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German Pages 300 Year 2014
Till A. Heilmann Textverarbeitung
MedienAnalysen Herausgegeben von Georg Christoph Tholen
I Band ro
Editorial Medien sind nicht nur Mittel der Kommunikation und Information, sondern auch und vor allem Vermittlungen kultureller Selbst- und Fremdbilder. Sie prägen und verändern Konfigurationen des Wahrnehmens und Wissens, des Vorstellens und Darstellens. Im Spannungsfeld von Kulturgeschichte und Mediengeschichte artikuliert sich Medialität als offener Zwischenraum, in dem sich die Formen des Begehrens, überlieferns und Gestaltens verschieben und Spuren in den jeweiligen Konstellationen von Macht und Medien, Sprache und Sprechen, Diskursen und Dispositiven hinterlassen. Das Konzept der Reihe ist es, diese Spuren lesbar zu machen. Sie versammelt Fallanalysen und theoretische Studien - von den klassischen Bild-, Ton- und Textmedien bis zu den Formen und Formaten der zeitgenössischen Hybridkultur. Die Reihe wird herausgegeben von Georg Christoph Tholen.
Till A. Heilmann (Dr. phil.) forscht und lehrt am Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel. Seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind Technik- und Kulturgeschichte des Computers, Zeichentheorie und Schriftgeschichte sowie die Anfänge der Medienwissenschaft.
Trn A.
HEILMANN
Textverarbeitung Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine
[ transcript]
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ fdnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Sielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bruce Damer, DigiBarn Computer Museum, 2009, mit freundlicher Genehmigung. Lektorat & Satz: Till A. Heilmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-r333-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Abbildungen . Abkürzungen
vii ix
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Datei > Öffnen ... .
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PC/AT . . . . . . .
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Eine verallgemeine rte Schrift 25 Am Ende der Mediengeschichte 36 Das medientechnisch e Apriori 46 59
ADD X TO Y GIVING Z
Code und Programm 60 Maschinen erziehen 77 Quelltext 88 . . . 103
/dev/tty . . . .
Briefverkehr mit Autisten 103 Manual intervention 113 Die riesenhafte Schreibmaschine 127 Cut and paste
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
'JYping Pool 141 Manipulation am Monitor 155 Papier und Stift (elektrisch) 168 Digiskript . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Codierung 196 Algorithmierung 215 Formatierung 234 end-of-file
251
Schreibzeug
2 55 257 275
Literatur Index . . . .
Abbildungen
1
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4 5
Aufbau einer Computertastatur; Bild von : Asiir (Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5) . . . . . . 3 Intel4004 ; Bild von: Tim McNerney, www.4004 .com (mit freundlicher Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . . 29 Tafel der Turingmaschine 'll; nach: Alan M. Turing: On computable numbers, in: Proceedings of the London Mathematical Society 42/2 (1936). S. 230- 265; korrigiert und ergänzt von Donald Davies, in: B. Jack Copeland (Hrsg.) : The Essential Turing, Oxford: Oxford University Press 2004 , S. 103-124 . . . . . . . .. 39 IBM PC 5150; Bild von: Boffy b (Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Grace Hopper ; Bild von: U. S. Navy Photo, Naval Historical Center, NH 96921 (Public Domain) 61 Sequence control tapedes Harvard Mark I; Bild von : The Departement of the History of Science, The Collection of Historical Scientific Instruments, Harvard University (mit freundlicher Genehmigung) . .. . . . 63 Schalttafeln am ENIAC; Bild von: U. S. Army Photo (Public Domain) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Grace Hopper mit Programmierern am UNIVAC ; Bild von: Hagley Museum and Library (mit freundlicher Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 UNISERVO-Laufwerk; Bild von: George A. Michael , Lawrence Livermore National Laboratory, www.computer-history.info (Public Domain) .. . ... 85 FüRTRAN-Coding form; Bild von: Arnold Reinhold (Creative Commons Attribution-Share Alike 3 .0) . 105 Altair 8800; Bild von: Ed Uthman (Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic) . . .. .. .. . 107 0
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IBM 701; Bild von: Lawrence Livermore National Labaratory (mit freundlicher Genehmigung). . . . Lichtkanone und Oszilloskop am Whirlwind; Bild: © MITRE Corp. (mit freundlicher Genehmigung) . Teletype ASR-33; Bild von: Dan Mozgai (Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic). . . . . PDP-1; Bild von: George A. Michael, Lawrence Livermore National Laboratory, www.computer-history.info (Public Domain) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsrhombus; nach: Ulrich Steinhilper: Don't Talk- Do It! From Flying to Word Processing, Keston: Independent Books 2006. . . . . . . . . . Typing pooldes Burea u of Engraving Inc., Minneapolis; Bild von: Minnesota Historical Society (mit freundlicher Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsplatz des On-Line System (NLS); Bild von: SRI International, Menlo Park, California (mit freundlicher Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . Wa ng Word Processor; Bild von: Wang Laboratories Werbebroschüre (Abdruck gemäߧ 51 UrhG) . . . . . Xerox Alto; Bild von: Vojin G . Oklobdzija (mit freund licher Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WYSIWYG-Darstellung des Bravo-Editors; Bild von: Butler Lampson (mit freundlicher Genehmigung) . . Umschlag der Bedienungsanleitung des Electric Pencil 2.0; Bild von: Mike Loewen (mit freundlicher Genehmigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Baudot-Code; nach: F. G. Heath: Origins of the Binary Code, in: Scientific American 227/2 (1972), s. 76-83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ASCII: nach: Fred W. Smith: Revised U. S .A. Standard Code for Information Interchange, in: Western Union Technical Review, Nov. 1967, S . 184- 191 . . . . >T< gemäß Pacioli und Torniello; Bilder aus: Luca Pacioli: De Divina Proportione, Venedig: Antonio Capella 1509: Francesco Torniello: Opera del modo de fare Je littere maiuscole antique, Mailand: Gotardo da Ponte 1517 (beide Public Domain) . . . . . . . . .. .. . Glyphen der Hershey Sans-Vektorschrift . . . . . . . . . . Glyphen des Monochrome Display Adapter (MDA) >T< als MDA-Bitmap und PostScript-Programm . . . . . . RUNOFF-Beispieldatei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
lll
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Abkürzungen
ACM . . . .. . . . . . . .. . Association for Computing Machinery ALGOL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Algorithmic Language ARC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augmentation Research Center ARPA . . . . . . . . . . . . . . . Advanced Research Projects Agency ASCII . American Standard Code for Information Interchange COBOL . . . . . . Common Business Oriente d Language CTSS . . . . . . . . . . . . . . Compatible Time-Sharing Syste m ENIAC . . . . . . . Electronic Numerical Integrator And Computer FORTRAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formula Translator GUI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graphical User Interface HTML . . . . . . . . . . . . Hypertext Markup Language IPTO . . . . . . . . . . . . Information Processing Techniques Office ISO . . . . . . . . . International Organization for Standardization ITU . . . . . . . . . . . . . . Internationa l Telecommunication Union MDA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monochrome Display Adapter MT IST . . . . . . . . . . . . . . . Magnetic Tape Selectric Typewriter NLS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . On-Line System PARC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Palo Alto Research Center PC/AT . . . . . . . IBM Personal Computer/Advanced Technology PDP-1 . . .. . . Programmed Data Processor-1 . . . . . . . . . . . PARC On-Line Office System POLOS SAGE . . . . . . . . . . . . . . Semi Automatie Ground Environment SR! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stanford Research Institute TECO . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tape/Text Editor and Corrector TJ-2 . . . . . . . . . . . . .. . . . Type Justifying Program 2 TX-0/2 . . . .. Transist orized Experimental Computer Zero/Two UNIVAC . . . . Universal Automatie Computer WYSIWYG . . . . . . . . . . . . . . . What You See Is What You Get
