wußte 28 ). Denn rein logisch betrachtet, war dieses mit so großer Folgerichtigkeit und Methodik durchgeführte Durchdringen der Außenwelt unter dem Gesichtspunkt eines Wirkens zur größeren Ehre Gottes ein Unding. Es ist in der Tat schwer zu verstehen, wie diese Berufsarbeit

»Geist« der calvinistischen Berufsethik.

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in der Welt Gottes Ruhm dienen kann, wenn das eigene Innere, das eigene Ich diesem Gott völlig fremd gegenübersteht. Kann dieses zu keiner Vereinigung, sondern nur zu einer höchst problematischen Gemeinschaft mit Gott gelangen, wie können dann nach außen hin gewirkte Werke einen Zusammenhang mit diesem Gott haben, ja zu dessen Ehre dienen ? Der Gott, vor dem ein Menschenherz so wenig Wert hat, wie sollte der Menschenwerken irgendeinen Wert beimessen? In Summa: wer diese Wendung des Calvinismus auf das Berufsleben, diese »Einschaltung des Bewährungsgedankens« richtig verstehen will, muß den post factum erst konstruierten Gedankengang calvinistischer Dogmatiker notgedrungen verlassen und statt dessen das Ganze von einem weiteren psychologischen Standpunkt aus zu erfassen suchen. Die Forderung rastloser Berufsarbeit zu Gottes Ehre ist eben, wie schon erwähnt, ein Ausweg, eine Ablenkung aus schweren Gewissensnöten gewesen, ein Ventil für den unter unerträglichem Drucke stehenden calvinistischen Gläubigen, an sich ein völlig irrationales, durchaus nicht in der Konsequenz des calvinistischen Gottesbegriffs und des aus ihm entspringenden Prädestinationsdogmas liegendes Moment. Hier liegt unseres Erachtens ein schwacher Punkt der W e b e r sehen Beweisführung. Weber folgt wohl den calvinistischen Dogmatikern, die aber naturgemäß mit ihrer Weisheit hinterher krebsen und das eigentliche irrationale Moment des ganzen Gedankens einer Bewährung des Glaubens in solcher Berufsarbeit geflissentlich zudecken29). W e b e r will des ferneren die positive Seite dieser innerweltlichen Askese mit ihrem Gedanken einer Bewährung im bürgerlichen Alltagsleben hervorheben30), will die Züchtung jenes stahlharten Typus des puritanischen Kaufmanns im heroischen Zeitalter des Kapitalismus erklären81). Ob ihm das ganz gelungen ist, will uns zweifelhaft erscheinen; unseres Erachtens steckt hier ein Moment, das er nicht genügend erklärt hat. Zwar weist er an mehr als einer Stelle darauf hin, wie, logisch genommen, der Calvinismus zum Fatalismus hätte führen müssen, die psychologische Wirkung aber, infolge der Einschaltung des Bewährungsgedankens, die gerade umgekehrte gewesen wäre32). Indessen, dies psychologische, an sich eben völlig unrationelle Moment hätte

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Kritisches Vorwort.

erklärt werden müssen. Denn erst, wenn dieser entscheidende Punkt eine Erklärung gefunden hat, enthüllt sich einem die ganze Tragweite des Problems. Die Aufgabe einer solchen Erklärung soll jedoch erst am Ende der Arbeit unternommen werden; hier möge es genügen, das Problem in seiner Breite erst einmal aufgerollt, dasselbe formuliert zu haben. Alsdann wird auch der große Einfluß aufzuzeigen sein, den die calvinistische Ethik auf die moderne Moral, wie überhaupt auf die moderne Weltanschauung ausgeübt hat. Daß dieser Einfluß ein in mancher Hinsicht recht unheilvoller gewesen ist, das hat W e b e r am Schlüsse seiner Arbeit selbst schon dargetan. Das Unheilvolle dieses Einflusses aber trat zumal dann so recht hervor, als der religiöse Faktor, dessen Emanation die calvinistische Ethik doch eigentlich war, sich von dieser Ethik abgelöst hatte. Dieser Fall mußte aber nur zu bald eintreten, da die Verbindung zwischen Religion und Ethos im Calvinismus von vornherein eine recht lose war und schon am Anfang das religiöse Bekenntnis weniger eine wirkliche Religion als vielmehr eine religiös gestimmte Ethik darstellte88). Heute ist nicht nur diese Ablösung längst eine vollendete Tatsache geworden, sondern selbst das Ethos aus all den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, in denen es einst so reichlich »investiert« war, fast völlig geschwunden34). Indem W e b e r (und neben ihm freilich auch S o m b a r t ) diese recht eigentlich aktuellen Probleme, an deren Lösung Sein oder Nichtsein unserer modernen Zivilisation hängt, in seinen Arbeiten angeschnitten hat, hat er unseres Erachtens wahrhaft eine Tat in Worten getan, also daß die vielfache Ablehnung, die seine Darlegungen erfahren haben, um so unverständlicher erscheint. In der vorliegenden kritischen Erörterung der von W e b e r behandelten Probleme hätten wir eigentlich den Hauptzweck dessen, was wir in diesem Abschnitte darlegen wollten, schon erfüllt. Indessen möchten wir, da wir schon einmal bei der Besprechung dieser Aufsätze sind, noch auf eine andere, von W e b e r ebendort behandelte Frage eingehen. Wie schon oben erwähnt, hat W e b e r der mittelalterlichen, spezifisch mönchischen Askese als Pendant die »innerweltliche Askese« gegenübergestellt. Zumal im zweiten

Mittelalterlich-mönchische Askese.

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Teil seiner Arbeit hat er dann die Parallele zwischen der inner^eltlichen Askese des Calvinisten und der Askese des Mönches etwas genauer noch ausgeführt und dabei hervorgehoben, wie der Mönch des Mittelalters in seinem methodisch geregelten, nach dem Glockenschlage genau eingeteilten t ä g l i c h e n Leben eigentlich eine Art Vorläufer des Calvinisten gewesen ist, der dann freilich die Askese in das innerweltliche, bürgerliche Berufsleben hinaustrug und dabei den Rahmen naturgemäß stark erweiterte35). So dankenswert diese Ausführungen auch sind, so werden sie doch in mancher Hinsicht dem Stoffe nicht völlig gerecht, was ja auch weiter nicht verwunderlich ist, da eine nähere Betrachtung der mönchischen Askese nicht in W e b e r s Absicht und Plan lag. Vor allem entlehnt W e b e r hierbei die Hauptbeispiele der Praxis des Jesuitenordens, der eben in seiner ganzen Art schon eine starke Anpassung an das bürgerliche Berufsleben darstellt und in der Hauptsache unter diesem Gesichtspunkt auch gegründet worden ist36). Die spezifisch mittelalterlich-mönchische Askese ist aber denn doch noch anders orientiert. Gerade einen der hervorragendsten Vertreter dieser mittelalterlich-mönchischen Askese, den hl. Bernhard von Clairvaux, hat W e b e r dann auch in einer Weise erwähnt37), die uns recht unzutreffend erschienen ist, und uns des weiteren dartat, wie die mönchische Askese des Mittelalters heutzutage meist unter ganz falschen Gesichtspunkten betrachtet wird. Allerdings hat sich W e b e r hier an R i t s c h 1 eingeschlossen, der in seiner »Geschichte des Pietismus«38) jene eigentümlich spielerische, süßliche, ja oft hysterisch-sinnliche Art der Kontemplation, wie sie sich z. B. bei einigen deutschen Mystikern des 14. und 15. Jahrhunderts, später auch bei den Pietisten und ferner im 17. und 18. Jahrhundert auch bei den katholischen Mystikern (speziell französischer Nationalität) findet, als »Bernhardinismus« abgestempelt hat. Unseres Erachtens sehr zu Unrecht, wie das später ausführlicher dargetan werden soll. Vielleicht hat R i t s c h 1 diese Auffassung weniger durch das Studium des hl. Bernhard als vielmehr durch seine Forschungen über den Pietismus erhalten. Indem er bei den Pietisten eine also geartete Mystik häufig mit Zitaten aus dem hl. Bernhard arbeiten sah, gingen ihm die beiden Faktoren eine Vereinigung ein, wurde seine

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Kritisches Vorwort.

Auffassung des hl. Bernhard rückwirkend durch die jener Pietistenkreise beeinflußt. Ob sie selbst für diese pietistischen Kreise immer zutrifft, scheint auch W e b e r 3 9 ) nicht so ganz ausgemacht, der mit Recht darlegt, daß Zitate aus Bernhard, Bonaventura und Thomas a Kempis bei pietistischen Autoren an sich wenig beweisen. Indessen übernimmt W e b e r ebenda das Schlagwort »Bernhardinismus« und weist darauf hin, wie bei den Pietisten überall da, wo sich diese hysterisch-sinnliche, eine durch sexuelle Anklänge vergröberte »unio mystica« erstrebende Stimmungsreligiosität breit macht, eine auffällige Vernachlässigung der weltlichen Berufsarbeit zugunsten einer also gearteten Kontemplation zu konstatieren ist. Demgegenüber sollte man billig in Erwägung ziehen, daß gerade der hl. Bernhard bei aller mystischen Tiefe seiner Kontemplation anderseits doch auch der Vertreter einer recht strengen Mönchsaskese gewesen ist, wie sie sich selbst den schon vorhandenen asketischen Strömungen des 12. Jahrhunderts als ein Novum gegenüberstellte 40 ). Auch diese unzutreffende Betrachtungsweise könnte es angezeigt erscheinen lassen, der Darstellung der mönchischen Askese, wie sie sich speziell im hl. Bernhard und bei den Zisterziensern darstellt, eine längere Abhandlung zu widmen. A m Beispiel des hl. Bernhard könnte dargetan werden, wie die damalige Religiosität der Askese einen ganz eigenen Charakter verliehen und eben dadurch einen erstaunlichen Einfluß auch auf das außerweltliche Leben ausgeübt hat, wobei sich alsdann ergeben würde, daß diese A r t Askese von der calvinistischen sich in mancher Hinsicht doch recht bedeutsam unterscheidet. Ein Eindringen in die Mystik des hl. Bernhard aber würde zeigen, wie Askese u n d Kontemplation, Wirken auf die Welt und mystische Geistesverfassung, kurz »vita activa« und »vita contemplativa« vereinbar sind resp. damals vereint waren. Insofern dann die Askese des Zisterzienserordens einen starken Anlauf auf die Durchdringung der Welt genommen hat, könnte man auch hier schon — mit aller gebotenen Vorsicht natürlich! — von »kapitalistischem Geiste« reden. Denn einmal leistet das tagtägliche, methodisch auf die Arbeit gerichtete Leben der Mönche •dem Anhäufen großer Reichtümer gleichsam von selbst Vorschub,

Mittelalterlich-mönchische Askese.

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und ferner findet man bei ihnen den unpersönlich asketischen Zug, der den calvinistischen Berufsmenschen auszeichnet, in ebenso starkem, wenn nicht noch stärkerem Maße. Wie jener sein ganzes Schaffen im weltlichen Berufe als ein zur alleinigen Ehre Gottes gewirktes betrachtet, also arbeitet auch der Mönch nicht zu seinem, sondern zur Mehrung von Gottes Ruhme, wiewohl in zumeist recht anderer Art und Weise als jener. Und gleichwie jener den also mühsam erworbenen Reichtum nicht zur Befriedigung seiner sinnlichen Gelüste verwendet, also lebt auch der Mönch eines gut disziplinierten Klosters, selbst wenn das Kloster zufällig heute zehn Millionen Mark geerbt haben sollte, darum nicht besser denn zuvor, wie denn auch z. B. die Zisterzienser in ihrer besten Zeit, trotz der in so kurzer Zeit erworbenen beträchtlichen Reichtümer, ein durchaus ärmliches Leben geführt haben. Das Moment, das der Aufhäufung großer Kapitalien den größten Vorschub geleistet hat und auch für die äußere Struktur des »kapitalistischen Geistes« (nicht die innere Struktur; die gilt es erst zu erklären) recht eigentlich charakteristisch erscheint, ist aber nicht das bloße Streben nach mehr Geld oder Gut, nach größtmöglichstem Gewinn, sondern die methodische, Tag für Tag gleich gerichtete, durchaus rationell gestaltete Art der Lebensund ergo Geschäftsführung. Der Chinese ist, wie man von allen Kennern Chinas hören kann, sehr hinter dem Gelde her, und wo er eine Gelegenheit wittert, nützt er sie aus. Aber am nächsten freien Tage verjubelt er den also mühsam und unter tausend Listen errafften Erwerb, wogegen der Calvinist Tag für Tag sein methodisches Leben innehält und schon dadurch allmählich zum Wohlstand kommen muß, abgesehen davon, daß wieder die Methodik seines Lebens ihn auch zu rein technischen Neuorganisationen befähigen muß, die wiederum dem Anhäufen weiterer Kapitalien dienlich sind. Und eben diese Methodik des Lebens ist in Europa im Mittelalter zuerst in den Klöstern ausgebildet worden, und zumal im Zisterzienserorden kann man schon einen Lebensstil wahrnehmen, der des öfteren auch schon als »puritanisch« bezeichnet worden ist, und der in der Tat mancherlei frappante Analogien zum calvinistischen Puritanismus zeigt. Fach«, Der Geist der bflrgerlicb-kapitalist. GeselUchtft.

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Kritisches Vorwort.

