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German Pages 240 Year 2008
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 46
Mitbestimmung und Niederlassungsfreiheit Folgen der Einführung der Societas Europaea für die Vereinbarkeit paritätischer Unternehmensmitbestimmung mit Europäischem Recht
Von
Mathias Bock
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MATHIAS BOCK
Mitbestimmung und Niederlassungsfreiheit
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch die Professoren Dr. Thomas Ackermann und Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Band 46
Mitbestimmung und Niederlassungsfreiheit Folgen der Einführung der Societas Europaea für die Vereinbarkeit paritätischer Unternehmensmitbestimmung mit Europäischem Recht
Von
Mathias Bock
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-12676-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommertrimester 2007 von der Bucerius Law School als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Februar desselben Jahres abgeschlossen. Die mündliche Prüfung fand am 24. Juli 2007 statt. Mein Dank gilt in besonderem Maße meinem Doktorvater, Professor Dr. Matthias Jacobs, der mich bei der Erstellung meiner Arbeit von der ersten Idee bis zur Vollendung stetig unterstützt und ermuntert hat. Ihm danke ich ganz herzlich für die hervorragende Betreuung während der gesamten Promotionszeit und die Unterstützung bei der zu leistenden Überzeugungsarbeit für eine schnelle mündliche Prüfung. Besonders bedanken möchte ich mich außerdem bei Professor Dr. Jörn-Axel Kämmerer für die prompte Anfertigung des Zweitgutachtens, welches er trotz eines Forschungsaufenthaltes im Ausland innerhalb nur weniger Tage erstellte. Vielfachen Dank schulde ich außerdem dem Vorsitzenden der Prüfungskommission, Professor Dr. Florian Faust; allein seinem unnachgiebigen Einsatz war es zu verdanken, dass meine mündliche Prüfung innerhalb Wochenfrist, nur einen Tag vor der Abreise zu einem längeren Auslandsaufenthalt stattfinden konnte. Bedanken möchte ich mich weiter bei dem Bibliotheks-Team der Bucerius Law School, das für mich auch die außergewöhnlichsten Quellen mit Engelsgeduld und Kreativität beschaffen konnte, sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung für die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses zur Veröffentlichung dieser Dissertation. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem meinen Freunden und Kommilitonen Heiko Jander, Dr. Marko Voß und Thilo Zimmermann für unzählige kritische Gespräche, die gewissenhafte Durchsicht des Manuskripts sowie die häufige und von mir inzwischen geschätzte Frage „Na, wieder nix zu tun?“ Finally I would like to extend very special thanks to Winnie Sung, who has been the greatest source of support and encouragement even when endless doubt questioned my pursuits. Auch auf die Unterstützung meiner Familie und meiner lieben Oma Dolly konnte ich mich während meiner gesamten Ausbildung zu jeder Tages- und Nachtzeit verlassen. Ihnen sei diese Arbeit in großer Dankbarkeit gewidmet. Seoul, im November 2007
Mathias Bock
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mitbestimmung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anreize zur Gründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 14 18
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung . . . . . I. Gründungsszenarien für die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE . . . . . . . . . . . . . .
26 26 30
C. Vereinbarkeit paritätischer Mitbestimmung in der SE mit europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Ausgangspunkt der Überlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Bestandsaufnahme – Benachteiligung deutscher Unternehmen bei der SE-Gründung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Verstoß gegen Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Anlage 1: Umstrukturierung der Allianz AG und RAS vor und nach erfolgter Verschmelzung zur Allianz SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mitbestimmung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anreize zur Gründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ökonomische Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Psychische Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung . . . . . I. Gründungsszenarien für die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Originäre Primärgründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Derivative Sekundärgründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugrunde gelegte Mitbestimmungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrang der Verhandlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auffangregelung bei Nichteinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingreifen der Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Originäre Primärgründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Derivative Sekundärgründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26 26 27 30 30 30 32 34 34 35 36 40 41 43
C. Vereinbarkeit paritätischer Mitbestimmung in der SE mit europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt der Überlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestandsaufnahme – Benachteiligung deutscher Unternehmen bei der SE-Gründung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirkungen der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorteile unternehmerischer Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung der Verhandlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dauer und Unsicherheiten des Verhandlungsverfahrens . . . . . . . bb) Fehlender Verhandlungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ungleiche Anforderungen an die Abstimmungen des bVG . . . . dd) Mangelnder Einigungswille des bVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Folgen der Minderung des Gewerkschaftseinflusses . . . . . . . (2) Asymmetrische Verteilung der Verhandlungsmacht . . . . . . . .
45 45 47 48 48 51 51 55 56 58 58 60
6
Inhaltsverzeichnis ee) Verhinderung von Fusionsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Vergleich mit dem Verhandlungsverfahren des EBR . . . . . . . . . . gg) Ergebnis zur Ausgestaltung der Verhandlungslösung . . . . . . . . . c) Fragen der Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unabhängigkeit der Mitglieder von Gesellschaftsorganen . . . . . bb) Effektivität der Unternehmenskontrolle und -leitung . . . . . . . . . . (1) Größe des Kontrollorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Internationale Zusammensetzung des Kontrollorgans . . . . . . (3) Informationsasymmetrie zulasten des Kontrollorgans . . . . . . (4) Bürokratisierung von Entscheidungsprozessen . . . . . . . . . . . . cc) Professionalität der Unternehmenskontrolle bzw. -leitung . . . . . dd) Zwischenergebnis zur Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . d) Strukturkonservierende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis zu den Wirkungen der Mitbestimmung . . . . . . . . 2. Auswirkung auf die SE-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verstoß gegen Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereiches von Art. 43 I EG . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen eines Niederlassungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslandsbezug bei Gesellschaftsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der offensichtliche Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Besonderheiten bei „Wegzugs-“ bzw. „Rückkehrerfällen“ . . (a) „Wegzug“ einer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) „Rückkehr“ einer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einordnung der SE-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts . . . . . . . . . . (1) Niederlassung der SE im europäischen Ausland . . . . . . . . . . (2) Niederlassung der SE in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorliegen einer Diskriminierung oder sonstigen Beschränkung? cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschränkung durch welche Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 65 66 67 68 71 71 74 76 79 81 83 83 86 89 93 95 96 96 97 97 98 98 99 100 104 105 105 106 109 111 111 111 111 118 118 123 123 124
Inhaltsverzeichnis bb) SE-RiL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schutz paritätischer Mitbestimmung durch Art. 295 EG? . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . a) Rechtfertigung durch Art. 46 I EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung durch „zwingende Gründe“ nach der GebhardFormel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendung in nicht diskriminierender Weise . . . . . . . . . . . . . . . . bb) MitbestG als „zwingender Grund des Allgemeinwohls“ . . . . . . . (1) Arbeitnehmerschutz als zwingendes Allgemeinwohlinteresse in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mitbestimmung als zwingendes Allgemeinwohlinteresse in der deutschen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Selektivität des Arbeitnehmerschutzes durch das MitbestG . . (a) Erfasste Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Erfasste Gesellschaftsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Inhaltliche Unterschiede zwischen DrittelbG, MitbestG und Montan-MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Schutzdifferenzierung innerhalb einer Belegschaft . . . . . (e) Zeitliche Komponente: Die Folgen einer Umwandlung . (4) Rechtstechnische Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Rechtfertigung durch generalpräventive Maßnahmen? . . . . . (6) Argumente im Zusammenhang mit der SE-RiL . . . . . . . . . . . (7) Relevanz eines nationalen oder europäischen ordre-public? (8) Weitere Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erforderlichkeit und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Strukturvorgaben für die Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Informationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Umsetzung milderer Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Verweis auf alternative Gründungsmöglichkeiten . . (a) Alternativen für die GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Alternativen für die AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Betriebsverfassungsrecht und betriebliche Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Drittelbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 127 133 138 139 139 141 142 143 146 149 151 152 154 157 158 159 160 163 164 167 170 175 175 176 183 184 184 185 188 188 188 189 191 192 192 197
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Inhaltsverzeichnis 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Möglichkeit europarechtskonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199 200 202 205
Anlage 1: Umstrukturierung der Allianz AG und RAS vor und nach erfolgter Verschmelzung zur Allianz SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Mitbestimmung in den europäischen Mitgliedstaaten und Wirtschaftsdaten 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Abbildung 2: Gründungsszenarien der SE nach SE-VO und SEAG . . . . . . . . . . . . .
29
Abbildung 3: Normen zur Auffangregelung in SE-RiL und SEBG . . . . . . . . . . . . .
41
Abbildung 4: Probleme bei der Allianzbildung zur SE bei Gründung und Fusion
94
Abbildung 5: Von deutschen Mitbestimmungsgesetzen erfasste Rechtsformen . . . 153 Abbildung 6: Alternative Gründungsszenarien abhängig von der Gesellschaftsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Abbildung 7: „Verbannte“ und Alternative Gründungsszenarien für die GmbH . . . 190 Abbildung 8: „Verbannte“ und Alternative Gründungsszenarien für die AG . . . . . 192
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. bVG d. h. DrittelbG EBR FTD h. L. h. M. i. E. i. H. v. i.R. d. i. S. d. MitbestG m.w. N. o. ä. o. g. SEAG SEBG SE-RiL SE-VO sog. u. a. vgl. VWR
andere Ansicht am Ende besonderes Verhandlungsgremium das heißt Drittelbeteiligungsgesetz Europäischer Betriebsrat Financial Times Deutschland herrschende Lehre herrschende Meinung im Ergebnis in Höhe von im Rahmen der/des im Sinne der/des Mitbestimmungsgesetz mit weiteren Nachweisen oder ähnlich oben genannt SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz SE-Richtlinie SE-Verordnung sogenannt unter anderem vergleiche Verwaltungsrat
A. Einführung Unternehmen auf der ganzen Welt treten zunehmend in einen sich verschärfenden Wettbewerb mit global aufgestellter Konkurrenz.1 Der Internationalisierungs- und Wettbewerbsdruck hat in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren deutlich an Fahrt gewonnen. Märkte, die noch vor kurzer Zeit zu einem komfortablen Maß von ausländischer Konkurrenz abgeschottet waren, sind schon heute von Wettbewerbern aus aller Welt hart umkämpft.2 Die Europäische Wirtschaft wächst zusammen3 und auch die fortschreitende Globalisierung wird vermehrt zu grenzüberschreitenden Kooperationen von Unternehmen und ganzen Unternehmensgruppen führen.4 Informationsgewinnung, schnelle Anpassungsfähigkeit an veränderte Marktbedingungen und nicht zuletzt standortspezifische Besonderheiten spielen bei der Suche nach dem entscheidenden Wettbewerbsvorteil, dem Quäntchen mehr an Effizienz im Vergleich zum Mitbewerber, eine zentrale Rolle. Arbeitnehmermitbestimmung auf Unternehmensebene kann hierzu einen Beitrag leisten. Erste Ansätze einer Arbeitnehmerbeteiligung an unternehmerischen Entscheidungsprozessen wurden in Deutschland bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert umgesetzt.5 Ob das deutsche Modell der paritätischen Mitbestimmung als einer der Mosaikbausteine erfolgreicher Corporate Governance dabei als Erfolg oder Misserfolg zu werten ist, muss trotz der mit Leidenschaft6 geführten wissenschaftlichen Auseinandersetzung als ungeklärt gelten.7 Notierenswert ist jedoch, dass die „gewisse Ruhe an der Mitbestimmungsfront [. . .] immerhin schon selbst ein Faktum [ist], das in die Würdigung eingehen muss. Wäre der gegenwärtige Zustand unerträglich, hätte er manifeste wirtschaftliche Nachteile zur Folge, wären die schlimmsten Prognosen eingetre-
1 Vgl. z. B. die Artikel der FTD vom 9. Mai 2000, S. 39 „Globaler Wettbewerb lässt die Unterschiede schwinden“ oder vom 17. Januar 2006, S. 24 „Strategie: Der Osten treibt Europa an“. 2 Hierzu Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 459 f. 3 Brandes, AG 2005, 177. 4 Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 126. 5 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, Einleitung, Rn. 1 und 6 ff.; hierzu ebenfalls Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 490 f. 6 Lutter, BB 2002, 1 (5); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798) „Die Mitbestimmung der Gewerkschaften hat sich nämlich wie ein Mehltau nicht nur auf die ganze deutsche Wirtschaft, sondern auch auf die Meinungsbildung gelegt.“ 7 Vgl. Raiser, FS für Kübler, 1997, S. 477, 491; nach Ansicht von Zöllner, AG 1994, 336 (338) wird bei „kaum einer Frage [. . .] soviel gelogen und wird auch soviel geschwiegen“ wie bei Äußerungen über die Unternehmensmitbestimmung.
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A. Einführung
ten, welche das Inkrafttreten des [Mitbestimmungs]-Gesetzes vor [mehr als] 20 Jahren zum Teil begleiteten, so würden derart negative Erfahrungen in der öffentlichen Meinung Ausdruck finden.“8 Gleichwohl ist dieser Befund mit Vorsicht zu betrachten. Er bedeutet nicht notwendig, dass paritätische Mitbestimmung ein Erfolgsmodell für die Zukunft ist. „Es ist vielmehr denkbar, dass sich Unternehmen und Arbeitnehmer einfach mit dem status quo abgefunden haben und versuchen, das Beste aus einer Lage zu machen, die sie nicht ändern können.“9 Auch international hat das System der paritätischen Mitbestimmung „seinen Bewährungstest im Wettbewerb mit anderen Ländern, die weniger oder keine Mitbestimmung in den Unternehmensorganen kennen, [. . .] noch nicht bestanden.“10 Die Schaffung der Societas Europaea (im Folgenden SE) könnte der Diskussion einen wesentlichen Impuls geben: Zwar suggeriert das Etikett „Europäische Aktiengesellschaft“ eine gemeinschaftsweit einheitliche Rechtsform. „Dieser Eindruck täuscht jedoch. Hinter dem Namen beginnt eine verwirrende Vielfalt. Dem Betrachter kommt der Euro in den Sinn, dessen gemünzte Form gemeinschaftsweit dieselbe Vorderseite hat, aber in jedem Land eine andere Rückseite. Die SE ist hierzu eine Steigerung: Hier sind gewissermaßen beide Seiten der Medaille in den Mitgliedstaaten unterschiedlich, nämlich sowohl die gesellschaftsrechtliche Struktur als auch das System der Arbeitnehmerbeteiligung.“11 Bei der Regelungstiefe der Rechtsvorschriften über Gründung und Nutzung der SE hat sich der Verordnungsgeber – anders als ursprünglich geplant12 – auf ein Minimum beschränkt. Für über dieses Minimum hinaus regelungsbedürftige Einzelheiten wird auf nationales Recht verwiesen.13 In der Folge werden sich französische, britische und deutsche SE etc. voneinander in den Einzelheiten signifikant unterscheiden.14 Unabhängig davon ist die SE die erste Gesellschaftsform des europäischen Rechtsraumes, die überhaupt einem Vergleich mit nationalen Gesellschaftsformen zugänglich ist.15 Der prüfende Blick von Wis8
Raiser, FS für Kübler, 1997, S. 477, 480. Hopt, FS für Everling, 1995, S. 475, 478. 10 Raiser, FS für Kübler, 1997, S. 477, 491. 11 Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 687. 12 Die frühen Verordnungsentwürfe der Kommission vom 30. Juni 1970 bzw. 30. April 1975 hatte noch ca. 400 Artikel, AblEG C 124 vom 10.10.1970, S. 1 ff. bzw. Kom. (70) 150 endg. Bei der Einigung in 2001 war die Verordnung auf 70 Artikel zusammengeschmolzen, dazu Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (505 ff.). Vgl. zur Rechtsetzungsgeschichte der SE den Überblick bei Blanquet, ZGR 2002, 20 (21 ff.). 13 Vgl. Erwägungsgrund 9 und Art. 9 I lit. c) SE-VO. Art. 9 SE-VO setzt im Übrigen die verschiedenen Regelungsebenen in ein eindeutiges Verhältnis. Hier gelten: Satzung – SE-VO – nationales Ausführungsgesetz (im Fall Deutschlands das SEAG) – Aktienrecht im Sitzstaat (im Fall Deutschlands das AktG). Mögliche Wege zur Schlichtung von Geltungskonflikten entwickelt Schäfer, NZG 2004, 785 (787). 14 Davies, Workers on the Board of the European Company?, 32 Ind. Law J. 75 778 (2003); Pluskat, EuZW 2001, 524 (528). 9
A. Einführung
13
senschaft und Praxis wird sich dabei einerseits auf Vorzüge und Zugeständnisse für Unternehmen, andererseits auf Nachteile und Unzulänglichkeiten nationaler Rechtsordnungen im internationalen Wettbewerb richten. Auch über Rigiditäten und Flexibilisierungserfordernisse der nationalen Rechtsordnungen wird in diesem Zusammenhang schonungslos Rechenschaft abzulegen sein. Die veränderten Erfolgsbedingungen auf Güter- und Kapitalmärkten und der zunehmende Standortwettbewerb zwischen den vielen verschiedenen nationalen Jurisdiktionen, geprägt durch ihre unterschiedlichen Sozialregimes und sehr vielfältig gewachsenen Mitbestimmungskulturen, führen zu einem stetig steigenden Anpassungsdruck. Kein Land darf es sich erlauben, in Bezug auf Sicherung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der bei ihm angesiedelten Unternehmen, ins Hintertreffen zu geraten. Damit stellt sich etwa hinsichtlich mitbestimmter Gesellschaftsorgane aber nicht nur die Frage ob die aus Deutschland bekannte paritätische Mitbestimmung heute noch zeitgemäß ist,16 d. h. ob sie aufrechterhalten werden sollte und welche Vor- und Nachteile mit der Entscheidung verbunden wären. Vielmehr gilt es zu untersuchen, ob paritätische Mitbestimmung in Zeiten umfangreicher politischer und gesellschaftlicher Veränderung nach geltendem Recht überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Auf Rechtsgrundlage der am 8. Oktober 2001 verabschiedeten europäischen Verordnung EG 2157/2001 (im Folgenden SE-VO) wurde das SE-Ausführungsgesetz (im Folgenden SEAG) vom deutschen Gesetzgeber erlassen, das im Wesentlichen die gesellschaftsrechtlichen Regelungsfragen zur SE behandelt. Die ergänzende Richtlinie 2001/86/EG über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE (im Folgenden SE-RiL) wurde in Deutschland im SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) umgesetzt. Sie vervollständigt die gesellschaftsrechtlichen Regelungen der SE, um die mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkte der neuen Gesellschaftsform. Zu Terminologie und Gang der Darstellung: Wenn im Folgenden von „Mitbestimmung“ gesprochen wird, ist hiermit – soweit nicht anders gekennzeichnet – ausnahmslos die Mitbestimmung auf Unternehmensebene gemeint. Die „betriebliche Mitbestimmung“ nach Betriebsverfassungsrecht wird argumentativ verwertet, jedoch keiner eingehenden Analyse unterzogen und bleibt damit von 15 Zwar war schon 1985, also lange vor der SE, die „Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung“ („EWIV“) geschaffen worden, doch war die praktische Resonanz auf diese europäische Gesellschaftsform gering, dazu Neye, DB 1997, 861 ff. oder Rechenberg, ZGR 1992, 299 ff. Bis zum Jahr 2006 wurden nur etwas mehr als 800 EWiV gegründet. 16 Konkretisierend sollte man hinzufügen, dass dies die in Deutschland zu stellende Frage ist. Gänzlich anders gelagerte Probleme ergeben sich in den anderen Mitgliedstaaten der EU. In England z. B. muss die Unternehmensmitbestimmung aufgrund der Einführung der SE in das seit über 100 Jahren gewachsene System der Tarifverhandlungen und -konflikte eingefügt werden. Vgl. hierzu Davies in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 10, 11 ff.
14
A. Einführung
den materiellen Ausführungen ausgespart.17 Auf eine Darstellung der historischen Entwicklung der SE ist bewusst verzichtet worden. Arbeiten, die ausführlich die Historie der SE behandeln, sind breits in ausreichender Zahl vorgelegt worden.18 Soweit die Betrachtung der Entstehungsgeschichte der SE für das Verständnis der Ausführungen relevant werden sollte, wird auf sie an geeigneter Stelle eingegangen werden. Nachdem ein kurzer Überblick über die „Mitbestimmungssituation“ in Europa gegeben wird, sollen die Anreize für Unternehmen zur SE-Gründung umrissen werden. In Kapitel B. werden dann die relevanten gesetzlichen Regelungen des SEBG vorgestellt. Kapitel C. widmet sich schließlich der Frage der Vereinbarkeit paritätischen Mitbestimmungsrechts mit europäischem Recht.
I. Mitbestimmung in Europa Europäische Bemühungen um eine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Mitbestimmungsregelungen sind bislang ohne Erfolg geblieben.19 In der Folge besteht in Europa eine verwirrende Vielfalt an Mitbestimmungsregelungen, die von Land zu Land unterschiedliche Merkmale aufweisen.20 Wenngleich mancher davon ausgehen mag, dass neben Deutschland in den 24 anderen EU-Mitgliedstaaten „Beteiligungen in Unternehmensorganen von 2–3 Sitzen über die Drittelbeteiligung bis zur Parität der Regelfall“21 sind, bestehen gravierende Unterschiede in den verschiedenen nationalen Systemen, wobei die aus Deutschland bekannte Parität weltweit keine Nachahmung gefunden hat.22 In der fol17 Beide Formen der Mitbestimmung unterscheiden sich ganz grundlegend. Dies wird gerne übersehen oder zwar bei der Problembeschreibung noch berücksichtigt, die erforderliche Trennung der Untersuchungserbnisse aber argumentativ nicht verwertet. So z. B. bei Höpner, Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss, S. 14 ff. der Befragungen zur einen und anderen Form der Mitbestimmung nicht hinreichend von einander trennt. 18 Blanquet, ZGR 2002, 20 (21 ff.); Heinze, ZGR 2002, 66 ff. und die erschöpfende Darstellung bei Mävers, Historie der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE, S. 87 ff. 19 Dazu gehört z. B. der Vorschlag zur sog. „Strukturrichtlinie“ von 1972, mit der zwingenden Einführung einer dualistischen Leitungsstruktur mit Arbeitnehmerrepräsentanten im Aufsichtsrat. Auch die ersten Ansätze zur Mitbestimmung bei der SE waren vom Gedanken der Vereinheitlichung getragen. Vgl. hierzu Mävers, Historie der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE, S. 109 und 117. 20 Vgl. hierzu auch den umfassenden rechtsvergleichenden Überblick bei Rebhahn in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41, 44 ff. 21 So Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 445, Hervorhebung erfolgte durch den Verfasser. 22 „Haben wir uns bei der Erforschung der Drittelbeteiligungsmodelle noch in erschlossenem Gelände bewegt, müssen wir bei der vergleichbaren Betrachtung des deutschen Mitbestimmungsgesetzes in einsame Höhen steigen – so als wäre der Nanga Parbat in die europäischen Alpen versetzt. Das MitbestG ragt kilometerweit aus der europäischen Landschaft.“ Junker, ZfA 2005, 211 (217).
I. Mitbestimmung in Europa
15
genden Abbildung soll ein Überblick über die europäische Mitbestimmungssituation in den verschiedenen Mitgliedstaaten gegeben werden.23 Hierbei werden, sofern nicht anders gekennzeichnet, nur die Regelungen betrachtet, die für privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen gelten. Um den verschiedenen Mitbestimmungskulturen auch eine wirtschaftliche Dimension zu verleihen, wurden jedem Mitgliedstaat Einwohnerzahl, BIP pro Kopf und gesamtes BIP aus dem Jahr 2005 zugeordnet.24
keine Mitbestimmung
Mitgliedstaat
Anteil
Einwohner (in Mio.)
BIP/Einw. (nominal, in tausend A)
BIP (nominal, in Mrd. A)
1.
Belgien
–
10,36
28,69
296,3
2.
Estland
–
1,33
7,83
10,41
3.
Italien
–
58,10
23,78
1.381,62
4.
Lettland
–
2,29
5,47
12,53
5.
Litauen
–
3,60
6,03
21,71
6.
UK
–
60,44
29,74
1.797,49
7.
Zypern
–
0,78
17,04
13,29
136,90
Ø 16,94
3.533,35
nur staatliche U.
nicht mitbestimmtes Europa S 1.–7. 8.
Malta
max. 1 VWR
0,40
11,12
4,45
9.
Portugal
max. 1 VWR
10,60
18,11
191,97
10. Griechenland
2–3 VWR
10,67
16,32
174,13
S 8.–10.
21,67
Ø 15,18
370,55
Fortsetzung nächste Seite
23 Hierzu wurde auf die Darstellung von Kluge/Stollt in: Perspektiven Europäischer Unternehmensmitbestimmung, S. 83 ff. zurückgegriffen. 24 Hierzu wurden die „Wirtschaftsdaten kompakt“ der Bundesagentur für Außenwirtschaft für die einzelnen Mitgliedstaaten ausgewertet. Jeweils herunterladbar unter www.bfai.de (Stand: 10. Februar 2007).
16
A. Einführung
Fortsetzung
1/3 Mitbestimmung
MB unterhalb 1/3
Mitgliedstaat
Anteil
Einwohner (in Mio.)
BIP/Einw. (nominal, in tausend A)
BIP (nominal, in Mrd. A
2 VWR
40,34
20,88
842,30
12. Schweden
2–3 VWR
9,00
31,96
287,64
13. Polen
max. 20%
38,64
6,31
243,82
14. Finnland
max. 25%
5,22
29,30
152,95
S 11.–14.
93,2
Ø 22,11
1.526,71
15. Dänemark
1/3, mind. 2
5,43
38,67
209,98
16. Frankreich
max. 1/3
60,66
28,14
1.706,98
17. Irland
meist 1/3
4,02
38,82
156,06
18. Luxemburg
max. 1/3
0,47
59,56*
19. Niederlande
max. 1/3
16,41
30,79
505,26
20. Österreich
1/3
8,19
29,94
245,21
21. Slowakai
1/3
5,43
6,9
37,47
22. Slowenien
1/3
2,01
13,68
27,50
23. Tschechien
1/3
10,24
9,56
97,90
24. Ungarn
1/3
10,00
8,71
87,10
122,86
Ø 26,48
3.101,46
82,43
27,23
2.244,57
1/3 MB + Deutschland S 15.–25.
205,29
Ø 26,55
5.346,03
mitbestimmtes Europa S 8.–25.
320,16
Ø 23,67
7.243,29
ganzes Europa S 1.–25.
457,06
Ø 21,78
10.776,64
11. Spanien
1/3 Mitbestimmung S 15.–24. 25. Deutschland
1/3 bis 1/2
28,00*
* Daten aus dem Jahr 2004.
Abbildung 1: Mitbestimmung in den europäischen Mitgliedstaaten und Wirtschaftsdaten 2005
I. Mitbestimmung in Europa
17
Eine Auswertung der Abbildung 1 zeigt Folgendes: – ca. 320 Mio. Europäer mit einem BIP, das einem Anteil von ca. 70% der wirtschaftlichen Gesamtleistung Europas entspricht, kennen und leben mit Unternehmensmitbestimmung auf verschiedenen Niveaus und in verschiedenen Ausprägungen, – knapp 137 Mio. Europäern mit einem BIP, das einem Anteil von ca. 30% der wirtschaftlichen Gesamtleistung Europas entspricht, ist die Mitbestimmung in Unternehmensorganen fremd, – ca. 93 Mio. Europäer mit einem BIP, das einem Anteil von ca. 16% der wirtschaftlichen Gesamtleistung Europas entspricht, kennen Unternehmensmitbestimmung knapp unterhalb des Drittelstandards, – ca. 205 Mio. Europäer mit einem BIP, das einem Anteil von ca. 55% der wirtschaftlichen Gesamtleistung Europas entspricht, kennen die Drittelbeteiligung als Mitbestimmungsstandard. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich einige wichtige Schlussfolgerungen ableiten. Zunächst ist es hervorhebenswert, dass das mitbestimmte Europa den nicht mitbestimmten Teil der Europäischen Gemeinschaft nach Einwohnerzahlen (320 Mio. : 137 Mio.) wie auch wirtschaftlicher Kraft (A 7.245 Mrd. : A 3.533 Mrd.) klar dominiert. Mitbestimmung auf Unternehmensebene ist damit ein in Europa dem Grunde nach anerkanntes Instrument zur Beteiligung der Interessengruppen „Arbeit“ und „Kapital“ an Unternehmensentscheidungen.25 Am weitesten hat hierbei das Modell der Drittelbeteiligung Verbreitung gefunden. Es liegt nahe, auch Spanien, Schweden, Polen und Finnland zu dieser Gruppe hinzuzurechnen, denn sie praktizieren gegenwärtig eine Mitbestimmung knapp unterhalb der Drittelbeteiligung. Sodann ist das vorläufige Ergebnis des Zahlenvergleichs offenkundig: Unternehmensmitbestimmung hat sich in Europa als Erfolgsmodell durchgesetzt. Bei der Entwicklung der Mitbestimmung in Europa zeichnet es sich ab, dass die Drittelbeteiligung der hier anerkannte Mitbestimmungsstandard ist26 und sein wird. Die Länder, die diese Form der Mitbestimmung akzeptieren, befinden sich wirtschaftlich (A 6.873 Mrd. : A 3.904 Mrd.) wie auch zahlenmäßig (15 : 10) und auch nach Anzahl ihrer Einwohner (299 Mio. : 158 Mio.) deutlich in der Mehrheit. Für den größten Teil der Europäer ist die Drittelbeteiligung ein bekanntes und anerkanntes Instrument zur Beteiligung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene.
25
So auch Höpner, Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss, S. 9. Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 193. 26
18
A. Einführung
II. Anreize zur Gründung einer SE Bevor mit der Darstellung rechtlicher Probleme einer Mitbestimmung in den Unternehmensorganen der SE begonnen werden kann, ist es erforderlich aufzuzeigen, warum Unternehmen ein gesteigertes Interesse an der Nutzung der ihnen neu zur Verfügung gestellten Gesellschaftsform haben könnten. Immerhin tritt die SE in Konkurrenz zu den weiter bestehenden nationalen Gesellschaftsformen.27 Freilich wird die Schaffung der SE von der Literatur als historischer Vorgang28 betrachtet, aber es ist keineswegs so, dass die Unternehmenspraxis von den neuen Gestaltungsmöglichkeiten29 auch Gebrauch machen wird, wenn sich nicht greifbare Vorteile gegenüber bewährten Gesellschaftsstrukturen aufzeigen lassen.30 Eine erste SE-Gründung nach deutschem Recht wird unter dessen bereits vollzogen: Auf dem Weg der Verschmelzung soll die italienische Riunione Adriatica di Sicurtà S. p. A. (RAS) auf die Allianz AG zur Allianz SE verschmolzen werden. Der Verschmelzungsbericht dieser Transaktion liefert erste praktische Hinweise auf die mit der SE-Gründung verbundenen Motivationen und Ziele. Nach einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 28. Dezember 2004 anlässlich des Erlasses des SEEG wird „ein großer Vorteil der SE als [Rechtssubjekt mit] europäischer Rechtsform“ darin erblickt, „dass sie jederzeit und einfach Landesgrenzen überwinden kann. Der Sitz einer SE kann nach den Regelungen der SE-VO identitätswahrend in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden.“ Auch wenn die unproblematische Sitzverlegung der SE innerhalb der europäischen Gemeinschaft einen aufzeigenswerten Reiz der neuen Gesellschaftsform darstellen mag,31 ist dies für Wissenschaft und Praxis sicherlich ein eher unwesentlicher Vorteil. Schon die Neigung von Unternehmen, ihren Satzungssitz regelmäßig in andere Mitgliedstaaten zu verlegen, ist kaum auszumachen, denn sie wäre mit kaum verhältnismäßigem administrativem Aufwand verbunden. Darüber hinaus ist die jüngere Rechtsprechung des EuGH zu beachten: Nachdem er jüngst in seinen Urteilen Centros32, Überseering33 und Inspire Art34 die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG in der europäischen Gemein27
Hirte, DStR 2005, 653 (655). Vgl. nur Kallmeyer, ZIP 2003, 1531; Lutter, BB 2002, 1 ff. oder Neye, Die Europa AG, S. 67. 29 Kübler, FS für Raiser, S. 247, 248: „Mit [. . .] [der SE] tritt vielmehr eine Figur auf die Bühne des Unternehmensrechts, deren Facettenreichtum und Ambivalenz signifikant von den traditionellen Regelungsmustern des Gesellschaftsrechts abweicht“. 30 So schon Ulmer in: Probleme moderner Unternehmensführung 1972, S. 259, 266. 31 So auch Blanquet, Die Europa AG, S. 30. 32 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 ff. 33 EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 ff. 28
II. Anreize zur Gründung einer SE
19
schaft hinsichtlich der Verlegung des Verwaltungssitzes substanziell gestärkt hat,35 ist gerade die gesteigerte Mobilität im europäischen Rechtsraum kein Alleinstellungsmerkmal der SE mehr. Mittlerweile36 kann die SE auch die Möglichkeit grenzüberschreitender Verschmelzungen nicht mehr allein für sich in Anspruch nehmen, denn der EG-Gesetzgeber hat für andere Gesellschaftsformen nachgebessert und die Fusionsrichtlinie erlassen.37 1. Ökonomische Vorteile Wenngleich die Verfügbarkeit der SE als legislatorische Flankierung der richterrechtlich abgesicherten Niederlassungsfreiheit für die etablierten Gesellschaftsformen gelten kann,38 richten sich die zentralen Erwartungen der Unternehmen zumeist auf andere Bereiche: Die Gründung einer SE wird es zukünftig ermöglichen, europaweit mit einer einzigen Gesellschaft mit rechtlich unselbständigen Zweigniederlassungen zu agieren.39 Ein solches Unternehmen kann mit einer einzigen Leitungsspitze ausgestattet werden. Auch bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen können damit an die Stelle der bislang erforderlichen komplexen Leitungsgefüge40 einfachere und deshalb kosteneffizientere Organisationsstrukturen treten.41 Dadurch werden Entscheidungswege verkürzt und die Kosten für die Führung und Überwachung gesenkt.42 Die
34 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 ff. 35 Zur Frage, ob diese Stärkung auf europäischer Ebene gleichzeitig den gefürchteten „Delaware effect“ mit einem „race to the bottom“ des Gesellschaftsrechts in den Mitgliedstaaten auslösen wird Birkmose, A Market for Company Incorporations in the European Union?, 13 Tul. J. Int’l & Comp. L. 55–108 (2005). Gedanken in die entgegengesetzte Richtung, d. h. zum Zusammenwachsen von „common law und civil law“ im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht entwickelt Hopt, ZGR 2000, S. 779 ff. 36 Lange wurde der Vorteil grenzüberschreitender Verschmelzungen einer SE hervorgehoben, vgl. nur Blanquet, Die Europa AG, S. 30 und ebenfalls S. 33. Zweifelnd hingegen Davies, Workers on the Board of the European Company?, 32 Ind. Law J. 75 78 (2003). 37 RiL 2005/56/EG, sie erfasst alle deutschen Kapitalgesellschaften: AG, GmbH und KGaA. 38 So auch Wymeersch in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 62, 66. Kübler, FS für Raiser, S. 247, 257 spricht von einer „legislatorischen Konkretisierung“ des Art. 43 EG durch SE-VO und SE-RiL. 39 Nagel, AuR 2004, 281. Kritisch zu den hierdurch zu erwartenden Effizienzsteigerungen Wymeersch in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 62, 66 ff. 40 Holding-Struktur bzw. abhängige Tochtergesellschaften in Beherrschungsverträgen. 41 Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (9); so auch das ausdrückliche Ziel bei der Gründung der Allianz SE, Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 146. 42 Vgl. den Artikel der FAZ vom 6. Oktober 2004, S. 14 „Auch Unternehmen sind in Europa jetzt mobil“.
20
A. Einführung
Durchsetzung unternehmensweiter Standards bei Kundenbetreuung, Produktangebot oder Service etc. wird durch ein einheitliches Verständnis im Konzern erleichtert.43 Eine einzige Geschäftsführung und europaeinheitliche Berichtssysteme sollen so signifikante Einsparungen bei den Verwaltungs- und Rechtsberatungskosten ermöglichen;44 das Sparpotential wird für alle innerhalb der EU tätige Unternehmen zusammen auf bis zu A 25 Mrd. pro Jahr geschätzt.45 Potentielle Effizienzsteigerungen lassen sich aber auch in anderen Bereichen ausmachen: Durch die weitgehend einheitliche Rechtsstruktur der SE in ganz Europa wird es gegenüber den bisher bestehenden Möglichkeiten künftig stark vereinfacht, vorhandene Beteiligungen an Tochtergesellschaften konzernintern umzuhängen und so zusammenzuführen.46 Auf diese Weise besteht die Chance, unliebsame Konglomerate von Gesellschaften und Beteiligungen neu zu strukturieren,47 wodurch die Kosten für Rechnungslegung und Hauptversammlung der zahlreichen Tochtergesellschaften entschieden minimiert werden können.48 Hierzu heißt es z. B. im Verschmelzungsbericht der Allianz AG: „Die Neuzuordnung der europäischen Versicherungstöchter der RAS zur Allianz ermöglicht ein effizienteres Kapital- und Liquiditätsmanagement innerhalb der Allianz Gruppe und führt aus administrativer Sicht zu wesentlich vereinfachten Rechnungslegungs- und Berichtsprozessen.“49
So sollte es möglich sein, die Aktionärskreise in den Tochtergesellschaften zu vereinheitlichen und voneinander abweichende Aktionärsgruppen mit unterschiedlichen Interessen zu vermeiden.50 Überhaupt wird die vollständige Integration der beteiligten Gesellschaften sowie ihrer Aktionärskreise auch bei
43
So Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 143. Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 153 und 156 f.; Hirte, DStR 2005, 653 (655). Vgl. auch den Artikel der FTD Deutschland vom 13. September 2005, S. 20 „Europa AG lockt nur wenige Firmen“. 45 So die Schätzung von C. A. Ciampi, Vorsitzender des Rates für Wettbewerbsfähigkeit zitiert nach Monti, WM 1997, 607. Kritisch zu dieser Schätzung Schäfer, NZG 2004, 785 (789). Eine andere Zahl findet sich bei Wymeersch in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 62, 64, der davon berichtet, dass für Gesellschaften Einsparungen i. H. v. 3–5% des Umsatzes geschätzt wurden. 46 Dies illustriert deutlich die erste deutsche SE-Gründung durch Verschmelzung der Allianz AG mit der italienischen RAS. Siehe hierzu Anlage 1 aus der Präsentation zur ordentlichen Hauptversammlung der Allianz AG. 47 Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 32. So auch das ausdrückliche Ziel bei der Gründung der Allianz SE, Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 143 f. Vgl. ebenso den Leitartikel der FTD vom 12. September 2005, S. 1 „Allianz baut Konzern radikal um“. 48 Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (9); Wymeersch in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 62, 64. 49 Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 146. 50 Vgl. den Artikel der FAZ vom 6. Oktober 2004, S. 14 „Auch Unternehmen sind in Europa jetzt mobil“. 44
II. Anreize zur Gründung einer SE
21
grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen erreicht.51 Auch dies verspricht eine effizientere, denn weniger konfliktgeladene Leitung des Unternehmens. Die ermöglichte Einsparung an Transaktionskosten, die resultierende Erhöhung der Effizienz im Unternehmen und schließlich die daraus folgende verbesserte Transparenz52 für Anleger und Investoren können als wesentliche Anreize für SE-Gründungen benannt werden. Dies stellt auch der Verschmelzungsbericht der Allianz AG deutlich heraus: „Diese Entwicklungen [dass führende Marktpositionen durch global aufgestellte Wettbewerber besetzt sind] und der wachsende Wettbewerbsdruck fordern deshalb die Etablierung nicht nur regionaler, sondern europaweiter, effizienter und flexibler Strukturen in den Bereichen Produktentwicklung, Schadensabwicklung, Vertrieb, Kapitalanlage und Kapitalmanagement, um die Profitabilität nachhaltig zu sichern.“53
Da es mit der SE möglich sein wird, Konzernstrukturen54 zu straffen, d. h. Gesellschaften in eine SE zusammenzuführen, werden auch steuerliche Vorteile für eine solche Gesellschaft greifbar: Ein grenzüberschreitender Verlust- bzw. Gewinnübertrag zwischen verschiedenen Gesellschaften war bislang kaum möglich.55 Da die SE hingegen eine transnational operierende Gesellschaft ist, wird eine solche steuerliche Verrechenbarkeit unterschiedlicher Ergebnisse bei ihr zukünftig möglich sein.56 Bei strategischen Gründungsüberlegungen spielt aber auch eine andere, sich für die etablierten Gesellschaftsformen stellende Hürde eine wichtige Rolle: Mit der SE kann es vermieden werden, die grenzüberschreitend nur schwer lösbare Frage nach der Qualifikation von Gewinnausschüttungen an ausländische Muttergesellschaften aufzuwerfen. Die hier vorzunehmende Festlegung korrekter Konzernverrechnungspreise ließe sich ebenfalls umgehen.57 Als effizienzfördernd erachtet man auch die Möglichkeit der Wahl einer passenden Corporate Governance. Dies gilt zum einen für das dualistische System. In der SE wird es möglich sein, die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder unter die aus Deutschland bekannte gesetzliche Anzahl abzusenken.58 Zum anderen sieht 51
Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 153. Zu allen drei Teilaspekten Hopt, ZIP 1998, 96 (99); zur Transparenz auch Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (10). 53 Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 141. 54 Zu Fragen des Konzernrechts bei der SE Brandi, NZG 2003, 889 ff. und Maul, ZGR 2003, 743 ff. 55 Eine Ausnahme hierzu bildeten in engen Grenzen Frankreich und Dänemark, vgl. Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 34. 56 Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 34. Zu weiteren steuerrechtlichen Erwägungen vgl. Craig et al., The European Company is born, 15 Int’l Tax Rev. 28–31 (2004). Einzelheiten zur Rechnungslegung bei der SE erläutert Wenz, BC 2004, 77 ff. 57 Hirte, DStR 2005, 653 (655). 58 Dies ist einer der Motivationsgründe bei der Gründung der Allianz SE, vgl. Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 147. 52
22
A. Einführung
die SE eine monistische Unternehmensverfassung vor.59 Ihr wird oftmals ein verbesserter Informationsfluss zugesprochen,60 als es die Erfahrung mit dem aus Deutschland bekannten dualistischen System zeigt.61 Die so auch für deutsche Unternehmer geschaffene Möglichkeit, den „Chief Excutive and Chairman of the Board“ an die Spitze eines Unternehmens zu stellen,62 wird von vielen Stimmen als „größte Innovation“63 bzw. „das eigentlich Revolutionäre“64 an der Einführung der SE begrüßt.65 Für kleine und mittelständische Unternehmen, die noch unter der Schwelle zur Drittelbeteiligung66 bzw. paritätischen Mitbestimmung67 liegen, hat die Rechtsform der SE einen Charme völlig anderer Gestalt: Durch die formwechselnde Umwandlung in eine SE kann das in dem Unternehmen geltende Mitbestimmungsniveau auf dem Stand eingefroren werden, in dem es sich bei der Umwandlung befindet.68 Reizvoll kann dies sein, weil so der status quo ante auch in Zukunft beibehalten werden kann, selbst wenn durch Neueinstellungen in Zukunft die Mitarbeiterzahl über die gesetzlichen Schwellenwerte von DrittelbG oder MitbestG steigt. Zwar können nach § 18 III SEBG Anpassungen erforderlich werden, sofern „strukturelle Änderungen der SE geplant sind, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“.69 Allerdings 59 Ein Vergleich beider Corporate Governance Systeme findet sich bei Scherer, Leitungssysteme, S. 47 ff. 60 Statt vieler Teichmann, BB 2004, 53 (54) m.w. N.; jüngst auch – teilweise kritisch – Scherer, Leitungssysteme, S. 106 ff. und 126. 61 So ergab eine Studie von Deloitte Consulting, durchgeführt bei den zum 31. Juli 2003 an DAX, MDAX und TECDAX notierten Unternehmen: „Positiv anzumerken ist, dass sich die Quantität der verfügbaren Informationen verbessert hat. Neben der Information durch Vorstand und Abschlussprüfer erfolgt ein unmittelbarer Zugriff auf das Informationssystem des Unternehmens jedoch lediglich in 16% der befragten Gesellschaften, externe Berater werden sogar nur in 4% hinzugezogen. Dies zeigt die weiterhin starke Abhängigkeit der Informationsversorgung vom Vorstand.“ Deloitte Consulting, Entwicklung Aufsichtsratspraxis in Deutschland, Studie 2004, abrufbar unter http://www.deloitte.com/dtt/press_release/0,1014,sid%253D6272%2526cid%253D 43410,00.html (Stand: 10. Februar 2007). 62 Zu der möglichen Umsetzung eines CEO Modells Eder, NZG 2004, 544 ff. 63 Theisen/Hölzl, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2005, S. 298. 64 Neye, Die Europa AG, S. 63, 67. 65 Vorsichtiger Seibt/Wilde in: Handbuch Corporate Governance, S. 377, 396 („mehr eine Akzentverschiebung, denn ein revolutionärer Schritt“). Zur Konvergenz von monistischer und dualistischer Leitungsstruktur Böckli in: Handbuch Corporate Governance, S. 201 ff. und Ferrarini in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 79, 82 ff. 66 Mehr als 500 Arbeitnehmer, vgl. § 1 I DrittelbG. 67 Mehr als 2000 Arbeitnehmer, vgl. § 1 I Nr. 2 MitbestG. 68 So Müller-Bonanni im Handelsblatt vom 9. November 2005, S. 37; ebenso Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (198); Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (283). 69 § 18 III 1 SEBG.
II. Anreize zur Gründung einer SE
23
werden mit guten Argumenten nur korporative Akte von ganz erheblichem Gewicht als „strukturelle Änderungen“ in diesem Sinn angesehen.70 Auch „für schnell wachsende Neugründungen mit EU-Bezug kann die SE durchaus eine attraktive Rechtsform sein.“71 Dass die Rechtsform der SE darüber hinaus gegenwärtig sogar zum ausschlaggebenden Argument für eine Investition werden kann, ergibt sich aus dem Katalog der Gründungsvarianten. Er bietet Unternehmen in Europa erstmals die Möglichkeit, grenzüberschreitend zu verschmelzen.72 Dies zeigt sich am Beispiel der Verschmelzung der RAS auf die Allianz AG zur Allianz SE, der ersten SE-Gründung nach deutschem Recht. Das „Vehikel“ SE ermöglichte es hierbei, eine Transaktion durchzuführen, die für die Beteiligten ökonomisch sonst wenig attraktiv gewesen wäre: Bei der Allianz AG lag die Bestrebung vor, die schon mehrheitlich (55%) gehaltene RAS vollständig zu übernehmen. Da sich die restlichen 45% der Aktien im Streubesitz befanden und die Squeeze-Out Schwelle in Italien bei hohen 98% am Anteilseigentum liegt, wäre es für die Allianz AG erforderlich gewesen, mindestens 43% der RAS-Aktien auf Kapitalmärkten einzukaufen. Auf ein solchermaßen strukturiertes Übernahmeangebot hätte sich die Allianz AG nicht einlassen können, denn Kosten wie auch Erfolgschance dieser Vorgehensweise ließen sich im Vorhinein kaum wirklich prognostizieren. Das Ziel 100%-iger Kontrolle der RAS konnte auch nicht durch die für deutsche Praktiker naheliegende Kombination eines Übernahmeangebotes mit dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages nach Vorbild des § 291 I AktG gesichert werden, denn nach italienischem Gesellschaftsrecht sind solche Beherrschungsverträge unzulässig.73 Die vorgenannten Hindernisse waren damit letztlich ausschlaggebend dafür, eine Transaktionsstruktur im Wege der Verschmelzung der RAS auf die Allianz AG mithilfe des Rechtsträgers SE vorzuziehen. Es lässt sich damit festhalten, dass die Gründung einer SE eine ansonsten unwirtschaftliche Umstrukturierung in bestimmten Konstellationen erst ermöglichen kann.
70
Hierzu Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 ff. Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 221. 72 Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195. Allerdings ist dieser Vorteil der SE nur vorübergehender Natur: Nach EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03, SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I-10808 = NJW 2006, 425 ff. muss Deutschland auch schon vor Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie grenzüberschreitende Verschmelzungen nach UmwG zulassen, das UmwG muss entsprechend angepasst werden. Außerdem wurde bereits die Verschmelzungsrichtlinie 2005/56/EG verabschiedete. Sie ist bis zum 1. Dezember 2007 in nationales Recht zu transformieren. Ab dann steht die grenzüberschreitende Verschmelzung – europarechtlich abgesichert – allen Kapitalgesellschaften offen. 73 Allianz AG Verschmelzungsbericht, S. 147. 71
24
A. Einführung
2. Psychische Vorteile Neben diesen ökonomischen Anreizen verspricht man sich von der SE aber auch psychischen Nutzen im internationalen Wettbewerb. Es wird davon ausgegangen, dass die einheitliche Rechtsform die subjektiven Vorbehalte vermindert, die bei Geschäften mit oder bei der Anstellung in „ausländischen“ Unternehmen teilweise vorliegen.74 Der Rechtsform der SE haftet insofern die prestigeträchtige „Europäische Corporate Identity“75 an, die als Marketing Instrument genutzt werden kann.76 Dieser Aspekt kann Geltung sogar auf den verschiedenen Marktstufen beanspruchen: Sowohl für den Konsumenten als auch für den im Herstellungsprozess z. B. als Zulieferer einbezogenen Unternehmer können subjektive Barrieren abgebaut werden.77 Ergänzend lässt sich die Aussicht formulieren, dass sich auch innerhalb der SE psychische Schlagbäume öffnen lassen, denn die aus nationalen Befindlichkeiten entstehenden Probleme in einem Großkonzern78 sollten nicht unterschätzt werden, wie es – um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen – z. B. bei Airbus in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten war.79 Bei der Integration der verschiedenen nationalen Gesellschaften in die SE erscheint es hingegen möglich, Friktionen bei der Standortwahl wie auch bei der Integration der Arbeitnehmer zu minimieren, denn eine SE besteht nicht aus nationalen, zu einem Konzern verbundenen Rechtssubjekten, sondern ist ein einheitliches, europäisches Gefüge.80 Insbesondere bei dem sensiblen Zusammenschluss von großen oder geschichtsträchtigen Gesellschaften hat die Rechtsform der SE das Potential, die nationale Bindung vergessen zu lassen.81
74 Erwägungsgrund Nr. 3 der SE-VO; so auch Hirte, DStR 2005, 653 (655); Schäfer, NZG 2004, 785 (789); WHSS-Seibt, S. 739, Rn. F 137b; Teichmann, ZGR 2002, 383 (439); ebenfalls schon Ulmer in: Probleme moderner Unternehmensführung 1972, S. 259, 266 f.; vgl. auch den Artikel der FTD Deutschland vom 13. September 2005, S. 20 „Europa AG lockt nur wenige Firmen“; vorsichtiger Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 155 f. („denkbar, aber nicht zwingend“). 75 Wenz, AG 2003, 185 (196). 76 Janssens/van Gerven, The European Company in Belgium, I.C.C.L.R. 22 (2006). 77 Zur Frage eines möglichen – höchstens vorübergehenden – Vertrauensverlustes im Rechtsverkehr durch die Nutzung einer unbekannten Rechtsform Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (9). 78 Vgl. hierzu die Darstellung bei Byttebier/Verroken, Structuring International CoOperations between Enterprises, S. 72 ff. 79 Siehe z. B. „Europäische Chaostage“, Der Spiegel Nr. 41 vom 9. Oktober 2006, S. 90 ff. Zum politischen Gerangel in und um den europäischen Luftfahrtkonzern EADS auch „Politische Logik“, Der Spiegel Nr. 42 vom 16. Oktober 2006, S. 110 ff. 80 Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 31. 81 Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449 (1454); so auch Nagel, DB 2004, 1299 (1303). Zur kritischen Frage der Integration der Arbeitnehmer in „ein neues Ganzes“ und den hier wahrscheinlichen Vorteilen der SE Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (10).
II. Anreize zur Gründung einer SE
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Als Zwischenbilanz kann damit Folgendes gelten: Die Nutzung der supranationalen Gesellschaftsform SE vermag Unternehmen sowohl ökonomische als auch psychische Vorteile gegenüber rein national organisierten Wettbewerbern zu sichern. Eine Vielzahl von Anreizen lässt sich schon jetzt für die noch junge SE benennen. Die Gründungen einer SE birgt für Unternehmer gewaltiges Potential. Erste praktische Erfahrungen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der neuen Rechtsmaterie werden es zu verstehen wissen, diese Vorteile weiter zu systematisieren und die tatsächlichen positiven Auswirkungen genauer zu quantifizieren.
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung Bevor die neuen rechtlichen Regelungen der SE auf ihre europarechtlichen Folgen hin überprüft werden, sollen sie zunächst knapp dargestellt werden, um die erforderliche Diskussionsgrundlage zu legen.
I. Gründungsszenarien für die SE Für die Gründung einer SE1 bieten sich den Unternehmen insgesamt acht verschiedene Varianten. Es handelt sich dabei um sechs Arten der Primärgründung und zwei Wege der Sekundärgründung.2 Die normierten Primärgründungstatbestände umfassen dabei die Verschmelzung, die Gründung einer SE-Holding, die Gründung einer SE als Tochtergesellschaft einer bereits bestehenden Gesellschaft und die rechtsformwechselnde Umwandlung. Darüber hinaus ist die Gründung einer SE-Tochter durch eine Mutter-SE als Sekundärgründung im Wege der Einmanngründung, wie auch als gemeinschaftliche Gründung möglich.3 1. Originäre Primärgründung einer SE Rechtsformwechselnde Umwandlung und Verschmelzung können nach den Vorschriften der SE-VO in nur einer Konstellation vorliegen. Bei der Verschmelzung ist es Voraussetzung nach Art. 2 I SE-VO, dass mindestens zwei der verschmelzenden Gesellschaften nach dem Recht unterschiedlicher Mitgliedstaaten gegründet wurden. Für die rechtsformwechselnde Umwandlung ist schon logisch nur eine Gründungskonstellation vorstellbar. Für die Gründung einer SE-Holding und einer SE-Tochtergesellschaft sind demgegenüber jeweils zwei Konstellationen vorstellbar: Zum einen der Fall der ausschließlich deutschen Beteiligung. Hiermit ist gemeint, dass zwei deutsche Gesellschaften, welche die Gründungsvoraussetzungen4 erfüllen, zusammen eine SE gründen. Die1 Vgl. zu Rechtsfragen der Vor-SE den thesenartigen Überblick bei Schäfer, NZG 2004, 785 (790). 2 Die Varianten der Sekundärgründung werden gelegentlich übersehen. So etwa von Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (6 ff.). 3 Insbesondere diese Form der SE-Gründung wird gerne ignoriert, so z. B. von Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 67 ff.
I. Gründungsszenarien für die SE
27
sen Fall regelt Art. 2 bzw. 3 II lit. b) SE-VO. Zum anderen ist es möglich, dass sich eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft gemeinsam zu einer SEGründung entschließen; Art. 2 bzw. 3 II lit. a) SE-VO erfassen diese zweite Fallgruppe. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die vorgenannten Gründungsvorgänge der Verschmelzung, SE-Holding und Tochter-SE, auch von einer bereits gegründeten SE betrieben werden können,5 denn sie gilt nach Art. 3 I SE-VO als Aktiengesellschaft in Bezug auf die Primärgründungsvarianten.6 Im Ergebnis sind damit sechs verschiedene Szenarien der Primärgründung denkbar. 2. Derivative Sekundärgründung einer SE Neben den primären SE-Gründungsformen sieht Art. 3 II SE-VO die Sekundärgründung vor. Hierbei handelt es sich um eine derivative Entstehungsform der SE im Wege der Ausgründung. Dies bedeutet, die SE überführt eigenes Vermögen auf einen neu gegründeten – anderen – Rechtsträger „SE“ und zeichnet dafür im Gegenzug dessen Anteile.7 Gegenüber anderen Gesellschaftsformen wird die SE damit privilegiert, denn die Ausgründung einer SE ist ihr vorbehalten, während dies den anderen – nationalen – Gesellschaftsformen nicht zugestanden wird.8 Ein zusätzlicher transnationaler Anknüpfungspunkt ist hierbei nicht erforderlich, denn schon die Tatsache, dass eine SE einen SE-Konzern bildet, ist Zeichen genug, vom Vorliegen der SE-typischen Mehrstaatlichkeit auszugehen.9 Zusätzlich kann eine SE auch mit einem Partner eine neue SE gründen. Allerdings gilt für derartige Gründungen nicht Art. 3 II SE-VO, sondern schon Art. 2 III a) SE-VO. Auch Art. 3 I SE-VO geht von dieser Möglichkeit zur Gründung einer SE aus, denn die Norm besagt: „Die SE gilt als Aktiengesellschaft, die zum Zwecke derAnwendung des Artikels 2 Absätze 1, 2 und 3 dem Recht des Sitzmitgliedstaats unterliegt.“
Dass die alleinige und die partnerschaftliche Gründungsmöglichkeit nebeneinander bestehen, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 3 II SE-VO:10 Er stellt 4 Erforderlich ist eine seit mindestens zwei Jahren bestehende und dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung für mindestens zwei der beteiligten Gesellschaften, vgl. Art. 2 II lit. b) SE-VO. 5 MüKoAktG-Oechsler, Art. 3 SE-VO, Rn. 3; NK-SE-Schröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 15. 6 Hierzu B. I. 2. 7 Vgl. zur Spaltung im Allgemeinen K. Schmidt, GesR, S. 394 ff. 8 MüKoAktG-Oechsler, Art. 3 SE-VO, Rn. 4. 9 NK-SE-Schröder, Art. 3 SE-VO, Rn. 17. 10 „Eine SE kann [. . .] Tochtergesellschaften in Form einer SE gründen.“
28
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
– neben Art. 3 I SE-VO – klar, dass die SE „selbst“ eine Tochtergesellschaft in der Rechtsform einer SE gründen kann. Im Übrigen gibt es keinen ersichtlichen Grund einer SE die partnerschaftliche Gründung einer SE als Tochtergesellschaft zu versagen.11 Auch systematisch spricht alles für diese Variante: Art. 2 SE-VO benennt in den Absätzen 1, 2 und 4 ganz genau diejenigen Gesellschaftsformen, die zur Nutzung der speziellen Gründungsvariante zugelassen sind. Hiernach dürfen „Aktiengesellschaften“ nach Art. 2 I SE-VO verschmelzen, aufgrund von Abs. 2 Holding-SE gründen und sich über Abs. 3 umwandeln. „Gesellschaften mit beschränkter Haftung“ dürfen hingegen nach Art. 2 II SE-VO ausdrücklich nur Holding-SE gründen. Art. 2 III SE-VO ist demgegenüber viel allgemeiner gehalten, denn er erfasst alle „Gesellschaften im Sinne des Artikel 48 Absatz 2 des [EG-]Vertrages sowie juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts“.
Diese Generalklausel sticht im Kontext der anderen Gründungstatbestände durch ihre Allgemeinheit besonders hervor. Weshalb gerade die SE von ihr nicht erfasst sein sollte, erschließt sich nicht.12 Auch nach Sinn und Zweck ist der vorgeschlagene Weg über Art. 2 III SEVO und Art. 3 I SE-VO zu wählen: Ließe man die Beteiligung einer anderen Gesellschaft an einer SE-Gründung nach Art. 3 II SE-VO zu, dann müsste man jedenfalls die Einschränkung vornehmen, dass die SE bei der in Rede stehenden Gemeinschaftsgründung zwingend der dominierende Partner zu sein hat. Andernfalls wäre das allein der SE zugestandene direkte Ausgründungsrecht in der Rechtsform einer SE allzu leicht für alle anderen Gesellschaften umgehbar. Erwähnenswert erscheint schließlich, dass in diesen Fällen beim nationalen Gründungspartner ausnahmslos auf zusätzliche Anforderungen wie ausländischer Zweigniederlassung bzw. Tochtergesellschaft verzichtet werden kann, denn das Erfordernis der Mehrstaatlichkeit ist jeweils bereits durch die Beteiligung der SE gewährleistet.13 Die Erkenntnis, dass die Sekundärgründung als zusätzliche, besondere Möglichkeit neben die Primärgründung tritt, hat schließlich Indizwirkung für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen der §§ 35 ff. SEBG auf die Einmanngründung.14 Da die derivative SE-Gründung als vereinfachender Sonderfall neben die weiterhin bestehende Möglichkeit der Primärgründung tritt, liegt der Schluss nahe, auch die mitbestimmungsrechtliche Ausgestaltung der Einmanngründung auf gleiche Weise vorzunehmen, wie es bei den Primärgründungsvarianten geschehen ist. Denn sieht man in der Sekundär-
11 12 13 14
Hiervon geht implizit auch aus MüKoAktG-Oechsler, Art. 3 SE-VO, Rn. 1. So auch SE-VO-Schwarz, Art. 2 SE-VO, Rn. 79 und insb. 84. So auch Scheifele, Die Gründung der SE, S. 435 f. Siehe dazu B. II. 3. a) bb).
I. Gründungsszenarien für die SE Gründungsszenario
29
SE-VO
SEAG*
1.
Verschmelzung einer deutschen und einer ausländischen Aktiengesellschaft zu einer SE
Art. 2 I
§ 5 ff.
2.
Gründung einer SE-Holding für eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 II a)
§ 9 ff.
3.
Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
Art. 2 II b)
§ 9 ff.
4.
Gründung einer SE als Tochter durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 III a)
–
5.
Gründung einer SE als Tochter durch zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
Art. 2 III b)
–
6.
rechtsformwechselnde Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft (die seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat) in eine SE
Art. 2 IV
–
7.
Einmanngründung einer Tochter-SE durch eine Mutter-SE
Art. 3 II
–
8.
Gründung einer SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
Art. 2 III a)
–
* Die Gründungsszenarien 4.–8. sind im SEAG nicht umgesetzt worden. Insofern gelten die SE-VO Vorschriften direkt. Dies ergibt sich aus Art. 249 II EG. Auch § 1 SEAG greift diesen Gedanken auf: „Soweit nicht die [SE]-Verordnung [. . .] gilt [. . .] sind die folgenden Vorschriften anzuwenden.“ Anmerkung: Zur besseren Übersichtlichkeit der vielen Gründungsszenarien soll die in Abbildung 2 vorgenommene Nummerierung in der gesamten Darstellung beibehalten werden.
Abbildung 2: Gründungsszenarien der SE nach SE-VO und SEAG
30
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
gründung nach Art. 3 II SE-VO eine Vereinfachung allein der formalen Anforderungen an die Gründung einer SE, hat diese Begünstigung gerade keine Aussagekraft für die von der Gründung inhaltlich zu trennenden Mitbestimmungsfragen. Die Sekundärgründung ist damit in zwei Szenarien vorstellbar: Als Einmanngründung ebenso wie als gemeinschaftliche Gründung von SE und nationaler Gesellschaft. 3. Zusammenfassung und Übersicht Im Ergebnis sind acht verschiedene Gründungsszenarien für die SE vorstellbar. Der besseren Übersicht halber sollen diese Szenarien in der Matrix auf Seite 29 dargestellt werden, wobei jedem einzelnen die entsprechenden Normen zugeordnet werden. Es handelt sich dabei um die Vorschrift aus der SE-VO hinsichtlich der Gründung einer SE und die deutsche Umsetzungsregelung aus dem SEAG, sofern diese vorhanden ist.
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE 1. Zugrunde gelegte Mitbestimmungsmodelle Als Voraussetzung für das richtige Verständnis der Vorschriften zur Mitbestimmung in der SE ist zunächst zu klären, was EU- und Bundes-Gesetzgeber meinen, wenn sie von „Mitbestimmung“ sprechen. In der SE-RiL hat man sich dazu in gewohnter Weise einer Definition des Begriffs bedient;15 das SEBG hat diese Definition mit einer vernachlässigbaren Ausnahme16 übernommen. Mitbestimmung wird in Art. 2 lit. k SE-RiL bzw. § 2 XII SEBG definiert als „die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch – die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen, oder – die Wahrnehmung des Rechts, die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen [und/] oder abzulehnen.“
Diese Vorschrift verdeutlicht das besondere Anliegen des europäischen Gesetzgebers, der „bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesell15 Diese Form der Gesetzgebung ist im Deutschen Rechtsraum relativ neu und ganz maßgeblich vom Europäischen bzw. Amerikanischen Recht beeinflusst. Vgl. hierzu Wiegand, Liber Amicorum Buxbaum, S. 601 ff. 16 Im SEBG heißt es im zweiten Spiegelstrich des § 2 XII nicht „zu empfehlen und/oder abzulehnen“, sondern nur „zu empfehlen oder abzulehnen“. Inhaltlich ändert dies an der Regelung jedoch nichts.
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
31
schaften“17 Rechnung zu tragen, denn die Definition setzt die zwei in Europa bekannten Modelle der Mitbestimmung gleich.18 Es handelt sich dabei im ersten Spiegelstrich um das u. a. in Deutschland bekannte Repräsentationsmodell19 und im zweiten Spiegelstrich um das vormals z. B. in den Niederlanden20 genutzte Kooptationsmodell.21 Kapitalbeteiligung22 oder politische Teilhabe,23 welche in manchen EU-Mitgliedstaaten als weitere Formen der Mitbestimmung verstanden werden, hat der Richtliniengeber ausgespart.24 In der Grundkonzeption unterscheiden sich die gewählten Mitbestimmungsmodelle erheblich. Nach dem Repräsentationsmodell bestimmen die Arbeitnehmer in eigener „Regie“ einen Teil der Mitglieder des Kontrollorgans der Gesellschaft. Demgemäß gewählte Arbeitnehmervertreter sollen bei ihrer Arbeit im Kontrollorgan mit den Anteilseignervertretern kooperieren.25 Einen anderen Ansatz verfolgt hingegen das Kooptationsmodell. Die Beteiligung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene wird hier sichergestellt, indem Arbeitnehmervertre-
17
Erwägungsgrund 5 der SE-RiL. A. A. wohl Grobys, NZA 2005, 84 (88), der davon ausgeht, dass trotz des missverständlichen Wortlautes mit der Vorschrift allein das deutsche Modell der proportionalen Arbeitnehmerbeteiligung gemeint sei. Hierbei kann es sich nur um ein Versehen handeln, denn Wortlaut wie auch Zweck der Vorschriften – wie auch derjenige des Teils 3 auf den Gorbys ebenfalls rekurriert – belegen klar das Gegenteil. 19 Vgl. MüKoAktG-Jacobs, § 2 SEBG, Rn. 21. 20 Zum 1. Oktober 2004 trat insofern eine Gesetzesänderung ein, nach der nicht mehr kooptiert wird, sondern die Aktionärsversammlung die Mitglieder des Aufsichtsorgans bestellt. Die Arbeitnehmer haben das Recht, ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsorgans zu nominieren. Dazu Timmerman/Spanjaard in: Co-Determination in the EU, S. 75, 92 f. 21 Hierzu Klinkerhammer/Welslau, Mitbestimmung in Deutschland und Europa, Rn. 670 f.; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 138 f. 22 In Frankreich z. B. wird die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer als Form der Mitbestimmung verstanden, vgl. dazu Wagner, Wirtschaftliche Arbeitnehmermitbestimmung, S. 29. Auch deutsche Führungskräfte begrüßen es, aus Lohnempfängern auch Teilhaber ihrer Unternehmen zu machen, so z. B. „Manager für Mitarbeiterbeteiligung“, Handelsblatt Nr. 26 vom 26. Februar 2006, S. 4. 23 Belgien, Italien, die Niederlande und Frankreich z. B. sehen institutionalisierte Formen der Mitbestimmung vor, indem Vertreter der Sozialpartner die Regierung beraten aber auch Entscheidungsrechte in bestimmten Konfliktfällen haben. Die hierfür gebildeten Wirtschafts- und Sozialräte bestehen in der Regel aus Unternehmensvertretern der verschiedenen Wirtschaftsbereiche, Gewerkschaftsdelegierten und anderen Experten. Vgl. dazu Hondrich, Mitbestimmung in Europa, S. 38 ff. 24 Zu neuen Ansätzen unternehmerischer Mitbestimmung bei In- und Auslandsgesellschaften Zimmer in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 365 ff. Zimmer spricht sich wegen der in Bezug auf Auslandsgesellschaften problematischen Verankerung der Unternehmensmitbestimmung in Gesellschaftsorganen für eine „Verbetrieblichung“ der Mitbestimmung aus, sofern sie sowohl auf betriebliche wie auch unternehmerische Entscheidungen gerichtet ist. 25 Sehr deutlich dazu BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (371 ff.) = NJW 1979, 699 (700). 18
32
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
ter wie auch Anteilseignervertreter Kandidaten für die Wahl in das Kontrollorgan der Gesellschaft vorschlagen und die Ernennung der neuen Aufsichtsräte nicht gegen den Einspruch der jeweils anderen Seite erfolgen kann.26 Für den Fall des Einspruchs gegen einen Kandidaten ist ein kompliziertes Procedere vor kompetenter Stelle27 vorgesehen, um die Differenzen beizulegen.28 Scheidet ein Organmitglied aus dem Gremium aus, wählen die verbleibenden Gremiumsmitglieder den Nachfolger gemeinschaftlich und eigenverantwortlich. Auch wenn die Vergleichbarkeit beider Systeme gewisse Schwierigkeiten bereitet,29 wurden sie für das Anliegen der Mitbestimmung in der SE von SE-RiL und SEBG für absolut gleichwertig befunden.30 Reichert/Brandes haben ausführlich dargelegt, dass sich trotz dieser Gleichsetzung einige praktische Probleme bei der Behandlung etwa der Frage „liegt eine Verminderung des Mitbestimmungsstandards vor oder nicht?“ ergeben.31 Drängen werden diese Probleme einstweilen jedoch nicht, denn nachdem die Niederlande ihr Kooptationsmodell durch eine neue Form der Mitbestimmung ersetzt haben,32 nutzt gegenwärtig kein Mitgliedstaat der EU ein Mitbestimmungsmodell, das auf Kooptation aufbaut.33 2. Vorrang der Verhandlungslösung Um das Mitbestimmungsregime in der SE für die speziellen Bedürfnisse von ganz unterschiedlichen Unternehmen anpassungsfähig und flexibel zu gestalten, hat sich der europäische Gesetzgeber dazu entschieden, den Sozialpartnern zunächst die Suche nach einer Vereinbarung auf dem Verhandlungsweg aufzuerlegen.34 Hierdurch hält die Privatautonomie Einzug in die bislang streng reglementierte Materie der unternehmerischen Mitbestimmung.35 Die so ermöglichte Verhandlungslösung hat ihr Vorbild in der Richtlinie über Europäische Betriebs26 Zu Einzelheiten des Kooptationssystems, welches in den Niederlanden bis zum 30. September 2004 galt, vgl. Huizinga/Meinema, The European Company – all over Europe, S. 200, 239 ff. 27 Etwa einer Kammer des Zivilgerichts, wie im Fall der Niederlande der „college van beroep voor het bedrijfsleven“, der Kammer für Fragen des Gesellschaftsrechts am Amsterdamer Berufungsgericht. 28 Vgl. Huizinga/Meinema, The European Company – all over Europe, S. 200, 240. 29 Zum Vergleich der beiden Mitbestimmungsmodelle siehe die Darstellung bei Figge, Mitbestimmung in Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaften, S. 132 ff. 30 A. A. offenbar Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 693 f. 31 Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (788 ff.). 32 Siehe Fußnote 26 soeben. 33 MüKoAktG-Jacobs, § 2 SEBG, Rn. 21. 34 Zu den Grenzen der Verhandlungsautonomie durch die Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers Oetker, ZIP 2006, 1113 (1117 ff.). 35 Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 (2525).
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
33
räte,36 wenngleich beide Regelungen im Detail ganz erhebliche Unterschiede aufweisen.37 Zur Verhandlungslösung bei der SE heißt es in Erwägungsgrund 8 der SE-RiL: „Die konkreten Verfahren der [. . .] Mitbestimmung, die für die einzelnen SE gelten, sollten vorrangig durch eine Vereinbarung zwischen den betroffenen Parteien [. . .] festgelegt werden.“
In den Artt. 3–6 SE-RiL sind die Grundsätze des Verhandlungsverfahrens in den §§ 4 ff. SEBG entsprechend die Details ausformuliert. Als wesentliche Eckpunkte seien hier nur die Folgenden herausgegriffen: Von den Arbeitnehmern ist ein besonderes Verhandlungsgremium (im Folgenden bVG) zu bilden,38 welches als ihre Vertretung mit dem oder den Leitungs- bzw. Verwaltungsorganen der beteiligten Gründungsgesellschaften über die Mitbestimmung verhandelt. Das bVG wird in einem komplizierten39 Wahlverfahren zusammengestellt.40 Schwierig und komplex ist dieser Vorgang insbesondere dann, wenn die Gründungsgesellschaften eine Vielzahl von Tochtergesellschaften haben, denn prinzipiell sollen alle Teilbelegschaften im bVG vertreten sein,41 d. h. einen Repräsentanten in dieses entsenden. Nach der Konkretisierung im SEBG haben unter bestimmten Voraussetzungen auch Gewerkschaften42 und leitende Angestellte43 das Recht, ihre Vertreter in das bVG zu entsenden. Die Verhandlungen selbst können bis zu sechs Monate dauern, einvernehmlich können sich bVG und Anteilseigner sogar auf eine Verlängerung um weitere sechs Monate einigen.44 Ergänzend scheint es in diesem Zusammenhang sinnvoll, auf Art. 12 II SE-VO hinzuweisen.45 Er ist insofern relevant, als nach dieser Vorschrift die Durchführung des Verhandlungsverfahrens eine Eintra36 Richtlinie 94/95/EG vom 22. September 1994 in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 28. Oktober 1996, BGBl. I, S. 1548. 37 Vgl. hierzu C. II. 1. b) ff). 38 Vgl. Art. 3 II SE-RiL bzw. § 4 I SEBG. 39 Sogar auf das aus der Verteilung von Parlamentssitzen oder ähnlich wichtigen Wahlen bekannte d’Hondtsche Höchstzahlenverfahren – vgl. z. B. § 4 BVerslG – konnte aufgrund der möglichen Komplexität der Sitzverteilung im bVG nicht verzichtet werden, vgl. § 7 IV SEBG. 40 Ausführlich zur Zusammensetzung des bVG Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 124 ff. 41 Vgl. Art. 4 II lit. b) SE-RiL. 42 Vgl. § 6 II SEBG, sofern mehr als zwei Sitze im bVG auf Mitglieder aus Deutschland entfallen, ist jedes dritte Mitglied ein Gewerkschaftsvertreter einer im Konzern vertretenen Gewerkschaft. 43 Vgl. § 6 III SEBG, sofern mehr als zwei Sitze im bVG auf Mitglieder aus Deutschland entfallen, ist mindestens jedes siebte Mitglied ein leitender Angestellter. 44 Vgl. Art. 5 I und II SE-RiL bzw. § 20 I und II SEBG. 45 Diese Norm erlangt in Deutschland mangels Umsetzung auch unmittelbare Geltung, vgl. Art. 249 II EGV. Hieraus ergibt sich auch die Prüfungspflicht für das Registergericht.