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DIESES BUCH HANDELTVOm Schreiben mit Computern. Wie die me isten Bücher dieser Tage wurde es selbst mit einem Computer geschrieben- mit einem Notebook genauer gesagt. das der Autor während der letzten Jahre auf seinen Wegen zwischen Wohnung, Büro, Bibliothek, Cafe und anderen mehr oder weniger geeigneten Arbeitsplätzen mit sich trug. Von Zeit zu Zeit, wenn etwa das Notebook gerade nicht zur Hand war oder die Batterie erschöpft und keine Steckdose in Reichweite, kamen auch Bleistift, Kuge lschreiber oder Füllfeder zum Einsatz. Dann wurden in hastiger Schrift Einfälle auf Notizzettel und lose Blätter geworfen, Gedankengänge skizziert und mit vielen Streichungen und Korrekturen kurze Passagen formuliert. In der Hauptsache entstand der Text dieses Buches aber auf der Tastatur und dem Bildschirm eines Computers , ausgestattet mit Programmen zur Texteingabe, zur Rechtschreibkorrektur, Literaturverwaltung, Versionskontrolle, Datenbankrecherche und anderem mehr. Worte und Sätze flossen nicht als fortlaufende Tintenspur über die Spitze eines Stifts aufs Papier. Sie wurden mit Fingerspitzen aus der abzählbaren Menge druckbarer Zeichen eines ISO-genormten Tastenfeldes zusammengestellt, mit Polarisationsfiltern und Flüssigkristallen zum Erscheinen gebracht und als nur Na nometer große elektromagnetische Spure n auf Aluminiumsch eib en aufgezeichnet. Bevor sie auf den Seiten des Buches, welches die Leserin nun in Händen hält, gedruckte Gestalt annahmen, durchliefen die Buchstaben eine komplexe technische Anordnung, deren Funktionsweise dem Schreibenden für gewöhnlich verborgen bleibt. Eine Taste wird gedrückt. Eine unter der Taste befindliche Karbonpille kommt auf zwei aneinander grenzende Ba hnen einer Leiterplatte zu liegen. Die Karbonpille schließt den Kontakt zwischen den Leiterbahnen und Strom beginnt zu fließen . Der Tastaturcontroller ermittelt aus Zeile und Spalte der aktivierten Leiterbahnen die Position der gedrückten Taste. Die Position derTaste wird in den
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Scancode übersetzt und an die zentrale Recheneinheit des Computers geschickt. Betriebssystem und laufende Programme werten den Scancode aus und veranlassen die Anzeige des dem Scancode und der Tastaturbelegung entsprechenden Zeichens. In einigen Dutzend Segmenten des Bildschirms wird die elektrische Spannung erhöht. Die in den Segmenten enthaltenen Flüssigkristalle ändern mit der Spannung ihre Ausrichtung und damit die Bahn des sie durchque renden Lichts. Die Lichtstrahlen können einen hinter den Segmenten liegenden Polarisationsfilter nicht mehr passieren. Die dunkel bleibenden Segmente bilden zusammen eine gerasterte Figur. Auf dem Bildschirm erscheint das durch den Tastendruck eingegebene Schriftzeichen. Die Komplexität dieses Vorgangs, dessen komputationelle r Kern - die programmgesteuerte Veränderung schaltbarer Zustände durch die zentrale Recheneinheit- hier nur angedeutet wurde, macht technisch aus, was heutzutage Schreiben heißt. In tausend- und hunderttausendfacher Wiederholung des geschilderten Geschehens entstehen Briefe, Geschäftsberichte, Romane, wissenschaftliche Arbeiten und a ndere Texte auf Computertastaturen (siehe Abb. 1). So komplex computergestützt es Schreiben technisch gesehen ist, so alltäglich ist es auch. In den hochindustrialisierten Gesellschaften wird mittlerweile die überwiegende Zahl aller Schriftstücke mit Computern hergestellt. Dies betrifft nicht nur das Desktop-Publishing, also das rechnergestützte Setzen bereits von Hand oder mit Maschine geschriebener Texte. Während Gutenbergs Druckpresse die Reproduzierbarkeit von Schrift revolutionierte, das der Reproduktion vorausgehende Ve rfassen der Manuskripte mit hergebrachten Mitteln jedoch weitgehend unangetastet ließ, sind Computer Werkzeuge des Schreibens selbst geworden - in dieser Reichweite vergleichbar wohl nur den mechanischen und elektrischen Schreibmaschinen. Computergeschriebene Texte verdanken sich zumeist in sämtlichen Teilen ihrer Niederschrift dem Einsatz von Digitaltechnik: vom Festhalten der ersten Einfälle über das Anfertigen des Rohentwurfs und die verschiedenen Überarbeitungen hin zur (bis auf Widerruf) endgültigen Fassung, die schließlich auf einem Heim- oder Bürogerät ausgedruckt, elektronisch an die Leserschaft verteilt oder an den Verlag und von dort in die Druckerei gegeben wird. War es vormals das unbeschriebene Blatt, auf dem Autorinnen und Autoren einen Anfang m achten, so ist es heute ein leeres Bildschirmfenster, in dem der Cursor mit geduldigem Blinken zur Eingabe auffordert. Und immer häufiger markiert nicht der auf Papier gedruckte Text das Ende eines Schreibprozesses - mehr und mehr Schriftstücke fristen ihre gesamte Existenz als elektronisch gespeicherte, übertragene und
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Abb. 1 Tastenkappen, Silikonschaltmatte mit Karbonpillen , Leiterplatte und Stütz-
platte: Aufbau einer Computertastatur
angezeigte Dateien: digitale Dokumente durch und durch . Dass mit Computern geschrieben wird, ist heute nichts Ungewöhnliches. Textverarbeitung (so sei vorläufigjede Form computergestützten Schreibens normalsprachlicher Texte genannt) geschieht Tag für Tag auf Millionen Rechnern. Nach Angaben der Firma Microsoft findet ihr marktbeherrschendes Bürosoftwarepaket Office mit der Textverarbeitung Word inzwischen bei einer halben Milliarde Nutzer Verwendung.1 Ungewöhnlich hingegen ist, wie rasch die digitale >Schreibszene< 2 zur Selbstverständlichkeit geworden ist und dass sie von wissenschaftlicher Seite bislang keine eingehende historische Betrachtung erfahren hat. Füllt die Fachliteratur zur Geschichte des Buchdrucks , der Schreibmaschine und der Schrift ganze Regale, so finden sich zur Entwicklung der Textverarbeitung kaum mehr als eine Handvoll Lexikon- und Zeitschriftenartikel sowie verstreute Hinweise in den einschlägigen Untersuchungen zur Computergeschichte? die durch vorwiegend anekdotenhafte Ab1 Vgl. Microsoft Newsroom, 6. März 2008, http://www.microsoft.com/germany/
presseservice/detail.mspx?id=532125. 2 Vgl. Rüdiger Campe: Die Schreibszene, Schreiben, in: Hans Ulric h Gumbrecht/ K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 759-772. 3 Erwähnenswerte Ausnahmen sind Michael Friedewald: Der Computer als Werk-
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handlungen in populärwissenschaftlichen Werke n e rgänzt werden.4 Gerade die au s führlichsten Auseinandersetzunge n mit dem Thema Computer und Schrift lassen wichtige historische Aspekte häufig außer Acht.5 Nach der Historizitä t computergestützten Schreibens zu fragen, scheint einer Medienwissensch aft überflüss ig, die in weit en Teilen de r Überzeu gu ng ist , de r Computer sei im Gr u nde eine S chreibmaschine, »ab gemagert aufs reine Pr in zip«.6 Mit Blick a uf die lange Geschichte der Schrift ode r zum Zweck eines theoriegeleiteten Vergleichs verschiedene r Medien mag dies er Kurzschluss berechtigt s ein. Über die Geschichte von Computern als Schreibmaschinen ist damit allerdings n och nichts gesagt. Man braucht sich nur zu ve rgegenwärtigen, dass die ersten Ma schinen , welche die Bezeichnung Compute r im h e ute geläufigen Sinne verdien en , zeugund Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers , Berlin: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik 1999 und Thierry Bardini: Bootstrapping. Douglas Engelbart, Coevolution, and the Origins of Personal Computing, Stanford: Stanford University Press 2000, die sich eingehend mit den entsprechenden Forschungs· und Entwicklungsarbeiten von Douglas En· gelbartund der NLS-Gruppe sowie Xerox' Palo Alto Research Center auseinandersetzen. Weiter siehe insbesondere Norman Meyrowitz /Andries van Dam: lnteractive Editing Systems, in: Computing Surveys 14/ 3 (1982), S. 321-410 ; Daniel Eisenberg: Ward Processing (History Of), in: Encyclopedia of Library and Information Science, Bd. 49, New York : Dekker 1992, S. 268- 278; Claus Pias: Computer Spiel Weiten, München: Sequenzia 2002, S. 96-104; Paul E. Ceruzzi: A History of Modern Computing , 2. Aufl. , Cambridge , MA: MIT Press 2003, S. 250-280 ; IEEE Annals of the History of Computing 28/4 (2006).