Indessen, auf diese Probleme wollen wir in einem späteren Abschnitt dieses Buches noch ausführlicher eingehen. Zunächst aber wollen wir uns selbst die Grundlagen zu schaffen suchen, auf die sich diese späteren Untersuchungen über die mittelalterlich mönchische Askese sowie über den calvinistisch-puritanischen Lebensstil dann aufbauen lassen. Denn nur durch ein solches Aufsuchen der Grundlagen und durch eine also umfassende Betrachtungsweise wird man zu einem Verständnis sowohl der besonderen Wesensart des modern-kapitalistischen Geistes als auch der Grundlagen der heutigen Zeit gelangen können. So gewagt dies Unternehmen auch erscheinen mag, so will es uns doch eine um so größere Notwendigkeit bedünken, als sich uns dieses Wagnis gleichsam von selbst als unumgänglich aufgedrängt hat. Der heutige Mensch ist, wie kaum je ein Mensch zuvor, in die Struktur seines Zeiterlebens »eingesponnen« und ist daher wie kaum je ein Mensch der Vergangenheit vom Dogmatismus bedroht. Daher die gerade für den heutigen Historiker so naheliegende und große Gefahr, die ganze Vergangenheit nach dem Maßstabe dieser eigenen Zeit zu bemessen, über deren eigentliche Grundstruktur wieder — und das ist die Ironie! — der weitaus größte Teil der heutigen Menschen völlig im unklaren ist41). Wer unter diesem Dilemma selbst gelitten hat, wird ein unabweisliches Verlangen nach einer Revision seiner Anschauungen spüren und demselben unter allen Umständen Folge zu geben sich veranlaßt fühlen. Das tiefsinnige Wort Jesu: »Denket um!«, es gilt für uns heutige Menschen fast noch mehr wie für die der Vergangenheit. In diesem Sinne sind die folgenden Abschnitte dieses Buches aufzufassen, zu denen obige kritische Erörterung sozusagen das Vorwort darstellt.

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Die Persönlichkeit Jesu. Gin Versuch zur Grklärung des Gegensatzes antiker und christlicher Geistesart. >11 est bien ridicule de se scandaliser de la bassesse de JésusChrist, comme si cette bassesse était du même ordre duquel est la grandeur qu'il venait faire paraître. Qu'on considère cette grandeurlà dans sa vie, dans sa passion, dans son obscurité, dans sa mort, dans l'élection des siens, dans leur abandon, dans sa secrète résurrection, et dans le reste; on la verra si grande, qu'on n'aura pas sujet de se scandaliser d'une bassesse qui n'y est pas. Mais il y en a qui ne peuvent admirer que les grandeurs charnelles, comme s'il n'y en avait pas de spirituelles; et d'autres qui n'admirent que les spirituelles, comme s'il n'y en avait pas d'infinement plus hautes dans la Sagesse . . . . De tous les corps ensemble, on ne saurait en faire réussir une petite pensée: cela est impossible, et d'un autre ordre. De tous les corps et esprits, on n'en saurait tirer un mouvement de vraie charité: cela est impossible, et d'un autre ordre, surnaturel.« ( P a s c a l , Pensées XIX, i.)

» . . . Jene Jugendzeit ist vorbei, und wir sind Männer geworden. Christliche Titanen haben längst den heidnischen Himmel erstürmt und die Götter desselben in den Tartarus gestürzt. Über uns hat sich ein unendlicher Gotteshimmel und unter uns eine unergründliche Tiefe der Menschheit aufgetan. Passen dafür noch die kleinlichen Formen und Schönheitsspielereien der alten Griechen ? « . . . ( J e a n P a u l zu Wieland.)

I m folgenden soll der prinzipiellen F r a g e nachgegangen werden, inwiefern das Bekenntnis zur christlichen Lehre sich mit einem aktiven Leben in der W e l t verbinden läßt, ja, ob dies letztere von dem ersteren in der Richtung einer weltbejahenden, positiven Durchdringung der Welt entscheidende Impulse erhält oder er2*

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Die Persönlichkeit Jesu.

halten kann. Die Beantwortung dieser Frage muß naturgemäß zunächst bei Jesus und seiner Lehre selbst gesucht werden. Auf Grund der Evangelien, zumal der eigenen Worte Jesu, soll daher versucht werden, ein Bild von Jesu Persönlichkeit zu gewinnen, dieselbe in ihrer psychologischen Totalität zu erfassen. Dies Unterfangen mag recht gewagt erscheinen; trotzdem sei es in aller Bescheidenheit und unbeschadet aller dogmatischen Positionen unternommen, zumal wir erst dadurch die Grundlage zu den eigentlichen, in dieser Arbeit zu behandelnden Problemen zu gewinnen hoffen dürfen. Als das eigentliche Zentrum von Jesu religiösem Erleben stellt sich dar: das innige Bewußtsein seiner Einheit mit Gott, dem Vater. Gott, mein Vater, ich, ein Kind Gottes, dieses in tiefster Seele geborene religiöse Erleben ist das grundlegende und dabei eigentlich im Grunde so ureinfache neue Moment, das er beibringt. Und doch war dies für die damalige Welt eben ein völliges Novum, ja etwas schlechthin Unerhörtes, kurz eine Offenbarung. Man kann sich das Unerhörte dieser neuen religiösen Attitüde so recht auch erst an seinem Gegensatze klar machen, nämlich der griechischen und der jüdischen Religiosität in ihren besten Vertretern. Aristoteles z. B., wo er sich dem ersten Beweger, der reinsten Form, d. h. eben dem, was er unter Gottheit letzthin versteht, nähert, hat zwar ebenda in den Tönen eines begeisterten Sehers gesprochen. Die sonst so trockene, in der Zerlegung und Deutung abstrakter Begriffe zwar sehr geschmeidige, an sich aber akademisch kühle Sprachweise erhebt sich hier zu fast hymnischem Schwünge, wo er Gott zu schauen glaubt und in der »Theoria«, im Gottschauen schwelgt42). Aber dieser erste Beweger, diese reinste Form, dieser sich selbst denkende und in sich selige Nous ist, wie das ja schon die Epitheta besagen, sich selbst genug. Ihm fehlt nichts zu seiner Glückseligkeit. »Da es das Vorzüglichste ist, muß dies Wesen sich selbst denken, und sein Denken ist ein Denken seines Denkens«48). Dieser erste Beweger »bewegt« zwar die Welt, ist selbst aber unbewegt. Und er »bewegt« die Welt nur insofern, als er das Begehrte, ja das Geliebte ist 44 ), und gleichwie das Geliebte das Liebende anzieht46). Dies Leben erscheint dem Denker »als

Die »Theoria« des Griechen.

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ein so herrliches, wie es uns nur kurze Zeit zuteil wird; aber dies Wesen befindet sich immer so«49). Aristoteles hat hier eben seinen Gottesbegriff konzipiert, indem er das Ideal des griechischen, ja des antiken Menschen, das Ideal des im intellektuellen Anschauen der »reinen Vernunft« seine Seligkeit findenden Weisen ins Absolute, Göttliche gesteigert hat. Dem Verhältnis der Gottheit zur Welt und zur Menschheit aber liegt die spezifisch antike Liebesidee zugrunde, wonach die Liebe ein Begehren, ein Streben ist, und zwar, wie das für den antiken Menschen ja gar nicht anders sein kann, ein Streben des Niederen zum Höheren, des Unvollkommenen zum Vollkommenen, des Ungeformten zum Geformten, des Häßlichen zum Schönen. Will man sich diesen eigenartigen, uns modernen Menschen heute fast völlig fremd gewordenen antiken Liebesbegriff verständlich machen47), so muß man sich vergegenwärtigen, daß eben die christliche Vorstellung einer aus Liebe zur Menschheit allbarmherzig zu ihr sich herabneigenden Gottheit für den antiken Menschen schlechthin unfaßlich war und es noch lange geblieben ist. Der antik gesinnte Mensch kann sich die Gottheit nur in Schönheit und Herrlichkeit vorstellen, »die Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist«, ist ihm noch nicht aufgegangen. Er konnte nicht wie der hl. Franz von Assisi im Bettler, ja im Aussätzigen Christus erblicken, für ihn konnte sich der Gott höchstens als Bettler verkleiden, um in dieser travestierten Gestalt die Menschen vorübergehend einmal zu betrachten. Es ist für das lange Nachwirken antiken Geistes auch im Christentum höchst bezeichnend, daß die mit der griechischen Bildung noch in enger Verbindung stehenden orientalischen Kirchenväter und Autoren in Christus vor allem den Gott-Logos, den mit Gottvater wesenseinen Sohn Gottes betonen, der als Gott die Menschheit in die Einheit seines Wesens aufgenommen hat, da er nur so Erlöser sein kann. (Das finitum geht auf im infinitum.) Dagegen sah das von der antiken Tradition weniger stark durchdrungene Abendland in Christus vielmehr den Gottmenschen als Versöhner und Mittler zwischen Gott und der Menschheit, der die Sühne als Mensch leistet, weil die Menschheit gesündigt. Dieses Festhalten an der antiken Gesinnung liegt letzten Endes den Ausführungen des hl. Cyrill von Alexandrien in seinem großen

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Die Persönlichkeit Jesu.

christologischen Streite gegen Nestorius zugrunde, wenn er den Christus-Logos die unpersönliche Menschennatur wie ein Kleid annehmen läßt, da er nur so Erlöser sein könne48). Und wie stark mußte diese Gesinnung — wenn auch natürlich bei der großen Masse mehr instinktmäßig — im Orient vertreten sein, wenn das von Cyrill äußerst gewaltsam durchgesetzte Konzil zu Ephesus49) dennoch später als das völlig rechtmäßige III. ökumenische Konzil angesehen werden konnte. Als das Abendland dann die Menschheit Christi in der Zweinaturenlehre stärker betonte (ja, damit den historischen Christus recht eigentlich rettete) und der römische Bischof auf dem Konzil von Chalcedon (451) diese Formel dem Orient diktieren konnte, da erhob sich im Orient eine allgemeine Unzufriedenheit50), die erst ein Jahrhundert später durch die Lehre des Leontios von der Enhypostasie auf dem V. Konzil von Konstantinopel (553), und auch da nur teilweise, beschwichtigt werden konnte 51 ). Das Abendland hat, wie gesagt, von jeher die Menschheit Christi weit schärfer betont. Augustin besonders hat schon das Bild des leidenden und im Leiden, in der Niedrigkeit so glorreichen Christus gezeichnet52). In der auf ihn folgenden Zeit freilich hat dann der Geist des orientalischen Kirchentums das damals ja auch noch recht kulturarme Abendland stärker durchdrungen53), bis dann im hl. Bernhard von Clairvaux und endlich im hl. Franz von Assisi der Mensch Jesus Christus im Abendlande gleichsam eine Art Auferstehung feierte54). Dem im Jahre 1054 endgültig eingetretenen Schisma zwischen der orientalischen und abendländischen Kirche lag als vornehmster, dogmatischer Streitpunkt das schon seit langem heiß umstrittene »Filioquei zugrunde, die Frage eben, ob der hl. Geist vom Vater u n d vom Sohne, oder allein vom Vater ausgegangen sei. Bei allen Unionsverhandlungen erwies dieser sich als der schwierigst zu überwindende Punkt und noch heute ist er unter den die beiden Kirchen trennenden Momenten der am schwersten ins Gewicht fallende Faktor. Gewiß nicht mit Unrecht. Denn hinter der anscheinend doch nicht so bedeutungsvollen dogmatischen Frage stehen letzten Endes ganz anders gesinnte, religiöse und ethische Welten. Die griechisch-orthodoxe Kirche ist dem Piatonismus eben näher verwandt als die abendländische, in ihr lebt dementsprechend der

Die »Theoria« des Griechen.

