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German Pages 164 [165] Year 2017
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 69
Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit, dem europäischen Beihilferecht und dem Energiebinnenmarkt Eine Untersuchung verschiedener Kapazitätsmarktmodelle sowie der Kapazitäts- und der Netzreserve
Von
Linda Preuß
Duncker & Humblot · Berlin
LINDA PREUSS
Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit, dem europäischen Beihilferecht und dem Energiebinnenmarkt
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Band 69
Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit, dem europäischen Beihilferecht und dem Energiebinnenmarkt Eine Untersuchung verschiedener Kapazitätsmarktmodelle sowie der Kapazitäts- und der Netzreserve
Von
Linda Preuß
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
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Für Florian
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Sie behandelt die Frage, ob und wie die in Deutschland immer wieder diskutierten Modelle für Kapazitätsmechanismen mit europäischem Recht vereinbar sind. Zwar kann sich die Bundesregierung (noch) nicht zu der Einführung eines Kapazitätsmarktes durchringen. Sie hat aber sowohl die bereits eingeführte Netzreserve als auch die sich im Verordnungsgebungsprozess befindende Kapazitätsreserve bei der Europäischen Kommission umfassend zu begründen. Auch ein etwaiger deutscher Kapazitätsmarkt müsste sich einem ähnlichen Verfahren stellen. Die Arbeit gibt einerseits einen rechtlichen Einblick in die verschiedenen Modelle und nimmt in dieser Hinsicht eine Strukturierung vor, andererseits beantwortet sie die europarechtlichen Fragen detailliert für jedes Modell. Besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Ulrich Ehricke für die Themenfindung und die Betreuung meiner Promotion sowie die außergewöhnlich zügige Erstellung des Erstgutachtens. Herrn Prof. Dr. Stephan Hobe danke ich für die Erstellung des Korreferats, Herrn Prof. Dr. Burkhard Schöbener für die Übernahme der Leitung der Prüfungskommission im Rahmen der Disputation. Ganz besonderer Dank gilt Herrn Dr. Florian Reul für seine Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Bonn, im März 2017
Linda Preuß
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Begriffsbestimmungen Kapazitätsmarkt, Kapazitätsmechanismus und Abgrenzung zu anderen Arten der Leistungsvorhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Zentrale Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Zentraler, umfassender Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Zentraler, fokussierter Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Dezentrale Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt ohne zentrale Verpflichtung . . . . 29 b) Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt mit „ex-ante-Verpflichtung“ . . . 33 2. Dezentraler, umfassender, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt . . . . . . . 35 III. Strategische Reserve bzw. Kapazitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Das Konzept der Strategischen Reserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Die Kapazitätsreserve nach dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz); Erlass der Kapazitätsreserveverordnung 40 IV. Exkurs: Die Netzreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Einführung eines administrativen Ansatzes für eine Netzreserve . . . . . . . . . . . . 42 2. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine Reservekraftwerksverordnung 43 3. Erlass der Reservekraftwerksverordnung (ResKV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Änderung der ResKV in die neue Netzreserveverordnung (NetzResV) und einzelne Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Regelungen zur Systemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Regelungen zum Ausschreibungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Regelungen über die Beschaffung von Kapazitäten aus bestehenden Anlagen 46 d) Regelungen zur Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 e) Regelungen über die Beschaffung von Kapazitäten aus neu zu errichtenden Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 B. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit
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I. Sachlicher Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet? . . . . . . . . . . . . . . . 53
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Inhaltsverzeichnis II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Abschließende Harmonisierung nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Vanacker und Lesage, C-37/92 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) DaimlerChrysler, C-324/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Deutscher Apothekerverband, C-322/01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 d) Kommission/Deutschland, C-463/01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 e) Radlberger Getränkegesellschaft, C-309/02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 f) Kommission/Frankreich, C-216/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 g) Åland, C-573/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 h) Essent Belgium, C-204/12, C-206/12, C-208/12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 i) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Europäische Harmonisierung im Bereich Kapazitätsmechanismen . . . . . . . . . . 65 a) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Richtlinie 2009/72/EG als abschließende Harmonisierungsmaßnahme? . . . . 67 c) Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen als abschließende Harmonisierungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Die Rechtsnatur von Leitlinien und ihre Eignung als Harmonisierungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Abschließende Harmonisierung durch die „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Zentraler, umfassender Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Zentraler, fokussierter Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Dezentraler, umfassender, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt . . . . . . . 92 5. Kapazitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Exkurs: Netzreserve nach NetzResV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit bei Kapazitätsmärkten und der Kapazitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Öffentliche Sicherheit, Art. 36 Satz 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Cassis-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Art. 106 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Begriff des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . 108 c) Betrauungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Verhinderung der Erfüllung einer „übertragenen besonderen Aufgabe“ . . . . 110 e) Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs, Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
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4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 V. Zusammenfassung Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 121 C. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit dem europäischen Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Zentrale Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte ohne „ex-ante-Verpflichtung“ . . . . . 129 3. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte mit „ex-ante-Verpflichtung“ . . . . . . 130 4. Dezentrale, umfassende, rein nachfrageorientierte Kapazitätsmärkte . . . . . . . . 130 5. Kapazitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6. Exkurs: Netzreserve nach NetzResV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Zusammenfassung Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht . . . . . . . . . 137 D. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit dem Energiebinnenmarkt
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I. Keine energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben für Kapazitäts- und Netzreserve (sog. Reservelösungen)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Einzelheiten zu den für Kapazitätsmärkte relevanten energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG und Verhältnis der Vorschrift zu Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Umsetzung der Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG in deutsches Recht . . . . . 143 1. §§ 4 ff. BImSchG als Umsetzungsnormen des Art. 7 der Richtlinie 2009/72/ EG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. § 53 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Energiebinnenmarktrechtlicher Prüfungsmaßstab für Kapazitätsmärkte . . . . . . . . 147 1. Zentrale Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Dezentrale Kapazitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Reservelösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 E. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Einleitung Begriffe wie Energiewende, Energiemarkt oder Netzausbau sind derzeit in aller Munde und Inhalt täglicher Nachrichtenmeldungen und Presseartikel. Der Strommarkt in Deutschland und Europa steht vor den gravierendsten Umbrüchen zumindest der letzten drei Dekaden.1 Nachdem in der energiewirtschaftlichen Debatte zunächst die politischen Grundsatzentscheidungen – Abkehr von der Atomenergie und Ausbau der erneuerbaren Energien – im Vordergrund standen, wendet man sich in letzter Zeit mehr den kurz- und mittelfristigen Folgen aus den Entscheidungen zur Energiewende zu.2 Eine dieser Folgen, insbesondere aus der Umstellung der Stromerzeugung von heute rund 70 % konventioneller Erzeugung auf 55 bis 60 % erneuerbare, d. h. kohlendioxidfreie Energien bis 2035, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 EEG, ist eine notwendige Neustrukturierung des Strommarktes, denn höhere Anteile an erneuerbaren Energien stellen neue Herausforderungen an die Gewährleistung der Versorgungssicherheit.3 Dabei soll der Strommarkt Erzeugung und Verbrauch weiterhin effizient synchronisieren: Er soll dafür sorgen, dass ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, damit jederzeit ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage möglich ist (Vorhaltefunktion).4 Gleichzeitig muss er sicherstellen, dass diese Kapazitäten so eingesetzt werden, dass Erzeugung und Verbrauch jederzeit im Gleichgewicht sind (Einsatzfunktion).5 Ferner erfordert ein Umschwenken auf nicht fossile Primärenergieträger durchweg hohe Investitionen. Beispielsweise bedingt die regional unterschiedliche Ver1 Vgl. Günther, EnWZ 2013, 385, 385, die zudem die vielschichtige Problematik der aktuellen Stromversorgungssituation mit ihren qualitativ und quantitativ neuen Herausforderungen als Folge sechs verschiedener Entwicklungen im Energiemarkt ansieht: (1) Mangelhafte Kraftwerkssubstanz nach Phase der Unterinvestition, (2) Dringende Investitionsnotwendigkeiten wegen Ausstiegs aus der Kernenergie und der Abschaltung von Kraftwerken wegen neuer Investitionsstandards, (3) Umstellung auf erneuerbare Energien, (4) Ungünstige Entwicklungen auf den globalen Brennstoffmärkten mit niedrigem Preisniveau bei Kohle gegenüber hohen wirtschaftlichen Herausforderungen für klimafreundliche Erdgaskraftwerke, (5) Unzureichendes europäisches Emissionshandelssystem, welches keine hinreichend robusten Preise für den Ausstoß klimaschädlicher Gase liefert und (6) Anstieg der Kosten fossiler Kraftwerke um 70 % in den letzten Jahren. 2 Franke, EnWZ 2013, 529, 529. 3 Rösler, in EnWZ 2013, 193, 193 f., welcher als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie bereits in der 17. Legislaturperiode eine Neustrukturierung des Strommarktes für unumgänglich hielt. 4 BMWi, Grünbuch, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 6. 5 BMWi, Grünbuch, S. 6.
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Einleitung
fügbarkeit von Wind- und Solarenergie den notwendigen, jedoch kostenintensiven Ausbau vor allem der Höchstspannungsnetze.6 Naturgemäß ist die Stromerzeugung aus Wind und Sonne zudem stark von bestimmten meteorologischen Bedingungen abhängig, also durch eine erheblich schwankende Produktion gekennzeichnet.7 Angesichts noch nicht entwickelter, ausreichend effizienter Speichermöglichkeiten kann aus Wind- und Sonnenenergie erzeugter Strom daher nicht entscheidend zur Versorgungssicherheit beitragen. Aber nicht nur die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien, sondern auch der Wegfall von sicher zur Verfügung stehender Kapazität durch die Abschaltung von Kernkraftwerken und die fehlende Rentabilität des Betriebs von konventionellen Kraftwerken sind die Hauptgründe dafür, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland mittel- bis langfristig gefährdet erscheint.8 Die derzeitigen Überkapazitäten in Höhe von 60 GW an Strom erklären sich hingegen zum einen aus dem effizienter gewordenen Strommarkt sowie zum anderen aus der Kopplung der nationalen Strommärkte auf europäischer Ebene.9 Diese Überkapazitäten sowie die niedrigen CO2-Preise führen gegenwärtig zu niedrigen Großhandelspreisen, wobei dies jedoch aktuell die Wirtschaftlichkeit von Bestands- und Neubaukraftwerken verringert und den Förderbedarf für erneuerbare Energien erhöht.10 Denn wenn die Spotmarktpreise für Strom zu tief sinken, können sich insbesondere Kraftwerke mit hohen variablen Kosten, wie z. B. Gasturbinenkraftwerke, nicht über den Spotmarkt refinanzieren.11 Dies schreckt Investoren vom Neubau von Kraftwerken ab, so dass in der Folge zu wenig Erzeugungskapazität in den Markt eingestellt wird.12 Mögliche Stilllegungen sog. „systemrelevanter“ Kraftwerke bzw. deren unzureichende Gasversorgung können mittelfristig die Versorgungssicherheitslage verschlimmern.13 Insbesondere die europäische Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen erzwingt in den nächsten Jahren die Abschaltung von Kraftwerksanlagen, die die neuen
6 Vgl. Website der Bundesnetzagentur zum Netzausbau: http://www.netzausbau.de/wissens wertes/warum/de.html, zuletzt aufgerufen am: 2. Januar 2016. 7 Vgl. Günther, EnWZ 2013, 385, 385. 8 Däuper/Voß, IR 2013, 170, 170, dies zwar zum Hintergrund und Zweck der Netzreserve (die das Ziel der Gewährleistung der notwendigen Netzspannung hat) herausstellend, greifen die Erklärungen aber ebenso für die leistungsbilanzielle Versorgungssicherheit, welche auf die Gewährleistung der Abdeckung der Nachfrage nach Strom durch Gewährleistung eines ausreichenden Angebotes an Kraftwerksleistung abzielt. 9 BMWi, Grünbuch, S. 13. 10 BMWi, Grünbuch, S. 13. 11 Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, aufrufbar unter: www.ewi.uni-koeln, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 46. 12 Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Strommarktdesign, S. 46. 13 Vgl. das Energiekonzept 2050 der Bundesregierung unter www.bundesregierung.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015.
Einleitung
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Emissionsstandards nicht mehr einhalten.14 „Versorgungssicherheit“ aus Sicht der Stromkunden bezieht sich dabei nicht nur auf die gesicherte Belieferung mit Strom, sondern auch auf die Sicherheit der Strompreise.15 Aus diesen Gründen erwog die Bundesregierung zunächst, einen sog. klassischen Kapazitätsmarkt einzuführen. Dabei ging es in der aktuellen Diskussion im Kern darum, ob und, wenn ja, welche Änderungen des in Deutschland bisher bestehenden Strommengenmarktes (sog. Energy-only-Markt) notwendig sind, um auch zukünftig Versorgungssicherheit zu gewährleisten.16 Bei Kapazitätsmärkten handelt es sich um eine Art von Strommarktdesign17, in deren Rahmen im Gegensatz zu reinen Energiemärkten auch die bloße Vorhaltung von Kapazitäten vergütet wird und zwar auf einem zweiten, neben den Energy-only-Markt tretenden Strommarkt.18 Mithilfe von Kapazitätsmechanismen jeglicher Art soll ein vorgegebener Zielwert an Kapazität erreicht und das gewünschte Niveau an Versorgungssicherheit realisiert werden.19 Anstoß der Diskussion um die Einführung eines Kapazitätsmarktes im Strombereich war die Gründung des sog. Kraftwerksforums durch das BMWi20 im Sommer 2011. Ziel des Kraftwerksforums war der Ideenaustausch zwischen Politik, Energiewirtschaft und Umweltverbänden angesichts der drängenden Frage der Versorgungssicherheit des durch zahlreiche neue Entwicklungen beeinflussten Strommarktes. In der zweiten Sitzung des Kraftwerksforums im April 2012 hat das BMWi mit Ländern und Verbänden einen Dialog über ein zukunftsfähiges Design der Strommärkte begonnen.21 Ausgangspunkt der Debatte war ein Gutachten zum 14 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 u¨ ber Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung). 15 Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Strommarktdesign, S. 46. 16 Auf dem deutschen Strommarkt spielt die Bereitstellung von Kapazitäten zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit auf dem Regelenergiemarkt bislang nur eine untergeordnete Rolle, weshalb Däuper/Voß diesen als klassischen „Energy-only-Markt“ bezeichnen, vgl. ZNER 2012, 119, 119. 17 Die Begriffe „Kapazitätsmarktmodell“ und „Strommarktdesign“ werden in vorliegender Arbeit nicht – wie teilweise in der Literatur vorgenommen – synonym gebraucht. Die Diskussion um die verschiedenen Kapazitätsmarktmodelle stellt zwar im Wesentlichen die zur Diskussion stehende Änderung des Strommarktdesigns dar. Der Begriff Marktdesign (bzw. Strommarktdesign) kann jedoch als Oberbegriff für die Ausgestaltung eines Strommarktes mit und ohne Kapazitätsmechanismen angesehen werden. 18 Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 119. Vgl. zur Kapazitätsmarktdefinition auch unten unter Punkt A. 19 Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Strommarktdesign, S. 46. 20 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). 21 Vgl. Website des Bundeswirtschaftsministeriums zur genauen Entwicklung der Diskussion: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/plattform-strom markt.html, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015; ursprünglich für Deutschland ins Gespräch gebracht wurden Kapazitätsmärkte von der Ethik-Kommission Sichere Energiever-
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Einleitung
Strommarktdesign, in dem sich das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität zu Köln für einen sogenannten Versorgungssicherheitsmarkt aussprach.22 Im weiteren Verlauf wurden viele grundsätzliche Fragen formuliert, so etwa die europäische Dimension der Thematik, aber auch technische Potenziale. Einige hochrangige Institute rieten indes von der Einführung jedenfalls eines Kapazitätsmarktes ab.23 War man sich anfangs also nicht sicher, ob es überhaupt einer Änderung des Strommarktes bedürfe, stellte sich später nur noch die Frage, wie die konkrete Ausgestaltung eines neuen Strommarktdesigns erfolgen sollte. Gerade dieser Aspekt aber wirft zahlreiche juristische Fragen auf. Die wesentlichen Hürden ergeben sich dabei aus europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben.24 Die Bundesregierung beabsichtigte zudem bereits laut Koalitionsvertrag zu Beginn der 18. Legislaturperiode, in den Jahren 2017/2018 zumindest einen Kapazitätsmechanismus einzuführen.25 Welcher Art dieser sein würde, blieb lange offen. Zwischenzeitlich – während der laufenden 18. Legislaturperiode – kam der Wissenschaftliche Beirat des BMWi zu dem Ergebnis, dass, um langfristig Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ein zentraler Kapazitätsmarkt zu empfehlen ist.26 Das BMWi gab in der Folge weitere Gutachten zu Kapazitätslösungen in Auftrag und plante, eigene Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung von Kapazitätsmecha-
sorgung, vgl. Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, vorgelegt von der Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, 30. Mai 2011, aufrufbar unter: http:// www.nachhaltigkeitsrat.de/uploads/media/2011-05-30-abschlussbericht-ethikkommission_pro perty_publicationFile.pdf, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 33 f. 22 EWI favorisiert einen sog. Versorgungssicherheitsmarkt in Abgrenzung zum Konzept der sog. Strategischen Reserve, Näheres hierzu s. u., Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Strommarktdesign, S. 70 ff. 23 Vgl. bspw. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), welches – wenn überhaupt – lediglich Bedarf für eine Strategische Reserve sieht: Energiewende und Versorgungssicherheit: Deutschland braucht keinen Kapazitätsmarkt, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 24 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 243. 25 Vgl. Bundesregierung, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, aufrufbar unter www.bundesregierung.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 57: „Derzeit verfügen wir deutschlandweit über ausreichend Kraftwerke. Allerdings könnte sich diese Situation bis zum Ende des Jahrzehnts ändern. Es ist mittelfristig ein Kapazitätsmechanismus zu entwickeln, unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz im Einklang mit europäischen Regelungen und unter Gewährleistung wettbewerblicher und technologieoffener Lösungen.“ 26 Vgl. BMWi, Langfristige Steuerung der Versorgungssicherheit im Stromsektor, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 13. Kritisch sah der Beirat hingegen eine Strategische Reserve sowie andere ,selektive‘ Kapazitätsmechanismen, da diese höhere Stromkosten nach sich zögen.
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nismen zu präsentieren.27 Die Gutachter kamen zwar zu dem Ergebnis, dass der Strommarkt grundsätzlich funktionsfähig ist und Versorgungssicherheit gewährleisten kann. Voraussetzung dafür seien Anpassungen innerhalb des heutigen Marktrahmens sowie eine europäische Harmonisierung der Regeln für den Stromhandel.28 Nach Einschätzung der Gutachter sei ein optimierter Stromgroßhandelsmarkt – ggf. ergänzt durch eine Reservelösung – den diskutierten Kapazitätsmarktmodellen überlegen.29 Als erstes Diskussionspapier hat die Bundesregierung im Oktober 2014 ein Grünbuch veröffentlicht. Es baute auf zuvor erstellten wissenschaftlichen Gutachten und den Diskussionen in der Plattform Strommarkt des BMWi auf.30 Im Zentrum des Papiers stand die Frage, ob für die Gewährleistung von Versorgungssicherheit die Weiterentwicklung des derzeitigen Strommarktes ausreicht, oder ob hierfür die Einführung eines Kapazitätsmarktes notwendig ist.31 Um zwischenzeitlichen Lücken in der Versorgungssicherheit zu begegnen, empfahl die Bundesregierung in jedem Fall die Einführung einer Kapazitätsreserve (zunächst „Strategische Reserve“) als zusätzliche Absicherung („als Sicherheitsnetz“), was sich international bewährt habe – und zwar unabhängig davon, ob es letzten Endes zu einer Kapazitätsmarkteinführung kommt oder nicht.32 Der öffentlichen Konsultation des Grünbuchs folgte im Juli 2015 ein Weißbuch, mit dem konkrete Maßnahmen vorgeschlagen wurden.33 Das BMWi spricht sich darin für eine Weiterentwicklung des Strommarktes hin zu einem Strommarkt 2.0 und gegen die Einführung eines Kapazitätsmarktes aus.34 Zusätzlich soll aber eine Kapazitätsreserve eingeführt werden, die außerhalb des Strommarktes die Versorgung absichert35; die bereits bestehende Netzreserve soll über den 31. Dezember 2017 hinaus verlängert und mit der Kapazitätsreserve verzahnt werden.36 27
Vgl. auch die sog. 10-Punkte-Energie-Agenda des BMWi vom 26. Juni 2014, S. 6, welche die zentralen Vorhaben der Bundesregierung zur Energiewende in der 18. Legislaturperiode aufzeigt, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 28 Vgl. Pressemitteilung des BMWi vom 31. Juli 2014: „Bundeswirtschaftsministerium legt weitere Studien zum Strommarkt vor“, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 29 Vgl. Pressemitteilung des BMWi vom 31. Juli 2014: „Bundeswirtschaftsministerium legt weitere Studien zum Strommarkt vor“, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 30 BMWi, Grünbuch, S. 2. 31 BMWi, Grünbuch, S. 2 f. 32 BMWi, Grünbuch, S. 52. 33 BMWi, Weißbuch, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 34 BMWi, Weißbuch, S. 32 ff. 35 Vgl. zu Einzelheiten zur Kapazitätsreserve unten unter Punkt A.III.2. 36 BMWi, Weißbuch, S. 56. Vgl. zum Hintergrund der Netzreserve auch unten unter Punkt A.IV.
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Nach erneuter Konsultation bis September 2015 fand in der Folge die Umsetzung in das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) und in die Kapazitätsreserveverordnung sowie die Reservekraftwerksverordnung ablösende Netzreserveverordnung statt.37 Am 4. November 2015 wurde das Strommarktgesetz im Kabinett beschlossen; das Gesetzgebungsverfahren soll im Frühjahr 2016 abgeschlossen werden, die Kapazitätsreserveverordnung sowie die neue Netzreserveverordnung sollen nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Kraft treten.38 Auch wenn sich die Bundesregierung aktuell damit nicht für einen Kapazitätsmarkt im klassischen Sinne, sondern nur für die Weiterentwicklung des derzeitigen Strommarktes in Kombination mit zwei Arten von Reservelösungen entschieden hat, wird im Rahmen dieser Arbeit die Vereinbarkeit aller diskutierten Kapazitätsmechanismen mit europarechtlichen Vorgaben untersucht werden. Nicht nur rechtlich, sondern auch politisch interessant ist dabei zuvorderst die europarechtliche Vereinbarkeit von Kapazitäts- und Netzreserve, da diese Modelle bereits in naher Zukunft umgesetzt werden sollen.39 Sollte für eines dieser beiden Modelle die Vereinbarkeit mit europäischen Vorgaben nicht gegeben sein, wäre in der Bundesrepublik Deutschland ein europarechtswidriger Kapazitätsmechanismus eingeführt worden, welcher möglicherweise nicht nur dem (primären) Unionsrecht mit Grundfreiheiten und Vorschriften zum Wettbewerbsrecht, sondern auch den sekundärrechtlichen Vorgaben des Energiebinnenmarktes entgegenstünde. Die europäische Kommission warnte bereits in ihrer Mitteilung „Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen“ aus dem Jahr 2013, dass die Einführung von Kapazitätsmärkten dem Energiebinnenmarkt zuwider laufen kann und veröffentlichte gleichzeitig „Best-Practice“-Leitlinien, mit denen sie staatlichen Interventionen auf den Elektrizitätsmärkten einen Rahmen geben möchte.40 Dieser Rahmen bleibt zwar rechtlich unverbindlich, die
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Vgl. Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: https://www.bmwi.de/ DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 16. November 2015. 38 Vgl. Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: https://www.bmwi.de/ DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 16. November 2015. 39 Vgl. Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: https://www.bmwi.de/ DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 16. November 2015 sowie Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, aufrufbar unter: https://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt -2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 29. November 2015, S. 1 ff. 40 Mitteilung der Kommission vom 5. November 2013: Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen, C(2013) 7243 final, S. 11; für die Leitlinien vgl. S. 14 ff.
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Kommission deutet hier aber bereits explizit an, dass die Einführung von Kapazitätsmärkten eine unzulässige Beihilfe darstellen kann.41 Am 9. April 2014 verabschiedete die Kommission neue Vorschriften für staatliche Beihilfen in den Bereichen Umweltschutz und Energie.42 Darin enthalten sind u. a. wiederum neue Leitlinien für die Mitgliedstaaten. Diese betreffen die Genehmigung von Beihilfen zur Gewährleistung einer angemessenen Stromerzeugung für den Fall, dass tatsächlich das Risiko besteht, die Stromerzeugungskapazitäten könnten nicht ausreichen.43 Sie sind damit bei der Einführung von Kapazitätsmechanismen zu beachten, wenn innerhalb dieser beispielsweise beabsichtigt werden soll, Erzeuger zum Bau neuer Erzeugungskapazitäten zu ermutigen, sie von der Schließung bestehender Anlagen abzuhalten oder um Verbraucher für einen geringeren Stromverbrauch in den Spitzenlastzeiten zu belohnen. Die Kommission ist jedoch im Juli 2014 beispielsweise zu dem Ergebnis gelangt, dass das Modell des Vereinigten Königreichs für einen Kapazitätsmarkt mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar ist.44 Auch die neueste Entwicklung auf dem Gebiet des europäischen Energierechts zeigt, dass das Thema Kapazitätsmechanismen an Aktualität nicht verliert: Im April 2015 startete die Kommission eine Sektoruntersuchung in Bezug auf Mechanismen zur Sicherung der Stromversorgung.45 Diese Maßnahme des Beihilferechts soll nationale Kapazitätsmechanismen daraufhin untersuchen, ob sie eine angemessene Stromversorgung gewährleisten, ohne den Wettbewerb oder den Handel im EUBinnenmarkt zu verzerren.46 Endgültige Ergebnisse werden Mitte 2016 erwartet, so dass in der Folge die im Jahr 2014 in Kraft getretenen Energiebeihilfeleitlinien ergänzt und unterstützt werden können.47 41
Vgl. Mitteilung der Kommission vom 5. November 2013: Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen, C(2013) 7243 final, S. 11; für die Leitlinien, S. 15. 42 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01. 43 Vgl. Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01. 44 Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. Juli 2014, EuZW 2014, 603. Die Kommission führte hierzu aus, die Regelung werde in Übereinstimmung mit den EUZielen dazu beitragen, die Versorgungssicherheit im Vereinigten Königreich zu gewährleisten, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt komme. 45 Vgl. Beschluss der Kommission vom 29. April 2015 zur Einleitung einer Untersuchung zu Kapazitätsmechanismen im Stromsektor nach Artikel 20a der Verordnung (EG) Nr. 659/ 1999 des Rates vom 22. März 1999, C(2015) 2814 sowie dazugehörige Pressemitteilung Nr. IP/ 15/4891, aufrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4891_de.htm, zuletzt aufgerufen am: 29. November 2015. 46 Beschluss der Kommission vom 29. April 2015 zur Einleitung einer Untersuchung zu Kapazitätsmechanismen im Stromsektor nach Artikel 20a der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999, C(2015) 2814, Erwägungsgrund Nr. 1. 47 Pressemitteilung der Europäischen Kommission Nr. IP/15/4891.
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Die Relevanz der Frage, welches Strommarktdesign in Deutschland durch mehr Flexibilität die Versorgung stabiler macht und gleichzeitig mit dem bestehenden Regelungsgefüge der jeweiligen europarechtlichen Vorgaben in Einklang steht, ist damit aufgrund der Aktualität der Diskussion um die Gewährleistung der Versorgungssicherheit nicht von der Hand zu weisen und wird auch in den kommenden Jahren angesichts zu erwartender energierechtlicher und -politischer Entwicklungen an Komplexität nicht verlieren. Konkretes Ziel dieser Arbeit ist es herauszuarbeiten, ob die verschiedenen in Deutschland diskutierten Modelle von Kapazitätsmechanismen sowie die Netzreserve mit europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit, dem Beihilferecht sowie dem Recht des Energiebinnenmarktes vereinbar sind. Die Vereinbarkeit eines Kapazitätsmechanismus mit den verschiedenen Vorgaben des Europarechts hängt entscheidend davon ab, auf welche Art der Mechanismus im Einzelnen ausgestaltet wird. Nach Veröffentlichung mehrerer Gutachten verschiedener Institute zum Thema Strommarktdesign favorisieren einzelne Vertreter aus der Energiebranche verschiedene Modelle.48 Grob zusammengefasst lassen sich die verschiedenen Vorschläge zu Kapazitätsmechanismen für den Stromsektor in zentral organisierte und dezentral organisierte Kapazitätsmarktmodelle sowie in Reservelösungen einteilen. Diese Einteilung der verschiedenen Vorschläge wird die Untersuchung vereinfachen, wobei sich der Inhalt dieser Arbeit ohnehin auf die rechtlichen Aspekte der Einführung einer Kapazitätslösung in Deutschland beschränken muss und wird. Dennoch wird um eine – zumindest kurzgehaltene – Darstellung der Wirkweise der unterschiedlichen Kapazitätsmechanismen im Stromsektor für das weitere Verständnis erforderlich sein. Die Vielzahl der von verschiedenen Akteuren der Energiewirtschaft vorgeschlagenen Modelle mit unterschiedlichster Ausgestaltung müssen im Verlauf der Untersuchung dann einer umfassenden europarechtlichen Prüfung unterzogen werden. Innerhalb der jeweiligen rechtlichen Prüfung wird sich dabei an den Vorgaben aus AEUV und EUV, an den sekundärrechtlichen Vorschriften von Kommission, Parlament und Rat sowie an der Rechtsprechung der europäischen Gerichte orientiert werden. 48 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, aufrufbar unter: www.bdew.de; BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt, aufrufbar unter: www.bet-aachen.de; BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH/enervis energy advisors GmbH, Energiemarktdesign, aufrufbar unter: www.vku.de; Consentec GmbH, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer Strategischen Reserve – Gutachten im Auftrag des BDEW, aufrufbar unter: www.bdew.de; Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Strommarktdesign; Erdmann, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?, aufrufbar unter: www.agora-energiewende.de, S. 5 ff.; GEODE, aufrufbar unter www.geodeeu.org; Öko-Institut e. V./LBD Beratungsgesellschaft mbH/Raue LLP, aufrufbar unter: www.lbd.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 76; LBD Beratungsgesellschaft mbH, aufrufbar unter http://um.baden-wuerttemberg.de; alle zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015.
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Zu erwähnen ist, dass ich mich in meiner Arbeit bewusst auf die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen (sowie der Reservelösungen der Netz- und der Kapazitätsreserve) mit europarechtlichen Vorgaben beschränken möchte – wenngleich der verfassungsrechtliche Aspekt in der Gesamtdiskussion um die rechtliche Zulässigkeit verschiedener Ausgestaltungen eines Strommarktdesigns nicht zu vernachlässigen ist.49 Die Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert: Zunächst wird in Kapitel A. der Begriff Kapazitätsmechanismus bestimmt sowie ein Überblick über die einzelnen, in Deutschland zur Diskussion stehenden Modelle der Leistungsvorhaltung gegeben. Daran schließen sich drei Kapitel über die Vereinbarkeit der einzelnen Mechanismen mit europarechtlichen Vorgaben an: Erstens die Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit in Kapitel B., zweitens die Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht in Kapitel C. und drittens die Vereinbarkeit mit dem Energiebinnenmarkt in Kapitel D. Schließlich endet die Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse E. Der vom Kabinett am 4. November 2015 veröffentlichte Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz)“ ist in der Arbeit berücksichtigt worden, was sich insbesondere in den Kapiteln zur Kapazitäts- sowie zur Netzreserve niederschlägt. Aus diesem Grund ist Basis der Untersuchung auch die neue „Netzreserveverordnung (NetzResV)“, die aus der bisherigen, derzeit noch geltenden „Reservekraftwerksverordnung (ResKV)“ hervorgeht. Betroffen von dem Gesetzgebungsvorhaben zum neuen Strommarkt ist auch eine Neufassung der §§ 13 ff. EnWG. Die in dieser Arbeit zitierten Vorschriften beziehen sich daher immer auf die Regelungen des o. g. Entwurfs des Strommarktgesetzes.
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Vgl. Däuper/Grundmann, et 12/2012, 102.
A. Begriffsbestimmungen Kapazitätsmarkt, Kapazitätsmechanismus und Abgrenzung zu anderen Arten der Leistungsvorhaltung Der Begriff Kapazitätsmarkt – wie er in der aktuellen Diskussion zu verstehen ist – bezeichnet generell ein Strommarktdesign, in dem die Anbieter konventioneller Kraftwerke Zahlungen bereits für die Leistungsvorhaltung – also unabhängig von der konkreten Stromeinspeisung – erhalten. In einem Kapazitätsmarkt setzen Kapazitätszahlungen damit Anreize für leistungsbezogene Investitionsentscheidungen bzw. den Kapazitätserhalt.50 Mithilfe von Kapazitätsmärkten soll ein vorgegebener Zielwert an Kapazität erreicht und ein höheres Niveau an Versorgungssicherheit implementiert werden.51 Für eine grobe Einteilung verschiedener Modelle der Leistungsvorhaltung unterscheidet der Wissenschaftliche Beirat des BMWi zwischen der Strategischen Reserve bzw. einem fokussierten Kapazitätsmarkt einerseits sowie einem vollständigen Kapazitätsmarkt bzw. Versorgungssicherheitsverträgen andererseits.52 Er gebraucht dabei den Begriff Kapazitätsmechanismus als Oberbegriff für verschiedene Arten von Kapazitätsmärkten und fasst auch das Modell einer Strategischen Reserve hierunter.53 Während es sich bei der Strategischen Reserve um ein Konzept handelt, in welchem eine Ausschreibung für die Bereitstellung von Kraftwerksleistung sorgt, welche nur in Knappheitszeiten aktiviert wird, hat in einem vollständigen Kapazitätsmarkt die öffentliche Hand dafür Sorge zu tragen, dass insgesamt ausreichend Kapazität im Gesamtmarkt zur Verfügung steht.54 Wie dies dann im Einzelnen geschieht, hängt von der konkreteren Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes ab. Allen Kapazitätsmarktmodellen ist dabei jedoch gemein, dass dem Staat die Aufgabe zukommt, die gewünschte Erzeugungskapazität im Vorhinein festzulegen und in einem zusätzlichen Markt, dem sog. Kapazitätsmarkt, bereitstellen zu lassen.55 Dies kann etwa über Ausschreibungen und dazugehörige Versorgungssicherheitsverträge 50 Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Kapazitätsmärkte, aufrufbar unter: www.ewi.uni-koeln.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 5. 51 EWI, Strommarktdesign, S. 46. 52 BMWi, Langfristige Steuerung der Versorgungssicherheit im Stromsektor, S. 10 f. 53 Aus diesem Grund wird auch in dieser Arbeit die Strategische Reserve zwar als Kapazitätsmechanismus, nicht aber als Kapazitätsmarkt bezeichnet. Ist im Weiteren von einem Kapazitätsmarkt die Rede, so meint dies immer ein Kapazitätsmarktmodell i. e. S., schließt also die Strategische Reserve nicht ein. Vgl. hierzu auch Fn. 59. 54 BMWi, Langfristige Steuerung der Versorgungssicherheit im Stromsektor, S. 10 f. 55 BMWi, Langfristige Steuerung der Versorgungssicherheit im Stromsektor, S. 9 f.
A. Begriffsbestimmungen
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oder aber über ein Zertifikatsmodell geschehen.56 Bei der Strategischen Reserve hingegen werden zusätzliche Kapazitäten im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens eingekauft, die dann jedoch ausschließlich zu vorher festgelegten Regeln am allgemeinen Strommarkt, dem Energy-only-Markt, teilnehmen dürfen.57 Ein zusätzlicher Kapazitätsmarkt wird bei einer Strategischen Reserve nicht geschaffen. Um die verschiedenen vorgeschlagenen Modelle einer (europa-)rechtlichen Prüfung zu unterziehen, bietet es sich an – unabhängig von hiervon abweichenden, anderweitig vorgeschlagenen Aufteilungen – die verschiedenen Kapazitätsmarktmodelle in zentral organisierte (oder auch: zentrale) Kapazitätsmärkte sowie dezentrale (oder auch: nachfrageorientierte) Kapazitätsmärkte einzuteilen. Daneben wird auch die europarechtliche Vereinbarkeit der Strategischen Reserve zu untersuchen sein, welche – wie gesehen – zwar als Kapazitätsmechanismus, nicht jedoch als Kapazitätsmarkt i. e. S. verstanden werden kann. Schließlich ist auch die Netzreserve nach der derzeitigen Reservekraftwerksverordnung (ResKV) bzw. der künftigen Netzreserveverordnung (NetzResV) zu berücksichtigen. Die Netzreserve stellt zwar eine Maßnahme für die Gewährleistung ausreichender Netzspannung und damit keine Maßnahme im Zusammenhang mit der leistungsbilanziellen Versorgungssicherheit dar.58 Sie ist damit auch weder als Kapazitätsmarkt noch als Kapazitätsmechanismus zu bezeichnen, sondern ist ein Instrument der Absicherung der Netzspannung. Anders als dies der Wissenschaftliche Beirat des BMWi getan hat, wird das Modell eines fokussierten Kapazitätsmarktes in dieser Arbeit nicht zur Strategischen Reserve, sondern zu den zentralen Kapazitätsmärkten gezählt. Bei einem fokussierten Kapazitätsmarkt handelt es sich um ein abgewandeltes Modell eines zentralen, umfassenden Kapazitätsmarktes. Es ergibt sich daher folgende Einteilung der verschiedenen Modelle: Auf der einen Seite stehen zentrale Kapazitätsmärkte sowohl umfassender als auch fokussierter Art. Auf der anderen Seite finden sich dezentrale Kapazitätsmärkte, die entweder mit oder ohne „ex-ante-Verpflichtung“ oder aber vollständig nachfrageorientiert ausgestaltet sind. Ferner wird auch die zunächst als Strategische Reserve bezeichnete Reservelösung untersucht, auch sie zählt wie klassische Kapazitätsmärkte zu den Kapazitätsmechanismen.59 Neben diesen Modellen steht die Netzreserve, die nicht zu den Kapazitätsmechanismen gezählt werden kann, deren europarechtliche Vereinbarkeit aber ebenfalls im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden wird. 56
Näheres hierzu siehe Punkte A.I. und A.II. BMWi, Langfristige Steuerung der Versorgungssicherheit im Stromsektor, S. 9 f. 58 Vgl. hierzu im Einzelnen unten unter Punkt A.IV.1. 59 Auch die Europäische Kommission bezeichnet die Gesamtheit der Kapazitätslösungen im Bereich der leistungsbilanziellen Versorgungssicherheit als „Kapazitätsmechanismen“, vgl. beispielsweise die Terminologie der Sektoruntersuchung der Kommission im Beschluss der Kommission vom 29. April 2015 zur Einleitung einer Untersuchung zu Kapazitätsmechanismen im Stromsektor nach Artikel 20a der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999, C(2015) 2814. 57
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A. Begriffsbestimmungen
Hinsichtlich der Einteilung in zentrale sowie dezentrale Modelle ist anzumerken, dass sich die Bezeichnungen „zentral“ bzw. „dezentral“ zum einen auf die Bestimmung der Nachfrage und zum anderen auf die Art und Weise der Kontrahierung und Finanzierung beziehen: So wird die Nachfrage entweder zentral („top down“) durch eine Behörde oder dezentral („bottom up“) von Marktakteuren bestimmt.60
I. Zentrale Kapazitätsmärkte In einem zentralen Kapazitätsmarktmodell wird eine vorhandene oder neu zu schaffende Institution mit der Aufgabe betraut, den Umfang der als notwendig erachteten Kapazität zu bestimmen und beispielsweise in Form einer Auktion zentral zu beschaffen.61 Diejenigen teilnehmenden Anlagenbetreiber, welche in der Auktion einen Zuschlag erhalten, schließen in einem solchen Modell mit der zentralen Instanz, die beispielsweise die Bundesnetzagentur darstellen könnte, Verträge über die Bereitstellung der jeweils angebotenen Kapazität ab (sog. Versorgungssicherheitsverträge); sie verpflichten sich also, die entsprechende Kapazität jederzeit vorzuhalten.62 Die zuständige zentrale Instanz verpflichtet sich im Gegenzug, die entsprechende Kapazitätsprämie zu zahlen.63 Die Refinanzierung der Leistungsvorhaltekosten erfolgt auf administrativem Weg, beispielsweise in Form einer Steuer oder einer Umlage auf die Endverbraucher.64 Untergruppen innerhalb eines zentral organisierten Modells bestehen in einem zentralen, umfassenden Modell einerseits und in einem zentralen, fokussierten Modell andererseits. In einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt nehmen an einer Ausschreibung sämtliche Stromerzeugungsanlagen teil, während im Rahmen eines zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktes nur denjenigen Anlagen die Teilnahme an einer Ausschreibung offenstände, welche spezifische Ausschreibungsvoraussetzungen erfüllen.65
60 Frontier Economics/Consentec GmbH, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 29. Bei dieser Studie handelt es sich um eine von vier von der ehemaligen Bundesregierung im September 2013 in Auftrag gegebenen Untersuchungen der Entwicklung eines langfristig tragfähigen Strommarktdesigns. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein auf dem Energy-only-Markt basierendes Strommarktdesign Versorgungssicherheit zu geringstmöglichen Kosten grundsätzlich gewährleisten kann. Dies gelte aber nur unter der Voraussetzung, dass einige Anpassungen vorgenommen werden, aus denen sich ein optimierter Energy-only-Markt (sog. EOM 2.0) ergeben könne, vgl. S. 1 ff. 61 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 29. 62 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 24 f. 63 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 64 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 29. 65 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244.
I. Zentrale Kapazitätsmärkte
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1. Zentraler, umfassender Kapazitätsmarkt In einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmechanismus legt eine zentrale Instanz „top down“ die Kapazitätsnachfrage für einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren fest; die Höhe entspricht dabei der erwarteten Spitzenlast einschließlich eines Sicherheitszuschlags.66 Die zentrale Instanz kontrahiert das gesamte, für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit als notwendig erachtete Kapazitätsniveau. Hierzu führt sie wird zunächst ein Auktionsverfahren durch, an dem alle Betreiber von Erzeugungsanlagen teilnehmen können.67 Es bestehen somit keine konstituierenden Präqualifikationskriterien.68 Dennoch steht eine Teilnahme Neu- bzw. Bestandsanlagen nur offen, soweit sie in der Lage sind, sicher zur Verfügung stehende Leistung anzubieten.69 Die Beschaffung der Kapazitäten erfolgt im Wege einer einseitigen Descending-Clock-Auktion, d. h. der Startpreis ist während der Auktion rückläufig und entspricht dem Vielfachen der Vollkosten eines Markteintritts. Den Zuschlag erhalten die Gebote, die die Kapazitätsnachfrage zu den geringsten Kosten decken können.70 Die kontrahierten Kapazitäten nehmen in der Folge weiterhin am regulären Stromgroßhandel teil.71 Es existiert aber ein Optionsmechanismus, der, wenn der Strompreis einen gewissen Strike-Preis überschreitet, eine Zahlungspflicht des Erzeugers in Höhe der Differenz zwischen Strompreis und Strike-Preis auslöst.72 Die Weitergabe der Kapazitätszahlung an die Endkunden soll über den Strompreis erfolgen.73 Hier werden zwei Möglichkeiten diskutiert: Einerseits könnten die Kapazitätszahlungen analog zu Netzentgelten pro Kilowattstunde auf den Strompreis für Endkunden umgelegt werden; andererseits könnten die Zahlungen auf Basis der Laststruktur der Endkunden auf diese umgelegt werden.74 In jedem Fall würde eine Umlage den zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt refinanzieren. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) schlägt in einem Papier aus dem Jahr 2012 einen zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt für 66
Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 40. R2B energy consulting GmbH, Endbericht Leitstudie Strommarkt, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 87. Diese zweite von der ehemaligen Bundesregierung im September 2013 in Auftrag gegebene Studie zu einem neuen Strommarktdesign kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit im deutschen Raum keiner Einführung eines Kapazitätsmarktes bedarf, sondern eine Reservelösung als Ergänzung des Energy-only-Marktes hierfür ausreicht, vgl. S. I. Dies sei auch hinsichtlich erheblich geringerer Kosten gegenüber einer Einführung eines Kapazitätsmarktes vorzuziehen. 68 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 39. 69 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 40. 70 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 40. 71 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 39. 72 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 39. 73 EWI, Strommarktdesign, S. 62. 74 EWI, Strommarktdesign, S. 62. 67
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A. Begriffsbestimmungen
Deutschland vor.75 EWI vertritt darin die Auffassung, dass Versorgungssicherheitsverträge (als Ausformung eines solchen umfassenden Modells) gegenüber der Strategischen Reserve eine umfangreichere Ergänzung der bestehenden Märkte darstellen und eine effiziente Bereitstellung der benötigten Kapazität ermöglichen, ohne dabei bestehende Märkte zu verzerren.76 EWI baut mit dem Modell der Versorgungssicherheitsverträge auf den Vorschlägen von Cramton/Ockenfels auf.77 In dem vorgeschlagenen Modell verpflichten sich die am Versorgungssicherheitsmarkt teilnehmenden Erzeugungsanlagen über die abgeschlossenen Versorgungssicherheitsverträge, sichere Leistung in Form von Verfügbarkeitsoptionen auszugeben. Diese Optionen haben einen vorab von einer zentrale Koordinationsstelle administrativ festgelegten Ausübungspreis. Wenn der Strompreis am Spotmarkt den Ausübungspreis überschreitet, sind die Anbieter von Leistung verpflichtet, die Differenz zwischen Stromspotmarktpreis und Ausübungspreis an die zentrale Koordinationsstelle zu zahlen. Die zentrale Koordinationsstelle leitet diese Zahlungen an die Stromversorger weiter.78 Es wird in diesem Modell damit nicht in die Gestaltung des Spotmarktpreises eingegriffen, so dass der Spotmarkt weiterhin gemäß den Preissignalen im Markt funktioniert. 2. Zentraler, fokussierter Kapazitätsmarkt Ein zentraler, jedoch fokussiert ausgestalteter Kapazitätsmarkt unterscheidet sich von umfassenden Modellen in Bezug auf die Teilnahmemöglichkeit verschiedener Arten von Erzeugungsanlagen und der Anzahl der Ausschreibungsverfahren zur Beschaffung der ausgeschriebenen Leistung.79 Für einzelne Arten von Erzeugungsanlagen werden jeweils getrennte Ausschreibungsverfahren durchgeführt. Es wird im Rahmen eines fokussierten Modells beispielsweise unterschieden zwischen (qualifizierten) „stilllegungsbedrohten“ und (nicht-qualifizierten) „nicht-stilllegungsbedrohten“ Erzeugungsanlagen: Durchgeführt wird sowohl eine Auktion für „stilllegungsbedrohte“ Erzeugungseinheiten als auch eine für Kraftwerksneubauten. Für beide Arten von Anlagen gilt, dass sie, rein finanziert durch ihre jeweiligen Erlöse am Großhandelsmarkt, nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten, aber im Gesamtmarkt Strom zukünftig notwendig sein werden, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.80 Daher legt die zentrale Instanz in einem fokussierten Kapazitätsmarkt „top down“ die Nachfrage dergestalt fest, dass sie den Neubaubedarf an Erdgas-Kraftwerken sowie an stilllegungsbedrohten Kraftwerken definiert. Die 75
EWI, Strommarktdesign. EWI, Strommarktdesign, S. 3. 77 Cramton/Ockenfels, ZfE 2012, 113. 78 EWI, Strommarktdesign, S. 5. 79 R2B energy consulting GmbH, S. 87. Teilweise ist gleichbedeutend auch von „selektiven“ Kapazitätsmärkten die Rede. 80 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 41. 76
I. Zentrale Kapazitätsmärkte
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Auktionen werden in der Folge passend für den ermittelten Bedarf durchgeführt werden können. Einem zentralen fokussierten Kapazitätsmarkt ist somit immanent, dass sich die jeweilige Ausschreibungsmenge somit von vornherein nur auf einen Teil des Kraftwerksparks bezieht.81 Auch in einem fokussierten Markt finden rückläufige Auktionen statt („Descending-Clock“), wobei für stilllegungsbedrohte Anlagen die fixen Betriebskosten als Startpreis der Auktion gewählt werden, während für Neubauten die erwartete typische Deckungslücke zwischen Kapazitätsziel und erwarteter Kapazität angesetzt wird.82 Letztlich werden die Betreiber von Erzeugungsanlagen, die in den unterschiedlichen Ausschreibungen einen Zuschlag erhalten haben, für die bezuschlagte Leistung mit einer zusätzlichen Zahlung vergütet.83 Die Höhe dieser Leistungszahlung unterscheidet sich dabei u. U. jeweils in Abhängigkeit von der Art der Erzeugungsanlage. Auch in einem fokussierten Modell soll die Refinanzierung der Kapazitätszahlungen über eine Umlage auf Übertragungsnetzbetreiber oder Endverbraucher erfolgen.84 Wie in umfassenden Kapazitätsmärkten nehmen kontrahierte Kapazitäten auch in einem fokussierten Markt nach der Kontrahierung ohne Einschränkungen am regulären Stromgroßhandel teil.85 Ferner sind im Falle der Nichtverfügbarkeit der kontrahierten Kapazitäten von dem Betreiber Zahlungen aus der Ausübung der CallOption sowie explizite Strafzahlungen zu leisten.86 Der wichtigste Vorschlag für einen fokussierten Kapazitätsmarkt stammt vom Konsortium Öko-Institut/LBD Beratungsgesellschaft/Raue LLP aus dem Jahr 2012.87 Ebenso wie später die LBD Beratungsgesellschaft in einer Studie für das Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg erneut herausarbeitet88, spricht sich das Konsortium für einen selektiven bzw. fokussierten Mechanismus aus. Es wird empfohlen, finanzielle Anreize nur für Neubauten oder zur Verhinderung von Marktaustritt zu setzen und damit nur einem Teil der Erzeugungsanlagen die Teilnahme am Ausschreibungsverfahren zu ermöglichen.89 Das EWI Köln verglich später im Auftrag des BMWi in seiner sog. Clearing-Studie diesen konkreten Vor-
81
Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 42. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 43. 83 R2B energy consulting GmbH, S. 87. 84 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt, S. 49; Öko-Institut e. V./LBD Beratungsgesellschaft mbH/Raue LLP, S. 76. 85 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 42. 86 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 42. 87 Öko-Institut e. V./LBD Beratungsgesellschaft mbH/Raue LLP. 88 LBD Beratungsgesellschaft mbH, Energiewirtschaftliche Erfordernisse zur Ausgestaltung des Marktdesigns für einen Kapazitätsmarkt Strom – Abschlussbericht. Studie für das Umweltministerium Baden-Württemberg. 89 Öko-Institut e. V./LBD Beratungsgesellschaft mbH/Raue LLP, S. 49 ff. 82
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A. Begriffsbestimmungen
schlag des Konsortiums für einen fokussierten Kapazitätsmarkt mit seinem eigenen Modell eines umfassenden Kapazitätsmarktes im Detail.90 Ferner schlägt auch die BET GmbH in einer Studie im Auftrag des Bundesverbandes Neuer Energieanbieter e. V. (bne) einen fokussierten Mechanismus vor.91 Die Ausschreibungen beziehen sich hier auf Neubauten, Retrofit und DSM.92 Ferner sind in dem Vorschlag Einmalzahlungen für die jeweilige angebotene Kapazität vorgesehen.93 Besonders erwähnenswert ist, dass das Marktmodell von BET in seiner Grundversion den mitteleuropäischen Kernmarkt bestehend aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Italien und Großbritannien umfasst, also über die deutschen Bundesgrenzen hinausreicht.94 Stromerzeugung und Stromaustausch sollen zwischen diesen Ländern uneingeschränkt möglich sein.
II. Dezentrale Kapazitätsmärkte Auch im Rahmen eines sog. dezentralen, umfassenden Modells wird ein zweiter Markt, ein sog. Kapazitätsmarkt, eingeführt, der neben den regulären Energy-OnlyMarkt tritt. Die Vorschläge für dezentrale Kapazitätsmarktmodelle stellen daher gleichermaßen sog. klassische Kapazitätsmarktkonzepte dar. Im Gegensatz zu zentralen Kapazitätsmärkten jedoch erfolgt bei dezentralen Kapazitätsmechanismen auf diesem zusätzlichen Markt grundsätzlich sowohl eine dezentrale Beschaffung von Leistung als auch eine dezentrale Festlegung des Leistungsbedarfs durch Verbraucher bzw. deren Lieferanten.95 Dezentrale Märkte sollen zudem grundsätzlich ohne An- und Verkäufe von Zertifikaten von Seiten einer staatlichen Stelle auskommen.96 Außerdem sind in dezentralen Kapazitätsmärkten keine Kraftwerksneubauten vorgesehen.97 90
Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln, Kapazitätsmärkte. BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt. 92 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt, S. 39 ff. „Retrofit“ umfasst dabei Maßnahmen, die zum Ziel haben, die technische Lebensdauer von Bestandsanlagen zu verlängern, wobei von Seiten der BET GmbH angemerkt wird, dass der Zeitbedarf für die Umsetzung deutlich unter der Neubauzeit einer Erzeugungsanlage liegt und u. U. binnen einen Jahres realisiert werden kann. „DSM“ steht für „Demand-Side-Management“ und bezeichnet Maßnahmen, die die Lastseite dergestalt beeinflussen, dass die gesamte benötigte Erzeugungskapazität verringert wird. 93 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt, S. 39 f. 94 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Kapazitätsmarkt, S. 2. 95 R2B energy consulting GmbH, S. 87. 96 Vgl. z. B. BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH/enervis energy advisors GmbH, Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, S. 86, in deren Modell die Nachfrager in einem möglichst marktwirtschaftlich organisierten Marktdesign die zentrale Funktion als Nachfrager selber übernehmen sollen. Der zentralen staatlichen Stelle soll 91
II. Dezentrale Kapazitätsmärkte
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Anders als in zentralen Kapazitätsmarktmodellen bestimmt damit bei dezentralen Modellen die Nachfrage und nicht eine Auktionierung den Preis der Leistungsvorhaltung.98 In einem dezentralen Kapazitätsmarkt generiert also letztlich die Nachfrage „bottom up“ den Preis der Leistungsvorhaltung. 1. Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt Ein dezentraler, umfassender Kapazitätsmechanismus sieht vor, dass Verbraucher bzw. Lieferanten von Elektrizität verpflichtet werden, für jede oder für ausgewählte Situationen den Nachweis zu führen, ausreichend sog. Versorgungssicherheitsnachweise (VSN) von verpflichteten Einheiten für den Fall der Versorgungsknappheit beschafft zu haben.99 Es wird also ein zusätzlicher Markt eingeführt, auf welchem diese, teilweise auch „Leistungszertifikate“ genannten Nachweise gehandelt werden. Eine weitere Unterteilung von dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarktmodellen wird hinsichtlich des Umstandes gemacht, ob der Mechanismus ohne zentrale Verpflichtung hinsichtlich der Höhe der zu erwerbenden VSN auskommt oder ob eine sog. „ex-ante-Verpflichtung“ Teil des Mechanismus ist.100 a) Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt ohne zentrale Verpflichtung In einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt soll – anders als in einem zentralen Mechanismus oder in einem dezentralen Mechanismus mit „ex-anteVerpflichtung“ – nicht ausdrücklich festgelegt werden, in welcher Gesamthöhe Zertifikate benötigt oder ausgegeben werden.101 Die Gesamthöhe soll sich vielmehr durch die Nachfrage von Seiten der Verbraucher bzw. der Lieferanten bestimmen. Aus diesem Grund wird diese Ausgestaltung eines dezentralen Marktes auch als solche ohne zentrale Verpflichtung bezeichnet. Es handelt sich hierbei damit um die „Reinform“ eines dezentralen Kapazitätsmarktmodells, da jeglicher staatliche Eingriff in die Bestimmung der Höhe der benötigten Kapazitätsmenge unterbleibt. Großkunden, Händler und Vertriebe müssen in einem solchen Modell gesicherte Leistung in Form von Nachweisen bzw. Zertifikaten in dem Umfang beschaffen, in nur die Aufgabe der Durchführung einer Sicherheitsreserve zukommen, S. 82; BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, S. 11, wonach sich die Tätigkeit der zentralen Stelle auf die Überwachung der gesetzlichen Regeln beschränken soll. 97 Vgl. die Übersicht bei Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 11. 98 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 99 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 36; R2B energy consulting GmbH, S. 87 f. 100 R2B energy consulting GmbH, S. 88. 101 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244.