4 Siehe u. a. Paul Freiberger/ Michael Swaine: Fire in the Valley, Berkeley: McGrawHill 1984; Douglas K. Smith/Robert C. Alexander: Fumbling the Future. How Xerox lnvented, then lgnored, the First Personal Computer, New York : William Morrow & Co 1988; Michael Hiltzik: Dealers of Lightning. Xerox PARC and the Dawn of the Computer Age, New York: HarperBusiness 1999; Howard Rheingold: Tools for Thought. The History and Future of Mind-Expanding Technology, 2. Aufl. , Garnbridge, MA-London : MIT Press 2000 ; Steve Lohr: Go To : Software Superheroes. From FORTRAN to the Internet Age, London: Profile Books 2002. 5 Siehe u. a. Michael Heim: Electric Langu age. A Philosophical Study of Ward Processing , Yale University Press: New Haven 1987; Jay David Bolter : Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale : Lawrence Erlbaum 1991 ; Derrick de Kerckhove: La civilisation video-chretienne, Paris: Retz 1991; Hartmut Winkler : Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, München: Boer 1997 ; Davide Giuriato/ Martin Stingelin / Sandro Zanetti (Hrsg .) : " System ohne General" . Schreibszenen im digitalen Zeitalter, München: Wilhelm Fink 2006 .
6 Friedrich Kittler: Grammophon, Film , Typewriter, Berlin: Brinkmann & Base 1986, S. 31.
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tonnenschwere , ganze Säle füllende Rechenautomaten waren, deren Bedienung eigens ausgebildete Spezialisten verlangte und deren Betrieb Unsummen verschlang. Die Problemstellungen, für deren Lösung Computer eingesetzt wurden, waren anfangs ausschließlich mathematischer oder buchhalterischer Arti und die zur Verfügung stehende Rechenzeit ein kostbares Gut. Nicht nur aus ökonomischen Gründen blieb der Gebrauch von Computern als Schreibwerkzeugen aber zunächst undenkbar. Allein die Vorstellung, Computer könnten in einem von Menschen ausgeführten Arbeitsablauf wie Werkzeuge eingesetzt werden, stellte einen Bruch mit dem lange Zeit geltenden Paradigma vom Automaten dar, der seine Tätigkeit, einmal in Gang gesetzt, ohne weitere Eingriffe von außen verrichtet.8 Und als aus Computern tatsächlich interaktiv bedienba re Geräte geworde n waren, dazu klein und erschwinglich genug, um die in Büros und Privathaushalten stehenden Schreibmaschinen abzulösen, mussten sie noch in geeigneter Weise an das alte Medium Papier gekoppelt werden: Erst die Ausgabe des Geschriebenen auf Rasterbildschirm und Laserdrucker erlaubte eine •Remediatisierung• 9 der Schreibmaschine , die deren Ersetzung praktikabel machte. Der durchschlagende Erfolg von Microsoft Word und Co. hat eine lange und umwegige Vorgeschichte . Diese Vorgeschichte der Textverarbeitung am PC 10 zeichnet die vorliegende Studie nach, um so eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine zu erzählen. Dabei bewegt sich die Erzählung im Spannungsfeldzweier Gegensatzpaare: dem Gegensatz zwischen der vertrauten Alltäglichkeit des Schreibens mit Computern und der oben skizzierten technischen Komplexität dieses Geschehens einerseits, dem Unterschied also zwischen dem, was man für gewöhnlich als Schreiben am PC wahrnimmt, und den verschiedenen •Schreibvorgängen< , die dieses 7 Davon ausgenommen sind (wie immer) militärische Anwendungen mit entsprechendem Spezialgerät; siehe etwa B. Jack Capeland u. a. (Hrsg.) : Colossus. The Secreis of Bletchley Park's Codebreaking Computers, Oxford: Oxford University Press 2006; Kent C . Redmond/Thomas M. Smith: From Whirlwind to MITRE. The R&D Story of the SAGE Air Defense Computer, Cambridge, MA: MIT Press 2000. 8 Vgl. Wolfgang Coy: Automat- Werkzeug- Medium, in: Informatik Spektrum 18/1 (1995), S. 31-38. 9 Siehe Jay David Bolter/Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media, Cambridge, MA: MIT Press 2001. 10 Der Ausdruck •Personal Computer• meint im Folgenden, wo nicht ausdrücklich anders erwähnt, nicht nur zum IBM 5150 Personal Computer aus dem Jahr 1981 kompatible Geräte, sondern sämtliche Mikrocomputer für den privaten und geschäftlichen Gebrauch, also auch frühe Exemplare wie den Altair 8800 sowie die späteren Maschinen von Apple und anderen Herstellern.