34
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
gungsvoraussetzung der SE darstellt.46 Dass dieser Grundsatz streng gehandhabt wird, machen die ersten deutschen Urteile zu diesem Problemkreis deutlich: Auch zur Gründung einer arbeitnehmerlosen SE muss nach den Urteilen des AG Hamburg vom 28. Juni 200547 und des LG Hamburg vom 30. September 200548 das mitbestimmungsrechtliche Beteiligungsverfahren durchlaufen worden sein, bevor die SE im Handelsregister eingetragen werden darf,49 d. h. die Gründung wirksam wird. Erzielen bVG und die Leitungs- oder Verwaltungsorgane eine Einigung über die Mitbestimmungsregelung der zu gründenden SE, so ist diese schriftlich niederzulegen und gilt in der Folge entsprechend der getroffenen Übereinkunft.50 3. Auffangregelung bei Nichteinigung a) Eingreifen der Auffangregelung Während der Verhandlungen über die SE auf Ebene des europäischen Gesetzgebers befürchteten einige Mitgliedstaaten – insbesondere Deutschland51 – eine Umgehung des bei ihnen herrschenden Mitbestimmungsregimes durch die neue Gesellschaftsform.52 Neben der Möglichkeit, die Mitbestimmungsregelungen im Unternehmen im Einverständnis mit der Belegschaft zu flexibilisieren, war es das wichtigste Anliegen des Gemeinschaftsgesetzgebers, „dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung beteiligten Gesellschaften herrschen.“53 Nach Erwägungsgrund 18 der SE-RiL ist „[d]ie Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen [. . .] fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel dieser Richtlinie. Die vor der Gründung von SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer sollten daher Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE [. . .] sein.“ 46
Eingehend hierzu Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, S. 95, 102 ff. Az. 66 AR 76/05, ZIP 2005, 2017. 48 Az. 417 T 15/05, ZIP 2005, 2017. 49 Mit Anmerkungen zu beiden Urteilen Seibt, ZIP 2005, 2248 ff. Eine entschieden ablehnende Anmerkung findet sich bei Reinhard, RIW 2006, 68 ff. Zur Frage der Zulässigkeit von Vorratsgründungen in der Rechtsform der SE Blanke, ZIP 2006, 789 ff. 50 Hierbei ist der Katalog von formalen Anforderungen nach Art. 4 II SE-RiL bzw. § 21 SEBG zu beachten. 51 Kellerhals/Trüten, The Creation of the European Company, 17 Tul. Eur. & Civ. L. F. 71 76 (2002). 52 Vgl. etwa Blanquet, ZGR 2002, 20 (27); Klovenbach, EuZW 1996, 229 ff.; Lutter, BB 2002, 1; von Maydell, AG 1990, 442 (445 f.). Siehe hierzu auch den Diskussionsbericht zum Vortrag Marcus Lutters auf dem Bonner Symposium zur europäischen Aktiengesellschaft vom 18. Juli 1990, abgedruckt in AG 1990, 421. 53 Erwägungsgrund 3 der SE-RiL. 47
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
35
Die Richtlinie selbst gibt diesem Grundsatz den Namen Vorher-NachherPrinzip.54 Auch wenn es im Einzelfall einige Schwierigkeiten bereitet, „Vorher“ und „Nachher“ quantitativ, insbesondere aber qualitativ eindeutig zu bestimmen,55 ist das Vorher-Nachher-Prinzip als die zentrale Weichenstellung der Auffangregelung anzusehen: Die relevante nationale Mitbestimmungsregelung, die vor Gründung der SE galt, soll nach Gründung der SE im Grundsatz erhalten bleiben. Zu diesem Zweck ordnet die Auffangregelung in näher bestimmten Fällen eine Mitbestimmung kraft Gesetzes für die SE an. Grundsätzliche Voraussetzung für das Eingreifen der nationalen Auffangregelung ist nach Art. 7 I SE-RiL bzw. § 34 I i.V. m. § 22 I SEBG, dass die Verhandlungen zwischen Leitungs- bzw. Verwaltungsorganen und bVG bis zum Ablauf der Jahresfrist scheitern, die Gründungsgesellschaften ungeachtet dessen weiterhin an der SE-Gründung festhalten56 und das bVG in der Vergangenheit nicht den – praktisch kaum vorstellbaren – Beschluss gefasst hatte, mit den Anteilseignern nicht zu verhandeln bzw. die Verhandlungen abzubrechen. aa) Originäre Primärgründung einer SE Über die allgemeinen Voraussetzungen hinaus werden für die verschiedenen Gründungsvarianten in Art. 7 II lit. a)–c) SE-RiL bzw. § 34 I Nr. 1–3 SEBG weitere Voraussetzungen für das Eingreifen der nationalen Auffangregelung bestimmt. Für den Fall einer Verschmelzung (1.) gilt Art. 7 lit. b) SE-RiL bzw. § 34 I Nr. 2 a) oder b). Hiernach erstreckt sich die nationale Mitbestimmungsregelung im Gewand der Auffangregelung auf die ganze SE, sofern sie schon bislang für mindestens 25% der Arbeitnehmer der zukünftigen SE galt oder – wird dieser Schwellenwert nicht erreicht – das bVG den Beschluss zur Anwendung der Auffangregelung fasst. Die Anwendbarkeit der Auffangregelung ist für die Gründungsszenarien SEHolding (2. und 3.) und SE-Tochter (4. und 5.) in Art. 7 lit. c) SE-RiL bzw. § 34 I Nr. 3 a) oder b) SEBG nahezu identisch ausgestaltet.57 Im Unterschied zur vorstehenden Regelung ist der Schwellenwert hier jedoch bei 50% der zu-
54
Erwägungsgrund 18 der SE-RiL. Vgl. dazu Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (775 ff.). 56 Ob diese Anforderung der SE-RiL ausdrücklich normierungsbedürftig war, scheint zweifelhaft, denn sie ist schlicht logische Voraussetzung für ein Eingreifen der Auffangregelung: Wenn sich die Gründungspartner nach Scheitern der Verhandlungen entscheiden, die SE-Gründung abzubrechen, dann stellen sich im Anschluss daran für sie Fragen nach der Mitbestimmung in einer nicht zur Entstehung gelangten Gesellschaft nicht. Erfreulicherweise verzichtet § 22 SEBG auf diese überflüssige Voraussetzung. 57 MüKoAktG-Jacobs, § 34 SEBG, Rn. 14. 55
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B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
künftigen Arbeitnehmer angesiedelt. Hinzuweisen ist für diese beiden Gründungsvarianten darüber hinaus noch auf Art. 7 II lit. c) SE-RiL a. E. bzw. auf die Umsetzungsnorm des § 34 II SEBG. Diese Vorschrift begründet ein Wahlrecht des bVG hinsichtlich des anzuwendenden Mitbestimmungsmodells – Repräsentations- oder Kooptationsmodell – für den Fall, dass in den gründenden Gesellschaften unterschiedliche Formen der Mitbestimmung galten. Falls das bVG sein Wahlrecht nicht wahrnimmt, gilt nach dem SEBG bei Beteiligung einer deutschen Gesellschaft an der Gründung „die Mitbestimmung nach § 2 XII Nr. 1 [SEBG]“, d. h. das Repräsentationsmodell. Vor dem Hintergrund der jüngsten Gesetzesänderungen in den Niederlanden hat die Vorschrift einstweilen nur noch theoretischen Charakter.58 Für den Fall der rechtsformwechselnden Umwandlung (6.) bleibt die schon bislang im Unternehmen geltende Mitbestimmungsregelung ohne Änderung und ohne die Hürde eines Schwellenwertes erhalten, Art. 7 II lit. a) SE-RiL bzw. § 34 I Nr. 1 SEBG. Hierbei handelt es sich um die Umsetzung des „VorherNachher-Prinzips in Reinform“.59 bb) Derivative Sekundärgründung einer SE Ohne besonderen Begründungsaufwand ist die Auffangregelung anwendbar für das Gründungsszenario 8., der Gründung einer SE als Tochtergesellschaft durch eine SE und einen weiteren nationalen Partner. Es handelt sich strukturell bei dieser Gründungsvariante um einen Unterfall einer der Primärgründungen,60 so dass auch die Auffangregelung Anwendung zu finden hat. Umstritten ist das Eingreifen der Auffangregelung hingegen für die derivative Sekundargründung einer Tochter-SE (7.) im Wege der Einmanngründung, denn weder die SE-RiL noch das SEBG sehen hierzu explizite Regelungen vor. Ein Teil des Schrifttums61 behandelt dieses SE-Gründungsszenario hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung, d. h. auch das Eingreifen der Auffangregelung, wie die Gründung einer SE-Tochter (4. und 5. bzw. 8.). Die überwiegende Literatur bezieht die Arbeitnehmermitbestimmung bislang ausschließlich auf die Primärgründung einer SE.62 Zumeist ohne ersichtliche Begründung wird also davon ausgegangen, dass diese Form der Sekundärgründung beteiligungsfrei bleibt.63 58 Vgl. zur Veränderung des niederländischen Mitbestimmungssystems bereits Fußnote 26. 59 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 203. 60 Hierzu bereits B. I. 2. 61 Jannott in: Jannott/Frodermann, Kap. 3, Rn. 271 f.; Kienast in: Jannott/Frodermann Kap. 13, Rn. 202, 265; MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 4. In diese Richtung mutmaßt auch Grobys, NZA 2005, 84 (91). 62 Heinze, ZGR 2002, 66 (79); Henssler, FS für Ulmer, S. 192, 197; Herfs-Röttgen, NZA 2001, 424 (425 f.); dies., NZA 2002, 358 (359); MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
37
Folgt man dem klassischen Auslegungskanon, ist zunächst festzuhalten, dass die Einmanngründung nach Art. 3 II SE-VO vom strengen Wortlaut des Art. 7 II lit. c) SE-RiL bzw. § 34 I Nr. 3 a) oder b) SEBG nicht erfasst ist. In beiden Vorschriften ist von „beteiligten Gesellschaften“ im Plural die Rede, während die SE-Gründung nach Art. 3 II SE-VO ohne die Beteiligung eines Partners vonstatten geht.64 In systematischer Auslegung ist auf den Einwand Folgendes zu erwidern: Art. 2 lit. a) SE-RiL definiert die Gesellschaftsform „SE“ als „eine nach der [SE-]Verordnung gegründete Gesellschaft“.
Hierunter fällt auch die Einmanngründung einer SE nach Art. 3 II SE-VO.65 Sie stellt lediglich einen Sonderfall dar, denn in ihr ist eine Privilegierung der SE bei der Gründung von SE-Töchtern zu sehen.66 Allerdings erfasst auch eine Vielzahl von anderen Normen in SE-RiL bzw. SEBG ausdrücklich nur den Fall der SE-Gründung in Gemeinschaft mit einem Partner.67 Ob jedoch die Erkenntnis zutreffend ist, dass zu diesen Vorschriften namentlich der wichtige Art. 3 I SE-RiL gehört,68 ist – jedenfalls mit der vorgebrachten Begründung – zweifelhaft. Das Argument, die Vorschrift spreche von der „Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochtergesellschaft“
und einen solchen Gründungsplan gebe es bei einer Einmanngründung nicht,69 ist eine etwas zu rabulistische Analyse. Zwar ist die Beobachtung nicht von der Hand zu weisen, jedoch könnte für sie uneingeschränkte Gültigkeit nur dann gefordert werden, wenn der Tatbestand im Übrigen frei von Widersprüchen wäre. Dies ist aber gerade nicht der Fall. In seiner Gesamtheit wird im zitierten Satzteil des Art. 3 I SE-RiL nämlich aufgezählt die: „[. . .] Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochtergesellschaft oder zur Umwandlung in eine SE [. . .].“
Hierbei bezieht sich die „Vereinbarung eines Plans“ sowohl auf die „Gründung einer Tochtergesellschaft“ als auch auf die „Umwandlung in eine SE“. Dass jedoch bei der „Umwandlung in eine SE“ ein Plan vereinbart würde,
SEBG, Rn. 11; Krause, BB 2005, 1221; Kraushaar, BB 2003, 1614; Kuffner, Beteiligung der Arbeitnehmer, S. 55 ff.; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (196); Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 283; ders., BB-Special I/ 2005, 2 (4); Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (776 ff.); SE-VO-Schwarz, Einleitung, Rn. 297 ff. 63 MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. 64 MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. 65 So auch MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. 66 Siehe dazu bereits B. I. 2. 67 Z. B. Art. 3 II und IV, Art. 4 I, Art. 7 II lit. c), Anhang Teil 3 lit. b) SE-RiL. Als Auswahl aus dem SEBG: §§ 4 I und II, § 5 I, 34 I Nr. 3 lit. a) und b). 68 So aber MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. 69 MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11.
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B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
scheint ebenso wenig möglich wie bei der sekundären Einmanngründung einer Tochter-SE. Die Umwandlung erfolgt durch die Handlung eines einzigen Rechtssubjekts. Ferner gibt es zwar auch für die Umwandlung einen Plan, relevant ist dieser – im rechtstechnischen Sinne – allerdings nicht. Insofern kommt es einzig auf den Beschluss der Gesellschafter bzw. der Hauptversammlung an. Dieser Akt der Willensbildung wird von der Vorschrift indes auch nicht erwähnt. Dass deswegen die Umwandlung beteiligungsfrei zu bleiben hat vertritt allerdings zu Recht niemand. Diese Ungenauigkeiten sollen genügen, um zu illustrieren, dass man den europäischen Gesetzgeber insofern – leider – nicht wörtlich verstehen und daher aus dem Wortlaut der SE-RiL keine entscheidenden Argumente ableiten kann. Technisch versierter ging der deutsche Gesetzgeber vor. Grobe Schnitzer konnten jedenfalls bei der Umsetzung von Art. 3 SE-RiL in den §§ 4 ff. SEBG vermieden werden. Deutlich wird bei Lektüre des § 4 SEBG allerdings, dass bezüglich der Verpflichtungen gegenüber dem bVG durchgängig von „Leitungen“ die Rede ist. Hier scheint der deutsche Gesetzgeber also von der gemeinschaftlichen Primärgründung auszugehen, auch wenn die Gesetzesmaterialien70 an der einzigen Stelle, an der sie die Einmanngründung überhaupt erwähnen, in eine andere Richtung deuten.71 Dennoch sollte man auch diese Wortwahl nicht überbewerten. Betrachtet man zusammen mit § 4 SEBG die zuvor in § 2 V SEBG erfolgte Legaldefinition der „Leitung“, dann bezeichnet dieser Begriff bereits „[. . .] das Organ der unmittelbar an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften [. . .].“
Nähme man diese Legaldefinition wörtlich, dann würde schon der Begriff „Leitung“ mindestens die Geschäftsführer bzw. Vorstände von zwei Gesellschaften erfassen. Bei der Verwendung der Mehrzahl in Form von „Leitungen“ wären dann also mindestens vier Gesellschaften an der SE-Gründung zu beteiligen. Dies ist augenscheinlich nicht der Fall und ein weiterer Anhaltspunkt gegen spitzfindige Wortlautanalysen. Im Rahmen der teleologische Betrachtung wird vorgebracht, dass Sinn und Zweck von SE-RiL wie auch SEBG eine Anwendung der gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen auf die Einmanngründung nicht erforderten. Bezweckt sei durch die Vorschriften lediglich die Sicherung des vorhandenen Bestandes an Beteiligungsrechten in den an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften 70 Im allgemeinen Vorspann zum SEBG wird als vierte Gründungsform die „Bildung einer Tochter (Tochter-SE) durch [. . .] eine SE selbst“ genannt, BR-Drs. 438/04 S. 102; ähnlich bereits Kleinsorge, RdA 2002, 343 (346 f.) „Eine Tochter-SE kann auch durch Ausgründung aus einer Mutter-SE gebildet werden.“; so auch WHSSSeibt, S. 739, Rn. F 137b. 71 So auch MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11.
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
39
im Sinne des Vorher-Nachher-Prinzips.72 Diese Form der Bestandssicherung sei auf die gegründete SE nicht übertragbar. Tatsächlich erweist sich die Belastbarkeit dieses Arguments jedoch nicht als sonderlich hoch, denn es wird hiermit lediglich eine Unplausibilität des sog. „Vorher-Nachher-Prinzips“ benannt. Diese liegt schlicht darin, dass auch bei der gemeinschaftlichen Gründung einer Tochter-SE (4. und 5. bzw. 8.) das Vorher-Nachher-Prinzip gelten soll. Von einer „Bestandssicherung an Beteiligungsrechten“ kann hier allerdings nicht die Rede sein, denn bei der Gründung einer Tochtergesellschaft wird eine neue juristische Person geschaffen, so dass es zuvor keine Beteiligungsrechte gab, die gesichert werden könnten.73 Daher wird man das „Vorher-Nachher-Prinzip“ zwar als griffige Formel für das Regelungsprinzip benennen, aus der Formulierung selbst aber keine weiteren Schlussfolgerungen ableiten können. Will man das telos der Arbeitnehmerbeteiligung in SE-RiL bzw. SEBG sowohl für die Tochter-SE als auch für die Varianten der Primärgründung einheitlich beschreiben, ist es überzeugender, wie folgt vorzugehen: SE werden regelmäßig sehr große und mächtige Gesellschaften sein. Hier ist die Beteiligung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene sicherzustellen. Als greifbarer Standard soll für den Umfang der Beteiligung das Mitbestimmungsrecht der gründenden Gesellschaften Modell stehen.74 Zwingende Folge dieser einheitlichen Sichtweise ist es, dass eine teleologisch begründete Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärgründung von SE nicht aufrecht erhalten werden kann.75 Vielmehr spricht die teleologische Betrachtung dafür, auch auf die Sekundärgründung die §§ 34 ff. SEBG der gesetzlichen Mitbestimmung anzuwenden.76 Auch die Einordnung der derivativen Sekundärgründung als besondere, zusätzliche Gründungsoption für die bereits bestehende SE spricht für diese Sichtweise.77 Die verbleibende historische Auslegung ist wenig ergiebig, da die deutschen Gesetzesmaterialien die Einmanngründung nach Art. 3 II SE-VO bis auf eine bereits angesprochene Ausnahme nicht aufgreifen. Jene einzige Erwähnung78 deutet dahin, die Einmanngründung der Tochter-SE der partnerschaftlichen Primärgründung einer SE-Tochter gleichzusetzen. Natürlich könnte die Begründung zufällig so formuliert worden sein,79 doch spricht insofern die Beobach72
So MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. Vgl. zu den Neuheiten bei der Anknüpfung von Unternehmensmitbestimmung auch C. III. 1. e) bb). 74 Siehe die Formulierung des Erwägungsgrundes 18 der SE-RiL. 75 So im Ergebnis auch Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 265. 76 So auch Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 202. 77 Siehe hierzu oben B. I. 2. 78 Siehe hierzu Fußnote 70. 79 In diese Richtung MüKoAktG-Jacobs, Vor § 1 SEBG, Rn. 11. 73
40
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
tung, dass an keiner weiteren Stelle der Gesetzesbegründung auf die Einmanngründung zurückgekommen wird, weder für noch gegen die Erstreckung der gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen auf die Einmanngründung nach Art. 3 II SE-VO. Hier stehen sich zwei plausible Erklärungsansätze gegenüber: Entweder es handelt sich um eine vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Gleichsetzung von Primär- und Sekundärgründung oder dem Gesetzgeber ist bei der Begründung ein Fehler unterlaufen – beides vermag gleich gut zu erklären, weshalb die Sekundärgründung nur einmal erwähnt wird. Die historische Auslegung liefert somit im Ergebnis keine entscheidenden Argumente in die eine oder die andere Richtung. Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente für die Anwendung der gesetzlichen Mitbestimmung auf die derivative Einmanngründung der SE nach Art. 3 II SE-VO. Für den deutschen Rechtsraum dürfte das ausschlaggebende Argument in § 1 III SEBG zu finden sein. Nach dieser Auslegungsregel sind die Vorschriften des SEBG so anzuwenden, „dass die Ziele der Europäischen Gemeinschaft, die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE sicherzustellen, gefördert werden“; damit gilt der Grundsatz „in Zweifel für die Mitbestimmung“. Letzte Klärung kann insofern allerdings nur höchstrichterliche Rechtsprechung bringen.80 Es würde jedoch nicht überraschen, wenn die gesetzliche Mitbestimmung auch auf die Einmanngründung „ausgedehnt“ würde. cc) Zusammenfassung und Übersicht Um den einzelnen Gründungsszenarien mit den jeweils dazugehörigen Normen ein bescheidenes Maß an Übersichtlichkeit zu verleihen, soll auch hier wieder eine Zusammenfassung in nachfolgender Matrix vorgenommen werden.
80 Darauf kommt es allerdings im Rahmen der hier angestellten Untersuchung gar nicht an, denn auch wenn die Gründung einer Tochter-SE mitbestimmungsfrei bleibt, wird man kaum behaupten können, dass die Gründung einer mitbestimmten SE, mit dem Ziel daran anschließend eine Tochter-SE zu gründen, die mitbestimmungsfrei bleibt, eine wirkliche Alternative für deutsche Unternehmen bei der Nutzbarkeit der neuen Gesellschaftsform SE bedeutet.
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE Gründungsszenario
SE-RiL
41 SEBG
1.
Verschmelzung einer deutschen und einer ausländischen Aktiengesellschaft zu einer SE
Art. 7 II b)
§ 34 I Nr. 2 a) oder b) (§ 34 II)
2.
Gründung einer SE-Holding für eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 7 II c)
§ 34 I Nr. 3 a) oder b) (§ 34 II)
3.
Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
Art. 7 II c)
§ 34 I Nr. 3 a) oder b) (§ 34 II)
4.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 7 II c)
§ 34 I Nr. 3 a) oder b) (§ 34 II)
5.
Art. 7 II c) Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/ Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
§ 34 I Nr. 3 a) oder b) (§ 34 II)
6.
rechtsformwechselnde Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft (die seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat) in eine SE
Art. 7 II a)
§ 34 I Nr. 1
7.
Einmanngründung einer Tochter-SE durch eine Mutter-SE
Art. 3 II
1.A. wie 4. und 5. 2.A. keine gesetzliche MB
8.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
Art. 3 II wie 4. und 5. i.V. m. Art. 2 III a)
Abbildung 3: Normen zur Auffangregelung in SE-RiL und SEBG
b) Inhalt der Auffangregelung Nachdem nun geklärt ist, wann die Auffangregelung den Maßstab für die Mitbestimmung in der SE bildet, ist es erforderlich zu bestimmen, welchen Inhalt die Mitbestimmung kraft Gesetzes nach SEBG hat. Einzelheiten dazu finden sich in § 35 SEBG.
42
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
Wird die SE im Wege der rechtsformwechselnden Umwandlung (6.) nach § 34 I Nr. 1 SEBG gegründet, schreibt § 35 I SEBG vor, dass „die Regelung zur Mitbestimmung erhalten [bleibt], die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat.“
In jedem Fall der Umwandlung bildet die zuvor gültige Mitbestimmungsregelung also auch für die SE den Maßstab.81 Den Umfang der Mitbestimmung für die anderen Gründungsvarianten Verschmelzung (1.), SE-Holding (2. und 3.), SE-Tochter (4. und 5. bzw. 8.) und – nach zutreffender Ansicht – Tochter-SE (7.) legt § 35 II SEBG fest. Hiernach haben die Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe ein Recht auf Mitbestimmung in Form von Repräsentation oder Kooptation.82 Entscheidende Bedeutung kommt § 35 II 2 SEBG zu, denn er besagt: „Die Zahl dieser Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE bemisst sich nach dem höchsten Anteil an Arbeitnehmervertretern, der in den Organen der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bestanden hat.“
Das Eingreifen der Mitbestimmung kraft Gesetzes hat für deutsche Unternehmen weitreichende Folgen. Da die paritätische Mitbestimmung deutscher Provenienz in Europa und der Welt ihres gleichen sucht,83 bedeutet diese Vorschrift nichts weniger als Folgendes: Im Falle der Beteiligung einer paritätisch mitbestimmten Gesellschaft an der Gründung einer SE führt das Eingreifen der Auffangregelung dazu, dass sich die paritätische Mitbestimmung immer als entscheidendes Maß des Mitbestimmungsstandards für die gesamte SE darstellt. Mit anderen Worten: Wird eine SE unter Beteiligung eines paritätisch mitbestimmten Unternehmens gegründet, so gilt die paritätische Mitbestimmung auch in der SE, sofern es nicht gelingt, eine Vereinbarung über die Mitbestimmung 81 Unzutreffend ist insofern die Darstellung von Weiss/Wöhlert, NZG 2006, 121 (123), die konstatieren, dass bei Umwandlung z. B. einer englischen Gesellschaft in eine SE, der ein Asset Deal vorgeschaltet wird, bei dem die Übertragung von Vermögensgegenständen einer deutschen Gesellschaft auf die umzuwandelnde englische Gesellschaft vorgenommen wird, nach den gesetzlichen Vorschriften der §§ 34 f. SEBG zu einer mitbestimmungsfreien SE führt. Zwar ist dies im Ergebnis zutreffend, allerdings liegt der wesentliche Grund hierfür in der Umwandlung einer englischen Gesellschaft. Die „Entledigung“ der deutschen Mitbestimmung erfolgt schon im Schritt zuvor, dem eingangs durchgeführten Asset Deal. Überdies finden auf Umwandlungen englischer Gesellschaften die Vorschriften des SEBG keine Anwendung, denn eine Sitzverlegung (im gebildeten Beispiel nach Deutschland) im unmittelbaren Zusammenhand mit der Umwandlung ist nach Art. 37 SE-VO unzulässig. 82 Vgl. § 12 XII SEBG; siehe zu diesen beiden Modellen der Mitbestimmung B. II. 1. 83 Siehe dazu oben den Abschnitt Mitbestimmung in Europa S. 5 ff. Junker, ZfA 2005, 211 (217) metaphorisiert die deutsche Mitbestimmung nach MitbestG als „Nanga Parbat in die europäischen Alpen versetzt.“ Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 445 gehen im Gegensatz dazu von der überraschenden Annahme aus, dass „Beteiligungen in Unternehmensorganen [. . .] bis zur Parität der Regelfall“ in Europa seien.
II. Ausgestaltung der Mitbestimmungsregelungen für die SE
43
im Verhandlungsweg zu erzielen.84 Der nahe liegende Einwand, es handle sich bei der Norm des § 35 II 2 SEBG um eine nationale Vorschrift, die in anderen Jurisdiktionen keine Entsprechung finden, muss und daher nur SE-Gründungen nach „deutschem Recht“ betroffen seien, greift zu kurz. Zwar ist es zutreffend, dass exterritoriale Sachverhalte, solche also, bei denen die SE ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat einnimmt, grundsätzlich nicht von der Regelungsmacht des § 35 II SEBG erfasst sind, allerdings stellt § 35 II SEBG eine direkte Umsetzung der Anforderungen aus Teil 3 lit. b) des Anhangs der SE-RiL dar. Die relevante Passage besagt dazu, dass sich „[. . .] die Zahl dieser [Aufsichts- oder Verwaltungsrats-]Mitglieder [. . .] nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bemisst.“
Der Wortlaut der SE-RiL ist hinsichtlich der Bemessungsgrundlage der SEMitbestimmung eindeutig. Umsetzungsspielraum besteht für die Mitgliedstaaten daher nicht.85 So überrascht es nicht, dass die Umsetzungsgesetze fast aller Mitgliedstaaten eine mit § 35 II 2 SEBG inhaltlich identische Vorschrift aufweisen.86 Auch bei SE-Gründungen außerhalb Deutschlands setzt sich damit im Zweifel die paritätische Mitbestimmung als maßgeblicher Standard für eine SE durch. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten: Im Fall einer rechtsformwechselnden Umwandlung einer nationalen Gesellschaft in eine SE bleibt der bisher gültige Mitbestimmungsstandard unbeeinträchtigt. Die Auffangregelungen zur ge84 So auch Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 200; für die Verschmelzung ebenso Weiss/Wöhlert, NZG 2006, 121 (124). 85 Ebenso Grobys, NZA 2004, 779 (779). 86 Belgien: Art. 45; Dänemark: Kaptitel 4, § 33 Stk. 2; Estland: § 75 II; Frankreich: Art. L. 439-42 b); Island: Art. 16 Abs. 1 lit. b); Italien: Allegato I, Parte Terza, § 1 lit. b); Litauen: Art. 31, Sec. 1; Luxemburg: Art. 12 II; Niederlande Art. 3:2, Sec. 5; Österreich: § 245 I 2 Arbeitsverfassungsgesetz; Polen: Nr. 62, Art. 107; Portugal: Art. 29 II; Schweden: § 56; UK: Schedule 4, Part 3, Sec. 7 Paragraph 2; Ungarn: Art. 48, § 1; Zypern: Tmhma III, § 15 II. Eine ähnliche, etwas offener gefasste Regelung findet sich in der Tschechische Republik in: Hlava IV, § 64 II. Eine abweichende Regelung haben nur Finnland: „Lag om arbetstagarinflytande i europabolag“, 5 Kap., § 29 und Norwegen: „Forskrift om arbeidstakernes rett til innflytelse i europeiske selskaper“, Vedlegg I (Standardbestemmelser), Standardbestemmelser for representasjon § 13. Hier handelt es sich jeweils um eine Vorschrift, die die Verteilung der Aufsichtsrats- bzw. Verwaltungsratsposten anteilig nach der Anzahl der Arbeitnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten ausgestaltet. Ob diese Vorschrift mit den Vorgaben der SE-RiL in Anhang Teil 3 vereinbar sind, erscheint zweifelhaft. Griechenland, Irland, Slowenien und Spanien haben die SE-RiL bislang nicht umgesetzt. Das maltesische Umsetzungsgesetz konnte nicht ausgewertet werden. Alle nationalen Umsetzungsgesetze sind abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/employment_ social/labour_law/documentation_en.htm#10, (Stand: 22. Februar 2007).
44
B. Gesetzliche Grundlagen zur SE-Gründung und SE-Mitbestimmung
setzlichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer greifen bei den anderen Gründungsvarianten nur ein, wenn sich bVG und Leitungs- bzw. Verwaltungsorgane der beteiligten Gründungsgesellschaften nicht auf einen anzuwendenden Mitbestimmungsstandard einigen können. Sobald Tatbestände Anwendung finden, die eine Mitbestimmung kraft Gesetzes vorschreiben und eine paritätisch mitbestimmte Gesellschaft an der Gründung einer SE beteiligt ist, wird sich die SE durch ein paritätisch mitbestimmtes Kontrollorgan auszeichnen.87 Dies gilt wegen der europaweit einheitlichen Regelung selbst dann, wenn die SE ihren Sitz außerhalb Deutschlands nimmt; ein „Export“ deutscher Mitbestimmung in das europäische Ausland ist die Folge.
87 So statt vieler Kübler, FS für Raiser, S. 247, 253 oder Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 501. Ebenso Schäfer, NZG 2004, 785 (789).
C. Vereinbarkeit paritätischer Mitbestimmung in der SE mit europäischem Recht I. Ausgangspunkt der Überlegung Mit ganz überschwänglichen Worten begrüßte Marcus Lutter im Betriebs-Berater vom Januar 2002 die Vereinbarung zur Schaffung der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft auf dem Gipfel von Nizza im Dezember zuvor: „Heureka! Es ist so weit, wahrlich: Es ist gelungen!“1 Wer allerdings in den sich anschließenden Ausführungen den gebührenden Freudentaumel erwartet, wird jäh enttäuscht, denn nach Lutter stellt die Schaffung der SE „äußerlich eine Sensation, inhaltlich aber ein Unglück und für Deutschland einen großen Nachteil“ dar.2 Deutsche Unternehmen seien bei der Gründung einer SE ausgeschlossen, weil ihnen die deutsche Mitbestimmung wie „eine Bleikugel am Fuß“3 hänge. Drei Jahre der intensiven wissenschaftlichen Diskussion und zahlreicher kritischer Beiträge4 später kommt Abbo Junker zu dem gleichen Ergebnis.5 Er weist darauf hin, dass „eine monistisch verfasste SE mit Sitz in Deutschland für Gründer unattraktiv [ist], solange es bei den bestehenden Mitbestimmungsgesetzen bleibt.“6 Auch die erste umfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Mitbestimmung nach der SE-RiL von Marcus Steinberg aus dem Jahr 2006 lässt keinen Zweifel daran, „dass eine große deutsche Gesellschaft, die der Mitbestimmung unterliegt, nur in seltenen Fällen als Gründungspartner in Betracht kommt; jedenfalls dann nicht, wenn nicht in den anderen beteiligten Gesellschaften eine vergleichbare Mitbestimmung besteht.“7 1
Lutter, BB 2002, 1. Lutter, BB 2002, 1 (5). 3 So Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des BDI im Interview mit der FTD vom 17. September 2003, S. 1 „EU zementiert Mitbestimmung“. 4 Habersack, EuGesR, Rn. 394; Heinze, ZGR 2002, 66 (92); Hopt, EuZW 2002, 1; Müller, Die Bank 2002, 544 (545); Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 185; Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (783); Schwark, AG 2004, 173 (176); Stellungnahme der sechs wirtschaftlichen Spitzenverbände – BDA, BDI, DIHK, GDV, BdB und Dt. Aktieninstitut – zum Gesamtentwurf für ein SE-Einführungsgesetz vom 26. Mai 2004, abrufbar im Internet unter www.bdi-online.de in der Rubrik „Recherchepool“ (Stand: 10. Februar 2007); Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (272); Wiesner, ZIP 2001, 397 (398). 5 Junker, ZfA 2005, 212 (224). 6 Junker, ZfA 2005, 212 (220) Fn. 58. 7 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 243. 2
46
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Selbst der Bundesrat meldete im Gesetzgebungsverfahren zum SE-Einführungs-Gesetz Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung der Mitbestimmung an. So sah „der Bundesrat [. . .] die Gefahr, dass deutsche Unternehmen auf europäischer Ebene als Partner für eine europäische Gesellschaft nicht in Betracht kommen werden.“8 Denn es „ist davon auszugehen, dass sich der höchste Arbeitnehmeranteil bei der Beteiligung eines deutschen Unternehmens aus dem deutschen Mitbestimmungsmodell ergibt. Da dieses bei ausländischen Investoren auf Bedenken stößt, dürfte deren Bereitschaft, mit deutschen Unternehmen eine Europäische Gesellschaft zu gründen, eher gering sein. Hieraus kann sich ein gravierender Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen [. . .] ergeben.“9 In ähnlicher Weise teilt auch Holger Fleischer die vorgenannten Bedenken. Bei der von der SE-RiL vorgesehenen Verhandlungslösung handle es sich um einen „kardinalen Konstruktionsfehler“.10 Mit seinen bildhaften Worten soll die Aufzählung der Besorgnisbekundungen ihren vorläufigen Abschluss finden: „Zu den größten Leidtragenden des [. . .] festgeschriebenen Bestandsschutzes [für die deutsche Mitbestimmung] gehören deutsche Unternehmen, die sich in Europa auf Brautschau begeben. Die Mitgift der deutschen Mitbestimmung könnte manchen Wunschpartner von einer Vermählung abhalten und in die Arme einer mitbestimmungsfreien Nebenbuhlerin treiben.“11 Wenngleich nicht einstimmig12 ein düsteres Bild von der Zukunft der SE gezeichnet wird, bleibt doch festzuhalten, dass sich eine – zahlenmäßig wie auch der wissenschaftlichen Expertise nach – relevante Gruppe von Autoren besorgt zeigt, es könnte bei SE-Gründungen zu einer gravierenden Benachteiligung deutscher Unternehmen allein aufgrund des deutschen Sonderwegs13 bei der Mitbestimmung kommen. Diese Feststellung soll genügen, um die wesentlichen Ausgangsfragen der nachfolgenden Untersuchung formulieren zu können: Bewahrheiten sich die aus berufenem Munde geäußerten Bedenken bei genauer Analyse der rechtlichen Vorgaben zur SE-Gründung und -Leitung oder gibt es Auswege? Wenn letzteres nicht der Fall sein sollte, welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Und welche Lösungsmöglichkeiten lassen sich aufzeigen?
8
BT-Drs. 15/3656, S. 1 (linke Spalte). BT-Drs. 15/3656, S. 1 (rechte Spalte). 10 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (534). 11 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (535 f.). 12 Mit positiven Stimmen zur SE z. B. Kellerhals/Trüten, The Creation of the European Company, 17 Tul. Eur. & Civ. L. F. 71–82 (2002); Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (200); Nagel, NZG 2004, 833 (839); Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (283); vorsichtiger Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449 (1454). Zu den Einsatzmöglichkeiten der SE ausführlich Kallmeyer, AG 2003, 197 ff. und Wenz, AG 2003, 185 ff. 13 Junker, ZfA 2005, 1 (24); ebenfalls Müller, Die Bank 2002, 544 (545). 9
II. Bestandsaufnahme
47
II. Bestandsaufnahme – Benachteiligung deutscher Unternehmen bei der SE-Gründung? Im Rahmen der sich nun anschließenden Bestandsaufnahme soll untersucht werden, ob sich die aufgezeigte Regelungsmechanik zur Mitbestimmung und die Mitbestimmung selbst für deutsche Unternehmen nachteilig auszuwirken vermag, wenn sie die Beteiligung an einer SE-Gründung anstreben. Hierzu ist es unerlässlich, einen weiteren Versuch zu unternehmen, Konsequenz, Auswirkung und Folge der Mitbestimmung zu beschreiben. Um es in aller Deutlichkeit ehrlich und bescheiden vorwegzunehmen: Letzte Sicherheit über einen jeden der folgenden Befunde wird wohl allein anhand von empirischen Untersuchungen erzielt werden können und selbst dies ist nicht unumstritten.14 Nur wenige Studien15 haben versucht, die Effekte und Auswirkungen der Mitbestimmung empirisch näher zu untersuchen. Ein endgültiges Urteil erlaubt indessen keine einzige Studie und auch nicht die Gesamtheit ihrer Resultate.16 Drei geringe, aber deswegen nicht weniger überzeugende Gründe hierfür seinen benannt. Erstens sind monokausale Zusammenhänge zwischen Mitbestimmung und zentralen wirtschaftlichen Daten wie Beschäftigungslage, Wachstum oder Ertragsaussichten nicht nachweisbar.17 Zweitens fehlt es in Deutschland für derartige Untersuchungen an der Kontrollgruppe vergleichbarer, nicht mitbestimmter Großunternehmen.18 Endlich – und damit drittens – 14 Vgl. z. B. Junkes/Sadowski, Wirtschaftliche Folgen der Mitbestimmung, S. 53, 82 f. „Wir wissen es nicht.“ 15 Vgl. z. B. Baums/Frick, Co-determination and Market Value, S. 2 ff.; dies. in: Blair/Roe, Employees and Corporate Governance, S. 206 ff.; Ruhwedel/Epstein, BB 2003, 161 ff. und die Übersicht zu fünf verschiedenen empirischen Studien – mit weitgehend negativen Erkenntnissen – bei Sadowski/Junkes/Lindenthal, ZGR 2001, 110 (126 ff.). Theoretische Betrachtungen finden sich bei Gerum/Wagner in: Comparative Corporate Governancen, 1998, S. 342 ff.; eine Zusammenstellung empirischer Befunde der Mitbestimmungsforschung findet sich auch bei Gerum, Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 17–45, der aber zu einem ingesamt eingeschränkten Aussagekraft empirischer Befunde zur Mitbestimmung kommt und daher die dogmatischen Grundsätze stärker behandelt wissen möchte. 16 Kübler, FS für Döser, 1999, S. 237, 238; GroßKommAktG-Oetker, Vorbem. MitbestG, Rn. 34; Pistor in: Handbuch Corporate Governance, S. 157, 166; Raiser, FS für Kübler 1997, S. 477, 479; Rebhahn in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41, 79; Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 81; WHSS-Seibt, S. 764, Rn. F 163. Ein weiterer Erklärungsansatz für den Mangel an empirischen Daten zur Mitbestimmung findet sich bei Gerum, Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 17, der bemerkt, dass Unternehmen die Teilnahme an empirischen Studien oftmals verweigern. Andere sind bei ihren Einschätzungen zu empririschen Daten über Mitbestimmung und ihrer Auswertung etwas großzügiger. Einen „vollständigen Überblick“ findet man etwa bei Thannisch, AuR 2006, 81 ff. 17 Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (273); MünchHdbArbR-Wißmann, § 375, Rn. 25. 18 Hierzu Gerum, Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 45 und auch Höpner, Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss, S. 22. Um in einem weiteren Schritt, der
48
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
kann das Nichtvorhandensein eines abschließenden Ergebnisses auch deswegen nicht überraschen, weil es große Schwierigkeiten bereitet, die Teileffekte von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung von einander zu trennen.19 „Erst eine Analyse der engen sachlichen und personellen Verzahnung von unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung gibt einen verlässlichen Blick auf die Gesemtbelastung der Entscheidungsprozesse in deutschen Unternehmen.“20 Freilich und unabhängig davon sprengen solcherlei statistische Erhebungen die Grenzen, in denen sich die Rechtswissenschaft ruhigen Gewissens ein Urteil anmaßen sollte. Hierfür ist auf die Expertise von insofern weitaus qualifizierteren Fachkräften, namentlich die der Ökonomen, zurückzugreifen. Die folgende Darstellung hat es sich daher nicht zum Anliegen gemacht, den sprichwörtlich gordischen Knoten zu durchschlagen – dieser Versuch wäre ebenso anmaßend wie töricht und zum Scheitern verurteilt. Sie beschränkt sich vielmehr auf Bemerkungen und Einschätzungen von Personen, denen das Mitbestimmungssystem gut vertraut ist. Zwar ist es nicht möglich, für diese Aussagen den Anspruch der Allgemeingültigkeit zu erheben,21 ihre Tendenz kann aber auch dem Zweifler nicht verborgen bleiben. Einige relevante Einflüsse der Mitbestimmung sollen dazu aufgelistet und bewertet werden, um im Anschluss daran ihre Auswirkung auf die SE-Gründung unter deutscher Beteiligung einer eingehenden Analyse zu unterziehen. 1. Wirkungen der Mitbestimmung Als beachtenswerte Auswirkungen paritätischer Mitbestimmung sollen in der Folge behandelt werden: Vorteile unternehmerischer Mitbestimmung [unter a)], die Verhandlungen mit dem bVG [dazu unter b)], Fragen der Corporate Governance [behandelt in Punkt c)] sowie schließlich die der Mitbestimmung nachgesagte strukturkonservierende Wirkung [hierzu unter d)]. a) Vorteile unternehmerischer Mitbestimmung Auch wenn es nach Ansicht mancher nur zum „politisch korrekten guten Ton“22 gehört, das Thema Mitbestimmung mit Vorteilen in Verbindung zu brinBewertung von Auswirkungen auf das Gründungsverhalten bezüglich SE-Gesellschaften sichere Erkenntnisse zu gewinnen, müsste darüber hinaus auch das „Investitionsund Allianzbildungsverhalten“ zwischen Deutschland, mitbestimmungsfreien Jurisdiktionen und idealiter solchen Ländern, welche nur die Drittelbeteiligung kennen, verglichen werden. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass man vor dieser Aufgabe unter Nutzung ausschließlich seriöser Methoden wohl wird verzweifeln können. 19 Fleischer, AcP 2004, 502 (538) zu Zweitens und Drittens. 20 Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133, 134. 21 Hopt, FS für Everling, S. 475, 480. 22 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (239).
II. Bestandsaufnahme
49
gen oder zumindest nicht zu kritisieren,23 sind eine Reihe erfreulicher Effekte der Arbeitnehmerbeteiligung im Unternehmen anzuerkennen. Dies verleitet wiederum andere, in der paritätischen Mitbestimmung einen potentiellen Standortvorteil für deutsche Unternehmen zu erblicken.24 Auf der Aktivseite werden vielfach die friedensstiftende25 und produktive Wirkung von Konsens und Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern genannt,26 die auf einen Informations- und Motivationsnutzen zurückgeführt werden.27 Gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilhabe von „Arbeit“ und „Kapital“ an Entscheidungsprozessen im Unternehmen ist eines der wichtigsten Anliegen der Unternehmensmitbestimmung.28 Der Informationsfluss zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern werde durch eine Teilnahme letzterer am Entscheidungsprozess gefördert29 und helfe, unternehmensinterne Unruhen zu vermeiden. So könne die Mitbestimmung als Frühwarnsystem für soziale Konflikte30 und als Instrument eines kollektiven Krisenmanagements dienen.31 Ebenso ermögliche sie, die Zahl der Arbeitskämpfe niedrig zu halten.32 Mitbestimmung begünstige ferner die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Unternehmensleitung.33 Da demgemäß positive Auswirkungen auf die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen und das „Betriebsklima“ insgesamt erwartet werden,34 reduziere sich in der Folge die Personalfluktuation, was es den Unternehmen leichter ermögliche, hohe Humankapitalinvestitionen für die Aus- und Fortbildung ihrer Angestellten zu tätigen.35
23
Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798). Zu diesem Ergebnis kommt, wenn auch nicht ausdrücklich, der Bericht Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 7, 8 ff.; so auch Zwickel, Vorsitzender der IG Metall, in der FAZ vom 16. April 2003, S. 13. 25 „[. . .] ganz gewichtiges positives Folgeelement der deutschen Mitbestimmung“ Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 492. 26 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 98. 27 Hopt, FS für Stein, S. 200, 216; Schrumpf, Mitbestimmung und Effizienz, S. 19, 26 f.; v. Werder, AG 2004, 166 (168). 28 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 42. 29 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 43; Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 6. 30 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 6; Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 44. 31 Hopt, FS für Everling, S. 475, 485. 32 Fleischer, AcP 2004, 502 (536); Hopt, FS für Everling, S. 475, 484; kritisch zu dieser Vorstellung – insbesondere im Vergleich mit anderen Rechtsordnungen – Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 20. 33 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 29, 34 und S. 71, 72 f.; Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 44. 34 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 6 f. 35 Fleischer, AcP 2004, 502 (537); Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 7, 8 und S. 29, 34. 24
50
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Falsch wäre es allerdings zu verschweigen, dass die vorstehende positive Sicht auf die unternehmerische Mitbestimmung schon von den meisten europäischen Gewerkschaften nicht geteilt wird. Hier verstehen sich die Gewerkschaften eher als Avantgarde der kämpfenden Arbeitnehmerschaft, weshalb Mitbestimmung gewöhnlich als unannehmbare „Klassenkollaboration“ wahrgenommen wird.36 Es wird befürchtet, dass die Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Unternehmen Autonomie und Konfliktpotential der Gewerkschaften gefährde.37 Weiter entspricht es einer verbreiteten Ansicht, feindliche Übernahmen würden durch Unternehmensmitbestimmung erschwert.38 Hierdurch werde es den durch Mitbestimmung geschützten Unternehmen ermöglicht, zugunsten nachhaltiger Entwicklung und langfristiger Investitionsstrategien die kurzfristige und unter Umständen mit schmerzhaften Einschnitten verbundene Pflege ihres Aktienkurses als Abwehrmaßnahme gegen unfreundliche Übernahmen zu unterlassen.39 Zutreffend an dieser Annahme ist, dass es bislang in Deutschland nur sehr wenige feindliche Übernahmen gab.40 Ob dies als notwendig positive Folge der Mitbestimmung zu werten ist, wird kontrovers beurteilt.41 Vor allem aus volkswirtschaftlicher Perspektive,42 und hier im Besonderen im anglo-ame-
36
Taylor, in: Perspektiven Europäischer Unternehmensmitbestimmung, S. 52, 53. Zu Unabhängigkeit und Autonomie Taylor, in: Perspektiven Europäischer Unternehmensmitbestimmung, S. 52, 53. Zum auf Antagonismus und Konflikt angelegten „collective bargaining“ in den USA als Mittel der Arbeitnehmerinteressenvertretung vgl. Summers, Codetermination in the United States, 4 J. Comp. Corp. L & Sec. Reg. 155 157-8 (1982); Dinh, Codetermination and Corporate Governance in a Multinational Business Enterprise, 24 J. Corp. L. 975 983 (1999); Ein Vergleich des USamerikanischen und deutschen Tarifvertragssystems erstellt Rasnic, Germany’s Statutory Works Councils and Employee Codetermination, 14 Loy. L. A. Int’l & Comp. L. J. 275 288 (1992). 38 Fleischer, AcP 2004, 502 (537); Hopt, FS für Everling, S. 475, 483; Kübler, FS für Döser, S. 237, 240; Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 99; Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274). 39 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 99. 40 Hopt, FS für Everling, S. 475, 483. Die spektakulärste feindliche Übernahme war bislang wohl die Kampf zwischen Vodafone und Mannesmann, vgl. hierzu die Artikel der FTD vom 24. Mai 2000, S. 4 „Orange-Kauf beschleunigte die Übernahme von Mannesmann“ oder vom 7. Dezember 2000, S. 29 „Modell Vodafone“; vgl. auch Prigge in: Comparative Corporate Governancen, S. 943, 992, wonach es sich bei der Unternehmensmitbestimmung nur um eine einzige neben einer Vielzahl anderer Behinderungen handle. Zur geringen Zahl feindlicher Übernahmen auch Baums/Scott, 53 Am. J. Comp. L. 31 65 (2006). 41 Vgl. dazu auch unten C. I. 1. d). 42 Dies gilt praktisch für jede Beeinträchtigung des Marktmechanismus, vgl. nur Siebert, Einführung in die VWL, S. 102 ff.; Samuelson/Nordhaus, Economics, S. 25 ff. Zu Wettbewerb, Wettbewerbsbeziehungen und Wettbewerbsintensität Lampe, Wettbewerb, 49 ff. 37
II. Bestandsaufnahme
51
rikanischen Schrifttum,43 wird es mit Vehemenz abgelehnt, der Beeinträchtigung des Marktes für Unternehmenskontrolle positive Aspekte abzugewinnen. Eher unternehmensübergreifend zu verstehen, wenngleich eng mit dem Anliegen gleichberechtigter Teilhabe von „Arbeit“ und „Kapital“ verwoben, ist die gewisse Demokratisierung nicht nur staatlicher, sondern auch wirtschaftlicher Macht.44 b) Ausgestaltung der Verhandlungslösung Ungeachtet der zuvor aufgezeigten Vorteile für mitbestimmte Unternehmen kommt für die SE-Gründer ein nicht zu vernachlässigender Nachteil aufgrund der gesetzlichen Vorschriften zur Verhandlungslösung in den §§ 5 ff. SEBG in Betracht. Auch wenn dem Verhandlungsverfahren aus verschiedenen Gründen45 gegenüber einer rigiden gesetzlichen Vorschrift der Vorzug zu geben ist, lassen sich die konkreten Folgeprobleme nicht leugnen. Gerne wird darauf hingewiesen, das mitbestimmungsrechtliche Verhandlungsverfahren der SE gehe auf die Richtlinie über Europäische Betriebsräte46 (EBR) zurück.47 Wenngleich dies im Kern zutreffen mag, sind im Detail allerdings ganz wesentliche Unterschiede zu verzeichnen. Sie sollen dargestellt werden, nachdem die Friktionen des Verhandlungsverfahrens problematisiert wurden. Hierzu wird einzugehen sein auf: Dauer und Unsicherheiten des Verhandlungsverfahrens, das Fehlen eines Verhandlungsspielraums, unterschiedliche Anforderungen an verschiedene Arten der Abstimmung des bVG, einen mangelnden Einigungswillen des bVG, sowie die Verhinderung von SE-Gründungen durch das Verhandlungsverfahren. aa) Dauer und Unsicherheiten des Verhandlungsverfahrens Um das Verhandlungsverfahren in Gang zu setzen, müssen zunächst alle Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften über den Gründungsvorgang der SE48 informiert werden, vgl. § 4 II SEBG. Im Fall der Allianz SE waren dafür z. B. 154.000 Mitarbeiter in 24 Ländern zu informieren. Die erheblichen Kosten für 43 Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote aus wettbewerbspolitischer Sicht, S. 25 ff. und 32 ff.; Romano in: Hopt/Wymeersch, European Takeovers, S. 3 ff.; Röhrich, Feindliche Übernahmeangebote, S. 89 ff. und 240 ff. 44 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 42. 45 Vgl. Fleischer, AcP 2004, 502 (534 f.), der die Verhandlungslösung aus dem Blickwinkel des Privatrechtlers, des Europarechtlers und des Wettbewerbsrechtlers lobt. 46 Richtlinie 94/95/EG vom 22. September 1994 in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 28.10.1996, BGBl. I, S. 1548. 47 Statt aller Oetker, BB-Special I/2005, 2. 48 Vgl. zu den Anforderungen an den Umfang der Informationen § 4 III SEBG.
52
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
die Unterrichtung – Entwerfen und Versenden der Informationsschreiben, Übersetzungs- und Druckkosten – trägt der Arbeitgeber.49 Dieser Umstand stellt für sich genommen allerdings keinen Nachteil dar, der auf die paritätische Mitbestimmung zurückzuführen ist. Kosten der Unterrichtung entstehen auch bei Unternehmen, die nur eine Drittbeteiligung bzw. gar keine Mitbestimmung kennen, denn das mitbestimmungsrechtliche Beteiligungsverfahren der Arbeitnehmer ist in jedem Fall durchzuführen. Der Aufwand zur Mitarbeiterinformation entsteht damit unabhängig vom Mitbestimmungsstandard jedem Unternehmen, welches sich der Rechtsform SE bedienen möchte.50 Besondere Relevanz kommt indessen der Länge des Verhandlungsverfahrens zu. Nach § 11 I SEBG ist das bVG innerhalb von zehn Wochen nach Unterrichtung der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmervertreter zu wählen oder zu bestellen.51 Nach zehn Wochen also soll es möglich sein, mit den Verhandlungen über die Mitbestimmung in der SE zu beginnen. Dessen ungeachtet kann die Wahl des bVG angesichts des komplizierten und grenzüberschreitenden Verfahrens ein langwieriger Prozess werden.52 An § 11 I SEBG anschließend stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen einer Nichteinhaltung der 10-WochenFrist. Es wurde dazu vorgeschlagen, entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 3 VI SE-VO die Anwendbarkeit der Auffanglösung nach §§ 34 ff. SEBG für den Fall der Nichteinigung zu versagen.53 Der deutsche Gesetzgeber wählte in § 11 II SEBG einen anderen Weg, indem im Falle einer Verzögerung, welche die Arbeitnehmer zu vertreten haben, das Verhandlungsverfahren, d. h. insbesondere die Verhandlungsfrist nach § 20 SEBG, zu laufen beginnt. Ob der automatische Lauf der Verhandlungsfrist allerdings eine Sanktion der Arbeitnehmer für ihr Versäumnis der Aufstellung des bVG bedeutet, ist klärungsbedürftig. Immerhin haben die Arbeitnehmer bei den Verhandlungen wenig zu verlieren.54 Wann die Verhandlungsphase beginnt, ist für sie im Grunde nebensächlich. Im Gegen49 Entweder direkt, indem er – sofern keine Arbeitnehmervertretungen bestehen – selbst die Information der Arbeitnehmer übernimmt oder indirekt – bei bestehenden Arbeitnehmervertretungen – da der Arbeitgeber verpflichtet ist, Betriebsräte etc. mit den Mitteln, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe erforderlich sind, auszustatten, vgl. § 19 SEBG bzw. 20 III und 40 BetrVG. Um die sachlich zutreffende und vollumfängliche Unterrichtung der Arbeitnehmer – und damit den Fortgang des SE-Gründungsverfahrens – zu gewährleisten, ist anzunehmen, dass der Arbeitgeber in der Mehrzahl der Fälle selbst dafür Sorge tragen wird, die Arbeitnehmer zutreffend zu unterrichten, dazu Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 105 ff. 50 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 160 weist darauf hin, dass durch die Nutzung bestehender Betriebsratsstrukturen Aufwand und Kosten für die Wahl des bVG gering gehalten werden könnten. 51 Zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zeitpunktes der Einsetzung Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 117 ff. 52 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 118. 53 So Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (773). 54 Hierzu siehe Abschnitt C. II. 1. b) dd) (2).
II. Bestandsaufnahme
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satz dazu könnte man sogar die Auffassung vertreten, der automatische Lauf der Verhandlungsfrist gehe zulasten der Arbeitgeber, denn sie verlieren so wertvolle Verhandlungszeit, bis sich die Arbeitnehmer hinreichend organisiert haben.55 Es schließt sich folglich die Frage nach der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit der SE-RiL an.56 Die vom Gesetzgeber vorgesehene Verhandlungsfrist beträgt nach § 20 I SEBG grundsätzlich sechs Monate ab der Einladung zur konstituierenden Sitzung des bVG.57 Sie kann einvernehmlich um weitere sechs Monate verlängert werden, vgl. § 20 II SEBG. Während dieser Zeit eine Mitbestimmungsvereinbarung zu erzielen, ist ein anspruchsvolles Vorhaben.58 Dies ist nur einer der Gründe, warum eine Verlängerung im Fall paritätisch mitbestimmter Unternehmen voraussichtlich eine nicht nur theoretische Option bleiben wird. Ein anderer wesentlicher Grund wird regelmäßig darin liegen, dass die beteiligten Gesellschaften an einem Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung kaum interessiert sein können. Für sie kommt zur Vermeidung dieser Konsequenz gescheiterter Verhandlungen nur die Verlängerung der Verhandlungsphase in Betracht.59 Daher muss für das gesamte Verhandlungsverfahren eine Zeitspanne von etwa 14,5 Monaten eingeplant werden.60 Die Folgen sind von einiger Relevanz: Während des Verhandlungszeitraums ist der Gründungsvorgang der SE gehemmt, denn nach Art. 12 II SE-VO kann die SE erst nach Abschluss des Verhandlungsverfahrens im (Handels-)Register eingetragen werden.61 Gerade bei grenzüberschreitenden Fusionsverhandlungen spielt die Vereinbarung über die Corporate Governancen und die Besetzung der Organe eine herausgehobene Rolle. Aus Sicht der beteiligten Unternehmen wird der sehr lange Zustand der Rechtsunsicherheit regelmäßig nicht hinnehmbar sein,62 denn Zusammenschlüsse großer, womöglich börsennotierter Unternehmen vertragen „weder Verzögerung noch Rechtsunsicherheit“.63 55
So auch Kallmayer, ZIP 2004, 1442 (1443). Zweifelnd Kallmayer, ZIP 2004, 1442 (1443). 57 Siehe Legaldefinition in § 20 I 2 SEBG; näher dazu MüKoAktG-Jacobs, § 20 SEBG, Rn. 2. 58 Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 159 f.; siehe hierzu auch Köstler, ZGR 2003, 800 (806 f.). 59 So auch Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 298. 60 Ähnlich Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 193 und Schäfer, NZG 2004, 785 (789), die von einer möglichen Verzögerung des Verhandlungsverfahrens von neun Monaten ausgehen; allgemeiner Brandes, AG 2005, 177 (180), der „langwierige Verhandlungen über die künftige Ausgestaltung der [. . .] Mitbestimmung“ prognostiziert. 61 So auch Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 371. 62 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (253); zu Komplexität und Unsicherheit des Ausgangs der Verhandlungen als Nachteil der SE vgl. auch Janssens/van Gerven, The European Company in Belgium, I.C.C.L.R. 22-3 (2006). 63 Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524. 56
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Überdies hat die lange Verhandlungsphase aber noch eine gänzlich andere Implikation: Die Vorschrift des § 5 IV SEBG64 sieht vor, das bVG neu zusammenzusetzen, wenn „solche Änderungen in der Struktur oder Arbeitnehmerzahl der beteiligten Gesellschaften, der betroffenen Tochtergesellschaften oder betroffenen Betriebe ein[treten], dass sich die konkrete Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums ändern würde“.
Auslöser für diese Veränderung können etwa sein: Zuwachs bzw. Abbau von Beschäftigten oder Kauf bzw. Verkauf von Betrieben oder Konzerngesellschaften. Hierunter fällt aber auch die Änderung des Gründungsplans, z. B. das Anstreben einer Umwandlung statt der ursprünglich geplanten Verschmelzung. Zwar dürfte die Verhandlungsfrist nicht von Neuem zu laufen beginnen65 aber u. U. kommt eine „maßvolle Verlängerung“66 des Verhandlungsverfahrens in Betracht. Eine solche wäre – aus dem Gedanken des Grundsatzes vertrauensvoller Zusammenarbeit67 in §§ 13 I 2 i.V. m. 40 SEBG heraus – zu erwägen, wenn sich in einem späten Verhandlungsstadium die Zusammensetzung des bVG grundlegend verändert.68 Hierdurch ergeben sich für die SE-Gründer eine Reihe von Unsicherheiten: Welche Restrukturierungsmaßnahme führt zu einer Neubesetzung des bVG, welche tut es nicht? Wie viele Arbeitnehmer können gegenwärtig neu eingestellt bzw. entlassen werden, ohne die Verhandlungen zu gefährden? Wie lang ist eine „maßvolle Verlängerung“ des Verhandlungsverfahrens? Diese und andere Rechtsunsicherheiten werden die Mehrzahl der SEGründer versuchen zu vermeiden. Dazu wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als auf umfassende – gegebenenfalls erforderliche – Restrukturierungsmaßnahmen während der Gründungsphase der SE, einem Zeitraum von u. U. immerhin 14,5 Monaten, zu verzichten. Da die Vorschrift des § 5 IV SEBG aber nicht nur die Konzernobergesellschaft betrifft, die selbst an der Gründung der SE beteiligt ist („beteiligte Gesellschaft“), sondern auch die „Tochtergesellschaften und Betriebe“ erfasst, bedeutet dies in der Folge, dass wichtige Entscheidungen der wirtschaftlichen Neuordnung in einem Konzern nicht nur gehemmt sind, sondern der gesamte Konzern für die Dauer der Mitbestimmungsverhandlungen
64 Bedenken zur Vereinbarkeit mit Europäischem Recht äußert Krause, BB 2005, 1223 (1224). 65 Das Gesetz spricht in § 5 IV SEBG lediglich von „Neuzusammensetzung“ nicht aber von einer „Neukonstituierung“, so Grobys, NZA 2005, 84 (90); MüKoAktG-Jacobs, § 6 SEBG, Rn. 4; Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 115; Krause, BB 2005, 1223 (1224). 66 Krause, BB 2005, 1223 (1224). 67 Vgl. im deutschen Recht dazu z. B. § 2 BetrVG, der die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vorsieht. 68 Krause, BB 2005, 1223 (1224); MüKoAktG-Jacobs, § 6 SEBG, Rn. 4.
II. Bestandsaufnahme
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bezüglich Umstrukturierungen faktisch paralysiert ist.69 Große Umstrukturierungen und Akquisitionen werden zum Teil mit großer Vorlaufzeit strategisch vorbereitet. Ergibt sich zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Gründung einer SE zu günstigen Bedingungen oder mit einem interessanten Partner möglich wird, werden die vorherigen Bemühung anderweitiger Umstrukturierungen entwertet und unbrauchbar gemacht. Das Verhandlungsverfahren in seiner konkreten Gestalt stellt damit schon insofern ein ernstes Hindernis für die Gründung von SE mit deutscher Beteiligung dar. bb) Fehlender Verhandlungsspielraum Bei der Betrachtung eines möglichen Verhandlungsspielraums in dem beide Parteien bereit wären sich zu einigen, muss man feststellen, dass dieser im Grunde gar nicht besteht.70 Für jeden – nicht nur den ausländischen – Arbeitgeber stellt die paritätische Mitbestimmung die Obergrenze dessen dar, was er an Arbeitnehmermitwirkung in Unternehmensorganen akzeptieren kann, um nicht die Kontrolle über das eigene Unternehmen zu verlieren. Einigte er sich auf eine Mitbestimmung jenseits der (Quasi-)Parität, verlöre er nämlich die Kontrolle über das Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan. Konträr dazu scheint es nicht ausgeschlossen, dass insbesondere für deutsch dominierte bVG diese Obergrenze gerade die eigene Untergrenze des Verhandlungsspielraums darstellt.71 Einigen sich bVG und Arbeitgeber nicht, dann greift die Auffangregelung mit im Zweifel paritätischer Mitbestimmung ein.72 Dasjenige aber, das man sicher hat, stellt regelmäßig die Untergrenze der eigenen Kompromissbereitschaft dar.73 Jede „Blockade wirkt sich einseitig zugunsten der Auffanglösung aus.“74 Daraus ergibt sich, dass bei Beteiligung paritätisch mitbestimmter Unternehmen an SE-Gründungen regelmäßig gar kein Raum für Verhandlungen über eine Mitbestimmungslösung besteht.
69 So i. E. auch Krause, BB 2005, 1223 (1224), der den Leitungen rät, „während der Gründungsphase von größeren Umstrukturierungen besser Abstand zu nehmen.“ 70 Instruktiv Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 38 (Diskussionsbeitrag); optimistischer Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (196) und Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 ff. 71 Ob die Arbeitnehmer allerdings wirklich ein Interesse an der Kontrolle von Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan durch eine Mehrheit von Arbeitnehmervertretern haben können, erscheint fragwürdig. Einher mit der Kontrolle geht auch die Verantwortung und gegebenenfalls die Haftung der Arbeitnehmervertreter. Ob sie bereit sind, diese Verantwortung zu tragen, müsste jeweils im Einzelfall geprüft werden. 72 Siehe hierzu oben B. II. 3. b). 73 So auch Kübler, FS für Raiser, S. 247, 253. 74 Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 163.
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cc) Ungleiche Anforderungen an die Abstimmungen des bVG Die gesetzlichen Anforderungen, die an Beschlüsse des bVG gestellt werden, sind ungleichmäßig zulasten eines Mitbestimmungskompromisses ausgestaltet.75 Der einseitige Beschluss des bVG nach § 34 I Nr. 3 lit. a) und b) SEBG, die Auffangregelung der §§ 35 ff. für die SE verfügbar zu machen auch wenn die Quoren von 25 bzw. 50% nicht erreicht werden,76 hat mangels anderweitiger Vorgaben nur den Anforderungen des Art. 3 IV 1 SE-RiL bzw. § 15 II SEBG zu genügen. Nach diesen beiden Vorschriften ist der Beschluss mit der Mehrheit der Stimmen des bVG zu fassen, die zugleich die Mehrheit der vertretenen Arbeitnehmer repräsentieren muss, sog. doppelte absolute Mehrheit.77 Im Gegensatz dazu ist der Beschluss, eine Minderung des höchsten Mitbestimmungsstandards im Wege der Vereinbarung herbeizuführen, an ungleich höhere Anforderungen gebunden; er hat den Vorgaben des Art. 3 IV 3 SE-RiL bzw. § 15 III SEBG zu genügen. Eben diese Vorschriften machen eine dreifach qualifizierte Mehrheit erforderlich, denn zwei Drittel der Mitglieder, die aus mindestens zwei Mitgliedstaaten kommen und zwei Drittel der Arbeitnehmer repräsentieren, müssen von der Minderung des Mitbestimmungsstandards78 überzeugt werden. Steinberg weist zutreffend darauf hin, dass dieses – gegenüber allen anderen Abstimmungen im bVG – zusätzliche Erfordernis einer 75
So auch Calle Lambach, RIW 2005, 161 (163) und Heinze, ZGR 2002, 66 (82). Da von der zweifelhaften Regelung des § 34 SEBG jeweils nicht nur die an der SE-Gründung teilnehmenden Gesellschaften erfasst sind, sondern auch die Tochtergesellschaften, die zu Tochtergesellschaften der SE werden, sind die Prozenthürden bei deutscher Beteiligung an der SE-Gründung voraussichtlich einfacher zu erreichen, als es nach der europäischen Modellvorschrift der Fall wäre. Zur Zulässigkeit dieser Regelung siehe Abschnitt C. III. 1. e) aa). 77 Vgl. dazu MüKoAktG-Jacobs, § 15 SEBG, Rn. 3 f.; so auch Junker, ZfA 2005, 212 (221). Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 163 ff. führt diese doppelte absolute Mehrheit zutreffend auf die fehlende Gewichtung der Stimmen im bVG, abhängig von der Anzahl der durch sie repräsentierten Arbeitnehmer, zurück. 78 Dazu, was unter „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zu verstehen ist Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (784 ff.). Unzutreffend ist die Ansicht von Herfs-Röttgen, NZA 2002, 358 (361), nach der die Minderung von Mitbestimmungsrechten anhand des höchsten Anteils von Vertretern im mitbestimmten Gesellschaftsorgan vor Gründung der SE bestimmt wird. Aus Teil 3 der SE-RiL wie auch § 15 IV SEBG ergibt sich eindeutig etwas anderes. Zutreffend daher Brandt, BB-Special II/2005, 1 (5). Auf den Ausführungen von Reichert/Brandes aufbauend, kann man sogar folgende These in den Raum stellen: Beide Mitbestimmungssysteme werden in § 2 XII SEBG als gleichwertig definiert („oder“). Dies hat zur Folge, dass eines der Mitbestimmungsrechte, entweder das Recht alle Aufsichtsratsmitglieder mitzubestimmen (Kooptation) oder das Recht einige Aufsichtsratsposten völlig unabhängig von den Arbeitgebern zu besetzen, immer gemindert sein wird. Beteiligen sich Gesellschaften an der SE-Gründung, so dass hierbei beide Mitbestimmungssysteme „in Konkurrenz“ treten, müssen ausnahmslos alle Entscheidungen des bVG mit 2/3 Mehrheit nach § 15 III SEBG getroffen werden. So auch zutreffend Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 304 f. 76
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Flucht aus der Mitbestimmung entgegenwirken soll.79 Ungeachtet dieses anerkennenswerten Bestrebens gilt aber: Stellt man die Beschlussanforderungen wie soeben getan gegenüber, wird offenkundig, dass an Beschlüsse hinsichtlich des höchsten greifbaren Mitbestimmungsstandards unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, abhängig davon, ob sie sich dafür oder dagegen richten. Dafür bedarf es eines einfach qualifizierten Mehrheitsbeschlusses, dagegen sind mit einem dreifach qualifizierten Mehrheitsbeschluss hingegen gleich drei Hürden erfolgreich zu überspringen. Den Grund für eine solche Differenzierung wird man in dem Bestreben suchen müssen, die Freiheit der Parteien zur Abschaffung von Mitbestimmung zu begrenzen. Vor diesem Hintergrund dürfte es den an einer SE-Gründung beteiligten Unternehmen regelmäßig schwer fallen, die hinreichende Mehrheit von Arbeitnehmer-Verhandlungsführern von einem Verzicht auf die paritätische Mitbestimmung zu überzeugen.80 Ohne Unterstellungen formulieren zu wollen, sei eine wesentliche praktische Konsequenz der unterschiedlichen Beschlussmehrheiten hervorgehoben: Beschlüsse gegen Mitbestimmung sind in der Folge leichter boykottierbar, als diejenigen für Mitbestimmung. Weil nämlich für die Beschlussfähigkeit des bVG – anders als im deutschen Recht etwa für den Betriebsrat nach § 33 BetrVG – keine Regelung vorgesehen ist,81 richtet sich die Beschlussfähigkeit des Gremiums allein nach den Beschlussanforderungen. Damit sind aber auch die Anforderungen an die Beschlussfähigkeit des bVG unterschiedlich: Während für den Beschluss mit einfach qualifizierter Mehrheit nach § 15 II SEBG nur mindestens so viele Mitglieder anwesend sein müssen, wie erforderlich sind, um die doppelte absolute Mehrheit erreichen zu können, ist entsprechend für den Beschluss nach § 15 III SEBG die Anwesenheit von 2/3 der Mitglieder erforderlich.82 Damit fällt es einzelnen Arbeitnehmerrepräsentanten ungleich leichter, den von ihnen abgelehnten Beschluss zur Absenkung des Mitbestimmungsstandards erfolgreich zu blockieren. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine „besondere Stärkung der Arbeitnehmerseite“,83 sondern um ein weiteres Detail, das verdeutlicht, wie unausgewogen das Verhandlungsverfahren ausgestaltet ist.84
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Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 165. Scherer, Leitungssysteme, S. 45. 81 Dies auch in auffälligem Gegensatz zu § 10 I SEBG, der für die Beschlussfähigkeit des Wahlgremiums ein doppelte Zwei-Drittelmehrheit vorsieht; hierzu Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 294. 82 MüKoAktG-Jacobs, § 15 SEBG, Rn. 6. 83 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 209. 84 So i. E. auch Kübler, FS für Raiser, S. 247, 255. 80
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dd) Mangelnder Einigungswille des bVG Besondere Bedeutung erhalten die vorstehenden Erkenntnisse allerdings dadurch, dass das Verhandlungsgewicht zwischen dem bVG und den Leitungen der SE-Gründergesellschaften nur ungleichmäßig verteilt ist. Die Vereinbarungsautonomie der Parteien erhält hierdurch eine faktische Einschränkung. Gleichzeitig hat die tendenziell einflussreiche Gruppe der Gewerkschaftsvertreter mit Veränderungen anderer Natur zu kämpfen, die im Ergebnis die Einigungsbereitschaft des bVG senken dürften. (1) Folgen der Minderung des Gewerkschaftseinflusses In der Corporate-Governance-Debatte um die effektive Pflichterfüllung des Aufsichtsrates werden verschiedene Unzulänglichkeiten der Unternehmenskontrolle behandelt.85 Es wird vor allem den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat vorgeworfen, sie fühlten sich weniger dem Unternehmens- als dem Gewerkschaftsinteresse verpflichtet und nähmen daher ihre eigentliche Aufgabe, die Unternehmenskontrolle, nicht ordnungsgemäß wahr.86 Das Argument der vornehmlichen Wahrnehmung von Gewerkschaftsinteressen ist auf die Verhandlungssituation zwischen bVG und Unternehmensleitungen übertragbar, denn es steht zu befürchten, dass allgemeine, unternehmensübergreifende Interessen der Gewerkschaften die Möglichkeiten einer spezifisch auf das Unternehmen zugeschnittenen Mitbestimmungsregelung überlagern.87 Während manche in den deutschen Gewerkschaften einen Standortvorteil Deutschlands für die Gründung von SE sehen,88 haben die deutschen Gewerkschaften tatsächlich aber sogar Anlass, schon mit Eingreifen der Auffangregelung des § 35 SEBG um ihre gefestigte Machtstellung89 in deutschen Großunternehmen zu fürchten,90 so dass weitere gewerkschaftliche Zugeständnisse im Verhandlungsverfahren kaum vorstellbar sind. Erstens wird die Gründung einer SE regelmäßig mit einer – wie vielfach geforderten91 – Verkleinerung des Aufsichtsgremiums einhergehen.92 85
Siehe dazu C. II. 1. c). Veit/Wichert, AG 2004, 14 (18). In diese Richtung auch Herfs-Röttgen, NZA 2002, 358 (360). 87 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (252); ebenso Heinze, ZGR 2002, 66 (81). 88 Nagel, DB 2004, 1299 (1304). 89 In deutschen Gesellschaften, die vom MitbestG erfasst werden, sind i. d. R. zwei bis drei Aufsichtsratsposten mit Gewerkschaftsvertretern besetzt, vgl. hierzu § 7 II MitbestG. 90 Siehe z. B. den Artikel in der Wirtschaftswoche Nr. 46 vom 10. November 2005, „Kröte Schlucken“. 91 Statt vieler Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 190 f. 92 Als Beispiel mag die Gründung der Allianz SE dienen: Während die Allianz AG zwanzig Aufsichtsratsmitglieder hatte, wird die Allianz SE mit nur noch zwölf Mit86
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Aus diesem Grund gehen den Gewerkschaften Sitze in Aufsichtsräten und damit Einflussmöglichkeiten verloren. Zweitens werden die Mitglieder des Aufsichtsrats bei der SE nicht mehr exklusiv von den deutschen Arbeitnehmern gewählt, sondern auch Arbeitnehmer ausländischer Konzernteile werden zukünftig bei der Besetzung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mitentscheiden. In der Vergangenheit ist dies bereits vielfach gefordert worden93 und auch diese Neuerung führt zu einer Minderung der Anzahl deutscher Gewerkschaftssitze in Aufsichtsräten. Drittens werden die Aufsichtsratsposten nicht mehr ausschließlich mit deutschen Arbeitnehmern besetzt werden, es sind auch ausländische Kollegen dafür vorzusehen.94 Auch durch diese Veränderung verringert sich der Einfluss deutscher Gewerkschaften auf deutsche SE. Viertens gibt es in den gesetzlichen Vorschriften zur SE keine Pflicht zur Bestellung eines Arbeitsdirektors, so wie es in den §§ 33 MitbestG, 13 Montan-MitbestG und 13 MitbestErgG vorgesehen ist.95 Es ist lediglich ein Vorstandsmitglied oder geschäftsführender Direktor für den Bereich „Arbeit und Soziales“ zuständig.96 Dabei ist die Stellung dieses Mitglieds des Leitungsorgans mit der eines Arbeitsdirektors nicht vergleichbar, da es nicht „zusätzlich“ bestellt wird.97 Insbesondere diese neue Situation beschneidet den tradierten gewerkschaftlichen Einfluss erheblich. Fünftens und letztens sehen die Normen zur SE keine Bildung eines Vermittlungsausschusses vor, der bei Nichteinigung des Aufsichtsrats über die Besetzung des Vertretungsorgans gem. § 31 III 1 MitbestG eine Vermittlungsfunktion einnimmt, wie es in § 27 MitbestG konzipiert ist.98 Wenngleich die Gewerkschaften vielfach im zu bildenden bVG wegen § 6 III SEBG vertreten sein werden und ihnen überdies nach § 36 III SEBG auch Aufsichtsratssitze zugesichert werden, bietet der dargelegte Aderlass auf Seiten der Gewerkschaften Grund zur Sorge, er könnte ein zusätzliches Hindernis für konstruktive Einigungen über die SE-Mitbestimmung konstituieren. Folglich gibt es einige gute Gründe zu befürchten, dass insbesondere Gewerkschaftsvertreter bei Verhandlungen des bVG kaum bereitwillig von einer paritätischen Mitbestimmung abrücken werden.
gliedern des Aufsichtsrates operieren, siehe hierzu Allianz AG Verschmelzungsbericht S. 32 und die Pressemitteilung der Allianz AG vom 11. November 2005. 93 Vgl. nur Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 113, 118; den Anstoß durch die SE begrüßt auch Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 700. 94 Vgl. § 36 SEBG. 95 A. A. ohne Begründung Grobys, NZA 2005, 84 (90). 96 Vgl. § 38 II 2 SEBG. 97 MüKoAktG-Jacobs, § 38 SEBG, Rn. 4; Oetker, BB-Special I/2005, 2 (12); a. A. Kienast in: Jannott/Frodermann, Kap. 13, Rn. 53. Etwas anders stellt sich die Situation bei Unternehmen dar, die dem Montan-MitbestG unterfallen, dazu MüKoAktGJacobs, § 38 SEBG, Rn. 5. 98 Vgl. dazu Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 27 MitbestG, Rn. 34 ff.
