Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung: Die Vereinbarkeit der Entwürfe eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Grundgesetz [Reprint 2019 ed.] 9783110881455, 9783110059038


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German Pages 109 [112] Year 1975

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSÜBERSICHT
1. Teil: GRUNDLAGEN
2. Teil: DIE VEREINBARKEIT DER PARITÄTISCHEN MITBESTIMMUNG MIT ART. 14 GG
3. Teil: DIE VEREINBARKEIT DER ENTWÜRFE MIT ART. 9 ABS. 3 GG
ERGEBNISSE
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Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung: Die Vereinbarkeit der Entwürfe eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Grundgesetz [Reprint 2019 ed.]
 9783110881455, 9783110059038

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Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung Die Vereinbarkeit der Entwürfe eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Grundgesetz

von Thomas Raiser

w DE

C

1975

Walter de Gruyter • Berlin • New York

ISBN 3 11 005903 7 © Copyright 1975 Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., 1 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Mercedes-Druck, 1 Berlin 61 Bindearbeiten: Wübben, 1 Berlin 42

VORWORT Die Schrift geht auf ein Rechtsgutachten zurück, das ich im Mai 1974 im Auftrag des Bundesministers der Justiz erstattet habe. Für den Druck wurden einige Partien überarbeitet. Namentlich habe ich die Abschnitte X. 2. und 3. streckenweise neu gefaßt, um die Kollision der paritätischen Mitbestimmung mit Art. 9 Abs. 3 GG noch schärfer herauszuarbeiten. Auch die Zusammenfassung am Schluß ist neu hinzugekommen. Gießen, im November 1974

Thomas Raiser

INHALTSÜBERSICHT I. Teil: Grundlagen

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I. Die Gesetzentwürfe

8

II. Die Auswirkungen der Gesetzentwürfe auf die einzelnen Gesellschaftsformen 1. Die Aktiengesellschaft 2. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien 3. Die GmbH und die bergrechtliche Gewerkschaft 4. Die Genossenschaft 5. Der Konzern 6. Zusammenfassung III. Die weiteren auf das Gleichgewicht zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern einwirkenden Faktoren 1. Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz 2. Anteilserwerb durch Arbeitnehmer und Gewerkschaften . 3. Das Nebeneinander von paritätischer Mitbestimmung und Tarifautonomie IV. Ziele und Ideen der paritätischen Mitbestimmung V. Wirtschaftliche, soziale und rechtliche Konsequenzen der paritätischen Mitbestimmung 1. Wirtschaftliche Folgen 2. Soziale Auswirkungen 3. Rechtliche Konsequenzen VI. Schwierigkeiten der verfassungsrechtlichen Würdigung der Entwürfe 1. Die Diskrepanz zwischen dem Ideal der paritätischen Mitbestimmung und seiner Realisierung durch die Entwürfe 2. Die Unvollständigkeit der von den Entwürfen in Aussicht genommenen Regelung 3. Die Unsicherheit der Prognose über die künftige Entwicklung 4. Grundrechtskonkurrenzen

12 13 16 17 20 20 22 24 24 26 28 30 32 33 33 35 37

37 38 39 40 5

2. Teil: Die Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit Art. 14 GG

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VII. Paritätische Mitbestimmung und Eigentumsgarantie 1. Das Problem 2. Art. 14 GG als Individualrecht und Institutsgarantie . . . . 3. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu Art 14 Abs. 1 GG 4. Zusammenfassung 5. Die paritätische Mitbestimmung im Lichte des Feldmühle-Urteils 6. Die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung mit Art. 14 Abs. 1 GG 7. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der von den Entwürfen vorgesehenen unterparitätischen Mitbestimmung . 8. Die überparitätische Mitbestimmung

46 46 48

VIII. Der durch Art. 14 GG gebotene Schutz der Anteilseigner . . 1. Schutzvorschriften gegen die Überparität 2. Die Lösung des Patts 3. Die Verantwortlichkeit von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern 4. Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern 5. Die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern 6. Veräußerung des Gesellschaftsanteils und Kündigung der Gesellschaft

67 68 69

57 60 66 66

70 73 75 76

3. Teil: Die Vereinbarkeit der Entwürfe mit Art. 9 Abs. 3 GG

79

IX. Paritätische Mitbestimmung und Koalitionsfreiheit 1. Das Problem 2. Die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts 3. Die Zulässigkeit der paritätischen Mitbestimmung nach Art. 9 Abs. 3 GG

79 79

X. Die von den Entwürfen vorgesehene Regelung im Licht des Art. 9 Abs. 3 GG 1. Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Nebeneinanders von paritätischer Mitbestimmung und Tarifautonomie . . 2. Das Problem der Gegnerunabhängigkeit und Waffengleichheit der Tarifpartner

6

50 57

84 90 93 94 95

3. Konsequenzen der von den Entwürfen vorgesehenen Unternehmensordnung für das kollektive Arbeitsrecht . . 101 4. Unzulässigkeit der Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern an Streiks 103 Ergebnisse XI. Zusammenfassung in Thesen

105 105

7

1. Teil: GRUNDLAGEN / . Die

Gesetzentwürfe

Gegenstand der folgenden Überlegungen ist es, die Vereinbarkeit eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) mit dem Grundgesetz zu prüfen. Die Untersuchung erstreckt sich in erster Linie auf den von der Bundesregierung am 22. 2. 1974 im Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf 1 , aber auch den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unter dem 6. 1. 1974 vorgelegten, von der Bundesregierung jedoch nicht verabschiedeten und auch nicht veröffentlichten Vorentwurf mit in die Betrachtung einzubeziehen. Beide Entwürfe verfolgen das Ziel, im Anschluß an die Regierungserklärung vom 18. 1. 1973 die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen in Richtung auf eine Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern auszubauen. Sie unterscheiden sich darin, daß der ursprüngliche Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf diesem Weg ein erhebliches Stück weiterschreitet als der Regierungsentwurf. Im Einklang mit sämtlichen bereits im geltenden Recht realisierten Konzeptionen siedeln die Entwürfe die Mitbestimmung im Aufsichtsrat an. Sie schreiben daher für alle Unternehmen, die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bergrechtlichen Gewerkschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit sowie, unter näher bestimmten Voraussetzungen, GmbH & Co. KG betrieben werden und die ferner in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen, die Errichtung eines Aufsichtsrats vor, 1

8

BR-Drucks. 2 0 0 / 7 4 .

sofern sie nicht schon nach geltendem Recht aufsichtsratspflichtig sind. Der Aufsichtsrat ist paritätisch, d. h. mit der gleichen Zahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zu besetzen. In Konzernen wird die paritätische Mitbestimmung nicht nur für die einzelnen Konzernunternehmen vorgeschrieben, wenn sie in einer der genannten Rechtsformen betrieben werden, sondern auch für die Konzernspitze, sofern diese ihrerseits in einer dieser Rechtsformen organisiert ist. Ausgenommen bleiben die Montanindustrie, für die es bei den Montanmitbestimmungsgesetzen bewenden soll, sowie — jedenfalls nach dem Regierungsentwurf — die Tendenzbetriebe im Sinne des § 118 BetrVerfG. Nicht erfaßt sind ferner Einzelunternehmen, Personengesellschaften und Konzernobergesellschaften, die als Einzelunternehmen oder Personengesellschaften geführt werden, weil, wie die Begründung zum Regierungsentwurf ausführt 2 , das Gesetz der Unternehmensrechtsreform nicht vorgreifen will. Die Probleme, welche die paritätische Mitbestimmung für in dieser Rechtsform geführte Unternehmen aufwirft, bleiben demgemäß hier außer Betracht. Die Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat erfolgt unverändert nach den Regeln des Gesellschaftsrechts. Die Vertreter der Arbeitnehmer werden auf Vorschlag teils der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, teils der in ihm vertretenen Gewerkschaften von Wahlmännern gewählt, die ihrerseits von der Belegschaft gewählt werden. Das Wahlverfahren, dessen komplizierte Einzelheiten an dieser Stelle noch nicht interessieren, gewährleistet, daß auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat je nach Größe des Unternehmens zwei oder drei Gewerkschaftsvertreter sowie mindestens je ein Vertreter der Arbeiter, der Angestellten und der leitenden Angestellten sitzen. Die Amtsperiode dauert wie im geltenden Aktienrecht vier Jahre. Vorzeitig können Arbeitnehmervertreter nur abberufen werden, wenn eine Mehrheit von drei Vierteln der Gruppe, die sie repräsentieren bzw. die Gewerkschaft, welche sie vorgeschlagen hat, dies verlangen und das Wahlmännergremium dem Verlangen durch einen Beschluß Rechnung 2

BR-Drucks. 2 0 0 / 7 4 , S. 19, zu § 4 .

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trägt, der gleichfalls einer Dreiviertel-Mehrheit bedarf. Ferner kann das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats, der mit einfacher Mehrheit beschlossen wird, ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer abberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt 3 . Die Rechtsstellung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder ist in beiden Entwürfen nur sehr bruchstückhaft geregelt und unterliegt im übrigen je nach Rechtsform des Unternehmens den Vorschriften des Aktiengesetzes, GmbH-Gesetzes und Genossenschaftsgesetzes. Soweit diese Gesetze dispositives Recht enthalten, kann sie auch in den Satzungen bzw. Gesellschaftsverträgen geregelt werden. Während der Entwurf des Bundesministers für Arbeit- und Sozialordnung 4 noch eine Vorschrift enthielt, wonach alle Aufsichtsratsmitglieder dieselben Rechte und Pflichten haben und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, ist eine Vorschrift dieses Inhalts im Regierungsentwurf nicht mehr zu finden. Eingehend geregelt ist hingegen die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters, für die im ersten Wahlgang eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Aufsichtsrats verlangt wird, im zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen und in einem gleichwohl noch erforderlichen dritten Wahlgang die gesonderte Wahl je eines Mitglieds der Anteilseigner- und der Arbeitnehmerbank. Wird ein Aufsichtsratsmitglied der Anteilseigner zum Vorsitzenden gewählt, so muß der Stellvertreter ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer sein oder umgekehrt. Gelingt die Wahl erst im zweiten oder dritten Wahlgang, so wechseln die Gewählten den Vorsitz im Aufsichtsrat im Turnus von zwei Jahren. Die Reihenfolge bestimmt notfalls das Los. In den Entwürfen geregelt wird ferner die Wahl der Mitglieder des Vorstands bzw. des zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens berufenen Organs 5 , die, mit Aus3

§ 6 des Regierungsentwurfs i. V. m. § 103 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG.

4

§24. Im folgenden wird zur Vereinfachung des Ausdrucks durchgehend von Vorstand und Vorstandsmitgliedern gesprochen, obwohl die zur Geschäftsführung und gesetzlichen Vertretung bei allen betroffenen Gesellschaften berufenen Organe gemeint sind.

5

10

nähme des persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, zwingend in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats fällt. Im ersten Wahlgang ist zur Wahl eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Aufsichtsrats erforderlich. Nach dem Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung soll statt dessen die gewöhnliche absolute Mehrzahl genügen, jedoch wird jeder Seite ein Veto eingeräumt, das die Mehrzahl der Mitglieder dieser Seite voraussetzt. Kommt die Wahl auf diese Weise nicht zustande, hat der Aufsichtsrat einen paritätischen Ausschuß zu bilden, der für den zweiten Wahlgang einen Vorschlag zu machen hat. Für die Wahl selbst genügt nunmehr die gewöhnliche absolute Mehrheit und das im Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vorgesehene Veto einer Gruppe fällt weg. Gelingt die Wahl wiederum nicht, bleibt nach dem Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung nur die Notbestellung durch das Gericht gemäß § 85 AktG, während der Regierungsentwurf nunmehr einen dritten Wahlgang vorsieht, zu welchem dem Vorstand ein Vorschlagsrecht eingeräumt wird. Nicht ganz klar ist, ob zu einem wirksamen Beschluß über diesen Vorschlag nunmehr die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht oder noch immer die Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder vorausgesetzt wird 6 . Kommt die Wahl noch immer nicht zustande, entscheidet auf Vorschlag des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters „das Wahlorgan" 7 , d. h. die Haupt-, Gesellschafter- oder Generalversammlung, kurz: das Organ der Anteilseigner 8 . Nach 6

7 8

Nach dem Wortlaut ist die Mehrheit im Aufsichtsrat erforderlich (§ 28 Abs. 4 Satz 2 Regierungsentwurf), während der Entwurf vorher von der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder spricht (§ 28 Abs. 3 Satz 3 Regierungsentwurf). Unter Mehrheit ist nach § 26 Abs. 1 des Regierungsentwurfs im Normalfall die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, nicht der Stimmen sämtlicher Mitglieder zu verstehen. Dies spricht dafür, daß im dritten Wahlgang nur noch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. In der Begründung zu § 28 des Regierungsentwurfs wird die Frage nicht erläutert. Die Frage sollte im Gesetz ausdrücklich und zweifelsfrei geregelt werden. § 28 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 8 Abs. 1. Im folgenden generell als Gesellschafterversammlung bezeichnet.

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denselben Regeln kann die Bestellung vorzeitig widerrufen werden 9 . Ob daneben ein Widerruf aus wichtigem Grund gemäß § 84 Abs. 3 AktG möglich ist, bleibt wiederum offen. Die Frage sollte indessen geklärt werden, da § 84 Abs. 3 AktG und § 28 Abs. 5 RegE kaum auf einen Nenner zu bringen sind10. Zu erwähnen ist schließlich, daß beide Entwürfe die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung von Stimmrechten in der Gesellschafterversammlung eines anderen Unternehmens beschränken, die dem Unternehmen aufgrund von Beteiligungen zustehen 11 . Die Vorschrift soll ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf vermeiden, daß die Arbeitnehmerseite ein Übergewicht erhält. Übergangsregeln enthält das Gesetz nur insofern, als Vorstandsmitglieder und geschäftsführende Gesellschafter bis zu fünf Jahren im Amt bleiben können, bevor sie sich einer Wahl durch den paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsrat stellen müssen, sofern die Amtsperiode nicht aus anderen Gründen früher abläuft. Nach Ablauf dieser Frist kann ihre Stellung mit einfacher Mehrheit jederzeit widerrufen werden, damit die Neuwahl auf der Basis der Parität nunmehr möglich wird. Nur der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien kann nach ausdrücklicher Vorschrift 12 nicht auf diesem Weg abberufen und ersetzt werden; er ist geborener Vorstand.

II. Die Auswirkungen der Gesetzentwürfe auf die einzelnen Gesellschaftsformen Die Unvollständigkeit der in den Entwürfen vorgesehenen Regelung und die beabsichtigte Fortgeltung des Gesellschaftsrechts überall dort, wo die Entwürfe keine Vorschriften ent9 10 11 12

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§ 28 Abs. 5 RegE. Im Einzelnen s. u. S. 71 f. S. § 29 RegE. § 33 Abs. 4 des Regierungsentwurfs.

halten, wirkt sich bei den betroffenen Gesellschaftsformen unterschiedlich aus, was auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung ins Gewicht fällt und daher hier im Einzelnen ausgeführt werden muß 1 . 1. Bei der Aktiengesellschaft ist die innere Organisation im Gesetz überwiegend zwingend festgelegt und daher relativ starr. Die Grundsatzentscheidungen über das Leben der Gesellschaft bzw. des Unternehmens, namentlich über Satzungsänderungen, über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung, über den Abschluß von Konzernverträgen, über Eingliederung, Umwandlung der Rechtsform oder Verschmelzung mit einem anderen Unternehmen und schließlich über die Auflösung der Gesellschaft fallen in die Zuständigkeit der Hauptversammlung, die überwiegend mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden hat. Die Hauptversammlung hat ferner über die Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, über die Bestellung von Prüfern und über die Verwendung des Bilanzgewinns zu beschließen. Im Rahmen ihrer Satzungsgewalt kann sie ferner bestimmen, daß gewisse Arten von Geschäften, die an sich dem Vorstand obliegen, nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen 2 . Dagegen kann sie nach herrschender Lehre 3 das Recht des Aufsichtsrats, auch seinerseits bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig zu machen, nicht beschränken oder ausschließen. Über Fragen der Geschäftsführung hat die Hauptversammlung nur zu entscheiden, wenn der Vorstand dies verlangt, was in Betracht kommt, wenn der Vorstand im Aufsichtsrat auf Widerstand stößt 4 . Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung zu einem nach § 111 Abs. 3 AktG zustimmungsbedürftigen Geschäft, so kann

2 3 4

Zum Folgenden vgl. namentlich Martens, Mitbestimmung, Konzeinbildung und Gesellschaftereinfluß, ZHR 138, S. 179 ff. (210 ff.). § 111 Abs. 4 AktG. Vgl. statt aller Mertens im Kölner Kommentar zum AktG, § 111 Rdn. 60. § 1 1 9 II AktG.

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der Vorstand sogar kraft ausdrücklicher Gesetzesregel verlangen, daß die Hauptversammlung über die Angelegenheit entscheidet. Allerdings kann die verweigerte Zustimmung des Aufsichtsrats in diesem Fall nur durch einen Beschluß ersetzt werden, der mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen zustandekommt 5 . Endlich stellt die Hauptversammlung auch den Jahresabschluß fest, wenn der Aufsichtsrat den vom Vorstand vorgelegten Entwurf nicht billigt 6 . Für die Geschäftsführung ist in der Aktiengesellschaft der Vorstand zuständig, der, nach dem Wortlaut des Gesetzes, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat sowie gerichtlich und außergerichtlich vertritt 7 . Dem Aufsichtsrat stehen, neben dem Recht zur Wahl des Vorstands, Kontrollbefugnisse zu, die sich grundsätzlich vor allem darin konkretisieren, Berichte des Vorstands über die Geschäftstätigkeit entgegenzunehmen 8 . Ein echtes Mitwirkungsrecht kommt ihm zu insofern, als der Jahresabschluß nur mit seiner Billigung rechtswirksam festgestellt wird 9 . Versagt er die Zustimmung, so tritt allerdings, wie bereits erwähnt, der Letztentscheid der Hauptversammlung in Kraft. Der Aufsichtsrat vertritt ferner die Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Vorstands und hat namentlich im Fall von Pflichtverletzungen die der Gesellschaft zustehenden Schadensersatzansprüche geltend zu machen 10 . Schließlich kann er — neben der Wahl des Vorstands sein wichtigstes Recht — bestimmte Arten von dem Vorstand obliegenden Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen und sich auf diesem Weg einen maßgeblichen Einfluß auf die Geschäftspolitik sichern 11 . Wiederum ersetzt, § 1 1 1 Abs. 4 AktG. § 173 I AktG. §§ 76 ff. AktG. § 90 AktG. § 172 AktG. § 1 1 2 AktG. § 1 1 1 Abs. 4 AktG.

wie bereits erwähnt, bei von Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auch in diesem Fall der Letztentscheid der Hauptversammlung den Beschluß des Aufsichtsrats. Es ist bekannt, daß der von den aktienrechtlichen Kompetenzregeln gesetzte Rahmen weit genug ist, in der Realität sehr unterschiedlichen Entscheidungsstrukturen Raum zu gewähren. In Publikumsunternehmen mit weit verstreutem Aktienbesitz hat der Vorstand regelmäßig keine eigene geschäftspolitische Initiative der Hauptversammlung oder auch nur einen spürbaren Widerstand gegen die von ihm projektierte Geschäftspolitik zu erwarten. Daher gelingt es ihm in den meisten Fällen, für die Wahl zum Aufsichtsrat, soweit es um die Vertreter der Anteilseigner geht, Personen seines Vertrauens vorzuschlagen, die dann ohne weiteres gewählt werden. Er ist mit anderen Worten nahezu uneingeschränkt der Herr des Unternehmens. Auf der anderen Seite können ein Mehrheitsaktionär oder wenige Großaktionäre mittels der der Hauptversammlung zustehenden Rechte die Besetzung des Aufsichtsrats und mittelbar auch des Vorstands nach ihren Wünschen lenken und dessen Selbständigkeit durch Zustimmungsvorbehalte so stark beschneiden, daß die Leitung des Unternehmens über alle gesetzlichen Kompetenzregeln hinweg de facto in ihrer Hand liegt 12 . Je nach Entscheidungsstruktur wird sich nach alledem auch die paritätische Mitbestimmung unterschiedlich auswirken 13 . In Publikumsgesellschaften wird sich der Vorstand bei den Vertretern der Anteilseigner im Aufsichtsrat, die auf seine Initiative gewählt wurden, regelmäßig leicht durchzusetzen, solange er wirtschaftlich sinnvoll operiert. Dagegen muß er von Seiten der Arbeitnehmervertreter mit 12

Zum Ganzen vgl. Th. Raiser, Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung in mitbestimmten Aktiengesellschaften, in: Funktionswandel von Privatrechtsinstitutionen, Festschrift für Ludwig Raiser, 1974, S. 355 ff.

13

Th. Raiser, a . a . O . , S. 3 6 2 f f .

15

Widerstand rechnen. Da der Letztentscheid der Hauptversammlung bei verstreutem Aktienbesitz ein wenig geeignetes Instrument ist, einen solchen Widerstand zu brechen, bleibt ihm in solchen Fällen nichts anderes übrig, als ein Arrangement mit der Arbeitnehmerseite zu suchen. Die Untersuchungen der Mitbestimmungskommission haben ergeben, daß in der Montanindustrie der Vorstand tatsächlich bestrebt ist, das Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern herzustellen. Vielfach trifft der Vorstand zu diesem Zweck vor der Sitzung, in der die Entscheidung fallen soll, mit diesen zusammen, um die anstehenden Fragen zu klären. Vom Appell an die Hauptversammlung wird dagegen kein Gebrauch gemacht 14 . Der Einfluß der Arbeitnehmervertreter kommt in diesen Fällen einer völlig gleichgewichtigen Mitbestimmung also sehr nahe. Wenn der Arbeitnehmerbank dagegen ein Mehrheitsaktionär oder wenige Großaktionäre bzw. deren Vertrauensleute gegenüberstehen, werden die Beteiligten zwar gleichwohl zunächst eine Verständigung suchen, erlaubt die Letztentscheidung der Hauptversammlung aber den Anteilseignern, sich notfalls sowohl bei der Wahl der Vorstandsmitglieder wie bei zustimmungspflichtigen Geschäften durchzusetzen. Insoweit muß sich demnach trotz der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats das Übergewicht, welches die Entwürfe den Anteilseignern belassen, entscheidend bemerkbar machen. 2. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien ist die Macht zwischen den Gesellschaftsorganen zum Nachteil des Aufsichtsrats wesentlich anders verteilt 15 . Da anstelle des vom Aufsichtsrat gewählten Vorstands der oder die persönlich haftenden Gesellschafter treten, deren Position nach geltendem Recht, das auch die Entwürfe bestätigen, für den Aufsichtsrat unangreifbar ist, fällt dessen wichtigstes Machtinstrument weg. Zugleich versagt ihm das Gesetz die 14

Vgl. Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. V I / 3 3 4 , Abschn. III, 18, 2 0 ff.

15

Vgl. Martens, a . a . O . , S. 2 1 2 f f .

16

Mitwirkung bei der Feststellung des Jahresabschlusses, die in die Kompetenz der Hauptversammlung fällt. Auch ein Recht, bestimmte Geschäfte des Vorstands an seine Zustimmung zu binden, steht ihm nur zu, wenn es ihm von der Hauptversammlung ausdrücklich eingeräumt wird 16 . Schließlich ist er nur dann befugt, die Gesellschaft gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern zu vertreten, wenn die Hauptversammlung keine besonderen Vertreter für diesen Zweck wählt 17 . Was übrig bleibt, sind Informations- und Prüfungsrechte ohne jede eigene Sanktionsbefugnis, die den Aufsichtsrat, wenn die Hauptversammlung das will, zum faktisch bedeutungslosen Gremium degradieren. Der maßgebliche Einfluß auf das Geschehen im Unternehmen wird in der Kommanditgesellschaft auf Aktien anders als in der Aktiengesellschaft zwischen persönlich haftenden Gesellschaftern und Hauptversammlung der Kommanditaktionäre verteilt, wobei in weitem Maße Vertragsfreiheit herrscht. Eine im Aufsichtsrat institutionalisierte Mitbestimmung der Arbeitnehmer muß daher bei dieser Gesellschaftsform im wesentlichen wirkungslos bleiben. 3. Auf die innere Verfassung der mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung und bergrechtlichen Gewerkschaften und namentlich auf deren Aufsichtsräte sind nach § 23 Abs. 1 Ziff. 2 RegE und § 77 BetrVerfG von 1952 ausgewählte Vorschriften des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden. Aus dem Katalog geht hervor, daß dem Aufsichtsrat neben der Wahl und der Abberufung der Leitungsorgane deren Kontrolle in gleicher Weise wie bei der Aktiengesellschaft obliegt. Der Aufsichtsrat kann vom Leitungsorgan jederzeit einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen, wenngleich die regelmäßige und detaillierte Pflicht zum Bericht nach § 90 Abs. 1 und 2 AktG nicht übernommen wurde 18 . Vor 16

§§ 2 8 6 , 2 8 7 AktG.

17

§ 287 II AktG.

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§ 23 Abs. 1 Ziff. 2 RegE i. V. m. § 9 0 Abs. 3, 4 und 5 AktG.