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Schreiben erst möglich machen - vom Programmieren der nötigen Software bis zu den Operationen des Magnetkopfs einer Festplatte ; dem Gegensatz andererseits zwischen dem Computer als abstraktem Modell und den bereits angedeuteten sehr unterschiedlichen technischen Implementierungen dieses Modells - vom Großrechner einer Serverfarm über den PC bis zum Smartphone. Die Leitbegriffe unserer Erzählung, Schreiben und Computer, versammeln sehr divergente Dinge . Streng genommen ist es irreführend, von >dem< Computer oder •dem< Schreiben bzw. >der< Schrift zu sprechen. So wenig, wie es bloß einen bzw. •den< Computer gibt, so wenig gibt es nur ein bzw. >das die• Schrift. Schrift und Computer sind Medien. die sich zunächst in einer Vielfalt geschichtlicher Gestalten mit eigenen Gesetzmäßigkeiteil zeigen, weshalb genauer von Schriften und Computern die Rede sein müsste .11 Das Eindrücken und Einritzen von Formen in weichen Ton mit einem Holzkeil folgt anderen Regeln als das Führen einer tintenbeladenen Feder über die Pergamentseiten eines Codex, bedingt andere Schriftzeichen und bringt andere Texte hervor. Ebenso wenig gleichen Aufbau und Anwendung eines frühen Großrechners der Hard- und Software einer aktuellen Videospielkonsole und deren Bedienung (von Unterschieden wie der sozialen Einbettung oder ökonomischen Faktoren ganz zu schweigen). Schrift und Computer müssen als zwei historische >Variablenreihen< verstanden werden, deren Folgen s ich an bestimmten Stellen kreuzen, um neuartige Formen von Schriftlichkeit hervorzubringen, die zugleich auf andere und ältere Glieder beider Reihen zurückverweisen. Dieses Buch leistet einen Beitrag zum geschichtlichen und theoretischen Verständnis des Verhältnisses von Schrift und Computer, indem es der Frage nachgeht, wie, wann und warum Schreiben im Zusammenhang mit programmierbaren Rechenmaschinen thematisch wurde und in den Einzugsbe reich elektronischer Datenverarbeitung geriet. Im Anschluss an die Leitsätze einer allgemeinen Me dienwissenschaft12 und deren metapharologischer Wendung 13, die 11 Wenn dieses Buch im Folgenden (wie bereits im Untertitel) trotzdem und wieder-
holt in der Einzahl von Computern, Schreibweisen und Schriften spricht, ist damit entweder die Gesamtheit ihrer Vielfalt gemeint oder eine bewusste Vereinfachung zugunsten der Lesbarkeit des Textes vorgenommen. 12 Siehe grundlegend Harold A. lnnis: Empire and Communications , Toronto: Uni-
versity of Toronto Press 1950 ; Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man, New York: McGraw-Hill1964. 13 Siehe ansatzweise ders.: Understanding Media, S. 56-61 u . 89-90; in philo-
sophischer Absicht Jacques Derrida: La mythologie blanche (Ia metaphore dans le texte philosophique), in: Poetique 5 (1971 ), S. 1-52; medientheoretisch entfaltet bei
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Erkennt nisse diskursanalytische r und s emiotechnischer Mediengeschichte,14 die Einsichten mode rner Zeichentheorie n und deren grammatologischer Kritik 15 sowie die Befunde der his torisch vergleichenden Erforschung von Schriftsystemen 16 versucht es sich einer voreiligen Bes timmung seines Gegenstands zu enthalten. Dagegen s oll a u fgeze igt werden , dass Comp ute r nicht einfach in eine r Geschich te von Schreibwerk ze u gen aufgehen, wie a uch S ch r ift nicht umstandslos mit der Funktionslogik von Compute rn zusammenfällt. Computer •sind< keine Schreibwerkzeuge; Schrift •is t Kommunikationsimperativ< der Computerkultur, der sich besonders wirkmächtig in den höheren Programmiersprachen niederschlug, und untersucht die ersten Texte, die mit Computern verarbeitet wurden: die Codes der auszuführenden Programme. Erst mit maschinenunabhängigen und problemorientierten Programmiersprachen traten Hardund Software von Computern als distinkte Teile auseinander und wurden Programme zu eigenständigen Sachen in Gestalt >lesbarer< Texte.- Das vierte Kapitel (/dev/tty) zeichnet den Weg vom militärischen Spezialgerät und den stapelverarbeitenden Großrechnern der frühen Jahre zum Time-Sharing und den ersten Minicomputern nach, die interaktive Computerbedienung für zivile Zwecke möglich machten. In der Verschaltung geeigneter Ein- und Ausgabegeräte und Speichermedien machten Editoren, ursprünglich zur Rationalisierung von Programmierarbeit gedacht, Computer zu riesenhaften Schreibmaschinen auch für normalsprachliche Texte.Das fünfte Kapitel (Cut and pastel rekonstruiert die Geschichte des Begriffs Textverarbeitung, der als Teil einer Vermarktungsstrategie in der Schreibmaschinenabteilung von IBM entstand, um der Firma später als Bezeichnung für alle ihre Bürogeräte zu dienen. Textverarbeitung als computergestütztes Schreiben aber entstand an anderen Orten: in universitären und industriellen Forschungslabors, aus denen sie dann auswanderte, um mit spezialisierten Schreibcomputern und dem Siegeszug des PC ihre heutige Bedeutung zu erlangen. -Das sechste Kapitel (Digiskript) stellt zum Schluss die mediale Verfasstheit computerisierter Texte im Unterschied zu Manuskript und 1)rposkript dar. Codierung, Algorithmierung und Formatierung werden als die drei grundlegenden Verfahren des Digiskripts beschrieben, frühere Formen der Schrift zu repräsentieren und zugleich technologisch zu übertreffen.
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Vorab ein paar Worte zur verwendeten Literatur und zur Quellenlage. Über die einschlägigen Textsammlungen und Überblickswerke zur Computergeschichte 18 sowie die verschiedenen Zeitschriften der großen Berufsverbände und Fachgesellschaften19 hinaus wurden in erheblichem Maße elektronische Bestände zu Rate gezogen. Neben nützlichen Darstellungen von Computertechnik enthält die webba sierte Enzyklopädie Wikipedia (wenigstens in ihre r englischsprachigen Version) in der Regel brauchbare Angaben auch zur Technikund Kulturgeschichte der Computer. Als hilfreich für die Quellensuche erwiesen sich die Online-Archive des Charles Babbage Institute an der Universität Minnesota, das digitale Turing Archiv des King's College in Cambridge und das Turing Archiv für Computergeschichte von Jack Capeland und Diane Proudfoot, die Website des Computer History Museum in Mountain View, die Website des DigiBarn Computer Museum sowie die Software- und Dokumentationsarchive von Bitsavers.org und Internet Archive, aber auch verschiedene private Websites von Liebhabern und Sammlern alter Hard- und Software.20 Ohne die Möglichkeiten, die das Internet heute bietet, hätte die Arbeit in dieser Form nicht geschrieben werden können. Zu guter Letzt half der eigene Rechner: Wer mit einem unix-artigen Betriebssystem arbeitet, findet in der mitgelieferten Online-Dokumentation, den sogenannten man(ual) pages, manch wertvollen Hinweis zur Geschichte des jeweiligen Programms.21 Dieser Text ist eine Überarbeitung der Dissertationsschrift, mit der ich 2008 an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel promoviert wurde. Mein herzlicher Dank gilt Georg Christoph Tholen für die Begleitung und Betre uung de r Arbeit und für den nötigen Freiraum zum Schluss. Frank Haase gebührt mein inniger Dank für seine unbedingte Unterstützung. Stefan Bertschi und Noah Bubenhafer machten sich mit mir zusammen auf den langen Weg. Die Mitglieder des Forschungs- und Methodencolloquiums von Georg Christoph Tholen und des SNF-Graduie rtenprogramms 18 Siehe Brian Randeil (Hrsg .) : The Origins of Digital Computers . Selected Papers, 3. Aufl., Berlin u. a.: Springer 1982; Ceruzzi: A History of Modern Computing; Martin Campbeii-Kelly: From Airline Reservations to Sonic the Hedgehog. A History of the Software lndustry, Cambridge, MA-London: MIT Press 2003.
19 Siehe vor allem die Publikationen des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) und der Association for Computing Machinery (ACM). 20 Siehe die Websites http://www.cbi.umn .edu; http://www.turingarchive.org; http://www.alanturing.net; http://www.computerhistory.org; http://www.digibarn. com; http://www.bitsavers.org; http: //www.archive.org; http:// www.computerhistory.info; http://www.sol20.org; http: // www.dpbsmith.com. 21 Siehe etwa den Abschnitt »History" der manpagezum Textsatzprogramm roll.