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(2) Asymmetrische Verteilung der Verhandlungsmacht Wesentlicher und greifbarer für die Annahme eines mangelnden Einigungswillens des bVG ist aber die Tatsache, dass die Verhandlungsmacht zwischen den beiden Verhandlungspartnern sehr ungleich verteilt ist. Ob also die Annahme der Regierungsbegründung zutrifft, dass „der Vorrang der Verhandlungslösung [es] ermöglicht, einen sinnvollen Ausgleich der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Rechtslagen [zu erzielen] und zugleich eine sachgerechte Anpassung an die Bedürfnisse und Strukturen der zukünftigen SE“99 vorzunehmen, muss daher in Zweifel gezogen werden. Wie bereits erläutert, greift bei einer Nichteinigung im Verhandlungswege die gesetzliche Auffangregelung des § 35 SEBG zugunsten der paritätischen Mitbestimmung ein. Die Arbeitnehmer haben bei den Verhandlungen also nichts zu verlieren und – realistisch betrachtet – wenig zu gewinnen, während die Position der Arbeitgeber als genau entgegengesetzt charakterisiert werden kann, d. h. sie haben – ebenfalls realistisch betrachtet – wenig zu gewinnen, aber alles zu verlieren. Der Umstand also, dass sich nach der Gesetzeslage eine Situation ergibt, bei der allein die Arbeitgeber ein Interesse an der Durchführung und dem erfolgreichen Abschluss des – zwingend erforderlichen – Verhandlungsverfahrens haben, die Arbeitnehmer hingegen kaum an Verhandlungen und weniger noch an Verhandlungsergebnissen interessiert sind,100 muss auf Kritik stoßen. Nach der Ansicht Fleischers handelt es sich bei dieser Interessenverteilung um nichts weniger als einen „kardinalen Konstruktionsfehler“.101 Denn wie die Spieltheorie zeigt, erfolgt ein „bargaining in the shadow of the law“:102 Verhandlungen werden immer im Schatten der Regelung geführt, die eingreift, wenn ein einvernehmlicher Verhandlungsabschluss nicht erzielt werden kann.103 Bei einem Scheitern der Verhandlungen erlangt der gesetzliche Mindeststandard nach § 35 SEBG Verbindlichkeit, der für SE mit Beteiligung deutscher, paritätisch mitbestimmter Gründer ausnahmslos paritätische Mitbestimmung nach dem Modell des MitbestG bedeutet.104 Ob mit diesem „Mindest“-Standard überhaupt ein tragfähiger Mitbestimmungskompromiss im Wege der Verhandlungen erreicht werden kann, erscheint indes fraglich.105 Denn aufgrund der Ausrichtung der SEBG-Mitbestimmungsregelung am Prinzip des Meistbegünstigten 99
RegBegr. BT-Drs. 15/3405, S. 41 (linke Spalte). Nach Köstler, ZGR 2003, 800 (807 f.) ist der Verzicht der Arbeitnehmer auf Sitze im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan „kaum vorstellbar“. 101 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (534); ihm folgend auch Henssler in: Ulmer/ Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 193 und Habersack, AG 2005, 345. 102 Zur Spieltheorie in Form von „Kooperativen Spielen“ vgl. nur Holler/Illing, Einführung in die Spieltheorie, S. 23 ff. und 185 ff. 103 Junker, ZfA 2005, 212 (222). 104 Dazu bereits B. II. 3. b). 100
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„wird die Neigung der Arbeitnehmer, sich auf eine Abweichung vom gesetzlich garantierten Maximum an Mitsprache einzulassen, gering sein.“106 Ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an konstruktiven Lösungen eines für beide Seiten vorteilhaften Mitbestimmungsniveaus wird sich entsprechend in Grenzen halten.107 Vielmehr wird das bVG geradewegs dazu eingeladen, eine Verhandlungslösung zu blockieren, um auf diese Weise die gesetzliche Auffangregelung durchzusetzen.108 „Im Sinne einer ,Machtbalance‘ ist dies nur dann zu rechtfertigen, wenn die Arbeitnehmerseite durch eine Blockade nicht nur etwas gewinnt, sondern auch etwas zu verlieren hat, nämlich Rechte für die Beschäftigten der SE, die nur im Verhandlungsweg, nicht aber im Rahmen der gesetzlichen Auffanglösung errungen werden können.“109 Tatsächlich haben die Arbeitgeber nach der Ausgestaltung des Gesetzes einer solchen Taktik nichts anderes entgegenzusetzen110 als die Forderungen des bVG zu akzeptieren oder in letzter Konsequenz auf das Vorhaben der SE-Gründung zu verzichten.111 Im Gegensatz dazu wird vereinzelt112 darauf hingewiesen, dass das Druckmittel der Auffanglösung vielleicht nicht so stark ist, wie angenommen. Immerhin gehörten auch Arbeitnehmervertreter aus Mitgliedstaaten dem bVG an, die weniger oder gar keine Mitbestimmung kennen.113 Dadurch werde der Verhandlungsraum sogar vergrößert, denn diese Verhandlungsführer würden eine Mitbestimmungsvereinbarung unterhalb des SEBG-Standards möglicherweise als ge105 Heinze, ZGR 2002, 66 (92); zweifelnd auch MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SEVO, Rn. 3. Kompromisse werden sich die Arbeitgeber regelmäßig teuer erkaufen müssen, hierzu Calle Lambach, RIW 2005, 161 (163 ff.). 106 Kämmerer/Veil, ZIP 2005, 369 (370); ähnlich auch Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 126 und Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (781). 107 Nach Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (196) wird die „Arbeitnehmerseite [. . .] die Verhandlungen [. . .] stets mit Blick darauf führen, welches Maß an Mitbestimmung sie über die gesetzliche Auffangregelung ohne das Einverständnis der Arbeitgeberseite durchsetzen kann. Vereinbarungen, die hinter diesem Maß an Mitbestimmung zurück bleiben, dürften nur realistisch sein, wenn die Arbeitgeberseite Kompensationen an anderer Stelle anbieten kann.“ 108 Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (780); Kritik auch bei Heinze, ZGR 2002, 66 (75) und (90 ff.). 109 Reinhard, RIW 2006, 68 (69). 110 Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 (2525) sehen in einem Scheitern der SE-Gründung ein Druckmittel der Arbeitgeber, da sich „die Verantwortung dafür [. . .] die Verhandlungsführer der Arbeitnehmer nur höchst ungern zuweisen lassen“ werden. Ob hierin eine Stärkung der arbeitgeberseitigen Verhandlungsposition gesehen werden kann, ist allerdings zweifelhaft. 111 Die SE kann erst mit Abschluss des Verhandlungsverfahrens registriert werden, Art. 12 II SE-VO, vgl. dazu Abschnitt B. II. 3. 112 Herfs-Röttgen, NZA 2002, 358 (363); wohl auch Teichmann, BB 2004, 53 (56); optimistisch auch Köstler, ZGR 2003, 800 (802) und (807 f.); widersprüchlich Brand, BB-Special II/2005, 1 (5) und Fn. 40. 113 Herfs-Röttgen, NZA 2002, 358 (363).
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nügend empfinden.114 Zwar ist die Tatsache klug beobachtet, jedoch ist ein ganz wesentlicher Umstand in die In diese Schlussfolgerung ist jedoch ein ganz wesentlicher Umstand nicht eingeflossen. Sicherlich ist ein Abschmelzen des Mitbestimmungsstandards, der bei deutscher Beteiligung regelmäßig sofort dann vorliegt, wenn eine Vereinbarung unterhalb der paritätischen Mitbestimmung geschlossen wird, durch Beschluss des bVG möglich. Allerdings ist dieser Beschluss – wie vorstehend beschrieben – mit einer dreifach qualifizierten Mehrheit zu fassen.115 Diese hohen Anforderungen werden die einigungswilligen bVG-Mitglieder aus dem europäischen Ausland kaum jemals erfüllen können, so dass die Annahme den Makel des theoretischen Einwands kaum abzustreifen vermag. Im Fall der SE-Gründung durch Umwandlung116 ist die Entgegnung schließlich überhaupt unzutreffend; nach § 15 V SEBG darf vom bVG ein Beschluss zur Minderung des Mitbestimmungsstandards in diesem Fall nicht gefasst werden. Die ungleiche Verteilung der Verhandlungspositionen zeigt sich auch in einem weiteren Umstand: Während die Verhandlungen durch das bVG jederzeit abgebrochen werden können, steht der Arbeitgeberseite eine solche Option nicht offen.117 Dass hieran durchaus Interesse bestehen könnte, überrascht kaum. Wäre es etwa aus kapitalmarkttaktischen Gründen vorteilhaft, die SEGründung schnellstmöglich durchzuführen, mögen die Gründer auch zu großen Zugeständnissen im Bereich der Arbeitnehmermitbestimmung bereit sein.118 Außerdem wäre diese Variante, insbesondere bei arbeitnehmerlosen SE, durchaus interessant. Dabei könnte der Verhandlungsabbruch, ausgelöst durch die Arbeitgeberseite, spiegelbildlich zur Beendigung der Verhandlungen durch das bVG ausgestaltet sein. Während in letzterem Fall die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung nach §§ 34 ff. SEBG durch § 16 II SEBG versagt wird, könnte bei einem Abbruch der Verhandlungen durch die Arbeitgeber die Anwendung eben dieser Auffangregelungen gerade vorgesehen sein. Noch einmal wird die ungleiche Position der beiden Verhandlungspartner schließlich im Fall der Umwandlung deutlich. Auch hier sind die Verhandlungen über die Arbeitnehmermitbestimmung in der SE zu führen, dies ergibt sich aus § 4 II 2 SEBG.119 Während es im Rahmen des Verhandlungsverfahrens möglich ist, den zuvor gültigen Mitbestimmungsstandard weiter zu erhöhen, ist 114 Brand, BB-Spezial II/2005, 1 (5), Fn. 40; für denkbar erachtet auch Henssler, FS für Ulmer, S. 193, 197 eine Einigung zwischen bVG und Unternehmensleitungen. 115 Hierzu im Einzelnen bereits Abschnitt C. II. 1. b) dd) (2). 116 Auch hier sind ausländische Arbeitnehmer im bVG vorstellbar. Etwa sind in die SE „eingebrachte“ ausländische Tochtergesellschaften am Verhandlungsverfahren zu beteiligen. 117 Grobys, NZA 2005, 84 (87). 118 Zur zeitlichen Behinderung einer SE-Gründung durch das Verhandlungsverfahren siehe C. II. 1. b) aa).
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es vom Gesetzgeber ausgeschlossen worden, die Einflussnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmer auf Unternehmensentscheidungen einzuschränken. § 21 VI SEBG erklärt Vereinbarungen unterhalb des vormals gültigen Standards für unzulässig und § 16 III SEBG verbietet den bVG-seitigen Abbruch der Verhandlungen. Dies gilt selbst dann, wenn sich alle Vertreter des bVG für eine solche Absenkung aussprechen würden, denn eine Ausnahmevorschrift existiert nicht. Eine Erweiterung der Mitbestimmung ist daher immer möglich, ihre Absenkung hingegen objektiv unmöglich.120 Der Beigeschmack gesetzgeberisch verordneter Entmündigung beider Verhandlungspartner lässt sich in dieser Situation kaum leugnen. Im Ergebnis werden sich damit die Verhandlungen über die Mitbestimmung bei deutscher Beteiligung an der SE mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz besonders aufwändig, kosten- und zeitintensiv gestalten, denn es würde nicht überraschen, wenn die Verhandlungen sich oftmals über den maximal möglichen Zeitraum von 12 Monaten erstreckten. Vereinbarungen unterhalb der Parität werden jedenfalls die Ausnahme bleiben.121 De lege ferenda sei hervorgehoben, dass auch der Davignon-Bericht eine Verhandlungslösung vorsah, gleichzeitig jedoch mit Nachdruck betonte, diese dürfe nicht zu einer offenkundigen Minderung des Verhandlungsinteresses der Parteien führen.122 Dazu war von der Sachverständigengruppe vorgeschlagen worden, den Arbeitnehmern nur 1/5 der Aufsichtsbzw. Verwaltungsratssitze, mindestens jedoch zwei Mandate zuzubilligen.123 Leider wurde dieser Vorschlag nicht aufgenommen. ee) Verhinderung von Fusionsplänen Als Folge eines potentiell mangelnden Einigungswillens des bVG ist es nicht auszuschließen, dass sich die Verhandlungen über einen einvernehmlichen Mit119
§ 4 II 2 SEBG bestimmt dazu „Die Information erfolgt [. . .] nach Offenlegung [. . .] des Umwandlungsplans [. . .].“ 120 So ebenfalls Calle Lambach, RIW 2005, 161 (164). 121 Davon geht offenbar auch Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 697 aus: „[Bei deutschen SE] [. . .] ist damit zu rechnen, dass zumindest eine Gründergesellschaft der hiesigen Mitbestimmung unterliegt und diese daher nach der Auffangregelung auf die SE anzuwenden ist.“ Die ersten deutschen SE-Gründungen deuten ebenfalls in diese Richtung: Die erste Mitbestimmungsvereinbarung wurde für die MAN Diesel SE getroffen. Der Aufsichtsrat von zehn Mitgliedern wird mit fünf Arbeitnehmern besetzt werden, vgl. Pressemitteilung der MAN B&W Diesel Group vom 28. April 2006. Auch bei der Allianz SE wird der Aufsichtsrat (zwölf Mitglieder) zur Hälfte mit Arbeitnehmern besetzt werden. 122 Davignon-Bericht, S. 17, Rn. 80, abgedruckt in BR-Drs. 572/97, S. 19: „Auch dürfen die in der Auffangregelung vorgesehenen Bestimmungen nicht dazu führen, dass das Interesse an Verhandlungen, denen natürlich nach wie vor Priorität gebührt, schwindet.“ 123 Davignon-Bericht, S. 17, Rn. 83, abgedruckt in BR-Drs. 572/97, S. 20.
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bestimmungsstandard in die Länge ziehen und als besonders aufwändig herausstellen. Auch in einem „günstigen“ Fall, in dem man von der gesetzlich vorgesehenen Verhandlungsdauer von „nur“ sechs Monaten ausgeht, kann eine angestrebte Fusion durch eine solche lange Verhandlungsphase erheblich behindert werden. Denn konkretisieren sich die Fusionsvorhaben der SE-Gründungspartner, sind diese nach § 15 I WpHG im Wege der Ad-hoc-Mitteilung publik zu machen.124 Da die SE aber erst nach Abschluss der Mitbestimmungsverhandlungen registriert werden kann, bedeutet die Verhandlungsphase „Gift für die Fusionsverwirklichung“.125 Während dieses langen Zeitraums befindet sich die Fusion in einem „Schwebezustand“ der sie besonders anfällig für zwischenzeitlich anziehende oder absackende Aktienkurse macht. Diese Kursbewegungen könnten die Gründungspartner zu der Einsicht wirtschaftlicher Unmöglichkeit zwingen. Aber auch das mögliche Scheitern der Verhandlungen mit den Arbeitnehmern stellt für die beteiligten Unternehmensleitungen ein kaum kalkulierbares Risiko dar. In diesem Fall müssen sie nämlich „mit nicht zu unterschätzenden imageschädigenden und wohl auch aktienkursrelevanten Folgen rechnen.“126 Allerdings betrifft diese Schwierigkeit zunächst nur „externe“ Fusionsvorhaben, denn konzerninterne Unternehmenszusammenschlüsse unterliegen der Veröffentlichungspflicht nach § 15 WpHG nicht.127 Auch die rechtsformwechselnde Umwandlung (Gründungsvariante 6.) ist von der Norm nicht erfasst. Schließlich erfolgt eine weitere Eingrenzung des Problems, da die Vorschrift nur auf börsennotierte Gesellschaften anwendbar ist. Gleichwohl lauert durch das lange Verhandlungsverfahren auch für nicht börsennotierte Gesellschaften Gefahr. Nach § 4 SEBG sind die Arbeitnehmervertretungen oder, sofern diese nicht bestehen, alle Arbeitnehmer detailliert128 über das Fusionsvorhaben zu unterrichten. Schon wegen der großen Anzahl der umfassend zu informierenden Personen drohen hier erhebliche Vertraulichkeitslücken, die für die SE-Gründung eine ernstliche Gefahr darstellen können. Unternehmen mit einem wesentlich geringeren oder gar keinem Mitbestimmungsstandard unterliegen derartigen Informationspflichten zwar auch, doch ist aufgrund der voraussichtlich wesentlich kürzeren Verhandlungsphase die Gefahr von Informationslecks bei ihnen erheblich kleiner.
124 Hierzu auch Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 220. 125 In diese Richtung Götz, ZIP 2003, 1067. 126 Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 160. 127 Assmann in: Assmann/Schneider-WpHG, § 1, Rn. 8 sowie § 15, Rn. 43; so auch Götz in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 152, 161. 128 Vgl. § 4 III SEBG, vgl. zum Umfang der Informationspflicht Grobys, NZA 2005, 84 (86).
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ff) Vergleich mit dem Verhandlungsverfahren des EBR Für die Verhandlungslösung der Arbeitnehmermitbestimmung wird gerne darauf verwiesen, dass sie derjenigen der europäischen Betriebsräte-Richtlinie nachgebildet sei.129 Für das Verständnis der Struktur beider Richtlinien130 ist dieser Vergleich hilfreich. Beim EBR greift, wie auch bei der SE, die Auffangregelung kraft Gesetzes nur dann ein, wenn eine freiwillige Vereinbarung scheitert.131 Dies ist nach § 21 I EBRG dann der Fall, wenn die Unternehmensleitung die Aufnahme von Verhandlungen verweigert oder wenn innerhalb von drei Jahren nach Antragstellung auf Errichtung eines EBR keine Vereinbarung erzielt werden konnte. Relevant ist die Ausgestaltung der gesetzlichen Auffangregelung nach §§ 32 und 33 EBRG, denn sie bestimmt ganz wesentlich die Verhandlungsposition von Arbeitgebern und Arbeitnehmern: In gewisser Weise bildet die Auffangregelung für die Schaffung eines EBR das gegenteilige Extrem zur SE-Regelung. Greift sie nämlich ein, kommen dem EBR nach § 32 EBRG lediglich Informations- und Konsultationsrechte zu.132 Nur einmal pro Kalenderjahr133 hat die Unternehmensleitung den EBR über die in § 32 II EBRG näher definierten Gegenstände zu unterrichten bzw. ihn dazu anzuhören.134 Darüber hinaus hat der EBR keine weiteren Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsleitung. Der gesetzliche Einfluss des EBR ist damit äußerst begrenzt und stärkt in der Folge die Verhandlungsposition der Arbeitgeber. Ihr Verhandlungsinteresse ist gering und selbst im Fall des Scheiterns der Verhandlungen sind die Folgen für ihre unternehmerische Freiheit überschaubar. Wegen der qualitativ grundverschiedenen Reichweite der gegenübergestellten Auffangregelungen bei SE und EBR sind Vergleiche zwischen beiden Verhandlungsverfahren daher wenig aussagekräftig.135
129 Vgl. nur Bungert/Beier, EWS 2002, 1 (4); ganze Monographien sind auf dieser Sichtweise aufgebaut, so z. B. Kuffner, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft auf der Grundlage der Richtlinie des Europäischen Betriebsrates. Hinweise zu zwei Unterschieden des Konsultationsverfahrens nach SE-RiL und EBR-RiL finden sich bei Davies, Workers on the Board of the European Company?, 32 Ind. Law J. 75 82 (2003). 130 Weiß, NZA 2003, 177 (181 f.). 131 Gaul, NJW 1996, 3378. 132 Vgl. nur Küttner/Eisemann, Personalbuch 2006, Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes, Rn. 23. 133 Über außergewöhnliche Umstände ist nach § 33 EBRG „rechtzeitig“, d. h. wohl auch außerhalb des regulären Jahresturnus zu unterrichten. 134 M. Schmidt, NZA 1997, 180 (183). 135 Nicht hilfreich ist daher der Vergleich bei Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 446.
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
gg) Ergebnis zur Ausgestaltung der Verhandlungslösung Die nachgezeichnete Situation erzwungenen Zusammenwirkens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, gekennzeichnet durch reihenweise „Stolpersteine“136 und insbesondere einen ungewissen Ausgang, muss vor allem bei Unternehmen aus mitbestimmungsfreien Jurisdiktionen auf Unverständnis stoßen. Dieses Unbehagen wird dabei keineswegs von der Verhandlungslösung selbst ausgelöst, sondern beruht auf ihrer konkreten Ausgestaltung.137 Die Vorteile flexibler Lösungen jenseits zwingenden Rechts liegen auf der Hand.138 Insofern ist es aber wenig hilfreich, „die Suche nach der für beide Seiten passenden Mitbestimmungslösung mit Besitzstandsvorgaben zu belasten.“139 Gegenüber ausländischen Konkurrenten stellen sich die spezifisch deutschen Probleme dann auch als „echtes Handicap“140 dar.141 „Ist eine deutsche mitbestimmte Gesellschaft [an einer SE-Gründung] beteiligt, so wird nur in Ausnahmefällen eine Minderung beschlossen werden, so dass damit zu rechnen ist, dass sich das gleiche Ausmaß der Mitbestimmung auch in der SE wiederfinden wird.“142 Die nicht vorhandene Verhandlungsmacht der Arbeitgeber kann mit der dem Arbeitsrecht136
Brandes, AG 2005, 177 (188). Das übersehen offenbar Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 (2525). 138 Für die Zukunft nicht hilfreich ist es allerdings, wenn, wie von Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 455 vorgeschlagen, „der Verhandlungsansatz auf Basis von Auffanglösungen für die Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmensorganen der SE zu einem europäischen Prinzip [wird]. Dabei können die bestehenden nationalen Rechte nicht einfach zur Disposition gestellt werden.“ Die Ausführungen von Klebe/Köstler sind insofern widersprüchlich, da beide Postulate gleichzeitig nur umsetzbar sind, wenn Deutschland seine Mitbestimmungsvorstellungen nicht allen anderen EU-Mitgliedern über dementsprechende Auffangregelungen aufzwingt. 139 Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 32. 140 Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 218. 141 Raum für „zahlreiche Mittellösungen“ sieht hingegen Teichmann, BB 2004, 53 (56). Wie diese „maßgeschneiderten Konzepte“ allerdings zu erreichen sein werden, wird nicht erläutert. Ansätze finden sich hierzu bei Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 ff., die eine „qualifizierter Drittelparität“ propagieren. Allerdings ist bereits die Prämisse zweifelhaft: „Diese [aufgezählten] Nachteile [der Verhandlungslösung] sind gewiss nicht von der Hand zu weisen, beeinträchtigen die Tauglichkeit der SE aber vor allem für den Zusammenschluss großer, womöglich börsennotierter Unternehmen – denn eine solche Transaktion kann in der Tat weder Verzögerung noch Rechtsunsicherheit vertragen. Wie sich abzeichnet, wird die SE aber wesentlich häufiger für Einsatzformen genutzt werden, bei denen die Mitbestimmung nicht das zentrale Problem ist: Beispielsweise der bloße Formwechsel einer deutschen AG in die SE, bei dem Konsens darüber besteht, dass das bisherige Modell grundsätzlich beibehalten werden soll [. . .].“ Im angesprochenen Fall der rechtsformwechselnden Umwandlung ist eine Vereinbarung unterhalb des zuvor geltenden Mitbestimmungsstandards unzulässig. Dies ergibt sich aus § 15 V SEBG, der eine Umsetzung von Art. 4 IV SE-RiL ist. Im problematischen Fall der paritätischen Mitbestimmung kann die von den Autoren vorgeschlagene Vereinbarungslösung „qualifizierter Drittelparität“ damit von vornherein gar nicht eingreifen. 137
II. Bestandsaufnahme
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ler aus einem gänzlich anderen Zusammenhang bekannten Metapher des BAG umschrieben werden, nach der es heißt, Tarifverhandlungen verkämen ohne Streikrecht zu „kollektivem Betteln“.143 Auch für die Mitbestimmungsverhandlungen im Schatten einer Auffangregelung, die „im Zweifel Parität“ bedeutet, ist dieser Ausspruch angemessen. Zwar prägte das BAG den Begriff ursprünglich natürlich mit umgekehrten Vorzeichen, doch beschreibt er die vorliegende Situation nicht weniger zutreffend. Durch die Ausgestaltung des Verhandlungsverfahren werden die „Chancen einer diesen Namen verdienenden Vereinbarungslösung erheblich mininiert.“144 c) Fragen der Corporate Governance Im Zusammenhang mit der Arbeitnehmermitbestimmung auf Unternehmensebene wurden schon in der Vergangenheit immer wieder Fragen guter Unternehmensführung diskutiert. Die fortschreitende Integration internationaler Kapitalmärkte, auf denen deutsche Unternehmen um ausländische Investoren werben, setzte zu Beginn der 90er Jahre eine interdisziplinäre Debatte um die Anforderungen an gute Corporate Governance in Gang.145 Hierbei begründet die Mitbestimmung auf Unternehmensebene auch und insbesondere nach internationaler Ansicht146 oftmals ein Konfliktfeld zu guter Corporate Governance.147 Sie wird daher zunehmend kritisiert und in Frage gestellt.148 Friktionen ergeben sich ins142 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 242; ebenso Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (197). 143 BAG, Urteil vom 10.06.1980, 1 AZR 168/79, AP Nr. 64 und 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NJW 1980, 1653 ff. jeweils unter A I 2 a). 144 Kübler, FS für Raiser, S. 247, 251; zweifelnd auch Heinze, ZGR 2002, 66 (82 f.). 145 v. Werder in: Handbuch Corporate Governance, S. 3, 4 ff.; Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 186 bezeichnet die Corporate Governance-Diskussion als kapitalmarktgetrieben. Zur Rolle des Kapitalmarktrechts in der Diskussion um die Corporate Governance Merkt, Kapitalmarktrecht, S. 5 ff. 146 Charney, The German Corporate Governance System, Col. Busl. L. Rev. 145 158 (1998); Hansmann, When Does Worker Ownership Work? ESOPs, Law Firms, Codetermination and Economic Democracy, 99 Yale L. J. 1749 1803 (1990), Hansmann/Kraakman, The End of History for Corporate Law, 89 Georgetown L. J. 439, 445-46 (2001); Kershaw, No End in Sight for the History of Corporate Law, 2 JCLS, 34 54-7 (2002); Müller, Die Bank 2002, 544 (545); Roe, German Codetermination and German Securities Markets, Col. Bus. L. Rev. 167–183 (1998); Romano, International Regulatory Competition and Coordination, S. 127, 138 f.; Rogoff im Interview mit dem Spiegel Nr. 16 vom 15. April 2006, S. 90 (92). 147 Zur Verknüpfung von effizienzgesteigertem Unternehmenserfolg und Corporate Governance Vorschriften Gilson, Corporate Governance and Economic Efficiency, 74 Wash. U. L. Q. 327–345 (1996). 148 Vgl. nur die jüngeren Beiträge von Berhardt/Witt in: Handbuch Corporate Governance, S. 323, 331 f.; Götz, AG 2002, 552 ff.; Junker, ZfA 2005, 1 (40 ff.); Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 186; Schiessl, AG 2002, 593 (595 ff.); Schwark, AG 2004, 173 ff.; Stengel, VGR Bd. 5 (2002), S. 61 ff.; Ulmer,
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besondere bei der Unabhängigkeit von Organmitgliedern (unter aa)) sowie der Effektivität und Professionalität der Unternehmenskontrolle (hierzu bei bb) und cc)). Hierbei wird auch auf die spezifischen Probleme der Übertragung paritätischer Mitbestimmung in die SE einzugehen sein. aa) Unabhängigkeit der Mitglieder von Gesellschaftsorganen In einem Unternehmen stoßen eine Vielzahl verschiedener Interessen aufeinander: Unternehmens-, Anteilseigner-, Kapitalmarkt- und Arbeitnehmerinteresse müssen in Einklang gebracht werden obwohl sie „keine generell harmonisierungsfähigen“149 sondern häufig genug sogar gegensätzliche Belange darstellen. Nach internationaler150 und auch deutscher Überzeugung151 ist im Sinne guter Corporate Governance bei der Auswahl und Besetzung eines Aufsichts- oder Verwaltungsrates vor allem darauf zu achten, dass seine Mitglieder hinreichend unabhängig vom Unternehmen agieren können. Nur so ist sicherzustellen, dass erforderliche Entscheidungen weitestgehend objektiviert und frei von persönlicher Betroffenheit gefällt werden.152 Insbesondere Arbeitnehmer gelten allerdings nicht als unabhängig.153 AcP 202 (2002), 143 (162 f.); ders., ZHR 166 (2002), 271 ff.; v. Werder, AG 2004, 166 ff.; Zander/Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14; Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 20 ff.; Berliner Netzwerk Corporate Governance, 12 Thesen zur Modernisierung der Mitbestimmung, AG 2004, 200; a. A. z. B. Hans-Böckler-Stiftung, Zur aktuellen Kritik der Mitbestimmung im Aufsichtsrat, 2004, verfügbar unter www.boeckler.de (Stand: 22. Februar 2007). 149 Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133, 152. 150 Goldman/Filliben, 25 Del. J. Corp. L. 683 699 (2000); dazu auch Roe, German Codetermination and German Securities Markets, Col. Bus. L. Rev. 167 168 (1998); vgl. z. B. den englischen Combined Code on Corporate Governance, A. 3. 1. (Board Balance and Independence), den Swiss Code of Best Practice, § 22 (Unabhängigkeitsregeln für Ausschussmitglieder). Noch weiter geht die französischen Corporate Governance Empfehlungen der „Association Francaise de la Gestion Financière“ (AFG) in Kapitel II. B. 1. erster Spiegelstrich. Nach ihr sind Organmitglieder nur unabhängig, wenn sie weder jetzt noch im Zeitraum der letzen zehn Jahre Arbeitnehmer bzw. Organmitglied einer Konzerngesellschaft waren. Eine in Sachen Unabhängigkeit ähnliche Vorschrift findet sich für das „neutrale Mitglied“ in Aufsichtsräten der Montanindustrie auch im deutschen Recht in § 4 II Montan-MitbestG. Zur Unabhängigkeit siehe auch die Bestimmungen des Sarbanes-Oxley Act: Subsection (301) 3; vgl. ebenfalls Schwalbach, AG 2004, 186 (187). 151 Der deutsche Corporate-Governance-Kodex widmet dieser Frage einen ganzen Unterabschnitt (Ziff. 5.5.) und empfiehlt unter anderem, dass potentielle Interessenkonflikte bei der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder zu berücksichtigen (Ziff. 5.4.1.) und existierende Konflikte offenzulegen sind (Ziff. 5.5.2.), verfügbar unter http:// www.corporate-governance-code.de (Stand: 22. Februar 2007); vgl. die Zusammenfassende Darstellung zu Änderungen des deutschen Corporate-Governance-Kodex hinsichtlich der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern von Lieder, NZG 2005, 569 ff. 152 So auch v. Werder, AG 2004, 166 (170 f.); hierzu auch Merkt, ZGR 2003, 650 (666).
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Erstens sind sie mit dem Unternehmen aufgrund eines Arbeitsvertrages verbunden. Es besteht damit ein Austauschverhältnis mit der daraus folgenden gegenseitigen Abhängigkeit und wechselseitigen Rechten und Pflichten.154 Zwar erscheint es möglich, die Rechtsverhältnisse „Anstellung“155 und „Organstellung“ rechtlich von einander zu trennen,156 doch lässt dies keine Rückschlüsse auf die tatsächliche gegenseitige Beeinflussung zu. Hierbei steht weniger der Gedanke des Schutzes vor repressivem Verhalten durch die Unternehmensführung im Vordergrund,157 als die Tatsache, dass das Entscheidungsverhalten der Arbeitnehmer-Organmitglieder aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung durch Interessenkonflikte beeinflusst werden könnte.158 Zweitens werden Arbeitnehmervertreter durch die Belegschaft in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat gewählt und sind damit bei ihrer Urteilsfindung für die Interessen ihrer Wähler notwendig, völlig natürlich und zu Recht voreingenommen,159 weshalb sachfremde Erwägungen einer objektivierten Urteilsfindung entgegenstehen können. Drittens ist eine große Zahl von Arbeitnehmern im Aufsichts- bzw. zukünftig Verwaltungsrat zugleich Mitglied des Betriebsrates,160 so dass es zu einer Vermischung von Belegschaftsinteressen und Unternehmensbelangen auch diesbezüglich kommen kann.161 Tendenziell sind – so zeigt es die Erfahrung – strategische Überlegungen im Aufsichtsrat daher vorschnell mit den personalpoliti153 Vgl. z. B. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 55; Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 463 ff.; Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 127; Scheffler, ZGR 2003, 236 (260); Schwalbach, AG 2004, 186 (187 f.); Report of the High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, November 2002, S. 62 f.; Corporate Governance Empfehlungen der AFG in Kapitel II. B.; Ebenso wohl auch Kersting, ZIP 2003, 2010 (2015); vorsichtiger Habersack, ZHR 168 (2004), 373 (376 f.); a. A. Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 (351). 154 Vgl. dazu ErfK-Preis, § 611 BGB, Rn. 487 ff. 155 Zu Rechtscharakter, Abschluss und Beendigung sowie der rechtlichen Bedeutung des Anstellungsverhältnisses von Arbeitnehmervertretern in Unternehmensorganen Jacklofsky, Arbeitnehmerstellung und Aufsichtsratsamt, S. 48 ff. 156 Etwa in Bezug auf die Ausgestaltung der Aufsichtsratshaftung von Arbeitnehmervertretern, dazu Henssler, FS für BGH, 2000, S. 387, 414 ff.; vgl. zum Streitstand „Bestellung und Anstellungsverhältnis“ Hüffer, AktG, § 101 AktG, Rn. 2. 157 Allein hierauf wird allerdings vielfach abgestellt, so z. B. Lieder, NZG 2005, 569 (571). Nur wenn man diesen Ansatz verfolgt, kann man dem sich stellenden Problem argumentativ mit § 26 MitbestG bzw. § 9 DrittelbG begegnen. 158 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 463; Schwalbach, AG 2004, 186 (187 f.); das konzediert auch Habersack, ZHR 168 (2004), 373 (376). 159 Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 191; Windbichler, AG 2004, 190 (193); nach Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133, 151 sind Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Interessenkollisionen „nahezu zwangsläufig ausgesetzt“. 160 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 466 f. 161 Windbichler, AG 2004, 190 (193); Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 21; zu den sich insofern ergebenden Problemen v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 11.
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schen Details ihrer Umsetzung überfrachtet,162 was einer effektiven Kontrolle der Unternehmensgeschicke nicht zuträglich ist.163 Die „allgemeine Kontrollfunktion des mitbestimmten Aufsichtsrats [zieht] gegenüber dem Vorstand zu häufig [zugunsten] der Konzentration auf Personalentwicklungs- und Beschäftigungspolitik des Unternehmens den Kürzeren.“164 Außerdem – viertens – werden aufgrund des oftmals engen Gewerkschaftskontakts der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Interessenkonflikte165 in das Überwachungsorgan hineingetragen, die sich nur schwer bewältigen lassen und praktisch bislang ungelöst sind.166 So ist z. B. das Recht der Streikteilnahme eines Aufsichtsratsmitglieds ein seit langem umstrittenes, gleichwohl immer wieder aktuelles Problem.167 Werden vergleichbare Konflikte in das einheitliche Leitungsorgan wie den Verwaltungsrat getragen, dürften sich die Schwierigkeiten exponentiell verstärken. Aufgrund der vorstehend skizzierten substanziellen Interessenverschränkungen ist eine effektive Unternehmenskontrolle durch Arbeitnehmervertreter gehemmt.168 Gleiches dürfte für die im Verwaltungsrat angesiedelte Unternehmensleitung gelten. Schließlich – und dies verdeutlicht die Dringlichkeit der Problemlösung – kommt der Frage nach der Unabhängigkeit von Mitgliedern des Kontroll- bzw. Verwaltungsorgans in Kapitalgesellschaften auch international immer stärkere Bedeutung zu. So musste etwa durch langwierige und 162 Junker, ZfA 2005, 1 (42); Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (240); so auch Sandrock, AG 2004, 57 (60) und ders., ZvglRWiss 102 (2003), 447 (490); andere sehen darin einen Vorteil, so z. B. Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 96. 163 Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (276); kritisch auch Schiessl, AG 2002, 593, (596) und ders., ZHR 167 (2003), 235 (240); dazu auch Hopt, FS für Everling, S. 475, 481. Nach Semler in: Comparative Corporate Governancen, S. 267, 276 verbringen deutsche Aufsichtsräte teilweise bis zu 80% ihrer Sitzungszeit mit Fragen der Arbeitnehmervertreter zu Personal- und Sozialthemen. 164 Paefgen, DB 2003, 487 (492). 165 Zu den Treuepflichten von Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern ausführlich Möllers in: Handbuch Corporate Governance, S. 404, 414 ff.; dazu auch Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 29, 32 f. 166 Hopt, FS für Everling, S. 475, 479 f.; hierzu auch Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 463 f. 167 Sandsrock, AG 2004, 57 (60); zum aktiven Streikaufruf von Frank Bsirske als Vorsitzendem der Gewerkschaft ver.di und gleichzeitiges Aufsichtsratsmitglied der Lufthansa AG im Sommer 2003 Möllers, NZG 2003, 697 ff.; ebenfalls zum Fall Bsirske Lutter/Quack, FS für Raiser, S. 259, 270; allgemein zum Konfliktfeld Aufsichtsratsmandat und Gewerkschaftsführung im Arbeitskampf Ruzik, NZG 2004, 455 ff. Siehe auch den Artikel der FAZ vom 12. Juli 2003, S. 13 „Possenspiel im Osten“. Der „Fall Bsirske“ stellt dabei zwar den prominentesten, allerdings keinen Einzelfall dar, vgl. nur den Beitrag der Wirtschaftswoche Nr. 26 vom 17. Juli 2004, „Mitbestimmung letzte Bastion“ S. 20 ff. 168 Siehe z. B. das von Arbeitnehmervertretern im Gegenzug gegen den Erhalt von deutschen Arbeitsplätzen gebilligte Missmanagement bei VW, dazu „Wolfsburger Malaise“ im Spiegel Nr. 16 vom 15. April 2006, S. 78 (80 f.).
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schwierige Verhandlungen mit der „Securities and Exchange Commision“, der US-amerikanischen Börsenaufsicht, erreicht werden, dass im Sarbanes-Oxley Act169 Ausnahmen hinsichtlich der Corporate-Governance-Regelungen über die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern von Gesellschaften erlassen werden, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen.170 Wäre dies gescheitert, hätten renommierte deutsche Unternehmen171 ihr Zweitlisting an der New Yorker Börse verloren.172 Für kapitalmarktorientierte Unternehmen hätte dies fatale Konsequenzen gehabt. Auch diese jüngsten Erfahrungen zeigen, dass die paritätische Mitbestimmung Deutschlands noch stärker in die Isolation gerät.173 bb) Effektivität der Unternehmenskontrolle und -leitung (1) Größe des Kontrollorgans Mit den Grundsätzen guter Corporate Governance ist die Größe deutscher Aufsichtsräte unvereinbar. Der Aufsichtsratsgröße deutscher Unternehmen, an der insbesondere die Mitbestimmung ihren Anteil hat,174 ist immer wieder Kritik entgegengebracht worden,175 denn mit zwölf, 16 oder gar 20 Aufsichtsratsmitgliedern lässt sich eine effektive Unternehmenskontrolle nur schwer verwirklichen.176 Wegen der großen Anzahl der Mitglieder177 ist es schwierig, 169 Zu den Neuerungen hinsichtlich der Corporate Governance durch den SOA Block, BKR 2003, 774 ff. 170 Hierzu und zu weiteren Ausnahmen des SOA für Unternehmen mit dualistischer Leitungsstruktur Kersting, ZIP 2003, 2010 ff. 171 Hierzu zählen große Unternehmen wie z. B. BASF, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Eon, SAP oder Siemens. Eine komplette und aktuelle Übersicht der Notierungen am NYSE ist unter www.nyse.com/listed/listed.html abrufbar, (Stand: 10. Obtober 2006). 172 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 22. 173 Vgl. Krause, WM 2003, 762 ff. zu den Fragen, die sich aus einem Zusammenwirken von SAO und deutscher Mitbestimmung ergeben; zur Notwendigkeit der Einführung eines Prüfungsausschusses als Folge des SAO Altmeppen, ZGR 2004, 390 ff. 174 Vgl. § 7 MitbestG. 175 Vgl. z. B. Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310 (316 f.); Lutter, ZHR 159 (1995), 287 ff.; Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 190; ders., in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 129; Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (490 f.); Scheffler, ZGR 1993, 63 ff.; Schiessel, AG 2002, 593 (595); Stengel, VGR Bd. 5 (2002), S. 61, 62; Ulmer, AcP 202 (2002), 143 (162); v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung S. 10. 176 Kübler, FS für Döser, S. 237, 240; Scheffler, ZGR 1993, 63 (73); teilweise wird von einer „optimalen“ Aufsichtsratsgröße von 8–12 Mitgliedern ausgegangen, so z. B. Schwalbach, AG 2004, 186 (187). 177 Dabei steigt durch das Hinzutreten von Vorstandmitgliedern und sonstigen Funktionsträger die Zahl der Teilnehmer einer Aufsichtsratssitzung nicht selten auf 30 oder 40 Personen an, Ulmer, AcP 202 (2002), 143 (162). Sofern jeder Teilnehmer einen Redebeitrag leisten möchte, wird die Redezeit für jeden einzelnen durchschnittlich
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regelmäßige Sitzungen178 des Gremiums zu organisieren. Die Kontrolldichte für Leitungsentscheidungen schwindet damit unter das erforderliche, jedenfalls unter das wünschenswerte Maß. Die Verkleinerung der Aufsichtsräte wird in der Folge schon lange Zeit von einer überwältigenden Mehrheit der Experten gefordert.179 Vorstehende Kritik ist auf die SE übertragbar. Hinsichtlich der Größe des Kontrollgremiums ist anzumerken, dass die gewünschte Flexibilisierung nicht in Sicht ist.180 Nach § 17 I 1 SEAG besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern. Satz 4 der Vorschrift bestimmt die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder – neun, 15 bzw. 21 – in Abhängigkeit vom Grundkapital und ist im Übrigen aus dem deutschen Recht bekannt.181 § 17 I 2 SEAG gewährt den Gesellschaften nun die Satzungsautonomie hinsichtlich der Aufsichtsratsgröße. Ungeachtet dessen legt § 17 I 3 SEAG die Teilbarkeit der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch „drei“ fest.182 Durch das Zusammenspiel von § 17 I 3 SEAG und dem nicht mehr als 4 bis 13 Minuten betragen können; Theisen, Comparative Corporate Governance, S. 259, 261. 178 Zur Notwendigkeit häufiger Aufsichtsratssitzungen Peltzer, NZG 2002, 10 (15) und zur Sitzungsfrequenz allgemein Ruhwedel/Epstein, BB 2003, 161 (162). 179 Vgl. z. B. die Beiträge der vorstehenden Fußnoten und zudem: Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 9; der 61. Deutsche Juristentag votierte mit großer Mehrheit für eine Verkleinerung der Aufsichtsräte bei Beibehaltung der paritätischen Mitbestimmung, Beschluss 15, Verhandlungen des 61. DJT, 1996, Bd. II/1, S. N 65. Es sprachen sich auch alle Sachverständigen des Bundestages, die zur Beurteilung des KonTraG einberufen worden waren, für eine Verkleinerung des Kontrollgremiums aus, vgl. Kübler, FS für Döser, S. 237, 246; a. A. Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 102, wonach eine Verkleinerung des Aufsichtsrates „weder um seiner strategischen, noch um seiner Kontrollfunktion willen zwingend erforderlich“ ist. 180 Nach Ansicht mancher, so z. B. SE-VO-Schwarz, Art. 40 SE-VO, Rn. 81 ff. ist eine gewisse Flexibilisierung im Wege der Mitbestimmungsvereinbarung möglich. Unabhängig davon, wird diese Flexibiliserung nur dann verfügbar, wenn es tatsächlich zu einer Vereinbarung zischen bVG und Unternehmensleitungen kommt. In vielen Fällen wird offenbar übersehen, dass die SE-RiL nur einen relativen, nicht hingegen einen absoluten Bestandsschutz gewährt. Die SE-Gründung durch Umwandlung mag aufgrund des Wortlautes von § 21 VI SEBG („muss [. . .] in Bezug auf alle komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet sein“) einen gewissen Sonderfall bilden. Der relative Schutzstandard bringt es mit sich, dass im Regelfall nur der Anteil der Arbeitnehmervertreter in Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan, nicht aber die genaue Anzahl beibehalten werden muss. 181 Vgl. § 95 AktG. 182 Der Sinn dieser Vorschrift erschließt sich nicht. Sie ist offenbar in Anlehnung an § 95 AktG entstanden, freilich ohne die Auswirkungen zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Dreiteilbarkeit im AktG geht darauf zurück, dass in Gesellschaften, die dem DrittelbG unterliegen, ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmervertreter sein müssen. Im Fall der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat greift § 7 MitbestG ein; vgl. zur Dreiteilbarkeit MüKoAktG-Semler, § 95 AktG, Rn. 22. Nach SE-VO-Schwarz, Art. 40 SE-VO, Rn. 82 kann der Grundsatz der Dreiteilbarkeit durch die Mitbestimmungsvereinbarung verdrängt werden. Zwar sind Zweifel berechtigt, ob
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Erfordernis der paritätischen Besetzung eines Aufsichtsrates183 nach der Auffangregel ergibt sich dann folgendes Bild: Das Erfordernis der Parität gibt den Quotienten „zwei“ vor, § 17 I 3 SEAG statuiert die Teilbarkeit durch „drei“.184 Mithin kann die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nur ein Vielfaches von „sechs“ betragen, um allen Vorschriften gleichermaßen zu entsprechen.185 Aufsichtsräte von SE mit deutscher Beteiligung werden daher nur sechs, zwölf oder 18 Mitglieder zur Unternehmenskontrolle berufen können, alle anderen Zahlenkombinationen bleiben ihnen verwehrt.186 Während die Zahl von zwölf Gremiumsmitgliedern in der Vergangenheit als zu groß bezeichnet wurde,187 ist ein Aufsichtsrat in der „nächstkleineren Variante“ mit nur sechs Personen bei einem großen Unternehmen sicherlich unterbesetzt. Das Dogma der Mitbestimmungsparität hat somit auch bei der SE eine Versteifung der Gestaltungsmöglichkeiten zur Folge. Das Problem der ausufernden, im Übrigen unflexiblen Organgröße wird auch für den Verwaltungsrat relevant. Die soeben erörterten Friktionen stellen sich im monistischen Verwaltungssystem in etwas anderer, dafür aber nicht weniger gravierender Weise dar.188 Grundsätzlich stellt es § 23 I 2 HS. 1 SEAG der Satzung anheim, die Größe des Verwaltungsrates zu bestimmen. Damit ist es zunächst auch möglich, den Verwaltungsrat durch ein einziges Mitglied zu besetzen.189 „Dies zielt besonders auf den Einsatz der SE durch kleine und mittlere Unternehmen oder als Tochtergesellschaft eines europäischen Konzerns ab.“190 der Dreiteilbarkeitsgrundsatz unmittelbar mit den Vorgaben des Art. 40 III 2 SE-VO vereinbar ist, allerdings kann auch in diesem Fall der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht dazu führen den nach deutschem Recht angeordneten Grundsatz der Dreiteilbarkeit einfach zu ignorieren. Dies wäre allenfalls dann vorstellbar, wenn Art. 40 III SE-VO Aussagen über die zulässigen mitgliedstaatlichen Konkretisierungen enthielte. Gerade im Hinblick auf den Dreiteilbarkeitsgrundsatz lassen sich solche Hinweise jedoch nicht finden. Der Grundsatz der Dreiteilbarkeit bleibt damit in jedem Fall zu beachten. So bereits Oetker, ZIP 2006, 1113 (1118). 183 Hier wurde versäumt, eine dem § 7 MitbestG vergleichbare Vorschrift zu schaffen, die § 95 AktG bzw. entsprechend § 17 I 3 SEAG und damit u. a. die Dreiteilbarkeit bei Anwendung der paritätischen Mitbestimmung verdrängt. Zur Verdrängung von § 95 AktG durch § 7 MitbestG vgl. Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 7 Rn. 1. 184 Diese Vorschrift wurde offenbar übersehen von Henssler in: Ulmer/Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 223, denn hier wird unzutreffend von einer Mindestorgangröße von vier Mitgliedern ausgegangen. 185 So auch Oetker, ZIP 2006, 1113 (1119) und Habersack, AG 2006, 345 (347). 186 Insbesondere ist die Größe des Aufsichtsorgans auch nicht der Mitbestimmungsvereinbarung zugänglich, Habersack, AG 2006, 345 (354); a. A. Oetker, ZIP 2006, 1113 (1115 f.). 187 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 22. 188 Zur wünschenswerten Größe von Verwaltungsräten vgl. Yermack, Higher market evaluation of companies with a small board of directors, J. F. E. 40, 185–211 (1996). 189 So die Begründung zum RegE zu § 40 SEAG, BT-Drs. 15/3405, S. 39 (linke Spalte). 190 Begründung zum RegE zu § 23 SEAG, BT-Drs. 15/3405, S. 37 (linke Spalte).
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Wegen des Erfordernisses der paritätischen Besetzung kommt indessen nur eine Zahl von Verwaltungsräten mit einem Vielfachen von zwei, d. h. eine gerade Zahl von Verwaltungsratsmitgliedern in Betracht.191 Für die im anglo-amerikanischen Rechtsraum teilweise zu beobachtende Präferenz, den Verwaltungsrat mit einer ungeraden Zahl von Mitgliedern zu besetzen,192 verbleibt damit kein Raum. Eine weitere Einschränkung der Satzungsautonomie ergibt sich zudem aus Art. 43 II 3 SE-VO, wonach der Verwaltungsrat im Fall der Arbeitnehmermitbestimmung aus mindestens drei Mitgliedern zu bestehen hat.193 Fügt man das Erfordernis der Parität hinzu, so ergibt sich damit eine Mindestzahl von vier Verwaltungsratsmitgliedern. Bei den erwähnten „kleineren und mittleren Unternehmen oder Tochtergesellschaften eines europäischen Konzerns“,194 vor allem aber bei Familienunternehmen,195 könnte diese zwangsweise Vergrößerung des Verwaltungsrates auf wenig Gegenliebe stoßen. Die Mitbestimmung stellt insofern eine gravierende Einschränkung der Satzungsautonomie dar, die ausländischen Partnern gegebenenfalls nur schwer zu vermitteln ist. (2) Internationale Zusammensetzung des Kontrollorgans Vielfach wird die Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte unter dem Aspekt fehlender Repräsentation ausländischer Arbeitnehmer kritisiert.196 Auch wenn deutsche Großkonzerne eine Vielzahl von Arbeitnehmern im Ausland beschäftigen, ist gegenwärtig die Wahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat ausschließlich der deutschen Belegschaft vorbehalten.197 Die Praxis 191 Nur angedeutet in der Begründung zum RegE zu § 23 SEAG, BT-Drs. 15/3405, S. 37 (linke Spalte); ausdrücklich hingegen MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SEVO, Rn. 67; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749 (1755). 192 Als nicht repräsentative Stichprobe seien hier nur gezählt die Mitglieder des Verwaltungsrates bei: Apple (7), Cisco Systems (11); IBM (13); Intel (11); Ford (15); General Electric (15); Goldman Sachs (11); Wal-Mart (13); andererseits: Boing (10); Chevron (14); CitiBank (18); CocaCola (14); Exxon (12); GM (12); Microsoft (10); TimeWarner (14); http://money.cnn.com/magazines/fortune/fortune500/index.html (Stand: 22. Februar 2007). 193 Eine Vorschrift, die diese Vorgabe in deutsches Recht transformiert, ist nicht geschaffen worden, die Begründung zum RegE zu § 23 SEAG, BT-Drs. 15/3405, S. 37 (linke Spalte) ordnet diese Maßgabe dennoch § 23 SEAG zu. 194 Begründung zum RegE zu § 23 SEAG, BT-Drs. 15/3405, S. 37 (rechte Spalte). 195 Zur Frage, warum die monistisch verfasste SE insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen interessant ist Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 (1535). 196 Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 127; Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (492); ders., AG 2004, 57 (60); Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (240); Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274); Paefgen, DB 2003, 487 (492); Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 9 und S. 41 ff.; zur Internationalisierung der Aufsichtsräte Gerum, Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 40 ff. 197 Ganz h. M., vgl. statt aller Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 5 Rn. 28 ff. m.w. N.
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kennt dennoch Ausnahmen: Bei der DaimlerChrysler AG etwa haben die deutschen Gewerkschaften zugunsten einer amerikanischen Gewerkschaft auf einen Sitz im Aufsichtsrat verzichtet.198 Legitimierend für die im deutschen Recht angelegte Differenzierung wirke zum einen das Territorialitätsprinzip, das die deutschen Mitbestimmungsgesetze räumlich begrenze.199 Zum anderen hätten Gründe mangelnder Praktikabilität den deutschen Gesetzgeber veranlasst, ausländische Arbeitnehmer vom Wahlrecht auszuschließen.200 Ungeachtet dieser Annahmen steigt in Zeiten fortschreitender Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und Internationalisierung von Arbeitsverhältnissen bei derartiger Bevorzugung der „heimischen“ Belegschaft der Begründungsaufwand für die Befürworter der Arbeitnehmerbeteiligung beachtlich. Teilweise steht man auf dem Standpunkt für diesen Zustand gäbe es ein „Legitimationsproblem“.201 Rieble fragt „Ist das demokratisch?“202 Die Frage zu stellen bedeutet, die Antwort zu verneinen. Denn wenn die Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungsabläufe oder der Teilhabegedanke als Ausprägung individualnützigen Arbeitnehmerschutzes203 Hauptargument unternehmerischer Mitbestimmung sein soll, dann ist nicht recht erklärlich, weshalb dieser beteiligungsstiftende Mechanismus für deutsche Arbeitnehmer gerade angemessen, auf ausländische Arbeitnehmer demgegenüber nicht anzuwenden ist.204 Die Folge ist die Herausbildung einer „Zweiklassenarbeitnehmerschaft“, gebildet aus Arbeitnehmern mit und Arbeitnehmern ohne aktives wie passives Wahlrecht.205 Es 198
Vgl. hierzu Gentz, NZA 2000, 3 (5). Fitting/Wlotzke/Wißmann, § 3 MitbestG, Rn. 15 ff.; so auch Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274) und der Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 41. 200 Ebenroth/Sura, ZHR 144 (1980), 610 (615); Staudinger-Großfeld, EGBGB/IntGesR, Rn. 532; Lutter, FS für Zweigert, S. 251, 260. 201 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 41 ff.; so z. B. auch v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 13 f. 202 Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 12. 203 Letzteres ist nach dem Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 6 wohl der entscheidendere Grund für die Schaffung von Unternehmensmitbestimmung. 204 A. A. sind offenbar die Verfasser von Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 29, 40. Neben anderen Gründen habe bei deutschen Unternehmen „der wachsende Anteil der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer [. . .] [an der] Gesamtbelegschaft“ zur Folge, dass sich der Anteil der Mitarbeiter, der an Mitbestimmung interessiert sei, tendenziell verringert. Weshalb ausländische Arbeitnehmer allerdings kein Interesse an Mitbestimmung haben sollen, wird nicht erläutert. Ob hierin der Tatsache Rechnung getragen wird, dass Arbeitnehmer anderer Länder einer Unternehmensmitbestimmung teilweise kritisch gegenüberstehen oder ob Ursache, Wirkung und daraus herzuleitende Schlussfolgerung vertauscht werden, darüber lässt sich nur spekulieren. 205 Der Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 42 benennt den Vorgang vorsichtiger als die Entstehung von „zwei Arten von Arbeitnehmern“. 199
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ist daher zu konstatieren: „Für die soziale Integration ausländischer Unternehmensteile erweist sich die inländische Mitbestimmung nach allem als eine das Zusammenwachsen über die Grenzen tendenziell erschwerende Hypothek.“206 Die Teilnahme ausländischer Belegschaft an Aufsichtsratswahlen in deutschen Unternehmen würde für deutschen Gewerkschaften zu einem erheblichen Machtverlust führen.207 Demgegenüber bietet die Gründung von SE eine begrüßenswerte Alternative. Sie kann die Kritik zur Internationalisierung des Aufsichtsrates vollständig entkräften, denn hier wird das Aufsichtsgremium mit Arbeitnehmervertretern gebildet, die Beschäftigte aus allen Ländern repräsentieren, in denen die SE Mitarbeiter hat.208 Für die Bildung eines Verwaltungsrates gilt nichts anderes. (3) Informationsasymmetrie zulasten des Kontrollorgans Die zur sachgerechten Unternehmenskontrolle erforderliche Übermittlung von Daten an den Aufsichtsrat geht bei besonders sensiblen Informationen oftmals nur zögerlich vonstatten209 und führt so zu einem Informationsgefälle zwischen Kontrollorgan und Leitungsgremium.210 Die Unterrichtung wird auf das gesetzliche Minimum beschränkt211 und im Übrigen verzögert,212 was ein Hindernis für eine offene Diskussionskultur im Aufsichtsrat darstellt.213 Die Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler ist für diese Praxis ein gutes Beispiel: Sie wurde zwischen dem Vorstand von Daimler-Benz auf der einen und dem Management Board von Chrysler auf der anderen Seite vereinbart; der Aufsichtsrat 206
Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274). Vgl. nur den Artikel in der Wirtschaftswoche Nr. 46 vom 10. November 2005, „Kröte Schlucken“. 208 Vgl. dazu die Regelung des § 36 SEAG. 209 Baums, ZIP 1995, 11 (14); Veit/Wichert, AG 2004, 14 (18). 210 Zum Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand insgesamt Seibt/ Wilde in: Handbuch Corporate Governance, S. 377 ff. 211 Hopt, FS für Everling, S. 475, 479; so auch ING Aufsichtsratsmitglied Tietmeyer im Interview mit dem Shareholders Bulletin No. 2 der ING, 2001: „The second point which is interesting is the open and free exchange of views in the Supervisory Board. The debate is more open here than in Germany because in Germany we have a co-determination system, meaning formal representation of the employees on the supervisory board. In Germany, more is done in the smaller group of the three key people: the Supervisory Board chairman and the two deputies. But the debate in the plenary session of the Supervisory Board is often not as open and confidential because the representatives coming from the unions or the employers have to report, to some extent, back to their people.“ 212 Jackson, RIETI Discussion Paper No. 04-E-022, S. 22; Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (491); ders., AG 2004, 57 (60); Schiessl, AG 2002, 593 (596); ders., ZHR 167 (2003), 235 (241); so auch Hopt, ZGR 2000, 779 (801). 213 Hoffmann-Becking, FS für Havermann, S. 231, 241; Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 194. 207
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von Daimler-Benz, dessen Zustimmung nach dem Gesetz erforderlich war, erhielt die Informationen über die Fusion erst, als der Zusammenschluss bis ins Letzte ausgehandelt war.214 Der Grund hierfür mag in Folgendem liegen: Wenngleich die Vorschriften der §§ 116, 93 AktG215 Informationen aus Aufsichtsrats- und Vorstandstätigkeit als vertraulich klassifizieren, sind in der Vergangenheit in einer Reihe von Fällen gerade solche vertraulichen Informationen, die für die Arbeitnehmer von besonderem Interesse waren, publik geworden.216 Vornehmlich handelte es sich hierbei um Informationen, die in der Konsequenz einen Abbau von Arbeitsplätzen bedeuteten. Aufgrund dieser Erfahrungen werden entscheidende Fragen im Aufsichtsrat nicht offen und effizient beraten,217 denn nach wie vor beherrscht nicht ein vertauensvolles Miteinander, sondern „eher Blockbildung und wechselseitiges Misstrauen die Szene“.218 Um die Vertraulichkeit der Informationen und eine ungestörte Meinungsbildung des eigenen „Blocks“ sicherzustellen, haben sich „Vorbesprechungen“219 eingebürgert. Allerdings steigern sie die Kosten der Entscheidungsfindung erheblich,220 führen zu einer inhaltlichen Entleerung der Diskussion im Plenum221 und in der Folge zur Verflüchtigung der eigentlichen
214
Hierzu Hopt, ZGR 2000, 779 (801). Zum allgemeinen, aus § 116 AktG folgenden Verhaltensstandard Hüffer, AktG, § 116 AktG, Rn. 2 ff. 216 Hopt, FS für Everling, S. 475, 479; mangelnde Vertraulichkeit insbesondere in mitbestimmten Aufsichtsräten konstatieren auch Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 193; ders. in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 130; Schwalbach, AG 2004, 186 (189) und Windbichler, AG 2004, 190 (193); ebenfalls kritisch Heinze, ZGR 2002, 66 (85 f.); so auch von Pierer gegenüber dem Spiegel, Nr. 26, vom 26. Juli 2006, „Ausstieg aus der Tradition“ S. 44 (46). 217 Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310 (317) „[. . .] Gewohnheit zum Aushandeln statt zum Abstimmen [. . .]“; Lutter,Information und Vertraulichkeit, Rn. 388 f.; ders., AG 1994, 176 (177); Oquendo, Breaking on Through to the Other Side: Understanding Continental European Corporate Governance, 22 U. Pa. J. Int’l Econ. L. 975 999 (2001); Raiser, FS für Kübler, S. 477, 487; Schiessl, AG 2002, 593 (596); Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (275). Vgl. zu den Aufgaben des Aufsichtsrates MünchHdbGesR-Hofmann-Becking, § 29 und zu Rechten und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder MünchHdbGesR-Hofmann-Becking, § 33; vgl. auch J. Semler, Leitung und Überwachung der AG. 218 Raiser, FS für Kübler, S. 477, 492; so auch Säcker, AG 2004, 180 (180). Dies zeigte sich jüngst auch beim Joint Venture von Nokia und Siemens im Bereich der Telekommunikationsnetze, Der Spiegel, Nr. 26, vom 26. Juli 2006, „Ausstieg aus der Tradition“ S. 44 (46): „Gegen den erbitterten Widerstand von sieben Arbeitnehmervertretern und mit den zwei Stimmen von leitenden Angestellten zogen [Aufsichtsratschef] Pierer und [Vorstandschef] Kleinfeld den Nokia-Deal [. . .] durch.“ 219 Theisen, Comparative Corporate Governance, S. 259, 262. Preliminary meetings „undoubtedly are the most important setting praeter legem, especially for the fullparity supervisory boards.“ 220 Pistor in: Handbuch Corporate Governance, S. 157, 166. 221 Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (275). 215
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Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats.222 Auf diese Wiese wird auch die Rolle des Vorstandes223 und insbesondere die Position des Vorstandsvorsitzenden gestärkt, denn man hat beobachtet, dass im Aufsichtsrat aus Rücksicht auf seine Autorität und Durchsetzungskraft vor den Arbeitnehmern kritische Fragen und Diskussionen vermieden werden.224 „Kein Aktionärsvertreter kann den Vorstand dadurch bloßstellen, dass er ihm in Anwesenheit der Arbeitnehmer allzu kritische Fragen stellt, selbst wenn dies aufgrund der Unternehmenssituation notwendig und gerechtfertigt wäre.“225 Ist die skizzierte Situation im Bereich der Unternehmenskontrolle evident kritikwürdig, so führt sie im Verwaltungsrat mit seiner kombinierten Leitungs- und Kontrollkompetenz zu inakzeptablen Behinderungen. Einer der wesentlichen Vorteile der monistischen Unternehmensverfassung wird darin gesehen, den Informationsfluss im Unternehmen generell, insbesondere aber zwischen Leitung und Kontrolle, zu effektivieren.226 Auf einen demgemäß ausgelösten Effizienzgewinn sollte man durch die Wahl einer monistischen Unternehmensverfassung für SE mit deutscher Beteiligung indes nicht vertrauen. Bezüglich der Geheimhaltungspflicht der Gremiumsmitglieder ist sogar eine Verschlechterung der Situation zu befürchten: Während § 93 bzw. § 116 AktG dem materiellen Geheimnisbegriff folgen, legt § 41 SEBG einen formellen Geheimnisbegriff zugrunde. Nur was „von der Leitung der SE ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden“227 ist, unterliegt der Geheimhaltungspflicht der Gremiumsmitglieder.228 Weshalb die vorgenannte „Blockbildung“ und das „wechselseitige Misstrauen“ gerade im Verwaltungsrat nicht mehr vorherrschen 222 Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133, 151; Junker, ZfA 2005, 1 (42); Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (491); nach Hoffmann-Becking, FS für Havermann, S. 231, 241 sind „Aufsichtsratssitzungen in vielen mitbestimmten Gesellschaften, was die Rolle der Anteilseignervertreter betrifft, zu bloßen Akklamationsveranstaltungen geworden, die nach einem strengen Ritual ablaufen und in denen es nur munter wird, wenn die Arbeitnehmervertreter den Vorstand kritisieren und sodann die Anteilseignervertreter rollenmäßig den Vorstand in Schutz nehmen.“ 223 Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310 (316); Pistor in: Blair/Roe, Employees and Corporate Governance, S. 163, 183 ff. 224 Hoffmann-Becking, FS für Havermann, S. 231, 241; Junker, ZfA 2005, 1 (42); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Sandrock, AG 2004, 57 (60); v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 12. 225 Vgl. den Artikel der FAZ vom 26. November 2001, S. 25 „Mitbestimmung und Corporate Governance“; ebenso Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 471; zustimmend auch Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 194; Zander/ Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14 (15). 226 Der mangelnde Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand ist einer der zentralen Kritikpunkte in der Corporate Governance Debatte. Vgl. dazu z. B. Davies, ZGR 2001, 268 (284 f.); Endres, ZHR 163 (1999), 441 (455); Hopt, Comparative Corporate Governance, S. 227, 244 f.; Leyens, RabelsZ 67 (2003), 57 (92 f.). 227 So der Wortlaut des § 41 II 1 SEBG. 228 Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 316.
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sollen, ist nicht recht erklärlich.229 Man wird sogar zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine zurückhaltende Informationspolitik im Leitungsorgan der SE zwar kaum zu bewerkstelligen ist,230 aber auch in besonderem Maße Besorgnis erregend wäre. Wie soll ein Unternehmen erfolgreich zu führen sein, wenn sich Teile seines obersten Leitungsorgans gegenseitig Zweifel und Misstrauen entgegenbringen? Wenn die Unternehmensmitbestimmung dazu führt, dass die geschäftsführenden Direktoren den Verwaltungsrat nur mit den notwendigsten Informationen versorgen, dann würde die Unternehmensleitung durch den Verwaltungsrat insgesamt auf höchst bedenkliche Weise behindert. Jedenfalls minimierte sich der angestrebte Vorteilseffekt eines Verwaltungsrates, er hat sogar das Potential, sich in einen Nachteil gegenüber nicht mitbestimmten Wettbewerbern zu verkehren. Dies stellt einen wesentlichen Grund dafür dar, einen wirksameren Schutz der Geschäftsgeheimnisse zu fordern.231 Die mitbestimmungsrechtlichen Besonderheiten im Bereich der Vertraulichkeit und des Informationsflusses reihen sich nahtlos in die Liste der schwerwiegenden CorporateGovernance-Probleme ein. (4) Bürokratisierung von Entscheidungsprozessen Durch die widerstreitenden Interessen232 von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern wird die Konsensbildung im Aufsichtsorgan merklich verlangsamt.233 Der schwerfällige Meinungsbildungsprozess vermag sogar dringend notwendige Eilentscheidungen zu verzögern.234 Die fehlende kritische Diskussion des Vorstandverhaltens im Aufsichtsrat mit Rücksicht auf die Anwesenheit der Arbeit229 Schon gegenwärtig gibt es mahnende Stimmen, dass auch das One-Tier-System der USA effiziente Unternehmenskontrolle missen lässt, dazu Hess in: Feddersen/ Hommelhoff/Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, S. 9, 15 ff.; Kraakmann in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, S. 129, 139 f. Diese Situation dürfte sich durch Aufsichtsratsrepräsentanten der Arbeitnehmer jedenfalls nicht verbessern. 230 So auch Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (242). 231 So forderte es die Regierungskommission Corporate Governance. Siehe hierzu Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 66. 232 Zum Einfluss der Agenda von Arbeitnehmervertretern auf Entscheidungen des Vorstandes Semler in: Comparative Corporate Governancen, S. 267, 275. 233 Adams, ZBB 1994, 77 (82); Baums, ZIP 1995, 11 (14); Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (537); Henssler, FS für BGH, S. 387, 419 ff.; Hoffmann-Becking, FS für Havermann, S. 231, 241; Hopt, FS für Everling, S. 475, 480; Lutter, AG 1994, 176 (177); Zöllner, AG 1994, 336 (338); Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 8; vorsichtiger Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (273). Für das amerikanische Schrifttum statt vieler Jackson, RIETI Discussion Paper No. 04-E-022, S. 22; a. A. Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 103, wonach die Entscheidungsfindung durch Mitbestimmung und die resultierenden getrennten Vorbesprechungen beschleunigt werde. 234 Henssler, FS für BGH, S. 387, 420; Zöllner, AG 1994, 336 (338).
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nehmervertreter hat – wie soeben bereits angesprochen – zu separaten Vorbereitungssitzungen von Anteilseignern und Arbeitnehmervertretern geführt.235 Die üblich gewordenen „getrennten Vorzimmerbesprechungen beider Seiten und die Neigung der Arbeitnehmervertreter, als Gruppe aufzutreten und abzustimmen, haben eine gewisse Bürokratisierung des Entscheidungsprozesses zur Folge.“236 Insbesondere bei einer holzschnittartigen Übertragung der paritätischen Mitbestimmung auf das monistische Verwaltungssystem steht zu befürchten, dass „eine formalistische, auf zeitliche Verzögerung ausgerichtete Ausübung der Mitbestimmung“237 zu unsäglichen Schwierigkeit führt. Zunächst ist die „Vorzimmertaktik“ bei Entscheidungen des Verwaltungsrates noch bedenklicher als schon beim Aufsichtsrat, denn es ist den Eigentümern des Unternehmens nicht zuzumuten, als „monolithischer Block“238 im Verwaltungsrat aufzutreten.239 Darauf läuft das getrennte Vorgespräch aber fast ohne Ausnahme hinaus, wenn individuelle Interessen zugunsten der Frontenbildung gegen eine womöglich einheitliche Position der Arbeitnehmer ausgeblendet werden müssen.240 Zum anderen beträfe ein verlangsamter Prozess der Entscheidungsfindung im monistischen System nicht nur die Unternehmenskontrolle, sondern auch die unternehmerische Entscheidung des Leitungsorgans, da beide Funktionen im Verwaltungsrat vereinigt sind. Die Befürchtung, derart gelähmten Entscheidungen des obersten Managements tatenlos gegenüberzustehen, muss bei jedem Unternehmer Skepsis und Abneigung hervorrufen. In schillerndem Kontrast dazu stehen veränderte Wettbewerbsbedingungen. Kürzere Produktzyklen und unberechenbarer gewordene Märkte diktieren für die erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb eine Verkürzung der zur Verfügung stehenden Entscheidungszeit.241
235 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (240). Wie diese Beeinträchtigung der Kontrollkompetenz des Aufsichtsrates als gesamtverantwortliches Gremium nach dem deutschen Corporate-Governance-Kodex, Ziff. 3.6. nunmehr der „best practice“ entsprechen kann, bleibt unerfindlich, verfügbar unter http://www.corporate-governancecode.de (Stand: 22. Februar 2007). Kritisch hierzu auch Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 130. 236 Hopt, FS für Everling, S. 475, 480; so auch Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 8. 237 Henssler, FS für BGH, S. 387, 421. 238 Kämmerer/Veil, ZIP 2005, 369 (372). 239 So auch Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (199). 240 Kämmerer/Veil, ZIP 2005, 369 (372); zur Tendenz der Arbeitnehmerseite – gegebenenfalls mit Ausnahme des Vertreters der leitenden Angestellten – als geschlossene „Bank“ abzustimmen auch Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 471 f. 241 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 55, 66.
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cc) Professionalität der Unternehmenskontrolle bzw. -leitung Eine Reihe von Autoren bemängelt die geringe Professionalität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die242 nach Ausbildung und Erfahrungshorizont für die Unternehmenskontrolle teilweise nicht hinreichend qualifiziert seien.243 Der Nachteil der Größe mitbestimmter Aufsichtsräte für die Überwachungseffizienz werde daher nicht durch einen entsprechenden Zuwachs an Kompetenz ausgeglichen.244 „Für die Besetzung des Aufsichtsrates war stets die Gruppenzugehörigkeit und nicht die Professionalität der einzelnen Mitglieder entscheidend.“245 Sandrock polemisierte vor einiger Zeit, es werde gemunkelt, der Aufsichtsrat gewährleiste weder „Aufsicht“ noch „Rat“.246 Nach Ansicht Säckers „kann ernstlich kein Zweifel daran bestehen, dass ein Entscheidungsgremium aus zehn qualifizierten Fachleuten und zehn Laien weniger effizient arbeitet als ein aus Fachleuten bestehendes Gremium.“247 Die Rechtsprechung zu Eignung und Qualifikation von Aufsichtsräten hat die Situation kaum verbessert, denn sie entwickelte lediglich eine Leitlinie: Jedes Aufsichtsratsmitglied müsse die Kenntnisse besitzen oder sich aneignen, die erforderlich seien, „um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“248 Hierbei handelt es sich um einen objektiven und sogleich typisierten Kompetenz- und Sorgfaltsmaßstab, der für alle Aufsichtsratsmitglieder einheitlich gilt.249 Die Re242 Allerdings nicht nur diese. Zur ebenfalls mangelnden Qualifikation von Anteilseignervertretern Säcker, AG 2004, 180 (182 ff.). 243 Ausführlich dazu v. Werder, AG 2004, 166 (170) und ders., Modernisierung der Mitbestimmung, S. 10 f.; so auch Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 (1534); Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 189 f.; ders. in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 129; Stengel, VGR Bd. 5 (2002), S. 61, 62; Zander/ Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14 f.; zu den auch an die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu stellenden Anforderungen Schiessl, AG 2002, 593, (597 f.). Nach Henssler, FS für BGH, S. 387, 417 stellt eine mögliche Minderqualifizierung der Arbeitnehmervertreter an sich kein Problem dar, sondern sei sogar systemimmanent und wünschenswert, denn nur so sei sichergestellt, dass „jede Gruppe mit ihren spezifischen Interessen im Aufsichtsrat repräsentiert ist.“ Allerdings müsse man darüber nachdenken, ob die paritätische Mitbestimmung vor diesem Hintergrund ein sachgerechtes Modell sei. Hoffmann-Becking, FS für Havermann, S. 231, 240 sieht in hinreichender Qualifikation der Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrates nicht das entscheidende Problem. Insbesondere seien die Arbeitnehmervertreter regelmäßig besonders gut auf die Sitzungen vorbereitet. 244 v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 11. 245 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (247). 246 Sandrock, BB 2002, 1601 (1602). 247 Säcker, AG 2004, 180 (184). 248 BGH, Urteil vom 15.11.1982, II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 (295) = NJW 1983, 991. 249 MünchHdbGesR-Hoffmann-Becking, § 33, Rn. 46; Hüffer, AktG, § 116 AktG, Rn. 2.
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gierungskommission Corporate Governance und die Kodex-Kommission haben versucht, die Anforderungen an die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder weiter zu spezifizieren.250 Im Zuge der Globalisierung und des zunehmenden Wettbewerbs wird die besondere Expertise bei der Unternehmenskontrolle gleichwohl immer wichtiger,251 so dass auch hier zukünftige Konflikte vorprogrammiert sind. Besonders virulent werden vorbezeichnete Bedenken freilich in der monistisch verfassten SE mit ihrem charakteristischen, nach den Vorgaben nun auch mit Arbeitnehmervertretern zu besetzenden Verwaltungsrat. Wenn Zweifel an der Kompetenz von Arbeitnehmervertretern bislang schon im Rahmen der Kontrolltätigkeit bestanden, dann ist für Verwaltungsratsposten besondere Sorge angezeigt.252 Denn mag die Minderqualifikation eines Aufsichtsratsmitglieds im Sinne guter Unternehmensführung zwar misslich sein, so darf doch nicht der Umstand aus den Augen verloren werden, dass sich der Arbeitsaufwand für Aufsichtsratsmandate in Grenzen hält.253 Die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ist ihrem Wesen nach bislang als „nebenberufliche Tätigkeit“ konzipiert.254 Folglich besteht Spielraum, die unterdurchschnittliche Wahrnehmung der Kontrollaufgaben Einzelner durch entsprechend überobligationsmäßigen Einsatz Anderer auszugleichen. Zwar entspricht ein solches Vorgehen nicht der Konzeption im Sinne guter Corporate Governance, doch ist es eine Möglichkeit, den bestehenden Missständen einstweilen zu begegnen und den Mangel an Kontrolle möglichst zu minimieren. Demgegenüber wird eine derartige Kompensation im Verwaltungsrat kaum möglich sein. Seine Mitglieder sind nicht nur mit der Kontrolle, sondern auch mit der Unternehmensleitung betraut. Schon die Vorstandstätigkeit ist aber eine „Vollzeitaufgabe“.255 Umso weniger wird dem einzelnen Manager des Verwaltungsrates die Zeit dafür verbleiben, neben der Wahrnehmung seiner persönlichen, umfangreichen Pflichten auch noch das Kompetenzdefizit anderer Gremiumsmitglieder auszugleichen.256 Wegen der 250 Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 51 ff. und 310 f.; Deutscher Corporate-Governance-Kodex, Kapitel 5, Tz. 5.4.1. und 5.5.1. ff. verfügbar unter http://www.corporate-governance-code.de, (Stand: 22. Februar 2007). 251 So auch Schiessl, AG 2002, 593, (596); dies müssen auch Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 454 konzedieren. 252 Zur Notwendigkeit „erhöhter Professionalität der Verwaltungsratsmitglieder“ Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 (1533 f.). 253 Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass ein Aufsichtsratsmandat mit 1/10 des Arbeitsaufwandes einer Vollzeitbeschäftigung wahrgenommen werden kann, denn jeder Aufsichtsrat darf bis zu zehn Mandate in unabhängigen Gesellschaften wahrnehmen, vgl. § 100 II Nr. 1 AktG. 254 Dreher, JZ 1990, 896 (897); Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rn. 389; ders., ZHR 154 (1981), 224 (235); Möllers in: Handbuch Corporate Governance, S. 404, 408. 255 Möllers in: Handbuch Corporate Governance, S. 404, 408.