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A. Begriffsbestimmungen
dem sie Strom gesichert beziehen wollen.102 Der jeweilige Erwerb der VSN erfolgt dann im Rahmen privatautonomer Vertragsgestaltung; privatautonom ausgestaltet werden sollen auch die jeweiligen Vorlauf- und Vertragslaufzeiten.103 Letztlich erwerben die Verbraucher mit den VSN das Recht, im Fall knapper Stromreserven eine den VSN entsprechende, gesicherte Leistung zu beziehen.104 Die Verbraucher haben somit einen Anspruch, im Umfang der von ihnen erworbenen VSN jederzeit mit ausreichend Strom beliefert zu werden. Dies bedeutet außerdem, dass Anbieter von VSN die den von ihnen verkauften VSN in ihrer Höhe entsprechende Leistungsmenge jederzeit bereitzustellen haben, d. h. sie haben auch bei unzureichender leistungsbilanzieller Versorgungssicherheit eine hundertprozentige Verfügbarkeit zu garantieren – sei es über eine Leistungsvorhaltung mit eigenen Anlagen oder alternativ über Verträge mit fremden Anlagen.105 Das Nachweissystem soll helfen zu überprüfen, ob im Gesamtsystem genügend Leistung vorhanden ist, um ein gewünschtes Versorgungssicherheitsniveau zu erreichen.106 Entspricht die durch VSN nachgewiesene Leistung eines Verbrauchers bzw. eines Lieferanten in einer als knapp definierten Situation nicht der individuellen Last, wird eine Strafsumme (Pönale) erhoben.107 Der Verbraucher ist damit also motiviert, stets über ausreichend VSN zu verfügen, so dass seine individuelle Last auch in Knappheitssituationen nicht den Umfang der erworbenen Nachweise übersteigt. Andernfalls würde er zu Strafzahlungen verpflichtet und wäre letzten Endes finanziell (noch) stärker belastet. Die Verbraucher bzw. Lieferanten leisten neben den ohnehin fälligen Zahlungen für die Beschaffung regulären Stroms vom EnergyOnly-Markt also zusätzliche Zahlungen, die für den Erwerb der Nachweise in ausreichendem Umfang bzw. aufgrund von Strafzahlungen anfallen. Die Betreiber von Erzeugungsanlagen erhalten in diesem System damit gegenläufig zusätzliche Zahlungen – neben den Zahlungen für den regulär erzeugten und vermarkteten Strom – durch den Verkauf von (in der Folge von ihnen vorzuhaltender) Leistung, auf deren Grundlage Verbraucher bzw. Lieferanten eine ausreichende Beschaffung von Leistung nachweisen können.108 Sie sind in diesem Modell dann aber auch verpflichtet, die über den Verkauf der VSN den Verbrauchern bzw. Lieferanten zugesicherten Mengen nachweislich zu erzeugen, um mit dem erzeugten Strom in Knappheitssituationen verfügbar zu sein. Sollte ihnen dies nicht gelingen, müssen sie ihrerseits
102
Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 37 f. 104 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, S. 20. 105 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, S. 20. 106 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 36. 107 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 36. 108 R2B energy consulting GmbH, S. 88. 103
II. Dezentrale Kapazitätsmärkte
31
eine Strafzahlung (Pönale) leisten.109 Für die Betreiber besteht also gegenläufig ebenfalls ein Anreiz, tatsächlich jederzeit ausreichend Kapazitäten vorzuhalten.110 Anders als bei zentralen, fokussierten Modellen werden in einem dezentralen Kapazitätsmarktmodell keine konstituierenden Präqualifikationskriterien an die teilnehmenden Kapazitäten gestellt. Auf der Seite der Verbraucher wird zudem grundsätzlich jeder Vertrieb bzw. Großverbraucher von Strom – zumindest diejenigen, die über einen eigenen Bilanzkreis (BKV) verfügen – verpflichtet sein, an dem Nachweissystem teilzunehmen.111 Aus diesem Grund ist daher auch von einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt die Rede. Wie im Rahmen zentraler Kapazitätsmarktmodelle nehmen auch in dezentralen Mechanismen die kontrahierten Kapazitäten ohne Einschränkungen am regulären Strommarkt teil.112 Die Erlöse aus dem zusätzlichen Handel werden schließlich zur Vollkostendeckung der zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit notwendigen Kraftwerke eingesetzt.113 Ein dezentraler Leistungsmarkt könnte auf diese Weise langfristig einen geeigneten Rahmen für privat finanzierte Investitionen schaffen.114 Besonders erwähnenswert ist ferner, dass im Modell eines dezentralen Kapazitätsmarktes auch die Teilnahme ausländischer Anbieter grundsätzlich möglich sein soll. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Verfügbarkeit der Anlagen sowie die grenzüberschreitende Transportkapazität belegt werden können.115 Die ausländischen Anlagen müssen damit dieselben Kriterien erfüllen wie inländische. Für den Fall, dass ein Nachbarland über einen Kapazitätsmarkt verfügt, wie beispielsweise zukünftig Frankreich, sollen sich Erzeugungsanlagen (bis zur Kapazitätsgrenze der Grenzkuppelstelle) aussuchen können, in welchem Land sie VSN anbieten möchten.116 Es wird schließlich vorgeschlagen, dass eine staatliche Stelle die Überwachung eines dezentralen Kapazitätsmodells einschließlich des Aufbaus sowie des Datenmanagements eines zentralen VSN-Registers übernimmt; die für die Überwachung notwendigen Systemdaten lägen bereits heute den Übertragungsnetzbetreibern für die Bilanzkreisabrechnung vor.117 109
R2B energy consulting GmbH, S. 88. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 37. 111 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft dezentralen Leistungsmarktes, S. 32. 112 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 37. 113 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 114 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft dezentralen Leistungsmarktes, S. 10. 115 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 37 f. 116 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft dezentralen Leistungsmarktes, S. 19. 117 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft dezentralen Leistungsmarktes, S. 13. 110
e. V., Ausgestaltung eines
e. V., Ausgestaltung eines
e. V., Ausgestaltung eines e. V., Ausgestaltung eines
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A. Begriffsbestimmungen
Die Idee für einen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt mit Versorgungssicherheitsnachweisen – jedoch ohne zentrale Verpflichtung – entstammt dem von BET/enervis im Auftrag des VKU (Verband kommunaler Unternehmen e. V.) entwickelten Modell.118 Dieser Vorschlag wurde in der Folge von Seiten des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.) konkretisiert.119 In der dazugehörigen Kurzbeschreibung des BDEW ist explizit von einem gemeinsamen Vorschlag von VKU sowie BDEW die Rede.120 Dieses Modell von VKU/BDEW soll dabei nicht über einen sog. Market Maker verfügen. Einem Market Maker oder „Risikotransformator“ würde die Aufgabe zukommen, als Teilnehmer im Leistungsmarkt längerfristig Leistungszertifikate anzukaufen und diese in der Frist des liquiden Terminmarktes am Markt zu veräußern.121 Im Gegensatz hierzu sieht das im Auftrag des VKU von BET/enervis entwickelte dezentrale, umfassende Modell – zumindest optional und für eine Transformationsphase zu Beginn – einen Market Maker vor.122 Dieser helfe dabei, die Investitionssignale des Leistungsmarktes über den Zeitraum des Terminmarktes hinaus zu stabilisieren.123 Das Modell wäre daher geeignet, über die gezielte Ausgabe von Zertifikaten eine Absicherung für Investoren zu gewährleisten.124 Zu bedenken ist hinsichtlich der Einführung eines sog. Market Maker jedoch, dass dessen Aktivität ihrerseits Kosten verursachen würde. Kosten etwa aus Kapitalbindung und dem Mengen- und Preisrisiko, welche mit einem obligatorischen langfristigen Ankauf (z. B. 15 Jahre) i. V. m. einem obligatorischen kurzfristigen Verkauf (z. B. drei Jahre) einhergehen, würden vordergründig von staatlicher Seite getragen und müssten letztendlich ebenfalls über eine Umlage bzw. über Steuern von den Verbrauchern refinanziert werden.125 Aus diesem Grund ist anzumerken, dass ein dezentraler Kapazitätsmechanismus mit Market Maker näher am Modell eines zentralen Kapazitätsmechanismus liegt als die letztlich von VKU/ BDEW präferierte Variante eines dezentralen Modells ohne Market Maker.126 Wie bereits angesprochen, sieht der VKU laut dem letzten von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten (zusammen mit dem BDEW) nicht mehr die Einführung eines Market Maker vor. Ausschließlich das ältere, von BET/enervis im Auftrag des VKU erstellte 118 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH/enervis energy advisors GmbH, Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland. 119 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes. Weitere Vorschläge für ein neues Strommarktdesign für Deutschland, an denen der BDEW beteiligt war, finden sich in Punkt A.III., im Abschnitt zur Strategischen Reserve. 120 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Versorgungssicherheit. 121 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 38. 122 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH/enervis energy advisors GmbH, Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, S. 104 ff. 123 BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH/enervis energy advisors GmbH, Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, S. 83. 124 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 38. 125 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 38. 126 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 38.
II. Dezentrale Kapazitätsmärkte
33
Modell eines dezentralen Kapazitätsmarktes verfügt optional in einer Transformationsphase über einen Market Maker. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit angenommen, dass ein dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt ohne „exante-Verpflichtung“ nicht über einen Market Maker verfügt. b) Dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt mit „ex-ante-Verpflichtung“ Bei einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt mit „ex-ante-Verpflichtung“ handelt es sich um ein Modell, in dem die betroffenen Verbraucher „ex-ante“ verpflichtet werden, einen von einer zentralen Instanz festgelegten Umfang gesicherter Leistung zu beschaffen bzw. nachzuweisen.127 Das Modell ist daher nur hinsichtlich der Beschaffung der Nachweise, nicht aber auch in der Bestimmung der benötigten Kapazitätsmenge dezentral im eigentlichen Sinne. Der Ansatz eines derartigen Kapazitätsmarktes wurde beispielsweise in Frankreich verfolgt und ein solcher Mechanismus ist dort Anfang 2015 eingeführt worden.128 Ihren Beginn hatte die Entwicklung der Kapazitätsmarkteinführung im Dezember 2010, als die französische Regierung ein Gesetz, das sog. NOME, zur Neugestaltung des Strommarktes verabschiedete.129 Dieses Gesetz sah explizit die Implementierung eines Mechanismus vor, der langfristig Versorgungssicherheit gewährleisten sollte. In der Folge legte der nationale Übertragungsnetzbetreiber Réseau de Transport d’Électricité (RTE) im November 2011 einen konkreten Vorschlag zur Einführung eines dezentralen Kapazitätsmarktes vor.130 Zum Einsatz kommen soll der französische Kapazitätsmarkt zum ersten Mal im Jahr 2017.131 Dieser in Frankreich geplante Mechanismus sieht vor, dass Versorgungsunternehmen sicher verfügbare Leistung bereithalten müssen, die der Anschlussleistung ihrer Kunden zuzüglich eines Sicherheitsaufschlags entspricht.132 NOME hat somit auch den Grundstein für die Einführung eines Kapazitätsmechanismus mit Versorgerverpflichtung gelegt: Gemäß Art. 7 NOME trägt demnach jeder Elektrizitätsversorger die Verantwortung für die Versorgungssicherheit seiner Kunden.133 127
R2B energy consulting GmbH, S. 88. DNV GL, Potential interactions between capacity mechanisms in France and Germany. Descriptive overview, cross-border impacts and challenges, aufrufbar unter: www.agora-ener giewende.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 11. 129 Vgl. Gesetz vom 7. Dezember 2010: „Nouvelle Organisation du Marché de l’Électricité – NOME“, Frankreich. 130 EWI, Strommarktdesign, S. 144. 131 DNV GL, S. 11. 132 EWI, Strommarktdesign, S. 144. 133 Frontier Economics/FORMAET Services GmbH, Dezentrale Leistungsverpflichtungssysteme – Eine geeignete Alternative zu zentralen Kapazitätsmechanismen? – Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 29. Diese dritte von der dama128
34
A. Begriffsbestimmungen
In dem französischen RTE-Modell für einen dezentralen Kapazitätsmarkt werden sowohl Erzeugungs- als auch Nachfragekapazitäten (Demand Side Management) mit Zertifikaten ausgestattet. Hierzu sind gemäß Art. 6 NOME zunächst alle in Kontinentalfrankreich angesiedelten Erzeugungs- oder DSM-Kapazitäten zu zertifizieren. Hierfür schließen die Betreiber der Kapazität einen Vertrag mit dem Netzbetreiber, an den die Kapazität angeschlossen ist. Mit einer Vorlaufzeit von vier Jahren vor dem Lieferzeitraum wird auf Basis von Bedarfsprognosen und einer Sicherheitsmarge der globale Kapazitätsbedarf festgelegt.134 Die Vorhalteverpflichtung für den individuellen Versorger wird aus dem Anteil der Kunden des jeweiligen Versorgers an der Spitzenlast des jeweiligen Jahres abgeleitet, zuzüglich einer Sicherheitsmarge. Inhalt des Zertifizierungsvertrags für ein gegebenes Lieferjahr ist dann die vorhersehbar verfügbare Kapazität in der Spitzenlastperiode sowie Angaben zur Aktivierung und Fahrweise der Kapazität, vgl. Art. 8 Abs. 2 NOME. Die Kapazitätsverpflichtungen können nach der Zertifizierung über eigene Erzeugungs- bzw. Nachfragekapazitäten oder über den Handel von Zertifikaten mit Dritten erfüllt werden.135 Eine Besonderheit des vorgeschlagenen Modells ist, dass alle mit Zertifikaten versehenen Kapazitäten dem Handel zur Verfügung gestellt werden müssen, falls sie vom Eigentümer nicht zur Erfüllung eigener Kapazitätsverpflichtungen genutzt werden.136 Im französischen Mechanismus wird die Gesamtnachfrage nach Leistungszertifikaten somit zentral festgelegt, denn sie richtet sich nach der Anschlussleistung der jeweiligen Kunden. Der einzelne Erwerb der Zertifikate wird dabei weiterhin dezentral durch die jeweiligen Vertriebe durchgeführt. Aus diesem Grund nennt sich diese Festlegung auf eine bestimmte Anzahl von Zertifikaten „ex-ante-Verpflichtung“. Anders als in einem dezentralen, umfassenden Modell ohne zentrale Verpflichtung wird hier also sehr wohl eine zentrale Mengensteuerung vorgenommen. Das französische Modell wird deshalb auch als Hybrid zwischen einem zentralen, umfassenden und einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmechanismus wie dem von BDEW/VKU vorgeschlagenen Modell bezeichnet.137 Es wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch trotzdem den dezentralen Modellen zugeordnet, da Kern des Modells der (dezentrale) Handel mit Leistungszertifikaten ist und gerade keine Auktionierung in Höhe eines zuvor zentral bestimmten Reservebedarfs vorgesehen ist.
ligen Bundesregierung im September 2013 in Auftrag gegebene Studie zum zukünftigen Strommarktdesign spricht sich ebenfalls für eine Ergänzung des derzeitigen Energy-OnlyMarktes um eine Reservelösung aus, vgl. S. 1. 134 Frontier Economics/FORMAET Services GmbH, S. 30. 135 EWI, Strommarktdesign, S. 144. 136 EWI, Strommarktdesign, S. 145. 137 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 7.
II. Dezentrale Kapazitätsmärkte
35
2. Dezentraler, umfassender, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt Ein ähnliches, leicht abgewandeltes Modell eines dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarktes stellt ein sog. rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt dar. Ein solcher soll ganz ohne VSN-Handel auskommen und stattdessen auf die marktgetriebene Entstehung eines Produktes „Leistungsvorhaltung“ oder „Reservekapazität“ setzen.138 Auch hier wäre Ausgangspunkt also nicht eine von einer zentralen Stelle vorgenommene Bestimmung des Kapazitätsbedarfs und dessen darauffolgende Auktionierung, sondern eine Generierung der notwendigen Preisgestaltung „bottom up“, also allein von Seiten der Stromnachfrager. Voraussetzung für einen rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt wäre jedoch, dass im Markt entsprechende Produkte entstehen. Dies könnte beispielweise durch eine Verpflichtung sämtlicher Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien zur Direktvermarktung erfolgen.139 Aus diesem Grund wird teilweise gefordert, dass eine solche Verpflichtung zum Erwerb einer ausreichenden Menge an Versorgungssicherheitsnachweisen in das entsprechende Modell aufgenommen wird.140 Andernfalls sei fraglich, ob auf dem Strommarkt tatsächlich ein Produkt „Reservekapazität“ entsteht. Folge der direkten Einstellung der produzierten Strommengen in die Bilanzkreise soll eine beträchtliche Erhöhung der Prognose- und Ausgleichspflichten der Anlagenbetreiber sein und um die fluktuierende Einspeisung aus Wind und Sonne auszugleichen, würden Bilanzkreisverantwortliche verstärkt neue Kapazitätsprodukte nachfragen müssen.141 Ein derartiges Modell nimmt folglich an, dass der zwischen den Direktvermarktern entstehende Wettbewerb der effektivste Weg ist, um einen Markt für Kapazitätsprodukte zu schaffen, der zu einer Honorierung der Leistungsvorhaltung führt.142 Vorgeschlagene Modelle für einen solchen rein nachfrageorientierten Mechanismus stammen beispielweise von GEODE143 sowie von Erdmann (Technische Universität Berlin) im Auftrag von Agora Energiewende144. GEODE stellt sich dabei vor, dass Bilanzkreisverantwortliche z. B. Speicherprodukte, flexibel einsetzbare Back-up-Kapazität oder Kombi-Produkte (Zusammenschlüsse von EEG-Anlagen und konventionellen Anlagen) nachfragen bzw. durch Abschaltvereinbarungen mit Betreibern von EEG-Anlagen, unterbrechbaren Stromlieferverträgen oder sonstigen Steuerbarkeitsvereinbarungen mit Endkunden versuchen, die Last besser zu steu-
138
Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 140 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 141 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 142 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. 143 GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zu der Diskussion um die Einfu¨ hrung eines neuen Strommarktdesigns. 144 Erdmann, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt? 139
36
A. Begriffsbestimmungen
ern.145 Erdmann hingegen spricht sich für einen Kapazitätsmarkt ausschließlich für EE-Strom mit einer generellen Verpflichtung zur Direktvermarktung sämtlicher EEAnlagen aus.146 Nur für den Fall, dass wider Erwarten die regenerativen Ausbauziele verfehlt werden, schlägt er die Einführung von Zwangsquoten für EE-Strom vor, die vom Gesetzgeber in Anlehnung an § 1 Abs. 2 EEG (i. d. F. von 2012) durchgesetzt werden könnten.147 Nachfrageorientierte Kapazitätsmarktmodelle waren zuletzt nicht mehr Teil der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns für Deutschland: Der „Endbericht Leitstudie Strommarkt – Arbeitspaket Funktionsfähigkeit EOM & Impact-Analyse Kapazitätsmechanismen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Juli 2014 behandelt u. a. nur noch dezentrale Kapazitätsmärkte i. e. S., also dezentrale, umfassende Kapazitätsmarktmodelle148 Der angesprochene Endbericht wurde von der „Plattform Strommarkt“ in Auftrag gegeben. Dieses Gremium führte das Kraftwerksforum des Bundeswirtschaftsministeriums und die Plattform Erneuerbare Energien des Bundesumweltministeriums zusammen.149 Die Arbeitsgemeinschaft (AG) 1 der Plattform Strommarkt beschäftigt sich mit Versorgungssicherheit und Marktdesign und hat nun u. a. die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Studien zu bewerten und umzusetzen.150 Keine der beiden Studien – weder die der R2B energy consulting GmbH noch die von Frontier Economics/ consentec – geht auf die Vorschläge für einen nachfrageorientierten Mechanismus ohne VSN ein, wie von Seiten GEODE bzw. Erdmann vorgeschlagen. Es wird hier einzig hinsichtlich dezentraler, umfassender Modelle eine Unterscheidung vorgenommen, und zwar zwischen dezentralen Mechanismen mit zentraler („ex-ante“-) Verpflichtung sowie solchen ohne zentrale Verpflichtung.151 Ein rein nachfrageorientiertes Kapazitätsmarktmodell stellt das am wenigsten in den bisherigen Strommarkt eingreifende Instrument innerhalb der verschiedenen zur Diskussion stehenden Kapazitätsmechanismen dar. Dennoch sind mögliche europarechtliche Aspekte einer Einführung eines nachfrageorientierten Modells nicht von der Hand zu weisen. Da ein solches Modell auf veränderte Nachfragegewohnheiten der Bilanzkreisveranwortlichen u. U. als Folge einer einzuführenden Pflicht zur Direktvermarktung setzt, dürfte eine Parallelität zur Direktvermarktung i. S. d. EEG zu diskutieren sein. Aus diesem Grund sind auch nachfrageorientierte 145
GEODE, S. 1 f.; Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 244. Erdmann, S. 6. 147 Erdmann, S. 6 f. 148 R2B energy consulting GmbH, S. 86 ff. 149 Vgl. die Website des BMWi, aufrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/ Strommarkt-der-Zukunft/plattform-strommarkt.html, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 150 Dies betrifft die im Juli 2014 vorgestellten Studien der R2B energy consulting GmbH sowie die von Frontier Economics/Consentec GmbH. 151 R2B energy consulting GmbH, S. 88, s. a. oben Punkte A.II.1.a) sowie A.II.1.b). 146
III. Strategische Reserve bzw. Kapazitätsreserve
37
Modelle einer eingehenden europarechtlichen Prüfung im Rahmen dieser Arbeit zu unterziehen.
III. Strategische Reserve bzw. Kapazitätsreserve152 Wie bereits oben allgemein festgestellt, handelt es sich bei der Strategischen Reserve um einen Mechanismus, in welchem eine Ausschreibung für die Bereitstellung von Kraftwerksleistung sorgt, welche nur in Knappheitszeiten aktiviert wird.153 Innerhalb dieses Abschnitts werden zunächst das ursprüngliche Konzept der Strategischen Reserve und sodann die sog. Kapazitätsreserve, wie sie von der Bundesregierung für den deutschen Strommarkt eingeführt werden soll, erläutert. 1. Das Konzept der Strategischen Reserve Der zunächst gebrauchte Begriff „Strategische Reserve“ bezeichnet nach allgemeinem Verständnis eine ursprünglich von der Consentec GmbH im Auftrag des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.) entwickelte Reservelösung für den deutschen Strommarkt.154 Anders als ein umfassender Mechanismus bezieht sich die Strategische Reserve als partieller Mechanismus auf eine Teilmenge der Gesamtsystemleistung.155 In ihrem Rahmen wird eine relativ geringe Stromerzeugungskapazität (z. B. 5 GW im Vergleich zu ca. 80 GW Spitzenverbrauch in Deutschland) von einer zentralen Instanz kontrahiert.156 Diese wird jedoch nicht im Normalfall, sondern nur im präzise definierten Knappheitsfall eingesetzt. Diese Kapazitäten stehen daher als Reserve für mögliche außergewöhnliche Situationen zusätzlich zu den Kapazitäten des Energy-only-Marktes zur Verfügung, so dass es sich bei dem Konzept einer Strategischen Reserve letztlich um keinen eigenständigen Kapazitätsmarkt handelt, welcher neben den regulären Energy-only-Markt tritt.157 Vielmehr wird die Strategische Reserve als „Instrument der zusätzlichen Absicherung“ bezeichnet.158 Bei einem Strommarktdesign mit Strategischer Reserve wird somit an einer wettbewerblichen Organisation des Strommarktes festgehalten: 152
Im Grünbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende – Diskussionspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie“ von Oktober 2014, S. 52, ist zum ersten Mal von einer „Kapazitätsreserve“ die Rede, wobei diese Terminologie die ansonsten gebräuchliche Bezeichnung „Strategische Reserve“ vollumfänglich abdeckt. 153 Vgl. Fn. 54. 154 Vgl. Consentec GmbH; Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 34. 155 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 29. 156 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 34. 157 Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 34; R2B energy consulting GmbH, S. XI. 158 R2B energy consulting GmbH, S. XI.
38
A. Begriffsbestimmungen
Der Staat übernimmt mit Einführung der Reservelösung die Aufgabe, den Strommarkt bzw. die Stromversorgung abzusichern, ohne direkt in die Mechanismen des Strommarktes einzugreifen.159 Denn indem der Staat einer zentralen Instanz die Aufgabe überträgt, die zur Absicherung erforderliche Leistung zu ermitteln und von Anbietern außerhalb des Strommarktes in einer wettbewerblichen Ausschreibung zu beschaffen, wird kein neuer Kapazitätsmarkt geschaffen, sondern ausschließlich Reservekapazität kontrahiert.160 Der Strommarkt basiert weiterhin vollständig auf individuellen Entscheidungen der Marktakteure.161 Ähnlich wie in einem zentralen Kapazitätsmarktmodell und in einem dezentralen Modell mit ex-ante-Verpflichtung wird im Rahmen einer Strategischen Reserve die nachgefragte Kapazitätsmenge durch eine zentrale Instanz festgelegt (zentrale Mengensteuerung).162 Es findet dann eine Auktion statt, in welcher die nötigen Kapazitäten beschafft werden; die kontrahierten Kapazitäten nehmen in der Folge weder während noch nach der Verwendung in der Reserve am Großhandelsmarkt für Strom oder an den Regelenergiemärkten teil (sog. „no-way-back“-Regelung).163 Erst in Knappheitssituationen (Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Strommarkt) werden die kontrahierten Erzeugungskapazitäten eingesetzt.164 Eine Knappheitssituation liegt vor, wenn eine Markträumung ohne Rationierung der Nachfrage nicht möglich ist: In diesem Fall wird über die Strategische Reserve kontrahierte Leistung im Rahmen eines weiteren Versuchs zur Markträumung (zweite Spotmarktauktion) in den Markt geboten, um so eine Markträumung herbeizuführen.165 Wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktmodell werden bei der Strategischen Reserve konstituierende Präqualifikationskriterien für die teilnehmenden Erzeugungskapazitäten aufgestellt: Neuanlagen dürfen nur teilnehmen, wenn ihr Standort netztechnisch geeignet ist, DSM-Teilnahme ist grundsätzlich möglich und Bestandsanlagen müssen grundsätzlich eine Aktivierungszeit von maximal zehn Stunden einhalten.166 Ein Fokus bei der Strategischen Reserve soll jedoch auf vorzeitig stillgelegten Kraftwerken liegen (maximal bis zur Erreichung des Endes der technischen Lebensdauer).167 In der Auktion erfolgt der Zuschlag anhand des gebotenen Leistungspreises. Nach Zuschlag erhalten die Betreiber der kontrahierten Anlagen explizite Kapazitätszahlungen, die Vergütung der Kapazität
159 160 161 162 163 164 165 166 167
R2B energy consulting GmbH, S. 105. R2B energy consulting GmbH, S. 105. R2B energy consulting GmbH, S. 106. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 34. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 34; R2B energy consulting GmbH, S. 93. Consentec GmbH, S. 3. Consentec GmbH, S. 3. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 35. R2B energy consulting GmbH, S. 92 f.
III. Strategische Reserve bzw. Kapazitätsreserve
39
entspricht dabei der „Uniform-Pricing-Regel“.168 Auch im Rahmen des Konzeptes der Strategischen Reserve ist im Fall der Nichtverfügbarkeit kontrahierter Kapazitäten eine Strafzahlung (Pönale) zu leisten.169 Die Kosten der Vorhaltung und des Einsatzes der Strategischen Reserve sollten zunächst über eine Umlage finanziert werden. Diese wäre von den Letztverbrauchern zusätzlich zu den Netznutzungsentgelten zu tragen gewesen.170 Laut Auswertungspapier der Konsultationen zum Grünbuch von Juni 2015 schlugen indes mehrere Akteure der Energiewirtschaft vor, die Einsatzkosten über die Ausgleichsenergie zu refinanzieren und nicht auf die Netzentgelte zu wälzen.171 Dies gründe darauf, die Kosten des Einsatzes der Reserve möglichst verursachungsgerecht verteilen zu wollen. Diesen Vorschlag nahm das BMWi in sein Weißbuch von Juli 2015 auf: Danach würden die Kosten für den Einsatz der Kapazitätsreserve nach dem Verursacherprinzip abzurechnen sein.172 Im Falle des Einsatzes der Kapazitätsreserve sollen die Stromlieferanten, die ihre Lieferpflichten nicht erfüllen konnten, entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag einen angemessenen Anteil der Gesamtkosten der Reserve tragen.173 Das zunächst explizit als „Brückenlösung“ bezeichnete Konzept vermag den kurzfristigen Bedarf der Absicherung von Erzeugungskapazität sicherstellen, solange noch Unklarheit über die Notwendigkeit der Etablierung langfristiger Kapazitätsmechanismen herrscht.174 Laut Grünbuch von Juli 2015 soll eine sog. Kapazitätsreserve die Stromversorgung zusätzlich zu den an den Strommärkten aktiven Erzeugungsanlagen absichern.175 Dies gilt sowohl für den Fall, dass der Strommarkt optimiert, aber in seiner heutigen Grundstruktur beibehalten wird, als auch bei Einführung eines Kapazitätsmarktes.176 In seinem Weißbuch von Juli 2015 konkretisiert das BMWi seine Pläne für ein neues Strommarktdesign, in dem es einen Kapazitätsmarkt für Deutschland ablehnt und sich stattdessen für einen sog. Strommarkt 2.0 mit Kapazitätsreserve ausspricht.177 Ebendies beinhaltet auch der
168
Consentec GmbH, S. 3; Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 35. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 35. 170 R2B energy consulting GmbH, S. 87. 171 Vgl. BMWi, Detaillierte Auswertung der Konsultation – Ergebnisse der Konsultation des Grünbuchs: Ein Strommarkt für die Energiewende (Konsultationsdokument), aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 16, wonach die Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW sowie die Bundesnetzagentur diese Finanzierungsalternative ins Spiel gebracht haben. 172 BMWi, Weißbuch, S. 82. 173 BMWi, Weißbuch, S. 82. 174 Consentec GmbH, S. 2. 175 BMWi,Grünbuch, S. 52. 176 BMWi, Grünbuch, S. 52. 177 BMWi, Weißbuch, S. 36. 169
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A. Begriffsbestimmungen
Gesetzentwurf für ein Strommarktgesetz der Bundesregierung, welcher am 4. November 2015 im Kabinett beschlossen wurde.178 2. Die Kapazitätsreserve nach dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz); Erlass der Kapazitätsreserveverordnung Die Strategische Reserve, nun unbenannt in „Kapazitätsreserve“179, soll nach dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes der Absicherung des Strommarktes 2.0 und der Erreichung des nationalen Klimaschutzzieles für 2020 dienen.180 Der heutige Strommarkt soll durch die Stärkung bestehender Mechanismen zu einem sog. Strommarkt 2.0 weiterentwickelt werden, indem insbesondere Marktpreissignale möglichst unverzerrt wirken sollen.181 Neue Regelungen im Energiewirtschaftsgesetz sollen die freie wettbewerbliche Preisbildung absichern und auf diesem Weg Preisspitzen an den Strommärkten zulassen.182 So können sich die benötigten Kapazitäten über die Strompreise am Strommarkt refinanzieren.183 Die Bundesregierung hat sich aus folgenden Gründen gegen einen Kapazitätsmarkt entschieden:184 Zum einen seien die Weiterentwicklung des Strommarktes und die Einführung einer Kapazitätsreserve mit geringeren Kosten und Kostenrisiken verbunden. Zum anderen führten Kapazitätsmärkte sehr häufig zu Überkapazitäten, wiesen eine hohe Komplexität auf und würden eine erhebliche Gefahr von Regulierungsversagen darstellen. Ein weiterentwickelter Strommarkt könne die Transformation des Stromversorgungssystems möglichst kosteneffizient erreichen, birge ein geringeres Risiko staatlicher Fehlsteuerungen und setze Anreize für innovative und nachhaltige Lösungen. Die Kapazitätsreserve des Gesetzentwurfs gleicht dabei in weiten Teilen dem oben beschriebenen Modell der Strategischen Reserve, welches als „Kapazitätsreserve“ seine letzte Konkretisierung im Weißbuch der Bundesregierung von Juli 2015 gefunden hat.185 178 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 2 f. 179 In den folgenden Teilen dieser Arbeit wird die bisher als „Strategische Reserve“ bezeichnete Reservelösung ebenfalls „Kapazitätsreserve“ genannt. 180 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 2 f. 181 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 2. 182 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 2. 183 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 2. Vgl. für weitere Einzelheiten zum Strommarkt 2.0 ebendiesen Gesetzentwurf, S. 66 ff. 184 Vgl. für folgende Gründe den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 67. 185 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 64, in der es heißt: „Die Inhalte dieses Gesetzes gehen weitgehend auf das am 3. Juli 2015 veröffentlichte Weißbuch ,Ein Strommarkt für die Energiewende‘ zurück“.
III. Strategische Reserve bzw. Kapazitätsreserve
41
Dabei sollen gemäß § 6 der Kapazitätsreserveverordnung die Übertragungsnetzbetreiber die Ausschreibung durchführen. Hinsichtlich der Kostenverteilung gilt, dass bei Nichtinanspruchnahme der Reserve die Vorhaltekosten auf alle Netznutzer verteilt werden.186 Maßgeblich für die Höhe der Vorhaltekosten ist das Ausschreibungsergebnis.187 Die Kosten des Einsatzes der Reserve werden indes nach dem Verursacherprinzip abgerechnet: Die Stromlieferanten, die ihre Lieferpflichten nicht erfüllen konnten, zahlen entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag einen angemessenen Anteil der Gesamtkosten der Reserve.188 Klimaschutzziele sollen mit der Kapazitätsreserve erreicht werden, indem ein Klimasegment eingerichtet wird, in welches schrittweise (nur) Braunkohlekraftwerke überführt werden. Diese Kraftwerke nehmen in der Folge vier Jahre an der Reserve teil und werden anschließend stillgelegt.189 Die Regelungen betreffend die Kapazitätsreserve werden im Grundsatz unbefristet erlassen und die Reserve soll ab dem Winterhalbjahr 2016/2017 den Übertragungsnetzbetreibern dauerhaft Kapazitäten außerhalb der Strommärkte zur Verfügung stellen.190 Ab 2019 soll eine zusätzliche technologieneutrale Kapazitätsreserve schrittweise und parallel zur Stilllegung der Braunkohlekraftwerke wettbewerblich ausgeschrieben werden.191 Die Umsetzung dieser Pläne erfolgt durch Erlass der Kapazitätsreserveverordnung gemäß § 13h EnWG.192 Am 4. November 2015 ist der Entwurf der Kapazitätsreserveverordnung im Kabinett beschlossen worden; die Verordnung soll nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zum Strommarktgesetz im Frühjahr 2016 in Kraft treten.193
186
S. 70. 187
S. 70. 188
S. 70. 189 190
S. 88. 191
S. 70. 192
Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 2. Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz,
Vgl. BMWi, Begründung zur Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 31. 193 Vgl. Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: https://www.bmwi. de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 17. November 2015.
42
A. Begriffsbestimmungen
IV. Exkurs: Die Netzreserve 1. Einführung eines administrativen Ansatzes für eine Netzreserve Wie consentec/BDEW bereits in ihrem Gutachten von September 2012 herausgearbeitet haben, sind auf Grundlage des von ihnen erarbeiteten Modells einer Strategischen Reserve auch weitere Einsatzfälle einer Reservelösung denkbar: Gerade auch vor dem Hintergrund der akuten netztechnischen Probleme in Deutschland seien anders ausgestaltete Formen einer Reservelösung zu diskutieren, so consentec/BDEW bereits im Jahr 2012.194 Tatsächlich verfolgte die Bundesregierung angesichts einer antizipierten Gefährdung der Systemsicherheit aufgrund der kurzfristigen, dauerhaften Abschaltung von acht Kernkraftwerken im Jahr 2011 einen – zunächst administrativen – Ansatz zur Einführung einer sog. „Kaltreserve“.195 Gefährdung der Systemsicherheit meint dabei regionale, netztechnische Probleme, wie sie hierzulande vor allem im süddeutschen Raum auftreten, und ist dabei von der Problematik um die Frage der Versorgungssicherheit strikt zu trennen. Die kritische Lage der Systemsicherheit in Süddeutschland zeigte sich beispielsweise bereits im Winter 2011/2012.196 Der zunächst verfolgte, rein administrative Ansatz sah vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber Kapazitäten auf Basis individueller Vereinbarungen unter Vertrag nehmen, um im Fall nicht ausreichender Netzspannung auf zusätzliche Anlagen zurückgreifen zu können.197 Dies bedeutete, dass die Bereitstellung der sog. Kaltreserve zunächst ohne gesetzliche Regelung auf Grundlage individuell ausgehandelter Vereinbarungen zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und den Betreibern der Erzeugungsanlagen im Rahmen sog. Reservevorhaltungsverträge erfolgte; die Preise für die kontrahierte Kapazitätsvorhaltung vereinbarten die Vertragspartner frei in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur.198 Die entstandenen Kosten konnten die Übertragungsnetzbetreiber auf die Netzentgelte umlegen, nachdem die Bundesnetzagentur diese im Rahmen der sog. Freiwilligen Selbstverpflichtung Reservekraftwerk (FSV Reservekraftwerk) anerkannt hatte.199
194
Consentec GmbH, S. 3. Consentec GmbH, S. 2. 196 Bundesnetzagentur, Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/2012, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 18 ff. 197 Bundesnetzagentur, Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/2012, S. 14 f., 42; Consentec GmbH, S. 2. 198 Däuper/Voß, IR 2013, 170, 170. 199 Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2012, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 40. 195
IV. Exkurs: Die Netzreserve
43
2. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine Reservekraftwerksverordnung Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes des Jahres 2012 beinhaltete in ihrem § 13b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 und 3 eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlass von Regelungen für einen transparenten Prozess zur Beschaffung einer Netzreserve aus vorläufig stillgelegten Energieerzeugungsanlagen, aus von vorläufiger oder endgültiger Stilllegung bedrohten Anlagen und in begründeten Ausnahmefällen aus neuen Anlagen zum Zwecke der Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems.200 § 13b Abs. 1 Nr. 1 EnWG enthält seitdem eine Verordnungsermächtigung, auf deren Grundlage die staatlichen Eingriffsbefugnisse bei Kraftwerksstilllegungen, welche die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems gefährden, näher ausgestaltet werden können.201 Die Novelle des EnWG hat damit die Möglichkeit geschaffen, den zuvor nur administrativ verfolgten Ansatz für die Einrichtung einer Kaltreserve auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Auf dieser Basis können Anlagen, die vom Betreiber stillgelegt werden sollen, vorübergehend in Betrieb gehalten werden, wenn dies zur Gewährung der Systemsicherheit erforderlich ist. Ferner ist es mit Schaffung dieser Ermächtigungsgrundlagen möglich geworden, in Einzelfällen auch neue Anlagen zu bauen, falls sich dies beispielsweise bei einer weiteren Verzögerung wichtiger Netzausbauvorhaben zur Gewährleistung der Systemsicherheit als notwendig herausstellen sollte. Die Ermächtigungsgrundlage sowie die zugrunde liegenden Eingriffsbefugnisse des § 13b EnWG waren zunächst bis Ende des Jahres 2017 befristet, vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 2 Satz 5 EnWG (i. d. F. v. 2013). 3. Erlass der Reservekraftwerksverordnung (ResKV) Auf Basis dieser neugeschaffenen gesetzlichen Grundlage hat die Bundesregierung am 27. Juni 2013 nach Kabinettsbeschluss vom 12. Juni 2013 die Reservekraftwerksverordnung (ResKV)202 erlassen. Die ResKV sollte die bestehende Praxis 200
Vgl. „Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften“ vom 27. Dezember 2012, BGBl. I S. 2730; die Novelle des EnWG war Teil eines Maßnahmenpakets für Versorgungssicherheit, genannt „Wintergesetze“, vgl. Rösler, EnWZ 2013, 193, 194. 201 Vgl. Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fu¨ r Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 17/10754, 17/11269 – „Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften“, BT-Drucks. 17/11705, S. 52. 202 Bundesregierung, Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung einer Netzreserve sowie zur Regelung des Umgangs mit geplanten Stilllegungen von Erzeugungsanlagen zur Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems (Reservekraftwerksverordnung – ResKV) vom 27. Juni 2013, BGBl. I, S. 1947. Auch die Begründung zur ResKV enthält die Klarstellung, dass „die gegenwärtigen Probleme [auf dem Strommarkt] ihre Ursache nicht in einem Leistungsbilanzdefizit (Fehlen von Kraftwerksleistung zur Deckung der Nachfrage im Markt) haben“. Die aktuellen Probleme „seien regional auf Süddeutschland begrenzt“ und hätten ihre Ursache „in einem durch Netzengpässe
44
A. Begriffsbestimmungen
der vertraglichen Bindung von Reservekraftwerken sowie den Umgang mit geplanten Stilllegungen systemrelevanter Anlagen systematisieren und kodifizieren, um Transparenz und Planungssicherheit zu verbessern.203 Zudem sollten die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen in begründeten Ausnahmefällen auch neue Anlagen beschafft bzw. errichtet werden können.204 Zuvor stellte sich insbesondere als problematisch heraus, dass eine gleichberechtigte Teilnahme von Betreibern von Energieerzeugungsanlagen an der Kaltreserve nicht gewährleistet war, da gesetzliche Vorgaben für die Auswahl und Konditionen der Reservekapazität fehlten.205 Die ResKV vermochte nun eine diskriminierungsfreie Teilnahme von Erzeugungsanlagen gewährleisten, indem sie vor allem öffentliche Ausschreibungsverfahren vorsah.206 Regelungen der ResKV betrafen ferner die nähere Ausgestaltung des Verfahrens und die Kriterien im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen mit bestehenden Anlagen als Reservekraftwerke (Netzreserve), die diesbezügliche Vergütung, das Verfahren zur Prüfung der Frage der Notwendigkeit des Baus von Neuanlagen für die Netzreserve und ein sich gegebenenfalls anschließendes Beschaffungsverfahren sowie das Verfahren und den Umgang mit der Ankündigung der vorübergehenden Stilllegung systemrelevanter Kraftwerke.207 4. Änderung der ResKV in die neue Netzreserveverordnung (NetzResV) und einzelne Regelungen Am 4. November 2015 hat das Kabinett den Entwurf für ein Strommarktgesetz beschlossen.208 Darin finden sich auch Änderungen der ResKV, die nun in „Netzreserveverordnung (NetzResV)“ umbenannt werden soll.209 Nach dem Gesetzentwurf enthält der zukünftige § 2 Abs. 1 NetzResV über den Zweck der Netzreserve explizit die Klarstellung, dass mit der Netzreserve die Gewährleistung der Sicherheit bedingten, regionalen Defizit an Kraftwerksleistung im Hinblick auf den Erhalt der Systemsicherheit“, vgl. S. 21 der Begründung. 203 Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 2. Siehe auch S. 21, auf der es heißt: „Das durch § 5 vorgegebene Einsatzregime entspricht der derzeitigen Praxis des Einsatzes der vertraglich gebundenen Reservekraftwerke“. 204 Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 1 f. Dies wird damit begründet, dass es mit Blick auf die Abschaltung der nächsten Kernkraftwerke erforderlich sein könnte, in Einzelfällen auch neue Anlagen zu bauen, falls sich dies beispielsweise bei einer weiteren Verzögerung wichtiger Netzausbauvorhaben zur Gewährleistung der Systemsicherheit als notwendig herausstellen sollte. 205 Däuper/Voß, IR 2013, 170, 170. 206 Vgl. nur §§ 4 Abs. 1, 2, 8 Abs. 3 ResKV. 207 Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 2. 208 Vgl. die Website des BMWi, aufrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/ Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 209 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 52 ff.
IV. Exkurs: Die Netzreserve
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und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems, insbesondere für die Bewirtschaftung von Netzengpässen und für die Spannungshaltung, verfolgt wird.210 In den folgenden Abschnitten werden Regelungen der neuen NetzResV dargestellt. a) Regelungen zur Systemanalyse Bevor es zur Schaffung einer Netzreserve nach der NetzResV kommen kann, ist ein Verfahren zur Ermittlung des Bedarfs vorgesehen. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 NetzResV erstellen die Übertragungsnetzbetreiber hierfür jährlich gemeinsam eine Systemanalyse der verfügbaren gesicherten Erzeugungskapazitäten (Nr. 1), eine Analyse ihrer wahrscheinlichen Entwicklung im Hinblick auf das jeweils folgende Winterhalbjahr sowie mindestens eines der weiteren darauffolgenden vier Betrachtungsjahre (Nr. 2) und den eventuellen Bedarf an Netzreserve (Nr. 3). Ausschließlich den sich aus der Systemanalyse ergebenden Bedarf, der in der Folge auch mit der Bundesnetzagentur abgestimmt wurde (§ 3 Abs. 2 Satz 7 NetzResV), dürfen die Übertragungsnetzbetreiber ausschreiben. Im Rahmen der Systemanalyse entscheidet sich außerdem, ob neben bereits bestehenden Anlagen auch neu zu errichtende Anlagen Teil der Netzreserve werden (§ 3 Abs. 2 Satz 6 NetzResV). Für die ersten beiden Jahre nach Erlass der ursprünglichen ResKV hatte die Bundesnetzagentur im September 2013 einen Reservekraftwerksbedarf für den Winter 2013/2014 von 2.540 MW211 sowie für den Winter 2014/2015 einen Bedarf von 3.091 MW212 bestätigt. Für die Jahre 2015/2016 sowie 2016/2017 geht die Bundesnetzagentur von einem Bedarf in Höhe von 6.700 bis 7.800 MW bzw. 6.600 bis 7.700 MW aus.213 b) Regelungen zum Ausschreibungsverfahren Die Modalitäten des Ausschreibungsverfahrens ergeben sich aus § 4 NetzResV. Dabei veröffentlicht der jeweilige Übertragungsnetzbetreiber Anforderungen an die erforderlichen Erzeugungsanlagen einschließlich eventueller Anforderungen an den 210
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 52. Bundesnetzagentur, Feststellung des Reservekraftwerksbedarfs für den Winter 2013/ 2014 und zugleich Bericht über die Ergebnisse der Prüfung der Systemanalyse vom 16. September 2013, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 27. November 2015, S. 2. 212 Bundesnetzagentur, Feststellung des Reservekraftwerksbedarfs für den Winter 2014/ 2015 sowie für die Jahre 2015/2016 und 2017/2018 und zugleich Bericht über die Ergebnisse der Prüfung der Systemanalysen vom 2. Mai 2014, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 27. November 2015, S. 2. 213 Bundesnetzagentur, Feststellung des Reservekraftwerksbedarfs für den Winter 2015/ 2016 sowie die Jahre 2016/2017 und 2019/2020, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 27. November 2015, S. 3. 211
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A. Begriffsbestimmungen
Standort und die technischen Parameter, § 4 Abs. 1 NetzResV. Die Betreiber von Anlagen können daraufhin ihr Interesse am Abschluss eines Vertrages zur Aufnahme ihrer Anlage in die Netzreserve bekunden, § 4 Abs. 2 NetzResV. § 4 Abs. 3 NetzResV bestimmt, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Verhandlungen mit den Anlagenbetreibern führen und bis zum 15. September eines Jahres für das kommende bzw. bis zum 15. Dezember eines Jahres für das übernächste Winterhalbjahr Verträge über die Nutzung der Anlagen für die Netzreserve abschließen. Das Ausschreibungsverfahren soll offen, transparent und diskriminierungsfrei durchgeführt werden: Innerhalb des Ausschreibungsverfahrens sollen Betreiber von Anlagen, welche eine endgültige Stilllegung anstreben, ihre Anlage als Reservekraftwerk anbieten.214 Gleichzeitig werde im Rahmen der Ausschreibung die Möglichkeit einer technisch gleich geeigneten und gesicherten sowie zumindest ebenso preisgünstigen Abdeckung des Bedarfs durch Anlagen aus dem EU-Binnenmarkt oder der Schweiz überprüft.215 „Der Übertragungsnetzbetreiber […] ist auch berechtigt, Verträge mit den Betreibern geeigneter Anlagen im europäischen Energiebinnenmarkt und der Schweiz abzuschließen“, so der Wortlaut der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzResV. Diese Klausel findet sich in § 5 mit der Überschrift „Verträge mit Betreibern bestehender Anlagen“. Nähere Voraussetzungen zum Abschluss von Verträgen mit solchen Anlagen finden sich in § 5 Abs. 3 NetzResV. Danach müssen EU-ausländische Anlagen geeignet sein, zur Lösung der konkreten Systemsicherheitsprobleme in Deutschland beizutragen (Nr. 1), die jeweils nach nationalem Recht des betroffenen Staates zuständigen Behörden dürfen keine Einwände im Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit erheben (Nr. 2), die Bindung für den erforderlichen Zeitraum muss gesichert sein (Nr. 3) und die betreffende Anlage muss bei gleicher technischer Eignung mindestens genauso preisgünstig wie die Nutzung von Erzeugungsanlagen in Deutschland sein (Nr. 4). § 8 Abs. 3 NetzResV über den Ausnahmefall der Beschaffung neu zu errichtender Anlagen für die Netzreserve enthält die Regelung, dass der Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet ist, Errichtung und Betrieb der Anlage in einem transparenten, diskriminierungsfreien Verfahren nach den Regelungen des Beschaffungsverfahrens nach § 13e Abs. 2 EnWG und der Rechtsverordnung nach § 13h EnWG (Kapazitätsreserveverordnung) auszuschreiben. c) Regelungen über die Beschaffung von Kapazitäten aus bestehenden Anlagen In der NetzResV findet sich die Regelung über die Beschaffung einer Reserve vorrangig aus bestehenden Anlagen zur Erzeugung oder Speicherung elektrischer Energie in § 5. Voraussetzung für einen Vertragsabschluss zwischen Übertragungsnetzbetreiber und Anlagenbetreiber ist dabei zunächst, dass die Anlage sys214 215
Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 2. Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 2.
IV. Exkurs: Die Netzreserve
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temrelevant i. S. d. neuen § 13a Abs. 1 Satz 7 EnWG ist, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 NetzResV. Systemrelevant gemäß dem neuen § 13a Abs. 1 Satz 7 EnWG ist eine Anlage, wenn ihre Stilllegung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führt und diese Gefährdung oder Störung nicht durch andere angemessene Maßnahmen beseitigt werden kann. Weiter wird vorausgesetzt, dass die Anlage nach Ablauf des Vertrages bis zur endgültigen Stilllegung nicht mehr am Energiemarkt eingesetzt wird – sog. „No-way-back-Regelung“ – (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 NetzResV), die Anzeigefrist nach § 13b Abs. 1 Satz 1 EnWG zum Beginn des geplanten Einsatzes in der Netzreserve verstrichen ist oder die Anlage bereits vorläufig stillgelegt ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 NetzResV) und alle gesetzlichen und genehmigungsrechtlichen Anforderungen an den Betrieb der Anlage für die Vertragsdauer erfüllt sind oder sich die Anlage in einem materiell genehmigungsfähigen Zustand befindet (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 NetzResV). Für die Einbeziehung EU-ausländischer sowie Schweizer Anlagen in die deutsche Netzreserve stellt § 5 Abs. 3 NetzResV weitere Voraussetzungen auf.216 d) Regelungen zur Kostenerstattung Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 NetzResV werden die durch die Nutzung der bestehenden Anlagen für die Netzreserve entstehenden Kosten erstattet. § 6 Abs. 3 NetzResV listet die Einzelheiten der Kostenregelung auf: Gemäß Nr. 1 wird dem Betreiber der Anlage ein Arbeitspreis in Form der notwendigen Auslagen für die tatsächliche Einspeisung der Anlage gewährt. § 6 Abs. 3 Nr. 2 NetzResV regelt, dass die einmaligen Kosten für die Herstellung der Betriebsbereitschaft der Anlage im Rahmen der Betriebsbereitschaftsauslagen berücksichtigt werden. Zudem wird gemäß Nr. 3 ein Leistungspreis für die Bereithaltung der betreffenden Anlage gewährt. Nicht erstattungsfähig sind Kosten, die auch im Fall einer Stilllegung der Anlage angefallen wären, § 6 Abs. 1 Satz 2 NetzResV. Opportunitätskosten sind unter bestimmten Voraussetzungen erstattungsfähig, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 NetzResV. Einzelne Stimmen in der Literatur beurteilen die Ausgestaltung der Netzreserve als nachteilig für Anlagenbetreiber – nicht nur aufgrund der Regelungen über die Kostenerstattung, sondern auch wegen der geringen Vertragslaufzeit von in der Regel 24 Monaten, der fehlenden Möglichkeit des zusätzlichen Einsatzes an den Energiemärkten sowie des Rückkehrverbots.217 Die Teilnahme an der Netzreserve für Bestandsanlagen scheine insgesamt wenig attraktiv zu sein, allerdings bestehe für Nicht-Teilnehmer die „Gefahr“, im Rahmen der gesetzlichen Eingriffsbefugnisse nach §§ 10 bis 12 NetzResV in Anspruch genommen zu werden.218 216 217 218
Vgl. hierzu oben unter Punkt A.IV.4.b). Däuper/Voß, IR 2013, 170, 172. Däuper/Voß, IR 2013, 170, 172 sowie ZNER 2012, 119, 119.