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Intermediale Ästhetik steuerten hilfreiche Kommentare und Anregungen bei. Martin Schütz legte zur rechten Zeit Fürsprache ein. Stefan Münker las eine frühe Fassung des Textes und gab wichtige Denkanstöße. Samuel Sieher war für die Studierenden meines Seminars da, als ich es nicht sein konnte. Christiane Schnider und Susanne Zacherl sorgte n für die reibungslose Abwicklung de r Formalitäten. Die Gemeinde der TEX-Entwickler lieferte das Schreibzeug und die nötige Unterstützung bei der typografischen Realisierung des Bandes.22 Dominic Wirz brachte die Abbildungen in Form. Bruce Damer stellte das Umschlagbild zur Verfügung.23 Alexander Masch vom transcript Verlag betreute die Publikation mit großer Geduld. Meine Familie half, wann und wo immer es nötig war. Anna hat alles erst möglich gemacht. Ihr ist dieses Buch in Liebe und Bewunderung gewidmet.
22 Siehe die Aufzählung der Software auf Seite 255. Mein Dank gilt Ulrike Fischer, Khaled Hosny, Paul lsambert, Markus Kohm, Philipp Lehman, Dan Luecking, Will Robertson, Robert Schlicht, Philipp Stephani und Dominik Waßenhoven. 23 Der Umschlag zeigt den Deckel des Handbuchs zu Electric Pencil von Michael Shrayer, dem ersten Textverarbeitungsprogramm für PCs von 1976. 11
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MEDIEN SPEICHERN, ÜBERTRAGEN und verarbeiten Formen VOn Wahrnehmung und Bedeutung. Unverzichtbar im Erbringen dieser Leistungen sind sie allenfalls durch andere Medien ersetzbar. Nichts Sinnliches und nichts Sinnhaftes ist uns unvermittelt gegeben. Alles Wahrgenommene und Bedeutete ist immer schon durch ein Medium gegangen und also medial formatiert. Medien, anders gesagt, machen Welt erfahrbar und denkbar. Ist ihr Wirken aber auch grundlegend, so sind Medien doch von höchst vielfältiger Art. In ihrer Funktion als Medium können so unterschiedliche Dinge wie Luft und Licht, Sprache, Sternenhimmel, Schrift, Architektur, Malerei, Postkutsche, Geld, Mikroskop, Radio und Fernsehen oder Computer betrachtet werden. Der Mediengeschichtsschreibung ist es aufgegeben , das historische Gefüge medialer Felder, Stoffe, Codes, Geräte und Einrichtungen darzustellen, der Medientheorie, den systematischen Zusammenhang der dadurch ermöglichten Funktionen der Speicherung, Übertragung und Verarbeitung zu denken. Schrift und Computer, die beiden Medien, um deren Verschränkung und Überkreuzung es hier zu tun ist, nehmen sowohl in mediengeschichtlicher wie -theoretischer Hinsicht eine Sonderstellung ein. Schrift, üblicherweise verstanden als heterogenes Ensemble der Instrumente, Skripte und Regeln zur grafischen Aufzeichnung vornehmlich sprachlicher Information,1 ist die wohl folgenreichste Errungenschaft menschlicher Kultur. Ihr Auftreten beendet die Vorgeschichte und lässt Geschichte beginnen. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Herausbildung komplexer sozialer Organisation und damit das mediale Fundament jeder sogenannten Hochkultur. Ohne dauerhafte Speicherung durch Schriftzeichen gibt es kein Archiv, keinen einheitlichen Kalender, keine kanonisierte Religion, kein kodifiziertes Recht, keine Verwaltung, keine Post, keinen plan-
1 Vgl. Vilem Flusser: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt a. M.: Fischer 1994, S. 40.
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mäßigen Handel, kein philosophisches Denken, keine Mathematik und keine Literatur.2 Schrift macht aber nicht nur den Anfang von Geschichte und Zivilisation. Sie setzt den Nullpunkt im Koordinatensystem der gesamten medientechnischen Entwicklung, welche der Entstehung der frühesten Zeichensysteme in Mesopotamien, Ägypten, China und am Indus folgt. Im Lichte dieser Gründungstaten erscheinen noch die epochalen Zäsuren der Mediengeschichte als Expansionen der Logik und Leistung von Schrift. Im fünfzehnten Jahrhundert besorgt der Buchdruck mit beweglichen Lettern die Mechanisierung des Schreibens und wird zur Grundform der Industrialisierung? Im neunzehnten Jahrhundert weiten technische Medien das Aufzeichnen, Senden und Codieren von Daten aus; nach Ton, Papyrus , Pergament und Papier werden elektrische Ströme, lichtempfindliche Emulsionen und Wachszylinder für Information dienstbar gemacht und neben dem Symbolisch-Sprachlichen gerät auch das Kontinuum der Bilder und Töne in den Einzugsbereich dauerhafter Speicherung 4 - nicht zufällig bergen die Namen der entsprechenden Apparate die Medientechnik, deren Erbe sie antreten : Photographie, Telegraphie, Phonographie, Kinematographie. Im zwanzigsten Jahrhundert versprechen Computer die Universalisierung von Schriftprozessen im Zeichen digitaler Codes.5 So gesehen ist alle Mediengeschichte letztlich Schriftgeschichte. Auch aus systematischer Perspektive ist Schrift ein Ausnahmefall. Schriftsysteme sind nicht nur die historisch ersten Medien zur Speicherung symbolisch-sprachlicher Information; strukturell gesehen bleiben sie die einzigen Mittel, Symbolisch-Sprachliches selbst in zeichenhafter Form zu fixieren. Apparate wie etwa der Walzenphonograph oder digitale Diktiergeräte zeichnen ja nicht sprachliche Einheiten einer gesprochenen Äußerung auf, sondern deren konti2 Siehe zu diesem Komplex exemplarisch Jack Goody!lan Watt: The Consequences of Literacy, in: Camparalive Studies in Society and History 5/3 (1963), S. 304-345; Eric A. Havelock: Preface to Plato . A History of the Greek Mind, Garnbridge, MA-London: The Belknap Press of Harvard University Press 1963; Waller J. Ong: Orality and Literacy. The Technologizing of the Ward, London-New York: Methuen 1982; Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: C. H. Beck 1992. 3 Siehe Marshall McLuhan: The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographie Man , To ro nto: University of Toronto Press 1962. 4 Siehe Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. 5 Vgl. ders.:
Buchstaben~ Zahlen~
Codes, in: Jochen Brüning / Eberhard Knob-
loch (Hrsg.): Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen , München: Wilhelm Fink 2005, S. 65-76. 14
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nuierliche akustische Spur.6 Dagegen dürfen noch die als diskrete elektronische Zustände auf Bändern, Festplatten oder in Transistoren gespeicherten Bits zum Reich der Schrift zählen- wenn sie auch umgekehrt nicht allein Symbolisch-Sprachliches, sondern zudem Bild- und Tonflüsse anschreiben können. So sehr Schrift anderes und mehr ist als bloß visuelles Abbild mündlicher Rede? so sehr ist sie m ehr als ein Medium nur zur Aufzeichnung von Information. Mit Schrift lassen sich alle drei medialen Grundfunktionen (Speichern , Übertragen, Verarbeiten) realisieren. Für die Speicherung von Information liegt das auf der Hand. Speicherung kann aber auch die Übertragung des Geschriebenen nach sich ziehen. Schriftzeichen - alle Zeichen gar - sind inhärent postalisch.8 Sie müssen, sollen sie als Zeichen funktionieren, wie derholbar sein, müssen stets •verschickt< werden können : von einer Äußerung zur nächsten, von einem Kontext in einen anderen. Schriftliche Notate auf geeigneten Beschreibstoffen schöpfen aus dem postalischen Prinzip der Zeichen ganz gegenständlich die Möglichkeit der Post als brieflicher Sendung. Kommunikationstheoretisch gesprochen entkoppelt Schrift Kommunikation zum ersten Mal von Interaktion und koppelt dafür Speicherung an die Übertragung von Information.9 Mit den Boten- und Postdiensten Babyloniens, Ägyptens und Persiens zeigt sich das Geschick der Schrift von Beginn an auch im Schicken von Schrift.10 Neben dem Aufzeichnen und Senden macht Schrift überdies einen •Operationsraum< für das Verarbeiten von Information auf. Jenseits der sprachlich-repräsentativen Funktion besitzen manche 6 Die grundlegende Differenz zwischen der, digitalen wie analogen, Speicherung von akustischen Spuren und von Symbolen zeigt sich z. B. in der Schwierigkeit automatischer Spracherkennung, also der computergestützten Umwandlung ersterer (d. h. gesprochener Äußerungen) in letztere (d. h. schriftliche Notate).