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Großzahl der Aufgaben des Verwaltungsrates257 stellt die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern auf Unternehmensebene für monistisch verfasste Unternehmen potentiell ein noch größeres Problem dar, als es bislang schon in der Diskussion um die Aufsichtsratsmitbestimmung angemahnt wurde. dd) Zwischenergebnis zur Corporate Governance Die Facetten der mitbestimmungsrechtlich generierten Corporate-GovernanceProbleme sind vielgestaltig. Die Aussage, bei der genannten Kritik werde gerne übersehen, dass auch in mitbestimmungsfreien Unternehmensorganen Corporate-Governance-Probleme vorliegen und überdies auch Anteilseignervertreter in Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat nicht immer frei von Kompetenzdefiziten bzw. Interessenkonflikten ihre Arbeit vollbringen,258 muss verwundern. Zwar ist der Hinweis in der Gesamtdebatte berechtigt, aus dieser Beobachtung allerdings Schlussfolgerungen für die durch Mitbestimmung hervorgerufenen CorporateGovernance-Probleme ziehen zu wollen, überrascht. Der Kontext der Interessenkonflikte auf Anteilseignerseite ist durchgehend ein anderer, als beim Thema der Arbeitnehmermitbestimmung.259 Anzuerkennen ist hingegen Folgendes: Sofern die Mitbestimmung nach dem Vorbild des Mitbestimmungsgesetzes bei der Gründung einer SE beibehalten werden muss, existieren die aufgezeigten Missstände bei der Wahl eines monistischen Leitungssystems jedenfalls – mit Ausnahme der Internationalisierung des Kontrollgremiums – fort. Größtenteils ist sogar zu prognostizieren, dass die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter am Leitungsorgan die mitbestimmungsrechtlich generierten Friktionen eher verschärfen wird.260 Den Anforderungen internationaler Kapitalmärkte, die inzwischen klar definierte Vorstellungen bezüglich der Form der auf Wertschöpfung ausgerichteten Unternehmenskontrolle bzw. -leitung haben, können paritätisch mitbestimmte Unternehmen hiernach nicht gerecht werden.261 d) Strukturkonservierende Wirkung Neben den vorgenannten Einflüssen wurde in der Vergangenheit eine sog. „strukturkonservierende“ Neigung der Mitbestimmung beschrieben. Hiermit ist 256 So auch Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (242), nach dem im monistischen System die Mitgliedschaft im Leitungsorgan auch die „Non-Executive-Directors“ ganz regelmäßig zu erhöhtem zeitlichen Aufwand zwingen würde. 257 Vgl. nur den Pflichtenumfang wie ihn § 22 SEAG statuiert. 258 So etwa Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 446. 259 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 458 und 463. 260 So i. E. auch Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (241). 261 Müller, Die Bank 2002, 544 (545).
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gemeint, dass in mitbestimmten Unternehmen die Tendenz vorherrscht, schrittweise Innovationen der „Sprung- oder Basisinnovation“ vorzuziehen.262 Die heutigen technologischen und wirtschaftlichen Bedingungen machen es für Unternehmen indes zunehmend erforderlich, auch Innovationssprünge fruchtbar zu machen. Hierzu gehört die Akquisition innovativer Unternehmen bzw. die Abstoßung technologisch zurückgebliebener Unternehmensteile. Darüber hinaus sichert das Eingehen strategischer Allianzen mit Partnerunternehmen die Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich.263 So überrascht es auch nicht, dass dieser Form des Netzwerks von Experten attestiert wird, sie sei die Organisationsform für das 21. Jahrhundert.264 Strukturkonservierende Schranken setzt die Mitbestimmung darüber hinaus fälligen Investitionen. Sie werden aus Rücksicht auf die Interessen der Arbeitnehmer eher an bestehende Standorte, in bereits tätige Unternehmen und in vorhandene Tätigkeitsbereiche gelenkt,265 als dass z. B. eine strategische Neuausrichtung von Konzern- oder Unternehmensteilen begonnen wird. Entgegengesetzt entwickeln sich freilich die Kapitalmärkte, die den Investoren zunehmend auch kurzfristig ertragreiche Anlagemöglichkeiten eröffnen. In der Folge schwindet bei reinen Kapitalanlegern266 entsprechend die Präferenz für eine durch Mitbestimmung unterstützte langfristige Ertragsfähigkeit von Unternehmen.267 Nach verbreiteter Ansicht hat unternehmerische Mitbestimmung außerdem Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit feindlicher Übernahmen.268 Zwischen dem zweiten Weltkrieg und heute wurden gerade einmal vier feindliche Übernahmen 262 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (537); zum Begriff der Basisinnovation Freeman in: Chapman/Humphrys, Technical Change and Industrial Policy, S. 10 (16); McArthur in: Chapman/Humphrys, Technical Change and Industrial Policy, S. 26 (27 ff.); zur Relevanz von Basisinnovationen vgl. etwa den Artikel der FTD vom 18.10.2000, S. 33 „Lockruf der Wissenschaft“. 263 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 55, 67. 264 Snow/Raymond/Henry, Managing 21st Century Network Organizations, 21 Organizational Dynamics 5-20 (1992). 265 Kübler, FS für Döser, S. 237, 240; Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (240); Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 55, 98 f. 266 Bei Stakeholdern, wie Arbeitnehmern und z. B. den mittelständischen (Familien-) Unternehmern ist diese Tendenz aus naheliegenden Gründen hingegen kaum vorhanden, vielleicht könnte man sogar sagen, dass sie eine – im Vergleich freilich sehr schwache – Gegenströmung darstellen. Zu „corporate citizenship“ im Allgemeinen Kaiser/Schuster, DBW 2003, 608; zu den Arbeitnehmerinteressen im Unternehmen und gegenüber dem Unternehmen Windbichler, AG 2004, 190 ff. 267 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 55, 67 f. 268 Fleischer, AcP 2004, 502 (537); Hopt, FS für Everling, S. 475, 483; Kübler, FS für Döser, S. 237, 240; Nörr/Stiefenhofer, Takeover Law in Germany, S. 56; Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (493); ders., AG 2004, 57 (60); Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274); Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 99. Zum Teil wird sogar davon ausgegangen, dass auch friedliche Übernahmen wegen der
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in Deutschland erfolgreich abgeschlossen.269 Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der nicht zu beseitigenden Unsicherheit liegen, ob es nach erfolgreicher Übernahme auch zügig möglich sein wird, die Kontrolle über das Unternehmen tatsächlich zu übernehmen. Der Grund hierfür liegt in folgender Problematik: Nach § 103 I 1 AktG hat die Hauptversammlung nur die Möglichkeit, diejenigen Aufsichtsratsmitglieder abzuberufen, die auch von ihr gewählt wurden.270 Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat können demgegenüber vor Ablauf ihrer Amtszeit nicht von den Anteilseignern abberufen werden. Ein neuer Mehrheitsaktionär erhält damit lediglich die Aussicht, den halben Aufsichtsrat sogleich nach seinen Vorstellungen neu zu besetzen.271 Folglich sind seine Möglichkeiten der Einflussnahme auf eine Neubesetzung des Vorstandes sehr begrenzt. Ist die andere Hälfte des Aufsichtsrates aber mit Arbeitnehmervertretern besetzt, so wird es für den neuen Anteilseigner zumeist schon deshalb erforderlich sein, „seinen“ halben Aufsichtsrat neu zu besetzen. Grund dafür ist, dass die Arbeitnehmervertreter ihm in der Vielzahl der Fälle kaum gewogen sein werden, denn oftmals sind Fusionen bzw. Übernahmen mit Arbeitsplatzverlusten verbunden.272 Aber schon die Neubesetzung eines halben Aufsichtsrates kann ein mühevoller Prozess werden, sofern auch andere Großaktionäre am Unternehmen beteiligt sind. Sie können sich einer Neuordnung des Kontrollorgans vor Ende seiner regulären Amtszeit durch Einlegung eines Vetos widersetzen, denn nach § 103 I 2 AktG ist – von satzungsmäßigen Ausnahmen abgesehen – mindestens eine Mehrheit von 3/4 der abgegebenen Stimmen für die Abberufung des Aufsichtsrates erforderlich.273 Demzufolge ist die tatsächliche Kontrolle über das Unternehmen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicherzustellen,274 so dass die feindliche Übernahme deutscher Großunternehmen oftmals als zu riskant abgelehnt wird. Mitbestimmung in „poison pill“ Mitbestimmung vielfach scheitern, dazu Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (492). 269 Franks/Mayer in: Comparative Corporate Governance, S. 641, 642. Hierbei handelt es sich um die Bieterverfahren für die Feldmühle Nobel AG (Mai 1989), die Hoesch AG (Oktober 1991), die Continental AG (September 1990) und die Mannesmann AG (Februar 2000). 270 Statt aller Hüffer, AktG, § 103 AktG, Rn. 2. 271 Michalski, AG 1997, 152 (156). 272 Nörr/Stiefenhofer, Takeover Law in Germany, S. 56. 273 Hüffer, AktG, § 103 AktG, Rn. 4. 274 Ein weiteres Hindernis bildet § 84 III 1 AktG, nach dem die Abberufung eines Vorstandsmitgliedes vor Ende seiner Amtszeit nur aus einem in seiner Person liegenden wichtigen Grund erfolgen darf. Zwar ist es hierzu ausreichend, wenn die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit dem jeweiligen Vorstandsmitglied das Vertrauen entzieht – vgl. § 84 III 2 AktG – und ist ein solcher Vertrauensentzug nicht an ein schuldhaftes Verhalten des Vorstandsmitglieds gebunden, jedoch darf der Beschluss nicht auf unsachlichen Gründen basieren, da er in einem solchen Fall rechtsmissbräuchlich wäre, vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28.04.1954, Az. II ZR 211/53, BGHZ 13, 188 = NJW 1954, 998 ff.
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deutschen Unternehmen wird also – neben anderen Gründen275 – dafür verantwortlich gemacht, dass feindliche Übernahmen in Deutschland bislang die Ausnahme waren.276 Die Mitbestimmungsgesetze haben damit ihren Anteil daran, dass der Markt der Unternehmenskontrolle in Deutschland spürbar eingeschränkt ist.277 Im Sinne einer liberalen Weltanschauung ist diese Behinderung wenig begrüßenswert.278 Festzuhalten bleibt, dass sich die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit zweifach grundlegend verändert haben: Es ist zum einen die Notwendigkeit zügig abgeschlossener Innovationsprozesse entstanden, zum anderen entwickelt sich das Finanzierungsumfeld der Kapitalmärkte rasant in Richtung größtmöglicher Flexibilität. Bei dem Versuch als Unternehmen notwendige Anpassungen an diese neuen Gegebenheiten vorzunehmen, kann paritätische Mitbestimmung hinderlich sein. e) Zwischenergebnis zu den Wirkungen der Mitbestimmung Unbestreitbar liegen der Mitbestimmung auf Unternehmensebene vernünftige und unterstützenswerte Motive zugrunde. Die Mitbestimmung bringt Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Forum zusammen, in dem gemeinschaftlich und institutionalisiert über Probleme, Anliegen und Strategien der Unternehmensführung im Sinne aller Beteiligten beraten werden kann. Gleichwohl steht den integrativen Vorteilen einer solchen Partizipation eine lange Liste von Nachteilen und ungelösten Problemen gegenüber. Diese sind auch nicht „situationsgebunden oder nur kurzfristig; sie sind langfristig und zum Teil permanent“,279 da sie im System angelegt sind. Schlussendlich kann nicht mit letzter Sicherheit und objektiv festgestellt werden, ob die Vorteile die vermeintlichen Nachteile überwiegen oder in der Summe die Nachteile gewichtiger sind. Es lässt sich jedoch sehr wohl eine Tendenz nachzeichnen, bei der nach nüchterner Analyse das Wort der Zweifler die Oberhand gewinnt.280 Im Ergebnis kommt es auf die ob275 Statt vieler Prigge in: Comparative Corporate Governancen, S. 943, 992. Unternehmensmitbestimmung sei hiernach nur eine einer ganzen Reihe von Behinderungen. Angeführt werden u. a. das zweigeteilte Leitungssystem deutscher Kapitalgesellschaften, Regeln des Kapitalschutzes, Marktstrukturen mit nur geringem Streubesitz von Aktien großer Kapitalgesellschaften, das durch Vertreter wahrnehmbare Stimmrecht, die Gewichtung von Stimmrechten im Allgemeinen und schließlich vinkulierte Namensaktien. 276 Hopt, FS für Everling, S. 475, 483; so auch Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95, 99. 277 So z. B. Adams, AG 1990, 243 (251); Becker, ZHR 165 (2001), 280; Michalski, AG 1997, 152 (156); Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (492); zum Markt der Unternehmenskontrolle Röhrich, RIW 1993, 93 ff. 278 Vgl. etwa Robilotti, Codetermination, Stakeholder Rights and Hostile Takeovers, 38 Harv. Int’l L. J. 536 560 (1997). 279 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 468.
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jektive Tatsachenlage aber nicht einmal an.281 Denn auch das beste Gesetz ist nur so gut, wie es von denen, die es betrifft, wahrgenommen wird. Im Fall der (paritätischen) Mitbestimmung ist diese Beurteilung, insbesondere in der internationalen Fachwelt, ernüchternd, großenteils ablehnend.282 „Diese Bewertung 280 Ebenso Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 32 und Rebhahn in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41, 80. 281 So auch Rebhahn in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41, 81. 282 Siehe hierzu z. B. für Belgien Wymeersch in: Umsetzungsfragen und Perspektiven der SE, S. 62, 65. Für den US-Amerikanischen, britischen und kanadischen Standpunkt vgl. z. B. Bainbridge, Privately Ordered Participatory Management: An Organizational Failures Analysis, 23 Del. J. Corp. L. 979 1055–58 1067–69 (1998); Baums/ Scott, Taking Shareholder Protection Seriously? Corporate Governance in the United States and Germany, 53 Am. J. Comp. L. 31 72 (2006); Charney, The German Corporate Governance System, Col. Busl. L. Rev. 145 158 (1998); Hansmann, When Does Worker Ownership Work? ESOPs, Law Firms, Codetermination and Economic Democracy, 99 Yale L. J. 1749 1803 (1990), Hansmann/Kraakman, The End of History for Corporate Law, 89 Georgetown L. J. 439 445–46 (2001); Kershaw, No End in Sight for the History of Corporate Law, 2 JCLS 34 54 (2002); Müller, Die Bank 2002, 544 (545); Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 125; Rasnic, Germany’s Statutory Works Councils and Employee Codetermination, 14 Loy. L. A. Int’l & Comp. L. J. 275 294 (1992); Robilotti, Codetermination, Stakeholder Rights and Hostile Takeovers, 38 Harv. Int’l L. J. 536 560 (1997); Roe, German Codetermination and German Securities Markets, Col. Bus. L. Rev. 167–183 (1998); Romano, International Regulatory Competition and Coordination, S. 127, 138; kritisch auch Shuchman, Economic Rationale of Codetermination, 10 Indus. & Lab. Rel. Rev. 270 (1957); Summers, Codetermination in the United States, 4 J. Comp. Corp. L & Sec. Reg. 155 157, 168 und 183–84 (1982); Rogoff im Interview mit Der Spiegel Nr. 16 vom 15. April 2006, S. 90 (92). Nordamerikanische Gewerkschaften stehen der Unternehmensmitbestimmung ebenfalls zurückhalten gegenüber: „We have no interest in replacing a free enterprise with a more utopian system [. . .]. And we believe workers can recieve a better share of free enterprise at bargaining tables than in board rooms [. . .].“ President of the Machinist Union, zitiert nach Summers, Codetermination in the United States, 4 J. Comp. Corp. L & Sec. Reg. 155 (1982). Dem ersten Gewerkschafter in einem US Board of Directors, Douglas A. Frasier, Präsident der „United Auto Workers“ Gewerkschaft, wurde bei seiner Wahl in den Verwaltungsrat der Chrysler Corporation (Anfang 1980) der Schwur abgenommen, sich an Verwaltungsratssitzungen die die Verhandlungen mit Gewerkschaften betreffen weder zu beteiligen, noch an diesen Sitzungen teilzunehmen; siehe hierzu „Blue Collars in the Board Room“, Time Magazine vom 19. Mai 1980, S. 48; außerdem das Statement of the Business Roundtable, The Role and Composition of the Board of Directors of the Large Publicly Owned Corporation, 33 Bus. Law 2083 2106 (1978); instruktiv auch die Befragungen von Ewing, Who wants corporate democracy? 12 HBR 12 24-5 (1971); vgl. ebenfalls den Artikel von Mulgan/Leadbeater, „Stakeholding: Nice idea, shame about the reality“, The Observer vom 06. Oktober 1996, S. 26: „Stakeholding could be an important idea. But it needs to go with the grain of change rather than becoming the excuse for avoiding it.“ Ebenso „Business as usual – The European Union has missed another opportunity to make its economy more competitive“, The Economist vom 2. Dezember 2004; „Corporate governance in Germany – A model out of time?“, The Economist 27. Januar 2005; „Together they stand – Germany’s ,codetermination‘ rules should go“, The Economist vom 14. July 2005. Auch der US Supreme Court verdeutlicht seine ablehnende Haltung gegenüber Mitbestimmung
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fällt so eindrucksvoll übereinstimmend aus, dass über das Ergebnis kein Dissens besteht: So gibt es kein Land in der Welt, dass die deutsche Form der Unternehmensmitbestimmung, erst recht nicht ,neben‘ der Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene, übernommen hat. [. . .] [Paritätische Mitbestimmung deutscher Provenienz] kann sich im Wettbewerb nicht bewähren und behaupten.“283 Sie wird als Nachteil wahrgenommen284 und verringert die Attraktivität deutscher Unternehmen für ausländische Investoren.285 Daher ist sie einem ausländischen Unternehmer in ihrer gegenwärtigen Ausprägung nicht zu vermitteln.286 Durch paritätische Mitbestimmung sind „enorme Effizienzeinbußen zu beobachten, die die Kommunikation der Mitbestimmung gegenüber ausländischen [. . .] Fusionspartnern schwierig machen.“287 Auch und gerade in der SE werden diese Probleme virulent.
durch eine Präferenz von „collective bargaining“ gegenüber „codetermination“. So z. B. illustriert in Trans World Airlines v. Hardison, 432 U. S. 63, 79 (1977): „Collective bargaining, aimed at effecting workable and enforceable agreements between management and labor, lies at the core of our national labor policy . . .“. Vorsichtiger Dinh, Codetermination and Corporate Governance in a Multinational Business Enterprise, 24 J. Corp. L. 975 982 und 993 (1999); Horton, Current Developments in the Law of Codetermination, 16 Tex. Int’l L. J. 433–474 (1981); McPherson, Codetermination: Germany’s Move toward a new Economy, 5 Indus. & Lab. Rel. Rev. 20–32 (1951). Die Aufsätze von Dinh, Horton und McPherson zeichnen sich durch die Gemeinsamkeit aus, dass sie in der Unternehmensmitbestimmung eine aufgreifenswerte Idee sehen. Gleichzeitig befürwortet keiner der Autoren, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber hierbei zu gleichen Anteilen im Verwaltungsrat vertreten sein müssen. Die positive Wirkungen der Mitbestimmung betont Oquendo, Breaking on Through to the Other Side: Understanding Continental European Corporate Governance, 22 U. Pa. J. Int’l Econ. L. 975 1021 (2001). Voll des Lobes für das deutsche System, allerdings zweifelnd hinsichtlich einer Übertragbarkeit in das vom Gegensatz zwischen „capital and labour“ geprägte Kanadische Arbeitsrecht hingegen Dow, Codetermination in Industry, 35 U. Toronto Fac. L. Rev. 217 224-33 (1977). Allerdings trennt Dow in seiner Betrachtung Unternehmensmitbestimmung und betriebliche Mitbestimmung nicht hinreichend, weshalb die von ihm präsentierten Ergebnisse nicht überzeugen können. 283 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 460. 284 Paefgen, DB 2003, 487 (492); so auch Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 460; vgl. auch FAZ vom 20. September 2003, S. 14 „Die Mitbestimmung irritiert die ausländischen Investoren“. 285 Hopt, FS für Everling, S. 475, 483 weist außerdem darauf hin, dass Unternehmen, die der Montanmitbestimmung unterliegen, nahezu unverkäuflich zu sein scheinen. 286 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 19; so auch Zander/Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14. 287 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (239 f.); so auch Zander/Popp, Der Aufsichtsrat 07-08/2005, 14; dass Mitbestimmung theoretisch effizienzfördernd sein kann stellen dar Gerum/Wagner, Comparative Corporate Governance, S. 259, 341 ff.
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2. Auswirkung auf die SE-Gründung Mit Blick auf die Globalisierung des internationalen Wettbewerbs der Unternehmen müssen bei der Analyse der Auswirkungen paritätischer Mitbestimmung auf die Gründung von SE zwei Betrachtungsebenen unterschieden werden:288 Erstens die Freiheit von Unternehmen im Standortwettbewerb sowie beim Eingehen internationaler Allianzen und Fusionen. Zweitens die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bezogen auf ihr Angebot von Produkten oder Dienstleistungen sowie den Wettbewerb um neues Kapital. Für die vorliegende Fragestellung ist allerdings ausschließlich der Einfluss paritätischer Mitbestimmung auf die Gründung von SE von Interesse. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen setzt ihre erfolgreiche Gründung bereits voraus, sodass der zweite Aspekt außen vorbleiben kann. Selbst wenn man dazu käme, in den mitbestimmungsrechtlichen Problemen eine unzulässige Freiheitsminimierung mancher Unternehmen zu sehen, hätte dies für die Standortmobilität nur mittelbare Bedeutung, denn die Bewegungsfreiheit von Unternehmen wird durch die Schaffung der SE nicht eingeschränkt. Die Betrachtung verengt sich bei diesem Fokus auf einen zentralen Aspekt:289 Das Eingehen internationaler Allianzen und Fusionen.290 Sie werden immer bedeutender, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu erhalten bzw. zu verbessern.291 Die Gründung von SE bietet großen europäischen Unternehmen hierfür neue und vielversprechende Möglichkeiten.292 Allerdings wurde gezeigt, dass es für deutsche Unternehmen keine Möglichkeit zur SE-Gründung mit ausländischen Partnern gibt, die es vermeiden würde, paritätische Mitbestimmung zum im Zweifel anwendbaren Mitbestimmungsstandard zu machen.293 Dabei kommt es für die tatsächliche Auswirkung des beschriebenen Regelungsmechanismus von Verhandlungsgrundsatz und Auffangre288
Nach Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (274). Auch der Aspekt des Wettbewerbs um neues Kapital für die bestehende SE ist im Gesamtzusammenhang nicht zu vernachlässigen. Für die Frage nach einem Verstoß gegen Art. 43 EG allerdings, spielt die Auswirkung unternehmerischer Mitbestimmung auf das Investitionsverhalten internationaler Kapitalanleger keine Rolle. Beschränkungen, die insofern erwogen werden müssen, unterfallen höchstens der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 55 ff. EG. Zu den Einflüssen der paritätischen Mitbestimmung auf internationale Kapitalmärkte Roe, German Codetermination and German Securities Markets, Col. Bus. L. Rev. 167–183 (1998) und für eine deutsche Perspektive Sandrock, BB 2002, 1601 ff. („Deutschland als gelobtes Land des Kapitalgesellschaftsrechts?“). 290 Vgl. nur den Titel des Vortrages von Francoise Blanquet, Die Europa AG, S. 30 ff.: „The SE, a Community Instrument for Cross-Border Cooperation between Firms“. 291 Vgl. nur Zander/Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14 (15). 292 Siehe dazu den Abschnitt A. II. 293 Dazu siehe Abschnitt B. II. 3. b). 289
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gelung nicht darauf an, ob paritätische Mitbestimmung tatsächlich über die Auffangregelung oder aber im Wege einer Vereinbarung Einzug in die SE halten würde. Beide Möglichkeiten unterscheiden sich im Ergebnis voneinander nicht.294 „Die wenig positive Resonanz des europäischen Umfelds [auf paritätische Mitbestimmung] führt möglicherweise zu einer faktischen Fusionsunfähigkeit der deutschen Unternehmen.“295 Der alternative Weg über die Liquidation der Gesellschaft in Verbindung mit der Übertragung der Vermögenswerte auf einen neuen Rechtsträger, mit dem dann die SE-Gründung vollzogen wird, dürfte ausscheiden, denn er entspricht nicht dem Kontinuitätsanliegen der SEVO296 und ist aus steuerrechtlicher Perspektive indiskutabel.297 Auch die von Kübler so „eindrucksvoll“298 aufgezeigte Hintertür einer im Anschluss an die Gründung vorzunehmenden Umwandlung der SE in eine nationale Rechtsform299 kommt als „Ausweg“ aus dem Dilemma deutscher Unternehmen nicht ernsthaft in Betracht. Zum einen wird wohl niemand behaupten wollen, die mitbestimmungsrechtlichen Probleme, die sich nach Küblers Vorschlag für einen Zeitraum von etwas mehr als „nur“ zwei Jahren300 ergäben, wären zu vernachlässigen. Zum anderen scheint es zumindest überraschend, den Problemen bei der Gründung einer transnationalen Gesellschaft wie der SE mit dem Ratschlag zu begegnen, man könne diese doch in kurzer Zeit in eine Gesellschaft nationalen – etwa englischen – Rechts umwandeln und sie so „der organschaftlichen Mitbestimmung völlig entziehen.“301 Die Flucht aus der Mitbestimmung in ausländische Rechtsformen ist schon seit der Inspire Art-Entscheidung302 des EuGH möglich, ohne dass es dafür der Gründung einer SE bedarf. Wenngleich dieser Ansatz das Problem nicht zu lösen vermag, verdeutlicht er doch die grundsätzlich unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven: Welche neuen Strategien die Statuten zur SE-Gründung ermöglichen, um die Anwendung paritätischer Mitbestimmung zu vermeiden, ist nur eine der sich stellenden praktischen
294 Lediglich die auf die Gründung verwendete Verhandlungszeit könnte durch die schnelle Einigung verkürzt werden. 295 Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 501. 296 Vgl. nur den Erwägungsgrund 2 der SE-VO. 297 Die hätte nämlich zur Konsequenz, dass es zur Liquidationsbesteuerung nach §§ 11 ff. KStG käme und damit zur Besteuerung aller im Unternehmen gebildeten stillen Reserven, vgl. nur Blümich-Hofmeister, § 11 KStG, Rn. 7. 298 Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (236). 299 Kübler, ZHR 167 (2003), 222 (228) und auch ders., FS für Raiser, S. 247, 251. 300 Erst nach Ablauf von zwei Jahren seit Eintragung ist es überhaupt möglich den Beschluss für die Umwandlung der SE in eine Gesellschaft nationalen Rechts zu fassen. Dies besagt ausdrücklich Art. 66 I SE-VO. Die tatsächliche Umwandlung dürfte dann noch zusätzliche einige Zeit in Anspruch nehmen. 301 Kübler, ZHR 167 (2003), 222 (227 ff.). 302 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 ff. = NJW 2003, 3331 ff.
II. Bestandsaufnahme
91
Fragen. Ob es allerdings überhaupt möglich sein wird, die Rechtsform der SE für deutsche Unternehmen nutzbar zu machen, ist unabhängig davon zu klären. Es ist – wie dargelegt – mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die hälftige Mitbestimmung zunächst ganz wesentlich auf den Verlauf der Gründung einer SE auszuwirken vermag;303 dies beginnt schon im Verhandlungsverfahren über die Arbeitnehmermitbestimmung. Eine Verzögerung kann jedenfalls konstatiert werden, eine Gefahr für die erfolgreiche Gründung insgesamt ist nicht auszuschließen. So gelagerte Probleme treten hingegen nicht auf, wenn kein deutsches Unternehmen an der SE-Gründung beteiligt wird, denn andere Jurisdiktionen kennen Arbeitnehmermitbestimmung auf Unternehmensebene nur in sehr viel schwächerer Form bzw. gar nicht.304 In jedem Fall muss zwar das Verhandlungsverfahren durchgeführt werden – dies schreibt Art. 3 I SE-RiL verbindlich für alle Mitgliedstaaten vor – doch werden die Verhandlungen sehr viel schneller zum Abschluss gebracht werden können, da die Verhandlungspositionen um einiges gleichmäßiger verteilt sind als im Falle eines deutschen Unternehmens; jedenfalls können die Arbeitgeber im Übrigen das Eingreifen der jeweiligen Auffangregelung „riskieren“. Selbst aber, wenn in diesen Fällen keine schnelle Mitbestimmungsübereinkunft erzielt werden sollte, dann droht nicht – wie im Fall der Beteiligung deutscher Unternehmen an der SE-Gründung – das „Damoklesschwert“ der paritätischen Mitbestimmung. Die Nichteinigung läuft in der Vielzahl der Fälle ohne deutsche Teilnahme auf eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer hinaus, denn sie ist das meistverbreitete Mitbestimmungsmodell in Europa.305 Schon systembedingt braucht man dieser Form der Arbeitnehmermitbestimmung nicht im Ansatz die Bedenken entgegenzubringen, denen sich die paritätische Mitbestimmung ausgesetzt sieht.306 Die Auswirkungen paritätischer Mitbestimmung auf Fragen der Corporate Governance, denen fundamentale Kritik entgegengebracht wird, existieren bei einer Drittelbeteiligung entweder in einem vertretbaren Ausmaß fort307 oder aber sie entfallen vollständig. Aufgrund der in allen anderen Fällen der SE-Gründung immer und ausnahmslos gesicherten Mehrheit der Anteilseignerstimmen in Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat muss eine Bürokratisierung der Entscheidungsprozesse nicht befürchtet werden. Die Professionalität 303
Siehe Abschnitt C. II. 1. b) aa). Dazu Abschnitt A. I. 305 Hierzu ebenfalls Abschnitt A. I. 306 Blanquet, Die Europa AG, S. 30, 32; Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung DrittelbG, Rn. 7: „Da der Einfluss der Arbeitnehmer nach dem DrittelbG und seiner Vorläuferregelung wesentlich geringer ist als bei den anderen Mitbestimmungsformen, waren diese Regelungen von Beginn an nur wenig umstritten.“ 307 Keine „vollständige Überwindung der mitbestimmungsbedingten Überwachungsprobleme“ befürchtet allerdings v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 20. 304
92
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
der Gremien nimmt tendenziell zu, ihre Größenanpassung an die gegebenen Notwendigkeiten ist leichter möglich. Entscheidungen im Rahmen flexibler Standort- und Investitionspolitik können – auch bei Nachteilen für die bestehende Belegschaft – leichter gefällt und durchgesetzt werden. Vor dem Hintergrund dieses Befundes würde es überraschen, wenn sich ein ausländisches Unternehmen unter zwei gleich attraktiven Allianzpartnern für den deutschen Kandidaten entschiede, wenn sich die Probleme und Ungewissheiten einer SEGründung durch die Wahl eines Partners aus einem der anderen 24 EU-Mitgliedstaaten doch mit Gewissheit ausschalten lassen.308 Die Einführung der dualistischen Unternehmensverfassung in unserem Nachbarland Frankreich, mit dem wir einen engen Gedanken- und Kulturaustausch pflegen, vermag die Ressentiments gegenüber paritätischer Mitbestimmung zu illustrieren: Die Assoziation der Zusammengehörigkeit von paritätischer Mitbestimmung und dualistischer Gesellschaftsverfassung geht soweit, dass in Frankreich Vorbehalte gegen die Einführung eines dualistischen Leitungssystems allein wegen der Besorgnis bestanden, man könnte sich damit Verpflichtungen zu verstärkter Mitbestimmung auferlegen.309 Welche Bedenken mögen wohl Spanier, Italiener oder Briten im Hinblick auf deutsche Mitbestimmung haben? Das lange Ringen um den SE-Mitbestimmungskompromiss veranschaulicht sehr deutlich, „dass das deutsche Modell der Mitbestimmung auch heute – [mehr als] 25 Jahre nach seinem Inkrafttreten – für andere Industriestaaten nicht akzeptabel ist, es vielmehr eine derartige Diskrepanz gegenüber den Formen der Arbeitnehmerbeteiligung im Ausland aufweist, dass selbst Kompromisslösungen nur schwer zu finden sind.“310 Wie dargelegt, potenzieren sich die Probleme der paritätischen Mitbestimmung aber und insbesondere dann, wenn die SE-Gründer sich für ein monistisches Verwaltungssystem entscheiden.311 Ist die Rechtsformwahl der Gründer gerade auf die SE gefallen, um einen solchen Verwaltungsrat mit allen seinen Vorteilen zu installieren, weil er nach nationalen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften nicht verfügbar ist, dann scheiden deutsche Partner schlussendlich für die Gründung von SE aus.312 Im Ergebnis ist eine echte Wahlmöglichkeit zwischen beiden Systemen der Gesellschaftsverfassung wohl nicht mehr gegeben,
308 Vgl. etwa Paefgen, DB 2003, 487 (492) „Potentielle Fusions- und Allianzpartner sehen die Mitbestimmung gegenüber mitbestimmungsfreien Alternativen als Hindernis an.“; zweifelnd auch Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 459 und Villiers, 22 IJCLLIR 183 199 (2006). 309 Guyon, FS für Lutter, S. 83, 85. 310 Henssler, FS für BGH, S. 387, 387 f. 311 Vgl. hierzu auch Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 (1534 f.). 312 Zweifelnd auch Weiss/Wöhlert, NZG 2006, 121 (126) und Kübler, FS für Raiser, S. 247, 253; sehr kritisch ebenfalls Scherer, Leitungssysteme, S. 149 ff., insb. S. 152.
II. Bestandsaufnahme
93
vielleicht sogar ist „das monistische System unter Beteiligung deutscher Gesellschaften tot.“313 3. Zusammenfassung und Übersicht Paritätische Mitbestimmung ist nach alledem geeignet, deutschen Unternehmen die Gründung von SE zu erschweren. Zwar wird ihre Gründung auch für deutsche Unternehmen möglich sein, gleichwohl behindert die Mitbestimmung das Eingehen strategischer Allianzen mit ausländischen Gesellschaften ausnahmslos.314 Der Wunsch nach einem Gründungspartner, der bereit ist, die Unsicherheiten und Konsequenzen paritätischer Mitbestimmung zu akzeptieren, könnte sich ein ums andere Mal als illusorisch erweisen:315 „Unternehmen ohne Mitbestimmungstradition werden deutsche Unternehmen als Fusionspartner meiden. [. . .] [Es] besteht daher die Befürchtung, dass deutsche Unternehmen schwerlich Partner für die Gründung einer Europa AG finden werden. Die derzeit schon bestehenden Nachteile für deutsche Unternehmen werden durch die neue Rechtsform deshalb nicht beseitigt, sondern nachhaltig verschärft.“316 Darüber hinaus sind für die Zukunft aber sogar noch weitere Nachteile zu prognostizieren: „Die wettbewerbsverzerrenden Wirkungen werden sich weiter verschärfen, weil das mitbestimmungsrechtliche Schnittmuster der SE-RiL auch dem Richtlinienvorschlag zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften vom November 2003 als Vorlage dient. Gleiches [. . .] [ist] von der angekündigten Sitzverlegungsrichtlinie zu erwarten.“317 In der folgenden Übersicht soll das Ergebnis in Tabellenform zusammengefasst werden. Hierbei ist jedem Gründungsszenario eine Spalte „Gründung“ und „Weiterfusion“ zugeordnet. In der ersten Spalte ist vermerkt, wenn sich eine Benachteiligung bei der Suche nach einem Gründungspartner, d. h. bei der „Erstgründung“ ergibt bzw. beim Auffinden von Investoren zu befürchten ist. In der zweiten Spalte ist aufgelistet, ob die Wirkungen der Mitbestimmung einen Nachteil entfalten, wenn eine grenzüberschreitende Fusion erfolgt, die sich auf die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, RiL 2005/56/EG, stützt. Diese Ergänzung ist zweckdienlich, weil die 313 Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 (790); ähnlich Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 (1535): Aus den Vorgaben der SE-RiL „folgt, dass das Modell des Verwaltungsrats [mit internen] geschäftsführenden Direktoren für mitbestimmte Unternehmen untauglich ist.“ 314 So ebenfalls Brandes, AG 2005, 177 (178); Neubürger in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 126. 315 Sinngemäß so auch Henssler in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 218. 316 Müller, Die Bank 2002, 544 (546). 317 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (536) m.w. N.
94
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht Gründungsszenario
Gründung
Weiterfusion
1.
Verschmelzung einer deutschen und einer ausländischen Aktiengesellschaft zu einer SE
++
++
2.
Gründung einer SE-Holding für eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
++
++
3.
Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
--
++
4.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
++
++
5.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch zwei deutsche Gesellschaften (die beide seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft/ Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben)
--
++
6.
rechtsformwechselnde Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft (die seit mind. 2 Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat) in eine SE
--
++
7.
Einmanngründung einer Tochter-SE durch eine Mutter-SE
1.A. ++ 2.A. --
++
8.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
++
++
Abbildung 4: Probleme bei der Allianzbildung zur SE bei Gründung und Fusion
Richtlinie in Art. 16 den aus der SE-RiL bekannten Regelungsmechanismus hinsichtlich der Mitbestimmung praktisch übernimmt, wenngleich sie von einem anderen Regel-Ausnahme-Verhältnis auszugehen scheint.318 318 Nach Art. 16 I RiL 2005/56/EG soll grundsätzlich das Recht Anwendung finden, welches am Ort des Sitzes der aus der Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft gilt. Nach Art. 16 II RiL 2005/56/EG gibt es jedoch einige wichtige Ausnahmen. Diese Ausnahmen stellen sich wie folgt dar: Erstens gilt das Sitzrecht dann nicht, wenn in einer an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft sechs Monate vor
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
95
III. Verstoß gegen Art. 43 EG Im vorangehenden Kapitel konnte dargelegt werden, dass paritätische Mitbestimmung die SE-Gründung für deutsche Unternehmen deutlich erschwert. Daran knüpft nun die Frage an, ob diese Schwierigkeiten eine Qualität besitzen, welche sie zu einem Verstoß gegen eine der EG-vertraglich abgesicherten Grundfreiheiten machen. Lange Zeit wurde dieser319 bzw. der vergleichbaren Frage, ob die Erstreckung deutscher Unternehmensmitbestimmung auf EU-Auslandsgesellschaften gegen europäisches Recht verstoßen könnte, vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt.320 Teilweise wird die bei der SE gefundene Mitbestimmungslösung als europarechtskonform angesehen. Sogar eine Ausdehnung dieses Mitbestimmungsmodells auf ausländische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland wird immer wieder gefordert.321 Diese gesetzgeberische Option kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der für die SE gewählte Mitbestimmungs-Modus keinen durchgreifenden freiheitsrechtlichen Bedenken begegnet. Der Fokus dieser Untersuchung kann hierbei auf die spezielle europäische
Veröffentlichung des Verschmelzungsplans durchschnittlich mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Zweitens gilt das Sitzrecht auch dann nicht, wenn es nur einen niedrigeren Beteiligungsstandard sichert, als es vor der Verschmelzung in einer des Gesellschaften bzw. Betriebe der Fall war (Art. 16 II lit. a) und b) RiL 2005/56/EG). In diesen Ausnahmefällen greift dann Art. 16 III RiL 2005/56/EG ein, der den aus der SE-RiL bekannten Verhandlungs-Auffangregel-Mechanismus vorsieht. Die einzige wesentliche Abweichung bildet insofern die Vorgabe in Art. 16 III lit. e) RiL 2005/ 56/EG, wonach das aus Artikel 7 II lit. b) SE-RiL bekannte Arbeitnehmerquorum i. H. v. 25% zur Fortgeltung der Mitbestimmung nicht ausreicht, sondern sich eine Form der Arbeitnehmermitbestimmung auf mindestens 33,3% der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaft erstreckt haben muss. Zu einem wesentlichen Unterscheid zwischen SE-RiL und RiL 2005/56/EG infolge des dort vorgesehenen Art. 16 IV siehe Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2) (b) (cc). Vgl. zum mitbestimmungsrechtlichen Teil der Verschmelzungsrichtlinie den Beitrag von Heuschmid, AuR 2006, 184 ff. oder Nagel, NZG 2006, 97 (98 f.) und zur Verschmelzungsrichtlinie insgesamt Drinhausen/Keinath, RIW 2006, 81 ff. 319 Genau zur hier aufgeworfenen Frage – wenngleich im Kontext der Verschmelzungsrichtlinie 2005/56/EG – jüngst Heuschmid, AuR 2006, 184 (191 f.). Heuschmid geht davon aus, der Schutzbereich von Art. 43 EG sei durch Übertragung der Keck-Rechtsprechung des EuGH auf die Niederlassungsfreiheit bei „Maßnahmen, die dem Schutz der Mitbestimmung dienen, von vornherein gar nicht eröffnet.“ Zwar ist die Keck-Rechtsprechung nach h. M. und zu Recht auch auf die Niederlassungsfreiheit zu übertragen, doch führt dies im Fall der mitbestimmten SE gerade zur Eröffnung des Anwendungsbereiches von Art. 43 EG. Siehe hierzu Abschnitt C. III. 1. c) bb). 320 Zur Entwicklung des Meinungsstandes Bayer, AG 2004, 534 (535 ff.). 321 Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22; Schanze/ Jüttner, AG 2003, 30 (35), dies., AG 2003, 661 (668); Thüsing, ZIP 2004, 381 (387 f.); Veit/Wichert, AG 2004, 14 (19); Kersting, NZG 2003, 9 (11) spricht sich für eine generelle Anwendbarkeit der SE-RiL in all den Fällen aus, in denen eine Gesellschaft nicht in dem Staat ihren Sitz nimmt, in dem sie gegründet wurde. Siehe auch die Vorschläge für ein reformiertes Mitbestimmungssystem bei Säcker, BB 2004, 1462 ff.
96
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit, Art. 43 EG, gerichtet werden, da die Gründung von Unternehmen in Frage steht.322 1. Eröffnung des Anwendungsbereiches von Art. 43 I EG a) Persönlicher Anwendungsbereich Für eine Verletzung des Rechts auf freie Niederlassung ist zunächst zu klären, ob der persönliche Anwendungsbereich von Art. 43 EG eröffnet ist. Wie sich im Umkehrschluss zu Art. 48 EG ergibt, umfasst der persönliche Anwendungsbereich von Art. 43 EG grundsätzlich nur den Schutz von Unionsbürgern, d. h. natürlichen Personen.323 Juristische Personen werden in den Anwendungsbereich nur einbezogen, da eine Gleichstellung mit natürlichen Personen in Art. 48 EG erfolgt.324 Die Gleichstellung ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Erstens muss die juristische Person nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sein und zweitens ist eine hinreichende Gemeinschaftszugehörigkeit von der juristischen Person zu fordern.325 Diese Voraussetzungen werden die Gründer einer SE wohl vielfach erfüllen können. Von den in Deutschland normierten Gesellschaftsformen können nur die AG und die GmbH eine SE gründen.326 Beide werden nach deutschem Recht – AktG oder GmbHG – errichtet. Für einen hinreichenden Gemeinschaftsbezug – das zweite Kriterium der Gleichstellung – muss wenigstens eines von drei Zugehörigkeitselementen vorliegen: Der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung müssen im räumlichen Geltungsbereich der Europäischen Union gelegen sein.327 Sofern deutsche AG oder GmbH auch eines dieser Erfordernisse erfüllen, ist für sie der persönliche Anwendungsbereich des Art. 43 EG eröffnet.
322
Vgl. dazu Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 25 f. Statt aller Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 27. 324 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 23; Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 26, 29; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 11; Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 27; unzutreffende a. A. Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 43 EG, Rn. 8, der schon aus Art. 43 II EG herleitet, dass juristische Personen von der Niederlassungsfreiheit erfasst sind. 325 Statt aller Streinz-Müller-Graff, Art. 48 EG, Rn. 1. 326 Vgl. Art. 2 SE-VO i.V. m. Anhang I und II der SE-VO. 327 Statt aller MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 29. 323
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) Vorliegen eines Niederlassungsvorgangs Weiterhin ist zu bestimmen, ob die Gründung einer SE unter die von Art. 43 EG geschützten Handlungen fällt. Als Ausgangspunkt lässt sich festhalten, dass der Begriff der „Niederlassung“ i. S. d. Art. 43 EG im EG-Vertrag nicht näher definiert ist.328 Der EuGH versteht unter der Niederlassung „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.“329
Unabhängig hiervon eröffnet erst eine Auslegung des Niederlassungsbegriffs im systematischen Kontext mit den anderen drei grenzüberschreitenden Handlungsfreiheiten, der Arbeitnehmerfreizügigkeit Artt. 39 ff. EG, der Dienstleistungsfreiheit Artt. 49 ff. EG und der Kapitalverkehrsfreiheit Artt. 55 ff. EG das Verständnis für den spezifischen Inhalt der hier betrachteten Grundfreiheit.330 So besehen gewährt Art. 43 EG die Freiheit zur Aufnahme und Ausübung einer wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, die selbständig und auf der Grundlage einer festen Einrichtung dauerhaft auf die Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats angelegt ist.331 Art. 43 II EG stellt der Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit „[. . .] die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Absatz 2 [. . .]“332
gleich. Damit erfasst der Schutzbereich des Art. 43 EG die Gründung von Gesellschaften.333 Welche Gesellschaften wiederum auf Grundlage der Niederlassungsfreiheit im Raum der europäischen Union gegründet werden können, bestimmt Art. 48 II EG. Er erfasst neben verschiedenen ausdrücklich aufgezählten Gesellschaftsformen per Generalklausel auch „sonstige juristische Personen [. . .] des Privatrechts“,334 sofern sie einen Erwerbszweck verfolgen.335 Diese Definition erfasst 328
Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 13. EuGH, Urteil vom 25.07.1991, Rs. C-221/89, Factortame II, Slg. 1991, I-3905, Rn. 20 = EuZW 1991, 764 (765). 330 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 14. 331 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 14– 20; Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 43 EG, Rn. 9; Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 11; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 13; Lenz/BorchardtScheuer, Art. 43 EG, Rn. 2; Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 10–26. 332 Art. 43 II EG, Hervorhebung durch den Verfasser. 333 Vgl. nur jüngst EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03, SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I-10808 = NJW 2006, 425 Rn. 17; so auch Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 43 EG, Rn. 9; Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 19; Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 43 EG, Rn. 2; Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 2. 334 Art. 48 II EG. 329
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auch die SE, denn sie ist – Einzelfallausnahmen sind natürlich vorstellbar – regelmäßig eine zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken genutzte juristische Person des Privatrechts.336 Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG schützt also auch die Gründung von SE. bb) Auslandsbezug bei Gesellschaftsgründung (1) Der offensichtliche Fall Art. 43 EG ist nur auf solche Niederlassungsvorgänge anwendbar, die einen hinreichenden Bezug zum europäischen Ausland aufweisen.337 Nach der Rechtsprechung des EuGH gibt die Niederlassungsfreiheit den Freiheitsträgern das Recht „in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft [. . .] gefördert wird.“338
Während bei einem körperlichen Grenzübertritt der erforderliche Auslandsbezug regelmäßig vorliegt, ist die Vorgabe des EuGH für die Fälle konkretisierungsbedürftig, in denen das Auslandsmoment weniger augenfällig ist. Sofern der Frage überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt wird,339 schlagen manche Autoren vor, auf die „wirtschaftliche Sitznahme eines Unionsbürgers [. . .] in einem anderen Mitgliedstaat“340 abzustellen. Hierin liegt jedoch lediglich die Beschreibung eines der möglichen Szenarien des Grenzübertritts. Auch die Errichtung einer Zweigniederlassung im europäischen Ausland ist von der Niederlas335 Vgl. zum Begriff der „Erwerbstätigkeit“ MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 15; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 15–20; Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 21. 336 Vgl. nur Art. 1 SE-VO. 337 Statt aller Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 2 und 20. 338 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94, Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995, I-4165, Rn. 25 = NJW 1996, 579 (580). 339 Eine Erläuterung der Frage, wann ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, fehlt etwa bei Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 43 EG; Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 43 EG; ausschließlich Kasuistik findet sich bei Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 43 f. und Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 55 ff.; MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 21 f. beschränkt sich darauf festzustellen, dass „stets ein grenzüberschreitendes Element der Niederlassung“ erforderlich sei und geht dann sofort auf die Frage der „umgekehrten Diskriminierung“ ein. Von der gängigen Kommentarliteratur führen einzig Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 20 und GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 7 aus, wann ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt bzw. anhand welcher Kriterien er zu identifizieren ist. 340 Vgl. z. B. Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 20; ähnlich wenngleich undeutlicher auch Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 19 f.
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sungsfreiheit geschützt,341 obwohl eine Gesellschaft hierbei ihren Verwaltungssitz regelmäßig nicht und ihren Satzungssitz wohl noch seltener verlegt. Damit ist das Merkmal der „Sitznahme“ zur Konkretisierung ungeeignet. Als handhabbares Kriterium bietet es sich hingegen an, auf die Integration in die Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit der Wirtschaftsteilnehmer nicht besitzt, abzustellen.342 Hierzu ist es erforderlich, dass sich der Freiheitsträger in den Wirtschaftskreislauf des Zielstaates bestehend aus Staat, Banken, Unternehmen und Haushalten – zumindest in Teilen – integriert.343 Das Merkmal wird ganz überwiegend allein zur Abgrenzung der Niederlassungsfreiheit von der Dienstleistungsfreiheit genutzt.344 Es eignet sich i.R. d. Niederlassungsfreiheit jedoch gleichermaßen zur trennscharfen Unterscheidung der Fälle eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes von solchen, denen das grenzüberschreitende Element fehlt. Dies gilt sowohl für die „einfachen“ Fälle, in denen ein Unionsbürger (bzw. eine Gesellschaft) mit der Staatsangehörigkeit A seine (bzw. ihre) unternehmerische Tätigkeit im Mitgliedstaat B aufnimmt (sofern weiterhin die anderen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 43 EG vorliegen) als auch für die weniger offensichtlichen Konstellationen der sog. „Wegzugs- bzw. Rückkehrerfälle“. (2) Besonderheiten bei „Wegzugs-“ bzw. „Rückkehrerfällen“ Nach verbreiteter Ansicht sind die Fälle des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat wie teilweise auch die des Rückzugs aus einem anderen Mitgliedstaat nicht vom Schutzbereich des Art. 43 EG erfasst. Das Charakteristikum beider Fallgruppen ist, dass die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nicht von einem Drittstaat, sondern vom Heimatstaat des Freiheitsträgers auferlegt werden. Vielfach wird daher darauf verwiesen, dass es sich also um einen rein nationalen Sachverhalt handeln müsse, auf den Art. 43 EG nicht anwendbar sei.
341 Vgl. nur Art. 43 I 2 2. Var. EG; hierzu auch Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 29. 342 Ausdrücklich ebenso nur Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 60 ff. 343 Für ein Industrieunternehmen etwa kommt hierfür in Betracht: Produktion mit Beschaffung und Absatz, d. h. Teilnahme an Faktor- und Gütermärkten, indem etwa Arbeitskräfte, Rohstoffe, Elektrizität, Grundstücke, Gebäude, Finanzmittel etc. eingekauft und Produkte, Dienstleistungen, Wissen etc. verkauft werden. 344 So z. B. GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 7, der darauf abstellt, „ob ein Unternehmer durch eine Standortveränderung die Produktionsfaktoren und sonstigen Kostenelementen einer fremde Volkswirtschaft nutzen will oder ob er lediglich die Leistung seines Betriebes, nicht diesen selbst, in die fremde Volkswirtschaft einbringt.“ Vgl. auch Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 43 EG, Rn. 12; Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 43 EG, Rn. 2 oder Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 2 und auch Streinz-MüllerGraff, Art. 43 EG, Rn. 16.
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(a) „Wegzug“ einer Gesellschaft Im „Wegzugsfall“ wendet sich ein Wirtschaftsteilnehmer gegen Behinderungen seines Heimatstaates, die ihm anlässlich einer Niederlassung im EU-Ausland auferlegt werden.345 Zur Einführung in diese Fallgruppe bietet es sich an, zunächst allein natürliche Personen zu betrachten:346 Nach wohl überwiegender Literaturmeinung347 handelt es sich beim Wegzug grundsätzlich um keine Konstellation, die vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst ist. Schon in Art. 43 II EG kommt dies zum Ausdruck, indem die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung von Tätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“ vorsieht. Wendet sich der Wirtschaftsteilnehmer hingegen gegen Behinderungen seines eigenen Staates, dann ist der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheit grundsätzlich nicht eröffnet, denn es liegt – in Bezug auf die Behinderung – ein interner Sachverhalt ohne grenzüberschreitendes Element vor.348 In Abweichung von dieser Grundregel kann es in besonderen Fällen dennoch auch im Fall des Wegzugs zur Begründung eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes kommen: Dies ist namentliche dann der Fall, wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer gegen Behinderungen seines Heimatstaates für die Wirtschaftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat wendet.349 Begründen lässt sich diese Ansicht wie folgt: Ziel der Freiheit aus Art. 43 EG ist es, einen umfassenden Schutz der wirtschaftlichen Mobilität zu gewähren. Auch der EuGH hat deshalb anerkannt,350 dass es hierfür nicht immer ausreichend ist, nur das Land der angestrebten Niederlassung zum Verpflichtungsadressaten der Freiheit zu 345 Als Beispiele kommen Steuernachteile, der Verlust von Anwartschaften etc. in Betracht. 346 Zu Gesellschaften als Freiheitsträger sogleich. 347 Statt vieler Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 61; GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 61; a. A. Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 27; SchwarzeSchlag, Art. 43 EG, Rn. 44. Zur anders zu behandelnden SE sogleich. 348 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 61. 349 So auch Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 61. 350 Aus jüngerer Zeit EuGH, Urteil vom 13.04.2000, Rs. C-251/98, C. Baars/Inspecteur der Belastingdienst Particulieren/Ondernemingen Gorinchem (Vorabentscheidungsverfahren), Slg. 2000, I-2787, Rn. 28 = DStRE 2000, 815 (817); EuGH, Urteil vom 14.12.2000, Rs. C-141/99, Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID)/Belgien, Slg. 2000, I-11619, Rn. 21 = DStRE 2001, 20 (21). Zuerst EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186 ff.: „Zwar sollen diese Bestimmungen [der Art. 43 ff. EG] ihrer Fassung nach insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen, sie verbieten es aber auch dem Herkunftsstaat, die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten, der Definition des Art. 58 EWGV [jetzt Art. 48 EG] genügenden Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern. [Andernfalls] wären die in Art. 52 ff. EWGV [jetzt Art. 43 ff. EG] gewährten Rechte sinnentleert, wenn der Herkunftsstaat Unternehmen verbieten könnte auszuwandern, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen.“
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machen. In solchen Konstellationen, in denen die Benachteiligung des Heimatstaates ihre Wirkung auch jenseits der Grenze, d. h. im Zielstaat der Niederlassung entfaltet, ist es gleichfalls erforderlich das Wegzugsland in die Betrachtung einzubeziehen. Für den Freiheitsberechtigten macht es hierbei keinen Unterschied, ob die Beschneidung seiner Freiheit vom Ausgangs- oder Zielstaat seines Niederlassungsvorgangs ausgeht. Beide haben gleichfalls freiheitsbeschränkende Wirkung. Dies vorausgeschickt, gewähren nach bisheriger Ansicht des EuGH die europäischen Grundfreiheiten einer Gesellschaft gegenüber ihrem Herkunftsstaat nicht das Recht, allein ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.351 In Deutschland etwa führte die Sitzverlegung ins Ausland bisher zu einer Auflösung der Gesellschaft.352 Zahlreiche Literaturvertreter schließen sich dieser Auffassung nach wie vor an.353 Der Grund für die von EuGH und Teilen des Schrifttums postulierte Annahme, dass der „Wegzugsfall“ von Art. 43 EG nicht erfasst sei, ist allerdings nicht im Mangel des grenzüberschreitenden Sachverhaltes zu suchen.354 Vielmehr befand der EuGH in seiner Daily Mail-Entscheidung, dass bei Erhalt der Gesellschaft nach einem grenzüberschreitenden Wegzug „Koordinationsprobleme der mitgliedstaatlichen Rechte“355 entstehen. Die sich infolge eines Wegzugs ergebenden Probleme seien „durch die Bestimmungen der Niederlassungsfreiheit nicht gelöst“.356 Da die Gründung einer Gesellschaft ausschließlich 351 Grundlegend EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186 ff. Ob in EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I9919, Rn. 70 = NJW 2002, 3614 (3615) eine „Bestätigung“ dieser Rechtsprechung zu erblicken ist, ist allerdings zweifelhaft, denn die Daily Mail-Rechtsprechung wurde hier nur mit einer einschränkenden Formulierung wiederholt. Nunmehr formulierte der EuGH, könne der Gründungsstaat einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung „Beschränkungen“ auferlegen. 352 Die h. M. beurteilt einen auf die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes gerichteten Gesellschafterbeschluss als Auflösungsbeschluss, MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 2. Kapitel, Rn. 176 m.w. N. Dies gilt für nationale Gesellschaften auch nach wie vor, vgl. hierzu Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 409 f. 353 Vgl. etwa Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 48 EG, Rn. 8; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 EGV, Rn. 57 ff. m.w. N.; auch Thüsing in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 95, 114; a. A. MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 2. Kapitel, Rn. 164 ff.; mit umfassenden weiteren Nachweisen ab Rn. 155 ff. für die Gegenansicht in ihren unterscheidlichen Varianten. 354 Vom Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes in den „Wegzugsfällen“ geht auch aus MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 2. Kapitel, Rn. 161. 355 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 EGV, Rn. 59. 356 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483, Rn. 23 = NJW 1989, 2186 (2188). Ob allerdings das von der Literatur vorgetragene, wohl wesentliche Argument zutrifft, dass eine durch die Sitzverlegung zu erwartende Ände-
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nach nationalem Recht erfolgte, kam der EuGH zu folgendem Schluss: „Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die Gründung und [. . .] [Existenz der Gesellschaft] regelt, haben [. . .] [nationale Gesellschaften] keine Realität.“357 Der grenzüberschreitende Wegzug einer Gesellschaft ist nach diesem Verständnis von Art. 43 EG nicht geschützt. Ob die Aussage des EuGH allerdings auch für die SE Gültigkeit besitzt, erscheint sehr zweifelhaft. Der Gerichtshof ging bei seiner Stellungnahme in Daily Mail von einer bedeutsamen Prämisse aus:358 Gesellschaften wurden beim damaligen „Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründet.“359 Nach damaligem Verständnis handelte es sich bei der Gründung aller Gesellschaften um genuin nationale Vorgänge, d. h. ohne jeglichen Bezug zu anderen Jurisdiktionen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Gemeinschaftsrecht jedoch substanziell fortentwickelt. Um Raum für eine solche Genese des Gemeinschafts- und auch des Gesellschaftsrechts zu belassen, wollte auch der EuGH seine Daily-Mail-Rechtsprechung unter dem Vorbehalt „einer Lösung im Wege der Rechtsetzung“360 verstanden wissen. Die legislativen und judikativen Neuerungen der vergangenen Jahre schufen mit der SE auch eine neue Form von Gesellschaft, die zu ihrer Gründung eines transnationalen Elementes bedarf. Anders als bei allen rein nationalen Gesellschaften der vergangenen Dekaden setzt der EU-Gesetzgeber für die Gründung der SE einen grenzüberschreitenden Bezug als Tatbestandsmerkmal gerade voraus. Ohne Auslandsbezug kann die Gründung daher nicht stattfinden. Die zentrale Annahme, welche der EuGH der Daily Mail Entscheidung zugrunde legte, steht bezüglich der SE daher im Widerspruch zum heutigen „Stand des Gemeinschaftsrechts“. Aus diesem Grund ist die damalige Schlussfolgerung der europäischen Richter auf die SE nicht übertragbar.361 rung der Rechtslage für Arbeitnehmer, Handelspartner, Kreditgeber und Anteilseigner vermieden werden soll, ist zweifelhaft. Nach Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 EGV, Rn. 60 führe die Sitzverlegung für die vorgenannten Personengruppen zu einer „eher ungewissen neuen Rechtslage [. . .], wobei möglicherweise ihre Rechtspositionen beschnitten sein könnten.“ Dem kann nicht zugestimmt werden. Für bereits geschlossene Verträge ändert die spätere Verlagerung des Verwaltungssitzes eines der Vertragspartner nichts am Inhalt dieser Verträge. Lieferverträge etwa müssen entsprechend angepasst werden, allerdings kann dies nicht einseitig durch die den Sitz verlegende Vertragspartei geschehen. Einigen sich die Parteien nicht, gilt der ursprünglich geschlossene Vertrag. Anderes gilt auch nicht für Dauerschuldverhältnisse wie Kreditoder Arbeitsverträge. Keines dieser Schuldverhältnisse kann einseitig zu Lasten des Kreditgebers bzw. Arbeitnehmers geändert oder aufgelöst werden. 357 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483, Rn. 19 = NJW 1989, 2186 (2187). 358 Hierauf weist schon hin Lutter, BB 2003, 7 (8). 359 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483, Rn. 19 = NJW 1989, 2186 (2187). 360 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483, Rn. 23 = NJW 1989, 2186 (2188).
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Ein anderes als dieses Ergebnis würde bei gesamtheitlicher Betrachtung der Situtation auch überraschen: Es kann kaum Ziel des Richtliniengebers gewesen sein, bei der SE zwar den Auslandsbezug der Gründung zum Tabestandsmerkmal zu erheben, dem einzelnen Mitgliedstaat aber gleichzeitig die Hoheit einzuräumen, jede SE-Gründung etwa dadurch zu unterbinden, dass nach nationalem Gesellschaftsrecht der grenzüberschreitende Sitzverlegungsbeschluss als Auflösungsbeschluss interpretiert wird. Nach dem Verständnis des europäischen Gesetzgebers von der SE müssen nationale Gesellschaften also „jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung [. . .] Realität“362 besitzen, sonst ließen sich die Gründungstatbestände nicht nutzen. Wäre es anders, obläge es dem nationalen Gesetzgeber, die seiner Regelungshoheit unterfallenden Gesellschaften von der SE-Gründung durch entsprechende nationale Gesetzgebung auszuschließen. Für die SE und ihre Gründer haben die Aussagen der Daily-Mail-Rechtsprechung und der auf ihr basierenden Entscheidungen folglich keine Präjudizwirkung. Die jüngsten Entwicklungen des internationalen Gesellschaftsrechts legen diese Sichtweise ebenfalls nahe.363 Sie tragen dem Bedürfnis Rechnung, die fortschreitende wirtschaftliche Integration über nationale Grenzen hinweg voranzutreiben. Namentlich hat sich der EuGH in seiner Rechtsprechung SEVICSystems AG explizit für die Eröffnung des Schutzbereiches der Niederlassungsfreiheit im Fall grenzüberschreitender Fusionen ausgesprochen.364 In diesem Verfahren schlug bereits der zuständige Generalanwalt, Tizzano, dem Gerichtshof vor, die Daily-Mail-Rechtsprechung abzuändern.365 Wenngleich sich das Urteil zu SEVIC-Systems AG ausschließlich mit der „Hineinverschmelzung“ beschäftigt, muss gleiches für die „Hinausverschmelzung“ (d. h. den „Wegzug“) gelten.366 Diese Betrachtungsweise wird seit langer Zeit von einer Mehrheit der
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So auch MüKoAktG-Kübler, Einf. Europ. Gesellschaft, Rn. 9. EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483, Rn. 19 = NJW 1989, 2186 (2187). 363 Vor dem EuGH Urteil in der Rechtssache SEVIC Systems AG so z. B. schon Bayer, BB 2003, 2357 (2363); ebenso Lutter, BB 2003, 7 (10). 364 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03, SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I10808 = NJW 2006, 425, Rn. 19: Grenzüberschreitende Verschmelzungen „stellen besondere, für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes wichtige Modalitäten der Ausübung der Niederlassungsfreiheit dar und gehören damit zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG beachten müssen.“ 365 Schlussanträge des Generalanwaltes Tizzano vom 07.07.2005, Rs C-411/03, SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I-10808 ff. = DB 2005, 1510 ff. 366 So dargelegt von Siems, EuZW 2006, 135 (138 f.); i. E. so auch Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 ff.; Drienhausen/Gesell, BB-Special VIII/2006, 3 (9 f.); ebenfalls Kuntz, EuZW 2005, 524 ff.; siehe aber auch Oechsler, NJW 2006, 812 (813), wonach für „Wegzugsfälle“ nach wie vor die Daily Mail Rechtsprechung einschlägig sei. 362
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Literaturvertreter gefordert.367 Auch hier ist demnach das Recht der freien Niederlassung einschlägig. Schließlich deutet sich ein Paradigmenwechsel ebenfalls im deutschen Gesellschaftsrecht an: Nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) soll der Wettbewerbsnachteil deutscher AG und GmbH im „Wettlauf der Gesellschaftsformen“ reduziert werden. Hierzu ist die Streichung der §§ 5 II AktG und 4a II GmbHG beabsichtigt, damit die Gesellschaften einen vom Satzungssitz abweichenden Verwaltungssitz wählen können. Die Begründung zum Referentenentwurf stellt ausdrücklich klar, dass dieser Verwaltungssitz auch im Ausland liegen kann.368 Aus diesen Gründen ist auch der „Wegzug“ einer Gesellschaft zur Gründung einer SE vom sachlichen Anwendungsbereich des Art. 43 EG erfasst, da dies zur Nutzbarkeit der neuen Gesellschaftsform unerlässlich ist. (b) „Rückkehr“ einer Gesellschaft Den umgekehrten Sachverhalt zum „Wegzugsfall“ stellt der „Rückkehrerfall“ dar. In dieser Fallkonstellation wendet sich ein Wirtschaftsteilnehmer gegen die Belastungen seines Heimatstaates, die ihm anlässlich seiner Rückkehr aus einer Niederlassung im EU-Ausland auferlegt werden. Hierbei darf dem Betroffenen nicht dadurch ein Rechtsnachteil erwachsen, dass er zuvor von seiner EG-vertraglich garantierten Freiheit der Niederlassung Gebrauch gemacht hat, denn hier wirkt der vormals erfolgte Grenzübertritt fort.369 Der „Rückkehrerfall“ ist neben natürlichen Personen auch auf Gesellschaften des Art. 48 EG anwendbar, die ihren Verwaltungssitz zurückverlegen möchten. Schon logisch setzt diese Rückverlegung bereits im Herkunftststaat eine Rechtslage voraus, die der Gesellschaft ursprünglich die Verlegung des Verwaltungssitzes aus dem Heimatstaat heraus ermöglichte (d. h. den ursprünglichen „Wegzug“).370 Diese Konstellation charakterisiert eine auffällige Ähnlichkeit zum Fall des „Zuzugs einer Gesellschaft“, der nach den Grundsätzen der CentrosRechtsprechung371 nur ausnahmsweise und aus besonders wichtigen Gründen sanktioniert werden darf.372
367 Stellvertretend hierzu sei nur auf die Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts hingewiesen, abgedruckt in ZIP 2003, 863 (876 f.): „[. . .] plädiert für mehr Freizügigkeit. Dieser Auffassung schließen wir uns uneingeschränkt an; die entgegenstehende deutsche Praxis ist unangemessen und nicht mehr zeitgemäß.“ 368 Begründung zum Referenten-Entwurf des MoMiG vom 29. Mai 2006, S. 37. 369 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 62. 370 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 2. Kapitel, Rn. 136.
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Nach zutreffender Ansicht liegt auch im „Rückkehrerfall“ ein hinreichend grenzüberschreitender Sachverhalt vor,373 wie er für die Anwendbarkeit von Art. 43 EG erforderlich ist. Den Anknüpfungspunkt der Überlegung bildet auch hier der – allerdings zuvor erfolgte – grenzüberschreitende Sachverhalt, der nichtsdestominder erst anhand eines Kriteriums sicher bestimmt werden muss. (3) Zwischenergebnis Die volkswirtschaftliche Integration in einen anderen EU-Staat ist das entscheidende grenzüberschreitende Element des Niederlassungsvorgangs. An ihm ist folglich die Abgrenzung zwischen nationalem und grenzüberschreitendem Sachverhalt vorzunehmen. Auf die Frage, ob die SE-Gründung diese Anforderungen erfüllen kann, wird sogleich zurückzukommen sein.374 c) Gewährleistungsgehalt Art. 43 EG verbietet „Beschränkungen der Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates [. . .] nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.“375
In seiner Rechtsprechung hat der EuGH diese „Beschränkungen“ dahingehend konkretisiert, dass von ihr all jene Maßnahmen erfasst sind, die eine Ausübung der von Art. 43 EG gewährten Freiheit „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“.376
371 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 ff. 372 Hierzu Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 EGV, Rn. 61 ff. 373 Vgl. EuGH, Urteil vom 07.02.1979, Rs. 115/78, J. Knoors/Staatssekretär für Wirtschaft, Slg. 1979, 399 = NJW 1979, 1761; aus jüngerer Zeit EuGH, Urteil vom 06.06.2000, Rs. C-281/98, Roman Angonese/Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000, 4139 = EuZW 2000, 468 ff.; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 62; GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 67. Auch im Bereich der Dienstleistungsfreiheit wird dies so anerkannt, vgl. Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 49 EGV, Rn. 53, 63 ff. 374 Siehe C. III 1. d). 375 Art. 43 I EG. 376 Zuerst und noch etwas zurückhaltend wohl EuGH, Urteil vom 30.03.1993, Rs. C-168/91, Christos Konstantinidis/Stadt Altenstieg u. a., Slg. 1993, I-1191, Rn. 15 = NVwZ 1993, 876 (877); kürzlich EuGH, Urteil vom 15.01.2002, Rs. C-439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I-305, Rn. 22; EuGH, Urteil vom 17.10.2002, Rs. C-79/01, Payroll Data Services [Italy] Srl, ADP Europe SA u. ADP GSI SA, Slg. 2002, I-8923, Rn. 26 = NZA 2002, 1275 (1276).
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Die Behinderungen der Niederlassungsfreiheit werden in systematischer Hinsicht nach Diskriminierungen und sonstigen Beschränkungen unterteilt.377 aa) Diskriminierungen Nach klassischem Verständnis soll Art. 43 EG vor Diskriminierungen schützen. Die Niederlassungsfreiheit soll dabei sicherstellen, dass binnengrenzüberschreitende Sachverhalte nicht schlechter behandelt werden, als vergleichbare Sachverhalte, denen das grenzüberschreitende Element fehlt.378 Den Vergleichsmaßstab bildet hierbei stets die Rechtslage der Inländer, d. h. Art. 43 EG gewährt die Gleichbehandlung von Ausländern mit den Staatsbürgern des jeweils betrachteten Mitgliedstaats. Im Bereich der Diskriminierung sind zunächst „direkte“ und „indirekte“ Diskriminierung voneinander abzugrenzen.379 Diese Unterscheidung ist für die Bestimmung der anzuerkennenden Rechtfertigungsgründe essentiell.380 Eine „direkte Diskriminierung“ liegt grundsätzlich vor, wenn anhand des Merkmals der Staatsangehörigkeit differenziert wird, d. h. eine Norm in Rede steht, die eine bestimmte Staatsangehörigkeit als tatbestandliches Merkmal voraussetzt381 und darauf basierend Staatsangehörige verschiedener Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt. Bei Gesellschaften ist die Bestimmung des entsprechenden Anknüpfungskriteriums ungleich schwieriger, denn eine „Staatsangehörigkeit“ im Wortsinn besitzen juristische Personen nicht. Der EuGH setzt in ständiger Rechtsprechung den satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft mit der Staatsangehörigkeit der natürlichen Person gleich.382 Die Literatur teilt diesen Vorschlag,383 schlägt aber außerdem den Gründungsort der Gesellschaft vor,384 um die „Staatsangehörigkeit“ von Gesellschaften zu bestimmen.385 377
Statt aller Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 39. Statt aller Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 42. 379 Teilweise wird – siehe jüngst wieder MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 37 – anstatt des hier vorgeschlagenen Begriffspaares auch von „offener“ und „versteckter“ Diskriminierung gesprochen. Das ist unglücklich, weil es nicht darauf ankommt, ob die Diskriminierung offen zur Kenntnis genommen bzw. weniger gut erkennbar ist. 380 Statt aller Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 74. 381 Statt aller Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 74. 382 Vgl. nur EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459, Rn. 20 = NJW 1999, 2027 (2028) m.w. N. 383 Dazu Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 EGV, Rn. 41. 384 Dazu Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 41. 385 Zu beidem MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 52. Eine Anknüpfung an die inländische Hauptverwaltung bzw. Hauptniederlassung kommt für eine direkte Diskriminierung nicht in Betracht. Nach den Urteilen des EuGH in den Rechtssachen Centros, Überseering und Inspire Art ist ausländischen Gesellschaften der ungehinderte Zuzug durch einen anderen Mitgliedstaat zu 378
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Gleichbedeutend mit dem Gründungsort kann auf die Rechtsform der Gesellschaft abgestellt werden, denn eine englische „Limited Liability Company“ kann nur in England, eine französische „Société Anonyme“ nur in Frankreich und eine deutsche „Aktiengesellschaft“ nur in Deutschland gegründet werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den EuGH-Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art. In der Rechtssache Centros ging es um die Gründung einer englischen „Limited Liability Company“ im Vereinigten Königreich und die daran anschließende Gründung einer Zweigniederlassung in Dänemark, die zu gewähren war.386 Sehr ähnlich ist die Fallkonstellation in der Rechtssache Inspire Art.387 Im Fall Überseering ging es um die Anerkennung der Rechtsund Parteifähigkeit einer nach niederländischem Recht gegründeten Gesellschaft in Deutschland.388 Die Anknüpfung der „Staatsangehörigkeit“ an die Rechtsform der Gesellschaft stellt dabei die konsequente Fortentwicklung der in Europa nun uneingeschränkt389 maßgeblichen Gründungstheorie dar. Denn wenn eine Gesellschaft auch bei tatsächlicher Sitzverlegung europaweit grundsätzlich nach ihrem Gründungsstatut zu behandeln ist, dann stellt die spezielle nationale Rechtsform ein aussagekräftiges Kriterium für die Bestimmung der „Nationalität“ dieser Gesellschaft dar. Dies heißt natürlich nicht, dass vorgenannte Beispielsgesellschaften sich nicht auch in anderen Mitgliedstaaten wirtschaftlich betätigen könnten. Dass die Gründung von Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften durch nationale Rechtsvorschriften nicht zu erschweren ist, hat der EuGH in seinen Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art festgeschrieben.390 Davon unabhängig ist allerdings die Frage nach dem ursprünglichen Gründungsland zu beantworten. Dieses Gründungsland bleibt auch und gerade nach der jüngsten EuGHRechtsprechung in den oben genannten Rechtssachen für eine „Aktiengesell-
gewähren, was bereits der vollumfänglichen Marktöffnung entspricht. Mehr ist nach wohl h. M. von der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften aber ohnehin nicht gewährleistet, so dass eine darüber hinaus gehende Geltendmachung einer Rechtsverletzung nicht in Betracht kommt, vgl. dazu näher MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 55. 386 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027. 387 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331. 388 EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614. 389 Wohlgemerkt soweit es grenzüberschreitende Sachverhalte betrifft, denn bei rein nationalen Sachverhalten, kann natürlich an der Sitztheorie – freilich ohne irgendwelche Wirkungen – festgehalten werden. Die grundlegende Rechtsprechung hierzu ist EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027. Eine ausführliche Darstellung zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH findet sich bei Bayer, BB 2003, 2357 ff. 390 Siehe die vorherigen Fußnoten.
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schaft“ Deutschland bzw. für eine „Limited Liability Company“ England. Die Herkunft jeder Gesellschaft kann damit sicher anhand ihrer genauen Rechtsform identifiziert werden. Eine „direkte Diskriminierung“ einer Gesellschaft liegt demnach vor, wenn eine Norm auf sie anzuwenden ist, die nach dem Ort der Gründung bzw. der Rechtsform oder dem satzungsmäßigen Sitz von Gesellschaften differenziert. Für eine „indirekte Diskriminierung“ wird demgegenüber zwischen in- und ausländischen Gesellschaften nicht offen anhand des Merkmals der „Staatsangehörigkeit“ unterschieden. Formell werden alle Gesellschaften vielmehr gleich behandelt. Gleichwohl erfolgt hierbei tatsächlich eine Differenzierung anhand von Attributen, die ausschließlich, hauptsächlich oder typischerweise bei bestimmten in- oder ausländischen Gesellschaften vor- oder gerade nicht vorliegen.391 Zur systematischen Unterscheidung von Diskriminierungsfallgruppen kein man außerdem auf die Kriterien „unmittelbar“ und „mittelbar“ abstellen.392 Eine „unmittelbare Diskriminierung“ steht nach diesem Verständnis für eine Ungleichbehandlung, die den Niederlassungsvorgang selbst betrifft,393 während die „mittelbare Diskriminierung“ solche Ungleichbehandlungen erfasst, die nur im Zusammenhang mit dem Niederlassungsvorgang stehen, d. h. Begleiterscheinungen betreffen.394 Im Ergebnis lassen sich damit vier Kombinationen von Diskriminierungen erfassen.
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Statt aller Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 48. MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 52; in der Sache gleichbedeutend ist das System bei Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 44 ff. 393 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 40. 394 EuGH, Urteil vom 10.07.1986, Rs. 79/85, D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereiniging voor Bank- en Verzekeringswezen Groothandel en Vrije Beroepen, Slg. 1986, 2375, Rn. 15 = NJW 1987, 571 f. zur Schlechterstellung von leitenden Angestellten im Sozialversicherungssystem des Niederlassungsstaats, welche das Niederlassungsrecht der Gesellschaft „mittelbar“ einschränke. Vgl. auch EuGH, Urteil vom 28.11.1978, Rs. 16/78, Strafverfahren gegen Michel Choquet, Slg. 1978, 2293, Rn. 4 = NJW 1979, 485 f. wonach das Erfordernis eines inländischen Führerscheins bei dauerhaftem Aufenthalt im Land eine „mittelbare Beeinträchtigung“ der Freiheit aus Art. 43 EG darstelle; so auch Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 35, m.w. N. aus der EuGH-Rechtsprechung zu anderen typischen Fallgruppen wie etwa Behinderung des Zuzugs von Ehegatten, Benachteiligung bei der Vergabe von Sozialwohnungen oder Realkrediten; ebenfalls MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 39 und Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 72 jeweils m.w. N. 392
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bb) Sonstige Beschränkungen Seit der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Gebhard ist die Niederlassungsfreiheit auch als allgemeines Beschränkungsverbot anzuerkennen.395 Den Mitgliedstaaten ist es nicht nur untersagt, diskriminierende Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zu errichten. Art. 43 EG gewährleistet auch Schutz vor unverhältnismäßigen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die diskriminierungsfrei auf In- und Ausländer angewandt werden. Rechtfertigungsbedürftig sind nur solche Restriktionen, die geeignet sind, die Ausübung der Grundfreiheit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.396 Als Rechtfertigungsanforderungen nichtdiskriminierender Beschränkungen hat der EuGH die sogenannte „Gebhard-Formel“, einen Vier-Punkte-Test, aufgestellt.397 In Anlehnung an die Keck-Rechtsprechung des EuGH398 wird im Schrifttum mehrheitlich befürwortet, das Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit auf die Sicherstellung des Marktzutritts zu reduzieren.399 Die Eröffnung des Tatbestandes bei Behinderungen der Marktteilnahme soll hingegen an die höheren Anforderungen des Diskriminierungsverbots zu knüpfen sein. Die so vorgenommene Einschränkung erfolgt als teleologische Reduktion des Schutzbereiches bzw. des Eingriffstatbestandes400 und lässt sich als Korrektiv der Ausweitung der Grundfreiheiten von reinen Diskriminierungsverboten zu umfassenden Beschränkungsverboten begreifen. 395 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94, Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995, I-4165 = NJW 1996, 579 ff.; dieser Maßstab liegt auch den Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art zugrunde. Zur Entwicklung der Rechtsprechung Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 84 ff. 396 Vgl. nur Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 60 m.w. N. 397 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94, Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37 = NJW 1996, 579 (581); zuvor schon EuGH, Urteil vom 31.03.1993, Rs. C-19/92, Dieter Kraus/Land Baden-Württemberg, Slg. 1993, I-1663, Rn. 32 = NVwZ 1993, 661 (662); vgl. zu den Einzelheiten Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 70 ff.; ausführlich hierzu Abschnitt C. III. 2. b). 398 EuGH, Urteil vom 24.11.1993, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Strafverfahren gegen Berhard Keck und Daniel Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 17 = NJW 1994, 121. 399 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 97; MünchHdbArbR-Birk, § 20, Rn. 231; Classen, EuR 2004, 416 (424); Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 16; Habersack, EuGesR, Rn. 28; Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 58 und 62; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 89 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (666 f.); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (10 f.); Streinz, Europarecht, Rn. 681a; wohl auch Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 55; implizit auch Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); ähnlich Jarass, EuR 2000, 705 (710 f.); Nettesheim, NvWZ 1996, 342 (344); a. A. Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 43 EG, Rn. 10. 400 Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 10.