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A. Begriffsbestimmungen
e) Regelungen über die Beschaffung von Kapazitäten aus neu zu errichtenden Anlagen Neue Anlagen können nur im Ausnahmefall an der Netzreserve teilnehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Übertragungsnetzbetreiber einen entsprechenden Bedarf darlegen, § 8 Abs. 1 Satz 1 NetzResV. Bemerkenswert ist, dass gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NetzResV ein Bedarf nur besteht, wenn der erforderliche Netzreservebedarf künftig nicht mehr mit bestehenden Anlagen im Inland und im europäischen Ausland nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzResV gedeckt werden kann. Hier findet sich damit neuerdings ein Einschluss auch ausländischer Anlagen. Wie bereits dargestellt, verweist § 8 Abs. 3 NetzResV für die Ausgestaltung des Ausschreibungsverfahrens auf die Regelungen des Beschaffungsverfahrens nach § 13e Abs. 2 EnWG und der Rechtsverordnung nach § 13h EnWG. Eine Mindestlaufzeit für die neue Anlage ist in der NetzResV nicht vorgesehen. Die wesentlichen Pflichten der Betreiber neuer Anlagen finden sich in § 9 NetzResV. Gemäß dessen Abs. 2 verpflichten sich die Anlagenbetreiber, die Anlage für die Dauer der Nutzung im Rahmen der Netzreserve ausschließlich als Anlage der Netzreserve zu betreiben. Vorgaben zur Verwendung der Anlagen nach Ende der Nutzung in der Kapazitätsreserve finden sich in § 9 Abs. 3 NetzResV. § 8 Abs. 4 NetzResV regelt als Ultima-Ratio-Maßnahme die Errichtung und den Betrieb neuer Anlagen durch einen Übertragungsnetzbetreiber. Seit Inkrafttreten zunächst der Verordnung am 6. Juli 2013 ist somit – über den ehemaligen administrativen Ansatz hinaus – auch die Neuerrichtung von Reserveanlagen durch einen Übertragungsnetzbetreiber möglich, wenn die Beschaffung einer Netzreserve aus neuen, jedoch fremden Anlagen erfolglos bleibt. Für den Fall, dass im Ausschreibungsverfahren keine Ergebnisse erzielt werden, muss der Übertragungsnetzbetreiber Anlagen im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst errichten und betreiben lassen.219 Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 NetzResV ist im Hinblick auf die Art des Einsatzes der Anlage während und nach Ende der Nutzung im Rahmen der Netzreserve § 7 NetzResV entsprechend anzuwenden, so dass die kontrahierten Anlagen auch hier nur außerhalb des Energiemarktes eingesetzt werden dürfen. Kosten von Errichtung sowie Betrieb erkennt die Bundesnetzagentur über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber als verfahrensregulierte Kosten an (Verweis auf § 11 Abs. 2 Satz 4 sowie § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV), vgl. § 8 Abs. 4 Satz 3 NetzResV. Durch die Regelung von zunächst § 8 Abs. 4 ResKV entstand in Deutschland aus rechtlicher Sicht eine vollkommen neue Kategorie von Kraftwerken, d. h. Kraftwerke, die durch Übertragungsnetzbetreiber mit dem einzigen Zweck der Gewährleistung der Systemsicherheit gebaut und betrieben wurden.220 219 220
Vgl. Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 22. Däuper/Voß, IR 2013, 170, 172.
IV. Exkurs: Die Netzreserve
49
Das eingeführte Modell einer Netzreserve ähnelt mit dieser Ausgestaltung insgesamt sehr dem Modell der Kapazitätsreserve, ausgearbeitet und ins Gespräch gebracht von consentec/BDEW: Die Kapazitätsreserve zielt insbesondere darauf ab, wirtschaftlich bedingte Stilllegungen von Bestandskraftwerken so lange zu verhindern, wie dies den gesamtwirtschaftlich effizientesten Weg zur Deckung des Kapazitätsbedarfs darstellt.221 Allerdings betont der Gesetzgeber auch in der NetzResV wiederum ausdrücklich, dass letztere den Zweck der Vorhaltung von Erzeugungskapazitäten zur Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems, insbesondere für die Bewirtschaftung von Netzengpässen und für die Spannungshaltung, verfolgt, § 2 Abs. 1 NetzResV. § 2 Abs. 2 Satz 1 NetzResV stellt explizit klar, dass eine Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems i. S. d. Abs. 1 vorliegt, wenn örtliche Ausfälle des Übertragungsnetzes oder kurzfristige Netzengpässe zu besorgen sind oder zu besorgen ist, dass die Haltung von Frequenz, Spannung oder Stabilität durch die Übertragungsnetzbetreiber nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden kann.222 Dies bedeutet, dass im Fall von Frequenz-, Spannungs- oder Stabilitätsproblemen – vornehmlich im Winter – nach jeweils jährlich zu ermittelnder Prognose der Bundesnetzagentur und somit in „Notfall-Situationen“ auf die Ermächtigungen der Reservekraftwerksverordnung zurückgegriffen werden kann, vgl. § 3 NetzResV. Die Netzreserve nach NetzResV ist damit also sowohl von klassischen Kapazitätsmärkten als auch von dem Modell einer Kapazitätsreserve strikt abzugrenzen. Die Kapazitätsreserve sowie die diskutierten Kapazitätsmarktmodelle dienen ausschließlich dem Zweck der leistungsbilanziellen Versorgungssicherheit.223 Netzreserve und Kapazitätsreserve sind jedoch auch in einem relevanten Punkt vergleichbar: Anders als im Rahmen von Kapazitätsmärkten i. e. S. wird im Rahmen beider Mechanismen die konkrete Einspeisung von Energie in NotfallSituationen vergütet. Unter diesem Aspekt lassen sich Netzreserve und Kapazitätsreserve damit zusammenfassen und wiederum von „klassischen“ Kapazitätsmärkten abgrenzen. Darüber hinaus ändert die Netzreserve ebenso wenig das derzeitige System des deutschen Energy-only-Marktes, wie die Kapazitätsreserve dies tun wird: Die im Wege der Netzreserve zusätzlich geschaffenen Kapazitäten sind für Notfallsituationen vorgesehen und nehmen nicht am Regelenergiemarkt teil, vgl. z. B. § 7 Abs. 1 NetzResV. Ferner waren sowohl Netzreserve als auch Kapazitätsreserve zunächst 221
Consentec GmbH, S. ii; vgl. auch oben unter Punkt A.III. Vgl. auch zusätzlich Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 5 f. 223 Die Netzreserve nach der NetzResV wird im Rahmen dieser Arbeit weder zu den Kapazitätsmarktmodellen i. e. S. noch zu den Kapazitätsmechanismen gezählt. Ähnlich wie bei der Strategischen Reserve handelt es sich bei dieser Reservelösung nicht um einen neben den regulären Strommarkt tretenden, weiteren Markt, welcher für die fortlaufende Gewährleistung der Versorgungssicherheit eingesetzt wird. Zu den Kapazitätsmechanismen ist die Netzreserve schon deshalb nicht zu zählen, da sie nicht den Zweck der Versorgungssicherheit, sondern den der Systemsicherheit verfolgt. 222
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A. Begriffsbestimmungen
lediglich als Übergangslösungen gedacht: Die Reservekraftwerksverordnung sollte gemäß ihrem § 14 Abs. 2 mit Ablauf des 31. Dezember 2017 außer Kraft treten (sog. „Sunset-Klausel“), da die Regelungen vor allem die zeitlich und räumlich begrenzten Probleme bei der Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Süddeutschland bewältigen sollten.224 Auch consentec/BDEW bezeichneten ihr Modell einer Kapazitätsreserve zunächst als „Brückenlösung“.225 Bis zum Ablauf der ResKV sollte eine Entscheidung über Deutschlands zukünftiges Strommarktdesign getroffen worden sein.226 In der Zwischenzeit hat sich die Bundesregierung für die Einführung einer Kapazitätsreserve und damit gegen einen Kapazitätsmarkt entschieden.227 Gleichzeitig soll die Netzreserve über den 31. Dezember 2017 hinaus verlängert und eng auf die Kapazitätsreserve abgestimmt werden.228 Damit zeigt sich auch hier, dass die Modelle der Kapazitätsreserve einerseits sowie der Netzreserve andererseits nebeneinander stehen und sich gegenseitig ergänzen, da sie jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen.
V. Zusammenfassung Abschließend ist festzuhalten, dass sich die verschiedenen Konzepte der Leistungsvorhaltung grob in zwei Gruppen unterteilen lassen: Einerseits in die der klassischen Kapazitätsmarktmodelle sowie andererseits in die der sog. Reservelösungen. Zu den klassischen Kapazitätsmarktmodellen gehören die zentralen und die dezentralen Konzepte für einen Kapazitätsmarkt. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Einführung eines weiteren, neben den regulären Energy-only-Markt tretenden Strommarktes vorsehen. Innerhalb dieses Marktes erfolgt die Bereitstellung zusätzlicher Kapazität auf unterschiedliche Weise, je nachdem, ob ein zentrales oder ein dezentrales Modell vorliegt. In einem zentralen Kapazitätsmarktmodell bestimmt eine staatliche Institution „top down“ die Menge der als notwendig erachteten Kapazität und beschafft diese im 224
Franke, EnWZ 2013, 529, 530. Consentec GmbH, S. iv. 226 Vgl. auch Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 3: „Die Verordnung ist bis zum 31. Dezember 2017 befristet. Entsprechend stellen die Vorgaben eine Übergangsregelung bis zu einer Entscheidung im Hinblick auf die zukünftigen Rahmenbedingungen des Energiemarktes dar.“ Diese Vorgabe ergibt sich zudem bereits aus § 13b Abs. 1 Nr. 2 a. E. EnWG. Dies ist inzwischen durch Kabinettsbeschluss vom 4. November 2015 des Strommarktgesetzes auch geschehen. 227 Vgl. zu den Einzelheiten oben unter Punkt A.III.2. 228 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 65. 225
V. Zusammenfassung
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Wege einer Auktion. In einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarktmodell steht die Teilnahme an diesen Auktionen allen Erzeugungsanlagen offen, während in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt nur bestimmte, beispielsweise von Stilllegung bedrohte Anlagen an der Auktion teilnehmen dürfen. Die bezuschlagten Anlagen schließen jeweils mit der Institution einen Vertrag über die jederzeitige Vorhaltung der kontrahierten Kapazitätsmenge. Die staatliche Institution zahlt die entsprechende Prämie an die Betreiber der Anlagen, in einem fokussierten Markt kann die Höhe dieser Prämie je nach Art der Erzeugungsanlage variieren. Für einen dann einzuführenden Optionsmechanismus legt eine staatliche Stelle zuvor für sichere Leistung in Form von Verfügbarkeitsoptionen einen Ausübungspreis fest. Bei dessen Überschreitung am Spotmarkt sind die Betreiber der kontrahierten Anlagen verpflichtet, die Differenz zwischen Stromspotmarktpreis und Ausübungspreis an die staatliche Stelle zu zahlen, die diese dann an die Stromversorger weiterleitet. Sowohl in zentralen, umfassenden als auch in zentralen, fokussierten Kapazitätsmärkten soll die Refinanzierung der Kapazitätszahlungen durch eine Umlage auf Übertragungsnetzbetreiber bzw. Endverbraucher erfolgen. In einem dezentralen Modell für einen Kapazitätsmarkt bestimmt auf dem neben den Energy-only-Markt tretenden Markt die Nachfrage „bottom up“ den Preis der Leistungsvorhaltung. Auch die Beschaffung der Leistung erfolgt dezentral. Zu unterscheiden ist zwischen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmärkten einerseits sowie dezentralen, rein nachfrageorientierten Märkten andererseits. Innerhalb ersterer beschafft sich grundsätzlich jeder Vertrieb bzw. jeder Großverbraucher Versorgungssicherheitsnachweise (VSN) von verpflichteten Einheiten, womit sie das Recht erwerben, im Fall knapper Stromreserven eine den VSN entsprechende, gesicherte Leistung zu beziehen. Die Anbieter von VSN haben wiederum in Höhe der in Form von VSN kontrahierten Leistungsmenge auch bei unzureichender leistungsbilanzieller Versorgungssicherheit die Verfügbarkeit zu garantieren. Eine weitere Unterteilung innerhalb von dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarktmodellen wird hinsichtlich des Umstandes gemacht, ob der Mechanismus ohne zentrale Verpflichtung hinsichtlich der Höhe der zu erwerbenden VSN auskommt oder ob eine sog. „ex-ante-Verpflichtung“ Teil des Mechanismus ist: Danach richtet sich, ob vorab eine Festlegung der Gesamthöhe der auszugebenden Zertifikate erfolgt. Ist dies nicht der Fall, bestimmen die Verbraucher bzw. Lieferanten selbst die Gesamtmenge der benötigten VSN auf Grundlage ihrer eigenen Prognose, in welcher Höhe sie gesichert Strom beziehen möchten. Ist der Mechanismus jedoch mit einer solchen Verpflichtung ausgestattet, bestimmt eine zentrale Instanz nach einer Analyse des globalen Kapazitätsbedarfs, in welcher Höhe die Verbraucher VSN zu beziehen haben. Ein dezentraler, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt hingegen arbeitet allein mit einer marktgetriebenen Entstehung eines Produktes „Leistungsvorhaltung“, u. U. mit Hilfe einer Verpflichtung sämtlicher Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien zur Direktvermarktung. Folge einer Direktvermarktung soll die
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A. Begriffsbestimmungen
beträchtliche Erhöhung der Prognose- und Ausgleichspflichten der Anlagenbetreiber sein: Um die fluktuierende Einspeisung aus Wind und Sonne auszugleichen, würden Bilanzkreisverantwortliche verstärkt neue Kapazitätsprodukte nachfragen müssen. Zu den sog. Reservelösungen sind zum einen die Kapazitätsreserve sowie zum anderen die Netzreserve zu zählen. Sie sind nicht als Kapazitätsmärkte zu bezeichnen, da in den jeweiligen Modellen kein zusätzlicher, neben den Energy-OnlyMarkt tretender Kapazitätsmarkt geschaffen wird. Bei der Kapazitätsreserve kontrahiert der Staat zusätzliche Kapazität nach Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens, welche in der Folge zu vorher festgelegten Regeln am allgemeinen Strommarkt, dem Energy-only-Markt, teilnehmen darf. Dort wird die Reserve dann im präzise definierten Knappheitsfall eingesetzt, d. h. wenn der Strommarkt die notwendigen Kapazitäten nicht oder nicht schnell genug beanreizt, also kein Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem wettbewerblichen Strommarkt möglich ist. Die Kapazitätsreserve ist sowohl mit einem zentralen Kapazitätsmarktmodell als auch mit einem dezentralen Modell mit ex-ante-Verpflichtung vergleichbar, zumal auch bei dieser eine zentrale Instanz mit der Festlegung der nachgefragten Kapazitätsmenge eine zentrale Mengensteuerung vornimmt. Allerdings führt die zentrale Instanz im Rahmen der Beschaffung der zusätzlichen Kapazitäten Auktionen durch, was letztlich einzig zu einer Vergleichbarkeit der Kapazitätsreserve mit zentralen Kapazitätsmarktmodellen führt, und zwar mit zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktmodellen, denn auch bei der Kapazitätsreserve werden konstituierende Präqualifikationskriterien für die teilnehmenden Erzeugungskapazitäten aufgestellt. Die Kapazitätsreserve kann als Kapazitätsmechanismus verstanden werden, denn auch sie verfolgt wie die klassischen Kapazitätsmarktmodelle den Zweck der Versorgungssicherheit. Die Netzreserve nach NetzResV hingegen ist ein Instrument zur Gewährleistung der Systemsicherheit. Mit der Einführung der ResKV im Jahr 2013 wurde zunächst eine Brückenlösung geschaffen, um kurzfristig Engpässe der Netzstabilität bis zur Einführung eines umfassenderen Leistungsvorhaltungsmodells zu überbrücken. Die ResKV sollte die bereits zuvor bestehende Praxis der vertraglichen Bindung von Reservekraftwerken sowie den Umgang mit geplanten Stilllegungen systemrelevanter Anlagen systematisieren und kodifizieren, um Transparenz und Planungssicherheit zu verbessern. Zudem legte sie Voraussetzungen fest, unter denen in begründeten Ausnahmefällen auch neue Anlagen zum Zwecke der Systemsicherheit beschafft bzw. errichtet werden konnten. Am 4. November 2015 hat das Kabinett den Entwurf für ein Strommarktgesetz beschlossen.229 Darin finden sich auch Änderungen der ResKV, die nun in Netzreserveverordnung (NetzResV) umbenannt werden soll, allen voran eine Entfristung der Verordnung über den 31. Dezember 2017 hinaus sowie vornehmlich Anpassungen europäischer Regelungen sowie Regelungen zur Kostenerstattung.
229 Vgl. die Website des BMWi, aufrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/ Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015.
B. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit Hinsichtlich einer Prüfung von Kapazitätsmechanismen am Maßstab einer europäischen Grundfreiheit ist möglicherweise deren generelle Anwendbarkeit auf die Energiebranche fraglich. Der EuGH hat bereits unter Geltung der früheren Gemeinschaftsverträge keine Bereichsausnahme für den Energiesektor von den Vorschriften über die Freiheit des Warenverkehrs anerkannt.230 Aus diesem Grund wendet er die Grundfreiheiten auch auf den Bereich Energie an.231 Dies muss erst recht nach der Einfügung von Art. 194 AEUV, der neuen Energiekompetenznorm, gelten.232 Jegliche Form eines Kapazitätsmechanismus hat sich daher grundsätzlich an den Vorgaben der Grundfreiheiten nach AEUV zu orientieren.
I. Sachlicher Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet? Intensiv diskutiert wurde zeitweise die Frage, ob Strom als Ware i. S. d. Art. 34 AEUV zu qualifizieren ist oder ob stattdessen die Dienstleistungsfreiheit Anwendung finden muss.233 Der Handel mit leitungsgebundener Energie unterfällt grundsätzlich den Regeln über die Warenverkehrsfreiheit: Im Urteil Costa/ENEL hat der EuGH schon früh (konkludent) entschieden, dass der Handel mit leitungsgebundener Energie in den Anwendungsbereich der Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit fällt.234 In keinem späteren Urteil hat der EuGH deren Anwendung auf Elektrizität in Frage gestellt.235 Damit sind aufgrund der Subsidiaritätsklausel des Art. 57 Satz 1 AEUV in der Regel die Vorschriften über den Warenverkehr einschlägig. 230 Mit Nachweisen zur früheren Diskussion vgl. Jarass, Europäisches Energierecht, S. 14 ff., S. 65 ff., S. 81 ff.; ferner Roggenkamp/Rønne/Redgwell/del Guayo, Energy Law in Europe, Rn. 5.20. 231 Vgl. insb. EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699, Ziff. 10 ff. – Niederländisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-158/94, Slg. 1997, I-5789, Ziff. 10 ff. – Italienisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815, Ziff. 27 ff. – Französisches Stromhandelsmonopol. 232 Schneider, in: Schneider/Theobald, § 2 Rn. 12. 233 Schneider, in: Schneider/Theobald, § 2 Rn. 13. 234 EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, I-1141, S. 1274 ff. – Costa/ENEL. 235 Zum Warencharakter von elektrischer Energie ausdrücklich: EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477, Ziff. 28 – Almelo. In den vier Elektrizitäts-Urteilen des EuGH vom 23. Oktober 1997, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699 – Niederländisches Stromhandelsmonopol;
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Es ist jedoch auch anerkannt, dass vom Markt für das Handelsgut Elektrizität der Netznutzungsmarkt zu unterscheiden ist: Auf diesen Markt, der Dienstleistungen wie die Netzbereitstellung, die Zugangsermöglichung sowie den Netzbetrieb durch koordinierende und stabilisierende Netzsteuerung umfasst, ist die Dienstleistungsfreiheit anzuwenden.236 Ob eine Aktivität in der Elektrizitätswirtschaft der Waren- oder der Dienstleistungsfreiheit unterfällt, richtet sich somit nach ihrem Schwerpunkt.237 In Fällen, in denen die nationale Maßnahme sowohl die Warenverkehrs- als auch die Dienstleistungsfreiheit berührt, wird der Gerichtshof seine Untersuchung nur auf eine der Grundfreiheiten beschränken.238 Diese Beschränkung setzt jedoch voraus, dass im konkreten Fall die andere Grundfreiheit völlig zweitrangig ist und der erstrangigen zugeordnet werden kann.239 Es ist folglich eine Abgrenzung im Einzelfall vorzunehmen, zumal Tätigkeiten in der Elektrizitätswirtschaft wie der Transport und der Handel mit elektrischer Energie in unterschiedlichem Maße auch Dienstleistungselemente enthalten.240 Problematisch könnte sein, dass es in allen angesprochenen Kapazitätsmechanismen zunächst um die Bereitstellung zusätzlicher Leistung und nicht direkt um deren Verkauf geht. So erhalten die Leistung bereitstellenden Stromerzeuger ihre Vergütung bereits für die Leistungsvorhaltung – also zeitlich vor der konkreten Leistungseinspeisung. Es könnte daher argumentiert werden, dass es bei Kapazitätsmechanismen nicht um den Handel mit Waren geht, sondern die Bereitstellung von Leistung eine Dienstleistung darstellt. Nichtsdestotrotz ist vorrangig dennoch die Warenverkehrsfreiheit einschlägig, denn im Kern geht es in einem Kapazitätsmechanismus um die Lieferung zusätzlicher Leistung und damit um den Handel mit der Ware Strom.241 Im Rahmen der Abgrenzung ist auch irrelevant, zu welchem Zeitpunkt die Zahlungen die Stromerzeuger erreichen. Abzustellen ist allein auf die Tätigkeit der Stromerzeuger. Der Schwerpunkt dieser Tätigkeit liegt auf dem Handelsgut Elektrizität, wenngleich die Tätigkeit auch Dienstleistungselemente enthält. In Anwendung der Subsidiaritätsklausel des Art. 57 Satz 1 AEUV sind daher vorrangig die Rs. C-158/94, Slg. 1997, I-5789 – Italienisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815 – Französisches Stromhandelsmonopol sowie Rs. C-160/94, Slg. 1997, I-5851 – Spanisches Stromhandelsmonopol, war im italienischen Fall die Qualifikation der Elektrizität als Ware von der italienischen Regierung angezweifelt worden; der EuGH hat in diesem Urteil unter Ziff. 17 ausgeführt, diese Frage sei in den Urteilen Costa/ENEL und Almelo unzweifelhaft i. S. d. Warencharakters der Elektrizität entschieden. Schließlich gelte Elektrizität nach dem Zolltarifschema ebenfalls als Ware (KN-Code 2716). 236 Lecheler/Recknagel, in: Dauses, Bd. 2, Kapitel M. Rn. 15. 237 Lecheler/Recknagel, in: Dauses, Bd. 2, Kapitel M. Rn. 16. 238 Vgl. EuGH, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Ziff. 26 – Omega. 239 Vgl. EuGH, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Ziff. 26 – Omega. 240 Lecheler/Recknagel, in: Dauses, Bd. 2, Kapitel M. Rn. 16. 241 So i. E. auch Ludwigs, RdE 2015, 325, 334, Fn. 101.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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Vorschriften über den freien Warenverkehr anzuwenden. Die Berührung der Dienstleistungsfreiheit ist in diesem Fall völlig zweitrangig und kann der Warenverkehrsfreiheit zugeordnet werden.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV Vor der Prüfung der Vereinbarkeit der verschiedenen Modelle für einen Kapazitätsmechanismus mit Art. 28 AEUV ist nach der konkreten Anwendbarkeit des europäischen Primärrechts zu fragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand derer des Primärrechts zu beurteilen.242 Nicht mehr zu fragen ist in diesem Fall nach der Vereinbarkeit der nationalen Maßnahme mit den europäischen Grundfreiheiten. Die Grundfreiheiten spielten dann also überhaupt keine Rolle bei der Frage der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit Europarecht, weil ihre Anwendbarkeit gesperrt wäre. Der Maßstab Warenverkehrsfreiheit ist für das Thema dieser Arbeit somit überhaupt nur relevant, wenn der Unionsgesetzgeber den Bereich Strommarktdesign nicht bereits vollständig auf europäischer Ebene harmonisiert hat. Was eine vollständige Harmonisierung auf europäischer Ebene charakterisiert, soll im Folgenden zunächst anhand der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs herausgearbeitet werden. 1. Abschließende Harmonisierung nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs a) Vanacker und Lesage, C-37/92 Der EuGH stellte in der Entscheidung Vanacker und Lesage aus dem Jahr 1993 heraus, dass, nachdem mit der Richtlinie 75/439/EWG243 auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung für die Sammlung von Altölen geschaffen worden war, 242 Vgl. zuletzt EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 56 – Åland; davor Rs. C-216/11, nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 27 – Kommission/Frankreich; Rs. C-309/02, Slg. 1994, I-11763, Ziff. 53 – Radlberger Getränkegesellschaft; Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 36 – Kommission/Deutschland; Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Ziff. 64 – Deutscher Apothekerverband; Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 32 – DaimlerChrysler; Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 9 – Vanacker und Lesage. 243 Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung, ABl. L 194 vom 25. Juli 1975, S. 31 ff. Die Richtlinie ist seit dem 12. Dezember 2010 außer Kraft.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
alle nationalen Maßnahmen in diesem Bereich anhand dieser Richtlinie und nicht anhand der Art. 30 bis 36 EWG-Vertrag (Vorschriften über den freien Warenverkehr) zu beurteilen waren.244 Eine Harmonisierung lag also vor und sperrte die Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit. Die Mitgliedstaaten waren nach den Art. 2 bis 4 der Richtlinie verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur schadlosen Sammlung und Beseitigung von Altölen – wenn möglich – durch Wiederverwendung zu treffen. Art. 5 der Richtlinie bestimmte, dass die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen diese Ziele nicht anders erreicht werden konnten, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen hatten, dass ein oder mehrere Unternehmen die ihnen von den Besitzern angebotenen Erzeugnisse gegebenenfalls in dem ihnen von der zuständigen Behörde zugewiesenen Bezirk sammeln und/oder beseitigen. In Frankreich war die Sammlung und Beseitigung von Altölen nur solchen Unternehmen gestattet, denen die Verwaltung zuvor eine Zulassung für ihnen vorbehaltene Bezirke erteilt hatte. Zwar existierte keine nationale Regelung, die die Erteilung einer solchen Zulassung explizit nur an inländische Unternehmen gestattete. Ferner sah sich der Europäische Gerichtshof auch nicht zuständig für eine weitere dahingehende Auslegung der nationalen Vorschrift, da dies den nationalen Gerichten obliege.245 Der Gerichtshof verwies jedoch auf frühere Urteile, nach denen Systeme von Zulassungen für bestimmte Bezirke mit der fraglichen Richtlinie und den Vorschriften über den freien Warenverkehr für unvereinbar erklärt wurden, weil sie die Ausfuhr von Altöl ausschlossen.246 Er stellte aber schließlich heraus, dass eine entsprechende Zulassung faktisch nur inländischen Unternehmen erteilt werden konnte.247 Dies sei letztlich mit der Richtlinie unvereinbar.248 Es bleibt festzuhalten, dass mit der Harmonisierungsmaßnahme, der Richtlinie 75/439/EWG, alle Zuständigkeiten im Bereich der Altölbeseitigung abschließend den Mitgliedstaaten zugewiesen waren. Die in Frage stehende französische Regelung war daher an dieser Richtlinie und nicht an den Regelungen über die Warenverkehrsfreiheit zu messen. Zu der Richtlinie gehörte dabei keine Regelung, welche klarstellte, dass der Zugang zum inländischen Entsorgungsgeschäft auch ausländischen Unternehmen offenstehen müsse. Der EuGH nahm die Unvereinbarkeit der fraglichen französischen Regelung mit der Richtlinie an. Ihm genügte dabei die Tatsache, dass die Altölentsorgung über die Erteilung von Genehmigungen für bestimmte Bezirke in Frankreich faktisch nur inländischen Unternehmen offenstand.
244
EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 9 – Vanacker und Lesage. EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 7 – Vanacker und Lesage. 246 EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 11 – Vanacker und Lesage mit Verweisen auf Rs. C-172/82, Slg. 1983, 555 – Inter-Huiles; Rs. C-295/82, Slg. 1984, 575 – Rhônes-Alpes Huiles; Rs. C-173/83, Slg. 1985, 491 – Kommission/Frankreich. 247 EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 8, 12 – Vanacker und Lesage. 248 EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 12 – Vanacker und Lesage. 245
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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Eine explizite (national-)gesetzliche Einschränkung auf französische Unternehmen forderte er dafür jedoch nicht. b) DaimlerChrysler, C-324/99 Der Fall DaimlerChrysler aus dem Jahr 2001 betrifft ebenfalls das Abfallentsorgungsgeschäft. Nach dem baden-württembergischen § 3 Abs. 1 Satz 1 SAbfVO 1996 waren bestimmte Abfälle einer bestimmten lokalen Stelle anzudienen. Die Regelung verbat damit die Ausfuhr dieser Abfälle. Sie war auf Grundlage des Art. 4 Abs. 3 Buchst. a) Ziff. i) der Verordnung 259/93/EWG249 erlassen worden.250 Dieser gestattete es den Mitgliedstaaten, unter bestimmten Voraussetzungen allgemeine Maßnahmen zur Beschränkung der Verbringung von Abfällen zwischen den Mitgliedstaaten zu ergreifen. Dies hatte aber „im Einklang mit dem Vertrag“ zu geschehen. Gerechtfertigt sei dies durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene, vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a) Ziff. i) Satz 1 der Verordnung 259/93/EWG. Der EuGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob das vorlegende Gericht trotz der Formulierung „im Einklang mit dem Vertrag“ eine nationale Maßnahme eigens auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 28 ff. EGV (Vorschriften über das Verbot von mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkungen) prüfen muss.251 Dazu stellte der EuGH nach dem Urteil Vanacker und Lesage erneut klar, dass alle nationalen Maßnahmen in einem Bereich, für den auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung geschaffen worden ist, anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand der Artikel 30, 34 und 36 EG-Vertrag zu beurteilen sind.252 In der Folge untersuchte der EuGH die Verordnung Nr. 259/93/EWG auf ihre Qualität als Harmonisierungsmaßnahme.253 Aus dem Kontext, in dem die Verordnung 259/93/EWG erlassen wurde, aus ihrer Rechtsnatur, aus den mit ihr verfolgten Zielen und aus ihrem Inhalt, ergebe sich schließlich, dass mit ihr auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung für die Verbringung von Abfällen geschaffen worden war, um den Schutz der Umwelt sicherzustellen, so dass es sich hierbei um eine Harmonisierungsmaßnahme handelte.254 Der Europäische Gerichtshof legte die Verordnung somit historisch und ihrem Sinn und Zweck nach aus.
249 Verordnung Nr. 259/93/EWG des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, ABl. L 30 vom 6. Februar 1993, S. 1. Die Verordnung ist seit dem 12. Juli 2007 außer Kraft. 250 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 29 – DaimlerChrysler. 251 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 27, 31 – DaimlerChrysler. 252 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 32 – DaimlerChrysler. 253 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 33 ff. – DaimlerChrysler. 254 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 42 f. – DaimlerChrysler.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Ferner untersuchte er sie auf ihren Regelungsgehalt und analysierte frühere Rechtsprechung auf deren Interpretationen der Verordnung. Abschließend stellte der EuGH klar, dass eine Formulierung wie „im Einklang mit dem Vertrag“ nicht zwangsläufig bedeutet, dass eine isolierte Prüfung der Norm hinsichtlich des Primärrechts erfolgen muss.255 Das Vorhandensein einer solchen Formulierung bedeute jedoch ebenso wenig, dass die mit ihr versehene Vorschrift ohne Weiteres als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gilt.256 Eine derartige Formulierung sei vielmehr dahin auszulegen, dass die nationalen Maßnahmen über ihre Vereinbarkeit mit der Verordnung 259/93/EWG hinaus auch die Vorgaben des EG-Vertrags beachten müssen, die die im Bereich der Abfallverbringung erlassenen Vorschriften nicht unmittelbar betreffen.257 Eine nationale Maßnahme aber, die die Ausfuhr bestimmter Abfälle allgemein verbietet, was durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigt ist, müsse darüber hinaus jedoch nicht auf ihre Vereinbarkeit mit den Art. 34, 36 EGV geprüft werden.258 Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, dass eine allgemein gehaltene Formulierung wie „im Einklang mit dem Vertrag“ nicht die Vereinbarkeit mit den direkt von einer nationalen Maßnahme betroffenen Grundfreiheiten meinen muss. Die Formulierung kann also auch lediglich klarstellenden Charakter haben und gerade keine zusätzliche Prüfung der Warenverkehrsfreiheit erfordern. Rechtfertigen gemäß der nationalen Maßnahme bestimmte Gründe ein Ausfuhrverbot der jeweiligen Waren, entfällt eine weitere Prüfung der Warenverkehrsfreiheit ebenfalls. c) Deutscher Apothekerverband, C-322/01 Anders urteilte der Gerichtshof in der Entscheidung Deutscher Apothekerverband aus dem Jahr 2003.259 Zunächst stand hier eindeutig fest, dass es sich bei der betroffenen Richtlinie 97/7/EG um eine vollständige Harmonisierungsmaßnahme handelte: Ihr Art. 1 stellte explizit klar, dass ihr Gegenstand die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zwischen Verbrauchern und Lieferern ist. Aus diesem Grunde brauchte sich die Untersuchung des Gerichtshofs nicht mehr um die Einordnung der Richtlinie als Harmonisierungsmaßnahme zu kümmern. Problematisch war jedoch, dass die Richtlinie in Art. 14 einen Verweis auf den EG-Vertrag enthielt, mit welchem nationale Maßnahmen in Einklang zu stehen
255 256 257 258 259
EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 44 – DaimlerChrysler. EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 45 – DaimlerChrysler. EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 45 – DaimlerChrysler. EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 46 – DaimlerChrysler. EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887 – Deutscher Apothekerverband.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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hatten.260 Der Gerichtshof verwies zwar eingangs auf die Entscheidungen Vanacker und Lesage sowie DaimlerChrysler und deren jeweiliges Ergebnis, dass jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des primären Gemeinschaftsrechts zu beurteilen ist.261 Er fügte aber hinzu, dass in dem von ihm zu entscheidenden Fall die den Mitgliedstaaten verliehene Befugnis zudem ausdrücklich „unter Beachtung des Vertrags“ auszuüben ist.262 Eine solche Vorgabe mache eine Prüfung der Frage, ob sich die nationale Maßnahme mit den Art. 28 bis 30 EGV vereinbaren lässt, nicht entbehrlich.263 Weitere Ausführungen fehlen. Der Gerichtshof unterscheidet also zwischen der allgemeiner zu verstehenden Formulierung in einer Harmonisierungsmaßnahme wie „mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende […] Bestimmungen“ und der expliziteren „unter Beachtung des EG-Vertrags“ lautenden Vorgabe. Diese Unterscheidung erscheint nachvollziehbar, zumal Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 97/7/EG beide Formulierungen enthält, wenngleich in zwei unterschiedlichen Sätzen (Sätze 1 und 2). Die Vorgabe „unter Beachtung des EG-Vertrags“ lässt sich quasi als „Rechtsgrundverweisung“ auf die weiteren Vorschriften des EGV lesen. Die Formulierung „mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende […] Bestimmungen“ hingegen setzt eine EG-vertragsgemäße Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Regelung von Beginn an voraus.264 d) Kommission/Deutschland, C-463/01 In dem Urteil C-463/01 entschied der EuGH u. a., dass die Richtlinie 94/62/EG265 die Organisation der nationalen Systeme, mit denen die Wiederverwendung von Verpackungen gefördert werden soll, nicht abschließend harmonisiert.266 260 Die Formulierung in Art. 14 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4. Juni 1997, S. 19 ff., lautete: „Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter Beachtung des EG-Vertrags verbieten.“ Die Richtlinie ist seit dem 14. Juni 2014 außer Kraft. 261 EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Ziff. 64 – Deutscher Apothekerverband. 262 EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Ziff. 64 – Deutscher Apothekerverband. 263 EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Ziff. 65 – Deutscher Apothekerverband. 264 Noch eindeutiger zeigt dies der englischsprachige Wortlaut des Richtlinientextes „compatible with the treaty“ (Satz 1) gegenüber „with due regard to the treaty“ (Satz 2), wobei sich „due regard“ nicht nur mit „unter Beachtung“, sondern auch mit „unter Berücksichtigung“ übersetzen lässt, was auf eine weiter vorzunehmende Prüfung des EGV hinweisen mag. 265 Richtlinie 94/62/EG des Europa¨ ischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 u¨ ber Verpackungen und Verpackungsabfa¨ lle, ABl. L 365 vom 31. Dezember 1994, S. 10 ff.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
In seiner Argumentation stützte sich der EuGH auf die Richtlinie selbst: Diese erwähne zunächst, dass ihre Ziele einerseits die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus und andererseits die Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarktes sowie die Verhinderung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen sind.267 Dabei sei erste Priorität die Vermeidung von Verpackungsabfällen, daneben seien Hauptprinzipien aber auch Wiederverwertung und verschiedene Verwertungslösungen.268 Zwischen letzteren existiere jedoch keine Rangfolge, die die Mitgliedstaaten einzuhalten hätten.269 Die Richtlinie regele ferner – abgesehen von allgemeinen Definitionen zur Wiederverwendung und Vorschriften über Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssysteme – nicht die Organisation von Systemen zur Förderung von wiederverwendbaren Verpackungen.270 Es ist hier anzumerken, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie dabei lediglich die von den Mitgliedstaaten einzuhaltenden Grundvoraussetzungen bei der Einführung von Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssystemen enthält. Dazu gehört beispielsweise die Vorgabe, dass das einzuführende System auch für Importprodukte zu gelten hat, die dabei keine Benachteiligung erfahren dürfen. Der EuGH kommt somit zu dem Schluss, dass zwar gewisse Bereiche des Verpackungsgeschäfts durch die Richtlinie 94/62/EG, wie z. B. die Kennzeichnung der Verpackungen oder die Anforderungen an die Zusammensetzung und die Wiederverwendbarkeit bzw. Verwertbarkeit der Verpackungen durch die Richtlinie 94/62/ EG abschließend harmonisiert sind.271 Dazu gehöre jedoch nicht die Organisation der nationalen Systeme, mit denen die Wiederverwendung von Verpackungen gefördert werden soll.272 Bemerkenswert ist, dass der EuGH in Art. 7 der Richtlinie zwar die darin enthaltenen Voraussetzungen für Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssysteme zur Kenntnis nimmt. Er stuft diese aber als „allgemeine Vorschriften“ ein, die nicht 266
EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 44 – Kommission/Deutschland. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 37 – Kommission/Deutschland mit Verweis auf die Entscheidung Rs. C-444/00, Slg. 2003, I-6163, Ziff. 71 – Mayer Parry Recycling. 268 Vgl. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 38 – Kommission/Deutschland mit Verweis auf Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 94/62/EG des Europa¨ ischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 u¨ ber Verpackungen und Verpackungsabfa¨ lle, welcher bestimmt, dass nationale Maßnahmen auf diese Ziele gerichtet zu sein haben. 269 EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 40 – Kommission/Deutschland, wobei der Gerichtshof anmerkt, dass es den Mitgliedstaaten jedoch gemäß Art. 5 der Richtlinie erlaubt sei, nach Maßgabe des Vertrages Systeme zur Wiederverwendung der Verpackungen, die umweltverträglich wieder verwendet werden können, zu fördern, vgl. Ziff. 41. 270 EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 43 – Kommission/Deutschland. 271 EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 44 – Kommission/Deutschland mit Verweis auf die diese Bereiche harmonisierenden Art. 8 bis 11 der Richtlinie 94/62/EG sowie deren Anhang II. 272 EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 44 – Kommission/Deutschland. 267
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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ausdifferenziert genug seien, um die Organisation der nationalen Systeme abschließend zu harmonisieren. Art. 7 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie enthält sogar die Vorgabe, dass die Systeme so beschaffen sein müssen, dass gemäß dem Vertrag keine Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Da die Richtlinie aber weiter keine Vorgaben über die konkrete Ausgestaltung der Systeme enthält, könne es sich hierbei nicht um eine abschließende Harmonisierung handeln. Es bleibt festzuhalten, dass der EuGH für eine abschließende Harmonisierung eines Bereichs von diesem Zeitpunkt an mehr forderte als eine bloße Zuständigkeitszuweisung zu den Mitgliedstaaten.273 Angaben dazu, wie die Organisation eines nationalen Systems in ihren Einzelheiten konkret ausgestaltet sein muss, dürfen nach Ansicht des EuGH in der Harmonisierungsmaßnahme nicht fehlen. Die Vorgaben der Richtlinie in Art. 7 Abs. 1 Satz 3 zur Öffnung der nationalen Systeme gegenüber dem europäischen Binnenmarkt scheinen dem Gerichtshof hingegen zu genügen. e) Radlberger Getränkegesellschaft, C-309/02 Auch die Entscheidung Radlberger Getränkegesellschaft beschäftigt sich mit der Frage einer abschließenden Harmonisierung durch die Verpackungsrichtlinie 94/62/ EG. Aus denselben Erwägungen wie in der Entscheidung Kommission/Deutschland, C-463/01, kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 94/62/EG die Organisation der nationalen Systeme, mit denen die Wiederverwendung von Verpackungen gefördert werden soll, nicht abschließend harmonisiert.274 f) Kommission/Frankreich, C-216/11 Mit der Entscheidung C-216/11 griff der Gerichtshof die sog. Systemrichtlinie 92/ 12/EWG275 für das Verbrauchsteuerrecht auf. Die Systemrichtlinie schreibt u. a. das Bestimmungslandprinzip im innergemeinschaftlichen Handel fest.276 Der Gerichtshof befand nun, dass die Richtlinie außerdem abschließend harmonisiert, wie die Mitgliedstaaten die Menge mitgeführter Tabakwaren für die Einstufung von
273 Vgl. noch EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 10 – Vanacker und Lesage, mit Verweis auf beispielsweise Art. 2 der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung, der nicht mehr bestimmt als: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen zur schadlosen Sammlung und Beseitigung von Altölen.“. 274 EuGH, Rs. C-309/02, Slg. 1994, I-11763, Ziff. 56 – Radlberger Getränkegesellschaft. Dieses sowie das Urteil Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705 – Kommission/Deutschland – hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs zeitgleich am 14. Dezember 2004 erlassen. 275 Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. L 76 vom 23. März 1992, S. 1 ff. Die Richtlinie ist seit dem 16. Januar 2009 außer Kraft. 276 Vgl. hierzu Bahns/Brinkmann/Gläser/Sedlaczek, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 113 AEUV Rn. 75.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
deren Besitz als gewerblich berücksichtigen können.277 Er urteilte jedoch, dass eine französische Regelung, die ein rein mengenmäßiges Kriterium verwendete, nicht richtlinienkonform ist.278 Dazu führte er aus, dass Art. 9 Abs. 2 eine Reihe von Kriterien aufführt, die bei der Feststellung, ob Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, berücksichtigt werden können.279 Hierzu gehöre auch die Menge der in Besitz gehaltenen Waren, wobei es den Mitgliedstaaten nur erlaubt sei, Richtmengen festzulegen, um einen Anhaltspunkt zu gewinnen; eine Festlegung auf bestimmte Wertgrenzen sei nicht richtlinienkonform.280 Der Gerichtshof gleicht in dieser Entscheidung den Inhalt einer nationalen Maßnahme also präzise mit den Vorgaben der entsprechenden Harmonisierungsmaßnahme ab. Für die Beantwortung der Frage, ob eine europäische Vorgabe einen Bereich abschließend harmonisiert, ist also u. a. zu untersuchen, wie eng die an die Mitgliedstaaten gerichteten Vorgaben gefasst sind. g) Åland, C-573/12 Der EuGH entschied zum ersten Mal im Urteil Åland darüber, ob ein Bereich innerhalb des Energiesektors auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde.281 Der Sachverhalt betraf finnische Windkraftanlagen, die an das schwedische Stromnetz angeschlossen waren, denen jedoch die Teilnahme am schwedischen Stromzertifikatehandel verweigert wurde, da sie sich nicht auf schwedischem Gebiet befanden.282 Der Gerichtshof untersuchte die sog. Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG283 darauf, inwieweit diese eine Harmonisierung der nationalen Rege-
277 EuGH, Rs. C-216/11, nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 28 – Kommission/Frankreich. 278 Vgl. EuGH, Rs. C-216/11, nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 28 – Kommission/Frankreich, wobei er befand, dass es nicht gestattet ist, sich bei der Feststellung, dass Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, ausschließlich auf einen rein mengenmäßigen Schwellenwert für die in Besitz gehaltenen Waren zu stützen, vgl. auch Ziff. 17. 279 EuGH, Rs. C-216/11, nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 16 – Kommission/Frankreich. 280 EuGH, Rs. C-216/11, nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 16 – Kommission/Frankreich. 281 Vgl. EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 56 ff. – Åland. 282 Vgl. EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 24 ff. – Åland. 283 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG, ABl. L 140 vom 5. Juni 2009, S. 16 ff.
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lungen zur Förderung der Erzeugung grüner Energie vornimmt.284 Dazu prüfte er die Richtlinie auf entsprechende Hinweise: Er nennt zum einen Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie, der davon ausgeht, dass die Mitgliedstaaten verschiedene Förderregelungen anwenden und das ungestörte Funktionieren dieser Förderregelungen zu gewährleisten ist.285 Ferner bezieht er sich auf die Definition „Förderregelung“ in Art. 2 Abs. 2 Buchst. k) der Richtlinie, welche den staatlichen Ursprung der Regelungen zur Förderung hervorhebe.286 Auch Art. 1 der Richtlinie enthalte keine weiteren Hinweise darauf, dass die Richtlinie eine abschließende Harmonisierung der Merkmale der verschiedenen nationalen Förderregelungen zum Ziel hat.287 Letztlich enthalte auch Art. 3 Abs. 3, der sich im Wesentlichen darauf beschränke, die nationalen Regelungen zur Förderung der Erzeugung grüner Energie zu gestatten und zu unterstützen, keine Angaben über bestimmte (vorgegebene) Merkmale.288 Aus diesem Grund seien es die Mitgliedstaaten, welche das Recht hätten, gemäß den Art. 5 bis 11 der Richtlinie zu entscheiden, in welchem Umfang sie die in einem anderen Mitgliedstaat erzeugte grüne Energie fördern wollen.289 Eine abschließende Harmonisierung der Förderregelungen auf europäischer Ebene liege somit nicht vor.290 In Åland befasste sich der Gerichtshof somit wiederum mit den Zielen der in Rede stehenden europäischen Regelung. Indem er deren Wortlaut auf ihren Sinn und Zweck sowie auf die an die Mitgliedstaaten gerichteten Vorgaben untersuchte, nahm er erneut eine umfassende Untersuchung der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme vor. Auch in dieser Entscheidung, wie bereits im Urteil Kommission/Deutschland, C-463/01291, stellt der EuGH somit klar, dass eine bloße Zuständigkeitszuweisung an die Mitgliedstaaten allein nicht für eine abschließende Harmonisierung ausreicht. Er fordert für die Annahme einer materiellen Harmonisierung weitere konkrete Merkmale, die den nationalen Gesetzgebern für die Ausgestaltung der nationalen Förderregelungen vorgegeben werden. 284
Åland. 285
EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 56 ff. –
EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 59 – Åland. EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 60 – Åland. Die Vorschrift beschränke sich dabei in allgemeiner Form auf die Nennung der bestehenden Arten nationaler Anreize, mit denen die Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen gefördert werden soll. 287 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 61 – Åland. Art. 1 zum Gegenstand und Anwendungsbereich der Richtlinie spricht dagegen nur von einem „gemeinsamen Rahmen“ für die Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen, vgl. Art. 1 Satz 1. 288 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 62 – Åland. 289 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 62 – Åland. 290 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 63 – Åland. 291 Vgl. Punkt B.II.1.d). 286
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
h) Essent Belgium, C-204/12, C-206/12, C-208/12 Auch die nachfolgende Entscheidung für den Energiesektor, Essent Belgium, greift auf, dass der Unionsgesetzgeber die nationalen Förderregelungen für erneuerbare Energien nicht abschließend harmonisiert hat.292 Die Vierte Kammer bestätigte damit die Große Kammer des EuGH und deren Entscheidung Åland darin, dass das europäische Recht eine solche Harmonisierung nicht vorgenommen hat.293 Eine weitere Begründung bzw. eine erneute Untersuchung der Frage nahm die Vierte Kammer jedoch nicht vor.294 i) Zusammenfassung Der Europäische Gerichtshof hatte bereits mehrfach zu entscheiden, ob der Unionsgesetzgeber einen bestimmten Bereich auf europäischer Ebene abschließend harmonisiert hat. So erließ er zu dieser Frage Urteile u. a. in den Bereichen Abfallentsorgung, Fernabsatzgeschäfte, Verbrauchsteuerrecht sowie im Bereich Erneuerbare Energien. Für die Annahme einer abschließenden Harmonisierung genügte dem Gerichtshof zu Beginn noch die Feststellung einer vollständigen Aufgabenzuweisung zu den Mitgliedstaaten.295 Im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung unternahm der Gerichtshof hingegen auch Untersuchungen von Sinn und Zweck, Kontext, Rechtsnatur und nicht zuletzt des jeweiligen Inhalts der in Frage stehenden Harmonisierungsmaßnahme.296 Dazu gehörte auch, dass der EuGH Formulierungen wie „im Einklang mit dem Vertrag“ bzw. „unter Beachtung des EG-Vertrags“ dahingehend untersuchte, ob diese zwangsläufig eine Prüfung der Warenverkehrsfreiheit erfordern.297 Eine unbedingte erneute Prüfung der Warenverkehrsfreiheit habe nur bei dem Verweis „unter Beachtung des EG-Vertrags“ zu erfolgen.298 292
EuGH, Rs. C-204/12, 206/12, 208/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung – Essent Belgium. 293 EuGH, Rs. C-204/12, 206/12, 208/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 97 – Essent Belgium. 294 Vielmehr beschränkt sich die Kammer auf folgende Feststellung: „[…] da auf Unionsebene keine Harmonisierung der nationalen Regelungen zur Förderung grünen Stroms erfolgt ist […]“, vgl. Rs. C-204/12, 206/12, 208/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 97 – Essent Belgium mit Verweis auf Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 92 bis 94 – Åland. 295 Vgl. EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 10 ff. – Vanacker und Lesage, vgl. Punkt B.II.1.a). 296 Vgl. o. g. Rechtsprechung des EuGH ab Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897 – DaimlerChrysler, vgl. Punkt B.II.1.b). 297 EuGH, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Ziff. 27, 31 – DaimlerChrysler bzw. Rs. C-322/ 01, Slg. 2003, I-14951, Ziff. 64 – Deutscher Apothekerverband. 298 EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Ziff. 65 – Deutscher Apothekerverband, vgl. Punkt B.II.1.c).
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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Der Gerichtshof analysierte in den jüngsten der Entscheidungen eingehend die mit der in Frage stehenden europäischen Maßnahme verfolgten Ziele und Prinzipien. Dabei untersuchte er genau, welche Vorgaben die jeweilige Maßnahme den Mitgliedstaaten einerseits macht und was sie andererseits nicht regelt. Das Maß der Ausdifferenziertheit der einzelnen europäischen Vorgaben entschied also jeweils darüber, ob eine vollständige Harmonisierung des jeweiligen Bereichs angenommen werden konnte oder nicht. Auch das erste Urteil über diese Frage für den Bereich Energieversorgung, Åland, enthält eine Prüfung der einschlägigen Harmonisierungsmaßnahme. Der Gerichtshof untersuchte den Grad der Ausdifferenziertheit der an die Mitgliedstaaten gerichteten Vorgaben im Bereich nationaler Fördersysteme für erneuerbare Energien. Da die Harmonisierungsmaßnahme keine ausreichend konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Fördersysteme enthalte, könne nicht von einer abschließenden Harmonisierung dieses Bereichs ausgegangen werden. Die Entscheidung Essent Belgium bestätigte dieses Ergebnis, ohne aber eine erneute Untersuchung der entsprechenden Maßnahme vorzunehmen. 2. Europäische Harmonisierung im Bereich Kapazitätsmechanismen Zu untersuchen ist zunächst, welche europäischen Rechtsetzungsmaßnahmen als Harmonisierungsmaßnahmen für den Bereich Kapazitätsmechanismen in Betracht kommen. Sodann ist die einschlägige Maßnahme auf ihre Qualität als abschließende Harmonisierungsmaßnahme zu überprüfen. Nur wenn der Unionsgesetzgeber den Bereich Kapazitätsmechanismen nicht bereits abschließend auf europäischer Ebene harmonisiert hat, wird eine Prüfung der verschiedenen Kapazitätsmodelle auf ihre Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit vorgenommen werden dürfen. a) Prüfungsmaßstab Als Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich Strommarktdesign bzw. Kapazitätsmechanismen kommen zunächst sowohl die Richtlinie 2009/72/EG299 als auch die Richtlinie 2005/89/EG300 in Betracht. Während jedoch mit dem sog. Dritten Energiebinnenmarktpaket (d. h. insbesondere mit der Richtlinie 2009/72/EG) die behördliche Beobachtung relevanter
299
Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff. 300 Richtlinie 2005/89/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Januar 2006 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen, ABl. L 33 vom 4. Februar 2006, S. 22 ff.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Marktentwicklungen301 eingeführt wurde sowie konkrete Vorgaben zu Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren für neue Erzeugungsanlagen aufgestellt wurden302, enthält die ältere Stromversorgungssicherheitsrichtlinie 2005/89/EG lediglich unspezifische Verpflichtungen: Deren Art. 5 verlangt von den Mitgliedstaaten nur generell die Sicherstellung des Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Erzeugungskapazität durch Schaffung eines Ordnungsrahmens mit hinreichenden Signalen für Erzeugungsinvestitionen. Ferner haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 4 der Stromversorgungssicherheitsrichtlinie bei der Umsetzung von Kapazitätsmechanismen „nicht-diskriminierende Maßnahmen“ zu treffen und darüber hinaus nur solche, die „keine unzumutbare Belastung für die Marktteilnehmer“ darstellen. Auch mit der sog. Stromhandelszugangsverordnung, der Verordnung Nr. 714/ 2009/EG, führt das dritte Energiebinnenmarktpaket auf dem Gebiet der Versorgungssicherheit lediglich eine von Seiten des Europäischen Netzes der Übertragungsnetzbetreiber vorzunehmende europäische Prognose über die Angemessenheit der Stromerzeugung für den voraussichtlichen Bedarf der nächsten fünf bis fünfzehn Jahre ein.303 Dies ist nicht als Harmonisierungsmaßnahme qualifizierbar. Wie auch einzelne Stimmen in der Literatur schon hinreichend festgestellt haben, sind es daher vor allem die Vorgaben zu Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren der Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG, die den energiebinnenmarktrechtlichen Rahmen für die Einführung von Kapazitätsmechanismen im Unionsraum vorgeben.304 Es ist somit zunächst zu untersuchen, ob die von der Richtlinie 2009/72/EG bewirkte Harmonisierung es verbietet, die Vereinbarkeit der in Deutschland zur Diskussion stehenden Modelle für einen Kapazitätsmechanismus mit den Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit zu prüfen.