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antike Geist, die antike Wertschätzung, die antike Hierarchie der göttlichen und menschlichen Werte weiter fort. Die Liebe ist für den antiken Menschen ein agonaler Begriff, ein Begehren, Verlangen, Streben, das von vornherein die Richtung nach einem Höheren, Besseren, Wertvolleren oder als wertvoller Geschätzten einnimmt. Die antike Liebesidee ist insofern mit dem typisch antiken Gottesbegriff eng verbunden, als sie wie der Gottesbegriff vorwiegend von intellektuellen und ästhetischen Gesichtspunkten aus konzipiert ist, welche beiden Momente für den Griechen natürlich die höchste Wertstufe einnehmen. Davon kann sich ein jeder überzeugen, der in Piatons »Gastmahl« die Schilderung vom Aufstieg des Liebenden, nach der Vollendung Strebenden, zum höchsten Gute, zur höchsten Vollendung, nachliest56). Eros ist da der Führer zum höchsten Gut. Und Eros ist ein Mittleres zwischen Gott und Mensch, der Sohn des Reichtums und der Armut, weder unsterblich noch sterblich, weder arm noch reich; bald stirbt er ab bald lebt er auf, und was ihm zufließt, geht ihm wieder unter den Händen weg, so wie es gekommen ist. Und auch zwischen der Torheit und der Weisheit steht Eros in der Mitte und insofern ist Eros auch ein Philosoph; »denn es gehört ja doch zu dem Schönsten die Weisheit, Eros aber ist eine Liebe zu dem Schönen, und also muß Eros auch die Weisheit lieben.« Schon hier spüren wir, wie stark das Intellektuelle vom ÄsthetischSchönen, und wie stark anderseits die Liebe vom intellektuellen Moment bestimmt wird; wie aber beide sich finden im Schönen. Wenn aber Weisheit und Liebe zu einem Absoluten, einem durch Schönheit wunderbar verklärten höchsten Gute hinstreben, so erreicht nur die Weisheit im Schauen des höchsten Gutes als in einem ihr Adaequaten ihr Ziel, ihre Vollendung, wogegen die Liebe nur als Führer dorthin dienen kann; denn »die Weisheit hat nichts als das Edelste und Schönste zum Gegenstande, die Liebe aber ist Liebe in Absicht auf das Schöne.« Wenn Piaton betreffs der Weisheit sagt: »Von den Göttern ist niemand das, was wir Philosophen nennen, und kein Gott hat den Wunsch, weise zu werden, denn die Götter s i n d ja weise,« so stellt er damit die Götter als in Weisheit Vollendete, die Menschen aber

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Die Persönlichkeit Jesu.

als nach solcher Vollendung Strebende hin. Aber hinsichtlich der Liebe spricht er weder von den Göttern als in Liebe Vollendeten, noch von den Menschen als nach einer Liebe Hinstrebenden, denn die Liebe ist ja beim Menschen eben ein Streben und, »wären wir Götter, so würden wir nicht lieben.« Wie sehr für Piaton die Liebe ein Agon, ein Streben, nicht aber ein Vollendetes ist, noch sein kann, das zeigt sich dann besonders an jener Stelle, wo er dem Sokrates durch Diotima die Offenbarung gleichsam zuteil werden läßt, daß Eros nicht, wie er fälschlich geglaubt, »alles Geliebte« ist oder »der geliebt wird«, sondern »der, welcher liebt«. Denn zuvor glaubte Sokrates das Gegenteil und hielt dafür, »Eros sei alles Geliebte und nicht der, welcher liebt. . . Und darum schien ihm auch Eros von so vollkommener Schönheit zu sein; d e n n , w a s w i r l i e b e n , das ist ja natürlich i m m e r schön und z a r t und v o l l e n d e t u n d selig.« Hier sehen wir, wie das »Geliebte« eben nur das höchste Gut sein kann, das in sich selig und vollendet, selbst jenseits aller Liebe steht 86 ). Der Liebende aber hat im Eros sein Abbild als dem Streben, ja dem Führer nach einem solchen Höchsten, in sich Vollendeten. Dies höchste Gut ist auch die höchste Weisheit, aber niemals kann dasselbe für einen antiken Menschen die höchste Liebe oder schlechthin die Liebe an sich sein, denn die Liebe ist eben ein Streben, ist ein Lieben in Absicht auf das Schöne oder Beste, und deshalb gibt es für den antiken Menschen wohl verschiedene Stufen der Liebe, niemals aber eine vollendete Liebe. Das höchste Gut ist bei Piaton mehr vom ästhetischen als vom intellektuellen Gesichtspunkt aus konzipiert, als wie bei Aristoteles, aber dennoch ist die Vernunft, der Intellekt, das schlechthin Maßgebliche an und in ihm, denn »es gehört ja doch zu dem Schönsten die Weisheit«. Und insofern ist ohne weiteres klar, daß ein solches Schauen des höchsten Gutes, d. h. eben der an sich höchsten Idee des »Guten«, nur von jenem der Ideenwelt verwandten Teile der menschlichen Seele, dem Vernünftigen (vovg oder XoytoTtxöv) geschehen kann. Der scharfe Dualismus, der bei Piaton durch die ganze Welt hindurchgeht und das Reich der Idee vom Reich der Erscheinungen trennt, zerteilt auch die mensch-

Die »Theoria« des Griechen.

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liehe Seele in eine dem Reiche der Idee zugewandte vernünftige und eine dem Reiche der Erscheinungen verfallene begierliche Seelenhälfte. Die Liebe als Führer, als Streben, ja Begehren nach dem höchsten Gut, der verabsolutierten Vernunft, gehört folglich zum niederen, der Erscheinungswelt verwandten Teile der menschlichen Seele, ja kann selbst bei Piaton, der doch im »Gastmahl« mehrere Stufen der Liebe kennt, nur insofern als ein Höheres gelten, als sie sich von der niedersten, der Vernunft widerstrebenden Seelensphäre der Begierde {ini&vfiiu) zur höheren Sphäre der der Vernunft zuneigenden affektvollen Willenskraft (&vftog) geläutert hat. Gleichwie Eros der Führer zum höchsten Gut ist und sich beim Aufsteigen zu demselben auf immer neue, höhere Stufen emporschwingt, um aber schließlich vor der Pforte zum höchsten Gut zurückzubleiben, gleichwie Eros also, abstrakter gesprochen, die Sehnsucht des in die Erscheinungswelt, die Materie gebannten Vernünftigen nach der Idee als seiner Heimat darstellt, so kann in der menschlichen Seele die Liebe durch die Hinneigung zum Vernünftigen aus der bloßen Begierde zu einem affektvollen Streben werden, das aber darum doch in den der Erscheinungswelt zugehörigen Seelenteil gebannt ist und an der höchsten Sphäre der Seele, dem reinen Vernünftigen, keinen Teil hat. Wir können darum kurz resümierend sagen: die Liebe steht für den antiken Menschen weit unter der Vernunft, ja empfängt von ihr sowohl ihr Maß als auch ihr Ziel. Das höchste Wesen, das höchste Gut, das Geliebte, Göttliche, das in sich in ewiger seliger Vollendung ruht, ja ein Denken seines Denkens ist, kann daher für ihn nur die höchste Verabsolutierung der in Schönheit verklärten Vernunft sein, daher auch die meisten griechischen Denker die Gottheit als vov$ bezeichnet haben. Dieser antike Gottesbegriff und die an ihm orientierte Liebesidee sind von einer wundervoll erhabenen Schönheit, aber auch von einer marmornen Kälte, einer starren Geistigkeit, die eben vom Willen nichts weiß und nichts wissen will, ja ihn in die sinnliche, triebhafte Seelensphäre verweist 57 ). Bei dieser also festgelegten Werthierarchie, in der die Vernunft das Maß aller Dinge und auch der Liebe ist, ist wohl ein Aufsteigen zum Höheren denkbar, aber kein Sichhinabneigen zum

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Tieferen. Die Liebe kann allmählich zu einem Höheren emporführen, aber da sie sich stets an einem höheren Werte orientiert, so ist das umgekehrte Verhältnis, daß die Liebe zu einem Niederen herabsteigt, ganz unmöglich. Unmöglich, weil dem die Vernunft widerspricht, unmöglich weil der Vernunft gemäß doch nur ein Besseres liebens w e r t sein kann, die Tafel der Werte aber für den antiken Menschen eben die durch Schönheit u n d Vernunft normierte ist. Wie für den antiken Menschen das Universum ein allmählich von unten nach oben aufsteigender und sich verschönender Kosmos ist, in dem die Reihe der Formen sich zur höchsten, reinsten Form dergestalt erhebt, daß jedes einzelne im Hinblick auf ein Höheres als Materie, im Hinblick auf ein Niederes aber als ein Geformtes sich darstellt, so kann auch das Lieben sich nur auf das jeweilig Höhere, Geformtere, Schönere beziehen, niemals aber auf das Niedere, da anders es überhaupt kein Lieben mehr wäre. Wie der antike Mensch so fast beständig fürchtet, seine Liebe an etwas Unedles, Tieferstehendes zu vergeuden, so wohnt auch dieser ganzen Liebeskonzeption die Vorstellung von einem Maßhalten in der Liebe inne58). Und zwar ist dieses Maßhalten nicht jener, auch von den christlichen Kirchenvätern so oft betonte »ordo amoris« im Sinne einer vor allem auf Gott gerichteten, weil von Gott als dem Urquell aller Liebe herströmenden Liebe, sondern ein Maßhalten in dem Sinne, als ob die Liebe gleichsam etwas Begrenztes, Beschränktes sei, mit der man sparsam umgehen59) müsse und die man dem jeweiligen Objekt nur gemäß einem von vornherein normierten Wertmaßstab zukommen lassen dürfe, der seinerseits wiederum durch die Vernunft bestimmt ist. Der antike Mensch empfand dabei nicht so unrichtig; denn wenn die Liebe bloß ein Begehren, Streben oder Ersehnen dessen ist, was man zu besitzen wünscht, so ist sie mit dem Besitz auch verwirklicht, hat sich in dem Genuß des Begehrten verzehrt (die fleischliche Liebe ist hierfür vielleicht der gröbste Beleg). Die Liebe ist für den antiken Menschen eben ein lediglich assoziativ entstandenes seelisches Gebilde, bei welchem assoziationspsychologischen Vorgang das Ich nur den Rahmen, den Raum darstellt, durch den sich der Strom seelischen Geschehens gleichsam ergießt. Gewisse, flüchtig sinnliche Regungen assoziieren sich eben zu einer

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Liebesvorstellung, die aber, weil nur vorübergehender Natur, sich ebenso rasch wieder auflöst wie sie entstanden, ohne eine irgendwie beträchtliche Wirkung in dem betreffenden Individuum zu hinterlassen, von einer tieferen Wirkung auf die Umwelt ganz zu schweigen. Demgegenüber ist die wahrhafte Liebe eben kein lediglich assoziativ entstandenes Gebilde, sondern ein Strukturzusammenhang, bei dem das Ich nicht bloßer Rahmen, sondern Kern und Zentrum alles seelischen Geschehens ist, etwas, wobei sich das Ich in seiner Totalität einsetzt, etwas, was den ganzen Menschen ergreift und umformt. Das ist kein flüchtig zusammengeballter Haufen von allerhand emotionalen Empfindungen oder Affekten, vielmehr ein das Ich als Ganzes ergreifender und vom Ich selbst wieder mit durchdrungener seelischer Prozeß. Während die lediglich assoziativ entstandene Liebesregung, mag sie auch momentan recht heftig auftreten, nach ihrer Befriedigung sich bald wieder auflöst und ohne tiefere Einwirkung auf das betreffende Ich oder gar die Umwelt vorübergeht, stellt sich die strukturpsychologisch formierte Liebe nicht nur als eine Bereicherung des eigenen Ich, sondern auch als eine aus der eigenen Fülle siegreich auf die Umwelt übergreifende, in der Aktion stetig wachsende Seelenkraft dar 60 ). Zur griechisch-antiken Vorstellung des höchsten Gutes, wie sie eben kurz skizziert wurde, bietet die jüdische Gottesauffassung, der sog. alttestamentliche Gott, einen markanten Gegensatz. Schon in der frühesten Zeit erscheint hier dem religiösen Erleben das Willensmoment als das recht eigentlich die Auffassung Gottes, seine Wesenheit bestimmende Moment, um dann in der späteren Zeit nur noch stärker und gewaltiger herausgearbeitet zu werden; also daß man wohl sagen kann, daß der jüdische Gottesbegriff, trotz all der Wandlungen, die er naturgemäß im Laufe der geistigen und geschichtlichen Entwicklung des Volkes erfahren hat, dennoch als ein einheitlicher, weil eben vor allem durch den Willen bestimmter vor uns steht. Um dies des näheren zu erweisen, müssen wir im folgenden ein wenig näher auf die geistige wie politische Geschichte des Volkes61) eingehen; und das auch aus dem Grunde, weil das hier behandelte Problem auch für die anderen

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Teile dieser Arbeit einige wichtige Ergebnisse zeitigen und insofern auch auf die dortselbst erörterten Fragen einiges Licht werfen wird. In der frühesten Zeit, als das Volk noch mehr oder weniger nomadenhaft62) in der Wüste umherzieht, erscheint ihm Jahve als ein Feuergott, dessen Wesen nur in der Nacht in Erscheinung tritt und so doppelt furchtbar wirkt68). Diese Vorstellung scheint sich noch lange erhalten zu haben, selbst als das Volk schon seßhaft geworden und zum Ackerbau übergegangen ist 64 ). Mit ihr wechselt dann jene Auffassung Jahves als eines Gewittergottes ab, der in den Wolken einherzieht und die Erde erbeben macht 68 ). Schon in der Nomadenzeit ist wohl auch die Vorstellung Jahves als des Stammes- und Kriegsgottes66) der Israeliten erwachsen, des Herrn der Heerscharen, Jahve Zebaot, und ebenso scheint schon in jener frühesten Zeit die Bundeslade als Sinnbild des zwischen Jahve und dem Volke abgeschlossenen Bundes oder auch als Thronsitz67) des sein Volk in den Krieg begleitenden Jahve aufgekommen zu sein. Ob das Volk erst in der Zeit nach dem Auszug aus Ägypten sich dem Kulte Jahves zugewandt hat (vorher also ihn nicht gekannt und anderen Göttern gedient hat) und ob die Bundeslade vielleicht als das Zeugnis dieses in jener Zeit erst mit Jahve geschlossenen Bundes und als der Thronsitz dieses neuen kriegerischen Gottes anzusehen ist, ist nicht unsere Sache zu entscheiden68). Gewiß ist, daß das Volk im Zeichen Jahves siegreich vorgedrungen ist, das Ostjordanland unterworfen und Kanaan erobert hat. Und als das Volk dann im eroberten Lande seßhaft geworden und zum Ackerbau übergegangen ist, da bleibt Jahve auch in dieser neuen Epoche politischer und kultureller Entwicklung der Stammes- und Kriegsgott des Volkes, wird die früher in der Nomadenzeit ständig mitgeführte Bundeslade auch jetzt noch als siegspendendes Wahrzeichen Jahves in den Krieg mitgenommen, sind Israels Heere Jahves Heere, seine Kriege zur größeren Ehre Jahves unternommene Kriege68). In der für die Wohlfahrt und das Ansehen (der nun zu einem Reich vereinten Völker Israel und Juda) so glücklichen Zeit der Königsherrschaft tritt der Charakter Jahves als des eigentlichen nationalen Gottes und Kriegsgottes womöglich noch stärker hervor70). Er ist es, der seinem Volke Sieg und Macht verleiht, der aber auch