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Der EuGH argumentierte im Urteil Keck wie folgt: Ist eine nationale Bestimmung unterschiedslos auf alle – in- wie ausländischen – Wirtschaftsteilnehmer anwendbar (d. h. liegt in ihr eine „sonstige Beschränkung“ i. S. d. Grundfreiheit), dann ist diese Bestimmung nicht geeignet den grenzüberschreitenden Markt zu beeinträchtigen, denn die Hindernisse für den Marktzugang von In- wie Ausländern sind unter diesen Voraussetzungen identisch.401 Die Übertragung des Gesichtspunktes der Marktzugangserschwerung auf die Niederlassungsfreiheit liegt insofern nahe, als der Gerichtshof seine Keck-Rechtsprechung kontinuierlich auch auf andere Grundfreiheiten ausgeweitet hat.402 Obwohl im Rahmen der Artt. 43 und 48 EG eine explizite Auseinandersetzung des EuGH mit den Erwägungen der Keck-Rechtsprechung bislang fehlt, legen die Äußerungen in den Rechtssachen Semeraro Caso Uno,403 Pfeiffer/Löwa404 und Caixa-Bank France405 die Relevanz des Keck-Gedankens auch für die Niederlassungsfreiheit nahe. Es spricht also vieles dafür, nur solche Behinderungen der Niederlassungsfreiheit auch tatsächlich an Art. 43 EG zu messen, die eine Marktzugangsschranke konstituieren.
401 EuGH, Urteil vom 24.11.1993, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Strafverfahren gegen Berhard Keck und Daniel Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 16 f. = NJW 1994, 121. 402 Im Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit vgl. EuGH, Urteil vom 10.05.1995, Rs. C-384/93, Alpine Investments BV/Minister van Financien, Slg. 1995, I-1141, Rn. 37 = NJW 1995, 2541 (2542); bezogen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vgl. EuGH, Urteil vom 15.12.1995, Rs. C-415/93, Union royale belge des societes de football association ASBL u. a./Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, I-4921, Rn. 103 = NJW 1996, 505 (510); zur Kapitalverkehrsfreiheit vgl. EuGH, Urteil vom 13.05.2003, Rs. C-463/00, Kom./Königreich Spanien, Slg. 2003, I-4581, Rn. 61 = NJW 2003, 2663 (2664); ebenso EuGH, Urteil vom 13.05.2003, Rs. C-98/01, Kom./Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Slg. 2003, I-4641, Rn. 47 = NJW 2003, 2666 (2667). 403 EuGH, Urteil vom 20.06.1996, Verb. Rs. C-418/93 u. a., Semeraro Caso Uno u. a., Slg. 1996, I-2975, Rn. 32: „Zu Artikel 52 des Vertrages [jetzt 43 EG] genügt die Feststellung, dass die streitige Regelung, wie bereits festgestellt, für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gilt [. . .].“ 404 EuGH, Urteil vom 11.05.1999, Rs. C-255/97, Pfeiffer Großhandel GmbH/Löwa Warenhandel GmbH, Slg. 1999, I-2835, Rn. 19 = EuZW 1999, 439 (440): „Nationale Maßnahmen, die Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber Gesellschaften des Niederlassungsmitgliedstaats tatsächlich oder rechtlich benachteiligen, sind als Beschränkung des Zugangs zu diesen Tätigkeiten im Niederlassungsmitgliedstaat anzusehen.“ 405 EuGH, Urteil vom 05.10.2004, Rs. C-442/02, Caixa-Bank France/Ministà de l’Economie, des Finances et de l’Industrie u. a., Slg. 2004, I-8961, Rn. 12 = EuZW 2004, 701: „Das Verbot [. . .] wie es in der französischen Regelung vorgesehen ist, stellt für die Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten als der Französischen Republik ein ernsthaftes Hindernis für die Ausübung ihrer Tätigkeiten [. . .] in diesem Mitgliedstaat dar, das ihren Zugang zum Markt beeinträchtigt.“
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d) Einordnung der SE-Gründung aa) Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts (1) Niederlassung der SE im europäischen Ausland Eine SE kann sowohl im Inland wie auch im Ausland ihren satzungsmäßigen Sitz einnehmen. Auf die Fälle der Auslandsniederlassung der SE ist – jedenfalls aus Sicht des beteiligten deutschen Unternehmens – die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG direkt anwendbar.406 Lässt sich die SE nämlich im europäischen Ausland nieder, handelt es sich für den deutschen (Mit-)Gründer dieser Auslands-SE um einen sogenannten „Wegzug“ bzw. eine „Auslandsniederlassung“ [Gründungsszenarien 1., 2. und 4.]. Nach zutreffender Ansicht wird diese Fallgruppe bei der SE und ihren Gründern vom Anwendungsbereich des Art. 43 EG erfasst.407 Weiterhin erfolgt nach dem maßgeblichen Kriterium der Integration in die Volkswirtschaft eines anderen Mitgliedstaats die Errichtung einer SE im Ausland durch „Grenzübertritt“ des deutschen Gründers in das Sitzland der neuen Gesellschaft. Zusammenfassen lässt sich insoweit Folgendes: Sind deutsche Gesellschaften an der Gründung einer SE beteiligt, die sich im europäischen Ausland niederlässt, ist dieser Gründungsvorgang für sie von Art. 43 EG geschützt. (2) Niederlassung der SE in Deutschland In der Satzung der SE kann auch ein deutscher Ort als Sitz festgelegt werden; dies wird bei Gründung durch ein deutsches Unternehmen der Regelfall sein. Nimmt die SE auch tatsächlich ihren Verwaltungssitz in Deutschland, unterfällt sie dem deutschen Gesellschaftsstatut für SE,408 es entsteht mithin eine „deutsche SE“. Daran schließt die Frage an, ob sich ein deutscher Gründungspartner einer solchen SE auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann oder nicht. Für den beispielsweise französischen Teilnehmer gilt dies sicherlich; für ihn handelt es sich insofern um den unter (1) beschriebenen Fall. Dass gleiches auch für den deutschen Gründer gilt, könnte man verneinen. Immerhin schützt die Niederlassungsfreiheit auch für SE-Gründer nur die Teilnahme am „Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats“.409 Ein Sachverhalt, bei dem der deutsche SE-Gründer am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats 406 Das gleiches tatsächlich auch für den Partner gilt, in dessen Heimatland sich die SE niederlässt, wird sogleich zu entwickeln sein. Hierzu auf den folgenden Seiten. 407 Siehe hierzu C. III. 1. b) bb) (2). 408 Zum Anwendungsbereich des SEAG: § 1 SEAG; zum Geltungsbereich des SEBG: vgl. § 3 SEBG.
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teilnehmen wird, ist ohne weiteres nicht erkennbar. Man könnte vielmehr den Standpunkt einnehmen, es handle sich für den deutschen Gründer um einen reinen Inlandssachverhalt, auf den Art. 43 EG nicht anwendbar wäre. Jede hier erfolgende Benachteiligung konstituierte so lediglich eine nach h. M. unbeachtliche „Inländerdiskriminierung“.410 Für die SE-Gründung wäre dieses Urteil jedoch voreilig. Denn die Begründung, die man für die Annahme einer „Inländerdiskriminierung“ heranzieht, ist auf die Gründung von SE nicht übertragbar. Schon tatbestandlich setzt die Gründung einer SE nämlich einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus. Alle vom – europäischen und nationalen – Gesetzgeber vorgesehenen SE-Gründungsvarianten erfordern diesen Auslandsbezug.411 Das Auslandselement wird entweder durch das Bestehen einer ausländischen Tochtergesellschaft bzw. einer Zweigniederlassung sichergestellt [Gründungsszenarien 3., 5. und 6.] oder eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft gründen gemeinsam eine SE [Gründungsszenarien 1., 2., 4. und 8.].412 Die Einmanngründung einer TochterSE [Gründungsszenario 7.] bildet einen – jedoch das Gesamtsystem nicht sprengenden – Sonderfall.413 Damit ist das Merkmal der Mehrstaatlichkeit jeder SE-Gründung immanent.414 Die Grenzüberschreitung ist – wie bereits ausgeführt – durch das Attribut der Integration in die Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats, welchem der Wirtschaftsteilnehmer nicht angehört, weiter zu konkretisieren.415 Dieser Anforderung genügt jede SE, denn sie ist in (zumindest) zwei Volkswirtschaften integriert. Es 409 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94, Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995, I-4165, Rn. 25 = NJW 1996, 579 (580). 410 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 21; Blumenwitz, NJW 1989, 621 (625); Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811); Streinz-MüllerGraff, Art. 43 EG, Rn. 55; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 64 f. und Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 43–45; Schilling, JZ 1994, 8 ff.; Schwarze-Schlag, Art. 43 EG, Rn. 43; Streinz, Europarecht, Rn. 682 ff.; GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 63 m.w. N. in Fn. 75; vorsichtiger Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 43 EG, Rn. 6, der u. a. im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft auf eine notwendige Neubestimmung hinweist; implizit auch Höfling, EuZW 2000 145 (146); Koch, EuZW 2004, 50 (51). Mit umfangreichen Nachweisen zur Kasuistik der Rechtsprechung des EuGH: Grabitz/ Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 64. A. A. Bleckmann, RiW 1985, 917 ff.; Epiney, Umgekehrte Diskriminierung, S. 162; Kewenig, JZ 1990, 20 ff.; Lackhoff/Raczinski, EWS 1997, 109 (112); kritisch auch König, AöR 118 (1993), 591 ff.; ebenso Hammerl, Inländerdiskriminierung, S. 115 f., der eine Inländerdiskriminierung im Bereich des Art. 43 EG für vorstellbar hält. 411 Vgl. nur Schwarz, ZIP 2001, 1847 (1850); deutlich auch Nagel, AuR 2004, 281 und Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 688. 412 Vgl. die Gründungstatbestände des Art. 2 SE-VO. 413 Vgl. hierzu bereits oben Abschnitt B. II. 3. a) bb). 414 So auch Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 63. 415 Hierzu sogleich und bereits Abschnitt C. III 1. b) bb).
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handelt sich hierbei um diejenigen Volkswirtschaften, in denen die Gründer bzw. ihre Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen angesiedelt sind. Um sicherzustellen, dass das ausländische Element der SE-Gründung bereits eine hinreichende Integration in die Volkswirtschaft eines (mindestens) zweiten Mitgliedstaats aufweist, wird von einer Tochtergesellschaft bzw. Zweigniederlassung verlangt, dass sie seit mindestens zwei Jahren besteht [Gründungsszenarien 3., 5. und 6.].416 Während dieser Zeit muss sich die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem ausländischen Markt behaupten. Dies ist ein sehr starker Hinweis auf eine umfangreiche Integration in die Volkswirtschaft dieses Mitgliedstaats. Gleiches gilt für einen eigenständigen ausländischen Gründungspartner [Gründungsszenarien 1., 2., 4., und 8.]. Er ist unabhängig vom deutschen Allianzpartner bereits in seinem nationalen Markt tätig und als Teilnehmer „seiner“ Volkswirtschaft natürlich auch dort „integriert“.417 Durch die Gründung einer SE wird die Teilnahme auf diesen beiden Märkten zusammengeführt und durch eine Gesellschaft koordiniert. Aufbauend auf diesen (mindestens) zwei nationalen „Standbeinen“ wird also eine Gesellschaft geschaffen, die in (mindestens) zwei Volkswirtschaften hinreichend integriert ist. Für jeden Partner stellt die Beteiligung an der SE damit notwendig auch die Integration in einen zweiten nationalen Markt und die ihn umgebende Volkswirtschaft dar, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat die SE ihren Sitz einnimmt. Obwohl es zunächst nicht den Anschein hat, besteht damit auch bei Sitznahme der SE innerhalb Deutschlands ein Sachverhalt, der für alle Gründer einen hinreichenden grenzüberschreitenden Bezug für die Anwendbarkeit von Art. 43 EG aufweist. Letztlich ist es auch – gleichsam in Gesamtschau der Situation – wenig überzeugend, die Gründung einer SE einerseits an die Voraussetzung der Mehrstaatlichkeit zu knüpfen, andererseits aber den Niederlassungsvorgang selbst, in Abhängigkeit von der Ausgestaltung der Satzung, für einen Gründungsteilnehmer als nationalen Vorgang zu werten. Die gleichzeitige Integration in mehrere Volkswirtschaften ist das entscheidende Charakteristikum, 416 Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 2 SE-VO ergibt, kommen kurzfristig erworbene Zweckgesellschaften hierfür nicht in Betracht. Das Zeiterfordernis von „mindestens zwei Jahren“ bezieht sich jeweils auf das „haben“ der Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung, unzutreffende a. A. daher Scheifele, Die Gründung der SE, S. 109, anders dann auch auf S. 125 f. Zur Frage was unter „haben“ zu verstehen ist wiederum Scheifele, Die Gründung der SE, S. 121 f. 417 Hierbei soll nicht unterschlagen werden, dass gewisse Umgehungsmöglichkeiten durchaus denkbar sind; vgl. hierzu Scheifele, Die Gründung der SE, S. 109. Insbesondere bei den Gründungsszenarien 1., 2. und 4., bei denen es wesentlich auf die unterschiedliche Nationalität der Gründungspartner ankommt und außerdem auch auf ein Zeitelement verzichtet wurde, sind Umgehungen der sich aus der Mehrstaatlichkeit ergebenden Erwartungen an eine SE-Gründung nicht auszuschließen. Allerdings sollte auch nicht aus den Augen verloren werden, dass Gesellschaftsgründungen – noch dazu mit einem Gründungskapital von mindestens 120.000 A und verschiedenen vorgeschalteten Mantelgründungen – selten als Selbstzweck inszeniert werden.
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das die SE bei der Gründung von allen anderen – genuin nationalen – Kapitalgesellschaften unterscheidet. Für die derivative Sekundärgründung einer Tochter-SE nach Art. 3 II SE-VO [Gründungsszenario 7.] gilt entsprechendes. Die Norm begründet eine gewisse Privilegierung von SE. Sie soll ausschließlich sicherstellen, dass die bereits bestehenden Integrationsvorteile, die durch die Gründung einer SE schon erreicht wurden, der gründenden Mutter-SE auch ungeschmälert bei der Ausgründung einer Tochter-SE erhalten bleiben.418 Daher reicht es für die Begründung eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes aus, wenn die Mehrstaatlichkeit bei der Gründung der Mutter-SE beachtet wurde.419 Ein weiterer Aspekt ist in die Betrachtung einzubeziehen: Die SE ist konzipiert als große Kapitalgesellschaft. Sie ist Unternehmen vorbehalten, die am europaweiten Geschäftsverkehr teilnehmen.420 Darum ist die SE-Gründung für eine nur national tätige Gesellschaft nicht möglich. Liegen jedoch die Voraussetzungen der Mehrstaatlichkeit vor, bestehen hinreichende Indizien, dass der oder die SE-Gründer am europäischen Geschäftsverkehr teilnehmen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Erfordernis der Mehrstaatlichkeit daher um nicht mehr als eine systematisierte, organisatorisch qualifizierte Vermutung, die Folgendes besagt: Sofern der Nachweis einer Tochtergesellschaft, einer Zweigniederlassung oder eines unabhängigen ausländischen Gründungspartners bei der SEGründung geführt wird, kann davon ausgegangen werden, dass die erforderliche wirtschaftliche Integration in zumindest zwei nationale Märkte bereits vor Gründung der SE besteht und es sich infolgedessen um ein Gründungsvorhaben handelt, das hinreichenden Bezug zur Teilnahme am europäischen Markt aufweist.421 Vorstellbar wäre es natürlich auch, dem Interessenten der SE-Rechtsform im Rahmen des Gründungsvorgangs jeweils einzeln den Nachweis hinreichender länderübergreifender Marktteilnahme und -integration aufzuerlegen.422 Ein solches System wäre allerdings sehr viel weniger praktikabel und justiziabel. Schließlich wäre dieser Ansatz auch sehr viel anfälliger für Manipulationen als es ein Katalog von Vermutungstatbeständen sein kann, der nach eindeutigen Kriterien differenziert. Es wäre zum Beispiel auch denkbar gewesen, die Rechtsform der SE für jedermann zugänglich zu machen und erst im Anschluss an die Gründung – sinnvollerweise mit einigem Zeitabstand – individuell den 418
MüKoAktG-Oechsler, Art. 3 SE-VO, Rn. 6. So auch Scheifele, Die Gründung der SE, S. 438 f. 420 Vgl. Erwägungsgrund 13 der SE-VO; dazu auch Habersack, EuGesR, Rn. 395 und Teichmann, ZGR 2002, 383 (387 ff.). 421 So im Ansatz auch Hommelhoff, AG 2001, 279 (281), der von einer „organisatorischen Mindestverfestigung“ in einer Volkswirtschaft spricht. 422 So wohl Lange, EuZW 2003, 301 (302). 419
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Nachweis der transnationalen Markttätigkeit vom Gründer erbringen zu lassen. Dies wirft allerdings sofort die Frage auf, was geschehen sollte, wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden kann. Konsequent wäre die nachträgliche Unwirksamkeit der Gründung, was allerdings unmittelbar auf die damit verflochtene und unsägliche Frage einer Rückabwicklung überleitet.423 Handhabbarer ist der vom Richtliniengeber eingeschlagene Weg der formalen Anknüpfung an mindestens zwei Mitgliedstaaten. Gegen die vorgebrachte Argumentation lassen sich allerdings auch Einwände erheben. Nach Ansicht einiger handelt es sich bei dem Erfordernis der „Mehrstaatlichkeit“ um ein rein formales Kriterium, das einen materiellen Zweck nicht verfolgt.424 Insbesondere komme dafür nicht das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 I EG in Betracht,425 wonach eine Kompetenz der Gemeinschaft nur bei Zwischenstaatlichkeitsbezug der SE gegeben sei.426 Auch der Grundsatz der Firmenwahrheit,427 nach dem durch den Zusatz „SE“ eine nicht bestehende Internationalität vorgespiegelt werden könnte,428 sei nicht konsequent durchgehalten.429 Dieser könne den Rechtsverkehr damit nicht schützen430 und scheide daher ebenfalls als materieller Gehalt des Mehrstaatlichkeitskriteriums aus. Grund dafür sei der Umstand, dass der spätere Wegfall eines ausländischen Gründungsteils den Bestand der SE nicht gefährde,431 weil dies nicht zu einer Auflösung bzw. zu einer unwirksamen Gründung der SE führe.432 Aus dem 423 Vgl. zu den sich hier ergebenden Fragestellungen die Darstellung zum rechtsgrundlos erlangten Unternehmen bei Schöne, ZGR 2000, 86 ff.; zur Vertragsgestaltung bei Unternehmens- und Beteiligungskauf die diese Probleme berücksichtigt Seibt/Reiche, DStR 2002, 1135 ff. (Teil 1) und 1181 ff. (Teil 2). 424 Casper, FS für Ulmer, S. 51, 64; MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6; Teichmann, ZGR 2002, 383 (412 f.); zurückhaltender Habersack, EuGesR, Rn. 400, der sich auf den Standpunkt stellt, dass man über das Mehrstaatenerfordernis zwar rechtspolitisch streiten könne, es gleichwohl mit Blick auf die Funktion der SE ein konsequentes Element ihrer Gründungsvoraussetzungen sei; a. A. Hommelhoff, AG 2001, 279, 281; wohl auch NK-SE-Schröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 42 ff. 425 MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6. 426 So aber Hirte, NZG 2002, 1 (4); Hommelhoff, AG 2001, 279 (281); NK-SESchröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 44; vgl. im Übrigen die Erwägungsgründe 6 und 28 der SE-VO. 427 Hierzu Lange, EuZW 2003, 301 (302); vgl. zu diesem Aspekt der Firmenbildung K. Schmidt, Handelsrecht, S. 361 ff. 428 Hommelhoff, AG 1990, 422 (423); vorsichtiger NK-SE-Schröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 42. 429 Hauschka, EuZW 1990, 181; MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6; darstellend freilich auch NK-SE-Schröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 68. 430 Hommelhoff, AG 1990, 422 (423); so auch Lange, EuZW 2003, 301 (302) und Scheifele, Die Gründung der SE, S. 112. 431 Casper, FS für Ulmer, S. 51, 64; MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6; Teichmann, ZGR 2002, 383 (412 f.). 432 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 66 SE-VO; vgl. MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 5.
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Fortbestehen der SE nach Wegfall des ausländischen Bestandteils wird geschlussfolgert, dass Subsidiaritätsprinzip bzw. Firmenwahrheit mit den Anforderungen an die Mehrstaatlichkeit nach Art. 2 SE-VO nicht deckungsgleich seien.433 Gegen den Aspekt der Firmenwahrheit wird weiter eingewandt, die Anforderung der Zwischenstaatlichkeit schließe Umgehungsmöglichkeiten und Missbrauch nicht aus.434 Diesen „Standardeinwand“ kann man indessen bedenkenlos übergehen. Dass jeder gesetzlichen Regelung Umgehung und Missbrauch gegenüberstehen, belegt noch nicht die Überflüssigkeit der Vorschriften. Der Einwand, dass die SE auch fortbestehe, wenn sie ihr zwischenstaatliches Element verliere – und der Aspekt der Zwischenstaatlichkeit damit nur für den Gründungsvorgang relevant sei435 – wiegt indessen schwerer. Gerne wird darauf verwiesen, dass diese Situation für die EWiV noch anders geregelt war.436 Allerdings hinkt der Vergleich zwischen EWiV und SE, denn sie sind unter anderem in der Frage der Auflösung wegen Teilnehmerschwundes miteinander nicht vergleichbar. Bei der EWiV handelt es sich um eine „Interessenvereinigung“. Sie ist keine geeignete Rechtsform für transnationale Unternehmen,437 denn ihre Tätigkeit soll „Hilfstätigkeit bleiben und muss deshalb mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Mitglieder verknüpft sein, darf aber [. . .] nicht an ihre Stelle treten.“438 Es liegt dabei in der Natur von Organisationen zur Interessenvertretung, dass sie sich auf eine breitere Basis als ein einzelnes Mitglied stützen. Die SE ist hingegen eine Gesellschaft. Gesellschaften mit nur einem Anteilseigner sind indessen keine Seltenheit. Diesen elementaren Unterschied bringt auch die EWiV-VO in Erwägungsgrund 5 deutlich zum Ausdruck: „Die Vereinigung unterscheidet sich von einer Gesellschaft hauptsächlich durch ihren Zweck, der allein darin besteht, die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder zu erleichtern oder zu entwickeln, um es ihnen zu ermöglichen, ihre eigenen Ergebnisse zu steigern.“
433
Trojan-Limmer, RIW 1991, 1010 (1013). So schon zum Verordnungs- und Richtlinienvorschlag der Kommission von 1991 [6516/91 SE 4 – KOM (91) 174 endg. – SYN 218 (16.05.1991) und SYN 219 (06.05.1991)] Merkt, BB 1992, 652 (655), der anmerkt: „Man wende nicht den Schutz des Geschäftsverkehrs vor Täuschung durch unzutreffende Vorspiegelung europaweiter Betätigung ein. Was nämlich hindert eine AG mit Sitz in Aachen daran, jenseits der Grenze in Lüttich eine Niederlassung nur zu dem einen Zweck zu errichten, hernach in Aachen eine SE zu gründen, die – was nach der Verordnung zulässig ist – ausschließlich in der Bundesrepublik tätig sein soll?“ 435 Hauschka, EuZW 1990, 181; Lange, EuZW 2003, 301 (302); MüKoAktGOechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6; Pfister, Europäisches GesellschaftsR S. 75; Scheifele, Die Gründung der SE, S. 112; Trojan-Limmer, RIW 1991, 1010 (1013). 436 Vgl. Art. 31 III i.V. m. Art. 4 II EWiV-VO 2137/85. 437 Ebenroth/Boujong/Joost-Hakenberg, Anhang nach § 160 HGB, Rn. 18 f. 438 K. Schmidt, GesR, S. 1903. 434
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Damit bietet der Vergleich von EWiV und SE keinen Erkenntnisgewinn für die vorliegende Frage. Unabhängig davon überzeugt der Einwand des nachträglichen Wegfalls der Mehrstaatlichkeit aber auch in der Sache nicht. Als illustrative Szenarien für den Wegfall der Mehrstaatlichkeit gelten zum Beispiel die Fälle, dass die deutsche Gründungsgesellschaft ihre ausländische Tochter oder Zweigniederlassung veräußert439 oder dem ausländischen Partner die Anteile an der SE abkauft.440 Ein überzeugendes Beispiel für den Verlust der Mehrstaatlichkeit bildet keines der beiden Szenarien. So wird vernachlässigt, dass es sich bei der SE um ein eigenständiges Rechtssubjekt, gegebenenfalls eingebunden in einen Konzern, handelt. Für die Anteilsveräußerung gehen die Bedenken schon deswegen fehl, weil der Wechsel des Anteilseigners keinerlei Auswirkungen auf die tatsächliche Integration der SE in verschiedene Märkte, respektive Volkswirtschaften, hat. Allein hierauf kommt es jedoch an.441 Für den anderen Beispielsfall gilt Entsprechendes. Die Tatsache, dass der oder die SE-Gründer seine bzw. ihre Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung nach erfolgreicher SE-Gründung veräußert bzw. veräußern, trifft keine Aussage über die wirtschaftliche Integration der SE in verschiedenen Mitgliedstaaten, denn sie hat keinen Einfluss auf das eigenständige Rechtssubjekt SE. Ihre geschäftliche Tätigkeit wird von Veränderungen der Konzernbeteiligungen ihrer Gründer nicht beeinflusst. Der spätere Wegfall des ausländischen Gründungsteils trifft daher für die SE gerade keine Aussage über den „Wegfall ihres internationalen Wirkungskreises und damit des zwischenstaatlichen Bezuges“.442 Dieser ist von den Konzernbeteiligungen bzw. Organisationen der Gründer streng zu trennen. Deswegen ist die Mehrstaatlichkeit auch nicht allein für den Gründungsvorgang relevant und ist das Erfordernis auch nicht, wie vielfach behauptet,443 zu einem bloßen formalen Kriterium degeneriert. Vielmehr ist es sogar zentral für die Beurteilung der Integration der SE auf verschiedenen nationalen Märken europäischer Gemeinschaftsmitglieder. Zu Beginn der Gründung der SE, bevor sie also tatsächlich ihre Tätigkeit aufgenommen hat, lässt sich die volkswirtschaftliche Integration der neuen Gesellschaft wohl schwerlich beurteilen. Dafür bleiben kaum zweckmäßigere Möglichkeiten, als auf die Gründer abzustellen und an ihre grenzüberschreitende Tätigkeit anzuknüpfen.444 Von der grenzübergreifenden Organisa439 Beispiel nach AUT-SE-Kommentar-Kalss, Vor § 17 SEG, Rn. 5; ähnlich auch bei Scheifele, Die Gründung der SE, S. 126. 440 Beispiel nach NK-SE-Schröder, Art. 2 SE-VO, Rn. 40. 441 Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH bereits Abschnitt C. III. 1. 442 So aber MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6. 443 Vgl. z. B. Casper, FS für Ulmer, S. 51, 64; MüKoAktG-Oechsler, Art. 2 SE-VO, Rn. 6; Scheifele, Die Gründung der SE, S. 109 ff.; Teichmann, ZGR 2002, 383 (412 f.). 444 Siehe zu möglichen Alternativen die Vorschläge in Abschnitt C. III. 1. d) aa) (2).
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tion der Gründer zu unterscheiden ist hingegen die supranationale Tätigkeit der SE. Damit stellt es gar keinen logischen Widerspruch dar, dass auf die Mehrstaatlichkeit der Gründer nach erfolgreicher SE-Gründung verzichtet werden kann. Die Einwände der Literatur vermögen daher am Ergebnis nicht zu ändern, dass es sich bei einer SE-Gründung immer um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt. (3) Zwischenergebnis Obwohl also die SE ihren Sitz in Deutschland einnimmt, trifft der Einwand des fehlenden grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht zu. Es kann sogar festgehalten werden, dass es bei der SE-Gründung, getrennt von der Frage nach einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, auf den Ort der Sitznahme gar nicht ankommt. Aus freiheitsrechtlicher Perspektive des Europarechts stellt sich jede SE-Gründung, unabhängig vom Ort der Sitznahme, für die Gründer identisch dar. Nimmt die Gesellschaft ihren Sitz im Inland, dann findet genauso eine Integration in eine ausländische Volkswirtschaft statt, als nähme sie ihren Sitz im Ausland. Auf die SE-Gründung sind daher die europäischen Grundfreiheiten, namentlich die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG anwendbar. In der Folge sind alle Behinderungen der Gründung von SE am Rechtfertigungsmaßstab europäischen Rechts zu messen. bb) Vorliegen einer Diskriminierung oder sonstigen Beschränkung? Das Diskriminierungsverbot des Art. 43 EG gewährleistet, dass binnengrenzüberschreitende Sachverhalte nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare inländische Sachverhalte.445 Diese Gegenüberstellung erfordert einen wertenden Vergleich beider Sachverhalte.446 Inländischer und ausländischer Sachverhalt sind hierbei zu vergleichen, wobei beide in der zu betrachtenden Eigenschaft übereinstimmen müssen und sich ansonsten keine Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Sachverhalte auffinden lassen dürfen. Zur Begutachtung der Frage nach einer Diskriminierung bei SE-Gründungen durch Mitbestimmung ist es daher geboten, die SE-Gründung mit einer entsprechenden nationalen Gesellschaftsgründung zu vergleichen.447 Da es sich bei der SE um eine große Kapitalgesellschaft handelt, kann auf nationaler – deutscher – Seite die Gründung einer Aktiengesellschaft den passenden Vergleichsmaßstab bilden. 445
Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 42; GTE-Troberg, Art. 52 EGV, Rn. 36. Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 77 m.w. N. zur Rechtsprechung des EuGH. 447 Einen solchen Vergleich möchten auch Rieble und Thüsing vorgenommen wissen, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 95, 120. 446
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Hinsichtlich der hier interessierenden Mitbestimmung werden AG und SE vom deutschen Gesetzgeber identisch behandelt. Diese Gleichbehandlung wird durch das von der SE-RiL eingeführte Vorher-Nachher-Prinzip diktiert und gewährleistet.448 Während die Mitbestimmung in der mehr als 2.000 Arbeitnehmer starken AG aufgrund von § 1 MitbestG einzuführen ist, stellt die Mitbestimmung in der SE bei Beteiligung einer deutschen Gesellschaft die Reflexion dieser nationalen Vorgabe vor dem Hintergrund des Vorher-Nachher-Prinzips dar. Da auch der oder die Gründer einer AG in Deutschland es sich bei Überschreiten der 2.000-Arbeitnehmer-Marke nicht aussuchen können, ob sie paritätische Mitbestimmung nach den Vorgaben des MitbestG einführen wollen oder nicht, ist festzuhalten, dass eine Schlechterbehandlung der SE-Gründung gegenüber der AG-Gründung im Sinne einer Diskriminierung – sowohl direkt als auch indirekt449 – nicht vorliegt.450 Ist eine diskriminierende Ungleichbehandlung auszuschließen, besagt dies jedoch nichts über das mögliche Vorliegen einer „sonstigen Beschränkung“ i. S. v. Art. 43 EG.451 Denn auch wenn die Freiheit der Niederlassung in Europa durch eine nationale Regelung behindert oder weniger attraktiv gemacht wird, ist die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung anhand des europäischen Rechtfertigungsmaßstabs zu messen.452 Nach gegenwärtigem Verständnis stellen die Regelungen zur Mitbestimmung jedoch keine „sonstige Beschränkung“ der Niederlassungsfreiheit dar. Der wesentliche Grund hierfür dürfte allerdings in der bislang mangelnden Anwendbarkeit europäischen Rechts auf diese Fallgruppe zu sehen sein. Für den Einfluss des MitbestG auf die SE hat diese Erkenntnis allerdings keine Bedeutung. Vielmehr ist zum einen auf die SE-Gründung europäisches Recht anwendbar und lassen sich zum anderen wesentliche Unterschiede in der Auswirkung der Mitbestimmung auf die europäische SE und die nationalen Gesellschaften benennen, obgleich eine formale Gleichbehandlung von SE- und AG-Gründung durch den deutschen Gesetzgeber erfolgt. Auf die Gründung einer AG wirkt sich die Mitbestimmung höchstens marginal aus. Die Vorschriften des MitbestG haben hier vor allem Einfluss auf die 448
Vgl. zu den Einzelheiten dieser Richtlinienvorgabe S. 34 ff. Zur Unterscheidung dieser beiden Formen der Diskriminierung siehe Abschnitt C. III. 1. c) aa). 450 So auch Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 628-29 (2003). 451 Vgl. zu diesem Eingriff den Abschnitt C. III. 1. c) bb); außerdem Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 631 (2003). 452 Sofern auch die sonstigen Voraussetzungen der Anwendbarkeit europäischen Rechts vorliegen. Dies ergibt sich aus dem mittlerweile allgemein anerkannten Charakter der Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot; hierzu Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 43 EGV, Rn. 83 ff. und die Darstellung bei Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 445 ff. 449
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Form der Ausübung der spezifischen Tätigkeit nach erfolgter Niederlassung:453 Die Geschäftstätigkeit wird durch einen mitbestimmten Aufsichtsrat kontrolliert. Im Gegensatz hierzu vermag die identische Mitbestimmung die Gründung einer SE beträchtlich zu behindern: Dies beginnt mit dem Gründungsprozess und endet mit der erfolgreichen SE-Gründung.454 Zwar hat der europäische Gesetzgeber für die SE ein Verhandlungsverfahren bereitgestellt, mit dem es theoretisch möglich ist, eine Mitbestimmungsvereinbarung für die SE abzuschließen, deren Ausgestaltung unterhalb der Vorgaben des MitbestG liegt. Dessen ungeachtet konnte bereits gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Vereinbarung äußerst gering ist.455 Ist eine deutsche Gesellschaft, die vom MitbestG erfasst ist, an der SE-Gründung beteiligt, wird den SE-Gründern zumeist kaum etwas anderes übrig bleiben, als die paritätische Mitbestimmung in der SE zu akzeptieren. Da diese Art der Arbeitnehmerbeteiligung beim Großteil der ausländischen Gründungspartner als nachteilig wahrgenommen wird, ist es im Ergebnis für eine deutsche Gesellschaft ungleich schwieriger, vielleicht sogar unmöglich, einen geeigneten ausländischen SE-Partner zu finden. Können sich die Verhandlungspartner nicht auf eine für Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer akzeptable Mitbestimmungsregelung einigen, dann muss die SE-Gründung unter Umständen sogar unterbleiben. Im Ergebnis wirkt sich die paritätische Mitbestimmung bei der SE – anders als bei der AG – als eine faktische Behinderung der freien Gründung aus. Die „sonstigen Beschränkungen“ i. S. d. Art. 43 EG erfassen dabei in Anlehnung an die Keck-Rechtsprechung nur solche Behinderungen, die sich als Marktzugangsschranken erweisen.456 Diese Voraussetzung ist hier erfüllt: Ist die Gründung einer bestimmten Gesellschaft über die Maßen erschwert oder von vornherein gar nicht möglich, stellt dies das umfassendste Marktzutrittshindernis dar, das vorstellbar ist. Denn ohne einen Unternehmensträger im weitesten Sinne lässt sich die Geschäftstätigkeit – sei es im eigenen oder einem fremden Mitgliedstaat – nicht aufnehmen. In der Folge wird der Betroffene vom Markt völlig ausgeschlossen. Dieser Sichtweise stehen sicherlich drei Einwände gegenüber: Zunächst könnte man darauf hinweisen, dass eine Gesellschaft nicht notwendig in der Rechtsform der SE geführt werden muss. Für Unternehmer, die der paritätischen Mitbestimmung kritisch gegenüberstehen, böte sich damit jede ausländische Gesellschaftsform für die partnerschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen strategischer Allianzen an. Zweitens liegt die Entgegnung aber sogar noch nä453 Vgl. hierzu MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 97. 454 Zu den Einzelheiten bereits in Abschnitt C. II. 1. b). 455 Vgl. hierzu die Ausführungen unter C. II. 1. b) gg). 456 Siehe dazu Abschnitt C. III. 1. c) bb).
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her, dass die SE-Gründung für deutsche Unternehmen durch die Mitbestimmung gar nicht vollständig ausgeschlossen wird. Schließlich könnte man entgegnen, dass eine „Beschränkung“ i. S. v. Art. 43 EG, so wie sie hier begründet wird, auch durch sämtliche übrigen Gesetzesunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten konstituiert würde. Zutreffend ist zunächst, dass die SE-Gründung tatsächlich auch bei unveränderter Rechtslage für deutsche Unternehmen möglich bleibt. Sie müssen lediglich auf die Gründungsvarianten ausweichen, bei denen die Mitbestimmung für den anderen „Gründer“ bedeutungslos ist, weil entweder ein abhängiges Tochterunternehmen oder eine Zweigniederlassung den Auslandsbezug herstellt [Gründungsszenarien 3., 5. und 6.]. Eine weitere Option liegt scheinbar auch in der SE-Gründung durch Fusion im Wege einer Übernahme.457 Hierbei entsteht keine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den SE-Gründern, sondern ein Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem die deutsche Gesellschaft das Mitbestimmungsniveau diktieren kann, sofern die Ausgestaltung der Mitbestimmung nach Ansicht des ausländischen Partners inakzeptabel erscheint. Ungeachtet dessen ist den Kritikpunkten aber inhaltlich wie auch dogmatisch entgegenzutreten. Inhaltlich vernachlässigt der erste Einwand, dass für bestimmte geschäftliche Unternehmungen die SE eben die vorzugswürdige Wahl gegenüber nationalen Gesellschaftsformen und einer Konzernstruktur darstellt, denn ökonomische und psychische Vorteile einer SE haben andere Gesellschaften unter Umständen nicht in gleicher Form anzubieten. Ähnliches muss man auch dem zweiten Einwand entgegenhalten. Die SE-Gründung ist kein Selbstzweck. Das Ziel der SE-Gründung ist die erfolgreiche Marktteilnahme des neuen Unternehmens. Hierbei kann die Erfahrung und Expertise eines ausländischen Partners, gegebenenfalls auf einer ähnlichen Marktstufe, außerordentlich hilfreich sein. Solide strategische Allianzen von europäischer Dimension sind einer der wesentlichen Anwendungsbereiche für die neue Gesellschaftsform. Der Ausschluss deutscher Unternehmen von der Beteiligung an diesen Partnerschaften kann nicht mit dem Hinweis auf Alternativwege gerechtfertigt werden, denn diese stellen unter Umständen eben nicht die optimale Wahl für das angestrebte Ziel dar. Da es sich bei der Gründung von SE um die Ausübung eines Freiheitsrechts handelt, hat dieses Argument gleichfalls dogmatische Dignität: Nur weil es verschiedene andere Wege zur Freiheitsbetätigung gibt, bedeutet dies nicht dass es zulässig wäre, den Freiheitsträger auf diese Wege zu verwiesen. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass nach der Konzeption von Art. 43 EG die Einführung einer Gesellschaftsform mit grenzüberschreitendem Charakter nicht geboten war. Entscheidet sich der europäische Gesetzgeber auf Grundlage der von 457 Als Beispiel hierfür lässt sich die Übernahme der RAS durch die Allianz AG zur Allianz SE nennen.
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den Mitgliedstaaten an ihn delegierten Gesetzgebungshoheit, den europäischen Wirtschaftsteilnehmern eine neue Gesellschaftsform wie die SE zur Verfügung zu stellen, dann müssen die neue Gesellschaft und ihre Gründer alle Pflichten aber auch alle Rechte besitzen, die ihnen als Rechtssubjekt zukommen. Die Freiheit der Niederlassung ist nach den EG-vertraglichen Vorschriften umfassend und nicht nur in Ausschnitten zu gewähren. Auch die konkrete, für den Gesetzgeber unter Umständen unbequeme Entscheidung eines Freiheitsträgers ist zu akzeptieren und er ist mit dem größtmöglichen Umfang an Freiheitsgewähr auszustatten. Die Frage nach nahen verwandten Alternativmöglichkeiten – hier anderen Szenarien der SE-Gründung oder das Ausweichen auf nationale Gesellschaftsformen – hat erst im Rahmen einer Interessenabwägung in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Eingriffs auf Ebene der Rechtfertigung Eingang zu finden.458 Bei dem Verweis auf nationale Gesellschaftsformen dürfte es dabei allerdings schon an der hinreichenden Vergleichbarkeit der „Alternative“ fehlen. Auf die zuvor zu beantwortende Frage, ob ein bestimmtes Verhalten von einem freiheitsgewährenden Tatbestand erfasst wird oder nicht, hat dieser Umstand hingegen keinen Einfluss. Es drängt sich schließlich die Frage auf, wo die Grenze zu ziehen ist. Die hier vertretene Ansicht sieht sich insofern der Kritik ausgesetzt, als nach ihr (scheinbar) jede national-rechtliche Besonderheit, die die SE-Gründung gegenüber der Gründung in einem anderen Mitgliedstaat erschwert, gemeinschaftsrechtswidrig wäre, da jede national-rechtliche Eigenart eine „sonstige Beschränkung“ i. S. v. Art. 43 EG konstituierte. Das „race to the bottom“ scheint eröffnet, obwohl eine solche Entwicklung kaum Intention des auf Harmonisierung bedachten europäischen Gesetzgebers gewesen sein kann. Der Vorwurf übersieht allerdings auch eine wesentliche Besonderheit der hier betrachteten Fallgruppe. Zwar ist es zutreffend, dass nicht jede nationale Gesetzesbesonderheit zu einem Verstoß gegen europäisches Recht führen kann. Dazu kommt es indessen auch auf Grundlage der hier befürworteten Sichtweise nicht. Der Einwand verliert nämlich maßgeblich an Überzeugungskraft, wenn man sich vergegenwärtigt, welche besondere Situation bei den Vorschriften des MitbestG besteht: Erstens hat die Gesetzeslage eines einzigen Mitgliedstaats keine irgendwie geartete qualitative oder quantitative Entsprechung in den übrigen Mitgliedstaaten, wobei – zweitens – die restlichen Mitgliedstaaten auch keine Regelungen kennen, die im Ergebnis – wenn auch auf anderem Wege – zu einer faktisch vergleichbaren Behandlung der Arbeitnehmerbeteiligung führen. Drittes Charakteristikum der Situation ist es, dass alle übrigen Mitglieder der Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit diese singuläre Regelgung Deutschlands als inakzeptabel ablehnen. Viertens handelt es sich bei der SE-Gründung um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, auf den also Gemeinschaftsrecht Anwen458
Hierzu auf Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2) (a) (cc).
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dung findet. Schließlch und fünftens führt das außergewöhnliche legislative Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten zu einer manifesten Benachteiligung der Wirtschaftsteilnehmer dieses Mitgliedstaats. Allein dann, wenn diese fünf Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, liegt eine Situation vor, bei der die Überprüfung einer etablierten nationalen Regelung anhand europäischen Primärrechts zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit führen kann.459 Die Drohkulisse eines „race to the bottom“ ist daher keineswegs zu befürchten. Kommt es aber aufgrund der vorbeschriebenen Situation zu einer wesentlichen Benachteiligung der Wirtschaftsteilnehmer eines Mitgliedstaats, ist hierin eine „sonstige Beschränkung“ i. S. v. Art. 43 EG zu sehen. cc) Zwischenergebnis Bei der Gründung einer SE handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Niederlassungsvorgang. Aus diesem Grund ist Art. 43 EG auf die SE-Gründung anwendbar. Wegen der durchweg negativen Wahrnehmung paritätischer Mitbestimmung im Ausland460 ist für deutsche Unternehmen die SE-Gründung durch eine gleichberechtigte Partnerschaft im Rahmen strategischer Allianzen nahezu unmöglich. Dies stellt einen Eingriff in das Recht der freien Niederlassung i. S. d. „sonstigen Beschränkungen“ des Art. 43 EG dar. e) Beschränkung durch welche Regelung? Nachdem eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch Mitbestimmung herausgearbeitet werden konnte, muss nun die Frage beantwortet werden, welche Regelung genau für diese Beschränkung verantwortlich ist. Dies ist aus zwei Gründen erforderlich: Erstens muss die freiheitsbeschränkende Regel konkret identifiziert werden, um sie später einer Rechtfertigungsprüfung unterziehen zu können und zweitens kann nur auf diesem Weg eine eventuelle Forderung nach Korrektur an den richtigen Gesetzgeber adressiert werden. Als Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kommen drei Möglichkeiten in Betracht: Zum einen ist zu erwägen, ob der Verstoß nicht in dem eigens für die SE geschaffenen, nationalen Beteiligungsgesetz, dem SEBG, zu suchen ist. Zum anderen erscheint es möglich, auf die Vorgaben der SE-RiL abzustellen, denn sie hat immerhin die Kontroverse um die Mitbestimmung in der SE erst ausgelöst. Schließlich und damit drittens ließe sich aber auch direkt an den nationalen Regelungen des MitbestG anknüpfen, denn sie machen Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Mitbestimmung in der SE. 459 Sofern eine Rechtfertigung der Beschränkung nicht angenommen werden kann; siehe hierzu ausführlich Abschnitt C. III. 2. 460 Siehe hierzu die umfassenden Nachweise in Fußnote 282 in diesem Abschnitt.
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aa) SEBG Zunächst könnte man versuchen, die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit bei der SE-Gründung im SEBG zu verorten. Das SEBG müsste für große Gesellschaften nur nicht (praktisch) auf das MitbestG verweisen, sondern für die SE ausdrücklich etwa die Regelungen des DrittelbG für anwendbar erklären. In diesem Fall bestünden die aus paritätischer Mitbestimmung resultierenden Probleme nicht. Wenngleich dieser Gedanke naheliegend sein mag, steht ihm europäisches Recht entgegen, denn es würden so offensichtlich die Vorgaben der SE-RiL ignoriert. Die Richtlinie sucht, über das „Vorher-Nachher-Prinzip“ einen relativen Bestandsschutz für die Mitbestimmung sicherzustellen.461 Dies bedeutet, dass sich das Mitbestimmungsniveau in der SE an dem höchsten maßgeblichen Anteil der Gründungsgesellschaften zu orientieren hat.462 Dieser „maßgebliche Anteil“ ist keineswegs für jede SE-Gründung gleich, sondern abhängig von dem nationalen Mitbestimmungsstandard, dem die SE-Gründer selbst unterliegen. Da es aber auch ausländischen Gesellschaften möglich sein muss, in Deutschland eine SE zu gründen, an der deutsche Gesellschaften nicht beteiligt sind, ist deutsches Mitbestimmungsrecht wohl regelmäßig, nicht aber notwendig bei der Gründungen einer „deutschen SE“ zu berücksichtigen. Damit bestand für den Gesetzgeber aber keine andere Möglichkeit, als eine „Blankettnorm“ im SEBG vorzuschreiben,463 nach der das „maßgebliche“ Mitbestimmungsniveau der Gründungsgesellschaften in die SE zu übernehmen ist. Der direkte Verweis auf das DrittelbG oder die Schaffung eines SE-Beteiligungsgesetzes mit inhaltlichen Vorgaben zur Ausgestaltung von System und Niveau der Mitbestimmung für die SE wäre nicht richtlinienkonform und muss folglich ausscheiden. Mehr Angriffsfläche bietet hingegen die Detailgestaltung von § 34 SEBG. Die Quoren von 25% bzw. 50% Arbeitnehmern, die einer Form der Mitbestim461 So auch die Begründung zum Referentenentwurf von § 35 SEBG: „Das Abstellen auf den Anteil hat zur Folge, dass die bisherige Zahl von Sitzen für die Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan bzw. Verwaltungsrat nicht garantiert ist. Vielmehr verbleibt es grundsätzlich dabei, dass die Zahl der Sitze für das jeweilige Organ in der Satzung festgelegt wird.“ Abgedruckt in BT-Drs. 15/3405, S. 54 (rechte Spalte); ebenso MüllerBonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (197). 462 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 18 sowie Anhang Teil 3 der SE-RiL und auch oben B. II. 3. b); § 35 II 2 SEBG setzt diese Vorschriften in deutsches Recht um. 463 Vgl. hierzu die Ausführungen zur SE-RiL sogleich in Abschnitt C. III. 1. e) bb). Vorsichtig in diese Richtung auch Heuschmid, AuR 2006, 184 (188) „[. . .] für das Niveau der Mitbestimmung in der neuen Gesellschaft [SE] kommt es nicht so sehr auf die dem Sachverhalt konkret zugrunde liegende nationale Auffangregelung an, vielmehr ist ausschlaggebend, wie das Mitbestimmungsniveau in den beteiligten Gesellschaften vor der Verschmelzung war.“ In dieser Weise kann man auch Brandes, AG 2005, 177 (178) interpretieren: „Die SE-RiL projiziert bei einer SE-Gründung mit deutscher Beteiligung die rigiden Bestimmungen des deutschen Mitbestimmungsrechts [. . .] in die SE hinein.“
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mung vor Gründung einer SE durch Verschmelzung bzw. als Holding- oder Tochtergesellschaft [Gründungsszenarien 1. bis 5. und 8.] unterlegen haben müssen, werden nach den Vorgaben der SE-RiL allein innerhalb der „beteiligten Gesellschaften“ bestimmt. Die SE-RiL schreibt dazu in Art. 7 II lit. b) bzw. c) vor, dass die Auffangregelung über die Mitbestimmung anwendbar sein soll, wenn „[. . .] eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung bestanden und sich auf mindestens 25% [bzw. 50%] der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstrecken [. . .].“
„Beteiligte Gesellschaften“ sind in Art. 2 lit. b) SE-RiL definiert als Gesellschaften, „die unmittelbar an der Gründung der SE beteiligt sind“. Die SE-RiL schreibt damit einen Anknüpfungspunkt vor, der nur die Arbeitnehmer der tatsächlichen Gründergesellschaften in die Betrachtung einbezieht. Der deutsche Gesetzgeber ging einen etwas anderen Weg,464 denn er erweiterte den Bezugspunkt der Quorenbestimmung. § 34 I Nr. 2 bzw. 3 SEBG lautet in der jeweils relevanten Passage: „[. . .] eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung bestanden und sich auf mindestens 25% [bzw. 50%] der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften erstrecken [. . .].“
„Beteiligte Gesellschaften“ sind im SEBG entsprechend der SE-RiL definiert. Nach § 34 I Nr. 2 bzw. 3 SEBG sind für die Erreichung der Prozentzahlen darüber hinaus aber auch die Arbeitnehmer der „betroffenen Tochtergesellschaften“ maßgeblich. § 2 IV SEBG definiert diese Töchter wie folgt: „Betroffene Tochtergesellschaften [. . .] sind Tochtergesellschaften [. . .] einer beteiligten Gesellschaft, die zu Tochtergesellschaften [. . .] der SE werden sollen.“
Während die SE-RiL einzig auf die SE-Gründer zur Ermittlung der Prozentzahlen abstellt, bezieht das SEBG den gesamten in die SE zu übertragenden Konzernverbund in die Betrachtung mit ein.465 Zwar entspricht dies dem Rechtsgedanken von § 5 MitbestG, dessen ungeachtet besteht hierin eine erhebliche Ausweitung der zu betrachtenden Arbeitnehmergruppe und tendenziell eine Erleichterung des „Exports“ der Mitbestimmung in die SE,466 denn die Erreichung der erforderlichen Arbeitnehmerzahlen für das 25%-bzw. 50%-Quorum wird auf diese Weise begünstigt. Insbesondere kommt es nach § 34 I Nr. 2 bzw. 3 SEBG nämlich nicht darauf an, dass die in die SE übernommene Form 464
Krause, BB 2005, 1223 (1227 f.). So auch Grobys, NZA 2005, 84 (89). 466 Zu diesem Ergebnis kommt zunächst auch Krause, BB 2005, 1223 (1227 f.), schränkt dann aber insofern ein, als die Auffangregelung zur Mitbestimmung in der SE an anderer Stelle hinter den europarechtlichen Vorgaben zurückbleiben. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn gerade die Arbeitnehmer des ausländischen Konzerns die Prozentzahlen verschöben. 465
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der Mitbestimmung vorher auch in den „beteiligten Tochtergesellschaften“ zur Anwendung kam. Vielmehr ist es ausreichend, dass dort überhaupt eine Form der organschaftlichen Mitbestimmung Geltung hatte. Auch kleine Tochterunternehmen, die etwa von den Vorschriften des DrittelbG erfasst werden, zählen insofern zur Bestimmung der Prozentzahlen. Zur Frage, ob die Ausgestaltung durch § 34 SEBG europarechtlich zulässig ist, wird man unterschiedliche Standpunkte einnehmen können.467 Eine „Öffnungsklausel“, wie aus anderen arbeitsrechtlichen Europarechtsakten468 bekannt, sieht die SE-RiL allerdings nicht vor.469 Jedenfalls handelt es sich bei der SE-RiL um eine Richtlinie, bei deren Umsetzung dem nationalen Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsraum zuzugestehen ist.470 Die Begründung zum Regierungsentwurf des SEBG führt sogar aus, die Gestaltung von § 34 SEBG entspreche einzig „dem Sinn der Richtlinie [. . .], um die Wahlrechte der Arbeitnehmer [bzgl. der Besetzung des Aufsichtsrates] im Konzern zu erhalten.“471 Diese Ansicht wird von Vertretern des Schrifttums geteilt.472 Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Erweiterung der zu berücksichtigen Arbeitnehmerschaft eine Verschärfung der ohnehin schon die Arbeitgeber belastenden Mitbestimmungsregelung für die SE darstellt, denn die Erstreckung der paritätischen Mitbestimmung in die SE wird auf diese Weise ein weiteres Mal erleichtert. Unabhängig davon ist hierin jedoch nicht das Kernproblem der Mitbestimmungsproblematik bei der SE zu erblicken; die Frage nach der quorenrelevanten Arbeitnehmergruppe kommt höchstens einem Problemausschnitt gleich.473 Von größerer Bedeutung und Tragweite ist die im Ergebnis hälftige Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensorganen. Zwar erleichtert § 34 SEBG die Einführung von paritätischer Mitbestimmung, doch steht nicht der Einführungsweg im Kreuzfeuer der Kritik, sondern die inhaltliche Ausgestaltung der deutschen Mitbestimmung in Form der Parität. Diesen Inhalt betrifft § 34 SEBG 467 Für europarechtswidrig halten die Vorschrift etwa NK-SE-Hennings, Art. 7 SERL, Rn. 24; Kienast in: Jannott/Frodermann Kap. 13, Rn. 266 ff.; Europarechtskonformität nehmen hingegen an MüKoAktG-Jacobs, § 34 SEBG, Rn. 10 und wohl auch Nagel in: Nagel/Freis/Kleinsorge, § 34 SEBG, Rn. 8. Die inhaltlich identischen Regelung des § 15 III SEBG für unvereinbar mit europäischem Recht halten Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 88; Grobys, NZA 2004, 779 (780 f.); ders., NZA 2005, 84 (89); Kallmayer, ZIP 2004, 1442 (1443); Kienast in: Jannott/Frodermann Kap. 13, Rn. 269 in Fußnote 247. Für europarechtskonform erachtet § 15 III und § 34 I Nr. 3 SEBG hingegen Niklas, NZA 2004, 1200 (1203) und (1204). 468 So z. B. Art. 7 Betriebsübergangsrichtlinie 98/50/EG (nicht mehr rechtskräftig), jetzt in Art. 8 der Nachfolgerichtlinie 2001/23/EG. 469 Grobys, NZA 2004, 779 (780). 470 Vgl. Art. 249 III EG. 471 BR-Drs. 438/04 S. 136. 472 So z. B. MüKoAktG-Jacobs, § 15 SEBG, Rn. 10. 473 So auch Krause, BB 2005, 1223 (1227 f.) der davon ausgeht „die Auswirkungen dieser Abweichung halten sich in Grenzen [. . .].“
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allerdings nicht, und mithin stellt dieses Detailproblem auch nicht den Grund für die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit deutscher SE-Gründer dar. Im Ergebnis beruht die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht auf der Ausgestaltung des SEBG. bb) SE-RiL Die Beschneidung der Rechte zur freien Niederlassung bei der SE-Gründung könnte auch durch die SE-RiL hervorgerufen werden. Wäre dies der Fall, verstieße europäisches Sekundärrecht gegen europäisches Primärrecht, d. h. gegen die Gründungsverträge.474 Eine solche Möglichkeit ist nicht grundsätzlich auszuschließen, denn nach ganz h. M. verpflichten die Grundfreiheiten des EG-Vertrages auch die Europäische Gemeinschaft,475 da ihre Handlungsbefugnisse nicht vollumfassend, sondern funktionell auf die Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Zielvorgaben begrenzt sind.476 Betrachtet man die SE-RiL, insbesondere Art. 7, dann ließe sich der Standpunkt einnehmen, das Sekundärrecht der SE-RiL sei für die mitbestimmungsrechtlichen Friktionen bei der freien Niederlassung verantwortlich zu machen. Dass – so schreibt es Art. 7 II lit. a) SE-RiL vor – die Mitbestimmung bei der SE im Fall der rechtsformwechselnden Umwandlung [Gründungsszenario 6.] vom Standard des Rechtsvorgängers abhängig gemacht werden soll, scheint noch konsequent. Eine bestehende Aktiengesellschaft – nur sie ist nach Art. 2 IV SE-VO umwandlungsfähig in eine SE – wird in eine neue Gesellschaftsform transformiert. Praktisch bedeutet dies, das Haus wird „neu angestrichen“, wobei die „Einrichtung“ dabei identisch bleibt.477 In diesem Fall ist die Übertragung der Gründer-Mitbestimmung auf die SE sachlich gerechtfertigt wie auch angemessen, um eine Flucht aus der Mitbestimmung zu unterbinden. Das Argument lässt sich – wenngleich nur noch mit Abstrichen – auch auf die Gründung der SE in der Variante der Verschmelzung [Gründungsszenario 1.] übertragen. Der 474 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass Maßnahmen der Gemeinschaft, insbesondere Rechtssetzungsakte nicht unmittelbar an den Grundfreiheiten zu messen sind, sondern als Prüfungsmaßstab nur die „Grundsätze der Freiheiten“ dienen; vgl. dazu Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39-55 EGV, Rn. 51 m.w. N. zur Rechtsprechung des EuGH. 475 Statt aller Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 50 m.w. N. 476 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 50. 477 Vgl. Meister/Klöcker in: Kallmayer, UmwG, § 190 UmwG, Rn. 6: „Das Wesen des Formwechsels liegt bei der Wahrung der Identität des Rechtsträgers: Da der Rechtsträger identisch bleibt, findet eine Vermögensübertragung nicht statt.“ Ähnlich Decher in: Lutter, UmwG, § 190 UmwG, Rn. 1: „Die Vorschrift des § 190 stellt klar, dass an dem Formwechsel nur ein einziger Rechtsträger beteiligt ist, der in einen Rechtsträger anderer Rechtsform umgewandelt wird. Damit wird der identitätswahrende Charakter des Formwechsels betont.“
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alte Rechtsträger geht auf in einem neuen Rechtsträger SE. Daher scheint es auch vertretbar, die Mitbestimmung als erworbenes Recht einer Teilbelegschaft im neuen „Gemeinschaftsunternehmen“ fortzuschreiben. Vor diesem Hintergrund muss hingegen Art. 7 II lit. c) SE-RiL mit seiner Regelung bezüglich der Errichtung von Holding- und Tochtergesellschaften [Gründungsszenarien 2. bis 5.] unverständlich erscheinen. Beide sind rechtlich völlig unabhängige, neu erschaffene Rechtsträger, die hinsichtlich der Mitbestimmung selbst nur durch ihre „Herkunft“ gekennzeichnet sind. Ist eines der „Kinder“ (Variante der SE-Holding-Gründung) oder ein „Elternteil“ (Variante der SE-Tochtergründung) mitbestimmt, dann ist dies nach den Vorschriften der SE-RiL praktisch478 Grund genug, auch in der SE-Holding bzw. SE-Tochter Mitbestimmung nach dem Vorbild der „Verwandtschaft“ einzuführen. Dies ist insofern überraschend, als die neue SE ansonsten keinerlei besondere Voraussetzung – etwa bestimmte Arbeitnehmerzahlen – erfüllen muss, um mitbestimmt zu sein.479 Die ersten deutschen Judikate im Hinblick auf die SE zeigen deutlich, sogar eine arbeitnehmerlose SE kann mitbestimmt sein.480 Weshalb dies erforderlich sein soll, ist eine berechtigte Frage. Eine Einschränkung anhand der absoluten Arbeitnehmerzahl, wie sie das MitbestG in § 1 kennt, ist der SE-RiL fremd und auch die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung der Regelung um einiges schwieriger zu beantworten als noch bei Umwandlung bzw. Verschmelzung. Die Erwägungsgründe der SE-RiL, nach denen etwa „Mitbestimmungsrechte [. . .] durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben“481 sollen, passen zur Holding- bzw. Tochtergründung nicht wirklich. Auch der Hinweis, „dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen“,482 trägt dem tatsächlichen Ergebnis einer Holding- bzw. Tochtergründung nicht hinreichend Rechnung. Allein mit dem Hinweis, eine Flucht aus der Mitbestimmung unterbinden zu wollen, wird es wohl ebensowenig getan sein, was der Blick in das Mitbestimmungsrecht Deutschlands bestätigt: Die Zurechnung von Konzernarbeitnehmern 478 Die Einführung der Mitbestimmung ist in den hier besprochenen Fallgruppen zwar kein Automatismus, gleichwohl ist die Chance der Einigung auf dem Verhandlungsweg wohl als gering anzusehen; vgl. dazu oben Abschnitt C. II. 1. b). 479 Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 42 beschreibt zutreffend, dass auch eine SE-Tochtergesellschaft mit weniger als 500 Arbeitnehmern mitbestimmt sein kann, wenn eine deutsche Gesellschaft an der Gründung beteiligt wurde. 480 AG Hamburg, Urteil vom 28.06.2005, 66 AR 76/05 und LG Hamburg, Urteil vom 30.09.2005, 417 T 15/05, beide abgedruckt in ZIP 2005, 2017 ff. 481 Erwägungsgrund 7 der SE-RiL. 482 Erwägungsgrund 3 der SE-RiL.
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zu einem herrschenden Unternehmen „von unten nach oben“ ist aus § 5 MitbestG noch bekannt. Da die Steuerungsbefugnissen in der Holding zusammengefasst werden, setzt die Norm das Anliegen der Mitbestimmung konsequent auf der jeweils nächst höheren Kontrollebene um. Überraschend ist aber schon eine Arbeitnehmerzurechnung in beide Richtungen. Denn neben die Arbeitnehmerzurechnung „von unten nach oben“ (von Tochter zu Holding) tritt diejenige „von oben nach unten“483 (von Holding zu Tochter). Wenngleich mit neuen Vorzeichen, entspricht diese Form der „Verknüpfungstechnik“ zwischen den Gesellschaften durch die Zurechnung von Konzernarbeitnehmern dennoch derjenigen im deutschen Mitbestimmungsrecht. Völlig neuartig ist hingegen die von der SE-RiL vorgesehene Übertragung der ganzen konkreten Mitbestimmung in beide Richtungen.484 Im wesentlichen Gegensatz hierzu steht § 5 MitbestG. Er sieht zwar eine Zurechnung der Arbeitnehmer zur Konzernmutter („von unten nach oben“) vor, gleichwohl bedeutet die mitbestimmungsrechtliche Beteiligung der Arbeitnehmer des Tochterunternehmens auf Ebene der Konzernmutter keine Einführung von Mitbestimmung im Tochterunternehmen selbst.485 So hingegen sieht es die SE-RiL vor. In ihr liegt mithin eine völlig neue Art der „Mitbestimmungsanknüpfung“. Sie ist erstmals losgelöst von der Arbeitnehmerzahl im Unternehmen bzw. im herrschenden Konzern, sondern ausschließlich davon abhängig, wer die neue Gesellschaft gründet. Unterliegt einer der Gründer der Mitbestimmung, dann ist sie auch auf die Neugründung zu erstrecken. Insofern ist Kübler zuzustimmen, der konstatiert, dass „die [SE-]Richtlinie nicht nur auf die Zementierung, sondern auf Expansion des jeweils am weitesten reichenden Mitbestimmungsregimes angelegt“486 ist. Bevor allerdings die gegebenenfalls bestehenden Erklärungsnöte des Richtliniengebers weiter auszuloten sind, ist der Blick auf den Regelungsinhalt der SE-RiL hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung zu richten. Denn ist die inhaltliche Ausgestaltung zur Mitbestimmung bei SE in der Richtlinie unbedenklich, dann macht es auch keinen Unterschied, auf wen und in welchen Konstellationen diese Mitbestimmungsregeln anwendbar sind. Bei Art. 7 SE-RiL handelt es sich um einen sogenannten Blanketttatbestand.487 Diese Art der Gesetzgebung ist vor allem aus dem Strafrecht und hier insbesondere aus dem 483
So auch Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (199). Nach Schäfer, NZG 2004, 785 (789) zeichnet jede Gründung einer SE eine „enge Verwandtschaft zur Umwandlung“ aus, was ein Indiz für die hinter diesen Vorschriften stehende Regelungsabsicht sein mag. 485 Nicht nur dies übersieht offenbar Niklas, NZA 2004, 1200 (1203). 486 Kübler, ZHR 167 (2003), 222 (227). 487 Implizit so auch Rebhahn in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41, 42. In gleicher Weise lassen sich auch die Ausführungen von Weiß, NZA 2003, 177 (184) verstehen. 484
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Wirtschaftsstrafrecht bekannt.488 Das Besondere an Blanketttatbeständen ist, dass sie nur eine Hülse schaffen, die für sich genommen höchstens abstrakten Aussagewert enthält. Dieser Rahmen ist unvollständig; er ist ausfüllungsfähig und vor allem ausfüllungsbedürftig.489 Zur notwendigen Ausfüllung des Blanketts wird regelmäßig auf eine Ge- oder Verbotsnorm verwiesen.490 Nach der Art der Verweisung lässt sich unterscheiden. Während eine Binnenverweisung eine Verweisung innerhalb ein- und desselben Gesetzestextes darstellt, wird anhand einer Außenverweisung auf einen anderen förmlichen Gesetzestext Bezug genommen.491 Bei Art. 7 SE-RiL handelt es sich damit um eine Außenverweisung. Weiterhin kann man nach der Ausgestaltung der Verweisung differenzieren. Es kann entweder ausdrücklich auf eine bestimmte Norm rekurriert werden oder aber der Verweis erfolgt konkludent, da er sich erst durch Auslegung des Blanketts ergibt.492 Art. 7 SE-RiL nimmt keine speziellen nationalen Regelungen in Bezug, sondern stellt darauf ab, ob „Formen der Mitbestimmung bestanden“.493 Erst durch einen Blick in die nationalen Regelungen wird damit verständlich, wie die Mitbestimmung im konkreten Fall auszugestalten ist. Die Verweisung erfolgt also konkludent. Schließlich lässt sich die Blankettgesetzgebung auch noch zeitlich systematisieren. Hierzu wird zwischen statischen und dynamischen Verweisungen unterschieden.494 Während die statische Verweisung auf eine bestimmte Norm in einer bestimmten Fassung Bezug nimmt, beziehen sich dynamische Verweisungen auf die jeweils gültige Fassung des Verweisungsobjektes und sind damit für zukünftige Änderungen offen.495 In Art. 7 SE-RiL wird auf die Arbeitnehmermitwirkung in den „beteiligten Gesellschaften“ abgestellt. Zwar nimmt die Verweisung einen bestimmten Zeitpunkt in Bezug – den Moment vor der SE-Gründung – und ist insofern statisch, doch wird auf die „Mitbestimmung“ der beteiligten Gesellschaft verwiesen, die ganz wesentlich von der jeweils zum SE-Gründungszeitpunkt geltenden Rechtslage abhängt. „Unabhängig von der [. . .] Umsetzung [der SE-RiL] bleibt das nationale Recht als Referenznorm von ganz besonderer Bedeutung. Wo nämlich die SE-RiL einen nationalen Mitbestimmungsstandard schützt, folgt sie dynamisch einer Modernisierung nationalen Rechts.“496 Auch 488 Vgl. z. B. die jüngeren Darstellungen zum Blankettstrafrecht bei Dietmeier, Blankettstrafrecht (von 2002) und Enderle, Blankettstrafgesetze (von 2000). Dazu auch die Habilitationsschrift von Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (von 1969). 489 Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 15. 490 Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 7. 491 Zu beidem Karpen, Verweisung, S. 12 f. 492 Zu beidem Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 11. 493 Art. 7 II lit. b) bzw. c) erster Spiegelstrich. 494 Diese Unterscheidung wurde eingeführt von Ossenbühl, DVBl 1967, 401 ff. 495 Zu beidem Karpen, Verweisung, S. 67 ff. 496 Windbichler, AG 2004, 190 (192).
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wenn gegenwärtig eine AG mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern dem MitbestG unterliegt, ist diese Mitbestimmungsregelung – in den europa- und verfassungsrechtlichen Grenzen – für den deutschen Gesetzgeber nicht unabänderlich. Damit handelt es sich bei Art. 7 SE-RiL zeitlich um eine dynamische und zusammengefasst um eine konkludente dynamische Außenverweisung. Infolgedessen obliegt es dem nationalen Gesetzgeber, die Ausfüllungsnorm bereitzustellen und so den Tatbestand des Art. 7 SE-RiL zu komplettieren bzw. eine solche Norm gerade nicht zu schaffen, um die SE im Ergebnis mitbestimmungsfrei zu halten. Nur so kann „die Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesellschaften“,497 d. h. können die nationalen Besonderheiten der Arbeitnehmermitbestimmung aufrecht erhalten werden.498 Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips499 ist dieser Ansatz begrüßenswert. Auf den konkreten Fall anwendbar wird ein Blanketttatbestand gleichwohl immer erst im Zusammenwirken mit derjenigen Regelung, die er aufgreift bzw. die ihn ausfüllt. Für die hier ausschließlich betrachtete paritätische Mitbestimmung finden sich die Ausfüllungsnormen im MitbestG. Über die Blankette der SE-RiL bzw. des transformierten SEBG werden u. a. die Vorgaben des MitbestG auf die SE anwendbar. Das MitbestG und nicht das SEBG stellt also die inhaltliche Ausgestaltung für die SE-RiL in Deutschland dar. Daher wird deutlich, dass auch nicht die Einführung von Mitbestimmung in neu geschaffenen Gesellschaften – Stichwort SE-Holding bzw. Tochtergründung – die wesentlichen Probleme im Mitbestimmungsrecht der SE aufwirft. Diese Entscheidung ist für sich genommen nicht kritikwürdig und wenn doch, dann allenfalls auf wirtschaftspolitischer Ebene. Die Blanketttatbestände der SE-RiL haben, isoliert und ohne gleichzeitige Betrachtung der nationalen Vorschriften, keinen Aussagegehalt. Tatsächlich sogar steht die SE-RiL, ebenso wie auch andere europäische Rechtssetzungsakte,500 der konkreten Ausgestaltung der Mitbestimmung ausdrücklich indifferent gegenüber, denn es wurde mit Bedacht von einer europaweit einheitlichen Mitbestimmungsregelung abgesehen.501 Ohne gleichzeitige Betrachtung der nationalen Ausfüllungsnorm hat die SE-RiL auch und insbesondere deswegen kei497
So Erwägungsgrund 3 der SE-RiL. Hierzu sollte man einschränkend hinzufügen, dass nationale Mitbestimmung nichtsdestotrotz nur im Rahmen des europarechtlich Zulässigen aufrechterhalten werden kann. Von dieser Verpflichtung entbindet auch die SE-RiL die nationalen Gesetzgeber nicht. 499 Vgl. Art. 5 EG. 500 Dazu Windbichler, AG 2004, 190 (194 f.). 501 Vgl. Erwägungsgrund 5 der SE-RiL: „[. . .] ist es nicht ratsam, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen.“ 498
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
nen Aussagegehalt, weil es sich bei Art. 7 SE-RiL um eine dynamische Verweisung auf nationales Recht handelt. Gliche der deutsche Gesetzgeber das Mitbestimmungsniveau des MitbestG an den Drittelstandard an – in politischen Dimensionen ist dies gegenwärtig kaum vorstellbar,502 tatsächlich aber natürlich möglich und europarechtlich gegebenenfalls sogar geboten – entfielen die zuvor skizzierten Mitbestimmungsprobleme allesamt. In diesem Moment läge eine in der SE-RiL verortete Behinderung der Niederlassungsfreiheit nicht mehr vor, so dass die Richtlinie plötzlich – wegen eines nationalen Gesetzgebungsaktes! – mit den europäischen Grundfreiheiten vereinbar wäre. Dass dieses Ergebnis nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Vielmehr ist man sogar geneigt, die Frage nach einem Verstoß der SE-RiL gegen Art. 43 EG mit einer Gegenfrage zu beantworten: Welchen flexibleren Mechanismus hätte der Richtliniengeber wählen können, als den eines Blanketttatbestandes, der die Regelungsmacht bei den nationalen Gesetzgebern belässt und ihnen die konkrete inhaltliche Ausgestaltung vorbehält? Dass die Schaffung einer reinen Blankettnorm jedenfalls in Bezug auf den Verwaltungsrat gegebenenfalls ein Fehler war, hat der EU-Gesetzgeber nun vermutlich erkannt. In auffälligem Gegensatz zu den Mitbestimmungsvorschriften der SE-RiL, die sich jeglicher Äußerung zu einem absoluten Mitbestimmungsstandard enthalten, befindet sich nämlich eine Regelung der „Verschmelzungsrichtlinie“ 2005/56/EG. Nach Art. 16 IV lit. c) der RiL ist es möglich, den Standard der Mitbestimmung im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung in Verwaltungsräten auf ein Drittel zu begrenzen.503 Dies gilt selbst dann, wenn zuvor ein höherer Mitbestimmungsstandard gegolten hat. Art. 16 IV lit. c) liest sich wie folgt: „Sie [die Mitgliedstaaten] können in dem Fall, dass nach vorherigen Verhandlungen die Auffangregelung gilt, und ungeachtet dieser Regelung beschließen, den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu begrenzen. Bestand jedoch das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu mindestens einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern, so darf die Begrenzung in keinem Fall dazu führen, dass die Arbeitnehmervertretung im Verwaltungsorgan weniger als ein Drittel beträgt.“
502 Anzumerken ist allerdings, dass die FDP seit 2005 ausdrücklich die Absenkung der Parität des MitbestG auf die Drittelbeteiligung fordert. Vgl. Pressemitteilung vom 6. Juli 2005, verfügbar unter http://www.fdp.de/webcom/show_websiteprog.php/_c730/_lkm-167/i.html?wc_id=4668 (Stand: 25. Februar 2007). 503 Hierzu Oechsler, NZG 2006, 161 (162), der allerdings nicht erwähnt, dass die Ausnahme allein für das „Verwaltungsorgan“ gilt, nicht hingegen das „Aufsichtsorgan“. Bei Wahl der dualistischen Leitungsstruktur besteht die Begrenzungsmöglichkeit nicht.