17

allem kann er, wie der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, bestimmte Arten von Geschäften an seine Zustimmung binden. Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, so kann das Leitungsorgan auch hier an die Gesellschafterversammlung appellieren, welcher der Letztentscheid mit einer Dreiviertel-Mehrheit zusteht. Dagegen hat der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit dem Jahresabschluß nur eine Prüfungskompetenz, wirkt aber bei der Feststellung selbst nicht mit, die vielmehr der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist 19 . Alle diese Rechte werden nun aber durch den Umstand in Frage gestellt, daß die Entwürfe, wie schon § 77 BetrVerfG, das Recht der Gesellschafterversammlung, als oberstes Organ der Gesellschaft ihrerseits über Maßnahmen der Geschäftsführung zu beschließen und den Geschäftsführern Weisungen zu erteilen, nicht beschneiden oder ausschließen 20 . Den in dieser Doppelgleisigkeit verborgenen Kompetenzkonflikt zwischen Gesellschafterversammlung und paritätisch mitbestimmtem Aufsichtsrat, der schon anläßlich der Montanmitbestimmung zu unterschiedlichen Lösungen geführt hat 2 1 , lassen die Entwürfe offen. Hält man, wie es Martens mit guten Gründen tut 2 2 , daran fest, daß bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung — anders als bei der Aktiengesellschaft — die Kompetenzkompetenz in Händen der Gesellschafterversammlung liegt, diese daher die Zustimmungsrechte des Aufsichtsrats auf ein Minimum reduzieren und selbst den verbleibenden Rest kraft ihrer Weisungsbefugnisse überspielen kann, so stehen Türen und Tore offen, die paritätische Mitbestimmung weitgehend auszumanövrieren, sofern die Gesell19

20

21 22

18

§ 4 6 Ziffer 1 GmbHG; nach § 23 Abs. 1 Ziff. 2 RegE ist § 171, nicht jedoch §§ 172 und 173 AktG anzuwenden. § 119 Abs. 2 AktG, der besagt, daß die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden kann, wenn es der Vorstand verlangt, ist nicht übernommen; statt dessen gilt § 4 6 Ziff. 6 GmbHG, wonach über Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung die Gesellschafter bestimmen. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Martens, a . a . O . , S. 217 ( 2 1 9 f f . ) . A . a . O . , S. 2 2 1 f.

schafter nur bereit sind, den Konflikt mit den Arbeitnehmervertretern aufzunehmen. Immerhin m u ß eine solche Lösung schwer erträgliche Spannungen für die Geschäftsführer in Kauf nehmen, die zwar vom paritätisch besetzten Aufsichtsrat gewählt werden, in ihrer Tätigkeit aber gezwungen sind, die von der Gesellschafterversammlung für gut befundene Geschäftspolitik ohne Rücksicht auf die Arbeitnehmer auszuführen. Selbst wenn man aber, der Mitbestimmungsidee besser gerecht werdend, annimmt, daß die Gesellschafterversammlung wie bei der Aktiengesellschaft die Befugnis des Aufsichtsrats nicht beschränken kann, bestimmte Geschäfte kraft eigener Kompetenz an seine Zustimmung zu binden, gewährt das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung den Anteilseignern ein nicht unerhebliches Übergewicht, das sich namentlich auswirkt, wenn der Kreis der Gesellschafter klein ist und sich aus Personen zusammensetzt, die in der Lage und willens sind, auf die Geschäftsführung Einfluß zu nehmen. Für welche Lösung man sich auch immer entscheidet, auf jeden Fall ist der Konflikt mit interpretatorischen Mitteln kaum befriedigend zu bewältigen. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Streit hervorrufen, der nur durch eine gesetzesvertretende höchstrichterliche Entscheidung beigelegt werden kann. Man kommt deshalb nicht daran vorbei, dem Gesetzgeber ein gravierendes legislatorisches Versäumnis vorzuwerfen, wenn er glaubt, die Frage offen lassen zu können. Ähnlich liegen die Dinge bei den bergrechtlichen Gewerkschaften. Bei den unter den Gesetzentwurf fallenden Kommanditgesellschaften, bei denen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung persönlich haftender Gesellschafter ist, geht die Möglichkeit, den paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat zugunsten der Anteilseigner auszumanövrieren, noch weiter, weil sich alle maßgebenden Entscheidungen in die Kommanditgesellschaft verlegen lassen 23 . In allen diesen Fällen führt die im Aufsichtsrat angesiedelte pari23

Martens, a . a . O . , S. 223.

19

tätische Mitbestimmung demnach nicht zu einem echten Gleichgewicht beider Seiten. Vielmehr bleibt den Anteilseignern ein überwiegender Einfluß, der zwar variiert, in manchen Fällen aber erlaubt, den Aufsichtsrat nahezu völlig kaltzustellen. 4. Auch bei den Genossenschaften sind die gesetzlichen Kompetenzen der Aufsichtsräte eng begrenzt, denn ihre Befugnisse beschränken sich auf reine Informations- und Kontrollrechte. Am Jahresabschluß nehmen sie nicht teil und ebensowenig besitzen sie Zustimmungsrechte, mit deren Hilfe sie auf die Geschäftsführung einwirken könnten. Die maßgebliche Kompetenz in Fragen der Geschäftsführung steht der Generalversammlung oder bei großen Genossenschaften der Vertreterversammlung zu, neben der der Vorstand die Genossenschaft zwar unter eigener Verantwortung leitet, aber an die ihm durch das Statut auferlegten Beschränkungen gebunden ist 24 . Im Statut können zwar die Kompetenzen anders verteilt und namentlich auch dem Aufsichtsrat weitere Rechte und Pflichten übertragen werden 25 , doch wird man angesichts der Mitbestimmung nicht erwarten können, daß die Generalversammlung mit satzungsändernder Mehrheit von dieser Befugnis Gebrauch macht. Im Ergebnis beschränkt sich der Einfluß des paritätisch besetzten Aufsichtsrates bei den Genossenschaften daher auf das Wahlrecht und läßt angesichts des Letztentscheids der General- oder Vertreterversammlung auch in diesen Punkt der Anteilseignerseite ein erhebliches Übergewicht, das sich vor allem dann auswirkt, wenn deren Vertreter im Aufsichtsrat geschlossen operieren. 5. Wie sich die paritätische Mitbestimmung in Konzernen auswirken wird, ist einstweilen ungeklärt und schwer zu prognostizieren 26 . Da die Gesetzentwürfe keinerlei Rücksicht auf das Bestehen eines Unternehmensverbundes nehmen 24

Vgl. §§ 38, 39, 43, 43 a, 27 GenG.

25

§ 38 Abs. 3 GenG.

26

Vgl. zum Folgenden Martens, a.a.O., S. 1 7 9 f f .

20

und lediglich nach Rechtsformen differenzieren, lassen sie von vornherein erhebliche Unterschiede zu. Zunächst kommt es auf die Rechtsform der Obergesellschaft an. Ist diese mitbestimmungspflichtig, gilt für sie das bisher Gesagte. Kraft ihrer Stimmenmehrheit in den Gesellschafterversammlungen der Tochterunternehmen kann sie auch auf deren Willensbildung Einfluß nehmen. Unterliegt die Tochter als Personengesellschaft oder weil sie weniger als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, nicht der paritätischen Mitbestimmung, ändert sich insoweit gegenüber dem gegenwärtigen Zustand nichts. Die Mitbestimmung in der Obergesellschaft erstreckt sich über die Konzernleitung auch auf die Tochter. Ist dagegen die Tochter selbst der paritätischen Mitbestimmung unterworfen, werden die von der Mutter ausgehenden und über die Gesellschafterversammlung in die Tochter hineinwirkenden Impulse mediatisiert und gefährdet. Sie können auf den Widerstand der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Tochter stoßen und gegebenenfalls dort blockiert werden, obwohl sie bereits der paritätischen Mitbestimmung in der Mutter unterlagen. Jeder Versuch einer einheitlichen und straffen Konzernführung muß auf diese Weise leiden, ja, es erhebt sich sogar die Frage, ob die Tochter überhaupt noch zu den abhängigen Unternehmen im Sinne des § 17 AktG gezählt werden kann 27 . Die Schwierigkeiten lassen sich teilweise beheben, wenn zwischen Mutter und Tochter ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen wird, welcher der Mutter nach § 308 AktG gestattet, der Tochter hinsichtlich der Leitung des Unternehmens Weisungen zu erteilen, denn solche Weisungen brechen nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift 28 auch einen entgegenstehenden Willen des Aufsichtsrats des beherrschten Unternehmens. Allerdings er27 28

Vgl. Biedenkopf-Koppensteiner, Kölner Kommentar zum AktG, § 17 Anm. 25; Werner, Probleme des neuen Konzernrechts, NB 1967, Heft 4, S. 1, 3; Geßler, Kommentar zum AktG, § 17 Rdnr. 51; Martens, a.a.O., S. 2 0 4 f . § 308 Abs. 3 AktG.

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streckt sich die Weisungsbefugnis nicht auf die Wahl des Vorstands und die Abberufung der Vorstandsmitglieder, weshalb sich auch auf diesem Weg die Widersprüche der doppelten Mitbestimmung nicht völlig beseitigen lassen. Ist die Konzernobergesellschaft selbst nicht der paritätischen Mitbestimmung unterworfen, weil sie als Personengesellschaft oder Einzelunternehmen geführt wird oder im Ausland ihren Sitz hat, soll nach § 15 Abs. 3 RegE die paritätische Mitbestimmung in dem oder den mitbestimmungspflichtigen Konzernunternehmen einsetzen, welche der Konzernleitung am nächsten stehen. Wird kein Beherrschungsvertrag abgeschlossen, wird die Lage infolgedessen noch komplizierter, die einheitliche Leitung des Konzerns noch weiter gefährdet. Besteht aber ein Beherrschungsvertrag, kann die nicht mitbestimmte Mutter ihre Weisungen nach § 308 AktG auch gegenüber der Mitbestimmung in der Tochter durchsetzen, womit für diesen Fall die ganze Mitbestimmung illusorisch wird, eine offenkundige Inkonsequenz des Entwurfs. Im Ergebnis erweist sich die beabsichtigte Regelung als unausgewogen und wenig durchdacht. Sie läßt, wie keine zweite, die Diskrepanzen erkennen, welche ein Mitbestimmungsgesetz zeitigt, das die paritätische Mitbestimmung dem geltenden Recht nur oberflächlich aufpfropft, ohne sie in eine neue Gesamtkonzeption einzuschmelzen. 6. Die vorstehende Analyse setzte stillschweigend voraus, daß sowohl die Anteilseigner wie die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat geschlossen auftreten und daher als festgefügte Gruppen mit gleichem Gewicht einander gegenüberstehen. Dies ist zwar keineswegs selbstverständlich und widerspricht auch bei allen Fragen, in denen es nicht um Beurteilungsdifferenzen geht, die im Interessengegensatz der Gruppen selbst wurzeln, dem vom Gesetz angestrebten Zustand. Gleichwohl erscheint es aber realistisch, bei der analytischen Betrachtung von einer solchen Zuspitzung auszugehen, denn der überkommene Antagonismus der Sozialpartner und die überall festzustellende Tendenz, in 22

pluralistisch zusammengesetzten Gremien Blöcke zu bilden, lachen sie wahrscheinlich. Auf jeden Fall beschreibt sie die idealtypisch gesteigerte Konsequenz des Modells der paritätischen Mitbestimmung. Geht man von einer formalen, primär die rechtlichen Befugnisse ins Auge fassenden Betrachtungsweise aus, so läßt sich als Ergebnis der Analyse festhalten, daß beide Entwürfe, indem sie am Letztentscheid der Gesellschafterversammlung festhalten, die Gleichberechtigung nur unvollkommen realisieren, wobei der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für die wichtige Wahl des Vorstands den entscheidenden Schritt zur vollen Gleichheit vollzieht, nicht hingegen der Regierungsentwurf. Im übrigen schwankt der den Arbeitnehmern nach den Entwürfen zuwachsende Einfluß auf die Unternehmenspolitik je nach Gesellschaftsform und nach der Zahl der Anteilseigner. Er ist am stärksten bei der Publikumsaktiengesellschaft, in der die Aktionäre den Letztentscheid der Hauptversammlung regelmäßig nicht nutzen können. Auch bei Aktiengesellschaften mit wenigen Gesellschaftern fällt er noch erheblich, wenngleich in schwächerem Maße ins Gewicht. Dagegen kann er bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften nur sehr begrenzt und bei Kommanditgesellschaften auf Aktien fast gar nicht wirksam werden. Eine verfassungsrechtliche Würdigung der Mitbestimmungsgesetze muß allerdings über den formalen Vergleich der beiderseitigen Rechte und rechtlichen Einflußchancen hinaus auch den prinzipiellen Wandel ins Auge fassen, der mit der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte ins Werk gesetzt wird. Während die Arbeitnehmer bisher in den Aufsichtsräten — abgesehen von der Montanindustrie — stets von vornherein in der Minderheit waren und daher nie die Chance hatten, ihre Wünsche gegen den Willen der Anteilseigner durchzusetzen, besitzen sie nunmehr ein wenigstens vorläufiges Veto gegen alle Entscheidungen des Aufsichtsrats, das auszuschalten, auch soweit es rechtlich möglich ist, immerhin ein langwieriges, mühsames und mit Spannun23

gen im Unternehmen verknüpftes Verfahren kostet, das die Anteilseigner in vielen Fällen scheuen werden. Schon dieser Umstand ermöglicht den Arbeitnehmern, ihre Interessen zum Verhandlungsgegenstand im Aufsichtsrat zu machen und verstärkt auf diese Weise ihre Position über die formale Rechtsstellung hinaus. In gleiche Richtung wirkt auch der Wandel der Grundvorstellungen über das Zusammenwirken von Anteilseignern und Arbeitnehmern, der im Gedanken der Parität liegt und in den Entwürfen seine erste, wenngleich noch unvollkommene gesetzliche Gestalt findet. Denn die paritätische Mitbestimmung ist weit mehr als eine beliebige Variante unter vielen Unternehmensmodellen. In ihr manifestiert sich eine neue Gerechtigkeitsidee für die Unternehmensordnung, deren symbolischer Gehalt und innere Dynamik stärker ist als ihre gesetzliche Form und die es den Anteilseignern daher auf die Dauer immer schwerer machen wird, sich ihr zu widersetzen. Auch dieser Aspekt verstärkt die Stellung der Arbeitnehmer. Alles in allem ist schwer abzuschätzen, wie sich in Zukunft das Kräfteverhältnis der Gruppen zueinander im Unternehmen einspielen wird.

III. Die weiteren auf das Gleichgewicht zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern einwirkenden Faktoren 1. Wird nach dem Gleichgewicht zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite gefragt, ist über die Unternehmensverfassung hinaus die gesamte rechtliche und faktische Situation der Sozialpartner ins Auge zu fassen. Zunächst muß berücksichtigt werden, daß die Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsverfassungsgesetz Mitbestimmungsrechte genießen, die von den Betriebsräten als von ihnen gewählten Organen ausgeübt werden. Wenn nach den Entwürfen auch keine Personengleichheit zwischen Betriebsratsmitgliedern und Vertretern der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat besteht, so ist es doch wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der in den 24

Aufsichtsrat gewählten Vertreter sich zugleich mindestens in einem der im Unternehmen bestehenden Betriebsräte betätigen, zumal das Wahlverfahren ein solches Zusammenfallen der Ämter begünstigt. Auch kann davon ausgegangen werden, daß die für das Unternehmen zuständige Gewerkschaft sowohl auf die Politik der Betriebsräte und des Gesamtbetriebsrats wie der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einen Einfluß auszuüben vermag 1 . Nach dem Betriebsverfassungsgesetz stehen den Betriebsräten wichtige Mitbestimmungsrechte in sozialen, betrieblichen, personellen und — zum Teil über die Wirtschaftsausschüsse — wirtschaftlichen Angelegenheiten zu, die hier nicht im Einzelnen dargestellt zu werden brauchen. Sie erstarken bei Betriebsänderungen zu einem vollen Recht auf Zustimmung zu den vom Unternehmer beabsichtigten Maßnahmen, bei deren Verweigerung die Einigungsstelle entscheidet 2 . Soweit die Unternehmensleitung danach nicht ohne das Einverständnis der Arbeitnehmerseite handeln kann, liegt ein Fall echter formeller Parität vor, der sich auch auf die Stellung des Vorstands und der Anteilseignerseite auswirkt und den in den Entwürfen vorgesehenen Letztentscheid der Gesellschafterversammlung illusorisch macht. Man wird kaum fehlgehen mit der Annahme, daß die der Arbeitnehmerseite durch das Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten Rechte auch auf dort nicht genannte Nach dem in den Entwürfen vorgesehenen Wahlverfahren haben die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften für zwei oder drei Mitglieder des Aufsichtsrats ein direktes Vorschlagsrecht. Das auf dem reinen Mehrheitswahlrecht aufbauende WahlverfahrerK führt im Normalfall dazu, daß die Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder und Anhänger im Unternehmen hat, ihre Kandidaten für alle zur Verfügung stehenden Sitze durchbringt. Aber auch hinsichtlich der von den unternehmensangehörigen Arbeitnehmern selbst vorgeschlagene Kandidaten ist die Chance, daß Mitglieder dieser Gewerkschaft gewählt werden, sehr groß, da sich nach dem Wahlverfahren die stärkste Arbeitnehmergruppe im Unternehmen weitgehend durchsetzen kann. Vgl. dazu Löwisch, Mitbestimmungsmonopol durch Mehrheitswahl, FAZ vom 7. März 1974, Nr. 56, S. 13; Lutter, Vor dem Sieg der Funktionäre, FAZ vom 20. April 1974, Nr. 92, S. 11. 2

§§ 1 1 1 - 1 1 3 BetrVerfG.

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Fälle ausstrahlen und die Position der Arbeitnehmerseite insgesamt stärken. Sie wirken sich daher auch über die oben genannten Fälle echter formeller Parität hinaus in Richtung auf eine weitere Annäherung an die volle Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Anteilseignern und Arbeitnehmern aus. In Verbindung mit der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats führen sie zu einer Unausgewogenheit und Redundanz von Betriebs- und Unternehmensverfassung, welche ein Mitbestimmungsgesetz vermeiden sollte. Die Doppelzuständigkeit von Betriebsrat und Aufsichtsrat muß den Entscheidungsprozeß im Unternehmen bedenklich erschweren und verzögern. Es wäre daher im Interesse einer funktionsfähigen Unternehmensordnung wünschenswert, die Einführung der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat zum Anlaß zu nehmen, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Angelegenheiten der Unternehmensführung wieder aufzuheben. Ob allerdings ein Fall verfassungswidriger Überparität vorliegt 3 , ist zweifelhaft, da sich Zustimmungsbefugnisse von zwei dasselbe Interesse repräsentierenden Gremien nicht einfach addieren lassen4. 2. Der Einfluß der Arbeitnehmerseite verstärkt sich ferner, wenn sie Kapitalanteile (Aktien, Geschäftsanteile usw.) erwirbt und ihre Interessen daher auch durch Ausübung des Stimmrechts auf der Anteilseignerseite verfolgen kann. Bei Aktiengesellschaften stehen einem solchen Vorgehen keinerlei Hindernisse entgegen, sofern die Aktien an der Börse gehandelt werden oder sonst auf dem Kapitalmarkt 3 4

26

S. dazu unten S. 66. Die Frage ist umstritten. Eine Unverträglichkeit der Zustimmungsrechte des Betriebsrats mit der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat vertreten namentlich Hanau, Arbeitsrechtliche Probleme der paritätischen Mitbestimmung, BB 1969, S. 1497 (1500); Zöllner, Die Einwirkung der erweiterten Mitbestimmung auf das Arbeitsrecht, RdA 1969, S. 68 ff.; Zöllner/Seiter, Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 Abs. 3 GG, ZfA 1970, S. 97 (103); Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 162; ders., in: Der Arbeitgeber, 1973, S. 492 Säcker, DRdA 1973, S. 95.

käuflich sind. Auch die Ausgabe von Belegschaftsaktien nach den Vorschriften des Aktiengesetzes führt dazu, daß Arbeitnehmer in die Anteilseignerseite eindringen. Andere Wege sind der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch die Gewerkschaften oder durch von ihnen abhängige Personen und Institutionen wie z. B. die Bank für Gemeinwirtschaft. Letztere kann dann einen gewissen Einfluß gewinnen, wenn ihr in nennenswertem Umfang das Depotstimmrecht zufällt. Einen weiteren Fall haben die Entwürfe selbst berücksichtigt, wenn sie bestimmen, daß paritätisch mitbestimmte Unternehmen das Stimmrecht aus ihnen gehörenden Gesellschaftsanteilen nur beschränkt ausüben dürfen 5 . Schließlich ist zu erwähnen, daß die in Aussicht genommene Vermögensbildung zu einer Kumulation der Mitbestimmungsrechte führen kann, wenn die vorgesehenen Fonds so geordnet werden, daß sie unter dem Einfluß von Arbeitnehmerorganisationen stehen oder geraten können. Die Mitgliedschafts- und Stimmrechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerorganisationen fallen angesichts des im Gesellschaftsrecht geltenden Mehrheitsprinzips nicht ins Gewicht, solange die Anteile klein und auf viele Träger verstreut sind, so daß eine Kumulation ausgeschlossen bleibt. Sie werden ferner dadurch mediatisiert, daß für Arbeitnehmer, die Gesellschaftsanteile besitzen, das typische Kapitaleignerinteresse an einer hohen Rendite der Einlagen neben das Arbeitnehmerinteresse tritt, so daß eine Tendenz entstehen wird, beide Interessen zum Ausgleich zu bringen. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu verkennen, daß namentlich Gewerkschaften durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen eine Position erlangen können, die es erlaubt, Einfluß auf die Unternehmenspolitik auszuüben. Wenigstens in diesem Fall entsteht eine Überparität zugunsten der Arbeitnehmer, welche die Gewichte und Einflußchancen der beiden Gruppen schwerwiegend verschiebt und auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung 5

§ 29 RegE.

27

nicht außer Betracht bleiben kann. Der Fall ist daher weiter unten noch genauer zu erörtern 6 . 3. Die faktische und rechtliche Gesamtsituation der Arbeitnehmer wird drittens modifiziert durch das kollektive Arbeitsrecht. Auf allen Gebieten, die der Regelung durch Tarifverträge zugänglich sind, namentlich bei der Festlegung der Löhne, treten nach geltendem Recht die Gewerkschaften an die Stelle der Betriebsräte und der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer oder doch neben sie, und die Entwürfe geben, indem sie das gesamte Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht unberührt lassen, zu erkennen, daß sie in dieser Hinsicht nichts ändern wollen. Auf der anderen Seite verlagert sich im Gegenzug die Kompetenz zum Abschluß der Tarifverträge regelmäßig auf die Arbeitgeberverbände, während Unternehmenstarife zwar zulässig, aber relativ selten sind. Nach der historischen Herkunft und dem gedanklichen Sinn des kollektiven Arbeitsrechts sollen die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern insoweit nicht nur außerhalb des einzelnen Unternehmens, sondern vor allem auch nach-dem Muster des antagonistischen Interessengegensatzes und des sozialen Konflikts geregelt werden, in dem beide Seiten ihre Stärke bis hin zum Arbeitskampf ausreizen dürfen, um sich dann durch Vertrag für befristete Zeit zu verständigen. Die Struktur dieses Mechanismus steht in unverkennbarem Gegensatz zur Konzeption der paritätischen Mitbestimmung, hinter der die Vorstellung einer Partnerschaft und Kooperation zwischen den Sozialpartnern im Unternehmen steht mit dem Ziel, den Unternehmenserfolg gemeinsam zu erreichen. Die Konsequenzen dieses Stilwandels werden noch genauer zu klären sein 7 . Hier ist zunächst nur zu erörtern, inwiefern ein Nebeneinander von paritätischer Mitbestimmung und Tarifautonomie das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Anteilseignern beeinflußt. In der Lite6 7

28

S. unten S. 66 f., 67 f. S. unten S. 35, 67 ff.

ratur finden sich hierzu gegensätzliche Prognosen. Eine Reihe von Autoren sehen die Verlagerung von Lohnkämpfen in die Unternehmen und als deren Folge einen Funktionsverlust des Tarifvertragswesens und des gesamten kollektiven Arbeitsrechts voraus, der einen Mitgliederschwund und eine nachhaltige Schwächung der Gewerkschaften nach sich ziehen wird 8 . Die Gegenseite befürchtet umgekehrt einen Machtzuwachs der Gewerkschaften infolge des Nebeneinander von Mitbestimmung und Tarifautonomie, der diesen ein entscheidendes Übergewicht in der Wirtschaft sichert und sogar die Gefahr einer zentralen Steuerung des Wirtschaftsgeschehens durch die Gewerkschaften und eines syndikalistischen Staats heraufbeschwört 9 . Beide Prognosen haben beachtenswerte Argumente für sich, und es ist schwer möglich, den Verlauf der Dinge mit einem ausreichenden Maß von Sicherheit vorherzusagen, denn er hängt von variablen Faktoren, z. B. dem künftigen Verhalten einer Vielzahl von Arbeitnehmern ab, das unbestimmt bleiben muß. Insoweit hat die verfassungsrechtliche Prüfung daher von der Ambivalenz der Reform und der Offenheit ihrer Konsequenzen für die fernere Zukunft auszugehen. Das schließt vorhersehbare Nachwirkungen nicht aus: Es ist anzunehmen, daß die Gewerkschaften bis auf weiteres auf Tarifverträge und Streiks nicht verzichten werden und daher durch ein Mitbestimmungsgesetz in den Stand gesetzt werden, eine Doppelstrategie zu verfolgen, bei der sie je nach Vorteil bald das Veto im Aufsichtsrat, bald den Arbeitskampf dazu nützen können, ihre Ziele durchzusetzen. Auch versetzt die Präsenz der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat die Mitglieder des Vorstands, deren Wiederwahl gegen die Stimmen der Arbeitnehmer nicht gesichert ist, ® Vgl. Biedenkopf, Auswirkungen der Unternehmensverfassung auf die Grenzen der Tarifautonomie, in: Festgabe für H. Kronstein, 1967, S. 90; Zöllner/ Seiter, a. a. O., S. 114 ff.; Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Grundgesetz, 1972, S. 121 ff. 9 Huber, Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Festschrift für H. Kaufmann, Köln 1972, S. 237 ff.

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in die Lage, bei Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen nicht uneingeschränkt die Interessen der Anteilseigner vertreten zu können. Beide Fälle verstärken das Gewicht der Arbeitnehmer so stark, daß die Parität, wie in der Literatur oft hervorgehoben wurde 10 , nicht mehr gesichert ist. Der Fragenkreis gehört daher zu den wichtigsten, welche die verfassungsrechtliche Prüfung der Entwürfe anzuschneiden hat 1 1 . IV. Ziele und Idee der paritätischen

Mitbestimmung

Das Programm der paritätischen Mitbestimmung begründet und rechtfertigt sich nicht aus sich selbst, sondern ist Ausfluß tiefer liegender sozialethischer und -politischer Ideen, welche auch für die verfassungsrechtliche Würdigung der Entwürfe in Betracht zu ziehen sind. Die Bundesregierung selbst hat es schon in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 als Teil der „Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft" und als „geschichtliche Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen", bezeichnet 1 . Sie hat denselben Gedanken in der Begründung zum Regierungsentwurf wiederholt, indem sie ausführt, der Mitbestimmung komme „insbesondere in Bezug auf den Bestand und den weiteren Ausbau unserer demokratischen Gesellschaftsordnung" „eine zentrale Bedeutung" zu 2 . Auch in zahlreichen Äußerungen der Verbände und der wissenschaftlichen Literatur wird die paritätische Mitbestimmung als der der Gegenwart angemessene und aufgegebene Weg beschrieben, den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, wie er im politischen Bereich bereits

10 11 1 2

30

Vgl. statt aller Zöllner/Seiter, a.a.O., S. 122 ff., 135 ff., 149 ff. S. unten S. 100 ff. Zit. nach der Begründung zum Regierungsentwurf, BR-Drucks. 200/74, S. 16. BR-Drucks. 200/74, S. 15.

verwirklicht ist, für die Wirtschaft und das Sozialleben zu vollenden. Eine andere Begründung leitet den Anspruch auf Mitbestimmung aus dem Schutz der Menschenwürde ab, die das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 1 zum Angelpunkt des ganzen Rechtssystems erhebt. Die Abhängigkeit, in welche sich der einzelne Arbeitnehmer durch seine Einordnung in ein unvermeidlich hierarchisch geordnetes Unternehmen begibt, ist danach „mit seiner Selbstbestimmtheit, der ihm rechtlich zuerkannten Möglichkeit, seine Zwecke selbst zu wählen und eigene Initiativen zu entfalten, nur solange vereinbar", als sie „ihre Entsprechung in Gestalt der Freiheit der Beteiligung an den Entscheidungen findet, die den Arbeitsprozeß regeln und gestalten" 3 . Wieder andere Stimmen heben stärker die Natur des Unternehmens als sozialer Verband hervor, zu dem die Arbeitnehmer nicht minder als die Anteilseigner gehören und zu dessen Ziel, wirtschaftliche Leistungen zu erbringen, sie einen prinzipiell gleich wichtigen Beitrag liefern wie jene 4 . Der funktionellen Äquivalenz der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit müsse eine rechtliche Gleichheit entsprechen. Die Macht, die im sozialen Verband Unternehmen von der Unternehmensspitze ausgeübt werde, bedürfe einer Legitimation von Seiten aller ihr Unterworfenen, namentlich auch der Arbeitnehmer. Weiter wird argumentiert, der wirtschaftliche und soziale Ausgleich zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern, Kapitalisten und Proletariat, werde sich im Rahmen der paritätischen Mitbestimmung wirksamer vollziehen als in der bisher geltenden Ordnung. Endlich werde die wirtschaftliche und soziale Macht, die sich nicht nur gegenüber den Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber der Gesellschaft im Ganzen und dem Staat in den Großunternehmen konzentriere, durch die paritätische Mitbestimmung wirksam ausgeglichen, gebunden und kontrolliert 5 . 3

S o der Beiicht der Mitbestimmungskommission, a . a . O . , IV, Nr. 2.