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eifersüchtig darüber wacht, daß keine anderen Götter ihm beigesellt werden. Diese beherrschende Stellung Jahves tritt nun in der Schaffung eines zentralen Kultsitzes zu Jerusalem durch König David auch nach außen bedeutsam zutage. Und indem David die Bundeslade, das alte, mit der Vorstellung Jahves als Stammes- und Kriegsgottes Israels so eng verbundene Heiligtum, im feierlichen Zuge nach der neu erwählten Hauptstadt überführt, stellt er die neue Dynastie und den neuen Herrschersitz unter den besonderen Schutz Jahves und verleiht so beiden den ihnen so nötigen Charakter der Legitimität71). Sein Sohn Salomo aber ist es dann, der den prächtigen Tempel zu Jerusalem erbaut und die Bundeslade daselbst im Allerheiligsten aufstellt72). In alledem zeigt sich ganz offenbar, wie sehr, trotz der so völlig veränderten äußeren Lebensbedingungen des Volkes, der alte Glaube, die alte Tradition der frühen Nomadenzeit lebendig geblieben sind, wie aber anderseits der alte, von den Vätern der Wüste erkorene Gott Jahve nun zum machtvollen Nationalgott eines mächtigen und blühenden Volkes geworden ist73). Als dann mit der längeren Seßhaftigkeit des Volkes die alten agrarisch-feudalen Zustände durch das immer stärkere Eindringen einer auf der GeldWirtschaft, dem Handel und der Arbeitsteilung basierenden höheren Kultur untergraben werden, das Volk im 9. Jahrhundert ungefähr in jene Übergangsepoche eintritt, wie sie für die griechische Welt dann im 7. Jahrhundert, für Rom im Zeitalter der Ständekämpfe anhebt, für die mittelalterlichabendländische Welt aber im 12. und 13. Jahrhundert anbricht, als dann eine neue soziale, auf Arbeitsteilung, Handel und Geldwirtschaft beruhende Ordnung sich anzubahnen beginnt und mit derselben all jenes soziale Elend sich einstellt, wie es solche Umwälzungen naturgemäß mit sich bringen, da erwächst parallel, ja gleichzeitig und in engster Verbindung mit der sozialen auch eine religiöse Krisis. Und das ist es eben, was diese im 9. Jahrhundert ca. in dem kleinen Palästina sich vollziehende Umwälzung recht eigentlich von den oben genannten, sonst ziemlich parallel verlaufenden Bewegungen, der griechischen und römischen, ja in gewisser Hinsicht auch von der mittelalterlich-abendländischen Krisis unterscheidet. Denn, während z. B. in der griechischen

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Welt der Erfolg der Bewegung in der Herausarbeitung des Staatsproblems, des »Dieu-État«74) bestand, also daß fortan der Staat das eigentliche Lebensproblem des griechischen Volkes wurde, ist hier geradezu eine neue Religion erwachsen und ferner der ernsthafte Versuch gemacht worden, das gesamte Leben des Volkes, das soziale wie innerpolitische, direkt auf der Religion aufzubauen. Daß hier in Palästina die Entwicklung so ganz anders verlaufen ist wie in Griechenland, das mag zum Teil auch darin seinen Grund haben, daß hier die sozialreligiöse Krise vor allem dadurch noch mehr kompliziert wurde, daß gleichzeitig auch nach außen hin das Volk in immer größere Bedrängnis geriet und bei seiner prekären Lage zwischen großen Nachbarreichen nur mit Mühe seine Existenz behaupten konnte. In dieser Sturm- und Drangepoche sind dann die Propheten als Verkünder nicht nur neuer religiöser Ideen, sondern ebensosehr als Reformer des sozialen und politischen Lebens auf den Plan getreten. Vor allem interessiert uns hier die von ihnen vollbrachte religiöse Neuschöpfung, die in einer gewaltigen Steigerung der altererbten, überkommenen Gottesvorstellung besteht. Wiewohl es unmöglich ist, diese religiöse Bewegung in ihrer ganzen Ausdehnung zu schildern, so darf doch vielleicht so viel hier gesagt werden, daß in einzelnen dieser Propheten in der Tat ein Gotterleben von einer Tiefe und Hoheit wirksam gewesen ist, welches für die Geistesgeschichte der Menschheit von geradezu ungeheurer Bedeutung war und — kann man sagen — noch ist 75 ). Während das furchtbare soziale und politische Elend das Volk an dem Gott der Väter bald verzweifeln, bald wieder seine Hilfe mittels blutiger Opfer erkaufen läßt, während anderseits unter dem Drucke desselben oft König wie Volk ihre Zuflucht zu den mächtigeren Göttern der Heiden nehmen und Jahve den Gehorsam aufsagen, halten die Propheten unerschütterlich an dem Gott ihrer Väter fest. Und in diesem inneren Erfassen und Erleben ihres Gottes, das sich für sie in einsamen Stunden, aber dennoch unter dem beständigen furchtbaren Druck der sie umgebenden trostlosen Zustände vollzieht, liegt ihre wahrhaft heroische Größe ebensosehr als in der Wucht, in dem Mut und der Unerschrockenheit, mit der sie den also sich ihnen offenbarenden Gott furchtlos aller

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Welt verkünden, als die von Gott selbst inspirierten Männer, seine Propheten, durch deren Mund Gott seinen Willen kundgibt, zu seinem Volke spricht. Die bange Frage, die damals alles Volk durchbebte, warum, ja warum denn Jahve, der früher sein Volk so herrlich beschirmt und zum Siege geführt, jetzt sein Volk verlassen und seine Hand von ihm abgezogen habe, diese furchtbare Gewissensfrage, die viele zum Abfall und in Verzweiflung treibt, sie erfährt in diesen feurigen Seelen eine grandiose, ja bei aller Erhabenheit fast paradoxe Beantwortung. Ihnen erscheint Jahve genau so mächtig und groß, als er je es war, da er noch sein Volk zum Siege führte, seine Macht hat auch jetzt nicht aufgehört, ist im Gegenteil über alles Maß, über alles menschliche Vorstellen hinaus groß und gewaltig. Es vollzieht sich hier das erstaunliche Faktum, daß der Stammgott eines kleinen, verachteten, kümmerlich um seine Existenz ringenden Volkes in dem gotterfüllten Geiste seiner Propheten zum allgewaltigen Weltengott und Weltenbeherrscher76) wird, der mächtiger als alle Götter der Heiden, eben weil er der e i n e Gott schlechthin ist. Gerade darin, daß er sein Volk ins Elend geraten, seine Feinde über dasselbe hat triumphieren lassen, gerade darin zeigt er seine allgewaltige Macht. Denn, um auf sein auserwähltes Volk zu wirken, es zu prüfen und heilsam zu züchtigen und zu läutern, hat er den fremden Völkern den Sieg verliehen und sein Volk in Schimpf und Schande gestoßen. Aber dennoch sind diese hochmütigen Eroberervölker trotz aller ihrer Siege nur Werkzeuge in Jahves Hand, ja der Spielball seines allmächtigen Willens. Hier also wird der Willenscharakter der alten Stammesgottheit, des alten Jahve, in denkbar schärfster Weise von den Propheten hervorgehoben. Alle Ereignisse der Vor- und Nachwelt, das Aufkommen wie der Sturz der großen Reiche in Ost und West, das alles wird nun unter den Gesichtspunkt einer von dem allmächtigen Willensgott also gewollten Ordnung der Dinge gebracht. In diesem großen universal-historischen Zusammenhang77) erscheint dann bei den Propheten auch schon die Messiasvorstellung. Sie prophezeien zwar das kommende Strafgericht mit allen seinen Schrecken, aber verkünden im selben Atemzug fast, wie nach demselben dann die Erlösung, die Herstellung eines idealen Zustandes erfolgen

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wird, die von einem Messias, einem Heiland, einem großen Könige, einem Nachkommen Davids gewirkt werden soll. Neben dieser metaphysischen Konzeption, dieser über alles menschliche Begreifen hinaus gesteigerten Vorstellung eines allmächtigen Willensgottes enthalten die Verkündigungen der Propheten doch auch bedeutsame Ansätze zu einer ethischen Umwandlung und Vertiefung des Gottesbegriffes. Gott soll nicht in äußeren Opfern und in leeren Gebeten verehrt, sondern im Herzen, in der innerlichen rechten Gesinnung lebendig erfaßt werden. Das Volk hat eben seinen Gott mit leeren Opfern gnädig stimmen wollen, anstatt sein Herz ihm zu erschließen, sich ganz ihm hinzugeben, dem ein Brandopfern wenig, aber wohl an dem rechten Gehorsam und am Dienste des Herzens gelegen ist. Und in diesem Zusammenhange erscheint dann auch der erhoffte Messias mehr als ein Friedensfürst, mit dessen Erscheinen auf Erden ein Reich sozialen Friedens anbrechen wird, wogegen in den obenerwähnten Arten von Prophezeiungen der Messias als der politische Wiederhersteller des Reiches gefeiert wird. Manche Propheten haben dann das Kommen dieses Reiches des Friedens auch auf die gesamte Natur, die gesamte Tier- und Lebewelt ausgedehnt und dasselbe in jener idyllischen, an modernste soziale Utopien78) anklingenden Art ausgemalt. Und eben aus solchen sozial-ethischen Motiven haben dann auch die Propheten vielfach die Einführung des Gesetzes befürwortet, in dem Sinne, wie wir es eben schon kurz skizzierten, nämlich einer Abschaffung der Brandopfer, Hinneigung des Herzens zu Gott, ja einer Unterwerfung unter das Gesetz aus freier, reiner Entschließung des Herzens und endlich — wiewohl das •eigentlich erst später eintritt — als Vorbereitung auf das Kommen des Messias, mit dem dann das goldene Reich anbrechen und alles Gesetz überflüssig sein wird. Anderseits ist aber das Gesetz, die Thora, das Rechtsbuch, auch aus sehr realen sozialpolitischen Gesichtspunkten dem Leben des Volkes als Richtschnur zugrunde gelegt worden, eben als die neu gefundene Regelung der in Verwirrung geratenen sozialen Zustände des Volkes. Und hier kommen wir zum Hauptpunkte wieder, dem schon oben dargelegten Problem: inwiefern

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das Hauptresultat der furchtbaren, vom Volke durchlebten Krise, eben die neue Religion, der neue Glaube der Propheten, die sozialen und politischen Institutionen des Volkes mit seinem Geiste wahrhaft durchdrungen hat, oder anders formuliert: inwieweit der Versuch der Propheten, das innerpolitische wie soziale Leben des Volkes auf der Religion aufzubauen, von Erfolg begleitet gewesen ist. Denn, wie schon oben erwähnt, sind die Propheten ebensosehr als soziale und politische wie als religiöse Reformatoren aufgetreten, wie denn überhaupt das eigentlich Charakteristische der ganzen Krisis in dieser Abhängigkeit der sozialen und politischen Faktoren von der religiösen Frage besteht. Wie nun die Propheten, trotz des gewaltigen Fortschrittes, den ihre Konzeption des Gottesbegriffs im Vergleich zu dem Jahve der Nomadenzeit, dem Feuerund Gewittergott, darstellt, dennoch ihr neues religiöses Empfinden lediglich als eine Wiedererweckung des alten hinstellten und sich durchaus als Bewahrer und Hüter der Tradition fühlten, also haben sie auch in sozialer wie politischer Hinsicht ihre Ideale in der Vergangenheit gesucht resp. zum Teil dieselben in die Vergangenheit hineinprojiziert. Jenes Sehnen nach einfachen, unverdorbenen, von der Kultur und ihren (notwendig überall zugleich mit ihren Segnungen sich einstellenden) schweren Schattenseiten noch unversehrten Zuständen, ein Sehnen, das, wie die Literaturgeschichte der Utopie beweist79), überall bei den Völkern auf einer gewissen Kulturstufe sich regt und auch im Volke Juda wie Israel in jener Zeit herrschend gewesen ist, es fand durch die Propheten seinen sozusagen monumentalen Ausdruck. Die nach einer neuen Ordnung, nach einem Heilmittel für das große soziale Elend ihrer Zeit suchenden Reformer lenkten ihre Blicke in die Vergangenheit, weil ihnen dieselbe eben im Hinblick auf das jetzige große Elend als die gute alte Zeit erschien, die Zeit, da Gott mit seinem Volke war. So wird die Zeit, wo das Volk in der Wüste als Halbnomaden umherzog, zur idealen Zeit schlechthin. Es entstehen jetzt die schönen, idyllisch ausgemalten Erzählungen vom Leben der Erzväter, die als Hirten leben und in ihren Zelten hausen. In der Tat sind denn auch energische Versuche zur Rückkehr in solche Zustände versucht worden. Die in Israel (843) von Jehu auf Antrieb des Propheten Elisa und in Verbindung mit Jonadab ben F a c h s , Der Geist der bOrgerlich-kapiUlist. Gesellschaft.