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In dieser jüngsten EU-Gesetzgebung kann man ein gewisses, neu gebildetes Feingespür für die mitbestimmungsrechtlichen Probleme bei grenzüberschreitenden Sachverhalten erahnen. Folgender Gedankengang dürfte schlussendlich Klarheit darüber bringen, dass Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit bei der SE-Gründung nicht auf der SE-RiL beruhen: Die SE-RiL ist in ihrer Eigenschaft als Richtlinie in allen Mitgliedstaaten der EU gleichermaßen anwendbar. Alle 25 Mitgliedstaaten dieses Staatenverbundes sind verpflichtet, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.504 Obwohl dies zu sehr weiten Teilen geschehen ist, sind Bedenken zur Mitbestimmung in der SE in ihrer oben skizzierten Form ausschließlich in Deutschland, d. h. genauer ausschließlich bezogen auf die deutsche Mitbestimmung nach MitbestG bzw. Montan-MitbestG, geäußert worden.505 Wenn das Mitbestimmungsproblem für die SE auf die zugrundeliegende Richtlinie zurückzuführen wäre, läge es dann nicht nahe, dass auch in anderen Mitgliedstaaten vergleichbare Bedenken, Ängste und Abneigungen geäußert würden, wie es in Deutschland der Fall ist? Die Tatsache, dass dem nicht so ist, stellt ein deutliches Zeichen dafür dar, dass die SE-RiL nicht für die Unwägbarkeiten im Bereich der mitbestimmten SE verantwortlich zu machen ist. cc) MitbestG Die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit lässt sich damit nur auf die Normen des MitbestG zurückführen. Dies ist auch die Sichtweise, die in der Literatur vielfach geteilt wird. Nach Ansicht Fleischers sind „die geschilderten Schwierigkeiten [. . .] freilich samt und sonders hausgemacht“.506 Oft wird angemahnt, es „sollte geprüft werden, ob unser nationales Mitbestimmungsmodell nicht auf den Prüfstand gehört.“507 Für diesen auch hier befürworteten Ansatz spricht zunächst, dass die Normen der SE-RiL und des Transformationsgesetzes SEBG als Blanketttatbestände konzipiert sind.508 Der tatsächliche Inhalt und die Ausgestaltung der Mitbestimmung in SE mit deutscher Beteiligung wird von den Rechtsvorschriften statuiert, auf die diese Blankette verweisen.509 Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, § 35 II 1 SEBG schreibe vor, die Arbeitnehmer der SE hätten das Recht, 504
Gemeinschaftsrechtlich folgt diese Verpflichtung aus den Artt. 10 und 249 EG. Vgl. z. B. Davies, Workers on the Board of the European Company?, 32 Ind. Law J. 75 (2003): „[. . .] the Directive [2001/86/EC] on employee involvement in the European Company has recieved a muted reception.“ 506 Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (536). 507 Möllers in: Handbuch Corporate Governance, S. 404, 422. 508 Vgl. Abschnitt C. III. 1. e) bb). 509 Ebenso, allerdings nur für die Umwandlung und ohne den Schluss zu ziehen, dass es sich bei SE-RiL und SEBG um Blankettnormen handelt Steinberg, Mitbestim505
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
„einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE zu wählen oder zu bestellen oder deren Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen.“
Zwar wird durch diese Norm tatsächlich der Rechtsanspruch der Arbeitnehmer einer SE auf Mitwirkung an der Besetzung des Aufsichts- bzw. Kontrollorgans begründet, allerdings handelt es sich hierbei um ein abstraktes Recht, welches in dieser Form noch inhaltsleer ist. Rechte jedoch, die einen Anspruch vermitteln, der in Umfang und Gehalt nicht bestimmbar ist, haben wenig Aussagekraft im Sinne eines Ge- oder Verbots etwas zu tun bzw. zu unterlassen. Gehalt erlangt das Recht im vorliegenden Fall erst durch das Zusammenwirken mit den Inhalten von Mitbestimmungsregelungen, wie sie etwa das MitbestG für deutsche Großunternehmen vorsieht. Ohne diesen zusätzlichen Baustein der Inhaltsnorm gewährt das Recht auf Teilnahme an der Aufsichts- oder Kontrollgremienbesetzung, wie es § 35 II 1 SEBG statuiert, noch keinerlei Mitwirkung, denn es ist nicht bestimmbar, welchen Umfang § 35 II 1 SEBG im Einzelfall tatsächlich hat. Dies ist auch der Grund, weshalb die These von der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das MitbestG überzeugend ist. Es sind schließlich nicht die inhaltlichen Vorgaben von SE-RiL oder SEBG die die materielle Ausgestaltung der Mitbestimmung vorschreiben und damit die Mitbestimmungsprobleme bei der SE auslösen. Vielmehr sind es die konkreten Anweisungen des MitbestG, wie und in welchem Umfang die Arbeitnehmer in Gesellschaften im Allgemeinen und nun auch in der SE im Besonderen zu beteiligen sind. Nicht die SE-RiL oder das SEBG, sondern das MitbestG macht in § 7 die Vorgabe, dass der Aufsichtsrat zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist. Auf diese Vorschrift nimmt § 35 II 2 SEBG Bezug, indem er bestimmt: „Die Zahl dieser Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE bemisst sich nach dem höchsten Anteil an Arbeitnehmervertretern, der in Organen der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bestanden hat.“
Es liegt in der Natur dieser Vorschrift, dass ihr faktischer Inhalt einzig von der Verweisungsnorm abhängt. § 7 MitbestG könnte, anstatt vorzuschreiben, die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder durch Arbeitnehmer wählen zu lassen, auch ein Drittel, ein Viertel, ein Fünftel oder sonst jeden erdenklichen Bruchteil unterhalb von 50% vorsehen.510 Hieran ändert auch die SE-RiL nichts, denn sie mung in der SE, S. 203 „Es werden lediglich die Inhalte dieser Vorschriften über die Beteiligungsrechte auf die SE übertragen.“ Vorsichtig in diese Richtung auch Heuschmid, AuR 2006, 184 (188) „[. . .] für das Niveau der Mitbestimmung in der neuen Gesellschaft [der SE] kommt es nicht so sehr auf die dem Sachverhalt konkret zugrunde liegende nationale Auffangregelung an, vielmehr ist ausschlaggebend, wie das Mitbestimmungsniveau in den beteiligten Gesellschaften vor der Verschmelzung war.“ Dieses Mitbestimmungsniveau bestimmt sich nach den national geltenden Mitbestimmungsgesetzen, entsprechend etwa nach dem MitbestG. 510 Diese Schlussfolgerung ergibt sich im Umkehrschluss zu den Ausführungen des BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (323 ff.) =
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gewährt keinen absoluten, sondern lediglich relativen Bestandsschutz für die Arbeitnehmermitbestimmung.511 Der Mitbestimmungsstandard de lege lata vor Gründung einer SE soll in der SE (mindestens) erhalten bleiben. Die Tatsache, dass sich die inhaltlichen Vorgaben der SE-RiL zur Mitbestimmung darauf beschränken, dass erstens auch in der SE eine Unternehmensmitbestimmung einzuführen ist, welche zweitens relativen Bestandsschutz gegenüber dem Mitbestimmungsstandard der Gründungsgesellschaften genießt, macht die materiellen Fragen der SE-Mitbestimmung zu einer Problematik, der sich die nationalen Gesetzgeber widmen müssen.512 Dies ist gerade auch von der SE-RiL so gewollt, denn eine inhaltlich uniforme Mitbestimmungsregelung für die SE wurde bewusst abgelehnt, um den Mitgliedstaaten die Entwicklung eigener Mitbestimmungsregelungen zu ermöglichen.513 Ein weiterer Einwand gegen die These von der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das MitbestG ließe sich allerdings wie folgt formulieren: Das MitbestG existiert seit über 20 Jahren in fast unveränderter Form. Bis zum Erlass der SE-RiL wurden Behinderungen der Niederlassungsfreiheit aufgrund des MitbestG höchstens vereinzelt angemahnt.514 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das MitbestG wurde wissenschaftlich nicht diskutiert. Aus diesem Umstand ließe sich die Schlussfolgerung ableiten, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit eventuell doch auf die SE-RiL oder auf das Zusammenwirken von SE-RiL und MitbestG, jedenfalls aber nicht auf das MitbestG allein zurückzuführen sein könne. Denn beschränkte allein das MitbestG die Niederlassungsfreiheit, dann wäre dieser Eingriff in die Grundfreiheiten auch vor Erlass der SE-RiL bei entsprechenden Sachverhalten, den Auslandsgesellschaften, wahrgenommen geworden. Zwar klingt der Einwand zunächst plausibel und in der Tat ist die Beobachtung nicht von der Hand zu weisen, allerdings klärt sich das Bild schnell, wenn folgender Umstand bei der Beurteilung der Situation mit einbezogen wird: Bis zur grundlegenden Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Centros515 im NJW 1979, 699 ff., in denen immer wieder das Nichtvorliegen der „Parität“ im Aufsichtsrat konstatiert wird. 511 So auch Kämmerer/Veil, ZIP 2005, 369 (371). 512 So auch Zimmer, BB 2000, 1361 (1365 f.) und Kübler, FS für Raiser, S. 247, 248 freilich beide ohne die Aussage auf ihren Gehalt für die Niederlassungsfreiheit zu überprüfen. 513 So Erwägungsgrund 3 der SE-RiL. 514 Zuerst wohl Hammen, WM 1999, 2487 (2493 f.); später – nachdem die Folgen der SE-RiL sich langsam abzuzeichnen begannen – im Anschluss an die ÜberseeringEntscheidung dann auch andere wie z. B. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242) oder Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 ff. 515 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 ff. = NJW 1999, 2027 ff.
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Jahr 1999 und der nachfolgenden Rechtsprechungswende des BGH516 in 2003 ging die ganz h. M. in Deutschland von der Maßgeblichkeit der Sitztheorie aus.517 Auf dem Boden der Sitztheorie wurde Auslandsgesellschaften, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland einnahmen (d. h. von der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG Gebrauch machten), die Rechts- und Parteifähigkeit aberkannt; sie wurden insofern faktisch in eine Gesellschaftsform deutschen Rechts gezwungen.518 Durch diesen „Kunstgriff“ bestanden in Deutschland die sich nun stellenden Probleme nicht,519 denn die Mitbestimmungsvorschriften mussten ausschließlich auf Gesellschaften deutschen Rechts angewendet werden. Aufgrund dieses weithin vorherrschenden Verständnisses im deutschen Gesellschaftsrecht ist es auch erklärlich, dass sich die deutsche Wissenschaft mit dem Problem der Anwendung deutscher Mitbestimmungsvorschriften auf ausländische Gesellschaftsformen lange Zeit wenig beschäftigte. So „hatte die h. M. naturgemäß überhaupt keinen Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, ob es sinnvoll sein könnte, die rechtspolitisch gewünschte und mittels der Sitztheorie auch rechtsdogmatisch leicht zu bewerkstelligenden Erstreckung der deutschen Mitbestimmung“520 auf Gesellschaften ausländischen Rechts zu überprüfen.521 Diese Situation änderte sich nahezu über Nacht, nachdem der EuGH in seiner Centros-Entscheidung522 einer Anwendung der Sitztheorie praktisch den Boden entzog.523 Seither muss die Ansicht, nach der das Gesellschaftsstatut 516 Zunächst BGH, Urteil vom 01.07.2002, AZ II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 ff. = NJW 2002, 3539 ff. und schließlich BGH, Urteil vom 13.03.2003, VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 ff. = NJW 2003, 1461 ff. Eine ausführliche Darstellung zur Evolution des deutschen Gesellschaftsrechts aufgrund der Rechtsprechung des EuGH findet sich bei Bayer, BB 2003, 2357 ff. 517 Vgl. dazu K. Schmidt, GesR, S. 27 ff. m.w. N. zu Rechtsprechung und Literatur; im Überblick auch Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298 ff. 518 Später erkannte man ausländische Gesellschaften grundsätzlich auch im Inland an, allerdings nicht in ihrer Gründungsform als Kapitalgesellschaft, sondern als rechtsfähige Personengesellschaft; vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2002, AZ II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 ff. = NJW 2002, 3539 ff. Dieses Urteil des BGH wird gemeinhin als erfolgloser „Rettungsversuch“ der Sitztheorie gewertet; hierzu Heidenhain, NZG 2002, 1141, (1142 f.). 519 Dazu W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (333), der gleichzeitig gegenüber der Anwendung des Sitzstatuts eine Sonderanknüpfung als „weniger einschneidende Maßnahme“ vorschlägt. 520 Bayer, AG 2004, 534 (535). 521 In Bezug auf die nach der neuen EuGH-Rechtsprechung größere Relevanz von Sonderanknüpfungen im internationalen Gesellschaftsrecht ebenso Franzen, RdA 2004, 257 (258). 522 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 ff. = NJW 1999, 2027 ff. 523 Sehr deutlich wurden die europäischen Richter dann noch einmal in EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919, Rn. 81 = NJW 2002, 3614 (3616): „Das
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an den tatsächlichen Verwaltungssitz anzuknüpfen ist, als rechtshistorische Theorie gelten.524 Für die Beurteilung der Frage, ob paritätische Mitbestimmung zu einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit bei SE-Gründungen führt, hat diese Erkenntnis substanzielle Konsequenz: Der Rückschluss auf die heutige Situation von der vormaligen Ansicht (un-)möglicher Beschränkungen des Rechts der freien Niederlassung durch die Mitbestimmung ist nicht zulässig, da sich wesentliche rechtstheoretische Parameter verändert haben. Schließlich leuchtet es auch normenhierarchisch ein, die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im nationalen Recht zu verorten. In der Normenpyramide Europas verdrängt europäisches Recht alle Rechtsvorschriften nationalen Rechts, sogar solche von Verfassungsrang.525 Solange der europäische Gesetzgeber in einem Rechtsbereich keine Normen erlassen hat, liegt die Regelungshoheit ausschließlich bei den souveränen Mitgliedstaaten. Sobald Brüssel jedoch für alle Mitgliedstaaten verbindliche Vorschriften erlässt, sind diese in nationales Recht umzusetzen. Besteht bereits eine nationale Regelung, so ist diese gegebenenfalls entsprechend anzupassen. Dies gilt auch im Bereich der Mitbestimmung: Bislang gab es keine Rechtsakte der europäischen Gemeinschaft, die mitbestimmungsrechtliche Fragen in die Rechtssetzung mit einbezogen hätten. Mitbestimmung war bislang eines der Zentren uneingeschränkter Regelungshoheit der Mitgliedstaaten. Nun hat die Europäische Gemeinschaft in der SE-RiL einen Mitbestimmungsrahmen für ihre neue Gesellschaftsform vorgelegt. Konsequente Folge hiervon ist es nun, dass die nationalen Gesetzgeber die Regelungen umsetzen und sofern erforderlich, ihre bereits bestehenden Gesetze anpassen. Diese Anpassungspflicht erfasst im Falle Deutschlands z. B. das MitbestG. Bleibt der deutsche Gesetzgeber inaktiv und das MitbestG in seiner aktuellen Form erhalten, geht von ihm eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EG aus, deren Rechtfertigungsfähigkeit zu prüfen ist.
Erfordernis, dieselbe Gesellschaft in Deutschland neu zu gründen, kommt [. . .] der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich.“ 524 Dies gilt jedenfalls – mit Ausnahme des „normalen“ Wegzugs einer nationalen Gesellschaft – für grenzüberschreitende Sachverhalte. Unabhängig davon kann „theoretisch“ die Sitztheorie aufrecht erhalten werden, nur müssten die materiellen Ergebnisse ihrer Anwendung „praktisch“ weitgehend korrigiert werden, weil ihre wesentlichen Rechtsfolgen nach der Rechtsprechung des EuGH mit dem EG-Vertrag unvereinbar sind; vgl. hierzu Heiss, ZfRV 2003, 90 (93); Schulz/Sester, EWS 2002, 545 ff. und Wymeersch in: Liber Amicorum Buxbaum, 2000, S. 629, 644 ff. 525 Zu den Grenzen vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1974, 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271 (277) = NJW 1974, 1697 (1698) („Solange I“); BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375) = NJW 1987, 577 (579 f.) („Solange II“); BVerfG, Urteil vom 12.10.1993, 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff. = NJW 1993, 3047 ff. („Maastricht“).
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
f) Schutz paritätischer Mitbestimmung durch Art. 295 EG? Einer Rechtfertigungsprüfung bedürfte es nicht, wenn, unabhängig von einem Eingriff in Art. 43 EG, das deutsche Verständnis von Arbeitnehmerbeteiligung in den Organen großer Unternehmen mit einem Verweis auf Art. 295 EG zu achten wäre. Die Norm stellt für den EG-Vertrag klar: „Dieser Vertrag lässt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.“
Die Vorschrift stünde einem Verstoß des MitbestG gegen Art. 43 EG jedoch nur dann im Wege, wenn sie die Geltung der Grundfreiheiten einschränkte. Wenngleich die Norm in der Rechtsprechung des EuGH bislang eine untergeordnete Rolle spielte, ist die Auffassung des Gerichtshofes zu dieser Frage fest umrissen: Eine Deutung des Begriffs der „Eigentumsordnung“ könne ausschließlich im systematischen Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des EG-Vertrages vorgenommen werden. Hierzu wies der Gerichtshof darauf hin, dass Art. 295 EG „keinen Dispens von den übrigen Vorschriften des Vertrages“ darstellt.526 „Dieser Artikel führt nicht dazu, dass die in den Mitgliedstaaten bestehende Eigentumsordnung den Grundprinzipien des Vertrages entzogen ist.“527 In Übereinstimmung hierzu hatte der EuGH auch in älteren Judikaten klargestellt, dass Art. 295 EG die Mitgliedstaaten nicht von den Verpflichtungen entbindet, insbesondere die Grundfreiheiten zu achten. Dies gilt für die Niederlassungsfreiheit528 ebenso ausdrücklich wie für andere EG-vertragliche Grundfreiheiten.529 Das begriffliche Verständnis und die Spruchpraxis des 526
Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 295 EG, Rn. 8. EuGH, Urteil vom 15.03.2003, Rs. C-463/00, Kom./Königreich Spanien, Slg. 2003, I-4581, Rn. 67 = EuZW 529 (534). 528 Zuerst wohl EuGH, Urteil vom 06.11.1984, Rs. 182/83, Slg. 1984, 3677, Rn. 7 = NJW 1985, 2891 (2892): „[. . .] daß zwar Art. 222 EWGV [jetzt Art. 295 EG] die Befugnis der Mitgliedstaaten, ein System der staatlichen Enteignung einzurichten, nicht in Frage stellt, daß aber auch für ein solches System der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, der dem Kapitel des EWG-Vertrags über das Niederlassungsrecht zugrunde liegt, gilt.“ Vgl. ebenfalls EuGH, Urteil vom 04.06.2002, Rs. C-483/99, Kom./ Französische Republik, Slg. 2002, I-4781, Rn. 44 = NZG 2002, 628 (631): „Diese Bedenken erlauben es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, sich auf ihre Eigentumsordnung, die Gegenstand von Art. 222 EGV [jetzt Art. 295 EG] ist, zu berufen, um Beeinträchtigungen der im Vertrag vorgesehenen Freiheiten zu rechtfertigen [. . .].“ Vgl. außerdem EuGH, Urteil vom 04.06.2002, Rs. C-367/98, Kom./Portugiesische Republik, Slg. 2002, I-4731, Rn. 48 = EuZW 2002, 437 (440): „Wie aus der Rechtsprechung des EuGH [. . .] hervorgeht, führt dieser Artikel [295 EG] nicht dazu, dass die in den Mitgliedstaaten bestehende Eigentumsordnung den Grundprinzipien des Vertrages entzogen ist.“ 529 Vgl. EuGH, Urteil vom 18.02.1992, Rs. C-30/90, Kom./Vereinigtes Königreich, Slg. 1992, I-829, Rn. 18 = EuZW 1993, 638 (639); EuGH, Urteil vom 18.02.1993, Rs. C-235/89, Kom./Italien, Slg. 1992, I-777, Rn. 14 = EuZW 1993, 646 (nur Leitsatz); EuGH, Urteil vom 20.10.1993, Verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Phil Collins/Imtrat 527
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
139
EuGH hinsichtlich Art. 295 EG stehen der Annahme eines Eingriffs in Art. 43 EG mithin nicht entgegen.
2. Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Bislang konnte gezeigt werden, dass die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EG durch die Vorschriften des MitbestG beschränkt wird. Allerdings sind nicht alle Beschränkungen einer Grundfreiheit unzulässig, sondern nur solche, für die sich keine Rechtfertigungsgründe finden lassen.530 Bei den Grundfreiheiten des EG-Vertrages kann zwischen den geschriebenen und den ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen unterschieden werden. Für die Niederlassungsfreiheit ergibt sich der geschriebene Rechtfertigungstatbestand aus Art. 46 I EG. Zusätzlich hat der EuGH als ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund die sog. „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ anerkannt.531 Er wurde in der Gebhard-Rechtsprechung festgeschrieben532 und entspricht dem der „zwingenden Erfordernisse“, der aus dem Bereich der Warenverkehrsfreiheit – Art. 23 II EG – seit der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung bekannt ist.533 Im nun folgenden Abschnitt soll das MitbestG einer Rechtfertigungsprüfung anhand beider Möglichkeiten unterzogen werden. a) Rechtfertigung durch Art. 46 I EG Zunächst ist eine Rechtfertigung der Beschränkungen durch das MitbestG anhand von Art. 46 I EG zu erwägen.534 Es handelt sich bei dieser Norm um eine Rechtfertigungsmöglichkeit, die „Sonderregelung[en] für Ausländer [. . .] aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“,535
erfasst, mithin um eine „ordre-public“-Klausel.536 Nach Ansicht des EuGH537 und der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur538 handelt es sich bei Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH/ EMI Electrola GmbH, Slg. 1993, I-5145, Rn. 22 = GRURInt 1994, 53 (55). 530 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 137. 531 Erstmals wohl EuGH, Urteil vom 30.04.1986, Rs. 96/85, Kom./Frankreich, Slg. 1986, 1475, Rn. 11: Eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit sei möglich, wenn Vorschriften „wirklich in Anbetracht allgemeiner Verpflichtungen gerechtfertigt sind“. 532 Siehe die Nachweise hierzu sogleich auf S. 155 f. 533 EuGH, Urteil vom 20.02.1979, Rs. 120/78, REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 = NJW 1979, 1766 ff. 534 Vgl. zur Tragweite des Rechtfertigungsgrundes Art. 46 EG für die Niederlassungsfreiheit die umfassende Darstellung von Forsthoff, EWS 2001, 59 ff. 535 Art. 46 I EG a. E. 536 Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 46 EG, Rn. 2.
140
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Art. 46 I EG im Ausgangspunkt um eine spezielle Vorschrift, die, wie schon der Wortlaut nahe legt, vornehmlich „Sonderregelungen für Ausländer“ betrifft. Manche sind der Ansicht,539 zu diesen „Sonderregelungen“ gehören solche Normen nicht, die zwar die Freiheit der Niederlassung beschränken, gleichwohl unterschiedslos auf In- wie Ausländer anwendbar sind. Überwiegend wird hingegen die Ansicht vertreten,540 Art. 46 I EG könne neben direkten Diskriminierungen auch indirekte Diskriminierungen und sonstige Beschränkungen außerhalb des Bereichs des Ausländerrechts rechtfertigen, „auch wenn zumeist hervorgehoben wird, dass Art. 46 I EG Bedeutung vor allem für ausländerrechtliche Vorschriften habe.“541 Argumentativ bedient man sich hierzu eines ErstRecht-Schlusses: Wenn Art. 46 I EG schon den gravierendsten Eingriff in die Niederlassungsfreiheit, die direkte Diskriminierung, rechtfertigen kann, dann seien die weniger schwerwiegenden Eingriffe erst recht von dem Rechtfertigungsgrund erfasst.542 Hieraus jedoch die Schlussfolgerung zu ziehen, der vom MitbestG ausgehende Eingriff in die Niederlassungsfreiheit in der Form der „sonstigen Beschränkung“ könnte durch Art. 46 I EG zu rechtfertigen sein, wäre überstürzt. Zwar soll es nach der herrschenden Meinung ausnahmsweise möglich sein, den Anwendungsbereich von Art. 46 I EG „vorsichtig“543 auf Regelungen außerhalb des Ausländerrechts zu erstrecken. Allerdings besteht diese Möglichkeit nur dann, wenn im betrachteten Fall ein vergleichbar signifikanter Unterschied wie im Ausländerrecht zwischen Staatsangehörigen und Ausländern besteht.544 Hierbei handelt es sich um ein qualitatives Differenzierungskriterium. Allein, dass eine unterschiedliche Staatsangehörigkeit tatsächlich vorliegt, reicht hierfür nicht aus. Denn „der bloße rechtliche Unterschied, der durch die unterschiedliche Staatsangehörigkeit gesetzt ist, darf entsprechend der Wertung des Art. 12 I
537 Vgl. jüngst EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331; EuGH, Urteil vom 10.07.1986, Rs. 79/85, D. H. M. Segers/Bestuur van de Bedrijfsvereiniging voor Bank- en Verzekeringswezen Groothandel en Vrije Beroepen, Slg. 1986, 2375, Rn. 17 = NJW 1987, 571 ff. 538 Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 46 EG, Rn. 1; Schwarze-Schlag, Art. 46 EG, Rn. 3; GTE-Troberg, Art. 56 EGV, Rn. 1–3. 539 Vgl. z. B. Lenz/Borchardt-Scheuer, Art. 46 EG, Rn. 1; Schwarze-Schlag, Art. 46 EG, Rn. 3. 540 Calliess/Ruffert-Bröhmer, Art. 46 EG, Rn. 1; Forsthoff, EWS 2001, 59 (60); Jarass, RIW 1993, 1 (6); Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 7; Roth in: Dauses (Hrsg.), Hdb. EU-WirtschaftsR, E. I, Rn. 72; Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten, S. 36; GTE-Troberg, Art. 56 EGV, Rn. 3. 541 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 7. 542 Ausdrücklich so nur Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 7. 543 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 10. 544 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 10.
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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EG nicht zur Grundlage einer diskriminierenden Behandlung gemacht werden.“545 Einer Rechtfertigung über Art. 46 EG ist das MitbestG nicht zugänglich: Seine Vorschriften knüpfen in § 1 MitbestG an bestimmte gesellschaftsrechtliche Rechtsformen, d. h. eine spezielle „Staatsangehörigkeit“ an.546 Ein qualitativer Unterschied, der eine verschiedenartige Behandlung im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung begründen könnte, lässt sich zwischen ausländischen und deutschen Gesellschaften nicht ausmachen, denn die Probleme, die Mitbestimmung lösen soll, existieren unabhängig von der „Staatsangehörigkeit“ einer Gesellschaft. Dass die Erstreckung der Mitbestimmung wie auch anderer Besonderheiten deutschen Gesellschaftsrechts auf ausländische Gesellschaften dabei tatsächlich unzulässig ist, hat andere Gründe, die von Art. 46 EG unabhängig sind. Sie liegen vornehmlich im Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts547 und des Tatbestandes der europäischen Niederlassungsfreiheit, hier maßgeblich in der vom EuGH verordneten allgemeinen Verbindlichkeit der Gründungstheorie.548 Im Ergebnis ist der Rechtfertigungsgrund des Art. 46 I EG damit auf die vorliegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das MitbestG schon nicht anwendbar. Im Übrigen wurde auch schon mehrfach Skepsis darüber bekundet, ob deutschen Regelungen über die Mitbestimmung auf Unternehmensebene überhaupt ein „ordre-public“-Charakter zukommt.549 Selbst bei Anwendbarkeit von Art. 46 I EG muss die Frage einer tatsächlichen Rechtfertigung der Beschränkungen also zweifelhaft bleiben. b) Rechtfertigung durch „zwingende Gründe“ nach der Gebhard-Formel Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können „sonstige Beschränkungen“ durch „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“ gerechtfertigt werden. 545
Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 46 EGV, Rn. 9. Vgl. zu dieser Gleichsetzung von „Rechtsform“ einer Gesellschaft und „Staatsangehörigkeit“ oben Abschnitt C. III. 1. c). 547 Vgl. hierzu Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 ff. und die Darstellung auf S. 148 ff. 548 Vgl. hierzu nur EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027; EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614; EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331. 549 Verneinend Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 646-47 (2003). Vgl. ausführlich zu diesem Streitstand unten C. III. 2. b) bb). 546
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Die Terminologie ist dabei nicht immer einheitlich. Teilweise wird von „zwingenden Gründen des Gemeinwohls“550 manchmal auch von „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“551 gesprochen. Solche und ähnliche Formulierungen sind sachlich als gleichwertig anzusehen.552 Eine Rechtfertigung im Rahmen der „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ hat, eingebettet in einen vier Punkte umfassenden Prüfungskatalog, zu erfolgen. Hiernach müssen nationale Maßnahmen „in nicht-diskriminierender Weise angewandt werden [aa)], sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein [bb)], sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist [cc)].“553
Anhand dieses Vorgaben soll das MitbestG nun der Rechtfertigungsprüfung unterzogen werden. aa) Anwendung in nicht diskriminierender Weise Zuallererst muss es möglich sein, die Vorschriften des MitbestG in nicht diskriminierender Weise anzuwenden. Was genau darunter zu verstehen ist, hat der EuGH bislang nicht ausdrücklich festgestellt.554 Bei der Bildung des für die Bestimmung einer Diskriminierung erforderlichen tertium comparationis wie auch der Benennung der relevanten Vergleichsgruppe wird jedoch deutlich, dass es um einiges schwieriger ist, die Frage zu beantworten, als zunächst angenommen. Wer ist miteinander zu vergleichen? Worauf ist hierbei abzustellen? Das Merkmal der „nicht diskriminierenden Anwendung“ ist daher für den Ausschluss direkter Diskriminierung zentral. Während der ungeschriebene Rechtfertigungsgrund der „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ indirekte Diskriminierungen ebenso wie sonstige Beschränkungen zu rechtfertigen vermag555 (daher ist insofern eine Abgrenzung nicht erforderlich), unterfallen direkte Diskriminierungen seinem Anwendungsbereich nicht. Letztere lassen sich 550 Siehe z. B. EuGH, Urteil vom 21.10.1999, Rs. C-67/98, Questore di Verona/ Diego Zenatti, Slg. 1999, I-7289, Rn. 31 = EuZW 2000, 151 (153). 551 Siehe z. B. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94, Reinhard Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37 = NJW 1996, 579 (581). 552 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 154. 553 Zuletzt etwa EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 133 = NJW 2003, 3331 (3334). 554 Junker, ZfA 2005, 1 (15 f.) beschäftigt sich mit einer qualitativen Anreicherung des Merkmals nicht. Stattdessen behandelt er hier „denkbare Strategien des Ausweichens“. 555 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 154.
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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allein über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe – Artt. 30, 39 III und 46 I EG – europarechtlich legalisieren,556 daher ist hier eine Abgrenzung erforderlich.557 Dogmatisch kann man sich allerdings nach dem Sinn dieser Abgrenzungsnotwendigkeit fragen, denn eine Unterscheidung zwischen direkter Diskriminierung und sonstiger Beschränkung findet bereits auf Tatbestandsebene statt. Wie bereits festgestellt, führen die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften für die SE nicht zur Diskriminierung eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes gegenüber einem inländischen Sachverhalt. Auf große deutsche Kapitalgesellschaften findet das MitbestG ebenso Anwendung wie auf die SE. Daher liegt eine „sonstige Beschränkung“ der Niederlassungsfreiheit vor. Das erste Kriterium der Rechtfertigungsanforderungen kann das MitbestG damit erfüllen. bb) MitbestG als „zwingender Grund des Allgemeinwohls“ Weitere Rechtfertigungsvoraussetzung der Gebhard-Formel ist es, dass Vorschriften, welche die Niederlassungsfreiheit einschränken, aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls geboten sind. Damit ist der Frage nachzugehen, ob die paritätische Mitbestimmung nach Gestaltung des MitbestG als ein solcher anzuerkennen ist. In einer Vielzahl von Beiträgen von Wissenschaftlern und Praktikern wird die Frage zum Teil bejaht558 und zum Teil verneint.559 Ein klares Übergewicht der Äußerungen zugunsten der einen bzw. der anderen Seite 556 Generalanwalt Siegbert Alber, Schlussanträge zur Rs. C-311/97, Royal Bank of Scottland/Elliniko Dimosio, Slg. 1999, I-2651, Rn. 39; Eyles, Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften, S. 62; Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 44; Grabitz/HilfRandelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 140. 557 MüKoAktG-Altmeppen, Europäische Niederlassungsfreiheit, 1. Kapitel, Rn. 105. 558 Bayer, BB 2003, 2357 ff.; tendenziell so immer noch aber um einiges vorsichtiger ders., BB 2004, 1 ff.; ders., AG 2004, 534 ff.; Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 648-66 (2003); Franzen, RdA 2004, 257 ff.; Staudinger-Großfeld, EGBGB/IntGesR, Rn. 510 ff.; Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217 ff.; Kieninger, ZGR 1999, 724 ff.; MüKoBGB-Kindler, InternGesR, Rn. 567 ff.; ders., NJW 2003, 1073 ff.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 ff., ders., IPRax 2003, 117 ff.; Thüsing, ZIP 2004, 381 ff.; undifferenziert Kamp, BB 2004, 1496 ff.; von Halen, WM 2003, 571 ff.; nicht explizit aber wohl auch Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 ff., anders aber dann schon dies., AG 2003, 661 ff.; Steindorff, JZ 1999, 1140 ff.; darstellend Zimmer in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 365 ff.; ohne Argumente Birk, RabelsZ 46 (1982), 384 ff.; Göttsche, DStR 1999, 1403 ff.; Bericht der High Level Group of Company Law Experts, abgedruckt in ZIP 2003, 863 ff.; tendenziell auch Halbhuber, ZEuP 2003, 418 ff.; ausdrücklich auch Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133 ff., der aber gleichzeitig konzediert, dass die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Inspire Art in eine andere Richtung zu deuten scheint. Für den ordre-public Charakter des Mitbestimmungsrechts, i. E. aber gegen eine Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit Ulmer, JZ 1999, 662 ff. Für die Anwendung der unternehmerischen Mitbestimmung im Ergebnis, aber mit anderer Begründung Grosserichter, DStR 2003, 159 ff. und mit kollisionsrechtlicher Begründung Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083 ff. Unzutreffend gegen die Eröffnung des Schutz-
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
lässt sich nicht ausmachen. Gleichwohl wird man prima facie anzuerkennen haben, dass sich vor allem die jüngste Literatur – mit wenigen Ausnahmen560 – tendenziell kritisch zur Bejahung eines zwingenden Allgemeinwohlinteresses äußert.561 Das Spektrum der Ansichten ist bunt. Es reicht von „schlechthin unmöglich“562 über „die Frage muss aktuell [. . .] als völlig offen bezeichnet werden“563 bis zu „Mitbestimmung ist wohl dem ordre-public zuzurechnen“.564 Teilweise begegnet die Einordnung der Mitbestimmung als zwingender Allgemeinwohlgrund „keinen Bedenken“565 und manche sind sogar der Meinung, es „steht außer Zweifel, dass die von der Mitbestimmung verfolgten Ziele als zwingende Gründe des Allgemeininteresses Anerkennung finden müssen.“566 Gelegentlich – so z. B. Kindler – wird sogar davon ausgegangen, der EuGH habe in seiner Überseering-Rechtsprechung die Arbeitnehmermitbestimmung bereiches von Art. 43 EG bei Fragen der Mitbestimmung Heuschmid, AuR 2006, 184 ff. 559 Behrens, IPRax 2003, 193 ff.; Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 ff.; Ebke, JZ 2003, 927 ff.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 ff.; ders., JZ 2004, 24 ff.; ders./Rehm, ZGR 2004, 159 ff.; Forsthoff, DB 2002, 2471 ff.; Hammen, WM 1999, 2487 ff.; Junker, NJW 2004, 728 ff., ders., ZfA 2005, 1 ff.; Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456 ff.; Kuntz, EuZW 2005, 524 ff.; Meilicke, GmbHR 2000, 693 ff.; ders., GmbHR 2003, 793 ff.; Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13; ders., GmbHR 2003, 1235 ff.; Paefgen, DB 2003, 487 ff.; Riegger, ZGR 2004, 510 ff.; G. Roth, ZIP 1999, 861 ff., Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 ff.; ders., AG 2004, 57 ff.; Schwark, AG 2004, 173 ff.; Windbichler, AG 2004, 190 ff.; dies./ Bachmann, FS für Bezzenberger, S. 797 ff.; Wolf, FS für Wißmann, S. 489 ff.; Wymeersch in: Liber Amicorum Buxbaum, S. 629 ff.; Ziemons, ZIP 2003, 1913 ff.; Zimmer, BB 2000, 1361 ff.; ders., NJW 2003, 3585 ff. Ausdrücklich gegen die Qualifikation unternehmerischer Mitbestimmung als Gemeinwohlinteresse MüKoBGB-Sonnenberger, Einleitung EGBGB, Rn. 56 und im Übrigen restriktiv gegenüber einem „Wildwuchs eingriffsrechtlicher Sonderanknüpfungen“ Rn. 51–64. Bedenken auch bei BGH, Beschluss vom 30.03.2000, VII ZR 370/98, NZG 2000, 926, (927) = ZIP 2000, 967 (968); ohne Argumente Binz/Mayer, BB 2005, 2361 ff.; Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 ff.; Kallmayer, DB 2002, 2521 f.; Bamberger/Roth-Mäsch, Art. 12 EGBGB Anhang IntGesR, Rn. 10.; MüKoInsO-Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 412; Schulz/Sester, EWS 2002, 545 ff.; Veit/Wichert, AG 2004, 14 ff. Unklar, tendenziell aber nun wohl dagegen [anders noch AG 2003, 30 ff.]: Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 ff. Zwar für den ordre-public-Charakter der deutschen Mitbestimmung, aber im Ergebnis gegen Rechtfertigung über die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls Horn, NJW 2004, 893 ff. 560 So etwa Thüsing, ZIP 2004, 381 ff. oder Bayer, AG 2004, 534 ff.; um einiges vorsichtiger allerdings noch ders., BB 2004, 1 (5) „Die Frage [. . .] muss aktuell daher als völlig offen bezeichnet werden.“ 561 Siehe hierzu die Nachweise in Fußnote 559. 562 Sandrock, AG 2004, 57 (62). 563 Bayer, BB 2004, 1 (5). 564 Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217 (222). 565 Bayer, AG 2004, 534 (537). 566 W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (333).
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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bereits als zulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anerkannt.567 Der Antwort auf die Frage nach der Zuordnung der Mitbestimmung zu den zwingenden Gründen des Allgemeinwohls ist einige Bedeutung zuzumessen, denn wie Thüsing kürzlich zutreffend feststellte, „entscheidet sich die [Rechtfertigungs-]Prüfung wohl an der Anerkennung zwingender Gründe des Allgemeinwohls; bejaht man sie, dann dürften auch die anderen Hürden zu nehmen sein, wenn der deutsche Gesetzgeber behutsam sein Ziel verfolgt.“568 Es ist wichtig zu beachten, dass sich die Mehrzahl der bisherigen Beiträge der hier konkret erörterten Frage allerdings nicht widmet. Zwar wird der Frage nachgegangen, ob deutscher Mitbestimmung ein zwingendes Allgemeinwohlinteresse zu attestieren sei, dies aber vor einem gänzlich anderen Hintergrund, als es vorliegend zu geschehen hat: In der Vergangenheit ging es vielfach allein um die kollisionsrechtliche Erstreckung deutschen Mitbestimmungsrechts auf (pseudo-)ausländische Gesellschaften im Rahmen des internationalen Gesellschaftsrechts.569 Hierzu wurde gefragt, ob der zu wählende Weg über Art. 32 bzw. 6 EGBGB oder über eine Analogie zu Art. 34 EGBGB führen sollte,570 eine analoge Anwendung deutschen Mitbestimmungsrechts handhabbar wäre571 oder eine gänzlich andere Lösung zu finden sei.572 Im Rahmen der hier vorgenommenen Betrachtung kommt diesen Fragen indes keine Bedeutung zu, denn es handelt sich bei der SE-Gründung um keinen kollisionsrechtlichen Sachverhalt, da das Gründungsstatut klar einem Mitgliedstaat unterstellt ist. Daher ist die Übertragbarkeit, der im Rahmen jener Diskussion für und gegen den ordrepublic-Charakter der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften vorgebrachten Argumente, jeweils einzeln zu hinterfragen und insgesamt jedenfalls nur mit Vorsicht zu genießen. Einleitend hervorzuheben ist schließlich, dass ein dem Mitbestimmungsrecht beigemessenes Allgemeinwohlinteresse nach den Voraussetzungen der Gebhard567
Kindler, NJW 2003, 1073 (1079); ähnlich Heuschmid, AuR 2006, 184 (192). Thüsing, ZIP 2004, 381 (384); a. A. Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 46, der die Entscheidung in der Verhältnismäßigkeitsprüfung sieht. 569 So z. B. bei Franzen, RdA 2004, 257 ff. oder Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 622 (2003) „The crucial question, therefore, is, whether the German legislature could extend the German system of codetermination to pseudo-foreign corporations without violating Article 43(1) of the EC [-Treaty].“ 570 Vgl. etwa die Darstellung bei Birk, RabelsZ 46 (1982), 384 ff. oder bei Franzen, RdA 2004, 257 ff. 571 Zur Analogiefähigkeit der Mitbestimmungsgesetze Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 1 MitbestG, Rn. 10. 572 Etwa der Vorschlag von Staudinger-Großfeld, EGBGB/IntGesR, Rn. 518, der inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften in Deutschland einem Umwandlungszwang in deutsche Rechtsformen unterstellen will. Dieser Ansatz ist nach der Überseering-Rechtsprechung des EuGH nicht mehr vertretbar; so bereits Ulmer, JZ 1999, 662 (663). 568
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Formel außerdem auch zwingender Natur sein muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um Interessen handelt, die nach ihrer Bedeutung mit der einzuschränkenden Grundfreiheit vergleichbar sind573 und zu ihnen nicht im Widerspruch stehen.574 Wenngleich man die abstrakte Höherrangigkeit des verfolgten zwingenden Allgemeinwohls nicht verlangen kann,575 muss das im konkreten Fall zur Beschränkung der Freiheit vorgetragene Interesse wichtiger sein, als die Durchsetzung der Freiheit.576 Hierbei muss es sich um überragend wichtige nationale Interessen handeln, an die ähnliche Anforderungen zu stellen sind, wie an die von Art. 46 EG geschützten Interessen.577 Die zu bewertenden Argumente sind vielschichtig. Man kann sie in mehrere Topoi unterteilen: Zunächst geht es um die Frage, ob der EuGH die Arbeitnehmermitbestimmung bereits als zwingendes Allgemeinwohlinteresse anerkannt hat oder nicht; hierzu unter (1). Der Standpunkt deutscher Gerichte soll im Anschluss untersucht werden (2). Weiterhin ist die Selektivität der Unternehmensmitbestimmung zu betrachten, da nur bestimmte Rechtsformen und Unternehmensgrößen mitbestimmt sind (3). Vielfach werden die rechtstechnischen Schwierigkeiten bei der Einführung von Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmensorganen angemahnt. Diesem Punkt soll unter (4) Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zudem wird die Frage aufgeworfen, ob generalpräventive Vorschriften – so werden die Mitbestimmungsgesetze teilweise qualifiziert – einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit überhaupt rechtfertigen können (5). Unter (6) sollen dann einige Argumente behandelt werden, die im Umfeld mit der SERiL immer wieder vorgebracht wurden. Gerne wird auch behauptet, für eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Niederlassungsfreiheit komme ein nationaler ordre-public überhaupt nicht in Frage, es sei vielmehr auf einen europäischen ordre-public abzustellen. Ob dies zutrifft, wird unter (7) untersucht werden, um dann schließlich all jene Argumente aufzugreifen, die sich keinem der vorherigen Punkte zuordnen lassen; hierzu unter (8). (1) Arbeitnehmerschutz als zwingendes Allgemeinwohlinteresse in der Rechtsprechung des EuGH Nach weit verbreiteter Ansicht hat der EuGH in einer Vielzahl von Entscheidungen578 anerkannt, dass der soziale Schutz der Arbeitnehmer ein zwingendes 573
Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 459. Bleckmann, EuR 1987 28 (47). 575 Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 459. 576 Grabitz/Hilf-Leible, Art. 28 EGV, Rn. 19. 577 W.-H. Roth, WRP 2000, 979 (984). 578 Darunter z. B. EuGH, Urteil vom 17.12.1981, Rs. 279/80, Strafverfahren gegen Alfred John Webb, Slg. 1981, 3305, Rn. 18 f. = NJW 1982, 1203 (1204); EuGH, Urteil vom 03.02.1982, Rs. 62/81, Seco, Desquenne, Giral/Etablissement d’assurance 574
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Allgemeinwohlinteresse bilden kann.579 Dieser Standpunkt sei in der Überseering-Entscheidung nochmals ausdrücklich bestätigt worden.580 Zwar ist es zutreffend, dass der EuGH sogar ausdrücklich den sozialen Schutz der Arbeitnehmer als rechtfertigendes Allgemeinwohlinteresse anerkannt hat, allerdings betrafen diese Judikate ausnahmslos die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG.581 Wenngleich eine gewisse Konvergenz in Ausgestaltung und Betrachtung der verschiedenen Grundfreiheiten beobachtet werden kann,582 ist eine Übertragung der Rechtsprechung zu Art. 49 EG auch auf Art. 43 EG keine zwingende Folge. Anders als bei der Erbringung von Dienstleistungen, wo ganz regelmäßig die Mitwirkung von Arbeitnehmern essentieller Bestandteil der Leistungserbringung ist, kommt es bei der Niederlassungsfreiheit auf die Arbeitnehmer zunächst einmal nicht an. Die Nutzung der Freiheit kann – jedenfalls in einem Anfangsstadium – erst einmal ohne Arbeitnehmer erfolgen. Aus diesem Grund lässt sich die Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit ohne weitere Begründung auf die Niederlassungsfreiheit nicht übertragen. Im Bezug auf sie muss man sich auf die Überseering-Entscheidung beschränken. Der EuGH formulierte in Rn. 92 des Urteils:583 „Es lässt sich nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen [. . .] der Arbeitnehmer [. . .], unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können.“584 contre la Vieellesse et l’invalidite, Slg. 1982, 223; EuGH, Urteil vom 27.03.1990, Rs. C-113/89, Societe Rush Portuguesa LDA/Office Nationale d’Immigration, Slg. 1990, I-1417, Rn. 18 = NZA 1990, 653; EuGH, Urteil vom 28.03.1996, Rs. C-272/94, Strafverfahren gegen Michel Guiot und Climatec SA, Slg. 1996, I-1905, Rn. 16 = EuZW 1996, 399 (400); EuGH, Urteil vom 23.11.1999, Rs. C-369/96 und 376/96, Strafverfahren gegen Jean-Claude Arblade und Arblade & Fils SARL sowie gegen Bernard Leloup, Serge Leloup und Sofrage SAR, Slg. 1999, I-8453, Rn. 36; EuGH, Urteil vom 15.03.2001, Rs. C-165/98, Strafverfahren gegen André Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance SARL, Slg. 2001, I-2189, Rn. 27 = NZA 2001, 554 (555); EuGH, Urteil vom 25.10.2001, Verb. Rs. C-49/98 u. a., Slg. 2001, I-7831, Rn. 33 = AP Nr. 8 zu § 1 AEntG; EuGH, Urteil vom 07.02.2002, Rs. C-279/00, Kom./Italien, Slg. 2002, I-1425, Rn. 19 = RIW 2002, 546 (547). Alle diese Entscheidungen betreffen allerdings die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 EG. 579 So z. B. Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 23; MüKoBGBKindler, InternGesR, Rn. 568; Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 37; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125); Thüsing, ZIP 2004, 381 (385); von Halen, WM 2003, 571 (576); tendenziell auch Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (34); vorsichtiger hingegen Zimmer, NJW 2003, 3585 (3591) und Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (184). 580 Statt vieler Thüsing, ZIP 2004, 381 (385). 581 Siehe hierzu die Fußnote 578. 582 Vgl. Behrens, EuR 1992, 145 ff.; Epiney, NVwZ 2004, 1067 (1071); Jarass, EuR 2000, 705 (706). 583 So auch Ebke, JZ 2003, 927 (930 f.) und Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 499. 584 EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92 = NJW 2002, 3614
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Nach diesen Ausführungen des Gerichtshofes ist der Schutz der Arbeitnehmer als zwingender Grund des Allgmeinwohls auch für die Niederlassungsfreiheit europarechtlich grundsätzlich anerkannt. Dies gilt allerdings nicht vorbehaltlos, denn im Gegensatz zu den Urteilen zur Dienstleistungsfreiheit nahm der EuGH einige Einschränkungen vor: Aus den zu Rechtfertigungsgründen (etwa) zu bestimmenden Arbeitnehmerinteressen ist eine – noch undefinierte – Teilmenge herauszugreifen, für die eine Rechtfertigung nur vorstellbar ist („unter bestimmten Umständen“). Diese Teilmenge wiederum steht unter dem – ebenfalls noch unbestimmten – zusätzlichen Vorbehalt, dass weitere Qualifikationen eingreifen müssen („unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen“), um schlussendlich einen Rechtfertigungsgrund konstituieren zu können. Die Anforderungen des EuGH nach der Überseering-Rechtsprechung sind also strenger, als es die bisherige Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit gewesen ist.585 Daher lässt sich aus der Überseering-Entscheidung keine widerlegliche Vermutung ableiten, dass die vom EuGH aufgezählten Interessen, so es keine anderen Anhaltspunkte gibt, in jedem Fall als Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen seien. Soll ein bestimmter Grund zur Rechtfertigung von Beschränkungen europäischer Grundfreiheiten anerkannt werden, ist vom Begehrenden substanziiert dazulegen, warum besondere Gründe vorliegen, die einen Eingriff (etwa) in die Niederlassungsfreiheit zwingend erforderlich machen. Damit liegt die Begründungslast im vorliegenden Fall prima facie also bei jenen, die Mitbestimmungsvorschriften unabhängig von der Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit zur Anwendung bringen wollen.586 Gegenwärtig lässt sich aus den Ausführungen des EuGH nur schlussfolgern, dass der Arbeitnehmerschutz ganz allgemein als zwingendes Interesse anzuerkennen ist. Dessen ungeachtet wird es hierbei um sehr spezielle Situationen für die Arbeitnehmer und zudem um ganz außerordentlich wichtige Interessen gehen müssen. In der Folge handelt es sich mit Kuntz nicht nur „um eine petitio principii, aus der bloßen abstrakten Rechtfertigungsmöglichkeit auf die konkrete Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorschriften zu schließen“.587 Außerdem ist diese Konsequenz – ohne weitere tragende Argumente – auch inhaltlich unzutreffend.
(3617). Deutlich wird die besondere Formulierung des EuGH noch einmal in der englischen Sprachfassung des Urteils: „It is not inconvievable that overriding requirements relating to the general interest, such as the protection of the interest of creditors, minority shareholders, employees and even taxation authorities may, in certain circumstances and subject to certain conditions, justify restrictions on freedom of establishment.“ Hervorhebungen jeweils durch den Verfasser. 585 So wohl auch Zimmer, NJW 2003, 3585 (3591). 586 Ausdrücklich a. A. Thüsing, ZIP 2004, 381 (385). 587 Kuntz, EuZW 2005, 524 (528).
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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(2) Mitbestimmung als zwingendes Allgemeinwohlinteresse in der deutschen Rechtsprechung In seinem grundlegenden „Mitbestimmungsurteil“ aus dem Jahr 1979 hat das BVerfG – auf Deutschland bezogen – die mit der Unternehmensmitbestimmung verbundenen Ziele als Allgemeinwohlinteressen anerkannt.588 Dieses Urteil wurde im Grundsatz bestätigt durch die Verfassungsgerichtsrechtsprechung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz aus dem Frühjahr 1999.589 Das BVerfG verwandte viel Sorgfalt darauf, die Sozialbindung des Eigentums unter Beachtung der besonderen Charakteristika des Anteilseigentums zu erläutern. Für die mit der Mitbestimmung verbundenen Eingriffe kam es zu dem Ergebnis, dass die Sozialbindung des Anteilseigentums das gesetzgeberische Vorgehen decke.590 Hiervon zu trennen ist allerdings die Frage nach dem zwingenden Charakter des befürworteten Allgemeinwohlinteresses mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften im Sinne europäischen Rechts. Das BVerfG führte aus: „Das Mitbestimmungsgesetz bewirkt wesentliche Veränderungen auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung. [. . .] Das Gesetz regelt einen Ausschnitt komplexer, schwer übersehbarer Zusammenhänge; diese hängen ihrerseits von Faktoren einer nicht auf die Bundesrepublik beschränkten Entwicklung ab, die sich zuverlässiger Einschätzung entziehen. Bei dieser Sachlage kann jedenfalls nicht gefordert werden, dass die Auswirkungen des Gesetzes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit übersehbar sein müssten, zumal Rechtsgüter wie das des Lebens oder der Freiheit der Person nicht auf dem Spiele stehen. Ob das BVerfG sich auf eine bloße Evidenzkontrolle zu beschränken hätte, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Prognose des Gesetzgebers ist vertretbar. Dieser Maßstab verlangt, dass der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert hat. Er muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden. Es handelt sich also eher um Anforderungen des Verfahrens. Wird diesen Genüge getan, so erfüllen sie jedoch die Voraussetzung inhaltlicher Vertretbarkeit; sie konstituieren insoweit die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die das BVerfG bei seiner Prüfung zu beachten hat.“591
Zunächst ist festzustellen, dass sich das BVerfG einer ausdrücklichen Stellungnahme zum zwingenden Charakter des Mitbestimmungsrechts enthielt; eine solche Aussage war in dem damals anhängigen Verfahren auch nicht erforder588 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 ff. = NJW 1979, 699 ff. 589 BVerfG, Urteil vom 02.03.1999, 1 BvL 2/91, BVerfGE 99, 376 ff. = NJW 1999, 1535 ff. 590 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (343 ff.) = NJW 1979, 699 (703 ff.). 591 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (333 f.) = NJW 1979, 699 (701).
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
lich. Weiterhin ist beachtlich, dass die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Prognose von Ziel und eingesetzten Mitteln zugestehen. Verfassungsrechtlich ist dies nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung begrüßenswert.592 Dessen ungeachtet gilt: Steht dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zu, dann beinhaltet dieser Spielraum auch die Möglichkeit, andere als die tatsächlich erlassenen Regelungen vorzusehen bzw. die einmal gültigen Gesetze abzuändern. Der Erlass einer nationalen gesetzlichen Regelung streitet zwar dafür, in ihr Gründe des nationalen Allgemeinwohlinteresses – im weitesten Sinne – zu erblicken, allerdings gilt dies wiederum nur unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit europäischem Recht. Die Gültigkeit dieser Sichtweise auch im Gesellschaftsrecht ergibt sich zwingend aus der Quersumme der EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Centros, Überseering und Inspire Art.593 Wäre es anders, dann würde nationales Recht das europäische Recht determinieren; dies kann nicht richtig sein. Festzuhalten ist mithin: Die Ausführungen des BVerfG im „Mitbestimmungsurteil“ sind keiner Interpretation zugänglich, die sie als Befürwortung des zwingenden Charakters mitbestimmungsrechtlichen Allgemeinwohlinteresses im Sinne europäischen Rechts erscheinen ließe. Daraus allerdings zu schließen, die Verfassungsrichter hätten sich somit gegen den zwingenden Charakter des in der Mitbestimmung erblickten Gemeinwohlinteresses geäußert, ginge ebenfalls zu weit. Man muss es dabei bewenden lassen, dass es keine verfassungsrichterliche Stellungnahme zu der Frage gibt, ob Mitbestimmungsvorschriften als zwingender Grund des Allgemeinwohls anzusehen sind. In zeitlicher Nähe zum Mitbestimmungsurteil des BVerfG ergingen auch einige höchstrichterliche Entscheidungen des BGH sowie ein Urteil des OLG Karlsruhe, in denen die verfassungsrichterliche Argumentation aufgegriffen wurde. So betonte der BHG das „besondere gesellschaftspolitische Gewicht, das der Gesetzgeber dem Mitbestimmungsgesetz als einem auf das Allgemeinwohl ausgerichteten Gesetz beigemessen hat“.594 Derselbe II. Zivilsenat lehnte es wenig später ab, bei der Fusionsvereinbarung zwischen einer deutschen und einer niederländischen Aktiengesellschaft, das Eingreifen der deutschen Mitbestimmung aufgrund des ordre-public-Vorbehaltes anzuordnen. Dies sogar explizit zugunsten einer hinter dem deutschen MitbestG zurückbleibenden Regelung, 592
Vgl. nur Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 260 ff. m.w. N. EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 ff.; EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 ff.; EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/ 01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 ff. 594 BGH, Urteil vom 25.02.1982, Az. II ZR 145/80, NJW 1982, 1530; fast in identischem Wortlaut dann BGH, Urteil vom 14.11.1983, Az. II ZR 33/83, BGHZ 89, 48 (50) = NJW 1984, 733 (734). 593
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die im Ergebnis auf eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer in der neuen Holdinggesellschaft hinauslief.595 Auch das OLG Karlsruhe verwies darauf, dass „die durch institutionelle Mitbestimmung angestrebte Kooperation und Integration [. . .] allgemeine gesellschaftspolitische Bedeutung“596 haben. Allerdings steht diesen richterlichen Äußerungen zum MitbestG derselbe Einwand gegenüber, der soeben schon dem Verfassungsgerichtsurteil zuteil wurde. Die positiven Äußerungen zum Allgemeinwohlinteresse des MitbestG treffen keine Aussage über den zwingenden Allgemeinwohlcharakter der Vorschriften. Noch viel weniger gilt dies für die Interpretation des MitbestG nach europäischem Recht, soweit es grenzüberschreitende Sachverhalte betrifft. Im Ergebnis hat damit die übrige nationale Rechtsprechung – ebenso wenig wie die Verfassungsgerichtsrechtsprechung – eine Aussagekraft für den im Rahmen der Gebhard-Formel erforderlichen zwingenden Allgemeinwohlcharakter einer die Grundfreiheiten beeinträchtigenden Vorschrift. (3) Selektivität des Arbeitnehmerschutzes durch das MitbestG Das wohl am häufigsten aufgeworfene Problem bei der Qualifizierung des Mitbestimmungsrechts als zwingendes Allgemeinwohl ist die Selektivität des von ihm vermittelten Schutzes.597 Die unterschiedliche Anwendung der Mitbestimmungsgesetze, abhängig von Rechtsform und Größe des Unternehmens, lässt Zweifel an der Arbeitnehmerschutzfunktion des Mitbestimmungsrechts aufkommen598 und nährt Bedenken hinsichtlich der immer prominenteren „Gleichbehandlungsfrage“.599 Versucht man sich dem Problem inhaltlich zu nähern, sind gleich fünf Koordinaten für den anzustellenden Vergleich heranzuziehen: Zum einen muss auf die Gesellschaftsformen, und die Gesellschaftsgröße 595
BGH, Urteil vom 16.11.1981, AZ. II ZR 150/80, NJW 1982, 933 (934) = BGHZ 82, 188 ff., dort allerdings nur abgedruckt ohne den hier interessierenden Teil zur Mitbestimmung. 596 OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.06.1980 (nicht rechtskräftig), Az. 15 U 171/79, NJW 1980, 2137. 597 Nach Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 673-79 (2003) stelle die Selektivität allerdings kein wirkliches Problem dar, da sich in allen Fällen eine die Ausnahmen rechtfertigende Erklärungen aufzeigen ließen. Diese Sichtweise Dammanns führt zu einer argumentativen Inkonsistenz seiner Ausführungen: Während einer Rechtfertigung i.R. v. Art. 46 I aufgrund der Widersprüchlichkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts abgelehnt wird (S. 671 ff.), stellt die gleiche Tatsache i.R. d. „sonstigen Beschränkungen“ eine leicht zu nehmende Hürde dar. Das Kriterium der Inkonsistenz der nationalen Rechtslage ist jedoch auf gesetzliche und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gleichermaßen anwendbar. Hierzu Abschnitt C. III. 2. b) cc). 598 So z. B. bei Schwark, AG 2004, 173 (178). 599 So Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 11.
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der vom MitbestG erfassten Unternehmen, abgestellt werden. Weiterhin gerät die Betrachtung der qualitativen Unterschiede des Mitbestimmungsrechts zwischen DrittelbG und MitbestG in den Fokus. Schließlich verlangt die durch Mitbestimmung privilegierte Arbeitnehmergruppe ihre Aufmerksamkeit und auch Sachverhalte einer Umwandlung sind es wert, in die Betrachtung aufgenommen zu werden. Um den Grad der Verbreitung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland zu verdeutlichen, muss man sich folgende Zahlen vergegenwärtigen: Ende 2002 waren 45 Unternehmen vom Montan-MitbestG erfasst, auf etwa 770 Unternehmen waren die Regelungen des MitbestG und auf ca. 1.800 bis 2.000 Unternehmen die Vorschriften des DrittelbG anwendbar. Die Arbeitnehmerseite stellte nur in den paritätisch mitbestimmten Unternehmen ca. 6.000 Mandatsträger.600 (a) Erfasste Gesellschaftsformen Nach § 1 I Nr. 1 MitbestG ist die unternehmerische Mitbestimmung in Form der Parität vom Gesetzgeber nur für bestimmte Gesellschaftsformen vorgesehen. Es handelt sich hierbei um AG, GmbH, KGaA und die eGen (Erwerbs- bzw. Wirtschaftsgenossenschaft). Darüber hinaus ordnet § 4 MitbestG eine Anwendbarkeit des MitbestG auf die Kapitalgesellschaft & Co. KG an.601 Wegen des Enumerativkatalogs ist die Vorschrift nach ganz h. M. auf andere Gesellschaftsformen nicht analog anwendbar.602 Verwirrend wird die Rechtslage im Bereich der Mitbestimmung indessen, wenn man die übrigen Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung in die Betrachtung mit einbezieht. Das qualitativ am weitesten reichende Montan-MitbestG erfasst nach § 1 II nur Gesellschaften der Rechtsform einer AG bzw. GmbH. Eine wieder andere Auswahl trifft das DrittelbG. Seine Vorschriften finden gemäß § 1 I DrittelbG nur auf Gesellschaften der folgenden Rechtsformen Anwendung: AG, KGaA, GmbH, den VvaG (Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit) und die eGen. In folgender Gegenüberstellung sollen die Unstimmigkeiten noch einmal tabellarisch verdeutlicht werden: 600
Zahlen nach Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133 f. Zur Kritik an dieser Regelung in Abschnitt C. III. 2. b) cc) (1). 602 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 1 MitbestG, Rn. 10; zu dem hier gängigen Hinweis auf die Gesetzesbegründung und den so vermeintlich geäußerten Willen des Gesetzgebers gibt Franzen, RdA 2004, 257 (259 f.) zurecht zu Bedenken, dass die Äußerungen gegen Analogien und Sonderanknüpfungen bezüglich der Rechtsform heute nur noch sehr bedingt ihre Gültigkeit behalten haben. Sie wurden sämtlich vor dem Hintergrund der damals ganz herrschenden, mittlerweile allerdings im (europäischen) internationalen Gesellschaftsrecht überholten, Sitztheorie verfasst; vgl. ebenfalls OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.1995, Az. 8 W 355/93, ZIP 1995, 1004 mit Anmerkung Mankowski. 601
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DrittelbG
MitbestG
Montan-MitbestG
AG
++
++
++
GmbH
++
++
++
GmbH & Co. KG
--
++
--
KGaA
++
(+/-)*
--
VvaG
++
--
--
eGen
++
++
--
* Das MitbestG entfaltet bei der KGaA im Ergebnis nur eine geringe Wirkung, da dessen bedeutsamste Regelungen, nämlich die Kompetenz des mitbestimmten Aufsichtsrats zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsleitung sowie die Verpflichtung zur Benennung eines Arbeitsdirektors gem. §§ 31 I 2 und 33 I 2 MitbestG, bei der KGaA keine Anwendung finden.
Abbildung 5: Von deutschen Mitbestimmungsgesetzen erfasste Rechtsformen
Die gern konstatierte gesellschaftspolitische Zielsetzung der Mitbestimmung wird damit „bereits für deutsche Gesellschaften wegen der Rechtsformbezogenheit nicht konsequent verfolgt“.603 Hiernach erlangt der Einwand Berechtigung, die von der Mitbestimmung verfolgten Ziele mögen gewichtig sein, aber „offenbar doch nicht wichtig genug, um sie bei allen Unternehmen zu etablieren.“604 Unzutreffend sind hingegen die noch weiterreichenderen Bedenken Ziemons’, der anmerkt, für die Diskussion um die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls „dürfte dann auch ins Gewicht fallen, dass die zu schützenden (deutschen) Arbeitnehmerinteressen nicht so überragend sein können, wenn eine Erstreckung der Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften mit Sitz im Gründungsstaat nicht erfolgt, wenn deren Belegschaft in Deutschland die von MitbestG und BetrVG 1952 [heute DrittelbG] gesetzten Schwellenwerte übersteigt.“605 Die Erstreckung des Mitbestimmungsrechtes auf Gesellschaften mit Sitz im Ausland scheitert jedoch bereits am nicht bestehenden Rechtsanwendungsbefehl deutschen Rechts jenseits der Landesgrenzen, denn auch das MitbestG unterliegt dem Territorialitätsprinzip606. Aus den von Ziemons vorgebrachten Bedenken lässt sich daher keine zielführende Schlussfolgerung ableiten. Gegen die Kritik der Selektivität der Mitbestimmungsgesetze weiß Thüsing einzuwenden, der „Beschränkung der Mitbestimmung auf Gesellschaftsformen 603 604 605 606
Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477). Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (184). Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1918). Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 1 MitbestG, Rn. 13.
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
nach § 1 MitbestG kann die Inkonsistenz einer nur vorgeblich auf den Arbeitnehmerschutz gerichteten Norm [. . .] nicht entgegengehalten werden; denn dass der Arbeitnehmerschutz im weitesten Sinne tatsächlicher und tragender Grund für den Gesetzgeber war, ist vielfach belegt.“607 Dieser Einwand ist zirkulär: Mangelnder Arbeitnehmerschutz könne aus der Rechtsformbeschränkung der MitbestG nicht abgeleitet werden, denn vom Arbeitnehmerschutzcharakter des MitbestG sei auszugehen. Zum anderen geht es aber aber auch gar nicht darum, den Arbeitnehmerschutzcharakter der Mitbestimmungsgesetze in Frage zu stellen. Allein die Betrachtung, ob dieser Schutz ein zwingender ist, vermag die europarechtlich gebotene Lösung unter Umständen schon zu offenbaren.608 Man kann sich, wie viele Literaturvertreter,609 hingegen nur den Ausführungen Junkers anschließen: Es spricht „der bloße punktuelle, auf bestimmte Gesellschaftsformen beschränkte Anwendungsbereich gegen ein zwingendes Allgemeinwohlinteresse an der Durchsetzung der deutschen Unternehmensmitbestimmung: Ist schon im Inlandssachverhalt keineswegs die ,gleiche Teilnahme aller inländischen Arbeitnehmer an der Mitbestimmung‘ gesichert, erscheint ein zwingendes Gemeinwohlinteresse an der Übertragung der Mitbestimmung auf [. . .] [andere] Gesellschaften um so weniger plausibel.“610 (b) Erfasste Gesellschaftsgröße Das Mitbestimmungsrecht differenziert aber nicht nur anhand der Rechtsform einer Gesellschaft, sondern auch nach ihrer Größe. § 1 I Nr. 2 MitbestG sieht nämlich vor, dass paritätische Mitbestimmung erst bei Gesellschaften mit 2.000 oder mehr Arbeitnehmern eingreift. § 1 II Montan-MitbestG legt fest, dass Unternehmen der Montanindustrie ab einer Zahl von 1.000 Arbeitnehmer von den sie betreffenden Mitbestimmungsvorschriften erfasst werden. Eine wieder andere Regelung findet sich in § 1 I DrittelbG. Hiernach greift die Drittelbeteiligung ab einer Belegschaftsgröße von 500 Arbeitnehmern ein. Für Arbeitnehmer in Gesellschaften unterhalb dieser Schwellenwerte ist im Gegensatz hierzu keine gesetzliche unternehmerische Mitbestimmung vorgesehen.611 Dass in diesem Zusammenhang teilweise von „gleicher Teilhabe aller inländischen Arbeitnehmer an der Mitbestimmung“612 ausgegangen wird, muss daher überraschen. 607
Thüsing, ZIP 2004, 381 (386). Bezogen auf die Erstreckung deutschen Mitbestimmungsrechts auf Auslandsgesellschaften, die nach eigenem Gesellschaftsstatut bereits einer Form der Mitbestimmung unterliegen Schwark, AG 2004, 173 (178). 609 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); ders., JZ 2004, 24 (28 f.); Kallmayer, DB 2002, 2521 (2522); Müller-Bonanni, GmbHR 2003 1235 (1238); Paefgen, DB 2003, 487 (491); Riegger, ZGR 2004, 510 (519); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1918). 610 Junker, ZfA 2005, 1 (12). 611 Mit einer Ausnahme im Fall der Umwandlung, siehe hierzu Abschnitt C. III. 2. b) bb) (3) (e). 608
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Im Hinblick auf diese Unterschiede mag es zwar zutreffen, dass der EuGH einen „einheitlichen Schutzstandard für alle Arbeitnehmer nicht verlangt“,613 jedoch wird man für die unterschiedliche Behandlung einen validen Differenzierungsgrund verlangen müssen. Gerne wird darauf verwiesen, setzte man den organisatorischen sowie finanziellen Aufwand und den Nutzen der unternehmerischen Mitbestimmung ins Verhältnis, liege eine Abstufung nach der Unternehmensgröße nahe.614 Auch sei davon auszugehen, dass eine als drückend empfundene Fremdbestimmung und Anonymisierung der Arbeitnehmer tendenziell eher in Großunternehmen zu beobachten sei.615 Solche Argumente lassen sich wie folgt lesen: Der den Kosten der Mitbestimmung gegenüberstehende Nutzen ist es in kleinen Unternehmen offenbar nicht wert, den Arbeitnehmern die Vorteile der Mitbestimmung verfügbar zu machen. Es erscheint zweifelhaft, ob man mit einer solchen Abwägung irgendein zwingendes Interesse begründen kann, denn Erwägungen der Verhältnismäßigkeit sind von der Beschreibung des Tatbestandes streng zu trennen. Sie sind Gegenstand einer im Anschluss durchzuführenden, gesonderten Prüfung und haben keinen Platz bei der zuvor zu klärenden Frage, ob ein zwingender Grund des Allgemeinwohls überhaupt vorliegt (der im Übrigen den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu genügen hat). In diesem Zusammenhang hilft auch der Verweis auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Portugaia Construções616 nicht weiter. Die Bindung ausländischer Arbeitgeber an für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge der Bauindustrie wurde in diesem Urteil vom EuGH für vereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit gehalten,617 weil dies zum Schutz des Arbeitnehmers gerechtfertigt sei.618 Hieraus wird z. T. abgeleitet, dass diese Beschränkung nur zugunsten eines Bruchteils aller grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer gelte und somit belege, dass die Differenzierung zwischen Arbeitnehmergruppen für die Frage nach den zwingenden Gründen des Allgemeinwohls unerheblich sei.619 Diese Deutung geht allerdings zu weit, denn das entscheidende Detail des Sachverhal612
Bayer, BB 2003, 2357 (2365). Thüsing, ZIP 2004, 381 (386). 614 So z. B. Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 54. 615 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (380 f.) = NJW 1979, 699 (705). 616 So bei Thüsing, ZIP 2004, 381 (386); ders. in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 95, 105 f.; ebenso Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 180. 617 EuGH, Urteil vom 24.01.2002, Rs. C-164/99, Portugaia Construções, Slg. 2002, I-787 = ZIP 2002, 273 ff.; zum nicht zwingenden Gleichlauf von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vgl. bereits Abschnitt C. III. 2. b) bb) (1). 618 Zu den europarechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung deutscher Tarifverträge nach dem AEntG auf ausländische Arbeitsverhältnisse Junker/ Wichmann, NZA 1996, 505 ff. 619 So im Ergebnis Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 180. 613
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
tes liegt in der Allgemeinverbindlicherklärung620 eines Tarifvertrages: Erkennt man es für bestimmte Wirtschaftszweige621 an, dass Tarifverträge auch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt werden sollen, die nicht Mitglied der Tarifpartner sind,622 dann ist die Geltung des Tarifvertrages auch auf ausländische Arbeitgeber zu erstrecken. Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung ist es gerade, alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Branche dem Tarifvertrag zu unterstellen. In seinen Geltungsbereich werden so auch diejenigen Arbeitnehmer einbezogen, die von ihm unter „normalen“ Umständen nicht erfasst wären.623 Mit absoluter Sicherheit kann man schließlich sogar sagen, dass die Erstreckung eines nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages auf einen ausländischen (nicht organisierten) Arbeitgeber ganz sicher gegen die europäischen Grundfreiheiten verstieße. Schon nach nationalem Recht wäre dies nicht zulässig.624 Der wesentliche Unterschied zwischen den Arbeitnehmergruppen besteht dann auch in Folgendem: Einige werden von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag erfasst und andere nicht. Dass alle Arbeitnehmer, die die Allgemeinverbindlicherklärung erfasst, auch den entsprechenden Schutz genießen verwundert nicht. Ebenso wenig überrascht es aber, dass die Arbeitnehmer, die von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nicht erfasst sind, auch keinen besonderen Schutz genießen. Die Sonderkonstellation im Fall Portugaia Construções bildet daher keine verallgemeinerungsfähige Stellungnahme des EuGH zur Behandlung unterschiedlich geschützter Arbeitnehmergruppen. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen jedoch, dass die Differenzierung der Arbeitnehmergruppen anhand der Unternehmensgröße sehr wohl berechtigte Zweifel daran begründen kann, wie zwingend die Gründe des Allgemeinwohls sein mögen, wenn eine bestimmbare Gruppe von Schutzbedürftigen vom postulierten Schutz ausgeschlossen wird. In der Rechtsprechung des EuGH ist ein vergleichbarer Fall bislang jedenfalls nicht als zwingendes Allgemeinwohlinteresse anerkannt worden. Weshalb Arbeitnehmer in Gesellschaften mit 400 Mitarbeitern gar nicht an Unternehmensentscheidungen zu beteiligen sind, eine Belegschaft von 1.500 Beschäftigten hingegen ein Drittel der Aufsichtsratsmandate stellen kann und die Arbeitnehmer in Unternehmen jenseits der 2.000 Arbeitnehmer-Schwelle den halben Aufsichtsrat besetzen können, ist kaum erklärlich. Die vorgenommene Differenzierung folgt keiner erkennbaren Abstu620
Vgl. zu diesem Rechtsinstitut TVG-Wank, § 5 TVG. Insbesondere im Baugewerbe ist die Allgemeinverbindlicherklärung von zentraler Bedeutung; vgl. dazu TVG-Wank, § 5 TVG, Rn. 11. 622 Verfassungsrechtliche Bedenken, etwa im Bereich der negativen Koalitionsfreiheit, stellen sich hier wohl nicht; vgl. dazu Kempen/Zachert, § 5 TVG, Rn. 58 ff. 623 TVG-Wank, § 5 TVG, Rn. 127. 624 In diesem Fall greift die Begrenzung der Wirkung des Tarifvertrages nach § 3 I TVG. 621
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fung anhand der Schutzbedürftigkeit. Wenn aber „andere Sachverhalte, die vergleichbaren Schutz verdienen, ohne erkennbaren Grund [aus den gesetzlichen Schutzvorschriften] herausgenommen werden, dann erscheint es klar, dass der Schutzaspekt nicht Impetus des Gesetzgebers“625 gewesen sein kann. Die Differenzierung anhand von Arbeitnehmerzahlen ist damit ein wichtiger Anhaltspunkt gegen den zwingenden Allgemeinwohlcharakter der Mitbestimmungsvorschriften. (c) Inhaltliche Unterschiede zwischen DrittelbG, MitbestG und Montan-MitbestG Als weiterer Prüfschritt – dies ist bereits am Rande angesprochen worden – ist es lohnenswert, die inhaltliche Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung in Abhängigkeit von der Arbeitnehmerzahl zu bestimmen. Während Unternehmen mit mehr als 500 aber weniger als 2.000 Arbeitnehmern einer Drittelmitbestimmung nach DrittelbG unterliegen, sind Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern quasi-paritätisch mitbestimmt. Gesellschaften der Montanindustrie unterliegen einer gemeinhin als „echte“ Parität bekannten Mitbestimmung nach dem Montan-MitbestG. Wenn das Mitbestimmungsrecht als Schutzinstrument für die Arbeitnehmer geschaffen wurde, dann sind Arbeitnehmer in kleinen Unternehmen offenbar weniger schutzwürdig als solche großer Arbeitgeber. Aber auch dieser Ordnungsgedanke vermag kaum weiterzuhelfen: Während das geringste Maß an Mitbestimmung nach DrittelbG ab einer Grenze von 500 Arbeitnehmern eingreift, wird die umfangreichste Mitbestimmung nach Montan-MitbestG bei einer Zahl von 1.000 Arbeitnehmern wirksam. Zahlenmäßig darüber liegt dann wiederum das qualitativ zwischen DrittelbG und MontanMitbestG einzuordnende MitbestG (ab 2.000 Arbeitnehmern). Eine zeitgemäße Systematik der Gesetzgebung ist hier nicht zu erkennen. Hält man diesem Einwand entgegen, das vom Mitbestimmungsrecht vermittelte „Schutzniveau“ sei nicht am Umfang der Beteiligung im Aufsichtsrat festzumachen, müsste man zu dem Schluss kommen, alle Mitbestimmungsgesetze vermittelten einen identischen Schutz. Dann täte es allerdings Not zu erklären, warum (quasi-)paritätische Mitbestimmung mit den ihr immanenten Problemen nicht ersatzlos gestrichen werden kann. Der Einsicht, dass DrittelbG, MitbestG und Montan-MitbestG ein unterschiedliches Niveau an Arbeitnehmerschutz (im weitesten Sinne) gewähren, können sich auch die Befürworter nicht verschließen. „Die Befugnisse eines drittelparitätischen Aufsichtsrates sind deutlich geringer als die eines paritätisch besetzten Aufsichtsrates.“626 Schließlich ist auch die Zurechnung von Arbeitnehmern zu Konzerngesellschaften nach DrittelbG 625 626
Das konzediert auch Thüsing, ZIP 2004, 381 (386). Riegger, ZGR 2004, 510 (519).