7 Für die Repräsentation von Sprache nehmen Schriftsysteme eine Gliederung der notierten Sprache auf bestimmten Analyseebenen (z. B. der Phoneme, Silben oder Morpheme) vor, keine Aufzeichnung der akustischen Gestalt gesprochener Äußerungen. Darüberhinaus verfügen sie über Mittel, die in Lautsprachen keine Entsprechung haben: Interpunktion, Leerzeichen, Ano rdnungen zu Listen, Tabellen, Anmerkungen usw.
8 Vgl. Jacques Derrida: Signalure evenement contexte, in: Marges de Ia philosophie, Paris: Ed. de Minuit 1972, S. 365-393; ders.: La carte postale. De Socrate a Freud et au-dela, Paris: Flammarien 1980. 9 Vgl. Friedrich Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, in: Jörg Huber/
Alois Martin Müller (Hrsg.): Raum und Verfahren. Interventionen, Basel-Frankfurt a. M.: Stroemfeld 1993, S.169-188, hier S. 172 -173.
10 Zur Geschichte der Post und Telekommunikation siehe Siegert : Relais; Haase. 15
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Schriftsysteme operativen Charakter.11 In solchen Systemen wird nicht geschrieben, um sprachliche Äußerungen zu überliefern oder um zu benachrichtigen. Hier werden Zeichenketten regelgeleitet zu neuen Zeichen umgeschrieben, die als Resultat des Verarbeitungsvorgangs die gesuchte Information anzeigen. Dieser Gebrauch von Schrift wird etwa in der Grundschule erlernt, wenn es um das Zahlenrechnen geht. Fünfhundertachtunddreißig mit zweihundertsiebzehn im Kopf zu multiplizieren, mag manch Begabtem oder Geübtem gelingen. Die meisten werden dafür jedoch (so gerade kein elektronischer Rechner zur Hand ist) zu Stift und Papier greifen, 538 x 217 schreiben, einen Strich darunter ziehen und Zeile für Zeile mit Ziffern füllen, bis am Ende unter einem zweiten Strich mit der Zeichenfolge 116 7 46 das gesuchte Ergebnis auf dem Blatt steht. Die Multiplikationsregel gibt selbstverständlich nur ein Beispiel schriftlicher Informationsverarbeitung. Schrift ist das herausragende Medium zur Konstruktion formaler Systeme, von den Grundrechenarten über den Infinitesimalkalkül bis zur Prädikatenlogik Bezeichnenderweise liegt der historische Ursprung der Keilschrift, einer der ältesten bekannten Schriften und Vorläufer der europäischen Schriftsysteme, wohl nicht in der Repräsentation sprachlicher Äußerungen, sondern in Hilfsmitteln zum Zählen von Gütern und zur Buchführung;12 entsprechend kann die EDV unserer Tage als Verlängerung der Schrift begriffen werden, insofern Computer maschinelle Implementierungen von Rechenvorschriften darstellen. Historisch wie logisch stecken töne rne calculi und elektronische calculators den Raum dessen ab, was Schrift heißt. Angesichts ihrer hier nur skizzierten mediengeschichtlichen und -systematischen Bedeutung verwundert es nicht, dass Schrift bevorzugter Gegenstand medienwissenschaftlicher Überlegungen war und ist. Man darf gar so weit gehen zu behaupten : Die Medienwissenschaft hat sich an der Auseinandersetzung mit der Schrift aufgerichtet. Viele als Gründungstexte gehandelte Werke stellen historische und theoretische Untersuchungen z ur Schrift in den Mittelpunkt: Harold A. Innis' epochenübergreife nde kommunikationsgeschichtliche Studien folgen der Unterscheidung raum- und 11 Siehe Sybille Krämer: Geistes-Technologie. Über syntaktische Maschinen und typographische Schriften, in: Werner Rammert/Gotthard Bechmann (Hrsg.): Technik und Gesellschaft, Bd. 5, Frankfurt a. M.: Campus 1989 , S. 38-52; dies.: •Operationsraum Schrift' . Über einen Perspektivenwechsel in der Betrachtung der Schrift, in: Gernot Grube/ Werner Kogge/Sybille Krämer (Hrsg.): Schrift. Ku lturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, München: Wilhelm Fink 2005, S. 23-57. 12 Siehe Denise Schmandt-Besserat: The Earliest Precursor of Writing, in: Scientific American 238 (1978), S. 38-47. 16
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zeitbindender Schriftträger und -system e .13 Marsha ll McLuhans Gutenberg Galaxy widmet sich dem Übergang von der mittelalterlichen Manuskriptkultur zum Buchdruckzeitalter und dessen durch die medientechnisch e Nutzbarmachung der Elektrizität h erbeigeführtem Ende. Friedrich Kittlers Aujschreibes y steme 18 00 I 1900 ana lysier t den Bruch zwisch en dem Medienmon op ol de r Alphab etsch r ift und dem Me dien verbund der Aufzeichnungs app arate Gramm op hon, Film und Schreibmaschine. Und auch viele ältere Texte, die in der Medienwissens chaft zum Kanon gezählt werden, besch ä ftigen sich in historischer wie systematischer Absicht mit Fragen von Schrift und Schriftlichkeit: Platons Schriftkritik im Phaidros, Lessings Lcwkoon, Hugos »Ceci tuera cela «, Freuds »Notiz über den Wunderblock« und Levi-St r au ss' •Schreibstunde« s ind davon n ur die b ek a nntesten . Zudem b esteht e in nicht geringer Teil der fachfre mde n The oriebildung, die medienwissenschaftliches Arbeiten maßgeblich prägt, in der Auseinande rsetzung mit Schrift.14 Ähnlich auße rgewöhnlich wie die der Schrift is t a uch die Stellung des Computers.15 Historisch und systematisch verhalten sich die zwei Medie n gleichsam spiegelbildlich zueinande r : Wo S chrift die geschichtlich früheste Medien techn ik z u r Speicherung, Übertr agung und Verarbeitung von Information darstellt, da ist der Computer die jüngs te ; wie Schrift ers tmals eine Einhe it der medialen Grundfunktionen stiftet, schließt der Computer sie in maschineller Automation zus ammen und erweitert ihre technischen Dimensionen ins Gewa ltige . Schrift u nd Computer sind von einem gem einsam en Zug bestim m t , der eine tiefer liegende Verbi ndung vermuten lässt. Mit Schrift teilt der Computer zunächst die s chiere Ubiquität und Relevanz seiner Existenz. Bildet Schrift s eit fünftause nd Jahren das mediale Fundament von Zivilisation , ist der Computer im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte Teil der t ragenden Struktur unserer Gesellschaft geworden. So übernehme n oder unterstützen Computeranlagen in den sogen a nnt h ochindustria lisier ten Nat ionen n ich t nur - sozusagen im Hintergru nd und von der Allgemein he it in der Regel unbemerkt - die Steu erung und Kontrolle der gesamten In frastruk13 Siehe lnnis: Empire and Communications ; ders.: Minerva's Owl , in : The Bias of Communication, Toronto: University of Toronto Press 1951, S. 3- 32. 14 Zu nennen sind hier vor allem Jacques Derridas Grammatologie, Jacques Lacans strukturale Psychoanalyse und Roland Barthes' immer neu ansetzendes Fragen nach dem Schreiben und dem Text. 15 Der Ausdruck ·Computer Öffnen