4

Vgl. u. a. Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, Berlin 1969, S. 111 ff., 153 ff.

5

Vgl. zum Ganzen die zusammenfassende Darstellung im Bericht der Mitbestimmungskommission, a . a . O . , II, 7 - 1 5 .

31

All diese Argumente sind letzten Endes Ausdruck einer Gesamtkonzeption, die darauf abzielt, die kapitalistischen Unternehmens- und Wirtschaftsstrukturen zu überwinden, die sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland wie anderswo herausgebildet haben und noch heute herrschen, und als deren wichtigstes Kennzeichen gerade die Tatsache anzusehen ist, daß die Leitung der Unternehmen und damit die mit der Unternehmensleitung verbundene soziale und wirtschaftliche Macht ausschließlich von den Anteilseignern bzw. deren Repräsentanten ausgeübt wird, während die Arbeitnehmerschaft daran nicht teilhat. An die Stelle des kapitalistischen Systems soll eine neue Ordnung treten, die zwar nicht sozialistisch ist, jedenfalls wenn man unter Sozialismus eine Wirtschaftsordnung versteht, die allein vom Faktor Arbeit her konzipiert und organisiert wird, aber kapitalistische und sozialistische Elemente in einer neuen, sozusagen neutralen und eigenständigen Synthese aufhebt 6 . Aus diesem Wandel der grundsätzlichen Anschauungen über die gerechte Ordnung des Wirtschaftslebens erklärt sich die prinzipielle Bedeutung, welche der Mitbestimmungsfrage allenthalben beigemessen wird, und die Härte des Kampfs, der seit Jahren um sie geführt wird. In der Formel von der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern verdichtet sich, wie bereits angedeutet wurde und an dieser Stelle vollends deutlich wird, eine neue Gerechtigkeitsidee, die von den Entwürfen zwar ins Auge gefaßt, aber insoweit, als sie der Anteilseignerseite ein Übergewicht belassen, noch unvollständig verwirklicht wird.

V. Wirtschaftliche, soziale und rechtliche Konsequenzen paritätischen Mitbestimmung

der

Die paritätische Mitbestimmung wird weitreichende ökonomische, soziale und rechtliche Veränderungen nach sich ziehen. 6

32

Vgl. dazu eingehender Th. Raiser, Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, Heidelberg 1971, S. 6 5 - 6 8 .

1. In der Wissenschaft wie in der Öffentlichkeit wurde am intensivsten die Frage erörtert, ob sie zu einem Nachlassen der wirtschaftlichen Produktivität der betroffenen Unternehmen und folglich zu einer Verminderung des Bruttosozialprodukts fuhren werde. Man befürchtet, sie werde die Wirksamkeit des Marktmechanismus beeinträchtigen, das System der Marktwirtschaft daher aushöhlen und auf lange Sicht beseitigen 1 . Im Gegensatz zur Mitbestimmungskommission halte ich, wie an anderer Stelle ausgeführt 2 , derartige Prognosen wissenschaftlich nicht für begründet. Auch im kapitalistischen System werden die unternehmerischen Entscheidungen nicht allein unter Rentabilitätsgesichtspunkten gefällt, sondern fließen andere Motive teils wirtschaftlicher, teils ideeller Art in den Entscheidungsprozeß ein, ohne daß der Marktmechanismus dadurch maßgeblich gestört würde. Wenn sich auch die auf die Unternehmenspolitik einwirkenden Interessen unter dem Einfluß der Mitbestimmung um die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmerschaft erweitern, heißt dies daher nicht, daß der gemeinsame Wille, sich auf dem Markt erfolgreich zu betätigen, gebrochen würde. Für den Fortbestand der Marktwirtschaft kommt es entscheidend darauf an, daß der Wettbewerb erhalten bleibt und mangelhaft leistungsfähige Unternehmen aus dem Markt ausgeschieden werden. Ist dies der Fall, werden sich auch die Arbeitnehmer dem Zwang des Systems beugen müssen. 2. Im Gegensatz zu den ökonomischen wurden die voraussichtlichen sozialen und politischen Auswirkungen der qualifizierten Mitbestimmung mit den Mitteln der exakten Sozialwissenschaften bisher kaum untersucht, so daß wir hierzu mehr auf allgemeine Erfahrungen und Theorien angewiesen sind als auf wissenschaftlich fundierte Prognosen. Auch die Mitbestimmungskommission hat den gesellschaftspolitischen Perspektiven wesentlich weniger Aufmerksam1 2

Vgl. den Mitbestimmungsbericht, a.a.O., IV, 53 u.a. Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, S. 24 ff., 38 ff.

33

keit gewidmet als den ökonomischen, was nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen sein dürfte, daß ihr kein Soziologe oder Politologe angehörte. Immerhin spricht die Kommission davon, die Mitbestimmung verbessere die gegenseitige Information und die Kooperation zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmern 3 , nötige dazu, unternehmerische Entscheidungen zu begründen und mit den Arbeitnehmern zu erörtern, verstärke so deren Einsicht in die Bedingungen der Position des Einzelnen im unvermeidlich hierarchisch geordneten, arbeitsteiligen Produktionsprozeß und trage auf diese Weise dazu bei, das Betriebsklima zu verbessern und Autoritätsprobleme im Unternehmen und am Arbeitsplatz zu lösen 4 . Zugleich stärke sie die Verantwortungsbereitschaft der Unternehmensleitung gegenüber den Arbeitnehmern, eigne sich dazu, autoritäre Verhaltensmuster abzubauen, fördere das Engagement der Arbeitnehmer und lehre sie, das System der Marktwirtschaft zu begreifen und als ihre eigene Sache zu akzeptieren 5 . All dies werde zu einer Veränderung der Denk- und Verhaltensmuster in Richtung auf Partnerschaft und Mitverantwortung führen, die sich auch politisch günstig auswirken werde 6 . Die entscheidende Frage, inwiefern die paritätische Mitbestimmung geeignet ist und erwarten läßt, die in sie gesetzten Hoffnungen einer Demokratisierung und Liberalisierung der Gesellschaft zu bewirken, ist in diesen zaghaften Sätzen allerdings kaum angesprochen. Doch läßt sich schwerlich bezweifeln, daß sie aufs Ganze gesehen die Vormacht der Anteilseigner im Unternehmen brechen wird und somit dazu beiträgt, die alten kapitalistischen Unternehmensstrukturen abzubauen. Da sie die große Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer und die wichtigsten Unternehmen erfaßt, ist auch eine Fernwirkung auf die Gesellschaft im Ganzen mit der Tendenz, dem aus 3

II, Nr. 6 8 - 7 1 , III, Nr. 28.

4

IV, Nr. 2 2 - 2 6 .

5

IV, Nr. 3 0 - 3 2 .

6

IV, Nr. 32.

34

dem 19. Jahrhundert überkommenen Klassengegensatz zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern, Bourgeoisie und Proletariat weiter zu vermindern, dem Gefälle der sozialen Schichten entgegenzuwirken und eine egalitäre Gesellschaftsstruktur herzustellen, nicht unwahrscheinlich. Ebenso plausibel erscheint, daß sie dazu beitragen wird, wirtschaftliche und politische Spannungen im Volk zu lösen, soziale Konflikte friedlich zu regeln und auf diese Weise eine gesellschaftliche Stabilität herbeizuführen, die anders nicht erreicht werden könnte. Es ist hier nicht darüber Rechenschaft abzulegen, inwieweit solchen Vorstellungen ein spekulativer Zug anhaftet, denn jedenfalls sind sie nicht widerlegt und daher zur Rechtfertigung des vom Gesetzgeber verfolgten Programms nicht „von vornherein unvertretbar" 7 . 3. Deutlicher abzusehen, wenngleich auch keineswegs endgültig geklärt, sind die Änderungen, welche der Übergang vom Konfrontationsmodell zur Kooperationsverfassung für das Gesellschafts- und Arbeitsrecht notwendig machen wird. Nach geltendem Recht ist die Handelsgesellschaft als die Vereinigung der Anteilseigner das maßgebliche Rechtssubjekt und der Träger des Unternehmens, während dieses selbst nur als unselbständiger Annex der Gesellschaft, als deren Tätigkeitsbereich oder als Rechtsobjekt in ihrer Hand erscheint 8 . Vorstände und Aufsichtsräte sind in dieser Konzeption Organe der Gesellschaft und nur als solche auch zur Verwaltung des Unternehmens berufen. Kraft ihres Amtes vertreten sie daher in einer Person die Interessen der Anteilseigner und des Unternehmens, welche auf diese Weise identifiziert werden. Die Identifikation geschieht namentlich gegenüber den Arbeitnehmern und Gewerkschaften und kommt rechtlich im Begriff des Arbeitgebers zum Ausdruck, der beide Funktionen in sich vereinigt. Als Organ des Arbeitgebers schließen die Vorstände Arbeitsver7 8

Vgl. unten S. 51. Vgl. statt vieler J. v. Gierke, Das Handelsunternehmen, ZHR 111, 1.

35

träge, Betriebsvereinbarungen und Unternehmenstarifverträge ab; in der gleichen Eigenschaft vertreten sie die Unternehmensgesellschaften in den Arbeitgeberverbänden, in Arbeitskämpfen und in Schlichtungsverfahren. Auf der anderen Seite stehen ihnen Arbeitnehmer und Gewerkschaften nicht als Beteiligte an der Gesellschaft oder an dem Unternehmen gegenüber, sondern als Partner von grundsätzlich schuldrechtlichen Austauschverträgen oder als Gegner im Arbeitskampf. Die Strukturen des Gesellschafts- und Arbeitsrechts beruhen, wie schon aus der Begriffsbildung hervorgeht, in ihren Grundfesten auf dieser Konzeption, welche die kapitalistische Unternehmensverfassung und den aus dem vergangenen Jahrhundert stammenden Klassengegensatz rechtlich widerspiegelt. Wenn sich auch im Laufe der Zeit, namentlich im Betriebsverfassungsrecht, gewisse Ansätze herausgebildet haben, den Gegensatz abzuschwächen oder zu überwinden, wird er doch im Grundsatz aufrechterhalten, solange das Recht am Konfrontationsmodell festhält 9 . Der sich in der paritätischen Mitbestimmung vollziehende Übergang zum partnerschaftlichen, vom gemeinsamen Interesse am Unternehmenserfolg und der Kooperation von Anteilseignern und Arbeitnehmern ausgehenden Unternehmensmodell widerspricht diesen herkömmlichen Strukturen und schließt daher aus, an ihnen festzuhalten. Er fordert statt dessen auch rechtlich den Übergang zu gesellschaftsrechtlichen oder kooperativen Organisationsformen, die beide Gruppen einschließen. Dies nötigt dazu, das Unternehmen aus der Identifikation mit der Anteilseignergesellschaft zu lösen und als selbständigen Verband oder soziale Organisation zu konzipieren. Weiterbestehende Interessengegensätze zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern, etwa in Bezug auf die Verteilung des Unternehmensertrages, brauchen zwar nicht negiert zu werden, sowenig wie das Gesellschaftsrecht 9

36

Vgl. im Einzelnen Th. Raiser, Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, S. 5 8 ff.; ders., Paritätische Mitbestimmung in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, JZ 1974, S. 2 7 3 ff.

widerstreitende Interessen zwischen den Gesellschaftern leugnen könnte, doch wird es nötig, andere, auf Verständigung, nicht auf Kampf ausgerichtete Rechtsformen für ihren Ausgleich zu schaffen. In ihrem rechtlichen Gewicht haben sie zugunsten der Institutionen zurückzutreten, welche die Prinzipien der loyalen Kooperation rechtlich ausformen und welche das Gesellschaftsrecht seit langem in vielerlei Abstufungen kennt. VI. Schwierigkeiten der Entwürfe

der verfassungsrechtlichen

Würdigung

Die Vielzahl und Komplexität der Probleme, welche die paritätische Mitbestimmung aufwirft, stellen auch ihre verfassungsrechtliche Würdigung in mehrfacher Hinsicht vor ungewöhnliche Schwierigkeiten. 1. Zunächst geht es darum, die Diskrepanz zwischen dem angestrebten Ideal der vollen Parität und seiner nur unvollkommenen Verwirklichung durch die Entwürfe in den Griff zu bekommen. Auf den ersten Blick bietet sich an zu argumentieren, die Entwürfe seien schon deshalb verfassungsgemäß, weil sie im dargelegten Ausmaß unter der Parität bleiben, denn nahezu alle Autoren stimmen darin überein, daß eine unterparitätische Mitbestimmung das Grundgesetz nicht verletzt 10 . Zu klären wäre dann nur, wann der kritische Punkt erreicht wird, in dem die unterparitätische Mitbestimmung in eine paritätische umschlägt. Doch würde ein solches Verfahren der Sachlage nicht gerecht. Im Kern geht es bei allen Erörterungen in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft um die echte Parität als längst geforderte und auch von den Entwürfen intendierte, wenngleich auch (noch) nicht erreichte Gerechtigkeitsidee und politische Absicht der Mitbestimmung. Schon aus diesem Grund ist es nötig, auch hier die Frage 10

Vgl. statt aller den Mitbestimmungsbericht Teil IV, Nr. 4 8 - 5 0 , 98 f.

37

auf den Fall der echten Parität zuzuspitzen. Nur wenn sie geklärt ist, wird es ferner möglich, den Handlungsspielraum abzustecken, welchen das Grundgesetz dem Gesetzgeber für die Ausgestaltung eines Mitbestimmungsgesetzes einräumt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher zunächst und in erster Linie auf die echte Parität und gehen auf die durch die Entwürfe geschaffene Situation nur insoweit ein, als dies zu abweichenden Ergebnissen fuhrt. Sie verstehen den Begriff der Parität in einem umfassenden Sinn, der nicht einzelne Rechte und Pflichten der beteiligten Personen und Gruppen miteinander vergleicht, sondern ihre Rechtsstellung und ihr darauf basierendes Gewicht als Sozialpartner im Ganzen. Echte Parität ist demnach gegeben, wenn, ungeachtet differenzierter Positionen im Einzelnen, jede Gruppe imstande ist, die Entscheidungen der anderen in den für die Unternehmenspolitik wesentlichen Punkten zu blockieren, von ihrer Zustimmung abhängig zu machen und auf diese Weise ihre eigenen Forderungen zum Gegenstand von Verhandlungen mit der anderen Seite zu machen, über die eine Einigung erzielt werden muß, soll eine Entscheidung überhaupt zustande kommen. 2. Ein zweites Problem der beabsichtigten Reform, das, wenngleich von nachgeordnetem Rang, verfassungsrechtlich relevant ist, liegt in der Unvollständigkeit der beabsichtigten Regelungen. Die Entwürfe beschränken sich im wesentlichen auf die Kristallisationspunkte des politischen Interesses, verzichten aber darauf, die neue Ordnung rechtstechnisch durchzufeilen und mit dem Gesamtkomplex des Gesellschafts- und Arbeitsrechts in Einklang zu bringen. Es kann nicht ausbleiben, daß infolgedessen Auslegungs- und Abgrenzungsprobleme auftreten, die bis zur höchstrichterlichen Klärung mancherlei Unsicherheit schaffen, wahrscheinlich auch ernsthafte, selbst für die Gerichte kaum überwindliche Lücken und Diskrepanzen 1 1 . Nicht minder 11

38

Einige für diese Situation typische Zweifelsfragen sind bereits jetzt aufgetaucht. S o wird z. B. darüber gestritten, ob die Begriffsbestimmung des leiten-

problematisch ist ferner, daß die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung mit der persönlichen Haftung von Anteilseignern noch nicht geklärt ist 12 , weshalb die Entwürfe die Personengesellschaften ausklammern und damit unternehmensrechtlich einen Bruch in Kauf nehmen, der nicht nur die Möglichkeit eröffnet, der Mitbestimmung auszuweichen, sondern vor allem unterschiedliche Arten der Unternehmensverfassung und der Anteilseignerrechte begründet. Endlich muß das Nebeneinander von kooperativ konzipierter Mitbestimmung und antagonistischem Tarifvertrags- bzw. Arbeitskampfrecht schon allein aus dem Grund verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, weil seine Funktionsfähigkeit ungeklärt ist. Die Frage, die sich angesichts aller genannten Punkte erhebt, läßt sich dahin zusammenfassen, ob es nach dem Grundgesetz zulässig ist, die paritätische Mitbestimmung in der Art, wie es die Entwürfe beabsichtigen, für bestimmte Unternehmen isoliert vorzuschreiben, ohne daß zugleich das Gesellschafts- und Arbeitsrecht insgesamt im Einklang mit der neuen Ordnung reformiert wird. 3. Ein drittes verfassungsrechtliches Problem liegt in der Unsicherheit über den Verlauf der durch ein Mitbestimmungsgesetz eingeleiteten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Wenn auch, wie angedeutet, die Befürchtungen nicht hinreichend begründet erscheinen, daß die paritätische Mitbestimmung die Produktivität der Unternehmen und der Volkswirtschaft allgemein vermindern und die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft beeinträchtigen werde, so ist den Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVerfG auch für das Mitbestimmungsrecht gelten könne und ob die Legaldefinition des abhängigen Unternehmens und des Konzerns nach §§ 17 und 18 AktG angesichts der paritätischen Mitbestimmung noch passen. Zweifelhaft ist auch, wie die Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz auf das Mitbestimmungsrecht abzustimmen sind und wieweit die Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer reicht. 12

Vgl. Duden, Zur Methode der Entwicklung des Gesellschaftsrechts zum „Unternehmensrecht", in: Gesellschafts- und Unternehmensrecht, Festschrift für Wolfgang Schilling, Berlin 1973, S. 327 ff.

39

doch wenigstens für eine Übergangszeit, bis sich alle Beteiligten an die neuen Bedingungen der Kooperation gewöhnt haben, mit in ihrem Ausmaß und ihren Wirkungen schwer abschätzbaren Reibungsverlusten zu rechnen. Auch läßt sich nicht ausschließen, daß, wenigstens in gewissen Fällen, unfähige oder destruktiv gesonnene Personen in die Aufsichtsräte gewählt werden, denen es gelingt, das Unternehmen zugrunde zu richten. Die Ambivalenz des Gesetzes hinsichtlich der von den Gewerkschaften ausgeübten Macht wurde bereits hervorgehoben 13 . Zwar teilen die Entwürfe die Unsicherheit der Prognose mit allen Gesetzen, die soziale Strukturen verändern, denn diese sind ihrer Natur nach ambivalent und gegen Mißbräuche nicht ohne weiteres gesichert 14 , doch erscheint im Fall der paritätischen Mitbestimmung, nicht zuletzt wegen der außerordentlichen Tragweite der Reform, die Unsicherheit besonders groß und daher für die betroffenen Anteilseigner besonders schwer erträglich. 4. Ein letztes generelles Problem liegt in der umstrittenen Frage, welche Grundrechte und verfassungsrechtlich geschützten Positionen die paritätische Mitbestimmung berührt und wie sich diese zueinander verhalten. In der Literatur wird ihre Verfassungswidrigkeit mit der Begründung behauptet, sie verstoße gegen das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) 15 , gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie 16 , gegen die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung 17 und gegen die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit 13

S. oben S. 18 ff.

14

Vgl. BVerfGE 14, 275. So vor allem E. R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 46 ff.; Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht, S. 22 ff. Huber, a.a.O., S. 175 ff.; Pernthaler, a.a.O., S. 8 6 f f . ; Rittner, Unternehmensverfassung und Eigentum, in: Gesellschaftsrecht und Unternehmensrecht, Festschrift für Wolfgang Schilling, Berlin 1973, S. 363 ff.

15

16

17

40

Huber, a. a. O., S. 25 ff.; Pernthaler, a. a. O., S. 151 ff.

nach Art. 9 Abs. 3 GG 18 . Unzulässig eingegriffen werde durch sie nicht nur in die Rechte der individuellen Anteilseigner, sondern zugleich auch der betroffenen Gesellschaften selbst 19 . a) Zunächst ist zu klären, ob sich neben den Anteilseignern auch die Gesellschaften selbst auf den Grundrechtsschutz berufen können. Wenngleich sie ohne Zweifel unter Art. 19 Abs. 3 GG fallen, läßt sich die Frage nicht ohne weiteres bejahen, denn die Vorschrift macht den Schutz davon abhängig, ob ein Grundrecht „seinem Wesen nach" auf sie anwendbar ist. Wann dies zutrifft, ist in der Literatur noch umstritten 20 . Das Bundesverfassungsrericht hat ausgesprochen, die Vorschrift rechtfertige „eine Einbeziehung der juristischen Personen in den Schutzbereich der Grundrechte nur", wenn „ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, besonders wenn der „Durchgriff auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen läßt" 21 . Nun beeinträchtigt die paritätische Mitbestimmung die wirtschaftliche Betätigung der Gesellschaften, die Verfügung über die in ihrem Vermögen stehenden Gegenstände und die Möglichkeit, sich zu „höheren" Verbänden zusammenzuschließen, selbst nicht. Sie ändert vielmehr ihre rechtliche Organisation, sozusagen die Voraussetzungen ihrer Tätigkeit und betrifft daher unmittelbar nur die Rechte der Gesellschafter und solZöllner/Seiter, Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 Abs. 3 GG, ZfA 1970, S. 97 ff.; Pernthaler, a. a.O., S. 175 ff. Vgl. Huber, a.a.O., S. 27, 5 2 f f . , 91 ff.; differenzierter Pemthaler, S. 2 4 f f . , 72 ff., 160 ff. Vgl. namentlich Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 19 III Rdnr. 1 ff.; W. W. Schmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen, 1966, S. 28 ff.; Rupp v. Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 349 ff.; Rüfner, Zur Bedeutung und Tragweite des Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes, in: AöR 89, 1964, S. 261 ff. BVerfGE 21, 369.

41

eher Personen, die Gesellschaften ohne Mitwirkung der Arbeitnehmer gründen wollen. Man wird darüber streiten können, ob dieser Sachverhalt den grundrechtlich geschützten Bereich der Vereinigung selbst überhaupt berührt. Doch kann die Frage hier offen bleiben. Wie immer man den Zusammenhang zwischen den Grundrechten der einzelnen Mitglieder und der Gesellschaft sieht, kann der Schutz der Gesellschaft inhaltlich nicht weiter reichen als die Rechte der Anteilseigner, die sich in ihr zusammengeschlossen haben und sich ihrer bedienen. Dies bedeutet, daß auch die paritätische Mitbestimmung nur dann unzulässig sein kann, wenn sie an den Rechten der Anteilseigner selbst scheitert 22 , weshalb wir im folgenden darauf verzichten können, den Grundrechtsschutz der Gesellschaften gesondert zu verfolgen. b) Analoge Beziehungen weist das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) zu den anderen Freiheitsrechten auf. Nach Huber 23 beeinträchtigt die paritätische Mitbestimmung die Freiheit der von ihr betroffenen Gesellschaften, ihre Organe nach eigenem Ermessen zu bestellen und auf diese Weise die den Gesellschaften vom Grundgesetz gewährte Autonomie. Pernthaler leitet aus Art. 9 Abs. 1 GG die Institutsgarantie eines „Kernbestandes von Einrichtungen des Assoziationsrechts" ab, in welche die paritätische Mitbestimmung eingreifen soll, indem sie die verfassungsmäßigen Grenzen der „grundrechtskonformen Gesellschaftstype" überschreitet, die Unternehmen zur verfassungswidrigen öffentlich-rechtlichen Zwangsorganisation macht und sich auf diese Weise einen dem Wesensgehalt des Grundrechts widersprechenden „Mißbrauch der privatrechtlichen Formenwelt der Assoziationsfreiheit" zuschulden kommen läßt 24 . Daran ist unzweifelhaft richtig, daß auch 22

Vgl. ebenso Schwerdtfeger, S. 247 ff.; im Zusammenhang mit der Koalitionsfreiheit auch Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 138 ff.

23

A . a . O . , S. 4 6 f f .

2 4

Vgl. S. 24 ff., 35 ff., 4 4 ff., 61 ff.

42

die Handelsgesellschaften den Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG genießen 25 . Indessen erfaßt das Grundrecht als formelles Recht nur den Zusammenschluß als solchen, die kollektive Verfolgung von Zwecken, die für sich genommen nach anderen, inhaltlich bestimmten Gesichtspunkten Grundrechtsschutz genießen können. Dies besagt, daß auch Art. 9 Abs. 1 GG den Vereinigungen selbst nicht größere Freiheitsrechte gewährt als den Personen, welche sie bilden. Ist die paritätische Mitbestimmung nach Art. 14 GG zulässig, kann sie nach Art. 9 Abs. 1 GG nicht ausgeschlossen sein. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn sie die Freiheit, sich zu Handelsgesellschaft zusammenzuschließen, selbst beseitigen oder übermäßig erschweren würde. Dies ist aber nicht der Fall, denn sie ändert nur die Bedingungen, unter denen die Anteilseigner ein wirtschaftliches Unternehmen betreiben können, berührt deren Freiheit, sich zusammenzuschließen, jedoch prinzipiell nicht. Da das Grundgesetz den Fortbestand der konkreten Rechtsformen nicht garantiert, welche das Privatrecht für die Verbandsbildung zur Verfügung stellt, läßt deren Umformung durch den Gesetzgeber im Zuge der paritätischen Mitbestimmung einen Grundrechtsverstoß nicht erkennen 26 , c) Schwieriger ist das Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 GG zu Art. 14 GG im Hinblick auf die paritätische Mitbestimmung zu fixieren. Der herkömmliche Eigentumsbegriff, von dem das Grundgesetz ausgeht 27 , umfaßt auch die Dispositions- und Verfügungsbefugnis über die Gegenstände des Eigentums und damit, soweit er sich auf Produktionsvermögen bezieht, auch die wirtschaftliche Betätigung der Eigentümer. Ob dies uneingeschränkt für die mit dem Anteil an Handelsgesellschaften verknüpften 25 26

27

h. L., vgl. nur Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 9, Rdnr. 35 ff. Ebenso Schwerdtfeger, S. 201 ff.; Scholz, Qualifizierte Mitbestimmung unter dem Grundgesetz, in: Der Staat, 13. Band, 1974, S. 91 (103); ders., Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 107 ff., 339 ff., 351 ff. Vgl. BVerfGE 1, 278; 2, 402; 11, 70.