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Rekkab durchgeführte Revolution verfolgte durchaus auch solche Ziele 80 ). Fast zur gleichen Zeit ist es auch in J u d a zu einer ähnlichen, politisch, religiös und sozial gleich durchgreifenden Umwälzung gekommen, die dann im Bundesschluß des Hohenpriesters J o j a d a zwischen Jahve, dem König und dem Volk ihren Abschluß fand. Dieser Bund aber bedeutete faktisch die Errichtung einer Theokratie sowohl auf sozialem wie auf politischem Gebiete, die Aufrichtung des Gesetzes, der Thora, als eines für alle sozialen Nöte Heilung schaffenden bürgerlichen Gesetzbuches, als auch einer das Königtum und überhaupt das ganze Staatswesen unter seine Kontrolle stellenden »Reichsverfassung« (ähnlich wie es später der Koran im Islam gewesen ist). In beidem prägt sich der entschiedene Wille aus, sowohl das soziale wie das politische Leben unter die Herrschaft des religiösen Prinzips zu beugen, d. h. eben den Willen des Volkes zu verwirklichen. Und man kann wohl sagen, daß selten in der Geschichte ein ernsthafterer Versuch gemacht worden ist, das im innersten Herzen (vorzüglich der Propheten) gefundene religiöse Ideal eines über alles menschliche Begreifen weit erhabenen Willensgottes in die Wirklichkeit überzuführen, als es hier von Israeliten und Juden geschehen ist. Gerade bei der Betrachtung der Geschicke der beiden Reiche aber drängt sich einem auch die Wahrnehmung auf, wie schwierig es ist, eine Idee ganz und ungebrochen in die Praxis umzusetzen und wie sich naturgemäß immer ein sog. Rückschlag der Idee einstellt, falls dieselbe in praxi überspannt wird. Bei der Wichtigkeit der Materie für die späteren Abschnitte dieses Buches sei auf dieselbe ein wenig näher eingegangen. Denn hier im Judentum haben wir eigentlich genau dieselbe Situation, wie sie Tausende von Jahren später in dem vom Judentum und seinem Gottesbegriff doch recht stark beeinflußten Calvinismus sich wiederfindet 81 ): der Wille Gottes auf der einen Seite, der so stark betont wird, daß ein fast jedem menschlichen Verständnis entrücktes göttliches Wesen daraus geworden ist, welches, soweit es menschliche Züge offenbart, nur als ein Gott des Zorns und der Rache erscheinen kann, auf der anderen Seite aber die Gläubigen, die eigentlich ratlos diesem völlig transzendenten Wesen

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gegenüberstehen und nun in dem anderen Extrem ihr Heil suchen, nämlich einer völlig rationellen Gestaltung weniger des eigentlichen Kultus als vielmehr des alltäglichen Lebens, das durch eine Unzahl von Vorschriften wie mit einem engmaschigen Netz gleichsam überzogen wird, in dem man den Willen Gottes dann sicher einzufangen hoffen kann. Das mußte bald zu völliger Erstarrung führen, wie wir sie dann im Zeitalter Jesu fast vollendet finden, die aber allem Anschein nach schon recht früh eingesetzt bat. Und doch war die ursprüngliche Absicht, die viele der Propheten mit der Aufrichtung des Gesetzes verbanden, wohl die entgegengesetzte gewesen. Sie hatten zu innerer Einkehr und Umkehr gemahnt, hatten bloße Opfer als leere, unlautere Zeremonien verworfen und innerliche Hingabe des Herzens an Gott, rechte Herzensgesinnung gefordert. Dies Gesetz aber, das die Opfer abschaffen und einen Kult des Herzens begründen sollte, das Gesetz, das sie gegeben oder gefördert hatten, damit die Menschen aus freier, innerer Unterwerfung unter dasselbe zu Gott gelangen möchten, es war alsbald zu einem noch öderen Formalismus erstarrt, als solches beim alten Opferritus je möglich gewesen wäre. Es war hier eben jenes Moment eingetreten, das wir häufig in der Geschichte beobachten können: die in einzelnen genialen Geistern konzipierte, hohe und große Idee wird von der großen Masse der Menschen, die sie nicht begreifen können, in der furchtbarsten Weise verwässert und verdünnt in die Praxis umgesetzt. Nur daß freilich hier schon in der ursprünglichen Konzeption der Idee die Keime zu solcher Degeneration lagen. Der über alles Maß erhabene Willensgott, den der religiöse Genius einzelner Propheten im innersten schmerzensreichen Erleben gefunden hatte, zu dem sie dann auch die Herzen ihrer Volksgenossen durch die ethisch vertieften Vorschriften des Dekalogs hinleiten wollten, dieser Willensgott blieb dem gewöhnlichen religiösen Empfinden letzten Endes nicht nur fremd und unverständlich, nein, wirkte lähmend und alle Initiative hemmend auf dasselbe ein. Während im Gotterleben der Propheten, trotz aller dieser Gottheit von ihnen imputierten Transzendenz, doch ein Gefühl der Vereinigung mit dem Absoluten, schlechthin Einen, wenn auch wohl mehr unterbewußt, 3*

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mitschwang, wenn sich also in dieser Attitüde schon ein Funken echter, wahrer Religiosität von jener Art offenbarte, wie sie späterhin dann Jesus in aller Fülle der Menschheit bescherte, — für das gemeine Volk, für die Masse schlechthin, war jenes Gotterleben völlig unmöglich. Im Gegenteil, für sie war die Vorstellung eines also unsagbar großen Willensgottes ein sie innerlich lähmendes, in keiner Weise befreiendes Moment. Der alte grimmige Jahve, von dem die alten Urkunden des Volkes erzählten, erfuhr nur nach der Seite des Fürchtens, aber nicht des Liebens eine ungeheure Steigerung. Für die Masse dieser Gläubigen war die Frage nicht die: Wie komme ich zu Gott, wie werde ich eins mit ihm?, vielmehr lautete ihr Räsonnement: Wie schaffe ich mir die zürnende Gottheit — denn erzürnt hat man sie in dubio doch wohl immer — vom Halse? Wir haben hier eigentlich fast dieselbe Attitüde des Menschen zur Gottheit, wie wir sie bei den meisten, auf einer relativ doch noch niederen Stufe der Religiosität stehenden Völkern vorfinden. Diese Vorstellung Gottes als eines strengen Richters und argen Despoten macht dann auf die Dauer einer anderen Auffassung Gottes Platz, derzufolge Gott weniger als strenger Richer, sondern mehr wie ein mächtiger Privatmann erscheint, mit dem man sozusagen in Handelsbeziehungen tritt 82 ). Es ist das die Vorstellung, die wir sowohl bei den Talmudisten wie später bei den Calvinisten83) finden, wo man mit Gott wie mit einem Geschäftsinhaber umgeht, bei dem man ein Konto hat und mit den Sünden nicht allzusehr in die Kreide geraten darf, da dadurch das Debet allzusehr belastet werden könnte, woraus dann für den Kontoinhaber die Notwendigkeit einer guten Buchführimg auch in religiösen Dingen folgt, da sonst die Gefahr der religiösen Insolvenz im Anzüge sein könnte. Ohne auf das Problem hier näher einzugehen, kann man resümierend wohl sagen, daß die durch das Gesetz beabsichtigte Durchdringung des sozialen Lebens mit religiösem Geiste sich unter den hier gegebenen Prämissen als sehr zweischneidig erwiesen hat. In Furcht und Zittern sucht der Gläubige den Willen seines Gottes zu erfüllen eben durch Auslegung, Zerlegung und Häufung der gesetzlichen Vorschriften, in der Hoffnung, so denselben nicht verfehlen zu können. Das führt dann wohl zu einem ängstlich-

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methodischen Gesetzesleben, nie aber zu einem wirklich religiös durchdrungenen Lebensstil. Ein auf solcher sozialer Grundlage aufgebautes, unter der Herrschaft des Gesetzes stehendes, ja durch dasselbe bedingtes Staatswesen wird ebenfalls unter dem erwähnten Dilemma leiden. Ist es schon für den einzelnen Menschen schwierig, jeweilig den Willen Gottes in seinem engeren Wirkungskreise zu erfüllen, um wieviel mehr für ein Staatswesen, das wohl im Königtum wie in einer Spitze sich zusammenfaßt, aber dennoch die Gesamtheit aller zu demselben gehörigen Individuen darstellt und für deren Wohlergehen nach außen wie nach innen Sorge zu tragen hat. Was die sozialpolitische Seite angeht, so ist darüber schon eben einiges gesagt worden, insoweit das Leben des einzelnen unter dem Gesetze charakterisiert wurde. Hier braucht also nur hervorgehoben zu werden, wie die das Gesetz recht eigentlich repräsentierende Richtung der sozialen Reformatoren in mehr als einem Punkte vor der Praxis kapitulieren mußte, sei es, daß sie ganz auf die Durchführung des betreffenden Gebotes verzichtete, oder aber dasselbe, wie dies meistens geschah, uminterpretierte 84 ). Aber erst recht ist die Durchführung der leitenden Idee, eben den Willen Gottes in möglichst adäquater Form in die Wirklichkeit überzuführen, dort auf Schwierigkeiten gestoßen, wo es sich um das zentrale Leben des Staates, seine äußere Politik handelte, zumal diese in Israel wie in Juda damals fast noch stärker im Vordergrunde stand wie die inneren sozialen Nöte. Und doch hat sich die staatliche Entwicklung beider Reiche bis zu ihrem jeweiligen Untergange in den Formen der Theokratie bewegt, nämlich eines von Priestern und Propheten als Vertretern der gesetzlichen Reformpartei geleiteten Königreiches, in dem der eigentliche König Jahve selbst ist und in dem nur der Wille Jahves gelten soll. Was aber der Wille Jahves jeweilig ist, das zu offenbaren liegt eben den kraft ihres Amtes dazu bestellten Priestern oder den kraft göttlicher Inspiration erleuchteten Propheten ob. Diese haben den Willen Jahves jeweilig zu verkünden, der jeweilige König aber hat dem zu gehorchen. In Israel, wo das Königtum nicht von jeher zu Hause war und eine Dynastie der anderen folgte, hat sich die schroffe Reformtendenz in der letzten Zeit

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des Reiches sogar bis zur Forderung der völligen Abschaffung des Königtums durch den Propheten Hosea (750 ca.) erhoben, sintemalen dasselbe an sich schon ein Abfall von Gott sei, der allein König sei und es bleiben müsse. In jener Zeit sind dann auch die für alle Folgezeit so hoch bedeutsamen Erzählungen von Samuel und Saul entstanden, in denen das Königtum verächtlich, ja lächerlich gemacht85), vor allem aber als Abfall von der gottgewollten Ordnung der Dinge gebrandmarkt wurde. Denn diese stellt sich in der Herrschaft Gottes dar, der als Instrument seines Willens dann meist einen heiligen Mann, einen Seher beruft, und durch diesen, den er erleuchtet und dem er sich offenbart, seinen Willen männiglich kundgibt. So wird denn das Verlangen des (über die Richterschaft von Samuels Söhnen mit Recht aufgebrachten Volkes) nach einem Könige als Neuerung und Abkehr von Gott hingestellt und ferner Saul, als er bei einem an sich geringfügigen Anlaß sich weigert, der Stimme des Sehers, also Gottes, zu gehorchen, verstoßen. Gott zieht seine Hand von ihm ab und beauftragt seinen Seher Samuel, einen neuen Gesalbten des Herrn im einfachen Hirtenknaben David zu kreieren. Mag der Seher (wie Samuels Söhne es taten) auch schlecht regieren, so ist man ihm deshalb doch Gehorsam schuldig, denn auch durch einen äußerlich schlecht sich führenden Seher verkündet Gott nichtsdestoweniger seinen Willen. Diesen eben gilt es auch im jeweilig wenig heilig lebenden Seher zu respektieren. Die Wirkung dieser in jener Zeit wohl fixierten Erzählungen auf die Nachwelt ist eine ungeheure gewesen. Sowohl der Islam als auch das Christentum haben sich an dieselben jeweilig als an ein Vorbild gehalten. Welche Rolle dieselben im Streit zwischen Papsttum und Kaisertum seinerzeit gespielt haben, dürfte bekannt sein86). Während das Reich Israel schon bald unterging (722), hat sich das Reich Juda noch ca. anderthalb Jahrhunderte in der Form einer Theokratie am Leben gehalten. Da hier in Juda das alte Königshaus Davids regierte, so konnte hier das Königtum nicht gut als Abfall von Gott erscheinen. Aber gleichwohl hat in Juda das Königtum unter starker Vormundschaft der aus Priestern und Propheten gebildeten Reformpartei gestanden, so besonders unter