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
und MitbestG sehr unterschiedlich geregelt.627 Man kann es nur wiederholen: „So überragend können die zu schützenden nationalen Gründe des Gemeinwohls nicht sein, wenn der Schutz nur selektiv und punktuell erfolgt.“628 Auch die qualitative Ausgestaltung der verschiedenen Mitbestimmungsgesetze fügt sich in die Reihe der Argumente gegen die Annahme zwingender Gründe des Allgemeinwohls ein. (d) Schutzdifferenzierung innerhalb einer Belegschaft Selbst aber für ein und dieselbe Belegschaft, die organschaftlich mitbestimmt, lassen sich unterschiedliche Schutzwirkungen der Mitbestimmung ausmachen.629 Nach einem neueren mikroökonomischen Ansatz,630 der auf der Transaktionskostenökonomik basiert,631 führt die Unternehmensmitbestimmung zu folgenden Differenzierungen innerhalb der Belegschaft: Im Unternehmen wird von den Arbeitnehmern der Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen erwartet, der zu einer gesteigerten Abhängigkeit vom eigenen Arbeitgeber führen kann, denn das erworbene Wissen ist unter Umständen bei anderen Arbeitgebern nicht oder nur unzureichend wieder verwertbar. Diesen Vorgang bezeichnet man als „firmen- oder faktorspezifische Humankapitalinvestition“.632 Mit (Arbeits-)Verträgen – insbesondere weil sich „perfekte Verträge“633 nicht effizient schließen lassen – kann man diesem Risiko der besonderen Arbeitgeberabhängigkeit kaum begegnen. Aus Sicht des Unternehmens ist es daher wichtig, die Arbeitnehmer dazu zu motivieren, unternehmensspezifisches Wissen auf627 Vgl. im Einzelnen § 2 DrittelbG und § 5 MitbestG; hierzu ebenfalls Riegger, ZGR 2004, 510 (519). 628 Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1918). 629 Vgl. hierzu auch v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 12 f. 630 Dargestellt bei Kübler, FS für Döser, S. 237, 250 ff.; v. Werder in: Handbuch Corporate Governance, S. 3, 9 f.; umfassend hierzu Ganske, Mitbestimmung, Property-Rights-Ansatz und Transaktionskostentheorie, S. 159 ff.; vgl. auch Dilger/Frick/ Speckbacher, Wirtschaftliche Folgen der Mitbestimmung, S. 19, 25 ff. 631 Vgl. Williamson, Institutions of Capitalism, S. 242 ff.; grundlegend Coase, The Nature of the Firm, S. 33 ff. Einer der Hauptkritikpunkte an der Transaktionskostenökonomik ist das Problem häufig mangelnder Quantifizierbarkeit, vgl. nur Hart, An Economist’s Perspective on the Theory of the Firm, Col. L. Rev. 1757 1762-63 (1989). 632 v. Werder in: Handbuch Corporate Governance, S. 3, 9 f.; vgl. auch Schmidt/ Spindler, FS für Kübler, S. 515, 528 f.; Schmidt/Weiß in: Handbuch Corporate Governance, S. 107, 117. 633 Bei „perfekten Verträgen“ handelt es sich um Verträge, die für ausnahmslos jedes in Zukunft auftretende Problem, welches sich im Rahmen des Vertragsverhältnisses ergeben könnte, eine vertragliche und gerichtsfeste Vereinbarung vorsehen. Zwar ist es theoretisch möglich, einen solchen Vertrag zu schließen, allerdings übersteigen die Kosten für Verhandlungen und Vorbereitung des Vertrages bei weitem den so erzielten Nutzen, so dass man sich mit nicht perfekten Verträgen begnügt. Siehe hierzu Dilger/Frick/Speckbacher, Wirtschaftliche Folgen der Mitbestimmung, S. 19, 20 ff. und auch Schmidt/Weiß in: Handbuch Corporate Governance, S. 107, 113 f.
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und auszubauen.634 Durch die Gewährung von Mitentscheidungsrechten, wie sie die unternehmerische Mitbestimmung vermittelt, kann ein gewisser Ausgleich an Sicherheit und Selbstbestimmung angeboten werden, ohne den sich die Arbeitnehmer auf die Mühe des Erwerbs der gewünschten Qualifikationen unter Umständen nicht einlassen würden. Die zwingende Folge dieser Sichtweise liegt dabei auf der Hand: „Die fastparitätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen der Gesellschaft [geht] letztlich zulasten der Arbeitnehmer [. . .], von denen keine faktor- oder firmenspezifischen Humankapitalinvestitionen erwartet werden. Da sie kein adäquates Äquivalent für die Kosten der Mitbestimmung zu bieten haben, werden ihre Arbeitsplätze abgebaut.“635 Ökonomische Untersuchungen liefern für diesen Zusammenhang zumindest indirekte Hinweise636 und auch der Blick in die Tagespresse bestätigt diesen Eindruck.637 Werden Arbeitsplätze abgebaut, handelt es sich selten um hochqualifizierte Beschäftigung.638 Ganz regelmäßig fallen einfache Tätigkeiten dem Rotstift zum Opfer, denn die Mehrzahl der Leistungen, die in mitbestimmten (Industrie-)Unternehmen erbracht werden, sind eher unspezifisch, weshalb sie durch Mitbestimmungsregelungen nur schwer zu schützen sind.639 Der berechtigte Zweifel an der Allgemeinwohltauglichkeit der Unternehmensmitbestimmung erhält insofern eine weitere Dimension. Dieses Zwischenergebnis spricht ebenfalls gegen den vielfach postulierten Allgemeinwohlcharakter der Mitbestimmung. (e) Zeitliche Komponente: Die Folgen einer Umwandlung Eine weitere Quelle der Unsicherheit deutscher Mitbestimmungsregelungen bildet das Umwandlungsrecht. § 325 I 1 UmwG schreibt vor, dass im Fall einer 634
Schmidt/Weiß in: Handbuch Corporate Governance, S. 107, 117. Kübler, FS für Döser, S. 237, 250. 636 So z. B. die Untersuchung von Baums/Frick, Economic Analysis 1998, S. 143 ff.; vgl. hierzu auch Sadowski/Junkes/Lindenthal, ZGR 2001, 110 (141). 637 Siehe nur Die Zeit Nr. 14 vom 30. März 2006 „Was ist ein gerechter Lohn?“ S. 24; „Der große Kommunikator“, Der Spiegel Nr. 33 vom 14. August 2006, S. 72 ff. oder „Weltkrieg um Wohlstand“, Der Spiegel Nr. 37 vom 11. September 2006, S. 50 f. 638 Vgl. Monks in: Perspektiven europäischer Unternehmensmitbestimmung, S. 11, 12: „Europa kann zweifelsohne nicht mit Niedriglohnländern auf Märkten konkurrieren, in denen arbeitsintensive Produkte von gering qualifizierten Arbeitnehmern hergestellt werden.“ 639 Vgl. Williamson, Institutions of Capitalism, S. 272; zur Interessenheterogenität innerhalb der Belegschaft Pistor in: Handbuch Corporate Governance, S. 157, 165; einschränkend zur Bedeutung der Spezifität generell Hansmann, 99 Yale L. J. 1749 1765 (1990), da Arbeitnehmereigentum bzw. Mitbestimmung empirisch nicht mit Spezifität korreliere. Allerdings berücksichtigt dieser Ansatz nicht die bei einem hohen Angebotsüberschuss am Arbeitsmarkt (Massenarbeitslosigkeit) eventuell fehlende ExitAlternative. 635
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Abspaltung oder Ausgliederung nach § 123 II bzw. III UmwG bei gleichzeitigem Wegfall der „gesetzlichen Voraussetzungen für die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat“640 die zuvor einschlägigen Mitbestimmungsvorschriften noch für einen Zeitraum von fünf Jahren fortgelten. Die einzige Ausnahme hierzu normiert § 325 I 2 UmwG für den Fall, dass die Arbeitnehmerzahl des übertragenden Rechtsträgers „auf weniger als in der Regel ein Viertel [der] Mindestzahl“,641 die in den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen vorgesehen ist, sinkt. Die Umwandlung einer Gesellschaft in Form der Abspaltung oder Ausgliederung hat damit für fünf Jahre die vorübergehende Anwendung eines eigentlich nicht anwendbaren Mitbestimmungsgesetzes zur Folge. Weitere Konsequenz ist die Einführung vorübergehend neuer Mindestarbeitnehmerzahlen, die wesentlich unterhalb derer liegen, die von § 1 MitbestG bzw. § 1 DrittelbG vorgeschriebenen sind. Die paritätische Mitbestimmung des MitbestG ist nach einer Umwandlung auch auf Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern anwendbar. Für das DrittelbG sinkt die Untergrenze zeitweise entsprechend von 500 Arbeitnehmern auf die Anzahl von 126.642 In einer weiteren Facette macht das Umwandlungsrecht damit deutlich, dass es bislang keine konsequente Anwendung deutschen Mitbestimmungsrechts gibt. Die Widersprüchlichkeit und fehlende Stringenz in der Mitbestimmungsgesetzgebung machen es schwierig, dem MitbestG einen – noch dazu zwingenden – Allgemeinwohlcharakter zuzusprechen. (4) Rechtstechnische Schwierigkeiten Vielfach zu vernehmen ist, dass die Erstreckung deutscher Mitbestimmung auf ausländische Gesellschaften über die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls zu „nur schwer lösbaren Spannungen“643 mit ausländischem Gesellschaftsrecht führt.644 Der mitbestimmungsrechtliche Eingriff in die Organe monistisch strukturierter Gesellschaften ist tiefgreifend und aus diesem Grund
640
§ 325 I 1 1. Hs. UmwG. § 325 I 2 UmwG a. E. 642 In diesem Sinn auch Fitting, 21. Auflage, BetrVG 1952, § 76, Rn. 23. 643 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125). 644 Kuntz, EuZW 2005, 524 (528); dazu auch Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (257); Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 183 ff.; Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477); Grosserichter, DStR 2003, 159 (169); Junker, ZfA 2005, 1 (13 f.); Kamp, BB 2004, 1496 (1499); Michalski-Leible, GmbHG, Sys. Darst. 2, Rn. 116; Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22; W.-H. Roth in: GS für Heinze, S. 709, 715; Schwark, AG 2004, 173 (178); WHSS-Seibt, S. 739, Rn. F 127b; Veit/Wichert, AG 2004, 14 (18); Wymeersch in: Liber Amicorum Buxbaum, S. 629, 643; Zimmer in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 365, 371 ff.; ders., NJW 2003, 3585 (3591); Bedenken auch bei BGH, Beschluss vom 30.03.2000, VII ZR 370/98, NZG 2000, 926, (927) = ZIP 2000, 967 (968). 641
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rechtfertigungsbedürftig.645 Für die Einführung deutscher Mitbestimmung in eine SE gilt insofern nichts Abweichendes. Nach der Ansicht mancher stellen sich diese rechtstatsächlichen Schwierigkeiten indessen gar nicht. Es wird auf den Aufsichtsrat der GmbH verwiesen und bisweilen gerade so getan, als sei er eine mitbestimmungsrechtliche Erfindung.646 Die Fabel, dass für die Integration der Unternehmensmitbestimmung in monistisch verfasste Gesellschaften auf die Überlegungen zur Mitbestimmung in der deutschen GmbH zurückgegriffen werden könne, hält sich hartnäckig.647 „Auch in monistisch strukturierten Gesellschaften kann die Einpassung [der Unternehmensmitbestimmung] ohne größere Friktionen gelingen, wie schon der fakultative Aufsichtsrat in der deutschen GmbH zeigt.“648
Kindler ist als Autor dieser These gleich einem zweifachen Irrtum erlegen: Die Einführung der monistisch organisierten Gesellschaft wird in Deutschland oftmals als die „größte Innovation“649 bzw. „das eigentlich Revolutionäre“650 an der Einführung der SE wahrgenommen. Erstens muss insofern Kindlers Postulat überraschen, bei der GmbH handle es sich bereits um eine monistisch strukturierte Gesellschaft, die für die Einführung von unternehmerischer Mitbestimmung in die Verwaltungsratsstruktur der SE Modell stehen könnte. Hier liegt offenbar ein Versehen vor, denn tatsächlich handelt es sich bei der GmbH – wie auch jeder anderen deutschen Kapitalgesellschaft – um eine Gesellschaft mit dualistischer Leitungsstruktur. Zweitens aber ist es ebenso wenig zutreffend, dass die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat mitbestimmt ist. § 6 I MitbestG schreibt hierzu nämlich vor: „Bei den in § 1 Abs. 1 [MitbestG] bezeichneten Unternehmen ist ein Aufsichtsrat zu bilden, soweit sich dies nicht schon aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt.“651 645 Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22; weitere Argumente auch in Abschnitt C. III. 2. b) bb) (8). 646 So z. B. Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 85. Das ist nicht zutreffend. Bei der GmbH ist die Errichtung eines Aufsichtsrates grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Durch Satzung kann aber ein Aufsichtsrat gebildet werden. Diese Satzungsbestimmung führt zur Errichtung eines fakultativen Aufsichtsrates nach § 52 GmbHG. Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlich sein, liegen regelmäßig aber wohl in der effektiven Kontrolle der Geschäftsleitung. Zum Ganzen Michalski-Heyder, GmbHG, § 52, Rn. 6 ff. Zur obligatorischen Bildung eines Aufsichtsrates sogleich. 647 Franzen, RdA 2004, 257 (261); Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft & Co., S. 318 ff., insb. S. 320: „Es würde nichts anderes gelten als bei einer deutschen GmbH, die nur durch ihren Geschäftsführer verwaltet wird und nach Überschreiten der Grenze von 2000 Arbeitnehmern sich ebenfalls teilweise umzuorganisieren hätte.“; MüKoBGB-Kindler, InternGesR, Rn. 570; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (349); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125); Zimmer, BB 2000, 1361 (1366). 648 MüKoBGB-Kindler, InternGesR, Rn. 570. 649 Theisen/Hölzl, Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 298. 650 Neye, Die Europa AG, S. 63, 67.
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§ 6 I MitbestG – andere Mitbestimmungsgesetze kennen vergleichbare Vorschriften652 – spricht damit die obligatorische Bildung eines Aufsichtsrats aus.653 Unternehmensmitbestimmung in fakultativen Aufsichtsräten dürfte die exotische Ausnahme sein und taugt sicher nicht als Modell im oben genannten Sinn.654 Letztlich kommt es hierauf aber gar nicht an. Denn die praktischen Schwierigkeiten, die der Gesetzgeber dem Rechtsanwender bei der Umsetzung seiner Vorgaben zumutet, können keine Argumente in der sachlichen Auseinandersetzung bilden. Die praktischen Folgen sind die Konsequenz des durch den Austausch von sachbezogenen Argumenten gefundenen Ergebnisses. Sie lassen sich nicht ignorieren und sollten in die theoretische Beschreibung von Problemlösungen ihre Eingang finden. Problematisch ist es allerdings, aus dem Vorliegen von „nur schwer lösbaren Spannungen“655 Rückschluss auf die sachlich-dogmatische Ebene zu ziehen. In der anstehenden Diskussion dürfte es befruchtend wirken, dass sich als Folge der SE-RiL jedes Gemeinschaftsmitglied den Herausforderungen der sinnvollen Integration der Mitbestimmung in das „One-Tier-System“ stellen muss. Dennoch ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu konzedieren, dass es bislang noch keinen einzigen erfolgversprechenden Vorschlag gibt, der allen Anforderungen des Geflechts der verschiedenen europäischen und nationalen Rechtsvorschriften gerecht wird.656 Unabhängig davon bleibt festzuhalten: Sämtliche Einwände, die sich auf rechtstechnische Probleme bei der Umsetzung der Mitbestimmungsvorgaben beziehen, gehen fehl. 651
Hervorhebung durch den Verfasser. § 1 I Nr. 3 DrittelbG etwa. 653 Unbestritten, vgl. statt aller Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 6 MitbestG, Rn. 3. 654 Auf folgende Problematik, die den „Modell-Charakter“ des obligatorischen GmbH Aufsichtsrates für die SE nachhaltig in Frage stellen muss, soll hier nicht näher eingegangen werden: Trotz der Bildung eines obligatorischen Aufsichtsrates, wird der Anteilseignerversammlung zutreffend zugestanden, jede Maßnahme der Geschäftsführung an sich zu ziehen und in der Folge auch zu entscheiden. Hierbei ist es sogar möglich, die Verweigerung der Zustimmung des Aufsichtsrates durch Weisung an die Geschäftsführer zu „überstimmen“. Für die Mitbestimmung bleibt in diesen Fällen kein Raum. Ob eine derartige Kompetenzzuweisung an die Aktionärsversammlung der SE taugliches Modell der Mitbestimmung auf Unternehmensebene sein kann, ist nachhaltig zu bezweifeln. Vgl. zum Ganzen für die GmbH Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37, Rn. 30 ff.; Deilmann, BB 2004, 2253 ff.; Rowedder/Schmidt-Leithoff-Koppensteimer, GmbHG, § 37, Rn. 44; Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 25 MitbestG, Rn. 88; Schneider in: Scholz, GmbHG, § 37, Rn. 39 ff.; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG, Rn. 19 f. 655 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125). 656 Mit Ansätzen Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 ff.; in England etwa, hat man sich damit begnügt, die Vorschriften der SE-RiL nahezu wörtlich in nationales Recht zu transformieren, ohne dem Problem der paritätischen Mitbestimmung im Verwaltungsrat Aufmerksamkeit zu schenken. Offenbar geht man davon aus, das sich in England nur mitbestimmungsfreie SE inkorporieren werden; vgl. hierzu Davies, Workers on the Board of the European Company?, 32 Ind. Law J. 75 76 (2003). 652
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(5) Rechtfertigung durch generalpräventive Maßnahmen? Von einigen Literaturvertretern wird vorgetragen, abstrakte bzw. generalpräventive Vorschriften kämen niemals als Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit in Betracht.657 Dabei wird vorausgesetzt, dass es sich bei den durch das MitbestG vermittelten Rechten „nicht um den Schutz konkreter Interessen einer bestimmten Personengruppe im Einzelfall, sondern um die Durchsetzung einer abstrakten, verteilungspolitisch motivierten Zielvorstellung“658 handle. Nur im scheinbaren Gegensatz dazu ist insbesondere die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH stets ganz besonders auf den Einzelfall bezogen.659 Es wird von den Autoren nämlich eingewandt, das in der GebhardFormel zum Ausdruck kommende Verhältnismäßigkeitsprinzip verlange im konkreten Fall den Nachweis, dass ohne Anwendung des nationalen Rechts eine Schutzlücke nach dem Gründungsrecht der Gesellschaft bestehe, die anders als durch die Anwendung (etwa) des Mitbestimmungsrechts nicht zu schließen sei.660 Dieser Hinweis ist zutreffend, stellt gleichzeitig aber keine Abweichung zur Rechtsprechung des EuGH dar. Vielfach hat der Gerichtshof nationale Schutzanliegen als zwingend anerkannt, die nur als generalpräventiv bezeichnet werden können.661 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung folgt der Annahme zwingender Gründe des Allgemeinwohls erst im Anschluss und sollte mit diesem Prüfungspunkt deshalb nicht gleichgesetzt, vermischt oder verwechselt werden. Dabei ist zuzugestehen, dass eine ausschließlich generalpräventive Vorschrift größere Schwierigkeiten haben dürfte, die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu passieren; gänzlich auszuschließen ist dies aber nicht. Darüber hinaus trifft es aber nicht einmal zu, dass Mitbestimmungsrecht ausschließlich generalpräventiv wirkt.662 Wenn überindividuelle Verteilungsgedanken auch einen wesentlichen Impetus zur Gestaltung der Gesetzte gegeben haben mögen,663 lässt es sich nicht ignorieren, dass die Mitbestimmungsgesetze – wenn sie denn zur Anwendung kommen – in ihrem jeweiligen Anwendungsbe657 Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (473); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1917); so auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242), obwohl dieser Einwand bei ders., JZ 2004, 24 (28 f.) nicht wiederholt wird. In diese Richtung auch Meilicke, GmbHR 2000, 693 (695). 658 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242). 659 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 169. 660 Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1917). 661 Vgl. mit Nachweisen zu den verschiedenen anerkannten Schutzanliegen Grabitz/ Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 161. 662 Die „ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen [. . .], dient nicht nur einem reinen Gruppeninteresse“; so das BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (350 f.) = NJW 1979, 699 (705). 663 „[D]em Wohl der Allgemeinheit“ BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/ 77 u. a., BVerfGE 50, 290 (351) = NJW 1979, 699 (705).
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reich unterschiedslos eingreifen und dies auch auf sehr konkrete Weise tun. Die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer sind nicht abstrakt und losgelöst von den einzelnen Gesellschaften ausgestaltet, sondern sie vermitteln sehr konkrete Beteiligungsrechte in den Organen der betreffenden Gesellschaft. Aus diesem Grund ist auch der von Mitbestimmung ausgehende Eingriff in das Gesellschaftsstatut als solcher konkret und dies dürfte den Anforderungen an justiziable Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit genügen. Die These, dass „jede Anwendung von Regelungen des Sitzstaates, die generalpräventiv erfolgt, [. . .] unzulässig“664 ist, greift insofern zu kurz.665 Sie geht nämlich offenbar von einem tatsächlich nicht bestehenden Verhältnis der Exklusivität von General- und Spezialprävention aus. Für die Pole dieser beiden Gedankenschulen ist dies zwar korrekt, in dem weiten Bereich dazwischen sind vielfache Überschneidungen hingegen nicht auszuschließen und oftmals sogar begrüßenswert.666 (6) Argumente im Zusammenhang mit der SE-RiL Aus Vorgeschichte, Erlass und Inhalt der SE-RiL werden immer wieder Argumente für bzw. gegen den zwingenden Allgemeinwohlcharakter der Mitbestimmung abgeleitet. Bayer z. B. geht davon aus, durch den Erlass der SE-RiL und die Planungen zu Richtlinien667 für grenzüberschreitende Verschmelzung668 bzw. Sitzverlegung669 sei „zumindest dokumentiert, dass der EU-Gesetzgeber bestehende Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung anerkennt.“670 Ebenso meint Kindler, Bezug nehmend auf das Überseering-Urteil, „eine Einstufung der Arbeitnehmermitbestimmung als nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit hätte auch verwundert, wenn man bedenkt, dass das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Gestalt der SE-Verordnung und der dazugehöri-
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Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1917). So auch Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 178 f. 666 Vgl. nur zum Strafrecht Schönke/Schröder-Stree, Vor § 38 ff. StGB, Rn. 15: „Neben den generalpräventiven stehen die spezialpräventiven Aufgaben des Strafrechts.“ 667 Sie stimmen mit der SE-RiL bei den Mitbestimmungsfragen insofern überein, als dass sie den identischen Regelungsmechanismus (Verhandlungsverfahren – im Zweifel Eingreifen des höchsten Mitbestimmungsstandards) vorsehen. 668 „10. Richtlinie“ über die grenzüberschreitende Verschmelzung, vorgelegt durch die Europäische Kommission am 18. Oktober 2003, Dokument KOM(2003)703, abrufbar unter www.europa.eu.int/comm/internal_market/de/company/company/mergers/ mergers_de.htm (Stand: 10. Februar 2007); vgl. hierzu den Überblick bei Maul/Teichmann/Wenz, BB 2003, 2633 ff. 669 „14. Richtlinie“ über die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften. Informationen hierzu unter http://www.europa.eu.int/comm/ internal_market/company/seat-transfer/index_de.htm (Stand: 10. Februar 2007). Vgl. hierzu den Überblick bei Leible, ZGR 2004, 531 (535 ff.). 670 Bayer, AG 2004, 534 (537). 665
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gen [SE-]Richtlinie anerkannt hat, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten die Arbeitnehmermitbestimmung als eine wesentliche und unverzichtbare Grundentscheidung ihres Rechts betrachten.“671 Auch Horn geht davon aus, dass „der EG-Gesetzgeber [. . .] freilich bei der Societas Europaea in gewisser Weise die Erhaltung der Mitbestimmung als gesetzgeberisches Ziel anerkannt“672 hat. Zunächst ist man geneigt, folgende Frage aufzuwerfen: Wenn die Vorschriften zur Arbeitnehmermitbestimmung in der SE zur Verwirklichung zwingenden (!) Allgemeinwohls vorgesehen wurden, weshalb hat es der europäische Gesetzgeber dann ermöglicht, die Mitbestimmung den beteiligten Arbeitnehmern und Arbeitgebern als Verhandlungsobjekt zur Disposition zu stellen? Hätte der europäische Gesetzgeber „die Arbeitnehmermitbestimmung als eine wesentliche und unverzichtbare Grundentscheidung anerkannt, dürfte es keine Verhandlungslösung geben, die sogar zur Abwahl dieser Mitbestimmung führen kann.“673 Nach dem erfolgten Paradigmenwechsel – das Recht der Unternehmensmitbestimmung wird erstmals in die Verfügungsgewalt der Beteiligten gelegt674 und somit grundsätzlich verzichtbar675 – muss man sich fragen, ob die vormals getroffene nationale Entscheidung zu mitbestimmungsrechtlicher Gesetzgebung auch heute noch weite Zustimmung erhalten kann, wie sie es lange Zeit getan hat. Ob man – unabhängig von dem vorstehenden Zweifelsgrund – die Mitbestimmungsvorschriften der SE-RiL als eine „Anerkennung“ zwingender Allgemeinwohlinteressen verstehen kann, ist indes zweifelhaft. Zwar zeigt die SE-RiL, dass das europäische Recht nationale Anliegen zur Bewahrung eigener Mitbestimmungsmodelle respektiert.676 Eine Harmonisierung der verschiedenen nationalen Mitbestimmungsvorstellungen war im Rahmen der europäischen Gesetzgebungsverfahren zur SE nämlich nicht möglich, sondern man entschied sich zur Beibehaltung von Diversität und Sicherung des status-quo.677 Aus diesem Grund handelt es sich beim Mitbestimmungskompromiss der SE-RiL aber nicht um eine Favorisierung der nun ergangenen Regelung, weil sie die von allen befürwortete Ideallösung darstellte. Vielmehr bildet sie den kleinsten gemeinsamen Nenner, den zu finden notwendig wurde, wollte man das Projekt der SE 671 672 673
Kindler, NJW 2003, 1073 (1079). Horn, NJW 2004, 893 (900). Junker, ZfA 2005, 1 (13); in diesem Sinn auch Wolf, FS für Wißmann, S. 489,
499 f. 674 Grobys, NZA 2005, 84 (88); ausgenommen hiervon ist die SE-Gründung per Umwandlung, vgl. §§ 15 V und 16 III SEBG. 675 Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 696. 676 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 39. 677 Vgl. dazu schon den Erwägungsgrund 5 der SE-RiL: „Angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesellschaften ist es nicht ratsam, ein auf die SE anwendbares einheitliches Modell der Arbeitnehmermitbestimmung vorzusehen.“
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
nicht begraben.678 Praktisch kommt dies einer Resignation vor der Aufgabe der Rechtsvereinheitlichung gleich.679 Deswegen wurden die tatsächlich erwachsenden Probleme680 den Mitgliedstaaten zur Lösung zugewiesen. Eine Entscheidung für oder gegen Mitbestimmung hat in der SE-RiL also gar nicht stattgefunden, da sie lediglich die nationalen Gegebenheiten aufgreift. Während man in Deutschland versucht, die SE-RiL als Entscheidung für unser System der Mitbestimmung zu verstehen, müsste man mit der identischen Sichtweise – Reflexion der nationalen Mitbestimmungssituation – in England beispielsweise zu dem Ergebnis kommen, die SE-RiL stelle eine Entscheidung gegen Mitbestimmung dar. Aus diesem Grund ist es weitaus plausibler zu dem Schluss zu gelangen, dass das europäische Recht der Mitbestimmung tatsächlich sogar indifferent gegenübersteht.681 „Ist aber das europäische Recht hinsichtlich der unternehmerischen Mitbestimmung neutral, so steht [. . .] die Niederlassungsfreiheit als vorrangiges Recht der Anwendbarkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts über den ordre-public entgegen.“682 Jedenfalls fragwürdig muss es also bleiben, aus dem Minimalkonsens der SE-RiL die Botschaft der Anerkennung paritätischer Mitbestimmung im Sinne zwingender Gründe herauszulesen. Vorstehender Betrachtungsweise lässt sich ein weiteres rechtsdogmatisches Argument an die Seite stellen. Mit Kuntz „überzeugt es nicht, auf europäisches Sekundärrecht abzustellen, um hieraus ein [. . .] zwingendes Allgemeininteresse an der Anwendbarkeit deutschen Mitbestimmungsrechts abzuleiten.“683 Man wird aber noch einen Schritt weitergehen müssen: Es handelt sich sogar um einen normenhierarchisch-dogmatischen Fehler, von europäischem Sekundärrecht auf die Vereinbarkeit der deutschen Mitbestimmung mit europäischem Primärrecht zu schließen. Denn die sekundären Rechtssetzungsakte der Gemeinschaft haben für die Auslegung, Interpretation und Anwendung des Primärrechts keine Bedeutung.684 Besonders muss daher die zuvor zitierte These Kindlers überraschen, die (richterliche) Anerkennung des Arbeitnehmerschutzes
678 Zutreffend weist Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 499 f. darauf hin, dass die Ausgestaltung der Auffanglösung wesentlich auf das Drängen Deutschlands zurückgeht und sich deutsche Mitbestimmung in Europa eben nicht durchgesetzt hat; vgl. auch Kübler, FS für Raiser, S. 247, 248. 679 Ebke, JZ 2003, 927 (931); zum „Kompromisscharakter“ der Regelungen zur SE vgl. Heinze, ZGR 2002, 66 (77). 680 Wie z. B. Integration der paritätischen Mitbestimmung in monistische Unternehmensverfassungen. 681 Zu den Artt. 136 i.V. m. 137 III EG sogleich in Abschnitt C. III. 2. b) bb) (8). 682 Riegger, ZGR 2004, 510 (520). 683 Kuntz, EuZW 2005, 524 (528). 684 Vgl. hierzu nur Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 363 ff., und EuGH, Urteil vom 05.02.1963, Rs. 26/62, van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 ff. und aus jüngerer Zeit EuG, Urteil vom 10.07.1990, Rs. T-51/89, Tetra Pak, Slg. 1990, II-309 = EuZW 1991, 731 ff.
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als Teil eines zwingenden Allgemeininteresses werde u. a. durch die SE-RiL bestätigt.685 Aus Historie und Inhalt der SE-RiL lassen sich für die Frage nach der Anerkennung des Mitbestimmungsrechts als zwingendes Allgemeinwohlinteresse entgegen der Ansicht einiger Autoren nur wenige Schlussfolgerungen ableiten. Keine dieser Erkenntnisse spricht für die Annahme eines zwingenden Allgemeinwohlcharakters des MitbestG. (7) Relevanz eines nationalen oder europäischen ordre-public? Als nächstes ist der Frage nach der zutreffenden Betrachtungsperspektive nachzugehen. Sollte der Allgemeinwohlcharakter der Mitbestimmung aus der nationalen oder aus der europäischen Perspektive bestimmt werden? Für den Maßstab des nationalen Verständnisses spricht einiges: Zwar verliert sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Kasuistik,686 dessen ungeachtet ist den Judikaten nicht zu entnehmen, dass die Einheitlichkeit des betreffenden Schutzstandards im Rechtsraum der Europäischen Gemeinschaft gefordert wird, um ihn als zwingendes Allgemeinwohlinteresse anzuerkennen.687 Vielmehr geht man davon aus, der Rechtfertigungsgrund der zwingenden Gründe beschränke sich nicht auf einen abgeschlossenen Kanon von Belangen, die eine Behinderung der Freiheiten rechtfertigen könnten, sondern sei „offen für die Definition von Schutzanliegen durch die Mitgliedstaaten.“688 Es ließe sich schlussfolgern, die Tatsache, dass eine europäische Angleichung des Rechts der Mitbestimmung bislang nicht konsensfähig war, stehe einer Anerkennung der paritätischen Mitbestimmung als zwingendes Allgemeinwohlinteresse nicht entgegen.689 Daher schade die Vorreiterrolle Deutschlands in Fragen der unternehmerischen Mitbestimmung insofern nicht.690 Ausschließlich müsse man anerkennen, dass der EuGH für sich die Beurteilungshoheit in Anspruch nehme, also verbindlich darüber entscheide, welches Allgemeininteresse anzuerkennen sei und welches nicht.691
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In diesem Sinne Kindler, NJW 2003, 1073 (1079). Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 161 mit anerkannten Schutzanliegen und Rn. 162 mit abgelehnten Schutzanliegen. 687 So z. B. Thüsing, ZIP 2004, 381 (386) und die Nachweise bei Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 173. 688 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 160. 689 So z. B. Thüsing, ZIP 2004, 381 (386); a. A. Generalanwalt Siegbert Alber, Schlussanträge zur Rechtssacht C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 139 = NZG 2003, 262 (273). 690 Thüsing, ZIP 2004, 381 (386); so auch Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 38. 691 Bayer, AG 2004, 534 (537). 686
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Die deutsche Rechtsprechung692 mag in Übereinstimmung mit einem Teil des deutschen Schrifttums693 den mitbestimmungsrechtlichen Regelungen das „zwingende Allgemeinwohlinteresse“ oder eine ähnlich klingende Qualifikation einmal zugesprochen haben. Allerdings muss man es mit Sandrock halten und betonen, dass dies aus Sicht des EuGH unbeachtlich ist. „Denn auf europarechtlicher Ebene geht es um die Verwirklichung der Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit und die Gerichte und die Schriftsteller eines Mitgliedstaats dürfen weder die Befugnis noch die Macht haben, dieser Verwirklichung einen Riegel vorzuschieben, indem sie sich auf das von ihnen anders qualifizierte partikuläre Gemeinwohl in ihrem eigenen Mitgliedstaat berufen.“694 Teilweise695 gehen die Schlussfolgerungen aber noch ein ganzes Stück weiter. Ebke etwa konstatiert: „Es wird aber übersehen, dass sich nach der Rechtsprechung des EuGH zu den mitgliedstaatlichen Beschränkungen der Grundfreiheiten [. . .] der Rechtfertigungsgrund des Gemeinwohls nicht auf den nationalen, sondern auf den gemeinschaftsrechtlichen ordre-public bezieht.“696 Diese Schlussfolgerung ist in der vorgetragenen Weise allerdings kaum vertretbar. Sie findet weder eine Stütze in der Rechtsprechung des EuGH697 noch kann sie sachlich überzeugen. Hiergegen spricht nämlich, dass die Forderung nach einem europäischen ordre-public zu widersinnigen Ergebnissen führen würde: Die Reichweite des Rechtfertigungsgrundes und damit der Rechtfertigungsspielraum für die Mitgliedstaaten hinge vom Umfang und der Intensität der gemeinschaftsrechtlich verfolgten Allgemeinwohlinteressen ab. Anders gewendet: Je „beschränkter die Kompetenz der Gemeinschaft bei der Verfolgung von Allgemeininteressen wäre, desto weniger Spielraum verbliebe den Mitgliedstaaten ihrerseits für die Verwirklichung von Allgemeininteressen.“698 Dieser Gleichschritt von zwingendem Allgemeinwohlinteresse und gemeinschaftsweit verfolgtem Interesse kann damit nicht zutreffend sein. Es muss sich um gegenläufige Interessenrichtungen handeln.
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Vgl. dazu Abschnitt C. III. 2. b) bb) (2). Vgl. dazu Fußnote 558. 694 Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (496). 695 Etwa Ebke, JZ 2003, 927 (931) und Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (34); nach Thüsing, ZIP 2004, 381 (385) vertreten Hammen, WM 1999, 2487 (2494); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 ff. und Zimmer, BB 2000, 1361 ff. diese Ansicht ebenfalls. Das ist aber unzutreffend, da die von den angeführten Autoren geforderte Vereinbarkeit eines deutschen ordre-public mit den europäischen Grundfreiheiten nicht mit der Definition eines europäischen ordre-public gleichgesetzt werden kann. 696 Ebke, JZ 2003, 927 (931); in diese Richtung scheinbar auch Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 500. „[. . .] für die europäische Union gehört die Mitbestimmung sicher nicht zum ordre public.“ 697 Siehe hierzu umfassend Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 161. 698 Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 55. 693
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Ob man sich damit den Standpunkt des europäischen ordre-public im Allgemeinen zu Eigen machen möchte,699 muss vorerst fragwürdig bleiben. Für die SE-Gründung und die Frage der Unternehmensmitbestimmung im Besonderen ließe sich allenfalls folgender Ansatz bilden: Bei der SE handelt es sich um ein europäisches Rechtssubjekt im jeweiligen nationalen Gewand.700 Bei Beteiligung eines deutschen, paritätisch mitbestimmten Unternehmens wird der Mitbestimmungsstandard der SE im Zweifel immer die Parität sein.701 Dabei kommt es weder darauf an, wo das Unternehmen gegründet, noch wo es betrieben wird, ausschlaggebend hierfür ist vielmehr ausschließlich wer es gegründet hat. Anders als in den Fällen des ordre-public-Vorbehaltes zuvor erlangt hier eine national befürwortete Regelung europäische Dimension, da ihre Anwendung nicht mehr auf den nationalen Rechtsanwendungsbefehl begrenzt ist, sondern ihre Gültigkeit auch jenseits der Landesgrenzen behält. Für eine solche Regelung, die europaweit einheitlich gilt, scheint es erwägenswert, eben nicht auf den nationalen Standard abzustellen. Vielmehr ist man geneigt, europaweit anwendbare Regeln auch an einer Messlatte zu prüfen, die in der ganzen Gemeinschaft konsensfähig ist. Den Wertungen des MitbestG ist diese Konsensfähigkeit jedenfalls abzusprechen, so dass es nach dem vorstehenden Gedankengang als zwingendes Allgemeinwohlinteresse sicher ausscheiden müsste. Selbst aber, wenn man dem soeben entwickelten Ansatz kein Gehör schenken möchte, wird man um folgende Wertung nicht umhinkommen: Zwar sind die zwingenden Gründe „offen für die Definition von Schutzanliegen durch die Mitgliedstaaten.“702 Dessen ungeachtet gehen die Hinweise auf den ausschließlich deutschen ordre-public aber deshalb fehl, weil das gesamte deutsche Recht unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit höherrangigem europäischem Recht steht.703 Diese Tatsache ist allerdings zu unterscheiden von der Forderung nach einem europäischen ordre-public. Denn – insofern scheint Übereinstimmung schnell erzielt – es geht nicht darum, ob ein europaweit einheitlicher Standard vorliegt und wie dieser zu einem einförmigen Allgemeinwohlinteresse verschmolzen werden kann. Es kommt nicht darauf an, ob ein partikulares Inte-
699 Zur „Europäisierung“ des ordre public vgl. Basedow, FS für Sonnenberger, S. 291 ff. und Martiny, FS für Sonnenberger, S. 523 ff. 700 Vgl. dazu die Einführung unter A. 701 Siehe hierzu die Ausführungen in Abschnitt B. II. 3. b). 702 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 160. 703 Vgl. nur Kuntz, EuZW 2005, 524 (527); oder auch Wymeersch in: Liber Amicorum Buxbaum, S. 629, 640: „[. . .] freedom of establishment is one of the essential pillars of the Community, to which all other rtules, especially national rules, have to bow [. . .]. National company rules [. . .] are respectable traditions, but should surrender to the overwhelming thrust of the basic freedoms, in this case of the freedom of establishment.“
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
resse eines Mitgliedstaats auch gemeinschaftsrechtlich anerkannt ist.704 Selbst dort, wo nationale Anliegen nur von einem einzigen Mitgliedstaat verfolgt werden, ist der EuGH bereit, dieses Interesse prinzipiell anzuerkennen.705 Einen europäischen ordre-public wird man beim gegenwärtigen Stand der europäischen Integration und der kompetenziellen Aufgabenteilung zwischen nationalem und europäischem Gesetzgeber – nicht nur im Bereich der Unternehmensmitbestimmung – einfach nicht verlangen können. Gleichwohl muss ein dann allein verbleibender, in die Form des ordre-public-Vorbehaltes gegossener, nationaler Standard mit den Grundanliegen des europäischen Primärrechts, insb. also den Grundfreiheiten, vereinbar sein.706 Dass dem nicht so ist, hat der EuGH jedenfalls bislang nicht erkennen lassen. Die Grundfreiheiten determinieren damit die Auslegung des nationalen Rechts, d. h. auch den Bereich der Niederlassungsfreiheit.707 Damit sind sich die Standpunkte im Ergebnis näher als zunächst vermutet: Zwar ist auf einen nationalen ordre-public abzustellen, jedoch muss dieser unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit höherrangigem europäischem Recht bestimmt werden. Dies kann insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Die isolierte Betrachtung eines deutschen ordre-public ist europarechtlich unzulässig und vermag die Annahme des zwingenden Allgemeinwohlinteresses des MitbestG nicht zu stützen. (8) Weitere Argumente Zum Abschluss sollen nun die im Schrifttum ausgetauschten Argumente betrachtet werden, die sich keinem der vorherigen Topoi eindeutig zuordnen lassen. Hilfreich ist es dazu, die mit der Mitbestimmung verfolgten Anliegen708 704
Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 38. Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 160 ff. m.w. N. zur Rechtsprechung des EuGH. Exemplarisch EuGH, Urteil vom 21.09.1999, Rs. C124/97, Markku Juhani Läärä, Cotswold Microsystems Ltd, Oy Transatlantic Software Ltd/Kihlakunnansyyttäjä [Jyväskylä], Suomen valtio [Finnischer Staat], Slg. 1999, I6067, Rn. 36 = EuZW 2000, 148 (150). Allerdings sollte das Urteil nicht überbewertet werden, denn der EuGH bezieht seine Ausführungen auf die „Notwendigkeit und [. . .] Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen“, nicht auf die „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss das anerkannte Allgemeinwohlinteresse aber außerdem passieren. Damit gibt es keinen Widerspruch zwischen dem o. g. EuGH-Urteil und der hier vertretenen Ansicht. Wenn ein spezielles Interesse als zwingender Allgemeinwohlgrund anerkannt wird, dann ist dies natürlich auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Würde man etwa die Erforderlichkeit verneinen, weil in anderen Mitgliedstaaten eine andere – weniger einschneidende – Regelung existiert, dann konterkarierte man auf diese Weise das Ergebnis der anerkannten zwingenden Allgemeinwohlgründe. 706 So auch Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 22; StreinzMüller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 75; Riegger, ZGR 2004, 510 (519 f.). 707 Hammen, WM 1999, 2487 (2494); Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 458. 708 Hierzu sehr ausführlich Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 40 ff. 705
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kurz zu umreißen. Die Schlagworte „Selbstbestimmung“, „Demokratisierung“ und „Machtkontrolle“709 hat man hierzu oft gehört.710 Gerne wird darauf verwiesen, dass die Unternehmensmitbestimmung zuallererst der Würde des Menschen nach Art. 1 GG Rechnung trage.711 Ob auch das Mitbestimmungsrecht auf das zentrale Grundrecht in Art. 1 GG zurückgeführt werden sollte, mag man begjahen oder als übersteigerte Dignitätssuche für unnötig erachten.712 Jedenfalls verfolgt die Unternehmensmitbestimmung das Ziel, den Arbeitnehmern – trotz ihrer Unterordnung unter die Direktions- und Organisationsgewalt des Arbeitgebers – durch institutionelle Beteiligung an den unternehmenspolitischen Entscheidungen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung einzuräumen und so die Fremdbestimmung abzumildern.713 Hinzu tritt das sozial- und gesellschaftspolitische Ziel einer gewissen Demokratisierung der Wirtschaft durch Verknüpfung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zur Verwirklichung einer sozialen Marktwirtschaft. Damit ist die Unternehmensmitbestimmung Teil der sozialpolitischen Ordnungsvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland.714 In diesem Zusammenhang wird gerne darauf hingewiesen, die Mitbestimmung entspreche „gefestigter Praxis und Tradition in Deutschland“,715 weshalb sie als Allgemeinwohlinteresse anzuerkennen sei. Bedeutsam ist zunächst der Einwand, dass der ordre-public-Charakter der Mitbestimmungsgesetze hoch umstritten sei und dass Vorschriften, die auf „unsicheren Beinen“ stünden, niemals die Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in ein fremdes Gründungsstatut bieten könnten.716 Allerdings misst der deutsche Gesetzgeber der Mitbestimmung nach wie vor hohe Bedeutung bei717 und hat sich in den Mitbestimmungsgesetzen klar zur Unternehmensmitbestim-
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Siehe nur Junker, NJW 2004, 728 (728). Wie Rieble unlängst hervorkehrte kann man dieser Vokabelwahl durchaus kritisch gegenüberstehen: „Das hat Tradition: Von Anfang an wurde versucht, der Mitbestimmung durch das Attribut ,demokratisch‘ ideologische Kritikimmunität zu verschaffen und sie über die stets behauptete und nicht belegte Integrations- und Stabilisierungswirkung der Mitbestimmung auch faktisch unangreifbar zu machen.“ Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10. 711 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 43; so auch schon die „Biedenkopf-Kommission“ im Jahr 1970, BT-Drs. 6/334, S. 18. 712 Als „hochfliegendes sozialphilosophisches Postulat“ bezeichnet diesen Ansatz Säcker, AG 2004, 180 (186). Aber auch inhaltlich kann man an diesem Erklärungsansatz zweifeln: Stützte man die Unternehmensmitbestimmung auf Art. 1 GG und den hieraus abgeleiteten Schutz der Menschenwürde, wäre die Würde des Menschen in europäischen Mitgliedstaaten ohne Mitbestimmung (jedenfalls nach deutschem Standard) nicht ausreichend geschützt – eine kaum überzeugende These. 713 Bayer, AG 2004, 534 (537). 714 MüKoBGB-Kindler, InternGesR, Rn. 572. 715 Veit/Wichert, AG 2004, 14 (17). 716 Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (473). 717 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (184). 710
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mung bekannt.718 Zuzugestehen ist allerdings, dass die in der letzten Zeit neu entfachte Debatte um Kosten und Nutzen der Mitbestimmung indizielle Wirkung gegen den tatsächlich zwingenden Allgemeinwohlcharakter der Vorschriften hat. Der Verweis auf die „lange Tradition“ des deutschen Mitbestimmungsrechts hat indessen beinahe skurrilen Charakter. Insbesondere im Umfeld der Centrosund Überseering-Entscheidungen719 des EuGH kann man dieses Argument mit dem Verweis auf die zwischenzeitliche Bedeutungslosigkeit der Sitztheorie souverän parieren.720 Auch sie hatte in Deutschland lange Tradition,721 was den EuGH jedoch nicht daran gehindert hat, sie für praktisch unvereinbar mit europäischem Recht zu erklären. Der Verweis auf gebräuchliche Sitten ist also wenig zielführend. Auch der Hinweis, die Mitbestimmung diene der Mitwirkung der Arbeitnehmer bei Auswahl und Kontrolle des Leitungsorgans, eröffne ihnen Mitspracherechte bei unternehmenspolitischen Entscheidungen und fördere zugleich die Integration der Arbeitnehmer in das Unternehmen,722 vermag zur Klärung der Situation wenig beizutragen. Zwar ist die Aussage inhaltlich zutreffend, warum dies jedoch ein zwingendes Allgemeinwohlinteresse konstituiere, erschließt sich aus ihr nicht. Selbst wenn man den Allgemeinwohlbezug und das öffentliche Interesse bejahte, dann heißt dies noch nicht automatisch, dass das mitbestimmungsrechtliche Anliegen außerdem zwingender Natur ist. Denn die zwingenden Gründe des Allgemeinwohlinteresses müssen von einem besonderen Gewicht sein, so dass sie von ihrer Bedeutung her mit der einzuschränkenden (Niederlassungs-)Freiheit vergleichbar sind.723 Die Argumente für den zwingenden Charakter des MitbestG bleiben die Befürworter – soweit ersichtlich – schuldig. Insbesondere kann hierfür auch nicht auf die Artt. 136 I i.V. m. 137 I lit. f) EG verwiesen werden.724 Zwar ist es zutreffend, dass diese Norm „Mitbestim718 Hierin mag man das „voluntative Element“ einer Rechtsanwendungsnorm erblicken, welches gefordert wird von MüKoBGB-Sonnenberger, Einleitung EGBGB, Rn. 52. 719 EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 und EuGH, Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614. 720 Auf den durch die neue EuGH-Rechtsprechung ausgelösten Druck für die deutsche Mitbestimmung weisen z. B. zutreffend hin Kamp, BB 2004, 1496 ff. und Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 498 ff. 721 Siehe dazu oben Fußnote 517. 722 Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217 (222). 723 Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 459. 724 So z. B. Heuschmid, AuR 2006, 184 (192); Thüsing, ZIP 2004, 381 (386); vgl. zu der Vorschrift auch Schwarze-Rebhahn, Art. 137 EG, Rn. 18 der allerdings zutref-
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mung“ als eines der Gemeinschaftsziele anerkennt; dies zu bestreiten wäre in Anbetracht der europäischen Mitbestimmungssituation einfältig. Allerdings bedarf es für die Bestimmung der Aussagekraft dieser Normen für das MitbestG zuvor noch der Klärung einer zentralen Frage: Wird die paritätische Mitbestimmung von Art. 137 I lit. f) EG überhaupt zwingend erfasst? Wichtige Gründe sprechen dagegen: Bei paritätischer Mitbestimmung handelt es sich gerade nicht um die einzig anerkannte Form der Unternehmensmitbestimmung – ganz im Gegenteil sogar. Ihr wird als einziger von vielerlei Seite ein Höchstmaß an Bedenklichkeit attestiert.725 Dass die Europäische Gemeinschaft „Mitbestimmung“ ganz allgemein als schutzwürdiges Anliegen ihrer Sozialpolitik anerkennt, liefert gerade noch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung als paritätische Mitwirkung auszugestalten. Einzig lässt dieser Umstand die Schlussfolgerung zu, dass eine Beteiligung der Arbeitnehmer – auch auf Unternehmensebene – ganz allgemein und generell wünschenswert ist. Aus diesem Grund bedarf es für eine positive Schlussfolgerung aus den Artt. 136 I i.V. m. 137 I lit. f) EG für paritätische Mitbestimmung weiterer Argumente, die von den Befürwortern bislang jedenfalls nicht vorgetragen wurden. Vor dem Hintergrund der Corporate-Governance-Debatte, insbesondere den mahnenden Worten zu Effizienzeinbußen, enormen Kosten und den Bedenken gegen die Sinnhaftigkeit der paritätischen Mitbestimmung im Allgemeinen, wird man heute kaum noch annehmen können, dass paritätische Mitbestimmung zum unverzichtbaren Kern des nach deutschem Recht zu gewährleistenden Sozialschutzes gehört.726 Dass dieser Schutz schon innerhalb der deutschen Rechtsordnung lückenhaft ist, wurde bereits behandelt.727 Außerdem sollte man sich Folgendes vergegenwärtigen: Die Bejahung der zwingenden Allgemeinwohlinteressen im Rahmen der hier vorgenommenen Betrachtung hätte auch zwingend Konsequenzen für einen nahe verwandten Themenkomplex. Sie beträfe die ausländischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland und hier speziell die vergleichbare Frage, ob deutsche Mitbestimmung auf diese Gesellschaften anzuwenden ist. Käme der Mitbestimmung das zwingende Gemeinwohlinteresse im Rahmen der hier behandelten Problemstellung zu, dann müsste diese Erkenntnis auch bei der Handhabung von kollisionsrechtlichen Sachverhalten Beachtung finden. Der Grund hierfür lautet wie folgt: Von den im Kollisionsrecht nach Art. 6 EGBGB relevanten „wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts“ stellen fend darauf hinweist, dass „bei Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen und in Unternehmensorganen [. . .] die gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte des Unternehmensträgers zu beachten“ sind. 725 Siehe hierzu den Abschnitt C. II. 1. 726 Paefgen, DB 2003 487 (492). 727 Siehe dazu Abschnitt C. III. 2. b) bb) (3).
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die aus deutscher Sicht „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ eine Teilmenge dar.728 Bejahte man das zwingende Allgemeinwohlinteresse der Mitbestimmung hier, dann bedeutete dies, dass Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland ebenfalls dem deutschen Mitbestimmungsrecht unterlägen.729 Zunächst wäre diese Sonderanknüpfung „ein Fremdkörper im Gesellschaftsstatut“.730 Darüber hinaus wäre sie aber auch mit der jüngsten EuGH-Rechtsprechung unvereinbar. Aufgrund der Mitbestimmungsvorschriften wären Anpassungen der Organisationsstruktur einer Gesellschaft erforderlich, bei denen es sich um keinen nur punktuellen Eingriff in den definierten Freiheitsraum des Niederlassungsrechts handelt. So hat es allerdings die EuGHRechtsprechung in Inspire Art731 bestimmt: Sie sagt zusammengefasst aus, dass im Grundsatz von der Unantastbarkeit des ausländischen Organisationsstatuts732 auszugehen ist.733 Auch verschiedene Expertengruppen gehen davon aus, vorsichtige Korrekturen des Gesellschaftsstatuts zugunsten legitimer Interessen des Sitzstaates seien möglich, gegebenenfalls sogar erforderlich.734 Der mit der „Überstülpung“ der deutschen Mitbestimmung verbundene Eingriff in das ausländische Organisationsstatut stellt unter Umständen hingegen einen sehr umfassenden Eingriff in das Gründungsstatut dar.735 Für monistisch verfasste Gesellschaften gilt dies insbesondere,736 denn entweder müssten diese Gesellschaften zur Schaffung eines Aufsichtsrates nach deutschem Vorbild gezwungen werden oder die Arbeitnehmervertreter wären im Geschäftsleitungsorgan, dem Verwaltungsrat, zuzulassen.737 Damit würden Auslandsgesellschaften in Deutschland nicht, wie vom EuGH in der Überseering-Entscheidung gefordert, als Auslandsgesellschaften anerkannt, „sondern müssten sich eine Umformung zu einem ,hybriden Gebilde‘ aus ausländischem und deutschem Gesellschaftsrecht gefal728 Mit ausführlicher Darstellung zur Rechtsprechung des RG und BGH sowie einer Stellungnahme zum Schrifttum MükoBGB-Sonnenberger, Art. 6 EGBGB, Rn. 58 ff. 729 Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung wie die Gebhard-Formel sieht Art. 6 EGBGB nicht vor, so dass die Prüfung nicht aus Erwägungen der Verhältnismäßigkeit auf späterer Stufe abgebrochen werden kann. 730 G. Roth, ZIP 1999, 861 (864). 731 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331. 732 Hierzu zählen etwa die Gründung, Rechtsfähigkeit, körperschaftliche Verfassung, Geschäftsführung, Haftung der Organe, Umstrukturierung und die Beendigung der Gesellschaft; vgl. Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 1. 733 Zimmer, NJW 2003, 3585 (3591); vgl. dazu auch Forsthoff, DB 2002, 2471 (2474 f.). 734 So z. B. auf europäischer Ebene die High Level Group of Company Law Experts, Bericht S. 114 f. Ähnlich auch auf nationaler Ebene die Group of German Experts on Corporate Law in ihrer Stellungnahme, abgedruckt in ZIP 2003, 863, 877. 735 Statt vieler Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22 und Meilicke, GmbHR 2000, 693 (695). 736 Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477). 737 Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22.
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len lassen.“738 Wendete man also deutsches Mitbestimmungsrecht auf ausländische Gesellschaften an, führte dies dazu, dass die vom EuGH für maßgeblich befundene Gründungstheorie praktisch zugunsten der europarechtlich unzulässigen Sitztheorie ignoriert würde.739 Überdies gibt es kollisionsrechtliche Schwierigkeiten, wenn die ausländische Gesellschaft bereits nach ihrem Gründungsstatut ein Mitbestimmungsmodell vorsieht.740 Diese tatsächlichen Folgen dürften den Begründungsaufwand für die Befürworter der Allgemeinwohlthese ein weiteres Mal erhöhen und sprechen damit ebenfalls gegen den zwingenden Allgemeinwohlcharakter des MitbestG. (9) Zusammenfassung Eine ganze Reihe von oft verwendeten Argumenten im Rahmen der Diskussion, ob die Unternehmensmitbestimmung aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls geboten ist, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Sie gehen entweder von falschen Voraussetzungen aus oder sind inhaltlich nicht haltbar. Dessen ungeachtet schießen auch die Gegner der Allgemeinwohlthese mit ihren Analysen gerne über das Ziel hinaus. Gleichwohl gilt im Ergebnis: Aus nationaler, besonders aber aus europäischer Perspektive ist den ernsthaften Zweifeln an der Qualifikation des MitbestG als Gesetz mit zwingendem Allgemeinwohlinteresse nur wenig entgegenzuhalten. „Die Zukunftsperspektiven der Mitbestimmung sind damit eher düster“;741 jedenfalls soweit es die Anerkennung als zwingendes Allgemeinwohlinteresse betrifft, gilt dies uneingeschränkt. cc) Verhältnismäßigkeit Selbst wenn man – entgegen der hier angedeuteten Zweifel – das zwingende Allgemeinwohlinteresse des deutschen Mitbestimmungsrechts bejahte, müssten die Vorschriften des MitbestG dem verbleibenden Rechtfertigungskriterium, d. h. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Sie müssten also geeignet, erforderlich und im Übrigen angemessen angewandt sein. Generell ist bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zu beachten, dass allein die Tatsache, dass andere Mitgliedstaaten weniger strenge oder keine vergleichbaren Vorschriften kennen, nicht zur Unverhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen 738
Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22. So auch Meilicke, GmbHR 2000, 693 (695). Einen „europarechtskonformen Hebel, um [. . .] bei Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften“ deutsche Mitbestimmung zu installieren vermissen auch Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (551); ebenso Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22. 740 Vgl. hierzu die Darstellung bei Meilicke, GmbHR 2000, 693 (695 f.). 741 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (185), die die Aussage allgemein auf die Zukunft der deutschen Mitbestimmung beziehen. 739
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Normen führt.742 Die Durchsetzung der europäischen Grundfreiheiten beinhaltet nicht den Befehl an die Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften an das Niveau desjenigen Mitgliedstaats anzupassen, der die geringsten Anforderungen statuiert. „Ein ,race to the bottom‘ ist durch die Freiheiten nicht vorgeschrieben.“743 (1) Geeignetheit Die Vorschriften des MitbestG müssen zunächst geeignet sein, um das angestrebte Regelungsziel zumindest zu fördern. Die Eignung einer Maßnahme ist dabei anhand des zu verwirklichenden zwingenden Allgemeinwohlinteresses zu beurteilen, wobei dem Mitgliedstaat ein weiter Beurteilungs- und Prognosespielraum zuzugestehen ist.744 Gänzlich untaugliche Mittel können eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht legitimieren. Andererseits wird auch die vollständige Verwirklichung des angestrebten Regelungsziels vom EuGH nicht gefordert.745 Als Besonderheit des Europarechts kann die Geeignetheit einer Regelung aber bereits dann abzusprechen sein, wenn sie zwar legitime Anliegen verfolgt, aber eine konsequente Zielverfolgung durch den nationalen Gesetzgeber vermissen lässt.746 Nach der Rechtsprechung des EuGH747 kann man diese Grenze erst 742 EuGH, Urteil vom 10.05.1995, Rs. C-384/93, Alpine Investments BV/Minister van Financien, Slg. 1995, I-1141, Rn. 51 = NJW 1995, 2541 (2543); EuGH, Urteil vom 12.12.1996, Rs. C-3/95, Reisebüro Broede/Gerd Sandker, Slg. 1996, I-6511, Rn. 42 = EuZW 1997, 53 (56). 743 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 173; Bedenken in dieser Hinsicht äußerte auch der BGH in seinem Vorlagebeschluss zum Überseering Verfahren: BGH, Beschluss vom 30.03.2000, VII ZR 370/98, NZG 2000, 926 (927) = ZIP 2000, 967 (968). 744 Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 79. 745 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 157; vgl. aus der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 18.03.1980, Rs. 52/79, Strafverfahren gegen Marc Debauve u. a., Slg. 1980, 833, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 21.09.1999, Rs. C124/97, Markku Juhani Läärä, Cotswold Microsystems Ltd, Oy Transatlantic Software Ltd/Kihlakunnansyyttäjä [Jyväskylä], Suomen valtio [Finnischer Staat], Slg. 1999, I6067, Rn. 37 = EuZW 2000, 148 (150). 746 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 184. 747 EuGH, Urteil vom 12.03.1987, Rs. 178/84, Kom./Deutschland – Vertragsverletzung Reinheitsgebot für Bier, Slg. 1987, 1227, Rn. 49 = NJW 1987, 1133 (1136); EuGH, Urteil vom 25.02.1988, Rs. 427/85, Kom./Deutschland, Slg. 1988, 1123, Rn. 13 ff. = NJW 1988, 887; EuGH, Urteil vom 30.05.1989, Rs. 33/88, Allue und Coonan/Universita degli Studi Venezia, Slg. 1989, 1591, Rn. 14 ff. = NVwZ 1990, 851 f.; EuGH, Urteil vom 15.12.1995, Rs. C-415/93, UEFA u. a./Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 4921, Rn. 135 = NJW 1996, 505 (512); EuGH, Urteil vom 15.01.1998, Rs. C-15/96, Kalliope Schöning – Kougebetopoulou/Freie und Hansestadt Hamburg, Slg. 1998, I-47, Rn. 27 = NZA 1998, 205 (207); EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459, Rn. 35 = NJW 1999, 2027 (2029); EuGH, Urteil vom 06.11.2003, Rs. C-243/01, Piergiorgio Gambelli u. a., Slg. 2003, I-13239, Rn. 67–69 = NJW 2003, 139 (141).
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als verletzt ansehen, wenn sich die nationale Regelung in besonders signifikanter Weise als inkonsequent,748 gegebenenfalls sogar als selbstwidersprüchlich erweist.749 Dies ist namtlich dann der Fall, wenn von einer bestimmten Maßnahme nur Teilbereiche der regelungsbedürftigen Materie erfasst werden,750 d. h. der Gesetzgeber selektiv vorgeht, wobei eine hinreichend konsequente Differenzierung zwischen den erfassten und den nicht erfassten Bereichen verborgen bleibt. Der Verzicht auf die teilweise Durchsetzung des Schutzanliegens stellt den erforderlichen zwingenden Charakter des betreffenden Allgemeinwohlinteresses in Frage751 und wertet das verfolgte Interesse somit insgesamt ab. Es wird in diesem Zusammenhang gern darauf hingewiesen, dass sich die Mitbestimmung im Aufsichtsrat grundsätzlich eigne, die mit ihr verfolgten Schutzanliegen zu verwirklichen. Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Unternehmen, Demokratisierung des Wirtschaftslebens, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, (sozial-)friedenssichernde Wirkung etc. können prinzipiell durch Unternehmensmitbestimmung begünstigt werden.752 Probleme bereitet allerdings die uneinheitliche Anwendbarkeit des Mitbestimmungsrechts, denn insofern kann man an der Konsequenz der Mitbestimmungsvorschriften durchaus zweifeln.753 Wie bereits referiert, ist das MitbestG im Besonderen und auch das Mitbestimmungsrecht im Allgemeinen nicht unterschiedslos anwendbar.754 Zunächst betrifft dies die Rechtsform der erfassten Unternehmen. Die Rechtsformbegrenzung in den Katalogen der Mitbestimmungsgesetze ist einer der Gründe dafür, dass etwa zwei Drittel aller in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer von der Mitbestimmung ausgeschlossen sind.755 Die Beschränkung auf Kapitalgesellschaften wird als vom Gesetzgeber auf der Basis vernünftiger Erwägungen bewusst getroffene und damit zu respektierende Entscheidung dargestellt,756 weil gewichtige Gründe gegen die 748
Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 79. Als Beispiel für ein solches Vorgehen kann die Rechtssache Gambelli dienen, EuGH, Urteil vom 06.11.2003, Rs. C-243/01, Piergiorgio Gambelli u. a., Slg. 2003, I13239, Rn. 67–69 = NJW 2003, 139 (141). Hier hatten sich die italienischen Behörden auf die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz berufen, um die Minimierung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen rechtfertigen zu können. Gleichzeitig ermutigten sie aber die Bürger, an Lotterie, Glücksspiel und Wetten teilzunehmen. 750 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 184. 751 Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 26. 752 So z. B. Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 48 f. 753 So etwa Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (257); Junker, ZfA 2005, 1 (11 f.); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1238); Veit/Wichert, AG 2004, 14 (17). 754 Vgl. hierzu oben C. III. 2. b) bb) (3). 755 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 55. 756 Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 180. 749
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Erstreckung der Mitbestimmung auf Personengesellschaften sprächen. So sei es sachgerecht, denjenigen, die persönlich mit ihrem gesamten Vermögen für die unternehmerische (Fehl-)Entscheidung hafteten, auch allein die Zuständigkeit für diese zu gewähren.757 Außerdem handle es sich bei Personengesellschaften oftmals um kleinere Gesellschaften, deren Gesellschafter sich auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens zur Zusammenarbeit bereitgefunden hätten.758 Die vorstehenden Einsichten insinuieren Stringenz und Schlüssigkeit der Mitbestimmungsgesetze hinsichtlich der (fast) ausschließlichen Anwendbarkeit auf Kapitalgesellschaften. Bei genauer Betrachtung überzeugen diese Argumente allerdings weniger, als es zunächst den Anschein hat. Zum einen ist die Beobachtung hinsichtlich der Unternehmensgröße nur in der Tendenz zutreffend, denn es gibt große und namhafte Unternehmen, die in der Rechtsform einer Personengesellschaft geführt werden. Zu denken ist hierbei etwa an Otto oder Sixt. Beide werden in der Rechtsform der GmbH & Co. KG geführt. Bei dieser Rechtsform759 gilt die Mitbestimmung ungeachtet der vorstehenden Erwägungen. Nach § 4 MitbestG ist auch die GmbH & Co. KG vom Mitbestimmungsrecht erfasst, obwohl auch sie zutreffend als Personengesellschaft klassifiziert wird.760 Zwar ist das Mitbestimmungsrecht hier an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, dennoch wird die Vorschrift als Ausnahme von der Grundentscheidung des Gesetzgebers, Personengesellschaften mitbestimmungsfrei zu lassen, angesehen.761 Die Tatsache, dass viele Probleme und typische Strukturformen der KG von § 4 MitbestG nicht aufgegriffen werden,762 führte vormals zu dem reichlich harten Urteil Martens, die Norm bilde den „offensichtlich untauglichen Versuch“763 einer rechtsformadäquaten Mitbestimmungslösung. Allerdings lässt sich auch ein Grund für die Erstreckung der Mitbestimmung auf die GmbH & Co. KG finden: Bei dieser Konstruktion ist keine natürliche Person, sondern eine juristische Person in Form einer Kapitalgesellschaft die persönlich haf757
Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 55. Edenfeld, Recht der Arbeitnehmermitbestimmung, Rn. 334. 759 Tatsächlich handelt es sich hierbei nur um eine Unterform der Gruppe der Kapitalgesellschaft & Co. KG. Zur Vereinfachung soll hier die ganze Gruppe als GmbH & Co. KG bezeichnet werden; vgl. hierzu K. Schmidt, GesR, S. 1621 ff. 760 Statt aller K. Schmidt, GesR, S. 1622. 761 MüKoAktG-Gach, § 4 MitbestG, Rn. 2. 762 Beispiele hierzu finden sich bei Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 4 MitbestG, Rn. 3. Über die vom Gesetzgeber ausgesparten Gestaltungsformen der GmbH & Co. KG mag eine analoge Rechtsanwendung hinweghelfen. Schwieriger ist es schon, dass vor allem § 4 II MitbestG nicht ausreicht, um die Wirksamkeit der im Aufsichtsrat der Komplementärgesellschaft angesiedelte Mitbestimmung sicherzustellen. Zwar untersagt die Norm, der Komplementärgesellschaft die Geschäftsführung der KG zu entziehen, dennoch gibt es unzählige Möglichkeiten, durch geschickte Gesellschaftsverträge für das Gesamtunternehmen maßgebliche Entscheidungen in die KG zu verlagern; hierzu ebenfalls Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 4 MitbestG, Rn. 22. 763 Martens, ZHR 138 (1974), 179 (223). 758
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tende Gesellschafterin. Dies mag einen gewissen Grund bilden, das Anliegen der Mitbestimmung auch hier umzusetzen. Dessen ungeachtet hilft der Erklärungsansatz einer sinnvollen Differenzierung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nur bedingt weiter und kann die Unterscheidung der Mitbestimmungsgesetze nach den verschiedenen Gesellschaftstypen nicht hinreichend erklären. Mehr noch: Betrachtet man ausschließlich den Bereich der – im Mitbestimmungsrecht freilich praktisch wenig relevanten764 – GmbH & Co. KG, erkennt man, dass § 4 MitbestG rechtstechnisch wie auch systematisch nicht befriedigen kann.765 Vergegenwärtigt man sich, dass die vom Gesetzgeber gewählten Abgrenzungskriterien reichlich unzulänglich sind, um körperschaftlich strukturierte Unternehmen von solchen zu unterscheiden, denen eher ein personalistischer Charakter zukommt,766 und nimmt man zudem noch die leichte Steuerbarkeit der Zuordnung zu der einen oder anderen Gruppe767 hinzu, dann lässt sich der Eindruck der Zufälligkeit und Widersprüchlichkeit kaum leugnen. Gänzlich inkonsistent wird der Arbeitnehmerschutz im Umfeld der Personengesellschaften schließlich durch die Tatsache, dass die Kapitalgesellschaft & Co. OHG von keinem der Mitbestimmungsgesetze erfasst wird. Die Vorschriften des DrittelbG tun dann ihr Übriges: Diese Ausprägung des Mitbestimmungsrechts kennt eine dem § 4 MitbestG vergleichbare Norm nicht. Somit bleibt die kleine GmbH & Co. KG drittelbeteiligungsfrei, obwohl noch im MitbestG eine bewusste Entscheidung für die mitbestimmte GmbH & Co. KG gefallen war. Der Grund für die vorgenommene Differenzierung liegt im Dunkeln. Auch was die Unternehmensgröße betrifft, ist eine Inkonsequenz der deutschen Rechtslage in Anbetracht des Schutzzweckes zu konstatieren. Auch hierauf ist bereits hingewiesen worden:768 Weshalb die Unternehmensmitbestimmung zum Schutz der Arbeitnehmer in größeren Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern zwingend erforderlich ist, bei kleineren Arbeitnehmerzahlen hingegen von diesem Schutz abgesehen werden kann, bleibt fragwürdig. Der Hinweis, dass eine als drückend empfundene Fremdbestimmung und Anonymisierung der Arbeitnehmer vor allem in Großunternehmen festzustellen sei,769 gibt noch keinen Aufschluss darüber, weshalb der Arbeitnehmerschutz in Form der 764 Nach Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 MitbestG, Rn. 4 waren Ende 2002 nur 28 Kapitalgesellschaft & Co. KG bekannt, die vom MitbestG erfasst wurden. 765 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 4 MitbestG, Rn. 3. 766 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 4 MitbestG, Rn. 3. 767 Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 4 MitbestG, Rn. 2. 768 Siehe hierzu Abschnitt C. III. 2. b) bb) (3). 769 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 54.
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Unternehmensmitbestimmung zum Teil gar nicht, teilweise durch Drittelbeteiligung und im Übrigen anhand quasi-paritätischer Beteiligung gesichert werden muss. Die verschiedenartige Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern in Unternehmen mit 1.700 Beschäftigen bzw. mit 5.000 Angestellten ist einfach nicht begründbar. Eine Erkenntnis tritt damit bereits offen zutage: Der deutsche Gesetzgeber ging bei seiner Einführung des Mitbestimmungsrechts zwar planmäßig vor, aber im Hinblick auf das Ziel des Arbeitnehmerschutzes sind beträchtliche Ungereimtheiten und Erklärungsnöte festzustellen. Die Eignung der Mitbestimmung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist im Ergebnis kaum begründbar. Damit muss man sich der Frage zuwenden, wie sich eine solche Unsicherheit auf die prozessuale Durchsetzung der Rechtsposition auswirkt. Sie geht nach der Rechtsprechung des EuGH770 zulasten des in eine Grundfreiheit eingreifenden Mitgliedstaats, denn die Darlegungslast zur Geeignetheit (und auch Erforderlichkeit) liegt bei demjenigen, der die Rechtmäßigkeit seines Eingriffs in die Grundfreiheiten behauptet.771 Die Grundfreiheiten sind nämlich nach dem Grundsatz in dubio pro libertate strukturiert.772 Darin äußert sich, dass die belastete Partei nur vorzutragen braucht, dass sie in ihrer Freiheitsausübung beeinträchtigt sei,773 während die gegenüberstehende Prozesspartei, die eine Beschränkung rechtfertigen möchte, diese Rechtfertigung anhand eines konkreten und auf den Einzelfall bezogenen Rechtfertigungskataloges – vorliegend der konkretisierten Gebhard-Formel – vorzutragen hat.774 Bereits in der Inspire Art-Rechtsprechung angedeutet, geht der EuGH von einer erheblichen Darlegungslast der Bundesregierung aus, sollte es zu einem Verfahren über die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung mit europäischem Recht kommen. Nur so kann man nämlich die apodiktische und spürbar gereizte Reaktion der europäischen Richter775 auf das Vorbringen der niederländischen Regierung776 770 EuGH, Urteil vom 12.07.1990, Rs. C-128/89, Kom./Italienische Republik – Vertragsverletzungsverfahren Pflanzenschutzuntersuchung, Slg. 1990, I-3239, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 13.02.2003, Rs. C-458/00, Kom./Großherzogtum Luxemburg, Slg. 2003, I-1553, Rn. 44 = EuZW 2003, 220 (223). 771 Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 29; ebenso Bücker/ Schlacke, NVwZ 2004, 62 (65) und Streinz-Schroeder, Art. 30 EG, Rn. 57. 772 So schon Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1179); ebenfalls Bieback, NZS 2001, 561 (564). 773 Hier ist es nach der „Dassonville Formel“ ausreichend, dass eine unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle Beeinträchtigung vorgetragen werden kann. EuGH, Urteil vom 11.07.1974, Rs. 8/74, Staatsanwaltschaft/Benoit und Gustav Dassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 1 = NJW 1975, 515 (516). 774 Heiss, ZfRV 2003, 90 (94); ähnlich zu den Anforderungen im Vorabentscheidungsverfahren auch Wägenbaur, EuZW 2000, 37 (41). 775 „Was schließlich die Frage angeht, ob die [Vorschrift] [. . .] gerechtfertigt werden kann, so ist festzustellen, dass weder die Handelskammer noch die niederländische Regierung dargetan haben, dass die betreffende Maßnahme die [. . .] genannten
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und Handelskammer im Inspire Art-Verfahren interpretieren. Diese Verteilung der Darlegungslast steht auch in Übereinstimmung mit gefestigter EuGH-Rechtsprechung777 und wurde jüngst in der Rechtssache Parking Brixen bestätigt. Zur Beweislast äußerte sich der EuGH dezidiert wie folgt: „Da es um eine Ausnahme von den allgemeinen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts [in Form der Artt. 12, 43 und 49 EG] geht, [. . .] obliegt die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme von diesen Vorschriften rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, demjenigen, der sich auf sie berufen will.“778
Sofern weitere Argumente für eine Eignung der Mitbestimmung gemäß ihres Schutzanliegens nicht vorgebracht werden, kann das MitbestG diese erste Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht passieren. Ob der Hinweis auf die den Mitgliedstaaten vom EuGH gewährte Einschätzungsprärogative779 diese Bedenken beiseitezuwischen vermag, ist hierbei keiKriterien der Wirksamkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung erfüllt.“ EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 140 = NJW 2003, 3331 (3334). 776 Die niederländische Regierung – und zudem auch die deutsche, die der niederländischen hier argumentativ beipflichtete – folgte weitgehend der Argumentation der dänischen Regierung aus dem Centros Verfahren, obwohl der Gedankengang schon damals vom EuGH als unzutreffend zurückgewiesen wurde; vgl. Generalanwalt Siegbert Alber, Schlussanträge zur Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 27 ff. = NZG 2003, 262 (265). Es sei nicht Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit Briefkastengesellschaften zu begünstigen, weshalb auch die Centros Rechtsprechung problematisch sei, die eben dies leiste (Rn. 27). Wegen der ständig steigenden Zahl „pseudo-ausländischer“ Gesellschaften seien die im niederländischen Gesetz vorgesehenen Vorkehrungen zum Schutz der Gläubiger, zur Betrugsbekämpfung und Verhinderung missbräuchlicher Nutzung ausländischer Gesellschaften angezeigt (Rn. 31). Zum Vorbringen der dänischen Regierung im Centros Verfahren vgl. Generalanwalt Antonio La Pergola, Schlussanträge zur Rs. C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1461, Rn. 6 f. 777 Zuerst EuGH, Urteil vom 10.03.1987, Rs. 199/85, Kom./Italienische Republik, Slg. 1987, 1055, Rn. 14; dann EuGH, Urteil vom 18.05.1995, Rs. C-57/94, Kom./Italienische Republik, Slg. 1995, I-1263, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 28.03.1996, Rs. C318/94, Kom./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996, I-1949, Rdnr. 13 = NvWZ 1997, 373; EuGH, Urteil vom 10.04.2003, Rs. C-20/01 und C-28/01, Kom./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2003, I-3609, Rn. 58 = NZBau 2003, 393 (395); EuGH, Urteil vom 11.01.2005, Rs. C-26/03, Stadt Halle, RPL Recyclingpark Lochau GmbH/ Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna, Slg. 2005, I-26, Rn. 46 = EuZW 2005, 86 (89 f.); hierzu auch Bücker/ Schlacke, NVwZ 2004, 62 (65) m.w. N. 778 EuGH, Urteil vom 13.10.2005, Rs. C-458/03, Parking Brixen GmbH/Gemeinde Brixen und Stadtwerke Brixen AG, Slg. 2005, I-8612, Rn. 63 = EuZW 2005, 727 (739). Wenngleich die Formulierung nicht sehr glücklich gewählt ist – ist das „sie“ rückbezüglich auf „Vorschrift“ oder „Ausnahme“? – ergibt sich aus anderen Urteilen eindeutig, dass die Ausnahme in Bezug genommen wird. 779 So etwa Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 58 oder auch Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 68 f.; vgl. hierzu auch die
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nesfalls ausgemacht. In sogenannten „sensiblen Bereichen“,780 zu denen insbesondere die Sozialordnung gerechnet wird, gewährt der EuGH tendenziell zwar einen größeren Einschätzungsspielraum781 bei der Bestimmung der Eignung einer Maßnahme. Er ist umso größer, je eher die betroffenen Fragen über den Kreis der Wirtschaftspolitik hinausgehen und den Bereich der Sozialordnung782 oder allgemeine Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung betreffen.783 Selbst wenn man allerdings das MitbestG als ein die Sozialordnung strukturierendes Gesetz anerkennt,784 hat dies im Ergebnis für die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle kein Gewicht. Denn die Zweifel an der Eignung des MitbestG ergeben sich nicht aus einer Gegenüberstellung des definierten Ziels mit dem gesetzgeberisch gewählten Mittel. Sie sind vielmehr bereits wegen der Inkonsequenz der Zielverfolgung indiziert,785 einem Prüfungskriterium, welches im Deutschen Recht keine Entsprechung hat. Es hilft damit wenig zu fordern, hier sollte „kein zu strenger Maßstab angelegt werden.“786 Es handelt sich hierbei um keine Gegenüberstellung von Maßnahme und Ziel, bei der ein umfangreicher oder beschränkter Beurteilungsspielraum angelegt werden könnte hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften im Lichte ihres Zwecks generell versagen oder nicht. Daher handelt es sich auch um keine „Abwägung“ im Bereich der Sozialordnung, in der die vom EuGH tendenziell gewährte größere Einschätzungsprärogative für die Geeignetheit der Maßnahme zum Tragen kommen könnte. Zweifeln begegnet das MitbestG bereits im Bereich einer zuvor Darstellung bei Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 172 m.w. N. 780 Zuerst wohl EuGH, Urteil vom 17.12.1981, Rs. 279/80, Strafverfahren gegen Alfred John Webb, Slg. 1981, 3305, Rn. 18 f. = NJW 1982, 1203 (1204). 781 EuGH, Urteil vom 04.12.1986, Rs. 205/84, Kom./Deutschland, Slg. 1986, 3755, Rn. 30 ff. = NJW 1987, 572 (574); EuGH, Urteil vom 07.05.1991, Rs. C-340/89, Vlassopoulou/Land Baden-Württemberg, Slg. 1991, I-2357, Rn. 17 f. = NJW 1991, 2073 (2074); EuGH, Urteil vom 24.03.1994, Rs. C-275/92, Her Majesty’s Customs and Excise/Gerhart Schindler und Jörg Schindler, Slg. 1994, I-1039, Rn. 58 ff. = NJW 1994, 2013 (2016); EuGH, Urteil vom 12.12.1996, Rs. C-3/95, Reisebüro Broede/ Gerd Sandker, Slg. 1996, I-6511, Rn. 42 = EuZW 1997, 53 (56); EuGH, Urteil vom 09.07.1997, Rs. C-222/95, Société civile immobilière Parodi/Banque H. Albert de Bary et Cie, Slg. 1997, 3899, Rn. 22 ff. = EuZW 1998, 320 (nur Tenor); EuGH, Urteil vom 21.10.1999, Rs. C-67/98, Questore di Verona/Diego Zenatti, Slg. 1999, I7289, Rn. 33 f. = EuZW 2000, 151 (153); EuGH, Urteil vom 21.09.1999, Rs. C-124/ 97, Markku Juhani Läärä, Cotswold Microsystems Ltd, Oy Transatlantic Software Ltd/ Kihlakunnansyyttäjä [Jyväskylä], Suomen valtio [Finnischer Staat], Slg. 1999, I-6067, Rn. 13 und 35 = EuZW 2000, 148 (150). 782 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 172. 783 Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 32. 784 So jedenfalls das BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (350 f., 360) = NJW 1979, 699 (703). 785 Ebenso Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477). 786 Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 26; ähnlich Grundmann/ Möslein, ZGR 2003, 313 (349 f.).