43

Mitverwaltungsrechte gilt, ist nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts indessen nicht eindeutig. Auf der einen Seite führt das Gericht im Feldmühle-Urteil aus, die Aktie genieße „als Vermögensrecht" den Schutz des Art. 14 GG 28 , fügt dem aber andererseits wenig später den Satz an, der Charakter als Vermögensrecht könne von dem als Mitgliedschaftsrecht nicht getrennt werden 29 . Anschließend stellt es den hiermit hergestellten Zusammenhang selbst wieder in Frage, wenn es die vom Mehrheitsaktionär beabsichtigten und mit Hilfe der ihm zustehenden Aktienmehrheit durchgesetzten wirtschaftlichen Dispositionen dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG und nicht des Art. 14 GG unterstellt 30 . In der Literatur wurden aus der Unausgeglichenheit dieser Formulierungen entgegengesetzte Schlüsse gezogen. Während Kunze 31 dafür plädiert, Maßnahmen der Unternehmensleitung nur noch nach Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen, sieht Scholz 32 ausschließlich Art. 14 als sedes materiae an. Huber 33 , Schwerdtfeger 34 und Pernthaler 35 lassen das Konkurrenzproblem offen und prüfen beide Grundrechte nebeneinander. Wenngleich, wie ich meine, angesichts des historischen Hintergrunds von Art. 14 GG und der Exegese des Bundesverfassungsgerichts die Ansicht von Scholz die besten Gründe für sich in Anspruch nehmen kann, würde es sich, um in einer solchen Situation Zweifel auszuschließen, empfehlen, tatsächlich beide Grundrechte nebeneinander zu erörtern. Doch steht die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 28

BVerfGE 14, 2 6 3 ( 2 7 6 ff., 278).

29

A . a . O . , S. 285.

30

A. a.O., S. 282 f.

31

Mitbestimmung in der Wirtschaft und Eigentumsordnung, R d A 1 9 7 2 , S. 257 ff., 266.

32

Qualifizierte Mitbestimmung unter dem Grundgesetz, a. a. O., S. 103 m. w. N.

33

A . a . O . , S. 25, 86 ff.

34

A . a . O . , S. 1 9 7 f f .

35

A . a . O . , S. 67 ff., 151 ff.

44

Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung. Das Bundesverfassungsgericht 36 hat diese Formulierung bekanntlich dahin verstanden, daß grundsätzlich J e d e formelle und materielle verfassungsmäßige Rechtsnorm" ausreicht, das Grundrecht einzuschränken. Unter diesen Umständen läßt sich schon hier absehen, daß auch der Schutz der allgemeinen Betätigungsfreiheit in der Wirtschaft für die Anteilseigner nicht weiter reicht als der Eigentumsschutz. Aus diesem Grund erscheint es vertretbar, an dieser Stelle auch auf Art. 2 II GG zu verzichten 37 . Sedes materiae sind im Kern Art. 14 GG und Art. 9 III GG, auf welche sich daher die folgenden Überlegungen konzentrieren 38 .

36 37

38

Vgl. BVerfGE 6, 32. Vgl. dazu die Ausführungen bei Schwerdtfeger, a.a.O., S. 205ff.; Pernthaler, a.a.O., S. 151 ff.; Huber, a.a.O., S. 25 ff. In der älteren Literatur wurde die Mitbestimmung mehrfach als ein Fall der Sozialisierung angesehen, der nicht unter Art. 14 GG, sondern unter Art. 15 GG fällt. Vgl. die Nachweise bei Pernthaler, a.a.O., S. 126 Anm. 254, und Schwerdtfeger, a. a. O., S. 221 Anm. 479. Indessen dürfte sich heute die Meinung durchgesetzt haben, daß die in Art. 15 GG verwendeten Begriffe der Vergesellschaftung und des Gemeineigentums bzw. anderer Formen der Gemeinwirtschaft in einem streng rechtstechnischen Sinn zu verstehen sind und nur die Übertragung der Produktionsmittel auf den Staat oder andere Einrichtungen der öffentlichen Hand meinen. Maunz/Dürig/Herzog, Art. 15, Rndr. 7ff.; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Neubearbeitung, Rdnr. lOff. zu Art. 15 GG; v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz Anm. III 2ff.; Huber, a.a.O., S. 125; Pernthaler, a.a.O., S. 136ff.; Schwerdtfeger, a.a.O., S. 243ff. Dem ist zuzustimmen, weshalb die paritätische Mitbestimmung begrifflich aus dem Geltungsbereich des Art. 15 GG herausfallt. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, angesichts der gemeinsamen geschichtlichen Wurzeln von Mitbestimmung und Sozialisierung Parallelen zwischen beiden zu ziehen und bei der Exegese der durch Art. 14 Abs. 1 und 2 GG aufgeworfenen Probleme zu berücksichtigen. Vgl. Schwerdtfeger, a. a. O.

45

2. Teil: DIE VEREINBARKEIT DER PARITÄTISCHEN MITBESTIMMUNG MIT ART. 14 GG VII. Paritätische

Mitbestimmung

und

Eigentumsgarantie

1. Bevor die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung mit dem Eigentumsschutz nach Art. 14 GG im Einzelnen geprüft wird, ist es notwendig, die Eigenart des Vorgangs im Vergleich zu anderen Eingriffen in das Eigentum vollends scharf herauszuarbeiten. Die paritätische Mitbestimmung bezweckt keine Verminderung des im Unternehmen arbeitenden Kapitals und daher der Vermögenssubstanz der Mitgliedschaftsrechte. Deren Wert bleibt, soweit er den Anteil am Unternehmensvermögen repräsentiert und nicht vom Kapitalmarkt abhängt, unangetastet. Ebensowenig zielt die paritätische Mitbestimmung darauf ab, die Produktivität der Unternehmen zu vermindern, und außer in pathologischen Fällen, wenn es zu Spannungen zwischen den Gruppen kommt, welche die Zusammenarbeit blockieren, oder wenn ungeeignete Persönlichkeiten in die Unternehmensleitung berufen werden, ist mit einem Rückgang der Ertragskraft auch tatsächlich nicht zu rechnen 1 . Ob sich die Gefahr derartiger Störungen durch die paritätische Mitbestimmung in relevantem Ausmaß erhöht, muß bezweifelt werden, denn Arbeitskämpfe oder ein durch falsche Personalpolitik hervorgerufenes schlechtes Betriebsklima können auch im herkömmlichen System zu Ertragseinbußen führen, die letztlich auf den Gegensatz zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern zurückgehen. Ähnliches gilt gegenüber dem Argument, die Mitbestim1

46

Vgl. dazu schon oben S. 33.

mung werde die Anteilseigner bei der Verteilung des Unternehmensertrages zu größeren Konzessionen an die Arbeitnehmer nötigen als bisher und daher ihre Rendite schmälern, denn es ist offen, ob die Gewerkschaften nicht mit den Mitteln des Arbeitskampfs gleichartige Zugeständnisse erzwingen könnten. Notfalls sind die Anteilseigner in der Lage, aus der Gesellschaft auszutreten oder ihre Anteile zu veräußern und sich auf diesem Weg gegen drohende Verluste zu wehren. Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß sich das Risiko der Anteilseigner nicht vergrößert, da hinsichtlich der Haftung am geltenden Recht nichts geändert werden soll. Alle diese Umstände führen zu dem Ergebnis, daß die paritätische Mitbestimmung den Gesellschaftsanteil als Vermögensrecht nicht unmittelbar beeinträchtigt, die vermögensrechtliche Seite daher nicht den Kern des Problems bildet, sondern allenfalls einen Seitenaspekt von untergeordnetem verfassungsrechtlichem Gewicht. Der mit der paritätischen Mitbestimmung verknüpfte Eingriff bezieht sich statt dessen in erster Linie auf die mit dem Gesellschaftsanteil verbundene Dispositionsbefugnis, d. h. auf die Herrschaftskomponente des im Eigentum verkörperten Rechts. Da es sich bei den von den Entwürfen betroffenen Gesellschaftsformen durchweg um juristische Personen handelt, geht es um Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte, nicht dagegen in das der juristischen Person selbst zustehende Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Gemäß der Natur von Mitgliedschaftsrechten erschöpft sich die Herrschaft nicht in der Befugnis, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren 2 , sondern impliziert einen Anteil an der im Unternehmen als einem hierarchisch geordneten Verband ausgeübten Herrschaft, die sich nach innen in der Disposition über die Gegenstände des Unternehmensvermögens, vor allem aber auch über den Einsatz der im Unternehmen arbeitenden Menschen, nach außen 2

Vgl. § 9 0 3 BGB.

47

im Einfluß des Unternehmens als „intermediäre Gewalt" auf Staat und Gesellschaft manifestiert. Auf die umstrittene Rechtsfrage, ob die im Unternehmen über die Arbeitnehmer ausgeübte Herrschaft formal auf dem Eigentum oder auf dem Arbeitsvertrag beruht 3 , kann es für das Verfassungsrecht nicht ankommen, denn jedenfalls ist sie im herkömmlichen System de facto und de iure an das Eigentum an den Produktionsmitteln gebunden. Demgegenüber wird die paritätische Mitbestimmung die Anteilseigner zwingen, diese Herrschaft mit von den Arbeitnehmern selbst gewählten Vertretern zu teilen. Der Vorgang bedeutet, was für die verfassungsrechtliche Beurteilung entscheidend ins Gewicht fällt, nicht den Entzug der Herrschaftsrechte, die Entmachtung der Anteilseigner, sondern deren Bindung an eine gleichgewichtige Herrschaft der Arbeitnehmer 4 . Er erstreckt sich auch nicht auf die Disposition über den Gesellschaftsanteil selbst, der unverändert veräußerlich ist oder durch Austritt aus der Gesellschaft realisiert werden kann, sondern auf die gesellschaftsrechtlich vermittelte Disposition über das Unternehmen. 2. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz garantiert nach allgemeiner, auch vom Bundesverfassungsgericht geteilter Ansicht sowohl individuelle Eigentumsrechte als auch den Schutz des Eigentums als Rechtsinstitut 5 . Eine verbreitete Ansicht sieht dabei in der Institutsgarantie nicht nur die verfassungsrechtliche Anerkennung konkreter Vermögensrechte in ihrer von der Rechtsordnung geformten Gestalt, sondern darüber hinaus eine Entscheidung über die Gesellschafts- und Wirtschaftsverfassung im Ganzen. So führt W. Weber6 aus, der Gesetzgeber sei durch Art. 14 GG ver3

4 s

6

48

Vgl. Böhm, Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht der Arbeiter im Betrieb, ORDO IV 1951, S. 21 ff. Vgl. Lerche, ZHR 134 (1970), S. 365. Vgl. statt aller Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 30 zu Art. 14; Badura, Eigentum im Verfassungsrecht der Gegenwart, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentags 1972, S. T. 1 ff.; BVerfGE 20, 355; 24, 367 (389). Eigentum und Enteignung, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2, S. 358.

pflichtet, „den Inhalt des Eigentums und die Ordnung des Wirtschaftslebens nach der Tradition eigenverantwortlicher individueller Lebensgestaltung zu bestimmen, das Eigentum als ordnendes Prinzip des Soziallebens anzuerkennen und rechtmäßig erworbene Vermögenspositionen, solange der Berechtigte mit ihnen keinen Mißbrauch treibt, zu respektieren". Badura schreibt, die Ausgestaltung des Eigentums als ein Grundrecht t r e f f e „eine grundlegende Bestimmung über ein tragendes Element der Wirtschaftsordnung und des Soziallebens, ein Element, das zugleich eine prägende Bedingung der Verfassungsordnung selbst darstelle" 7 . E. R. Huber nennt die Eigentumsgarantie den „ I n b e g r i f f der privaten Verfügungsgewalt über Produktionsmittel" 8 . Demgemäß erscheint auch die paritätische Mitbestimmung in der Literatur als Eingriff in alle drei Stufen der Eigentumsgarantie. Indem sie mitgliedschaftsrechtliche Dispositionsbefugnisse beschneidet, greift sie nach Meinung ihrer Gegner unzulässig in die subjektiven Eigentumsrechte der Anteilseigner ein. Zugleich verändert sie den Charakter des gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentums als durch Art. 14 G G geschütztes Rechtsinstitut. Endlich gestaltet sie die auf der privaten Verfügungsmacht über die Produktionsmittel beruhende kapitalistische Wirtschaftsordnung im Ganzen um 9 . A u f allen drei Ebenen wirken andererseits auch die Schranken, welche Art. 14 Abs. 1 Satz 2 G G für den Eigentumsschutz setzt, wenn er den Gesetzgeber ermächtigt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Ob die Einführung der paritätischen Mitbestimmung durch diesen Gesetzesvorbehalt gedeckt ist, bildet demnach das entscheidende, in der Literatur umstrittene Problem. Da in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht dazu berufen ist, den Konflikt zu entscheiden, ist es geboten, 7

O 9

A. a.

o., s.

5.

Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 4. Vgl. dazu v o r allem Pernthaler, a. a. O., S. 75 f f . ; R i t t n e r ,

Unternehmensver-

fassung und Eigentum, in: Gesellschaftsrecht und Unternehmensrecht, Festschrift für W . Schilling, Berlin 1973, S. 363 f f .

49

ihn auch hier vor allem anhand der Regeln zu entscheiden, welche das Gericht zur Lösung der Dialektik von Eigentumsschutz und Gesetzesvorbehalt entwickelt hat. Die Frage lautet, ob sich aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts eine hinreichend begründete Prognose ableiten läßt, wie das Gericht die paritätische Mitbestimmung in einem künftigen Verfahren beurteilen würde. Die Antwort darauf fordert, den Argumentationshaushalt dieser Judikatur ausführlich und genau durchzuarbeiten. 3. Die bisher einzige Entscheidung des Gerichts, welche sich unmittelbar mit dem Schutz gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentums beschäftigt, ist das Feldmühle-Urteil 10 , das deshalb als wichtigstes Präjudiz für die Mitbestimmungsfrage zu gelten hat 11 . Der angegriffene § 15 des Umwandlungsgesetzes ermöglichte einem Großaktionär, der eine Dreiviertelmehrheit des Aktienkapitals in seinen Händen vereinigte, mit Hilfe eines „von ihm" in der Hauptversammlung gefaßten Umwandlungsbeschlusses Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft hinsauszudrängen, ihrer mitgliedschaftlichen Rechte auf diese Weise zu berauben und sie statt dessen auf einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch zu verweisen. Im Feldmühle-Fall hatte der Großaktionär davon Gebrauch gemacht, um den klagenden Minderheitsaktionär loszuwerden, der seinen Konzernbauplänen im Wege stand. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Vorschrift, welche das Manöver gestattete, für zulässig. Der Kern seines Gedankengangs lautet: „Das Eigentum ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht; das Bekenntnis zu ihm ist eine Wertentscheidung des Grundgesetzes von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat. Das Eigentum ist das wichtigste Rechtsinstitut 10 11

50

BVerfGE 14, 263 ff. Im Rheinstahl-Verfahren, BVerfGE 25, 371, das sich auf das Mitbestimmungsergänzungsgesetz bezieht, hat das Gericht Art. 14 GG nur gestreift und die Zentralfrage ausdrücklich offen gelassen, ob die (Montan)Mitbestimmung grundgesetzkonform sei.

zur Abgrenzung privater Vermögensbereiche. Es bedarf deshalb besonders der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung. Demzufolge enthält Art. 14 Abs. 1 GG in Satz 2 die Ermächtigung an den Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers scheinen nach dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG keine Schranken gesetzt zu sein. Es ist jedoch selbstverständlich, daß jede gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung sowohl die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums im herkömmlichen Sinne zu beachten hat als auch mit allen übrigen Verfassungsnormen in Einklang stehen muß, also insbesondere dem Gleichheitssatz, dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und den Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit" 12 .

Es folgen Ausführungen zum rechtlichen Charakter der Aktie, in deren Verlauf das Gericht hervorhebt, die Aktie sei nach geltendem Recht und nach der Vertragspraxis in ihrem Bestand gegen Beschlüsse der Mehrheit nicht unbedingt gesichert, sondern könne in ihrem wirtschaftlichen Charakter wesentlich umgestaltet und einer Obligation angenähert werden. Darin komme der komplexe Charakter dieses Rechts zum Ausdruck, das sowohl Vermögensrecht wie Mitgliedschaftsrecht sei. Dem Gesetzgeber müsse es überlassen bleiben, die eine oder andere Seite der Aktie zum wesentlichen Kriterium seiner Entscheidung zu machen 1 3 . Im Fall der Mehrheitsumwandlung habe er es „aus gewichtigen Gründen des gemeinen Wohls für angebracht halten" können, „den Schutz des Eigentums der Minderheitsaktionäre hinter den Interessen der Allgemeinheit an einer freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative im Konzern zurücktreten zu lassen". Diese Entscheidung folge aus einer Abwägung zwischen dem unternehmerischen Interesse des Großaktionärs und dem Anlageinteresse des Kleinaktionärs im Rahmen einer konzernabhängigen Gesellschaft. Obwohl gegen die Akkumulation wirtschaftlicher und finanzieller Macht in den Konzernen 12

A . a . O . , S. 277 f. unter Verweisung auf BVerfGE 1, 264; 4, 219.

13

A . a . O . , S. 270.

51

wirtschafte- und sozialpolitische Einwände erhoben werden, erscheine es „nicht von vornherein unvertretbar, wenn der Gesetzgeber erlaubt, daß sich das von der Konzernleitung vertretene unternehmerische Interesse gegenüber dem Anlageinteresse des Kleinaktionärs durchsetzt" 14 . Das vom Gesetzgeber geforderte Quorum stehe nicht außer Verhältnis zu der Intensität des Eingriffs 15 . Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen legislatorischen Wertung sei nur, daß ,,die berechtigten Interessen der zum Ausscheiden gezwungenen Minderheit gewahrt werden", wozu es nach Ansicht des Gerichts freilich genügt, daß wirksame Rechtsbehelfe gegen den Mißbrauch der dem Großaktionär eingeräumten wirtschaftlichen Macht zur Verfügung stehen und der Kleinaktionär für den Verlust seiner Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt wird 16 . Versucht man diese Sätze im Hinblick auf die Mitbestimmungsfrage zu interpretieren, so zeigt sich, daß das Gericht den Grundrechtsschutz beim Kleinaktionär, der keine eigenen unternehmerischen Initiativen durchzusetzen vermag, auf den Vermögenswert des Anteils beschränkt, der daher konsequent auch entzogen und durch seinen Geldwert ersetzt werden kann, während es beim Großaktionär auch den unternehmerischen Interessen Grundrechtsschutz zubilligt, wenngleich nach Art. 2 Abs. 1 GG. Wie bereits erwähnt, kann diese Differenzierung schon im Ansatz nicht überzeugen. Gleichwohl lehrt sie, daß der Vermögenswert des Anteils einen weitergehenden Schutz genießt als die Mitverwaltungsrechte, die als Folge von Mehrheitsbeschlüssen entschädigungslos wegfallen können. Im übrigen wägt das Gericht die Interessen der Beteiligten gegeneinander ab und konfrontiert sie mit den Zwecken, welche der Gesetzgeber mit dem Umwandlungsgesetz verfolgte. Wie weit es legitim ist, diese Zwecke trotz der Beeinträchtigung 14 15 16

52

s. 282 ff. S. 280. S. 283.

des Eigentums zu verfolgen, richtet sich nach dem Gemeinwohl, wobei das Gericht dem Gesetzgeber einen erstaunlich weiten Ermessens- und Beurteilungsspielraum läßt, wenn es ausdrücklich alle vom Gesetzgeber verfolgten Absichten akzeptiert, die „nicht von vornherein unvertretbar waren". Die im Feldmühle-Urteil hervorgetretene Konzeption des Gerichts, den Gegensatz zwischen Eigentumsschutz und Regelungsvorbehalt in Art. 14 Abs. 1 GG durch eine Abwägung der Güter und Zwecke zu lösen, wird durch die folgende Judikatur bestätigt. Immer wieder fällt auf, daß es dabei die dem Gesetzgeber gezogenen Grenzen auffallend weit hinausschiebt. Nach BVerfGE 18, S. 121, 132, genügt es, wenn der Gesetzgeber nicht in einer Weise verfährt, die „grob sachwidrig ist und in die Interessen der Beteiligten ohne Grund oder übermäßig eingreift". An anderer Stelle heißt es, es gebe „keinen absoluten Begriff des Eigentums", weshalb es „Sache des Gesetzgebers" sei, „Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen". Er orientiere sich dabei „an den gesellschaftlichen Anschauungen seiner Zeit" und habe außerdem „die grundlegenden Wertentscheidungen und Rechtsprinzipien der Verfassung" zu beachten. Nur „mit dem sich hieraus ergebenden Inhalt sei das Eigentum verfassungsrechtlich gewährleistet". Die dem Eigentum gemäß § 14 Abs. 2 GG anhaftende Sozialpflichtigkeit ziehe „der umfassenden Gebrauchs- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers im Interesse des gemeinen Wohls allgemein geltende Grenzen" 17 . Der Hinweis auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums wird später noch weiter ausgeführt in den Worten, das Grundgesetz selbst habe dem Gesetzgeber „für die Bestimmung des Eigentumsinhalts einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsbereich eingeräumt", denn das in Art. 14 Abs. 2 GG formulierte Gebot sozialgerechter Nutzung sei „nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Rege17

BVerfGE 20, 351, 355 f.

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lung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit zu beachten"; in ihm liege „die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft" habe 18 . Eine Regelung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG stehe „unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit"; die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse müsse „zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig" und dürfe auf der anderen Seite „nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein 19 . Im Rheinstahl-Urteil 20 ergänzt das Gericht seine Ausfuhrungen zum Feldmühle-Fall durch den Satz, das in der Aktie verkörperte und den Schutz des Art. 14 GG genießende Recht werde „inhaltlich . . . durch das Gesellschaftsrecht, aber auch durch das Sozialordnungsrecht bestimmt". In einigen anderen Entscheidungen entwickelt es den Gedanken der Privatnützigkeit des Eigentums: So heißt es in BVerfGE 24, 367 (389): „Das Eigentum ist ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht. Ihm kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen. Die Garantie des Eigentums als Rechtseinrichtung dient der Sicherung dieses Grundrechts. Das Grundrecht des Einzelnen setzt das Rechtsinstitut .Eigentum' voraus; es wäre nicht wirksam gewährleistet, wenn der Gesetzgeber an die Stelle des Privateigentums etwas setzen könnte, was den Namen ,Eigentum' nicht mehr verdient. Die Institutsgarantie sichert einen Grundbestand von Normen, die als Eigentum im Sinne dieser Grundrechtsbestimmung bezeichnet werden. Inhalt und Funktion des Eigentums 18 19 20

54

BVerfGE 21, 83. BVerfGE 21, 150 (155); vgl. auch BVerfGE 25, 112 (117); 26, 215 (222). BVerfGE 25, 407.

sind dabei der Anpassung an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fähig und bedürftig; es ist Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums unter Beachtung der grundlegenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zu bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Institutsgarantie verbietet jedoch, daß solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, und damit der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsbereich aufgehoben oder wesentlich geschmälert wird."

In BVerfGE 26, 215 (222) wird derselbe Gedanke im Hinblick auf die Versagung einer nach dem Grundstücksverkehrsgesetz erforderlichen Genehmigung zur Veräußerung eines Grundstücks dahin ausgeführt, zur verfassungsrechtlichen Garantie des Privateigentums als Rechtsinstitut gehöre grundsätzlich die Freiheit des Eigentümers, sein Eigentum veräußern zu dürfen. Diese Befugnis sei „auch ein elementarer Bestandteil der Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung". Ein Veräußerungsverbot gehöre somit „zu den schwersten Eingriffen in diesen Freiheitsbereich des Bürgers". Daher könne „nicht jedes nur denkbare öffentliche Interesse eine Beschränkung rechtfertigen; es müssen vielmehr solche Gründe des allgemeinen Wohls vorliegen, denen auch bei Beachtung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Vorrang vor dem grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers" zukomme. Weiter formuliert das Gericht in BVerfGE 31, 229 (240 f.), Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste zunächst „das Privateigentum als Rechtsinstitut, das im wesentlichen durch die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit über das Eigentumsobjekt gekennzeichnet ist". Der Schutz bedeute aber nicht, daß „damit jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert sei". Die Institutsgarantie gewährleiste „einen Grundbestand von Normen, der gegeben sein muß, um das Recht als Privateigentum' bezeichnen zu können". Im ein55

zelnen sei es aber „Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausprägung des Rechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen". Im vorläufig letzten einschlägigen, das Urheberrecht betreffenden Urteil heißt es dann endlich 21 , die Gewährleistung des Eigentums nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeute nicht „Unantastbarkeit einer Rechtsposition fiir alle Zeiten"; sie besage auch nicht, „daß jede inhaltliche Veränderung einer geschützten Rechtsstellung unzulässig wäre. Die konkreten, dem einzelnen Eigentümer zugeordneten und durch die Verfassung garantierten Rechte" unterliegen vielmehr im Rahmen noch zu erörternder Grenzen „der Disposition des Gesetzgebers". Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gebe diesem „die Befugnis, den Inhalt neuer Rechte zu bestimmen, also solche neuen Rechte zu begründen, die die Gesetze bisher nicht kannten und die für später eintretende Tatbestände generell gelten". Sie ermächtigte den Gesetzgeber aber auch, „in bereits begründete Rechte einzugreifen und diesen einen neuen Inhalt zu gßben, mit anderen Worten, unter Aufrechterhaltung des Zuordnungsverhältnisses neue Befugnisse und Pflichten festzulegen". Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG besage „nach seinem rechtsgeschichtlichen Zusammenhang mit Art. 153 Abs. 1 WRV und seinem Sinn: Die Eigentumsgarantie und das konkrete Eigentum sollen keine unüberwindliche Schranke für die gesetzgebende Gewalt bilden, wenn Reformen sich als notwendig erweisen". Der Gesetzgeber sei „bei einem Reformwerk nicht vor die Alternative gestellt, die nach dem bisherigen Recht begründeten subjektiven Rechte entweder zu belassen oder unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG zu enteignen"; er könne individuelle Rechtspositionen umgestalten, ohne damit gegen die Eigentumsgarantie zu verstoßen. Weiter unten konkre21

56

BVerfGE 31, 275 (284 f.).

tisiert das Gericht die Grenzen der Befugnis, das Recht umzugestalten, dahin, daß solche Regelungen nur voraussetzen, daß sie „durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind" 22 . 4. Badura hat die Konzeption, welche in dieser Judikatur Gestalt findet, mit Recht dahin zusammengefaßt, die Verfassung anerkenne „im Eigentums-Grundrecht auch die Aufgabe und Befugnis des parlamentarischen Gesetzgebers, die Allgemeininteressen in der Ausgestaltung der Güterordnung, des Rechtsinstituts Eigentum sowohl wie der bestehenden Eigentumsrechte zur Geltung zu bringen". Die durch die Eigentumsgarantie bewirkte und durch Art. 19 Abs. 2 GG unterstrichene Bindung dieser gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit liege „in den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der willkürfreien Sachgerechtigkeit". Direktiven der willkürfreien Sachgerechtigkeit fänden sich „in der prinzipiellen Respektierung der Privatnützigkeit des Eigentums, in der Wahrung der Lastengleichheit der Eigentümer und in der objektiven Berücksichtigung der Eigenart des betroffenen Eigentumsobjekts im Lichte der öffentlichen Interessen" 23 . 5. Im Lichte dieser Judikatur ist es zweckmäßig, zunächst zu fragen, in welchen Punkten sich die Mitbestimmungsfrage vom Sachverhalt des Feldmühle-Urteils unterscheidet und ob bzw. inwiefern diese Aspekte rechtlich relevant sind. Dabei kommt eine Reihe von Punkten ins Blickfeld: a) Ein erster Unterschied liegt darin, daß das Umwandlungsgesetz den Eingriff in das Aktieneigentum und in die Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane nicht selbst vollzog, sondern nur die gesetzliche Ermächtigung 22 23

S. 290. Eigentum im Verfassungsrecht der Gegenwart, a.a.O., S. 18f.; vgl. auch Böckenförde, Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 220; E. Stein, Staatsrecht, 3. Aufl. 1973, S. 175.