301
Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff., Art. 4, 37 Abs. 1 lit. r, VI. 302 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff., Art. 7, 8. 303 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 15 ff., Art. 8 Abs. 3 lit. b), Art. 9 Abs. 1 Satz 1. 304 Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 120.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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b) Richtlinie 2009/72/EG als abschließende Harmonisierungsmaßnahme? Zu klären ist, ob mit der Richtlinie 2009/72/EG eine Harmonisierung des Bereichs Kapazitätsmechanismen vorgenommen wurde. Ist dies der Fall, würde dies die Prüfung der Vereinbarkeit der einzelnen Modelle mit Art. 34 AEUV ausschließen. Schon die Erwägungsgründe der Richtlinie deuten an, dass mit dem Elektrizitätsbinnenmarkt keine abschließende Harmonisierung des Bereichs Versorgungssicherheit bzw. Kapazitätsmechanismen beabsichtigt war: Gemäß Erwägungsgrund Nr. 1 der Richtlinie soll der Elektrizitätsbinnenmarkt lediglich „zu mehr Versorgungssicherheit […] beitragen“. Von einer abschließenden Harmonisierung von Versorgungssicherheitsfragen ist hingegen nicht die Rede. Anders als beispielsweise die Richtlinie 97/7/EG erwähnt die Richtlinie 2009/72/EG gerade nicht explizit, dass Gegenstand der europäischen Maßnahme die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in einem bestimmten Bereich ist.305 Zwar sollen gemäß Art. 1 (Gegenstand und Anwendungsbereich) u. a. gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätsversorgung erlassen werden. Ferner ist von einer Festlegung von Verpflichtungen zur Gewährleistung der Grundversorgung die Rede. Damit werden zwar gemeinsame Vorschriften eingeführt. Für eine vollständige Angleichung aller in Art. 1 erwähnten Bereiche, nämlich von Elektrizitätserzeugung, -übertragung, -verteilung und -versorgung, fehlt es jedoch an Hinweisen. Eine explizite Klarstellung, dass gerade auch der Bereich Kapazitätsmechanismen harmonisiert werden soll, ist in keiner Vorschrift der Richtlinie zu finden.306 Dies wird auch dadurch gestützt, dass etwa der in Art. 1 gebrauchte Begriff „Elektrizitätsversorgung“ gemäß Art. 2 Nr. 19 (Begriffsbestimmungen) der Richtlinie 2009/72/EG lediglich den Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von Elektrizität an Kunden meint. „Sicherheit“ hingegen definiert sich nach Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie als die Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und -bereitstellung als auch die Betriebssicherheit und findet somit seine eigene, vom Begriff der Elektrizitätsversorgung abweichende Bedeutung. „Sicherheit“ wird jedoch nicht in Art. 1 als „Gegenstand und Anwendungsbereich“ der Richtlinie genannt. Was den (Gesamt-)Begriff „Sicherheit der Elektrizitätsversorgung“ angeht, wird dieser zwar als Begriff in der Richtlinie verwendet. Von einer europaweiten Angleichung dieser Sicherheit ist aber an keiner Stelle der Richtlinie die Rede. Es bleibt bei dem Erlass
305 Vgl. EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887 – Deutscher Apothekerverband, vgl. auch Punkt B.II.1.c). 306 Die Formulierung in Art. 1 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4. Juni 1997, S. 19 ff., hingegen lautete: „Gegenstand dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zwischen Verbrauchern und Lieferern. Damit war explizit klargestellt und eng eingegrenzt, welche Bereiche angeglichen werden sollten.“.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
gemeinsamer Vorschriften für die Elektrizitätsversorgung generell, nicht aber speziell für deren Sicherheit, vgl. Art. 1. Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie 2009/72/EG spricht dann von der Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und der Schaffung gleicher Bedingungen für alle in der Gemeinschaft niedergelassenen Elektrizitätsunternehmen. Auch Erwägungsgrund Nr. 62 der Richtlinie nennt als Ziel der Richtlinie die Schaffung eines voll funktionierenden Elektrizitätsbinnenmarktes. Ziel des Dritten Energiebinnenmarktpakets ist somit die Gewährleistung des Wettbewerbs, nicht jedoch die Gewährleistung von Versorgungssicherheit.307 Zu Versorgungssicherheit kann der Elektrizitätsbinnenmarkt nur beitragen, vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 1 a. E. der Richtlinie 2009/72/EG. Parallel stellte der Gerichtshof im Urteil Kommission/Deutschland, C-463/01, gerade nicht fest, dass die Ziele „Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarktes“ sowie „Verhinderung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen“ auf die Qualität eines europäischen Gesetzgebungsaktes als Harmonisierungsmaßnahme schließen lassen.308 Die Schaffung eines Binnenmarktes sowie faire Wettbewerbsbedingungen allein gehen also nicht zwangsläufig einher mit einer abschließenden Harmonisierung des betroffenen Bereiches. Zwar stellt Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie klar, dass die Sicherheit der Energieversorgung ein Kernelement der öffentlichen Sicherheit ist und bereits von Natur aus direkt verbunden ist mit dem effizienten Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarktes und der Integration der isolierten Strommärkte der Mitgliedstaaten. Den Bereich „Energieversorgungssicherheit“ versteht die Richtlinie aber als unmittelbar verknüpft mit Lieferungen aus Drittländern, welche völkerrechtlich festzulegenden Rahmenbedingungen unterliegen. Die Tatsache, dass „Energieversorgungssicherheit“ hier somit vor internationalem Hintergrund verstanden wird, schließt im Umkehrschluss aus, dass Energieversorgungssicherheit mit der Richtlinie auf europäischer Ebene harmonisiert worden ist.309
307
So auch Ludwigs, EnWZ 2013, 483, 485. Vgl. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 37 – Kommission/Deutschland mit Verweis auf die Entscheidung Rs. C-444/00, Slg. 2003, I-6163, Ziff. 71 – Mayer Parry Recycling. Siehe auch Punkt B.II.1.d). 309 Die Tatsache, dass der Begriff „Energieversorgungssicherheit“ hier ausschließlich vor internationalem Hintergrund, d. h. über die Europäische Union hinausgehend, verstanden wird, steht vorher Gesagtem nicht entgegen: Das Thema Kapazitätsmechanismen zählt schon vom Wortlaut her zum Bereich Energieversorgungssicherheit, auch wenn die Richtlinie dies in ihrem Erwägungsgrund Nr. 25 nicht klarstellt. Dies mag beispielsweise daran liegen, dass der Themenkomplex Kapazitätsmärkte zum Zeitpunkt der Fassung der Richtlinie nicht vergleichbar stark zur Diskussion stand wie heute. Dass aber Kapazitätsmechanismen zum Bereich Versorgungssicherheit auch im Sinne der Richtlinie hinzugezählt werden müssen, zeigt jedoch die Richtlinie selbst in ihrem Art. 8: Dessen Abs. 1 spricht von Ausschreibungsverfahren für „neue Kapazitäten“ und zwar „im Interesse der Versorgungssicherheit“. 308
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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Um in Einklang mit bisheriger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Harmonisierungsmaßnahme annehmen zu können, sind vielmehr konkrete europäische Vorgaben über die Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen in den Mitgliedstaaten Voraussetzung.310 Die Artikel in den Kapiteln II (Allgemeine Vorschriften für die Organisation des Sektors) und III (Erzeugung) der Richtlinie 2009/72/EG enthalten Vorgaben für den Bereich Versorgungssicherheit bzw. neue Kapazitäten. Gemäß Art. 4 der Richtlinie sorgen die Mitgliedstaaten für eine Beobachtung der Versorgungssicherheit. Diese Beobachtung betrifft insbesondere das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem heimischen Markt, die erwartete Nachfrageentwicklung, die in der Planung und im Bau befindlichen zusätzlichen Kapazitäten, die Qualität und den Umfang der Netzwartung sowie Maßnahmen zur Bedienung von Nachfragespitzen und zur Bewältigung von Ausfällen eines oder mehrerer Versorger, vgl. Art. 4 Satz 2 der Richtlinie. Die Vorschrift weist weder den Mitgliedstaaten gewisse Kompetenzen für den Bereich Kapazitätsmechanismen zu, noch enthält sie bestimmte Vorgaben für etwaige nationale Versorgungssicherheitssysteme – was ohnehin zunächst einer Kompetenzzuweisung an die Mitgliedstaaten bedürfen würde. In der Richtlinie finden sich ferner in Art. 7 Vorschriften für ein Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten sowie in Art. 8 Vorgaben für die verpflichtende Ausschreibung neuer Kapazitäten im Falle der Gefährdung der Versorgungssicherheit. Ein Verfahren nach Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG kommt gemäß dessen Abs. 1 Satz 2 jedoch ausdrücklich nur in Betracht, wenn die Versorgungssicherheit durch die im Wege des Genehmigungsverfahrens geschaffenen Erzeugungskapazitäten allein nicht gewährleistet ist. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 spricht auf diesem Wege ausdrücklich Art. 7 über Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten an. Art. 8 ist damit gegenüber Art. 7 spezieller, denn dieser ist nur bei Gefährdung der Versorgungssicherheit anwendbar. Somit ist auch Art. 8 einschlägig, wenn es um die Frage der Zulässigkeit von Kapazitätsmechanismen geht, denn diese würden „im Interesse der Versorgungssicherheit“, vgl. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72/EG, eingeführt. Es zeigt sich hier, dass die Gewährleistung von Versorgungssicherheit ein maßgeblicher Grund für die Aufnahme von die Erzeugung betreffenden Vorschriften in die Richtlinie ist.311 Gleichzeitig erschöpfen sich die Vorgaben des Art. 8 jedoch allein in Vorschriften über ein Ausschreibungsverfahren, das für solche Kapazitäten durchzuführen wäre. Die Richtlinie räumt die Kompetenz für ein solches Verfahren den Mitgliedstaaten ein, vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie.
310 Vgl. für das Abfallentsorgungsgeschäft z. B. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 44 – Kommission/Deutschland; s. auch Punkt B.II.1.d) sowie bestätigend Rs. C-309/02, Slg. 1994, I-11763, Ziff. 56 – Radlberger Getränkegesellschaft; Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 62 – Åland. 311 So auch Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Würde es für die Annahme einer Harmonisierung nach wie vor nur darauf ankommen, ob eine Kompetenz ausdrücklich den Mitgliedstaaten zugewiesen ist312, könnte an dieser Stelle festgestellt werden, dass mit dem Dritten Energiebinnenmarktpaket der Bereich Strommarktdesign abschließend harmonisiert worden ist. Denn die Anweisung der Mitgliedstaaten, für ein den Vorgaben entsprechendes Ausschreibungsverfahren zu sorgen und dieses durchzuführen, kommt einer Kompetenzzuweisung gleich. Da die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs aber seit der Entscheidung Kommission/Deutschland, C-463/01, für die Annahme einer abschließenden Harmonisierung mehr fordert als die bloße Zuständigkeitszuweisung an die Mitgliedstaaten313, ist genauer zu untersuchen, wie weit Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG den Mitgliedstaaten konkrete Vorgaben für ein einzuführendes Strommarktdesign macht. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2009/72/EG bestimmt, dass auch unabhängig von Gründen der Versorgungssicherheit zusätzliche Ausschreibungsverfahren durchgeführt werden können, wenn dies im Interesse des Umweltschutzes und der Förderung neuer Technologien erforderlich ist. Gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 2 kann sich diese Ausschreibung auch auf neue Kapazitäten erstrecken. Dies kommt aber gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 3 nur in Betracht, wenn diese Ziele nicht durch bereits bestehende, im Wege des Genehmigungsverfahrens nach Art. 7 geschaffene Anlagen erreicht werden können. Auch Art. 8 Abs. 3 enthält ausschließlich weitere Vorgaben für die Ausgestaltung des Ausschreibungsverfahrens. So muss dieses im Amtsblatt der Europäischen Union mindestens sechs Monate vor Ablauf der Ausschreibungsfrist veröffentlicht werden, vgl. Satz 1. Auch dass die Ausschreibungsbedingungen jedem interessierten Unternehmen im gesamten Gebiet der Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden müssen, bestimmt Art. 8 Abs. 3. Dies bleibt jedoch weitgehend die einzige konkrete Vorgabe für national einzuführende Kapazitätsmechanismen: Die Mitgliedstaaten, welche neue, im Interesse der Versorgungssicherheit stehende Erzeugungsanlagen ausschreiben wollen, dürfen diese Ausschreibung nicht auf ihr nationales Territorium beschränken, sondern müssen etwaige Neuerrichtungen auch im europäischen Ausland berücksichtigen, sollte sich ein ausländisches Unternehmen an der Ausschreibung interessiert zeigen. Ein Kapazitätsmechanismus in Deutschland dürfte somit nicht an den Grenzen zum benachbarten europäischen Ausland enden, wenn Unternehmen in anderen EU-Mitgliedstaaten an einem deutschen Mechanismus teilnehmen möchten. Da auch die weiteren Absätze des Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG lediglich weitere Einzelheiten zum Ausschreibungsverfahren, jedoch keine Vorgaben für die konkrete Organisation von Systemen möglicher Kapazitätsmechanismen enthalten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Richtlinie 2009/72/EG den Bereich Strommarktdesign unionsweit abschließend harmonisiert. Die Richtlinie enthält 312 313
So noch EuGH, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Ziff. 9 – Vanacker und Lesage. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705, Ziff. 43 – Kommission/Deutschland.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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zwar Vorgaben für ein durchzuführendes Ausschreibungsverfahren und sieht auch die Öffnung des Verfahrens für EU-ausländische Unternehmen vor. Sie ist diesbezüglich vergleichbar mit der Richtlinie 94/62/EG314, welche nach europäischer Rechtsprechung ebenfalls keine genaueren Vorgaben zur Organisation von Systemen, hier von Systemen zur Förderung von wiederverwendbaren Verpackungen, enthält.315 Wie genau ein nationales Kapazitätsmarktsystem, welches im Interesse der Versorgungssicherheit eingeführt würde, auszusehen hätte, bestimmt Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG hingegen nicht. Die Richtlinie macht einzig die Vorgabe, dass ein solches System EU-ausländische Erzeugungsanlagen nicht ausschließen darf, indem sie deren Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren gerade ausdrücklich vorschreibt. Zwar sind die in Art. 7 Abs. 2 Satz 2 aufgezählten Kriterien ebenfalls in einem Auswahlverfahren nach Art. 8 der Richtlinie zu berücksichtigen.316 Aber auch aus diesen Kriterien lässt sich nicht auf die konkrete Ausgestaltung eines Kapazitätsmechanismus auf nationaler Ebene schließen. Parallel zu den Entscheidungen Kommission/Deutschland, C-463/01, sowie Åland, C-573/12, in denen der EuGH jeweils zu dem Ergebnis gekommen ist, dass fehlende Angaben über bestimmte Merkmale eines nationalen Systems bedeuten, dass gerade keine abschließende Harmonisierung auf europäischer Ebene vorliegt317, ist auch hier festzustellen, dass der europäische Gesetzgeber jedenfalls mit der Richtlinie 2009/72/EG keine abschließende Harmonisierung des Bereichs Strommarktdesign bzw. Kapazitätsmechanismen vorgenommen hat. Dieses Ergebnis wird auch von den Erwägungsgründen Nr. 63 und Nr. 65 der Richtlinie gestützt: Nr. 63 bestimmt, dass die Kommission das erforderliche Maß an Harmonisierung dadurch bewirkt, dass sie gemäß der Verordnung Nr. 714/2009/ EG318 Leitlinien erlassen kann. Die Tatsache, dass die Harmonisierung somit nicht schon aufgrund der reinen „Schaffung eines voll funktionierenden Elektrizitätsbinnenmarktes“ (vgl. Erwägungsgrund Nr. 62 der Richtlinie) angenommen werden kann, ergibt sich zudem aus Erwägungsgrund Nr. 65 der Richtlinie: Nr. 65 enthält sogar eine eigene Ermächtigungsgrundlage für die Kommission („Insbesondere sollte die Kommission die Befugnis erhalten, Leitlinien zu erlassen […]“). Damit soll 314 Richtlinie 94/62/EG des Europa¨ ischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 u¨ ber Verpackungen und Verpackungsabfa¨ lle, ABl. L 365 vom 31. Dezember 1994, S. 10 ff. 315 Vgl. EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705 – Kommission/Deutschland, s. oben Punkt B.II.1.d). 316 So auch Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121. Hervorzuheben sind laut Däuper/Voß hier zuvorderst Umweltschutz, Flächennutzung und Standortwahl, Energieeffizienz, die Art des Primärenergieträgers sowie „spezifische Merkmale des Antragstellers, wie technische, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit“. 317 EuGH, Rs. C-463/01, Slg. 2004, I-11705 – Kommission/Deutschland; Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung – Åland. 318 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 15 ff.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
das zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie erforderliche Mindestmaß an Harmonisierung gewährleistet werden.319 Derartige Leitlinien, bei denen es sich um bindende Durchführungsmaßnahmen handelt, seien, auch im Hinblick auf bestimmte Bestimmungen der Richtlinie, ein nützliches Instrument, das im Bedarfsfall schnell angepasst werden könne, vgl. Erwägungsgrund Nr. 63 Satz 2. Satz 2 bezeichnet die Leitlinien als „Maßnahmen von allgemeiner Tragweite […], die eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie [2009/72/EG] durch Ergänzung um neue nicht wesentliche Bestimmungen bewirken“. Aus diesem Grund sind diese Maßnahmen auch nach dem „Regelungsverfahren mit Kontrolle“ des Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG zu erlassen. Dies bedeutet also, dass die Richtlinie selbst nicht die Harmonisierung bewirkt, sondern die Exekutive bestimmt, wie weit die Harmonisierung reichen soll. Letztlich ist es somit die Kommission mit ihrer Rechtsetzungstätigkeit, welche eine Harmonisierung einzelner, von der Richtlinie 2009/72/EG betroffener Bereiche im Wege ihrer Leitlinienkompetenz vornimmt. Abschließend ist damit festzuhalten, dass die Richtlinie 2009/72/EG mit ihrem Ziel, der Schaffung eines voll funktionierenden Binnenmarktes, den Bereich Kapazitätsmechanismen nicht abschließend harmonisiert hat. Sie macht den Mitgliedstaaten keine ausreichend konkreten Vorgaben für die Organisation eines solchen nationalen Mechanismus. Es ist vielmehr auf Leitlinienebene zu untersuchen, ob die Kommission eine abschließende Harmonisierung des Bereichs Kapazitätsmechanismen vorgenommen hat. c) Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen als abschließende Harmonisierungsmaßnahme Regelungen auf Unionsebene zum Themenkreis Kapazitätsmechanismen finden sich auf Leitlinienebene in den „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“320. Hinsichtlich einer möglichen Harmonisierung durch diese Leitlinien ist zunächst zu klären, ob Leitlinien als Rechtsform grundsätzlich einen bestimmten Bereich harmonisieren können. Wenn ja, so ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob die Leitlinien für Energiebeihilfen konkret den Bereich Kapazitätsmechanismen harmonisiert haben. In diesem Rahmen wären die Leitlinien dann auch einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen.
319
Vgl. auch Art. 39 Abs. 1 sowie Abs. 4 der Richtlinie 2009/72/EG, welcher explizit aufgreift, dass „gemäß dieser Richtlinie“ Leitlinien erlassen werden können. 320 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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aa) Die Rechtsnatur von Leitlinien und ihre Eignung als Harmonisierungsmaßnahme Da sich die Rechtsnatur von europäischen Leitlinien nicht ohne Weiteres erschließen lässt321, soll an dieser Stelle näher auf sie eingegangen werden. Die Kommission erlässt in regelmäßigen Abständen Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen. Die jeweils unterschiedliche Bezeichnung dieser unter den Begriff „europarechtliche Verwaltungsvorschriften“ fassbaren Maßnahmen ist ohne inhaltliche oder gar rechtliche Relevanz.322 Leitlinien werden beispielsweise gemäß der Art. 171 ff. AEUV für den Bereich „Transeuropäische Netze“ und hier insbesondere in den Netzbereichen Energie, Telekommunikation und Verkehr erlassen. Das Aufstellen von Leitlinien ist auch im Bereich Beschäftigungspolitik möglich, vgl. Art. 148 Abs. 1 Satz 1 AEUV. Um das Beihilferecht zu strukturieren, kann die Kommission ebenfalls u. a. Leitlinien nutzen, in denen sie allgemeine Kriterien und Auslegungsgrundsätze zu den einzelnen Ausnahmebestimmungen des Beihilferechts veröffentlicht.323 Bei den hier als Harmonisierungsmaßnahme in Betracht kommenden Leitlinien für Energiebeihilfen handelt es sich um solche Leitlinien des Beihilferechts. Hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung der Kommissionsleitlinien ist festzustellen, dass es sich bei diesen nicht um sekundäres Gemeinschaftsrecht i. S. d. Art. 288 AEUV handelt.324 Art. 288 AEUV zählt Leitlinien nicht als Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts der Union auf.325 Auch die Kommission selbst hebt in ihrer umfangreichen Leitlinienpraxis immer wieder hervor, dass ihre Leitlinien unverbindlich sind, so dass diese gemeinhin auch als Soft Law bezeichnet werden können.326 Hier ist jedoch zu differenzieren: Die Leitlinien nehmen einerseits einen sehr hohen Stellenwert ein und haben nicht selten „de facto rechtsverbindlichen Charakter“, da sich die Kommission durch diese selbst bindet.327 Dies folgt aus dem Gedanken der Selbstbindung der Verwaltung als auch aus den Grundsätzen der 321
Lecheler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, § 171 AEUV Rn. 2. Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Bd. 1, FKVO Einl. Rn. 74. 323 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 747. 324 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Bd. 1, FKVO Einl. Rn. 75. Die Aufzählung der Rechtsakte in § 288 AEUV ist nach allgemeiner Meinung jedoch nicht abschließend, vgl. auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 98. 325 Dieser Umstand schließt jedoch eine von Leitlinien ausgehende Rechtswirkung nicht grundsätzlich aus, da Art. 288 AEUV insoweit nicht abschließend ist, vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 749 mit Verweis auf u. a. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 98, der diese als ungekennzeichnete Rechtsakte oder als Rechtsakte sui generis bezeichnet. 326 So auch Heithecker, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Kapitel 1 Rn. 1061, welcher außerdem Gemeinschaftsrahmen zu Soft Law der Kommission zählt. 327 EuGH, Rs. C-288/96, Slg. 2000, I-8237, Ziff. 62 – Deutschland/Kommission; Kühling, in: Streinz, Art. 107 AEUV Rn. 7. 322
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes.328 Die Kommission darf nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte von den in den Leitlinien enthaltenen Regeln nicht ohne sachlichen Grund abweichen.329 Andererseits sind Leitlinien gegenüber den Mitgliedstaaten in der Tat grundsätzlich unverbindlich, es sei denn jene erkennen die entsprechenden Regeln ausdrücklich an.330 Für die Qualifizierung von Leitlinien als Harmonisierungsmaßnahme ist es aber gerade zwingend notwendig, dass diese auch für die Mitgliedstaaten bindend sind: Ein Bereich kann auf europäischer Ebene nicht abschließend harmonisiert sein, wenn die jeweilige Harmonisierungsmaßnahme keine Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten entfaltet. Dies ist gar nicht anders möglich, denn „Harmonisierung“ meint Harmonisierung von Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene.331 Ohne Bindungswirkung an diese (neuen) Rechtsvorschriften wäre eine Harmonisierung also nicht vollständig. Es ist an dieser Stelle daher genauer zu untersuchen, ob im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen gegeben ist, d. h. ob die Mitgliedstaaten den Leitlinien zugestimmt haben. Klarstellend ist hier erneut auf die Richtlinie 2009/72/EG einzugehen: Diese legt zwar ausdrücklich fest, dass die Kommission Leitlinien erlassen kann, „um das erforderliche (Mindest-)Maß an Harmonisierung“ zu bewirken bzw. zu gewährleisten, vgl. Erwägungsgründe Nr. 63 und Nr. 65. Ferner soll es sich bei diesen Leitlinien um „bindende Durchführungsmaßnahmen“ handeln (vgl. Erwägungsgrund Nr. 63 Satz 2) bzw. um solche, die die Richtlinie ergänzen sollen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 65 Satz 2). Dies gilt so jedoch nur für Leitlinien, die auch auf Grundlage der Verordnung Nr. 714/2009/EG (vgl. Erwägungsgrund Nr. 63 der Richtlinie 2009/72/EG) oder auf Grundlage der Richtlinie selbst (vgl. Erwägungsgrund Nr. 65 der Richtlinie 2009/72/EG) erlassen worden sind. Nur für solche Leitlinien legt die Richtlinie deren Qualität als „bindende Durchführungsmaßnahmen“ fest. Damit hat der Unionsgesetzgeber den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs entsprochen, welche vorsehen, dass die Rechtsfolge Bindungswirkung in einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts genannt sein muss: Der EuGH hatte entschieden, dass aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, dass die unionsrechtlichen Vorschriften klar gefasst zu sein haben und dass ihre Anwendung für alle
328 EuGH, Rs. C-148/73, Slg. 1974, 81 Ziff. 11/18 – Louwage/Kommission; Heithecker, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Kapitel 1 Rn. 1062; Schweda, in: Heidenhain, § 14 Rn. 37. 329 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-464/09 P, Slg. 2010, I-12443, Ziff. 47 – Holland Malt; Rs. C-75/ 05 P und C-80/05 P, Slg. 2008, I-6619, Ziff. 60 f. m. w. N. – Kronofrance. 330 EuGH, Rs. C-288/96, Slg. 2000, I-8237, Ziff. 65 – Deutschland/Kommission; vgl. auch näher zur Bindungswirkung von Leitlinien Thomas, EuR 2009, 423, 433. 331 Stumpf, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 113 AEUV Rn. 5.
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Betroffenen vorhersehbar sein muss.332 Die Rechtsfolge Bindungswirkung müsse zwingend in einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts verankert sein.333 Diese Vorschrift müsse als Rechtsgrundlage bezeichnet sein und zudem die Rechtsform vorschreiben, in der die konkrete Maßnahme zu erlassen ist.334 Wenn die Kommission also generell Leitlinien auf Grundlage der Richtlinie 2009/72/EG i. V. m. der Verordnung Nr. 714/2009/EG oder allein auf Grundlage der Richtlinie 2009/72/EG erlässt, so geht damit unmittelbar Bindungswirkung der Leitlinien einher. Die Richtlinie 2009/72/EG ist zwar nicht primäres, jedoch sekundäres Gemeinschaftsrecht. Der Gerichtshof differenziert nicht aus, in welcher Art von Gemeinschaftsrecht die Rechtsfolge verankert sein muss, so dass die Nennung der Rechtsfolge wie hier im Sekundärrecht als ausreichend angesehen werden kann. Die Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen haben ihre Rechtsgrundlage jedoch gerade nicht in der Richtlinie 2009/72/EG. Vielmehr erlässt die Kommission Leitlinien im Beihilferecht regelmäßig auf Basis der Art. 107, 108 AEUV. Somit ist auch eine unmittelbare Bindungswirkung für die Energiebeihilfeleitlinien auf Grundlage der Richtlinie 2009/72/EG nicht möglich. Die Art. 107, 108 AEUV hingegen sehen eine unmittelbare Bindungswirkung für Beihilfeleitlinien nicht vor. Die oben genannten Anforderungen für eine Rechtsgrundlage, die Bindungswirkung vorsieht, erfüllt der Wortlaut von Art. 107, 108 AEUV gerade nicht. Es ist hier gerade nicht von einer Bindungswirkung der Leitlinien die Rede. Aus diesem Grund kommt eine Bindungswirkung der Energiebeihilfeleitlinien auf Basis der Art. 107, 108 AEUV nicht in Betracht. Es bleibt somit dabei, dass die Mitgliedstaaten den Beihilfeleitlinien zugestimmt haben müssen, damit jene Bindungswirkung entfalten können. Wie bereits festgestellt, verlangt auch der EuGH für das Beihilferecht, dass die Mitgliedstaaten einer Mitteilung und somit auch Leitlinien zunächst zustimmen müssen, damit jene Rechtsverbindlichkeit erlangen.335 Art. 108 Abs. 1 AEUV (bzw. Art. 93 Abs. 1 EGV336) verlangt zwar ausdrücklich nur Beratungen der Kommission mit den Mitgliedstaaten im Vorfeld der Verabschiedung einer Mitteilung. Der EuGH leitet daraus jedoch ein Zustimmungserfordernis ab.337 Dieses Zustimmungserfordernis kann durch eine Entscheidung der Kommission nach Art. 108 Abs. 2 AEUV 332 GA Léger, Schlussanträge vom 28. September 2004, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215, Ziff. 93 – Schulte/Badenia, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-325/91, Slg. 1993, I-3283 Ziff. 26 – Frankreich/Kommission. 333 EuGH, Rs. C-325/91, Slg. 1993, I-3283 Ziff. 26 – Frankreich/Kommission. 334 EuGH, Rs. C-325/91, Slg. 1993, I-3283 Ziff. 26 – Frankreich/Kommission. 335 EuGH, Rs. C-288/96, Slg. 2000, I-8237, Ziff. 65 – Deutschland/Kommission mit Verweis auf Rs. C-311/94, Slg. 1996, I-5023, Ziff. 43 – Ijssel-Vliet sowie Rs. C-313/90, Slg. 1993, I-1125, Ziff. 36 – CIRFS. 336 Der EuGH hatte in Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651 – Spanien/Kommission – noch über dem heutigen Art. 108 Abs. 1 AEUV wortgleichen Art. 93 Abs. 1 EGV zu entscheiden. 337 EuGH, Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651 Ziff. 38 – Spanien/Kommission; Rs. C-57/95, Slg. 1997, I-1627, Ziff. 24 – Frankreich/Kommission.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
(Art. 93 Abs. 2 EGV) umgangen werden.338 Es ist somit (auch) für die Energiebeihilfeleitlinien davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten diesen entweder ausdrücklich zugestimmt haben oder dass die Kommission die genannte „Umgehungslösung“ gewählt hat.339 Die Energiebeihilfeleitlinien aus dem Jahr 2014 entfalten für die Mitgliedstaaten damit grundsätzlich Bindungswirkung.340 Eine abschließende Harmonisierung durch den Erlass der Beihilfeleitlinien wäre somit grundsätzlich möglich. Die Leitlinien bestimmen ferner, dass die Kommission den Mitgliedstaaten nach Art. 108 Abs. 1 AEUV gewisse „zweckdienliche Maßnahmen“ für deren bestehende Umwelt- und Energiebeihilferegelungen vorschlägt.341 Die Mitgliedstaaten sollten u. a. ihre eigenen betreffenden Regelungen, wo erforderlich, ändern, um sie spätestens bis zum 1. Januar 2016 mit den Leitlinien in Einklang zu bringen; Ausnahmen sind vorgesehen, jedoch nicht für den Bereich Kapazitätsmechanismen.342 338
Vgl. auch Adam, S. 139. Gemäß Ziff. 251 Satz 1 der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen, vgl. Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014, 2014/C 200/01, fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, den vorgeschlagenen zweckdienlichen Maßnahmen ausdrücklich und uneingeschränkt zuzustimmen. Dies habe innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Veröffentlichung der Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union zu geschehen. In Ermangelung einer Antwort gehe die Kommission davon aus, dass der betreffende Mitgliedstaat den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zustimmt, vgl. Ziff. 251 Satz 2. Mangels anderweitiger Informationen des BMWi wird hier davon ausgegangen, dass die Bundesrepublik Deutschland den Leitlinien ausdrücklich zugestimmt hat, vgl. BMWi, Neue Energiebeihilfeleitlinien aus Brüssel sorgen für Rechtssicherheit in Europa, Mitteilung vom 11. April 2014, aufrufbar unter: www.bmwi.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. Auch Adam bemängelt, dass sich lediglich einzelnen Mitteilungen entnehmen lässt, wie sie zustande gekommen sind, Adam, S. 73. So sind auch hinsichtlich des Zustandekommens der Energiebeihilfeleitlinien der Kommission keine genaueren Informationen vorhanden. 340 Vgl. GA Lenz, Schlussanträge vom 23. Mai 1996, Rs. C-311/94, Ijssel-Vliet, Slg. 1996, I-5023, Ziff. 44. GA Lenz differenziert hinsichtlich der Bindungswirkung der Leitlinien nicht ausdrücklich zwischen bereits geflossenen, existierenden Beihilfen und neuen, künftig fließenden Beihilfen. Er stellt nur die grundsätzliche Bindungswirkung der Leitlinien nach Zustimmung des jeweiligen Mitgliedstaates fest. Schweda, in: Heidenhain, § 14 Rn. 41, hingegen nimmt eine solche Differenzierung vor: Für bereits existierende Beihilfen würden nur die sog. „zweckdienlichen Maßnahmen“ gelten. Diese Maßnahmen finden sich in Ziff. 250 der Energiebeihilfen. Die von den Beihilfeleitlinien ausgehende Bindungswirkung für künftige Beihilfen sei hingegen dualer Natur: Während die Kommission sich durch „unilateral“ eingeführte Leitlinien vollständig selbst binde, seien die Mitgliedstaaten auch für neue Beihilfen nur so weit gebunden, wie sie es auch für existierende Beihilfen sind. Dies würde bedeuten, dass die Mitgliedstaaten auch für neue Beihilfen nur im Rahmen der „zweckdienlichen“ Maßnahmen der Ziff. 250 gebunden sind. Letztlich kann dieser Punkt – zumindest an dieser Stelle – offenbleiben, da die Regelungen zu Kapazitätsmechanismen in den Energiebeihilfeleitlinien inhaltlich nicht genügend ausdifferenziert sind, um eine abschließende Harmonisierung herbeizuführen, s. u. Punkt B.II.2.bb). 341 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01, Ziff. 250. 342 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01, Ziff. 250. 339
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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Dies bedeutet, dass eine etwaige Harmonisierung jedenfalls seit dem 1. Januar 2016 vollständig und abschließend vorgenommen worden sein müsste – vorausgesetzt der Bereich Kapazitätsmechanismen ist auch inhaltlich harmonisiert worden.343 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass eine etwaige Harmonisierung durch die von der Kommission erlassenen Leitlinien den Vorgaben des Art. 108 AEUV, so wie sie der Europäische Gerichtshof interpretiert, entsprechen würde. Gestützt auf Art. 108 Abs. 1 AEUV kann die Kommission daher für die Mitgliedstaaten verbindliche Leitlinien erlassen.344 Eine unionsweite abschließende Harmonisierung aufgrund von Beihilfeleitlinien ist folglich grundsätzlich möglich. Es bleibt damit zu untersuchen, ob die Energiebeihilfeleitlinien auch inhaltlich den Erfordernissen an die Qualität einer Harmonisierungsmaßnahme entsprechen. bb) Abschließende Harmonisierung durch die „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“ Wie bereits festgestellt, kommen als Harmonisierungsmaßnahmen für Kapazitätsmechanismen die von der Kommission erlassenen „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“ in Betracht.345 Diese Leitlinien regeln die Gewährung von Beihilfen u. a. in ausgewählten Bereichen der Energiewirtschaft und entfalten sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten Bindungswirkung. Aufgrund ebendieser Bindungswirkung ist weiter zu fragen, woran die Leitlinien die Mitgliedstaaten inhaltlich im Bereich Kapazitätsmechanismen konkret binden. Machen die Leitlinien den Mitgliedstaaten ausreichend konkrete Vorgaben für die Organisation eines Kapazitätsmechanismus, kann eine abschließende Harmonisierung u. U. angenommen werden. Es ist daher zu untersuchen, was genau die Energiebeihilfeleitlinien regeln und ob sie dabei für den Bereich Kapazitätsmechanismen umfassende Vorgaben machen. Nur wenn dies der Fall ist, kann eine abschließende Harmonisierung bejaht werden. Staatliche Beihilfen sind nach Art. 107 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verboten, um zu verhindern, dass sie den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen. Dies hebt auch die Einleitung der Energiebeihilfeleitlinien in Ziff. 1 nochmals hervor. Unter bestimmten Voraussetzungen jedoch kann die Kommission Beihilfen zur Förderung gewisser Wirtschaftszweige auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar betrachten. Dies gilt jedoch nur, wenn diese Beihilfen die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. So hat die Kommission eine Reihe von Umwelt- und Energiemaßnahmen ermittelt, deren Förderung durch staatliche Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit Art. 107 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. c) AEUV 343
Zu letzterem später, vgl. Punkt B.II.2.c)bb). Vgl. zu diesem Ergebnis auch Adam, S. 107 ff. 345 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01. 344
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
vereinbar angesehen werden kann: Hierzu gehören auch Beihilfen für Maßnahmen zugunsten einer angemessenen Stromerzeugung, vgl. Abschnitt 1.2 Erwägungsgrund Nr. 18 Buchst. l) der Leitlinien für Umwelt- und Energiebeihilfen. Abschnitt 3.9 (Ziff. 216 bis Ziff. 233) der Energiebeihilfeleitlinien behandelt Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromerzeugung. Darunter fällt auch der Bereich Kapazitätsmechanismen. Erwähnenswert ist, dass auch die Leitlinien Kapazitätsmechanismen als ein Strommarktdesign definieren, in dem Stromerzeugern schon allein für die Verfügbarkeit von Stromerzeugungskapazitäten Unterstützung gewährt wird, vgl. Ziff. 218. Damit deckt sich die Definition eines Kapazitätsmechanismus bzw. eines Kapazitätsmarktes der Bundesregierung mit jener der Kommission. Zu betonen ist jedoch, dass die „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“ aufgrund ihrer Qualität als Beihilfeleitlinien i. S. d. Art. 107 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. c) AEUV lediglich beihilferelevante Sachverhalte regeln. Wenn die Energiebeihilfeleitlinien also den Bereich Kapazitätsmechanismen umfassend harmonisieren sollen, so setzt dies voraus, dass auch alle möglichen Modelle für einen Kapazitätsmechanismus Beihilferelevanz haben. Anders ausgedrückt: Die Energiebeihilfeleitlinien regeln zunächst nur den Ermessensspielraum der Kommission für die Gewährung gewisser Beihilfen.346 Wenn sie wirklich den gesamten Bereich Kapazitätsmechanismen abschließend harmonisieren können sollen, so wäre dies überhaupt nur in dem Fall denkbar, dass jegliches Kapazitätsmarktmodell Beihilferelevanz hat, denn die Leitlinien regeln nur beihilferechtlich relevante Konstellationen. Andernfalls käme denklogisch schon gar keine abschließende Harmonisierung durch die Leitlinien in Frage, da Modelle ohne Beihilferelevanz nicht von den Leitlinien umfasst würden. Wie noch zu zeigen sein wird, ist in keinem der untersuchten Kapazitätsmechanismen tatbestandlich eine Beihilfe gemäß der Definition des Art. 107 Abs. 1 AEUV gegeben.347 Die Energiebeihilfeleitlinien mit ihrem Abschnitt 3.9 können daher den Bereich Kapazitätsmechanismen nicht abschließend harmonisieren, da sie nur die konkrete Beihilfegewährung regeln. Darauf weist schon die Überschrift des Abschnitts 3.9 „Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromerzeugung“ hin. Aus diesem Grund wären die Energiebeihilfeleitlinien auf keines der in Deutschland diskutierten Modelle anwendbar. Auch der weitere Inhalt des Abschnitts 3.9 enthält keine spezifischen Vorgaben für die Einführung eines bestimmten Modells für einen Kapazitätsmechanismus. Zwar äußert sich die Kommission zu verschiedenen Aspekten der Kapazitätsmarkteinführung: So stellen die Leitlinien in Ziff. 219 beispielsweise heraus, dass Maßnahmen zur Gewährleistung einer angemessenen Stromerzeugung sehr unter346
Vgl. zu den fakultativen Einzelausnahmen vom Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV und somit zur Grundstruktur des Art. 107 Abs. 3 AEUV, Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 739 ff. 347 Vgl. unten unter Punkt C.
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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schiedlich ausgestaltet sein können. Die Leitlinien stellen einerseits klar, dass solche Maßnahmen als Reaktion auf kurzfristige Engpässe aufgrund variabler Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie eingesetzt werden können. Andererseits sei es den Mitgliedstaaten auch möglich, langfristig Ziele für die angemessene Stromerzeugung festzulegen. Damit betont die Kommission, dass die hinter der Einführung eines Kapazitätsmechanismus liegenden Absichten sehr unterschiedlich sein können. Von der Einführung einer die Netzspannung stützenden Maßnahme wie der NetzResV bis hin zu einem dezentralen Kapazitätsmarkt ist die Spannbreite für einen Mechanismus sichtlich groß. Aus diesem Grund haben die Mitgliedstaaten klar zu definieren, welches Ziel die Maßnahme verfolgt sowie wann und wo ein Kapazitätsproblem entstehen könnte, vgl. Ziff. 221. Auch an dieser Stelle halten die Leitlinien damit offen, in welcher Form ein einzuführender Mechanismus konkret ausgestaltet werden muss. Sie setzen nur voraus, dass die Zielsetzung der Maßnahme grundsätzlich klar definiert zu sein hat. Um eine abschließende Harmonisierung annehmen zu können, wären umfassendere Vorgaben für konkrete Modelle notwendig. Die Kommission stellt zwar heraus, dass die Einführung eines Kapazitätsmechanismus Ultima-Ratio-Maßnahme bleiben soll, denn im Rahmen der Gewährleistung von Versorgungssicherheit sei die Vollendung des Binnenmarktes für Strom prioritär, vgl. Ziff. 220. Die Kommission präferiert daher die Erleichterung von Demand Side Management sowie die Erhöhung von Interkonnektor-Kapazitäten. Auch hiermit ist aber noch kein fester Rahmen für einen evtl. einzuführenden Kapazitätsmechanismus vorgegeben. Die Kommission ordnet lediglich eine Präferenz für anderweitige Lösungen an. Ferner verlangt sie gemäß Ziff. 222, dass Art und Ursache des Kapazitätsproblems und folglich die Erforderlichkeit einer staatlichen Beihilfe ordnungsgemäß analysiert und quantifiziert werden muss.348 Damit verlangt die Kommission, dass die Kapazitätslücken im Voraus eindeutig definiert werden. Wie bereits oben dargestellt, legt in einem zentralen Kapazitätsmarkt eine zentrale Instanz „top down“ die Kapazitätsnachfrage für einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren fest.349 Dies gilt sowohl für einen zentralen, umfassenden als auch für einen zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt. In einem dezentralen, umfassenden Markt ohne zentrale Verpflichtung aber soll diese zentrale Stelle ausdrücklich nicht festlegen, in welcher Gesamthöhe Zertifikate benötigt oder ausgegeben werden.350 Die Kapazitätsnachfrage ergibt sich „bottom up“. Ebenso wird in einem dezentralen, umfassenden und 348 So sollen die Mitgliedstaaten vor Beihilfegewährung z. B. im Hinblick auf Probleme bei der Spitzenlastkapazität und der saisonalen Kapazität sowie der Spitzennachfrage analysieren und quantifizieren, wenn die Großhandelsmärkte für kurzfristige Stromlieferungen den Bedarf nicht decken können. Ferner sollte die Maßeinheit für die Quantifizierung genannt und die Berechnungsmethode dargelegt werden, vgl. Ziff. 222. 349 Vgl. oben Punkt A.I.1. 350 Vgl. oben Punkt A.II.1.a).
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
rein nachfrageorientierten Markt verfahren.351 Anders verhält es sich nur in einem dezentralen Mechanismus mit „ex-ante-Verpflichtung“: In diesem beispielsweise für Frankreich vorgesehenen Mechanismus wird die Gesamtnachfrage nach Leistungszertifikaten zentral festgelegt.352 Gleiches gilt sowohl für das Modell der Kapazitätsreserve als auch für die in Deutschland bereits eingeführte Reservelösung nach der NetzResV. Bei der Kapazitätsreserve überträgt der Staat ebenfalls einer zentralen Instanz die Aufgabe, die erforderliche Leistung zu ermitteln.353 Die Kommission trifft hier also schon eine gewisse Vorauswahl möglicher, mit den Energiebeihilfeleitlinien kompatibler Mechanismen. So sind bis hierhin nur die beiden Reservelösungen, alle zentralen Kapazitätsmarktmodelle sowie gewisse dezentrale Modelle mit den Vorgaben der Ziff. 222 der Energiebeihilfeleitlinien zu vereinbaren. Dennoch reicht dies nicht aus, um von einer umfassenden und abschließenden Harmonisierung sprechen zu können. Aufgrund der Tatsache, dass die Kommission den Mitgliedstaaten die Einführung verschiedener Modelle ermöglicht, ist dieser Bereich auf Unionsebene gerade nicht abschließend harmonisiert. Es liegt auch nach Einführung der Energiebeihilfeleitlinien bei den Mitgliedstaaten, sich für ein bestimmtes Modell eines Kapazitätsmechanismus zu entscheiden. Dies stützen auch die Vorgaben in Ziff. 225. Hier legt sich die Kommission wiederum auf kein konkretes System für einen Kapazitätsmechanismus fest. Zwar bestimmt sie, dass die Beihilfe ausschließlich für die Bereitstellung der Erzeugungskapazität durch den Stromerzeuger gewährt werden soll. Die Beihilfe soll damit gerade keine Vergütung für den Verkauf von Strom vorsehen. Jedoch erfüllen alle derzeit zur Diskussion stehenden Modelle für einen Kapazitätsmechanismus diese Vorgabe: In einem zentralen Kapazitätsmarkt erhalten die bezuschlagten Stromerzeuger Zahlungen für die Vorhaltung der zusätzlichen Kapazitäten.354 Auch in dezentralen Modellen müssen die Stromerzeuger sicher verfügbare Leistung bereithalten und sie werden für genau diese Bereithaltung auch vergütet.355 In dem Modell einer Kapazitätsreserve fließen nach Zuschlag explizite Zahlungen an die Betreiber der kontrahierten Anlagen, so dass auch hier die Bereitstellung und nicht der Verkauf vergütet wird.356 Schließlich regelt § 6 NetzResV die Kostenerstattung für die Nutzung bestehender Anlagen bei der Netzreserve. § 8 Abs. 4 Satz 3 NetzResVermöglicht den Übertragungsnetzbetreibern die Berücksichtigung ihrer Kosten für Neuanlagen in den Erlösobergrenzen. Daraus folgt, dass auch Ziff. 225 keine Einschränkung dahingehend erhält, welches Modell eines Kapazitätsmechanismus 351
Vgl. oben Punkt A.II.2. Vgl. oben Punkt A.II.1.b). 353 Vgl. oben Punkt A.III. 354 Vgl. oben unter Punkt A.I.1. 355 Vgl. oben unter Punkt A.II.1. An dieser Stelle muss noch offengelassen werden, ob man bei den dezentralen Modellen überhaupt von der Zahlung einer Beihilfe ausgehen kann. Wenn in einem dezentralen Kapazitätsmarktmodell aber etwas vergütet wird, dann ist es – wie herausgearbeitet – auch die Bereitstellung und nicht der Verkauf der Leistung. 356 Vgl. oben unter Punkt A.III. 352
II. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 AEUV
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ausschließlich zulässig ist. Alle derzeit in Deutschland diskutierten Modelle sehen eine Vergütung für die Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten und nicht etwa für deren Verkauf vor. Ferner fordert Rn. 229 im Abschnitt über die Angemessenheit explizit „eine klar auf das definierte Ziel zugeschnittene Ausschreibung“. Dies verleitet zu der Annahme, hier sei von einem Auktionsverfahren i. e. S. die Rede. Sollte ein solches gemäß der Leitlinien durchgeführt werden müssen, würde dies auf die ausschließliche Zulässigkeit von Modellen, die auch tatsächlich eine solche Ausschreibung vorsehen, hindeuten. Dies würde heißen, dass die Kommission nur solche Mechanismen zulässt, die zentral organisiert sind oder eine Reservelösung darstellen. Diese nämlich schreiben die benötigten Kapazitäten direkt aus und es kommt innerhalb dieser Modelle – anders als bei nachfrageorientierten Modellen – nicht zu einem Handel mit einem Reservekapazitätsprodukt. Allerdings findet sich die Erwähnung eines Ausschreibungsverfahrens in dem Abschnitt über die Angemessenheit, d. h. über die Angemessenheit des fließenden Beihilfebetrags. Gemäß Ziff. 228 sollte der Beihilfegesamtbetrag so berechnet werden, dass die Beihilfeempfänger eine Rendite erzielen, die als angemessen betrachtet werden kann. Ziff. 229 bestimmt dann, dass eine klar auf das definierte Ziel zugeschnittene Ausschreibung mit eindeutigen, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien unter normalen Umständen zu angemessenen Renditen führt. Die Kommission betrachtet ein Ausschreibungsverfahren – wenn es denn, wie in Ziff. 229 genannt, durchgeführt wird – als ein Verfahren, welches unter normalen Umständen zu angemessenen Renditen führt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass auch nur ein solches Ausschreibungsverfahren zur Ermittlung einer angemessenen Rendite in der Lage ist. Vielmehr wird ein Ausschreibungsverfahren lediglich als eine Möglichkeit erachtet, eine angemessene Rendite zu ermitteln. Obwohl die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020 somit zwar Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten entfalten, harmonisieren sie den Bereich Kapazitätsmechanismen nicht abschließend. Anders als etwa eine Richtlinie oder eine Verordnung dies tun würden, regeln sie einen bestimmten Bereich gerade nicht allumfassend auf europäischer Ebene. In den vom EuGH entschiedenen Fällen357 waren es Richtlinien oder Verordnungen, die gerade aus dem Grund erlassen wurden, unionsweit konkrete Vorgaben für einen bestimmten Bereich zu machen. Meist ergab sich schon aus dem Titel der Maßnahme, welchen Bereich die jeweilige Maßnahme zu harmonisieren beabsichtigte.358 Die Kommission erließ 357
B.II.1. 358
Vgl. zu den Anforderungen an eine abschließende Harmonisierung oben unter Punkt
Vgl. beispielsweise die Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung, ABl. L 194 vom 25. Juli 1975, S. 31 ff., die die Sammlung von Altölen und ihre Entsorgung harmonisiert hat oder die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. L 76 vom 23. März 1992, S. 1 ff., die abschließend harmonisiert,
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
jedoch die Energiebeihilfeleitlinien, um Leitlinien für die Beihilfegewährung aufzustellen, nicht aber um einen abgegrenzten Regelungsbereich inhaltlich abschließend zu harmonisieren. d) Zusammenfassung Die Richtlinie 2009/72/EG hat den Bereich Kapazitätsmechanismen nicht abschließend harmonisiert. Sie macht den Mitgliedstaaten keine ausreichend konkreten Vorgaben für die Organisation eines solchen nationalen Mechanismus. Sie enthält lediglich Vorgaben für ein mögliches Ausschreibungsverfahren für den Fall, dass neue Kapazitäten im Interesse der Versorgungssicherheit notwendig werden. Daneben enthält sie in ihren Erwägungsgründen Nr. 63 und 65 Ermächtigungsgrundlagen für den Leitlinienerlass durch die Kommission. Damit wird dieser ermöglicht, das erforderliche Maß an Harmonisierung zu bewirken. Da aber keinerlei Leitlinien existieren, die auf Grundlage der Richtlinie erlassen wurden und den Bereich Kapazitätsmechanismen regeln, ist auch über diese Ermächtigungsgrundlagen keine Harmonisierung erfolgt. Die im Jahr 2014 auf Grundlage von Art.107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV erlassenen Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020 enthalten zwar einige Vorgaben für Kapazitätsmechanismen. Diese Vorgaben bleiben jedoch sehr vage, zumal sie oftmals nur vorschreiben, was beinahe jedes Modell für einen Kapazitätsmechanismus ohnehin vorsieht. Daher machen die Leitlinien den Mitgliedstaaten keine ausreichend konkreten Vorgaben für ein neues Strommarktdesign. Sie sprechen sich gerade nicht für einen bestimmten Mechanismus aus. Vielmehr enthalten sie ausschließlich Mindestanforderungen, ohne deren Einhaltung aber ohnehin kaum ein denkbares Kapazitätsmodell auskommen würde. Da der EuGH für eine abschließende Harmonisierung inzwischen jedoch verlangt, dass die Maßnahme eine gewisse Ausdifferenziertheit der Vorgaben für das entsprechende System enthält, harmonisieren die Leitlinien den Bereich Kapazitätsmechanismen gerade nicht abschließend. Vielmehr ist es ihr ausschließliches Ziel, beihilferelevante Sachverhalte auf diesem Gebiet über Art.107 Abs.3 Buchst. c) AEUV als mit dem Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV vereinbar zu erklären, wenn denn die entsprechenden Vorgaben erfüllt sind. Letztlich handelt es sich bei den Leitlinien um solche des Beihilferechts und ihre Bindungswirkung geht nicht über beihilferechtlich relevante Sachverhalte hinaus. Da aber nicht zwangsläufig alle Kapazitätsmechanismen Beihilferelevanz haben – und wie im Rahmen dieser Arbeit noch zu zeigen sein wird, keines der untersuchten Modelle i. E. Beihilferelevanz hat –, können die Beihilfeleitlinien schon aus diesem Grund keine abschließende Harmonisierung des Bereichs Kapazitätsmechanismen nach sich ziehen. Eine unionsweite, abschließende Harmonisierung für den Bereich Kapazitätsmechanismen liegt somit bisher wie die Mitgliedstaaten die Menge mitgeführter Tabakwaren für die Einstufung von deren Besitz als gewerblich berücksichtigen können.