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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abzuhakenden „Vorfrage“. Eine Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte durch den EuGH kommt damit gar nicht in Betracht, so dass die Eignung des MitbestG auf diese Weise im Ergebnis nicht begründbar ist. (2) Erforderlichkeit und Angemessenheit Das MitbestG müssten nicht nur – die bereits insofern angedeuteten Zweifel einen Moment ausgeklammert – geeignet, sondern zugleich erforderlich sein, d. h. das für Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit mildeste Mittel darstellen. Eine Rechtfertigung des mit dem MitbestG verbundenen Eingriffs schiede demnach jedenfalls aus, wenn das (zweifelhafte) zwingende Allgemeininteresse ebenso wirksam durch eine Maßnahme787 verwirklicht werden könnte, welche die Freiheit der Niederlassung weniger stark einschränkte.788 Die „Erforderlichkeit“ stellt hierbei den Schwerpunkt der Rechtfertigungserwägungen des EuGH dar,789 wobei sie einen Prüfungsschritt umfasst, der nach deutschem Rechtsverständnis getrennt zu behandeln ist: Nach europäischer Spruchpraxis wird in den Rahmen der Erforderlichkeit auch die im deutschen Recht üblicherweise anschließende Prüfung der Angemessenheit einer Maßnahme integriert.790 Nur formal zutreffend ist daher auch die Annahme Thüsings, nach der zwar von prominenten Stimmen des Schrifttums eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert werde, diese aber im Wortlaut der Gebhard-Formel keine Stütze finde.791 Die vom EuGH vorgenommene Kombination von Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung äußert sich wie folgt: Eine mitgliedstaatliche Maßnahme ist bereits dann nicht erforderlich, wenn ihr Regelungsanliegen durch ein die Freiheiten weniger beeinträchtigendes Mittel verfolgt werden könnte, auch wenn dieses keine gleichermaßen umfangreiche und effektive Zielverwirklichung gewährleisten kann.792
787 Verschiedene institutionelle Alternativen zur paritätischen Mitbestimmung nach MitbestG untersucht Ganske, Mitbestimmung, Property-Rights-Ansatz und Transaktionskostentheorie, S. 174 ff. 788 Vgl. Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 80; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 159 mit umfassenden Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH. 789 Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 60. 790 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 158; Kischel, EuR 2000, 380 (383 f.); dies übersieht Dammann, The Future of Codetermination after Centros, 8 Fordham J Corp. & Fin. L. 607 647-48 (2003), der im Rahmen der Gebhard-Formel neben den tatsächlichen drei eine vierte Voraussetzung, die der fehlenden Angemessenheit („disproportionality“) postuliert. 791 Thüsing, ZIP 2004, 381 (387). 792 Dazu sogleich in Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2) (b).
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
(a) Strukturvorgaben für die Prüfung (aa) Vergleichsmaßstab Es gilt wie gewöhnlich, dass eine mitgliedstaatliche Regelung bereits dann nicht erforderlich ist, wenn ihr Anliegen durch eine die Freiheiten weniger beeinträchtigende Vorschrift verfolgt werden könnte. Als mildere Regelungen kommen sowohl bestehende als auch potentielle Vorschriften des betroffenen Mitgliedstaats in Betracht,793 denn der Vergleich ist auf Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats beschränkt.794 Für kollisionsrechtliche Sachverhalte, wo etwa die Frage nach der Anwendung deutschen Rechts auf ausländische Gesellschaften zu beantworten ist, mögen darüber hinaus als Vergleichsnormen für die Erforderlichkeit auch Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats heranzuziehen sein.795 Im Fall der SE-Gründung handelt es sich hinsichtlich der Frage des anwendbaren Rechts hingegen um einen genuin nationalen Sachverhalt, denn die SE-Gründung ist einem nationalen Recht unterstellt.796 Damit fehlt jeder Bezug zu ausländischem Recht,797 so dass kein kollisionsrechtlicher Sachverhalt vorliegt und auch ausländische Vorschriften als Vergleichsnormen nicht in Betracht kommen. In der nachfolgenden Erörterung bilden daher nur nationale Vorschriften die Vergleichsbasis der Erforderlichkeitserwägung. Höchstens mittelbar kommt es dann für die Beurteilung der Vergleichbarkeit zweier Maßnahmen auf die Rechtslage in den übrigen Mitgliedstaaten an,798 denn die ausländischen Rechtsordnungen können insofern gewisse Indizwirkung entwickeln.
793
Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 62. Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 177. 795 So z. B. Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 61 und 63; vgl. hierzu umfassend auch Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 192 ff. Das ausländische Recht bildet hier insofern die Vergleichsnorm als man sich jeweils fragen muss, ob eine deutsche Regelung mit einem zu definierenden Schutzanliegen zur Anwendung gebracht werden muss oder ob dem Schutzanliegen nicht bereits durch Rechtsvorschriften des Gründungsstatuts hinreichend Rechnung getragen wird. Unter dem Stichwort „Schutz durch Gründungsrecht“ hierzu Eidenmüller in: Auslandskapitalgesellschaften, § 3, Rn. 43 ff.; a. A. Schäfer, NZG 2004, 785 (786) m.w. N. 796 Deutsche SE werden nach dem SEEG gegründet und müssen die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben des SEAG beachten. Für die anderen Mitgliedstaaten gilt entsprechendes. 797 Hiermit nicht gleichzusetzen ist das Fehlen überhaupt eines Bezugs zum Ausland. Die Mehrstaatlichkeit ist bei der SE gerade Gründungsvoraussetzung; siehe hierzu Abschnitt C. III. 1. d). 798 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 177. 794
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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(bb) Beurteilungsmaßstab Auch bei der Erforderlichkeitsbewertung gewährt der EuGH den Mitgliedstaaten – wie schon bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme – eine gewisse Einschätzungsprärogative.799 Sie ist wiederum umso größer, je eher die betroffenen Fragen über den Kreis der Wirtschaftspolitik hinausgehen und einen „sensiblen Bereich“, wie etwa die Sozialordnung, betreffen.800 Mit Forsthoff ist allerdings eine Einschränkung anzuerkennen,801 denn der maßgebliche Gedanke, der hinter der Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte steckt, lautet wie folgt: Die Entscheidung wie und auf welche Weise ein Mitgliedstaat seine Sozialordnung ausgestaltet, wird dem jeweiligen nationalen Kompetenzbereich zugeordnet.802 Daher kann die vielfach zugestandene erweiterte Einschätzungsprärogative vom nationalen Gesetzgeber dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn die Regelung exterritoriale Wirkung entfaltet. In diesem Fall nämlich greift sie in den Kompetenzbereich anderer Mitgliedstaaten ein, obwohl dieser gerade jedem Gemeinschafts-Mitglied zur autonomen Ausformung und Gestaltung zugestanden wird. Bei der Mitbestimmung in der SE kommt dem MitbestG eine solche exterritoriale Wirkung zu. Dies gilt sogar auf zweifache Weise: Erstens führt die Gründung einer mitbestimmten SE mit deutscher Beteiligung zu einer Anwendbarkeit deutschen Mitbestimmungsrechts im Ausland. Im Gegensatz dazu war eine solche Geltung im Ausland bislang wegen des auch im Mitbestimmungsrecht geltenden Territorialitätsprinzips unzulässig.803 Zweitens sind die Vorgaben des MitbestG nicht nur von SE mit Sitz in Deutschland zu beachten, sondern sie gelten auch für „ausländische“ SE, weil die SE-RiL den mitbestimmungsrechtlichen Anknüpfungsmechanismus europaweit einheitlich vorschreibt. Wird etwa eine SE nach englischem Recht gegründet, hat auch sie die Maßgaben des MitbestG zu respektieren, wenn einer der Gründungspartner eine deutsche, entsprechend mitbestimmte Gesellschaft war.804 Dies gilt selbst dann,
799 Everling, GS für Knobbe-Keuk, S. 607, 621 f.; Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 68; Koch, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 528; Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 463; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39– 55 EGV, Rn. 172. 800 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 172. 801 Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 68 f. 802 Besonders deutlich wird dieser Kompetenzgedanke in der Entscheidung EuGH, Urteil vom 21.09.1999, Rs. C-124/97, Markku Juhani Läärä, Cotswold Microsystems Ltd, Oy Transatlantic Software Ltd/Kihlakunnansyyttäjä [Jyväskylä], Suomen valtio [Finnischer Staat], Slg. 1999, I-6067, Rn. 36 = EuZW 2000, 148 (150) und EuGH, Urteil vom 12.12.1996, Rs. C-3/95, Reisebüro Broede/Gerd Sandker, Slg. 1996, I6511, Rn. 42 = EuZW 1997, 53 (56). 803 Vgl. nur Raiser, Mitbestimmungsgesetz, § 1 MitbestG, Rn. 13. 804 Vgl. hierzu oben Abschnitt B. II. 3. b).
186
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
wenn die englische SE ihren Sitz außerhalb Deutschlands nimmt, denn die nationalen Umsetzungsgesetze zur SE-RiL sind in Europa mehr oder weniger einheitlich ergangen.805 Auch die Auflösung jeglicher sonstiger Verbindungen nach Deutschland – Schließung der deutschen Produktionsstandorte, Entlassung der deutschen Arbeitnehmer, Abtrennung des deutschen Konzernteils o. ä. – würde im vorgenannten Beispiel an der Geltung deutschen Mitbestimmungsrechts in der englischen SE nichts ändern. Bei der SE entfaltet das MitbestG damit exterritoriale Wirkung. Sofort sieht sich der vorstehende Gedanke einem naheliegenden Einwand ausgesetzt: Die exterritoriale Geltung deutscher Mitbestimmung bei der SE schreibt nicht der deutsche, sondern der europäische Gesetzgeber in seiner SERiL vor. Wenngleich der Einwand uneingeschränkte Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, trifft er den Kern des Gedankens mitgliedstaatlicher Kompetenzwahrung nicht. Denn die Idee, nationale Gestaltungskompetenzen nur insoweit umfangreich anzuerkennen, als auch tatsächlich allein der eigene nationale Gestaltungsspielraum betroffen ist, lässt keinen Raum für die Frage, wer den Eingriff in die Gestaltungskompetenz eines anderen Mitgliedstaats vorgesehen hat. Ausschließlich kommt es darauf an, dass ein solcher Kompetenzübergriff überhaupt stattfindet und wie sich dieser im Einzelfall ausnimmt. Hinsichtlich der Mitbestimmung gilt insofern Folgendes: Durch die ausschließlich deutsche Entscheidung für paritätische Mitbestimmung wird dieser Maßstab auch in SE jeder anderer „Nationalität“ exportiert. Um den Anforderungen der SE-RiL gerecht werden zu können, sind daher auch die übrigen Mitgliedstaaten gezwungen, Vorkehrungen für paritätisch besetzte Aufsichts- oder Verwaltungsorgane zu schaffen, selbst wenn sie nach nationaler Konzeption eine solchermaßen gestaltete Arbeitnehmerbeteiligung ablehnen. Das Beharrungsvermögen einzelner EU-Mitglieder im Gesetzgebungsprozess zur SE, sich gegen eine Rechtsvereinheitlichung im Bereich der Mitbestimmung aufzulehnen,806 illustriert deutlich, für wie wesentlich auch anderen Mitgliedstaaten die autonome Entscheidung über den Mitbestimmungsstandard halten.807 Auch wenn die Geltung deutschen Mitbestimmungsrechts im europäischen Ausland allein auf der SE-RiL beruht, trifft dies keine Aussage über den besonderen, von anderen mitgliedstaatlichen Sozialordnungen abgelehnten Inhalt der deutschen Mitbestimmungsregelung. Entscheidend ist allein der Umstand, dass die exterritoriale Wirkung gesetzlicher Regelungen tatsächlich vorliegt, die von anderen Mit805
Vgl. hierzu ebenfalls Abschnitt B. II. 3. b). Vgl. hierzu nur Mävers, Historie der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE, S. 87 ff. der die Stellungnahmen der Mitgliedstaaten, Sozialpartner und europäischen Institutionen zu den verschiedenen Entwurfsstadien darstellt und auswertet; dazu auch Weiß, NZA 2003, 177 (181). 807 Wenngleich mit einer anderen hieraus abgeleiteten Schlussfolgerung Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 182. 806
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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gliedstaaten abgelehnt wird. Ist dies der Fall, dann muss es für den nationalen Gesetzgeber als Reduktion seiner ansonsten in „sensiblen Bereichen“ umfangreich gewährten Einschätzungsprärogative wirken, damit die Freiheit des Einen nicht auf Kosten der Freiheit der Übrigen geht. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit paritätischer Mitbestimmung hat dies nun folgende Bedeutung: Zunächst kann der deutsche Gesetzgeber von seiner grundsätzlich erweiterten mitbestimmungsbezogenen Einschätzungsprärogative im Fall der SE keinen Gebrauch machen, soweit es ausländische SE betrifft. Grund hierfür ist, dass die Richtlinienvorgabe die exterritoriale Geltung nationaler Mitbestimmungsvorschriften vorsieht und damit zu einem Eingriff in die Sozialordnungskompetenz anderer Mitgliedstaaten führte, weil paritätische Mitbestimmung bisher nur in Deutschland konsensfähig war. Soweit ausschließlich die Gruppe der inländischen SE betroffen ist, gilt derweil nichts anderes, denn eine Differenzierung der Mitbestimmungsvorschriften zwischen inländischen und ausländischen SE hat der Richtliniengeber nicht vorgesehen. Da nämlich die Mitbestimmungsvorschriften für die europäische Gesellschaft nach Vorgabe der SE-RiL europaweit einheitlich zu sein haben,808 kann der deutsche Gesetzgeber – anders als herkömmlich beim Mitbestimmungsrecht für nationale Gesellschaften – für deutsche SE keine strengeren Mitbestimmungsvorschriften vorsehen als für ausländische SE.809 Überdies führt auch die Gründung einer deutschen mitbestimmten SE zur Erstreckung der paritätischen Mitbestimmung über die Landesgrenzen hinweg in die Sozialordnungen anderer Mitgliedstaaten, denn eine SE steht immer auf mindestens zwei nationalen „Standbeinen“.810 Die Erstreckung paritätischer Mitbestimmung auf die SE bedeutet damit „ein Übergreifen des deutschen Rechts in die Wahrnehmungszuständigkeit anderer Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Sozialordnung“.811 Die Absenkung der Kontrolldichte zugunsten einer erweiterten Einschätzungsprärogative des deutschen Gesetzgebers ist aus diesen Gründen unzulässig.
808 Die europaweite Einheitlichkeit der Mitbestimmungsregelungen ist nicht mit einem europaweit einheitlichen Mitbestimmungsstandard zu verwechseln. Erstere soll nur zum Ziel haben, dass z. B. die Mitbestimmung einer französischen SE mit französischem und niederländischem Gründungspartner identisch ist zu einer englischen SE mit den gleichen Gründungspartnern. 809 Unabhängig von den Richtlinienvorgaben gilt dies auch schon deshalb, weil damit die Niederlassungsfreiheit der ausländischen Teilnehmer an einer deutschen SEGründung in unzulässiger Weise beschränkt würde. 810 Siehe hierzu bereits Abschnitt C. III. 1. d). 811 Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 69, freilich nicht bezogen auf die SE.
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
(cc) Informationsmodell Eine weitere, die Erforderlichkeitsprüfung strukturierende Vorgabe des EuGH wird als „Informationsmodell“ bezeichnet.812 Soweit es den Arbeitnehmerschutz betrifft, versagt dieses „Informationsmodell“ allerdings, denn es basiert auf dem Gedanken, dass derjenige, der hinreichend über den Charakter seines Vertragspartners informiert ist, sich selbst schützen kann und daher – im Sinne der Centros-, Überseering- und Inspire Art-Rechtsprechung – eines Schutzes durch Regelungen des Inlands nicht bedarf. Diesem Leitbild des „mündigen Verbrauchers“ entspricht der Arbeitnehmer in seiner gegenüber dem Arbeitgeber typischerweise schwächeren Verhandlungsposition allerdings nicht. Regelmäßig kann er sich gerade nicht selbständig schützen, auch wenn er über die hinreichenden Informationen verfügt.813 Da das Informationsmodell keinen befriedigenden Nutzen für den Arbeitnehmerschutz generieren kann, muss man sich der Suche nach alternativen milderen Mitteln widmen, sofern die zuvor genannten Bedenken nicht überzeugen. (b) Umsetzung milderer Mittel (aa) Verweis auf alternative Gründungsmöglichkeiten Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Mitbestimmungsvorschriften für die SE es deutschen Unternehmen nicht unmöglich machen, Gesellschaften in der Rechtsform einer SE zu gründen.814 Selbst für den Fall, dass die gemeinschaftliche Gründung mangels geeignetem ausländischen Partner ausscheiden muss, stehen immer noch die übrigen Gründungsszenarien zur Verfügung. Mit ihnen können weitgehend „national“, also ohne die Beteiligung ausländischer „Dritter“ SE-Gründungen durchgeführt werden [Holding-SE (3.), SE-Tochter (5.), Umwandlung (6.)]. Auf dieser Grundlage ließe sich der Standpunkt einnehmen, dass deutsche mitbestimmte Unternehmen, die wegen ihrer Mitbestimmung keinen geeigneten ausländischen SE-Gründungspartner finden, einfach auf diese übrigen Gründungsszenarien ausweichen könnten und ihnen so im Ergebnis keine nennenswerten Schwierigkeiten bei der SE-Gründung entstünden. Das Bestehen alternativer Handlungsmöglichkeiten kann tatsächlich die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme beeinflussen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Handlungsoptionen für denjenigen, der sie nutzen soll, zu gleichen oder zumindest annähernd gleichen Ergebnissen führen wie die Handlungsalternative, deren Inanspruchnahme auf Verhältnismäßigkeit geprüft
812 813 814
Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 33 ff. So auch Forsthoff in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2, Rn. 41 f. Siehe hierzu Abschnitt C. II. 3.
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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wird. Den Freiheitsträger auf Alternativen zu verweisen, die für ihn schon aus objektiven Gründen keine „wirklichen Alternativen“ darstellen, ist ihm hingegen nicht zumutbar. Für die SE hat daher Folgendes zu gelten: Zunächst einmal darf nicht vernachlässigt werden, dass nicht jede Gründungsvariante für jede Gesellschaftsform zur Verfügung steht. Durch diese Rechtsformgebundenheit der einzelnen Gründungsszenarien wird dem Argument der alternativen Gründungsmöglichkeiten viel Raum genommen. Zu den Gründungsszenarien, die ausschließlich mit ausländischer Beteiligung durchgeführt werden können, stehen alternativ nur die folgenden Varianten zur Verfügung. Alternative Gründungsszenarien
SE-VO
zulässig für
3.
Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 II b)
AG und GmbH
5.
Gründung einer SE als Tochter für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 III b)
alle juristischen Personen
6.
rechtsformwechselnde Umwandlung
Art. 2 IV
AG
8.
Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
Art. 2 III a)
SE
Abbildung 6: Alternative Gründungsszenarien abhängig von der Gesellschaftsform
(a) Alternativen für die GmbH Die Rechtsformgebundenheit der verschiedenen Gründungsvarianten bedeutet für die SE-gründende GmbH, dass für sie als Alternativen nur Holdinggründung (Gründungsszenario 3.) oder Gründung einer SE-Tochter (Gründungsszenarien 5. und 8.) in Betracht kommen. Ein Vergleich mit den Gründungsszenarien 1. und 6. [Verschmelzung und Umwandlung] scheidet also schon aus diesem Grund aus. Gründungen nach dem Szenario 7. [Einmanngründung einer Tochter-SE] sind allein der SE vorbehalten, stellen für die GmbH also auch keine Ausweichmöglichkeit dar. Untereinander sind Holding- und Tochtergründung nicht austauschbar, denn wer eine steuernde Holding zu gründen wünscht, der kann nicht stattdessen auf eine Tochtergesellschaft ausweichen und vice versa. Damit bleibt allein der Vergleich zwischen den „internationalen“ und den „rein deutschen“ Gründungsszenarien 2. und 3. bzw. 4. und 5. Die gemeinschaftliche Holdinggründung durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft kann nur mit der entsprechenden Holdinggründung durch zwei deutsche Gesellschaften verglichen werden, welche die übrigen Anforderungen an einen hinreichenden Auslandsbe-
190
C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
zug erfüllen.815 Gerade hier liegt aber die Unzulänglichkeit der jeweiligen Vergleichsgruppe: Andere deutsche Gründungspartner und gegebenenfalls auch die eigene Gründergesellschaft erfüllen die Voraussetzungen an eine bereits zweijährige Auslandsdependance unter Umständen nicht.816 Die Gründung einer SE für zwei Jahre aufzuschieben kann die Erwartungen an die neue Gesellschaft nivellieren. Ähnlich ist es um die Gründung einer SE als Tochter bestellt (Gründungsszenario 8.), denn das vorgenannte Argument lässt sich auf die SE-Tochtergründung ohne Modifikation übertragen. Auch hier liegt in der „rein deutschen“ SEGründung regelmäßig keine Alternative. Hinzu tritt allerdings die Möglichkeit, gemeinsam mit einer bereits bestehenden SE eine SE-Tochter zu gründen. Diese Variante dürfe gegenwärtig an der geringen Zahl von „verfügbaren“ SE scheitern, aber auch zukünftig das Problem der Mitbestimmung nicht umgehen. Handelt es sich nämlich um eine „ausländische“ nicht mitbestimmte SE werden für sie die Anreize gering sein, das mitbestimmungsrechtliche Verfahren nach der SE-RiL erneut durchzuführen, um im Ergebnis gegebenenfalls eine paritätisch mitbestimmte SE-Tochter zu „halten“. Für die GmbH ist der Hinweis auf alternative Gründungsmöglichkeiten damit wenig zielführend. In der folgenden Abbildung sind die Ergebnisse zusammengefasst.
Verbannte Gründungsszenarien
SE-VO
Alternative Gründungsszenarien
SE-VO
2. Gründung einer SE-Holding für eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 II a) 3. Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 II b)
4. Gründung einer gemeinsam SE als Tochter durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 III a) 5. Gründung einer SE als Tochter für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 III b)
8. Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
Art. 2 III a)
Abbildung 7: „Verbannte“ und Alternative Gründungsszenarien für die GmbH
815 Eine seit mindestens 2 Jahren bestehende ausländische Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung; vgl. hierzu Abschnitt B. I. 1. 816 Der Kauf einer Mantelgesellschaft zur Umgehung der Zweijahresfrist scheidet aus, Scheifele, Die Gründung der SE, S. 124 f.; SE-VO-Schwarz, Art. 2 SE-VO, Rn. 76.
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
191
(b) Alternativen für die AG Gegenüber der GmbH stehen der SE-gründenden AG verschiedene weitere Gründungsvarianten zur Verfügung. Hierbei handelt es sich namentlich um die Verschmelzung (Gründungsszenario 1.) und die rechtsformwechselnde Umwandlung (Gründungsszenario 6.). Für die Verschmelzung nach Art. 2 I SE-VO steht keine „rein deutsche“ Alternative zur Verfügung. Findet sich keine ausländische Partner-Aktiengesellschaft kann auch nicht auf die Verschmelzung mit einer eigenen Tochtergesellschaft ausgewichen werden.817 Ebenso wenig entspricht es der Interessenlage der Beteiligten eine Holding bzw. Tochter zu gründen bzw. in eine SE umzuwandeln. Holding und Tochter haben mit der Zusammenführung zweier Gesellschaften auf gleicher Ebene nichts gemein und eine Umwandlung kann an den zusätzlichen Voraussetzungen einer seit mindestens zwei Jahren im Ausland bestehenden Tochtergesellschaft scheitern.818 Für die Verschmelzung steht damit keine echte Alternative zur Verfügung. Was die Gründung einer Holding- bzw. Tochtergesellschaft betrifft, ist die Situation identisch mit derjenigen einer GmbH. Auf die soeben vorgetragene Argumentation hierzu kann daher verwiesen werden. Hinzuzufügen ist einzig, dass bei einem Interesse an einer SE-Holding bzw. SE-Tochter auch auf die weiterhin bestehende Möglichkeit der rechtsformwechselnden Umwandlung (Gründungsszenario 6.) nicht verwiesen werden kann: Wer eine steuernde SE dem eigenen Konzern überordnen bzw. eine abhängige SE in den Konzern eingliedern möchte, dem ist nicht zuzumuten, eine Konzerngesellschaft in eine SE umzuwandeln, um dann im Anschluss durch Beteiligungsveränderungen das Ergebnis zu erzeugen, welches ihm auf anderem Weg verwährt wurde. Auch bei der AG bestehen alternative Gründungsszenarien tatsächlich also gar nicht.
817
SE-VO-Schwarz, Art. 2 SE-VO, Rn. 55 und 43 ff. Zu diesem Zeitkriterium vgl. wiederum Scheifele, Die Gründung der SE, S. 124 f.; SE-VO-Schwarz, Art. 2 SE-VO, Rn. 76. 818
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht Verbannte Gründungsszenarien
SE-VO
Alternative Gründungsszenarien
1. Verschmelzung einer deutschen und einer ausländischen Aktiengesellschaft zu einer SE
Art. 2 I
2. Gründung einer SE-Holding für eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 II a) 3. Gründung einer SE-Holding für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 II b)
4. Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine deutsche und eine ausländische Gesellschaft
Art. 2 III a) 5. Gründung einer SE als Tochter für zwei deutsche Gesellschaften
Art. 2 III b)
8. Gründung einer gemeinsamen SE als Tochter durch eine SE und eine nationale Gesellschaft
Art. 2 III a)
6. rechtsformwechselnde Umwandlung
Art. 2 IV
–
–
–
SE-VO –
Abbildung 8: „Verbannte“ und Alternative Gründungsszenarien für die AG
(g) Zwischenergebnis Der Verweis auf alternative Gründungsvarianten als mildere Mittel scheidet aus, da sich bei einer Gegenüberstellung von verbannten und (potentiell) alternativen Gründungsszenarien wirkliche Entsprechungen kaum bilden lassen. Der Ansatz ist damit zu verwerfen. (bb) Betriebsverfassungsrecht und betriebliche Mitbestimmung Als milderes Mittel gegenüber der Unternehmensmitbestimmung wird vielfach auf die betriebliche Mitbestimmung nach BetrVG verwiesen.819 Bei unbefangener Betrachtung überrascht der Vorschlag, die Mitbestimmung nach MitbestG durch jene nach BetrVG zu ersetzen, weil es sich bei ihr um ein milderes 819 Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (257); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); ders, JZ 2004, 24 (29); ders./Rehm, ZGR 2004, 159 (185); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2477); Müller-Bonanni in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13, Rn. 22; ders., GmbHR 2003, 1235 (1238); Paefgen, DB 2003, 487 (492); Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (668); Veit/Wichert, AG 2004, 14 (17); de lege ferenda Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 (277).
III. Verstoß gegen Art. 43 EG
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Mittel handle. Diese Überraschung betrifft zunächst den grundverschiedenen Wirkungsbereich von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung. Während das MitbestG unternehmerische Mitbestimmung durch gleichberechtigte Beteiligung in einem Gesellschaftsorgan vermittelt, gewährt das BetrVG betriebliche Mitbestimmung, indem bestimmte Entscheidungen auf Betriebsebene – sozusagen am Arbeitsplatz – von der Beteiligung einer gewählten Arbeitnehmervertretung abhängig gemacht werden.820 Damit kommt beiden Formen der Mitbestimmung ergänzende, u. U. auch gegenseitig potenzierende,821 nicht aber substitutive Wirkung zu.822 Einen Grund, der – jedenfalls im Umfeld der SE – für eine gewisse Austauschbarkeit von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung streiten mag, hat unlängst Braun dargestellt: Art. 13 SE-RiL bzw. §§ 22 ff. SEBG sähen als letzte Rückfallebene der Mitbestimmung die Errichtung eines EBR vor, sofern eine unternehmerische Mitbestimmung in der SE nicht vereinbart werden könne. „Die Informations- und Konsultationsrechte des europäischen Betriebsrates werden damit in gewisser Weise als wenn auch vielleicht nicht vollwertiger Ersatz für die unternehmerische Organmitbestimmung angesehen.“823 Damit würden die betriebsbezogenen Rechte des EBR vom europäischen Gesetzgeber als Mindeststandard gewertet, worin zum Ausdruck komme, dass sich beide Beteiligungsformen jedenfalls nicht in ihrem Wesen unterschieden.824 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Position des EBR mit seinen Informations- und Konsultationsrechten825 wesentlich schwächer ausgestaltet ist als diejenige des deutschen Betriebsrates.826 Der EBR ist nicht einmal annähernd so einflussreich wie Mitwirkungsrechte nach §§ 87 ff. BetrVG, Personal-Beteiligungsrechte nach §§ 92 ff. BetrVG und erzwingbarer Sozialplan nach § 112 IV BetrVG den deutschen Betriebsrat ausstatten. Die Rechte des EBR mit „betrieblicher Mitbestimmung“ zu beschreiben, kommt daher einem Euphemismus 820 Vgl. z. B. die Differenzierung zwischen Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmung innerhalb des BetrVG 1952 bei GK-Kraft, 7. Auflage 2002, Vor § 76 BetrVG 1952, Rn. 4. 821 Hierzu Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 465 ff. 822 Sehr deutlich dazu BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (326 ff.) = NJW 1979, 699 (700); so auch Franzen, RdA 2004, 257 (262); GroßKommAktG-Oetker, Vorbem. MitbestG, Rn. 1; ebenfalls Thüsing, ZIP 2004, 381 (387); von einer Potenzierung beider Mitbestimmungen spricht Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 490. 823 Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 191 f. 824 Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 192. 825 Wenngleich die Informationsrechte des EBR in der SE etwas weiter gehen als diejenigen des „normalen“ EBR, so zutreffend Nagel, DB 2004, 1299 (1301). Dies ergibt sich bei einem Vergleich der Kataloge des § 28 SEBG und § 32 EBRG; a. A. Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 298, der einen weitgehenden Gleichlauf beider Regelungen konstatiert. 826 Dies konzediert auch Nagel, DB 2004, 1299 (1301).
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
gleich. In Anbetracht dieser grundverschiedenen Positionierung von EBR und Unternehmensmitbestimmung kann, entgegen der Ansicht Brauns, von einer Anerkennung der beiden Beteiligungsformen durch den europäischen Gesetzgeber als im Wesentlichen gleichwertig keine Rede sein.827 Den Grund, weshalb die SE-RiL für die SE auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene einen gemeinschaftsweiten Mindeststandard der Arbeitnehmerbeteiligung geschaffen hat, wird mit Wißmann eher in folgendem Umstand zu suchen sein: Die Fortschreibung der Informations- und Konsultationsrechte des EBR in der SE führt dazu, „den Prozess gemeinschaftsweiter Gewöhnung an eine institutionalisierte Beteiligung der Arbeitnehmer voranzutreiben.“828 Für diese Sichtweise spricht Erwägungsgrund 6 der SE-RiL, nach dem „in allen Fällen der Gründung einer SE [das] Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren auf grenzüberschreitender Ebene gewährleistet sein“ soll. Da insofern die Kumulation von Unterrichtungs- und Anhörungsrechten einerseits und die Mitbestimmung in Unternehmensorganen andererseits vom europäischen Gesetzgeber augenscheinlich vorgesehen ist, muss ein substitutiver Charakter der beiden Beteiligungsformen nach dem Verständnis Brauns ausscheiden. Ein vielversprechenderer Ansatz lässt sich indessen in der Rechtsprechung des EuGH finden. Stellt man die komplementäre Wirkungsrichtung von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung in einem Erforderlichkeitsvergleich gegenüber, ist der besonderen Rechtsprechung des EuGH für derartige Vergleiche Beachtung zu schenken. Nach ihr gilt eine weniger beschränkende Maßnahme bereits dann als geeignet, wenn sie die gleichermaßen vollständige und effektive Zielverwirklichung nicht gewährleisten kann.829 Unterschiedliche Vorschriften müssen nach Ansicht des EuGH nicht mit identischer Wirksamkeit ausgestattet sein, denn „allgemein ein gleiches Maß an [. . .] [Schutz wird garantiert], selbst wenn eine Methode im Einzelfall einen stärkeren Schutz gewähren kann als eine andere.“830
827 So auch Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 195 f.; weiter hingegen Zimmer in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 365, 375 f. 828 Wißmann, FS für Wiedemann, S. 685, 696. 829 EuGH, Urteil vom 04.12.1986, Rs. 205/84, Kom./Deutschland, Slg. 1986, 3755, Rn. 42–50 = NJW 1987, 572 (575 f.); EuGH Urteil vom 06.06.1996, Rs. C-101/94, Kom./Italien, Slg. 1996, I-2691, Rn. 17 und 21–24 = EuZW 1996, 571 (572); EuGH, Urteil vom 15.05.1997, Rs. C-250/95, Futura Participations SA, Singer/Administration des contributions, Slg. 1997, I-2471, Rn. 36–42 = DStRE 1997, 514 (516); siehe auch Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Vor Art. 39–55 EGV, Rn. 158; ebenso StreinzSchroeder, Art. 30 EG, Rn. 53 und auch Koch, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz S. 214– 217; gleichfalls Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (173); übersehen z. B. von Streinz-Müller-Graff, Art. 43 EG, Rn. 80. 830 EuGH, Urteil vom 06.06.1996, Rs. C-101/94, Kom./Italien, Slg. 1996, I-2691, Rn. 17 = EuZW 1996, 571 (572).
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Damit stellen die europäischen Richter im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht nicht darauf ab, ob ein gleich wirksames Mittel gegebenenfalls weniger tief in ein Recht eingreift, sondern es kommt allein darauf an, „ob das mit dem Eingriff verfolgte Ziel [wie etwa Arbeitnehmerschutz] auf andere Weise – wenn auch nicht in gleichem Umfang – überhaupt erreicht werden kann.“831 Diese besondere Form des Erforderlichkeitsvergleichs ist Folge der vom EuGH durchgeführten Verbindung der Prüfungsschritte Erforderlichkeit und Angemessenheit zu einer einheitlichen Prüfung.832 Auch im Inspire Art-Urteil illustriert der EuGH diesen Gedankengang. Die europäischen Richter erklären „ohne weitere Prüfung“833 das zum Gläubigerschutz vom niederländischen Gesellschaftsrecht vorgesehene Mindestkapitalerfordernis für unvereinbar mit europäischem Primärrecht. Die Argumentationslinie hinter dieser Aussage geht wiederum auf das Informationsmodell zurück und lautet wie folgt: Die Gesellschaft Inspire Art trete als Gesellschaft englischen und nicht niederländischen Rechts auf. Hiermit seien ihre potentiellen Gläubiger hinreichend darüber unterrichtet, dass sie anderen Rechtsvorschriften als denen unterläge, die für niederländische Gesellschaften mit beschränkter Haftung einschlägig seien, unter anderem was das Mindestkapital betreffe.834 Wegen der Firma einer Auslandsgesellschaft wären Gläubiger damit in der Lage, sich auf die andersartige Haftungsstruktur der Auslandsgesellschaft einzustellen. Unabhängig von diesen Standpunkten des Gerichtshofes wird niemand leugnen wollen, dass ein Mindestkapitalerfordernis für den Gläubigerschutz in jedem Fall die umfangreichere Absicherung vermittelt. Darauf kommt es nach europäischem Recht allerdings nicht an. Vor dem Hintergrund dieser Prämisse sind betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung „europarechtlich“ tatsächlich weniger komplementär, als es zunächst erscheint. Bei den zahlreichen mit der unternehmerischen Mitbestimmung verfolgten Zielsetzungen835 kommt der Funktion, die sich als „Arbeitnehmerschutz“ zusammenfassen lässt, sicherlich die größte und wichtigste Bedeutung zu. Wesentliche Aspekte dieses Arbeitnehmerschutzes lassen sich bereits durch betriebliche Mitbestimmung sicherstellen. Grund hierfür ist, dass die unternehmerische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat einer Gesellschaft viel831 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (173), wobei die Fundstelle im Original nicht den Arbeitnehmerschutz sondern der Gläubigerschutz betrifft. 832 Siehe hierzu bereits Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2). 833 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 135 = NJW 2003, 3331 (3334). 834 EuGH, Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155, Rn. 135 = NJW 2003, 3331 (3334). 835 Vgl. hierzu die sehr gute Darstellung bei Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 42 ff.
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fach die gleichen Funktionen wie auch ein Betriebsrat wahrnimmt. So ist zu beobachten, dass strategische Überlegungen im Aufsichtsrat oftmals vorschnell mit den personalpolitischen Details ihrer Umsetzung überfrachtet werden.836 Arbeitsplätze lassen sich allerdings auch schon durch die Schutzmechanismen der §§ 92 ff. BetrVG sichern. Selbst in „wirtschaftlichen Angelegenheiten“ räumt das BetrVG ein Beteiligungsrecht der Arbeitnehmer ein. So ist ein Wirtschaftsausschuss nach §§ 106 ff. BetrVG zu bilden837 und gemäß §§ 111 ff. BetrVG stehen bei Betriebsänderungen Interessenausgleich und Sozialpan für den Schutz der Arbeitnehmerinteressen zur Verfügung.838 Insofern kann es sogar zu Überschneidungen zwischen unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung kommen.839 Nicht zuletzt die vielfach beobachtete Ämterhäufung von Betriebs- und Aufsichtsratsmandat840 dürfte einen wesentlichen Grund dafür bilden, dass unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung praktisch recht nahe beieinander anzusiedeln sind. Letztlich führt all dies aber nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die Arbeitnehmer durch unternehmerische Mitbestimmung in den unternehmerischen Entscheidungsprozess mit einbezogen sind, der auf der Ebene der betrieblichen Mitbestimmung ausschließlich umgesetzt, aber kaum mehr abgeändert werden kann.841 Ausdrücklich zurückzuweisen ist daher auch der Vorwurf, hier werde betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung gleichgesetzt bzw. miteinander verwechselt. Nimmt man allerdings die Rechtsprechung des EuGH ernst, nach der weniger beschränkende Maßnahmen bereits dann geeignet sind, wenn sie nicht die gleichermaßen vollständige und effektive Zielverwirklichung gewährleisten, dann ist eine starke betriebliche Mitbestimmung in Kombination mit unternehmerischer Mitbestimmung, die unterhalb der Parität angesiedelt ist, sicherlich eine vielversprechende Option. Schließlich hilft auch dieser Gedanke nicht über einen anderen Einwand hinweg, der wie folgt zu formulieren ist: Betriebliche Mitbestimmung nach BetrVG findet ausschließlich auf in Deutschland belegene Betriebe Anwendung, denn auch für das BetrVG gilt das Territorialitätsprinzip.842 Auf Betriebe 836 Junker, ZfA 2005, 1 (42); Schiessel, ZHR 167 (2003), 235 (240); so auch Sandrock, ZvglRWiss 102 (2003), 447 (490) und ders., AG 2004, 57 (60); andere sehen darin einen Vorteil, so Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 95 f. und 167. 837 Zimmer in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 365, 374 schlägt u. a. ein dem Wirtschaftsausschuss vergleichbares Gremium als vom Gesellschaftsrecht emanzipierte Mitbestimmungslösung vor. 838 Diese Ansicht teilt auch das BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (326 ff.) = NJW 1979, 699 (700). 839 Hierzu eingehend Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 189 f. 840 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 21. 841 Rehberg in: Auslandskapitalgesellschaften, § 6, Rn. 71; so auch Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 190.
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im Ausland ist es daher nicht anwendbar. Wenngleich in dem Zwischenbereich der Arbeitnehmerentsendung zum Teil andere Ergebnisse denkbar sind, gilt auch im Fall der dauerhaften Entsendung eines Arbeitnehmers in einen anderen Staat der Grundsatz lex loci laboris.843 Alle SE-Teile, die im Ausland angesiedelt werden, können von den Schutzmechanismen des BetrVG damit nicht erfasst werden. Dem BetrVG gegenüber dem MitbestG den Vorzug zu geben, ist daher im Fall der SE besonders problematisch. Würde man die Mitbestimmung nach MitbestG durch jene nach BetrVG ersetzen, würden jedenfalls die SE-Arbeitnehmer, die nicht in Deutschland beschäftig sind, praktisch schutzlos gestellt, soweit es die Mitbestimmung betrifft. Für in- und ausländische Arbeitnehmer derselben SE gäbe es unterschiedliche Mitbestimmungsrechte. Bei diesem Befund ist man allzu sehr an die schon zum MitbestG immer wieder erhobene Kritik erinnert, die anmahnt, ausländische Arbeitnehmer nicht von den Aufsichtsratswahlen auszuschließen.844 Die abzuleitende Schlussfolgerung begrenzt das Argumentationsfeld zu einer Seite hin: Als Substitut für die unternehmerische Mitbestimmung kommen die Vorschriften des BetrVG bei der SE nicht in Betracht. Innerhalb Deutschlands könnte sie allerdings bei Beachtung der Vorgaben des EuGH zum Erforderlichkeitsvergleich zweier Mittel durchaus als das mildere von beiden angesehen werden. (cc) Drittelbeteiligung Erst wenige Worte wurden über die Eignung eines Ansatzes verloren, den auch der deutsche Gesetzgeber bereits normiert hat. Es handelt sich um die auch im restlichen Europa weithin bekannte845 unternehmerische Mitbestimmung, die unterhalb der Parität auf die Drittelbeteiligung ausgelegt ist. In Deutschland ist sie seit einiger Zeit im DrittelbG kodifiziert. Gänzlich unbrauchbar zur Erreichung der mit Unternehmensmitbestimmung verfolgten Ziele kann die Arbeitnehmerbeteiligung nach dem DrittelbG wohl nicht sein. Diesen Standpunkt zu vertreten hieße, dem erst 2004 erlassenen DrittelbG ebenso wie seinem Vorgängergesetz, dem BetrVG 1952, insgesamt die Sinnhaftigkeit und Eignung abzusprechen. Die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber die Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen in Unternehmen mit Arbeitnehmerzahlen von regelmäßig 500–1.999 schon seit mehr als 50 Jahren an den Drittelstandard anlehnt, dürfte ein guter Grund sein, die Drittelbeteiligung als effektives Mittel zur Wahrung der Arbeitnehmerinteressen auf Unternehmensebene anzuerkennen. Man könnte hierin ein gesetzgeberisches Einge842 843 844 845
Statt aller BetrVG-Richardi, Einleitung, Rn. 66 m.w. N. Statt aller BetrVG-Richardi, Einleitung, Rn. 76 m.w. N. Siehe hierzu bereits oben C. II. 1. c) bb) (2). Siehe hierzu Kapitel A. I.
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ständnis zur effektiven Funktionsfähigkeit der Drittelbeteiligung erblicken. „Milder“ im Sinne des Erforderlichkeitsvergleichs ist das Mittel allemal. „Die Möglichkeit des Gesprächs zwischen Management, Arbeitnehmervertretern und Anteilseignervertretern in dem festen institutionellen Rahmen des Aufsichtsrates wird damit nicht eingeschränkt.“846 Sämtliche im vorstehenden Kapitel skizzierten Probleme der paritätischen Mitbestimmung stellen sich im Falle der Drittelbeteiligung gar nicht oder höchstens in stark abgemilderter Form; dies wurde bereits dargelegt.847 Die fortbestehenden Probleme – etwa im Bereich der Informationslücken durch Arbeitnehmervertreter in Gesellschaftsorganen – sind im Verhältnis marginal und lassen die Drittelbeteiligung bei Abwägung mit ihren integrativen Vorteilen als realistischen und vielversprechenden Mittelweg erscheinen.848 Bei einem internationalen Zusammenschluss ist die Drittelbeteiligung „leichter konsensfähig [. . .], als die numerische Parität.“849 Jedenfalls für monistisch verfasste Gesellschaften hat auch der europäische Gesetzgeber erkannt, dass eine parititätische Mitbestimmung im Verwaltungsrat zu kaum lösbaren Friktionen führt. Entsprechend hat er in seinem jüngsten gesellschaftsrechtlichen Projekt, der „Verschmelzungsrichtlinie“ 2005/56/EG, die Möglichkeit einer Begrenzung der Arbeitnehmermitbestimmung auf 1/3 des Verwaltungsrates vorgesehen.850 846
Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 195. Siehe hierzu die Darstellung auf S. 89 ff.; a. A. Braun, Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, S. 216; v. Werder, AG 2004, 166 (172), der auch bei einer Drittelbeteiligung vom Fortbestehen zentraler Mitbestimmungsfriktionen für die Überwachungseffizienz des Aufsichtsrates ausgeht. Kritisch auch Rieble in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 10, 27. 848 So auch Ganske, Mitbestimmung, Property-Rights-Ansatz und Transaktionskostentheorie, S. 234; Henssler in: Co-Determination in the EU, S. 133, 157; Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 472; Müller, Die Bank 2002, 544 (546); Neubürger in: Handbuch Corporate Governance, S. 177, 195; ders. in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 123, 131, allerdings einschränkend; Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 501 f. der die Drittelbeteiligung allerdings nicht im Verwaltungsrat sehen möchte, sondern hier die Einrichtung eines Konsultationsgremiums vorschlägt; Zander/Popp, Der Aufsichtsrat 07–08/2005, 14; offenbar auch Oetker in: Lutter/Hommelhoff, S. 277, 317; gegen diesen „harten Systemwechsel“ hingegen Klebe/Köstler, FS für Wißmann, S. 443, 445. Die grundsätzliche Vergleichbarkeit von Drittelbeteiligung und paritätischer Mitbestimmung konzediert auch Franzen, RdA 2004, 257 (263). Daher hält er die Sonderanknüpfung deutschen Mitbestimmungsrechts bei ausländischen Gesellschaften für nicht „erforderlich“ sofern das Gründungsstatut der Auslandsgesellschaft bereits selbst die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer sicherstellt. Sie „dürfte dem Erfordernis einer angemessenen Anzahl von Arbeitnehmervertretern im entsprechenden Unternehmensorgan gerecht werden.“ Für die Anwendbarkeit der Drittelbeteiligung als das in Europa am weitesten verbreitete Mitbestimmungsmodell auch in der gesetzlichen Auffangregelung bei der SE de lege ferenda Henssler in: Ulmer/ Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Einleitung SEBG, Rn. 193; zu dieser möglichen Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung auch v. Werder, Modernisierung der Mitbestimmung, S. 20. 849 Heinze/Seifert/Teichmann, BB 2005, 2524 (2526). 847
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Berücksichtigt man außerdem die zuvor schon erwähnte EuGH-Rechtsprechung,851 nach der ein milderes Mittel bereits dann in Betracht zu ziehen ist, wenn es das angestrebte Ziel nur annähernd gleich erfüllt, dann spricht alles gegen die Erforderlichkeit der paritätischen Mitbestimmung nach europäischem Recht852 und vieles für das in Europa weithin akzeptierte Modell der Drittelbeteiligung. Eine Anpassung der deutschen Idealvorstellung von Mitbestimmung an ein europäisches Modell ist dringend erforderlich.853 Die SE eignet sich hierzu vorzüglich, denn die Rechtsgrundlage der SE-VO ist auf „Bewegung, auf Anpassung, auf Wandel und damit auch auf faktische Harmonisierung angelegt“.854 3. Ergebnis Mit der Einführung der SE und der Erstreckung der nationalen Mitbestimmungsregelungen auf diese grenzüberschreitend tätige Gesellschaftsform ist Mitbestimmungsrecht erstmals an europäischen Grundfreiheiten zu messen. Die Vorschriften des MitbestG konstituieren einen Eingriff in das europarechtlich durch Art. 43 EG garantierte Recht der freien Niederlassung, denn durch ihre Wirkung behindert das MitbestG bereits die Gründung einer SE erheblich.855 Neben diese Schwierigkeiten in der Gründungsphase treten die der paritätischen Mitbestimmung immanenten Friktionen, die eine freie Wahl des Partners zur 850 Diese Regelung findet sich in Art. 16 IV lit. c) der RiL 2005/56/EG, sie lautet: „Sie [die Mitgliedstaaten] können in dem Fall, dass nach vorherigen Verhandlungen die Auffangregelung gilt, und ungeachtet dieser Regelung beschließen, den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu begrenzen. Bestand jedoch das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu mindestens einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern, so darf die Begrenzung in keinem Fall dazu führen, dass die Arbeitnehmervertretung im Verwaltungsorgan weniger als ein Drittel beträgt.“ Deutschland hat von dieser Regelung allerdings bislang keinen Gebrauch gemacht. Als Folge der RiL 2005/56/EG sieht Forsthoff, NZG 2006, 613 ff. „Handlungszwang bei der Mitbestimmungsreform“. 851 Siehe oben Fußnote 829. 852 Bei rein nationalen Sachverhalten mag man mangels Anwendbarkeit von Europäischem Recht wie das BVerfG zu einem anderen Ergebnis kommen, BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (350 ff.) = NJW 1979, 699 (705). Die paritätische Mitbestimmung „kann nicht als ungeeignet oder nicht erforderlich angesehen werden, diesen Zweck zu erreichen, auch wenn sich nicht ausschließen läßt, daß namentlich in der ersten Phase Reibungsverluste auftreten werden, die dem verfolgten Zweck möglicherweise eher zuwiderlaufen.“ 853 Müller, Die Bank 2002, 544 (546). 854 Kübler, FS für Raiser, S. 247, 248, Hervorhebung durch den Verfasser. Im weiteren muss Kübler allerdings konzedieren, dass die SE-RiL im Gegensatz dazu auf „Beharrung“ ausgerichtet ist und beide Rechtsgrundlagen „auf divergierende Ziele angelegt [sind], die mit der Aufgabe ihrer Harmonisierung konfrontieren.“ 855 Siehe hierzu Abschnitt C. II. 2. und C. III. 1. d) bb).
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gemeinschaftlichen SE-Gründung nicht mehr zulassen. Ganz besonders schwierig wird die erfolgreiche SE-Gründung bei Wahl des monistischen Verwaltungssystems. Den durch die Rechtsprechung des EuGH ausmodulierten Anforderungen an eine Rechtfertigung nach der Gebhard-Formel kann das MitbestG indessen nicht gerecht werden. Schon das Postulat durch seine Vorschriften sei ein „zwingender Grund des Allgemeinwohls“ verwirklicht, ist in Anbetracht der im Ergebnis durchgreifenden Übermacht der Gegenargumente kaum mehr vertretbar. Aber selbst wenn man mit zweifelhaften Argumenten dieses Kriterium annähme, kann das MitbestG auch den europarechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nicht genügen. Bereits die Geeignetheit der Mitbestimmung zur Zweckverfolgung ist aufgrund der vielen verschiedenen Mitbestimmungsregelungen und -standards kaum überzeugend begründbar. Jedenfalls aber an der Erforderlichkeit paritätischer Mitbestimmung muss eine Rechtfertigungsprüfung scheitern, da der übermäßige Nutzen paritätischer Mitbestimmung gegenüber der Drittelbeteiligung – insbesondere vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zum Erforderlichkeitsvergleich – nicht plausibel zu erklären ist. Damit verstößt das MitbestG gegen europäisches Recht. Es muss „unter europäischen Corporate-Governance-Aspekten neu überdacht werden, da es nicht ausreicht, um für deutsche Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen am europäischen Markt zu schaffen.“856 4. Keine Möglichkeit europarechtskonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung Das abschließende Urteil der Unvereinbarkeit des MitbestG mit europäischem Primärrecht ist allerdings nur dann zutreffend, wenn eine korrigierende, europarechtskonforme Auslegung der Normen des MitbestG ausscheidet. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung greift spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist ein.857 Europarechtskonforme Auslegung ist dann unproblematisch, wenn es sich hierbei tatsächlich um eine „Auslegung“ handelt, die also unter Zuhilfenahme der anerkannten rechtsdogmatischen Methoden durchgeführt werden kann.858 Soweit es den 50%igen Anteil der Arbeitnehmermitwir-
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Müller, Die Bank 2002, 544 (546). So wohl nun EuGH, Urteil vom 22.11.2005, Rs. C 144/04, Mangold/Helm, BB 2005, 2748 (2752, Rn. 66). Zuvor war anerkannt, dass diese Pflicht erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist entstand; vgl. EuGH, Urteil vom 27.06.2000, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Océano Grupo Editorial SA/Roció Murciano Quintero, u. a., Slg. 2000, I-4941, Rn. 31 = EWS 2000, 356 (358). 858 EuGH, Urteil vom 27.06.2000, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Océano Grupo Editorial SA/Roció Murciano Quintero, u. a., Slg. 2000, I-4941, Rn. 30 = EWS 2000, 356 (358). 857
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kung im Aufsichtsorgan betrifft, ist eine solche Auslegung deswegen ausgeschlossen. Die zentrale Vorschrift des § 7 MitbestG ist eindeutig: „Der Aufsichtsrat eines Unternehmens [von bestimmter Größe] 1. [. . .] setzt sich zusammen aus je sechs Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer; 2. [. . .] setzt sich zusammen aus je acht Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer; 3. [. . .] setzt sich zusammen aus je zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer.“
Etwa im Fall der Nr. 2 zu einer Auslegung zu gelangen, die dem Grundsatz der Drittelbeteiligung Rechnung trüge und lauten könnte: Der Aufsichtsrat des Unternehmens „[. . .] setzt sich zusammen aus zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und fünf Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer;“
wäre ohne Zweifel contra legem und damit unzulässig.859 Angesichts des miteinander unvereinbaren Unterschiedes der Zahlen „acht“ mit „zehn“ und „fünf“ bestehen insofern keine Zweifel. Vorstehendes Zwischenergebnis gibt allerdings noch keine Auskunft über die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung der Vorschriften des MitbestG. Die fließende Grenze zwischen Auslegung einerseits und Rechtsfortbildung andererseits bildet nach herrschender deutscher Methodenlehre der mögliche Wortsinn.860 Jenseits der Wortlautgrenze beginnt die Rechtsfortbildung. In den verfassungsrechtlichen Grenzen ist eine solche Rechtsfortbildung dem Grunde nach zulässig,861 denn oft genug besteht ein Bedürfnis richterrechtlicher Anpassung des bestehenden Rechts.862 Sie ist nach der Rechtsprechung des BVerfG etwa dann anerkannt, wenn eine Änderung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Verhältnisse die Anpassung erfordern. Seine Rechtfertigung findet dieses Vorgehen darin, „[. . .] daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann.“863
859 Canaris, FS für Bydlinski, S. 47, 95 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 95 f.; restriktiv auch Prechal, Directives in European Community Law, S. 227 f. 860 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. und aus jüngerer Zeit Riesenhuber/ Domröse, RIW 2005, 47 (50). 861 Hierzu aus jüngerer Zeit W.-H. Roth, EWS 2005, 385 (393 ff.). 862 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. 863 BVerfG, Urteil vom 03.04.1990, 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6 (12) = NJW 1990, 1593 (1593 f.).
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Insbesondere dieser Gedanke scheint für den Fall des MitbestG aus Anlass der rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen der jüngeren Geschichte wie geschaffen. Allerdings zog das BVerfG schon im Mitbestimmungsurteil eine sehr deutliche Grenze: „Das Mitbestimmungsgesetz technisch zu verbessern, offengebliebene Fragen zu regeln und etwaige Friktionen abzumildern, obliegt dem Gesetzgeber.“864
Diese Sichtweise wurde später vom BGH aufgegriffen. Etwas allgemeiner formulierten die Karlsruher Richter: „Es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, den auf politischem Wege gefundenen Mitbestimmungskompromiss durch eine – wie auch immer geartete – Rechtsfortbildung zu korrigieren. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, das MitbestG den neuen Gegebenheiten anzupassen [. . .].“865
Diese Äußerungen sind nicht interpretationsbedürftig. Eine rechtsfortbildende, die Europarechtskonformität herstellende Auslegung des MitbestG ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung unzulässig. Die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen ist Aufgabe des Gesetzgebers.
IV. Schlussfolgerungen „Was immer zu Beginn des 21. Jahrhunderts die tatsächlichen Gründe für die fehlende Akzeptanz des deutschen Sonderwegs [bei der Mitbestimmung] sein mögen, über die Normativität des Faktischen wird man nur schwerlich (richtigerweise gar nicht) streiten können: Mittlerweile wird Deutschland von vielen wegen seines Festhaltens an den starren Regeln des Betriebsverfassungs-, des Drittelbeteiligungs-, des Mitbestimmungs-, des Montanmitbestimmungsgesetzes und all der Gesetze, die zur Bewahrung des letzteren beschlossen worden sind, allenfalls noch mildtätig belächelt.“866 Eine der am deutlichsten sichtbaren Auswirkungen der Internationalisierung der Märkte und des globalen Wettbewerbs ist die Notwendigkeit einer Optimierung aller wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften. Dieses gemeinsame Ziel kann nur im Wege einer Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure verfolgt werden.867 An der Wahrheit dieser Erkenntnis hat sich auch bald 10 Jahre nach Veröffentlichung des Davignon-Berichts nichts geändert. Neu ist allerdings der Rahmen, aus dem die möglichen Lösungen geschöpft werden können; paritätische Mitbestimmung deutscher Provenienz kommt dafür nicht mehr in Betracht. Schon das BVerfG gab in seinem Mitbestimmungsurteil zu bedenken: 864 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (336) = NJW 1979, 699 (702). 865 BGH, Beschluß vom 24.02.97, II ZB 11/96, BGHZ 134, 392 (400) = NJW 1997, 1923 (1925). 866 Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 490. 867 Davignon-Bericht, S. 4, Rn. 18, abgedruckt in BR-Drs. 572/97, S. 6.
IV. Schlussfolgerungen
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„Wie sich die im Gesetz vorgesehene erweiterte Mitbestimmung unter veränderten Voraussetzungen etwa denjenigen einer Verknappung der Ressourcen, neuer Technologien, geringeren oder gar sinkenden Wachstums, inter- und supranationaler Verflechtungen und Abhängigkeiten aber auch eines Wandels der gesellschaftlichen Anschauungen auswirken wird, ist heute nicht abzusehen.“868
Die rechtlichen Voraussetzungen haben sich für den deutschen Gesetzgeber nicht zuletzt mit Schaffung der SE wesentlich verändert. Die EuGH-Urteile Centros, Überseering und Inspire Art haben inzwischen eine Signalwirkung entfaltet, und es wird „in Sachen Unternehmensmitbestimmung eine Einbahnstraße (weg von der Unternehmensmitbestimmung) geben.“869 So hilft es auch nicht zu konstatieren, „es untergraben Veränderungen in der Struktur von Unternehmen, Betrieben und Arbeitsverhältnissen wichtige faktische Voraussetzungen der Wirksamkeit der Mitbestimmung in ihren bestehenden Formen und drohen, ihre rechtlichen Ressourcen zu entwerten.“870 Die Weltsicht, die hinter dieser Aussage steckt, muss überraschen, denn hier scheinen Mittel und Zweck, Ursache und Wirkung, Postulat und Schlussfolgerung vertauscht worden zu sein, um an Gewohntem und Liebgewonnenem festhalten zu können. Die Verfassungsrichter räumten dem Gesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum für die Frage ein, wie sich die Mitbestimmung auswirken würde. So war es möglich, 1979 die Annahme des Gesetzgebers „als vertretbar anzusehen, mag sie sich später auch teilweise oder gänzlich als Irrtum erweisen, so dass der Gesetzgeber zur Korrektur verpflichtet ist.“871
Mit dem Zugeständnis dieses weiten Beurteilungsspielraums ging die Aufforderung einher, die ursprünglichen Annahmen zu korrigieren, sofern dies notwendig würde. „Sollte sich freilich die Prognose des Gesetzgebers, dass das Mitbestimmungsgesetz nicht zu nachhaltigen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Unternehmen führen werde, im Verlauf der Entwicklung nicht bestätigen, so wäre der Gesetzgeber [. . .] zu einer Korrektur verpflichtet.“872
Der Zeitpunkt erforderlicher Anpassungen ist nun gekommen.873 Der deutsche Gesetzgeber sollte nicht mit seinen Anstrengungen warten, die überholten
868 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (332) = NJW 1979, 699 (701). 869 Klosterkemper, FS für Wißmann, S. 456, 457. 870 Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, 1998, S. 38 f. 871 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (335) = NJW 1979, 699 (702). 872 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (352) = NJW 1979, 699 (704). 873 So auch Wolf, FS für Wißmann, S. 489, 501 ff. mit detaillierten Reformüberlegungen für die deutsche Mitbestimmung.
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
Mitbestimmungsgesetze zu renovieren,874 bis ihm die Handlungspflicht aus Luxemburg vorgeschrieben wird.875 Zwar ist die Grundentscheidung für eine interessenpluralistische Unternehmensverfassung gefallen876 und auch das BVerfG hat diese Entscheidung gebilligt, allerdings „ungeachtet ihrer Ausgestaltung im Einzelnen“.877
Auf dem bisher eingeschlagenen Weg kann das „Erfolgsmodell der deutschen Mitbestimmung“ nicht „modern und europatauglich“ ausgestaltet werden.878 Denn es spricht „einiges dafür, dass eine Entscheidung des EuGH auch in punkto Bestandsschutz der Beteiligungsrechte die Regelungen der SE überholen wird, wie es schon bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung geschehen ist.“879 Im Sinne deutscher Unternehmen ist es nun indiziert, im deutschen Recht die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen und eine Angleichung880 an den europäischen Standard der Drittelbeteiligung durchzuführen. Wie auch immer man es wenden möchte: „Die deutsche Mitbestimmung endet in Europa.“881
874 Der schlechte SE Mitbestimmungskompromiss führt nach Weiß, Workers’ Involvement in the European Company, S. 63, 78 nicht zu einer Verbreitung, sondern eher zu einer Beschränkung von Unternehmensmitbestimmung „[. . .] it could increase the pressure to deconstruct such participation schemes also in the framework of the national legislation. This scenario is much more plausible than the expectation that the guarantee of maintenance of the participation level will lead to an export of participation patterns in countries not yet acquainted with them.“ 875 „Some member states, confronted with the threat of regulatory competition will certrainly prefer to halt the tide by pleading for further harmonization. Only by harmonizing will these states be able to protect their present system.“ so Wymeersch in: Liber Amicorum Buxbaum, S. 629, 653; in eine ähnliche Richtung auch Gildea, Überseering: A European Company Passport, 30 Brook. J. Int’l L. 257 292 (2004): „The Überseering decision [. . .] sends a clear message that ambiguities will be resolved in favor of the Community and the single market.“ 876 Windbichler/Bachmann, FS für Bezzenberger, S. 797, 804; so auch Höpner, Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss, S. 30 ff. Diese Entscheidung betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa, was auch für die auf Konflikt und Antagonismus angelegte Mitgliedstaaten – wie Großbritannien – einen nicht einfach zu bewältigenden Anpassungsprozess bedeutet; hierzu Weiß, NZA 2003, 177 (184). 877 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979, 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (351) = NJW 1979, 699 (704). 878 So vereinbart im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom September 2005 auf S. 38, abrufbar unter http://www.cducsu.de/upload/koalitionsvertrag, (Stand 10. Februar 2007). 879 Steinberg, Mitbestimmung in der SE, S. 243 f. 880 Als wesentliche Wirkung der Einführung einer europäischen Gesellschaftsform SE benannte schon Ulmer in: Probleme moderner Unternehmensführung 1972, S. 259, 265 die Rechtsvereinheitlichung und die daran anschließende Integration der Märkte. 881 Junker, NJW 2004, 728 (730).
V. Zusammenfassung in Thesen
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V. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Auffangregelung des § 34 SEBG, welche die gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen bei der SE zur Anwendung bringt, gilt auch für die derivative Sekundärgründung. Im Zweifel setzt sich der höchste Mitbestimmungsstandard bei der Gründung einer SE durch. Sofern eine deutsche paritätisch mitbestimmte Gesellschaft an der SE-Gründung beteiligt ist, erstreckt sich dieses Niveau der Mitbestimmung auch auf die SE. 2. Das Verhandlungsverfahren, welches dem Eingreifen der Auffangregelung vorgeschaltet ist, macht das Erreichen geeigneter Mitbestimmungskompromisse für die Verhandlungspartner schwierig. Die Verhandlungsmacht ist hierbei asymmetrisch verteilt und der Einigungswille der Arbeitnehmer wird regelmäßig kaum vorliegen, da die Auffangregelung bereits zwingend das maximale verfassungsrechtlich zulässige Mitbestimmungsniveau vorschreibt. 3. Die Probleme des Verhandlungsverfahrens wie auch ungelöste CorporateGovernance-Konflikte paritätischer Mitbestimmung lassen deutsche Unternehmen für SE-Gründungen mit ausländischen Partnern praktisch ausscheiden. 4. Die Einführung der SE hat zur Folge, dass das MitbestG erstmals auch auf grenüberschreitende Sachverhalte Anwendung findet. 5. Für jede SE-Gründung ist der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG eröffnet, denn es handelt sich hierbei in jedem denkbaren Gründungsszenario um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen an der Gesellschaftsgründung ein deutscher Gründer teilnimmt und die SE ihren Sitz in Deutschand nimmt. 6. Die von der paritätischen Mitbestimmung ausgehende „sonstige Beschränkung“ i. S. d. Art. 43 EG ist im deutschen MitbestG zu verorten, denn bei den übrigen europäischen und nationalen Mitbestimmungsvorschriften für die SE handelt es sich um inhaltsleere Blankettnormen. 7. Eine „sonstige Beschränkung“ aufgrund etablierter nationaler Regelungen ist mit der hier behandelten Situation nur dann vergleichbar, wenn folgende fünf Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens ist es erforderlich, dass die Gesetzeslage eines einzigen Mitgliedstaats keine irgendwie geartete qualitative oder quantitative Entsprechung in den übrigen Mitgliedstaaten hat, wobei – zweitens – die restlichen Mitgliedstaaten auch keine Regelungen kennen, die im Ergebnis – wenn auch auf anderem Wege – zu einer faktisch vergleichbaren Behandlung der Situation führen. Drittens ist es darüber hinaus erforderlich, dass alle übrigen Mitglieder der Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit diese singuläre Regelgung des „Einzelgänger-Mitglied-
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C. Vereinbarkeit der SE mit europäischem Recht
staats“ als inakzeptabel ablehnen. Viertens muss es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handeln. Schließlich und fünftens muss das außergewöhnliche legislative Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten zu einer manifesten Benachteiligung der Wirtschaftsteilnehmer dieses Mitgliedstaats führen. 8. Eine Rechtfertigung der vom MitbestG ausgehenden Beschränkungen anhand der „Gründe zwingender Allgemeinwohlinteressen“ scheidet aus, da in der paritätischen Mitbestimmung kein zwingendes Allgemeinwohlinteresse zu erblicken ist. 9. Eine Rechtfertigung aufgrund der „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ scheidet aber auch deshalb aus, weil die Regelungen der paritätischen Mitbestimmung weder geeignet noch erforderlich sind, das angestrebte Regelungsziel durchzusetzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zum Erforderlichkeitsvergleich. 10. Eine europarechtskonforme Auslegung des MitbestG kommt nicht in Betracht. 11. Das MitbestG ist dahingehend zu modifizieren, dass der gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungsstandard auf 1/3 abgesenkt wird. Konzernrechtliche Regelungen etc. können beibehalten werden. In einem weiteren Schritt sollten dann die Vorschriften von MitbestG und DrittelbG vereinheitlicht und in einem neuen MitbestG zusammengeführt werden.
Allianz Suisse
Lloyd Adriatico 69.8%
3.3%
48.3%
Allianz Seguros
Allianz Portugal
48.3%
64.9%
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30.2%
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Frankfurter
BVB
100%
51.7%
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Allianz SE
100%
RAS 100%
55.4%
Allianz Seguros
AGF
Allianz Portugal
Allianz Elementar
Allianz Suisse
Lloyd Adriatico
RAS
Germany Holding
Post-transaction structure
91%
Quelle: Verschmelzungsbericht der Allianz AG S. 144 f.
100%
90%
German P/C
German Health
German Life
Allianz AG
Pre-transaction structure
48.3%
Anlage 1: Umstrukturierung der Allianz AG und RAS vor und nach erfolgter Verschmelzung zur Allianz SE
Anlage 1 207
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Stichwortverzeichnis Anreize zur SE-Gründung – ökonomische 19 – psychische 24 Arbeitnehmerlose SE 34 Auffangregelung – als Druckmittel 61 – Eingreifen bei der Primärgründung 35 – Eingreifen bei der Sekundärgründung 36 – Hintergrund 34 – Inhalt 41 Aufsichtsrat – Flexibilisierung 72 – Größe 71 – Informationsasymmetrie 76 – Internationalisierung 74 – Unabhängigkeit der Mitglieder 68 – Zusammensetzung 74 Auslandsbezug des Niederlassungsvorgangs – Charakteristikum 99, 112 – Inländerdiskriminierung 112 – Niederlassung im Ausland 111 – Niederlassung in Deutschland 111 – Normalfall 98 – Rückkehrerfall 104 – Wegzugsfall 100 besonderes Verhandlungsgremium – Bildung 33 – Mangelnder Einigungswille 58 – Zusammensetzung 33 Beteiligte Gesellschaft 37, 125 Betriebliche Mitbestimmung 192 Blanketttatbestand 129
Centros-Rechtsprechung des EuGH 18, 135, 150, 172, 188, 203 Corporate Governance – Bürokratisierung von Entscheidungsprozessen 79 – Effektivität der Unternehmenskontrolle 69, 71 – Größe des Kontrollorgans 71 – Informationsasymmetrie 76 – Internationalisierung des Aufsichtsrates 75 – Monistische Unternehmensverfassung 22, 78, 80, 161 – Professionalität der Mitglieder von Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat 81 – Unabhängigkeit der Mitglieder des Gesellschaftsorgans 68 Daily-Mail-Rechtsprechung des EuGH 101 Davignon-Bericht 63, 202 Diskriminierung – Abgrenzung von sonstigen Beschränkungen 106, 142 – Fallgruppen 108 – Mitbestimmung als Diskriminierung 118 Drittelbeteiligung 153, 179, 197 – anerkannter Standard in Mitgliedstaaten der EU 17, 91 Eigentumsordnung 138 Europäischer Betriebsrat 51, 65, 193 Fusionsrichtlinie siehe Verschmelzungsrichtlinie
234
Stichwortverzeichnis
Gebhard-Formel 109, 139, 141, 180 Gesellschaftsgröße 154 Gewerkschaft – als Teil des bVG 33 – Minderung des Einflusses 58 – Verbindung zu Arbeitnehmervertretern des Aufsichtsrates 70 grenzüberschreitender Sachverhalt – Anforderungen an den 98 – bei Niederlassung der SE im Ausland 111 – bei Niederlassung der SE im Inland 111 Gründungsszenario – Einmanngründung 28, 36, 114 – Primärgründung 26 – Sekundärgründung 27 Gründungstheorie 175 Informationsmodell 188 Inspire-Art-Rechtsprechung des EuGH 18, 150, 174, 180, 188, 195, 203 Keck-Rechtsprechung des EuGH 120 Kollisionsrecht 145, 173
109,
Marktzugangsschranken 109, 120 Mitbestimmung – Auswirkung auf die Gründung einer SE 89 – Nachteile der 67 – Paradigmenwechsel 32, 165 – Präventionscharakter 163 – qualitative und quantitative Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten 14 – Strukturkonservierende Maßnahmen 83 – Vorteile der 48 – Wirkungen der 48 – Ziele 171 MitbestG – Anwendungsbereich 152
– Einfluss auf Humankapitalinvestitionen 158 – Selektivität 151 – Vergleich mit anderen Mitbestimmungsgesetzen 153, 154, 157 Mitbestimmungsmodelle – Kooptation 31 – Repräsentation 31 Mitbestimmungsurteil des BVerfG 149, 202 Niederlassungsfreiheit – Anwendungsbereich – Persönlicher 96 – Sachlicher 97 – Gewährleistungsgehalt – Diskriminierung 106, 118 – Sonstige Beschränkung 109, 118 – Vergleichbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit 147 Niederlassungsvorgang – Auslandsbezug 98 – Rückkehr 104 – Wegzug 100 ordre public – Perspektive 167 Race to the bottom 122, 176 Rechtfertigung einer Beschränkung – Art. 46 EG 139 – Zwingende Gründe des Allgemeinwohls 141 Rechtssache Portugaia Construções 155 Relativer Bestandsschutz 135 SE-Gründung – ökonomische Anreize 19 – Primärgründung 26 – psychische Anreize 24 – Rechtsformgebundenheit 189 – Sekundärgründung 27 Sensibler Bereich 182, 185
Stichwortverzeichnis Sitztheorie 136, 175 Sonstige Beschränkung – Gebhard-Formel 109, 139, 141, 180 – MitbestG 133 – SEBG 124 – SE-RiL 127 Staatsangehörigkeit – Gleichsetzung mit der Rechtsform einer Gesellschaft 107 – und satzungsmäßiger Sitz 106 Strukturveränderungen 54, 83 Territorialitätsprinzip 75, 153, 185, 196 Überseering-Rechtsprechung des EuGH 18, 144, 148, 150, 164, 172, 174, 188, 203 Verhältnismäßigkeit – Erforderlichkeit und Angemessenheit 183 – Beurteilungsmaßstab 185 – Kombination in der Rechtsprechung des EuGH 183, 194, 196, 199 – Vergleichsmaßstab 184 – Geeignetheit 176 – Darlegungslast 180 – Konsequente Zielverfolgung 176, 182
235
– Milderes Mittel 188, 197 Verhandlungslösung – Anforderungen an Abstimmungen des bVG 56 – asymmetrische Verteilung der Verhandlungsmacht 60 – Dauer der Verhandlungen 33, 51 – Unsicherheit der Verhandlungen 51 – Verhandlungsspielraum 55 – Vorrang der 32 Verschmelzungsrichtlinie 19, 93, 198 Verweisung – Art der 130 – Blanketttatbestand 129 Vorher-Nachher-Prinzip 35, 38, 119 Zurechnung von Arbeitnehmern 129 – Konzernarbeitnehmer 128, 157 Zwingende Gründe des Allgemeinwohls 141 – Anforderungen nach der Rechtsprechung des EuGH 146 – Arbeitnehmerschutz als 147 – MitbestG als 143 – Mitbestimmung als 149 – Zwingende Natur der 146, 149, 155, 172