57

für einen darauf abzielenden Akt des Großaktionärs schuf, während die paritätische Mitbestimmung nach den Entwürfen unmittelbar durch Gesetz eingeführt werden soll. In der Tat wird in der Literatur argumentiert, der Gesetzgeber sei in der vom Grundgesetz geschützten freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung nur befugt, Rahmenbedingungen für den Willensbildungsprozeß in der Gesellschaft zu setzen, nicht aber ihre organisatorische Struktur festzulegen 24 . Indessen ist seit jeher anerkannt, daß die Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht und folglich die Organisationsbefugnis der Gesellschafter nur im Rahmen des geltenden Rechts herrscht und daher durch Gesetz fixiert und geändert werden kann. Der Gesetzgeber hat davon auch stets unangefochten Gebrauch gemacht. Die innere Ordnung der Aktiengesellschaft ist im Aktiengesetz bis in die meisten Einzelheiten zwingend geregelt und wurde im Zug der Reformen des Aktienrechts auch mehrfach einschneidend geändert, ohne daß die Zulässigkeit verfassungsrechtlich in Zweifel gezogen wurde. Auch das kürzlich novellierte Genossenschaftsgesetz und der Regierungsentwurf eines neuen Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung gehen als selbstverständlich davon aus, daß der Gesetzgeber insoweit freie Hand hat. Die Grenzen seiner Befugnis, das innere Gefüge bestimmter Gesellschaftsformen festzulegen, sind erst erreicht, wenn er Grundrechte der Gesellschafter, namentlich Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, das heißt, seine Befugnisse aus materiellen Gründen überschreitet 25 . Ein letzter Zweifel an der Richtigkeit dieser Regel wird durch das Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts beseitigt 26 , das zwar für die Hochschulen, im übrigen Vgl. Huber, a.a.O., S. 52, im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 1 GG. Vgl. dazu u. a. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, München 1970, S. 9 ff., und für die Personengesellschaften H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, Berlin u. a. 1970, S. 25 ff. BVerfGE 35, 79 ff.

aber für einen vergleichbaren Kontext, ausdrücklich besagt, der Gesetzgeber sei auch befugt, den inneren Aufbau rechtlicher Organisationen grundlegend zu ändern. b) Auf den ersten Blick bedeutungsvoll erscheint, daß die Entwürfe im Gegensatz zum Umwandlungsgesetz den Anteilseignern keine Entschädigung für die sie treffende Rechtsminderung zukommen lassen wollen. Doch ist gerade hier zu beachten, daß, wie dargelegt 27 , die paritätische Mitbestimmung nicht darauf abzielt, Vermögenswert und Ertrag des Anteils zu schmälern, und eine solche Gefahr auch nur in krankhaften Fällen ernstlich droht. Soweit die Verteilung des Unternehmensertrags zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern in Rede steht, ist das Gleichgewicht nur im Fall der Überparität so schwer gefährdet, daß verfassungsrechtliche Bedenken auftreten, während sich die Chance der Anteilseigner, eine angemessene Rendite für ihren Anteil zu bekommen, im Vergleich zum gegenwärtigen Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem nicht wesentlich verschlechtert, solange die Parität gewahrt ist. Verfassungsrechtlich ist ferner zu beachten, daß nach feststehender Judikatur des Bundesverfassungsgerichts 28 und des Bundesgerichtshofs 29 bloße Gewinnchancen, Zukunftshoffnungen und sonstige vermögensrelevante Erwartungen nicht unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG fallen 30 . Die Gefahr des Mißbrauchs einer durch eine Gesetzesänderung geschaffenen Rechtsmacht bildet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie namentlich im Feldmühle-Urteil formuliert wurde 31 , keinen Grund, die Gesetzesänderung als solche für unzulässig zu erklä27

Oben S. 46.

28

BVerfGE 20, 31 ( 3 4 ) ; 28, 119 ( 1 4 2 ) ; 30, 2 9 2 ( 3 3 4 f f . ) .

29

BGHZ 4 8 , 58 (61).

30

Aus der Literatur vgl. nur Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 14, Rdnr. 32; Kreft, Aufopferung und Enteignung. Begriffe und Grundsätzliches in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, 1968, S. 19 ff.

31

S. oben S. 52.

59

ren. Jedenfalls kann und sollte die Frage dem Kapitalmarkt überlassen bleiben, der wirksamer als alle anderen Mittel für eine angemessene Rendite sorgt. Aus all diesen Gründen entspricht es der Sachlage, eine Entschädigung der Anteilseigner nicht vorzusehen. Statt dessen ist aber dafür Sorge zu tragen, daß sich die Anteilseigner gegen die genannten pathologischen Fälle wirksam absichern und wehren können 32 . c) Im Kampf gegen die Mitbestimmung wird weiter argumentiert, die paritätische Besetzung der Gesellschaftsorgane mit gesellschaftsfremden Arbeitnehmervertretern verändere unzulässig den Gesellschaftsanteil als Rechtsinstitut, weil sie die Verknüpfung von Vermögenswert und Teilhabe an der Unternehmensleitung auflöse, dem Eigentümer die „den institutionellen Kernbestand" der Eigentumsgarantie ausmachenden „autonomen Verfügungsmöglichkeiten schlechthin" entziehe und „zugleich mit der vermögensrechtlichen Haftung für Fremdverfügungen" belastet 33 . Demgegenüber nötigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daran zu erinnern, daß die Eigentumsgarantie den Gesetzgeber nicht hindert, das Recht umzugestalten und mit neuen Befugnissen und Pflichten zu erfüllen, wenn sich Reformen als notwendig erweisen 34 . Nach diesen Maximen ist es auch nicht prinzipiell unzulässig, die rechtliche Gestalt der Gesellschaftsanteile im Sinne der paritätischen Mitbestimmung umzuformen. 6. Die Ausführungen zu a) bis c) enthalten alle Punkte, in denen sich die Mitbestimmungsfrage auf rechtlich relevante Weise vom Sachverhalt des Feldmühle-Urteils unterscheidet, solange man außer Acht läßt, daß die Umwandlung der Gesellschaftsform und das Hinausdrängen des Minderheitsaktionärs im Feldmühle-Fall sich unter den Gesellschaftern 32 33 34

60

Vgl. unten S. 73 ff. Pernthaler, a.a.O., S. 118 m. w. N. BVerfGE 31, 284 ff.; s. oben S. 55 f.

abspielte und daher der herkömmlichen Unternehmensverfassung systemimmanent ist, während die paritätische Mitbestimmung das System selbst umformt und weiterentwickelt. Das negative Ergebnis der bisherigen Prüfung bedeutet daher, daß sich das Problem auf die Frage zuspitzt, ob der Eigentumsschutz nach Art. 14 GG, bezogen auf das Eigentum an Gesellschaftsanteilen, die Verbindung von Vermögensrecht und wirtschaftlicher Verfügungsmacht in der Hand der Anteilseigner in dem Umfang sanktioniert, wie ihn das herkömmliche Recht kennt, oder ob er es zuläßt, die Herrschaft der Anteilseigner im Unternehmen zugunsten der Arbeitnehmer im Sinn der paritätischen Mitbestimmung zu lockern. Institutionell gesehen geht es darum, ob das Grundgesetz in Art. 14 GG die allein auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln basierende kapitalistische Unternehmensverfassung rezipiert und mit Verfassungskraft ausgestattet hat oder ob bzw. in welchem Ausmaß es Modifikationen dieser Ordnung zuläßt. Das Bundesverfassungsgericht hat schon kurz nach seiner Errichtung im bekannten Investitionshilfe-Urteil 35 ausgesprochen, das Grundgesetz habe sich nicht für eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialordnung, namentlich nicht für das System der freien Marktwirtschaft entschieden, sondern sei wirtschaftspolitisch neutral und ermögliche dem Gesetzgeber daher, jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Er sei nur an das Grundgesetz, d. h. vor allem an die Grundrechte und die Prinzipien des demokratischen und sozialen Rechtsstaats gebunden 36 . Die Entscheidung setzt für die hier zu erörternden Fragen ein wichtiges, wenn auch nicht abschließend klärendes Präjudiz, verweist im übrigen aber auf die Exegese des Art. 14 GG selbst. In der Judikatur des Gerichts hierzu ist, wie die angeführten Stellen zeigen, nirgends expressis verbis von einer Garantie der kapitalistischen Unterneh35

BVerfGE 4, 7 (17 ff.).

36

Ständige Rechtsprechung, vgl. z . B . BVerfGE 7, 400; 12, 363.

61

mensordnung die Rede; überhaupt erscheint die Wirtschaftsund Sozialordnung nicht als ein inhaltlich näher festgelegtes und beschriebenes System. Doch wäre es falsch, diesem Befund für sich allein allzu große Beweiskraft beizulegen, weil die Mehrzahl der Urteile sich nicht auf das Eigentum an Produktionsmitteln bezieht, sondern an Grundstücken oder Gegenständen der privaten individuellen Nutzung, bei denen kein Anlaß bestand, zur Unternehmensverfassung Stellung zu nehmen. Auch im Feldmühle- und im Rheinstahl-Verfahren war es nicht nötig, die Frage zu verfolgen. Geht man in dieser Lage, um die Meinung des Gerichts weiter herauszuarbeiten, den einzelnen von ihm gebrauchten Formulierungen nach, so sprechen für eine Interpretation zugunsten der herkömmlichen Unternehmensstruktur zunächst eine Reihe von Wendungen des Inhalts, das Grundgesetz schütze das Eigentum in seinen herkömmlichen Erscheinungsformen, wie „das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen es geformt haben" 3 7 . Dem stehen indessen, wie gezeigt, mit mindestens gleichem Gewicht andere Aussagen gegenüber, wonach der Gesetzgeber befugt ist, die Eigentumsgarantie nach den gesellschaftspolitischen Bedürfnissen und Anschauungen der Zeit umzuformen und weiterzuentwickeln. In den neueren Urteilen treten sie sogar deutlich in den Vordergrund. Doch wäre es angesichts der Dialektik dieser gegensätzlichen Maximen verfrüht, schon hier Schlußfolgerungen für die Tendenz des Gerichts aus ihnen zu ziehen. Durchstößt man das oft etwas deklaratorische Pathos der vom Gericht zur Beschreibung des Eigentumsschutzes gewählten Formeln, so besagen sie inhaltlich in vielen Fällen überraschend wenig. Wenn das Gericht vom Eigentum als einem „elementaren Grundrecht" oder von der Eigentumsgarantie als einer „Wertentscheidung des Grundgesetzes von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat" redet 38 , handelt es sich um kaum mehr als um 37

BVerfGE 1, 278; 2, 4 0 2 ; 11, 70; 19, 370.

38

S. oben S. 5 0 f.

62

phrasenhafte Leerformeln. Soweit die Formulierungen aber konkreter werden — wie etwa, wenn es heißt, das Eigentum stehe „in innerem Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit"; seine Aufgabe sei es, „dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen"; die Institutsgarantie verbiete, daß ,,der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsbereich aufgehoben oder wesentlich geschmälert" werde und gewährleiste „die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfugungsfähigkeit über das Eigentumsobjekt" 39 , — geht es durchweg um den Eigentumsschutz als Garanten für die persönliche Freiheit des Individuums und um die Möglichkeit, Vermögensgegenstände für private Zwecke nutzen zu können. Es erweist sich demnach, daß das Gericht, übrigens im Einklang mit der verfassungsgeschichtlichen Tradition, im Schutz eines gegenständlichen Bereichs der persönlichen Freiheit des Individuums die geistige Substanz, den Wesenskern der Eigentumsgarantie sieht. Um das Eigentum an Produktionsmitteln, namentlich an Gesellschaftsanteilen, darunter subsummieren zu können, muß man also behaupten, es sei zum Schutz dieser privaten Freiheitssphäre gleichermaßen notwendig wie der Schutz von Grundeigentum und persönlicher Habe. Es bedarf keines Belegs, daß tatsächlich häufig so argumentiert wird, namentlich in der Version, nur die freie Verfügungsmacht über die Produktionsmittel durch Privatpersonen garantiere auf die Dauer den Fortbestand der Freiheit im sozialen und politischen Leben. Doch läßt sich dies heute uneingeschränkt allenfalls noch für kleine Unternehmer behaupten, die ihr Geschäft persönlich betreiben und vom Geschäftserfolg unmittelbar abhängig sind, weil sie das Unternehmen weder vermögensnoch haftungsrechtlich von der privaten Lebenssphäre trennen. Bei allen Großunternehmen, auf welche sich die 39

S. oben S. 54 ff.

63

paritätische Mitbestimmung ausschließlich bezieht, führt die Schmälerung der Dispositionsrechte über das dem Unternehmen gewidmete Kapital und über die in ihm arbeitenden Menschen, wie sie die paritätische Mitbestimmung vorsieht, nicht zu einer Beeinträchtigung des individuellen Lebensbereichs der Anteilseigner und ihrer persönlichen oder politischen Freiheit. Bei Kleinaktionären beschränkt sich der Eingriff auf die ohnehin wenig wirksamen Mitverwaltungsrechte, während der Vermögenswert und der Ertrag des Anteils, wie gezeigt, allenfalls mittelbar und in einem verfassungsrechtlich nicht relevanten Ausmaß beeinträchtigt werden. Dagegen werden Großaktionäre und Gesellschafter mit maßgeblichem Stimmengewicht oder Einfluß stärker betroffen, doch pflegen diese schon aus anderen wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen Privatund Unternehmenssphäre zu trennen. Auch werden gerade sie ihrer privaten unternehmerischen Initiative nicht beraubt, denn wenngleich sie die Arbeitnehmer auch nicht übereinstimmen können, so bleibt ihnen doch genügend Einfluß, ihre Vorstellungen und unternehmerischen Pläne zu entfalten, sofern sie der Kritik der Arbeitnehmervertreter standhalten, und jedenfalls können sie deren Aktionen blockieren. Nach alledem ist der Schutz der mit dem Gesellschaftsanteil verbundenen unternehmerischen Dispositionsbefugnis im Licht der Auslegung von Art. 14 GG durch das Bundesverfassungsgericht nur schwach ausgeprägt. Der Schwäche des Eigentumsschutzes in seinem hier relevanten Aspekt steht der starke Akzent gegenüber, mit dem das Gericht die Befugnis des Gesetzgebers versieht, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Der Gesetzgeber kann, wie gezeigt, die Eigentümerbefugnisse nicht nur beschneiden, sondern auch umgestalten, inhaltlich verändern, mit neuen Rechten und Pflichten erfüllen und den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit anpassen. Er ist dazu immer befugt, wenn „sich eine Reform als nötig" erweist, „durch Gründe des 64

öffentlichen Interesses gerechtfertigt" ist oder er sie „aus gewichtigen Gründen des allgemeinen Wohls für angebracht halten" konnte. Dabei betont das Gericht durchweg das fast grenzenlose Ermessen des Gesetzgebers bei der Frage, ob solche Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen. Die paritätische Mitbestimmung läßt sich angesichts dieser Lehren auf zahlreiche wichtige und auch verfassungsrechtlich relevante Gründe stützen. Sie dient dem Schutz der den Arbeitnehmern zukommenden Menschenwürde und damit der Verwirklichung des dem Eigentum im Grundrechtssystem noch übergeordneten „Muttergrundrechts" nach Art. 1 GG. Zugleich soll sie den demokratischen und sozialen Rechtsstaat im Bereich des Wirtschaftsund Soziallebens vollenden, den zu realisieren dem Gesetzgeber in Art. 20 und 28 GG aufgegeben ist. Die konkrete Form, in welcher der Gesetzgeber diese Ziele verfolgt, entspricht den Wertvorstellungen der Zeit, die sich darin manifestieren, daß das Gesetz von der Mehrheit des Parlaments verabschiedet werden muß. Trotz der Unsicherheit der Prognose über die künftige Entwicklung und der Ambivalenz der neuen Organisationsvorschriften, die Mißbräuche und Fehlentwicklungen nicht ausschließen, läßt sich nicht behaupten, daß die vom Gesetzgeber verfolgten Absichten „von vornherein unvertretbar" sind. Eine Gesamtschau und Abwägung aller Argumente, wie sie vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, führt aus allen diesen Gründen zu dem Endergebnis, daß die zugunsten der paritätischen Mitbestimmung in die Waagschale fallenden Gewichte überwiegen. Man kann sogar behaupten, in der Parität von Anteilseignern und Arbeitnehmern verwirkliche sich die höchste und vollendetste Ausprägung der vom Bundesverfassungsgericht in seiner dialektischen Rechtsprechung zu Art. 14 GG intendierten Äquivalenz von Eigentumsfreiheit und Sozialbindung des Eigentums. Es ist daher nicht zu erwarten, daß das Gericht die paritätische Mitbestimmung als einen Verstoß gegen Art. 14 GG ansehen und für unzulässig erklären würde. 65

7. Ist die paritätische Mitbestimmung mit dem Grundgesetz vereinbar, so gilt dasselbe auch für die unter der vollen Parität verbleibende Unternehmensordnung, wie sie die Entwürfe vorsehen, ohne daß dies gesondert begründet werden müßte. Denn nach wohl einhelliger Ansicht im Schrifttum verlangt das Grundgesetz nicht, die paritätische Mitbestimmung in allen Unternehmen einzuführen 40 . 8. Dagegen herrschen gegen alle Fälle einer formellen oder funktionellen Überparität der Arbeitnehmer schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken. Wenn die Arbeitnehmerseite, mit welchen rechtlichen Mitteln auch immer, instandgesetzt wird, die Anteilseigner zu überstimmen und ihre Ziele gegen deren Willen durchzusetzen, so verändert sich die Situation vollkommen. Den Anteilseignern wird nunmehr die Disposition über das Unternehmen im kritischen Fall gänzlich entzogen, sie werden formell und rechtlich entmachtet. Da sie die Unternehmenspolitik nicht mehr steuern und die Entscheidungen der Arbeitnehmerseite nicht mehr blockieren können, laufen sie darüber hinaus Gefahr, infolge einer verfehlten Unternehmensleitung die Substanz und den Wert ihres Anteils einzubüßen. Auf der anderen Seite läßt sich eine überparitätische Mitbestimmung nicht mit den Argumenten rechtfertigen, welche die paritätische Mitbestimmung tragen: Die Menschenwürde der Arbeitnehmer fordert — jedenfalls nach gegenwärtigen Anschauungen — nicht, daß ihnen die Vormacht im Unternehmen vor den Anteilseignern eingeräumt werde, die mit dem Einsatz ihres Kapitals einen für den Unternehmenserfolg prinzipiell gleich wichtigen Beitrag wie die Arbeitnehmer leisten. Auch der Idee einer freiheitlichen und sozialen Demokratie würde eine überparitätische Mitbestimmung eher wider- als entsprechen, denn sie würde neue Herrschaftspositionen einer sozialen Gruppe zu Lasten einer anderen begründen, welche Freiheit und Gleichheit in Frage stellen. Die überparitätische Mitbestimmung läßt sich daher 40

66

Vgl. Schwerdtfeger, a . a . O . , S. 169 f., 194 ff.

mit der Auslegung nicht vereinbaren, die Art. 14 GG durch das Bundesverfassungsgericht erfahren hat. Es ist zu erwarten, daß das Gericht sie für verfassungswidrig halten würde 41 . VIII. Der nach Art. 14 GG gebotene Schutz der

Anteilseigner

Die grundsätzliche Zulässigkeit der paritätischen Mitbestimmung bedeutet nicht, daß auch die Entwürfe eines Mitbestimmungsgesetzes in ihrer gegenwärtigen Form unbesehen mit dem Grundgesetz vereinbar wären. Das Bundesverfassungsgericht hat, selbst wenn es die vom Gesetzgeber beabsichtigte Regelung als solche nicht beanstandete, stets darauf geachtet, daß die zugunsten der betroffenen Eigentümer möglichen Schutzvorkehrungen getroffen werden. So hat es im Feldmühle-Fall gefordert, daß der Gesetzgeber „wirksame Rechtsbehelfe gegen den Mißbrauch der dem Großaktionär eingeräumten wirtschaftlichen Macht" zur Verfügung stelle 1 . Auch darf er nicht „grob sachwidrig" verfahren 2 , vielmehr muß die von ihm beabsichtigte Regelung „zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und notwendig sein" 3 . Die in diesen Formeln enthaltenen Maximen werden vom Gericht selbst 4 und in der Literatur 5 im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zusammengefaßt. Unter diesem Aspekt sind gegen die Entwürfe eine Reihe kritischer Bedenken zu äußern: 41

Rüthers, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Gleichgewicht oder Dominanz, in: Der Arbeitgeber, 1973, S. 491 ff. Anders Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, 1973, S. 268 f., der meint, der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff schütze nur den Vermögenswert des Eigentums, weshalb auch eine überparitätische Mitbestimmung möglich wäre, wenn sie durch eine Dividendengarantie zugunsten der Anteilseigner ausgeglichen wird. Diese Auslegung des Art. 14 GG verkennt offenkundig die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das sehr wohl auch die im Eigentum angelegten Herrschaftsbefugnisse in den Schutz des Art. 14 GG mit einbezieht.

1

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

2 3 4 5

14, 18, 21, 21,

283. 132. 155. 155; 26, 222; 31, 290.

Vgl. statt aller Badura, a. a. O., S. 18 ff.

67

1. Nach dem oben (Abschn. VII, Nr. 8) Gesagten ist davon auszugehen, daß den Gesetzgeber eine Pflicht trifft, das Umkippen der paritätischen Mitbestimmung in eine Überparität zugunsten der Arbeitnehmer zu verhindern. Ein Fall dieser Art wird in § 29 des Regierungsentwurfs geregelt, was beweist, daß auch die Gesetzesverfasser das Problem erkannt haben. Man wird die dort vorgesehene Regelung auch für ausreichend halten können, die Überparität für den geregelten Fall zu vermeiden, denn ein Gesellschafter, der weniger als 25 % der Stimmen auf sich vereinigt, kann nach geltendem Gesellschaftsrecht normalerweise keinen wesentlichen Einfluß auf die Besetzung der Unternehmensorgane und auf die Unternehmenspolitik nehmen. Auch setzt sich der Wille der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres durch, wenn ein paritätisch mitbestimmtes Unternehmen die ihm aus Beteiligungen zustehenden Verwaltungsrechte ausübt. Bedenklich ist aber, daß die Entwürfe andere Fälle nicht erwähnen, in denen sich die Gefahr einer Überparität gleichfalls abzeichnet, namentlich den Erwerb von Anteilen durch Arbeitnehmer, Arbeitnehmervereinigungen, Gewerkschaften oder von diesen abhängige Personen und Institutionen sowie die Ausübung des Depotstimmrechts durch unter Gewerkschaftseinfluß stehende Banken 6 . Die Situation ist mit der eines mitbestimmten Unternehmens, das Anteile besitzt, vergleichbar: Solange die Stimmenzahl niedrig bleibt, droht angesichts des im Gesellschaftsrecht geltenden Mehrheitsprinzips keine ernstliche Gefahr. Doch muß auch in diesen Fällen verhindert werden, daß die Arbeitnehmer durch den Erwerb von Anteilen Einfluß gewinnen, der über das unbedenkliche Maß hinausgeht. Die Einzelheiten einer Regelung, die diesem Erfordernis Rechnung trägt, können hier nicht verwirklicht werden. In Anlehnung an § 29 RegE wäre vielleicht daran zu denken, gleichfalls eine Stimmrechtsbeschränkung einzuführen, soweit der Anteil oder ein Pool von Arbeitnehmerstimmen 25 % aller Stimmen 6

68

S. oben S. 26 f.

übersteigt. Auch ein künftiges Gesetz über die Vermögensbildung wird dem Problem Rechnung tragen müssen63. 2. Die Grundsätze der Sachgemäßheit und der Verhältnismäßigkeit der Reform fordern weiterhin auch verfassungsrechtlich eine Lösung des Patts, d. h. des Falls der Stimmengleichheit, in dem sich die Vertreter der Anteilseigner im Aufsichtsrat gegenseitig blockieren, so daß dieser beschlußunfähig wird und den Fortgang der Geschäfte hindert. Man wird bezweifeln können, ob der Letztentscheid der Gesellschafterversammlung in allen Sachfragen, den die Entwürfe vorsehen, das Problem funktionsgerecht löst, denn jedenfalls bei Publikumsaktiengesellschaften ist die Hauptversammlung, wie oben ausgeführt, kaum instande, Maßnahmen der Geschäftsführung zutreffend zu beurteilen. Doch mag dieser Fall noch innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden Ermessens liegen, solange keine unzweifelhaft negativen Erfahrungen mit der beabsichtigten Regelung vorliegen. Gleiches gilt für die Wahl der Vorstandsmitglieder durch die Gesellschafterversammlung in letzter Instanz. Dagegen dürfte es sachwidrig sein, unter Verzicht auf den Letztentscheid der Gesellschafterversammlung im Fall des Patts die Bestellung der Vorstandsmitglieder nach § 85 AktG dem Registergericht zu überlassen, wie dies der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vorsieht. Die Aufgabe des Amtsgerichts in den Fällen des § 85 AktG geht dahin, Notfälle zu regeln, die ihrer Natur nach vorübergehen. Als Ersatz für die ordentliche Vorstandswahl ist das Verfahren dagegen nicht geeignet, da dem Registergericht mehr noch als der Vielzahl von Aktionären die Sach- und Personalkenntnis mangelt, die für den Akt notwendig sind. Die Lösung ist daher verfassungsrechtlich mindestens bedenklich. Sollte das Parlament im Gesetzgebungsverfahren den Letztentscheid der Gesellschafterversammlung beseitigen, wären weitere Mechanismen zur 6a

Vgl. Mestmäcker, Über Mitbestimmung und Vermögensverteilung. Alternativen zur Umverteilung von Besitz- und Mißständen, Veröffentlichungen des WalterEucken-Instituts, Nr. 4 3 , 1973.