tur, etwa der Strom- und Wasserversorgung oder des öffentlichen Verkehrs. Ihr Einsatz transformiert alle gesellschaftlichen Bereiche, von der Verwaltung über das Bildungssystem bis zur Medizin, weshalb mitunter bereits von der »Computergesellschaft« gesprochen wird.16 Auf der Ebene der Technik erfasst die ausgreifende Bewegung des Computers zunehmend, und von den Benutzern oftmals nicht wahrgenommen, die Geräte und Gegenstände des täglichen Gebrauchs, ungleich offenkundiger und umfassender jedoch die älteren Kommunikationsapparate und -einrichtungen wie Radio, Fernsehen oder Telefon. Die geschichtliche Ausnahmestellung des Computers erklärt sich denn auch nicht lediglich daraus, die zur Zeitjüngste Medientechnik zu sein. Es gibt vielmehr Gründe anzunehmen, dass er in bestimmter Hinsicht die geschichtlich letzte. weil mathematisch-informationstheoretisch unüberbietbare und diesbezüglich endgültige Implementierung technischer Vermittlungsleistungen verkörpert. Die historische Besonderheit des Computers wäre demnach zugleich eine systematische. Fragt man in diesem Zusammenhang nach den medialen Grundfunktionen, fällt mit als Erstes auf, wie sehr Digitaltechnik die Maßstäbe des Speicherns, Übertragens und Verarbeitens verschiebtins Kleinste wie auch ins Größte . Auf der einen Seite scheinen in der fortschreitenden Miniaturisierung der Geräte und ihrer Komponenten zeitliche und räumliche Dimensionen zu kollabieren. Längst schon außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsvermögens liegen Geschwindigkeit und Größe von Computerschaltkreisen heute im Bereich von Nanosekunden und Nanometern. Auf der anderen Seite geht der Umfang gespeicherter, übertragener und verarbeiteter Information ins Ungeheure. Mithilfe von Computern werden immer schnellere und komplexere Berechnungen angestellt, immer dichtere Kommunikationsnetzwerke geknüpft und immer größere Datenbestände verwaltet. Der erste kommerzielle Computer mit Festplattenspeicher, der IBM 305 RAMAC, wurde bei einer Vorführung an der Weltausstellung 1958 angesichtsseiner damals fantastisch anmutenden Kapazität von vier Megabyte als Genie mit beinahe »lückenlosem historischem Gedächtnis« beworben.17 Knapp dreißig Jahre später belegte die digitale Ausgabe der 21-bändigen Grolier's Academic American Encyclopedia von 1985 mit ihren neun Millionen Wörtern gerade einmal 10 o/o des neuen, 650 Megabyte fassenden Speichermediums 16 Siehe Dirk Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007. 17 Vgl. Matthew G. Kirschenbaum: Mechanisms. New Media and the Forensie Imagination , Cambridge, MA-London: MIT Press 2008, S. 76-77.
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CD -ROM.18 Die gut dreißig Millionen katalogisierter Bücher der USNationalbibliothek19 entsprechen, in einfachem Reintextformat digitalisiert, geschätzten 30 000 Gigabyte: eine Datenmenge, die heute auf einem Dutzend handelsüblicher Festplattenlaufwerke Platz findet. Beim Betrieb des Large Hadron Collider in Genf fallen Jahr für Jahr bereits 15 000 000 Gigabyte an zu speichernden Daten an.20 Im neunzehnten Jahrhundert dauerte die Beförderung eines Briefs von Europanach Amerika mit dem Segelschiff mehr als einen Monat, während es die erste transatlantische Telegrafenverbindung 1858 schon auf die Übertragungsgeschwindigkeit von einem Wort pro Minute brachte.21 Heute werden E-Mails, wie ein Blick in den Header verrät, meist in wenigen Sekunden von Servern versandt und über bzw. in unterseeisch en Kabeln durch den Ozean getragen. Der erste geostationäre Kommunikationssatellit Intelsat 1 (»Early Bird«) konnte 1965 rund zweihundert Telefongespräche oder einen einzelnen Fernsehkanal übertragen . Ein neueres Modell wie der Intelsat 10-2 strahlt dagegen Dutzende digitaler Fernsehkanäle in hochauflösendem Format aus .22 Während alte unterseeische Kupferkabel typischerweise gerade einmal zwanzig Gespräche gleichzeitig übertragen konnten, hat das Europa mit dem fernen Osten verbindende Glasfaserkabel FLAG (Fiber-Optic Link Around the Globe) eine theoretische Kapazität von 120000 synchronen Telefonverbindungen. Der weltweite Datenverkehr im Internet belief sich nach Schätzungen des Netzwerkspezialisten Cisco Systems für das ganze Jahr 1993 auf 100000 übertragene Gigabyte , im Jahr 2008 hingegen auf 160000 Gigabyte pro Sekunde, 23 a lso ungefähr das Fünffache des Buchbestands der US-Nationalbibliothek. Einer der frühesten Computer, Konrad Zuses Z 3 , erledigte in einer Sekunde ein Dutzend arithmetischer Arbeitsschritte.24 Der Intel 8088-Mikroprozessor des 1981 vorgestellten IBM PC konnte in derselben Zeit schon mehr als 300 000 einfache Instruktionen ausführen.25 Die Geschwindigkeit aktueller Supercomputer, die nicht 18 Vgl. Popular Science 228/2 (1986), S. 66-67.
19 Vgl. Library of Congress: Facts, http ://www.loc.gov/about/facts.html.
20 Vgl. GERN, http://public.web.cern.ch/ public/en/LHC/Computing-en.html. 21 Vgl. Neal Stephenson: Molher Earth Molher Board, in: Wired 4/12 (1996) ,
S. 97-160. 22 Vgl. Boeing: Early Bird. World's First Commercial Satellite, http ://www.boeing. com/defense-space/space /bss /factsheets/376/earlybi rd/ebi rd. html. 23 Vgl. The WallStreet Journal, 16. Juni 2008, S. B5.