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Hiskia, ferner unter Josia und weiter hinab bis zum Ende des Reichs unter Zedekia. Daß eine solche auf der Erfüllung von Gottes Willen beruhende Theokratie das Reich in schwierigen Tagen dem Verderben nahe bringen mußte, das zeigt besonders dieser letzten Könige Beispiel und Regierung. Denn in der äußeren Politik ist ein zielbewußtes, einheitliches Handeln die eigentliche Vorbedingung jeglichen Erfolges. Zumal in der schwierigen Situation, in der sich der kleine »Pufferstaat« zwischen den beiden Großmächten Ägypten und Assyrien (und dann dem neubabylonischen Reiche) befand, galt es eine Politik des raschen Entschlusses zu treiben, wollte man nicht eine günstige Konjunktur, wie sie einmal, aber dann nie wieder sich bietet, verscherzen. Hier wäre eine Politik vonnöten gewesen, wie sie ein Bismarck kraft wahren, innersten Gotterlebens87) für den kleinen Preußenstaat Anno 1866 führen konnte, aber statt dessen mußte der König die Priester und Propheten nach dem Willen Gottes befragen und diese selbst waren zumeist über den wirklichen Willen Gottes natürlich im unklaren88). Man predigte dann wohl von Gottes Allmacht, daß man auf Gott allein vertrauen müsse, nicht aber auf äußere Hilfsmittel, wie Waffen, Heere, Beistand fremder Völker usw., aber in der Hauptsache legte man die Hände in den Schoß und — fügte sich in Gottes Willen, d. h. man tat gar nichts. Mit solcher quietistischen Auffassung war natürlich in so schwierigen Verhältnissen wenig oder nichts auszurichten, daher sich denn die Geschicke des Reiches mit großer Schnelligkeit vollzogen haben. Diese historischen Tatsachen weisen denn doch recht bedeutsam darauf hin, wie wenig zur Aktivität und zum Erfolg anspornend der ganze Charakter der jüdischen Religiosität war. Die späteren Juden haben ebenso wie die Calvinisten de facto einen ganz anderen Weg eingeschlagen, was später noch ausführlicher dargetan werden soll. Denn wären sie auf dem eben dargelegten religiösen Standpunkt verharrt, hätten sie sich in den »Willen Gottes« mit dem Gefühl also verbohrt, so wäre der Untergang auch als Volkheit ihnen sicher gewesen, hätten sie niemals die spätere beherrschende Stellung als Kaufleute erlangt, wie sie sie dann in der ausgehenden Antike schon, besonders aber im Mittelalter und in der Neuzeit, einnahmen. Wie das gekommen ist,

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kann hier nicht dargelegt werden; doch kann die weitere Geschichte des Volkes im Exil uns einen Fingerzeig geben, wie es dahin kommen konnte. Denn im Exil hat sich zunächst die Wirkung des Gesetzes als sehr wohltätig für die jüdische Volkheit erwiesen, ja man darf sagen, daß sie ohne dasselbe sich wohl kaum als Volk erhalten haben würde, sondern wie viele andere kleine Völker untergegangen wäre. Und hier im Exil sind dann auch Propheten, wie Ezechiel, in einem stark konservativen Geiste tätig gewesen. Indem sie das Exil als eine Strafe für die Nichtachtung des Gesetzes hinstellten und demgemäß energisch auf eine gewissenhafte Erfüllung desselben drangen, brachten sie anderseits das Gesetz mit der Idee des Messias in dem Sinne einer peinlichen, Gott wohlgefälligen Vorbereitung auf dessen Kommen in Verbindung. Wenn der Messias gekommen und das Reich Gottes aufgerichtet sein wird, dann kann das Gesetz als ein bis dahin aufgestelltes Provisorium in Wegfall kommen, bis dahin aber muß man es peinlich genau befolgen, da von seiner genauen Erfüllung eben das Kommen des Messias abhängig ist89). Es läßt sich ermessen, welchen Trost und welchen Rückhalt dem Volke solche Prophezeiungen geben mußten. Als dann das babylonische Reich durch die Perser unter Kyros zertrümmert wurde und so die Voraussagen der Propheten eine glänzende Bestätigung scheinbar fanden, als Kyros dann einen Teil des Volkes in die Heimat entließ (538). da schien es den Juden, als ob zum mindesten damit eine Vorstufe zur gelobten messianischen Zeit angebrochen sei90). Und seit der Zeit hat sich die messianische Hoffnung unauslöschlich dem ganzen Volke eingeprägt und hat sich zu verschiedenen Malen äußerst stürmisch auch geäußert,91) ja ist bis zur Zeit Jesu, ja bis auf die heutige Zeit im Volke lebendig geblieben. Als Volkheit hatte das Gesetz die Juden über die erste Zeit des Exils hinweg erhalten, »negativ« also hatte es sich glänzend bewährt. Als aber die nunmehr nach Jerusalem und Juda zurückgekehrten Volksmassen sich wieder selbständig als Volk konstituieren wollten, da kam es sofort wieder zu Schwierigkeiten. Die Lage war eine elende, das Volk kam nicht zum Wohlstand, ein dumpfer Quietismus begann sich desselben zu bemächtigen;98) die Herrschaft des Gesetzes bekam dem Volke offenbar nicht gut.

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Die verzweifelte Stimmung, in der sich dazumal das Volk befunden haben muß, läßt sich aus verschiedenen Stellen der Schriften der Propheten Maleachi und Deuterojesaias nur zu deutlich erkennen. Eben diese trostlosen Verhältnisse haben dann viele der in Juda lebenden Volksgenossen zu einem Kompromiß mit der Forderung des Tages getrieben, also daß sie unter Nichtbeachtung des Gesetzes zu einer Verbindung und Verschwägerung mit den Nachbarvölkern schritten. An diesem für das Weiterbestehen des Volkes in der Heimat so kritischen Punkte hat dann aber die babylonische Judenschaft der Diaspora eingegriffen und dank ihrem großen Einfluß an den maßgebenden Stellen es dahin gebracht, daß das Perserreich mit seinen gewaltigen Machtmitteln sich für ihre Sache, d. h. die Sache des Volkes, einsetzte93). Und weil das Perserreich die Bestrebungen der Diasporajuden unterstützte, konnte den einheimischen Juden das Gesetz aufgezwungen, konnten dieselben zur strikten Innehaltung desselben verpflichtet werden. Auf diese Weise hat dann das jüdische Volk in der Gestalt eines kleinen Tempelstaates, wie man sie in der Geschichte des Orients zu der Zeit häufiger antrifft, sich erhalten, wiewohl dasselbe, genauer genommen, doch eigentlich nur eine persische Provinz, die Landschaft Juda, darsteilte94). Das Paradoxon, das darin liegt, daß das jüdische Volk sich als Volkheit nur durch die Machtmittel des Perserreiches erhalten hat, wird eigentlich von dem Umstände noch übertrumpft, daß die Juden der Diaspora, die daselbst in sehr günstigen Verhältnissen lebten und im Grunde nach dem Messias herzlich wenig Verlangen trugen und ferner ja auch nur die Annehmlichkeiten des Gesetzes erfuhren, insofern dasselbe in negativem Sinne dort in der Diaspora wirklich volkserhaltend wirkte, — daß eben diese Diasporajuden den Juden in Jerusalem und der Landschaft Juda das Gesetz in dem Sinne einer strikten Befolgung desselben aufzwangen, damit hier in Juda sozusagen ein Musterbeispiel, eine Art Reinkultur echt jüdisch-gesetzestreuen Lebens, bestehen bliebe. Hier sollte das Gesetz auch deshalb rein durchgeführt werden, damit in dem Falle, daß der Messias eines Tages wirklich käme, derselbe alsdann auch würdig empfangen werden könnte und alles bereit wäre zur Aufrichtung des neuen ewigen Reiches.

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Tatsächlich konnte dieses auf also gestalteten sozialen Grundlagen sich erhebende politische Gebilde, dieser Tempelstaat zu Jerusalem, nur deshalb das Gesetz durchführen, ja überhaupt existieren, weil eben das Perserreich ihm die Sorge für alles Politische abnahm; ähnlich wie später das spartanische Staatswesen unter der Römerherrschaft als ehrwürdige Ruine oder Kuriosum noch fortvegetierte. Das Unnatürliche, Gekünstelte, das in dieser Schöpfung lag, hat sich dann späterhin jedesmal gezeigt, wenn die Vormundschaft eines großen Reiches infolge des Sturzes desselben für den Augenblick aufhörte und nun das Volk die Gelegenheit benutzte, um die alte politische Selbständigkeit zurückzugewinnen. Das offenbarte sich dann besonders zur Makkabäerzeit, allwo die kurze Zeit der Selbständigkeit von den Makkabäem auch nur um den Preis erkauft werden konnte, daß sie sich resolut über das Gebot des Gesetzes hinwegsetzten und kurz entschlossen selber die Angelegenheiten in die Hand nahmen. Dabei gerieten dann die Makkabäer auch sofort in einen blutigen Konflikt mit der frommen, gesetzestreuen Partei, wie sie dann später unter dem Namen der Pharisäer erscheint. Denn diese repräsentierten das Gesetz, waren die passiv Frommen, die auf Gottes Willen hinhorchten, tausend kasuistische Kunstgriffe zur Erfüllung oder Umgehung des Gesetzes ersannen, ihre Energie darin verzettelten oder überhaupt ganz passiv verharrten. In dieser Erstarrung treffen wir dann das Judentum zur Zeit Jesu, und es lag eine tiefere Notwendigkeit dem Faktum zugrunde, wenn Jesus dann vor allem mit dieser Partei zusammenstieß. Die neue sieghafte Energie, mit der Jesus auftrat und eine neue Welt gleichsam inaugurierte, sie mußte dieser Art von Frommen in tiefster Seele verhaßt sein. Er wandte sich an die ganze kommende Welt, brachte ihr eine neue Botschaft, sie saßen auf dem alten verknöcherten Gesetze, hingen an ihm als dem Palladium ihres alten Volkstums, dem Gesetz als Vorbereitung auf einen Messias, mit dem das Reich Gottes anbrechen sollte, aber freilich im Sinne der Weltherrschaft des jüdischen Volkes, der Kinder Abrahams, über alle anderen Völker. Das in den Anschauungen des jüdischen Stammstaates immer befangene, in ihnen aufgehende, nie über dasselbe hinweggekommene, ja zu demselben im Gesetz recht eigentlich zurückstrebende Judentum, wie es durch diese Frommen repräsen-

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tiert wurde, es war schließlich völlig unfähig geworden, die neue, an jeden Menschen als innere Persönlichkeit sich wendende geistige Heilsbotschaft Jesu auch nur zu verstehen. Der Kampf zwischen ihnen und Jesu war unvermeidlich, war eine tiefe, in den letzten Gründen alles menschlichen Geschehens verankerte Notwendigkeit. Und nur durch seinen Tod hat er dieselben überwunden und also seiner neuen Botschaft Raum schaffen können. Die Erkenntnis, die uns diese Skizze des Geisteslebens des jüdischen Volkes vermittelt, ist die, daß die Konzeption eines Gottes, die von einem ursprünglich wohl mit einer blinden Naturkraft identischen Feuergott Jahve zum einzigen, höchsten Weltengott der Propheten im Laufe der Zeit sich wandelte und veredelte, dennoch in der Hauptsache immer bei der bloßen Betonung des Willensmäßigen als eines Willkürlichen und auch darin absolut Willkürlichen stehen blieb, daß dieser Gott überhaupt über jedes Begreifen, jede menschliche Vernunft hinaus gesteigert wurde. War so erst sein Wille ein gleich einer Naturmacht rasender und also fast unvernünftig zu nennender, so war er auch später in der Zeit der Propheten in dem Hinausragen über alle Vernunft für den gemeinen Mann eben ein Gott des Zornes und der Rache, den man fürchten und lieben mußte, den man aber vor allem fürchtete. Ein Gott, dessen Hoheit einen erschreckte, an dem man nur mit sklavischer Furcht hing, mit dem man zu handeln und zu feilschen suchte, um sich seiner Rache zu entziehen, kurz ein Gottesbegriff, der eben ganz auf der Vorstellung eines ungezügelten Willens beruhte, der nach den Propheten jenseits aller Vernunft sein sollte im Sinne der Übervernunft, aber in der Vorstellung der Allgemeinheit dann geradezu widervernünftige, abstruse Willenszüge imputiert erhielt. Denn der Gottesbegriff der Propheten ist wohl ein für die Geistesgeschichte der Menschheit immens reiches Kapitel geworden, von den eigenen Glaubensgenossen aber wurde dasselbe nur zum geringsten Teil flüssig gemacht. Die absolute Hervorhebung des Willensmomentes in der Gottheit bei den Juden stellt so ein seltsames, aber lehrreiches Pendant dar zu der Verabsolutierung der Vernunft, wie wir sie für die Konzeption des antikgriechischen Gottesbegriffes als charakteristisch erkannt haben. Indem die Griechen die Vernunft also

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betonen, wollen sie vom Willen nichts wissen oder verweisen ihn in eine niedere Seelensphäre, also daß er bei der Gottheit völlig ausgeschaltet bleibt. Gott und Mensch stehen sich daher hier wie zwei absolute Gegenpole gegenüber, starren gleichsam beide in die Unendlichkeit, ohne sich zu finden oder gar zu kennen. Die Juden steigern den W i l l e n s Charakter der Gottheit über alles Maß hinaus, also daß der von den Propheten zunächst wohl im Sinne einer Übervernunft konzipierte Willens-Gott in der Vorstellung der großen Masse geradezu einen widervernünftigen, abstrusen Charakter imputiert erhält. Gott und Mensch stehen sich hier fast wie Feinde gegenüber, und der Mensch zumal ist froh, wenn er sich von dem Zorn des grimmen Despoten durch die Erfüllung abstrakt ausgeklügelter, rationeller Gesetzesvorschriften befreien kann. Dieses Handeln und Feilschen mit Gott verrät in seiner Übertragung händlerisch-kapitalistischer Maximen auch auf die religiösen Beziehungen nur zu deutlich den Feindescharakter; denn auch den Juden war es ursprünglich verboten, von Volksgenossen Zins zu nehmen und mit ihnen kapitalistisch geartete Handelsgeschäfte abzuschließen, und nur dem Feind gegenüber war solches erlaubt. Dieses einseitige Erfassen des Willensmomentes in der Gottheit führte, wie man sieht, zu einer öden Mechanisierung alles religiösen Erlebens, gleichwie bei den Griechen die Überspannung des Vernunftcharakters der Gottheit ein tiefes, innerliches religiöses Erleben gar nicht erst aufkommen ließ. Diese beiden extremen Positionen in der Konzeption des Gottesbegriffes bei den beiden geistig hervorragendsten Völkern der Antike muß man sich vor Augen halten, so man Jesu Gotterleben in seiner ganzen Bedeutung, seiner Tiefe wie Hoheit richtig erfassen und würdigen will. Denn bei Jesus ist von jener, an intellektualistisch-ästhetischen Maßstäben orientierten antiken Auffassung, von jener Überschätzung des Intellektes, der »reinen Vernunft« nichts zu spüren. Aber anderseits ist ihm auch die Überspannung des Willensmomentes, wie es im zürnenden Jahve der Juden hervortritt, völlig fremd. Und erst, wenn man die obigen Gegensätze auf sich wirken läßt, erst dann wird man die wundervolle Position der Gottesvorstellung Jesu ermessen können, sein wunder-

Das Gotterleben Jesu and die christliche Liebesidee.