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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nicht vor. Nationale Maßnahmen in diesem Bereich sind daher weiterhin an den Bestimmungen des Primärrechts zu messen. Die verschiedenen Modelle für einen Kapazitätsmechanismus sind somit bezüglich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu überprüfen, so dass auch Art. 28 AEUV anwendbar bleibt.359
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit Bei der Prüfung eines möglichen Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 ff. AEUV, geht es im Kern um die Frage, ob die Eingrenzung der Teilnahme an einem deutschen Kapazitätsmarkt auf ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen eine Beeinträchtigung darstellt. Die meisten der derzeit diskutierten Modelle für einen Kapazitätsmechanismus in Deutschland sehen eine Beschränkung der Teilnahme auf ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen vor.360 Ein Eingriff in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit ist einerseits in Form einer mengenmäßigen Ein- oder Ausfuhrbeschränkung sowie andererseits in Form einer Maßnahme gleicher Wirkung möglich. Ein Eingriff in Form einer mengenmäßigen Ein- oder Ausfuhrbeschränkung i. S. d. Art. 34 AEUV ist bei keinem der diskutierten Modelle gegeben. Hierzu würden bilaterale oder globale Kontingentierungen sowie entsprechende Verbote der Ein- und Ausfuhr gehören.361 Das Verbot der mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkung liefert jedoch auch den Maßstab für die Maßnahme gleicher Wirkung, denn der Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung ist im AEUV nicht definiert: Eine Maßnahme gleicher Wirkung muss eine vergleichbare Wirkung haben wie eine Beschränkung, also den Marktzugang bzw. -ausgang limitieren.362 Nach der Dassonville-Formel ist für einen Eingriff bereits eine Maßnahme geeignet, die den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell behindern kann.363 Der EuGH wendet diese Formel in ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Prüfung des Art. 34 AEUV an. In der Dassonville-Entscheidung hatte der EuGH allerdings zunächst nur über Maßnahmen zu entscheiden, die lediglich ausländische Produkte betrafen.364 Die nachfolgende Cassis-Entscheidung unterschied nicht mehr nur nach der Warenherkunft, sondern führte das sog. beschränkte Herkunftslandprinzip ein und weitete damit den An359
So i. E. auch Gerig, S. 166 ff. Vgl. oben unter Punkt A. Geprüft wird in diesem Abschnitt, ob ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit bei den einzelnen Modellen vorliegt, wenn nicht vollständig allen Erzeugungsanlagen aus sämtlichen EU-Mitgliedstaaten die Teilnahme an dem jeweiligen Modell offensteht. In keinem der diskutierten Modelle ist ein derart weiter Teilnehmerkreis vorgesehen. 361 Oppermann/Classen/Nettesheim, § 22 Rn. 28. 362 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 875. 363 EuGH, Rs. C-8/74, Slg. 1974, 837, Ziff. 5 – Dassonville; insbesondere bestätigt durch Rs. C-110/05, Slg. 2009, I-519, Ziff. 33 – Kommission/Italien. 364 EuGH, Rs. C-8/74, Slg. 1974, 837, Ziff. 2, 4 – Dassonville. 360
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
wendungsbereich des Art. 34 AEUV wesentlich aus. Aus der Cassis-Rechtsprechung folgte, dass jedes in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in Verkehr gebrachte Erzeugnis grundsätzlich auf den Märkten der anderen Mitgliedstaaten zuzulassen ist.365 Die im Wege dieser Entscheidungen entwickelte Definition von Maßnahmen gleicher Wirkung ist sehr weit gefasst und erfasst sämtliche mögliche Behinderungen sowie bloße Absatzhemmnisse.366 Der Grad der Beeinträchtigung ist dabei unerheblich und es genügt bereits, wenn die bloße Möglichkeit einer zukünftigen Beeinträchtigung besteht.367 Aufgrund der Weite der Dassonville-Formel schränkte der Gerichtshof mit der Keck-Rechtsprechung die Formel im Wege der teleologischen Reduktion wieder ein: Danach stellen solche nationalen Bestimmungen keine Behinderung des Handels dar, die nicht geeignet sind, „den Marktzugang für [ausländische] Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse“ tun.368 Der Gerichtshof unterscheidet hier zwischen sog. „bestimmten Verkaufsmodalitäten“ sowie sog. produktbezogenen Regelungen, wobei letztere alle Vorschriften über die Herstellung, die Verpackung, die Bezeichnung, die Kennzeichnung oder die Zulassung umfassen und nicht unter die Keck-Formel fallen.369 Art. 34 AEUV garantiert nunmehr also ein „Marktzugangsrecht“ ausländischer Waren und beinhaltet damit kehrseitig ein Verbot von Marktzugangshindernissen.370 Indes ist die Interpretation dieser Regel im Detail strittig.371 Dennoch dürfte jedenfalls eine nicht mögliche Teilnahme ausländischer Stromerzeugungsanlagen an einem deutschen Kapazitätsmechanismus grundsätzlich ein solches Marktzugangshindernis darstellen.372 Die neuere ANETT-Entscheidung des EuGH nimmt im Rahmen der Prüfung einer Maßnahme gleicher Wirkung – anders als das Keck-Urteil – eine positive Abgrenzung vor: Hiernach liegt eine solche Maßnahme in den folgenden drei Fällen vor: Erstens bei Maßnahmen eines Mitgliedstaates, mit denen bezweckt oder bewirkt 365
Vgl. EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649, Ziff. 14 – Cassis de Dijon. Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 880. 367 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 880. 368 EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91, Slg. 1993, I-6097, Ziff. 17 – Keck. 369 Mit Blick auf sog. „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ arbeitete der EuGH heraus, dass diese den Marktzugang für ausländische Produkte nicht behindern, wenn sie (1) die Verkaufsoder Absatzmodalitäten von Waren regeln (z. B. das Verbot des Verkaufs unter Einkaufspreis) und (2) für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und (3) den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren. 370 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 887. 371 Ohler, JA 2006, 839, 842. 372 Ob und wie ein Eingriff im Rahmen der zur Diskussion stehenden Modelle für einen Kapazitätsmechanismus im Einzelnen angenommen werden kann, wird weiter unten zu prüfen sein. 366
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln (Grundsatz der Nichtdiskriminierung); zweitens bei Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die Waren entsprechen müssen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten (produktbezogene Vorschriften; Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden) sowie drittens für jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaates für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert.373 Es handelt sich hierbei um eine Zusammenfassung der Folgerechtsprechung des Keck-Urteils und, sollte auf diese Fallgruppen abgestellt werden, so würde dies ein Abstellen auf die Dassonville-Formel entbehrlich machen. Das Vorliegen einer von Art. 34 verbotenen Maßnahme ist beispielsweise denkbar, wenn die Ausschreibungsvoraussetzungen in einem zentral organisierten Kapazitätsmarkt oder im Rahmen einer Reservelösung nur deutsche Anlagenbetreiber zulassen bzw. wenn in einem rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt die Pflicht zur Direktvermarktung ausschließlich deutsche Erzeuger erneuerbarer Energien trifft bzw. wenn in einem dezentralen Kapazitätsmarkt die Ausgabe von Leistungszertifikaten ausschließlich an deutsche Anbieter gesicherter Leistung erfolgen würde und ein Erwerb gesicherter Leistung für deutsche Unternehmen verpflichtend wäre. Hier wird im Folgenden je nach Modell genau differenziert werden müssen, was als Eingriff qualifiziert werden kann. 1. Zentraler, umfassender Kapazitätsmarkt Zunächst ist nach einem möglichen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit in einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt zu fragen. Eine diskriminierende Wirkung ausgehend von einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt liegt vor, wenn dieser derart ausgestaltet sein sollte, dass an dem entsprechenden öffentlichen Ausschreibungsverfahren ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen teilnehmen dürfen. Nur diese könnten dann im Zuschlagsfall Verträge über die Bereitstellung der bezuschlagten Kapazität mit der zentralen Instanz abschließen. Da die zentrale Instanz das gesamte als notwendig erachtete Kapazitätsniveau kontrahiert, würde Betreibern ausländischer Stromerzeugungsanlagen die Möglichkeit vorenthalten, an einem deutschen Kapazitätsmarkt teilzunehmen. Problematisch für die Annahme eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit könnte indes sein, dass es nicht private Unternehmen sind, wie z. B. die Elektrizitätsversorgungsunternehmen im PreussenElektra-Sachverhalt, welche zur Stromabnahme von ausschließlich deutschen Anlagen verpflichtet werden.374 Vielmehr kommt beispielsweise der Regulierungsbehörde als zentraler Instanz die Aufgabe zu, mit Betreibern deutscher Stromerzeugungsanlagen nach Zuschlag Versorgungssi373 374
EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 37 ff. – ANETT. EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 17 ff. – PreussenElektra.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
cherheitsverträge o. ä. abzuschließen. Die Tatsache, dass es sich dabei um einen Akteur der öffentlichen Hand handelt, hat i. E. aber keine Auswirkung auf die Einordnung als „nationale Maßnahme“ i. S. d. Art. 34 AEUV. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass ihre grundsätzlich belastenden Wirkungen ausschließlich an die Herkunft der Ware (Inland einerseits, Ausland andererseits) geknüpft werden.375 Damit ist es unschädlich, dass in einem zentralen Kapazitätsmarkt eine staatliche Instanz die Verträge mit den Energieversorgern abschließt, eine nationale Maßnahme liegt dennoch vor. Der EU-ausländischen Elektrizität wäre der Marktzugang zwar nicht vollständig versperrt, da eine Teilnahme an dem weiterhin neben einem Kapazitätsmarkt bestehenden Energy-only-Markt möglich bliebe. Es läge aber jedenfalls eine stärkere Behinderung EU-ausländischen Stroms vor, als dies für inländischen Strom der Fall wäre, denn der Kapazitäts„markt“ bliebe vollständig versperrt. Das von der KeckRechtsprechung376 geforderte „Marktzugangsrecht“ für EU-ausländische Waren wäre nicht gewährleistet. Die Vorgabe, nur inländische Stromerzeugungsanlagen an einem Ausschreibungsverfahren teilhaben zu lassen, wäre zudem kehrseitig als Marktzugangshindernis zu qualifizieren, was gemäß europäischer Rechtsprechung verboten ist. In der Terminologie der ANETT-Entscheidung ausgedrückt, läge eine Maßnahme eines Mitgliedstaates vor, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln (Grundsatz der Nichtdiskriminierung).377 Eine unmittelbare Diskriminierung von im EU-Ausland erzeugtem Strom ist somit gegeben, denn es entsteht für die zentrale Instanz ein Kontrahierungszwang für im Inland produzierten Strom und gleichzeitig ein Verdrängungseffekt für im EUAusland produzierten (Leistungsvorhaltungs-)Strom. Ein derart ausgestalteter Kapazitätsmarkt wäre damit eine negative Beeinflussung der Handelsströme durch Beeinträchtigung ausländischer (Strom-)Marktteilnehmer, die sich zumindest mittelbar auf die Warenverkehrsfreiheit auswirkt. Es läge folglich eine Maßnahme vor, die eine einer Einfuhrbeschränkung gleiche Wirkung erreicht, denn vom Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen blieben sämtliche nicht-deutsche Erzeugungsanlagen.
2. Zentraler, fokussierter Kapazitätsmarkt Parallel zu einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt gilt auch für einen zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt, dass ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit vorliegt, sollten nur deutsche Stromerzeugungsanlagen an den Ausschreibungsverfahren teilnehmen dürfen. EU-ausländischen Anlagen wäre ein Zugang zum deutschen Kapazitätsmarkt nicht möglich: In einem fokussierten Kapazitätsmarkt wäre die zwingende Kontrahierung mit der zentralen Instanz ebenfalls aus375 376 377
Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 36 AEUV Rn. 132. Vgl. oben Punkt B.III. EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 37 ff. – ANETT.
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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schließlich über einen Zuschlag im Ausschreibungsverfahren zu erreichen. Dies allein genügt, wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt, bereits für die Annahme einer Diskriminierung von im EU-Ausland erzeugtem Strom. Ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit i. S. d. Art. 34 AEUV läge somit auch in einem fokussierten Kapazitätsmarkt vor.378 Darüber hinaus unterscheidet ein fokussierter Kapazitätsmarkt jedoch beispielsweise zwischen (qualifizierten) „stilllegungsbedrohten“ und (nicht-qualifizierten) „nicht-stilllegungsbedrohten“ Erzeugungsanlagen: Durchgeführt würde in einem solchen Markt sowohl eine Auktion für „stilllegungsbedrohte“, bestehende Erzeugungseinheiten als auch eine für Kraftwerksneubauten, je nachdem, welche Art von Kraftwerken die zentrale Instanz zum jeweiligen Zeitpunkt für notwendig erachtet. Innerhalb eines zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktes bezieht sich die jeweilige Ausschreibungsmenge somit von vornherein nur auf einen Teil des Kraftwerksparks. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt.379 Diese Beschränkung auf jeweils nur eine Kraftwerksart könnte für sich genommen jedoch einen (weiteren) Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit i. S. d. Art. 34 AEUV aufgrund Vorliegens einer Maßnahme gleicher Wirkung bedeuten. Da die Keck-Formel bei sog. produktbezogenen Regelungen versagt380, ist hier weiterhin auf die Dassonville-Formel abzustellen und auf Ebene der „Maßnahme gleicher Wirkung“ zu prüfen. Aus der ANETT-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs geht hervor, dass eine Maßnahme gleicher Wirkung ebenfalls gegeben ist bei Vorliegen von Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die Waren entsprechen müssen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten (produktbezogene Vorschriften; Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden).381 Im entschiedenen Fall verbot eine Maßnahme spanischen Tabakeinzelhändlern, Erzeugnisse direkt aus anderen Mitgliedstaaten einzuführen. So waren diese Einzelhändler gezwungen, ihren Bedarf bei zugelassenen inländischen Großhändlern zu decken. Der Gerichtshof stellte fest, dass eine solche Art der Bedarfsdeckung u. a. den Nachteil aufweist, dass die Ein378
Vgl. zur Begründung im Einzelnen oben unter Punkt B.III.1. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Tatsache, dass das BET-Modell für einen zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt eine Öffnung des Kapazitätsmarktes gegenüber bestimmten EU-Mitgliedstaaten vorsieht, i. E. keine Auswirkungen auf das Vorliegen eines Eingriffs hat. Zwar soll in diesem Modell auch Anlagen aus dem „europäischen Kernmarkt“ (bestehend aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Italien und Großbritannien) die Teilnahme an einem deutschen Kapazitätsmarkt möglich sein. Allerdings bezieht sich diese Öffnung, wie gesagt, nur auf den „mitteleuropäischen Kernmarkt“. Weiteren Mitgliedstaaten gegenüber würde sich auch ein fokussierter Kapazitätsmarkt nach dem BET-Modell nicht öffnen, so dass Stromerzeugung und -austausch somit gerade nicht EU-weit uneingeschränkt möglich sein würden. 379 Vgl. für Näheres oben unter Punkt A.I.2. 380 Vgl. oben unter Punkt B.III. 381 EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 37 ff. – ANETT.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
zelhändler ein EU-ausländisches Produkt nur vermarkten konnten, wenn ein solches Erzeugnis Teil des Erzeugnissortiments der in Spanien zugelassenen Großhändler war und diese Großhändler es vorrätig hatten.382 Wenn somit ein bestimmtes Erzeugnis im Erzeugnissortiment dieser Großhändler nicht enthalten war, hätten die Tabakeinzelhändler keine direkte, flexible und schnelle Möglichkeit gehabt, die Nachfrage ihrer eigenen Kunden, die an diesem Erzeugnis interessiert waren, zu befriedigen.383 Zudem waren die spanischen Tabakeinzelhändler daran gehindert, ihren Bedarf in anderen Mitgliedstaaten zu decken, auch wenn die dort niedergelassenen Hersteller oder Großhändler günstigere Bezugsbedingungen anbieten konnten, sei es aufgrund ihrer geografischen Nähe oder aufgrund der besonderen Lieferbedingungen, die sie anboten.384 Der EuGH urteilte, dass alle diese Gesichtspunkte negative Auswirkungen auf die Auswahl der Erzeugnisse, die die Tabakeinzelhändler in ihre Erzeugnissortimente aufnahmen, und letztlich auf den Zugang zum spanischen Markt für die verschiedenen aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Erzeugnisse hatten.385 Interessant an dieser Entscheidung, gerade in Bezug auf einen fokussierten Kapazitätsmarkt, ist die Feststellung, dass eine Eingrenzung auf ein bestimmtes „Erzeugnissortiment“ negative Auswirkungen auf aus anderen Mitgliedstaaten stammende Erzeugnisse hat. Die Tatsache, dass die spanischen Tabakeinzelhändler an das Erzeugnissortiment der inländischen Großhändler gebunden waren, benachteiligte EU-ausländische Waren. Als begrenztes Erzeugnissortiment kann in einem fokussierten Kapazitätsmarkt die Eingrenzung beispielsweise auf Elektrizität aus einer bestimmten Kraftwerksart eingeordnet werden. Zwar betrifft diese Eingrenzung die Herstellung des Produkts. Eine Regelung ist jedoch auch und gerade dann produktbezogen, wenn sie die Herstellung betrifft. Die Ware Elektrizität kann aus unterschiedlichsten Arten von Kraftwerken stammen und gerade nach Art des Kraftwerks würde in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt unterschieden. Sollte der zentralen Instanz nur gestattet sein, Elektrizität aus bestimmten Arten von Stromerzeugungsanlagen auf deutschem Gebiet zu kontrahieren, und wären gerade diese Anlagen nicht verfügbar, so dürften auch keine EU-ausländischen Anlagen dieser oder anderer Gattung kontrahiert werden. Nicht immer wird aber in einem fokussierten Markt ausreichend Kapazität aus einer bestimmten Stromerzeugungsquelle auf deutschem Gebiet verfügbar sein. Jedenfalls ist nicht garantiert, dass die ausgeschriebene Kapazitätsmenge auch tatsächlich kontrahiert werden kann. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass nicht ausreichend Elektrizität aus einer bestimmten Kraftwerksart verfügbar ist. In einem solchen Fall könnte die zentrale Instanz, auch wenn sie es eigentlich müsste, keine ausreichende Menge Elektrizität dieser Art kontrahieren. 382 383 384 385
EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 39 – ANETT. EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 39 – ANETT. EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 41 – ANETT. EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 42 – ANETT.
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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Gleichzeitig bliebe es ihr verwehrt, stattdessen eine entsprechende Menge Leistung, erzeugt von derselben oder auch einer anderen Kraftwerksart, im EU-Ausland „einzukaufen“. Damit ist eine Vorschrift innerhalb eines fokussierten Kapazitätsmarktes über die Voraussetzungen, denen die Stromerzeugungsanlagen entsprechen müssen, als produktbezogene Vorschrift zu bezeichnen. Eine solche etwaige Vorschrift muss folglich, für sich genommen, als Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUVund somit als weiterer Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit betrachtet werden. Innerhalb eines zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktes ist daher von zwei Eingriffen in die Warenverkehrsfreiheit auszugehen: Einerseits läge mit der Einführung eines Ausschreibungsverfahrens zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine deutsche Maßnahme vor, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln. Andererseits würde die Beschränkung der Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren auf bestimmte Kraftwerksarten jeweils für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift darstellen. Solche Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die Kraftwerke entsprechen müssen, sind als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit i. S. d. Art. 34 AEUV zu qualifizieren, obgleich diese Vorschriften unterschiedslos für alle Kraftwerke gelten. Dies folgt aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden. 3. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte In dezentralen, umfassenden Kapazitätsmärkten werden Verbraucher bzw. Lieferanten elektrischer Energie verpflichtet, für jede oder für ausgewählte Situationen den Nachweis zu führen, ausreichend sog. Versorgungssicherheitsnachweise (VSN) von verpflichteten Einheiten beschafft zu haben. Es handelt sich damit um eine Art Zertifikatehandel.386 Ob ein solcher Markt über eine „ex-ante-Verpflichtung“ verfügt, ist zumindest im Rahmen der Prüfung der Warenverkehrsfreiheit nicht relevant und bedarf daher an dieser Stelle keiner weiteren Differenzierung. Innerhalb dieses Abschnitts muss deshalb nicht zwischen dezentralen Märkten mit ex-ante-Verpflichtung sowie dezentralen Märkten ohne ex-ante-Verpflichtung unterschieden werden. Relevant ist jedoch, ob sich auch ausländische Stromanbieter an dem Zertifikatehandel eines solchen Modells beteiligen dürften. Teilweise sehen Entwürfe von dezentralen Modellen vor, dass Stromerzeugungsanlagen in Nachbarländern eine Teilnahme offensteht.387 Es wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch untersucht werden, wie ein rein deutscher dezentraler Kapazitätsmarkt ohne Öffnung gegenüber Nachbarstaaten mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar wäre.
386 387
Vgl. Näheres zu dezentralen, umfassenden Kapazitätsmärkten oben unter Punkt A.II.1. Vgl. z. B. Frontier Economics/Consentec GmbH, S. 37 f.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Eine Diskriminierung in einem dezentralen Modell könnte in dem Ausschluss ausländischer Anbieter gesicherter Leistung vom Zertifikatehandel gesehen werden. Es ist also zu fragen, ob ein Eingriff vorliegt, wenn es ausländischen Anbietern nicht möglich wäre, ihren „gesicherten“ Strom ins Inland einzuführen und am Zertifikatehandel teilzunehmen. Dies könnte eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV darstellen. An dieser Stelle kann zunächst ein Vergleich zur Entscheidung PreussenElektra des Europäischen Gerichtshofs herangezogen werden. Darin ging es um die §§ 1, 2 des geänderten Stromeinspeisungsgesetzes, die eine Abnahmepflicht der Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur für Strom aus deutschen EE-Anlagen vorsahen.388 Ausländischen Anlagen stand die Teilnahme an der Direktvermarktung nicht offen. Der Gerichtshof urteilte, dass eine den Wirtschaftsteilnehmern eines Mitgliedstaates auferlegte Verpflichtung, ihren Bedarf an einem bestimmten Erzeugnis bei einem inländischen Lieferanten zu decken, die Möglichkeit der Einfuhr dieses Erzeugnisses insoweit beschränkt, als sie sie daran hindert, einen Teil ihres Bedarfs bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Lieferanten zu decken.389 In PreussenElektra ging es also um inländische Abnehmer von Leistung, deren Verpflichtung, aufgrund einer Direktvermarktungsregelung ausschließlich im Inland zu erwerben, unzulässig war. Es handelte sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung, die den innergemeinschaftlichen Handel zumindest potentiell behindern konnte.390 Anders als in PreussenElektra geht es in einem dezentralen, nicht rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt nicht um eine Direktvermarktungsregelung. Auch hätten deutsche Abnehmer in einem solchen Modell nicht einen grundeigenen Bedarf an VSN, sondern es würde ein VSN-Zertifikatehandel künstlich eingeführt. Ein Vergleich zum PreussenElektra-Sachverhalt ist daher nicht zu ziehen. Auch das Urteil Campus Oil des EuGH befasste sich mit einer ähnlichen Konstellation: Gemäß irischem Recht waren Importeure von Erdo¨ lerzeugnissen verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bedarfs zu festgesetzten Preisen bei einer inla¨ ndischen Raffinerie zu decken.391 Anders als in PreussenElektra betraf der Sachverhalt also ausländische Marktteilnehmer, die laut dem Urteil des EuGH nicht auf einen Erwerb von ausschließlich inländischen Unternehmen festgelegt werden durften. Der Gerichtshof entschied, dass derartige Regelungen nicht mit Art. 28 EG vereinbar sind.392 Der Campus Oil-Sachverhalt ist damit mit einem dezentralen Kapazitätsmarktmodell auch nicht vergleichbar, da es in letzterem gerade nicht um eine Verpflichtung ausländischer Importeure geht. 388
EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 – PreussenElektra. EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 70 – PreussenElektra mit Verweis auf Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 16 – Campus Oil sowie Rs. C-21/88, Slg. 1990, I-889, Ziff. 14 – Du Pont de Nemours Italiana. 390 EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 71 – PreussenElektra. 391 EuGH. Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727 – Campus Oil. 392 EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 16 – Campus Oil. 389
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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In der neueren Entscheidung Åland ging es schließlich wie im Fall dezentraler Kapazitätsmärkte mit VSN um ein Zertifikatesystem: Der Sachverhalt betraf finnische Windkraftanlagen, die an das schwedische Stromnetz angeschlossen waren, denen jedoch die Teilnahme am schwedischen Stromzertifikatehandel verweigert wurde, da sie nicht auf schwedischem Gebiet lagen.393 Der Fall liegt somit sehr nah an dezentralen Kapazitätsmärkten, denn auch in solchen würde Stromerzeugungsanlagen aus angrenzenden Nachbarländern der Zugang zum deutschen VSN-Zertifikatehandel verwehrt bleiben.394 Ein Anschluss an das deutsche Stromnetz wäre parallel zum Åland-Sachverhalt über die Grenzkuppelstellen möglich. Der Gerichtshof urteilte in Åland, ein solches System sei geeignet, als Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV Stromeinfuhren aus anderen Mitgliedstaaten zumindest mittelbar und potenziell zu behindern und führte hierfür mehrere Gründe an:395 Einerseits sei problematisch, dass Versorger und bestimmte Verbraucher verpflichtet sind, sich eine bestimmte Menge von Zertifikaten, abhängig von der von ihnen gelieferten bzw. verbrauchten Strommenge, zu beschaffen, denn dieser Pflicht sei nur durch Erwerb dieser nationalen Zertifikate nachzukommen.396 Ein Erwerb von Zertifikaten aus anderen Mitgliedstaaten gelte nicht, was geeignet sei, Stromeinfuhren aus anderen Mitgliedstaaten zu behindern.397 Andererseits rügte der EuGH, dass die den inländischen Erzeugern offenstehende, äußerst praktikable Möglichkeit, Zertifikate zusammen mit dem von ihnen erzeugten Strom zu verkaufen, geeignet erscheint, diesen auf das Inland beschränkten Handel zu fördern.398 Dies bewirke eine zumindest potenzielle Behinderung von Stromeinfuhren aus anderen Mitgliedstaaten.399 Der Gerichtshof griff schließlich auf, dass der innergemeinschaftliche Handelsverkehr, ebenso wie durch eine Handlung, dadurch beeinträchtigt werden kann, dass ein Mitgliedstaat es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die namentlich durch Handlungen von Wirtschaftsteilnehmern geschaffen, aber durch eine besondere Regelung des Mitgliedstaats ermöglicht wurden.400 In einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt wären deutsche Wirtschaftsteilnehmer verpflichtet, ausschließlich deutschen Stromerzeugern gesicherte Leistung 393
Vgl. EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 24 ff. – Åland. Vgl. ferner oben unter Punkt B.II.1.g). 394 Dies weiterhin unter der Voraussetzung, dass ein dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt Stromerzeugungsanlagen aus dem EU-Ausland gegenüber nicht offensteht. 395 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 67 ff. – Åland. 396 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 68 f. – Åland. 397 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 70 – Åland. 398 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 71 – Åland. 399 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 73 – Åland. 400 EuGH, Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 74 – Åland mit Verweis u. a. auf Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959, Ziff. 31 – Kommission/Frankreich.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
(in Form von VSN) in Höhe ihres individuellen Bedarfs abzunehmen. Ein Bedarf besteht aufgrund der Verpflichtung, ausreichend gesicherte Leistung in Form von Zertifikaten zu erwerben, dabei in jedem Fall. Daher wäre die Einfuhr gesicherter Leistung vollständig unmöglich, denn ausländische Erzeuger dürften an dem deutschen Zertifikatehandel nicht teilnehmen. Parallel zum Fall Åland könnten inländische Verbraucher ihren Bedarf an nationalen Zertifikaten somit grundsätzlich nicht bei ausländischen Lieferanten decken. Würde also eine deutsche Regelung innerhalb eines dezentralen Kapazitätsmarktes derart ausgestaltet werden, läge auch hier eine zumindest potenzielle Behinderung von Stromeinfuhren aus anderen Mitgliedstaaten vor. Zudem wäre ein kombinierter Handel von Zertifikaten und damit verknüpfter, gesicherter Leistung auch in einem dezentralen Kapazitätsmarkt möglich.401 Damit läge – ebenfalls parallel zum Fall Åland – auch ein zweites Handelshemmnis vor. Eine Regelung nämlich, die im Inland einen solchen kombinierten Handel ermöglicht, würde ebendiesen inländischen Handel fördern. Wäre im Ausland ein solcher Handel mit VSN nicht möglich, so würde dies Einfuhren gesicherter Leistung zumindest potenziell behindern. Schließlich kann auch für einen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt festgehalten werden, dass der innergemeinschaftliche Handelsverkehr dadurch beeinträchtigt würde, dass Deutschland es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die zwar durch Handlungen von Wirtschaftsteilnehmern, in diesem Fall durch den VSN-Handel, geschaffen, aber durch eine besondere Regelung des Mitgliedstaats, nämlich die Einführung eines dezentralen Marktes mit Zertifikatehandel, ermöglicht würden. Aufgrund dieser Erwägungen läge in einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt also ein Eingriff in Form einer Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV vor, wenn es ausländischen Erzeugern nicht ermöglicht würde, an einem VSN-Handel in Deutschland teilzunehmen. 4. Dezentraler, umfassender, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt In einem dezentralen, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt würden aus dem Markt heraus Kontrahierungen über ein geschaffenes Produkt „Reservekapazität“ erzwungen. Ein VSN-Zertifikatehandel fände nicht statt. Ein solches Modell setzt jedoch voraus, dass im Markt entsprechende Produkte verfügbar sind. U. U. könnte dies mithilfe einer Verpflichtung sämtlicher Betreiber von inländischen Anlagen erneuerbarer Energien zur Direktvermarktung sichergestellt werden.402 401 Vgl. etwa das Modell des BDEW für einen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt, BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, S. 25. 402 Vgl. zu Einzelheiten zum dezentralen, umfassenden, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt oben unter Punkt A.II.2.
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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Ähnlich wie im Rahmen von § 2 Nr. 1 EEG (a. F.) würde dann eine Differenzierung zwischen deutschem und ausländischem Strom vorgenommen. In diesem Fall würden jedoch Produkte aus dem EU-Ausland diskriminiert werden, zumal in einem deutschen Kapazitätsmarkt ausländische Betreiber von einer Verpflichtung zur Direktvermarktung ausgeschlossen würden. Hier kann ein Vergleich zum PreussenElektra-Sachverhalt403 herangezogen werden: Eine Regelung, die eine Direktvermarktungspflicht inländischer gesicherter Leistung vorsieht, wäre mit den §§ 1, 2 des geänderten Stromeinspeisungsgesetzes, die eine Abnahmepflicht der Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur für Strom aus deutschen EE-Anlagen vorsahen, vergleichbar. Ausländische gesicherte Leistung würde die Direktvermarktung nicht betreffen. Eine deutschen Abnehmern auferlegte Verpflichtung, ihren Bedarf an gesicherter Leistung bei einem inländischen Lieferanten zu decken, würde die Einfuhr gesicherter Leistung insoweit beschränken, als sie sie daran hindert, einen Teil ihres Bedarfs bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Erzeugern zu decken. Parallel zum PreussenElektra-Sachverhalt würde in einem rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt eine Direktvermarktungspflicht eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV darstellen, die den innergemeinschaftlichen Handel zumindest potentiell behindern könnte. Damit läge in einem nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit ebenfalls vor. 5. Kapazitätsreserve Parallel zu einem zentralen Kapazitätsmarkt ist auch bei der Kapazitätsreserve ein Ausschreibungsverfahren vorgesehen, von welchem EU-ausländische Anbieter sicherer Leistung ausgeschlossen würden. Wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt würden bei der Kapazitätsreserve – nach den derzeitigen Entwürfen – konstituierende Präqualifikationskriterien für die teilnehmenden Erzeugungskapazitäten aufgestellt. Beispielsweise würde nach Alter oder Art der Erzeugungsanlage differenziert. Nicht alle Erzeugungsanlagen könnten folglich an jeder Ausschreibung teilnehmen.404 Aufgrund der Vergleichbarkeit zu fokussierten Kapazitätsmärkten ist für das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV ebenfalls zweierlei festzustellen: Einerseits liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung vor, weil sich die Ausschreibung im Rahmen einer Kapazitätsreserve ausschließlich an inländische Erzeugungsanlagen richten würde.405 Andererseits könnte die Beschrän403 EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 – PreussenElektra. Vgl. auch oben unter Punkt B.III.3. 404 Vgl. zu Einzelheiten zur Kapazitätsreserve oben unter Punkt A.III. 405 Vgl. BMWi, Begründung zur Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve, S. 32. Nach der Verordnungsbegründung ergibt sich die Beschränkung auf deutsche Anlagen zwangsläufig aus dem Einsatzkonzept, wonach zunächst alle Marktgeschäfte einschließlich des Imports von Strom aus
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
kung der Ausschreibung auf eine oder mehrere Kraftwerksarten für sich genommen eine weitere Maßnahme gleicher Wirkung und damit einen weiteren Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV bedeuten. Auch im Fall einer auf bestimmte Kraftwerksarten bezogenen Ausschreibung bei der Kapazitätsreserve läge – wie in einem fokussierten Kapazitätsmarkt – eine produktbezogene Vorschrift vor.406 Die Einschränkung auf ein bestimmtes „Erzeugnissortiment“, i. e. auf eine bestimmte Art der Stromerzeugung, hätte für sich genommen negative Auswirkungen auf ausländische Stromerzeugnisse. Dürfte die zentrale Instanz nur Strom aus bestimmten Arten von Erzeugungsanlagen auf deutschem Gebiet kontrahieren und wäre nicht ausreichend derartiger Strom verfügbar, so käme generell auch keine Kontrahierung EU-ausländischen Stroms in Betracht. Ein „Ausweichen“ auf EU-ausländische Leistung wäre versperrt. Daher ist eine solche Regelung als produktbezogene Vorschrift und somit als Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUV zu qualifizieren. Auch innerhalb einer Kapazitätsreserve ist daher von zwei Eingriffen in die Warenverkehrsfreiheit auszugehen: Einerseits läge mit der Einführung eines Ausschreibungsverfahrens zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine deutsche Maßnahme vor, die Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig behandelt. Andererseits würde die Beschränkung der Teilnahme auf bestimmte Kraftwerksarten eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift darstellen. Solche Vorschriften über Voraussetzungen, denen die Kraftwerke entsprechen müssen, sind als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit i. S. d. Art. 34 AEUV zu qualifizieren, obgleich diese Vorschriften unterschiedslos für alle Kraftwerke gelten. Dies folgt aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht wurden.407 6. Exkurs: Netzreserve nach NetzResV Das System der Netzreserve nach NetzResV sieht zwei Arten von Verfahren für den Vertragsabschluss zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Erzeugungsanlagen vor: Ausschreibungen für bestehende Anlagen sowie Ausschreibungen für neue Anlagen, vgl. § 5 Abs. 1 sowie § 8 Abs. 3 NetzResV.408 Da diese unterschiedlich geregelt sind, ist im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit zwischen ihnen zu differenzieren. Weil in den Ausschreibungsverfahren für bestehende Anlagen auch EU-ausländische Anlagen grundsätzlich zugelassen sind, bleibt letztlich zu prüfen, ob die Nachbarstaaten abgewartet und nur solche Leistungsbilanzungleichgewichte adressiert werden, die dann noch bestehen. 406 Vgl. auch oben unter Punkt B.III.2. 407 Vgl. für eine nähere Begründung oben unter Punkt B.III.2. 408 Vgl. für die Einzelheiten zum Ausschreibungsverfahren bei der Netzreserve nach NetzResV oben unter Punkt A.IV.4.b).
III. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit
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besonderen Voraussetzungen für EU-ausländische Anlagen in § 5 Abs. 3 NetzResV einen Eingriff darstellen. Die EU-ausländischen Anlagen haben nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzResVein Marktzugangsrecht i. S. d. Keck-Rechtsprechung.409 Allerdings könnten die Voraussetzungen aus § 5 Abs. 3 NetzResV, die solche Anlagen zu erfüllen haben, wiederum ein Marktzutrittshindernis darstellen. Art. 34 AEUV beinhaltet nach der Keck-Rechtsprechung ein Verbot von Marktzutrittshindernissen.410 Ob es sich bei den Vorgaben in § 5 Abs. 3 NetzResV um solche Marktzutrittshindernisse handelt, lässt sich grundsätzlich nur im Vergleich zur Marktzutrittssituation inländischer Produkte begründen.411 Insbesondere muss hier untersucht werden, ob die in § 5 Abs. 3 Nr. 1 – 4 NetzResV genannten Voraussetzungen nicht auch für deutsche Erzeugungsanlagen, die Teil der Netzreserve werden wollen, gelten. Rechtlich gilt § 5 Abs. 3 NetzResV zwar nicht für deutsche Anlagen. Die Voraussetzungen, die deutsche Anlagen zu erfüllen haben, finden sich in § 5 Abs. 2 NetzResV. Allerdings ist dennoch inhaltlich zu prüfen, ob die Vorgaben des Abs. 3 EU-ausländische Anlagen besonders diskriminieren.412 Dass eine in Betracht kommende EU-ausländische Anlage geeignet sein muss, zur Lösung der konkreten Systemsicherheitsprobleme in Deutschland beizutragen (Nr. 1), die jeweils nach nationalem Recht des betroffenen Staates zuständigen Behörden keine Einwände im Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit erheben dürfen (Nr. 2), die Bindung für den erforderlichen Zeitraum gesichert sein muss (Nr. 3) und die betreffende Anlage bei gleicher technischer Eignung mindestens genauso preisgünstig wie die Nutzung von Erzeugungsanlagen in Deutschland zu sein hat (Nr. 4), stellt jeweils keine besondere Diskriminierung dar. Es handelt sich hierbei vielmehr um klarstellende Normen, die hervorheben, dass die EU-ausländischen Anlagen dieselben Voraussetzungen erfüllen müssen wie entsprechende deutsche Anlagen. Insbesondere kann die in Nr. 3 erwähnte Bindung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 NetzResV bis zu 24 Monate, in begründeten Fällen auch länger betragen. Dass diese Bindung insbesondere bei EU-ausländischen Anlagen gesichert sein muss, hebt nun § 5 Abs. 3 Nr. 3 NetzResV hervor. Auch § 5 Abs. 3 Nr. 2 NetzResV, wonach die zuständigen Behörden des ausländischen Staates keine Einwände im Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit erheben dürfen, meint lediglich, dass der ausländische Staat sein Einverständnis mit der Nutzung der Anlage im Rahmen des deutschen Strommarktes erteilen muss. Dies stellt jedoch keine Diskriminierung EU-ausländischer Anlagen dar. Es kann letztlich 409
Für Einzelheiten zum Marktzugangsrecht vgl. unter Punkt B.III. sowie EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91, Slg. 1993, I-6097, Ziff. 17 – Keck. 410 EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91, Slg. 1993, I-6097, Ziff. 17 – Keck. 411 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 887. 412 Somit gleicht die Prüfung letztlich einer Prüfung gemäß der jüngeren ANETT-Rechtsprechung, wonach eine Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUV u. a. vorliegt bei Maßnahmen eines Mitgliedstaates, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln (Grundsatz der Nichtdiskriminierung), vgl. EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508, Ziff. 37 ff. – ANETT.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
nicht erwartet werden, dass EU-ausländische Anlagen der deutschen Versorgungssicherheit zugutekommen sollen, wenn die Lage der Versorgungssicherheit im ausländischen Staat angespannt ist.413 Diese Klarstellung kann daher genauso wenig als diskriminierende Vorschrift bezeichnet werden. Daher ergibt ein Vergleich der Marktzutrittssituation inländischer Anlagen und der Marktzutrittssituation EUausländischer Anlagen, dass kein Marktzutrittshindernis für bestehende EU-ausländische Anlagen besteht. Somit stellt § 5 Abs. 3 NetzResV keine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV und damit keinen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit dar. Voraussetzung für einen Bedarf nach einer Beschaffung neu zu errichtender Anlagen gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 NetzResV für die Netzreserve ist, dass der erforderliche Netzreservebedarf künftig nicht mehr mit bestehenden Anlagen im Inland und im europäischen Ausland nach § 5 Abs. 1 Satz 2 gedeckt werden kann, § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NetzResV. Für neue Anlagen soll ferner ein transparentes, diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren nach den Regelungen des Beschaffungsverfahrens nach § 13e Abs. 2 EnWG und der Rechtsverordnung nach § 13h EnWG (Kapazitätsreserveverordnung) durchgeführt werden. Auch hier ist zu untersuchen, ob die Vorgaben des § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 NetzResV eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV darstellen. Dazu müssten sie geeignet sein, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.414 § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NetzResV erlaubt die Neuerrichtung von Anlagen für die Netzreserve nur für den Fall, dass der erforderliche Netzreservebedarf künftig nicht mehr mit bestehenden Anlagen im Inland und im europäischen Ausland gedeckt werden kann. Da also auch Anlagen aus dem EU-Raum in die Bedarfsprüfung einzubeziehen sind, liegt hier keine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels vor. Auch die Vorgaben zum Ausschreibungsverfahren in § 8 Abs. 3 NetzResV enthalten keine Diskriminierung von Anlagen aus dem europäischen Ausland: Der in Bezug genommene § 13e Abs. 2 EnWG schreibt ein wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren oder ein diesem hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertiges wettbewerbliches Verfahren (Beschaffungsverfahren) vor. § 11 Abs. 1 der Kapazitätsreserveverordnung über die Bekanntmachung der Beschaffung sieht eine Bekanntmachung u. a. im Amtsblatt der Europäischen Union vor. Auch hier ist also eine Berücksichtigung von Anlagen aus dem EU-Ausland vorgesehen, so dass eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels nicht ersichtlich ist. 413 Vgl. i. E. auch Bundesregierung, Verordnungsbegründung zur ResKV, S. 19: „Die Differenzierung der Voraussetzungen für den Abschluss von Verträgen mit inländischen und ausländischen Betreibern in den Absätzen 2 und 3 ist erforderlich, um die Möglichkeiten der Nutzung von eventuell für die Systemsicherheit erforderlichen Kapazitäten im Ausland zu erhalten.“. 414 EuGH, Rs. C-8/74, Slg. 1974, 837, Ziff. 5 – Dassonville; insbesondere bestätigt durch Rs. C-110/05, Slg. 2009, I-519, Ziff. 33 – Kommission/Italien.
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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Es bleibt also festzuhalten, dass weder § 4 Abs. 1 NetzResV noch § 8 Abs. 1, Abs. 3 NetzResVeine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV darstellen. Die Netzreserve nach NetzResV verletzt damit nicht die Warenverkehrsfreiheit nach AEUV. 7. Zusammenfassung Zusammenfassend ist für die einzelnen Kapazitätsmarktmodelle festzuhalten: Eine Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUV liegt in einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt vor, wenn dieser derart ausgestaltet sein sollte, dass an dem entsprechenden öffentlichen Ausschreibungsverfahren ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen teilnehmen dürfen. In einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt liegen gar zwei Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV vor, wenn eine Teilnahme am Ausschreibungsverfahren jeweils nur bestimmten, deutschen Erzeugungsanlagen offenstände: Einerseits läge mit der Einführung eines Ausschreibungsverfahrens zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine Maßnahme vor, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln. Andererseits würde die Beschränkung der Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren auf bestimmte Kraftwerksarten jeweils für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift darstellen. Für einen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ist festzustellen, dass ein Eingriff in Form einer Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV vorläge, wenn es ausländischen Erzeugern nicht ermöglicht würde, an einem VSN-Zertifikatehandel in Deutschland teilzunehmen. Das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung muss auch für einen dezentralen, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt bejaht werden: Eine hierin verwirklichte Direktvermarktungspflicht könnte den innergemeinschaftlichen Handel zumindest potentiell behindern. Bei der Kapazitätsreserve lägen – ähnlich wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt – zwei Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV vor: Einerseits würde ein Ausschreibungsverfahren zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine deutsche Maßnahme darstellen, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln. Andererseits wäre die Beschränkung der Teilnahme auf bestimmte Kraftwerksarten für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift. Einzig innerhalb der bereits eingeführten Netzreserve in Form der NetzResV liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung nicht vor.
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit bei Kapazitätsmärkten und der Kapazitätsreserve Die Eingriffe in die Freiheit des Warenverkehrs bei zentralen und dezentralen Kapazitätsmärkten sowie bei der Kapazitätsreserve könnten jedoch gerechtfertigt sein. In diesem Fall lägen i. E. keine Verstöße gegen die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. AEUV vor.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Zu untersuchen bleibt daher, ob die mitgliedstaatlichen Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV nach Art. 36 Satz 1 AEUV, nach den richterrechtlich entwickelten Cassis-Grundsätzen415 oder nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt sind. Es sind dabei das Ziel des jeweiligen Modells und die Besonderheiten des Stromsektors zu beachten. 1. Öffentliche Sicherheit, Art. 36 Satz 1 AEUV Gemäß Art. 36 Satz 1 AEUV können u. a. Belange der öffentlichen Sicherheit einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen. In mehreren europarechtlichen Bestimmungen finden sich Hinweise darauf, dass die Sicherheit der Energieversorgung ein Kernelement der öffentlichen Sicherheit i. S. d. Art. 36 AEUV ist.416 Bei einer Rechtfertigung nach Art. 36 Satz 1 AEUV ist zunächst unbeachtlich, ob die jeweilige mitgliedstaatliche Regelung unterschiedslos für in- und ausländische Produkte gilt oder nur ausländische Waren erfasst.417 In einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt beispielsweise basiert einer der festgestellten zwei Eingriffe auf einer produktbezogenen Regelung, die nur bestimmte Arten von Stromerzeugungsanlagen zulässt.418 Es handelt sich dabei also um eine Regelung, die unterschiedslos für in- sowie für ausländische Produkte gilt. Eine Vorschrift in einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt hingegen, die ausländische Erzeugungsanlagen nicht in die Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren einbezieht, gälte nur für ausländische Anlagen. Auch eine solche könnte damit grundsätzlich nach Art. 36 Satz 1 gerechtfertigt sein. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit kommt grundsätzlich in Betracht, wenn es um die für die Existenz eines Staates wesentlichen Fragen der inneren oder äußeren Sicherheit geht.419 Dazu gehört u. a. das Funktionieren der Wirtschaft eines Staates, das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben seiner Bevölkerung.420 Es ist jedoch anzumerken, dass Art. 36 Satz 1 AEUV nur Tatbestände nichtwirtschaftlicher Art erfasst, welche die Verwirklichung der in Art. 34 AEUV aufgestellten Grundsätze nicht in Frage stellen.421 Dies meint, 415
EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649, Ziff. 8, 14 – Cassis de Dijon. Vgl. nur Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff., Erwägungsgrund Nr. 25. 417 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 891. 418 Vgl. zu den Einzelheiten oben unter Punkt B.III.2. Ähnliches gilt auch für die Kapazitätsreserve, vgl. oben unter Punkt B.III.5. 419 EuGH, Rs. C-273/97, Slg. 1999, I-7403, Ziff. 17 – Sirdar. 420 EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 34 – Campus Oil. 421 EuGH, Rs. 7/61, Slg. 1961, 635, 720 – Kommission/Italien; Rs. C-324/93, Slg. 1995, I-563, Rn. 36 – Evans Medical. 416
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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dass eine Maßnahme, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr beschränkt, nicht mit dem Bestreben eines Mitgliedstaats gerechtfertigt werden kann, das Überleben eines einzelnen Unternehmens zu sichern.422 Hierum geht es in einem Kapazitätsmechanismus jedoch auch gar nicht: Ein Kapazitätsmechanismus privilegiert nicht einzelne Unternehmen, sondern die Gesamtwirtschaft eines Staates. Indem der Mechanismus die Elektrizitätsversorgung sichert, ist eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren der gesamten Volkswirtschaft gewährleistet. Auch der Europäische Gerichtshof erlaubt den Mitgliedstaaten seit der Entscheidung Campus Oil, auf Basis von Art. 30 EWG-Vertrag (nun: Art. 36 AEUV) angemessene zusätzliche Maßnahmen einzuführen, auch wenn diese wirtschaftspolitische Elemente enthielten, die normalerweise nicht mit der Vorschrift vereinbar wären.423 Dass eine die öffentliche Sicherheit stützende Maßnahme auch wirtschaftliche Ziele verfolgt, ist somit unschädlich. Lediglich eine Maßnahme, die ausschließlich wirtschaftliche Ziele verfolgt, kann nicht gemäß Art. 36 Satz 1 AEUV gerechtfertigt sein. Die öffentliche Sicherheit in Form einer sicheren Energieversorgung würde durch einen Kapazitätsmechanismus grundsätzlich gefördert. Dass mit dessen Einführung auch wirtschaftspolitisch Einfluss genommen würde, ist zweitrangig, da die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Vordergrund stünde. Ein solches Verständnis von Art. 36 Satz 1 AEUV würde auch nicht die Bedeutung des Art. 34 AEUV konterkarieren: Eine Maßnahme, die die gesamtdeutsche Volkswirtschaft zu stützen vermag, stellt nicht die in Art. 34 AEUV aufgestellten Grundsätze in Frage, zumal durch einen Kapazitätsmechanismus gerade kein Einzelunternehmen privilegiert wird.424 Anders formuliert: Ein innergemeinschaftliches Handelshemmnis ist grundsätzlich hinzunehmen, wenn dies für die Sicherheit der gesamten Energieversorgung in Deutschland zwingend notwendig ist. Diese Feststellung hält auch einem Vergleich mit der bekannten Campus Oil-Entscheidung stand: Im Jahr 1984 entschied der EuGH, dass die mitgliedstaatliche Sicherstellung einer ständigen Mindestversorgung mit Erdölerzeugnissen als Maßnahme zum Zwecke der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sein kann.425 Der Gerichtshof wandte in dieser Entscheidung zum ersten Mal den Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit i. S. d. heutigen Art. 36 Satz 1 AEUV auf den Energiesektor an.426 Er stellte heraus, dass aufgrund der erheblichen Konsequenzen, die eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdölerzeugnissen für die Existenz eines Landes hat, das Ziel, eine Minimalversorgung mit solchen Erzeugnissen jederzeit zu gewähr422
EuGH, Rs. C-324/93, Slg. 1995, I-563, Rn. 36 – Evans Medical. EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 36 – Campus Oil. 424 Anders beispielsweise in EuGH, Rs. C-203/96, Slg. 1998, I-4075, Ziff. 44 – Dusseldorp u. a. Hier stellte der Gerichtshof fest, dass rein wirtschaftliche Ziele eine Beschränkung des freiheitlichen Warenverkehrs nicht rechtfertigen können. Es ging im Sachverhalt um ein niederländisches Unternehmen, dessen Rentabilität nach Ansicht der nationalen Regierung durch eine mitgliedstaatliche Maßnahme sichergestellt werden sollte. 425 EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 31 ff. – Campus Oil. 426 Roggenkamp/Rønne/Redgwell/del Guayo, Rn. 5.31. 423
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leisten, dem Anwendungsbereich der öffentlichen Sicherheit unterfällt.427 Kurz gesagt, Maßnahmen, die eine sichere Energieversorgung gewährleisten, können aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sein. In einem Kapazitätsmechanismus geht es um nichts anderes als um die Gewährleistung der stetigen Versorgung mit einem Erzeugnis des Energiesektors, hier mit elektrischem Strom. Gerade für die Versorgung mit Strom gilt – vielleicht mehr noch als für die Versorgung mit Erdöl –, dass deren ständige Verfügbarkeit in einem modernen Staat unabdingbar ist. Eine funktionierende Wirtschaft ist ohne konstante, sichere Stromversorgung nicht denkbar. Dass ohne sichere Elektrizität schwerwiegende Folgen für Volkswirtschaft, aber auch für Gesellschaft (Gesundheitsversorgung, innere Sicherheit, Verkehr u. a.) zu erwarten wären, liegt auf der Hand. Zwar ist der Sachverhalt der Campus Oil-Entscheidung, in dem die Industrie verpflichtet war, einen gewissen Anteil von Erdölerzeugnissen bei der einzigen irischen Erdölraffinerie zu beziehen, nicht direkt mit dem Szenario eines Kapazitätsmechanismus vergleichbar. Die Feststellung des Gerichtshofs, dass die ständige Verfügbarkeit gewisser Energieträger in jedem Mitgliedstaat einzeln gewährleistet sein muss, kann aber auf Kapazitätsmechanismen übertragen werden.428 Im Fall Campus Oil stellte der EuGH ferner heraus, dass auf Unionsebene zwar Maßnahmen für eine gesicherte Erdölversorgung existierten. Diese aber seien keinesfalls ausreichend, um dem Mitgliedstaat Irland eine unbedingte Absicherung für jedweden Fall der Unterversorgung zu geben.429 Für den Bereich Kapazitätsmechanismen ist im Rahmen dieser Arbeit bereits festgestellt worden, dass eine abschließende Harmonisierung auf europäischer Ebene bisher nicht erfolgt ist.430 Schließlich muss die Maßnahme gleicher Wirkung verhältnismäßig sein, d. h. sie muss geeignet und erforderlich sein.431 Sie muss ferner in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.432 An Maßnahmen, die grundsätzlich nach Art. 36 Satz 1 AEUV gerechtfertigt werden können, sind erhöhte Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu stellen, insbesondere in Bezug auf die Erforderlichkeit einer Schlechterstellung ausländischer Erzeugnisse gegenüber inländischen Waren.433 Letzteres gilt damit vorliegend für Kapazitätsmechanismen mit Aus-
427
Vgl. EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 34 – Campus Oil. A. A. Gerig, S. 183 f., sowie Ludwigs, RdE 2015, 325, 335, für die der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit nach Art. 36 Abs. 1 AEUV nicht anwendbar ist, da dieser nur auf Regelungen anwendbar sei, die ein lebenswichtiges Minimum an Versorgungssicherheit garantieren sollen, wovon im Falle von Kapazitätsmechanismen in Deutschland nicht die Rede sein könne. 429 EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 31 – Campus Oil. 430 Vgl. oben unter Punkt B.II.2.d). 431 Vgl. dazu insb. EuGH, Rs. C-54/05, Slg. 2007, I-2473, Rn. 38 ff. – Kommission/Finnland. 432 EuGH, Rs. C-174/82, Slg. 1983, 2445, Ziff. 18 – Sandoz. 433 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 900. 428
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schreibungsverfahren, an denen nur inländische Anlagen teilnehmen können, wie bei zentralen Kapazitätsmärkten oder der Kapazitätsreserve. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist zunächst das legitime Ziel von Kapazitätsmechanismen herauszuarbeiten. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist legitimes Ziel von Eingriffen insbesondere der Schutz der in den grundfreiheitlichen Rechtfertigungsgründen, den ungeschriebenen „zwingenden Erfordernissen“ und den Grundrechten enthaltenen Güter.434 Ziel von zentralen sowie dezentralen Kapazitätsmärkten sowie der Kapazitätsreserve ist die leistungsbilanzielle Versorgungssicherheit, nicht die Aufrechterhaltung der notwendigen Netzspannung. Anders als die Netzreserve, die keinen Eingriff in die Grundfreiheiten nach sich zieht, haben o. g. Modelle die Gewährleistung mengenmäßig stetig ausreichender Elektrizitätsversorgung zum Ziel. Die Netzreserve hingegen ist zur Gewährleistung ausreichender Spannung im Netzbetrieb eingeführt worden.435 Die leistungsbilanzielle Versorgungssicherheit ist aufgrund des erhöhten Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung möglicherweise gefährdet. Hinzu kommt der Wegfall von sicher zur Verfügung stehender Kapazität durch die Abschaltung von Kernkraftwerken, der nur schleppend vorangehende Netzausbau, die fehlende Rentabilität des Betriebs von konventionellen Kraftwerken sowie mögliche Stilllegungen sog. „systemrelevanter Kraftwerke“ bzw. deren unzureichende Gasversorgung.436 Daher lässt sich das unmittelbare Ziel von Kapazitätsmechanismen auf die Sicherheit der Elektrizitätsversorgung in Deutschland eingrenzen, denn ein solcher Mechanismus soll Schwankungen in der Menge der zur Verfügung stehenden Elektrizität ausgleichen. Mittelbar ist zwar auch der Umweltschutz ein Ziel von Kapazitätsmechanismen, da Kapazitätsmechanismen die mit dem Umsteigen auf erneuerbare Energien verbundene, weniger zuverlässige Stromversorgung ausgleichen sollen. Dies ist aber ausdrücklich als mittelbares Ziel zu verstehen und nicht wie etwa in den Entscheidungen Åland oder PreussenElektra als Hauptziel der nationalen Maßnahme zu bezeichnen. Zu fragen ist sodann, ob das die Beeinträchtigung motivierende Schutzgut, hier die öffentliche Sicherheit in Form einer sicheren Stromversorgung, im konkreten Fall ein solches Gewicht besitzt, dass es die Verkürzung der Warenverkehrsfreiheit zu legitimieren vermag.437 Die Maßnahme muss jeweils geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist.438 Das Gebot der Geeignetheit verlangt dabei im Einzelnen, dass die die Grundfreiheit beeinträchtigende Maßnahme ein brauchbares Mittel zur Errei-
434 Heermann, Rn. 87 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 90; Schroeder, in: Streinz, Art. 36 AEUV Rn. 52. 435 Vgl. zu diesem Abschnitt oben unter Punkt A.IV.1. 436 Vgl. hierzu oben unter Einleitung. 437 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 36 AEUV Rn. 193. 438 EuGH, Rs. C-110/05, Slg. 2009, I-519, Ziff. 59 – Kommission/Italien.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
chung des angestrebten Ziels ist.439 Dabei reicht es aus, dass das angestrebte Ziel grundsätzlich gefördert wird.440 Kapazitätsmärkte und auch die Kapazitätsreserve – wie sie in ihrer Form in Deutschland diskutiert werden – müssen zunächst geeignet sein, das legitime Ziel der öffentlichen Sicherheit in Form einer sicheren Stromversorgung zu erreichen. Das Konzept von Kapazitätsmechanismen ist gerade für die Sicherstellung ausreichender Energieverfügbarkeit entwickelt worden. Ein solcher Mechanismus soll durch die Kontrahierung gesicherter Leistung eine stetige Versorgung gewährleisten und würde daher das Ziel Stromversorgungssicherheit zumindest fördern. Zu diesem Ergebnis kommen zahlreiche wissenschaftlich fundierte Studien verschiedener Institute und Akteure aus der Energiewirtschaft.441 Ähnlich wie im Fall Campus Oil für die Erdölversorgung kann für die Elektrizitätsversorgung argumentiert werden, dass im Falle einer Krise – gleich aus welchen Gründen – die Einrichtung von Kapazitätsmechanismen mit seinen langfristigen Kontrahierungen von gesicherter Leistung eine höhere Garantie für eine sichere Stromversorgung bietet.442 Die Gefahr nicht ausreichender Elektrizitätsversorgung für einen Staat, der über einen solchen Mechanismus verfügt, ist also geringer als die, die für einen Staat besteht, der keinen solchen Kapazitätsmechanismus einführt, sondern der seinen Bedarf auf dem ausländischen Markt decken muss.443 Zudem reicht auch eine Teileignung für die Geeignetheit aus, so dass selbst „protektionistische Maßnahmen“, die nur ausländische Produkte treffen, geeignet sein können, wenn sie wenigstens insoweit einen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten.444 Ein Kapazitätsmechanismus trüge daher zur öffentlichen Sicherheit i. S. d. Art. 36 Satz 1 AEUV bei und wäre folglich geeignet zur Erreichung eines legitimen Ziels. Ferner ist der Grundsatz der Erforderlichkeit zu beachten. Dieser setzt voraus, dass der angestrebte Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den Handel innerhalb der Union weniger beschränken als die festgestellten Maßnahmen gleicher Wirkung.445 Es darf also kein milderes Mittel geben, das den angestrebten Erfolg mit weniger starken Beeinträchtigungen genauso effektiv zu erreichen vermag.446 Es ist daher zu untersuchen, ob ein vergleichbares Niveau öffentlicher Sicherheit nicht auch ohne diskriminierende Maßnahmen erreicht werden könnte. Zu fragen ist, ob in zentralen Kapazitätsmärkten oder bei der Kapazitätsreserve das Ausschreibungsverfahren notwendigerweise nur inländischen Erzeugungsanlagen 439
Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 92. EuGH, Rs. C-152/78, Slg. 1980, 2299, Ziff. 15 ff. – Kommission/Frankreich. 441 Vgl. m. w. N. nur Frontier Economics/Consentec GmbH, Kapitel 2. 442 Vgl. EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 39 f. – Campus Oil. 443 Vgl. EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 39 – Campus Oil. 444 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 92; Kingreen, S. 169. 445 EuGH, Rs. 298/87, Slg. 1988, 4489, Ziff. 15 – Smanor; Rs. C-106/91, Slg. 1992, I-3351, Ziff. 31 – Ramrath; Rs. C-67/97, Slg. 1998, I-8033, Ziff. 35 – Bluhme. 446 EuGH, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227, Ziff. 28 – Kommission/Deutschland. 440
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offenstehen muss bzw. ob es in fokussierten Märkten oder bei der Kapazitätsreserve notwendig ist, zwischen verschiedenen Kraftwerksarten zu differenzieren. Für einen dezentralen Kapazitätsmarkt ist zu prüfen, ob ein vergleichbares Niveau sicherer Stromversorgung nicht auch erreicht werden könnte, wenn man ausländischen Erzeugern die Teilnahme am deutschen VSN-Zertifikatehandel ermöglicht bzw. wenn man von einer Direktvermarktungspflicht für sämtliche deutsche EEG-Anlagen absieht. Unabhängig von der konkreten Art der Diskriminierung haben alle diese Maßnahmen gemein, dass ohne sie ein höherer Zufluss sicherer Leistung aus dem europäischen Ausland die Folge wäre. Würde man ausländische Leistung nicht weiter diskriminieren, stünde ausländischen Erzeugungsanlagen der Zugang zum deutschen Kapazitätsmechanismus offen bzw. offener als in einem diskriminierenden System. Dies hätte jedoch auch zur Folge, dass die notwendigerweise zu durchlaufenden Grenzkuppelstellen an den deutschen Außengrenzen eine höhere Auslastung zu verzeichnen hätten. Die Kapazität der einzelnen Grenzkuppelstellen ist jedoch begrenzt.447 Teilweise wird sogar moniert, dass der Ausbau der Grenzkuppelstellen dem Ziel eines europäischen Strombinnenmarktes drastisch hinterherhinkt.448 Es ist daher gerade nicht der Fall, dass der derzeitige technische Ausbaufortschritt des grenzüberschreitenden Stromnetzes in der EU einen unbegrenzten Stromfluss zuließe.449 Ein solcher unbegrenzter Stromfluss aber wäre Voraussetzung dafür, dass eine weniger beschränkende Maßnahme als milderes Mittel den angestrebten Erfolg genauso effektiv erreicht. Nur wenn unbegrenzt Strom über die deutschen Außengrenzen fließen könnte, wäre gesichert, dass die im Ausland erzeugte sichere Leistung auch zeitnah in Deutschland ankommt. Sind aber – wie dies derzeit noch der Fall ist – die Grenzkuppelstellen sozusagen als „Nadelöhr“ zu bezeichnen, existiert keine vollständig barrierefreie Übertragungsmöglichkeit aus den angrenzenden Mitgliedstaaten. Erlaubt der technische Stand der Grenzkuppelkapazitäten jedoch keine unbegrenzte Übertragung, kann die Einbeziehung von im Ausland erzeugter, sicherer Leistung nicht als genauso effektiv bezeichnet werden.450 447
Vgl. Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2014, aufrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015, S. 102 ff. Dort heißt es u. a.: „Die mittlere verfügbare Übertragungskapazität über alle deutschen Grenzkuppelstellen hinweg ist von insgesamt 21.336 MW im Jahr 2012 um 2,79 Prozent auf 21.137 MW (Importund Exportkapazitäten) im Jahr 2013 gefallen.“ Die Entwicklung der Übertragungskapazität ist somit zuletzt sogar negativ. Auch Bantle kommt in et 07/2014, 29, 29 zu dem Ergebnis, dass die Grenzkuppelstellen weiter ausgebaut werden müssen; so auch schließlich Koenig/Kühling/ Rasbach, 3. Kapitel Rn. 79 f. 448 Vgl. Petersen, Nadelöhr im Strommarkt, energlobe.de vom 2. Juni 2010, aufrufbar unter: www.energlobe.de, zuletzt aufgerufen am: 24. November 2015. 449 So auch BMWi, Begründung zur Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve, S. 32, das ebenfalls auf die vollständige Auslastung der Grenzkuppelstellen hinweist, so dass nicht an das deutsche Netz angeschlossene Anlagen keine zusätzliche Einspeisung bereitstellen können. 450 So auch Helbig, ER 2015, 9, 13; a. A. Gerig, S. 203 f., sowie Ludwigs, RdE 2015, 325, 335 f.