24 Vgl. Hans H. Hiebel u. a.: Große Medienchronik, München: Wilhelm Fink 1999, S. 1043.
25 Vgl. Mohamed Rafiquzzaman: Microprocessors and Microcomputer-Based Sys19
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selten über hunder ttausende einzelner Rechenkerne verfügen , wird in Petaflops gemessen, d. h. in Billiarden Gleitkommazahl-Operationen pro Sekunde.26 Der deutsch e Rechenküns tle r J ohann Dase benötigte im Jahr 1840 knapp zwei Monate, um TI auf 2 00 Nachkomm a stellen zu bes timmen. Gut ein Jahrhu ndert s p ä ter ermittelte der E NIAC, d ie e rste vollelek tronische Rech enm aschi ne de r Welt , 2037 Stellen von TI in 70 St unden . In de rselben Zeit errechnete und p r ü fte der T2K Ope n Supercompute r de r Universität Tsukuba im August 2009 mehr als 2 ,5 Billionen Stelle n der Kreiszahl.27 So imposant diese Zahlen an s ich auch sind , solle n sie vor allem verdeutlichen, weshalb die medienhistorische Tatsache der Steige rung von Speiche r-, Über t r agungs- u n d Verarbeitungsk ap azitäten d u r ch Digitaltechnik eine m edien t heoretische Angelegenheit erst en Ranges ist. Ab eine r bestimmten Leist ungsfähigkeit k a nn mit Computern nämlich in hinreichendem Maße und in Echtzeit realisiert werden, w as in der Logik universell programmierbarer Rechenmaschinen als Potential immer schon angelegt ist: die Simulation mathematisch beschreibba rer m edia ler Objekte und Prozesse. Anders gesagt : Computer k önnen die algorithmierten Weisen des Speich er ns, Übertragen s u nd Vera rbeitens von Medien selb st speich ern, übertragen und verarbeiten. Sind die nötigen Hardwareressourcen , Vernetzungen sowie Ein- und Ausgabegeräte gegebe n , ersetzen sie eine Bibliothek, einen Radioempfänger oder eben auch eine Schreibmaschine. Die Vielfalt der medialen Techniken, die s ich im Rückblick auf die Mediengeschichte a ls Folgeerscheinung der schriftbasierten Zivilisationsstiftu ng ausnimmt, wi rd durch computerbasierte Simulation integriert .28 Was einst an unters chiedlich en Medien aus einem Zusammenhang, dem der Schrift, h e r vorgegangen war, geht tendenziell wieder in einen Komplex, den des Computers, ein. Die durch Digitaltechnik herbeigeführte und in den vergangenen zwei Jahrzehnte n unübersehbar gewordene Veränderung des Mediensystem s weist Comp u tern eine ähnlich b edeutende Rolle in der Fachgeschichte der Medienwissen schaft zu , wie Schrift s ie fü r deren tem Design, 2. Aufl. , Boca Raton: CRC Press 1995, S. 47. 26 Siehe http ://www.top500.org. 27 Vgl. Johann Martin Zacharias Oase: Der Kreis-Umfang für den Durchmesser 1 auf 200 Decimalstellen berechnet, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik 27 (1844), S. 198; George W. Reitwiesner: An ENIAC Determination of TI and e to more than 2000 Decimal Places , in : Mathematical Tables and Other Aids to Computation 4/29 (1950), S. 11 - 15; Tim Hornyak: Pi-Obsessed Japanese Reach 2.5 Trillion Digits , CNET News, 20. Aug. 2009, http:l/news.cnet. co m/8301-17938_ 105-10313808-1.html. 28 Vgl. Kittler: Grammophon , Film , Typewriter, S. 7-8. 20
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Herausbildung spielte. Die Intensivie rung der medie nhistorischen und -theoretischen Diskussion im deutschen Sprachraum ab Mitte der l980er Jahre , die sich bewusst vom hergebrachten Programm der an Zeitung, Radio und Fernsehen orientierten Kommunikationsund Publizistikwissenschaften absetzte, in ihrem Anspruch aber auch über die schon länger betriebene, stark film- und fernsehwissenschaftlich ausgerichtete Medienforschung hinausging, verlief parallel zur gesamtgesellschaftlichen Verbreitung von Computern - dem Siegeszug des PC - und ihrer wachsenden wissenschaftlichen Thematisierung in vielen Fachbereichen.29 Die akademische Institutionalisierung der Medienwissenschaft durch Einrichtung zahlreicher universitärer Studiengänge, Institute und Kollegs, die ab Mitte der l990er Jahre in den deutschsprachigen Ländern folgte, ging mit dem rapiden Ausbau des weltumspannenden Computernetzwerks Internet und dessen populärsten Diensten E-Mail und World Wide Web einher. Die zeitliche Koinzidenz von technischer und fachgeschichtlicher Entwicklung ist alles andere als ein Zufall. Zum einen stellte die Simulation vertrauter Medientechniken durch Computer deren Logik und Leistung a us und machte Text. Bild und Ton in neuartigen Rekonstruktionen und Rekombinationen erfahrbar ; in ihrer Ausdifferenzierung wurden •alte< und •neue< Medien desto sichtbarer. Zum anderen warf eben die Fähigkeit zur scheinbar unbegrenzten Remediatisierung neue theoretische Fragen auf und ließ 29 ln die zweite Hälfte der achtziger und die frühen neunziger Jahre fallen neben groß angelegten medienwissenschaftlichen Forschungsprojekten wie Literatur- und Medienanalyse (Kassel) oder Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien (Siegen) viele der für die weiteren Debatten maßgeblichen Publikationen; sie-
he zusätzlich zu den bereits erwähnten exemplarisch Sybille Krämer: Symbolische Maschinen. Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriss , Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988; Hans Ulrich Gumbrecht/K . Ludwig Pfeiffer (Hrsg.): Materialität der Kommunikation , Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988; Friedrich Kittler/Georg Christoph Tholen (Hrsg.): Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870, München: Wilhelm Fink 1989; Jochen Hörisch/ Manfred Wetze I: Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870 bis 1920, München: Wilhelm Fink 1990 ; Martin Stingelin/Wolfgang Scherer: HardWar/ SoftWar. Krieg und Medien 1914 bis 1945, München: Wilhelm Fink 1991; Michael Wetze I: Die Enden des Buches oder die Wiederkehr der Sch rift , Weinheim: VCH Acta humaniora 1991 ; Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München : Wilhelm Fink 1993; Norbert Bolz/Friedrich Kittler/ Christoph Tholen (Hrsg.): Computer als Medium, München: Wilhelm Fink 1994 ; siehe dagegen für die Entwicklung in Nordamerika Cl aus Pias: Die Weit des Schmoo. •Computer als Medium Öffnen
überkommene unter veränderten Vorzeichen wieder aktuell werden, wie etwa die nach dem Verhältnis von analoger und digitaler Darstellung oder nach intermedialen Beziehungen und Wechselwirkungen. Vor allem aber gaben Computer Anlass, sich sehr grundsätzlich mit der Vermittlungsleistung von Medien zu beschäftigen und die Frage nach der Medialität der Medien zu stellen. Paradoxerweise wies gerade die mediale >Eigenheit< von Computern den Weg zu einer möglichen Antwort: Was diese Maschinen vor allen anderen auszeichnet, ist ihre universelle Programmierbarkeit oder, anders formuliert, unspezifische Verwendbarkeit. Den unterschiedlichen Programmierungen und Verwendungen gegenüber bleiben Computer als universell programmierbare bzw. unspezifisch verwendbare Maschinen gleichgültig. Frei von >eigentlichen< Bestimmungen zeigen sie sich in jeweils spezifischen Konfigurationen von Hardware und Software, ohne darin je ihr >Wesen< zu finden. Ein Computer mag seiner Benutzerin als Bibliothek, als Radioempfänger oder als Schreibmaschine dienen, ohne dabei einfach Bibliothek, Radioempfänger oder Schreibmaschine zu sein. Seine >IdentitätististMetaphernmaschinen