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volles: »Vater unser, der du bist im Himmel«. Das für den antiken Menschen, Griechen wie Juden, fast völlig Undenkbare ist hier Ereignis geworden: Gott ist der liebende Vater, die Menschen seine Kinder, sie und die Welt eine Schöpfung Gottes aus Liebe. Dieser Gottesbegriff, so wir ihn uns auf das m e n s c h l i c h e Niveau gleichsam reduziert, von diesem aus als göttlich-menschliches Idealbild konzipiert denken, zeigt die Züge eines Willensgottes, nur daß hier der Wille vom Intellekt gleichsam diszipliniert und »geordnet« erscheint und demgemäß da, wo sich der Intellekt zur Höhe der reinen Erkenntnis erhebt, als die affektvolle Selbstbejahung desselben darstellt95). Und das zumal in der Liebe, die nun kein bloßer sinnlicher Akt des Begehrens und Strebens mehr ist, sondern zu einem vom sittlich bestimmten Willen mitbedingten g e i s t i g e n Akt wird96). Hier ist kein absolutes Hervorheben des Intellektes, der Vernunft, als des schlechthin Normgebenden und auch nicht mehr das in seiner Art ebenso absolute Betonen des Willens Gottes als des Gesetzes für die Menschheit, vielmehr eine harmonische Vereinigung und Durchdringung beider Momente in der Liebe. »Gott ist die Liebe... und diese ist das ewige Gesetz, so das Universum geschaffen hat und auch erhält. Alles in der Welt i s t . . . durch dasselbe geschaffen, und nichts besteht, das ohne dies Gesetz wäre. Denn sie, die das Gesetz aller Kreatur ist, ist doch selbst nicht ohne Gesetz; sie ist vielmehr ihr eigen Gesetz, kraft dessen sie, wenn auch nicht sich selbst erschuf, so doch sich selbst regiert.« Diese wundervollen Worte des hl. Bernhard97) geben den tiefsten Gedanken der Lehre Jesu vielleicht am besten wieder. Bei Jesus selbst aber ist dies alles auf die so einfache Formel gebracht: »Vater unser«. Wie Jesus zu solchem Gotterleben gekommen ist, ist eigentlich eine müßige und ferner kaum zu beantwortende Frage. Dennoch könnte man es sich doch vielleicht in gewisser Weise begreiflich machen, zumal die Berichte der Evangelisten von Jesu Flucht in die Wüste manches Diesbezügliche durchblicken lassen98). Ganz abgesehen davon, daß bei den Evangelisten hier wohl Reminiszenzen an die Ereignisse im Leben einiger Propheten99) nachklingen, die in die Wüste ziehen, um Jahve zu suchen, stellt sich diese Flucht in die Wüste als jenes Fliehen in die Einsamkeit dar, wie wir es

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so häufig bei großen Männern vorfinden, als jener sehnsüchtige Drang nach einer in der Stille und Öde der äußeren Umgebung erhofften Konzentration des eigenen Ich, das in der Vielheit des es umgebenden alltäglichen Lebens sich zu zersplittern, ja zu verlieren fürchtet. Ferner aber will uns bei Jesus diese Flucht in die Wüste gleichsam als der äußere Widerhall, ja fast als ein symbolischer Ausdruck für die sein Inneres erfüllende tiefe Einsamkeit erscheinen. Die furchtbaren Worte bei Markus 100 ): ro ni tl^ia airov ixßdXXu ti$ rfjv to-rifxov, lassen d a s geistige R i n g e n , die e n t s e t z l i c h e

Einsamkeit ahnen, in die der Geist hier gleichsam hinausgeschleudert wird. Hier erlebt Jesus seine geistige Wiedergeburt, empfängt er die Feuertaufe des heiligen Geistes 101 ), erfährt er sein seelisches Golgatha, ein vielleicht noch weit schlimmeres »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« als später am Kreuz in höchster Leibes- und Seelennot102). In die Wüste, in die Einsamkeit aber folgen ihm die Bilder der Welt, die er verlassen zu haben wähnte, nach, und gerade in ihr muß er sich derselben in furchtbarem Kampfe erwehren. Das Ansehen eines Wundertäters, Macht, Ehre, Herrschaft über alle Güter und Reiche der Welt, alle diese blendenden Vorstellungen treten vor sein geistiges Auge. Aber nur kurze Zeit währt diese Versuchung. Denn nicht in der auf Glanz, Ehre und Macht gestellten Außenwelt liegt das Heil beschlossen, im eigenen Ich, in der eigenen Brust ist es zu suchen, wird man es finden. Erst wenn der Mensch hier seinen Gott gefunden, erschließt sich ihm das wahre Reich Gottes. Im Geist ist vor ihm die Welt vorbeigezogen mit all ihrem Glanz, all ihrer äußeren Pracht, aber auch allem Elend, allem Jammer, der sie erfüllt. In Erbarmen krampft sich sein Herz zusammen. Er sieht das Elend seines Volkes, ja das der gesamten Menschheit, und ihm ist, als ob sich all die tausendfache Pein und Herzensnot auf ihn selbst herabsenke, ihn wie in einem finsteren, lichtlosen Abgrund zu verschlingen drohe. Aber aus dem inneren Erleben also tiefen Leides wächst riesengroß, unüberwindlich der Heilandsgedanke empor: den Gott, den er im Innersten seines Herzens gefunden, den Menschen da draußen zu verkünden, ihnen in ihrem blinden Elend, ihrer Finsternis eine feste Zuversicht zu geben. Uber dem Anblick des Jammers der Welt, der ihn zuerst zu Boden drücken wollte, erhebt sich,

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einer neuen Sonne vergleichbar, der gewisse Glaube an den »Vater unser«, der mit dem Band der Liebe die Menschheit zu einer Einheit mit sich, im Reiche Gottes vereinen will. Gott, Ich und Welt schließen sich vor dem ins Innerste, Letzte vordringenden Geiste der Liebe zu einer Einheit zusammen, über aller Mannigfaltigkeit und Zerstreutheit der Welt steigt der neue Gottesgedanke in wundervoller Erhabenheit und Tiefe empor. Dieses Gotterleben ist in der Tat kein quietistisch sich selbst genügendes, befriedigt in sich selbst ruhendes. Es ist aus dem eigenen Innern hervorgewachsen, aber einem Innern, das in sich die Welt begriffen, die Welt in aller ihrer Größe wie Nichtigkeit erfaßt und in sich aufgenommen hat. Und so schaut Jesus in Gott auch die Welt, umfaßt Jesus in dem Erleben Gottes als eines allbarmherzigen Vaters auch die ganze leidende Welt. Ein Vater unser und wir seine Kinder. Der Satz: du sollst lieben Gott, deinen Herrn, und deinen Nächsten wie dich selbst 103 ), legt Jesu Lehre in knappen Worten dennoch erschöpfend dar. Die in der »Anschauung« Gottes gewonnene Fülle der Liebe umschließt eben in Gott auch die ganze Menschheit. Es ist wie ein Strömen der Liebe vom Haupt zu den Gliedern und von den Gliedern zurück zum Haupt in nie versagender, nein, stetig sich mehrender Fülle 104 ), die Einigung aller zu einem »himmlischen Reiche«, »einem Reiche in Gott« oder »Reich Gottes« 105 ). Dieser Gott ist nicht mehr der furchtbare, zürnende Gott Israels, aber auch nicht mehr der selig in sich selbst ruhende, »erste Beweger«, noch das in wunderbarer Schöne erschaute, sich selbst genügende höchste Gut, nicht jenes Geliebte, das als letztes Ziel der zu ihm emporstrebenden Liebenden selbst jenseits aller Liebe steht und sich deshalb an das Niedere nicht verlieren kann, nein, diese Gottheit ist die Liebe selbst, und zwar eine wirkende, schaffende, wollende106), allbarmherzig zur Menschheit sich herabneigende Liebe, die nicht mehr fürchtet, sich an das Schlechtere, Niedere zu verlieren 107 ), eine Liebe, die kein bloßes Streben zum höchsten Gut mehr, sondern dies »summum bonum« selbst ist 108 ). Hier gibt es keine an der Vernunft noch an der Ästhetik orientierten Wertmaßstäbe mehr, an denen eine Rangordnung der den verschiedensten Dingen und Menschenklassen zukommenden Liebe sich

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gleichsam ablesen läßt, hier ist vielmehr das höchste Gut die Liebe selbst, das Geliebte auch das Liebende, ist der Logos Fleisch und Person geworden, strömt die Liebe aus nie versagender Fülle, sintemalen sie das Prinzip der Welt geworden ist: »L'Amor che muove il sole e l'altre stelle«. Wenn Hegel das Christentum als die absolute Religion bezeichnet und als das schlechthin Neue und Einzigartige an ihm hervorhebt, daß es die Idee der absoluten Identität des göttlichen und menschlichen Geistes, die Vorstellung von der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur erst voll und ganz herausgearbeitet habe109), so ist das eigentlich nur der abstrakte Ausdruck für das, was wir als Jesu höchstes religiöses Erleben darlegten, das Finden Gottes in sich selbst, im eigenen Innern; jenes Suchen und Finden Gottes in sich selbst, wie ihm im »Mysterium Jesu« der Heiland in den scheinbar paradoxen und doch so wundervoll tiefsinnigen Worten Ausdruck verleiht: »Du würdest mich nicht suchen, so du mich nicht schon gefunden hättest« 110 ). Wie Jesus den Gott in tiefster, eigenster Seele findet, so ist €S bei seiner Tätigkeit nach außen, bei seiner Predigt und Lehre, sein stetes Bemühen, den Menschen auf sich selbst zurückzuwerfen, ihn sein eigenes Innere erkennen zu lehren. Überall geht er auf die Persönlichkeit des betreffenden Menschen los, packt den Betreffenden an der zentralen Stelle seines Ich an. Er greift ihm gleichsam ins Herz, zwingt ihn »umzudenken«111), schließt ihm sein Inneres auf und lehrt ihn so, seinen Gott zu finden. Die vielkommentierte Begegnung mit dem reichen Jüngling, die von den Nationalökonomen besonders gerne als Beispiel für Jesu antikapitalistisches Verhalten gedeutet wird118), zeigt diese Art seines Wirkens vielleicht am deutlichsten. Wenn es im Texte 118 ) zum Überfluß heißt, »er hebte ihn«, wer sieht da nicht, wie er diesen Menschen sofort in seiner ganzen Persönlichkeit, im zentralen, aber auch schwächsten Punkte seines Ich erfaßt hat und ihm nun, als für ihn schwerste Probe, diese Forderung auferlegt. Daß der seine Schätze wegschenken soll, ist an sich nicht das Wesentliche, wesentlich ist der Akt als solcher, als Probe für die das Innere erfüllende Kraft, als Ausdruck des eigenen Ich, das sich hier einem Höheren eröffnen und diese

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neue Gesinnung durch eine dementsprechend heroische Tat bestätigen soll 114 ). Man mag aus dem Beispiel eine relative Geringschätzung äußerer Güter gegenüber dem höchsten seelischen Gute folgern, ein Beweis für Jesu »weltfremde, ideologische« Gesinnung ist es sicher nicht, und ganz und gar nicht spricht sich hierin ein Haß gegen die Reichen, Vornehmen, Mächtigen im Sinne eines blinden Klassenhasses aus, wie wir ihn heute bei gewissen sozialen Gruppen finden. Daher kann es nur für äußerst verfehlt erachtet werden, wenn gerade von diesen Kreisen heute Jesus als »Mann des Volkes«, als sozialer Reformator und »Revolutionär« in Anspruch genommen wird. Denn von einer solchen generellen Einstellung im Sinne eines Klassenhasses ist Jesus weit entfernt. Ebenso ist es aber verkehrt, wenn von anderer, sozusagen aristokratischer Seite, also vom entgegengesetzten Standpunkt, aber fast mit denselben Argumenten, Jesus als schwärmerischer, in eine Jenseitsutopie sich flüchtender Ideologe und insofern als ein von giftigem Ressentiment gegen die vornehmen, altererbten Werte besessener Umstürzer alter Werttafeln dargestellt wird118). Bei wirklich vorurteilsfreier Betrachtung kann man von alledem bei Jesus wahrhaftig nichts entdecken. Denn Jesus läßt die äußeren Institutionen der umgebenden Welt meist völlig auf sich beruhen. Er gibt dem Kaiser, was des Kaisers ist 118 ), und verkündet ausdrücklich, er sei nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen117). Auch mit den Pharisäern verkehrt er an sich freundlich, läßt sich von ihnen zu Gaste laden und ist von einem Ressentiment, einem Gefühle sozialen Hasses gegen diese Repräsentanten der jüdischen Bourgeosie und ihre ehrbar-bürgerliche Korrektheit an sich recht entfernt. Freilich, wenn er diese Menschen als Persönlichkeit betrachtet, die ihnen innewohnende Engherzigkeit und Beschränktheit, ihre heuchlerische Demut, die Art, wie sie das Volk bedrücken, ihm das Himmelreich versperren, ansieht, dann freilich bricht aus den Tiefen seiner Seele ein gerechter Unwille, ein flammender Zorn hervor, und harte Worte strömen ihm dann von den Lippen. Er sieht eben das Nichtige in diesen Menschen, die von ihren VorFuchs, Der Geist der bOrgerlich-kapiUlbt. Goellscbaft.

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urteilen, wie von einer unübersteiglichen Mauer umgeben, allem Wahren und Echten unzugänglich sind; er dringt unter die sie umgebende äußere Hülle und sieht, wie sie übertünchten Gräbern gleichen, geistig Toten, die ihre innere Leere mit geräuschvoller äußerer Gesetzestätigkeit überstäuben wollen und weit entfernt von aller inneren Fülle nun »in äußerlichen Gebärden« 118 ) das Reich Gottes suchen. Von diesen geistig Abgestorbenen, aus denen kein frisches Reis mehr blühen kann, wendet er sich dann zum gemeinen Volke, ja zu Zöllnern, Dirnen und Sündern aller Art. Aber nicht aus einem Klassenhaß gegen die Vornehmen, die ihn nicht haben hören, nichts von ihm haben wissen wollen, wendet er sich zum gewöhnlichen Volke, wie um dieses nun aufzustacheln gegen die verhaßten Reichen, nein, es ist die einfache Erfahrung, daß in dieser Region unter schlichten, ungebrochenen Menschen seine Lehre leichter Eingang finden wird als bei den Besitzenden und reichen Pharisäern. Denn, abgesehen von der besonderen Wesensart der Pharisäer, ist es an sich völlig klar, daß die besitzenden, an der momentanen Ordnung der Dinge zumeist interessierten Klassen überaus schwer zugänglich sind und sein werden. Bei diesen meist auch noch durch Halbbildung seelisch verunstalteten, weder wissenden noch mehr naiven Bevölkerungsschichten ist selten oder nie der Boden für eine neue, höhere Lehre bereitet worden. Um diese Menschen herauszureißen, bedarf es schon ganz gewaltiger, innerer wie äußerer Anlässe, und zumeist werden sie sich einer neuen Lehre erst dann anschließen, wenn der »Erfolg« für dieselbe entschieden hat. Denn die tausendfachen Entbehrungen und Qualen eines Verkünders einer neuen Lehre mitzuerleben, sind sie nicht geschaffen, ja sie haben meist gar keine adäquate Vorstellung davon, was zu solch heroischem Leben überhaupt not ist. Kein Wunder, daß alle Religionsstifter sich zumeist an das gemeine Volk gewandt haben; denn hier ist eben — wenigstens war das in früheren Zeiten der Fall! — jene ungebrochene, naive seelische Konstitution anzutreffen, deren jede neue Religion als einer unumgänglichen Voraussetzimg für ihr Entstehen wie ihre Weiterbildung bedarf. Und weit mehr noch wie beim Volke ist das bei den als Sündern zu Bezeichnenden der Fall. In den Seelen solcher

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Menschen, die, sei es durch eigene oder fremde Schuld, aus dem Geleise geworfen sind, schlummert oft ein tiefes, echtes Verlangen nach Erlösung. Man braucht diese Art von Menschen wirklich nicht durch die rosenrote Brille des Ideals anzusehen, um zu behaupten, daß solche Menschen, so sie einmal unter den Bann einer großen, echten Persönlichkeit kommen, dann wirklich jene Art Wiedergeburt erfahren, wie sie Jesus in seinem nächtlichen Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus schildert, und daß solche Neugeborene dann zu Taten und Leistungen fähig werden, die man zuvor niemals bei ihnen vermutet hätte. Insofern ist diese Art Menschen der ergiebigste Boden für alle neuen Religionen, die sich nun einmal, wie die Welt ist, nicht bloß kraft des Gesetzes ruhiger organischer Bildung durchsetzen können, sondern zu ihrer Verbreitung einen Heroismus und eine bis zum äußersten bereite Tatkraft und Energie verlangen, die weit über das menschliche Mittelmaß hinausgehen. Eines solchen Heroismus aber ist die weitaus größere Mehrzahl der sog. »Gebildeten« und »respektablen Leute« durchaus unfähig, während eben Menschen der bezeichneten Art unter den geschilderten Voraussetzungen oft ihre Leistungen zu einer Riesenhöhe steigern können.. E s ist richtig, daß diese letzteren im Gegensatz zu jenen ersteren materiell wenig oder gar nichts zu verlieren haben und schon deshalb zu allem Guten, aber auch Bösen von vornherein leichter bereit sind; es ist auch richtig, daß solche Art von Menschen, von wüsten Fanatikern geleitet, oft unendliches Unheil über die Menschheit gebracht haben, aber man darf sich dadurch nicht irre machen lassen, das wahrhaft Große und Bedeutende da zu erkennen, wo wie im Christentum eine solche aus dem Volke kommende Bewegung sich einmal wirklich in den Dienst des Ideals gestellt hat. Der Ausspruch Nietzsches 119 ): »Catilina — die Präexistenzform jedes Cäsar« — ist in vielleicht noch tieferem Sinne wahr, als Nietzsche selbst dies an jener Stelle ausgesprochen hat, und stellt eine tiefe Lehre für die Menschheit dar. Eine siegreiche Religion wird die »respektablen Leute« für sich haben, sie kann es sich auch leisten, »objektiv« zu sein, aber alle werdenden Religionen wie neu emporkommenden Ideen fordern eben den Kampf gegen das Alte, Ererbte, Bestehende, Besitzende, ja müssen in 4*

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gewissem Sinne revolutionär sein, weil das ganz einfach in ihrem Wesen liegt. Und jeder Cäsar steht einmal an dem Punkte, wo er ein Catilina werden kann oder eben — ein Cäsar wird. Das Unbeschreibliche aber, in Jesus ward's Ereignis: er starb als Catilina und stand als Cäsar auf. Und wenn Jesus bei Gelegenheit des reichen Jünglings wie auch bei anderen Anlässen die Armut, die Selbstentäußerung, die Besitzlosigkeit fordert, so liegt dem nicht ein kritikloses Anpreisen der Armut an sich zugrunde, als ob sie an sich schon eine Tugend sei 120 ), sondern zunächst ein Hinweis darauf, daß ein Hangen an äußeren Gütern und dementsprechend beständiges, rastloses Sichsorgen für die Güter dieser Welt den Geist nur zu leicht vom Ewigen, Absoluten abzieht und ihn anstatt dessen in lauter Äußerlichkeiten sich verlieren läßt, was schließlich zu einer direkten Vernichtung der Persönlichkeit führen muß, jenem »ensorcellement de la bagatelle«, wie es heute fast zum Fluch der Menschheit geworden zu sein scheint. Er warnt vor einer Tätigkeit, die lediglich in die Breite, anstatt in die Tiefe geht, vor einem rastlosen Schaffen, bei dem der Mensch dennoch unbefriedigt bleiben muß, wogegen er bei seelischer Vertiefung, wenn auch nicht zu einem letzten Gute an sich gelangen, so doch in der Annäherung an dasselbe an Wert und Fülle des Geistes zunehmen kann. In diesem Sinne fragt Jesus, was es dem Menschen hülfe, die ganze Welt zu gewinnen, so er Schaden nähme an seiner Seele 121 ), oder was der Mensch geben könne, um seine Seele zu lösen122).. Es ist stets das Innere, die Persönlichkeit, auf die Jesus bei allen seinen Fragestellungen Bezug nimmt. Und nach dieser Richtung hin hat Jesus in der Tat eine Umwertung der Werte herbeiführen wollen und auch herbeigeführt. Eine Welt, in der Macht und Reichtum, Stand und Besitz die fast allein normgebenden Faktoren waren (auch in der heutigen Welt sind sie's zum weitaus überwiegenden Teile noch), sucht er durch oft scharf pointierte, ja oft geradezu paradox anmutende Gleichnisse mit aller Macht darauf hinzuweisen, daß ihre Güter, ihre Werte im Vergleich zum Finden des eigenen Ich völlig irrelevant sind. Dieses Ich will er ja auch im reichen Jüngling erwecken, und da er sieht, wie stark selbst die besten Menschen dieser Art an den alten Werten hängen,

Die antiken ethischen Wertmaßstäbe.

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darum bringt er mit Absicht Beispiele und Gleichnisse128) vor, die auf den ersten Augenschein hin seltsam anmuten, ja für das »Gerechtigkeitsgefühl« gewisser Leute noch heute »anstößig« wirken, die aber dennoch eben den Zweck verfolgen, die Menschen zum »Umdenken«, zur Einkehr in sich selbst, zu einer Änderung ihres Innern und damit auch ihres Verhältnisses zur umgebenden Welt zu bewegen. Und eben hierin erweist sich Jesu Lehre und Leben als durchaus schöpferisch, und zwar schöpferisch im eigentlichsten und positivsten Sinne. Denn das Entscheidende hierbei ist das Moment, daß diese Umwertung der Werte nun auch direkt aus Jesu tiefstem Wesensgrunde hervorgegangen ist und insofern völlig organisch und lebensvoll sich entfaltet hat. Dieses Moment ist auch dasjenige, welches Jesu Lehre und Wirken von der äußerlich ähnlich gearteten Geistesarbeit mancher antiker Philosophen unterscheidet. Wenn Nietzsche, der ein völlig antik gesinnter Geist war, Jesu Wirken als Umsturz der antiken Wertmaßstäbe erklärt hat, so hat ihn sein intuitiver Geist darin völlig richtig geleitet, daß er den weiten Abstand, der antike und christliche Weltanschauung trennt, ahnend erschaute. Nur irrte er ganz und gar, wenn er die von Jesus neu geschaffenen Werte als Früchte eines giftigen, unterirdisch wühlenden Hasses gegen die weit vornehmeren antiken Werte bezeichnete und mit Jesus einen Sklavenaufstand der Moral einsetzen ließ, der allmählich zur Entthronung, ja zur Unterdrückung aller echten Werte geführt habe. Denn eben das kann man gerade von den Lehren der spätantiken Philosophen behaupten, deren äußere Ähnlichkeit mit Jesu Lehre von anderer Seite wieder zum Beweis dafür herangezogen wird, daß Jesus tatsächlich nichts Neues geschaffen, sondern nur die in der Antike bereits vorhandenen Elemente übernommen und weitergebildet habe. Daß man zu der einen wie der anderen Behauptung hat kommen können, das liegt unseres Erachtens daran, daß man eben den eigentlichen Kern der ganzen Sache, die Persönlichkeit Jesu, nicht erkannt hat und den fundamentalen Unterschied zwischen antiker und echt christlicher Geistesart eben deshalb auch nicht hat erkennen können. Die antiken ethischen Wertmaßstäbe sind eben fast ganz auf der äußeren Hierarchie der Werte aufgebaut, und selbst dort, wo

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Die Persönlichkeit Jesu.

dies weniger durchsichtig zu sein scheint, wie bei den spätantiken Geistern, ist es dennoch bei näherem Zusehen unzweifelhaft, daß auch ihr Ethos, wenn auch mehr im gegensätzlichen Sinne, an der Außenwelt orientiert ist 124 ). Der Grieche, selbst der späteren demokratischen und eigentlich auch der hellenistischen Zeit, hat immer das Ideal der alten patriarchalisch-feudalen Zeit, das des aya&og avijQ festgehalten, wie es uns im Homer zuerst anschaulich entgegentritt. Es ist das der Typus des königlichen, auf sich selbst gestellten Mannes, der (wie es zahlreiche Stellen bei Homer bezeugen) selbst die Götter mit heiterer Ironie behandelt und im übrigen auf dem Boden altererbten Besitzes und Reichtums steht und auf dieser Basis ein ritterliches, den Waffen und dem Sport gewidmetes Leben führen kann 125 ). Diese königlichen Herren nennen sich dann die »Guten« oder »Besten« (uya&oi, UQIOTOI), werden im Liede als die »Seligen« (^axaptg) gefeiert, sind die »Wohlgeborenen« (tiijiaTQldai), die »gleich einem Gott im Volk geehrt« werden (&tog