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Aus diesem Grund stellt die Einbeziehung kein milderes Mittel dar, um eine gleich sichere Stromversorgung zu gewährleisten. Im Ergebnis sind daher die Maßnahmen gleicher Wirkung, und zwar alle beschränkenden Maßnahmen in den jeweiligen Modellen, auch erforderlich.451 Schließlich müssen die Maßnahmen gleicher Wirkung angemessen sein. Der Grundsatz der Angemessenheit fordert, dass die Beeinträchtigungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen.452 Vorzunehmen ist also eine Abwägung zwischen der Intensität der Beeinträchtigung des Handels innerhalb der Union und dem Schutzgewinn für das entgegenstehende Rechtsgut.453 Die selbstständige Bedeutung des Grundsatzes der Angemessenheit ist bislang gering, was auch damit zusammenhängt, dass seine Prüfung regelmäßig mit derjenigen der Erforderlichkeit zusammenfällt.454 Der Europäische Gerichtshof verbindet mit der Angemessenheitsprüfung – anders als das Bundesverfassungsgericht – keine zusätzliche Abwägung zwischen dem mit der staatlichen Maßnahme verfolgten Ziel und der Warenverkehrsfreiheit, die über die Erforderlichkeitsprüfung hinausgeht.455 Vielmehr führt er bereits im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung eine Güterabwägung durch: Er lässt dabei wertende Aspekte wie die abstrakte Gewichtigkeit des betroffenen Schutzguts, die Intensität der konkreten Bedrohung oder Besonderheiten des Falles einfließen.456 Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses wird untersucht, ob ein vom AEUV anerkanntes Gemeinwohlziel den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgeht.457 Für den vorliegenden Fall ist bereits festgestellt worden, dass das Ziel der Sicherheit der Energieversorgung nicht die Verwirklichung der in Art. 34 AEUV aufgestellten Grundsätze in Frage stellt. So kann für den Fall von Kapazitätsmechanismen – als Ergebnis der Erforderlichkeitsprüfung – festgehalten werden, dass ausländische Erzeugungsanlagen diskriminierende Vorschriften mit der Sicherheit der Energieversorgung ein im allgemeinen Interesse liegendes Ziel verfolgen, das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorginge. Aus diesem Grund sind die in Rede stehenden Maßnahmen gleicher Wirkung angemessen. Die in die Warenverkehrsfreiheit eingreifenden Maßnahmen gleicher Wirkung sind daher gemäß Art. 36 Satz 1 AEUV aufgrund von Belangen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt, da sie auch verhältnismäßig sind.
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Zu diesem Ergebnis kommt auch das BMWi in seiner Begründung zur Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve, S. 32. 452 EuGH, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227, Ziff. 28 – Kommission/Deutschland. 453 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 98. 454 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 98; Schroeder, in: Streinz, Art. 36 AEUV Rn. 56; Frenz, Bd. 1, Rn. 1245. 455 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-293/93, Slg. 1994, I-4249, Ziff. 25 f. – Houtwipper. 456 Schroeder, in: Streinz, Art. 36 AEUV Rn. 56, m. w. N. 457 EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649, Ziff. 14 – Cassis de Dijon.
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2. Cassis-Rechtsprechung Neben einer Rechtfertigung gemäß Art. 36 Satz 1 AEUV kommt eine Rechtfertigung der Maßnahmen gleicher Wirkung gemäß der ungeschriebenen, richterrechtlich entwickelten Cassis-Grundsätze in Betracht. Nach diesen sind Handelshemmnisse hinzunehmen, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden.458 Voraussetzung für eine Rechtfertigung nach den Cassis-Grundsätzen ist jedoch nach der seit Anfang der 1980er-Jahre gefestigten Judikatur, dass die staatliche Regelung der Maßnahme gleicher Wirkung unterschiedslos für in- und ausländische Waren gilt459, d. h. sie ausländische Waren gegenüber inländischen nicht diskriminiert, während diskriminierende Regelungen weiter auf einen geschriebenen Vorbehalt angewiesen bleiben.460 Dies kann im Fall Kapazitätsmechanismen nur für die Differenzierung nach Kraftwerksart wie innerhalb eines fokussierten Kapazitätsmarktes oder der Kapazitätsreserve bejaht werden. In allen weiteren Modellen wird ausländische sichere Leistung gegenüber inländischer materiell diskriminiert. Eine Differenzierung in den genannten Modellen gälte sowohl für inländische als auch für ausländische Waren, denn es handelte sich um eine produktbezogene Vorschrift.461 Lediglich die Maßnahmen gleicher Wirkung laut diesen Modellen wären somit überhaupt nur einer Rechtfertigung nach der Cassis-Rechtsprechung zugänglich. Darüber hinaus müssen die staatlichen Maßnahmen aber erforderlich sein, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls, die tatsächlich gefährdet sind, gerecht zu werden, wenn also ein milderes Mittel zur gleichwertigen Erreichung des legitimen Zwecks nicht verfügbar ist.462 Die offene Aufzählung der Cassis-Rechtfertigungsgründe (wirksame steuerliche Kontrolle, Schutz der öffentlichen Gesundheit, Lauterkeit des Handelsverkehrs, Jugendschutz, Verbraucherschutz) erweitert der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung fortwährend um aktuelle Schutzgesichtspunkte, soweit ihm die in Art. 36 AEUV ausdrücklich geregelten Gründe unzureichend erscheinen.463 In der Zwischenzeit zählte der Gerichtshof außerdem beispielsweise den Umweltschutz hinzu.464 Da zu den vom EuGH anerkannten zwingenden Erfordernissen unter anderem der Umweltschutz gehört, könnte an dieser Stelle diskutiert werden, ob sich hierunter auch die Sicherheit der Ener458
EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649, Ziff. 8, 14 – Cassis de Dijon. EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649, Ziff. 8 – Cassis de Dijon. 460 EuGH, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431, Ziff. 33 – Abfalltransport. Vgl. auch Gundel, EnWZ 2014, 99, 101. 461 Vgl. auch oben unter Punkt B.III.2. zum zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt sowie unter Punkt B.III.5. zur Kapazitätsreserve. 462 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 901. 463 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 903. 464 Vgl. u. a. EuGH, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431, Ziff. 22 ff. – Abfalltransport; Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 72 ff. – PreussenElektra; Rs. C-573/12, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 77 – Åland. 459
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
gieversorgung fassen ließe bzw. inwieweit hierzu bereits Rechtsprechungstendenzen absehbar sind.465 Immer geprüft werden muss an dieser Stelle jedoch, ob das die Beeinträchtigung motivierende Schutzgut im konkreten Fall ein solches Gewicht besitzt, dass es die Verkürzung der Warenverkehrsfreiheit zu legitimieren vermag.466 An dieser Stelle zeigt sich indes die Problematik einer möglichen Rechtfertigung der jeweiligen Kapazitätsmechanismen aus Umweltschutzgesichtspunkten: Zwar könnte argumentiert werden, dass Kapazitätsmechanismen indirekt (und damit mittelbar) die Stromversorgung aus erneuerbaren Energien unterstützen, indem sie die sich daraus ergebenden Versorgungslücken aufzufangen versuchen. Ferner sollen Kapazitätsmechanismen eingesetzt werden, um ein Leistungsdefizit aufgrund des Ausstiegs aus der Kernenergie auszugleichen. Damit könnte vertreten werden, dass Umweltschutzgesichtspunkte einen Grund für die Einführung solcher Mechanismen darstellen. Da aber das die Beeinträchtigung motivierende Schutzgut ein solches Gewicht besitzen muss, dass es eine Verkürzung der Warenverkehrsfreiheit zu legitimieren vermag, reicht es nicht aus, dass der Umweltschutz einen zusätzlichen Grund für die Einführung von Kapazitätsmechanismen darstellt. Wie bereits festgestellt, ist die Sicherheit der Stromversorgung der entscheidende Grund für die Einführung von Kapazitätsmechanismen.467 Als Nebenziel reicht der Umweltschutz als Grund nicht aus, zumal er in diesem Zusammenhang nicht die notwendige Relevanz besitzt, um die Verkürzung der Warenverkehrsfreiheit zu rechtfertigen.468 Weitere bisher vom EuGH anerkannte ungeschriebene Rechtfertigungsgründe kommen im Rahmen der Rechtfertigung von Kapazitätsmechanismen nicht in Betracht, so dass eine Rechtfertigung aufgrund der Cassis-Judikatur vorliegend nicht eingreifen kann. 3. Art. 106 Abs. 2 AEUV Neben einer Rechtfertigung gemäß Art. 36 Satz 1 AEUV kommt ferner eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV in Betracht. Art. 106 Abs. 2 AEUV enthält eine Schutzklausel zugunsten der Sicherstellung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse.469 Die Vorschrift nimmt öffentliche oder 465 U. a. Gundel, EnWZ 2014, 99, 101, weist darauf hin, dass bei europarechtlich orientierten Beobachtern angesichts des nicht wirklich begründeten Bruchs mit dem Tabu einer Erweiterung der Rechtfertigungsgründe teilweise Ratlosigkeit herrscht; anders aber z. B. Frenz, NuR 2002, 204, 213 f., der dies als einen zumindest faktischen Durchbruch für eine Anerkennung des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund für formal diskriminierende Regelungen begrüßt. Ludwigs, RdE 2015, 325, 335, lässt indes die Versorgungssicherheit als ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund im Rahmen der Cassis-Rechtsprechung zu. 466 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 36 AEUV Rn. 193. 467 So auch Ludwigs, RdE 2015, 325, 335; vgl. auch oben unter Punkt B.IV.1. 468 So auch Ludwigs, RdE 2015, 325, 335; a. A. Gerig, S. 201 ff. 469 Schneider, in: Schneider/Theobald, § 2 Rn. 17.
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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private Unternehmen, die etwa mit solchen Dienstleistungen betraut sind, vom Geltungsanspruch des europäischen Wettbewerbsrechts aus.470 Der Europäische Gerichtshof hat Art. 106 Abs. 2 AEUV explizit als Rechtfertigungsgrund im Bereich der Grundfreiheiten angewandt.471 Die Regelung ist für die Mitgliedstaaten damit die einzige Grundlage, um wirtschaftliche Gründe zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Grundfreiheiten alleinstehend geltend zu machen.472 a) Begriff des Unternehmens Als Durchbrechung wesentlicher Vertragsbestimmungen ist Art. 106 Abs. 2 AEUV grundsätzlich eng auszulegen.473 Dies betrifft zuvorderst den Begriff des „öffentlichen Unternehmens“.474 Art. 106 Abs. 2 AEUV ist somit zwar für sich genommen unternehmensbezogen, gilt aber über seinen Abs. 1 auch für das Handeln der Mitgliedstaaten hinsichtlich der mit einer öffentlichen Dienstleistung betrauten Unternehmen.475 Damit ist Art. 106 Abs. 2 AEUV auf den Bereich Kapazitätsmechanismen grundsätzlich anwendbar, denn hier ist es der Staat, der mit den Übertragungsnetzbetreibern mehrere private Unternehmen mit der Ausschreibung und Kontrahierung gesicherter Leistung beauftragt. Der Staat beauftragt also die Stromerzeuger mit der öffentlichen Dienstleistung der Stromversorgung.476 Deutschland würde mit der Einführung eines Kapazitätsmechanismus also auf eine öffentliche Dienstleistung bezogen handeln.
470
Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 3. St. Rspr. seit EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699, Ziff. 32 – Niederländisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949, Ziff. 59 – Corsica Ferries France; entgegen EuGH, Rs. C-72/83, Slg. 1984, 2727, Ziff. 19 – Campus Oil; vgl. auch GA Fennelly, Schlussanträge vom 6. Februar 1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. 1997, I-3395, Ziff. 40. 472 Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 62. 473 EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51, Ziff. 19, 22 – BRT/SABAM II; Stadler, in: Langen/ Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 35. 474 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 35. 475 Schneider, in: Schneider/Theobald, § 2 Rn. 26. 476 Vgl. auch Bauer, S. 38 f., der den Begriff der „Dienstleistung“ weit versteht. Er sei nicht gegenüber anderen Leistungen wie Warenlieferungen abzugrenzen, sondern umfasse alle marktbezogenen Tätigkeiten von Unternehmen. Bauer verweist dabei auf den französischen Begriff des „service public“. Dieser sei – anders als nach deutschem Sprachverständnis – nicht als Beschränkung auf den Dienstleistungssektor, sondern aus Perspektive des Bürgers zu verstehen, dem mit der Bereitstellung der Gemeinwohlleistung gewissermaßen ein Dienst erwiesen wird. 471
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
b) Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Für eine Rechtfertigung gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV muss eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse vorliegen. Gemeint sind damit alle wirtschaftlichen Aktivitäten zur Sicherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge.477 Die Kommission definiert Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse als marktbezogene Tätigkeiten, „die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden“.478 An einem allgemeinen Charakter fehlt es, wenn die Dienstleistung Privat- oder Partikularinteressen dient.479 Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sollen auch Tätigkeiten im Interesse der öffentlichen Sicherheit einbezogen sein.480 Dies ist aber aufgrund des Wortlauts des Art. 106 Abs. 2 AEUV abzulehnen.481 Art. 36 Satz 1 AEUV zählt die öffentliche Sicherheit ausdrücklich auf, während Art. 106 Abs. 2 AEUV sie nicht enthält. Es liegt damit – zumindest auf Ebene des Art. 106 Abs. 2 AEUV als Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit – nicht nahe, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf die öffentliche Sicherheit auszudehnen. Auch ohne auf den Begriff der Tätigkeit im Interesse der öffentlichen Sicherheit abzustellen, kann ein Kapazitätsmechanismus jedoch als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse bezeichnet werden: Zu diesen Aktivitäten zählen neben klassischen Dienstleistungen auch Lieferungen von Waren und sonstigen Sachleistungen, insbesondere von Strom im Rahmen der öffentlichen Stromversorgung.482 Bisher haben EuGH und Kommission die Voraussetzungen von Art. 106 Abs. 2 AEUV für die Elektrizitätsversorgung zwar nur in engen Grenzen bejaht, es ist für diesen Bereich jedoch eine Tendenz hin zu großzügigerer Anwendung zu erkennen.483 Zuletzt hat zudem das Gericht Erster Instanz (EuG) in der Entscheidung Castelnou Energía bestätigt, dass eine Beihilfe für spanische Kohlekraftwerke, welche die Stromversorgung absichern soll, mit den Unionsvorschriften über
477
Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 36. Mitteilung der Kommission vom 20. September 2000: Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580, Ziff. 14. 479 EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51, Ziff. 23 – BRT/SABAM II. 480 EuGH, Rs. C-266/96, Slg. 1998, I-3949, Ziff. 45, 60 – Corsica Ferries France. 481 So i. E. auch Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV in Fn. 148, („zweifelhaft“). 482 EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477, Ziff. 48 – Almelo; Rs. C-158/94, Slg. 1997, I-5789, Ziff. 41, 42 – Italienisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815, Ziff. 57, 58 – Französisches Stromhandelsmonopol; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rnrn. 47, 52 m. w. N.; Theobald/Zenke, S. 44. 483 EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477, Ziff. 46 ff. – Almelo; Entscheidung der Kommission vom 16. Januar 1991 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (Ijsselcentrale), ABl. 1991 Nr. L 28/32, Rn. 0; Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 35. 478
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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staatliche Beihilfen in Einklang steht.484 Die Kommission kam zuvor hinsichtlich einer von der spanischen Regierung erlassenen Maßnahme zu dem Ergebnis, dass es sich um eine staatliche Beihilfe handelt. Sie hielt diese Beihilfe jedoch für vereinbar mit den beihilferechtlichen Vorgaben: Die den Eigentümern der begünstigten Kraftwerke auferlegten Verpflichtungen entsprächen einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Das allgemeine wirtschaftliche Interesse bestehe hier in der Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung.485 Vorliegend kann die Sicherheit der Stromversorgung damit auch im Bereich Kapazitätsmechanismen zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gezählt werden.486 Die Aufgabe der Stromversorgung hat universalen und obligatorischen Charakter und es handelt sich dabei weder um ein Privat- noch um ein Partikularinteresse. Vielmehr steht die Sicherheit der Stromversorgung im öffentlichen Interesse und zwar im Interesse der Gesamtbevölkerung sowie der Gesamtwirtschaft, da sie unabdingbare Voraussetzung für deren Funktionieren ist. c) Betrauungsakt Voraussetzung für eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV ist ferner ein Betrauungsakt.487 Dies bedeutet, dass der Mitgliedstaat dem Unternehmen die im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse stehende Aufgabe kraft eines Hoheitsakts der öffentlichen Gewalt übertragen muss. Dies können ein oder mehrere Rechtsetzungsoder Verwaltungsakte sein.488 Als Sinn und Zweck der Norm steht hinter dem Merkmal der Betrauung in Art. 106 Abs. 2 AEUV die Indienstnahme eines Unternehmens für ein staatliches Lenkungsziel, also die Indienstnahme zur Verwirklichung eines allgemeinen wirtschaftlichen Interesses.489 „Indienstnahme“ meint, dass
484 EuG, Rs. T-57/11, noch nicht veröffentlicht in amtlicher Sammlung, Ziff. 126 ff. – Castelnou Energía/Kommission. 485 Das Gericht Erster Instanz verweist in seiner Begründung zudem auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, ABl. L 176 vom 15. Juli 2003, S. 37 ff. Danach können Mitgliedstaaten den Elektrizita¨ tsunternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegende Verpflichtungen auferlegen, die sich auf Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, beziehen ko¨ nnen. 486 So i. E. auch Feist, RdE 1995, 186, 189, für die Lieferung von Gas. 487 St. Rspr.: EuGH, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51, Ziff. 19, 22 – BRT/SABAM II; Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021, Ziff. 7 – Züchner/Bayerische Vereinsbank; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815, Ziff. 65 – Französisches Stromhandelsmonopol; Hochbaum/Klotz, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Art. 106 AEUV Rn. 71 ff. A. A. Teile der Literatur; vgl. Burgi, EuR 1998, 261, 275 f., m. w. N., der die an die Form der Betrauung in formeller Hinsicht zu stellenden Anforderungen „teilweise müßig“ findet, soweit es um öffentliche Unternehmen geht. 488 EuGH, Rs. 10/71, Slg. 1971, 723, Ziff. 8/12 – Hafen von Mertert; EuG, Rs. T-289/03, Slg. 2008, II-81, Ziff. 172, 181, 182, 188 – BUPA; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 54; Deringer, Bd. 2, Art. 90 Rn. 78. 489 Scholz/Langer, S. 159 ff.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
sich das Unternehmen aufgrund staatlicher, rechtsförmiger Vorgaben nicht frei, d. h. nicht wettbewerblich bzw. marktmäßig, verhalten kann.490 In einem Kapazitätsmechanismus würde der deutsche Gesetzgeber per Gesetzgebungsakt der zentralen Instanz sowie den Energieversorgungsunternehmen die Durchführung des Kapazitätsmodells bzw. die Versorgung mit gesicherter Leistung übertragen. Ein solches formelles Gesetz durchliefe den regulären Gesetzgebungsprozess.491 Auf diese Weise würde in Deutschland ein Kapazitätsmechanismus eingeführt, dessen konkrete Ausgestaltung gesetzlich festgelegt würde. Letztlich würden sich die kontrahierten oder auf sonstige Art und Weise an der Bereitstellung gesicherter Leistung beteiligten Energieversorgungsunternehmen verpflichten, die gesicherte Leistung jederzeit bereitzuhalten. Ihnen wäre daher untersagt, sich mit dieser Leistung wettbewerblich bzw. marktmäßig zu verhalten, denn aufgrund der Teilnahme an dem jeweiligen Mechanismus wären sie bereits gebunden, d. h. „in Dienst genommen“ i. S. obiger Definition. Ein solches Gesetz würde zudem die Parameter für die Berechnung von Ausgleichszahlungen regeln, wie es die Rechtsprechung des EuGH fordert.492 Auch muss rechtsverbindlich ausgeschlossen sein, dass höhere Ausgleichsleistungen gewährt werden, als tatsächlich aufgrund der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen an Verlusten entstanden sind (sog. Überkompensationsverbot).493 Dem müsste bei der Einführung eines Mechanismus Rechnung getragen werden. Sollte der Bund auch diese Vorgabe einhalten, läge ein Betrauungsakt i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV vor. d) Verhinderung der Erfüllung einer „übertragenen besonderen Aufgabe“ Weiter muss für eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV eine Befolgung der Vertragsvorschriften die Erfüllung der jeweils übertragenen Aufgabe verhindern, Art. 106 Abs. 2 Satz 1, 2. HS AEUV. Voraussetzung ist zunächst ein konkreter Konflikt zwischen der Aufgabenerfüllung des im öffentlichen Interesse handelnden Unternehmens und der Einhaltung seiner gemeinschaftsrechtlichen Vertragspflichten.494 „Verhindern“ i. S. d. 490
Scholz/Langer, S. 159. Wie dies auch beim Strommarktgesetz der Fall ist. 492 EuGH, Rs. C-280/00, Slg. 2003, I-7747, Ziff. 90, 91 – Altmark Trans; EuG, Rs. T-289/ 03, Slg. 2008, II-81, Ziff. 172, 181, 182, 188 – BUPA. Beispielsweise ist dies für die Netzreserve mit der NetzResV bereits geschehen, vgl. oben unter Punkt B.III.6., wenngleich in diesem Fall keine Eingriffsqualität bezüglich der Warenverkehrsfreiheit vorliegt. 493 EuGH, Rs. C-280/00, Slg. 2003, I-7747, Ziff. 92 – Altmark Trans; EuG, Rs. T-289/03, Slg. 2008, II-81, Ziff. 210 – BUPA. 494 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 48 mit Verweis u. a. auf EuGH, Rs. 258/ 78, Slg. 1982, 2015, Ziff. 9 – Nungesser. 491
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Art. 106 Abs. 2 Satz 1, 2. HS AEUV meint Unzumutbarkeit, nicht Unmöglichkeit.495 Die Befolgung der Warenverkehrsfreiheit muss also die Versorgung mit gesicherter Leistung unzumutbar machen. Die Versorgung muss jedoch nicht unmöglich sein. EuGH, Kommission und große Teile der Literatur stellen darauf ab, ob es einen anderen, technisch möglichen und wirtschaftlich wie rechtlich zumutbaren Weg – (hier: als einen Kapazitätsmechanismus mit Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit) – gibt, um die jeweils übertragene Aufgabe ohne Vertragsverletzung zu erfüllen.496 Wie bereits festgestellt, wären Kapazitätsmechanismen ohne Eingriffsqualität – zumindest derzeit – aufgrund fehlender Grenzkuppelkapazitäten in technischer Hinsicht nicht ausreichend leistungsfähig.497 Der sichere, mengenmäßig ausreichende Transfer kontrahierter Leistung aus den europäischen Nachbarstaaten nach Deutschland wäre aus o. g. Gründen nicht garantiert. Ein grenzüberschreitender Kapazitätsmechanismus wäre daher nicht gleichermaßen effizient wie ein auf deutsche Anlagen beschränkter. Es ist der zentralen Stelle sowie den deutschen Energieversorgungsunternehmen nicht zuzumuten, einen Kapazitätsmechanismus über die deutschen Außengrenzen hinweg zu unterhalten, für den es keine geeignete technische Infrastruktur gibt. Zwar mag es wirtschaftlich und rechtlich möglich sein, einen internationalen Mechanismus einzuführen. Für einen unionsweiten Mechanismus oder einen Mechanismus, der zumindest die deutschen Nachbarstaaten einbezieht, fehlt die Möglichkeit der unbeschränkten Überleitungsmöglichkeit von gesicherter Leistung nach Deutschland. Für das Szenario von Versorgungsengpässen muss garantiert werden können, dass jederzeit zeitnah ausreichend Elektrizität über die Stromnetze aus dem europäischen Ausland ins Inland transferiert werden kann. Die unverzügliche Weiterleitung gesicherter Leistung über die deutschen Außengrenzen hinweg kann derzeit nicht garantiert werden. Es wäre Deutschland somit nicht zumutbar, die Aufgabe der sicheren Stromversorgung unter Einbezug ausländischer Erzeugungsanlagen, also ohne Verletzung der Warenverkehrsfreiheit, zu erfüllen. In den Kapazitätsmechanismen mit Eingriffsqualität (zentraler, umfassender Kapazitätsmarkt; zentraler, fokussierter Kapazitätsmarkt; dezentraler, umfassender Kapazitätsmarkt; dezentraler, rein nachfrageorientierter Kapazitätsmarkt; 495
Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 48. EuGH, Rs. C-157/94, Slg. 1997, I-5699, Ziff. 53 – Niederländisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-158/94, Slg. 1997, I-5789, Ziff. 53, 54 – Italienisches Stromhandelsmonopol; Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815, Ziff. 52, 59, 96, 101, 102 – Französisches Stromhandelsmonopol; Entscheidung der Kommission vom 27. November 1996 betreffend die von Irland beantragten zusätzlichen Fristen für die Umsetzung der Richtlinie 90/388/EG der Kommission in Bezug auf den vollständigen Wettbewerb auf dem Markt der Telekommunikationsdienste, ABl. 1997 Nr. 41/8, Rnrn. 12, 13; Entscheidung der Kommission vom 12. Februar 1997 über Zusatzfristen, die Portugal für die Umsetzung der Richtlinie 90/388/EWG und 96/2/EG der Kommission in Bezug auf den vollständigen Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten eingeräumt werden, ABl. 1997 Nr. L 133/19, Rn. 20; Deringer, Bd. 2, Art. 90 Rn. 92; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 61. 497 Vgl. für eine ausführlichere Begründung schon oben unter Punkt B.IV.1. 496
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Kapazitätsreserve)498 bestünde somit ein konkreter Konflikt zwischen der Durchführung des Kapazitätsmodells einerseits und der Einhaltung der Warenverkehrsfreiheit andererseits. Würden die Vorgaben zur Warenverkehrsfreiheit befolgt werden, würde dies die Durchführung der übertragenen Aufgabe verhindern, denn ein Kapazitätsmechanismus über die deutschen Außengrenzen hinweg könnte diese Aufgabe technisch nicht gleichwertig erfüllen. Die Maßnahme gleicher Wirkung ist daher erforderlich, um den Unternehmen die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe zu ermöglichen. Eine Freistellung der Unternehmen von den Verpflichtungen der Warenverkehrsfreiheit scheitert somit nicht an der Voraussetzung der Verhinderung der übertragenen Aufgabe i. S. d. Art. 106 Abs. 2 Satz 1, 2. HS AEUV. Die Einhaltung der Vorgaben zur Warenverkehrsfreiheit würde die Erfüllung der übertragenen Aufgabe der Gewährleistung der Stromversorgung unzumutbar machen und somit verhindern. e) Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs, Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV Obwohl die Voraussetzungen des Verhinderungskriteriums im vorliegenden Fall erfüllt sind, steht die Ausnahme von den Bestimmungen des Vertrages noch unter dem Vorbehalt des Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV. Dieser bildet eine SchrankenSchranke zu Abs. 1 Satz 2.499 Danach darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderlaufen würde. Die Vorschrift schützt einen Kernbereich des Vertrages, den die Ausformungen staatlicher Wirtschaftspolitik unangetastet lassen müssen.500 Sie ist Teil einer in Art. 106 Abs. 2 AEUV insgesamt angelegten Verhältnismäßigkeitsprüfung und erfordert daher eine Abwägung zwischen den Belangen, die sich aus dem nationalen Interesse an der Erfüllung der besonderen Aufgaben einerseits und aus dem Interesse der Union andererseits ergeben.501 Das Unionsinteresse bildet den Maßstab, an welchem die Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs, wie sie durch den jeweiligen Vertragsverstoß bewirkt wird, zu messen ist.502 Es wird so zum wesentlichen Element der Grenzziehung für das mitgliedstaatliche Wirtschaften in der EU.503
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Vgl. oben unter Punkt B.III. Ehricke, EuZW 1998, 741, 746; Schweitzer, S. 157. 500 Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 68. 501 EuGH, Rs. 10/71, Slg. 1971, 723, Ziff. 13/16 – Hafen von Mertert; Jung, in: Calliess/ Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 57; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 68; Ehricke, EuZW 1993, 211, 215 f. 502 Schweitzer, S. 157. 503 Ehricke, EuZW 1998, 741, 746. 499
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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Das Interesse der Union gemäß Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV ist aus den Zielen und Grundsätzen der Verträge zu erschließen.504 Diese wiederum ergeben sich aus den Art. 2 bis 6 EUV sowie den Art. 18, 28 und 119 AEUV505, aus den Grundfreiheiten506 und dem Wettbewerbsrecht507. Der Schaffung der Bedingungen eines einheitlichen Marktes mit unverfälschtem Wettbewerb kommt dabei vorrangige Bedeutung zu.508 Zum Interesse der Union gehört auch Art. 14 AEUV, der Dienstleistungen im allgemeinen öffentlichen Interesse zu einem besonderen Unionsinteresse erhoben hat.509 Ergänzend ist bei der Bestimmung des Unionsinteresses der politische Wille der Unionsorgane, wie er hauptsächlich im Sekundärrecht und in Stellungnahmen zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen.510 Daher sind in die Abwägung im Grunde erneut dieselben sich gegenüberstehenden Unionsinteressen einzustellen, zwischen denen Art. 106 Abs. 2 AEUV insgesamt einen Ausgleich schaffen soll.511 Zu fragen ist also, ob ein nationaler Kapazitätsmechanismus die Entwicklung des innereuropäischen Handels mit Elektrizität als gravierende Beeinträchtigung die durch die entsprechenden Unionsinteressen gemäß Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV gesetzte Grenze überschreitet. Umstritten ist jedoch zunächst, was als „Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs“ zu verstehen ist.512 Für einige Stimmen in der Literatur muss für eine solche Beeinträchtigung der freie Wirtschaftsverkehr innerhalb der Union insgesamt und nicht nur hinsichtlich einzelner Produkte nachteilig beeinflusst werden.513 Die „Entwicklung“ des Handelsverkehrs sei global zu verstehen, denn selbst die vollständige Unterbindung des Handels mit nur einem Produkt könne den globalen Handelsverkehr nur unwesentlich beeinträchtigen.514 504 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 56; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70. 505 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 56. 506 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 26. Juni 1997, ABl. 1997 Nr. L 244/ 18 (Vlaamse Televisie Maatschappij (VTM)). 507 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 56; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70; vgl. auch Art. 3 Abs. 14 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff. 508 Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70; Wernicke, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 69. 509 Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70. 510 Ehricke, EuZW 1993, 211, 215; EuZW 1998, 741, 747; Emmerich/Hoffmann, in: Dauses, Bd. 2, Kapitel H. Rn. 185; Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 56. 511 Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70. 512 Für einen ausführlichen Überblick zum Streitstand vgl. Schweitzer, S. 157 ff. 513 Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 55; Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 67 f.; ebenso wohl Bellamy/Child, Rn. 13-026. Erhardt bezeichnet diese Auffassung als „Globalen Ansatz“, vgl. Erhardt, S. 335. 514 Vgl. Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 68.
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Andere hingegen sind der Auffassung, dass unter Handelsverkehr nicht der Freiverkehr im gesamten Binnenmarkt zu verstehen ist.515 Zu fragen sei vielmehr, welche Wirkungen von der Nichtanwendung des Unionsrechts auf den von der mitgliedstaatlichen Regulierung betroffenen aktuellen und potentiellen Handelsverkehr ausgehen.516 Durchaus sei vorstellbar, dass eine gravierende Beeinträchtigung des Handelsverkehrs mit im Unionsinteresse wichtigen Einzelprodukten (z. B. Strom, Gas, Telekommunikationsleistungen etc.) die durch Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV gesetzte Grenze überschreitet.517 Fraglich ist, ob die einzelnen Auffassungen auf den Fall Kapazitätsmechanismen angewendet überhaupt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden: Es ist denkbar, dass gerade keine gravierenden Beeinträchtigungen weder für den gesamten Binnenmarkt noch für den konkret betroffenen Handelsverkehr (hier: den Handelsverkehr mit gesicherter Elektrizität) die Folge wären. Hinsichtlich des Handelsverkehrs mit gesicherter Leistung ist anzumerken, dass es bisher keinen entsprechenden länderübergreifenden Handel gibt. Zwar haben bereits einige Staaten Kapazitätsmechanismen eingeführt.518 Ein grenzüberschreitender Handel mit einem Produkt gesicherte Leistung hat sich daraus bislang jedoch nicht entwickelt. Aus diesem Grund kann gesicherte Leistung aktuell nicht als ein im Unionsinteresse liegendes „wichtiges Einzelprodukt“ bezeichnet werden. Zu den wichtigen Einzelprodukten gehört zwar Elektrizität generell. Für ein etwaiges Unterprodukt gesicherte Leistung gilt dies jedoch nicht. Wie bereits festgestellt, fehlt derzeit noch eine ausreichende technische Infrastruktur, um einen (zuverlässigen) Handel mit gesicherter Leistung durchzuführen. Längst nicht alle Mitgliedstaaten haben einen Kapazitätsmechanismus eingeführt519, weshalb bislang kein unionsweiter Handel mit gesicherter Leistung entstehen konnte. Ferner ist der Energiebinnenmarkt längst nicht vollendet.520 Der bestehende Energiebinnenmarkt existiert aus wettbewerblichen Gründen, nicht aus Gründen der Versorgungssicherheit.521 „Gesicherte Leistung“ als Einzelprodukt ist auch in den Vorschriften des Dritten Energiebinnenmarktpaketes nicht erwähnt. Auch dies spricht gegen die Annahme 515 Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 86; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 69. 516 Schweitzer, S. 161 f. Diese Auffassung kann auch als „Faktischer Ansatz“ bezeichnet werden, vgl. Erhardt, S. 336. 517 Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 88; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 68. 518 Für eine Übersichtskarte derzeitiger Kapazitätsmechanismen in Europa vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende – Diskussionspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (Grünbuch), Oktober 2014, S. 51. 519 Vgl. Fn. 518. 520 Auch die Kommission geht bislang nicht von einer Vollendung des Energiebinnenmarktes aus, vgl. Mitteilung der Kommission 15. November 2012: Ein funktionierender Energiebinnenmarkt, KOM(2012) 663, S. 2. Vgl. auch oben unter Punkt B.II.2.b). 521 Vgl. auch ebenso oben unter Punkt B.II.2.b).
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
115
eines wichtigen Einzelprodukts „gesicherte Leistung“. Aus diesen Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Einschränkung des Handels mit gesicherter Leistung den freien Warenverkehr innerhalb der Union insgesamt nachteilig beeinflusst. Da „gesicherte Leistung“ bisher kein wichtiges Einzelprodukt darstellt, kann eine Einschränkung des Handels mit gesicherter Leistung den freien Warenverkehr in der Union insgesamt nicht ausreichend stark beeinflussen. Es liegt nicht einmal die nach einer Ansicht geforderte „Unterbindung“ des Handels mit dem Produkt gesicherte Leistung vor. Für die Vertreter der Ansicht jedoch, die für eine Beeinträchtigung die Störung des Handels mit nur einem einzelnen Produkt ausreichen lassen, wäre eine auch potentielle Beeinträchtigung ausreichend. Genügt eine solche potentielle Beeinträchtigung des Handelsverkehrs, könnten auch negative Auswirkungen auf sich zukünftig entwickelnde Handelsströme den Tatbestand erfüllen. Tatbestandsmerkmal des Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV ist zudem gerade die Entwicklung des Handelsverkehrs, nicht der Handelsverkehr selbst. Die Entwicklung des Handelsverkehrs kann aber auf verschiedenste Art und Weise beeinflusst werden. Daraus folgt, dass auch die zukünftige Entwicklung des Handelsverkehrs und nicht nur der Status quo heranzuziehen sind. Der Wortlaut fordert gerade nicht eine konkrete Beeinträchtigung des gesamten bereits bestehenden Handelsverkehrs, sondern einen Einfluss auf dessen Entwicklung. Wie ein solcher aussehen kann, ist jedoch in Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV gerade nicht festgelegt. Dies legt nahe, dass völlig unterschiedliche Beeinträchtigungen den Handelsverkehr beeinflussen können, auch beispielsweise Störungen des Handelsverkehrs von Einzelprodukten. Aus diesem Grund könnte nach dieser Ansicht eine Beeinträchtigung vorliegen, obgleich bisher kein unionsweiter Handel mit gesicherter Leistung besteht. Der Streit zwischen den einzelnen Auffassungen ist daher sehr wohl entscheidungsrelevant, da sie zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Letztlich erscheint es zweckmäßiger, eine Gesamtbetrachtung für den Einzelfall vorzunehmen und für eine Beeinträchtigung nicht zwangsläufig Auswirkungen auf den gesamten Wirtschaftsverkehr zu fordern.522 Es ist konkret zu untersuchen, welche Konsequenzen für die Entwicklung des Handelsverkehrs der jeweilige Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit nach sich zöge.523 Nur dann ist gewährleistet, 522 So i. E. auch Erhardt, S. 393 f. mit leicht abweichender Begründung. Erhardt bevorzugt ebenso den von ihm sogenannten „faktischen“ Ansatz, der schon allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu bevorzugen sei: Die Feststellung einer „globalen Beeinträchtigung“ sei aufgrund der Schwierigkeit, Kriterien für eine Konkretisierung festzulegen, nicht zuletzt in der Praxis nur erschwert handhabbar. 523 Vgl. i. E. auch Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 71, der das Unionsinteresse nicht schon dann verletzt sieht, wenn in den Schutzbereich einer – auch grundlegenden – Vorschrift des Unionsrechts eingegriffen wird. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass Art. 106 AEUV spezifisch wirtschaftliche Interessen im Zuge der Einbringung gemeinwohlorientierter Dienstleistungen ausdrücklich akzeptiert. Schließlich könne die Abwägung nicht aufgrund des „grundlegenden“ Charakters einer Norm zwingend zu Lasten der Mitgliedstaaten vorentschieden sein, sondern sei einer Abwägung im Einzelfall vorbe-
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
dass Sinn und Zweck des Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV, nämlich einen Ausgleich zwischen den maßgeblichen Unionsinteressen und der Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs zu finden, erreicht werden. Würden ausschließlich Auswirkungen auf den gesamten Warenverkehr der Union für die Annahme einer Beeinträchtigung ausreichen, könnte Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV seiner Funktion als Ausgleichsvorschrift nicht vollständig gerecht werden können. Die Vorschrift soll, wie bereits erwähnt, letztlich denselben Ausgleich herstellen wie Art. 106 AEUV insgesamt. Dies wäre im Einzelfall nicht interessengerecht möglich, würde man pauschal – und auch entgegen dem Wortlaut des Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV – eine Beeinträchtigung des gesamten Handelsverkehrs fordern und nicht im jeweiligen Einzelfall abwägen. Dies entspricht der Vorgehensweise der Ansicht in der Literatur, die unter Handelsverkehr nicht den Freiverkehr im gesamten Binnenmarkt versteht, sondern für die auch eine Beschränkung des Handels mit wichtigen Einzelprodukten ausreicht. Folgte man hingegen der Auffassung, die „Handelsverkehr“ global versteht, könnte man Art. 106 Abs. 2 AEUV außerdem grundsätzlich nicht mehr als Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV heranziehen. Denn wenn eine Beschränkung des Handels mit einem wichtigen Einzelprodukt für den Tatbestand des Art. 106 Abs. 2 AEUV nicht ausreicht, kann Art. 106 Abs. 2 AEUV eine ebensolche auch nicht rechtfertigen. Dies aber gibt die Rechtsprechung des EuGH gerade vor.524 Eine Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs ist somit gegeben. Schließlich ist also im Rahmen einer Abwägung zu untersuchen, ob die Einschränkung des Handels mit gesicherter Leistung die durch die Unionsinteressen gesetzte Grenze überschreitet. Mehrere Vorgaben des europäischen Rechts könnten im Fall von Kapazitätsmechanismen als Unionsinteressen relevant sein. Zum einen ist zu fragen, ob die Mitgliedstaaten im Bereich Kapazitätsmechanismen eine konkrete gemeinsame Politik beschlossen haben. Dies ist nicht der Fall. Relevant könnte an dieser Stelle jedoch der durch den Vertrag von Lissabon in das Primärrecht eingefügte Art. 194 AEUV sein. Dieser nennt in seinem Abs. 1 lit. b) als Ziel der Energiepolitik der Union die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit. Die Union kommt diesem Auftrag nach, indem sie z. B. durch längerfristige Liefervereinbarungen sicherstellt, dass es nicht zu Lieferunterbrechungen kommt.525 „Energieversorgungssicherheit“ i. S. d. Art. 194 Abs. 1 lit. b) AEUV versteht sich damit insbesondere als Vorschrift, die in den Bereich Energievölkerrecht hineinreicht. Auch Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie 2009/72/EG untermauert dies. Er nennt als Elemente der Energieversorgungssicherheit vor allem den Ausbau des Stromüberhalten, wobei der anzuwendende Maßstab variieren möge. A. A. beispielsweise Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 57, der in diesem Fall ein Ausmaß an Vertragswidrigkeit erreicht sieht, das durch nationale Interessen nicht mehr gerechtfertigt sein könne. 524 Vgl. Nachweise oben unter Fn. 471. 525 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 194 AEUV Rn. 16.
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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tragungsnetzsektors sowie Energielieferungen aus Drittländern. So heißt es darin etwa, die Versorgungssicherheit solle unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls sowie der aus dem Völkerrecht – insbesondere aus den internationalen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und dem betreffenden Drittland – erwachsenden Rechte und Pflichten bewertet werden. Von Kapazitätsmechanismen ist hingegen in keiner Weise die Rede. Auch die neueste Richtlinie des Energiebinnenmarktrechts enthält damit keine Hinweise darauf, dass mit Art. 194 Abs. 1 lit. b) AEUV unmittelbar der Bereich Kapazitätsmechanismen angesprochen worden sein könnte. Die Union hat daher auch mit der Einführung des Art. 194 AEUV in das europäische Primärrecht keine gemeinsame Politik für den Bereich Kapazitätslösungen beschlossen. Ein konkretes Unionsinteresse „Kapazitätsmechanismen“ ist aus der Vorschrift somit nicht ableitbar. Energieversorgungssicherheit generell kann aber dennoch als Unionsinteresse eingeordnet werden. Als betroffene Unionsinteressen sind zudem sowohl die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV zu nennen als auch die Schaffung eines Binnenmarktes mit unverfälschtem Wettbewerb, was Art. 119 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck bringt. Schließlich ist primärrechtlich Art. 14 AEUV zur Daseinsvorsorge als Unionsinteresse im Bereich Kapazitätsmechanismen betroffen. Sekundärrechtlich ist die bereits erwähnte Richtlinie 2009/72/EG526 zu nennen, die in ihrem Art. 8 Vorgaben zum Ausschreibungsverfahren für neue Kapazitäten, die im Interesse der Versorgungssicherheit errichtet werden, enthält.527 Nach Art. 8 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie muss jedes interessierte Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat auf die Ausschreibung antworten können. Das Verfahren ist also diskriminierungsfrei durchzuführen. Unionsinteresse hinsichtlich der Ausschreibung in einem Kapazitätsmechanismus ist somit deren Diskriminierungsfreiheit. Daneben könnten die „Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen“528 zu berücksichtigen sein. Wie bereits oben festgestellt, regeln diese Leitlinien jedoch ausschließlich beihilferelevante Sachverhalte.529 Aus diesem Grund geht aus ihrem Inhalt kein eigenständiges Unionsinteresse hervor, sondern es ist dieser zum Interesse an der Schaffung eines Binnenmarktes mit unverfälschtem Wettbewerb zu zählen. Somit sind als Belange im Rahmen der Abwägung einerseits die unionsweite Energieversorgungssicherheit sowie die Daseinsvorsorge zu berücksichtigen. Andererseits sind in die Abwägung aber auch das Interesse an einem freien Warenverkehr, an einem unverfälschten Wettbewerb und, damit verbunden, das (Sekundär-)Interesse an diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren einzustellen.
526 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff. 527 Vgl. für Einzelheiten zur Richtlinie 2009/72/EG oben unter Punkt B.II.2.b). 528 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01. 529 Vgl. auch oben unter Punkt B.II.2.c)bb).
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
Der Daseinsvorsorge und damit Art. 14 AEUV ist grundsätzlich ein hoher Stellenwert einzuräumen.530 Umstritten ist jedoch, ob es dem Interesse der Union auch unter Berücksichtigung des Art. 14 AEUV zuwiderlaufen würde, wenn gegen grundlegende Vertragsprinzipien, wie Warenverkehrsfreiheit, Grundrechte oder Diskriminierungsverbot, oder die Durchführung einer von den Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossenen Politik verstoßen würde.531 Zumindest für einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit kann dies jedoch nicht gelten: Soll Art. 106 Abs. 2 AEUV einen Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit darstellen – und dies sieht auch die Rechtsprechung des EuGH so vor532 –, kann ein Eingriff in sie nicht ausnahmslos eine Beeinträchtigung des Unionsinteresses i. S. d. Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV bedeuten.533 Dann könnte Art. 106 Abs. 2 AEUVeinen solchen Eingriff nicht mehr rechtfertigen. Art. 106 Abs. 2 AEUV könnte zudem seine Funktion als Ausnahmevorschrift nicht mehr erfüllen. Allerdings ist bei einer außerordentlich schwerwiegenden Verletzung von Unionsinteressen kein Raum für eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV. Dies ist aber im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.534 Da vorliegend auf beiden Seiten nennenswerte Unionsinteressen stehen, bleibt auch hier abzuwägen, ob eine entsprechende Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs vorliegt. Nur weil ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gegeben ist, kann nicht ohne Abwägung im Einzelfall von einem Zuwiderlaufen i. S. d. Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV ausgegangen werden. Wie bereits erwähnt, hat die Energieversorgungssicherheit seit dem Vertrag von Lissabon mit Art. 194 Abs. 1 lit. b) AEUV Eingang in das europäische Primärrecht gefunden. Es ist daraus also eine Tendenz hin zu (noch) stärkerem Fokus auf Aspekte der Daseinsvorsorge zu erkennen, als die Existenz des Art. 14 AEUVohnehin schon nach sich zieht. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß die Nichtanwendung der Warenverkehrsfreiheit sowie die Beeinträchtigung des europäischen Binnenmarktes im konkreten Fall die Ziele Energieversorgungssicherheit und Daseinsvorsorge gefährdet. Sollte die Verwirklichung dieser Ziele in einem wesentlichen Teil des Binnenmarktes gefährdet sein, spräche dies gegen eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV. Zu fragen ist dabei insbesondere, wie groß die wirtschaftliche Bedeutung der betroffenen Märkte und der von ihnen beeinflussten Handelsströme 530
Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 57. 532 Vgl. oben Fn. 471. 533 So i. E. auch Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Bd. II, § 106 AEUV Rn. 71, ebenfalls mit der Begründung, Art. 106 Abs. 2 AEUV könne ansonsten seine Funktion als Ausnahmevorschrift nicht mehr erfüllen. A. A. Jung, in: Calliess/Ruffert, Art. 106 AEUV Rn. 57; Stadler, in: Langen/Bunte, Bd. 2, Art. 106 AEUV Rn. 70. 534 So i. E. auch Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 88, die als Verstoß gegen Grundprinzipien des Unionsrechts hauptsächlich Verstöße gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anerkennen. 531
IV. Rechtfertigung der Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit
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ist.535 Zu gewichten ist ihre Bedeutung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes.536 Konkret bedeutet dies, dass die wirtschaftliche Bedeutung des deutschen Energie(versorgungs)marktes und der von diesem ausgehenden Handelsströme zu bewerten ist. Angeführt werden muss an dieser Stelle, dass Deutschland aufgrund seiner zentralen Lage innerhalb der Union sowie wegen seiner wirtschaftlichen Relevanz erheblichen Anteil am Funktionieren des europäischen (Energie-)Binnenmarktes hat. Sollte Deutschland einen Kapazitätsmechanismus einführen, der ausländische Erzeugungsanlagen ausschließt, würde ein zentral in der Union liegender Staat seinen Markt für gesicherte Leistung gegenüber seinen Nachbarstaaten abriegeln. Mit acht benachbarten Mitgliedstaaten der Union hat Deutschland aufgrund seiner Lage bedeutenden Einfluss auf die europäischen Stromhandelsströme. Seine Bedeutung für die Errichtung und das Funktionieren eines entstehenden Marktes für gesicherte Leistung ist daher immens. Sollte daher gerade die Bundesrepublik einen abgegrenzten Markt für gesicherte Leistung einführen, hätte dies größere Auswirkungen auf den Gesamthandel als wenn dies ein kleinerer Mitgliedstaat vornähme. Daneben ist jedoch anzuführen, dass eine Beschränkung des potentiellen Handels mit gesicherter Leistung bedeutende Auswirkungen auf andere Wirtschaftssektoren haben kann.537 Anders als der Handel mit Einzelprodukten ist der Handel mit sicherer Leistung Voraussetzung für das Funktionieren nahezu aller weiteren Wirtschaftszweige. Dies jedoch ist der Daseinsvorsorge innerhalb des AEUV, vgl. Art. 14, sowie der Energieversorgungssicherheit, vgl. Art. 194 Abs. 1 lit. b) AEUV, regelmäßig immanent. Dennoch bleiben beide Ziele relevante Unionsinteressen: Die Tatsache, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen wirtschaftlich bedeutenden, zentral liegenden Flächenstaat innerhalb der Union handelt, verringert nicht deren Bedürfnis nach einer zuverlässigen Daseinsvorsorge. An dieser Stelle ist auch wiederum anzuführen, dass sowohl die Daseinsvorsorge als auch die Energieversorgungssicherheit Ziele sein müssen, die unabhängig von der Schwere des Eingriffs in diesen Zielen entgegenstehende Unionsinteressen erhebliche Bedeutung behalten. In diesem Sinne entschied auch die Kommission einen Fall, in dem zwar der Teil der Einsatzenergie zur Elektrizitätserzeugung, der vorrangig von einheimischen Energieträgern bezogen und so vor Wettbewerb geschützt wurde, auf das zur Grundsicherung mit Elektrizität erforderliche Mindestmaß beschränkt werden musste.538 Entscheidend war hier ausschließlich der Aspekt der Grundsicherung und damit der Daseinsvorsorge: Der Sachverhalt betraf die Abnahmepflicht für deutsche Steinkohle und die Tatsache, dass auch hier gerade der wirtschaftlich gewichtige Flä-
535
Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 87. Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 87. 537 So auch Mestmäcker/Schweitzer, § 37 Rn. 87. 538 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 22. Dezember 1993, ABl. 1997 Nr. L 50/14, Ziff. 29 f. (Jahrhundertvertrag). 536
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
chenstaat Deutschland seinen Markt gegenüber anderen Mitgliedstaaten abgeschottet hat, wurde nicht weiter in die Abwägung einbezogen.539 Darüber hinaus ist ein Vergleich zu der Jahrhundertvertrag-Entscheidung der Kommission nennenswert: Anders als bei der Steinkohle ginge es in einem Kapazitätsmechanismus schon aus der Natur der Sache heraus lediglich um die Grundsicherung der Stromversorgung. Hatte die Kommission in der JahrhundertvertragEntscheidung noch die Auflage zu erteilen, dass der geschützte Anteil der Steinkohleerzeugnisse auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt werden müsste, hätte dies für einen Kapazitätsmechanismus nicht zu erfolgen. Kapazitätsmechanismen sind bereits aus ihrer Grundkonzeption heraus auf Leistungen zur Grundsicherung beschränkt, da sie Reserveleistung bereitstellen sollen und den regulären Strommarkt nicht beeinflussen würden. Es kann daraus somit geschlossen werden, dass ein Kapazitätsmechanismus die Unionsinteressen Binnenmarkt und Wettbewerb nicht derart einschränkt, als dies nicht ausreichend aus Gründen der Daseinsvorsorge sowie der Energieversorgungssicherheit gerechtfertigt wäre. Aus diesen Gründen kann daher festgehalten werden, dass die Nichtanwendung des Unionsrechts nicht die Verwirklichung der Ziele des AEUV in einem wesentlichen Teil des Binnenmarktes gefährdet. Die Entwicklung des Handelsverkehrs wird nach dem Ergebnis einer Abwägung nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem Interesse der Union zuwiderläuft, Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV. Die Kapazitätsmechanismen mit Eingriffsqualität sind somit auch als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse aufgrund von Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt. 4. Zusammenfassung Die Eingriffe in die Freiheit des Warenverkehrs bei zentralen, umfassenden, bei zentralen, fokussierten, bei dezentralen, nachfrageorientierten Kapazitätsmärkten sowie bei der Kapazitätsreserve sind einerseits aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Art. 36 Satz 1 AEUV, und andererseits als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt. Die Sicherheit der Energieversorgung kann als ein Aspekt der öffentlichen Sicherheit i. S. d. Art. 36 Satz 1 AEUV angesehen werden. Da aufgrund nicht ausreichender Grenzkuppelkapazitäten an den deutschen Außengrenzen die Einbeziehung ausländischer Erzeugungsanlagen in einen deutschen Kapazitätsmarkt nicht gleichermaßen effizient wäre, ist die Maßnahme gleicher Wirkung auch verhältnismäßig, d. h. sie ist geeignet, erforderlich und angemessen, sie steht also nicht außer Verhältnis zum angestrebten Ziel.