69

Auflösung des Patts nötig. In Betracht käme eine Lösung derart, daß sich das Zustimmungsrecht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 3 oder § 172 AktG in ein Widerspruchsrecht gegen die Initiativen des Vorstands umwandelt, wenn infolge des Patts ein Zustimmungsbeschluß nicht zustande kommt. Die vom Vorstand, der ja ohnehin die Hauptverantwortung für die Unternehmensleitung trägt, vorgeschlagenen Maßnahmen würden dann nur noch scheitern, wenn sich eine Mehrheit im Aufsichtsrat gegen sie findet, während bei Stimmengleichheit kein Hindernis eintritt, sie durchzuführen. Wenn die Wahl eines Vorstandsmitglieds am Patt im Aufsichtsrat scheitert, könnte in Parallele dazu das Recht des Vorstands, ein Mitglied zu kooptieren, erwogen werden 7 . 3. Mit der Lösung des Patts im Aufsichtsrat sind die Probleme der Funktionsfähigkeit und der loyalen Kooperation im paritätisch mitbestimmten Unternehmen noch nicht vollständig behoben. Reibungen können auch aus dem Grund eintreten, weil die Arbeitnehmervertreter — wie auch die Anteilseignervertreter — im Aufsichtsrat die Wünsche der Gruppe, die sie vertreten, mit den Bedürfnissen des Unternehmens und den Erfordernissen einer verständnisvollen Zusammenarbeit mit der anderen Seite ausgleichen müssen und dabei in Konflikte geraten können. Ein im Sinn der Verfassung funktionstüchtiges Gesetz muß dafür sorgen, daß in einer so spannungsgeladenen Situation Pflichten und Verantwortlichkeit der Organmitglieder klar definiert werden und daß Pflichtverletzungen von der beeinträchtigten Seite auch verfolgt werden können. Das Aktiengesetz, auf das die Entwürfe insoweit verweisen, trägt dem nur unvollkommen Rechnung. Es verpflichtet den Vorstand, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten, und verlangt von den Vorstandsmitgliedern, bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften 7

70

Der G e d a n k e ist ausgeführt in: T h . Raiser, V o r s t a n d , A u f s i c h t s r a t u n d Hauptv e r s a m m l u n g in m i t b e s t i m m t e n A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n , in: F u n k t i o n s w a n d e l in Privatrechtsinstitutionon, F e s t s c h r i f t für L. Raiser, 1 9 7 4 , S. 3 7 4 .

Geschäftsleiters anzuwenden 8 , ohne anzugeben, wem gegenüber die Verantwortlichkeit besteht. Doch kann nach dem Sinnzusammenhang des geltenden Rechts nicht zweifelhaft sein, daß die Instanz, vor der die Vorstandsmitglieder sich zu rechtfertigen haben, primär die Anteilseigner sind, von denen sie ihre Legitimation ableiten, sofern sie nicht, wie häufig bei der GmbH, selbst Gesellschafter sind. Ungeachtet aller begrüßenswerten Versuche in der Literatur, auch eine Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder gegenüber den Arbeitnehmern und der Allgemeinheit zu statuieren 9 , muß an dieser Stelle das Konstruktionsprinzip des Gesellschaftsrechts durchschlagen, wonach das Unternehmen von der Gesellschaft und auf deren Rechnung betrieben wird. Im Fall der paritätischen Mitbestimmung läßt sich diese übergewichtige Orientierung zugunsten der Anteilseigner nicht mehr halten, da die Mitglieder des Vorstands nunmehr Repräsentanten beider Gruppen gleichermaßen sind. Ihre Verantwortlichkeit muß sich daher auch auf beide beziehen. Sie konkretisiert sich dann in der den Vorstand treffenden Pflicht, primär das beiden Gruppen gemeinsame und übergeordnete Unternehmensinteresse zu verfolgen und im Fall des Konflikts zwischen den Gruppen auszugleichen und zu vermitteln. Eine Vorschrift dieses Inhalts sollte, schon um den Wandel der Grundkonzeption unmißverständlich zu dokumentieren, in das Gesetz aufgenommen werden. Bezüglich der Mitglieder des Aufsichtsrats liegen die Dinge prekärer, da das Aktiengesetz deren Verantwortlichkeit nur durch eine Verweisung auf die für den Vorstand geltenden Vorschriften regelt 10 , ohne auf ihre ganz andersartige Situation einzugehen. Die h. L. interpretiert das Gesetz dahin, daß alle Mitglieder des Aufsichtsrats ohne Rücksicht auf ihre Herkunft dieselben Rechte und Pflich8 9

10

§§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG. Vgl. statt aller Mertens im Kölner Kommentar, § 76 AktG, Rdnr. 5 f.; MeyerLandrut im Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76 Anm. 9 ff. § 116 mit § 93 AktG.

71

ten haben und daß im Konflikt zwischen Unternehmensinteresse und Sonderinteressen, sei es der Aktionäre, sei es der Arbeitnehmer, das Unternehmensinteresse vorgeht. Namentlich sind die Aufsichtsratsmitglieder an Weisungen der sie entsendenden Gruppen nicht gebunden, sondern können im Gegenteil sich einer Pflichtverletzung schuldig machen, wenn sie derartige Weisungen befolgen 11 . In § 4 Abs. 3 des Montanmitbestimmungsgesetzes ist diese Regel ausdrücklich verankert 12 . Auch der Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung kannte eine derartige Vorschrift 13 , die dann allerdings im Regierungsentwurf fallengelassen wurde. Solange sie fehlt, ist die von der h. L. angenommene Weisungsfreiheit und Verpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder auf das Wohl des Unternehmens außerhalb der Montanmitbestimmung rechtlich nicht abgesichert. Es steht zu befürchten, daß die Interessenten, gestützt auf das Argument, das Gesetz sei in diesem Punkt bewußt vom Vorentwurf und vom Montanmitbestimmungsgesetz abgewichen, behaupten, die Mitglieder des Aufsichtsrats seien in erster Linie auf das Interesse der Gruppe verpflichtet, die sie vertreten, und an deren Weisungen gebunden. In diesem Fall würde die Zusammenarbeit der Gruppen im Aufsichtsrat mit dem Ziel einer erfolgversprechenden Unternehmensführung aufs Schwerste gefährdet. Die Anteilseigner würden eines wichtigen rechtlichen Mittels zur Sicherung ihrer Interessen gegen unsachgemäße Interventionen von Seiten der Arbeitnehmerschaft beraubt, auf das zu verzichten die Idee der paritätischen Mitbestimmung nicht fordert. Macht man mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, daß der Gesetzgeber jeweils den Eingriff zu wählen habe, der den betroffenen Grund11

Vgl. statt aller Schilling im Großkommentar z u m Aktiengesetz, Anm. 7 ff. zu § 116 AktG; Mertens im Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Anhang zu § 96 Anm. 7 2 ff., 93, je mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

12

Die Vorschrift lautet: „Alle Aufsichtsratsmitglieder haben die gleichen Rechte und Pflichten. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden."

13

§ 24.

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rechtsträger am wenigsten belastet, ernst, wird man daher die mit der Gesetzeslücke verbundene Gefahr beseitigen und die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder im dargelegten Sinn gesetzlich regeln müssen. Ungeachtet des Verfassungsrechts würde sich die Aufnahme einer § 4 Abs. 3 Montanmitbestimmungsgesetz entsprechenden Vorschrift in das Gesetz auch aus praktischen Gründen empfehlen, um Streitigkeiten und Pressionsversuchen, die aus Unklarheit der Rechtslage entstehen können, von vornherein einen Riegel vorzuschieben. Nach § 112 AktG, der nach den Entwürfen weiter gelten soll, ist der Aufsichtsrat zuständig, Schadensersatzansprüche gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder geltend zu machen. Gemäß § 147 AktG ist er dazu verpflichtet, wenn die Hauptversammlung oder eine Gruppe von Aktionären, deren Anteile ein Zehntel des Grundkapitals oder mindestens zwei Mill. DM erreichen, dies verlangen. Ein entsprechender Schutz steht den Arbeitnehmern nicht zu. Entzündet sich der Streit zwischen den Gruppen im Aufsichtsrat gerade an der Frage, ob ein Vorstandsmitglied pflichtwidrig gehandelt habe, so sind die Anteilseigner daher ausreichend geschützt, während die Arbeitnehmer den Fall für sich allein nicht ins Rollen bringen können. Hier würde sich eine Ergänzung empfehlen. Für die Gesellschaften in anderer Rechtsform gilt auch § 147 AktG nicht, da die Entwürfe nicht auf ihn verweisen, so daß hier ein uneiniger Aufsichtsrat die Geltendmachung aller Ersatzansprüche blockieren kann. Das Mitbestimmungsgesetz sollte auch in diesem Punkt dem Interesse der Gruppen Rechnung tragen, die Vorstandsmitglieder zu belangen, die einseitig zugunsten der anderen Gruppe agieren. 4. Neben den Regeln über die Verantwortlichkeit der Vorstands* und Aufsichtsratsmitglieder bedürfen die Vorschriften über deren Abberufung einer Revision, wenn sie den verfassungsrechtlichen Geboten der Funktionstüchtigkeit des Unternehmens und der Verhältnismäßigkeit des Ein73

griffs genügen sollen. Nach § 28 Abs. 5 des Regierungsentwurfs soll das Abberufungsverfahren bei Vorstandsmitgliedern denselben Regeln folgen wie die Bestellung. Dies bedeutet, daß ein Antrag vier Abstimmungsgänge durchlaufen kann: Im ersten bedarf der Beschluß einer Stimmenmehrheit von drei Vierteln der Mitglieder des Aufsichtsrats, im zweiten genügt, nach Beratung durch einen Aufsichtsratsausschuß, die Stimmenmehrheit, im dritten wird der Vorstand selbst über den Fall befragt, worauf erneut ein Mehrheitsbeschluß des Aufsichtsrats stattfinden kann. Kommt keine Mehrheit zustande, entscheidet endgültig die Hauptversammlung. Das Verfahren ist wenig durchdacht und kaum brauchbar. Auch schützt es die Interessen der Gruppen nicht in ausreichendem Maße. Ist eine Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder entschlossen, ein Vorstandsmitglied nach § 84 Abs. 3 AktG wegen Unfähigkeit, grober Pflichtverletzung oder aus anderem wichtigen Grund vorzeitig abzuberufen, genügt ein Abstimmungsgang. Wird die Mehrheit nicht erreicht, was wiederum namentlich dann der Fall sein kann, wenn eine Gruppe ein ihr genehmes, der anderen Gruppe aber unbequemes Vorstandsmitglied stützt, helfen auch zwei weitere Abstimmungen nicht, sondern werden nur zur Qual. Auch überzeugt es wenig, daß gerade über einen solch heiklen Fall in letzter Instanz die Gesellschafterversammlung entscheiden soll, die kaum zutreffend beurteilen kann, was vorgefallen ist, sondern die Angelegenheit vielfach nur unnötig an die Öffentlichkeit zerrt. Im Regelfall sollte es daher beim einmaligen Mehrheitsbeschluß gemäß § 84 Abs. 3 AktG bleiben. Darüber hinaus muß es aber einen Weg geben, ein für eine Seite unzumutbar gewordenes Vorstandsmitglied abzulösen, auch wenn es von der anderen Seite aus unsachlichen Gründen gehalten wird. Allerdings kann dazu ein Mehrheitsbeschluß nur jeweils einer Bank im Aufsichtsrat nicht ausreichen. In Analogie zu §§ 117, 127 HGB könnte statt dessen jedoch ein Gerichtsverfahren eingeführt werden, das erlaubt, auf Antrag einer Seite ein Vorstandsmitglied durch Urteil vor74

zeitig abzuberufen, wenn es wegen grober Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder aus anderem wichtigen Grund für die Antragsteller untragbar geworden ist. 5. Ähnliches muß für die Mitglieder des Aufsichtsrats gelten. Nach § 21 des Regierungsentwurfs setzt die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer ein Verfahren voraus, an dem nur Arbeitnehmervertreter beteiligt sind, während die Anteilseigner keine Handhabe besitzen, ein gegen das Unternehmensinteresse oder die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im Aufsichtsrat handelndes Aufsichtsratsmitglied der Gegenseite hinauszudrängen. Umgekehrt gilt dasselbe: Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner werden nach § 105 AktG durch Beschluß der Hauptversammlung zurückgezogen, auf welchen die Arbeitnehmer keinen Einfluß haben. Wenn auch gegen diese Regeln an sich nichts einzuwenden ist, so werden sie doch den prekären Bedingungen der Zusammenarbeit im paritätisch besetzten Aufsichtsrat nicht gerecht, denn sie verhindern eine Bereinigung der Atmosphäre, wenn es infolge von Pflichtverletzungen oder ähnlichen Gründen zu Spannungen zwischen den Gruppen gekommen ist. Das verfassungsrechtliche Gebot einer sachgemäßen und die Anteilseigner nicht unnötig belastenden Regelung fordert auch hier ein rechtliches Ventil 14 . Wieder bietet sich eine Analogie zu §§ 117, 127 HGB an, die einen vergleichbaren Konflikt im Recht der Personengesellschaften lösen, das schon immer mit dem endgültigen Verlust des für die Zusammenarbeit im Unternehmen unerläßliche Vertrauen zwischen den Beteiligten rechnen mußte — wie ihm übrigens auch die Probleme der Parität und des Patts geläufig sind. Der Vorschlag, das Recht der offenen Handelsgesellschaft auf die Kooperation der Gruppen im Aufsichtsrat anzuwenden, mag zunächst erstaunlich klingen, aber er ist die logische Konsequenz 14

Vgl. schon Schwerdtfeger, a. a. O., S. 210 ff., allerdings im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG. Auch nach seinem Gedankengang gilt dies aber ebenso für den Schutz nach Art. 14 GG.

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des durch die paritätische Mitbestimmung bewirkten Strukturwandels vom Konfrontations- zum Integrationsmodell der Unternehmensverfassung. Daher eröffnet er für die Fortentwicklung des Rechts noch weitere Perspektiven: Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß die Gerichte in geeigneten Fällen auch eine Treuepflicht zwischen Arbeitnehmerund Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat nach Analogie des Rechts der Personengesellschaften statuieren werden. Jedenfalls sollte das Gesetz eine Vorschrift enthalten, wonach ein Mitglied des Aufsichtsrats auf Antrag der Gruppe, der es nicht angehört, durch das Gericht abberufen werden kann, wenn ein wichtiger Grund, namentlich grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung vorliegt. 6. Im vorstehenden wurde die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der paritätischen Mitbestimmung unter anderem damit begründet, daß sich die Anteilseigner der Gefahr, infolge der Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter einen Vermögensverlust zu erleiden, dadurch entziehen können, daß sie aus der Gesellschaft ausscheiden oder ihren Anteil verkaufen. Daraus folgt, daß ein Mitbestimmungsgesetz, soll es im dargelegten Sinn verfassungskonform sein, die Kündigung der Mitgliedschaft oder die Veräußerlichkeit des Gesellschaftsanteils in gewissen Fällen der paritätischen Mitbestimmung sicherstellen muß, auch wenn das geltende Recht insoweit Einschränkungen enthält oder zuläßt. Im Aktienrecht stellt sich das Problem nur bei vinkulierten Namensaktion, deren Veräußerung von der Genehmigung der Gesellschaft abhängig gemacht werden kann, die grundsätzlich vom Vorstand erteilt wird. Nach h. L. kann die Genehmigung aus beliebigen Gründen verweigert werden, die Verweigerung dürfe nicht gegen Treu und Glauben verstoßen 15 . Gleiches gilt für die GmbH, bei der sich sehr häufig eine nach § 15 Abs. 5 GmbHG zulässige Satzungsbestimmung findet, wonach die Abtretung eines Gesell15

76

Vgl. statt aller Baumbach/Hueck, § 68 AktG, Anm. 8.

schaftsanteils die Zustimmung der Gesellschaft voraussetzt 16 . Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft ist bei der GmbH auch die Kündigung der Mitgliedschaft möglich, allerdings nach h. L., die § 723 BGB auf den Fall anwendet, nur, wenn ein wichtiger Grund zum Ausscheiden vorliegt und keine Gelegenheit besteht, den Geschäftsanteil zu veräußern 17 . Für die GmbH & Co. KG gilt, um es hier bei der beispielhaften Aufzählung der drei Gesellschaftsformen bewenden zu lassen, ungeachtet weiterer Kündigungsrechte § 723 BGB unmittelbar 18 . Die Vorschriften setzen dem Ausscheiden aus der Gesellschaft gewisse Schranken. Da sie die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander betreffen, lassen sie sich auf den Fall der Mitbestimmung nicht ohne weiteres übertragen. Doch liegt es nahe, sie auch anzuwenden, wenn ein Gesellschafter versucht, aus der Gesellschaft auszuscheiden, um sich der paritätischen Mitbestimmung zu entziehen. Es ist also zu fragen, ob es in diesem Fall gegen Treu und Glauben verstoßen würde, die Veräußerung des Gesellschaftsanteils nicht zu genehmigen, und ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt. Da die paritätische Mitbestimmung grundsätzlich durch den Regelungsvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und die Sozialbindung des Eigentums gedeckt ist, braucht man nicht so weit zu gehen, schon den Erlaß des Mitbestimmungsgesetzes selbst als hinreichenden Grund anzusehen. Doch dürfte es zum Schutz der Anteilseigner gegen eine über das notwendige Maß hinausgehende Beeinträchtigung ihrer Rechte notwendig sein, die Kündigung oder die Veräußerung des Gesellschaftsanteils immer dann uneingeschränkt und unabhängig von der Genehmigung der Gesellschaft zuzulassen, wenn die Mitbestimmung zu Störungen in der Gesellschaft, z. B. zur Konfrontation der Gruppen im Aufsichtsrat und zum Patt geführt hat. In solchen Fällen wäre demnach die Verweigerung der Geneh16

Vgl. Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG, Anm. 5 D.

17

Vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, Einführung zu § 34, Anm. 3. Vgl. §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 HGB.

18

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migung nach § § 6 8 AktG und 15 Abs. 5 GmbHG treuwidrig und ein wichtiger Grund zur Kündigung gegeben. Wenngleich es auch vielleicht möglich wäre, derartigen Regeln mit Hilfe verfassungskonformer Interpretation der genannten Vorschriften durchzusetzen, wäre es doch wünschenswert, sie in ein Mitbestimmungsgesetz aufzunehmen.

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Teil 3: DIE VEREINBARKEIT DER ENTWÜRFE MIT ART. 9 ABS. 3 GG IX. Paritätische Mitbestimmung

und

Koalitionsfreiheit

1. Ein fundiertes Urteil über die Frage, ob die paritätische Mitbestimmung mit der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsfreiheit vereinbar ist, läßt sich, nicht anders als bei Art. 14 GG, nur gewinnen, wenn zuvor der Tatbestand genau festgestellt ist. Dabei ist es auch an dieser Stelle notwendig, zwischen dem Modell einer voll ausgebauten paritätischen Mitbestimmung und der von den Entwürfen in Aussicht genommenen Annäherungsform zu unterscheiden. In einem Unternehmen mit uneingeschränkt paritätischer Mitbestimmung sind die Arbeitnehmer imstande, über ihre Vertreter alle sie betreffenden oder interessierenden Fragen in die Unternehmensorgane zu tragen und dort zum Gegenstand von Verhandlungen mit den Vertretern der Anteilseigner und mit dem Vorstand zu machen, ohne Gefahr zu laufen, kraft des Übergewichts der anderen Seite überstimmt oder ausmanövriert zu werden. Sie können daher auch die Gegenstände, die nach geltendem Recht im Zug von Tarifverhandlungen und Streiks kollektiv durch die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände geregelt werden, namentlich die Löhne, in die Unternehmen verlagern 1 . Auch ist nicht unwahrscheinlich, daß die Gewerkschaften diesen Weg beschreiten, denn er kann im Vergleich zu Tarifverhandlungen wichtige Vorteile bieten: Zum Beispiel setzt er sie in den Stand, die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Unternehmens voll auszuschöpfen, da sie über dessen 1

Biedenkopf, Mitbestimmung im Unternehmen, RdA 1 9 7 0 , S. 135; Schwerdtfeger, a . a . O . , S. 121 ff.; Buchner, Grundgesetz und Arbeitsverfassung, in: Low (Hrsg.), 25 Jahre Grundgesetz, 1974, S. 27.

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Lage genau Bescheid wissen und ferner die bei Kollektivvereinbarungen notwendige Rücksicht auf andere, schwächere Unternehmen entfällt. Ferner können sie den speziellen Bedürfnissen der im Unternehmen Beschäftigten Rechnung tragen, was ihren Rückhalt in der Arbeitnehmerschaft verstärkt und dem Betriebsfrieden dienlich sein kann. Auch aus anderen Gründen kann es vorteilhaft sein, auf kollektive Aktionen zu verzichten und von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich vorzugehen. Alle diese Gründe führen zu der schon oben 2 erwähnten Prognose vieler Autoren, wonach das Tarifvertragssystem infolge der paritätischen Mitbestimmung einen nachhaltigen Funktionsverlust erleiden und schließlich partiell leerlaufen wird. Ist diese Prognose richtig, zieht sie unvermeidlich Konsequenzen für die Struktur der Wirtschafts- und Sozialordnung nach sich: Die Schutzfunktion der Tarifverträge tritt zurück oder entfällt. Auch ihre Kartellfunktion geht verloren: An die Stelle des für ganze Branchen und Bezirke einheitlichen Tariflohns können stark voneinander abweichende Unternehmenslöhne treten. Zugleich verlieren die Gewerkschaften an Bedeutung, wenn es ihnen nicht gelingt, den Unternehmen verhaftete Unterorganisationen aufzubauen, die gegenüber der zentralen Gewerkschaftsleitung eine wenigstens relative Selbständigkeit genießen. Ferner verändert sich das herkömmliche Gesellschafts- und Arbeitsrecht 3 , indem die Unternehmen aus der Identifikation mit der Gesellschaft der Anteilseigner heraustreten und als soziale Verbände, an denen Anteilseigner und Arbeitnehmer gleichermaßen beteiligt sind, rechtliche Eigenständigkeit gewinnen. Das muß sich vor allem auf die Stellung des Vorstands auswirken. Ein Vorstand, der von Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern paritätisch gewählt wird und der seine Legitimation daher von beiden Gruppen ableitet, fungiert als Treuhänder für beide und muß sich 2

S. 28 f.

3

S. bereits oben S. 35 f.

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im Interessenkonflikt zwischen ihnen neutral verhalten 4 . Er hat als Organ des von ihnen gemeinsam getragenen Unternehmens in erster Linie dessen Bedürfnisse zu vertreten, und zwar auch gegenüber den Gruppen selbst oder je nach Sachlage bald gegenüber der einen, bald gegenüber der anderen von ihnen. So wächst er, wenn es zur Konfrontation zwischen ihnen kommt, von selbst in die Rolle des Vermittlers oder sogar Schiedsrichters hinein. Dagegen kann er nicht mehr, wie im geltenden Recht, kraft Amtes die Interessen der Anteilseigner gegenüber den Arbeitnehmern und Gewerkschaften gekoppelt mit denen des Unternehmens vertreten, denn eine solche Aufgabe widerspricht seiner Doppellegitimation und Treuhänderschaft für beide Gruppen. Sie wäre nicht nur systemwidrig und schief, sondern würde auch den Interessen beider Seiten zuwiderlaufen und die Vorstandsmitglieder selbst in kaum lösbare Rollenkonflikte stürzen. Da das geltende Recht die Identifizierung bzw. Addition von Anteilseigner- und Unternehmensinteresse schon in der Figur des Arbeitgebers vornimmt, führt die paritätische Mitbestimmung so zu einer Auflösung des Arbeitgeberbegriffs, der, jedenfalls nach seinem herkömmlichen Verständnis, obsolet und irreführend wird. Die Funktionen des Arbeitgebers verteilen sich auf die Gesellschaft der Anteilseigner und auf den Vorstand als Unternehmensorgan und müssen, da sie unvereinbar sind, von verschiedenen Personen wahrgenommen werden. Es ist nicht zu verkennen, daß dieser Vorgang weittragende Konsequenzen auch für die Ausgewogenheit des Tarifvertragswesens haben muß, die sich kaum absehen lassen. Das Gleichgewicht von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, wie es im geltenden Recht als Produkt einer langen historischen Entwicklung erreicht wurde, beruht darauf, daß auf Seiten der Arbeitgeber das Gewicht von Anteilseignern und Unternehmen zusammengenommen den Gewerkschaften entgegengesetzt werden konnte. Auf sich 4

Vgl. Hanau, BB 1969, S. 760.

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allein gestellt, bilden die Anteilseigner eine wesentlich schwächere Kraft, zumal in Publikumsgesellschaften, in denen sie nur schwach organisiert sind. Die von den Entwürfen in Aussicht genommene Vorform der Parität unterscheidet sich von der soeben beschriebenen voll ausgebauten Unternehmensverfassung dadurch, daß sie zwar die Gewichte gegenüber dem herkömmlichen System zugunsten der Arbeitnehmerseite verschiebt und eine Dynamik in Richtung auf die paritätische Mitbestimmung in Gang setzt, den Anteilseignern im Unternehmen aber gleichwohl ein Übergewicht läßt, das je nach Rechtsform und Zahl der Gesellschafter unterschiedlich schwer in die Waagschale fällt 5 . Um die Lage zutreffend abschätzen zu können, wird man dabei auch das Beharrungsvermögen der überkommenen und nicht beseitigten Strukturen und die Fortgeltung des bisherigen Rechts in allen Personengesellschaften berücksichtigen müssen. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Begriff des Arbeitgebers, auf dem das gesamte Arbeitsrecht aufbaut und der die Vorstellungen der Menschen prägt, schnell aufgegeben werden kann, und vielfach wird es, mindestens für eine Übergangszeit, auch dabei bleiben, daß Vorstände trotz der Parität im Aufsichtsrat in die Lage gedrängt werden, Arbeitgeberfunktionen wie bisher wahrzunehmen. Sie werden sich dem um so weniger widersetzen, als viele Vorstandsmitglieder kraft Herkommen, Ausbildung und Gewohnheit zur Anteilseignerseite hin tendieren, wenn sie nicht gar selbst in wesentlichem Umfang Anteile besitzen. Auch die Übergangsregeln der Entwürfe unterstützen die beharrenden Kräfte, wenn sie den nach bisher geltendem Recht gewählten Vorstandsmitgliedern gestatten, bis zu fünf Jahre im Amt zu bleiben 6 . In der Montanindustrie hat sich trotz der bereits 1951 eingeführten Mitbestimmung bis heute weithin die Meinung gehalten, der Anteilseigner5

S. oben S. 12 ff., 22 ff.

6

Vgl. § 33 RegE.

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seite komme ein Übergewicht zu, das durch die Macht der Gewerkschaften kompensiert werden müsse 7 . Ähnlich wird man auch nach dem Inkrafttreten eines Mitbestimmungsgesetzes für die gesamte Großindustrie von einem zwar verminderten, verunsicherten, in Bewegung gesetzten und abnehmenden, aber einstweilen vorhandenen Übergewicht der Anteilseignerseite im Unternehmen auszugehen haben. Dieser Situation im Unternehmen entspricht auf der anderen Seite der Fortbestand des kollektiven Arbeitsrechts, das die Entwürfe nicht berühren und das ungeachtet des zu erwartenden Funktionsverlusts ausreichen wird, das Herrschaftsgefälle im Unternehmen zu kompensieren. Nicht nur der Letztentscheid der Gesellschafterversammlung kann es für Arbeitnehmer und Gewerkschaften wünschenswert machen, auf die Mittel des Tarifvertrags und des Arbeitskampfs zurückzugreifen, sondern auch ganz andere Gründe, wie etwa die Absicht, den Frieden im Unternehmen zu bewahren, Unruhen unter der Arbeitnehmerschaft aufzufangen oder Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Situation zu nehmen. Auch der Selbsterhaltungstrieb der Gewerkschaften kann für ein kollektives Vorgehen sprechen, wenn das Interesse der Arbeitnehmer an einer über das Unternehmen hinausreichenden Vertretung mit deren zunehmendem Einfluß im Unternehmen selbst nachläßt. Ein Verzicht der Gewerkschaften auf die Mittel des Tarifvertrags und des Arbeitskampfs ist daher bis auf weiteres nicht zu erwarten und vollends nicht zu erzwingen. Statt dessen ist mit einem Nebeneinander von Mitbestimmung und Tarifvertragswesen, einem strukturlosen Mischsystem zu rechnen, das den Gewerkschaften erlaubt, je nach strategischem Vorteil bald auf die Mitbestimmung, bald auf das kollektive Arbeitsrecht zurückzugreifen. Wie sich die Dinge entwickeln werden, ist völlig offen. Gerade diese Unsicherheit der Prognose fällt hier für die verfassungsrechtliche Würdigung besonders ins Gewicht. 7

Vgl. B i e d e n k o p f , Festschrift Kronstein, a . a . O . , S. 87.

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Die Situation zeichnet den Gang der folgenden Überlegungen vor: Zuerst ist wiederum zu fragen, ob ein System der reinen und vollen paritätischen Mitbestimmung mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar wäre. Ist dies geklärt, sind die Sonderfragen zu erörtern, welche das Mischsystem aufgibt. 2. In der Literatur wird die Behauptung, die paritätische Mitbestimmung sei mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar, darauf gestützt, das Grundrecht garantiere den Bestand des gegenwärtigen Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystems und widersetze sich daher einer Reform, welche dieses aushöhlt und schließlich funktionslos werden läßt. Sie störe ferner infolge des ungeregelten Nebeneinanders von zwei widersprüchlichen Organisationsformen in unerträglichem Maße die Ausgewogenheit der Wirtschafts- und Sozialordnung. Schließlich beseitige sie die Gegnerunabhängigkeit und Waffengleichheit der Koalitionen, namentlich der Arbeitgeberseite, und damit elementare Voraussetzungen des kollektiven Arbeitsrechts, die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantiert seien 8 . An dieser Stelle ist wiederum in erster Linie zu untersuchen, wie das Bundesverfassungsgericht die Frage voraussichtlich entscheiden wird. Dabei tauchen größere Schwierigkeiten auf als bei der Eigentumsgarantie, da das Gericht in seiner — ohnehin nicht sehr umfangreichen — Judikatur zu Art. 9 Abs. 3 GG sich bisher durchweg mit Fragen weit geringerer Tragweite, überwiegend mit den Voraussetzungen der Tariffähigkeit, zu befassen hatte und daher nur ein dünnes Fundament für die Prognose bietet. Gleichwohl zeichnen sich in seiner Judikatur Entwicklungslinien und Tendenzen ab, welche auch hier eine einigermaßen deutliche Richtung weisen. Im Urteil vom 18. 11. 1954 9 , das die Leitentscheidung für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG bildet und die 8

Vgl. statt aller Zöllner/Seiter, a. a. O.; Huber, a. a. O., S. 7 4 ff.; Pernthaler, a . a . O . , S. 175 ff.

9

BVerfGE 4, 96.

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Perspektiven herstellt, w e l c h e das Gericht n o c h h e u t e in allen Fragen des kollektiven Arbeitsrechts im A u g e behält, entnimmt das Gericht der Vorschrift z u m einen ein individuelles R e c h t v o n Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, darüber hinaus vor allem aber auch eine institutionelle Garantie des Tarifvertragswesens. Es fuhrt aus: „Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit betrifft nicht nur den Zusammenschluß als solchen, sondern den Zusammenschluß zu einem bestimmten Gesamtzweck, nämlich zu einer aktiven Wahrnehmung der Arbeitgeber-(Arbeitnehmer-)Interessen. Dies bedeutet zugleich, daß frei gebildete Organisationen auf die Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen Einfluß nehmen, insbesondere zu dem Zweck, Gesamtvereinbarungen treffen zu können. Die historische Entwicklung hat dazu geführt, daß solche Vereinbarungen in Gestalt geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit abgeschlossen werden. Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen sind" 1 0 . Zugleich sieht das Gericht Anlaß, Tragweite und Grenzen dieser Institutsgarantie näher abzustecken: „Unter der Geltung der Reichsverfassung von 1919 haben Rechtsprechung und Rechtslehre zwischen tariffähigen und nicht tariffähigen Vereinigungen dadurch unterschieden, daß sie bestimmte Voraussetzungen für die Tariffähigkeit entwikkelt haben. Aus der Gesamtheit der Vereinigungen wurden nämlich nur solche als tariffähig anerkannt, deren satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mit10

S. 106.

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glieder gerade in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber (Arbeitnehmer) war, die sich frei gebildet hatten, gegnerfrei, unabhängig und daher auf überbetrieblicher Grundlage organisiert waren und die schließlich das geltende Tarif- und Schlichtungsrecht als für sich verbindlich anerkannten. In Wahrheit sind diese Merkmale jedoch nichts anderes als notwendige Voraussetzungen für das Vorhandensein echter arbeitsrechtlicher Vereinigungen überhaupt. Art. 9 Abs. 3 GG will ebenso wie Art. 159 WeimVerf nach Sinn und Zweck nur solche frei gebildete Vereinigungen schützen, die nach ihrer Gesamtstruktur unabhängig sind, um die Interessen ihrer Mitglieder auf arbeits- und sozialrechtlichem Gebiet wirksam und nachhaltig zu vertreten. . . . Gleichwohl kann es nicht der Sinn der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit sein, daß der Gesetzgeber schlechthin jede Koalition zum Abschluß von Tarifverträgen zulassen, also als tariffähig behandeln muß. Geht man nämlich davon aus, daß einer der Zwecke des Tarifvertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner sein soll, so müssen die sich aus diesem Ordnungszweck ergebenden Grenzen der Tariffähigkeit auch im Rahmen der Koalitionsfreiheit wirksam werden. Diese Grenzen der Tariffähigkeit zu ziehen ist an sich eine Aufgabe des gesetzgeberischen Ermessens. Da der Tarifvertrag das Gebiet des privaten Vertragsrechts verläßt und als unabdingbarer Kollektivvertrag normative Wirkung äußert, kann es dem Gesetzgeber nicht gleichgültig sein, zu wessen Gunsten er sich durch die Verleihung der Tariffähigkeit «eines Normsetzungsrechts begibt. In der Gestaltung des Tarifsystems, insbesondere in seiner sachgemäßen Fortbildung, ist der Gesetzgeber nur dadurch beschränkt, daß mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zugleich die Institution eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifvertragssystems verfassungsrechtlich gewährleistet ist, dessen Partner frei gebildete Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG sein müssen. Dieser mit der Koalitionsfreiheit zugleich gewährleistete Kernbereich des Tarifvertragssystems verbietet es dem Gesetzgeber, die von Vereinigungen frei gewählten Organisationsformen schlechthin oder in entscheidendem Umfang bei der Regelung der Tariffähigkeit unberücksichtigt zu lassen und auf diese Weise das 86

Grundrecht der Koalitionsfreiheit mittelbar auszuhöhlen. . . . Starre Grundsätze lassen sich nicht aufstellen. Das Ermessen des Gesetzgebers, der bei einer Normierung der Tariffähigkeit sowohl die historische Entwicklung des Tarifwesens als auch eine für die Ordnung des Soziallebens gedeihliche Fortbildung des Tarifrechts mit dem Blick auf die Betriebsgestaltung in verschiedenen Wirtschaftsbezirken wird berücksichtigen müssen, findet seine Grenze darin, daß die freie Entwicklung der Koalitionen und damit ihr Entscheidungsrecht über die Organisationsform nicht sachwidrig gehemmt oder in ihrem Kern angetastet werden darf" 1 1 . In der nächsten einschlägigen Entscheidung 1 2 ging es darum, ob ein Verband v o n Hausangestellten, der nicht z u m Streik bereit war, als Gewerkschaft im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG angesehen werden k o n n t e . Bei dieser Gelegenheit wiederholt das Gericht, die Koalitionsfreiheit sei nur dann sinnvoll, w e n n die Rechtsordnung den Koalit i o n e n auch die Erreichung ihres in Art. 9 Abs. 3 GG b e z e i c h n e t e n Zwecks, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder z u wahren und zu fördern, gewährleiste; das tue sie nur, w e n n sie der Koalition das Recht gebe, diesen Z w e c k durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung zu verwirklichen. D a n n heißt es: „In der modernen Marktwirtschaft und für den zu ihr gehörigen freien Arbeitsvertrag hat sich im In- und Ausland der Tarifvertrag als das rechtliche Mittel herausgebildet, durch das die Koalition im Verein mit dem sozialen Gegenspieler die Arbeitsbedingungen, soweit sie in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung offen geblieben sind, insbesondere die Löhne und Gehälter für die verschiedenen Wirtschaftszweige und Berufe sowie für räumlich begrenzte Bezirke und jeweils bestimmte Zeitspannen festlegen; ein solcher Tarifvertrag setzt jedenfalls nach dem herkömmlichen deutschen Recht Rechtsnormen und kann insoweit durch den Einzelarbeitsvertrag regelmäßig 11

S. 107 f.

12

B V e r f G E 18, 18 ff.

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nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abbedungen werden. . . . Die aus der Koalitionsfreiheit entspringende Tarifautonomie verfolgt den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in dem von der staatlichen Rechtssetzung freigelassenen Raum das Arbeitsleben im Einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigen festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden. Nur Koalitionen, die diese Aufgabe sinnvoll erfüllen können, kann der Staat an der Tarifautonomie teilnehmen lassen. .. ," 13 .

In der folgenden einschlägigen Entscheidung 14 ging es darum, ob bzw. in welchem Umfang Art. 9 Abs. 3 GG sich auf die Betätigung der Gewerkschaften im Personalvertretungswesen erstreckt. Das Gericht führte unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 96 aus, das Personalvertretungswesen müsse in den durch Art. 9 Abs. 3 geschützten Bereich einbezogen werden, weil das Grundgesetz unter Berücksichtigung des bestehenden verfassungs- und arbeitsrechtlichen Zustandes in den Ländern von der rechtlichen Anerkennung der Sozialpartner und der Tätigkeit der Gewerkschaften im Bereich des öffentlichen Dienstes als selbstverständlich ausgehen konnte und weil ferner das Sozialstaatsprinzip, das durch den früheren Zustand bereits konkret ausgeformt war, dies fordere. Die Koalitionsfreiheit würde ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt, wenn nicht die Betätigung der Koalitionen bei der Personalvertretung durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wäre 15 . Ausgestaltung und nähere Regelung des Rechts der Gewerkschaften, bei der Personalvertretung tätig zu werden, seien jedoch Sache des Gesetzgebers, der dabei den Aufgaben des öffentlichen Dienstes Rechnung tragen könne. Der Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG werde erst verletzt, wenn der Gesetzgeber der Werbung vor Personalratswahlen Schranken ziehe, 13 14 15

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S. 26, 28. BVerfGE 19, 303. S. 318 f.

die „nicht v o n der Sache selbst gefordert w e r d e n " 1 6 . Später präzisiert das Gericht erneut den Inhalt und die Grenzen der Institutsgarantie, w e n n es ausführt: „Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet mit der Koalitionsfreiheit auch die sogenannte Tarifautonomie und damit den Kernbereich eines Tarifvertragssystems, weil sonst die Koalitionen ihre Funktion, in dem von der staatlichen Rechtsetzung freigelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge zu ordnen, nicht sinnvoll erfüllen könnten. Eine solche Gewährleistung ist aber ganz allgemein und umfaßt nicht die besondere Ausprägung, die das Tarifvertragssystem in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes geltenden Tarifvertragsgesetzes erhalten hat. Sie läßt dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung der Tarifautonomie. . . . Das Grundgesetz hat auch die Voraussetzungen der Tariffähigkeit nicht ein für allemal abschließend festgelegt, etwa im Sinn des von ihm vorgefundenen Tarifvertragsgesetzes, sondern dem Gesetzgeber überlassen, sie im Einzelnen zu normieren und der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit so anzupassen, daß die Koalitionen ihre Aufgabe erfüllen können" 1 7 . Daher sei der Gesetzgeber nicht darauf beschränkt, die Tariffähigkeit jedenfalls auf Seiten der Arbeitgeber nur e c h t e n arbeitsrechtlichen Vereinigungen zuzuerkennen. Allerdings sei ihm verwehrt, „die Tariffähigkeit der Koalit i o n e n dadurch auszuhöhlen, daß er die ihnen v o m Grundgesetz zugesprochenen Aufgaben andersartigen Zusammenschlüssen zuweist" 1 8 . Endlich führt das Bundesverfassungsgericht im letzten einschlägigen Urteil, das über die Werbung v o n Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb zu entscheiden hatte, aus: „Die Tätigkeit der Koalitionen beschränkt sich nicht auf die Individualsphäre des einzelnen Bürgers; sie ist von großer 16 17 18

S. 321 f. BVerfGE 20, 312 (317 ff.). S. 324.

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Bedeutung für die Sozial- und Wirtschaftsordnung des Gemeinwesens. Die Verfassung gewährleistet jedoch die Tätigkeit der Koalitionen nicht schrankenlos. Es ist die Sache des Gesetzgebers und fallt in den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, daß er die Befugnisse der Koalitionen im Einzelnen ausgestaltet und näher regelt. Dabei kann er den besonderen Erfordernissen des jeweils zu regelnden Sachbereichs Rechnung tragen. Dem Betätigungsrecht der Koalitionen dürfen aber nur solche Schranken gezogen werden, die zum Schutze anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Koalitionsbetätigung an" 19 .

3. Die angeführten fünf Urteile des Bundesverfassungsgerichts bemühen sich ähnlich wie die Judikatur zu Art. 14 GG um einen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Positionen und den Bedürfnissen einer zeitgemäßen Fortentwicklung des Rechts durch den Gesetzgeber. Die Interpretation beider Verfassungsartikel gleicht sich auch insofern, als das Gericht analoge Ansätze und Konstruktionen benützt. In beiden Vorschriften sieht es sowohl eine Rechtsstellungs- wie eine Institutsgarantie. Bei seiner Exegese geht es vom traditionellen Verständnis des Grundrechts und seiner Funktion in der herkömmlichen Wirtschafts- und Sozialordnung aus und betont namentlich bei Art. 9 Abs. 3 GG, daß sich der Verfassungsgeber den Zustand, der sich in der Weimarer Zeit ausgebildet hat und den er vorfand, weitgehend zu eigen gemacht habe. Auf der anderen Seite sucht das Gericht durchweg ein Erstarren des Rechts im überkommenen Zustand zu verhindern, indem es dem Gesetzgeber gestattet, es weiter zu entwickeln, umzuformen und den Bedürfnissen der sich ändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit anzupassen. Es gewährt dem Gesetzgeber hierzu einen außerordentlich weiten Ermessensspielraum, solange er nur funktionsfähige Vorschriften erläßt und nicht sachwidrig verfährt. Im Lichte dieser Rege19

90

BVerfGE 28, 295, 305 f.

lungsbefugnis des Gesetzgebers beschränkt sich die Grundrechtsgarantie letzten Endes auf einen Kernbereich, der durch seine Funktion im Gesamtzusammenhang und Wertsystem des Grundgesetzes näher bestimmt wird. Im Unterschied zur Eigentumsgarantie reduziert das Bundesverfassungsgericht den Kern des Art. 9 Abs. 3 G G nun aber nicht auf ein im Interesse der individuellen Freiheit gewährtes Recht, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, sondern überhöht diesen Schutz durch eine den Koalitionen selbst zuerkannte Bestands- und Betätigungsgarantie. Indem es zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Koalitionsfreiheit auch ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts zählt, das auf der Basis frei gebildeter Koalitionen ruht und nach den Grundsätzen der Gegnerfreiheit, Gegnerunabhängigkeit und Waffengleichheit organisiert ist, füllt es ferner die Institutsgarantie inhaltlich sehr viel weiter aus als bei Art. 14 G G , bringt die Wirtschafts- und Sozialordnung als solche ins Spiel und legt sich in einer Weise fest, die nahezu zwingt anzunehmen, es halte letzten Endes doch unverrückt am herkömmlichen, auf dem Konfrontationsprinzip aufbauenden Tarifvertragsund Arbeitskampfsystem fest. Im Einklang damit versteht die herrschende Lehre Art. 9 Abs. 3 G G tatsächlich als Verfassungsgarantie der bestehenden Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts 20 . Sie muß daher fast unvermeidlich die paritätische Mitbestimmung für verfassungswidrig erklären, und zwar schon allein aus dem Grund, weil sie die Lohnkämpfe zum Teil in die Unternehmen hineinzieht und daher das Tarifvertragssystem aushöhlt. Die Lehre findet jedoch, wie Scholz 2 1 und Schwerdtfeger 2 2 gezeigt haben, im Grundgesetz selbst keine hinrei20

Vgl. die Nachweise bei Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 51 ff.; Schwerdtfeger, a. a. O., S. 249 f f .

21

A . a. O., S. 69 ff., 121 f f . Ebenso auch Zöllner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 G G A ö R 1973, S. 77 ff., Buchner, Grundgesetz und Arbeitsverfassung, a. a. O., S. 5 ff., 27.

22

A . a . O . , S. 253 f f .

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chende Stütze, weil Art. 9 Abs. 3 GG nach seinem Wortlaut und Standort im Gesetz nur das individuelle Freiheitsrecht garantiert, Koalitionen zur Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen zu bilden, aus dem der verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionen selbst und ihrer Betätigung nur mittelbar als eine „Verfassungsrechtsfortbildung für die bisher bestehende wirtschaftliche und rechtliche Situation" 23 folgt. Eine eigenständige Gewährleistung der Koalitionen enthält die Vorschrift dagegen nicht. Daraus ergibt sich, daß dem Grundrecht auch dann genügt ist, wenn der Gesetzgeber anstelle des geltenden Systems neue Verfahren zur Verfügung stellt, sofern sie nur den Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG erfüllen, die Arbeitnehmer vor der Übermacht der Arbeitgeber zu schützen. Indem die paritätische Mitbestimmung die Nachteile, welche aus der Sicht der einzelnen Arbeitnehmer infolge des Funktionsverlusts des Tarifvertragssystems und der Gewerkschaften eintreten müssen, durch den vermehrten Einfluß der-Arbeitnehmervertreter im Unternehmen selbst kompensiert, beide Modelle also als gleichwertig zu gelten haben, ist Art. 9 Abs. 3 GG demnach gewahrt. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts steht dieser neuen Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG bei genauerem Zusehen nicht unüberwindlich entgegen: Als das Gericht sich im Jahr 1954 zuerst mit Art. 9 Abs. 3 GG zu befassen hatte, war die paritätische Mitbestimmung nach dem Montanmitbestimmungsgesetz zwar bekannt, doch hatte die herrschende Lehre keine ernstlichen Bedenken gegen ihre Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit. Auch das Gericht hat in dieser Situation offenbar nicht gesehen, daß sich in ihr eine grundsätzliche Alternative zum Tarifvertragssystem im herkömmlichen Sinne verbirgt, die eines Tages an dessen Stelle treten könnte. Infolgedessen hatte es, anders als z. B. im kurz zuvor ergangenen Investitionshilfe-Urteil, keinen Anlaß, sich darüber Gedanken zu machen, ob das 23

92

Buchner, a. a. O., S. 27.

Grundgesetz das herrschende System als solches festschreibt und garantiert. Es mußte, von einer sehr viel beschränkteren Perspektive ausgehend, den Fortbestand dieses Systems vielmehr voraussetzen, um die Einzelfragen, die an es herangetragen wurden, sachgemäß entscheiden zu können. Angesichts der politischen Empfindlichkeit des Tarifvertragswesens gegenüber Eingriffen von Seiten des Staats lag es auch nahe, dessen konstitutive Elemente besonders zu betonen, um der dem Gesetzgeber im übrigen eingeräumten Regelungsbefugnis klare Grenzen zu setzen. All dies bewegt sich trotz mißverständlicher Formulierungen aber auf systemimmanenten Bahnen und impliziert daher kein Urteil über das System selbst. Versucht man zu ergründen, wie sich das Gericht angesichts der Mitbestimmungsfrage dazu stellen würde, tritt vielmehr seine generelle Tendenz wieder in den Vordergrund, die Rechtsentwicklung nicht aufzuhalten und namentlich die beim Inkrafttreten des Grundgesetzes bestehende Wirtschaftsund Sozialordnung nicht festzuschreiben, solange nur der für den Rechtsstaat kennzeichnende Schutz eines persönlichen Freiheitsbereichs und, im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG, die Chance einer wirksamen kollektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, gewahrt bleibt. Es ist daher wahrscheinlich, daß sich das Gericht, nunmehr erstmals vor die Gretchenfrage gestellt, zugunsten der neuen Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG aussprechen und die paritätische Mitbestimmung grundsätzlich als eine im Lichte dieses Grundrechts dem Tarifvertragswesen äquivalente Erscheinungsform der Koalitionsfreiheit bezeichnen wird, die dem Grundgesetz nicht prinzipiell widerspricht.

X. Die von den Entwürfen vorgesehene Regelung im Licht des Art. 9 Abs. 3 GG Die von den Entwürfen beabsichtigte Regelung unterscheidet sich von dem im Vorstehenden geprüften, sozusagen reinen Modell der paritätischen Mitbestimmung auf doppelte 93

Weise: zum einen durch das Festhalten an der Parallelität von Unternehmensverfassung und Tarifvertragswesen, zum anderen durch die Unvollkommenheit der Parität im Unternehmen. Es empfiehlt sich, beide Abweichungen getrennt ins Auge zu fassen, d.h. zunächst zu fragen, ob das Mischsystem als solches anders zu beurteilen ist als das reine Modell, und erst anschließend zu den Sonderproblemen der von den Entwürfen vorgesehenen Regelung überzugehen. Nur auf diese Weise kann es gelingen, Klarheit in den komplexen Sachverhalt zu bekommen. 1. Das Mischsystem von Unternehmensverfassung und Tarifvertrags- bzw. Arbeitskampfrecht wirft zunächst offenkundig die Frage seiner Funktionsfähigkeit auf, die im Sinne der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich insofern relevant ist, als das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eine sinnvolle, funktionsfähige, dem sozialen Frieden dienende kollektive Ordnung des Arbeitslebens garantiert. Eine Antwort darauf läßt sich nicht schon auf den Hinweis gründen, daß die Geltungsbereiche beider Materien gegenständlich und personell abgegrenzt und Überschneidungen vermieden werden könnten. Nach geltendem Recht wäre eine solche Trennung ausgeschlossen, da die der tarifvertraglichen Regelung zugänglichen Materien nicht abschließend geregelt sind. Selbst wenn der Gesetzgeber aber den Versuch unternehmen sollte, eine Trennlinie zu fixieren, wäre die Interdependenz der auf beiden Seiten einer solchen Abgrenzung involvierten Interessen der Arbeitnehmer doch so groß, daß jede Regelung in einem Bereich auch auf den anderen zurückwirken würde. Auch personell läßt sich allenfalls eine gesetzliche Inkompatibilität zwischen Vertretung der Arbeitnehmerinteressen im Unternehmen und in den Gewerkschaften statuieren, die Kommunikation zwischen den Beteiligten und die wechselseitige Abstimmung ihrer Strategie jedoch nicht verhindern 1 . 1

94

So mit Recht Zöllner/Seitei, a . a . O . , S. 114 ff.; Mitbestimmungsbericht, Teil IV, Nr. 93 ff.

Gleichwohl kann man nicht ohne weiteres sagen, die Parallelität der beiden Systeme sei dysfunktional und müsse zu Störungen führen. Bereits oben wurde ausgeführt, daß berechtigte Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu ihren Gunsten sprechen 2 . Daß die Zweigleisigkeit den Interessen der Anteilseigner von vornherein zuwiderlaufen würde, ist nicht zu erkennen. Auch läßt sich die Kombinationslösung dadurch rechtfertigen, daß sie im Vergleich zu einem System reiner Mitbestimmung, das zum Wegfall des Tarifvertragswesens und Arbeitskampfrechts führen würde, den weniger radikalen Bruch mit der geltenden Ordnung vollzieht und daher geringere Erschütterungen der bestehenden Verhältnisse hervorruft. Sie eröffnet die Reform, ohne sie zugleich in starre und vorfabrizierte Bahnen zu lenken, überläßt viele Entwicklungen dem Selbstregulierungsprozeß der Wirtschaft und wird es dem Gesetzgeber erleichtern, regulierend und korrigierend einzugreifen, wenn sich Fehlentwicklungen abzeichnen. Schließlich spricht eine gewisse allgemeine Erfahrung dafür, daß soziale Ordnungen sich als besonders stabil und zugleich flexibel erweisen, wenn sie die Elemente mehrerer reiner Strukturtypen kombinieren. Trotz der Unausgereiftheit der Konzeption und der Unsicherheit über die künftige Entwicklung wird man daher im Lichte der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts sagen können, daß das Mischsystem grundsätzlich nicht anders zu beurteilen ist als die reine paritätische Mitbestimmung. Es wird durch das vom Gericht dem Gesetzgeber eingeräumte Ermessen zur Gestaltung der sozialen Verhältnisse gedeckt. 2. Die prinzipielle Zulässigkeit des Mischsystems sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob es den Anforderungen des Grundgesetzes in der von den Entwürfen in Aussicht genommenen Gestalt ohne jede Änderung und Anpassung genügt. Vor allem die Frage, ob die Doppelstellung des Vorstands, der im Unternehmen als Treuhänder beider 2

S. oben S. 79 f., 83 f.

95

Parteien, in Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen dagegen als Interessenvertreter der Anteilseigner fungieren soll, durch die Verfassung gedeckt ist, läßt sich mit den bisher angestellten Erwägungen allein noch nicht entscheiden. In der Literatur zum Montanmitbestimmungsgesetz wurde die Frage überwiegend bejaht, wobei man sich, mit manchen Nuancen der Begründung, im wesentlichen darauf berief, die verstärkte Partnerschaft im Unternehmen erlaube es, die Prinzipien der Gegnerfreiheit und der Gegnerunabhängigkeit der Sozialpartner aufzulockern und Friktionen in der wirtschaftlichen Realität dadurch auszuschließen, daß man eine Identität der beteiligten Personen vermeidet 3 . Es scheint, daß die Gewerkschaften in der Montanindustrie auch nach dieser Maxime verfuhren, so daß es bis heute wegen der Frage nicht zum Konflikt kam und sich die Diskussion daher seit Beginn der sechziger Jahre weitgehend beruhigt hatte. Erst seit einiger Zeit wird sie von zahlreichen Autoren wieder aufgeworfen 4 und überwiegend verneint, am nachdrücklichsten von Zöllner und Seiter in ihrer bereits mehrfach erwähnten Abhandlung 5 . Zöllner und Seiter betrachten die Prinzipien der Gegnerunabhängigkeit und der Waffengleichheit als unabdingbare Bestandteile eines funktionsfähigen kollektiven Arbeitsrechts, die daher nach Art. 9 Abs. 3 GG auch Verfassungsschutz genießen. Das kollektive Regelungssystem kann nach ihrer Ansicht nur dann „funktionieren^ d. h. zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens führen, wenn die sich gegenüberstehenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände annähernd gleiches Gewicht haben und auch gewillt sind, die Interessen ihrer Mitglieder äußerstenfalls sogar kampf3 4

5

96

Vgl. die Nachweise bei Zöllner/Seiter, a. a. O., S. 122 ff. Vgl. u. a. Biedenkopf, Festschrift für Heinrich Kronstein, a. a. O., S. 79 ff.; ders., Mitbestimmung im Unternehmen, RdA 1970, S. 135 f.; Hanau, BB 1969, S. 760 ff.; Mitbestimmungsbericht, Teil IV, Nr. 93 ff.; Pernthaler, a. a. O., S. 175 ff.; Huber, a. a. O., S. 74 ff. Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 Abs. 3 GG, ZfA 1970, S. 97 ff.

weise zur Geltung und zum Ausgleich mit den Gegeninteressen zu bringen" 6 . Nur in diesem Fall sei eine „Richtigkeitsgewähr" des Tarifvertragssystems gegeben, die es allein rechtfertige, die kollektive Regelung der Arbeitsbedingungen an die Stelle des individuellen Interessenausgleichs im Einzelarbeitsvertrag zu setzen, und die ferner Voraussetzung dafür sei, daß der Staat darauf verzichten könne, die Materie gesetzlich zu regeln. Waffengleichheit und Gegnerunabhängigkeit seien Ausdruck des Gegengewichtsprinzips, das ein immanentes Prinzip des Art. 9 Abs. 3 GG darstelle 7 . Für diese Meinung können sich Zöllner und Seiter auf eine umfangreiche Literatur aus dem Verfassungs- und Arbeitsrecht berufen 8 . Das Gegengewichtsprinzip verlangt nach ihrer Ansicht allerdings kein formales Verständnis der Gegnerfreiheit etwa derart, daß schon einzelne personelle Verflechtungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmensorganen oder einzelne Entsendungs- bzw. Benennungsrechte der Gewerkschaften für die Unternehmensorgane die Gegnerunabhängigkeit der Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände beseitigen 9 . Statt dessen sei eine funktionelle Betrachtungsweise am Platz: Gegenerabhängig wird ein Verband, wenn er in seiner Funktionsfähigkeit als sozialer Gegenspieler beeinträchtigt wird, wenn mit anderen Worten ,,zu besorgen ist, daß die unmittelbare Mitwirkung" einer von der Gegenseite abhängigen Person „am Willensbildungsprozeß des Verbands die zu treffenden Entscheidungen beeinflußt" und daher ein „potentieller unmittelbarer Einfluß der Gegenseite in Leistungs- oder Tarifgremien des Verbandes besteht" 10 . Es komme nicht darauf an, ob gegnerabhängige Verbände im konkreten Fall unsachgemäße Tarifverträge abschließen würden, vielmehr solle 6

S. 150.

7

S. 155 ff.

8

Vgl. die zahlreichen Nachweise S. 1 4 9 - 1 5 6 .

9

S. 128 ff.

10

S. 132.

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das Merkmal der Gegnerunabhängigkeit in erster Linie präventiv wirken 11 . Auf der Grundlage dieser Lehre verneinen Zöllner und Seiter die Gegnerunabhängigkeit von mitbestimmten Einzelunternehmen, da „eine Orientierung zur Arbeitnehmerseite schlechthin besteht, die besorgen läßt, daß beim Aushandeln von Tarifverträgen der unternehmerischen Interessenstandpunkt mit zu wenig Nachdruck vertreten wird" 12 . Arbeitgeberverbände sind nach ihrer Ansicht dann nicht mehr gegnerunabhängig, wenn ihnen überwiegend mitbestimmte Unternehmen angehören oder wenn sie durch Austritt bzw. Ausschluß mitbestimmter Unternehmen aus dem Verband so schwach würden, daß sie faktisch ihren Einfluß verlieren 13 . Die Argumentation von Zöllner und Seiter ist, jedenfalls für eine voll paritätische Unternehmensmitbestimmung, nicht zu widerlegen. Angesichts der Doppellegitimation der Vorstandsmitglieder und ihrer Abhängigkeit von beiden Gruppen im Aufsichtsrat spricht alle Erfahrung und Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie die Interessen der Anteilseigner in Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen nicht mit dem notwendigen Nachdruck und Konfrontationswillen vertreten werden. Es ist, um nur ein Beispiel zu nennen, kaum vorstellbar, daß sie die Aussperrung beschließen, weil ihnen dies von den Arbeitnehmern übel genommen würde und sie daher nach einem solchen Beschluß kaum mehr auf ihre Wiederwahl von Seiten der Arbeitnehmer hoffen könnten. Auch theoretisch wäre es eine nicht vertretbare Inkonsequenz, ihnen in einer solchen Lage unbesehen kraft Amtes die Vertretung der Anteilseigner zu belassen. Was das Verfassungsrecht angeht, ist mit der herrschenden Lehre daran festzuhalten, daß das Prinzip der Gegnerunabhängigkeit der Sozialpartner ungeachtet 11

S. 132.

12

S. 138.

13

S. 135.

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des Umstands, daß es nicht formalistisch streng durchgeführt zu werden braucht, die unerläßliche Voraussetzung einer funktionsfähigen kollektiven Regelung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen darstellt, ohne die eine ausgewogene Ordnung dieses Bereichs nicht möglich und an die der Gesetzgeber daher gebunden ist. Dies gilt auch dann, wenn man an der Stichhaltigkeit der von Zöllner und Seiter dafür gegebenen Begründung zweifelt, daß sie eine besondere Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags begründe 14 . Daß die Gegnerunabhängigkeit der Tarif- und Arbeitskampfpartner verfassungsrechtlich unverzichtbar ist, ergibt sich auch aus dem Schutzbedürfnis der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Grundrechtsträger. Im Fall der Mitbestimmung sind dies — ausnahmsweise — die Anteilseigner, womit ein selten gesehener Zusammenhang des Art. 9 Abs. 3 GG mit Art. 14 GG offenbar wird. Aus der Sicht der Anteilseigner stellt sich die Koalitionsfreiheit als eine Fortsetzung der Eigentumsgarantie in den Bereich der kollektiven Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hinein dar, für die sie einen nicht weniger effektiven Schutz beanspruchen können, als er ihnen von Art. 14 GG generell gewährt wird. Die Freiheit der Anteilseigner, über ihr Eigentum zu disponieren und sich zu diesem Zweck zu Koalitionen zusammenzuschließen, wird im Kern getroffen, wenn die Anteilseigner kraft Gesetzes dazu gezwungen werden, ihre Interessen in der Koalition von Personen wahrnehmen zu lassen, die gehindert sind, sich dafür uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Eine solche Regelung würde daher die Grundrechte der Anteilseigner nach Art. 14 GG und Art. 9 Abs. 3 GG in ihrem Wesensgehalt verletzen. Das Prinzip der'Gegnerunabhängigkeit 14

Vgl. Roscher, RdA 1972, S. 279 ff., der darauf hinweist, daß der Gedanke, die Gleichheit der Vertragspartner verbürge eine Richtigkeit der vertraglichen Regelung, stark umstritten ist, und daß auch Zweifel an der Lehre angebracht seien, sie rechtfertige die Tarifautonomie als Begrenzung der staatlichen Rechtssetzungsbefugnis. Vgl. auch Th. Kunze, Vereinbarkeit von Mitbestimmung und Tarifautonomie, BB 1971, S. 356.

99

erscheint so gesehen als besondere Ausprägung der Parität, was in den von Zöllner und Seiter im Einklang mit der herrschenden Lehre gebrauchten Begriffen des Gegengewichts und der Waffengleichheit ja auch sinnfällig zum Ausdruck kommt. Nicht anders als im Rahmen des Art. 14 GG er veist sich dann auch bei Art. 9 Abs. 3 GG die Parität als die Grenze der verfassungsrechtlich zulässigen Eingriffe in das Eigentum. Ein gesetzlicher Zwang, die Eigentümerinteressen in Tarifverhandlungen und Streiks durch Vorstandsmitglieder, also durch Personen vertreten zu lassen, die von der anderen Seite abhängig sind, würde diese Grenze überschreiten und, in der hier gewählten Terminologie, einen Fall der unzulässigen Überparität darstellen. Die gewonnene Einsicht nötigt nicht dazu, mit Zöllner und Seiter die paritätische Mitbestimmung als solche für verfassungswidrig zu erklären, sondern verlangt nur, Konsequenzen für den Schutz der Anteilseigner zu ziehen. Ein gangbarer, wenngleich kaum realistischer und kaum befriedigender Weg wäre, Unternehmenstarife und auf ein Unternehmen beschränkte Streiks für unzulässig zu erklären. Scheidet eine derartige Lösung aus, so verlangt Art. 9 Abs. 3 GG, daß den Eigentümern die Möglichkeit verschafft wird, sich auch im kollektiven Arbeitsrecht durch Personen vertreten zu lassen, die nicht dem Vorstand des Unternehmens angehören. Theoretisch wäre es folgerichtig, die Kompetenz dazu statt dem Vorstand der Gesellschafterversammlung selbst zu geben, die dann wie für andere das Unternehmen betreffende Grundentscheidungen auch für alle Maßnahmen im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen, Arbeitskämpfen und Schlichtungsverfahren auf Seiten der Anteilseigner zuständig wäre. Offenkundig ist eine solche Regelung allerdings nur praktikabel, wenn sich der Gesellschafterkreis aus wenigen Personen zusammensetzt, die sich selbst unternehmerisch engagieren. Für alle anderen Fälle ist statt dessen nach Ersatzlösungen Ausschau zu halten: Es könnten ein besonderer Gesellschafteraus100

schuß gebildet oder die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner damit betraut werden. Auch einem Vorstandsmitglied dazu den Auftrag zu erteilen, erscheint nicht ausgeschlossen, sofern es nur aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung geschieht, zumal wenn sich der Gegenseite die Zusage abringen läßt, daß der Beauftragte nicht wegen seines Auftretens als Vertreter der Anteilseigner um seine Wiederwahl in den Vorstand bangen muß. Auf solche Weise ließe sich jedenfalls das Vakuum vermeiden, das auf Seiten der Anteilseigner entsteht, wenn sie plötzlich der Funktionäre beraubt werden, die ihre Interessen bisher im kollektiven Arbeitsrecht vertreten haben. Auch noch weitere Lösungen, etwa mit Hilfe eines Treuhänders oder eines Funktionärs des zuständigen Arbeitgeberverbands, lassen sich denken. Da nicht abzusehen ist, welche Wege sich in Zukunft als gangbar und zweckmäßig herausstellen werden, sollte ein Mitbestimmungsgesetz den Anteilseignern insoweit möglichst große Freiheit einräumen. Nur am Prinzip ist festzuhalten, daß die paritätische Mitbestimmung ausschließt, die Interessen der Anteilseigner in Tarifverhandlungen, Streiks und Schlichtungsverfahren kraft Gesetzes dem Vorstand anzuvertrauen. Auch die Bedingungen, unter denen die Arbeitgeberverbände als gegnerfrei betrachtet werden können, haben Zöllner und Seiter richtig gesehen. Aus ihrer Analyse folgt, daß es unschädlich wäre, mitbestimmte Unternehmen durch Vorstandsmitglieder vertreten zu lassen, solange sie im Arbeitgeberverband in der Minderheit bleiben und keinen bestimmenden Einfluß auf Haltung und Kurs des Verbands ausüben können. Dergestalt zu differenzieren erscheint indessen kaum praktikabel und würde jedenfalls zu Ungereimtheiten führen. Konsequenter und einfacher zugleich ist es, statt dessen generell auch die Wahl der Vertreter im Arbeitgeberberband den Anteilseignern zu übertragen, welche den dafür geeigneten Modus selbst festlegen können. 3. Die vorstehenden Überlegungen lassen die Frage noch offen, ob die entwickelten Regeln auch zu gelten haben, 101

wenn den Anteilseignern infolge der gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen den Gesellschaftsorganen und des Letztentscheids der Gesellschafterversammlung ein gewisses Übergewicht im Unternehmen, namentlich bei der Wahl des Vorstands, verbleibt. Die Antwort hängt davon ab, ob der Vorstand gleichwohl als das von beiden Seiten abhängige und gegenüber beiden verpflichtete Unternehmensorgan anzusehen ist oder ob er in diesem Fall wieder auf die Seite der Anteilseigner rückt, das heißt deren Interessen wieder mit der notwendigen Konfrontationsbereitschaft wahrnehmen kann. Wie bereits dargelegt 15 , kommt es dafür weitgehend auf die konkreten Umstände an, denn je nach Rechtsform und Zahl der Anteilseigner gewähren die Prärogative der Gesellschafterversammlung und der Letztentscheid den Gesellschaftern unterschiedliche Durchsetzungschancen. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien, bei welcher der paritätisch besetzte Aufsichtsrat den Komplementär weder wählt noch abberufen kann, bestehen keinerlei Bedenken, diesem die Arbeitgeberfunktion uneingeschränkt zu belassen. Auch wenn ein Mehrheitsgesellschafter entschlossen ist, den Vorstand ungeachtet des Widerstands der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit Hilfe des Letztentscheids durch seine Leute zu besetzen, wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn die so gewählten Vorstandsmitglieder im kollektiven Arbeitsrecht die Interessen der Anteilseigner wahrnehmen. Umgekehrt liegen die Dinge dagegen, wenn das von den Entwürfen vorgesehene Wahlverfahren zu einer Einigung der Gruppen im Aufsichtsrat über die Personen der Vorstandsmitglieder führt, ohne daß die Anteilseigner es auf den Letztentscheid der Gesellschafterversammlung ankommen lassen, wie dies nementlich in Publikumsgesellschaften wahrscheinlich ist. Bei der gesetzlichen Regelung einer derart wichtigen Frage auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wäre nun allerdings verfehlt, zumal es von mancherlei nicht vorhersehbaren Zufällen abhängen kann, ob sich die Parteien auf 15

S. oben S. 12 ff.

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ein Vorstandsmitglied einigen oder nicht. Statt dessen erscheint nur eine generelle Regelung angemessen, die von der typischen Situation ausgeht. Der von der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats und dem von den Entwürfen vorgesehenen Wahlverfahren ausgehende Einigungszwang erweist sich so gesehen als derart stark, daß er das typische Erscheinungsbild prägt, denn er rechtfertigt stets die Befürchtung, die Vorstandsmitglieder seien von der Arbeitnehmerseite nicht unabhängig. Auch entspricht eine solche Betrachtungsweise dem Sinn und der Absicht des Gesetzes. Daraus folgt, daß der Fall nicht anders behandelt werden kann als der Fall einer vollen paritätischen Mitbestimmung. Auch die von den Entwürfen beabsichtigte Unternehmensordnung verlangt mit anderen Worten in Anbetracht des durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Unabhängigkeitsprinzips, daß die Funktionen des Arbeitgebers im Tarifvertragswesen, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht nach Maßgabe der oben entwickelten Variationsmöglichkeiten vom Vorstand auf ein Vertretungsorgan der Anteilseigner verlagert werden. 4. Die vom Grundgesetz geforderte Anpassung des kollektiven Arbeitsrechts an die Funktionsbedingungen der paritätischen Mitbestimmung fordert schließlich, noch einmal auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zurückzukommen. Es hat sich gezeigt, daß alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen eine Pflicht trifft, das Unternehmensinteresse über die Ansprüche der von ihnen vertretenen Gruppe zu stellen, mit den Vertretern der Gegenseite loyal zusammenzuarbeiten und im Fall des Konflikts auszugleichen und zu vermitteln 16 . Aus dieser Pflicht ergeben sich auch Konsequenzen für das kollektive Arbeitsrecht. Die herrschende Lehre geht davon aus, daß es den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer verwehrt ist, die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen zu vertreten, und daß sie im Falle des Streiks zwar die Arbeit nieder16

S. oben S. 70 f.

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legen dürfen, sich darüber hinausgehenden Kampfmaßnahmen dagegen zu enthalten haben 17 . Die Teilnahme an einem illegalen Streik ist den Arbeitnehmervertretern stets verboten. Die Regeln gelten nach herrschender Lehre bereits für den Fall, daß der Aufsichtsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz nur zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt ist. Für die nach dem Mitbestimmungsgesetz paritätisch besetzten Aufsichtsräte wird man darüber hinaus fordern müssen, daß die Vertreter der Arbeitnehmer auf jede Beteiligung an Arbeitskämpfen verzichten. Denn eine auf dauerhaftem guten Einvernehmen basierende Kooperation zwischen den Gruppen, wie sie die Funktionsfähigkeit der paritätischen Mitbestimmung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordern, kann nur gedeihen, wenn sie nicht durch die infolge der Teilnahme an Arbeitskämpfen auf beiden Seiten ausgelösten Emotionen gestört wird. Es wäre denkbar, daß auch diese Frage durch eine verfassungskonforme Interpretation eines Mitbestimmungsgesetzes geklärt wird, doch wäre es vorzuziehen, wenn sie im Gesetz selbst geregelt würde.

7

Vgl. statt aller Mertens im Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Anhang zu § 96 Rdnr. 95 ff., 137 ff., mit zahlreichen Literaturnachweisen.

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ERGEBNISSE XI. Zusammenfassung in Thesen 1. Die im Aufsichtsrat angesiedelte paritätische Mitbestimmung wirkt sich bei den einzelnen Gesellschaftsformen sehr unterschiedlich aus, weil die gesetzliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung und zum Geschäftsführungsorgan stark variiert. 2. Die Wirksamkeit der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat hängt weiter von der Zahl der Gesellschafter ab. Bei Publikumsgesellschaften mit weit verstreutem Anteilsbesitz ist nicht zu erwarten, daß die Anteilseigner den der Gesellschafterversammlung vorbehaltenen Letztentscheid dazu nützen werden, eigene unternehmerische Initiativen zu entfalten und den Aufsichtsrat damit zu überspielen. Ein oder wenige unternehmerisch tätige Gesellschafter, welche die Stimmenmehrheit besitzen, sind dazu aber durchaus in der Lage. 3. Das Nebeneinander von paritätischer Mitbestimmung im Aufsichtsrat und unternehmensbezogenen Mitbestimmungsrechten nach dem Betriebsverfassungsgesetz führt zu einer Unausgewogenheit von Betriebs- und Unternehmensverfassung, welche ein Mitbestimmungsgesetz vermeiden sollte. Ob ein Fall verfassungswidriger Überparität vorliegt, wie vielfach behauptet wird, ist zweifelhaft, da sich Zustimmungsbefugnisse von zwei dasselbe Interesse repräsentierenden Gremien nicht einfach addieren lassen. 4. Eine Überparität zugunsten der Arbeitnehmer kann entstehen, wenn die Arbeitnehmerseite in die Lage versetzt wird, mit Hilfe von Gesellschaftsanteilen oder des Depot105

Stimmrechts ihre Interessen auch auf Seiten der Anteilseigner zu verfolgen. 5. Eine Überparität zugunsten der Arbeitnehmer kann ferner durch die Kumulation von paritätischer Mitbestimmung und kollektivem Arbeitsrecht entstehen. 6. Die paritätische Mitbestimmung setzt an die Stelle der überkommenen kapitalistischen Unternehmensordnung eine neue Ordnung. Diese ist nicht sozialistisch, sondern verbindet kapitalistische und sozialistische Elemente zu einer neuen, eigenständigen Synthese. Insofern verwirklicht sie auch eine neue Gerechtigkeitsidee für die rechtliche Ordnung des Unternehmens. 7. Die paritätische Mitbestimmung gefährdet als solche den Fortbestand der Marktwirtschaft nicht. Eine Vorhersage, daß sie zu einer Verminderung der wirtschaftlichen Produktivität der Unternehmen führen werde, ist wissenschaftlich nicht ausreichend begründet. 8. Die paritätische Mitbestimmung erscheint geeignet den aus dem 19. Jahrhundert überkommenen Klassengegensatz zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern weiter zu vermindern, soziale Spannungen zu lösen und auf diese Weise eine gesellschaftliche Stabilität herbeizuführen, die anders nicht erreicht werden könnte. 9. Paritätische Mitbestimmung bedeutet für das Arbeitsund Gesellschaftsrecht, die strukturell bisher den Klassengegensatz zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern widerspiegeln und festhalten, den Übergang von einem Konfliktsmodell zu einem Kooperationsmodell. 10. Die Entwürfe eines Mitbestimmungsgesetzes beschränken sich im wesentlichen auf die Kristallisationspunkte des politischen Interesses und versäumen es, die neue Ordnung rechtstechnisch durchzufeilen und mit dem Gesamtkomplex des Gesellschafts- und Arbeitsrechts in Einklang zu bringen. Sie führen daher zu unvollständigen und unausgewogenen Regelungen, die in der Anwendung 106

Schwierigkeiten erwarten lassen und auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. 11. Wie sich die paritätische Mitbestimmung langfristig auswirken wird, ist unsicher. Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts steht es aber grundsätzlich im Ermessen des Gesetzgebers, wie er einen sozialen Sachverhalt unter den Bedingungen einer ungewissen Zukunftsprognose regelt. 12. Sedes materiae für die verfassungsrechtliche Beurteilung der paritätischen Mitbestimmung sind in erster Linie die A r t . 14 G G und 9 Abs. 3 GG. 13. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 G G ist nicht zu erwarten, daß das Gericht die paritätische Mitbestimmung als solche als einen Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie ansehen und für unzulässig erklären wird. Das gilt vollends für die von den Entwürfen vorgesehene, unter der vollen Parität bleibenden Mitbestimmung. 14. Dagegen ist zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht alle Formen einer formellen oder funktionellen Überparität für verfassungswidrig erklären wird. 15. Der den Anteilseignern durch A r t . 14 G G gewährte Schutz erfordert unter dem Gesichtspunkt der Sachgemäßheit der Regelung und der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs einige Ergänzungen der von den Entwürfen vorgesehenen gesetzlichen Regelung: a) Der Gesetzgeber hat dafür Sorge zu tragen, daß die paritätische Mitbestimmung nicht in eine Überparität umschlagen kann. b ) Es ist erforderlich, Mechanismen zur Auflösung der Patt-Situation im Aufsichtsrat vorzusehen. c ) Das Gesetz sollte klarstellen, daß Aufsichtsratsmitglieder nicht an Weisungen der Gruppe gebunden sind, welche sie repräsentieren. 107

d) Die Regeln über die Abberufung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern sind dergestalt zu ergänzen, daß im Fall der groben Pflichtverletzung oder der Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung jede Gruppe für sich allein die Abberufung durchsetzen kann. e) Es ist sicherzustellen, daß die Anteilseigner aus dem Unternehmen ausscheiden oder ihren Anteil verkaufen können, wenn bei der Kooperation mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat schwerwiegende Störungen entstehen, welche den Verbleib im Unternehmen unzumutbar machen. 16. Nach der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 GG ist es wahrscheinlich, daß das Gericht die paritätische Mitbestimmung als eine dem Tarifvertragssystem äquivalente Erscheinungsform der kollektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ansehen wird, die mit Art. 9 Abs. 3 GG prinzipiell vereinbar ist. 17. Auch die Kumulation von paritätischer Mitbestimmung im Unternehmen und Tarifvertrags- bzw. Arbeitskampfsystem ist prinzipiell mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn verhindert wird, daß sie in die Überparität umschlägt. 18. Unter dem Gesichtspunkt der Überparität ist es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, den paritätisch gewählten und daher von beiden Gruppen im Aufsichtsrat abhängigen Vorstand kraft Gesetzes damit zu betrauen, die Interessen der Anteilseigner in Tarifverhandlungen, Arbeitskämpfen und Schlichtungsverfahren wahrzunehmen. Der Gesetzgeber hat aus diesem Grund dafür zu sorgen, daß die Anteilseigner instandgesetzt werden, sich in diesen Fällen durch von ihnen gewählte und von den Arbeitnehmern unabhängige Personen vertreten zu lassen. 108

19. Auch die Vertretung der Anteilseignerinteressen in Arbeitgeberverbänden ist von der Arbeitnehmerseite unabhängigen Repräsentanten der Anteilseigner zu übertragen. 20. Die paritätische Mitbestimmung fordert, daß die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer auf jede Beteiligung an Arbeitskämpfen verzichten.

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