539 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 22. Dezember 1993, ABl. 1997 Nr. L 50/14, Ziff. 29 f. (Jahrhundertvertrag).
V. Zusammenfassung
121
Art. 106 Abs. 2 AEUV ermöglicht eine Rechtfertigung aufgrund der Einordnung der Kapazitätsmodelle als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Eine Abwägung verschiedener betroffener Unionsinteressen ergibt, dass wettbewerbliche Belange sowie das Ziel eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes hinter den Interessen an einer sicheren Energieversorgung sowie an der Daseinsvorsorge zurückzutreten haben. Eine Rechtfertigung auf Grundlage der Cassis-Rechtsprechung kommt nicht in Betracht, da hierfür beispielsweise der Umweltschutz Hauptgrund für die Einführung von Kapazitätsmechanismen sein müsste.
V. Zusammenfassung Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit Zunächst ist festzuhalten, dass der Bereich Kapazitätsmechanismen auf Unionsebene bisher nicht abschließend harmonisiert wurde. Weder die Richtlinie 2009/ 72/EG noch die im Jahr 2014 erlassenen Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020 enthalten abschließende Vorgaben für die Organisation eines solchen nationalen Mechanismus. Die Richtlinie enthält vor allem von den Mitgliedstaaten einzuhaltende Vorgaben im Rahmen von Ausschreibungsverfahren für neue Kapazitäten; die Beihilfeleitlinien betreffen ausschließlich gewisse Arten von Kapazitätslösungen, die Beihilferelevanz haben und regeln daher gerade nicht abschließend alle Formen von Kapazitätsmechanismen. Auch von der Möglichkeit, auf Grundlage der Richtlinie 2009/72/EG über den Regelungsgehalt der Richtlinie hinaus Leitlinien zu erlassen, hat die Kommission bisher keinen Gebrauch gemacht: Neben den Leitlinien für Energiebeihilfen existieren keine Leitlinien, die Näheres zur Ausgestaltung neuer Strommarktdesigns regeln. Die von Seiten des EuGH für eine abschließende Harmonisierung eines Bereichs geforderte gewisse Ausdifferenzierung einer in Betracht kommenden Maßnahme liegt daher nicht vor. Da der Bereich Kapazitätsmechanismen auf Unionsebene nicht abschließend harmonisiert ist, sind nationale Maßnahmen in diesem Bereich weiterhin anhand der Bestimmungen des Primärrechts zu beurteilen. Die verschiedenen Modelle für einen Kapazitätsmechanismus sind damit an den Grundfreiheiten zu messen, so dass auch die Art. 28 ff. AEUV anwendbar bleiben. Aus diesem Grund ist zu fragen, ob die Eingrenzung der Teilnahme an einem deutschen Kapazitätsmechanismus auf ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen jeweils eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit darstellt. Es konnte herausgearbeitet werden, dass eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV in mehreren Kapazitätsmarktmodellen vorliegt: Dies trifft zu in einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt, wenn dieser derart ausgestaltet sein sollte, dass an dem entsprechenden öffentlichen Ausschreibungsverfahren ausschließlich deutsche Stromerzeugungsanlagen teilnehmen dürfen. In einem zentralen, fokus-
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B. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Warenverkehrsfreiheit
sierten Kapazitätsmarkt liegen gar zwei Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV vor, wenn eine Teilnahme am Ausschreibungsverfahren jeweils nur bestimmten, deutschen Erzeugungsanlagen offenstände: Einerseits läge mit der Einführung eines Ausschreibungsverfahrens zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine Maßnahme vor, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln. Andererseits würde die Beschränkung der Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren auf bestimmte Kraftwerksarten jeweils für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift darstellen. Für einen dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ist festzustellen, dass ein Eingriff in Form einer Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV vorläge, wenn es ausländischen Erzeugern nicht ermöglicht würde, an einem VSNZertifikatehandel in Deutschland teilzunehmen. Das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung muss auch für einen dezentralen, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt bejaht werden: Eine hierin verwirklichte Direktvermarktungspflicht könnte den innergemeinschaftlichen Handel zumindest potentiell behindern. Bei der Kapazitätsreserve lägen – ähnlich wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt – zwei Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV vor: Einerseits würde ein Ausschreibungsverfahren zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine deutsche Maßnahme darstellen, mit der bezweckt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln. Andererseits wäre die Beschränkung der Teilnahme auf bestimmte Kraftwerksarten für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift. Einzig innerhalb der Netzreserve liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung nicht vor. Diese Eingriffe in die Freiheit des Warenverkehrs können einerseits aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Art. 36 Satz 1 AEUV, und andererseits als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt sein. Die Sicherheit der Energieversorgung kann als ein Aspekt der öffentlichen Sicherheit i. S. d. Art. 36 Satz 1 AEUV angesehen werden. Da aufgrund nicht ausreichender Grenzkuppelkapazitäten an den deutschen Außengrenzen die Einbeziehung ausländischer Erzeugungsanlagen in einen deutschen Kapazitätsmarkt nicht gleichermaßen effizient wäre, ist die Maßnahme gleicher Wirkung auch verhältnismäßig. Art. 106 Abs. 2 AEUV ermöglicht eine Rechtfertigung aufgrund der Einordnung der Kapazitätsmodelle als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Eine Abwägung verschiedener betroffener Unionsinteressen ergibt, dass wettbewerbliche Belange sowie das Ziel eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes hinter den Interessen an einer sicheren Energieversorgung sowie an der Daseinsvorsorge zurückzutreten haben. Eine Rechtfertigung auf Grundlage der Cassis-Rechtsprechung kommt nicht in Betracht, da hierfür beispielsweise der Umweltschutz Hauptgrund für die Einführung von Kapazitätsmechanismen sein müsste.
V. Zusammenfassung
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Es liegen aufgrund der Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit sowie der Daseinsvorsorge i. E. daher keine Verstöße gegen die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. AEUV vor.540
540 So. i. E. auch Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 68, jedoch ohne weitere Begründung.
C. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit dem europäischen Beihilferecht Beihilferechtliche Vorgaben des europäischen Primärrechts finden sich in den Art. 107 ff. AEUV. Es ergibt sich dabei aus der Systematik des Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass der Beihilfebegriff ein auslegungsfähiger Rechtsbegriff ist, dessen Interpretation seitens des EuGH vollständig überprüft werden kann: Bei der Interpretation der Beihilfeelemente geht es ausschließlich um die Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen, ohne dass der Kommission insoweit ein Freiraum auf der Rechtsfolgenseite eingeräumt wäre („Beihilfen […] sind unvereinbar“).541 Zentral für die Einordnung einer Maßnahme als Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV bleibt daher die Rechtsprechung der europäischen Gerichte. Bei einer Ausnahme vom Beihilfeverbot nach Art. 107 Abs. 3 AEUV aber – und im Fall von Kapazitätsmechanismen ergäbe sich eine solche z. B. aus dem Ausnahmetatbestand des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV – steht der Kommission ein weites Ermessen zu, während es sich bei den Tatbeständen des Art. 107 Abs. 2 AEUV um Legalausnahmen handelt.542 Wie bereits im Kapitel zur Warenverkehrsfreiheit erörtert, ist es der Kommission im Rahmen ihrer Ermessenausübung gestattet, die Prüfkriterien der Beihilfekontrolle in Leitlinien festzulegen. Dies geht jedoch mit einer Selbstbindung der Kommission an diese Vorgaben einher.543 Relevante Leitlinien für die Prüfung einer Beihilfe im Fall von Kapazitätsmechanismen könnten vor allem die Leitlinien der Kommission für staatliche Umwelt- und Energiebeihilfen von April 2014544 sein. Die Prüfung der Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit europäischem Beihilferecht erfolgt damit nicht nur anhand der Art. 107 ff. AEUV, sondern auch anhand der beihilferechtlichen EuGH-Rechtsprechung sowie der beihilferechtlichen Vorgaben der Europäischen Kommission. Ob in einem Kapazitätsmechanismus eine Beihilfe tatbestandlich gegeben ist, muss zunächst anhand der Definition in Art. 107 Abs. 1 AEUV untersucht werden. Die Tatsache, dass mit den Energiebeihilfeleitlinien Vorgaben i. S. d. Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV eingeführt worden sind, lässt die Notwendigkeit einer solchen Prüfung nicht entfallen. Die Ausnahmevorschrift des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV und damit die Leitlinien können nur eingreifen, wenn die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 541
Schroeder/Sild, EuZW 2014, S. 12, 14 f. Kühling, in: Streinz, Art. 107 AEUV Rn. 6. 543 Vgl. zu dieser Problematik bereits oben unter Punkt B.II.2.c)aa). 544 Mitteilung der Kommission vom 28. Juni 2014: Leitlinien für staatliche Umweltschutzund Energiebeihilfen 2014 – 2020, 2014/C 200/01. 542
I. Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln
125
AEUV gegeben sind, da sie das Vorliegen einer Beihilfe voraussetzen. Eine unmittelbare Anwendung der Energiebeihilfeleitlinien ist daher ausgeschlossen.
I. Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln Eine Beihilfe setzt zunächst das Vorliegen einer Begünstigung voraus, Art. 107 Abs. 1 AEUV. Ob mit der Subventionierung von gesicherter Leistung in Form einer Ausgleichszahlung o. ä. im Rahmen einzelner Kapazitätsmechanismen im Einzelnen eine solche Begünstigung vorliegt, ist in einer mehrstufigen Prüfung zu untersuchen. Zu prüfen ist zunächst, ob in einem Kapazitätsmechanismus ein Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Als Vorteil ist jeder geldwerte Vorteil für den Empfänger zu verstehen.545 Solche Leistungen erfolgen regelmäßig durch positive Handlungen, wie im Falle einer „klassischen“ Subvention durch Zuführung von Geldmitteln, aber auch durch Maßnahmen, die die Belastungen des Produktionszweiges bzw. des Unternehmens mindern.546 Insbesondere Leistungssubventionen treten je nach Rolle und Auftreten der öffentlichen Hand in ganz unterschiedlicher Einkleidung auf und können im Einzelfall schwierige Abgrenzungsfragen nach sich ziehen.547 Unerheblich für die Beurteilung des Begünstigungscharakters ist hingegen die Motivation für ihre Gewährung.548 Entscheidend ist allein die ökonomische Wirkung der Maßnahme, die dem Unternehmen einen geldwerten Vorteil verschafft.549 Der Vorteilseffekt besteht regelmäßig in einer staatlich induzierten Kostensenkungswirkung bei dem begünstigten Unternehmen.550 Das Merkmal der Staatlichkeit erfordert einen dem Staat zurechenbaren Transfer staatlicher Mittel.551 Dabei genügt es, wenn zwar nicht unmittelbar vom Staat gewährte Vorteile eingeräumt werden, aber jedenfalls eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung diese Vorteile gewährt.552
545
Kühling, in: Streinz, Art. 107 AEUV Rn. 29. EuGH, Rs. C-237/04, Slg. 2006, I-2843, Ziff. 42 – Enirisorse/Sotacarbo; Rs. C-172/03, Slg. 2005, I-1627, Ziff. 36 – Heiser; verb. Rs. C-128/03 u. C-129/03, Slg. 2005, I-2861, Ziff. 38 – AEM; Bauer, S. 23. 547 Müller-Graff, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. 107 AEUV Rn. 10. 548 So aber etwa Magiera, in: Hailbronner/Klein, Art. 92 EWG Rn. 15. 549 EuGH, Rs. 173/73, Slg. 1974, 709, Ziff. 26 – Italien/Kommission; Rs. 310/85, Slg. 1987, 901, Ziff. 8 – Deufil; Heidenhain, in: Heidenhain, § 4 Rn. 1. 550 Kühling, in: Streinz, Art. 107 AEUV Rn. 30. 551 Arhold/Zibold, in: MüKo-Kartellrecht, Bd. 3, Kapitel F., Rn. 213 ff. 552 EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 58 – PreussenElektra; Rs. C-677/11, EuZW 2013, 582, Ziff. 26 – Doux Élevage u. a.; Schmid-Kühnhöfer, S. 59. 546
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C. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit europ. Beihilferecht
Im Rahmen der Prüfung ist im Folgenden genau aufzuschlüsseln, ob und, wenn ja, wie in dem jeweiligen Kapazitätsmodell ein Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wird.553 1. Zentrale Kapazitätsmärkte In zentralen Kapazitätsmarktmodellen erfolgt nach Zuschlagserteilung der Vertragsschluss mit dem Betreiber der jeweils bezuschlagten Erzeugungsanlage. Dieser Vertrag regelt zum einen die jederzeitige Vorhaltungspflicht des Erzeugers und zum anderen die Höhe der Kapazitätsprämie.554 Ob es sich dabei um einen umfassenden oder um einen fokussierten, zentralen Markt handelt, ist irrelevant, da die Zahlungen in beiden Modellen auf gleiche Weise erfolgen. Die Erzeuger erhalten die Kapazitätsprämie, weil sie sich verpflichten, gesicherte Leistung zu produzieren. Die Prämie refinanziert sich in allen Modellen zentraler Kapazitätsmärkte über eine Umlage auf Übertragungsnetzbetreiber bzw. Endverbraucher. Für die diskutierten zentralen Kapazitätsmarktmodelle ist vorgesehen, eine zentrale öffentliche Instanz, wie z. B. die Bundesnetzagentur, mit der Durchführung des Modells zu beauftragen. Diese soll dann auch die Kapazitätsprämie an die teilnehmenden Erzeugungsanlagen auszahlen. Die zentrale Instanz vergütet den teilnehmenden Erzeugungsanlagen also die Erzeugung zusätzlicher, gesicherter Leistung. Dass die Anlagen außerhalb eines Kapazitätsmarktes wohl auch keine gesicherte Leistung produziert hätten, ist für die Annahme eines Vorteils irrelevant. Rein ökonomisch betrachtet erhält das jeweilige Erzeugungsunternehmen seine Kosten für die Produktion der zusätzlichen Leistung vergütet. Aus diesem Grund senken sich die Kosten für das jeweilige Unternehmen. Dies gilt sowohl für zentrale, umfassende als auch für zentrale, fokussierte Kapazitätsmärkte. Die Vergütung stellt für die Anlagen somit einen Vorteil dar.555 Dieser Vorteil muss staatlich sein oder zumindest staatlichen Mitteln entstammen. Zusätzlich zu den o. g. Kriterien ist dies der Fall, wenn die Mittel „ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen“.556 Es wird in der Literatur angemerkt, dass Ausgestaltungsvarianten von zentralen Kapazitätsmärkten denkbar sind, bei denen die Zurechnung keinesfalls eindeutig
553 Auch in diesem Abschnitt wird unterstellt, dass in den einzelnen Modellen von Kapazitätsmechanismen ausschließlich inländische Unternehmen in die Teilnahme einbezogen werden. Vgl. auch oben Fn. 360. 554 Vgl. zu zentralen Modellen im Einzelnen auch oben unter Punkt A.I. 555 So auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 556 EuGH, Rs. C-482/99, Slg. 2002, I-4397, Ziff. 37 – Stardust Marine; Koenig/Hellstern, in: Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4, Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 33.
I. Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln
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ist.557 Dies gelte insbesondere für den Fall, dass Kapazitätszahlungen über ein Umlagesystem finanziert werden.558 An dieser Stelle sei ein Vergleich zur PreussenElektra-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2001 heranzuziehen, in der der EuGH bei Überprüfung des deutschen Stromeinspeisungsgesetzes davon ausgegangen ist, dass eine Zurechenbarkeit der finanziellen Förderung zum Staat nicht vorliegt, wenn sie sich aus einer gesetzlichen Verpflichtung privater Marktakteure ergibt.559 Dies bedeute, dass keine staatlichen Mittel vorliegen, soweit nur Private an der Finanzierung beteiligt sind (auch dann, wenn sie hierzu gesetzlich verpflichtet werden).560 Es ist daher an dieser Stelle zu fragen, in welcher Form in einem zentralen Modell eine staatliche oder eine quasi-staatliche Stelle an der Erhebung und Verteilung der Mittel beteiligt ist.561 In zentral organisierten Kapazitätsmarktmodellen, so heißt es bei Held/Voß, läge nur dann keine Staatlichkeit und damit keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, wenn man eine reine „Kapazitäts-Umlage“ mit entsprechender Kostenwälzung (ähnlich der EEG-Umlage) schaffen würde.562 Dies sei zwar denkbar, allerdings im Bereich Kapazitätsmärkte schwierig, denn Ausgangspunkt bei zentral organisierten Modellen sei zunächst die Ermittlung und die Festlegung des langfristigen Kapazitätsbedarfs, wofür genaue und verlässliche Prognosen benötigt würden.563 Die Erstellung sowie die Genehmigung solcher Prognosen sei jedoch kaum ohne eine behördliche Beteiligung, insbesondere der Beteiligung der Bundesnetzagentur, gangbar, so dass zweifelhaft sei, ob bei einer derart prägenden „Kontrolle“ durch den Staat noch von einer rein privatrechtlichen Durchführung ausgegangen werden könne.564 Nach Held/Voß liegt im Fall zentral organisierter Kapazitätsmärkte daher die Annahme einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV nahe, da die Staatlichkeit der Zahlung gegeben ist.565
557 558
330 f.
Däuper/Grundmann, et 12/2012, 102, 103; Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. Bloch, N&R 2012, 19, 23; Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245; Ludwigs, RdE 2015, 325,
559 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 58 ff. – PreussenElektra; ebenso Ludwigs, RdE 2015, 325, 331. 560 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 561 Auch Ludwigs, RdE 2015, 325, 331, ist der Ansicht, je intensiver der staatliche Einfluss auf die verwaltende Stelle sei, desto näher liege die Einordnung der Mittel als „staatlich“. Bloch, N&R 2012, 19, 23, weist darauf hin, dass Staatlichkeit wohl ausscheide, wenn aufgrund einer Umlage auf die Netzentgelte keine Belastung eines öffentlichen Haushaltes ersichtlich ist, eine solche Belastung könne jedoch schließlich darin gesehen werden, dass der Staat darauf verzichtet, für die Erteilung des Zuschlags zur Vorhaltung von Erzeugungskapazitäten ein Entgelt zu verlangen. 562 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 563 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 564 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 565 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245.
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C. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit europ. Beihilferecht
Die Ausführungen von Held/Voß sind jedoch einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Da für zentrale Märkte tatsächlich eine klassische Umlagefinanzierung ähnlich der EEG-Umlage geplant ist, ist zu fragen, ob die Durchführung von Prognoseentscheidungen seitens einer zentralen staatlichen Stelle i. E. zu Staatlichkeit des gewährten Vorteils führen würde, wie Held/Voß zum Ausdruck bringen. Aus mehreren EuGH-Entscheidungen ergibt sich, dass für das Merkmal der Staatlichkeit die jeweiligen Mittel ständig unter öffentlicher Kontrolle und somit den nationalen Behörden zur Verfügung stehen müssen.566 Anders als Held/Voß dies darstellen – oder dies zumindest nicht deutlich genug ausdifferenzieren –, kommt es also nicht auf die „Kontrolle“ über beispielsweise Prognoseentscheidungen im Vorfeld des Abschlusses eines Leistungsvorhaltevertrages, sondern explizit auf die Kontrolle über die konkreten finanziellen Mittel an.567 Maßgeblich ist also, wer über die Mittel i. e. S. verfügt, nicht aber wer für die einem Mitteltransfer vorgelagerte Entscheidung zuständig ist. Andernfalls hätte der Gerichtshof in der Sache PreussenElektra pro staatliche Beihilfe entscheiden müssen, denn es war mit dem deutschen Stromeinspeisegesetz letztlich der deutsche Staat, der Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtete, den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien zu festgelegten Mindestpreisen abzunehmen. Wäre es bei der Beurteilung, ob staatliche Mittel betroffen sind, allein darauf angekommen, wer die diesem Transfer zugrundeliegende Entscheidung getroffen hat – hier nämlich der deutsche Gesetzgeber –, hätte der EuGH in PreussenElektra folgerichtig die Übertragung staatlicher Mittel bejahen müssen. Es ist somit für die Beurteilung von Staatlichkeit nicht maßgeblich, dass in einem zentralen Kapazitätsmarkt eine staatliche Stelle eine dem Zahlungsfluss vorgelagerte Prognoseentscheidung trifft. In Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung ist stattdessen darauf abzustellen, ob eine staatliche Stelle ständig die Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel innehat. Zwar ist in einem zentralen Kapazitätsmarktmodell beispielsweise die Bundesnetzagentur für die im Vorfeld einer Auktion zu treffende Prognoseentscheidung zuständig. Sie wird es auch sein, die die Auszahlung der Kapazitätsprämien veranlasst. In dieser Phase hat also eine staatliche Stelle die Kontrolle über die konkret festgelegten Kapazitätszahlungen. Bis zur konkreten Auszahlung der Mittel stehen diese der staatlichen Stelle zur Verfügung. Da aber die Kontrolle über die Mittel nicht ständig bei der staatlichen Stelle liegt, zumal eine Umlage der Kosten des Kapazitätsmarktes auf nicht-staatliche Akteure geplant ist, liegt der Sachverhalt hier parallel zur PreussenElektra-Entscheidung: Auch in einem zentralen Kapazitätsmarkt würden Private gesetzlich zur Umlagefinanzierung der Kapazitätsprämien verpflichtet. Die Mittel würden umgewälzt auf Übertragungsnetzbetreiber bzw. End566
EuGH, Rs. C-482/99, Slg. 2002, I-4397, 4440, Ziff. 37 – Frankreich/Kommission; EuGH, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497, Ziff. 70 – Essent Network Noord. 567 Vgl. EuGH, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497, Ziff. 70 – Essent Network Noord: „Daher steht der Betrag von 400 Millionen NLG […] unter öffentlicher Kontrolle und somit den nationalen Behörden zur Verfügung, was genügt, damit er als staatliche Mittel qualifiziert werden kann.“.
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verbraucher. Hier findet sich daher eine Parallele zur deutschen EEG-Umlagefinanzierung.568 Aus diesem Grund stehen die gewährten Mittel in einem zentralen Kapazitätsmarkt nicht ständig unter staatlicher Kontrolle, so dass trotz Prognoseentscheidung der staatlichen Stelle i. E. keine Staatlichkeit des gewährten Vorteils angenommen werden kann. Anders als dies Held/Voß beurteilen, liegt schließlich in zentral organisierten Kapazitätsmärkten mit Umlagefinanzierung trotz Prognosegewalt der zentralen staatlichen Stelle keine Staatlichkeit i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor. Abschließend kann daher festgehalten werden, dass in einem zentral organisierten Kapazitätsmarkt, gleichgültig ob umfassender oder fokussierter Art, kein Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wird, sollte, wie in den entsprechenden Modellen vorgesehen, ein Umlagesystem eingeführt werden, mit welchem die Kapazitätszahlungen finanziert würden. 2. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte ohne „ex-ante-Verpflichtung“ In einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ohne sog. „ex-ante-Verpflichtung“ liegt kein Vorteil aus staatlichen Mitteln für die teilnehmenden Erzeugungsanlagen vor: Die VSN-Zertifikatsausgabe erfolgt auf direktem Weg von den VSN-Anbietern an die verpflichteten Verbraucher. Diese leisten im Gegenzug zusätzliche Zahlungen an die Anbieter. Da eine staatliche Stelle in diesen Austausch nicht einbezogen wäre, kommt ein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil gar nicht erst in Betracht. Nicht einmal eine zumindest passive Belastung des Staatshaushalts ist in diesem Modell ersichtlich. Rein nachfrageorientierte Modelle zielen i. Ü. gerade darauf ab, staatliche Interventionen auf dem Strommarkt gering zu halten.569 Aus diesem Grund kann das Vorliegen einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV für ein dezentrales, umfassendes Kapazitätsmarktmodell ohne „ex-ante-Verpflichtung“ ausgeschlossen werden.570
568 So auch Öko-Institut e. V./LBD Beratungsgesellschaft mbH/Raue LLP, S. 82, für die beihilferechtliche Bewertung ihres zentralen, fokussierten Kapazitätsmarktmodells. 569 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 247. 570 So i. E. auch Held/Voß zu „nachfrageorientierten“ Kapazitätsmärkten im Allgemeinen, EnWZ 2013, 243, 247, sowie BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, S. 28, zu seinem Modell eines dezentralen Kapazitätsmarktes, wenn auch mit unsauberer Begründung.
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3. Dezentrale, umfassende Kapazitätsmärkte mit „ex-ante-Verpflichtung“ Anders als in einem dezentralen Modell ohne „ex-ante-Verpflichtung“ leistet die zentrale staatliche Stelle in einem Kapazitätsmarkt mit ex-ante-Verpflichtung die Festlegung der Gesamthöhe der zu erwerbenden Zertifikate. Einen Ankauf der Zertifikate von den Erzeugungsanlagen sowie eine Zertifikatsausgabe an die Verbraucher nimmt die staatliche Stelle hingegen auch in einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt mit „ex-ante-Verpflichtung“ nicht vor.571 Voraussetzung für die Staatlichkeit ist aber die unmittelbare oder mittelbare Veranlassung durch einen staatlichen Hoheitsträger.572 Eine solche ist in diesem Modell indes ebenfalls nicht vorgesehen, so dass ein Vorteil aus staatlichen Mitteln nicht vorliegt. Das Vorliegen einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV scheidet somit für dezentrale Kapazitätsmärkte mit sog. „ex-ante-Verpflichtung“ bereits an dieser Stelle aus. 4. Dezentrale, umfassende, rein nachfrageorientierte Kapazitätsmärkte Auch bei dezentralen, rein nachfrageorientierten Modellen liegt schon deshalb kein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil vor, weil nicht einmal eine zumindest passive Belastung des Staatshaushalts ersichtlich ist: Allein die Tatsache, dass auf dem Strommarkt ein Produkt „Reservekapazität“ vertrieben würde, hätte keine Auswirkungen auf den staatlichen Haushalt. Für dieses Produkt würden keinerlei Transfermittel von staatlicher Seite fließen, so dass allein die Nachfrage an der Strombörse den Preis bestimmen würde.573 Eine etwaige Verpflichtung zur Direktvermarktung gliche dem § 8 Abs. 1 EEG (i. d. F. von 2012), welcher Netzbetreiber verpflichtet, den gesamten angebotenen Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig abzunehmen, zu übertragen und zu verteilen. Im Gegensatz zur Förderung erneuerbarer Energien würde ein Produkt Reservekapazität in einem rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt aber – zumindest ist dies so geplant – nicht umlagefinanziert.574 Aus der Tatsache, dass der EuGH im Fall PreussenElektra selbst das umlagefinanzierte System des EEG nicht 571
Vgl. zu den Einzelheiten oben unter Punkt A.II.1.b). Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, § 107 Rn. 12. 573 So auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 247. 574 Vgl. zum dezentralen, rein nachfrageorientierten Modell auch oben unter Punkt A.II.2. Derzeit findet die jährliche Ermittlung der Höhe der EEG-Umlage durch die Übertragungsnetzbetreiber auf Grundlage von § 3 AuglMechV statt, welche auf Basis der Differenz aus Einnahmen und Ausgaben der Übertragungsnetzbetreiber kalkuliert wird. Zuletzt veröffentlichten einige Akteure der Energiewirtschaft Vorschläge, wie alternativ der Spotmarktpreis als Grundlage für die Umlagekalkulation herangezogen werden könnte, vgl. z. B. Ecofys Germany GmbH, aufrufbar unter: www.agora-energiewende.de, zuletzt aufgerufen am: 26. November 2015. 572
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als staatliche Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV beurteilt hat575, lässt sich schließen, dass dann erst recht ein nicht einmal umlagefinanziertes System keinen Transfer staatlicher Mittel und damit keine unrechtmäßige staatliche Beihilfe darstellen würde. Anders als im Fall PreussenElektra würde das Vorliegen einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV daher nicht erst am Merkmal der Zurechenbarkeit, sondern bereits am Merkmal „Vorteil aus staatlichen Mitteln“ scheitern.576 5. Kapazitätsreserve Bei der Kapazitätsreserve übernehmen die Übertragungsnetzbetreiber die Aufgabe, im Wege eines Ausschreibungsverfahrens zusätzliche Leistung zu kontrahieren.577 Anders als in einem solchen Kapazitätsmarkt nehmen die kontrahierten Kapazitäten allerdings nicht am regulären Strommarkt teil.578 Wie bereits oben ausgeführt, gilt hinsichtlich der Kostenverteilung, dass bei Nichtinanspruchnahme der Reserve die Vorhaltekosten auf alle Stromkunden verteilt werden.579 Es handelt sich hierbei also um eine Art Umlagefinanzierung. Bei Einsatz der Reserve werden die Kosten hingegen nach dem Verursacherprinzip abgerechnet.580 Diese beiden Kostentragungsregeln sind bei der Prüfung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln unabhängig voneinander zu untersuchen. Das Merkmal der Staatlichkeit erfordert einen dem Staat zurechenbaren Transfer staatlicher Mittel.581 Zunächst ist zu fragen, ob eine Umlagefinanzierung, wie sie bei Nichtinanspruchnahme der Reserve durch Verteilung der Vorhaltekosten auf die Stromverbraucher eingeführt werden soll, einen solchen dem Staat zurechenbaren Transfer staatlicher Mittel darstellt. Die Kapazitätszahlungen an Unternehmen, die in der Ausschreibung einen Zuschlag erhalten, stellen zwar eine tatbestandsmäßige Begünstigung dar.582 Problematisch ist hingegen die Beurteilung der Mittel als staatlich, denn hierfür müsste die gewährte Begünstigung zu einer direkten Belastung öffentlicher Haushalte führen, was jedenfalls bei einer Finanzierung der Kapazitätszahlungen über ein Umlagesystem – ähnlich der Finanzierung von EEG-Ein575
EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 58 ff. – PreussenElektra. So auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 247; GEODE, S. 16. 577 Vgl. oben unter Die Kapazitätsreserve nach dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz); Erlass der Kapazitätsreserveverordnung, vgl. oben unter Punkt A.III.2. 578 Vgl. zu den Einzelheiten zur Strategischen Reserve oben unter Punkt A.III. 579 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 70, sowie oben unter Punkt A.III.2. 580 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 70. 581 Arhold/Zibold, in: MüKo-Kartellrecht, Bd. 3, Kapitel F. Rn. 213 ff. 582 So auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245, die Kapazitätszahlungen infolge eines Zuschlags im Auktionsverfahren grundsätzlich als Begünstigung ansehen. 576
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speisevergütungen – keinesfalls eindeutig ist.583 An dieser Stelle kann wiederum ein Vergleich zum PreussenElektra-Urteil aus dem Jahr 2001 herangezogen werden, in welchem der EuGH nach Überprüfung des deutschen Stromeinspeisungsgesetzes zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Staatlichkeit der finanziellen Förderung nicht vorliegt, wenn sie sich aus einer gesetzlichen Verpflichtung privater Marktakteure ergibt.584 Ähnliches bestätigte auch die auf das PreussenElektra-Urteil folgende EuGH-Rechtsprechung.585 Dies bedeutet im Ergebnis, dass nach EuGH-Rechtsprechung keine staatliche Begünstigung vorliegt, wenn ausschließlich private Personen an der Finanzierung beteiligt sind – auch dann nicht, wenn diese hierzu gesetzlich verpflichtet werden.586 Übertragen auf die Kapazitätsreserve heißt dies, dass keine Staatlichkeit und damit keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, wenn – wie geplant – eine reine „Kapazitäts-Umlage“ mit Kostenwälzung auf alle Stromverbraucher (ähnlich der EEG-Umlage) die Belastungen bei Nichtinanspruchnahme der Reserve trägt.587 Wie bereits oben zu zentralen Kapazitätsmarktmodellen ausgeführt, geben Held/ Voß dabei zu bedenken, dass diese Schlussfolgerung zwar grundsätzlich richtig, allerdings im Bereich von Kapazitätslösungen letztlich anzuzweifeln ist, denn Ausgangspunkt sei zunächst Ermittlung und Festlegung des langfristigen Kapazitätsbedarfs, wofür genaue und verlässliche Prognosen benötigt würden.588 Die Erstellung sowie die Genehmigung solcher Prognosen sei jedoch kaum ohne eine behördliche Beteiligung, insbesondere der Bundesnetzagentur, gangbar, so dass zweifelhaft sei, ob bei einer derart prägenden „Kontrolle“ durch den Staat noch von einer rein privatrechtlichen Durchführung ausgegangen werden könne.589 Wie ebenfalls bereits oben dargestellt, ist die Auffassung von Held/Voß jedoch kritisch zu sehen: Für das Merkmal der Staatlichkeit müssen die jeweiligen Mittel ständig unter öffentlicher Kontrolle und somit den nationalen Behörden zur Verfügung stehen.590 Anders als Held/Voß dies darstellen – oder dies zumindest nicht deutlich genug ausdifferenzieren –, kommt es also nicht auf die „Kontrolle“ über beispielsweise Prognoseentscheidungen im Vorfeld des Abschlusses eines Leistungsvorhaltevertrages, sondern explizit auf die Kontrolle über die konkreten fi583
So wiederum auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 58 ff. – PreussenElektra. 585 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Network Noord. 586 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 587 So zunächst auch Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 588 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. Vgl. auch oben unter Punkt C.I.1. Held/Voß führen dies zwar im Zusammenhang mit zentralen Modellen aus. Da aber auch im Rahmen einer Kapazitätsreserve zunächst eine zentrale Stelle den Reservebedarf festlegen soll, ist ihre Argumentation auch hier anwendbar. 589 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 590 EuGH, Rs. C-482/99, Slg. 2002, I-4397, 4440, Ziff. 37 – Frankreich/Kommission; EuGH, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497, Ziff. 70 – Essent Network Noord. 584
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nanziellen Mittel an.591 Maßgeblich ist also, wer über die Mittel i. e. S. verfügt, nicht aber, wer für die einem Mitteltransfer vorgelagerte Entscheidung zuständig ist. Auch hier kommt es damit für die Annahme von Staatlichkeit nicht auf die im Vorfeld von einer zentralen staatlichen Stelle zu treffende Prognoseentscheidung, sondern auf die ständige Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel an. Auch bei der Kapazitätsreserve ist eine klassische Umlagefinanzierung mit Wälzung der Kosten auf alle Stromverbraucher geplant. Diese Art der Finanzierung ist daher wie die im Fall PreussenElektra untersuchte EEG-Umlage sowie wie die geplante Umlagefinanzierung bei zentralen Kapazitätsmärkten zu behandeln: Bei der Kapazitätsreserve würde ebenfalls eine Finanzierung über eine gesetzliche Verpflichtung Privater erfolgen. Eine staatliche Kontrolle ist bei einer solchen Umlagefinanzierung nicht in dem Maße vorhanden, wie es für die Annahme von Staatlichkeit Voraussetzung wäre. Anders als etwa bei Vorhalteverträgen mit Auszahlung einer Kapazitätsprämie von Seiten der staatlichen Stelle liegt bei einer Umlagefinanzierung keine ständige Kontrolle über die finanziellen Mittel vor. Staatlichkeit der gewährten Begünstigung kann somit nicht angenommen werden.592 Für die Umlagefinanzierung bei Nichtinanspruchnahme der Reserve ist schließlich festzuhalten, dass kein dem Staat zurechenbarer Transfer staatlicher Mittel vorliegt. Es ist keine zumindest passive Belastung des Staatshaushalts ersichtlich. Eine Begünstigung i. S. d. Beihilferechts und damit eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV scheidet somit aus. Anders verhält es sich möglicherweise bei den Kosten für den Einsatz der Kapazitätsreserve, die nach dem Verursacherprinzip finanziert würden. Auch hier müssten die Mittel für die Annahme von Staatlichkeit ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen.593 Wenn aber die Abrechnung direkt beim Kostenverursacher erfolgt und die Kosten der Vorhaltung überhaupt nicht aus staatlichen Mitteln finanziert würden, bleibt kein Raum für die Annahme eines Vorteils aus staatlichen Mitteln. Auch hier reicht die Durchführung der Prognoseentscheidung durch die zentrale staatliche Stelle für die Annahme von Staatlichkeit nicht aus.594 Aus diesem Grund ist keine aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigung erkennbar. Dies steht auch wiederum in Einklang mit der EuGH-Entscheidung PreussenElektra, nach der eine Zurechenbarkeit der finanziellen Förderung zum Staat nicht vorliegt, wenn sie sich aus einer gesetzlichen Verpflichtung privater Marktakteure 591 Vgl. EuGH, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497, Ziff. 70 – Essent Network Noord: „Daher steht der Betrag von 400 Millionen NLG […] unter öffentlicher Kontrolle und somit den nationalen Behörden zur Verfügung, was genügt, damit er als staatliche Mittel qualifiziert werden kann.“. 592 Vgl. zur Begründung auch zusätzlich oben unter Punkt C.I.1. 593 EuGH, Rs. C-482/99, Slg. 2002, I-4397, Ziff. 37 – Stardust Marine; Koenig/Hellstern, in: Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4, Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 33. 594 Vgl. zur Begründung auch zusätzlich oben unter Punkt C.I.1.
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C. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit europ. Beihilferecht
ergibt.595 Dies bedeutet, dass keine staatlichen Mittel fließen, soweit nur Private an der Finanzierung beteiligt sind (auch dann, wenn sie hierzu gesetzlich verpflichtet werden).596 Genau dies wäre im Fall der Kostentragung nach dem Verursacherprinzip der Fall: Gesetzlich würde festgelegt, dass die Stromlieferanten, die ihre Lieferpflichten nicht erfüllen konnten, entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag einen „angemessenen Anteil der Gesamtkosten der Reserve“ tragen.597 Nur für den Fall, dass die restlichen Kosten letztlich von staatlicher Seite getragen würden, wäre in dieser Höhe ein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil gegeben. Diese Art der Kostentragung hat letztlich jedoch keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden.598 Das Vorliegen einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV scheidet daher sowohl für die Kostentragung bei Nichtinanspruchnahme der Reserve (Umlagefinanzierung durch Stromverbraucher) als auch für die Kostentragung bei Inanspruchnahme (Verursacherprinzip) mangels Staatlichkeit aus.599
595 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Ziff. 58 ff. – PreussenElektra. 596 Held/Voß, EnWZ 2013, 243, 245. 597 Vgl. oben unter Punkt A.III. 598 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz. 599 So i. E. auch die Bundesregierung, vgl. BMWi, Begründung zur Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve, S. 31. Diese aber ist der Auffassung, dass deswegen keine Beihilfe vorliegt, weil anders als die von den Energiebeihilfeleitlinien adressierten Kapazitätsmärkte die Kapazitätsreserve ein vollständig vom Marktgeschehen getrenntes Instrument sei, was insbesondere durch das Vermarktungs- und Rückkehrverbot sichergestellt würde. Durch den Einsatz der Kapazitätsreserve als Systemdienstleistung und erst nach Ausschöpfung aller anderen Optionen würde eine zusätzliche Trennung erreicht, so dass die Kapazitätsreserve damit als reine Versicherung, also als eine Vorsorgemaßnahme für außergewöhnliche Situationen anzusehen sei. Aus diesen Gründen seien die Energiebeihilfeleitlinien von vornherein nicht anwendbar. Aus Gründen der Rechtssicherheit hat die Bundesregierung die Kapazitätsreserve dennoch im Hinblick auf die EU-beihilferechtliche Vereinbarkeit vorsorglich bei der Europäischen Kommission angemeldet. Selbst bei Anwendbarkeit der Leitlinien wäre die Kapazitätsreserve aber mit den Vorgaben aus Abschnitt 3.9 der Leitlinien vereinbar. Die Bundesregierung verkennt in ihrer Bewertung der Beihilferelevanz der Kapazitätsreserve jedoch, dass die Energiebeihilfeleitlinien das Vorliegen einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht regeln, sondern voraussetzen, vgl. auch oben unter Punkt C. Erst bei Vorliegen einer Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV darf eine Prüfung der Kapazitätsreserve am Maßstab der Leitlinien über Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV erfolgen. Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV ist als Ausnahmevorschrift dem Art. 107 Abs. 1 AEUV nachrangig zu prüfen. Es muss daher für jeden Beihilfesachverhalt grundsätzlich zunächst eine Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgenommen werden. Eine direkte Anwendbarkeit der Energiebeihilfeleitlinien scheidet somit aus.
I. Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln
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6. Exkurs: Netzreserve nach NetzResV Anders als bei der Kapazitätsreserve werden bei der Netzreserve nach NetzResV die dem Anlagenbetreiber entstehenden Kosten durch den jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber erstattet, § 6 Abs. 1 Satz 1 NetzResV.600 Die dem Übertragungsnetzbetreiber entstehenden Kosten wiederum werden durch Festlegung der Bundesnetzagentur zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber nach § 11 Abs. 2 Satz 4 sowie § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV, vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 NetzResV. Als solche werden sie als verfahrensregulierte Kosten nach Maßgabe der hierfür geltenden Vorgaben anerkannt, § 6 Abs. 2 Satz 2 NetzResV. Auch bei neu zu errichtenden Anlagen erkennt die Bundesnetzagentur die Errichtungs- sowie Betriebskosten über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber als verfahrensregulierte Kosten an (Verweis auf § 11 Abs. 2 Satz 4 sowie § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV), vgl. § 8 Abs. 4 Satz 3 NetzResV. Dies bedeutet, dass diese Kosten wie dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ARegV bei der jährlichen Anpassung der Erlösobergrenze nachgetragen werden. § 4 Abs. 1 ARegV enthält die Legaldefinition für den Begriff der Erlösobergrenze: Die Erlösobergrenze ist die Obergrenze der zulässigen Gesamterlöse eines Netzbetreibers aus den Netzentgelten. Das heißt, dass die Übertragungsnetzbetreiber für die ihnen entstehenden Kosten gerade keinen staatlichen Ausgleich erhalten. Vielmehr sind sie berechtigt, diese Kosten über die Erlösobergrenzen den Netzentgelten zuzuschlagen. Eine Belastung öffentlicher Haushalte erfolgt dabei jedoch nicht. Aus diesem Grund wird zwar den Anlagenbetreibern zum einen und den Übertragungsnetzbetreibern zum anderen ein Vorteil gewährt, denn die Erstattungsregeln führen in ökonomischer Hinsicht zu Kostenminderungen bei den Unternehmen. Diese Vorteile sind aber nicht staatlicher Art, da auf einer ersten Stufe die Übertragungsnetzbetreiber die Kosten der Anlagenbetreiber ausgleichen und auf einer zweiten Stufe die Übertragungsnetzbetreiber ihre Kosten wiederum über die Erlösobergrenzen auf die Netzentgelte abwälzen können. Somit liegt bei der Netzreserve keine Staatlichkeit der gewährten Vorteile vor, so dass eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV auch hier ausscheidet. 7. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich zunächst für beide Arten der untersuchten zentralen Kapazitätsmärkte feststellen, dass kein Vorteil aus staatlichen Mitteln gegeben ist. Die zentrale Instanz, die die Aufgabe der Durchführung von Ausschreibungsverfahren und Kontrahierung der Anlagen übernehmen soll, verfügt nicht ständig über
600 Vgl. zu weiteren Einzelheiten der Kostenerstattungsregelung für bestehende Anlagen oben unter Punkt A.IV.4.d).
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C. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit europ. Beihilferecht
die finanziellen Mittel, da in zentralen Modellen – ähnlich wie bei der EEG-Umlage – eine Umlagefinanzierung auf Kosten Privater vorgesehen ist. In einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ohne sog. „ex-ante-Verpflichtung“ liegt kein Vorteil aus staatlichen Mitteln vor. Die VSN-Zertifikatsausgabe erfolgt unmittelbar von den VSN-Anbietern an die verpflichteten Verbraucher. Diese leisten im Gegenzug zusätzliche Zahlungen an die Anbieter. Eine staatliche Stelle wäre in diesen Austausch nicht einbezogen. In einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt mit „ex-ante-Verpflichtung“ übernimmt die staatliche Stelle zwar die Festlegung des Gesamtbedarfs an Zertifikaten. Allerdings ist sie auch hier weder am Zertifikatsankauf noch an der Zertifikatsausgabe beteiligt. Auch in einem solchen Modell liegt daher kein Vorteil aus staatlichen Mitteln vor. Ähnliches gilt für einen dezentralen, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt: Auch hier liegt schon kein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil vor, weil nicht einmal eine zumindest passive Belastung des Staatshaushalts ersichtlich ist. Die alleinige Einführung eines Produktes „Reservekapazität“ auf dem Strommarkt kommt ohne Transfermittel von staatlicher Seite aus. Auch im Falle einer Verpflichtung zur Direktvermarktung ähnlich dem § 8 Abs. 1 EEG (i. d. F. von 2012) käme man zu keinem anderen Ergebnis: Da bei einer Direktvermarktung in einem dezentralen Kapazitätsmarkt nicht einmal eine Umlagefinanzierung geplant ist, bei welcher das Vorliegen von „Staatlichkeit“ näher diskutiert werden müsste, scheidet die Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV in einem solchen Modell aus. Bei der Kapazitätsreserve liegt ein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil weder für die Kostentragung bei Nichtinanspruchnahme der Reserve (Umlagefinanzierung über die Netzentgelte) noch bei Inanspruchnahme durch Kostentragung der Verursacher vor. Da laut aktuellem Gesetzentwurf die öffentlichen Haushalte keinerlei Kosten mehr tragen sollen, ist Staatlichkeit der gewährten Begünstigung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht gegeben. Bei der Netzreserve nach NetzResV wird zwar den Anlagenbetreibern zum einen und den Übertragungsnetzbetreibern zum anderen ein Vorteil gewährt. Diese Vorteile sind aber nicht staatlicher Natur, da zunächst die Übertragungsnetzbetreiber die Kosten der Anlagenbetreiber ausgleichen und die Übertragungsnetzbetreiber ihre Kosten wiederum über die Erlösobergrenzen auf die Netzentgelte abwälzen. Die öffentlichen Haushalte werden nicht belastet, so dass mangels Staatlichkeit der gewährten Vorteile keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt. Schließlich kann festgehalten werden, dass Vorteile aus staatlichen Mitteln in keinem der diskutierten Modelle für einen Kapazitätsmechanismus und auch nicht bei der Netzreserve nach NetzResV vorliegen.
II. Zusammenfassung
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II. Zusammenfassung Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht Für die Untersuchung der Vereinbarkeit der einzelnen Kapazitätsmechanismen mit europäischem Beihilferecht lässt sich zusammenfassend festhalten, dass keines der geprüften Modelle i. E. gegen das Beihilferecht verstößt. In keinem der untersuchten Kapazitätsmechanismen ist tatbestandlich eine Beihilfe gemäß der Definition des Art. 107 Abs. 1 AEUV gegeben. Aus diesem Grund kommt eine Prüfung der Energiebeihilfeleitlinien gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV, die auch Vorgaben zu Kapazitätsmechanismen enthalten, gar nicht mehr in Betracht. Das Tatbestandsmerkmal der Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln liegt in keinem der Modelle vor. Weder in Kapazitätsmechanismen noch bei der Netzreserve liegt die Kontrolle über die finanziellen Mittel ständig beim Staat bzw. ist überhaupt eine staatliche Beteiligung an der Finanzierung des Modells ersichtlich. Bereits auf Tatbestandsebene scheidet also das Vorliegen eines gewährten Vorteils aus staatlichen Mitteln aus, so dass eine Begünstigung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht angenommen werden dann. Dies bedeutet schließlich, dass in keinem der untersuchten Modelle für Kapazitätsmechanismen der Tatbestand einer Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist. Alle zur Diskussion stehenden Modelle sind somit mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar.
D. Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit dem Energiebinnenmarkt Hinsichtlich möglicher relevanter energiebinnenmarktrechtlicher Vorgaben kommt für Kapazitätsmechanismen möglicherweise zunächst der Richtlinie 2005/ 89/EG601 Bedeutung zu. In dieser sog. Stromversorgungssicherheitsrichtlinie finden sich jedoch letztlich nur unspezifische Verpflichtungen: Beispielsweise verlangt ihr Art. 5 lediglich die Sicherstellung des Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Erzeugungskapazität durch Schaffung eines Ordnungsrahmens mit hinreichenden Signalen für Erzeugungsinvestitionen. Ferner haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 4 der Stromversorgungssicherheitsrichtlinie „nicht-diskriminierende Maßnahmen“ zu treffen und darüber hinaus solche, die „keine unzumutbare Belastung für die Marktteilnehmer“ darstellen. Gemeint sind damit Maßnahmen, die ein stabiles Investitionsklima fördern sollen, um so eine hohe Sicherheit der Elektrizitätsversorgung zu gewährleisten. Die direkte Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf den Bereich Kapazitätsmechanismen erscheint jedoch fraglich. Der Inhalt der Ermächtigungsgrundlagen der Richtlinie geht nicht weit genug, um auch die Einführung von Kapazitätsmechanismen abzudecken. Indem zunächst einmal nur ein „stabiles Investitionsklima“ gefördert werden soll, bedeutet dies noch nicht, dass hierunter auch die Etablierung eines völlig neuen Strommarktdesigns fällt.602 Auch die Verordnung 714/2009 des dritten Energiebinnenmarktpakets führt auf dem Gebiet der Versorgungssicherheit lediglich eine europäische Prognose von Seiten des Europäischen Netzes der Übertragungsnetzbetreiber über die Angemessenheit der Stromerzeugung für den voraussichtlichen Bedarf der nächsten fünf bis fünfzehn Jahre ein.603 Sie enthält damit ebenso wenig eine konkrete Ermächtigungsgrundlage für die Einführung von Kapazitätsmechanismen.
601
Richtlinie 2005/89/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Januar 2006 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen. 602 A. A. jedoch Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 2a, der bereits die Regelung des Art. 5 der Richtlinie 2005/89/EG als Ermächtigungsgrundlage für gesetzgeberisches Handeln zur Schaffung von Kapazitätsmärkten ansieht. 603 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 15 ff., Art. 8 Abs. 3 lit. b), Art. 9 Abs. 1 Satz 1.
I. Keine Vorgaben für Kapazitäts- und Netzreserve
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Die Richtlinie 2009/72/EG beinhaltet hingegen die behördliche Beobachtung relevanter Marktentwicklungen604 sowie konkrete Vorgaben zu Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren für neue Erzeugungsanlagen605. Es sind dabei vor allem die Vorgaben zu Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren der Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG, die derzeit den energiebinnenmarktrechtlichen Rahmen für die Schaffung neuer Kapazitäten im Unionsraum aus Gründen der Versorgungssicherheit vorgeben.606 Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG enthält ein Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten. Art. 8 der Richtlinie sieht für die Errichtung neuer Kapazitäten im Interesse der Versorgungssicherheit die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens oder eines hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertigen Verfahrens vor. Auch wenn damit auf europäischer Ebene keine unmittelbar für Kapazitätsmechanismen aufgestellten rechtlichen Vorgaben existieren, sind Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG auf Maßnahmen im Interesse der Versorgungssicherheit anzuwenden, als diese die Schaffung neuer Kapazitäten regeln.607
I. Keine energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben für Kapazitäts- und Netzreserve (sog. Reservelösungen)? Es ist fraglich, ob auch für die sog. Reservelösungen, d. h. für die Kapazitätsreserve sowie für die Netzreserve, konkrete energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben existieren. Dazu müssten die Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG auch auf diese Modelle anwendbar sein. Die Netzreserve findet ihre gesetzliche Grundlage zunächst in der Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 EnWG. Die §§ 13, 13d EnWG sind einschlägig in Fällen, in denen „die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems in der jeweiligen Regelzone gefährdet oder gestört ist“ (§ 13 Abs. 1 EnWG) und sprechen damit die Gewährleistung der notwendigen Netzspannung an. Die im Jahr 2013 erlassene ResKV, und ebenso die neue NetzResV, ist damit, wie bereits dar604 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff., Art. 4, 37 Abs. 1 lit. r, VI. 605 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 ff., Art. 7, 8. 606 So auch Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 120. 607 s. auch Gerig, S. 80 ff., S. 87; Ludwigs, RdE 2015, 325, 329, der jedoch für unter Art. 8 der Richtlinie fallende Mechanismen fordert, dass diese spezifisch auf die Schaffung neuer Kapazitäten ausgerichtet sind; in diese Richtung wohl auch von Hammerstein, in: bne (Hrsg.), Erzeugung – Welches Marktdesign braucht die Energiewende?, aufrufbar unter: http://www. bne-online.de, zuletzt aufgerufen am: 17. Januar 2016, S. 14; nicht abschließend festgelegt für sog. mengenbasierte Mechanismen Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 122.
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D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
gestellt, im Bereich Netzspannung anzuwenden, so dass die deutsche Netzreserve im Energiebinnenmarktrecht nicht an denselben Maßgaben zu messen ist wie klassische Kapazitätsmarktmodelle, welche grundsätzlich die Gewährleistung leistungsbilanzieller Versorgungssicherheit herstellen sollen.608 Die Verordnungsermächtigung des § 13b EnWG (nun: § 13d EnWG) wurde mit dem „Dritten Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften“ im Jahr 2012 (Dritte EnWG-Novelle) in das Energiewirtschaftsgesetz eingefügt.609 Die Dritte EnWG-Novelle basiert indes nicht auf energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben. Vielmehr sollte mit der Vorschrift die Möglichkeit geschaffen werden, Details des Umgangs mit systemrelevanten Kraftwerken sowie zur transparenten Beschaffung einer Netzreserve zu regeln.610 Probleme im Bereich der Versorgungssicherheit, auf die sich u. a. Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG bezieht, spricht die Netzreserve damit nicht an. Weder die Richtlinie 2009/72/EG noch andere energiebinnenmarktrechtliche Bestimmungen sind daher auf die Netzreserve anwendbar. Für die Kapazitätsreserve gilt Ähnliches: Gemäß der Begründung des Gesetzentwurfs zum Strommarktgesetz findet auch die Kapazitätsreserve in § 13 Abs. 1 Nr. 3 EnWG ihre gesetzliche Grundlage.611 Der neu geschaffene § 13e EnWG enthält die tragenden Grundsätze der Einführung einer Kapazitätsreserve, weitere Details wird die künftige Kapazitätsreserveverordnung enthalten, die auf Grundlage des § 13h EnWG erlassen wird.612 Das sich derzeit im Gesetzgebungsprozess befindliche deutsche Strommarktgesetz basiert genauso wenig auf energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben.613 Auch auf die Kapazitätsreserve ist die Richtlinie 2009/72/EG daher nicht anzuwenden.614 Weder für die Kapazitäts- noch für die Netzreserve existieren damit energiebinnenmarktrechtliche Regelungen, auf deren Grundlage eine Umsetzung in deutsches Recht angezeigt gewesen wäre. Bei den Regelungen der §§ 13 ff. EnWG handelt es sich vielmehr um deutsche Vorschriften ohne Entsprechung im Energiebinnenmarktrecht. Aus diesem Grund erübrigt sich eine weitere energiebinnenmarktrechtliche Prüfung sowohl der Kapazitäts- als auch der Netzreserve innerhalb dieses Abschnitts. 608
Auch die Ermächtigungsgrundlage Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72/EG für die Ausschreibung neuer Kapazitäten nennt explizit „Versorgungssicherheit“ als notwendigen Grund für die Errichtung neuer Kapazitäten auf Basis der Vorschrift. 609 Vgl. „Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften“ vom 27. Dezember 2012, BGBl. I S. 2730. 610 Tüngler, in: Kment, § 13b EnWG Rn. 1. 611 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 13 f. 612 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strommarktgesetz, S. 26 ff. 613 Vgl. zu den Einzelheiten zum Strommarktgesetz auch oben unter Punkt A.III.2. 614 A. A. Ludwigs, RdE 2015, 325, 329, da die Kapazitätsreserve ebenfalls darauf abziele, die Stromversorgung zusätzlich zu den an den Strommärkten aktiven Erzeugungsanlagen abzusichern.
II. Einzelheiten zu energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben
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II. Einzelheiten zu den für Kapazitätsmärkte relevanten energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben Für klassische Kapazitätsmarktkonzepte, d. h. für zentrale sowie dezentrale Modelle, finden sich energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben in den Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG. 1. Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG enthält Vorgaben für ein Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten unabhängig davon, ob zusätzlicher Kapazitätsbedarf aus Versorgungssicherheitsgründen besteht. Hierfür haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ein Genehmigungsverfahren zu beschließen, das nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien anzuwenden ist. Zu erwähnen ist ferner, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie die Kriterien für die Genehmigungserteilung selber festlegen dürfen. Sie haben dabei jedoch den in Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie aufgezählten Aspekten Rechnung zu tragen. Zu diesen Aspekten gehören u. a. die Sicherheit und Sicherung des elektrischen Netzes, der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der öffentlichen Sicherheit, Umweltschutz, Flächennutzung und Standortwahl, der Gebrauch von öffentlichem Grund und Boden, Energieeffizienz, die Art der Primärenergieträger sowie spezifische Merkmale des Antragstellers, wie technische, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit. 2. Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG und Verhältnis der Vorschrift zu Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG sieht schließlich die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens vor. Dies gilt für den Fall, dass „die Versorgungssicherheit durch die im Wege des Genehmigungsverfahrens geschaffenen Erzeugungskapazitäten bzw. die getroffenen Energieeffizienz-/Nachfragesteuerungsmaßnahmen allein nicht gewährleistet ist“, vgl. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie. Daraus ergibt sich, dass ein Ausschreibungsverfahren nach Art. 8 subsidiär gegenüber dem Genehmigungsverfahren des Art. 7 anzuwenden ist. Neu zu errichtende Anlagen werden somit grundsätzlich nach Art. 7 der Richtlinie genehmigt. Sollten die Anlagen aus Gründen der Versorgungssicherheit neu errichtet werden, so sind die Vorgaben für Ausschreibungsverfahren nach Art. 8 der Richtlinie zu beachten. Das Ausschreibungsverfahren oder ein hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertiges Verfahren im Interesse der Versorgungssicherheit ist auf der Grundlage veröffentlichter Kriterien durchzuführen, vgl. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2009/72/EG. Art. 8 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie legt dazu fest, dass eine vollständige Liste der Kriterien für die Bewerberauswahl in den Ausschreibungs-
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D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
bedingungen enthalten sein muss. Dabei können sich die Spezifikationen auch auf die in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie genannten Aspekte erstrecken, vgl. Art. 8 Abs. 3 Satz 4 der Richtlinie. Es besteht demnach keine Verpflichtung, sämtliche in Art. 7 Abs. 2 genannten Kriterien im Rahmen einer Ausschreibung für einen Kapazitätsmarkt heranzuziehen. Die Vorschrift steckt insoweit nur den äußeren Rahmen ab, innerhalb dessen sich das Ausschreibungsverfahren bewegen darf.615 Für Kapazitätsmärkte, für die ein Ausschreibungsverfahren vorgesehen ist, können somit die Spezifikationen des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2009/72/EG als Kriterien herangezogen werden, sie müssen es aber nicht.616 Aus diesem Grund können für die Ausgestaltung von Kapazitätsmärkten enge Vorgaben sowohl in technischer als auch in örtlicher Hinsicht gemacht werden.617 Dies gilt jedoch zunächst nur für Modelle, die tatsächlich die Errichtung neuer Anlagen vorsehen, für die dann ein Ausschreibungsverfahren durchgeführt werden muss. Für bereits bestehende Anlagen legt Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72/EG aber ebenso fest, dass auch die durch Bestandsanlagen bereitgestellten Kapazitäten in einem Ausschreibungsverfahren und damit in einem Kapazitätsmarkt zu berücksichtigen sind. Dies gilt gemäß Abs. 4 für den Fall, dass neue Produktionskapazitäten ausgeschrieben werden. Hierunter fällt auch die Ausgestaltung, dass nicht neue Kapazitäten selbst ausgeschrieben würden, sondern lediglich ein festgestellter Kapazitätsbedarf, der dann sowohl durch Neu- als auch durch Bestandsanlagen gedeckt werden könnte.618 Der Wortlaut legt nahe, dass keine absolute Pflicht zur Einbeziehung von Bestandsanlagen besteht, jedoch im Rahmen der konkreten Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes geprüft und nachgewiesen werden muss, ob solche zur Deckung des zusätzlichen Bedarfs beitragen können oder nicht.619 Interessant gerade für die Prüfung von Kapazitätsmärkten ist, dass Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie zunächst die Veröffentlichung der Ausschreibung im Amtsblatt der Europäischen Union vorschreibt. Satz 2 legt dann fest, dass die Ausschreibungsbedingungen jedem interessierten Unternehmen, das seinen Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden müssen, damit es auf die Ausschreibung reagieren kann. Somit ist ausdrücklich klargestellt, dass Ausschreibungsverfahren im Rahmen von Maßnahmen der Versorgungssicherheit – gleichgültig ob sie sich an neue Anlagen oder an Bestandsanlagen richten – auch EUausländischen Anlagen offenstehen müssen.620 615
So auch Däuper/Grundmann, et 12/2012, 102, 104; Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121. A. A. Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121, für die es unzulässig ist, Kriterien im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens zu verwenden, die nicht in der Aufzählung genannt sind. 617 Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121. 618 Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 122. 619 Däuper/Grundmann, et 12/2012, 102, 104. 620 A. A. Ludwigs, RdE 2015, 325, 330, für den die Pflicht zur Ausschreibung im europäischen Amtsblatt keinen hinreichend konkreten Anknüpfungspunkt für einen derart weiten Rückschluss darstellt. 616
III. Umsetzung der Art. 7/8 der RL 2009/72/EG in dt. Recht
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Auch hinsichtlich der Durchführung und Organisation des Ausschreibungsverfahrens beinhaltet Art. 8 Vorgaben. Art. 8 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2009/72/EG legt fest, dass die Mitgliedstaaten eine Behörde oder eine andere, gewissen Voraussetzungen unterliegende öffentliche oder private Stelle benennen müssen, die für die Durchführung, Beobachtung und Kontrolle des Ausschreibungsverfahrens zuständig ist. Dabei kann es sich um die Regulierungsbehörde handeln. Ebenso kann aber auch ein vollständig entflochtener Übertragungsnetzbetreiber diese Aufgabe übernehmen, vgl. Art. 8 Abs. 5 Satz 2 der Richtlinie.
III. Umsetzung der Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG in deutsches Recht Zu prüfen ist, in welche nationalen Vorschriften der deutsche Gesetzgeber die Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG umgesetzt hat. 1. §§ 4 ff. BImSchG als Umsetzungsnormen des Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG? Vereinzelt wird vertreten, die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG hätten ihre Umsetzung u. a. in den §§ 4 ff. BImSchG gefunden.621 So fordert § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, dass zur Genehmigungserteilung u. a. sicherzustellen ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden. § 5 BImSchG zählt beispielsweise Umweltschutzgesichtspunkte sowie Aspekte der Energieeffizienz auf, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 – 4 BImSchG, und damit Kriterien aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie. Tatsächlich dient § 5 BImSchG vor allem der Umsetzung der Richtlinie 2010/75/ EU über Industrieemissionen, die in ihrem Art. 11 eine ähnliche Liste von Grundpflichten enthält.622 In Anhang I der Richtlinie 2010/75/EU unter den dort aufgelisteten Tätigkeiten findet sich dabei auch die Energiewirtschaft. Weiter dient § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zudem der Richtlinie 2006/12/EG über Abfälle.623 Dies bestätigt auch die unterschiedliche Zielrichtung, die Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG einerseits sowie die §§ 4 ff. BImSchG andererseits betreffen: Art. 7 Abs. 2 behandelt explizit die Festlegung geeigneter Kriterien für die Genehmigungserteilung. Die Vorschrift betrifft somit die staatliche Aufgabe im Genehmigungsverfahren, d. h. die Seite der Erteilung von Genehmigungen zum Bau von Erzeugungsanlagen. Die §§ 4 ff. BImSchG und insbesondere § 5 BImSchG richten sich hingegen an die Anlagenbetreiber, die bei Errichtung und Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen die in Abs. 1 genannten Umweltschutzgesichtspunkte zu beachten haben. Hierin 621 622 623
Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121; Gerig, S. 63. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Einl. 57 Nr. 4 und § 5 Rn. 5b. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 5 Rn. 5b.
144
D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
zeigt sich somit, dass Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG auf der einen Seite sowie § 5 BImSchG auf der anderen Seite unterschiedliche Adressaten haben. Nichtsdestotrotz sind es die Vorgaben der §§ 4 ff. BImSchG, die die Genehmigung von Errichtung und Betrieb von Kraftwerken regeln. Zwar bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, dass die Vorschriften des BImSchG für die Errichtung und den Betrieb von „Anlagen“ gelten. Der Anwendungsbereich des BImSchG umfasst damit u. a. alle Arten von konventionellen Kraftwerken.624 Daneben verweist das BImSchG jedoch zusätzlich auf eine Vielzahl von untergesetzlichen Regelwerken in Gestalt von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die den durch das BImSchG abgesteckten Rahmen ausfüllen müssen.625 Aus diesem Grund und aufgrund ihrer unterschiedlichen Adressaten muss festgehalten werden, dass die §§ 4 ff. BImSchG nicht die deutschen Umsetzungsvorschriften des Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG darstellen. 2. § 53 EnWG Nach § 53 EnWG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ein Ausschreibungsverfahren oder „ein diesem hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertiges Verfahren“ vorsehen. Tatbestandsmerkmale der Vorschrift sind ferner, dass das Ausschreibungsverfahren subsidiär gegenüber Energieffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen ist und dass Genehmigungskriterien für neue Anlagen miteinzubeziehen sind. Bei § 53 EnWG handelt es sich also um eine Vorschrift, die Bedingungen für die Ausschreibung neuer Kapazitäten im Interesse der Versorgungssicherheit enthält. a) Allgemeines Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben sowohl des Art. 7 als auch des Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG mit der Einführung von § 53 EnWG in deutsches Recht umgesetzt.626
624
Rebentisch, in: Danner/Theobald, Kapitel 110., BImSchG, Rn. 6. Rebentisch, in: Danner/Theobald, Kapitel 110., BImSchG, Rn. 11. 626 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“ vom 14. Oktober 2004, welcher zu § 53 EnWG die Begründung enthält, dieser diene der Umsetzung der Artikel 6 und 7 der Elektrizitätsrichtlinie, BT-Drucks. 15/3917, S. 68. Gemeint sind hiermit die Artikel 6, 7 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, ABl. L 176 vom 15. Juli 2003, die der Richtlinie 2009/72/EG vorging. 625
III. Umsetzung der Art. 7/8 der RL 2009/72/EG in dt. Recht
145
Vereinzelt wird vertreten, § 53 EnWG setze nur Art. 8 der Richtlinie, nicht aber auch deren Art. 7 um.627 Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. § 53 EnWG beinhaltet ein Ausschreibungsverfahren auf der Grundlage von Kriterien für neue Kapazitäten. Damit verweist § 53 auf die Kriterien des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie und tut damit den Anforderungen an eine Umsetzung Genüge. In Deutschland ist eine besondere energiewirtschaftliche Genehmigung bisher nicht vorgesehen, so dass ein vollständig freier Zugang zum Erzeugungsmarkt besteht.628 Zumal Märkte ohnehin auf Basis objektiver, transparenter und grundsätzlich auch nicht diskriminierender Kriterien gesteuert werden, wird den Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie 2009/72/EG auch ohne weitergehende Umsetzung Rechnung getragen.629 Anders als § 13h EnWG ermöglicht § 53 EnWG keinen vorsorglichen Verordnungserlass zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit, sondern setzt von vornherein eine bestimmte Gefährdungslage voraus.630 Aus diesem Grund fallen die Reservelösungen der Kapazitäts- sowie der Netzreserve nicht unter § 53 EnWG, sondern unter die §§ 13 ff. EnWG, wie bereits oben festgestellt.631 Nur klassische Kapazitätsmarktkonzepte würden auf der Verordnungsermächtigung des § 53 EnWG basieren. § 53 EnWG ermächtigt für diesen Fall die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung ein Verfahren zur Einführung von Kapazitätsmechanismen oder Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen zu regeln.632 Auch wenn also § 53 EnWG den Begriff des Kapazitätsmarktes nicht explizit verwendet, handelt es sich bei der Vorschrift um die Ermächtigungsgrundlage für ein etwaiges neues Strommarktdesign für Deutschland.633 Dies geht auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift einher: Aus Nr. 43 der Erwägungsgründe der Richtlinie 2009/72/EG ergibt sich, dass Ziel der Vorschrift nicht die Förderung von Wettbewerb im Erzeugungsbereich ist, sondern gerade das staatliche Handeln im Falle des Marktversagens.
627
Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 2, der darauf hinweist, dass sich die Genehmigung von Errichtung und Betrieb neuer Kapazitäten nach den dafür einschlägigen Bestimmungen des Umweltrechts und des technischen Sicherheitsrechts richtet, wohingegen § 53 EnWG die Bundesregierung nicht dazu ermächtige, entsprechende Regelungen in einer Rechtsverordnung zu treffen. 628 Heinlein, in: Praxiskommentar EnWG, § 53 EnWG Rn. 1; Salje, EnWG § 53 Rn. 1. 629 Salje, EnWG § 53 Rn. 1. 630 Görisch, in: Kment, § 53 EnWG Rn. 1. 631 Vgl. hierzu im Einzelnen oben unter Punkt D.I. 632 Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 1; Hermes, in: Faßbender/ Köck, S. 82. Hermes spricht zwar von „Kapazitätsmechanismen“, die auf Grundlage von § 53 EnWG eingeführt werden, meint damit aber i. E. „Kapazitätsmärkte“ in der Terminologie dieser Arbeit. Dies zeigt sich schon darin, dass auf S. 81 festgestellt wird, dass die Reservekraftwerksverordnung auf Grundlage von § 13b EnWG erlassen wurde. Die Reservekraftwerksverordnung stellt zwar einen „Kapazitätsmechanismus“ i. S. dieser Arbeit dar, jedoch keinen „Kapazitätsmarkt“. Vgl. auch oben unter Punkt A. 633 A. A. Gerig, S. 66 ff.
146
D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
§ 53 EnWG hat bislang keine praktische Bedeutung erfahren.634 Neben dem expliziten Inhalt des § 53 EnWG bleiben die weiteren Vorgaben aus Art. 7 und 8 der Richtlinie als höherrangiges Recht durch den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Verfahrens zu beachten.635 b) Regelungsgehalt Bevor es zur Einführung eines Kapazitätsmarktes über einen Verordnungserlass kommen kann, muss sichergestellt sein, dass die Versorgungssicherheit durch vorhandene Erzeugungskapazitäten oder getroffene Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen allein nicht gewährleistet ist, § 53 EnWG. Zu berücksichtigen sind auch konkret bevorstehende zukünftige Kapazitätserweiterungen oder Maßnahmen.636 Kann die Versorgungssicherheit auf diese Weise nicht gewährleistet werden, kommt ein Verordnungserlass nach § 53 EnWG in Betracht. aa) Verfahren § 53 EnWG gibt die Durchführung eines Ausschreibungs- oder eines hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertigen Verfahrens auf der Grundlage von Kriterien für neue Kapazitäten oder Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen vor. Die Vorschrift legt sich damit nicht auf die Einführung eines bestimmten Kapazitätsmarktmodells fest.637 Als gleichwertige Verfahren kommen vor allem Auktionsverfahren in Betracht.638 Die Voraussetzung eines transparenten und nichtdiskriminierenden Musterverfahrens eröffnet einem unbeschränkten Interessenten- oder Bieterkreis die Verfahrensteilnahme.639 Inwieweit Transparenz und Diskriminierungsfreiheit gewährleistet werden können, richtet sich also nach dem konkreten Auktionsdesign640, so dass sich die Prüfung der energiebinnenmarktrechtlichen Konformität der einzelnen Kapazitätsmarktmodelle vor allem auf die jeweilige Ausgestaltung der Auktionen beziehen muss. 634
Däuper/Voß, ZNER 2012, 119, 121, dort Fn. 13. Görisch, in: Kment, § 53 EnWG Rn. 1 mit Verweis auf Däuper/Grundmann, et 12/2012, 102, 104, zu den Einzelheiten der Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG. 636 Vgl. Heinlein, in: Praxiskommentar EnWG, § 53 EnWG Rn. 7 unter Bezugnahme auf Salje, EnWG § 53 Rn. 11. 637 Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 6. 638 Heinlein, in: Praxiskommentar EnWG, § 53 EnWG Rn. 11; Salje, EnWG § 53 Rn. 8. Vgl. Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 7 zu der Vorgabe, dass Alternativen zum Ausschreibungsverfahren grundsätzlich nur dann vorgesehen sein sollten, wenn diese im Hinblick auf die Art der bereitzustellenden Leistung oder den Kreis der Anbieter einem Ausschreibungsverfahren überlegen sind. 639 Görisch, in: Kment, § 53 EnWG Rn. 4. 640 Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 8. 635
IV. Energiebinnenmarktrechtlicher Prüfungsmaßstab
147
Die Auswahl der Bieter hat sich nach den zuvor festgelegten Kriterien zu richten, welche im Hinblick auf die Art der Leistung und die damit verbundenen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Bieter sachgerecht sein müssen.641 Es darf ferner keine Diskriminierung von Bietern aufgrund sachfremder Erwägungen erfolgen.642 An dieser Stelle ist erneut insbesondere auf die Anwendbarkeit des Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG und hier vor allem auf dessen Abs. 3 Satz 2 hinzuweisen, welcher die Ausschreibungsteilnahme von Unternehmen aus allen EU-Mitgliedstaaten vorschreibt. Die gewählten Kriterien sind im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, § 53 EnWG a. E. bb) Zuständigkeit § 53 EnWG gibt nicht vor, welche Stelle für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (nun: Energie) hat gemäß § 53 EnWG a. E. ausdrücklich nur die Kompetenz, die für das Verfahren ausgewählten maßgeblichen Kriterien zu veröffentlichen. I. Ü. wird sich die Zuständigkeit daher nach Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72/EG richten.
IV. Energiebinnenmarktrechtlicher Prüfungsmaßstab für Kapazitätsmärkte Prüfungsmaßstab für Kapazitätsmärkte im Energiebinnenmarktrecht ist somit die deutsche Umsetzungsvorschrift des § 53 EnWG, der die o. g. Verordnungsermächtigung enthält. Eine konkrete Verordnung auf Grundlage von § 53 EnWG ist indes bisher nicht erlassen worden, so dass hier eine Prüfung entfällt. Zu erwähnen ist dabei, dass § 53 EnWG nur die Ausschreibung neuer Kapazitäten betrifft.643 Dies bedeutet, dass für Kapazitätsmärkte nur dann energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben zu beachten sind, wenn diese die Errichtung von Neubauten vorsehen. Daneben bleiben, wie oben bereits festgestellt, die in § 53 EnWG nicht enthaltenden Vorgaben der Richtlinie 2009/72/EG als höherrangiges Recht zu beachten. Daher gilt auch Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie, der die Berücksichtigung von Bestandsanlagen im Ausschreibungsverfahren vorschreibt. Im Rahmen dieser Arbeit werden Bestimmungen des Umweltrechts und des technischen Sicherheitsrechts, die ihm Rahmen
641
Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, § 53 EnWG Rn. 8. Salje, EnWG § 53 Rn. 13. 643 Vgl. auch die Überschrift des § 53 EnWG: „Ausschreibung neuer Erzeugungskapazitäten im Elektrizitätsbereich.“ 642
148
D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
der Genehmigung neuer Kapazitäten ebenfalls herangezogen werden müssten, hingegen nicht konkret geprüft.644 Für alle Kapazitätsmarktmodelle muss vor Einführung geklärt sein, dass die Versorgungssicherheit durch vorhandene Erzeugungskapazitäten oder getroffene Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen allein nicht gewährleistet ist, § 53 EnWG. Auf dieses Kriterium wird im Rahmen der einzelnen Unterabschnitte nicht erneut hingewiesen, es ist aber energiebinnenmarktrechtlich für alle Modelle unabdingbare Voraussetzung. Solange keine Verordnung gemäß § 53 EnWG erlassen wurde und kein veröffentlichter Kriterienkatalog existiert, können somit für die einzelnen Modelle nicht mehr als die Rechtmäßigkeit des Ausschreibungsverfahrens sowie Zuständigkeitsaspekte abschließend geprüft werden. Mangels konkreter Festlegung auf bestimmte Kriterien im Rahmen einer Verordnung kann nur allgemein festgestellt werden, dass die geplanten Ausschreibungskriterien eines Modells grundsätzlich denen des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 entsprechen, denn diesem Katalog können auch die Kriterien einer noch zu erlassenden Verordnung entnommen werden, vgl. Art. 8 Abs. 3 Satz 4 der Richtlinie 2009/72/EG. Sollten die gewählten Kriterien jedoch nicht mit denen aus Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie übereinstimmen, ist dies unschädlich, da Art. 8 Abs. 3 Satz 4 die Bezugnahme auf Kriterien aus Art. 7 Abs. 2 zwar ermöglicht, aber nicht zwingend vorschreibt. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass energiebinnenmarktrechtlich lediglich die Vorgaben für Verfahren sowie Zuständigkeit abschließend geprüft werden können. Die Auswahlkriterien aus einzelnen Kapazitätsmarktmodellen können nur auf ihre Überschneidungen mit den Kriterien aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2009/72/EG untersucht werden. Hier führt aber die fehlende Übereinstimmung mit den Kriterien aus Art. 7 Abs. 2 noch nicht zur energiebinnenmarktrechtlichen Unzulässigkeit des Auktionsverfahrens. 1. Zentrale Kapazitätsmärkte In beiden zur Diskussion stehenden Modellen für zentrale Kapazitätsmärkte ist der Einbezug von Neubauten vorgesehen. Für diese sollen Auktionsverfahren durchgeführt werden. Der Anwendungsbereich des § 53 EnWG ist damit berührt.645 644 Angesichts der Tatsache, dass für die Genehmigung von Errichtung und Betrieb von Wärmekraftwerken eine Vielzahl an gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften bestehen, würde dies den Umfang der Arbeit weit übersteigen. Zudem umfasst dieses Kapitel der Arbeit lediglich die Prüfung energiebinnenmarktrechtlicher Vorgaben für Kapazitätsmechanismen, nicht jedoch die Prüfung sämtlicher rechtlicher Vorgaben für Errichtung und Betrieb von Kraftwerken. 645 So auch Gerig, S. 81, für sog. mengenbasierte Kapazitätsmechanismen, wenn diese die Schaffung neuer Kapazitäten zum Inhalt haben; Ludwigs, RdE 2015, 325, 329, lehnt dies für zentrale umfassende Kapazitätsmärkte ab, da diese unterschiedslos alle Kraftwerke umfassen und nicht spezifisch nur Neuanlagen adressieren.
IV. Energiebinnenmarktrechtlicher Prüfungsmaßstab
149
Die Durchführung von Auktionsverfahren anstelle eines Ausschreibungsverfahrens ist grundsätzlich rechtmäßig. Gemäß § 53 EnWG müssen solche anderen Verfahren jedoch einem Ausschreibungsverfahren hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertig sein. Dies bedeutet, dass sämtlichen Interessenten und Bietern die unbeschränkte Verfahrensteilnahme offenstehen muss. Nach Art. 8 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2009/72/EG muss zusätzlich auch jedes EUausländische Unternehmen an dem Verfahren teilnehmen dürfen. In zentralen, umfassenden Modellen wäre zunächst sämtlichen inländischen Anlagen die Teilnahme an der Auktion möglich, es bestehen keine konstituierenden Präqualifikationskriterien.646 Hier stünde also allen inländischen Interessenten, die zur Lieferung gesicherter Leistung in der Lage sind, die Teilnahme an einer Auktion unbeschränkt offen. Anders wäre dies jedoch in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt zu beurteilen. In einem solchen würde beispielsweise zwischen Neubauten, Retrofit und DSM unterschieden. Die Ausschreibung bezöge sich somit von vornherein nur auf einen Teil des Kraftwerksparks. Es würden in diesem Modell jeweils getrennte Auktionsverfahren durchgeführt.647 Fraglich ist, ob solche getrennt durchgeführten Auktionsverfahren bereits eine Diskriminierung i. S. d. § 53 EnWG bedeuten. Bei den getrennten Verfahren könnte es sich jedoch auch um die Auswahl auf Grundlage eines bestimmten Kriteriums handeln, § 53 EnWG. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn innerhalb eines Auktionsverfahrens bestimmte Anlagenbetreiber nicht zugelassen oder auf andere Art und Weise benachteiligt werden. Dies wäre hier aber nicht der Fall: Innerhalb einer einzelnen Auktion würden alle Bieter, die das festgelegte Kriterium erfüllen, gleich behandelt. Für alle anderen Interessenten würden separate Auktionsverfahren durchgeführt. Es handelt sich also um keine Diskriminierung, wenn wie in einem fokussierten Modell lediglich auf Basis zuvor festgelegter Kriterien unterschiedliche Verfahren durchgeführt werden. Bei einer Unterscheidung zwischen beispielsweise Neubauten, Retrofit und DSM handelt es sich lediglich um ein zulässiges Kriterium für die Auswahl der Bewerber. Zwar findet sich dieses Kriterium nicht im Katalog des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2009/72/EG wieder. Wie bereits gesehen, ist dies aber auch nicht zwingend notwendig. Die Kriterienauswahl ist nicht auf die Aufzählung in Art. 7 Abs. 2 beschränkt. Aus diesen Gründen handelt es sich bei der Durchführung getrennter Auktionsverfahren in zentralen, fokussierten Kapazitätsmärkten um eine rechtmäßige Auswahl nach zuvor festgelegten Kriterien und nicht um eine Diskriminierung einzelner Anlagenbetreiber. Zu beachten wäre in jedem Fall, dass die gewählten Kriterien im Bundesanzeiger (§ 53 EnWG a. E.) sowie im Amtsblatt der Europäischen Union (Art. 8 Abs. 3 Satz 1 646
A.I.1. 647
A.I.2.
Vgl. zum zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt im Einzelnen auch oben unter Punkt Vgl. zum zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt im Einzelnen auch oben unter Punkt
150
D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
der Richtlinie 2009/72/EG) zu veröffentlichen sind. Diese Aufgabe kommt gemäß § 53 EnWG a. E. dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie648 zu. Problematisch für die energiebinnenmarktrechtliche Zulässigkeit zentraler Kapazitätsmärkte könnte ferner sein, dass jedes EU-ausländische Unternehmen an dem Ausschreibungsverfahren teilnehmen dürfen muss. Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG schreibt in Abs. 1 Satz 1 „Nichtdiskriminierung“ sowie in Abs. 3 eine mögliche Ausschreibungsteilnahme jedes interessierten Unternehmens mit Sitz in einem Mitgliedstaat vor. In beiden zentral organisierten Kapazitätsmarktmodellen wäre jedoch vorgesehen, dass ausschließlich deutschen Anbietern gesicherter Leistung eine Teilnahme am Ausschreibungsverfahren ermöglicht würde. Zwar umfasst eines der Modelle für einen fokussierten Kapazitätsmarkt in seiner Grundversion den gesamten mitteleuropäischen Kernmarkt bestehend aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Italien und Großbritannien.649 Auch in diesem Modell aber würde sich die Ausschreibung nicht an alle interessierten Anbieter aus der gesamten europäischen Union richten.650 Erfüllten aber nur deutsche Unternehmen die Ausschreibungsvoraussetzungen, wäre folglich nur diesen ermöglicht, im Falle eines Zuschlags mit der Regulierungsbehörde Verträge über eine Leistungsvorhaltung abzuschließen. Dies wäre energiebinnenmarktrechtlich nicht zulässig. Sowohl in zentralen, umfassenden als auch in allen zentralen, fokussierten Kapazitätsmärkten lägen damit Diskriminierungen EU-ausländischer Anlagen vor. Möglicherweise liegt außerdem ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72/EG vor, welcher die vorrangige Berücksichtigung von Bestandsanlagen für den Fall vorschreibt, dass die Ausschreibung für benötigte Produktionskapazitäten erfolgt. Dies bedeutet, dass bei Ausschreibungen Bestandsanlagen vorrangig berücksichtigt werden müssen. In zentralen Kapazitätsmärkten legt die zentrale Instanz die Kapazitätsnachfrage fest, also die Menge der benötigten gesicherten Leistung.651 Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ist somit einschlägig. Es wäre in zentralen Modellen daher zu beachten, dass gesicherte Leistung vorrangig von Bestandsanlagen kontrahiert wird. Gesonderte Ausschreibungen nur für Neubauten in fokussierten Kapazitätsmärkten, ohne zuvor die Möglichkeit der Kontrahierung von Bestandsanlagen in Betracht zu ziehen, wären daher nicht zulässig. Indem in beiden zentralen Kapazitätsmarktmodellen eine zentrale staatliche Stelle mit der Durchführung der Auktionsverfahren beauftragt werden würde, wäre 648
Nun: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Vgl. auch oben unter Punkt A.I.2. 650 Die Frage, ob die Einbeziehung sämtlicher Erzeugungsanlagen des EU-Raums in einen deutschen Kapazitätsmarkt technisch überhaupt denkbar ist, ist an dieser Stelle irrelevant. Innerhalb dieses Kapitels geht es um die Prüfung der energiebinnenmarktrechtlichen Vereinbarkeit der aktuell diskutierten Modelle für Kapazitätsmechanismen, wie sie die einzelnen Akteure der Energiewirtschaft ins Gespräch gebracht haben. 651 Vgl. hierzu oben unter Punkt A.I. sowie unter Punkt A.I.1. 649
IV. Energiebinnenmarktrechtlicher Prüfungsmaßstab
151
schließlich auch der Zuständigkeitsregelung des Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 2009/ 27/EG entsprochen, der hierfür die Benennung beispielsweise einer Behörde fordert. Zusammenfassend lässt sich daher für beide Arten von zentralen Kapazitätsmärkten festhalten, dass – zumindest nach einer nicht abschließenden Prüfung mangels Verordnungserlasses gemäß § 53 EnWG – ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2009/72/EG vorliegt. Keines der Modelle eröffnet sämtlichen Erzeugungsanlagen im Gebiet der Europäischen Union die Teilnahme am Auktionsverfahren. Was die Vorgabe des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72/EG betrifft, so ist der Kapazitätsbedarf in allen Modellen vorrangig aus Bestandsanlagen zu decken. In diesem Wege wäre insbesondere in fokussierten Kapazitätsmärkten zu beachten, vorrangig Auktionen für Bestandsanlagen durchzuführen, bevor ein Bedarf an Neubauten ausgeschrieben wird. Weder zentrale, umfassende noch zentrale, fokussierte Kapazitätsmarktmodelle sind damit vollständig mit dem Recht des Energiebinnenmarktes vereinbar. 2. Dezentrale Kapazitätsmärkte Allen dezentralen Kapazitätsmarktmodellen ist gemein, dass sie ohne die Errichtung und den Betrieb von Neubauten auskommen sollen; lediglich Bestandsanlagen würden in einen dezentralen Markt einbezogen werden. Aus diesem Grund sind weder die Vorgaben aus Art. 7 und Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG noch ist die deutsche Umsetzungsvorschrift des § 53 EnWG auf diese Modelle anzuwenden.652 Diese Vorschriften enthalten Vorgaben nur für den Fall, dass neue Erzeugungskapazitäten errichtet und betrieben werden sollen. In dezentralen Kapazitätsmärkten ist aber gerade dies nicht geplant. Das Energiebinnenmarktrecht enthält hingegen keine Bestimmungen, die die Einführung von Kapazitätsmechanismen, die ohne die Errichtung von Neubauten auskommen, regeln. Daher sind alle drei dezentralen Modelle für einen Kapazitätsmarkt mit dem Recht des Energiebinnenmarktes vereinbar. 3. Reservelösungen Wie bereits oben festgestellt, entfällt eine energiebinnenmarktrechtliche Prüfung sowohl der Kapazitätsreserve als auch der Netzreserve.653 Die Netzreserve findet ihre gesetzliche Grundlage in den §§ 13, 13d EnWG; die Kapazitätsreserve in den §§ 13, 13e EnWG. Wie gesehen, finden diese Vorschriften ihre Grundlage nicht im Energiebinnenmarktrecht, sondern basieren auf der dritten EnWG-Novelle aus dem Jahr 2012 bzw. auf dem Strommarktgesetz von September 2015. Weder die Richtlinie 2009/72/EG noch andere energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben sind daher auf die Reservelösungen anwendbar. Verstöße der Kapazitätsreserve sowie der Netzreserve gegen das Recht des Energiebinnenmarktes liegen somit nicht vor. 652 653
So auch Ludwigs, RdE 2015, 325, 329. Vgl. auch oben unter Punkt D.I.
152
D. Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit Energiebinnenmarkt
V. Zusammenfassung Energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben für Kapazitätsmechanismen bestehen nur für klassische Kapazitätsmärkte, also für zentrale und dezentrale Modelle. Hierfür finden sich Bestimmungen einerseits in den Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/ 72/EG sowie in § 53 EnWG, die allesamt Vorgaben für die Durchführung von Ausschreibungsverfahren für neue Kapazitäten enthalten. Die Reservelösungen basieren hingegen auf §§ 13 ff. EnWG, welche nicht aufgrund energiebinnenmarktrechtlicher Vorschriften erlassen wurden, so dass hier eine energiebinnenmarktrechtliche Prüfung entfällt. In allen diskutierten zentralen Kapazitätsmarktmodellen ist eine Einbeziehung neu zu errichtender Kraftwerke vorgesehen. Aus diesem Grund sind die Vorgaben der Richtlinie 2009/72/EG sowie die der Umsetzungsvorschrift des § 53 EnWG anwendbar. Die in zentralen Modellen durchzuführenden Auktionsverfahren sind als Ausschreibungsverfahren gleichwertige Verfahren zulässig. Auch die Tatsache, dass in zentralen, fokussierten Kapazitätsmärkten unterschiedliche Auktionen für verschiedene Kraftwerksarten durchgeführt werden, bedeutet keine Diskriminierung i. S. d. § 53 EnWG. Schließlich stünde der Zugang zu jedenfalls einem Auktionsverfahren jedem interessierten inländischen Unternehmen offen. Bei der Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Kraftwerksarten handelt es sich vielmehr um ein gemäß § 53 EnWG i. V. m. Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2009/72/EG zulässiges Auswahlkriterium. Dagegen läge in allen derzeit diskutierten zentralen Kapazitätsmärkten ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2009/72/EG vor, der vorschreibt, dass allen interessierten Erzeugungsanlagen mit Sitz in der Europäischen Union die Teilnahme an den Ausschreibungsverfahren offenstehen muss. Würde nur deutschen Betreibern die Teilnahme ermöglicht, läge in diesen Modellen ein Verstoß gegen das Recht des Energiebinnenmarktes vor. Aufgrund von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie wäre der Kapazitätsbedarf vorrangig aus Bestandsanlagen zu decken, so dass insbesondere in fokussierten Märkten mit getrennten Auktionsverfahren zunächst Auktionen für Bestandsanlagen durchgeführt werden müssen, bevor gesicherte Leistung aus Neubauten kontrahiert werden darf. Der Zuständigkeitsregelung in Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72/EG wäre in zentralen Modellen entsprochen, wenn eine zentrale staatliche Stelle mit der Durchführung der Auktionsverfahren beauftragt würde. Schließlich wären also weder zentrale, umfassende noch zentrale, fokussierte Kapazitätsmarktmodelle in der Form, wie sie derzeit in Deutschland diskutiert werden, mit dem Recht des Energiebinnenmarktes vereinbar. Da alle in Rede stehenden dezentralen Kapazitätsmarktmodelle, anders als zentrale Modelle, ohne Neubauten auskommen sollen, sind energiebinnenmarktrechtliche Vorschriften für diese Modelle nicht zu prüfen. Energiebinnenmarktrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen existieren nur für Modelle, die die Errichtung von Neubauten vorsehen. Aus diesem Grund sind alle aktuellen dezentralen Kapazitätsmarktmodelle energiebinnenmarktrechtlich zulässig.
V. Zusammenfassung
153
Aufgrund der Tatsache, dass keine energiebinnenmarktrechtlichen Vorgaben für Reservelösungen bestehen, liegt weder im Fall der Kapazitäts- noch im Fall der Netzreserve ein Verstoß gegen das Energiebinnenmarktrecht vor. Energiebinnenmarktrechtlich unzulässig nach derzeitiger Rechtslage sind somit einzig zentrale Kapazitätsmarktmodelle, wenn diese keinen Einbezug EU-ausländischer Erzeugungsanlagen vorsehen und wenn innerhalb dieser nicht vorrangig Bestandsanlagen kontrahiert werden sollten.
E. Ergebnisse 1.
Zu den klassischen Kapazitätsmarktkonzepten sind alle zentralen und dezentralen Modelle für einen Kapazitätsmarkt zu zählen; alle diese Modelle sehen die Einführung eines zweiten Strommarktes, der neben den Energy-only-Markt tritt, vor.
2.
Zu den sog. Reservelösungen gehören die Kapazitäts- sowie die Netzreserve, die nicht als Kapazitätsmärkte bezeichnet werden können, da in diesen Modellen kein zusätzlicher, neben den Energy-Only-Markt tretender Strommarkt geschaffen wird.
3.
Alle klassischen Kapazitätsmarktmodelle sowie die Kapazitätsreserve können als Kapazitätsmechanismen bezeichnet werden; sie dienen dem Zweck der leistungsbilanziellen Versorgungssicherheit, während die Netzreserve die Gewährleistung ausreichender Netzspannung zum Ziel hat.
4.
Der Bereich Kapazitätsmechanismen wurde auf Unionsebene bisher nicht abschließend harmonisiert; weder die Richtlinie 2009/72/EG noch die im Jahr 2014 erlassenen Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020 enthalten abschließende Vorgaben für die Organisation eines solchen Strommarktdesigns.
5.
Eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit liegt in mehreren Kapazitätsmarktmodellen vor, wenn sie die Teilnahme ausschließlich deutscher Erzeugungsanlagen vorsehen: In einem zentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ohne Einbeziehung ausländischer Anlagen in das Ausschreibungsverfahren; in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt wäre ein Eingriff einerseits in der Einführung eines Ausschreibungsverfahrens zugänglich nur für deutsche Stromerzeugungsanlagen eine zu sehen, andererseits würde die Beschränkung der Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren auf bestimmte Kraftwerksarten jeweils für sich eine unerlaubte produktbezogene Vorschrift darstellen; in einem dezentralen, umfassenden Kapazitätsmarkt ist eine Maßnahme gleicher Wirkung gegeben, wenn es ausländischen Erzeugern nicht ermöglicht würde, an einem VSN-Zertifikatehandel in Deutschland teilzunehmen; in einem dezentralen, rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt würde eine Direktvermarktungspflicht den innergemeinschaftlichen Handel zumindest potentiell behindern; bei der Kapazitätsreserve lägen aus denselben Gründen wie in einem zentralen, fokussierten Kapazitätsmarkt zwei Maßnahmen gleicher Wirkung vor; einzig bei der Netzreserve ist ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit nicht ersichtlich.
E. Ergebnisse
155
6.
Die Eingriffe in die Freiheit des Warenverkehrs sind jedoch zum einen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Art. 36 Satz 1 AEUV, zum anderen als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt.
7.
Die Sicherheit der Energieversorgung unterfällt dem Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit i. S. d. Art. 36 Satz 1 AEUV. Da aufgrund nicht ausreichender Grenzkuppelkapazitäten an den deutschen Außengrenzen die Einbeziehung ausländischer Erzeugungsanlagen in einen deutschen Kapazitätsmarkt nicht gleichermaßen effizient wäre, ist der Eingriff auch verhältnismäßig.
8.
Art. 106 Abs. 2 AEUV ermöglicht eine Rechtfertigung aufgrund der Einordnung der Kapazitätsmarktmodelle als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse; eine Abwägung verschiedener betroffener Unionsinteressen ergibt, dass wettbewerbliche Belange sowie das Ziel eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes hinter den Interessen an einer sicheren Energieversorgung sowie an der Daseinsvorsorge zurückzutreten haben.
9.
Das beihilferechtliche Tatbestandsmerkmal der Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln ist in keinem Modell klassischer Kapazitätsmärkte erfüllt: Es fließen in zentralen Modellen keine vollständig staatlichen Mittel aus öffentlichen Haushalten i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV an die Begünstigten. Parallel hierzu liegt in keinem der dezentralen Modelle Staatlichkeit vor, denn keine staatliche Stelle wäre an einem Zertifikatehandel beteiligt bzw. es wäre in einem rein nachfrageorientierten Kapazitätsmarkt kein Einbezug öffentlicher Mittel vorgesehen.
10. Auch bei den Reservelösungen liegt kein aus staatlichen Mitteln gewährter Vorteil vor: Da laut aktuellem Gesetzentwurf für eine Kapazitätsreserve die öffentlichen Haushalte keinerlei Kosten des Modells mehr tragen sollen, ist Staatlichkeit der gewährten Begünstigung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht gegeben. Bei der Netzreserve wird zwar den Anlagenbetreibern zum einen und den Übertragungsnetzbetreibern zum anderen ein Vorteil gewährt, diese Vorteile sind aber ebenfalls nicht-staatlicher Natur. 11. Mangels Einschlägigkeit des Beihilfetatbestandes des Art. 107 Abs. 1 AEUV kommt eine Prüfung der Energiebeihilfeleitlinien über die Ausnahmevorschrift des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV gar nicht erst in Betracht, so dass alle untersuchten Modelle mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar sind. 12. Energiebinnenmarktrechtliche Voraussetzungen für Kapazitätsmechanismen bestehen nur für klassische Kapazitätsmärkte: Hierfür finden sich einerseits in Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG sowie andererseits in § 53 EnWG Vorgaben für die Durchführung von Ausschreibungsverfahren für neue Kapazitäten. 13. Mangels Einbezugs von Neubauten sind für keines der in Rede stehenden dezentralen Kapazitätsmarktmodelle energiebinnenmarktrechtliche Vorschriften einschlägig, so dass diese Modelle energiebinnenmarktrechtlich zulässig sind.
156
E. Ergebnisse
14. Aufgrund fehlender energiebinnenmarktrechtlicher Vorgaben für Reservelösungen liegt weder im Fall der Kapazitäts- noch im Fall der Netzreserve ein Verstoß gegen das Energiebinnenmarktrecht vor. 15. Die in zentralen Modellen durchzuführenden Auktionsverfahren sind als regulären Ausschreibungsverfahren gleichwertige Verfahren zulässig. 16. Die Tatsache, dass in zentralen, fokussierten Kapazitätsmärkten unterschiedliche Auktionen für verschiedene Kraftwerksarten durchgeführt werden, bedeutet keine Diskriminierung i. S. d. § 53 EnWG; bei der Unterscheidung zwischen einzelnen Kraftwerksarten handelt es sich vielmehr um ein gemäß § 53 EnWG i. V. m. Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2009/72/EG zulässiges Auswahlkriterium. 17. In allen derzeit diskutierten zentralen Kapazitätsmarktmodellen liegt ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2009/72/EG vor, der vorschreibt, dass allen interessierten Erzeugungsanlagen mit Sitz in der Europäischen Union die Teilnahme an den Ausschreibungsverfahren offenstehen muss. 18. Aufgrund von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie ist der Kapazitätsbedarf vorrangig aus Bestandsanlagen zu decken, so dass insbesondere in zentralen, fokussierten Märkten mit getrennten Auktionsverfahren zunächst Auktionen für Bestandsanlagen durchgeführt werden müssen, bevor gesicherte Leistung aus Neubauten kontrahiert werden darf. 19. Der Zuständigkeitsregelung in Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72/EG wäre in zentralen Modellen entsprochen, wenn eine zentrale staatliche Stelle mit der Durchführung der Auktionsverfahren beauftragt würde. 20. Schließlich wären zentrale, umfassende sowie zentrale, fokussierte Kapazitätsmarktmodelle in der Form, wie sie derzeit in Deutschland diskutiert werden, nicht mit dem Recht des Energiebinnenmarktes vereinbar. 21. Als Endergebnis lässt sich zusammenfassen, dass für jegliche Art von derzeit diskutierten Kapazitätsmechanismen einzig zentrale Modelle europarechtlich problematisch sind. Wenn solche – gleich ob umfassender oder fokussierter Art – derart ausgestaltet sind, dass nur inländischen Erzeugungsanlagen die Teilnahme an den Auktionsverfahren offensteht, ist dies nicht mit der Richtlinie 2009/72/EG vereinbar. Auch müsste für die energiebinnenmarktrechtliche Vereinbarkeit sichergestellt sein, dass der Bedarf an gesicherter Leistung vorrangig aus Bestandsanlagen gedeckt wird, um den Vorgaben der Richtlinie zu entsprechen.
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Stichwortverzeichnis Amtsblatt der Europäischen Union 141, 148 ANETT-Rechtsprechung 84, 86 f.
70, 96,
Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs 112 f., 115 f., 118, 120 Begünstigung 124, 130 ff., 136 f., 154 Beihilfe 19, 77 ff., 80, 123 f., 126 ff. Beihilferecht 19 ff., 73, 75, 82, 108, 123 ff., 154 Betrauungsakt 109 f. Bindungswirkung 73 ff., 81 f. Binnenmarkt 19, 46, 60 f., 68, 72, 77, 79, 113 ff., 117 f., 120 Bundesnetzagentur 24, 42, 45, 48 f., 125 ff., 131, 134 Cassis-Rechtsprechung 83, 98, 120, 122 – Rechtfertigung nach 105 f. Daseinsvorsorge 107, 117 ff., 122, 154 Dassonville-Formel 83 ff., 87 Demand Side Management (DSM) 34, 79 Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 107 f., 120, 122, 154 Dienstleistungsfreiheit 53 ff. Direktvermarktung 35, 36, 51, 85, 90, 92 f., 97, 103, 122, 129, 135, 153 Drittländer, Lieferungen aus 68, 116 EEG-Umlage 126 f., 131 f., 134 Ein- oder Ausfuhrbeschränkung, mengenmäßige 57, 83 Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 83 ff., 89, 92 ff., 96 f., 121 f., 153 f. Einsatzfunktion 13 Energiebinnenmarkt 18, 20 f., 46, 114, 116, 120, 122, 137 ff., 154 f. Energien, erneuerbare 13 f., 35 f., 64 f., 85, 92, 101, 106, 127, 129
Energy-Only-Markt 15, 23, 28, 30, 37, 49 ff., 86 Erlösobergrenze 80, 134 f. Genehmigungsverfahren 69 f., 138, 140, 142 Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 124 ff., 154 Grenzkuppelkapazität 103, 111, 120, 122, 154 Grenzkuppelstellen 31, 91, 103 Harmonisierung 17, 55 f., 61 ff., 74, 76 ff., 82, 100, 121 Harmonisierungsmaßnahme 55 ff., 61 ff., 72 ff., 77 Herkunftslandprinzip, beschränktes 83 Hoheitsakt 109 Infrastruktur
107, 111, 114
Kapazitätsmarkt, Begriff 22 Kapazitätsmarkt, dezentraler – Begriff 28 f. – Energiebinnenmarktrechtliche Vereinbarkeit 150 Kapazitätsmarkt, dezentraler, umfassender – Begriff 29 – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 89 ff., 153 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 128 ff., 154 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 Kapazitätsmarkt, dezentraler, umfassender mit „ex-ante-Verpflichtung“ – Begriff 33 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 128 f.. 154 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154
Stichwortverzeichnis – Teilnahme am Strommarkt 34 – Zentrale Instanz 33 f. – Zertifikate 34 Kapazitätsmarkt, dezentraler, umfassender ohne zentrale Verpflichtung – Begriff 29 f. – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 128 f., 154 – Market Maker 32 f. – Pönale 30 f. – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 – Teilnahme am Strommarkt 31 – Zertifikate 29 Kapazitätsmarkt, dezentraler, umfassender, rein nachfrageorientierter – Begriff 35 – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 92 ff. – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 129 f., 154 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 Kapazitätsmarkt, zentraler – Begriff 24 – Energiebinnenmarktrechtliche Vereinbarkeit 147 ff., 150 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 125 ff. Kapazitätsmarkt, zentraler, fokussierter – Auktion 26 f. – Begriff 26 – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 86 ff., 153 – Kosten 27 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 – Teilnahme am Strommarkt 27 Kapazitätsmarkt, zentraler, umfassender – Auktion 25 – Begriff 25 – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 85 f., 153 – Kosten 25 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 – Teilnahme am Strommarkt 26 – Versorgungssicherheitsvertrag 26
163
Kapazitätsmechanismus, Definition 22 f. Kapazitätsreserve – Auktion 38 f. – Begriff 37 ff. – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 93 f., 153 – Energiebinnenmarktrechtliche Vereinbarkeit 138 f., 150 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 130 ff., 154 – Kosten 39, 41 – Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit 102 ff., 154 – Zentrale Instanz 38 Kapazitätsreserveverordnung (KapResV) 40 ff., 96, 133 Keck-Rechtsprechung 84 ff., 95 Kommission 71 ff., 108, 110, 119, 121, 123 – Selbstbindung der 123 Leistungsbilanz siehe Versorgungssicherheit Leistungseinspeisung 54 Leistungsvorhaltung 21 f., 29 f., 35, 51 f., 54, 86, 149 Leitlinien 18 f., 71 ff. 117, 121, 123 f., 136, 153 f. Marktzugangshindernis 84, 86 Marktzugangsrecht 84, 86, 95 Maßnahme gleicher Wirkung 83 f., 87, 89 f., 90, 92 ff., 96 f., 120 ff., 153 Netzengpasse siehe Netzreserve Netznutzungsmarkt 54 Netzreserve – Administrativer Ansatz 42 – Ausschreibungsverfahren 44 ff. – Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 94 ff., 153 – Energiebinnenmarktrechtliche Vereinbarkeit 138 f., 150 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln 133 f., 154 – Kosten 47 – Reservekraftwerksbedarf 45 – Systemanalyse 45 Netzreserveverordnung siehe Netzreserve Netzspannung 23, 42, 79, 101, 138, 153
164
Stichwortverzeichnis
Präqualifikationskriterien 25, 31, 38, 52, 93 Prognoseentscheidung 127 f., 131 f. Reservekraftwerksverordnung (ResKV) 21, 23, 43 ff., 48, 50, 52, 138
Überkompensationsverbot 110 Umlagefinanzierung 127 f., 130, 132 ff. Umweltschutz 70, 105 f. Unionsinteresse 112 ff., 122 Unternehmen, öffentliches 107
Schranken-Schranke 112 Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit 53 ff., 83 Sicherheit, öffentliche 68, 98 ff., 104, 108, 120, 122 Spotmarkt 14, 26, 51 Staatlichkeit siehe Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln Strategische Reserve siehe Kapazitätsreserve Strommarktdesign 15 f., 21 ff., 36, 38 f., 50, 55, 65, 69 ff., 82, 121, 137, 144, 153
Verfassungsrecht 16, 21 Versorgungssicherheit 25 f., 30 f., 33, 36, 42, 46, 49, 51 f., 66 ff., 79, 82, 95, 101 f., 114, 116 ff., 137 ff., 143 ff., 153 – leistungsbilanzielle 23, 30, 49, 51, 101, 138, 153 Vertrag von Lissabon 116, 118 Vorhaltefunktion 13 Vorschriften, produktbezogene 84, 87 ff., 94, 97 f. 105, 121 f., 153 Vorteil siehe Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln