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German Pages 323 [362] Year 2020
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 443 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Angelina Maria Behr
Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld im System des Schadensrechts Ein deutsch-italienischer Rechtsvergleich unter besonderer Berücksichtigung der Haftung im Straßenverkehr
Mohr Siebeck
Angelina Maria Behr, geboren 1985; Studium der Rechtswissenschaften an der LMU München; Juristischer Vorbereitungsdienst am Oberlandesgericht München und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der LMU München; Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Rechtsanwaltsgesellschaft; Rechtsanwältin, zugelassen bei der Rechtsanwaltskammer München; seit 2017 Referentin im Deutschen Patent- und Markenamt; 2019 Promotion. orcid.org/0000-0002-4923-8576
ISBN 978-3-16-159204-1 / eISBN 978-3-16-159207-2 DOI 10.1628/978-3-16-159207-2 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Für meine Eltern
Vorwort Ein häufiger Anwendungsbereich für den Ersatz immaterieller Schäden sind Verkehrsunfälle. Nach wie vor hängen Anspruchsgrund und Anspruchshöhe aber davon ab, auf welcher Seite einer Landesgrenze sich ein Unfall ereignet hat. Das führte vor allem bei tödlichen Verkehrsunfällen zu unbilligen Ergebnissen. Denn im Gegensatz zu den Nachbarstaaten, allen voran Italien, kannte die deutsche Rechtsordnung ein sog. „Angehörigenschmerzensgeld“ lange Zeit nicht, sondern gewährte den Angehörigen allenfalls einen Ersatzanspruch unter den restriktiven Voraussetzungen des sog. Schockschadens. Erst durch das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld wurde ein solcher Anspruch mit Wirkung zum 22.7.2017 normiert. Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2015 begonnen und fiel somit in eine bewegte Zeit, die von zahlreichen Neuerungen in diesem Bereich geprägt war. So hatte der EuGH im Jahr 2015 über die Anknüpfung des Sachrechts eines sog. „Angehörigenschmerzensgeldes“ zu entscheiden (Rs. Lazar/Allianz SpA) und der 2017 in Deutschland eingeführte gesetzliche Anspruch auf Hinterbliebenengeld warf ebenfalls interessante Fragestellungen auf. Umso mehr lohnte sich deshalb ein Blick in die italienische Rechtsordnung, die auf eine lange Erfahrung im Umgang mit Ansprüchen von Hinterbliebenen zurückblickt. Während der Entstehung dieser Arbeit erfuhr aber auch die in Italien zur Bemessung immaterieller Schäden verwendete Mailänder Tabelle im Jahr 2018 grundlegende Neuerungen. Im März 2019 wurde die vorliegende Arbeit zur Erlangung der Doktorwürde bei der Ludwig-Maximilians-Universität zu München eingereicht. Die nachfolgende Rechtsentwicklung wurde bis Ende 2019 berücksichtigt. Hierzu zählen insbesondere zwischenzeitlich ergangene Gerichtsentscheidungen zum Hinterbliebenengeld sowie die Aktualisierung der Tabellenbeträge i. S. v. Art. 139 ital. VersGB (Ministerialdekret vom 22.7.2019, veröffentlicht in Gazzetta Ufficiale Nr. 189 vom 13.8.2019) und der Tabelle des Landgerichts Rom zur Bemessung immaterieller Schäden aufgrund des Todes einer nahestehenden Person. Mein aufrichtiger Dank dafür, dass ich mich mit diesem spannenden Thema befassen durfte, gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Peter Kindler. Bereits während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Ihrem Lehrstuhl haben Sie mein Interesse für dieses Thema geweckt. Nach wie vor sind Sie ein interessierter und kompetenter Ansprechpartner und die
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Vorwort
Zusammenarbeit mit Ihnen hat mich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich sehr bereichert. Ein besonderer Dank gilt auch Frau Dr. Alessandra Pedriali-Kindler. Ihre Kurse zum Rechts- und Wirtschaftsitalienisch habe ich stets mit sehr großer Freude besucht. Damit haben Sie den Grundstein für diese Arbeit gelegt. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Frau Prof. Dr. jur. Beate Gsell für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern, deren aufmunternde Worte und liebevolle Strenge dazu beigetragen haben, diese Arbeit zu vollenden. München, im Januar 2020
Angelina Maria Behr
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 I.
Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld im System des Schadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr . . .4 III. Das Schadensrecht nach Verkehrsunfällen als Gegenstand der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen . . . . . . . .19 I. Systematischer Überblick über die außervertragliche Haftung . . . . . . .19 II. Die Haftung des Fahrzeugführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers . . . . . . . . . . . . . . .36 IV. Die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel . . . . . . . . .45 V. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten . . . . . . . . . .69 I. Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden . . . . .69 II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . .77 III. Bemessung des Nichtvermögensschadens infolge von Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124
§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .173 I. Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . .173 II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein bzw. Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .176
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Inhaltsübersicht
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes bzw. Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) . . .183 IV. Rechtsvergleichende Gesamtbetrachtung: Insgesamt höhere Anforderungen an die Dauer der Überlebenszeit für beide Fallgruppen nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189 V. Der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) als Neuerung der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .190 VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches . . . . . . . . . . . . . . . . .194
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . .203 I.
Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .280
§ 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .287 I.
Strengere Haftung von Fahrzeugführern und vor allem von Fahrradfahrern nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .287 II. Keine Anknüpfung der Verjährung zivilrechtlicher Ersatzansprüche an strafrechtliche Verjährungsfristen im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288 III. Der Nichtvermögensschaden des Primärgeschädigten . . . . . . . . . . . . . .288 IV. Höhere Anforderungen an die Vererbbarkeit immaterieller Ersatzansprüche in Italien, insbesondere nach Veröffentlichung der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290 V. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 Anhang I: Typische Unfallsituationen mit Haftungsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . .295 Anhang II: Gesetzentwurf Nr. 4093 vom 4.6.1999 zur Kodifizierung des danno biologico und danno morale im Codice civile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .298 Anhang III: Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des biologischen Schadens bei Dauerinvalidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .301 Anhang IV: Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .321
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 I.
Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld im System des Schadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr . . .4 1. Befassung deutscher Gerichte mit Verkehrsunfällen mit italienischem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 a) Erhebung der Direktklage am Wohnsitzforum des bei einem Verkehrsunfall im Ausland Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 b) Zustellung der Klageschrift an den inländischen Schadensregulierungsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 c) Erhebbarkeit der Direktklage unter Beachtung einer sog. „Friedenspflicht“ nach Art. 145 ital. VersGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 d) Beiladung des in Italien wohnhaften Schädigers zum Verfahren über die Direktklage am Wohnsitzforum des Geschädigten nach Art. 144 Abs. 3 ital. VersGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 e) Unanwendbarkeit italienischer Beweismittelbeschränkungen aufgrund des lex fori-Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7 2. Bestimmung des anwendbaren Sachrechts mit Hilfe der Rom II‑VO . . .7 a) Anknüpfung des Sachrechts an den Unfallort (lex loci delicti) . . . . . .8 b) Anknüpfung des Sachrechts hinsichtlich immaterieller Schadensersatzansprüche von Hinterbliebenen aus eigenem Recht an den Unfallort (Rs. Lazar/Allianz SpA – C-350/14) . . . . . . . . . . . . .9 c) Widerspruch der EuGH‑Entscheidung C-350/14 zur Anknüpfung des Sachrechts im internationalen Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . .10 3. Sinnhaftigkeit und Ziel dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
III. Das Schadensrecht nach Verkehrsunfällen als Gegenstand der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 1. Unterschiedliche Haftungsstandards bei grenzüberschreitenden Schadensfällen infolge der Anknüpfung des Sachrechts an den Unfallort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
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2. Initiativen und Kompetenzen zur Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . .13 a) „Principles of European Tort Law“ und „Draft Common Frame of Reference“ als Referenztexte zur Europäisierung des Haftungsund Schadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13 b) Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Regelung des ersatzfähigen Schadens und seiner Höhe bei Verkehrsunfällen . . . . . . . . . . . . . . . . .14 c) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Verjährungsfristen für Straßenverkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15 d) Förderung des europäischen Versicherungsbinnenmarktes als Triebkraft zur Harmonisierung des Haftungs- und Schadensrechts bei Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug . . . . . . . . . .17
§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen . . . . . . . .19 I.
Systematischer Überblick über die außervertragliche Haftung . . . . . . .19 1. Die deliktische Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 a) Art. 2043 c. c. als große Generalklausel des italienischen Codice civile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 b) Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für drei kleine Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 2. Die Haftung im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21
II. Die Haftung des Fahrzeugführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 1. Die Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 1 und 2 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . .22 a) Weiter Fahrzeugbegriff (veicolo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 b) Fahrzeugführer (conducente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 c) Verkehr des Fahrzeugs (circolazione) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 d) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 e) Entlastungsbeweis (prova liberatoria) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 aa) Widerlegung der Verschuldensvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . .25 bb) Widerlegung der Kausalitätsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26 f) Vermutung hälftigen Mitverschuldens bei einem Zusammenstoß von Fahrzeugen (scontro tra veicoli) nach Art. 2054 Abs. 2 c. c. . . . .27 aa) Umfang und Widerlegung der Mitverschuldensvermutung . . . . .27 bb) Sorgfalts- bzw. Verschuldensmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 2. Die Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden im deutschen Recht nach §§ 18 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 StVG . . . . . . . . . . . . .29 a) Kraftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 b) Fahrzeugführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 c) Betrieb des Kraftfahrzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 d) Kausalität zwischen Betrieb und Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 e) Entlastungsbeweis des Fahrzeugführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
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f) Haftungseinschränkung wegen Mitverursachung . . . . . . . . . . . . . . . .31 aa) Mitverursachung durch einen geschädigten Fahrzeughalter oder -führer nach § 17 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31 bb) Mitverursachung durch außenstehende Geschädigte nach § 9 StVG, § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Subsumtion des Fahrrads unter den italienischen Fahrzeugbegriff und keine Berücksichtigung der Betriebsgefahr in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 a) Haftung des Fahrzeugführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 b) Verhältnis zur Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 c) Fahrzeugführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 d) Schadensentstehung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ . . . . . .34 e) Betriebsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 f) Entlastungsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 g) Kollision von Kraftfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 h) Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 i) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers . . . . . . . . . . . . . . .36 1. Akzessorische Haftung des Eigentümers, Nießbrauchers oder Vorbehaltskäufers im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 3 c. c. . . .36 a) Verpflichteter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 b) Funktion und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 c) Akzessorische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38 d) Entlastungsbeweis: Benutzung des Fahrzeugs gegen den Willen des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38 e) Regress im Innenverhältnis zwischen Fahrzeugeigentümer und -führer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 2. Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters im deutschen Recht nach § 7 Abs. 1 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 a) Haltereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40 b) Ausschluss der Ersatzpflicht in Grundzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40 aa) Höhere Gewalt i. S. v. § 7 Abs. 2 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40 bb) Haftung bei unbefugter Fahrzeugbenutzung i. S. v. § 7 Abs. 3 StVG (sog. „Schwarzfahrt“) . . . . . . . . . . . . . . .41 cc) Unabwendbares Ereignis i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG . . . . . . . . . . . .41 c) Haftungseinschränkung wegen Mitverursachung . . . . . . . . . . . . . . . .42 d) Innenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters im deutschen Recht im Gegensatz zur akzessorischen Haftung nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 a) Begriff des Fahrzeughalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 b) Unterschiedliche Konzeption und Praxisrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . .43 c) Entlastungsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43
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aa) Eigenständige Halterhaftung im deutschen Recht im Gegensatz zur akzessorischen Haftung nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 bb) Höhere Gewalt bzw. Zufall (caso fortuito) . . . . . . . . . . . . . . . . .44 cc) Haftung bei unbefugter Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44
IV. Die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel . . . . . . . . .45 1. Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 4 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45 a) Die Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler als absolute Verschuldensvermutung für Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45 b) Die Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler als Gefährdungshaftung (responsabilità oggettiva) . . . . . . . . . . . . . . . . .46 2. Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters für Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs oder ein Versagen seiner Vorrichtungen nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 3 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Unterschiedliche Beweislastverteilung aufgrund verschiedener Konzeption der Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel . . . . . . . . . . . . .47 a) Konzeption als Gefährdungshaftung im italienischen Recht im Gegensatz zum Haftungsausschlussgrund nach deutschem Recht . . .47 b) Konzeptionsbedingt unterschiedliche Beweislastverteilung . . . . . . . .47 c) Behandlung von Unfällen infolge abgenutzter oder geplatzter Reifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48
V. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48 1. Erlöschen des Rechts infolge der italienischen Verjährungsregelung des Art. 2934 Abs. 1 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49 a) Länge der Verjährungsfristen nach italienischem Recht . . . . . . . . . . .49 aa) Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen auf zivilrechtliche Ersatzansprüche bei gleichzeitiger Verwirklichung eines Straftatbestandes . . . . . . . . .50 bb) Verjährung nach Ablauf eines dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeitraums, nicht jedoch unter sechs Jahren bei Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50 cc) Fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . .51 (1) Fahrlässig verursachte leichte oder sehr leichte Körperverletzungen nach Art. 590 Abs. 1 c. p. . . . . . . . . . . . .51 (2) Neuregelung der fahrlässig im Straßenverkehr verursachten schweren oder sehr schweren Körperverletzung in Art. 590-bis c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . .52 (a) Definition der schweren bzw. sehr schweren Körperverletzung in Art. 583 c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .52
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(b) Im Rauschzustand verursachte schwere und sehr schwere Körperverletzungen nach Art. 590-bis Abs. 2–5 c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (c) Durch besonders gefährliches Verhalten im Straßenverkehr verursachte schwere und sehr schwere Körperverletzungen nach Art. 590-bis Abs. 5 c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (d) Erhöhung bzw. Minderung der Strafe nach Art. 590-bis Abs. 6–8 c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 (3) Bestimmung der Verjährungsfristen für die jeweiligen Tatbestandsvarianten des Art. 590-bis c. p. . . . . . . . . . . . . . . .53 (a) Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen für fahrlässige Körperverletzungen jeder Art in sechs bzw. sieben Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 (b) Tabellarische Darstellung der Verjährungsfristen für die Tatbestandsvarianten des Art. 590-bis c. p. . . . . . . . . .54 (c) Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . .55 (4) Keine Erforderlichkeit eines Strafantrags für die Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 dd) Fahrlässige Tötung im Staßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 (1) Neuregelung der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr in Art. 589-bis c. p. mit inhaltlichen Parallelen zu Art. 590-bis c. p. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 (2) Erhebliche Verlängerung der straf- und zivilrechtlichen Verjährungsfristen für fahrlässige Tötung im Straßenverkehr durch Art. 157 Abs. 6 c. p. . . . . . . . . . . . . . . .56 (3) Tabellarische Darstellung der Verjährungsfristen für die Tatbestandsvarianten des Art. 589-bis c. p. . . . . . . . . . . . . . . .57 ee) Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen auch auf Sachschäden desselben Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58 b) Beginn und Berechnung der Verjährungsfrist nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58 aa) Kenntnis der Schädigung bzw. Möglichkeit der Kenntniserlangung bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt als Voraussetzung des Verjährungsbeginns . . . . . . . . . .59 bb) Abhängigkeit des Verjährungsbeginns vom jeweiligen Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs für die invalidità temporanea und invalidità permanente . . . . . . . . .60 cc) Unabhängigkeit des Verjährungsbeginns von der sog. „Friedenspflicht“ nach Art. 145 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . .61
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dd) Wirkung des „Erlöschens“ der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 c) Hemmung und Unterbrechung der Verjährung im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62 aa) Weiterlaufen der Verjährungsfrist nach Hemmung unter Anrechnung der zuvor bereits abgelaufenen Zeit . . . . . . . . . . . . .62 bb) Neubeginn der Verjährungsfrist nach Unterbrechung ohne Anrechnung der zuvor abgelaufenen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .62 2. Leistungsverweigerungsrecht infolge der Verjährung im deutschen Recht nach § 214 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63 a) Allgemeine Geltung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen für Ansprüche aus straßenverkehrsrechtlicher Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung sowie den Direktanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . .63 b) Regelverjährung der Ansprüche in drei Jahren ab Kenntniserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .64 c) Hemmung und Neubeginn der Verjährung im deutschen Recht . . . . .65 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Wesentlich längere Verjährungsfristen im italienischen Recht aufgrund des Gleichlaufs mit der strafrechtlichen Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 a) Rechtsfolgen der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 b) Regelverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 c) Verjährungsfrist bei Verkehrsunfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66 d) Anknüpfung an die strafrechtlichen Verjährungsfristen . . . . . . . . . . .66 e) Verjährung des Direktanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66 f) Verjährungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67 g) Hemmung und Neubeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten . . . . . . . . . .69 I.
Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden . . . . .69 1. Ersatz des Nichtvermögensschadens im italienischen Recht nach Art. 2059 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 a) Konzeption des Nichtvermögensschadens nach Art. 2059 c. c. . . . . . .70 b) Schutzgüter im Rahmen des Art. 2059 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .70 c) Sachlicher Anwendungsbereich des Art. 2059 c. c. . . . . . . . . . . . . . . .71 2. Ersatz von „Schmerzensgeld“ im deutschen Recht nach § 253 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72 a) Konzeption des Schmerzensgeldes nach § 253 BGB . . . . . . . . . . . . .73 b) Eng umgrenzter Katalog von Schutzgütern nach § 253 Abs. 2 BGB .73 c) Sachlicher Anwendungsbereich des § 253 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . .74 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Gleiche Grundkonzeption des Nichtvermögensschadens und nahezu zeitgleiche, parallele Entwicklungen beim Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 a) Gleiche Konzeption: Nur ausnahmsweise Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . .75
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b) Schutzgüter: Das deutsche Tatbestandsprinzip im Gegensatz zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Italien . . . . . . . . . . . . . .76 c) Anwendungsbereich: Gleichlaufende Entwicklung in Bezug auf die Loslösung vom Verschuldenserfordernis und den Ersatz bei Vertragsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .76
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . .77 1. Gefühlsschaden (danno morale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 a) Der Gefühlsschaden (danno morale) im italienischen Recht . . . . . . .78 aa) Symptomatik des Gefühlsschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 bb) Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 cc) Historische Entwicklung: (Doppelt restriktive) Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens nach Art. 2059 c. c. . . . . . .79 (1) Traditionell restriktive Haltung gegenüber dem Ersatz immaterieller Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 (2) Doppelte Restriktion durch Art. 2059 c. c.: Verwirklichung eines Straftatbestandes als Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens und seine Begrenzung auf Gefühlsschäden (danni morali) . . . . .80 (3) Abkehr von der doppelten Restriktion des Art. 2059 c. c. . . .81 b) Kein Ersatz reiner Gefühlsschäden im deutschen Recht . . . . . . . . . . .82 aa) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .82 bb) Verletzung ausdrücklich bestimmter Schutzgüter . . . . . . . . . . . .84 cc) Schmerzensgeld bei weitgehendem Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .85 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Kein umgrenzter Katalog von Schutzgütern im italienischen Recht, aber begrenzter Entschädigungsgehalt des Gefühlsschadens (danno morale) im Vergleich zum deutschen Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 aa) Kein eng umgrenzter Katalog von Schutzgütern im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 bb) Begrenzter Entschädigungsgehalt des Gefühlsschadens (danno morale) im Vergleich zum deutschen Schmerzensgeld . .86 cc) Unterschiedliche Behandlung beim Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .86 2. Gesundheitsschaden (danno biologico) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86 a) Der Gesundheitsschaden (danno biologico) im italienischen Recht . . 86 aa) Abgrenzung des Gesundheitsschadens (danno biologico) vom Schaden an der Gesundheit (danno alla salute), der Gesundheitsverletzung (lesione della salute) und der körperlich-geistigen Verletzung (lesione psicofisica) . . . . . . . . . .87 bb) Symptomatik des Gesundheitsschadens (danno biologico) . . . . .87
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cc) Psychischer bzw. geistiger Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .88 dd) Historische Entwicklung vom Gefühlsschaden (danno morale) bis zum Gesundheitsschaden (danno biologico) . . . . . .89 (1) Schaden am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione) 89 (2) Entscheidung des Landgerichts Genua vom 25.5.1974 . . . . .91 (3) Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes Nr. 87/1979 und Nr. 88/1979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .92 (4) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 184/1986 . . .93 (5) Versuch der Kodifizierung des Gesundheitsschadens . . . . . .94 (6) Kehrtwende im Jahr 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95 (7) Bestätigung des Nichtvermögensschadens als einheitliche Schadenskategorie durch die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes in den sog. „San Martino“-Urteilen . . . . . . .96 b) „Schmerzensgeld“ im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 aa) Voraussetzung einer Körper- oder Gesundheitsverletzung . . . . .98 bb) Geringfügigkeitsgrenze und HWS‑Schleudertraumata . . . . . . . .99 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Unterschiedliche Entwicklung des Nichtvermögensschadens, aber im Wesentlichen kongruenter Entschädigungsgehalt von Schmerzensgeld und der Summe aus Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100 aa) Unterschiedliche Entwicklung des Nichtvermögensschadens . . .100 bb) Die Sphäre des Geschädigten als mittlerweile maßgeblicher Bezugspunkt für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100 cc) Im Wesentlichen kongruenter Entschädigungsgehalt von Schmerzensgeld und der Summe aus Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) . . . . . . .101 3. Existenzschaden (danno esistenziale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 a) Der Existenzschaden (danno esistenziale) im italienischen Recht . . .102 aa) Symptomatik des Existenzschadens (danno esistenziale) . . . . . .102 bb) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .102 (1) Beeinträchtigungen der Selbstentfaltung infolge von Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .102 (2) Eigenständige Bedeutung des Existenzschadens (danno esistenziale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 (a) Unerwünschte Geburt eines Kindes (danno da nascita indesiderata) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 (b) Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit (danno da perdita di chances di procreazione) . . . . . . . . . . . . . . . . .104 cc) Historische Entwicklung vom Gesundheitsschaden (danno biologico) zum Existenzschaden (danno esistenziale) . . . . . . . . .105 (1) Fortentwicklung des Gesundheitsschadens . . . . . . . . . . . . . .105
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(2) Die Triester und die Pisaner Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106 (3) Anerkennung des Existenzschadens (danno esistenziale) durch die Grundsatzentscheidung des Kassationshofes Nr. 7713 vom 7.6.2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 (4) Die sog. „Zwillingsurteile“ des Kassationshofes Nr. 8827, 8828 vom 31.5.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 (5) Die Behandlung des Existenzschadens (danno esistenziale) in der Rechtsprechung nach 2003: Uneinigkeit zwischen der „existenzialistischen“ und der „antiexistenzialistischen“ Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .108 (a) Sog. „existenzialistische“ Tendenz: Exzessiver Ersatz des Existenzschadens auch bei bloßen Unannehmlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .108 (b) Sog. „antiexistenzialistische“ Tendenz: Ablehnung der gesonderten Berücksichtigung des Existenzschadens 109 (6) Bestätigung der „antiexistenzialistischen“ Ansicht durch die sog. „San Martino“-Urteile der Vereinigten Senate des Kassationshofes vom 11.11.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 (a) Der Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 (b) Qualifizierung des Nichtvermögensschadens als sog. Folgeschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111 (c) Schutzgüter des Art. 2059 c. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111 (d) Ausdehnung des Ersatzes von Nichtvermögensschäden auf die Vertragshafung . . . . . . .112 (e) Beschränkung des Ersatzes immaterieller Schäden auf schwere Verletzungen eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . .114 dd) Zwischenergebnis: Der Existenzschaden (danno esistenziale) als Bestandteil des einheitlichen Nichtvermögensschadens . . . . .115 b) Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung im deutschen Recht . 116 aa) Entschädigung für die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116 (1) Entwicklung und dogmatische Grundlage des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116 (2) Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . .117 (3) Besondere Grenzfälle im Bereich der Familienplanung . . . .118 (a) Ungewollte Schwangerschaft als Körperverletzung . . . .118 (b) Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit als Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .118 bb) Berücksichtigung von Beeinträchtigungen der Selbstentfaltungsmöglichkeit infolge von Körperverletzungen . 119
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(1) Verletzungsbedingt erzwungener Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 (2) Beeinträchtigungen bei der Sportausübung . . . . . . . . . . . . . .119 (3) Negative Auswirkungen auf das Sexualleben . . . . . . . . . . . .120 (4) Kein Schmerzensgeld für entgangene Hochzeitsfeierfreuden 121 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Große dogmatische Gemeinsamkeiten zwischen dem Existenzschaden und der Entschädigung bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 aa) Jeweils dogmatische Herleitung unter Bezugnahme auf verletzte Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 bb) Ausschließliche Berücksichtigung von Beeinträchtigungen der Selbstentfaltung infolge einer eigenen Körperverletzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 cc) Geringerer Schutz immaterieller vertraglicher Erfüllungsinteressen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens infolge von Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124 1. Bemessung immaterieller Schäden infolge von Körperverletzungen nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125 a) Funktion und Grundsätze des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . .125 aa) Funktion des italienischen Schadensersatzrechts . . . . . . . . . . . . .125 bb) Die Billigkeitskriterien für die Bemessung des Nichtvermögensschadens in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .126 cc) Zwei Schritte der Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 b) Der Gesundheitsschaden (danno biologico) als maßgeblicher Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 c) Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) abhängig von der Schadensursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .128 d) Bemessung des Gesundheitsschadens infolge von Verkehrsunfällen nach Art. 138, 139 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . .129 aa) Legaldefinition des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach dem italienischen Privatversicherungsgesetzbuch (Codice delle assicurazioni private) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Bemessung leichter Körperverletzungen nach Art. 139 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .130 (1) Bemessung des vorübergehenden Gesundheitsschadens (danno biologico temporaneo) nach Art. 139 Abs. 1 lit. b ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 (2) Bemessung von leichten Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 1–9 % nach Art. 139 Abs. 1 lit. a ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132
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(a) Bestimmung des Invaliditätsgrades durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) mit Hilfe von Schadensskalen . . . . . . . .132 (b) Formel zur Bemessung der Entschädigung bei leichten Dauerschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .133 (3) Eventuelle Anspruchserhöhung nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .134 (a) Anforderungen des Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB . . . . . . .134 (b) Keine Erhöhung aufgrund von mit dem konkreten Invaliditätsgrad für gewöhnlich verbundenen Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .134 (4) Beweisanforderungen beim Ersatz leichter Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135 (a) Erhöhte Beweisanforderungen durch Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter D. lgs. 24.1.2012, n. 1 (decreto Cresci Italia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136 (b) Kritik an Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter D. lgs. 24.1.2012, n. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .137 (c) Klarstellung durch den Kassationshof . . . . . . . . . . . . . . .137 (d) Zeitnahe Konsultation der Notaufnahme als Mittel der Beweissicherung in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138 (e) Keine Pflicht zur Konsultation eines italienischen Gerichtsarztes (medico legale) bei Direktklageerhebung in Deutschland aufgrund des lex fori-Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138 cc) Bemessung von schweren Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % nach Art. 138 ital. VersGB . . . . .141 e) Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach der Mailänder Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 aa) Die Mailänder Tabelle als nationaler Maßstab zur Bemessung des Nichtvermögensschadens in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 bb) Reformierung der Mailänder Tabelle nach den sog. „San Martino“-Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 (1) Kumulative Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico), Gefühlsschadens (danno morale) und Existenzschadens (danno esistenziale) als unzulässige „Verdoppelung“ des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 (2) Große Reform der Mailänder Tabelle im Jahr 2009 . . . . . . . .144 (a) Erster Schritt: Bestimmung des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145 (b) Zweiter Schritt: Berücksichtigung besonderer schadenserhöhender oder -mindernder Umständen im Rahmen der Personalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .146
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(c) Insgesamt Erhöhung der Entschädigungsbeträge infolge der Reformierung 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 (3) Weitere Neuerungen infolge der Aktualisierung der Mailänder Tabelle im Jahr 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 cc) Grundlagen der Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . .148 (1) Keine allgemeingültige Definition des Gesundheitsschadens (danno biologico) im Codice civile . . .148 (2) Bestimmung des Invaliditätsgrades durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) mit Hilfe von Schadensskalen . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 (3) Bemessung von vorübergehenden Gesundheitsschäden . . . .149 (4) Bemessung von Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 1–100 % . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 (a) Erster Schritt: Bestimmung des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 (b) Zweiter Schritt: Berücksichtigung besonderer schadenserhöhender oder -mindernder Umständen durch Personalisierung des sog. „Standardbetrags“ . . . . .150 f) Grundsätzlich Ersatz eines Kapitalbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .151 g) Verhältnis zwischen Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) nach den sog. „San Martino“-Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152 aa) Einheitliche Bemessung des Nichtvermögensschadens nach den sog. „San Martino“-Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152 bb) Betonung der eigenständigen Bedeutung des Gefühlsschadens gegenüber dem Gesundheitsschaden durch den italienischen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .153 (1) Bemessung des Gefühlsschadens mit bis zu ⅔ des Gesundheitsschadens nach Art. 5 Abs. 1 lit. c D. P. R. 3.3.2009, n. 37 und Art. 4 Abs. 1 lit. c D. P. R. 30.10.2009, n. 181 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .153 (2) Keine unzulässige Verdoppelung des Schadensersatzes aufgrund der gesonderten Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens (danno morale) nach Art. 138 Abs. 2 lit. e und Abs. 3 ital. VersGB und Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .154 h) Gegenüberstellung der Bemessung nach Art. 138, 139 ital. VersGB und nach der Mailänder Tabelle in einem praktischen Rechenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .155 aa) Schadensbemessung nach Art. 139 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . .155 bb) Schadensbemessung nach der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . .156 cc) Fazit der rechnerischen Gegenüberstellung: Unterschiedliche Entschädigung von Verletzungen derselben Art und Schwere . . .157
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dd) Unionsrechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit des Art. 139 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 (1) Bestätigung der Unionsrechtskonformität durch den EuGH mit Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Petillo) . . . . . . . . .158 (2) Wiederholte Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit von Art. 139 ital. VersGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .159 2. Bemessung des Schmerzensgeldes in Deutschland nach § 287 ZPO . . . 160 a) Funktion des Schmerzensgeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 aa) Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes . . 161 bb) Präventionsfunktion nur bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .162 b) Geringfügigkeitsgrenze und HWS‑Schleudertraumata . . . . . . . . . . . .162 c) Grundlagen der Schmerzensgeldbemessung im deutschen Recht . . . .163 aa) Orientierung an sog. Schmerzensgeldtabellen . . . . . . . . . . . . . . .163 bb) In der Person des Geschädigten zu berücksichtigende Umstände 164 cc) In der Person des Schädigers zu berücksichtigende Umstände . .165 d) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden . . . . . . .165 e) Grundsätzlich Ersatz eines Kapitalbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Vorzugswürdigkeit der Schmerzensgeldbemessung nach deutschem Recht als uneingeschränkte Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166 a) Funktion des Ersatzes von Nichtvermögensschäden . . . . . . . . . . . . . .166 b) Grundsätzlich Bemessung des Nichtvermögensschadens nach freiem Ermessen in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .167 c) Grundlegend unterschiedliche Bemessungssysteme in Italien und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .167 aa) Einschränkung des freien Ermessens in Italien durch Tabellensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .167 bb) Echte Ermessensentscheidung deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . .168 cc) Stellungnahme zu den Bemessungssystemen: Vorzugswürdigkeit der Schmerzensgeldbemessung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit HWS‑Schleudertraumata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .170
§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .173 I.
Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . .173 1. Uneinheitliche italienische Rechtsprechung zur Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche beim sofortigen Tod des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .174 2. Bis 1990 Beschränkung der Vererbbarkeit des Schmerzensgeldes im deutschen Recht durch § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . .174
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3. Rechtsvergleichende Bewertung: Vererbbarkeit immaterieller Schäden in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .176
II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein bzw. Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .176 1. Rechtslage in Italien bis 2018: Ersatz des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .176 a) Uneinigkeit bzgl. der Mindestdauer des Überlebens (apprezzabile lasso di tempo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177 b) Gegenstand und Kriterien zur Bemessung des Gesundheitsschadens mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177 c) Rechtsunsicherheit aufgrund ungleicher Bemessungspraxis . . . . . . . .178 2. Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein“ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .180 a) Erforderliche Überlebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .180 b) Bemessungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .181 c) Je länger die Überlebensdauer im Zustand der Bewusstlosigkeit, desto geringer die Anspruchshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .181 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Höhere Anforderungen an die Überlebensdauer durch die italienische Rechtspraxis und vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen, aber große Divergenzen bei der Anspruchshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .182 a) Höhere Anforderungen an die Überlebensdauer im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .182 b) Vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen . . . .182 c) Großer Unterschied bei der Anspruchshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .182
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes bzw. Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) . . .183 1. Rechtslage in Italien bis 2018: Ersatz des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) und des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) . . . . . . . . . . . . . . . . . .183 a) Ersatz des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) bis 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .183 aa) Abgrenzung zum Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .184 bb) Großes Gewicht des katastrophalen Moments bei der Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .184 b) Medizinisch feststellbarer psychischer Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) während der verhältnismäßig kurzen Überlebenszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185 aa) Abgrenzung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) vom Gefühlsschaden (danno morale) . . . . . .185 bb) Bemessungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185
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cc) Kritik an der Figur des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .186 2. Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes“ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .187 a) Bemessungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .187 b) Sehr kurze Dauer bewusst erlittener Todesqualen ausreichend . . . . . .188 c) Kein Pendant zum psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Geringere Anforderungen an die Dauer bewusst erlittener Todesqualen im deutschen Recht . . . . . . . . . . .189
IV. Rechtsvergleichende Gesamtbetrachtung: Insgesamt höhere Anforderungen an die Dauer der Überlebenszeit für beide Fallgruppen nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189 V. Der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) als Neuerung der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .190 1. Der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) als einheitliche und allumfassende Schadenskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .191 2. Bewusstsein als Anspruchsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .191 3. Höchste Schadensintensität in den ersten drei Tagen, danach Bemessung in absteigenden Tagessätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192 4. Praktisches Rechenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192 5. Rechtsvergleichende Bewertung: Höhere Anforderungen an die Vererbbarkeit durch die neue Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . .193
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches . . . . . . . . . . . . . . . . .194 1. Beendigung der uneinheitlichen Gerichtspraxis zur Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) in Italien im Jahr 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194 a) Keine Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) nach der traditionellen Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195 b) Kritik an der traditonellen Auffassung und Vorschläge zur Bemessung des Schadens infolge des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196 c) Bestätigung der Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes durch den Kassationshof (Cass. 23.1.2014, n. 1361) . . . . . . . . . . . . . .197 d) Fragwürdige Versuche der Instanzgerichte zur Bemessung des Verlusts des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .198 e) Festhalten an der traditionellen Auffassung durch die Vereinigten Zivilsenate: Ablehnung der Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 2. Geringer Diskussionsbedarf in der deutschen Literatur . . . . . . . . . . . . . .200 a) Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens aus präventiven Gründen . . .200
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b) Überwiegende Ablehnung der Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Kein Ersatz für den Verlust des Lebens in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . .203 I.
Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Gefühlsschaden der Hinterbliebenen: Vorübergehende Trauer und Niedergeschlagenheit infolge des Verlusts einer nahestehenden Person . 204 a) Lange Tradition des Gefühlsschadens (danno morale) der Hinterbliebenen im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204 aa) Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens (danno morale) bereits nach dem Codice civile von 1865 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .205 bb) Doppelte Restriktion unter Art. 2059 c. c. von 1942: Verwirklichung eines Straftatbestandes als Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens und Begrenzung seines Ersatzes auf Gefühlsschäden (danni morali) 206 cc) Aufbrechen der Restriktionen durch die sog. „Zwillingsurteile“ des Kassationshofes Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.2003 und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 231 vom 11.7.2003 . . . . . . . . . . . .206 dd) Kehrtwende durch die sog. „San Martino“-Urteile der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes vom 11.11.2008: Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden auch bei schwerer Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 b) Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Deutschland als Annäherung an die Rechtslage in Italien und anderen europäischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 aa) Zurückhaltung des historischen Gesetzgebers und der Rechtspraxis gegenüber Drittschäden – Vermeidung einer Haftungsausuferung mit Hilfe des Tatbestandsprinzips . . . . . . . .208 bb) Deutschlands Distanzierung von seiner Rolle als „letzter Mohikaner in Europa“ durch Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .208 (1) Ergänzung des § 844 BGB um Absatz 3 sowie Aufnahme inhaltsgleicher Regelungen in Spezialgesetze zur Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 (2) Einlenken des deutschen Gesetzgebers nach europäischem Druck, rechtspolitischen Debatten und medienträchtigen Unglücksfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209
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cc) Regelungsinhalt und Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .212 (1) Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen im Verhältnis zum getöteten Primäropfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .213 (2) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .214 (3) Bestehen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses und tatsächliches Empfinden von seelischem Leid infolge der Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .214 (4) Haftungsausschlüsse und -begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . .215 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Annäherung beider Rechtsordnungen durch die Einführung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland – vergleichbare Anspruchsvoraussetzungen trotz unterschiedlicher Entwicklung und Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .215 aa) Entwicklung: Lange Tradition italienischer iure proprio-Ansprüche im Gegensatz zur Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.7.2017 . . . . . . . . . . .215 bb) Unterschiedliche Gesetzessystematik: Hinterbliebenengeld als ersatzfähiger Drittschaden aufgrund von deliktischen Ansprüchen im Gegensatz zur eigenen Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . .216 cc) Vergleichbare Anspruchsvoraussetzungen in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 2. Eigener Gesundheitsschaden der Hinterbliebenen infolge des Verlusts einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 a) Ersatz des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) von Hinterbliebenen in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 aa) Bestätigung der Ersatzfähigkeit des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) von Hinterbliebenen durch die Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 372 vom 27.10.1994 . . . . . . . . . . .218 bb) Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens der Hinterbliebenen in vorübergehenden oder dauerhaften Invaliditätspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .219 b) Ausschließlicher Ersatz für sog. „Schockschäden“ nahestehender Personen bis zur Einführung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .219 aa) Erstmalige Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Fernwirkungsschäden durch das Reichsgericht im Jahr 1931 . . .220 bb) Voraussetzungen des BGH für die Zurechnung von Schockschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .221 (1) Vorliegen einer Gesundheitsverletzung kraft allgemeiner Verkehrsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .221 (2) Verständlichkeit des Schocks im Verhältnis zum Anlass . . . .222
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(3) Vorhandensein einer persönlichen Nähebeziehung zwischen dem Primäropfer und dem Schockgeschädigten . .223 cc) Subsidiarität des Hinterbliebenengeldes gegenüber dem Schockschaden bei gleichzeitigem Vorliegen beider Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .224 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Feststellung gegenläufiger Tendenzen bei der Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Gefühlsund Gesundheitsschäden in Italien und Deutschland . . . . . . . . . . . . .224 aa) Gegenläufige Tendenzen bei der Entwicklung originiär eigener Ansprüche von Hinterbiliebenen in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .225 bb) Zurechnungskriterien: Erhöhte Anforderungen an die Zurechnung von Schockschäden in Deutschland durch das Erfordernis einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .225 3. Existenzschaden der Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .226 a) Ersatzfähigkeit des Existenzschadens (danno esistenziale) von Hinterbliebenen nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .226 aa) Anerkennung einer eigenen Verletzung der Hinterbliebenen in ihrem Grundrecht auf Unversehrtheit der Familie durch eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . .227 bb) Verhältnis von Gefühlsschaden (danno morale) und Existenzschaden (danno esistenziale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .227 b) Keine Ersatzfähigkeit existenzieller Nachteile im deutschen Recht . . 228 aa) Keine Ersatzfähigkeit künftig „entgangener Lebensfreude“ aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229 bb) Keine Anerkennung einer eigenen Verletzung der Hinterbliebenen in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . .230 cc) Berücksichtigung des Verlusts einer nahestehenden Person bei der Schmerzensgeldbemessung im Fall der gleichzeitigen Verletzung der Hinterbliebenen durch das schädigende Ereignis 231 dd) Untauglichkeit des Kriteriums der unmittelbaren Verletzung der Hinterbliebenen für die Berücksichtigungsfähigkeit des Verlusts einer zwischenmenschlichen Beziehung zum Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Das Hinterbliebenengeld als ersatzfähiger Drittschaden im Gegensatz zum Existenzschaden (danno esistenziale) als eigene Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen in ihrer verfassungsrechtlichen Garantie auf Unversehrtheit der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232 4. Kreis der Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234 a) Kategorisierung der Anspruchsberechtigten in Italien . . . . . . . . . . . .234
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aa) Familienkern: Ehegatten, Kinder, Eltern und Geschwister . . . . .235 bb) Getrennt lebende Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236 cc) Gleichgeschlechtliche Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236 dd) Lebensgefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237 ee) Großeltern und Enkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .238 ff) Verlobte und sonstige Verwandte und Verschwägerte . . . . . . . . .239 gg) Der nasciturus als Anspruchsberechtigter und Getöteter . . . . . . .239 hh) Keine Anspruchsberechtigung von Freunden und Geschiedenen 240 ii) Verlust eines Haustieres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240 b) Regel-Ausnahme-Verhältnis im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . .241 aa) Vermutung des persönlichen Näheverhältnisses des privilegierten Personenkreises und seine Bestimmung bei Fällen mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241 (1) Grundsätzliche Anspruchsberechtigung der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen: Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241 (2) Bestimmung des privilegierten Personenkreises bei Auslandsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .242 bb) Erhöhte Beweisanforderungen an den nicht privilegierten Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .243 cc) Voraussetzung von tatsächlich empfundenem seelischen Leid infolge der Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 dd) Anspruchsberechtigte des Schockschadens . . . . . . . . . . . . . . . . .245 c) Rechtsvergleichende Bewertung: Vergleichbare Anforderungen beider Rechtsordnungen an den anspruchsberechtigten Personenkreis beim Ersatz von Gefühlsschäden, aber höhere Anforderungen an die Zurechnung von Schockschäden nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .246 aa) Anspruchsberechtigung beim Hinterbliebenengeld bzw. beim italienischen iure proprio-Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .246 (1) Persönliches Näheverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .246 (2) Tatsächlich empfundenes seelisches Leid infolge der Tötung 247 bb) Anspruchsberechtigung beim Schockschaden . . . . . . . . . . . . . . .248 5. Bemessung der originiär eigenen Ansprüche von Hinterbliebenen infolge der Tötung einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Bemessung des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) und des deutschen Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . .248 aa) Bemessung immaterieller Schäden aufgrund des Todes einer nahestehenden Person nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . .249 (1) Bemessung nach der landesweit anzuwendenden Mailänder Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .249 (a) Angabe von Rahmenbeträgen in der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .250
XXX
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(b) Die Umstände der unerlaubten Handlung und die persönlichen und familiären Verhältnisse der Hinterbliebenen als Kriterien zur Personalisierung der Rahmenbeträge (personalizzazione) . . . . . . . . . . . . . . . . .251 (c) Kürzung des Ersatzbetrags um die Mitverschuldensquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (d) Keine Berücksichtigung eines niedrigeren Kaufkraftniveaus am Aufenhaltsort der Hinterbliebenen und Unanwendbarkeit des Reziprozitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 (2) Ausschließliche Berücksichtigung der Qualität der Beziehung zum Verstorbenen durch die Tabelle des Landgerichts Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 (3) Vergleichende Bewertung: Unterstellung einer guten Beziehung zum Verstorbenen durch die Tabelle des Landgerichts Rom; Erfordernis des Nachweises der Intensität der gefühlsmäßigen Bindung durch die Mailänder Tabelle mit der Folge eines weiteren Ermessensspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255 bb) Bemessung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland . . . . . . . .256 (1) Orientierung der Bemessung des Hinterbliebenengeldes an der Schmerzensgeldbemessung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .256 (a) Ausgleichsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .257 (b) Genugtuungsfunktion: Berücksichtigung des Verschuldensgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .258 (c) Berücksichtigungsfähigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .260 (d) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .260 (2) Deutliches Zurückbleiben der Höhe des Hinterbliebenengeldes hinter den Rahmenwerten der Mailänder Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 (a) Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes als Maßgabe für seine Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 (b) Meinungsstand des Schrifttums zur Höhe des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 (c) Erste Gerichtsentscheidungen zum Hinterbliebenengeld . 263 (3) Vornahme einer Gesamtbetrachtung bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes für den Verlust mehrerer Angehöriger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .264 cc) Rechtsvergleichende Bewertung: Tendenz zur Berücksichtigung des Existenzschadens als Bemessungskriterium im Rahmen des Hinterbliebenengeldes in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .265
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XXXI
(1) Bemessungssysteme: Uneingeschränkte Ermessensentscheidung in Deutschland im Gegensatz zur Bemessung mittels landgerichtlicher Tabellenwerke in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .265 (2) Vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen trotz unterschiedlicher Funktion des Hinterbliebenengeldes und des italienischen iure proprio-Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .266 (3) Rückschlüsse vom Verwandtschaftsverhältnis auf die mögliche Anspruchshöhe im italienischen Recht . . . . . . . . . .267 (4) Anspruchshöhe: Höheres Entschädigungsniveau in Italien . . 267 (5) Gleichzeitiger Tod mehrerer nahestehender Personen . . . . . .268 (6) Behandlung von Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269 b) Bemessung psychischer Gesundheitsschäden (Schockschäden) von Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269 aa) In jüngerer Zeit kumulative Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) und des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) im italienischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269 (1) Bestätigung der einheitlichen Bemessung des Nichtvermögensschadens nach den sog. „San Martino“-Urteilen der Vereinigten Senate des Kassationshofes von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .270 (2) In jüngster Zeit Feststellung einer kumulativen Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) neben dem Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) . 270 (3) Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens der Hinterbliebenen abängig von der Ursache für die Tötung des Primäropfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271 bb) Bemessung von Schockschäden in Deutschland und das Aufgehen des Hinterbliebenengeldes im Schockschaden-Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .273 (1) Keine Berücksichtigungsfähigkeit von seelischem Leid und Niedergeschlagenheit der Hinterbliebenen im Rahmen der Bemessung von Schockschäden . . . . . . . . . . . .273 (2) Zurückhaltung der Gerichte hinsichtlich der Höhe von Schockschaden-Schmerzensgeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .274 (3) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden 275 (4) Absorption des Hinterbliebenengeldes durch den Schockschaden bei gleichzeitigem Vorliegen beider Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .275
XXXII
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(5) Empfehlung des Deutschen Anwaltvereins: Absorption des Schockschadens durch das Hinterbliebenengeld . . . . . . .276 cc) Rechtsvergleichende Bewertung: Empfehlung der Absorption des Schockschadens durch das Hinterbliebenengeld nach italienischem Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278 (1) Bemessung: Freie Ermessensentscheidung in Deutschland im Gegensatz zur Bemessung mit Hilfe von Tabellenwerken in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278 (2) Gegensätzliche Bewertung des Verhältnisses von Schockschaden und Hinterbliebenengeld bzw. Gefühlsschaden in beiden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . .278 (3) Anspruchshöhe: Höheres Entschädigungsniveau in Italien . . 280 (4) Behandlung von Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .280
II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .280 1. Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden von Angehörigen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .280 a) Bestätigung der Ersatzfähigkeit durch die Grundsatzentscheidung der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes Nr. 9556 vom 1.7.2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281 b) Bemessung von iure proprio-Ansprüchen bei schwerster Verletzung nach billigem Ermessen innerhalb der Rahmenwerte der Mailänder Tabelle für den Tod einer nahestehenden Person . . . . .282 c) Anspruchshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .283 d) Kumulation von originär eigenen und geerbten Ansprüchen bei späterem Versterben des Schwerstverletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .284 2. Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person nur unter den strengen Voraussetzungen der deutschen Schockschaden-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .284 3. Rechtsvergleichende Bewertung: Kein Ersatz für die gravierende Veränderung des Familienlebens aufgrund bleibender hochgradiger Invalidität des Erstgeschädigten im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . .285 a) Anspruch bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person . . .285 b) Uneinheitliche Entschädigungssummen im italienischen Recht . . . . .286
§ 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .287 I.
Strengere Haftung von Fahrzeugführern und vor allem von Fahrradfahrern nach italienischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .287
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II. Keine Anknüpfung der Verjährung zivilrechtlicher Ersatzansprüche an strafrechtliche Verjährungsfristen im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288 III. Der Nichtvermögensschaden des Primärgeschädigten . . . . . . . . . . . . . .288 1. Gegensätzliche Entwicklung, aber im Wesentlichen gleicher Entschädigungsgehalt des Nichtvermögensschadens beider Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288 2. Erhebliche Einschränkung des richterlichen Ermessens bei der Bemessung immaterieller Schäden durch italienische Tabellenwerke . . .289
IV. Höhere Anforderungen an die Vererbbarkeit immaterieller Ersatzansprüche in Italien, insbesondere nach Veröffentlichung der Mailänder Tabelle 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290 V. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 1. Trauerschäden von Hinterbliebenen aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 a) Gegensätzliche Entwicklung und unterschiedlicher Umfang des Nichtvermögensschadens der Hinterbliebenen bei funktionaler Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 b) Anspruchsberechtigter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 c) Unterschiedliche Bemessungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .292 2. Schockschäden von Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Ansprüche bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person . . . . .293 Anhang I: Typische Unfallsituationen mit Haftungsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . .295 Anhang II: Gesetzentwurf Nr. 4093 vom 4.6.1999 zur Kodifizierung des danno biologico und danno morale im Codice civile . . . . . . . . . . . . . . . . . .298 Anhang III: Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des biologischen Schadens bei Dauerinvalidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .301 Anhang IV: Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .321
Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht ABl. Amtsblatt Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alter Fassung AG Amtsgericht Anm. Anmerkung App. Corte d’Appello Arch. giur. circol. Archivio giuridico della circolazione e dei sinistri stradali Art. Artikel (Singular und Plural) Ass. Corte d’assise Aufl. Auflage Bd. Band BeckOK Beck’scher Online-Kommentar Beschl. Beschluss Bespr. Besprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BT‑Drs Drucksachen des Deutschen Bundestages BVerfG Bundesverfassungsgericht bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa Cass. Corte di Cassazione c. c. Codice civile c. d. così detto (zu Deutsch sogenannt) co. comma CONSAP Concessionaria Servizi Assicurativi Pubblici Corr. giur. Corriere giuridico Corte cost. Corte costituzionale Cost. Costituzione della Repubblica Italiana c. p. Codice penale c. p. c. Codice di procedura civile Danno e resp. Danno e responsabilità DAR Deutsches Autorecht ders./dies. derselbe/dieselbe Dir. giur. Diritto e giurisprudenza
XXXVI
Abkürzungsverzeichnis
DJT Deutscher Juristentag D. L. decreto legge D.lgs. decreto legislativo D.lgs.lgt. decreto legislativo luogotenenziale D. M. decreto ministeriale d. p. c. c. disposizioni preliminari al Codice civile D. P. R. decreto del Presidente della Repubblica DRiZ Deutsche Richterzeitung EG Europäische Gemeinschaften EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Enc. giur. Enciclopedia giuridica entspr. entsprechend EuGH Europäischer Gerichtshof EuGVVO Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20.12.2012 (ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1) EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f., ff. folgende FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Festschr. Festschrift Fn. Fußnote Foro it. Il Foro italiano GesR GesundheitsRecht ggf. gegebenenfalls GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Giud. di pace Giudice di pace Giur. it. Giurisprudenza italiana Giur. mer. Giurisprudenza di merito Giust. civ. Giustizia civile G. U. Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana Guida al dir. Guida al diritto h. M. herrschende Meinung Hrsg., hrsg. Herausgeber, herausgegeben i. d. R. in der Regel i. d. S. in diesem Sinne INAIL Istituto nazionale per l’assicurazione contro gli infortuni sul lavoro insb. insbesondere insg. insgesamt IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts i. R. v. im Rahmen von i. S. v. im Sinne von ISTAT Istituto Nazionale di Statistica it., ital. italienisch
ISVAP
Abkürzungsverzeichnis
XXXVII
Istituto per la Vigilanza sulle Assicurazioni Private e di Interesse Collettivo IVASS Istituto per la Vigilanza sulle Assicurazioni i. V. m. in Verbindung mit IZPR Internationales Zivilprozessrecht JbItalR Jahrbuch für Italienisches Recht JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kfz Kraftfahrzeug KG Kammergericht krit. kritisch L. legge LG Landgericht Lit./lit. Literatur/Buchstabe LMK Kommentierte BGH‑Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring l. Sp. linke Spalte Mass. Foro it. Massimario del foro italiano max. maximal MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m. E. meines Erachtens MedR Medizinrecht Min. Minute/Minuten Mot. Motive zum Entwurf eines BGB m. w. N. mit weiteren Nachweisen MüKo Münchener Kommentar n. (nn.) numero (numeri) n. F. neuer Fassung NGCC La nuova giurisprudenza civile commentata NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NJWE‑VHR NJW‑Entscheidungsdienst Versicherungs- und Haftungsrecht NJW‑RR NJW‑Rechtsprechungs-Report NK Nomos-Kommentar NLCC Le nuove leggi civile commentate Nr(n). Nummer(n) NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OLG Oberlandesgericht ord. Ordinanza pen. penale PHi Haftpflicht international – Recht & Versicherung Pkw Personenkraftwagen RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RCA/r. c.auto responsabilità civile auto RCVS Rivista di Criminologia, Vittimologia e Sicurezza R. D. Regio Decreto Rep. Foro it. Repertorio del Foro italiano Resp. civ. La Responsabilità Civile Resp. civ. prev. Responsabilità civile e previdenza
XXXVIII
Abkürzungsverzeichnis
RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Riv. giur. circ. trasp. Rivista Giuridica della Circolazione e dei Trasporti Riv. it. med. leg. Rivista italiana di medicina legale Riv. pen. Rivista penale Riv. trim. dir. Rivista trimestrale di diritto e procedura civile proc. civ. RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer(n) RRa ReiseRecht aktuell Rs. Rechtssache r+s Recht und Schaden Rspr. Rechtsprechung S. Seite/Satz sez. lav. sezione lavoro s. o. siehe oben sog. sogenannt S. U. sezioni unite s. u. siehe unten Std. Stunde/Stunden StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StVG Straßenverkehrsgesetz SVR Straßenverkehrsrecht Trib. Tribunale u. a. unter anderem UCI Ufficio Centrale Italiano Urt. Urteil usw. und so weiter v. vom, von v. a. vor allem VersR Versicherungsrecht VersRAI Versicherungsrecht, Beilage Ausland vgl. vergleiche VO Verordnung vol. volume VRR VerkehrsRechtsReport VVG Gesetz über den Versicherungsvertrag z.B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEV Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung ZfSch/zfs Zeitschrift für Schadensrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
§ 1 Einleitung I. Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld im System des Schadensrechts Immanuel Kant schrieb: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde.“1 Nach seiner These ist der Mensch Zweck an sich und hat somit keinen Preis, sondern Würde.2 Diese Aussage verdeutlicht, dass die Frage, ob und in welchem Umfang das Recht bei Personenschäden Ansprüche auf Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld gewähren sollte, stark emotional und auch philosophisch aufgeladen ist. Demnach scheint die monetäre Bemessung des Schmerzes von Verletzten und Hinterbliebenen in Gestalt eines pretium doloris geradezu deren Würde zu verletzen.3 Auf der anderen Seite ist in Europa in den vergangenen Jahrzehnten eine beständige Ausdehnung des Ersatzes immaterieller Schäden zu verzeichnen. Dennoch war das deutsche Recht diesbezüglich bislang sehr zurückhaltend. Hauptgrund dafür waren vor allem ethische Vorbehalte gegen den Ausgleich immaterieller Schäden in Geld, die aufgrund ihrer Natur inkommensurabel sind, sowie die Skepsis gegenüber dem weiten Beurteilungsspielraum des Gerichts bei der Bemessung der Entschädigung. Zudem wurde befürchtet, dass Schadensersatzprozesse nur aus Gewinnsucht geführt werden könnten.4 Deshalb geht § 253 Abs. 1 BGB als Nachfolgeregelung des § 847 BGB a. F. davon aus, dass immaterielle Schäden grundsätzlich nicht ersatzfähig sind, es sei denn, das Gesetz sieht ihren Ersatz ausnahmsweise ausdrücklich vor. Die wichtigste Ausnahme stellt § 253 Abs. 2 BGB dar, der eine abschließende Liste 1
Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 434 Zeile 31 f. einen relativen Wert hat, hat einen „Preis“ (434, 31), was einen absoluten Wert hat, besitzt „Würde“ (434, 32). Was demnach einen Preis hat, ist nur eine „Sache“ (428, 21; 429, 21), „Personen“ dagegen sind Zwecke an sich selbst und haben einen absoluten Wert oder eben Würde, vgl. Schönecker/Wood, Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“: Ein einführender Kommentar, 4. Aufl. 2011, S. 144. 3 So schrieben die Angehörigen nach dem Germanwings-Absturz in einem offenen Brief an die Lufthansa: „das Leben eines jeden unserer Kinder und unseren Schmerz mit 45.000 Euro zu bemessen, beleidigt uns und vor allem unsere Kinder zutiefst“, vgl. . 4 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (31 ff.). 2 Was
2
§ 1 Einleitung
geschützter Rechtsgüter aufzählt, deren Verletzung zum Ersatz des Nichtvermögensschadens führt. Auch die entsprechende italienische Norm zum Ersatz immaterieller Schäden, Art. 2059 c. c., basiert auf diesem Prinzip. In Übereinstimmung mit Kants These vertrat der deutsche Gesetzgeber auch lange die Auffassung, dass weder der Tod eines Menschen noch die seelischen Schmerzen seiner Hinterbliebenen in Geld aufgewogen werden können. Da das Rechtsgut „Leben“ nicht in § 253 Abs. 2 BGB genannt ist und ein Schmerzensgeldanspruch nur dem in eigenen Rechtsgütern Verletzten zusteht, stand Hinterbliebenen für den Verlust einer nahestehenden Person lange Zeit nur unter den strengen Voraussetzungen des sog. Schockschadens ein eigener Schmerzensgeldanspruch zu. Der Schockschaden setzt aber eine psychische Beeinträchtigung voraus, die deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende in derartigen Fällen erfahrungsgemäß erleiden. Mit dieser restriktiven Haltung war das deutsche Recht im europäischen Vergleich zunehmend isoliert und wurde sogar schon als „letzter Mohikaner in Europa“ bezeichnet.5 Da die Welt aber auch rechtlich immer kleiner wird und die Nachbarrechtsordnungen den Hinterbliebenen einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihrer immateriellen Einbußen gewähren, fehlte den Hinterbliebenen hierzulande für die althergebrachte deutsche Rechtsposition zunehmend jegliches Verständnis, nicht zuletzt beim Absturz des Germanwings-Flugzeugs. Aber auch in Italien, wo dieser originär eigene Anspruch von Hinterbliebenen auf einer langen Tradition beruht, stieß die deutsche Rechtsauffassung auf Unverständnis. So erregte dort vor allem der Fall der 21-jährigen Giulia Minola, die bei der Loveparade in Duisburg 2010 zu Tode gekommen war, großes Aufsehen. Angesichts des Schadensersatzangebots von € 2.000,00 hätte die Haftpflichtversicherung nach Auffassung der Mutter besser gänzlich davon absehen sollen, ein nach italienischem Verständnis „lächerliches“ Angebot zu unterbreiten und sie damit neben ihrer Trauer und dem Schmerz auch noch zu verhöhnen.6 Nach jahrelangen rechtspolitischen Debatten und zunehmendem Druck trat in Deutschland schließlich am 22.7.2017 das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Kraft. Seitdem gewährt § 844 Abs. 3 BGB Hinterbliebenen bei Unfällen mit Todesfolge einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihrer immateriellen Schäden. Somit besteht nun auch hinsichtlich eigener Ansprüche von Hinterbliebenen Gleichlauf mit dem italienischen Recht, obgleich die Bemessung auf grundsätzlich verschiedenen Systemen beruht. Überdies ist seit den 1990er Jahren sowohl in Deutschland als auch in Italien die freie Vererbbarkeit von Schmerzensgeldansprüchen anerkannt und beide Länder dehnten den Anwendungsbereich des Schmerzensgeldes nahezu zeitgleich auf die Gefährdungshaftung aus und verzichteten damit auf das 5 6
Huber, NZV 2012, 5 (5). Wenter, ZfSch 2012, 243 (248).
I. Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld im System des Schadensrechts
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Verschuldenserfordernis. Durch die Grundsatzentscheidung des BGH von 19927, wonach Schmerzensgeld auch beim weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit zugesprochen wird, näherte sich der deutsche Schmerzensgeldbegriff in funktionaler Hinsicht dem italienischen Nichtvermögensschaden, genauer gesagt der Figur des Gesundheitsschadens (danno biologico), an. Mittlerweile kann man zu Recht behaupten, dass die beschreibenden Figuren des italienischen Nichtvermögensschadens, mithin der Gefühlsschaden (danno morale), Gesundheitsschaden (danno biologico) und Existenzschaden (danno esistenziale), in ihrer Summe im Wesentlichen dem Entschädigungsgehalt des deutschen Schmerzensgeldes im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB entsprechen. Ein häufiger Anwendungsbereich für den Ersatz immaterieller Schäden sind Verkehrsunfälle, die nicht selten grenzüberschreitenden Bezug haben. So gibt es in Deutschland und Italien jedes Jahr über 3.000 Verkehrstote und mehrere hunderttausend Verletzte.8 Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit ist deshalb zunächst eine Untersuchung der Praxisrelevanz dieses Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr (II.) und ein Blick auf die europäische Rechtsangleichung des Haftungs- und Schadensrechts nach Verkehrsunfällen (III.). Sodann werden die Rahmenbedingungen der Haftung im Straßenverkehr nach deutschem und italienischem Recht rechtsvergleichend gegenübergestellt und Besonderheiten bei der Verjährung solcher Ansprüche aufgezeigt (§ 2). Auf dieser Grundlage wird untersucht, nach welchen Maßgaben die italienische und deutsche Rechtsordnung Nichtvermögensschäden des erstgeschädigten Unfallopfers ersetzen und bemessen (§ 3) und welche Ansprüche den Hinterbliebenen aus übergegangenem Recht (iure hereditatio) (§ 4) und aus eigenem Recht (iure proprio) (§ 5) zustehen, wenn der Erstgeschädigte seinen Verletzungen letztlich erliegt. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Untersuchung in einer Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen zusammengefasst (§ 6).
7 BGH, Urt. v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91 = NJW 1993, 781, anders noch BGH, Urt. v. 22.6.1982 – VI ZR 247/80 = NJW 1982, 2123 und BGH, Urt. v. 16.12.1975 – VI ZR 175/74 = NJW 1976, 1147, wonach ein symbolisches Schmerzensgeld genügen sollte. 8 2017 wurden in Deutschland 3.180 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet und 390.312 verletzt, vgl. Statistisches Bundesamt, „Unfallentwicklung auf deutschen Strassen 2017“, S. 38. In Italien gab es 2017 insgesamt 3.340 Verkehrstote (vgl. Table 1 des „12th Annual Road Safety Performance Index [PIN] Report“) und 2012 264.716 Verletzte (vgl. Statistik des IVASS, abrufbar unter , S. 15).
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§ 1 Einleitung
II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr Bei einer rechtsvergleichenden Aufarbeitung des Themas lohnt der Blick nach Italien gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen gibt es in dieser Rechtsordnung eine ähnliche normative Ausgangslage wie in Deutschland; hinzukommt eine seit Jahrzehnten andauernde Rechtsentwicklung hin zu einem Ausbau der Haftung für immaterielle Schäden.9 Vor allem aber steht die Praxisrelevanz des Personenschadensrechts gerade im deutsch-italienischen Rechtsverkehr vor aller Augen: So gehören doch Verkehrsunfälle mit italienischem Bezug schon heutzutage zum Alltag deutscher Gerichte. Dieser Bezug zum italienischen Recht entsteht in der Regel, wenn sich der Unfall in Italien ereignet, der Geschädigte aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. In diesem Fall kommt es regelmäßig zu einer Befassung deutscher Gerichte (1.) mit italienischem Sachrecht (2.), was eine vertiefte rechtsvergleichende Betrachtung gerade dieser Rechtsordnung als lohnend erscheinen lässt (3.).
1. Befassung deutscher Gerichte mit Verkehrsunfällen mit italienischem Bezug Bei Verkehrsunfällen mit italienischem Bezug sieht das Unionsrecht zwar im Hinblick auf den Gerichtsstand (a) und die Zustellung der Klageschrift (b) Erleichterungen für den in Deutschland wohnhaften Geschädigten vor, solche Gerichtsverfahren werfen angesichts von Besonderheiten des italienischen Prozessrechts aber auch Fragen hinsichtlich der Pflicht zur Beachtung einer sog. „Friedenspflicht“ (c) und der notwendigen Beiladung des in Italien wohnhaften Schädigers (d) auf. Zudem ist zu beachten, dass italienische Beweismittelbeschränkungen aufgrund des lex fori-Prinzips unanwendbar sind (e).
a) Erhebung der Direktklage am Wohnsitzforum des bei einem Verkehrsunfall im Ausland Geschädigten Regelmäßig begehrt der in Deutschland wohnhafte Geschädigte nach seiner Rückkehr aus Italien Schadensersatz von der italienischen Haftpflichtversicherung des Unfallgegners und macht seine Ansprüche im Streitfall klageweise geltend. Dabei gibt Art. 18 Rom II‑VO dem Geschädigten das Recht, seinen Anspruch direkt gegen den Versicherer des Haftenden zu richten, wenn dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht vor9 Für die Sinnhaftigkeit eines deutsch-italienischen Rechtsvergleichs gerade beim Personenschaden vgl. Jayme, IPRax 2018, 230 (232).
II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr
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gesehen ist. Die Möglichkeit zur Erhebung einer solchen Direktklage sieht das bei Verkehrsunfällen in Italien anwendbare (s. u. § 1 II.2.a), S. 8) italienische Recht in Art. 144 Codice delle assicurazioni private (D. lgs. 7.9.2005, n. 209) vor. Beim Codice delle assicurazioni private handelt es sich um das italienische Privatversicherungsgesetzbuch, das in dieser Arbeit mit „ital. VersGB“ abgekürzt wird. Da die durchschnittliche Prozessdauer in Italien ungefähr zwei bis drei Jahre pro Instanz beträgt10 und sich Schadensersatzklagen aus einem Verkehrsunfall somit zehn Jahre und länger hinziehen können,11 wird der Geschädigte den italienischen Versicherer in der Regel nicht an dessen Sitz oder vor dem Gericht des Unfallortes in Italien verklagen.12 Vielmehr macht er entsprechend der EuGH‑Entscheidung FBTO/Jack Odenbreit13 von der Möglichkeit Gebrauch, nach Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO an seinem Wohnsitz in Deutschland Direktklage zu erheben. Auf diesem Weg kommt es zu einer Befassung deutscher Gerichte mit Verkehrsunfällen mit italienischem Bezug.
b) Zustellung der Klageschrift an den inländischen Schadensregulierungsbeauftragten Bei einer Klageerhebung in Deutschland kommt dem Geschädigten zugute, dass die Klageschrift entsprechend der EuGH‑Entscheidung Spedition Welter GmbH/Avanssur SA14 auch an den inländischen Schadensregulierungsbeauftragten des italienischen Versicherers zugestellt werden kann und eine solche Inlandszustellung die Übersetzung der Klageschrift entbehrlich macht. Dadurch werden nicht nur hohe Übersetzungskosten und Verzögerungen des Rechtsstreits vermieden,15 sondern auch die Unanwendbarkeit der Rückwirkungsfikti10
Häcker, DAR‑Extra 2013, 758 (760). ergeht ein erstinstanzliches Zivilurteil des Landgerichts (tribunale) statistisch nicht vor Ablauf von 3 bis 5 Jahren und das Berufungsurteil eines Oberlandesgerichts (Corte d’Appello) ergeht in der Regel frühestens nach 2 Jahren. Danach ist noch ein beinahe uneingeschränktes Revisionsverfahren vor dem Kassationshof (Corte suprema di cassazione) möglich; Lemor, SVR 2007, 372 (372); „Allgemeinen Informationen zur Rechtsverfolgung in Italien“ der Deutschen Vertretung in Italien, Stand März 2016, abrufbar unter ; vgl. auch Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 563 f. 12 Im Jahre 2016 endete ein Verfahren in Verkehrsunfallsachen vor deutschen Amtsgerichten durchschnittlich schon nach 10,1 Monaten mit einem streitigen Urteil. Nur bei 3,1 % der Fälle betrug die Verfahrensdauer über 24 Monate; vgl. Statistik des Statistischen Bundesamts, Wiesbaden, vom 20.9.2017, S. 38, abrufbar unter . 13 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C-463/06 (FBTO/Jack Odenbreit) = EuZW 2008, 124. 14 EuGH, Urt. v. 10.10.2013 – C-306/12 (Spedition Welter GmbH/Avanssur SA) = NJW 2014, 44. 15 Riedmeyer/Bouwmann, NJW 2015, 2614 (2615); Gebauer, JbItalR 27 (2014), 57 (64) m. w. N. 11 So
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§ 1 Einleitung
on der Klageschrift nach § 167 ZPO im Hinblick auf die verjährungshemmende Wirkung ihrer Zustellung relativiert.16
c) Erhebbarkeit der Direktklage unter Beachtung einer sog. „Friedenspflicht“ nach Art. 145 ital. VersGB? In solchen Gerichtsverfahren mit italienischem Bezug stellt sich sodann die Frage, ob die Klage in Deutschland ebenfalls erst nach Ablauf der für Direktklagen in Italien geltenden Mindestfrist des Art. 145 ital. VersGB erhoben werden darf. Demnach hat die Geltendmachung des Direktanspruchs unter Beachtung einer sog. „Friedenspflicht“ in einem detailliert geregelten förmlichen Verfahren im Sinne von Art. 148 ital. VersGB zu erfolgen. Art. 145 ital. VersGB regelt somit die „Erhebbarkeit der Klage“ gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung und lässt sie bei Sachschäden erst nach Ablauf von 60 Tagen bzw. bei Personenschäden erst nach Ablauf von 90 Tagen zu (spatium deliberandi), nachdem der Schaden durch Einschreiben mit Rückschein geltend gemacht wurde.17
d) Beiladung des in Italien wohnhaften Schädigers zum Verfahren über die Direktklage am Wohnsitzforum des Geschädigten nach Art. 144 Abs. 3 ital. VersGB? Weitere Fragen wirft Art. 144 Abs. 3 ital. VersGB auf. Demach ist in dem gegen den italienischen Versicherer eingeleiteten Prozess auch der Schädiger als notwendiger Streitgenosse beizuladen. Dies ist insofern problematisch, als Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO dem Geschädigten nur erlaubt, den italienischen Versicherer am Geschädigten-Wohnsitz in Deutschland zu verklagen und ihn damit als schwäche16 Zwar ist § 167 ZPO Teil des deutschen Prozessrechts, das als lex fori gilt. Sofern § 167 ZPO aber die Wirkung der Zustellung auf die Unterbrechung bzw. Hemmung der nach Art. 15 lit. h Rom II‑VO italienischem Recht unterliegenden Verjährung regelt, kommt ihm materiellrechtliche Funktion zu und § 167 ZPO ist unanwendbar, vgl. Jayme, JbItalR 27 (2014), 73 (89); Gebauer, JbItalR 27 (2014), 57 (68). 17 Hinsichlich dieser Frage kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich bei der Mindestfrist um eine von deutschen Gerichten zu beachtende materielle Anspruchsvoraussetzung des italienischen Rechts handelt oder um eine gegenüber der lex fori zurücktretenden prozessualen Klagevoraussetzung. Im Ergebnis wird man die Beachtung der Frist durch deutsche Gerichte als lediglich prozessuale Klagevoraussetzung ablehnen müssen. Zum einen ist die Frist als von Amts wegen zu beachtende Klageantragsvoraussetzung ausgestaltet und verfolgt den Zweck, den Parteien ausreichend Zeit zur außergerichtlichen Vorklärung zu geben. Zum anderen würde andernfalls nationales Recht den unionsrechtlichen Direktklageanspruch beschränken. In den meisten Fällen mit Auslandsbezug wird zwischen der Geltendmachung der Ansprüche gegenüber dem Schadensregulierungsbeauftragten und der Klageerhebung ohnehin ein längerer Zeitraum liegen, vgl. Mansel/Teichert, JbItalR 21 (2008), 71 (92); Buse, DAR 2016, 557 (559); MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 103; Feller/Jurisch, ZfSch 2008, 543 (543); zum System der Direktklage in Italien Gozzi, VersRAI 2007, 2 (3).
II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr
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re Partei gegenüber dem Versicherer privilegiert. Dieser Zweck kommt dagegen nicht im Verhältnis zum Fahrer oder Halter des gegnerischen Unfallfahrzeugs zum Tragen, wie der BGH im Februar 201518 bestätigte. Das hat zur Folge, dass die internationale Zuständigkeit am Wohnsitz des Geschädigten hinsichtlich des Schädigers nicht eröffnet ist und somit verschiedene Gerichtsstände eröffnet wären.19
e) Unanwendbarkeit italienischer Beweismittelbeschränkungen aufgrund des lex fori-Prinzips In Gerichtsverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug ist ferner zu beachten, dass das anwendbare italienische Sachrecht (s. u. § 1 II.2.a), S. 8) nach Art. 1 Abs. 3 Rom II‑VO nicht für den Beweis und das Verfahren vor deutschen Gerichten gilt. Vielmehr richtet sich die Zulässigkeit von Beweismitteln – wovon auch Art. 22 Abs. 2 Alt. 1 Rom II‑VO ausgeht – nach dem Recht des Gerichtsortes (lex fori) und orientiert sich an der Beweismittelregelung des Art. 18 Abs. 2 Rom I‑VO.20 Beweismittel bzw. „Beweisarten“ sind demnach alle vom Verfahrensrecht des Gerichtsstandes zugelassenen Wege, eine für das Rechtsgeschäft relevante Tatsache zu beweisen.21 Im italienischen Recht vorgesehene Beweismittelbeschränkungen (s. u. § 3 III.1.d)bb)(4)(e), S. 138 ff.) sind in Verfahren vor deutschen Gerichten somit unanwendbar.
2. Bestimmung des anwendbaren Sachrechts mit Hilfe der Rom II‑VO Nach Überwindung der zuvorgenannten verfahrensrechtlichen Hindernisse stellt das anwendbare materielle Recht die zur Entscheidung berufenen Gerichte vor weitere Herausforderungen. So knüpft das anzuwendende Sachrecht bei Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug sowohl für Ansprüche des Erstgeschädigten (a) als auch für Ansprüche von Hinterbliebenen aus eigenem Recht (b) an den Unfallort an, was wiederum im Widerspruch zur Anknüpfung des Sachrechts im internationalen Unterhaltsrecht steht (c). 18
BGH, Urt. v. 24.2.2015 – VI ZR 279/14 = NJW 2015, 2429. die Beachtung des Art. 144 Abs. 3 ital. VersGB wird von der deutschen Rspr. im Ergebnis abgelehnt, da Art. 144 Abs. 3 ital. VersGB andernfalls den Zweck des vorrangigen Europarechts unterlaufen würde. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO eröffnet ebenfalls keine Annexzuständigkeit. Vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 10.4.2012 – 3 U 2318/11 = NJW‑RR 2012, 1178 (1179); AG Köln, Urt. v. 29.4.2014 – 268 C 89/11 = BeckRS 2014, 16403; LG München II, Urt. v. 29.3.2018 – 13 O 3787/15 = BeckRS 2018, 38784; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 20.10.2011 – 8 O 8697/10 = DAR 2012, 585 (586); BGH, Urt. v. 24.2.2015 – VI ZR 279/14 = NJW 2015, 2429 (Rn. 14 ff.); Gebauer, JbItalR 27 (2014), 57 (62 f.); MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 305; Hinsichtlich der Frage, ob der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen durch Art. 13 Abs. 3 EuGVVO ausreichend Rechnung getragen wird, siehe Rauscher/Staudinger, EuZPR/EUIPR, 4. Aufl. 2016, Art. 13 Brüssel Ia-VO, Rn. 12. 20 MüKoBGB/Junker, 7. Aufl. 2018, Rom II‑VO Art. 22 Rn. 12. 21 MüKoBGB/Spellenberg, 7. Aufl. 2018, Rom I‑VO Art. 18 Rn. 37. 19 Auch
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a) Anknüpfung des Sachrechts an den Unfallort (lex loci delicti) Kollisionsrechtlich wird das anzuwendende Recht für die außervertragliche Hafung nach Schadensereignissen anhand der Rom II‑VO (VO [EG] Nr. 864/2007 vom 11.7.2007) bestimmt. In Fällen deliktischer Schädigung, zu denen auch Verkehrsunfälle zählen, richten sich die Art und der Umfang des Schadensersatzes nach Art. 4 Abs. 1 Rom II‑VO regelmäßig nach dem Tatortrecht (lex loci delicti). Das hat zur Folge, dass der Schadensersatzanspruch eines in Italien geschädigten deutschen Urlaubers nach italienischem Recht zu messen ist. Dabei ist das italienische Recht nach Art. 15 Rom II‑VO für die Haftung dem Grunde nach, den Umfang und die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche sowie die Verjährung der Ansprüche maßgeblich. Das gilt nach Art. 18 Fall 1 Rom II‑VO ebenso für die Direktklage gegen den Versicherer.22 Das führt im Ergebnis dazu, dass das mit der Rechtssache befasste deutsche Gericht nach § 293 ZPO von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen23 italienisches Sachrecht ermitteln und anwenden muss, was in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geschieht.24 Wie diese Untersuchung später noch zeigen wird (s. u. § 2 und § 3), ergeben sich in diesem Zusammenhang vor allem hinsichtlich des Schmerzensgeldes erhebliche Diskrepanzen und zwar nicht nur im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen, sondern vor allem auch in Bezug auf dessen Höhe. So zählen die in Italien zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge bekanntlich zu den höchsten in ganz Europa, wohingegen deutsche Gerichte hinsichtlich der Schmerzensgeldhöhe sehr zurückhaltend sind.25 Diese unterschiedlichen Ent-
22 Zur Rom II‑VO näher Kindler, Einführung in das neue IPR des Wirtschaftsverkehrs, 2009, S. 153 f. 23 BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13 = NJW 2014, 1244; BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – V ZB 197/12 = NJW 2013, 3656; BGH, Beschl. v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12 = NZI 2013, 763; BGH, Urt. v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05 = NJW 2006, 762; BGH, Urt. v. 23.6.2003 – II ZR 305/01 = NJW 2003, 2685; BGH, Urt. v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01 = NZI 2002, 430. 24 Aufgrund der begrenzten Erkenntnisquellen, mit denen solche Gutachten angefertigt werden müssen, und der Tatsache, dass die Fachkompetenz der Sachverständigen regelmäßig nicht der eines im Geltungsgebiet der italienischen Rechtsordnung tätigen Spezialisten entspricht, besteht die Gefahr, dass der Rechtszustand nicht vollständig und korrekt erfasst wird. Die Anwendung des ausländischen Rechts ist außerdem nicht im Instanzenzug revisibel. Vielmehr darf nur überprüft werden, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und die Erkenntnisquellen hinreichend ausgeschöpft hat; vgl. BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13 = NJW 2014, 1244; BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – V ZB 197/12 = NJW 2013, 3656; BGH, Beschl. v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12 = NZI 2013, 763; BGH, Urt. v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05 = NJW 2006, 762; BGH, Urt. v. 23.6.2003 – II ZR 305/01 = NJW 2003, 2685; BGH, Urt. v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01 = NZI 2002, 430. 25 Vismara, PHi 2013, 138 ff.; vgl. auch Statistik der IVASS, abrufbar unter .
II. Praxisrelevanz des Themas im deutsch-italienischen Rechtsverkehr
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schädigungsbeträge in Europa haben Vismara und Peiffer eindrucksvoll in Tabellendiagrammen dargestellt.26
b) Anknüpfung des Sachrechts hinsichtlich immaterieller Schadensersatzansprüche von Hinterbliebenen aus eigenem Recht an den Unfallort (Rs. Lazar/Allianz SpA – C-350/14) Die Bedeutung dieses Themas wird vor allem angesichts der EuGH‑Entscheidung Lazar/Allianz SpA27 deutlich, in der es treffenderweise um das italienische Recht ging. Diese Entscheidung betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Rom II‑VO in Bezug auf das anzuwendende materielle Recht für ein sog. „Angehörigenschmerzensgeld“. Im konkreten Fall war eine rumänische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Italien bei einem Verkehrsunfall in Italien ums Leben gekommen. Ihre Hinterbliebenen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Teil in Rumänien hatten, machten aus diesem Unfall gegen den italienischen Garantiefonds für Straßenverkehrsopfer28 vor einem italienischen Gericht eigene materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche geltend. Art. 4 Abs. 1 Rom II‑VO sieht vor, dass auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Da der in Rumänien wohnhafte Vater der Verstorbenen als Hinterbliebener Ersatz für den ihm persönlich durch den Tod seiner Tochter entstandenen Schaden verlangte, hing das anwendbare materielle Recht maßgeblich davon ab, ob der in seiner Person eingetretene Schaden als „Schaden“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Rom II‑VO anzusehen war, mit der Folge, dass Schadenseintrittsort Rumänien war und folglich rumänisches Recht Anwendung gefunden hätte oder, ob der Schaden des Hinterbliebenen lediglich als „indirekte Schadensfolge“ des in Italien erfolgten Unfalls zur Anwendung des großzügigeren italienischen Schadensrecht führen sollte. Um eine Aufspaltung der unerlaubten Handlung zu verhindern, entschied sich der EuGH für die zweite Alternative und qualifizierte die eigenen Schäden der Hinterbliebenen als „indirekte Schadensfolgen“ mit der Folge, dass als Deliktsstatut das italienische Recht als Recht des Unfallortes der Verstorbenen
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Vismara, PHi 2013, 138 ff.; Peiffer, PHi 2018, 42 ff. EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 (Lazar/Allianz SpA) = NJW 2016, 466. 28 Nach Art. 283 Abs. 1 ital. VersGB ersetzt der Fondo di garanzia per le vittime della strada (CONSAP) die durch einen Verkehrsunfall verursachten Schäden über hierfür benannte Versicherungsunternehmen, wenn sich das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, nicht ermitteln lässt; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 109.
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§ 1 Einleitung
zum Zuge kam und nicht das Recht Rumäniens, wo sich die Hinterbliebenen zum Unfallzeitpunkt aufhielten.29
c) Widerspruch der EuGH‑Entscheidung C-350/14 zur Anknüpfung des Sachrechts im internationalen Unterhaltsrecht Wird ein Verkehrsteilnehmer also bei einem Unfall in Italien getötet, unterstehen alle (geerbten und originär eigenen) Ansprüche seiner Hinterbliebenen dem italienischen Recht. Insofern steht die Lazar-Entscheidung jedoch im Widerspruch zur Anknüpfung des Sachrechts im internationalen Unterhaltsrecht. So entscheidet nach Art. 15 VO (EG) Nr. 4/200930 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 HUP 200731 der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten über das anzuwendende Recht. Demzufolge richtet sich die Bedürftigkeit nach den wirtschaftlichen Verhältnissen im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts. Auch im Rahmen des internationalen Unterhaltsrechts kann es somit bei Vorhandensein mehrerer Unterhaltsberechtigter zur Anwendbarkeit verschiedener Sachrechte kommen, wenn diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben. Deshalb überzeugt die Lazar-Entscheidung nicht. Vielmehr wäre der gewöhnliche Aufenthalt in Rumänien die sachgerechtere Anknüpfung gewesen. Überdies hat der EuGH bislang auch noch nicht entschieden, ob Hinterbliebene unter den Begriff des „Geschädigten“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 EuGVVO fallen und infolgedessen nach Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO an ihrem eigenen Wohnsitz Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners erheben können.32 29 EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 = BeckRS 2015, 81976, so bereits Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) S. 1 (31 ff.) mit Verweis auf eine entspr. Entscheidung der französischen Cour de cass. civ. 28.10.2003; kritisch hinsichtlich der mangelnden Differenzierung des EuGH bzgl. Schockschäden Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II‑VO, 2015, S. 253 ff. (258). 30 VO (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.2008. 31 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007. 32 In der Entscheidung Lazar/Allianz SpA hatten die Angehörigen keine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners erhoben, sondern der Garantiefonds für Straßenverkehrsopfer war über das hierfür benannte Versicherungsunternehmen Allianz SpA zum Ersatz berufen. Hinsichtlich der Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners differenziert die Lit. zwischen geerbten Ansprüchen und eigenen Ansprüchen der Angehörigen, wie z. B. Unterhaltsansprüche, Schockschäden, Hinterbliebenengeld. Bei konkret-individueller Schutzbedürftigkeitsprüfung soll für den Erben eines unmittelbar Geschädigten, der Klage gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des Unfallverursachers erhebt, das Privileg des Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO am Wohnsitzforum zu klagen, gelten; vgl. obiter dictum EuGH, Urt. v. 17.9.2009 – C-347/08 (Vorarlberger Gebietskrankenkasse/WGV‑Schwäbische Allgemeine Versicherungs
III. Das Schadensrecht als Gegenstand der Rechtsangleichung
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3. Sinnhaftigkeit und Ziel dieser Untersuchung Deutsche Gerichte sind bereits heute häufig zur Entscheidung über Sachverhalte berufen, die nach italienischem Recht zu beurteilen sind und werden es angesichts fortschreitender Mobilisierung in Zukunft wohl noch öfter sein. Daraus folgt die Sinnhaftigkeit der vorliegenden rechtsvergleichenden Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf die Haftung im Straßenverkehr, den Ersatz hieraus resultierender immaterieller Schäden von Unfallopfern, ihren Angehörigen und Hinterbliebenen sowie die Verjährung dieser Ansprüche. Obwohl die beiden schmerzensgeldrelevanten Bereiche dem Straßenverkehrs- und dem Arzthaftungsrecht33 zuzuordnen sind, ist letzteres vom Gegenstand dieser Untersuchung ausgenommen. Ziel dieser Untersuchung ist es auch nicht alle Aspekte detailliert zu erörtern, sondern vielmehr grundlegende Wertungen und Systemunterschiede herauszuarbeiten, auch mit Blick auf eine mögliche Rechtsangleichung.
III. Das Schadensrecht nach Verkehrsunfällen als Gegenstand der Rechtsangleichung Der hier vorgenommene Rechtsvergleich dient aber nicht nur der Vergewisserung über das heimische Recht und dessen kritischer Überprüfung. Vielmehr steht das Haftungs- und Schadensrecht nach Verkehrsunfällen auch auf der Agenda der europäischen Rechtsangleichung. Denn obwohl die Gefährdungslage im Straßenverkehr europaweit gleich ist, hängen Anspruchsgrund, Anspruchshöhe und Verjährung bei Schäden infolge von Verkehrsunfällen immer noch davon ab, auf welcher Seite einer LandesAG) = EuZW 2009, 855 (858) Rn. 44. Ungeklärt ist aber, ob der Erbe an seinem eigenen Wohnsitz klagen muss, so Rauscher/Staudinger, EuZPR/EUIPR, 4. Aufl. 2016, Art. 13 Brüssel IaVO, Rn. 6i oder dem ggf. hiervon abweichenden Wohnsitz des Erblassers, so Lüttringhaus, VersR 2010, 183 (187). In Bezug auf eigene Ansprüche von Angehörigen ist in der Lit. allerdings umstritten, ob Angehörige lediglich Direktklage am Wohnsitz des Erstgeschädigten erheben dürfen sollen, so Staudinger/Czaplinski NJW 2009, 2249 (2252); Lüttringhaus, VersR 2010, 183 (187), oder ob das nur für Unterhaltsansprüche gilt und sie Schockschäden und Hinterbliebenengeld auch am eigenen Wohnsitz verfolgen können sollen, so Rauscher/Staudinger, EuZPR/EUIPR, 4. Aufl. 2016, Art. 13 Brüssel Ia-VO, Rn. 6c. 33 Mit Gesetz Nr. 24 vom 8.3.2017 (sog. legge Gelli) wurde die Haftung der Ärzte und des Krankenhauspersonals neu geregelt. Dadurch werden die straf- und die zivilrechtliche Haftung dieser Berufsgruppen stark eingeschränkt. In zivilrechtlicher Hinsicht kommt es zu einer Zweiteilung der Haftung: während gegenüber dem Krankenhaus eine vertragliche Haftung besteht, haften Äzte und Spitalspersonal nur aus außervertraglicher Haftung. Dies bedeutet zum einen eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Patienten, und zum anderen die Halbierung der Verjährungsfristen (von zehn auf fünf Jahre).
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§ 1 Einleitung
grenze sich ein Unfall ereignet hat,34 wie der EuGH zuletzt in der Lazar-Entscheidung bestätigte. Dies führt bei grenzüberschreitenden Haftungsfällen zu unterschiedlichen Haftungsstandards (1), was schon früh die Forderung nach Harmonisierung des Delikts- und Schadensersatzrechts zur Folge hatte (2).
1. Unterschiedliche Haftungsstandards bei grenzüberschreitenden Schadensfällen infolge der Anknüpfung des Sachrechts an den Unfallort Da die Anknüpfung des Sachrechts an den Unfallort zu Haftungsstandards führen kann, die von denen am Wohnsitz des Geschädigten abweichen und Haftungslücken bzw. eine Unterdeckung zur Folge haben können, war die Anknüpfung bei Verkehrsunfällen auch zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament von Beginn an umstritten.35 Während der erste Vorschlag der Kommission auch für Straßenverkehrsunfälle auf den Erfolgsort abstellte,36 schlug der Rechtsausschuss in seinem ersten Bericht eine gespaltene Anknüpfung vor, wonach bei Personenschäden durch Verkehrsunfälle die Haftung dem Grunde nach dem Recht des Erfolgsorts zu unterstellen und die Bemessung des Personenschadens nach dem Aufenthaltsrecht des Geschädigten vorzunehmen war.37 Jedoch hat diese Trennung zwischen Anspruchsgrund und Anspruchshöhe letztendlich keinen Eingang in die Rom II‑VO gefunden, mit der Folge, dass nationale Gerichte versuchten, das Problem unterschiedlicher Haftungsstandards bei grenzüberschreitenden Haftungsfällen auf Ebene des Internationalen Privatrechts zu lösen. Hierzu bemühten sie bei der Versagung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld entweder den ordre public-Vorbehalt (Art. 26 Rom II‑VO),38 oder den Erwägungsgrund Nr. 33 Rom II‑VO,39 wonach Gerichte bei der Schadensberechnung für Personenschäden in Fällen, in denen sich der Unfall in einem anderen Staat als dem des gewöhnlichen Aufenthalts des Opfers ereignet hat, alle relevanten tatsächlichen Umstände des jeweiligen Opfers 34 Insb. Kadner Graziano, ZEuP 2002, 847 und Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung S. 30 verweisen auf die Bedeutung der Frage nach dem anzuwendenden Recht. 35 Fuchs, IPRax 2007, 302 (305 f.); Kadner Graziano/Oertel, ZVglRWiss 107 (2008), S. 113 (116 f.). 36 Art. 3 KOM (2003) 427, S. 12. 37 Art. 3 Abs. 1 a des Berichts zu „Rom II“ vom 27.6.2005, Berichterstatterin: Diana Wallis, A6–0211/2005. 38 So häufig bei der Versagung eines Angehörigenschmerzensgeldes, vgl. Cass. 22.8.2013, n. 19405, in NGCC 2014, I, 139 in Bezug auf Österreich; vgl. Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (553 f. mit Fn. 39); Gebauer, JbItalR 27 (2014), 57 (70). 39 AG Frankenthal, Urt. v. 15.10.2014 – 3 a C 158/13 = NZV 2015, 391 (Polen); LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013 – 27 O 218/09 = BeckRS 2013, 12790 (Serbien): Beide Gerichte erhöhten das nach polnischem bzw. serbischem Recht bemessene Schmerzensgeld, weil die Geschädigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten, wo das Preisniveau höher sei.
III. Das Schadensrecht als Gegenstand der Rechtsangleichung
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berücksichtigen sollen.40 Dabei erlaubt der Erwägungsgrund Nr. 33 Rom II‑VO aber allenfalls eine Anpassung des Schmerzensgeldes an das Preisniveau am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Geschädigten und ist gerade kein Freibrief für die Anwendung des Rechts des Staates, in dem dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2. Initiativen und Kompetenzen zur Harmonisierung Schon früh gab es deshalb Bestrebungen europäischer Rechtswissenschaftler zur Harmonisierung des Delikts- und Schadensersatzrechts (a). Obwohl der EuGH wiederholt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung des materiellen Schadensrechts bei Verkehrsunfällen bestätigte (b) und auch die Verjährung von Schadensersatzansprüchen dem materiellen Recht zuzuordnen ist, besteht seit 2006 eine Initiative des Europäischen Parlaments zur Vereinheitlichung der Verjährungsregelungen bei grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen (c). Daneben könnte auch der europäische Versicherungsbinnenmarkt Triebkraft für weitere Harmonisierungsbestrebungen sein (d).
a) „Principles of European Tort Law“ und „Draft Common Frame of Reference“ als Referenztexte zur Europäisierung des Haftungsund Schadensrechts Angesichts der unterschiedlichen Haftungsstandards bei grenzüberschreitenden Haftungsfällen riefen 1992 europäische Rechtswissenschaftler die „European Group on Tort Law“ zusammen. Sie arbeitete die 2005 veröffentlichten „Principles of European Tort Law“ (PETL) aus, die Diskussionsgrundlage für ein künftiges europäisches Schadensersatzrecht sein sollten. Am 1.7.1999 hatte die „Study Group on a European Civil Code“, ein Netzwerk von Rechtswissenschaftlern aus allen Jurisdiktionen der Europäischen Union, ihre Arbeit aufgenommen. Nach rechtsvergleichenden Bestandsaufnahmen erarbeitete sie die „Principles of European Law“, die unter dem Titel „Non-Contractual Liability Arising out of Damage Caused to Another“ das Deliktsrecht regeln und ihrerseits Grundlage für Buch VI des sog. „Gemeinsamen Referenzrahmens“ (DCFR/Draft Common Frame of Reference) sind.41 Ein einheitliches europäisches Deliktsrecht existiert bislang aber nicht. Vielmehr liegt die Befugnis zur Regelung des materiellen Rechts nach wie vor grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten, so auch in Bezug auf den Umfang des ersatzfähigen Schadens bei Verkehrsunfällen, die sich auf ihrem Hoheitsgebiet ereignet haben. 40
Kadner Graziano/Oertel, ZVglRWiss 107 (2008), S. 113 (146 f.). Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529 ff.; MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, Vor § 823 Rn. 106; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 470 ff. 41 Vgl.
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§ 1 Einleitung
b) Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Regelung des ersatzfähigen Schadens und seiner Höhe bei Verkehrsunfällen Die unterschiedliche Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen war bereits wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des EuGH, in denen er sich mit dem Verhältnis von nationalem Haftungsrecht zum europäischen Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht befasste. Der EuGH hielt daran fest, dass eine einheitliche Kodifizierung nicht zu den Aufgaben der Europäischen Union gehöre, sondern es den Mitgliedstaaten nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nach wie vor freistehe, den Umfang des ersatzfähigen Schadens bei Verkehrsunfällen selbst zu regeln. In der Rechtssache Enrico Petillo u. a./Unipol Assicurazioni SpA,42 die zum italienischen Recht erging, stellte sich die Frage, ob Art. 139 ital. VersGB, der für immaterielle Schäden infolge von Verkehrsunfällen mit leichten Körperverletzungen im Vergleich zu immateriellen Schäden auf Grund anderer Ursachen eine geringere Entschädigung vorsieht, mit der RL 72/166/EWG bzw. RL 85/5/EWG vereinbar sei (s. u. § 3 III.1.h), S. 155 ff.). Der EuGH sah darin keinen Verstoß gegen Unionsrecht, weil das Haftungsrecht dem nationalen Recht unterliege und es dem italienischen Gesetzgeber obliege, den Umfang des ersatzfähigen Schadens zu regeln. Durch Art. 139 ital. VersGB werde auch die Wirksamkeit des Europarechts nicht über Gebühr eingeschränkt, da der Schadensersatzanspruch durch diese Regelung weder ausgeschlossen noch unverhältnismäßig begrenzt werde. Damit bestätigte der EuGH seine frühere Rechtsprechung (Marques Almeida),43 wonach die Ausgestaltung der Kfz-Haftpflicht im Wesentlichen Sache der Mitgliedstaaten sei. Vor allem aus dem Zweck und Wortlaut der ersten, zweiten und dritten Kfz-Haftpflicht-Richtlinien44 folge, dass sie nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren sollten. Auch in den Rechtssachen Haasová/Petrík45 und Drozdovs/Baltikums AAS46 stellte der EuGH klar, dass die obligatorische Kfz-Haftpflichtversicherung immaterielle Schäden von Hinterbliebenen eines bei einem Verkehrsunfall Getöteten nur decken müsse, soweit die zivilrechtliche Haftung des versicherten Schädigers nach dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht einen solchen Schadensersatz überhaupt vorsehe. Im Gegensatz zu den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten bedürfen die Rechtssetzungsorgane der Union nämlich nach Art. 5 Abs. 2 EUV einer ausdrücklichen und speziellen Kompetenzzuweisung in den Verträgen (sog. Prinzip der 42
EuGH, Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Enrico Petillo u. a./Unipol Assicurazioni SpA). EuGH, Urt. v. 23.10.2012 – C-300/10 (Marques Almeida/Companhia de Seguros Fidelidade-Mundial SA u. a.), Rn. 29 m. w. N. 44 Erste Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24.4.1972, zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30.12.1983 und dritte Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14.5.1990. 45 EuGH, Urt. v. 24.10.2013 – C-22/12 (Haasová/Petrík u. a.), Rn. 59. 46 EuGH, Urt. v. 24.10.2013 – C- 277/12 (Drozdovs/Baltikums AAS), Rn. 48. 43
III. Das Schadensrecht als Gegenstand der Rechtsangleichung
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begrenzten Einzelermächtigung). Alle der Union nicht explizit übertragenen Zuständigkeiten verbleiben dagegen nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 S. 2 EUV bei den Mitgliedstaaten. Daraus folgt, dass die Europäische Union das private Haftungs- und Schadensrecht nur insofern einheitlich kodifiziert, als es der Erfüllung der eigentlichen Aufgaben der Union dient.47 Allerdings haben nur wenige Aufgabenbereiche der Union überhaupt Berührungspunkte zum privaten Haftungs- und Schadensrecht, wie z. B. der Binnenmarkt (Art. 26 f. AEUV), der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 67 ff. AEUV) oder der Verbraucherschutz (Art. 169 AEUV).
c) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Verjährungsfristen für Straßenverkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug Zumindest in Bezug auf die Verjährungsregelungen scheint eine unionsweite Regelung nun greifbar nahe. Da bei Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug auch die Verjährung von Schadensersatzansprüchen nach Art. 15 lit. h Rom II‑VO dem Recht des Unfallortes unterliegt und die Verjährungsregelungen in den Mitgliedstaaten sehr variieren, kann die mangelnde Kenntnis ausländischer Verjährungsfristen dazu führen, dass der Geschädigte seine Ansprüche verliert. Ausweislich einer Entschließung vom 4.7.2017 beabsichtigt das Europäische Parlament deshalb den Erlass einer Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten für Schäden, die durch einen Straßenverkehrsunfall mit grenzüberschreitendem Bezug verursacht werden, eine Verjährungsfrist von mindestens vier Jahren sicherstellen sollen.48 Bereits 2006 hatte das Europäische Parlament eine Entschließung zu „Verjährungsfristen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten aufgrund von Personenschäden und tödlichen Unfällen“ (2006/2014 [INL]) angenommen.49 Darin forderte es die Kommission auf, eine Untersuchung der Auswirkung unterschiedlicher Verjährungsfristen durchzuführen und einen Legislativvorschlag über die Verjährung bei Ansprüchen aufgrund von Personenschäden und tödlichen Unfällen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten zu unterbreiten. Daraufhin gab die Europäische Kommission bei der Anwaltskanzlei Demolin/Brulard/ Barthelemy-Hoche eine umfangreiche rechtsvergleichende Studie zum Ent47
Schulte-Nölke, Europäisierung des Haftungsrechts, 2016, S. 3 (19 ff.). Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.7.2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu Verjährungsfristen für Verkehrsunfälle (2015/2087[INL]), abrufbar unter . 49 Entschließung des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zu Verjährungsfristen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten aufgrund von Personenschäden und tödlichen Unfällen (2006/2014[INI]), abrufbar unter . 48
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§ 1 Einleitung
schädigungsniveau und Verjährungsrecht in den Mitgliedstaaten in Auftrag, die am 29.1.2009 veröffentlicht wurde.50 Auf Grundlage dieser Studie führte die Kommission am 26.3.2009 eine öffentliche Anhörung durch,51 deren Ergebnisse sie in einer Stellungnahme vom 7.10.2009 zusammenfasste.52 Am 18.5.2011 erließ die Kommission eine Mitteilung zur Stärkung der Opferrechte in der EU,53 in deren Folge 2012 erneut eine umfangreiche öffentliche Anhörung im Hinblick auf die unterschiedlichen Verjährungsfristen für die Haftung bei Verkehrsunfällen in den Mitgliedstaaten stattfand. Diese Anhörung brachte zwar Lösungsvorschläge hervor, jedoch unterbreitete die Kommission dem Europäischen Parlament keinen konkreten Legislativvorschlag zur Beseitigung der verjährungsrechtlichen Divergenzen.54 Daher beschloss der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments 2015 mittels indirekten Initiativrechts nach Art. 225 AEUV selbst tätig zu werden. Art. 225 S. 1 AEUV räumt dem Europäischen Parlament das Recht ein, die Kommission zur Vorlage geeigneter Legislativvorschläge aufzufordern. Wenn die Kommission trotz Aufforderung untätig bleibt, ist sie nach Art. 225 S. 2 AEUV verpflichtet, dem Europäischen Parlament zumindest die Gründe dafür mitzuteilen. In seinem Bericht vom 1.6.201755 legte der Rechtsausschuss dem Europäischen Parlament den ausformulierten Entwurf einer Richtlinie vor, die für Schadensersatzansprüche infolge von Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug eine Mindestverjährungsfrist von vier Jahren vorsieht und Regelungen zur Berechnung, Aussetzung und Verlängerung der Frist enthält. Als Kompetenzgrundlage für den Richtlinienerlass führt der Rechtsausschuss das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 6 EMRK und Art. 47 EU‑Grundrechtecharta an sowie das Ziel, den Zugang zum Recht durch justizielle Zusammenarbeit nach Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 AEUV zu erleichtern. Das Europäische Parlament nahm diesen Vorschlag in seiner Entschließung vom 4.7.2017 an.56 Ein entsprechender Rechtssetzungsvorschlag der Kommission steht bislang aber noch aus. 50 Demolin, Brulard, Barthelemy-Hoche, Compensation of victims of cross-border road traffic accidents in the EU: comparison of national practices, analysis of problems and evaluation of options for improving the position of cross-border victims, abrufbar unter ; einen kurzen inhaltlichen Überblick bietet Huber, ZVR 2014, 49. 51 Consultation Paper on the Compensation of victims of Cross-Border Road Traffic Accidents in the European Union. 52 Feedback Statement: Consultation Paper on the Compensation of victims of Cross-Border Road Traffic Accidents in the European Union. 53 Communication of the Commission „Strengthening victims’ rights in the EU“. 54 Limitation periods for road traffic accidents, S. 9, abrufbar unter . 55 Bericht des Rechtsausschusses (A8–0206/2017), abrufbar unter . 56 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.7.2017 mit Empfehlungen an die
III. Das Schadensrecht als Gegenstand der Rechtsangleichung
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d) Förderung des europäischen Versicherungsbinnenmarktes als Triebkraft zur Harmonisierung des Haftungs- und Schadensrechts bei Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug Obwohl die Verjährungsregelungen dem materiellen Recht zuzuordnen sind und eine einheitliche Kodifizierung des materiell-rechtlichen Haftungs- und Schadensrechts ausweislich der ständigen Rechtsprechung des EuGH (s. o. § 1 III.2.b), S. 14) nicht zu den Aufgaben der Europäischen Union gehört, führt die Initiative des Europäischen Parlaments zur Vereinheitlichung der Verjährungsregelungen vor Augen, dass auch in diesem Bereich Harmonisierungsbestrebungen bestehen. Als unionsrechtliche Kompetenzregelung für die Harmonisierung des Haftungs- und Schadensrechts bei Verkehrsunfällen mit grenzüberschreitendem Bezug kommt insbesondere das Funktionieren des europäischen Versicherungsbinnenmarktes in Betracht. Aufgrund der Versicherungsrichtlinien57 können Versicherungsunternehmen ihre Dienstleistungen, zu denen unter anderem auch Kfz-Versicherungen zählen, seit 1.7.1994 grenzüberschreitend innerhalb der Europäischen Union frei anbieten. Der Markt für Kfz-Versicherungen in Europa ist der größte Markt für dieses Versicherungsprodukt weltweit. So generierten europäische Kfz-Versicherer im Jahr 2013 ein Prämienvolumen von ca. € 130 Milliarden, wobei Deutschland den größten und Italien nach Frankreich den drittgrößten Markt darstellt.58 Dennoch wurden im Jahr 2008 nur lediglich 0,6 % aller Kfz-Versicherungen grenzüberschreitend angeboten.59 Kommission zu Verjährungsfristen für Verkehrsunfälle (2015/2087[INL]), abrufbar unter . 57 Richtlinie 92/49/EWG vom 18.6.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) ABl. EG Nr. L 288 S. 1; Richtlinie 92/96/EWG vom 10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) ABl. EG Nr. L 316 S. 1; Richtlinie 90/618 vom 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und der Richtlinie 88/357/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), insb. bzgl. der Kfz-Haftpflichtversicherung ABl. EG Nr. L 330 S. 44. 58 Statistics N°50: European Insurance in Figures, veröffentlicht im Dezember 2014, S. 27 f., abrufbar unter . 59 Europe Economics (2009), Retail Insurance Market Study – MARKT/2008/18/H, S. 44 f., abrufbar unter ; sowie Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 27.2.2014 „Versicherungsvertragsrecht: Experten weisen auf Hemmnisse für das grenzüberschreitende Geschäft hin“, abrufbar unter .
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§ 1 Einleitung
Durch die Versicherungsrichtlinien wurden zwar gleiche Zugangs- und Wettbewerbsbedingungen für die Versicherungen geschaffen, allerdings wurden nicht die Merkmale der nationalen Märkte als solche harmonisiert. So sind neben Unterschieden im einzelstaatlichen Versicherungsvertragsrecht auch die verschiedenen nationalen Regelungen in Bezug auf Haftungs- und Schadensrecht Faktoren für die noch heute bestehende Hemmung des europäischen Versicherungsbinnenmarktes. Versicherer, die beabsichtigen, ihre Dienstleistung auf einem neuen nationalen Versicherungsmarkt anzubieten, benötigen unter anderem spezielle Expertise über die haftungsrechtlichen Besonderheiten dieses Landes, um eine entsprechende Risikokalkulation und Prämienberechnung vornehmen zu können.60 So waren die Kfz-Versicherungsprämien in Italien für den Zeitraum zwischen 2008–2012 laut einer Statistik der IVASS aufgrund der haftungsrechtlichen Besonderheiten in Italien insbesondere im Bereich des Nichtvermögensschadens durchschnittlich um 56 % höher als in den anderen EU‑Staaten, wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien.61 Eine Harmonisierung des Rechts im Bereich von Verkehrsunfällen sowohl hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach als auch des ersatzfähigen Schadens würde das Erfordernis einer speziellen Expertise von Versicherungsunternehmen über das jeweilige nationale Haftungs- und Schadensrecht entbehrlich machen und damit zur Förderung des europäischen Versicherungsbinnenmarktes beitragen. Folge wären eine größere Produktauswahl, die dem Verbraucher den Abschluss eines bedarfsgerechteren Versicherungsvertrages ermöglichen würde sowie ein stärkerer Wettbewerb zwischen den Versicherungsunternehmen. In diesem Sinne soll die hier vorgelegte Studie einen Beitrag zur Vorbereitung rechtsangleichender Maßnahmen auf dem Gebiet des Verkehrsunfall- und Schadensrechts leisten.
60 Bericht der Expertengruppe für Versicherungsvertragsrecht – Teilbericht 7: Kfz-Versicherung, S. 1 f., abrufbar unter . 61 Matarazzo, Il Ramo r. c. auto: raffronto tra l’Italia e alcuni paesi della UE su premi, sinistri e sistemi risarcitori del danno alla persona, S. 4, 10, abrufbar unter .
§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen Im Folgenden wird zunächst ein systematischer Überblick über die außervertragliche Haftung in beiden Rechtsordnungen gegeben (I.). Sodann werden die Grundzüge der Haftung des Fahrzeugführers rechtsvergleichend dargestellt (II.), bevor auf die Haftung des Kfz-Halters bzw. -Eigentümers (III.) sowie die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel (IV.) eingegangen wird und dieses Kapitel mit einem Vergleich der Verjährungsregelungen endet (V.). Die vertragliche Haftung im Rahmen der Personenbeförderung, ist dagegen ebensowenig Gegenstand dieser Untersuchung, wie die Besonderheiten, die sich im Zusammenhang mit geschädigten Insassen, Kettenauffahrunfällen und der Haftung für Anhänger, Eisenbahnen oder Tieren im Straßenverkehr ergeben.
I. Systematischer Überblick über die außervertragliche Haftung Die Unterscheidung nach dem Haftungsgrund hat sowohl Relevanz für das anzuwendende System zur Schmerzensgeldbemessung im italienischen Recht (s. u. § 3 III.1.c), S. 128) als auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld im deutschen Recht, weil ein solcher nach § 844 Abs. 3 BGB bei vertraglicher Haftung regelmäßig ausgeschlossen ist. Im Folgenden werden deshalb die Grundzüge der deliktischen Verschuldenshaftung (1.) und der Haftung im Straßenverkehr (2.) dargestellt.
1. Die deliktische Verschuldenshaftung Während sich der italienische Gesetzgeber für eine große Generalklausel entschieden hat (a), wählte der deutsche Gesetzgeber drei kleine Generalklauseln (b).
a) Art. 2043 c. c. als große Generalklausel des italienischen Codice civile In Italien regelt das IV. Buch zum Schuldrecht im IX. Titel „unerlaubte Handlungen“ (dei fatti illeciti) die Anspruchsvoraussetzungen (Art. 2043 bis 2054 c. c.)1 für die deliktische Haftung, wobei sich der italienische Gesetzgeber mit 1 Daneben
enthält der Codice civile noch weitere Sondertatbestände: Art. 2048 Haftung
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Art. 2043 c. c. (bzw. Art. 1151 f. des Codice civile von 1865) für eine große deliktische Generalklausel nach dem Vorbild der Art. 1382 f. des französischen Code civil entschieden hat.2 Als aquilianische Generalklausel basiert Art. 2043 c. c. auf dem Verschuldensprinzip3 und lautet wie folgt: „Jedwede vorsätzliche oder fahrlässige Handlung, die einem anderen einen rechtswidrigen Schaden [danno ingiusto] zufügt, verpflichtet denjenigen, der sie begangen hat, den Schaden zu ersetzen [risarcire il danno].“4
Tatbestandsvoraussetzungen sind also: Handlung und Kausalität (fatto e causalità), Rechtswidrigkeit (ingiustizia) sowie Verschulden (colpevolezza).5 Art. 2043 c. c. verwendet allerdings zwei unterschiedliche Schadensbegriffe. Beim Begriff „danno ingiusto“ handelt es sich um eine haftungsbegründende Voraussetzung, unter der die Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses (danno-lesione) zu verstehen ist. Demgegenüber bezieht sich Art. 2043 c. c. am Ende mit „risarcire il danno“ auf die vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Beeinträchtigungen oder Verluste des Geschädigten, die erst durch die Rechtsgutsverletzung eingetreten sind (danno-pregiudizio) und den Umfang des ersatzfähigen Schadens betreffen.6 Aufgrund ihrer offenen Formulierung bieten große Generalklauseln zwar den Vorteil einer flexiblen Angleichung des Haftungsrechts an sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse; Kehrseite und wesentlicher Unterschied zum der Eltern, Vormünder, Erzieher und Ausbilder; Art. 2049 Haftung der Dienstherren und Geschäftsherren; Art. 2050 Haftung wegen Ausübung gefährlicher Tätigkeiten; Art. 2051 Schäden durch eine Sache, die zur Verwahrung übernommen wurde, Art. 2052 Schäden durch Tiere; Art. 2053 Einsturz eines Gebäudes. 2 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 20. 3 Rosenkranz, Die Haftung für Schadenszufügung aus unerlaubter Handlung nach italienischem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Straßenverkehrshaftung, 1973, S. 11; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/465. 4 „Art. 2043. Risarcimento per fatto illecito. Qualunque fatto doloso o colposo, che cagiona ad altri un danno ingiusto, obbliga colui che ha commesso il fatto a risarcire il danno.“ Eine deutsche Übersetzung des italienischen Codice civile ist abrufbar unter . 5 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 21; Eccher/Schurr/ Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/485. 6 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 20, 22 f.; Eccher/ Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/561. Obwohl die Kombination von Rechtswidrigkeit und Rechtsgutsverletzung im Begriff „danno ingiusto“ im Vergleich zu anderen europäischen Rechtsordnungen einmalig ist, soll dadurch lediglich klargestellt werden, dass nur derjenige Schaden, ersatzfähig ist, der ohne Rechtfertigungsgründe (non iure) durch die Verletzung rechtserheblicher Interessen (contra ius) entstanden ist, Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/498 f. m. w. N.; Ferrari, JbItalR 8 (1995), 191 (195 ff.); ders., ZEuP 1997, 1122 (1128 ff.); von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, § 2 Rn. 20; Plancker, JbItalR 11 (1998), 221 (222 ff.).
I. Systematischer Überblick über die außervertragliche Haftung
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deutschen Konzept ist jedoch, dass eine große Generalklausel den Gerichten einen weiten Interpretationsspielraum einräumt, insbesondere bei der Bestimmung der deliktisch geschützten Rechtsgüter.7
b) Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für drei kleine Generalklauseln Im Gegensatz zum italienischen Recht haben sich die Verfasser des BGB sowohl gegen eine große deliktische Generalklausel entschieden als auch gegen eine strenge Aufzählung von Einzeltatbeständen, wie es im britischen Common Law der Fall ist. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber einen Mittelweg gewählt und drei kleine Generalklauseln (§ 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 und § 826 BGB) mit relativ präzisen Einzeltatbeständen (§§ 824, 825, 831 bis 839 BGB) kombiniert. Dieses Konzept beruht auf dem Gedanken des Schutzes einzelner Rechtsgüter, wohingegen das Vermögen als solches und die allgemeine Handlungsfreiheit im deutschen Recht nur unter engen Voraussetzungen ersatzfähig sind.8 So regelt § 823 Abs. 1 BGB die Haftung für die schuldhafte, widerrechtliche Verletzung der dort aufgezählten Rechtsgüter, § 823 Abs. 2 BGB verweist allgemein auf Schutzgesetze und § 826 BGB nimmt auf die guten Sitten Bezug.
2. Die Haftung im Straßenverkehr Den Besonderheiten des Straßenverkehrs tragen beide Rechtsordnungen mit eigenen Haftungsnormen Rechnung. Innerhalb des IX. Titels über „unerlaubte Handlungen“ sieht das italienische Zivilgesetzbuch mit Art. 2054 c. c. eine besondere Anspruchsgrundlage9 für die Haftung aus dem Verkehr von Fahrzeugen (circolazione di veicoli) vor, die die Generalklausel des Art. 2043 c. c. verdrängt. Historisch beruht Art. 2054 c. c. auf Art. 12010 R. D. 8.12.1933 n. 1740 (G. U. Regno d’Italia 30.12.1933, n. 301) als Vorgänger der ital. StVO (Codice della strada, D. lgs 30.4.1992, n. 285). 7 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/466; Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 75 I 3b (S. 356 f.). 8 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 75 I 3 (S. 354 ff.). 9 Das stellt eine wesentliche Neuerung des Codice civile aus dem Jahr 1942 dar. Vergleichbare Regelungen waren zuvor in älteren Spezialgesetzen enthalten: Gesetz Nr. 739 vom 30.6.1912 und Gesetz Nr. 3043 vom 31.12.1923 sowie dem Straßenverkehrsgesetz von 1933 (Art. 120), vgl. Rosenkranz, Die Haftung für Schadenszufügung aus unerlaubter Handlung nach italienischem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Straßenverkehrshaftung, 1973, S. 22, Fn. 1. 10 „Art. 120. Responsabilità del conducente e del proprietario dei veicoli. (1) Il danno prodotto a persone o cose dalla circolazione di un veicolo si presume dovuto a colpa del conducente. La presunzione è esclusa solo quando questi provi che da parte sua si è avuta ogni cura, per evitare che il danno si verificasse. (2) Non possono in alcun caso considerarsi come danni derivanti da forza maggiore quelli cagionati da difetti di costruzione o di manutenzione del veicolo.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Auch das deutsche Recht enthält in §§ 7 ff. StVG Sondernormen für die Haftung bei Verkehrsunfällen, die nach § 16 StVG neben der deliktischen Verschuldenshaftung, insbesondere § 823 BGB, anwendbar sind. Dies ist insofern relevant, als die summenmäßige Haftungsbegrenzung des § 12 StVG nur im Rahmen der §§ 7 ff. StVG gilt. Bei Vorliegen einer Verschuldenshaftung nach § 823 BGB kommt dagegen eine über diese Haftungshöchstgrenze hinausgehende Haftung in Betracht.
II. Die Haftung des Fahrzeugführers Im Folgenden werden die Grundsätze der Haftung des Fahrzeugführers im italienischen (1.) und im deutschen Recht (2.) dargestellt, bevor beide Rechtsordnungen rechtsvergleichend bewertet werden (3.).
1. Die Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 1 und 2 c. c. Art. 2054 c. c. geht nach seiner Konzeption in Abs. 1 und 2 zunächst von der Haftung des Fahrzeugführers aus und bestimmt in Art. 2054 Abs. 1 c. c.11 Folgendes: „(1) Der Lenker eines nicht schienengebundenen Fahrzeuges ist verpflichtet, den durch den Verkehr des Fahrzeuges an Personen oder Sachen verursachten Schaden zu ersetzen, wenn er nicht nachweist, alles zur Vermeidung des Schadens Mögliche getan zu haben.“
Art. 2054 Abs. 1 und Abs. 2 c. c. sehen eine Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden vor und keine Gefährdungshaftung.12 Demnach ist der Führer (b) eines nicht schienengebundenen Fahrzeugs (a) verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der Personen (und zwar auch Beifahrern)13 oder Sachen (3) Il proprietario del veicolo è obbligato solidamente col conducente a meno che provi che la circolazione del veicolo si avvenuta contro la sua volontà, salva la responsabilità che a lui possa incombere secondo i principi generali del Codice civile.“ 11 „Art. 2054. Circolazione di veicoli. (1) Il conducente di un veicolo senza guida di rotaie è obbligato a risarcire il danno prodotto a persone o a cose dalla circolazione del veicolo, se non prova di aver fatto tutto il possibile per evitare il danno.“ 12 Cass. 11.4.2016, n. 6976; Cass. 29.4.2006, n. 10031; Cendon/Negro, Commentario al Codice Civile, 2009, Art. 2054, Kapitel 1., S. 4; Stürner/Wendelstein, JbItalR 30 (2017), 65 (67); Buse, DAR 2016, 557 (557); MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 41; Reiß, RIW 2005, 353 (354); Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/553. Die a. A. geht von einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung aus, so Rodotà, Il problema della responsabilità civile, 1964, S. 161 f.; Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 6. 13 Cass. 28.11.2007, n. 24749; Cass. 19.11.2007, n. 23918; Bona, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2054, Kapitel 13, S. 396 ff. m. w. N.; hinsichtlich der Direktregulierung von Schäden des Beifahrers vgl. Pichler, DAR 2008, 579 ff.
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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(sowohl transportierte als auch nicht transportierte)14 durch (d) den Verkehr des Fahrzeugs (c) zugefügt wurde, es sei denn, er kann den Nachweis führen, alles zur Schadensvermeidung Mögliche getan zu haben (d). Dabei wird bei einem Zusammenstoß von Fahrzeugen nach Art. 2054 Abs. 2 c. c. bis zum Gegenbeweis ein gleiches Mitverschulden der Fahrzeugführer vermutet (f).
a) Weiter Fahrzeugbegriff (veicolo) Unter einem Fahrzeug versteht man jedes nicht schienengebundene Landfahrzeug, das vom Menschen geführt wird und auf öffentlichen Straßen oder vergleichbaren Flächen verkehrt. Auf die Antriebsart kommt es dabei nicht an. So fallen sowohl motorbetriebene Fahrzeuge unter den Fahrzeugbegriff als auch solche, die von Tieren oder durch menschliche Kraft angetrieben werden, wie z. B. Fahrräder, sofern sie nicht nur geschoben werden.15 Für die Auslegung des Fahrzeugbegriffs sind die Art. 46 bis 60 ital. StVO (Codice della strada, D. Lgs 30.4.1992, n. 285)16 heranzuziehen. Nicht unter den Fahrzeugbegriff fallen nach Art. 46 ital. StVO Fortbewegungsmittel für Kinder und für Personen mit Behinderung. Art. 47 Abs. 1 ital. StVO unterscheidet zwischen folgenden Fahrzeugklassifikationen: Handfahrzeuge, Gespannfuhrwerke, Fahrräder, Schlitten, Kleinkrafträder, Kradfahrzeuge, Kraftwagen, Oberleitungsfahrzeuge, Anhänger, landwirtschaftliche Maschinen, Arbeitsmaschinen und atypische Fahrzeuge, die in Art. 48 bis 59 ital. StVO definiert sind. Nicht unter den Fahrzeugbegriff im Sinne von Art. 2054 c. c. fallen dagegen Skier.17 Die Haftung für Skifahrer richtet sich nach Art. 2043 c. c. bzw. Art. 2050 c. c., wobei Art. 8 ff. des Gesetzes Nr. 363 vom 24.12.2003 besondere Verhaltensregeln für Skifahrer enthält.
b) Fahrzeugführer (conducente) Fahrzeugführer ist derjenige, der während der verschiedenen Phasen des Betriebs am Steuer des Fahrzeugs sitzt und zwar nicht nur, wenn es fährt, sondern auch wenn es hält oder parkt.18 Fahrzeugführer in diesem Sinne ist auch der 14 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, I. Rn. 1 m. w. N. 15 MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 42; Ferrari, NZV 1992, 19 (20); Cass. 29.9.2004, n. 19547 setzt sie dagegen Fußgängern gleich. 16 Eine deutsche Übersetzung der ital. StVO ist abrufbar auf der Homepage der Provinz Bozen unter: . 17 Ferrari, NZV 1992, 19 (20). 18 Cass. 7.12.1976, n. 4568; Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civi-
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Fahrschüler. Der Fahrlehrer haftet dagegen aus Art. 2048 Abs. 2 c. c., sofern das Fahrzeug nicht mit Doppelpedalen ausgestattet ist.19
c) Verkehr des Fahrzeugs (circolazione) Der Fahrzeugführer haftet nach Art. 2054 Abs. 1 c. c. für Schäden, die durch den Verkehr (circolazione) des Fahrzeugs entstanden sind, mithin auf öffentlichen Straßen und anderen gleichgestellten Verkehrsbereichen. Hierzu zählen auch öffentlich zugängliche Privatstraßen.20 Art. 3 Abs. 9 ital. StVO definiert den Verkehr als Fortbewegen, Halten und Parken bzw. Verweilen von Fahrzeugen, Fußgängern und Tieren auf der Straße,21 wobei nach Art. 2 Abs. 1 ital. StVO als Straße eine öffentliche Fläche gilt, die für den Verkehr von Fußgängern, Fahrzeugen und Tieren bestimmt ist.
d) Kausalität Zudem muss zwischen dem Verkehr des Fahrzeugs und der Beschädigung einer Sache bzw. Verletzung einer Person ein Kausalzusammenhang bestehen. Der Schaden muss mithin beim Verkehr des Fahrzeugs (dalla circolazione stradale) entstanden sein und nicht nur bei Gelegenheit des Verkehrs, wenn er auf Faktoren außerhalb des Verkehrs beruht.22 Der Kausalzusammenhang kann auch bestehen, wenn es zu keinem physischen Kontakt zwischen dem Kraftfahrzeug und dem Verletzten kam. Problematisch ist der Kausalzusammenhang allerdings, wenn es der Geschädigte selbst unterlassen hat, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, wie das Tragen eines Helms oder das Benutzen des Sicherheitsgurtes. Sofern der Kausalzusammenhang in diesem Fall nicht gänzlich ausgeschlossen ist, trifft den Geschädigten gegebenenfalls ein Mitverschulden.23
e) Entlastungsbeweis (prova liberatoria) Aufgrund der Gefährlichkeit des Fahrzeugverkehrs wird das Verschulden des Fahrzeugführers in Art. 2054 Abs. 1 c. c. gesetzlich vermutet.24 Folglich kann le, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, IV. Rn. 1; Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 2. 19 Cass. 16.6.1990, n. 6049. 20 Cendon/Negro, Commentario al Codice Civile, 2009, Art. 2054, Kapitel 2., S. 7 ff. 21 Chiné/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Aufl. 2017, Kap. 51.1., S. 2451. 22 Cass. 22.6.2006, n. 14456, in Arch. giur. circol. 2007, 19; Cendon/Negro, Commentario al Codice Civile, 2009, Art. 2054, Kapitel 2., S. 8; Buse, DAR 2016, 557 (557) m. w. N. 23 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, VI. Rn. 5 f. 24 Reiß, RIW 2005, 353 (354); Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/552.
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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sich der Kläger (z. B. Fußgänger) in seiner Beweisführung darauf beschränken, dass er aufgrund des Verkehrs des Fahrzeugs einen Schaden erlitten hat. In Abweichung von der allgemeinen Beweislastregel des Art. 2697 Abs. 1 c. c.25 muss er hinsichtlich des Verschuldens des Schädigers zunächst nichts vortragen.26 Der Schädiger wird nur dann von der Haftung frei, wenn es ihm gelingt, den Entlastungsbeweis (prova liberatoria) zu führen und zu beweisen, „alles zur Schadensvermeidung Mögliche getan zu haben“.27 Dies kann er durch Widerlegung der Verschuldensvermutung (aa) oder Widerlegung der Kausalitätsvermutung (bb) tun.
aa) Widerlegung der Verschuldensvermutung Die Verschuldensvermutung zu widerlegen, wird dem Fahrzeugführer kaum je gelingen. Zur Widerlegung der Verschuldensvermutung genügt es nämlich nicht lediglich nachzuweisen, alle Straßenverkehrsregeln eingehalten zu haben. Vielmehr muss der Fahrzeugführer beweisen, dass die Unfallvermeidung trotz Einhaltung der Straßenverkehrsregeln und Beachtung der gewöhnlichen Sorgfalt eines Fahrzeugführers schlicht unmöglich war,28 sodass der Schaden durch Zufall (caso fortuito) eingetreten ist.29 Hieran stellt die Rechtsprechung allerdings hohe Anforderungen, da ein Fahrzeugführer sowohl auf vorhersehbare äußere Umwelteinflüsse, wie Schlamm, Eis, Ölspuren oder blendendes Sonnenlicht gefasst sein muss als auch mit der Unvorsichtigkeit Dritter zu rechnen hat, so z. B. wenn ein Fußgänger die Straße außerhalb des Zebrastreifens überquert.30 Auch Müdigkeit oder Trunkenheit des Fahrers stellen keinen Zufall dar.31 Damit ein Ereignis als zufälliges Ereignis qualifiziert werden kann, muss das menschliche Verhalten vielmehr plötzlich und derart von der Norm abweichen, dass ein Ausweichmanöver nicht mehr möglich ist und es die einzige 25
„Art. 2697. Beweislast (1) Wer ein Recht bei Gericht geltend machen will, muss die Tatsachen beweisen, die dessen Grundlage bilden. (2) Wer die Unwirksamkeit dieser Tatsachen einwendet oder einwendet, dass das Recht abgeändert wurde oder erloschen ist, muss die Tatsachen beweisen, auf die sich die Einwendung gründet.“ 26 Rosenkranz, Die Haftung für Schadenszufügung aus unerlaubter Handlung nach italienischem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Straßenverkehrshaftung, 1973, S. 25 m. w. N. 27 Reiß, RIW 2005, 353 (354). 28 Cass. 29.4.2006, n. 10031; Cass. 17.2.1987, n. 1724, in Rep. Foro it. 1987, Stichwort „Circolazione stradale“, n. 197; Buse, DAR 2016, 557 (557); Reiß, RIW 2005, 353 (354 f.). 29 Reiß, RIW 2005, 353 (354). 30 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, V. Rn. 3.; VII. m. w. N.; Reiß, RIW 2005, 353 (355). 31 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, VII. Rn. 2. m. w. N.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Ursache für die Schädigung darstellt.32 Dabei obliegt dem Schädiger die Beweislast für die Außergewöhnlichkeit, Unvermeidbarkeit und Unvorhersehbarkeit.33 Das angerufene Gericht entscheidet über das Vorliegen der Vorhersehbarkeit unter Berücksichtigung des Ortes, der Umstände, die zum Schaden geführt haben, und der Schadensbeteiligung.34 So ist es für den nachfolgenden Verkehr regelmäßig nicht unvorhersehbar, dass sich bei einem auf der Autobahn verunglückten Fahrzeug auch die Fahrzeuginsassen in unmittelbarer Nähe aufhalten.35 Bei Unfällen mit Fußgängern ist festzuhalten, dass die Verschuldensvermutung des Art. 2054 Abs. 1 c. c. die Feststellung eines eventuellen Mitverschuldens des Fußgängers nach Art. 1227 Abs. 1 c. c. nicht ausschließt, wenn sein Verhalten unvorsichtig und gefährlich war36 und gegen Art. 190 ital. StVO verstößt. Allerdings genügt die Feststellung eines schuldhaften Verhaltens des Fußgängers nicht, um dessen alleinige Haftung zu begründen und die Verschuldensvermutung des Fahrzeugführers nach Art. 2054 Abs. 1 c. c. zu widerlegen. Vielmehr muss der Fahrzeugführer dennoch nachweisen, alles zur Schadenvermeidung Mögliche getan zu haben. So besteht selbst dann, wenn ein Fußgänger die Straße außerhalb eines Zebrastreifens überquert, eine Mithaftung des Fahrzeugführers, wenn dieser mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist, ohne sich an die Wetter- und Ortsverhältnisse anzupassen.37 Einen Zufall kann dagegen z. B. ein geplatzter Reifen darstellen, wobei der Fahrzeugführer in diesem Fall nachweisen muss, dass der geplatzte Reifen nicht auf mangelnder Instandhaltung des Fahrzeugs beruht und das Schleudern infolge des geplatzten Reifens unvermeidbar und ein Notmanöver deshalb ausgeschlossen war.38
bb) Widerlegung der Kausalitätsvermutung Der Fahrzeugführer kann den Entlastungsbeweis auch durch Widerlegung der Kausalitätsvermutung (la prova indiretta) führen, indem er nachweist, dass das Verhalten des Geschädigten selbst die einzig kausale Ursache für die Schädigung war, die der Fahrzeugführer trotz geeigneter Notmanöver nicht vermeiden konnte.39 32
Cass. 6.6.2006, n. 13268; Cass. 18.9.1986, n. 5667; Reiß, RIW 2005, 353, 355. Cass. 4.2.2016, n. 2173. 34 Backu, DAR 2003, 337 (338); Gergen, VersRAI 2014, 29 (30). 35 Cass. 4.2.2016, n. 2173. 36 Cass. 13.11.2014, n. 24204; Cass. 13.3.2009 n. 6168. 37 Cass. 5.3.2013 n. 5399; Cass. 24.11.2009 n. 24689; Cass. 8.8.2007 n. 17397; Cass. 21.4.1995 n. 4490. 38 Cass. 6.9.2012, n. 14959. 39 Cass. 18.10.2001, n. 12751, in Giur. it. 2002, 1609; Cass. 27.11.1998, n. 12039, in Giur. it. 1999, 2044; Cass. 17.4.1997, n. 3309. 33
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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Die Kausalitätsvermutung kann auch widerlegt werden, wenn das Verhalten eines Dritten kausal für die Schädigung war, so z. B. wenn ein Fahrzeuginsasse entgegen Art. 157 Abs. 7 ital. StVO die Fahrzeugtür öffnet ohne sich zuvor vergewissert zu haben, dass andere Verkehrsteilnehmer dadurch nicht gefährdet oder behindert werden.40
f) Vermutung hälftigen Mitverschuldens bei einem Zusammenstoß von Fahrzeugen (scontro tra veicoli) nach Art. 2054 Abs. 2 c. c. Bei einem Zusammenstoß von Fahrzeugen (scontro tra veicoli) wird nach Art. 2054 Abs. 2 c. c.41 bis zum Gegenbeweis ein gleiches Mitverschulden der Fahrzeugführer vermutet: „(2) Im Fall des Zusammenstoßes von Fahrzeugen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass jeder der Lenker in gleichem Ausmaß zur Verursachung des an den einzelnen Fahrzeugen entstandenen Schadens beigetragen hat.“
Art. 2054 Abs. 2 c. c. setzt dabei grundsätzlich den physischen Kontakt zwischen zwei Fahrzeugen, mithin einen Zusammenstoß voraus. Ist es zu keiner Kollision beider Fahrzeuge gekommen, ist somit grundsätzlich Art. 2054 Abs. 1 c. c. anzuwenden.42 Ausnahmsweise kann jedoch auch psychisch vermittelte Kausalität für die Anwendbarkeit von Abs. 2 ausreichen, wenn ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang feststellbar ist.43 Da das italienische Recht auch Fahrräder unter den Fahrzeugbegriff subsumiert, gilt die Vermutung hälftigen Mitverschuldens auch im Fall von Kollisionen zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fahrrad.44 Folglich ist dem italienischen Recht die Berücksichtigung einer Betriebsgefahr fremd.45 Im Folgenden werden der Umfang und die Widerlegung der Mitverschuldensvermutung (aa) sowie der Sorgfalts- bzw. Verschuldensmaßstab im italienischen Straßenverkehr (bb) dargestellt.
aa) Umfang und Widerlegung der Mitverschuldensvermutung Die Vermutung des Art. 2054 Abs. 2 c. c. erstreckt sich sowohl auf ein schuldhaftes Verhalten der beteiligten Fahrzeugführer als auch auf den Kausalzusam40
Cendon/Negro, Commentario al Codice Civile, 2009, Art. 2054, Kapitel 4.3., S. 56 ff. „Art. 2054 (2) Nel caso di scontro tra veicoli si presume, fino a prova contraria, che ciascuno dei conducenti abbia concorso ugualmente a produrre il danno subìto dai singoli veicoli.“ 42 Cass. 18.10.2001, n. 12750, in Rep. Foro it. 2001, Stichwort „Circolazione stradale“, n. 268; Stürner/Wendelstein, JbItalR 30 (2017), 65 (69 f.). 43 Cass. 31.7.2013, n. 18337; Cass. 9.3.2012, n. 3704; Cass. 23.7.2002, n. 10751, Buse, DAR 2016, 557 (563) m. w. N.; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 246. 44 Stürner/Wendelstein, JbItalR 30 (2017), 65 (69); Cass. 18.6.2015, n. 12594; Cass. 5.5.2009, n. 10304. 45 Buse, DAR 2016, 557 (563); MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 247. 41
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
menhang zwischen diesem Verhalten und der Schadensentstehung.46 Sie ist aber subsidiär und findet nur dann Anwendung, wenn es weder möglich ist den Unfallhergang noch den konkreten Kausal- oder Verschuldensanteil der Beteiligten zu ermitteln.47 Im Zweifel hat darum jeder beteiligte Fahrzeugführer die Hälfte des gegnerischen Schadens und zugleich die Hälfte seines eigenen Schadens zu tragen.48 Kann das jeweilige Verschulden der Fahrzeugführer dagegen nachgewiesen werden, ist die Vermutung des Art. 2054 Abs. 2 c. c. nicht anwendbar. In diesem Fall kommt es nach Art. 2056 c. c. i. V. m. Art. 1227 Abs. 1 c. c. auf das konkret festgestellte Mitverschulden an, das zu einer Verschiebung der Hafungsquote führt, z. B. 70 % zu 30 %.49 Zur Widerlegung der Mitverschuldensvermutung muss auch hier jeder Fahrzeugführer nachweisen, alles zur Schadensvermeidung Mögliche im Sinne von Art. 2054 Abs. 1 c. c. getan zu haben. Insoweit hat die Verschuldensvermutung in Absatz 2 dieselbe Rechtsnatur wie in Absatz 1.50 Erforderlich ist der Nachweis des eigenen fehlerfreien Verhaltens und des im Verhältnis hierzu schuldhaften und für den Unfall allein ursächlich gewordenen Verhaltens des Unfallgegners. Durch den Nachweis nur einer dieser Voraussetzungen kann der Entlastungsbeweis dagegen nicht erbracht werden.51 Die konkrete Feststellung des Verschuldens eines Fahrzeugführers befreit den anderen daher noch nicht von der Vermutung seines eigenen Mitverschuldens.52
bb) Sorgfalts- bzw. Verschuldensmaßstab Der Sorgfalts- bzw. Verschuldensmaßstab des Art. 2054 c. c. wird durch die Verkehrsregeln der italienischen Straßenverkehrsordnung (D. lgs. 30.4.1992, n. 285)53 konkretisiert sowie durch Art. 150 ital. VersGB nebst Ausführungsdekret (D. P. R. 18.7.2006, Nr. 254), in dessen Anlage A (Anhang I dieser Ar46
Mansel/Teichert, JbItalR 21 (2008), 71 (77) mit Verweis auf Cass. 9.3.2004, n. 4754. Backu, DAR 2003, 337 (338); Buse, DAR 2016, 557 (563) m. w. N. Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, VIII. Rn. 3. 49 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/554; Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 10. 50 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, VIII. Rn. 1. 51 Mansel/Teichert, JbItalR 21 (2008), 71 (77) m. w. N.; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 246. 52 Reiß, RIW 2005, 353, 356; Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, VIII., Rn. 1 m. w. N.; Mansel/Teichert, JbItalR 21 (2008), 71 (77 f.) m. w. N. 53 Eine deutsche Übersetzung der ital. StVO ist abrufbar auf der Homepage der Provinz Bozen unter: . 47 48
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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beit) sogar typische Unfallsituationen mit Haftungsquoten zeichnerisch abgebildet sind.54 Zu beachten ist aber, dass Art. 150 ital. VersGB nebst Ausführungsdekret nur für die Haftungsverteilung im Rahmen des Verfahrens zur Direktregulierung (procedura di risarcimento diretto) nach Art. 145 Abs. 2, 149 ital. VersGB anwendbar ist. Bei der Direktregulierung geht das Versicherungsunternehmen des Geschädigten zunächst in Vorleistung, ersetzt seinem Versicherungsnehmer den entstandenen Schaden und verrechnet diesen später mit dem Kfz-Versicherer des Unfallgegners.55 Überdies gelten die zeichnerischen Darstellungen zur Haftungsverteilung nach Art. 149 Abs. 2 ital. VersGB ausdrücklich nicht für Unfälle mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen. Deutsche Gerichte dürfen deshalb im Fall von Auslandsunfällen nicht ohne weiteres darauf zurückgreifen, wenngleich Art. 17 Rom II‑VO vorsieht, dass bei der Beurteilung des Verhaltens des Schädigers faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen sind, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.
2. Die Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden im deutschen Recht nach §§ 18 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 StVG Wird bei dem Betrieb (c, d) eines Kraftfahrzeugs (a) oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Fahrzeugführer (b) nach §§ 18 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 StVG verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht ist aber nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht wurde (e). Demnach handelt es sich hierbei um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Zudem ist die Haftung im Fall der Mitverursachung durch den Geschädigten einzuschränken (f).
a) Kraftfahrzeug Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG versteht man unter einem Kraftfahrzeug ein nicht schienengebundenes Landfahrzeug, das durch Maschinenkraft bewegt wird. Nicht erfasst sind nach § 1 Abs. 3 StVG durch Muskelkraft betriebene Fahrräder, selbst wenn sie mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb ausgestattet sind. Schadensersatzansprüche gegen Fahrradfahrer sind somit nach § 823 BGB zu beurteilen und nicht nach dem StVG. 54 55
Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 27. Gozzi, VersRAI 2007, 2 (4 ff.); MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 104.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
b) Fahrzeugführer Fahrzeugführer ist derjenige, der das Fahrzeug eigenverantwortlich in Betrieb setzt, es steuert, anhält oder parkt und die tatsächliche Gewalt darüber ausübt.56 Nach § 2 Abs. 15 S. 2 StVG gilt beim Fahrschulbetrieb allerdings der Fahrlehrer als Führer des Fahrschulfahrzeugs.57
c) Betrieb des Kraftfahrzeugs Bei dem Unfall muss sich die spezifische Gefahr des Kraftfahrzeugs als Verkehrs- oder Transportmittel verwirklicht haben. Dafür ist nicht mehr erforderlich, dass das Fahrzeug durch Motorkraft bewegt wurde.58 Nach der heute herrschenden „verkehrstechnischen“ Auffassung ist ein Fahrzeug bereits in „Betrieb“, wenn es sich im öffentlichen Verkehr bewegt oder in verkehrsbeeinflussender Weise darin ruht.59 In Betrieb ist somit auch ein liegengebliebenes Fahrzeug60 oder eines, das mittels Seil oder Stange abgeschleppt wird und dabei noch gelenkt werden muss. Ein Fahrzeug ist dagegen in der Regel nicht mehr in Betrieb, wenn es sich außerhalb des öffentlichen Verkehrsbereichs befindet.61
d) Kausalität zwischen Betrieb und Verletzung Zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und der Rechtsgutsverletzung muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dieser erfordert keinen Zusammenstoß, sondern kann auch ohne physischen Kontakt zwischen dem Kraftfahrzeug und dem Verletzten bestehen. Allerdings muss die Verletzung vom Schutzzweck der Norm erfasst sein, es muss sich also gerade die typische Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs verwirklicht haben und die Verletzung muss im nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs stehen.62 Das ist nicht der Fall, wenn die Verletzung aus einem von Dritten oder vom Geschädigten geschaffenen Gefahrenkreis herrührt.
e) Entlastungsbeweis des Fahrzeugführers Nach § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 StVG kann der Fahrzeugführer den Entlastungsbeweis auf zwei Arten führen: 56 NK‑GVR/Zeycan,
2. Aufl. 2017, § 18 StVG Rn. 3. OLG Koblenz, Urt. v. 1.12.2003 – 12 U 772/02 = NZV 2004, 401. So die frühere „maschinentechnische“ Auffassung, siehe Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 51. 59 Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 5. 60 BGH, Urt. v. 16.4.1996 – VI ZR 79/95 = NJW 1996, 2023 (2023); BGH, Urt. v. 9.1.1959 – VI ZR 202/57 = NJW 1959, 627. 61 BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StVG § 7 Rn. 9 f. 62 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 84 III 1d (S. 621). 57 58
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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Zum einen kann er die Verschuldensvermutung widerlegen, indem er nachweist, dass er die objektive Sorgfalt eines durchschnittlichen Fahrers beachtet und alle Verkehrsregeln der StVO eingehalten hat. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn der Unfall auf einem geplatzten Reifen beruht und Fahrer nachweist, dass er infolgedessen schuldlos die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hat.63 Zum anderen kann der Entlastungsbeweis auch durch Widerlegung der Kausalitätsvermutung geführt werden, mithin durch den Nachweis, dass der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt eingetreten wäre.64
f) Haftungseinschränkung wegen Mitverursachung Im Rahmen der Haftung nach dem StVG ist für die Berücksichtigung von Mitverschulden bei der Schadensentstehung zwischen der Mitverursachung durch einen geschädigten Fahrzeughalter oder -führer (aa) und außenstehende Geschädigte, wie z. B. Fußgänger und Fahrradfahrern (bb) zu unterscheiden.
aa) Mitverursachung durch einen geschädigten Fahrzeughalter oder -führer nach § 17 StVG Nach § 18 Abs. 3 StVG gilt § 17 StVG auch für das Verhältnis des ersatzpflichtigen Fahrzeugführers gegenüber Fahrzeughaltern und -führern gegnerischer Unfallfahrzeuge. Nach § 17 Abs. 1, 2 StVG müssen sich der Fahrzeughalter und -führer eines am Unfall beteiligten Fahrzeugs die mitwirkende Betriebsgefahr ihres eigenen Fahrzeugs entgegenhalten lassen, sodass sich die Haftungsverteilung nach dem Verhältnis der jeweiligen Betriebsgefahr der Fahrzeuge richtet. Fahrzeughalter und -führer bilden dabei auf der Schädigerseite eine Haftungseinheit und auf der Geschädigtenseite eine Zurechnungseinheit,65 das heißt, die Verantwortungsbeiträge von Halter und Führer desselben Fahrzeugs verschmelzen zu einem einheitlichen Beitrag und sie haften nach § 17 Abs. 2 StVG auf dieselbe Haftungsquote, bei der die Betriebsgefahr gegebenenfalls durch ein schuldhaftes Verhalten des Fahrzeugführers erhöht wird.66 In einem ersten Schritt werden die maßgeblichen Umstände für die Gewichtung der Verursachungsbeiträge jedes Kfz-Halters festgestellt und sodann werden diese in einem zweiten Schritt gegeneinander abgewogen.67 Ausgangspunkt jeden Unfalls ist zunächst eine 50/50-Quote. Können im Folgenden keine haf63 BHHJ/Heß,
25. Aufl. 2018, StVG § 18 Rn. 8. Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 4 Rn. 23. 65 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 17 Rn. 5. 66 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 18 Rn. 12. 67 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 123. 64
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
tungserhöhenden oder -mindernden Umstände auf Seiten der Beteiligten festgestellt werden, so zahlt jeder die Hälfte des Schadens des anderen.68 Zunächst werden also die maßgeblichen Umstände ermittelt, die für die Gewichtung des Verursachungsbeitrags jedes Beteiligten erforderlich sind. Maßgebend für das Gewicht eines Verursachungsbeitrags ist die konkrete Betriebsgefahr eines Fahrzeugs,69 also alle Gefahren, die von ihm zum Unfallzeitpunkt ausgingen und sich realisiert haben.70 Sie besteht aus objektiven, fahrzeugbezogenen Umständen, wie z. B. Fahrzeugart, -größe, -gewicht, technische Mängel und der Gefährlichkeit des konkreten Fahrmanövers (z. B. Geschwindigkeit, Rückwärtsfahren, Linksabbiegen oder Wenden an unübersichtlicher Stelle). Zudem wird die Betriebsgefahr durch subjektive fahrerbezogene Umstände erhöht, wie z. B. Fahrfehler bzw. die Missachtung von Verkehrsregeln und Eignungsmängeln wie Alkoholisierung oder das Fehlen einer Fahrerlaubnis.71 In einem zweiten Schritt sind die ermittelten Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen, wobei sie denklogisch zusammen immer 100 % ergeben müssen. Sind nur bei einem Beteiligten haftungserhöhende Umstände feststellbar, so bleibt beim anderen die reine Betriebsgefahr grundsätzlich bestehen und wird mit 20 % angesetzt.72 Bei grobem Verschulden bzw. der Verletzung von Verkehrsregeln kann die reine Betriebsgefahr aber auch vollständig zurücktreten, sodass es zu einer Haftungsquote von 100:0 kommt.73
bb) Mitverursachung durch außenstehende Geschädigte nach § 9 StVG, § 254 BGB Die Anrechnung eines Mitverursachungsbeitrags nicht motorisierter Geschädigter, wie Fußgängern oder Fahrradfahrern, erfolgt im Verhältnis zum Fahrzeughalter und -führer nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB. Demnach hängt „die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“ 68 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 152; BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 17 Rn. 13. 69 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 129. 70 Sofern sich die Umstände nicht auf den Schaden ausgewirkt haben, wurde die Betriebsgefahr dadurch nicht erhöht. So hat sich z. B. die alkoholbedinge absolute Fahruntüchtigkeit nicht nachweislich auf den Unfall ausgewirkt, wenn der Geschädigte selbst dem alkoholisierten Unfallgegner grob verkehrswidrig die Vorfahrt genommen hat, BGH, Urt. v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94 = NJW 1995, 1029. 71 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 17 Rn. 15 f. 72 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 17 Rn. 20. 73 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 153.
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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Auch hier werden in einem ersten Schritt die maßgeblichen Verursachungsbeiträge beider Seiten festgestellt, wobei zu berücksichtigen ist, dass auf Schädigerseite die Betriebsgefahr des Kfz mitgewirkt hat, wohingegen sich der nicht motorisierte Geschädigte nur schuldhaftes Verhalten entgegenhalten lassen muss. Insofern setzt § 9 StVG i. V. m. § 254 Abs. 1 BGB aber Zurechnungsfähigkeit nach §§ 827, 828 BGB voraus, sodass Kinder zwischen sieben und zehn Jahren nie für Schäden mitverantwortlich sind, die sie bei Verkehrsunfällen im fließenden Verkehr erleiden.74 In einem zweiten Schritt werden die Verursachungsbeiträge gegeneinander abgewogen und so die Haftungsquoten ermittelt.75 Dabei ist zu beachten, dass sich der ersatzpflichtige Kfz-Halter und -Führer die Betriebsgefahr des Kfz anrechnen lassen müssen, die durch ein gegebenenfalls hinzutretendes Verschulden des Fahrers erhöht wird. Als Folge erhält der geschädigte Fußgänger oder Fahrradfahrer deshalb grundsätzlich über 50 % seines Schadens ersetzt.76 Lediglich bei grob verkehrswidrigem Verhalten des erwachsenen Geschädigten kann die einfache Betriebsgefahr sogar vollständig zurücktreten, sodass der Verletzte gar keinen Ersatz erhält. Das kann z. B. bei einem Vorfahrtsverstoß eines Fahrradfahrers77 der Fall sein oder bei einer Straßenüberquerung durch einen Fußgänger, der entgegen § 25 Abs. 3 StVG den bevorrechtigten Verkehr nicht beachtet.78
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Subsumtion des Fahrrads unter den italienischen Fahrzeugbegriff und keine Berücksichtigung der Betriebsgefahr in Italien a) Haftung des Fahrzeugführers Für die Haftung des Fahrzeugführers sehen beide Rechtsordnungen mit Art. 2054 Abs. 1 und Abs. 2 c. c. bzw. §§ 18 Abs. 1, 7 StVG Sondernormen vor, die jeweils als Haftung für vermutetes Verschulden konzipiert sind.
b) Verhältnis zur Verschuldenshaftung Im deutschen Recht bleibt die deliktische Verschuldenshaftung nach § 16 StVG neben der Haftung aus §§ 7 ff. StVG anwendbar. Obwohl den §§ 823 ff. BGB in der Regel im Bereich von Verkehrsunfällen kaum eigene Bedeutung zukommt, 74 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 9 Rn. 13; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 254 Rn. 9. 75 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 9 Rn. 10 f. 76 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 9 Rn. 17. 77 OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.7.2013 – 4 U 65/12–19 = NJW‑Spezial 2013, 490. 78 OLG Celle, Beschl. v. 3.3.2004 – 14 W 65/03 = BeckRS 2004, 05855; OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.2.2011 – 4 U 200/10 = BeckRS 2011, 04081.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
ist die Verschuldenshaftung vor allem zur Überwindung der Haftungshöchstgrenzen des § 12 StVG von Bedeutung. Im italienischen Recht wird die deliktische Generalklausel Art. 2043 c. c. dagegen durch die Spezialvorschrift Art. 2054 c. c. verdrängt.
c) Fahrzeugführer In beiden Rechtsordnungen ist derjenige Fahrzeugführer, der die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug ausübt und es steuert. Während in Italien hierzu auch der Fahrschüler zählt, wird er im deutschen Recht von Gesetzes wegen nicht als Fahrzeugführer angesehen.
d) Schadensentstehung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ Beide Rechtsordnungen tragen den spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs insofern Rechnung, als der Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ bzw. „durch den Verkehr des Fahrzeugs“ entstanden sein muss.79 Jedoch weichen die Definitionen des Fahrzeugbegriffs erheblich voneinander ab. Nach italienischem Recht sind alle nicht schienengebundenen Landfahrzeuge vom Fahrzeugbegriff umfasst, unabhängig davon, ob sie von Tieren oder durch menschliche Kraft angetrieben werden, wie z. B. Fahrräder. Die deutsche Rechtsordnung stellt dagegen auf nicht schienengebundene Kraftfahrzeuge ab, die durch Maschinenkraft betrieben werden und schließt Fahrräder aus. Das hat zur Folge, dass durch Fahrradfahrer verursachte Unfälle in Deutschland nur eine Haftung des Fahrradfahrers für nachgewiesenes Verschulden nach § 823 BGB begründen können und keine Haftung für vermutetes Verschulden nach §§ 18, 7 StVG. Demgegenüber wendet die italienische Rechtspraxis die Haftung für vermutetes Verschulden aus Art. 2054 c. c. einheitlich auf Fahrradfahrer und Kraftfahrzeugführer an. Die italienische Rechtsordnung sieht im Ergebnis eine strengere Haftung für Fahrradfahrer vor, als die deutsche Rechtsordnung.
e) Betriebsgefahr Sofern ein Fahrradfahrer in Deutschland Schadensersatzansprüche gegen einen Fahrzeughalter und -führer nach §§ 7, 18 StVG geltend macht, muss er sich nach §§ 9 StVG, 254 BGB nur „echtes“ schuldhaftes Verhalten entgegenhalten lassen, nicht dagegen eine Betriebsgefahr. Bei einem Zusammenstoß eines Fahrradfahrers mit einem Kraftfahrzeug, sei es ein Pkw oder Lkw, gilt in Italien dagegen die Vermutung hälftigen Mitverschuldens des Art. 2054 Abs. 2 c. c. auch zu Lasten des Fahrradfahrers. Denn die italienische Rechtsordnung kennt keine von Kraftfahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr. Vielmehr wird im Rah79
Reiß, RIW 2005, 353 (354).
II. Die Haftung des Fahrzeugführers
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men des Entlastungsbeweises ausschließlich auf schuldhaftes Verhalten abgestellt.80 Die Anwendung der Mitverschuldensvermutung auf Fahrradfahrer kann im Einzelfall aber zu unbilligen Ergebnissen führen und überzeugt daher nicht. Denn Fahrradfahrer sind als schwächere Verkehrsteilnehmer im Verhältnis zu Kraftfahrzeugen schutzwürdig.
f) Entlastungsbeweis In beiden Rechtsordnungen kann der Entlastungsbeweis entweder durch Widerlegung der Verschuldensvermutung oder durch Widerlegung der Kausalitätsvermutung erbracht werden, wobei beide Rechtsordnungen im Rahmen der Widerlegung der Verschuldensvermutung auf die gewöhnlichen Sorgfalt eines durchschnittlichen Fahrzeugführers abstellen und nicht auf die Sorgfalt eines Idealfahrers.81 Die italienische Rechtsordnung stellt allerdings insgesamt höhere Anforderungen an den Entlastungsbeweis. Während verkehrsrichtiges Verhalten, also die Einhaltung der Straßenverkehrsregeln, die Haftung im deutschen Recht nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVO ausschließt, genügt dies allein für den Entlastungsbeweis im italienischen Recht gerade nicht. Neben dem Nachweis des regelgerechten Verhaltens muss es vielmehr auch bei Beachtung der gewöhnlichen Sorgfalt unmöglich gewesen sein, den Unfall zu verhindern, sodass dieser letztlich auf einem Zufall beruht.82 Insofern ist Buse zuzustimmen, dass der im deutschen Rechtskreis anerkannte Vertrauensgrundsatz, wonach jeder Verkehrsteilnehmer, der selbst die Verkehrsregeln einhält, darauf vertrauen darf, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnemer regelkonform verhalten, im italienischen Recht nur eingeschränkt gilt.83
g) Kollision von Kraftfahrzeugen Bei einer Kollision von Kraftfahrzeugen (also nicht Fahrrädern) gehen beide Rechtsordnungen im Zweifel zunächst von einer 50/50-Haftungsquote aus, sodass jeder die Hälfte des Schadens des anderen zahlt, sofern keinem Fahrzeugführer nach italienischem Recht der Entlastungsbeweis nach Art. 2054 Abs. 2 c. c. gelingt bzw. nach deutschem Recht keine haftungserhöhenden oder -mindernden Umstände auf Seiten der Beteiligten feststellbar sind. Insofern kommt dem Entlastungsbeweis bei Art. 2054 Abs. 2 c. c. die gleiche Funktion zu, wie der Abwägung der Verursachungsbeiträge im Rahmen des Mitverschuldens nach deutschem Recht.
80 Bachmeier/Feller, Regulierung 81 Reiß, RIW 2005, 353 (355). 82 83
von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 22.
Reiß, RIW 2005, 353 (355). Buse, DAR 2016, 557 (557) m. w. N.; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 59.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
h) Mitverschulden Kann der jeweilige Verschuldensanteil der Fahrzeugführer in Italien konkret nachgewiesen werden, so ist die Vermutung des Art. 2054 Abs. 2 c. c. nicht anwendbar. In diesem Fall kommt es nach Art. 2056 c. c. i. V. m. Art. 1227 Abs. 1 c. c. auf das spezifisch festgestellte Mitverschulden an. Da der italienischen Rechtsordnung der Begriff der Betriebsgefahr fremd ist, wird dort bei konkret nachgewiesenem (Mit-)Verschulden Art. 1227 Abs. 1 c. c. einheitlich sowohl auf Fahrzeugführer, zu denen auch Fahrradfahrer zählen, als auch auf Fußgänger angewandt. Demgegenüber unterscheidet das deutsche Recht im Rahmen des Mitverschuldens danach, ob motorisierte oder nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer mitverantwortlich sind. So müssen sich Fußgänger oder Fahrradfahrer nur „echtes“ schuldhaftes Verhalten nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen, wohingegen sich andere Fahrzeughalter und -führer eines am Unfall beteiligten Fahrzeugs die mitwirkende Betriebsgefahr ihres eigenen Fahrzeugs nach § 17 Abs. 1, 2 StVG anrechnen lassen müssen.
i) Fazit Im Ergebnis folgen die wesentlichen Unterschiede beider Rechtsordnungen in Bezug auf die Haftung im Straßenverkehr aus der unterschiedlichen Definition des Fahrzeugbegriffs, der Tatsache, dass dem italienischen Recht der Begriff der Betriebsgefahr fremd ist und der Vertrauensgrundsatz dort nur eingeschränkt gilt. Das hat insgesamt eine strengere Haftung von Fahrradfahrern im italienischen Recht zur Folge, was angsichts ihrer gegenüber motorisierten Verkehrsteilnehmern schwächeren Position zu unbilligen Ergebnissen führen kann.
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers In diesem Abschnitt werden die Grundsätze der Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers im italienischen (1.) und im deutschen Recht (2.) dargestellt, bevor beide Rechtsordnungen rechtsvergleichend bewertet werden (3.).
1. Akzessorische Haftung des Eigentümers, Nießbrauchers oder Vorbehaltskäufers im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 3 c. c. Im Folgenden werden zunächst der verpflichtete Personenkreis dargestellt (a) sowie die Funktion und Rechtsnatur dieser gesamtschuldnerischen Haftung (b), bevor auf die Voraussetzung der akzessorischen Haftung (c), den Entlastungsbeweis (d) und den Regress im Innenverhältnis (e) eingegangen wird.
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers
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a) Verpflichteter Personenkreis Art. 2054 Abs. 3 c. c.84 lautet wie folgt: „(3) Der Eigentümer des Fahrzeuges oder an seiner Stelle der Nießbraucher oder der Erwerber unter Eigentumsvorbehalt haftet mit dem Lenker als Gesamtschuldner, wenn er nicht nachweist, dass der Verkehr des Fahrzeuges gegen seinen Willen erfolgt ist.“
Maßgeblich für die Bestimmung des verpflichteten Personenkreises ist die formelle Rechtsposition, sodass es hinsichtlich des Fahrzeugeigentümers auf die Eintragung im Kraftfahrzeugregister (pubblico registro automobilistico)85 ankommt. Im Bereich des Leasings ist der Leasingnehmer nach Art. 91 Abs. 2 ital. StVO mit dem Eigentümer gleichgestellt und haftet gesamtschuldnerisch mit dem Fahrzeugführer.86
b) Funktion und Rechtsnatur Durch die gesamtschuldnerische Haftung soll der Ersatzanspruch des Geschädigten gestärkt werden, indem er sich an zwei Ersatzpflichtige wenden kann. Die Haftung des Eigentümers, Nießbrauchers oder Eigentumsvorbehaltskäufers ist allerdings alternativ zu verstehen, nur einer von ihnen haftet gesamtschuldnerisch neben dem Fahrzeugführer für den entstandenen Schaden und zwar derjenige, der rechtlich befugt war über das Fahrzeug zu verfügen und das Führen des Fahrzeugs hätte verbieten können.87 Umstritten ist allerdings die Rechtsnatur dieser Haftung, vor allem, ob es sich um eine Haftung für eigenes Aufsichts- oder Überwachungsverschulden handelt, eine Haftung nach dem Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und Risiko (cuius commoda, eius et incommoda), eine Gefährdungshaftung (responsabilità obiettiva)88 oder die von der Rechtsprechung vertretene Ansicht einer Haftung für Dritte.89
84 „Art. 2054 (3) Il proprietario del veicolo, o, in sua vece, l’usufruttuario o l’acquirente con patto di riservato dominio, è responsabile in solido col conducente, se non prova che la circolazione del veicolo è avvenuta contro la sua volontà.“ 85 Nach Art. 94 Abs. 1 ital. StVO muss die Eigentumsübertragung an Kraftfahrzeugen innerhalb von 60 Tagen nachdem die Unterzeichnung des Kaufvertrages beglaubigt oder gerichtlich festgestellt wurde, beim Kraftfahrzeugregister beantragt werden. 86 Cass. 27.6.2014, n. 14635; Cass. 8.5.2007, n. 10424; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/555 (Fn. 1097); Buse, DAR 2016, 557 (557); Chiné/Fratini/Zoppini, Manuale di diritto civile, 9. Aufl. 2017, Kap. 51.4., S. 2456. 87 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, IX. Rn. 1 f. 88 Vgl. Überblick bei Franzoni, L’illecito, 2010, Sezione VI.1. (S. 844 ff.); Cian/Trabucchi/ Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, IX. Rn. 1. m. w. N. 89 Cass. 9.12.1992, n. 13015, in Foro it. 1994, I, 556; Cass. 12.5.1962, n. 965, in Giust. civ. 1962, I, 2188.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
c) Akzessorische Haftung Voraussetzung dieser gesamtschuldnerischen Haftung ist jedenfalls, dass der Fahrzeugführer nach Art. 2054 Abs. 1 oder 2 c. c. haftet und der Schaden durch den Verkehr des Fahrzeugs verursacht wurde. Unerheblich ist dagegen, ob die Haftung des Fahrzeugführers auf der Verschuldensvermutung oder auf der tatsächlichen Feststellung konkreten Verschuldens beruht.90 Folglich wird der durch Art. 2054 Abs. 3 c. c. verpflichtete Personenkreis von der Haftung frei, wenn er entweder nachweist, dass der Fahrzeugführer „alles zur Schadensvermeidung Mögliche“ getan hat91 (s. o. § 2 II.1.e) und f), S. 24 ff.) oder der Verkehr des Fahrzeugs gegen seinen Willen (prohibente domino) erfolgte.
d) Entlastungsbeweis: Benutzung des Fahrzeugs gegen den Willen des Berechtigten Für den Nachweis, dass das Fahrzeug gegen den Willen des Eigentümers, Nießbrauchers oder Vorbehaltskäufers im Verkehr war, genügt allerdings nicht nur der fehlende Wille (invito domino). Vielmehr muss der verpflichtete Personenkreis nachweisen, dass er Vorsichtsmaßnahmen und Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet waren, Dritte von der Benutzung des Fahrzeugs auszuschließen (prohibente domino),92 wie z. B. das Absperren des Fahrzeugs, die sorgfälte Aufbewahrung der Schlüssel oder das Einschalten der Alarmanlage. So haftet der verpflichtete Personenkreis nach der Rechtsprechung auch im Fall des Diebstahls des Fahrzeugs, wenn er geeignete Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat; nicht dagegen beim Raub.93 Wurde das Fahrzeug gegen den Willen des Berechtigten verwendet, so besteht ab dem auf die (Diebstahls-) Anzeige bei der Polizei folgenden Tag nach Art. 122 Abs. 3 ital. VersGB kein Versicherungsschutz. Für während dieses Zeitraums verursachte Schäden steht nach Art. 283 Abs. 1 lit. d c. a.p der Garantiefonds für Straßenverkehrsopfer ein. Eine Haftung des in Abs. 3 genannten Personenkreises besteht ebensowenig, wenn das Fahrzeug einer Reparaturwerkstatt oder einem Autohändler überlassen wurde, ohne dass insoweit ein Auswahlverschulden vorliegt. Hiezu muss 90 91
Franzoni, L’illecito, 2010, Sezione VI.1. (S. 844) m. w. N. Cass. 12.9.1966, n. 2362. 92 Ferrari, NZV 1992, 19 (20); Cass. 29.1.2016, n. 1820; Cass. 14.7.2011 n. 15478; Cass. 7.7.2006, n. 15521, Cass. 1.8.2000, n. 10027; Cass. 21.1.2000, n. 681; Cass. 3.12.1998, n. 12255, in Arch. giur. circol. 1999, 110; Cass. 17.10.1994, n. 8461, in Arch. giur. circol. 1995, 394. 93 Cass. 21.6.2004, n. 11471, in Giur. it. 2005, 1157 bzgl. Raub; Bona, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2054, Kapitel 11, S. 385 ff.; krit. zur Haftung bei Diebstahl wg. unterlassener Sicherungsvorkehrungen im Vergleich zur Schenkung oder dem Verkauf des Fahrzeugs Trimarchi, La responsabilità civile: atti illeciti, rischio, danno, 2017, Kap. III. 15.4.8., S. 391, da der Zweck, den Geschädigten durch zwei Ersatzpflichtige zu stärken durch die Einstandspflicht des Garantiefonds für Straßenverkehrsopfer kompensiert wird.
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers
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der Verpflichtete nachweisen, dass er die Werkstatt oder den Händler sorgfältig ausgewählt und sich ihrer Seriosität versichert hat, wobei eine ex ante-Sicht unter Würdigung der Umstände im Zeitpunkt der Überlassung des Fahrzeugs maßgebend ist.94 Angesichts des Zwecks des Abs. 3 hält auch die Literatur eine Haftung des verpflichteten Personenkreises in diesem Fall für entbehrlich, da es sich bei Reparaturwerkstätten und Autohändlern um zahlungskräftige Schuldner handelt.95
e) Regress im Innenverhältnis zwischen Fahrzeugeigentümer und -führer Während der Eigentümer, Nießbraucher oder Vorbehaltskäufer im Fall einer Straftat gegenüber dem Fahrzeugführer nach Art. 2055 i. V. m. Art. 1298 Abs. 1 c. c. vollständigen Regress nehmen kann, kommt es im Innenverhältnis im Übrigen auf die Natur der Rechtsbeziehung zwischen dem in Abs. 3 genannten Personenkreis und dem Fahrzeugführer an. Der Eigentümer et al. kann sich gegenüber dem Fahrzeugführer allerdings nicht auf die Mitverschuldensvermutung des Art. 2054 Abs. 2 c. c. berufen.96
2. Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters im deutschen Recht nach § 7 Abs. 1 StVG Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter (a) nach § 7 Abs. 1 StVG verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, sofern die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen ist (b). § 7 Abs. 1 StVG begründet eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Kfz-Halters für die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr und zwar unabhängig davon, ob er selbst gefahren ist oder nicht.97 Dabei hat § 7 Abs. 1 StVG nicht nur bei der Haftungsbegründung Bedeutung. Vielmehr muss sich ein geschädigter Kfz-Halter bei seinem eigenen Schaden auch die mitwirkende Betriebsgefahr seines eigenen Fahrzeugs entgegenhalten lassen. Die Haftungseinschränkung wegen Mitverursachung (c) sowie der Innenausgleich (d) werden im Folgenden ebenfalls dargestellt. Da die Haftungs94 Ferrari, NZV 1992, 19 (20); Cass. 29.8.1987, n. 7118, in Arch. giur. circol. 1988, 217; Cass. 27.5.1982, n. 3288, in Foro it. 1982, I, 2479; Cass. 5.12.1981, n. 6467, in Arch. giur. circol. 1982, 625; Cass. 29.10.1981, n. 5709, in Arch. giur. circol. 1981, 730; Cass. 11.1.1974, n. 86, in Resp. civ. prev. 1975, 111; Cass. 27.1.1995, n. 981, in Arch. giur. circol. 1995, 1171. 95 Franzoni, L’illecito, 2010, Sezione VI.7. (S. 861). 96 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2054, IX. Rn. 15. m. w. N. 97 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 1 f.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG im Wesentlichen denen des § 18 Abs. 1 StVG entsprechen, gelten die obigen Ausführungen auch hier.
a) Haltereigenschaft Halter ist derjenige, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat, weil er die Kosten dafür trägt und die Nutzungen zieht und die nötige Verfügungsgewalt darüber in dem Sinne besitzt, dass er Anlass, Ziel und Zeit der Fahrt bestimmen kann.98 Der Halter ist nicht notwendig identisch mit dem Eigentümer, so ist z. B. beim Erwerb unter Eigentumsvorbehalt, bei Sicherungsübereignung und bei Leasing der Besitzer der Halter und nicht der Eigentümer.99 Wird dem Halter das Fahrzeug durch Diebstahl dauerhaft entzogen, so wird der Dieb neuer Halter.100 Im Umkehrschluss zu § 7 Abs. 3 S. 1 StVG folgt allerdings, dass der Halter seine Haltereigenschaft im Fall der vorübergehenden Gebrauchsanmaßung durch einen Dritten nicht verliert.
b) Ausschluss der Ersatzpflicht in Grundzügen Die Ersatzpflicht des Halters ist insbesondere bei höherer Gewalt (aa), einer unbefugten Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) (bb) oder im Fall eines unabwendbaren Ereignisses (cc) ausgeschlossen.
aa) Höhere Gewalt i. S. v. § 7 Abs. 2 StVG Nach § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (nachfolgend 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz)101 trat das Merkmal der „höheren Gewalt“ an die Stelle des „unabwendbaren Ereignisses“. Diese Änderung verfolgte den Zweck die Stellung nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer zu stärken, da z. B. das unerwartete Hervortreten eines Kindes zwischen parkenden Fahrzeugen vor dem 1.8.2002 als unabwendbares Ereignis zu einem Haftungsausschluss des Fahrzeughalters geführt hatte.102 Dabei versteht man unter höherer Gewalt ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt 98
Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 14. 25. Aufl. 2018, StVG § 7 Rn. 5 m. w. N. 100 BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StVG § 7 Rn. 5 m. w. N. 101 BGBl. 2002 I S. 2674. 102 BT‑Drs 14/7752, S. 16, 30. 99 BHHJ/Burmann,
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers
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nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist“.103 Hierzu zählen außergewöhnliche Naturereignisse, wie z. B. Blitz, Erdrutsch oder vorsätzliche Handlungen Dritter; nicht dagegen, wenn ein Kind plötzlich zwischen parkenden Fahrzeugen auf die Straße tritt oder das plötzliche körperliche oder geistige Versagen des Fahrers bei Ohnmacht und bei technischen Fehlern am Fahrzeug.104 Während der Fahrzeughalter also nur bei höherer Gewalt entlastet ist, wird der Fahrzeugführer bereits dann von der Haftung frei, wenn er nachweist, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht wurde. Der Entlastungsbeweis des Fahrzeughalters ist deshalb in der Regel schwieriger zu führen.105
bb) Haftung bei unbefugter Fahrzeugbenutzung i. S. v. § 7 Abs. 3 StVG (sog. „Schwarzfahrt“) Nach § 7 Abs. 1 StVG endet die Haftung des Kfz-Halters grundsätzlich erst, wenn er zur Zeit des Schadensereignisses die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen (Verfügungsgewalt), auf eine nicht nur vorübergehende Zeit verloren hat und deshalb nicht mehr als Halter anzusehen ist.106 Ausnahmsweise endet die Halterhaftung nach § 7 Abs. 3 StVG bei unbefugter Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) bereits früher. Nach § 7 Abs. 3 S. 1 HS. 1 StVG ist derjenige, der das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters benutzt, anstelle des Halters zum Schadensersatz verpflichtet. In solchen Fällen bleibt der Halter allerdings nach § 7 Abs. 3 S. 1 HS. 2 StVG dann neben dem unbefugten Benutzer ersatzpflichtig, wenn er die Benutzung seines Fahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht hat. So sind Fahrzeuge nach § 14 Abs. 2 S. 2 StVO gegen unbefugte Benutzung zu sichern. Ferner findet die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 3 S. 1 StVG insgesamt keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeuges angestellt ist oder ihm das Fahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
cc) Unabwendbares Ereignis i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG Nach § 17 Abs. 3 StVG ist die Ersatzpflicht des Halters (Anspruchsgegners) auch dann ausgeschlossen, „wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis 103 BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51 = NJW 1953, 184; BGH, Urt. v. 30.5.1974 – III ZR 190/71 = NJW 1974, 1770 (1771); BGH, Urt. v. 5.10.1989 – III ZR 66/88 = NJW 1990, 1167 (1168). 104 Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 34 f. 105 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 18 Rn. 2. 106 BGH, Urt. v. 26.11.1996 – VI ZR 97/96 – juris, Rn. 8.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht.“ Ein unabwendbares Ereignis liegt vor, wenn ein Idealfahrer, der alle gefährlichen Situationen überblickt und das optimalste Verhalten wählt, den Unfall nicht hätte vermeiden können,107 so z. B. wenn ein Tier überraschend in die Fahrbahn springt oder ein Kind plötzlich zwischen parkenden Autos hervortritt.108 Kein unabwendbares Ereignis liegt dagegen bei unerwarteten gesundheitlichen Problemen des Fahrers vor109 sowie nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG bei Beschaffenheitsfehlern des Fahrzeugs.
c) Haftungseinschränkung wegen Mitverursachung Die Anrechnung eines Mitverursachungsbeitrags nicht motorisierter Geschädigter, wie Fußgängern oder Fahrradfahrern, erfolgt auch im Verhältnis zum Fahrzeughalter nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB (s. o. § 2 II.2.f)bb), S. 32). Im Verhältnis von geschädigten Fahrzeughaltern und -führern untereinander ist dagegen § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG anzuwenden. Insofern gelten die obigen Ausführungen zur Haftungsverteilung des Fahrzeugführers entsprechend (s. o. § 2 II.2.f)aa), S. 31). Allerdings muss sich auch der Anspruchsteller seine eigene Betriebsgefahr gegenüber anderen motorisierten Geschädigten nach § 17 Abs. 3 StVG nicht anrechnen lassen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses führt dazu, dass die Mithaftung desjenigen, für den der Unfall ein unabwendbares Ereignis darstellt, ausgeschlossen ist. Stellte der Unfall für beide Fahrzeughalter ein unabwendbares Ereignis dar, so trägt jeder seinen Schaden selbst.110
d) Innenausgleich Im Innenverhältnis zwischen Fahrzeughalter und -führer erfolgt der Ausgleich nicht über die Betriebsgefahr nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 StVG, sondern nach § 426 Abs. 1 BGB, sodass jeder grundsätzlich die Hälfte des Schadens trägt.111
107 108
Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 367. Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG,
Rn. 27. 109 Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG, Rn. 29. 110 Wagner, NJW 2002, 2049 (2061). 111 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 4 Rn. 32.
III. Die Haftung des Fahrzeughalters bzw. -eigentümers
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3. Rechtsvergleichende Bewertung: Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters im deutschen Recht im Gegensatz zur akzessorischen Haftung nach italienischem Recht a) Begriff des Fahrzeughalters Während das deutsche Recht die Haftung von der Eigenschaft als Fahrzeughalter abhängig macht, ist dieser Begriff dem italienischen Recht dagegen fremd. Art. 2054 Abs. 3 c. c. begründet allerdings alternativ zum Eigentümer auch eine Haftung des Nießbrauchers, des Erwerbers unter Eigentumsvorbehalt und des Leasingnehmers und nähert sich damit im Ergebnis dem deutschen Halterbegriff an. Dem Fahrzeugeigentümer kommt dagegen im deutschen Recht keine haftungsbegründende Bedeutung zu.112
b) Unterschiedliche Konzeption und Praxisrelevanz Beide Rechtsordnungen messen der Haftung des Fahrzeughalters und -führers unterschiedliche Bedeutung bei. Die Haftung des Fahrzeughalters ist im deutschen Recht als Gefährdungshaftung konzipiert und deshalb regelmäßig unter leichteren Voraussetzungen erfüllt, als die Haftung des Fahrzeugführers. Deshalb kommt der Halterhaftung im deutschen Recht größere Praxisrelevanz zu. Demgegenüber geht die italienische Rechtsordnung systematisch in Art. 2054 Abs. 1 und Abs. 2 c. c. zunächst von der Haftung des Fahrzeugführers aus und macht die Haftung des Eigentümers, Nießbrauchers, Vorbehaltskäufers oder Leasingnehmers nach Abs. 3 c. c. vom Bestehen der Haftung des Fahrzeugführers im Sinne einer akzessorischen Haftung abhängig.
c) Entlastungsbeweis Dieser konzeptionelle Unterschied spiegelt sich auch im Entlastungsbeweis wider (aa), wobei beide Rechtsordnungen die Haftung im Fall der höheren Gewalt bzw. des Zufalls (caso fortuito) (bb) und der unbefugten Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) (cc) ausschließen.
aa) Eigenständige Halterhaftung im deutschen Recht im Gegensatz zur akzessorischen Haftung nach italienischem Recht Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG besteht unabhängig von der Haftung des Fahrzeugführers aus §§ 18 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 StVG. Im Gegensatz zum italienischen Recht führt die Entlastung des Fahrzeugführers deshalb nicht automatisch auch zur Entlastung des Fahrzeughalters. Vielmehr ist der Entlastungsbeweis des Fahrzeughalters in der Regel schwieriger zu führen, weil er regel112
Reiß, RIW 2005, 353 (354).
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mäßig nach § 7 Abs. 2 StVG nur bei höherer Gewalt entlastet ist, wohingegen der Fahrzeugführer bereits dann von der Haftung frei wird, wenn er nachweist, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht wurde. Deshalb kann in Deutschland die Situation eintreten, dass der Halter haftet, während der Fahrzeugführer entlastet ist.113 Aufgrund der akzessorischen Haftung im italienischen Recht wird der in Art. 2054 Abs. 3 c. c. genannte Personenkreis dagegen bereits dann von der Haftung frei, wenn er entweder die Haftung des Fahrzeugführers widerlegt oder nachweist, dass das Fahrzeug gegen seinen Willen verwendet wurde. Daher kommt es in Italien zu einem Gleichlauf der Haftung von Fahrzeughalter und -führer.
bb) Höhere Gewalt bzw. Zufall (caso fortuito) Nach § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht des Halters bei „höherer Gewalt“ ausgeschlossen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ein von außen einwirkendes, außergewöhnliches und nicht abwendbares Ereignis,114 das der Definition des Zufalls (caso fortuito) im Sinne des italienischen Rechts entspricht und bei dessen Vorliegen die Haftung des Fahrzeugführers nach Art. 2054 Abs. 1 c. c. ausgeschlossen ist. Trotz Verwendung unterschiedlicher Begriffe gelingt es so beiden Rechtsordnungen solche Risiken von der Haftung auszunehmen, die nicht mehr der Gefährlichkeit des Fahrzeugbetriebs zuzurechnen sind.115 Während das deutsche Recht diese hohen Anforderungen allerdings nur an den Entlastungsbeweis des Fahrzeughalters stellt, fordert das italienische Recht diese hohen Anforderungen bereits für die Entlastung des Fahrzeugführers, sodass es zu einer strengeren Haftung des Fahrzeugführers kommt. Da bei dessen erfolgreicher Entlastung aber auch der in Art. 2054 Abs. 3 c. c. genannte Personenkreis entlastet ist, unterliegt der Haftungsausschluss für den Halter bzw. den in Art. 2054 Abs. 3 c. c. genannten Personenkreis mehr oder weniger den gleichen Anforderungen, wie im deutschen Recht.
cc) Haftung bei unbefugter Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) In beiden Rechtsordnungen haftet der Halter bzw. der in Art. 2054 Abs. 3 c. c. genannte Personenkreis auch im Fall der unbefugten Fahrzeugbenutzung (sog. „Schwarzfahrt“) bzw. des Diebstahls des Fahrzeugs, wenn er geeignete Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat. Insofern fordern beide Rechtsordnungen, dass das Fahrzeug nicht nur ohne Wissen und Willen des Berechtigten genutzt wurde, sondern dass dieser darüber hinaus ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, die Verwendung des Fahrzeugs zu verhindern. 113 BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVG § 18 Rn. 2. 114 BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StVG § 7 Rn. 19. 115
Reiß, RIW 2005, 353 (355).
IV. Die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel
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IV. Die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel Im Folgenden wird die Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler im italienischen (1.) und im deutschen Recht (2.) dargestellt, bevor beide Rechtssysteme vergleichend bewertet werden (3.).
1. Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler im italienischen Recht nach Art. 2054 Abs. 4 c. c. Der Fahrzeugführer und die in Abs. 3 genannten Personen haften nach Art. 2054 Abs. 4 c. c.116 auch für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel des Fahrzeugs: „(4) In jedem Fall haften die in den vorhergehenden Absätzen bezeichneten Personen für Schäden aus fehlerhafter Herstellung oder aus mangelhafter Instandhaltung des Fahrzeuges.“
Art. 2054 Abs. 4 c. c. stellt eine eigene Anspruchsgrundlage dar,117 umstritten ist allerdings ihre Rechtsnatur, die sich wiederum auf den Entlastungsbeweis auswirkt. Nach einer Ansicht handelt es sich um eine absolute Verschuldensvermutung für Unterlassen (a), wohingegen die herrschende Meinung eine Gefährdungshaftung annimmt (b).
a) Die Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler als absolute Verschuldensvermutung für Unterlassen? Während die mangelhafte Instandhaltung des Fahrzeugs auf einer Nachlässigkeit des Verantwortlichen beruht, sind Konstruktionsfehler unabhängig von seinem Verhalten bzw. Verschulden. Deshalb ging eine heute wohl überholte Ansicht in Bezug auf Instandhaltungsmängel von einer Verschuldenshaftung für Unterlassen aus und nimmt insofern eine absolute Verschuldensvermutung (presunta in modo assoluto) an. Diese Vermutung kann demnach nur widerlegt werden, wenn der Schaden auf einem Notstand, Zufall oder höherer Gewalt beruht und nicht schon durch den Nachweis, dass es dem Fahrer bzw. den in Abs. 3 genannten Personen unmöglich war, den Mangel bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt zu erkennen.118 116 „Art. 2054 (4) In ogni caso le persone indicate dai commi precedenti sono responsabili dei danni derivati da vizi di costruzione o da difetto di manutenzione del veicolo.“ 117 Rosenkranz, Die Haftung für Schadenszufügung aus unerlaubter Handlung nach italienischem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Straßenverkehrshaftung, 1973, S. 35. 118 Cass. 24.7.1971, n. 2465, Rep. Foro it. 1971, Stichwort „Circolazione stradale“, n. 100; Costa, Le prove liberatorie nella responsabilità da circolazione di veicoli, 2007, S. 219 f.; di Maietta, La responsabilità del produttore: i difetti di costruzione, in: Sica, La circolazione dei veicoli, Responsabilità e profili assicurativi, 2004, S. 75 (79 f.).
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
b) Die Haftung für Konstruktions- und Wartungsfehler als Gefährdungshaftung (responsabilità oggettiva) Die mittlerweile herrschende Meinung nimmt dagegen auch in Bezug auf Instandhaltungsmängel eine Gefährdungshaftung (responsabilità oggettiva) an.119 Demnach muss der Geschädigte zunächst den Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel beweisen sowie den Kausalzusammenhang zwischen diesem und dem Schadensereignis. Der Haftende kann sich dagegen nur entlasten, indem er den Kausalzusammenhang widerlegt. Hierfür kann er entweder nachweisen, dass kein Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel vorlag oder, dass der Unfall trotz Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel auf einer anderen Ursache beruhte.120 Zum Nachweis des Kausalzusammenhangs soll dabei die bloße Wahrscheinlichkeit genügen, dass der Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel (mit-) ursächlich für den Unfall war, was beim Fahren mit abgenutzen Reifen der Fall ist. Verliert der Fahrer infolge eines geplatzten Reifens die Kontrolle über das Fahrzeug, so ist die Hauptursache für das Platzen des Reifens wahrscheinlich der Umstand, dass dieser bereits alt und abgefahren war.121 Der Schaden ist dagegen etwa dann durch Zufall (caso fortuito) eingetreten, wenn der Reifen aufgrund eines Nagels auf der Fahrbahn platzte.122 Der Fahrer bzw. der in Abs. 3 genannte Personenkreis haften somit nach Art. 2054 Abs. 4 c. c., selbst wenn ein Konstruktionsfehler oder ein Verschulden der Werkstatt bei der Wartung nachweisbar ist.123
2. Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters für Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs oder ein Versagen seiner Vorrichtungen nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 3 StVG Nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ist die Verpflichtung zum Schadensersatz ausgeschlossen, „wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht 119 Cass. 6.8.2004, n. 15179; Cass. 9.3.2004, n. 4754, Cass. 19.2.1981, n. 1019, in Riv. giur. circ. trasp. 1981, 794; in Rep. Foro it. 1981, Stichwort „Circolazione stradale“, n. 69; Cass. 15.7.1960, n. 1929, in Foro it. 1960, I, 1714; Franzoni, L’illecito, 2010, Sezione VII.1. (S. 644), wonach einem Verschulden bei Abs. 4 weder haftungsbegründende noch haftungsausschließende Funktion zukommt, da der Nachweis sorgfäligen Verhaltens i. R. v. Abs. 4 keinen Entlastungsbeweis darstellt. 120 Bona, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2054, Kapitel 12, S. 392 f. 121 Bona, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2054, Kapitel 12, S. 393; Trib. Milano, sez. X, 16.6.2008, in Resp. civ. prev. 2008, 2605. 122 Cass. 6.1.2006, n. 13268; Bellagamba/Cariti, Circolazione stradale, 2009, Kapitel 33.3 (S. 102 ff.); Mazzon, Il danno da circolazione stradale, 2010, Kapitel 3.13.1 (S. 123 f.). 123 Daneben kommt eine Haftung des Herstellers aus Art. 2043 c. c., Art. 2050 c. c. und Produkthaftung (Art. 114 ff. Codice del consumo) in Betracht.
IV. Die Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel
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wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht.“ Der Halter haftet somit auch dann nach § 7 Abs. 1 StVG, wenn das Fahrzeug schon vor dem Unfall Beschaffenheitsfehler aufwies oder nicht mehr in allen Teilen einwandfrei war, selbst, wenn der Fahrzeugführer die äußerste, nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat. Das gilt auch dann, wenn der Unfall eigentlich eine andere Hauptursache hatte und der Defekt oder das Versagen nur mitgewirkt hat.124 Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs sind solche, die auf der Konstrukion, Bauweise und mangelhaften Wartung des Fahrzeugs und seiner Teile beruhen. Ein Versagen einer Vorrichtung liegt dagegen vor, wenn ein Fahrzeugteil seine Funktion beim Zusammenwirken mit anderen Teilen nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt.125 Die Ersatzpflicht des Halters ist dagegen nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ausgeschlossen, wenn das technische Versagen auf einer äußeren Einwirkung beruht, so z. B. wenn der Reifen aufgrund des Überfahrens eines Nagels auf der Fahrbahn platzt und der Fahrer dadurch einen Unfall verursacht. Dagegen haftet der Halter, wenn der Reifen nur deshalb beschädigt wurde, weil er stark abgefahren war oder wenn der Fahrer die Beschädigung kannte oder bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt kennen musste und trotzdem weiterfuhr.126
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Unterschiedliche Beweislastverteilung aufgrund verschiedener Konzeption der Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel a) Konzeption als Gefährdungshaftung im italienischen Recht im Gegensatz zum Haftungsausschlussgrund nach deutschem Recht Beide Rechtsordnungen sehen eine Haftung für Konstruktions- und Instandhaltungsmängel des Fahrzeugs vor. Diese ist im italienischen Recht nach herrschender Meinung als Gefährdungshaftung in einer eigenen Anspruchsgrundlage normiert, wohingegen sie im deutschen Recht als Haftungsausschlussgrund geregelt ist.
b) Konzeptionsbedingt unterschiedliche Beweislastverteilung Dieser strukturelle Unterschied hat wiederum Auswirkungen auf die Beweislastverteilung. 124
387.
Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 384,
125 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 385 f.; NK‑GVR/Zeycan, 2. Aufl. 2017, § 17 StVG Rn. 52 ff. 126 Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 388, 401.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Während im italienischen Recht der Geschädigte den Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel und den Kausalzusammenhang als haftungsbegründende Voraussetzungen beweisen muss, obliegt dagegen im deutschen Recht dem Halter der Nachweis, dass der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Konstruktionsfehler noch einem Instandhaltungsfehler beruhte. Der Anspruchsteller kommt nach Art. 2054 Abs. 4 c. c. zwar nicht in den Genuss einer Kausalitätsvermutung zwischen Mangel und Unfall, sodass für ihn der Rückgriff auf Art. 2054 Abs. 1 und Abs. 2 c. c. mit der umfassenderen Anknüpfung der Kausalität an den Verkehr des Fahrzeugs regelmäßig vorteilhafter sein wird,127 allerdings hat die Rechtsprechung die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis bereits gesenkt und lässt mittlerweile die bloße Wahrscheinlichkeit genügen, dass der Konstruktions- oder Instandhaltungsmangel (mit-) ursächlich für den Unfall war. Nichtsdestotrotz ist die italienische Regelung insofern nicht nachahmenswert, als der Geschädigte regelmäßig keinen Einblick in den Instandhaltungszustand des Schädigerfahrzeugs hat, weshalb die Beweisführung hierzu leicht zu einer kaum zu erbringenden probatio diabolica geraten kann. Überzeugend erscheint deshalb die Normierung als Haftungsausschluss im deutschen Recht, die dem Schädiger die Beweislast auferlegt.
c) Behandlung von Unfällen infolge abgenutzter oder geplatzter Reifen In beiden Rechtsordnungen wird die Haftung für Instandhaltungsmängel vor allem beim Fahren mit abgenutzten Reifen relevant, wobei die Haftung jeweils ausgeschlossen ist, wenn der geplatzte Reifen durch einen Nagel auf der Fahrbahn verursacht wurde.
V. Verjährung Nach Art. 15 lit. h Rom II‑VO ist das anzuwendende materielle Recht auch maßgebend für die Vorschriften über die Verjährung, einschließlich der Vorschriften über Beginn, Unterbrechung und Hemmung der Verjährungsfristen. Folglich sind auf Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich in Italien ereignet hat, auch die italienischen Verjährungsregeln anzuwenden.128
127 Rosenkranz, Die Haftung für Schadenszufügung aus unerlaubter Handlung nach italienischem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Straßenverkehrshaftung, 1973, S. 36. 128 Die Verjährungsregeln sind hinsichtlich des Wortlauts und ihrer systematischen Stellung im Gesetz dem materiellen Recht zuzuordnen, vgl. Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/332.
V. Verjährung
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Im Folgenden wird das Verjährungsregime im italienischen (1.) und im deutschen Recht (2.) dargestellt, bevor beide Rechtsordnungen vergleichend bewertet werden (3.).
1. Erlöschen des Rechts infolge der italienischen Verjährungsregelung des Art. 2934 Abs. 1 c. c. Nach Art. 2934 Abs. 1 c. c. erlischt jedes Recht durch Verjährung, wenn es der Berechtigte während der im Gesetz bestimmten Zeit nicht ausübt (sog. Extinktionsverjährung). Das Verstreichen der gesetzlich bestimmten Verjährungsfrist schließt also nicht nur die prozessuale Durchsetzbarkeit der Forderung aus, sondern bringt das Recht zum Erlöschen.129 Daher werden im Folgenden die Länge der Verjährungsfristen (a), ihr Beginn und ihre Berechnung (b) sowie ihre Hemmung und Unterbrechung (c) dargestellt.
a) Länge der Verjährungsfristen nach italienischem Recht Nach Art. 2946 c. c. beträgt die ordentliche Verjährungsfrist zehn Jahre, wobei das Gesetz für bestimmte Ansprüche längere bzw. kürzere Verjährungsfristen vorsieht. So beträgt die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung nach Art. 2947 Abs. 1 c. c. fünf Jahre ab dem Tag des Schadensereignisses und Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall verjähren nach Art. 2947 Abs. 2 c. c. in zwei Jahren.130 Die Besonderheit des italienischen Verjährungsrechts besteht allerdings darin, dass die einschlägige Verjährungsfrist auch davon abhängen kann, ob die unerlaubte Handlung zugleich einen Straftatbestand verwirklicht (aa). In diesem Fall verjähren zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf eines dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeitraums bzw. einer Mindestfrist (bb), wobei im Folgenden das besondere Augenmerk auf den Verjährungsfristen für fahrlässige Körperverletzung (cc) und fahrlässige Tötung im Staßenverkehr (dd) liegt sowie deren Anwendbarkeit auf Sachschäden (ee).
129 Gergen, VersRAI 2014, 29 (31); Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 9 Rn. 1; Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/331. 130 Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/339.
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aa) Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen auf zivilrechtliche Ersatzansprüche bei gleichzeitiger Verwirklichung eines Straftatbestandes In Fällen, in denen der Schaden durch eine Straftat hervorgerufen wird, passt sich die Verjährungsfrist des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs nach Art. 2947 Abs. 3 c. c.131 an die längere Verjährungsfrist der Straftat an: „(3) Immer dann, wenn die Handlung vom Gesetz als strafbar angesehen wird und für die strafbare Handlung eine längere Verjährung festgesetzt ist, findet diese auch auf den zivilrechtlichen Klageanspruch Anwendung. Wenn allerdings die strafbare Handlung wegen eines anderen Rechtsgrundes als dem der Verjährung erloschen ist oder im Strafverfahren ein unwiderrufliches Urteil ergangen ist, verjährt der Anspruch auf den Schadensersatz in den in den ersten beiden Absätzen bezeichneten Fristen, wobei deren Lauf vom Tag des Erlöschens der strafbaren Handlung an oder von dem Tag an, an dem das Urteil unwiderruflich geworden ist, berechnet wird.“
Dabei ist für die zivilrechtliche Verjährung die inzidente Feststellung der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestandes durch das Zivilgericht ausreichend.132 Beträgt die Verjährungsfrist für die Straftat also mehr als zwei Jahre (Art. 2947 Abs. 2 c. c.), so gilt auch für die Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall die längere strafrechtliche Verjährungsfrist.133 Da es für die Verjährung des Nichtvermögensschadens keine Spezialnorm gibt, verjährt auch er entsprechend der Bestimmungen des Art. 2947 c. c.134 Die Direktklage, die dem Geschädigten gegenüber dem Versicherungsunternehmen des Unfallgegners zusteht, unterliegt nach Art. 144 Abs. 4 ital. VersGB der Verjährung, der auch die Klage gegen den Unfallgegner unterläge. Das gilt auch im Hinblick auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist.135
bb) Verjährung nach Ablauf eines dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeitraums, nicht jedoch unter sechs Jahren bei Verbrechen Im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen kommen vor allem die Straftatbestände der fahrlässigen Körperverletzung nach Art. 590 Abs. 1 und 590-bis 131 „Art. 2947 (3) In ogni caso, se il fatto è considerato dalla legge come reato e per il reato è stabilita una prescrizione più lunga, questa si applica anche all’azione civile. Tuttavia, se il reato è estinto per causa diversa dalla prescrizione o è intervenuta sentenza irrevocabile nel giudizio penale, il diritto al risarcimento del danno si prescrive nei termini indicati dai primi due commi, con decorrenza dalla data di estinzione del reato o dalla data in cui la sentenza è divenuta irrevocabile.“ 132 Buse, DAR 2016, 557 (565) m. w. N. 133 Reiß, RIW 2005, 353 (361); Feller/Jurisch, ZfSch 2008, 543 (547). 134 Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario al Codice Civile, 12. Aufl. 2016, Art. 2059, X. Rn. 7. 135 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1367 f.
V. Verjährung
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des italienischen Strafgesetzbuchs (Codice penale, im Folgenden mit „c.p.“ abgekürzt) und der fahrlässigen Tötung nach Art. 589-bis c. p. in Betracht. Fahrlässige Sachbeschädigung ist dagegen auch im italienischen Recht nicht strafbar.136 In seiner alten Fassung sah Art. 157 Abs. 1 Nr. 4 c. p. für die fahrlässige Körperverletzung eine fünfjährige Verjährungsfrist vor. Durch Art. 6 des Gesetzes Nr. 251 vom 5.12.2005 (sog. Legge ex Cirielli) wurde Art. 157 c. p. jedoch dahingehend geändert, dass die Straftat nun nach Ablauf eines dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeitraums verjährt, jedoch nicht unter sechs Jahren, sofern es sich um ein Verbrechen (delitto) handelt bzw. nicht unter vier Jahren, sofern ein Vergehen (contravvenzione) vorliegt. Dabei werden im Rahmen der Festlegung des erforderlichen Zeitraums strafmildernde oder strafschärfende Umstände grundsätzlich nicht berücksichtigt.137 Nach Art. 39 c. p. erfolgt die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen anhand der im c. p. geregelten Strafarten, die wiederum in Art. 17 c. p. aufgeführt sind. Demnach zählen zu den Hauptstrafen für Verbrechen die Todesstrafe (morte),138 die lebenslange Freiheitsstrafe (ergastolo), die zeitige Freiheitsstrafe (reclusione) und die Geldstrafe (multa). Vergehen können dagegen mittels Arrest (arresto) und Bußgeld (ammenda) bestraft werden.
cc) Fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr Eine häufig im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen verwirklichte Straftat ist die fahrlässige leichte (1) oder schwere (2) Körperverletzung, deren Verjährungsfristen abhängig von der jeweils einschlägigen Tatbestandsvariante bestimmt wird (3). Dabei ist ein Strafantrag nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit der strafrechtlichen Verjährungsfristen (4).
(1) Fahrlässig verursachte leichte oder sehr leichte Körperverletzungen nach Art. 590 Abs. 1 c. p. Art. 590 c. p. regelt die fahrlässige Körperverletzung. Fahrlässig verursachte leichte oder sehr leichte Körperverletzungen werden nach Art. 590 Abs. 1 c. p. mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu € 309,00 bestraft, selbst wenn die Körperverletzung durch eine Verletzung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verursacht wurde.139 136 Rivano/Vangi, Ricostruzione della dinamica degli incidenti stradali, 2011, Kapitel 1, 1.2. (S. 6). 137 La Torre, Le assicurazioni, 2007, S. 895. 138 Die Todesstrafe wurde durch Art. 1 D.lgs.lgt. 10.8.1944, n. 224 abgeschafft. 139 Squarci, Lesioni personali stradali, AltalexPedia, voce agg. al 21/07/2016, Categoria: Diritto penale.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
(2) Neuregelung der fahrlässig im Straßenverkehr verursachten schweren oder sehr schweren Körperverletzung in Art. 590-bis c. p. Mit Gesetz Nr. 41 vom 23.3.2016 (G. U. 24.3.2016, n. 70) wurde die fahrlässig im Straßenverkehr verursachte schwere oder sehr schwere Körperverletzung im neu eingeführten Art. 590-bis c. p. geregelt. Nach Art. 590-bis Abs. 1 c. p. werden schwere Körperverletzungen, die durch eine Verletzung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verursacht wurden, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu einem Jahr bestraft und sehr schwere Körperverletzungen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu drei Jahren. Abhängig davon, ob die schwere bzw. sehr schwere Körperverletzung (a) im Rauschzustand (b) oder durch ein besonders gefährliches Verhalten im Straßenverkehr (c) verursacht wurde, sehen die Tatbestandsvarianten des Art. 590-bis Abs. 2–5 c. p. unterschiedliche Strafmaße vor, die nach Abs. 6–8 auch erhöht oder gemindert werden können (d).
(a) Definition der schweren bzw. sehr schweren Körperverletzung in Art. 583 c. p. Wann eine schwere bzw. sehr schwere Körperverletzung vorliegt, definiert Art. 583 c. p. Nach Art. 583 Abs. 1 c. p. handelt es sich um eine schwere Körperverletzung, wenn die Tat eine Krankheit zur Folge hat, die das Leben des Verletzten in Gefahr bringt, oder eine mehr als vierzigtägige Krankheit oder Unfähigkeit, der gewohnten Beschäftigung nachzugehen (Nr. 1) oder, wenn die Tat zu einer dauerhaften Schwächung eines Sinnes oder eines Organs führt (Nr. 2). Eine sehr schwere Körperverletzung liegt nach Art. 583 Abs. 2 c. p. vor, wenn die Tat eine sichere oder wahrscheinlich unheilbare Krankheit zur Folge hat (Nr. 1); den Verlust eines Sinnes (Nr. 2); den Verlust eines Gliedes oder eine Verstümmelung, die das Glied unbrauchbar macht, den Verlust der Funktionsfähigkeit eines Organs oder der Fortpflanzungsfähigkeit oder eine dauernde oder schwere Behinderung der Sprache (Nr. 3) oder die Verunstaltung des Gesichts oder eine bleibende Narbe im Gesicht (Nr. 4).140
(b) Im Rauschzustand verursachte schwere und sehr schwere Körperverletzungen nach Art. 590-bis Abs. 2–5 c. p. Schlimme Fälle von Verkehrsstraftaten, die der Fahrer eines motorbetriebenen Fahrzeugs im Rauschzustand begeht, sind in Art. 590-bis Abs. 2–5 c. p. geregelt. Wird die Verkehrsstraftat im Alkoholrausch mit mehr als 1,5 Promille oder unter Einfluss von Betäubungsmitteln begangen, so sieht Art. 590-bis Abs. 2 c. p. für schwere Körperverletzungen eine Freiheitsstrafe von drei Jahren bis zu 140
Riz, Italienisches Strafgesetzbuch, 1995.
V. Verjährung
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fünf Jahren vor und für sehr schwere Körperverletzungen eine Freiheitsstrafe von vier Jahren bis zu sieben Jahren. Nach Art. 590-bis Abs. 3 c. p. gilt die gleiche Strafe entsprechend für bestimmte Berufsfahrer (z. B. Busfahrer), die die Körperverletzung mit einem Blutalkoholwert von mehr als 0,8 Promille begehen. Wird die Verkehrsstraftat im Alkoholrausch von mehr als 0,8 Promille von einem Nicht- Berufsfahrer begangen, so sieht Art. 590-bis Abs. 4 c. p. für schwere Körperverletzungen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bis zu drei Jahren vor und für sehr schwere Körperverletzungen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu vier Jahren.
(c) Durch besonders gefährliches Verhalten im Straßenverkehr verursachte schwere und sehr schwere Körperverletzungen nach Art. 590-bis Abs. 5 c. p. Nach Art. 590-bis Abs. 5 c. p. gilt die im vorstehenden Absatz 4 genannte Strafe entsprechend für schwere und sehr schwere Körperverletzungen, die durch ein besonders gefährliches Verhalten im Straßenverkehr verursacht wurden, wie z. B. erhöhte Geschwindigkeit (Nr. 1), das Überfahren einer roten Ampel oder das Fahren entgegen der Fahrtrichtung (Nr. 2), das Wenden an Kreuzungen, in Kurven und auf Kuppen sowie in deren unmittelbarer Nähe oder das Überholen an einem Fußgängerüberweg oder einer durchgezogenen Linie (Nr. 3).
(d) Erhöhung bzw. Minderung der Strafe nach Art. 590-bis Abs. 6–8 c. p. Nach Art. 590-bis Abs. 6 c. p. wird die Strafe der vorherigen Absätze erhöht, wenn die Straftat von einer Person ohne Führerschein oder mit ausgesetztem oder entzogenem Führerschein begangen wird oder, wenn das Fahrzeug im Eigentum des Fahrzeugführers steht und ohne Pflichtversicherungsschutz ist. Wenn die Schädigung im Sinne der vorherigen Absätze nicht ausschließlich auf der Handlung oder Unterlassung des Täters beruht, wird die Strafe nach Art. 590-bis Abs. 7 c. p. um bis zur Hälfte gemindert. Werden in den Fällen der vorherigen Absätze mehrere Personen verletzt, so wird nach Art. 590-bis Abs. 8 c. p. die Strafe, die für die schwerste der begangenen Gesetzesverletzungen verhängt werden müsste, unter Erhöhung um das bis zu Dreifache angewendet; die Strafe darf jedoch sieben Jahre nicht überschreiten.
(3) Bestimmung der Verjährungsfristen für die jeweiligen Tatbestandsvarianten des Art. 590-bis c. p. Die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzforderungen wird abhängig von der jeweils verwirklichten Tatbestandsvariante bestimmt (a), wobei nach deren tabellarischer Darstellung (b) verfassungsrechtliche Bedenken nicht von der Hand zu weisen sind (c).
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
(a) Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen für fahrlässige Körperverletzungen jeder Art in sechs bzw. sieben Jahren Da die fahrlässige Körperverletzung folglich mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bestraft wird, handelt es sich dabei nach Art. 17 c. p. um ein Verbrechen. Für Verbrechen sieht Art. 157 Abs. 1 c. p. vor, dass die Straftat nach Ablauf einer dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeitspanne verjährt, jedoch nicht unter sechs Jahren. Demzufolge verjähren zivilrechtliche Schadensersatzforderungen für fahrlässige Körperverletzungen jeder Art (leichte, schwere und grundsätzlich auch sehr schwere) nach Art. 2947 Abs. 3 c. c. i. V. m. Art. 157 Abs. 1 c. p. in sechs Jahren, wohingegen für sehr schwere Körperverletzungen im Sinne von Art. 590-bis Abs. 2, 3 c. p. und bei mehreren Opfern nach Art. 590-bis Abs. 8 c. p. eine siebenjährige Verjährungsfrist gilt.
(b) Tabellarische Darstellung der Verjährungsfristen für die Tatbestandsvarianten des Art. 590-bis c. p. Die Verjährungsfristen der einzelnen Tatbestandsvarianten lassen sich tabellarisch wie folgt darstellen:141 Tatbestand
Strafe
Verjährung (in Jahren)
Schwere oder sehr schwere im Straßenverkehr verursachte Körperverletzungen schwere sehr schwere schwere > 1,5 Promille sehr schwere > 1,5 Promille schwere > 0,8 Promille sehr schwere > 0,8 Promille
3 Monate – 1 Jahr 1–3 Jahre 3–5 Jahre 4–7 Jahre 1 Jahr 6 Monate – 3 Jahre 2–4 Jahre
6 6 6 7 6 6
– Überschreitung der für innerstädtische Straßen erlaubten Geschwindigkeit um das Doppelte und > 70 km/h – Überschreitung der auf Straßen außerorts erlaubten Geschwindigkeit um 50 km/h – Rote Ampel, Fahren entgegen der Fahrtrichtung – Wenden an Kreuzungen, in Kurven und auf Kuppen – Überholen an einem Fußgängerüberweg oder einer durchgezogenen Linie
1 Jahr 6 Monate – 3 Jahre 6 für für schwere Körperverlet- schwere Körperverzungen letzungen 2–4 Jahre für sehr schwere Körperverletzungen 6 für sehr schwere Körperverletzungen
141 Vgl. Tabelle zur strafrechtlichen Verjährung bei Körperverletzungen im Straßenverkehr bei Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1364, nicht dargestellt sind die einfache Körperverletzung sowie die Straftaten bestimmter Berufsfahrer nach Art. 590-bis Abs. 3 c. p. und Art. 590-bis Abs. 6–8 c. p.
V. Verjährung
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(c) Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz Die tabellarische Darstellung der Verjährungsfristen führt vor Augen, dass – wie bereits im Hinblick auf das Vorgängergesetz Nr. 251 vom 5.12.2005 (sog. Legge ex Cirielli) (s. o. § 2 V. 1.a)bb), S. 50) – auch in Bezug auf das Gesetz Nr. 41 vom 23.3.2016 verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht von der Hand zu weisen sind. So verjährt z. B. die weniger schlimme Tatbestandsvariante der schweren Körperverletzung (Strafhöchstmaß bis zu einem Jahr) und die objektiv schwerwiegendere Variante der schweren Körperverletzung unter Alkoholeinfluss (Strafhöchstmaß bis zu fünf Jahren) innerhalb derselben Verjährungsfrist, nämlich sechs Jahren.142
(4) Keine Erforderlichkeit eines Strafantrags für die Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist Obwohl die leichte fahrlässige Körperverletzung im Sinne von Art. 590 Abs. 1 c. p. nach Art. 590 Abs. 5 c. p. nur auf Strafantrag des Verletzten verfolgt wird, findet nach der Entscheidung Nr. 27337 der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes vom 18.11.2008143 die längere strafrechtliche Verjährungsfrist des Art. 2947 Abs. 3 c. c. selbst dann Anwendung, wenn der Verletzte keinen Strafantrag gestellt hat. Demgegenüber handelt es sich bei den in Art. 590-bis c. p. geregelten fahrlässigen Körperverletzungen im Straßenverkehr nicht um Antragsdelikte; sie werden von Amts wegen verfolgt.
dd) Fahrlässige Tötung im Staßenverkehr Personenunfälle im Straßenverkehr haben häufig tödliche Folgen, deren Strafbarkeit mittlerweile in Art. 589-bis c. p. gesondert geregelt ist (1) und deren Verjährungsfristen durch Art. 157 Abs. 6 c. p. sogar verdoppelt werden, wie die tabellarische Darstellung aufzeigt (3).
(1) Neuregelung der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr in Art. 589-bis c. p. mit inhaltlichen Parallelen zu Art. 590-bis c. p. Mit Gesetz Nr. 41 vom 23.3.2016 wurde auch die unter Verletzung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verursachte fahrlässige Tötung gesondert in Art. 589-bis c. p. geregelt. Hierfür sieht Art. 589-bis Abs. 1 c. p. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu sieben Jahren vor. Art. 589-bis c. p. verfügt ebenfalls über acht Absätze, die inhaltlich parallele Regelungen enthalten, wie die 142 Vgl. in Bezug auf Legge ex Cirielli und die Verdoppelung der Verjährungsfristen durch Art. 157 Abs. 6 c. p. Corte cost. 28.5.2014, n. 143 und daraufhin Cass. pen. 18.3.2015, n. 18122. 143 Cass. S. U. 18.11.2008, n. 27337.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
fahrlässige Körperverletzung im Rahmen von Verkehrsunfällen nach Art. 590bis c. p. Auch hier sind schlimme Fälle von Verkehrsstraftaten, die der Fahrer eines motorbetriebenen Fahrzeugs im Rauschzustand begeht, in Art. 589-bis Abs. 2–5 c. p. geregelt. So wird die fahrlässige Tötung, die im Alkoholrausch mit mehr als 1,5 Promille oder unter Einfluss von Betäubungsmitteln begangen wird, nach Art. 589bis Abs. 2 c. p. mit Freiheitsstrafe von acht Jahren bis zu zwölf Jahren bestraft. Nach Art. 589-bis Abs. 3 c. p. gilt die gleiche Strafe entsprechend, wenn die fahrlässige Tötung durch bestimmte Berufsfahrer mit mehr als 0,8 Promille begangen wird. Wird die fahrlässige Tötung von Nicht-Berufsfahrern mit mehr als 0,8 Promille begangen, so sieht Art. 589-bis Abs. 4 c. p. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren bis zu zehn Jahren vor. Nach Art. 589-bis Abs. 5 c. p. gilt die im vorstehenden Absatz 4 genannte Strafe entsprechend, wenn die fahrlässige Tötung durch ein besonders gefährliches Verhalten im Straßenverkehr verursacht wurde. Hinsichtlich des besonders gefährlichen Verhaltens gelten die zur fahrlässigen Körperverletzung (Art. 590-bis Abs. 5 c. p.) gemachten Ausführungen entsprechend (s. o. § 2 V. 1.a)cc)(2)(c), S. 53). Nach Art. 589-bis Abs. 6 c. p. wird die Strafe der vorherigen Absätze erhöht, wenn die Straftat von einer Person ohne Führerschein oder mit ausgesetztem oder entzogenem Führerschein begangen wird oder, wenn das Fahrzeug im Eigentum des Fahrzeugführers steht und ohne Pflichtversicherungsschutz ist. Wenn die Schädigung im Sinne der vorherigen Absätze dagegen nicht ausschließlich auf der Handlung oder Unterlassung des Täters beruht, wird die Strafe nach Art. 589-bis Abs. 7 c. p. um bis zur Häfte gemindert. Werden in den Fällen der vorherigen Absätze mehrere Personen getötet oder eine oder mehrere Personen getötet und mehrere Personen verletzt, so wird nach Art. 589-bis Abs. 8 c. p. die Strafe, die für die schwerste der begangenen Gesetzesverletzungen verhängt werden müsste, unter Erhöhung um bis zum Dreifachen angewendet; die Strafe darf jedoch achtzehn Jahre nicht überschreiten.
(2) Erhebliche Verlängerung der straf- und zivilrechtlichen Verjährungsfristen für fahrlässige Tötung im Straßenverkehr durch Art. 157 Abs. 6 c. p. Da es sich auch bei der fahrlässigen Tötung nach Art. 17 c. p. um ein Verbrechen handelt, verjährt sie ebenfalls nach Art. 157 Abs. 1 c. p. innerhalb der nach Ablauf der dem Strafhöchstmaß entsprechenden Zeit, nicht jedoch unter sechs Jahren. Nach Art. 157 Abs. 6 c. p. werden die in den vorherigen Absätzen bestimmten Fristen unter anderem für die fahrlässige Tötung im Sinne von Art. 589-bis c. p. verdoppelt. Das heißt, die strafrechtliche Verjährung und die Verjährung
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V. Verjährung
zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr (Art. 2947 Abs. 3 c. c.) richten sich nach dem doppelten Strafhöchstmaß (Art. 157 Abs. 1 c. p.) des jeweiligen Absatzes des Art. 589-bis c. p. Bei einem Strafhöchstmaß von sieben Jahren (Art. 589-bis Abs. 1 c. p.) verjähren fahrlässige Tötungen im Straßenverkehr nach Art. 157 Abs. 6 c. p. somit erst in vierzehn Jahren. Fahrlässige Tötungen im Sinne von Art. 589 Abs. 2, 3 c. p. mit einem Strafhöchstmaß von zwölf Jahren verjähren demnach in vierundzwanzig Jahren und solche nach Art. 589 Abs. 4, 5 c. p. mit einem Strafhöchstmaß von zehn Jahren verjähren in zwanzig Jahren. Bei mehreren Opfern (Art. 589-bis Abs. 8 c. p.) und einem Strafhöchstmaß von achtzehn Jahren beträgt die Verjährungsfrist sechsundreißig Jahre.
(3) Tabellarische Darstellung der Verjährungsfristen für die Tatbestandsvarianten des Art. 589-bis c. p. Die Verjährungsfristen der einzelnen Tatbestandsvarianten lassen sich tabellarisch wie folgt darstellen:144 Tatbestand
Strafe
Verjährung (in Jahren)
„einfache“
2–7 Jahre
14
unter Alkoholeinfluss > 1,5 Promille
8–12 Jahre
24
unter Alkoholeinfluss > 0,8 Promille 5–10 Jahre – Überschreitung der für innerstädtische Straßen erlaubten Geschwindigkeit um das Doppelte und > 70 km/h – Überschreitung der auf Straßen außerorts erlaubten Geschwindigkeit um 50 km/h – Rote Ampel, Fahren entgegen der Fahrtrichtung – Wenden an Kreuzungen, in Kurven und auf Kuppen – Überholen an einem Fußgängerüberweg oder einer durchgezogenen Linie
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Tötung im Straßenverkehr
Damit führte die durch Gesetz Nr. 41 vom 23.3.2016 erfolgte Neuregelung der fahrlässigen Tötung im Staßenverkehr in Art. 589-bis c. p. zu einer erheblichen Verlängerung der Verjährungsfristen. Diese betrugen zuvor für die einfache fahrlässige Tötung lediglich sechs Jahre, für die Tötung im Straßenverkehr vier144 Vgl. Tabelle zur strafrechtlichen Verjährung bei Tötungen im Straßenverkehr bei Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1363, nicht dargestellt sind die Straftaten bestimmter Berufsfahrer nach Art. 589-bis Abs. 3 c. p. und Art. 589-bis Abs. 6–8 c. p.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
zehn Jahre, für die Tötung unter Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln zwanzig Jahre und bei mehreren Opfern dreißig Jahre.145
ee) Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen auch auf Sachschäden desselben Geschädigten Da mit Personenschäden aufgrund von Verkehrsunfällen regelmäßig auch Sachschäden einhergehen, die fahrlässige Sachbeschädigung aber auch nach italienischem Recht nicht strafbar ist, stellt sich die Frage, ob dieser Umstand für Personen- und Sachschäden zur Anwendbarkeit unterschiedlicher Verjährungsfristen führt. Hierzu ist danach zu differenzieren, wer den Personenschaden erleidet: Wenn derselbe Geschädigte aufgrund einer strafbaren Handlung zugleich Personen- und Sachschäden erleidet, so ist die längere für die Straftat vorgesehene Verjährungsfrist auch für die Geltendmachung des Sachschadens anwendbar.146 Werden durch denselben Unfall dagegen verschiedene Personen geschädigt und treten strafbewehrte Körperschäden und nicht strafbewehrte Sachschäden nicht bei demselben Geschädigten ein, so gelten für die Verjährung der Schäden unterschiedliche Verjährungsfristen:147 Personenschäden, die den Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllen, verjähren nach Art. 2947 Abs. 3 c. c. i. V. m. Art. 157 Abs. 1 c. p., Art. 590 Abs. 1 bzw. Art. 590-bis c. p. in sechs bzw. sieben Jahren. Sachschäden, die durch den Verkehr von Fahrzeugen verursacht wurden, verjähren dagegen bereits in zwei Jahren (Art. 2947 Abs. 2 c. c.).
b) Beginn und Berechnung der Verjährungsfrist nach italienischem Recht Die Verjährung läuft nach Art. 2935 c. c. ab dem Tag, an dem das Recht geltend gemacht werden kann, nach Art. 2947 Abs. 1 c. c. also ab dem Tag der unerlaubten Handlung bzw. des Verkehrsunfalls.148 Nach Art. 2963 Abs. 2 c. c. wird der Tag, in dessen Verlauf der Anfang einer Frist fällt, nicht mitgerechnet und die Verjährung tritt ein, sobald der letzte Augenblick des letzten Tages verstrichen 145 Zur alten Rechtslage siehe Tabelle bei Rossetti, L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, S. 676. 146 Cass. 14.6.1999, n. 5874, in Rep. Foro it. 1999, Stichwort „Prescrizione e decadenza“, Nr. 91; Cass. 16.6.1992, n. 7395, Rep. Foro it. 1992, Stichwort „Prescrizione e decadenza“, Nr. 55: „Quando uno stesso soggetto in dipendenza di un fatto-reato abbia riportato in pari tempo danni alla persona ed alle cose, il più lungo termine prescrizionale previsto dalla legge per il reato si applica anche all’azione di risarcimento del danno alle cose“. 147 Trib. Roma 21.2.1991, n. 2410, Leitsatz und Volltext in BancaDati24 (Il Sole 24 ore) und Cass. 9.2.1981, n. 803, Leitsatz in BancaDati24 (Il Sole 24 ore); La Torre, Le assicurazioni, 2007, § 189 S. 896. 148 Jayme, JbItalR 27 (2014), 73 (87).
V. Verjährung
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ist. Läuft die Frist an einem Sonntag oder Feiertag ab, so wird sie nach Art. 2963 Abs. 3 c. c. kraft Gesetzes auf den nachfolgenden Werktag verlängert.149 Gerade im Hinblick auf den Verjährungsbeginn bei Gesundheitsschäden ergeben sich allerdings Besonderheiten, so insbesondere bei Dauerfolgen, die der Geschädigte selbst bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt zunächst nicht erkennen konnte (aa) und bei der vorübergehenden und dauerhaften Invalidität (bb). Keine Auswirkungen auf den Verjährungsbeginn hat dagegen die für die klageweise Geltendmachung des Direktanspruchs zu beachtende sog. „Friedenspflicht“ (cc). Ist die Straftat dagegen wegen eines anderen Rechtsgrundes als dem der Verjährung erloschen, so gelten für den Schadensersatzanspruch die zivilrechtlichen Verjährungsfristen, die jedoch erst von dem Tag an berechnet werden, an dem die Straftat erloschen ist (dd).
aa) Kenntnis der Schädigung bzw. Möglichkeit der Kenntniserlangung bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt als Voraussetzung des Verjährungsbeginns Das Gesetz (Art. 2935, 2947 Abs. 1 c. c.) setzt für den Verjährungsbeginn also keine subjektive Kenntnis der Schädigung voraus. Nichtsdestotrotz hielten die Literatur150 und die Rechtsprechung151 seit Anfang der 1960er Jahre nicht mehr ausschließlich die unerlaubte Handlung maßgebend für den Fristbeginn (dies a quo), sondern – zumindest teilweise begünstigt durch das deutsche Vorbild der Erkennbarkeit des Schadens und der Ursache (§ 852 Abs. 1 BGB a. F.152) – auch den Zeitpunkt, ab dem sich der Schaden manifestiert hat.153 In der Grundsatzentscheidung Nr. 1716 vom 24.3.1979154 zur deliktischen Arzthaftung (Art. 2043 c. c.) bestätigte der Kassationshof erstmals das neue Prinzip der Erkennbarkeit des Schadens (conoscibilità del danno). Aufgrund eines Diagnosefehlers wurde eine Patientin infolge der Bestrahlung irreversibel unfruchtbar, was zunächst unerkannt blieb. In Bezug auf die Verjährung stellte der Kassationshof fest, dass Art. 2043 c. c. ein komplexer Tatbestand sei, der erst vollendet ist, wenn sich alle Bestandteile, wie die Erkennbarkeit des Schadens, verwirklicht haben. Wenn der Schaden also im Zeitpunkt des Unfalls ein149
Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/361. Ottolenghi, Prescrizione dell’azione per danni, 1975, S. 86 ff. Cass. 6.3.1970, n. 569, in Giust. civ. 1970, I, 674; Cass. 6.10.1975, n. 3161, in Rep. Foro it. 1975, Stichwort „Prescrizione e decadenza“, n. 67. 152 § 852 BGB in der vom 1.1.1900 bis 1.1.2002 gültigen Fassung: „(1) Der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntniß erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntniß in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an.“ 153 Bona, in The Cardozo Electronic Law Bulletin, Vol. 11, 2005, S. 6. 154 Cass. 24.3.1979, n. 1716, in Foro it. 1980, I, 1115. 150 151
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
tritt, sich aber erst zu einem späteren Zeitpunkt zeigt, beginnt die Verjährungsfrist erst ab diesem späteren Zeitpunkt zu laufen. Auch in Bezug auf Infektionskrankheiten, wie z. B. eine HIV‑Infektion durch kontaminierte Blutkonserven, soll die Verjährungsfrist in Fällen, in denen der Verletzte die Schädigung selbst bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, erst in dem Moment beginnen, in dem das Opfer von der Schädigung Kenntnis erlangt bzw. bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt die konkrete Möglichkeit der Kenntniserlangung gehabt hätte.155
bb) Abhängigkeit des Verjährungsbeginns vom jeweiligen Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs für die invalidità temporanea und invalidità permanente Besonderheiten hinsichtlich des Verjährungsbeginns bei Körperschäden ergeben sich auch bei vorübergehender oder dauerhafter Invalidität (s. u. § 3 III.1.d)bb), S. 130 ff.). Nach Rossetti156 ensteht der Schadensersatzanspruch für vorübergehende Invalidität (invalidità temporanea) nach der Verletzung Tag für Tag. Dauerte die vorübergehende Invalidität, die durch eine unerlaubte Handlung verursacht wurde und somit – vorbehaltlich einer Straftat – in fünf Jahren verjährt (Art. 2947 Abs. 1 c. c.), z. B. 60 Tage vom 1.6.2009 bis 31.7.2009, so verjährt der Schadensersatzanspruch für den ersten Tag der vorübergehenden Invalidität am 1.6.2014, für den zweiten Tag am 2.6.2014 usw. In Bezug auf die kürzere Verjährung von Ansprüchen aus einem (Haftpflicht)Versicherungsverhältnis (Art. 2952 c. c.) hat der Kassationshof dagegen festgestellt, dass die Verjährung des Schadensersatzanspruchs für dauerhafte Invalidität (invalidità permanente) nicht schon ab dem Unfalltag zu laufen beginnt, sondern erst nach Beendigung der vorübergehenden Invalidität, wenn sich der Gesundheitszustand stabilisiert hat und die dauerhaften Folgen feststehen. Denn vorübergehende und dauerhafte Invalidität können nicht gleichzeitig vorliegen. Dementsprechend beginnt auch die Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs für die dauerhafte Invalidität erst nach Beendigung der vorübergehenden Invalidität.157 Nach Rossetti158 kann dieser Grundsatz auch auf die Verjährung von Ansprüchen gegen den Schädiger übertragen werden. Hierfür wird aufgrund der längeren Verjährungsfristen des Art. 2947 c. c. regelmäßig aber kein Bedürfnis bestehen.
155
Cass. S. U. 11.1.2008, n. 576. Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1366. 157 Cass. 18.9.2014, n. 19660; Cass. 16.6.2011 n. 13194; Cass. 19.1.2004, n. 701, in Assicurazioni 2004, II, 133. 158 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1366. 156
V. Verjährung
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cc) Unabhängigkeit des Verjährungsbeginns von der sog. „Friedenspflicht“ nach Art. 145 ital. VersGB Auch hinsichtlich des gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers geltend zu machenden Schadensersatzanspruchs läuft die Verjährungfrist ab dem Tag der unerlaubten Handlung. Keinen Einfluss auf den Verjährungsbeginn hat die in Art. 145 Abs. 1 ital. VersGB geregelte sog. „Friedenspflicht“, wonach die Klage bei Sachschäden nicht vor Ablauf von 60 Tagen und bei Personenschäden nicht vor Ablauf von 90 Tagen (spatium deliberandi) erhoben werden kann.159 Diesbezüglich haben die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes Art. 2935 c. c. dahingehend ausgelegt, dass die Möglichkeit zur Geltendmachung des Rechts bereits besteht, wenn es im Wesentlichen geltend gemacht werden kann, selbst, wenn die Klage, wie bei Art. 145 ital. VersGB, aufgrund prozessualer Beschränkungen noch nicht erhoben werden kann.160 Nach Art. 144 Abs. 4 ital. VersGB unterliegt die Direktklage gegenüber der gegnerischen Versicherung der gleichen Verjährung, wie die Klage gegen den Unfallgegner. Folglich entfalten alle die Verjährung hemmenden, unterbrechenden oder modifizierenden Ereignisse, die Gegenstand von Schadensersatzansprüchen des Geschädigten gegenüber dem Verantwortlichen sind, auch Wirkungen in Bezug auf Ansprüche des Geschädigten gegen das Versicherungsunternehmen und auch die längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen sind im Verhältnis zum Versicherungsunternehmen anwendbar.161
dd) Wirkung des „Erlöschens“ der Straftat Grundsätzlich läuft die Verjährungsfrist auch dann ab dem Tag der unerlaubten Handlung, wenn diese zugleich einen Straftatbestand erfüllt. Wenn allerdings die strafbare Handlung wegen eines anderen Rechtsgrundes als dem der Verjährung erloschen (estinzione del reato) ist, wie z. B. dem Tod des Täters, seiner Begnadigung oder weil im Strafverfahren ein unwiderrufliches Urteil ergangen ist, verjährt der Schadensersatzanspruch nach Art. 2947 Abs. 3 S. 2 c. c. in fünf bzw. in zwei Jahren (Art. 2947 Abs. 1, 2 c. c.). Allerdings wird der Lauf dieser 159 Um eine verfrühte Klageerhebung zu verhindern hat der italienische Gesetzgeber in Art. 145 ital. VersGB als Voraussetzung für die Erhebbarkeit der Klage zunächst den Ablauf eines sog. spatium deliberandi vorgesehen. Demnach kann die Direktklage erst erhoben werden, wenn bei Sachschäden 60 Tage und bei Personenschäden 90 Tage vergangen sind, nachdem der Geschädigte seine Ansprüche entsprechend den in Art. 148 ital. VersGB vorgeschriebenen inhaltlichen Anforderungen mittels Einschreiben mit Rückschein auch nur zur Kenntnisnahme an die Versicherungsgesellschaft geltend gemacht hat, siehe Gozzi, VersRAI 2007, 2 (3); Backu, DAR 8/2003, 337 (339). 160 Cass. S. U. 11.6.1992, n. 7194, in Foro it. 1992, I, 2079. 161 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1367 f.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Verjährungsfrist von dem Tag an berechnet, an dem die strafbare Handlung erloschen ist oder an dem das Urteil bestandskräftig wurde.162 Ist die Straftat verjährt, so ist auch der zivilrechtliche Anspruch auf Schadensersatz verjährt, es sei denn das Opfer hat geeignete Maßnahmen ergriffen, um die Verjährung zu unterbrechen oder zu hemmen.
c) Hemmung und Unterbrechung der Verjährung im italienischen Recht Die italienische Rechtsordnung unterscheidet zwischen Hemmung (sospensione della prescrizione) (aa) und Unterbrechung (interruzione della prescrizione) der Verjährung (bb).
aa) Weiterlaufen der Verjährungsfrist nach Hemmung unter Anrechnung der zuvor bereits abgelaufenen Zeit Die Hemmung der Verjährung bewirkt quasi einen Stillstand des Zeitablaufs. Sobald der Grund für die Hemmung wegfällt, beginnt die Verjährung wieder dort zu laufen, wo der Lauf zuvor gehemmt wurde. Dabei wird auch die Zeit mitgerechnet, die bereits vor Hemmungsbeginn verstrichen ist.163 Bei den gesetzlich vorgesehenen Fällen der Hemmung ist zu unterscheiden zwischen Hemmung aufgrund von Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien (Art. 2941 c. c.) und Hemmung aufgrund der Lage des Berechtigten (Art. 2942 c. c.). So sind nach Art. 2942 Nr. 1 c. c. vor allem Ansprüche von Minderjährigen, deren Eltern bei einem Verkehrsunfall getötet wurden, gehemmt, solange sie keinen gesetzlichen Vertreter haben sowie für die ersten sechs Monate, die der Bestellung eines solchen oder der Erlangung der Volljährigkeit folgen.
bb) Neubeginn der Verjährungsfrist nach Unterbrechung ohne Anrechnung der zuvor abgelaufenen Zeit Die Unterbrechung der Verjährung hat dagegen nach Art. 2945 Abs. 1 c. c. zur Folge, dass ein neuer Verjährungszeitraum zu laufen beginnt, ohne dass die vor der Unterbrechung abgelaufene Zeit angerechnet wird.164 Die Verjährung kann insbesondere unterbrochen werden durch die Zustellung eines Schriftstücks, mit welchem ein Erkenntnisverfahren, ein Sicherungsverfahren oder ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet wird (Art. 2943 Abs. 1 c. c.), durch die Geltendmachung eines Anspruchs im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens (Art. 2943 Abs. 2 c. c.), durch Inverzugsetzung des Schuldners (Art. 2943 Abs. 4 c. c.) oder durch die Anerkennung des Anspruchs durch den Verpflichteten (Art. 2944 c. c.). 162 163
Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1368 f. Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/341 ff. 164 Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/346.
V. Verjährung
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Ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Anerkennung oder der Inverzugsetzung beginnt die volle Verjährungsfrist neu zu laufen. In den Fällen der Verjährungsunterbrechung durch gerichtliche Geltendmachung beginnt die Verjährungsfrist erst dann wieder neu zu laufen, wenn das Endurteil rechtskräftig geworden ist.165 Auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung mittels Einschreiben stellt eine Inverzugsetzung im Sinne von Art. 1219 c. c. dar, die die Verjährung unterbricht. Mit Erhalt des Einschreibens beginnt die Verjährungsfrist zugleich von neuem zu laufen. Dabei wird der Beginn der neuen Verjährungsfrist nicht durch die Beachtung der sog. „Friedenspflicht“ von 60 bzw. 90 Tagen hinausgezögert, weil diese lediglich der gütlichen Streitbeilegung dient, ansonsten aber keine Wirkungen auf die Verjährung und ihre Unterbrechung entfaltet.166
2. Leistungsverweigerungsrecht infolge der Verjährung im deutschen Recht nach § 214 Abs. 1 BGB In Deutschland führt die Verjährung nicht zum Erlöschen des Anspruchs, sondern gibt dem Schuldner lediglich nach § 214 Abs. 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht, das er einredeweise geltend machen kann.167 Dabei gelten die zivilrechtlichen Verjährungsfristen für alle Ansprüche aus Verkehrsunfällen (a). Unabhängig davon, ob sie auf Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung beruhen, verjähren sie in drei Jahren (b), sofern der Anspruchsteller nicht geeignete Maßnahmen ergreift, um die Verjährung zu hemmen oder ihren Neubeginn herbeizuführen (c).
a) Allgemeine Geltung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen für Ansprüche aus straßenverkehrsrechtlicher Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung sowie den Direktanspruch Nach § 14 StVG finden auf die Verjährung die für unerlaubte Handlungen geltenden Verjährungsvorschriften des BGB entsprechende Anwendung, mithin die §§ 194 ff. BGB. Damit besteht im Hinblick auf die Verjährung von Ansprüchen aus Verkehrsunfällen kein Unterschied, ob die Ansprüche auf Verschuldenshaftung nach §§ 823 ff. BGB oder auf Gefährdungshaftung nach § 7 StVG bzw. Haftung für vermutetes Verschulden nach § 18 StVG beruhen. 165 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1371; Eccher/Schurr/Christandl/Schurr, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 2/347; Backu, DAR 1999, 231 (233). 166 Cass. S. U. 30.10.1992, n. 11847; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 294. 167 BeckOK BGB/Henrich, BGB, 48. Edition Stand: 1.11.2018, § 214 Rn. 1.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
Nach § 115 Abs. 2 S. 1 VVG unterliegt auch der Direktanspruch gegen den Versicherer der gleichen Verjährung, wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer.
b) Regelverjährung der Ansprüche in drei Jahren ab Kenntniserlangung Nach § 195 BGB beträgt die Regelverjährung drei Jahre. Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Auch der Beginn der Verjährung des Direktanspruchs gegen den Versicherer knüpft nach § 115 Abs. 2 S. 2 VVG an die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB an. Unabhängig von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen läuft eine absolute Verjährungsfrist, die nach § 199 Abs. 2 BGB bei Personenschäden dreißig Jahre ab dem Unfalltag und nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB bei Sachschäden zehn Jahre ab Entstehung beträgt.168 In Bezug auf den Direktanspruch gegen den Versicherer endet die Verjährungsfrist nach § 115 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 VVG aber nicht nach dreißig Jahren, sondern spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen verjähren nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB in dreißig Jahren. Ebenso verjährt der Anspruch auf Hinterbliebenengeld im Fall der vorsätzlichen Tötung in dreißig Jahren. Im Übrigen gilt auch hier die dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB und die dreißigjährige Höchstverjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB.169 Eine Synchronisation der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verjährungsfristen ist dem deutschen Recht dagegen fremd. Diese Inkongruenz der zivilund strafrechtlichen Verjährung steht allerdings angesichts der Fortschritte kriminaltechnischer Untersuchungsmöglichkeiten in der Kritik.170 Gewaltverbrechen können mittlerweile Jahrzehnte nach ihrer Begehung aufgeklärt werden. Obwohl Mord nach § 78 Abs. 2 StGB aus strafrechtlicher Sicht nicht verjährt, unterliegt der auf der gleichen Tat beruhende Schockschaden der Eltern eines ermordeten Kindes dem Verjährungsregime der §§ 194 ff. BGB und verjährt in drei (§ 195 BGB) bzw. dreißig Jahren (§§ 197 Abs. 1 Nr. 1, 199 Abs. 2 BGB). Trotz im Einzelfall unbilliger Ergebnisse lehnte das OLG Celle in einem solchen Fall eine Synchronisation der zivil- und strafrechtlichen Verjährung 168 BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, 169 BT‑Drs 18/11397, S. 12. 170
Koch/Behr, JZ 2018, 702.
StVG § 14 Rn. 6 f.
V. Verjährung
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aufgrund der verschiedenen Zwecke des Strafrechts und des zivilrechtlichen Schadensersatzprozesses ab.171
c) Hemmung und Neubeginn der Verjährung im deutschen Recht Das deutsche Recht unterscheidet zwischen Hemmung und Neubeginn (früher als Unterbrechung bezeichnet) der Verjährung, wobei nach § 115 Abs. 2 S. 4 VVG Hemmung und Neubeginn der Verjährung im Verhältnis zum Versicherer auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer wirken und umgekehrt. Zum Neubeginn der Verjährungsfrist führen Anerkenntnis des Verpflichteten (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und Vollstreckungshandlung des Gläubigers (§ 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Hemmung bewirkt dagegen nur, dass der Hemmungszeitraum nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Nach Beendigung der Hemmung läuft nur der noch nicht verstrichene Rest der Frist.172 Die wesentlichen Hemmungsgründe sind die Verhandlungen zwischen den Parteien nach § 203 BGB, Rechtsverfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 204 BGB, das vereinbarte Leistungsverweigerungsrecht nach § 205 BGB, höhere Gewalt nach § 206 BGB sowie familienrechtliche Beziehungen nach § 207 BGB. Auch die Anmeldung von Ansprüchen beim Kfz-Haftpflichtversicherer führt nach § 115 Abs. 2 S. 3 VVG solange zur Hemmung der Verjährung, bis die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller nach § 126b BGB in Textform zugeht.
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Wesentlich längere Verjährungsfristen im italienischen Recht aufgrund des Gleichlaufs mit der strafrechtlichen Verjährung a) Rechtsfolgen der Verjährung Während das Verstreichen der Verjährungsfrist im deutschen Recht lediglich die prozessuale Durchsetzbarkeit des Anspruchs ausschließt, führt die Verjährung nach italienischem Recht dagegen zum Erlöschen des Anspruchs.
b) Regelverjährung In Italien beträgt die Regelverjährung für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung nach Art. 2947 Abs. 1 c. c. fünf Jahre, wohingegen sie im deutschen Recht nach § 195 BGB nur drei Jahre beträgt. 171 172
OLG Celle, Urt. v. 14.4.2016 – 5 U 121/15 – juris (Rn. 32). Greger/Zwickel/Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 21 Rn. 39; NK‑GVR/Pardey, 2. Aufl. 2017, § 14 StVG Rn. 25.
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§ 2 Die Haftung im Straßenverkehr – Rahmenbedingungen
c) Verjährungsfrist bei Verkehrsunfällen Während das italienische Recht für Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall in Art. 2947 Abs. 2 c. c. eine verkürzte zweijährige Verjährungsfrist vorsieht, knüpft § 14 StVG an die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB an, sodass hinsichtlich der Verjährung kein Unterschied besteht, ob die Ansprüche auf §§ 823 ff. BGB oder §§ 7, 18 StVG beruhen. Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall verjähren damit im deutschen Recht in jedem Fall nach drei Jahren.
d) Anknüpfung an die strafrechtlichen Verjährungsfristen Das italienische Recht sieht in Art. 2947 Abs. 3 c. c. allerdings eine Besonderheit vor: Wenn die unerlaubte Handlung zugleich einen Straftatbestand verwirklicht und für die Straftat eine längere Verjährungsfrist gilt, so ist diese längere Verjährungsfrist auch im Hinblick auf zivilrechtliche Schadensersatzforderungen anzuwenden. Das erfordert nicht nur die inzidente Feststellung der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestands durch das Zivilgericht, sondern auch die zugegegebenermaßen komplizierte Ermittlung der jeweils einschlägigen strafrechtlichen Verjährungsfrist. Diese kann – abhängig davon welche Tatbestandsvariante verwirklicht ist – bei der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr sechs bzw. sieben Jahre betragen und bei der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr nach Art. 157 Abs. 6 c. p. sogar vierzehn, zwanzig, vierundzwanzig oder gegebenenfalls sechsundreißig Jahre betragen. Eine derartige Synchronisation der zivil- und strafrechtlichen Verjährungfristen ist dem deutschen Recht dagegen fremd und wird von der Rechtsprechung selbst bei Mord abgelehnt. Trotz unbilliger Ergebnisse im Einzelfall bleibt es somit in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche bei der dreijährigen Regelverjährung bzw. der Verjährungshöchstfrist von dreißig Jahren. Die italienischen Verjährungsregelungen führen somit nicht nur zur unnötigen Verkomplizierung der Ermittlung von Verjährungsfristen, sondern können bei Unfällen mit mehreren Beteiligten auch dazu führen, dass es aufgrund desselben Unfallgeschehens in Bezug auf die Ansprüche verschiedener Geschädigter zur Anwendung unterschiedlicher Verjährungsfristen kommt. Deshalb ist das italienische Recht für eine europäische Rechtsangleichung nicht nachahmenswert. Das erkannte auch das Europäische Parlament und nahm die italienischen Verjährungsregelungen nicht zum Vorbild seines Vorschlags für eine Richtlinie über gemeinsame Verjährungsfristen für Straßenverkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug (s. o. § 1 III.2.c), S. 15).
e) Verjährung des Direktanspruchs In beiden Rechtsordnungen unterliegt der Direktanspruch gegen den Versicherer nach Art. 144 Abs. 4 ital. VersGB bzw. § 115 Abs. 2 S. 1 VVG der gleichen
V. Verjährung
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Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer.
f) Verjährungsbeginn Während die Verjährungsfrist im deutschen Recht nach § 199 Abs. 1 BGB kenntnisabhängig erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, läuft sie in Italien nach Art. 2935 c. c. grundsätzlich ab dem Tag der unerlaubten Handlung. Zumindest teilweise begünstigt durch das deutsche Vorbild (§ 852 Abs. 1 BGB a. F.) soll es aber auch nach der italienischen Rechtsprechung auf den Zeitpunkt ankommem, ab dem sich der Schaden manifestiert hat bzw. erkennbar war. In Fällen, in denen der Verletzte die Schädigung somit selbst bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, beginnt die Verjährungsfrist auch in Italien erst in dem Moment, in dem das Opfer von der Schädigung Kenntnis erlangt bzw. bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt die konkrete Möglichkeit der Kenntniserlangung gehabt hätte. Im deutschen Recht173 als auch im italienischen Recht ist daher eine „Subjektivierung des Fristbeginns“ zu verzeichnen.
g) Hemmung und Neubeginn Beide Rechtsordnungen unterscheiden zwischen Hemmung und Neubeginn bzw. Unterbrechung der Verjährung, wobei den Begriffen in beiden Rechtsordnungen funktional die gleiche Bedeutung zukommt. Die Hemmungs- und Unterbrechungsgründe sind in beiden Rechtsordnungen gesetzlich festgelegt. Während die Anmeldung von Ansprüchen beim Kfz-Haftpflichtversicherer im deutschen Recht jedoch nur zur Hemmung der Verjährung führt, bis die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht, führt sie nach italienischem Recht zur Unterbrechung der Verjährung mit der Folge des Neubeginns der Verjährungsfrist ab dem Erhalt des Einschreibens durch den Versicherer und nicht erst ab Beachtung der sog. „Friedenspflicht“ von 60 bzw. 90 Tagen. Der Umstand, dass die Verjährungsfrist in Italien aber bereits mit Erhalt des Einschreibens durch den Versicherer neu zu laufen beginnt und nicht erst – wie in Deutschland – mit Zugang der Entscheidung des Versicherers, wird angesichts der ohnehin sehr langen Verjährungsfristen im italienischen Recht wohl keine nennenswerten praktischen Auswirkungen haben.
173
Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 425.
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten Zunächst werden die jeweiligen schadensrechtlichen Normen (I.) beider Rechtsordnungen dargestellt, die die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden regeln. Danach folgt die Untersuchung, nach welchen Maßgaben die italienische und deutsche Rechtsordnung Nichtvermögensschäden des primärgeschädigten Unfallopfers bei funktionaler Betrachtung ersetzen (II.) und diese bemessen (III.), bevor in den nachfolgenden Kapiteln auf die Schmerzensgeldansprüche von Hinterbliebenen eines Getöteten aus übergegangenem Recht (iure hereditatio) (§ 4) und aus eigenem Recht (iure proprio) (§ 5) eingegangen wird.
I. Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden Zunächst werden die für den Ersatz des Nichtvermögensschadens maßgeblichen Normen des italienischen (1.) und deutschen (2.) Rechts vorgestellt und vergleichend gegenübergestellt (3.).
1. Ersatz des Nichtvermögensschadens im italienischen Recht nach Art. 2059 c. c. Seit den sog. „Zwillingsurteilen“ (sentenze gemelle) Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.20031 des Kassationshofes und der Verfassungsgerichtsentscheidung Nr. 231 vom 11.7.20032 geht auch die italienische Rechtsordnung wieder von der Zweiteilung des Personenschadens in Vermögensschaden (Art. 2043 c. c.) und Nichtvermögensschaden (Art. 2059 c. c.) aus.3 Im Folgenden wird ein Überblick über die Konzeption (a), die Schutzgüter (b) und den sachlichen Anwendungsbereich (c) des Art. 2059 c. c. gegeben.
1 2
Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272. Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201. 3 Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272; Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
a) Konzeption des Nichtvermögensschadens nach Art. 2059 c. c. Die Vorschrift des Art. 2059 c. c. bestimmt: „Der Nichtvermögensschaden ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen zu ersetzen.“
Zunächst ist festzuhalten, dass Art. 2059 c. c. keinen eigenständigen Haftungstatbestand darstellt. Vielmehr ist der Nichtvermögensschaden nur dann ersatzfähig, wenn alle haftungsbegründenden Voraussetzungen des Art. 2043 c. c.4 bzw. einer anderen Haftungsnorm, wie z. B. Art. 2054 c. c., erfüllt sind. Nach dem Grundgedanken des Art. 2059 c. c. sind Nichtvermögensschäden grundsätzlich nicht ersatzfähig, außer in den gesetzlich bestimmten Fällen. Die wichtigste gesetzlich bestimmte Ausnahme war lange Zeit Art. 185 Abs. 25 des 1930 in Kraft getretenen italienischen Strafgesetzbuchs (Codice penale, im Folgenden mit „c. p.“ abgekürzt): „(1) Jede Straftat verpflichtet zu den zivilrechtlich vorgesehenen Erstattungen. (2) Aufgrund jeder Straftat, die zu einem Vermögens- oder Nichtvermögensschaden geführt hat, sind der Schuldner und die Personen, die zivilrechtlich für ihn haften, zum Ersatz verpflichtet.“6
Folglich war der immaterielle Schaden nur ersatzfähig, wenn die unerlaubte Handlung gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllte. In Betracht kamen insbesondere die fahrlässige Tötung und die fahrlässige Körperverletzung.
b) Schutzgüter im Rahmen des Art. 2059 c. c. Art. 2059 c. c. nennt selbst keine Schutzgüter, vielmehr schuf der italienische Gesetzgeber nach und nach weitere gesetzliche Ausnahmefälle.7 Ausgehend von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte legte der Kassationshof Art. 2059 c. c. in den sog. „Zwillingsurteilen“ Nr. 8828 und 8827 4
Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 2.3. f.; vgl. Christandl, ZEuP 2011, 392 (394). „Art. 185. Restituzioni e risarcimento del danno. (1) Ogni reato obbliga alle restituzioni a norma delle leggi civili. (2) Ogni reato, che abbia cagionato un danno patrimoniale o non patrimoniale, obbliga al risarcimento il colpevole e le persone che, a norma delle leggi civili, debbono rispondere per il fatto di lui.“ 6 Übersetzung nach Scarabello, DAR 2001, 581 (584). 7 Weitere gesetzlich vorgesehene Fälle sind z. B.: Art. 6 ff.c. c. (Schutz des Namensrechts); Art. 2 L. 13.4.1988, n. 117 (Entschädigung wegen rechtswidriger Inhaftierung bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten des Richters), Art. 15 Abs. 2 D.lgs. 30.6.2003, n. 196 (sog. Datenschutzgesetz); Art. 2 L. 24.3.2001, n. 89 (sog. legge Pinto – Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer); Art. 4 Abs. 5, 6 D.lgs. 9.7.2003, n. 216 (Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt); Art. 4 Abs. 4, 5 D.lgs. 9.7.2003, n. 215 (Gleichbehandlung unabhängig von der Rasse oder ethnischen Herkunft); Art. 3 Abs. 3 L. 1.3.2006, n. 67 (Maßnahmen zum rechtlichen Schutz vor Diskriminierung von Menschen mit Behinderung); Art. 37 Abs. 3 D.lgs. 11.4.2006, n. 198 (Gleichbehandlungsgesetz); Art. 47 Abs. 1 D.lgs. 23.5.2011, n. 79 (Schaden wegen vergeudeten Urlaubs); Art. 89 c. p. c. (Beleidigung im Zivilverfahren). 5
I. Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden
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vom 31.5.2003 verfassungskonform aus und weitete die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden dadurch auf die Verletzung verfassungsmäßig geschützter, absoluter Rechte aus.8 Die Vereinigten Zivilsenate (sezioni unite civili) des Kassationshofes (entspricht dem Großen Senat für Zivilsachen des BGH)9 schränkten diese Ausweitung durch die sog. „San Martino“-Urteile Nr. Nr. 26972, 26973, 26974 und 2697510 vom 11.11.2008 allerdings wieder ein, indem die schädigende Handlung nicht nur die Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten, unverletzlichen Rechts zur Folge haben muss, sondern die Verletzung auch schwer und der daraus folgende Schaden ernsthaft sein muss. Unerhebliche immaterielle Nachteile, wie leichte Unannehmlichkeiten oder die Verletzung fiktiver – von der Rechtsordnung nicht verbürgter – Rechte, wie z. B. das Recht auf Lebensqualität oder auf ein glückliches Leben, sind dagegen nicht ersatzfähig.11
c) Sachlicher Anwendungsbereich des Art. 2059 c. c. Art. 2059 c. c. steht systematisch am Ende des Abschnitts über unerlaubte Handlungen und gilt deshalb grundsätzlich auch für Tatbestände der Gefährdungshaftung, wie z. B. die Haftung des Dienst- und Geschäftsherren nach Art. 2049 c. c., die Haftung für gefährliche Tätigkeiten nach Art. 2050 c. c., der Sach- und Tierhalterhaftung nach Art. 2051 und 2052 c. c. oder der Haftung für den Einsturz von Gebäuden nach Art. 2053 c. c.12 Dem Grunde nach bestehen in Italien daher keine Bedenken gegen die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bei Gefährdungshaftung.13 Bis 2003 war die wichtigste gesetzliche Ausnahme im Sinne von Art. 2059 c. c. allerdings Art. 185 Abs. 2 c. p., wonach immaterielle Schäden nur ersatzfähig sind, wenn die unerlaubte Handlung gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllt. Aufgrund dieses Erfordernisses einer Straftat war ein Verschulden somit auch Voraussetzung für den Ersatz des Nichtvermögensschadens nach 8
Cass. 12.5.2003, n. 7283; Corte cost. 11.7.2003, n. 2330. wie der Große Senat für Zivilsachen des BGH, entscheiden auch die sezioni unite civili über divergierende Entscheidungen verschiedener Senate der Corte di Cassazione. 10 Im Fall Nr. 26972 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden eines Mannes, dem infolge einer Fehlbehandlung ein Hoden amputiert werden musste, in den Fällen Nr. 26973, 26974 handelte es sich um immaterielle Schäden infolge der Tötung eines nahen Angehörigen bei einem Verkehrsunfall und im Fall Nr. 26975 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden wegen Geräuschimmissionen. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung der Entscheidungen Nr. 26972 und 26973 enthalten Buse, DAR 2009, 588 und Christandl, ZEuP 2011, 392. 11 Vgl. Leitsatz bei Christandl, ZEuP 2011, 392. 12 Zur rechtlichen Einordnung der Haftungsgrundlagen siehe Eccher/Schurr/Christandl/ Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/533, 3/541, 3/543, 3/546. 13 Wrangel, VersR 1982, 628 (630). 9 Ähnlich
72
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Art. 2059 c. c. Die auf einer Gefährdungshaftung oder auf einer gesetzlichen Verschuldensvermutung basierende Haftung konnte somit keinen Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens begründen.14 Erst seit den sog. „Zwillingsurteilen“ Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.2003 genügt es, wenn die schädigende Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt. Das Verschulden muss somit nicht mehr im strafrechtlichen Sinn nachgewiesen werden, sondern kann auch mittels zivilrechtlicher Beweisregeln (z. B. Art. 2054 c. c.) vermutet werden.15 Dies bestätigte auch der Verfassungsgerichtshof.16 Bei der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung besteht dagegen weiterhin kein Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens nach Art. 2059 c. c., sofern das Verschulden des Schädigers nicht tatsächlich festgestellt wurde. Diese Einschränkung gilt allerdings nicht im Fall der Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Rechtsguts, wie der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder des Familienlebens (s. u. § 5). In diesem Fall soll die objektive Haftung zur Anspruchsbegründung genügen.17 Aufgrund der systematischen Stellung des Art. 2059 c. c. war in der Vergangenheit außerdem umstritten, ob Nichtvermögensschäden auch im Rahmen der Vertragshaftung, insbesondere im relevanten Bereich der Arzthaftung, zu ersetzen sind. Dies erkannten die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes in den sog. „San Martino“-Urteilen (sentenze di San Martino) Nr. 26972–26975 vom 11.11.2008 an, sofern die Vertragsverletzung zugleich eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, absoluten Rechts, wie z. B. der Gesundheit (Art. 32 Cost.), darstellt.18 Dabei ist für die Bestimmung der in den Vertragsbereich fallenden ideellen Interessen der Anlass für das konkrete Geschäft maßgebend, wobei es bei bestimmten Vertragsarten sehr wahrscheinlich ist, dass mit der Vertragsverletzung gleichzeitig eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter, unverletzlicher Rechte einhergeht (s. u. § 3 II.3.a)cc)(6) (d), S. 112).
2. Ersatz von „Schmerzensgeld“ im deutschen Recht nach § 253 Abs. 2 BGB Die deutsche Rechtsordnung differenziert seit jeher zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden, wobei letzterer seit dem am 1.8.2002 in Kraft getre-
14
Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 20. Cass. 12.5.2003, n. 7283; Corte cost. 11.7.2003, n. 2330; Buse, VersRAI 2004, 61 (63). Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201. 17 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 18 f. 18 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/476. 15 16
I. Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden
73
tenen 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz nicht mehr in § 847 BGB a. F., sondern in § 253 BGB geregelt ist. Auch hier folgt zunächst ein Überblick über die Konzeption (a), die Schutzgüter (b) und den sachlichen Anwendungsbereich (c) des § 253 BGB.
a) Konzeption des Schmerzensgeldes nach § 253 BGB Wie Art. 2059 c. c. stellt auch § 253 BGB keine eigenständige Haftungsnorm dar, sondern regelt vielmehr – wie bereits § 847 BGB a. F. – den Haftungsumfang.19 Nach § 253 Abs. 1 BGB ist der Ersatz von Nichtvermögensschäden grundsätzlich ausgeschlossen, sofern nicht das Gesetz ausdrücklich etwas anderes bestimmt:20 „(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.“
Dabei normiert § 253 BGB in seinem Abs. 2 selbst die wichtigste Durchbrechung. Daneben bestehen weitere zahlreiche gesetzliche Ausnahmen,21 wie z. B. die Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit nach § 651n Abs. 2 BGB (§ 651f Abs. 2 BGB a. F.) oder Ersatz des Nichtvermögensschadens nach § 11 S. 2 StVG, § 6 S. 2 HPflG, § 8 S. 2 ProdHaftG.
b) Eng umgrenzter Katalog von Schutzgütern nach § 253 Abs. 2 BGB Um den Kreis der Ersatzberechtigten auf die Inhaber des Rechtsgutes zu beschränken, enthält § 253 Abs. 2 BGB eine abschließende Aufzählung von Schutzgütern (sog. Tatbestandsprinzip):22 „(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“
Obwohl das Gesetz selbst von einer billigen Entschädigung in Geld spricht, wird der immaterielle Schaden im deutschen Recht mit dem Begriff „Schmerzensgeld“ gleichgesetzt. Das führt jedoch zu einem zu engen Verständnis, weil der Begriff „Schmerzensgeld“ den Umfang der Entschädigung des Nichtvermögensschadens nicht umfassend abbildet. Denn der immaterielle Schaden umfasst alle Einbußen, die nicht Vermögensschaden sind, so z. B. auch Schmerzen, 19 MüKoBGB/Oetker,
8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 15 f.
20 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 1. 21 § 651n Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 3 StrEG, § 11 S. 2 StVG,
§ 6 S. 2 HPflG, § 32 Abs. 5 S. 2 GenTG, § 8 S. 2 ProdHaftG, § 13 S. 2 UmweltHG, § 29 Abs. 2 AtG, § 87 S. 2 AMG, § 36 S. 2 LuftVG, § 97 Abs. 2 S. 4 UrhG, § 52 Abs. 2 BPolG, § 83 Abs. 2 BDSG sowie Art. 5 Abs. 5 EMRK; vgl. MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 1. 22 Staudinger/Schiemann, BGB, 2017, Vor § 249 Rn. 49.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Trauer und Beeinträchtigungen der körperlichen Funktionsfähigkeit, Fruchtbarkeit oder Sexualfunktion.23 Zwar sieht § 11 S. 2 StVG für die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung eine eigene Regelung zum Ersatz des Nichtvermögensschadens vor, dieser entspricht inhaltlich aber § 253 Abs. 2 BGB und ist durch die in § 12 Abs. 1 StVG vorgesehenen Haftungshöchstbeträge begrenzt.24 Deshalb kann es bei großen Schäden erforderlich sein, den Anspruch nach § 16 StVG zusätzlich auf die Verschuldenshaftung zu stützen, für die keine Haftungsobergrenze vorgesehen ist.25
c) Sachlicher Anwendungsbereich des § 253 BGB § 847 Abs. 1 BGB a. F. sah den Ersatz des Nichtvermögensschadens aufgrund seiner systematischen Stellung im Deliktsrecht primär für die außervertragliche Verschuldenshaftung vor. Ein Schmerzensgeld für Gefährdungshaftung wurde zunächst nur im Rahmen der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB gewährt. Im 20. Jahrhundert wurde der Schmerzensgeldanspruch zunächst auf wenige Tatbestände der Gefährdungshaftung ausgeweitet, unter anderem auf § 29k Abs. 3 S. 1 LuftVG a. F., § 53 Abs. 3 LuftVG a. F. und § 29 Abs. 2 AtomG.26 Die Reform des Schadensrechts führte 2002 mit der Schaffung des § 253 Abs. 2 BGB zu einer grundlegenden Neukonzeption des Schmerzensgeldes. Durch die damit verbundene Vorverlagerung in den Allgemeinen Teil des Schuldrechts wurde seit 1.8.2002 die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden auf (vor)vertragliche Pflichtverletzungen und die Gefährdungshaftung ausgedehnt. Zudem wurden mit § 11 S. 2 StVG, § 36 S. 2 LuftVG, § 8 S. 2 ProdHaftG, § 87 S. 2 AMG und § 6 S. 2 HPflG eigene Regelungen zum Ersatz des Schmerzensgeldes in die Spezialgesetze der Gefährdungshaftung aufgenommen, die nach der schadensrechtlichen Systematik infolge der Vorverlagerung des § 253 Abs. 2 BGB eigentlich nicht mehr erforderlich gewesen wären. In der Praxis kommt der Haftungsausweitung für immaterielle Schäden im Rahmen von Vertragsverletzungen allerdings nur begrenzte Bedeutung zu, da zum einen stets eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt sein muss und der BGH zum anderen die vertragliche Haftung für Schmerzensgeld auf den Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht beschränkt.27 So begründet z. B. die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages, der nicht den Schutz der Ge23 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (30); Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 13 ff. 24 BT‑Drs 14/7752, S. 32, 38, 43 f. 25 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 2. 26 RGBl. 1943 I, S. 69 ff. (71) bzgl. § 29k Abs. 3 S. 1 LuftVG a. F.; BGBl. 1959 I, S. 9 ff. (19) bzgl. § 53 Abs. 3 LuftVG a. F. und BGBl. 1985 I, S. 1565 ff. (1578) bzgl. § 29 Abs. 2 AtomG. 27 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (41 ff.).
I. Die maßgeblichen Normen für den Ersatz immaterieller Schäden
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sundheit des Mandanten zum Gegenstand hat, in der Regel keinen Schmerzensgeldanspruch.28 Im Streitfall hatten Kinder einen Brand verursacht, wodurch das von ihren Eltern gemietete Haus abgebrannt war. Die von den Eltern beauftragten Rechtsanwälte erteilten die unrichtige Auskunft, dass die Haftpflichtversicherung für den Schaden in Höhe von € 600.000,00 nicht einstehen müsse. Aufgrund dieser unzutreffenden Auskunft litten die Eltern über Monate an gravierenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen, die jedoch nach dem Schutzzweck des Anwaltsvertrages nicht nach § 253 Abs. 2 BGB zu ersetzen waren, da sich das Mandat ausschließlich auf die Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen bezog. Diese Entscheidung steht somit im Spannungsverhältnis zur Schutzpflichtenlehre im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB. Demnach kann das Schuldverhältnis jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. So überzeugt es nicht, dass Rechtsanwälte einerseits ihre Kanzleiräume nach § 241 Abs. 2 BGB so zu unterhalten haben, dass Mandanten keine Körper- oder Gesundheitsverletzungen erleiden, andererseits aber nicht dafür einstehen müssen, wenn Fehlauskünfte bei ihren Mandanten zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen.29 Bedenklich ist insofern, wenn die Literatur die Entscheidung dahingehend interpretiert, dass „für den Fall der Schlechterfüllung von vertraglichen Hauptleistungspflichten ein Schmerzensgeld generell nur dann in Betracht [kommt], wenn der jeweilige Vertrag den Schutz von Körper und Gesundheit bzw. eines anderen Rechtsgutes nach § 253 Abs. 2 BGB bezweckt“30. Denn dies würde bedeuten, dass ein Verkäufer auch in Produkthaftungsfällen kein Schmerzensgeld leisten müsste, weil seine Hauptleistungspflicht gerade nicht im Schutz von Körper und Gesundheit besteht.31 Daher überzeugt die vom BGH vorgenommene Beschränkung der vertraglichen Haftung für Schmerzensgeld nicht.
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Gleiche Grundkonzeption des Nichtvermögensschadens und nahezu zeitgleiche, parallele Entwicklungen beim Anwendungsbereich a) Gleiche Konzeption: Nur ausnahmsweise Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden in beiden Rechtsordnungen Zunächst ist festzuhalten, dass die deutsche Rechtsordnung und mittlerweile auch wieder die italienische Rechtsordnung von einer Zweiteilung des Personenschadens in Vermögens- und Nichtvermögensschaden ausgehen.
28 29
BGH, Urt. v. 9.7.2009 – IX ZR 88/08 – juris (Rn. 12). Gsell, ZJS 2011, 389 (390); dies., JbItalR 24 (2011), 29 (41 ff.). 30 Podewils, Schmerzensgeld aus Anwaltshaftung?, LMK 2009, 291389. 31 Gsell, ZJS 2011, 389 (391); dies., JbItalR 24 (2011), 29 (43).
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Dabei haben sich der deutsche und der italienische Gesetzgeber für die gleiche Konzeption entschieden: Nach § 253 Abs. 1 BGB bzw. Art. 2059 c. c. sind Nichtvermögensschäden grundsätzlich nicht ersatzfähig, es sei denn das Gesetz sieht ihren Ersatz ausnahmsweise ausdrücklich vor.32 Zudem ist der italienische Gesetzgeber dem deutschen Beispiel gefolgt und hat bewusst die negative Formulierung „Nichtvermögensschaden“ (danno non patrimoniale) gewählt, anstatt den Umfang des ersatzfähigen Nichtvermögensschadens durch eine positive Definition zu begrenzen.33 Sowohl bei Art. 2059 c. c. als auch bei § 253 Abs. 2 BGB handelt es sich nicht um eigenständige Haftungstatbestände. Vielmehr erlauben sie den Ersatz immaterieller Schäden in den gesetzlich bestimmten Fällen nur dann, wenn die haftungsbegründenden Voraussetzungen einer Haftungsnorm erfüllt sind bzw. eine Vertragsverletzung vorliegt.
b) Schutzgüter: Das deutsche Tatbestandsprinzip im Gegensatz zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Italien Ein Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen besteht allerdings im Hinblick auf das Tatbestandsprinzip. So setzt § 253 Abs. 2 BGB stets die Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung voraus, wohingegen Art. 2059 c. c. keinen solchen eng umgrenzten Katalog von Schutzgütern kennt.34 Vielmehr geht die italienische Rechtspraxis sogar von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus und füllt Art. 2059 c. c. im Wege der verfassungskonformen Auslegung inhaltlich aus.
c) Anwendungsbereich: Gleichlaufende Entwicklung in Bezug auf die Loslösung vom Verschuldenserfordernis und den Ersatz bei Vertragsverletzungen Aufgrund seiner systematischen Stellung sieht Art. 2059 c. c. den Ersatz immaterieller Schäden auch bei Gefährdungshaftung vor. Da Nichtvermögensschäden bis 2003 aber nur ersatzfähig waren, wenn die unerlaubte Handlung zugleich einen Straftatbestand erfüllte, die wiederum die positive Feststellung des Verschuldens erforderte, war auch der Ersatz des Nichtvermögensschadens faktisch vom Verschuldenserfordernis abhängig. Die Loslösung des Schmerzensgeldanspruchs vom Verschuldenserfordernis erfolgte in Deutschland und Italien nahezu zeitgleich. Während der deutsche Gesetzgeber dies 2002 durch die systematische Vorverlagerung des Schmer32 Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 29; Christandl, Una panoramica sul „danno esistenziale“ in Germania, 2004, S. 4 f. 33 Wrangel, VersR 1982, 628 (630). 34 Winkler, in Festschr. Hansjörg Pobitzer, 2012, S. 97 (104); Christandl, Una panoramica sul „danno esistenziale“ in Germania, 2004, S. 4 f.
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens
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zensgeldes in § 253 Abs. 2 BGB erreichte, bedurfte es hierzu in Italien des Tätigwerdens der Rechtsprechung. So erkannte der Kassationshof 2003 an, dass der Nichtvermögensschaden nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 185 Abs. 2 c. p. auch dann zu ersetzen ist, wenn das Verschulden zwar nicht im strafrechtlichen Sinne nachgewiesen, aber zivilrechtlich vermutet werden kann.35 Auch den Ersatz immaterieller Schäden aus Vertragsverletzung haben beide Rechtsordnungen erst spät anerkannt: Deutschland im Jahr 2002 durch das 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz und Italien im Jahr 2008 in den sog. „San Martino“-Urteilen der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes (s. u. § 3 II.3.c)cc), S. 123).
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens Kaum ein Thema birgt größeres Potenzial Unverständnis hervorzurufen, als der Vergleich verschiedener Rechtssysteme zum Ersatz immaterieller Schäden. Deshalb werden in der vorliegenden rechtsvergleichenden Untersuchung die unterschiedlichen Erscheinungsformen des italienischen Nichtvermögensschadens in funktionaler Hinsicht untersucht,36 mit dem deutschen „Schmerzensgeld“ verglichen und bewertet, bevor im Anschluss auf die Bemessung immaterieller Schäden von Primärgeschädigten (III.) eingegangen wird. Obwohl sich der italienische Kassationshof gegen eine Unterteilung des Nichtvermögensschadens aussprach, bedient sich die Rechtspraxis zum Zweck seiner leichteren Bestimmbarkeit auch heute noch der folgenden drei beschreibenden Figuren: Gefühlsschaden (danno morale) (1.), Gesundheitsschaden (danno biologico) (2.) und Existenzschaden (danno esistenziale) (3.).37 Auch die vorliegende Untersuchung orientiert sich an diesen drei beschreibenden Figuren und untersucht ihre Symptomatik, Entwicklung und ihr Verhältnis zueinander sowie das Vorhandensein eines entsprechenden Entschädigungsgehalts im deutschen Recht.
1. Gefühlsschaden (danno morale) Im Folgenden werden zunächst der italienische Gefühlsschaden (danno morale) (a) vorgestellt sowie die Erwägungen des deutschen Gesetzgebers, den Ersatz reiner Gefühlsschäden auszuschließen (b), bevor beide Rechtsordnungen in einer vergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (c). 35 36
Buse, VersRAI 2004, 61 (63). So spricht Wenter allgemein vom Schmerzensgeld nach italienischem Recht, obwohl er anscheinend den danno morale meint, Wenter, ZfSch 2012, 4; ders., ZfSch 2012, 243. 37 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/ 580; Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (207); Buse, DAR 2009, 557 (560); Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972.
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a) Der Gefühlsschaden (danno morale) im italienischen Recht Zunächst werden die Symptomatik des Gefühlsschadens (danno morale) (aa) und die Bedeutung der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit (bb) dargestellt, bevor auf seine historische Entwicklung (cc) eingegangen wird.
aa) Symptomatik des Gefühlsschadens Unter dem als danno morale bezeichneten Gefühlsschaden, auch pretium doloris genannt, versteht man alle emotionalen und seelischen Beeinträchtigungen, wie z. B. Leid, Trauer, Schmerz, Niedergeschlagenheit und Kummer (sofferenze e patemi d’animo), die nur kurze Zeit andauern und keinen Krankheitswert erreichen. Diese innerlichen Beeinträchtigungen werden vom Geschädigten lediglich subjektiv empfunden und sind nicht objektivierbar.38 Somit kommt der für den danno morale zu zahlenden Entschädigung die Funktion einer moralischen Wiedergutmachung für die erlittene Beeinträchtigung, den Schock oder die seelische Belastung zu39 und umfasst einzig und allein den nicht pathologischen seelischen Schmerz, nicht dagegen den körperlichen Schmerz.40 Mit anderen Worten ausgedrückt, wird lediglich Ersatz für den Schmerz als solchen geleistet, nicht jedoch für psychische und physische Leiden, die zu pathologischen Störungen werden.41 Die „Verletzung als solche“ wird dagegen nur nach Maßgabe des Gesundheitsschadens (danno biologico) ersetzt (s. u. § 3 II.2.).42
bb) Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung Sofern sich das Opfer infolge der Schädigung allerdings in einem komatösen oder vegetierenden Zustand befindet und geistig nicht in der Lage ist, seine eigene Situation zu erkennen, scheidet ein danno morale nach wohl h. M. aus.43 In diesem Fall konnte dem Geschädigten aufgrund der Körperverletzung ein 38 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/581; Christandl, Eine kurze Darstellung der neuesten Entwicklungen im italienischen Nichtvermögensschadensrecht unter besonderer Berücksichtigung des danno esistenziale, JbItalR 18 (2005), 227 (280); Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (207). 39 Mansel/Seilstorfer, JbItalR 22 (2009), 95 (105 f.). 40 Allwang/Maggiani, DAR 1962, 249 (250). 41 Mansel/Seilstorfer, JbItalR 22 (2009), 95 (105 f.); Scarabello, DAR 2001, 581 (584). 42 Scarabello, DAR 2001, 581 (584); Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529 (540). 43 Cass. 24.3.2011, n. 6754; Cass. 28.11.2008, n. 28423; Ziviz, I danni non patrimoniali, 2012, Kapitel 8.9.2. S. 497; Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 39 f.; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 797 ff.; Dominici, Danno psichico ed esistenziale, 2006, S. 363 ff., wobei in diesem Zusammenhang eine Vermischung der Fallgruppen „wrongful birth“ und „danno morale terminale“ zu verzeichnen ist; die Ersatzfähigkeit des danno morale im Fall der Bewusstlosigkeit befürwortend dagegen Cass. 6.10.1994, n. 8177, in Foro it. 1995, I, 1852; Cass. 24.5.2001, n. 7075; Cass. 19.10.2007, n. 21976.
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Nichtvermögensschaden bislang nur unter dem Aspekt des danno biologico zugesprochen werden. Das gilt jedoch nach der Mailänder Tabelle 2018 für die Bemessung des sog. danno terminale nicht mehr, wenn der Geschädigte unmittelbar oder innerhalb kürzester Zeit nach der Schädigung verstirbt, ohne zuvor das Bewusstsein wiedererlangt zu haben (s. u. § 4 V. 2.). Bei der Mailänder Tabelle handelt es sich um ein vom Landgericht Mailand entwickeltes Tabellenwerk zur Bemessung immaterieller Schäden.
cc) Historische Entwicklung: (Doppelt restriktive) Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens nach Art. 2059 c. c. Traditionell nahm auch die italienische Rechtsordnung eine restriktive Haltung gegenüber dem Ersatz immaterieller Schäden ein (1), die durch die doppelte Restriktion des 1942 eingeführten Art. 2059 c. c. zunächst aufrechterhalten wurde (2), bis die Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens 2003 und 2008 ausweitete (3).
(1) Traditionell restriktive Haltung gegenüber dem Ersatz immaterieller Schäden Der Ersatz immaterieller Schäden wurde in der italienischen Rechtsordnung seit jeher sehr restriktiv gehandhabt. Das italienische Zivilgesetzbuch von 1885 enthielt zwar in Art. 115144 (dem Vorgänger von Art. 2043 c. c.) eine Generalklausel für den Schadensersatz, diese wurde aber nur als Regelung für den Vermögensschaden verstanden.45 Das hinderte jedoch die Instanzgerichte bis Anfang des 20. Jahrhunderts nicht daran, den Geschädigten aus Billigkeit dennoch einen Geldbetrag als Ausgleich für erlittene seelische Beeinträchtigungen und Schmerzen zuzusprechen,46 bis der Kassationshof von Rom 190947 die Ersatzfähigkeit reiner Nichtvermögensschäden, die ohne Auswirkung auf das Vermögen des Geschädigten blieben, ablehnte und hierfür Unterstützung bei den damals vier weiteren Kassationshöfen (in Turin, Florenz, Neapel und Palermo) fand.48 Trotz Kritik an dieser Rechtsprechung wurde die restriktive Haltung gegenüber immateriellen Schäden erst durch das Tätigwerden des Gesetzgebers aufgebrochen: Nach Art. 185 Abs. 249 des 1930 in Kraft getretenen und noch heute 44 „Art. 1151. Qualunque fatto dell’uomo che arreca danno ad altri, obbliga quello per colpa del quale è avvenuto, a risarcire il danno.“ 45 Wrangel, VersR 1982, 628 (628); Brusiin, Zum Problem des immateriellen Schadens, 1966, S. 46. 46 Brusiin, Zum Problem des immateriellen Schadens, 1966, S. 46 f. 47 Cass. Roma 24.3.1909, in Giur. it. 1909, I, 1, 616. 48 Wrangel, VersR 1982, 628 (628) m. w. N.; bis 1923 existierten in Italien fünf Kassationshöfe, vgl. Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 7. 49 „Art. 185 (2). Jede Straftat verpflichtet zu den zivilrechtlich vorgesehenen Erstattungen.
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geltenden italienischen Strafgesetzbuchs ist bei jeder Straftat auch der Nichtvermögensschaden zu ersetzen.50 Art. 185 Abs. 2 c. p. warf allerdings auch einige Fragen auf: Sollte er als „Sperrnorm“ verstanden werden, wonach der Ersatz des immateriellen Schadens in allen übrigen, gesetzlich nicht ausdrücklich genannten Fällen ausgeschlossen ist? Wer hat zu entscheiden, ob ein Verbrechen vorliegt? Ist bei Antragsdelikten ein Strafantrag erforderlich und falls ja, welche Folge hat das Verstreichenlassen der Antragsfrist auf den Ersatz des Nichtvermögensschadens?51 Bemühungen der Instanzgerichte, den Ersatz immaterieller Schäden durch eine extensive Auslegung des Art. 185 Abs. 2 c. p. auch auf unerlaubte Handlungen auszuweiten, die keinen Straftatbestand erfüllten, wurden 1935 durch den mittlerweile einzigen Kassationshof52 und 1942 durch Einführung des italienischen Zivilgesetzbuches, insbesondere des Art. 2059 c. c., gebremst.53
(2) Doppelte Restriktion durch Art. 2059 c. c.: Verwirklichung eines Straftatbestandes als Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens und seine Begrenzung auf Gefühlsschäden (danni morali) Nach Art. 2059 c. c. sind Nichtvermögensschäden grundsätzlich nicht ersatzfähig, außer in den gesetzlich bestimmten Fällen. Die wichtigste gesetzlich bestimmte Ausnahme war lange Zeit Art. 185 Abs. 2 c. p., sodass der immaterielle Schaden nur ersatzfähig war, wenn die unerlaubte Handlung gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllte. In Betracht kamen insbesondere die fahrlässige Tötung und die fahrlässige Körperverletzung. Dabei setzte die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 185 Abs. 2 c. p. keine strafrechtliche Verurteilung des Schädigers voraus, denn nach Art. 198 c. p. lassen die Verjährung der Straftat, Straferlass, Tod des Angeklagten, Verstreichenlassen der Strafantragsfrist und Begnadigung die zivilrechtliche Haftung unberührt.54 Den Grund für diese entwicklungsbremsende Tendenz durch Einführung des Art. 2059 c. c. sah die h. M. darin, dass die Rechtsgutsverletzung nur bei Verwirklichung einer Straftat derart schwerwiegend sei, dass sie eine Ausweitung der zivilrechtlichen Haftung auf den Nichtvermögensschaden rechtfertige.55 Aufgrund jeder Straftat, die zu einem Vermögens- oder Nichtvermögensschaden geführt hat, sind der Schuldner und die Personen, die zivilrechtlich für ihn haften, zum Ersatz verpflichtet“, Übersetzung nach Scarabello, DAR 2001, 581 (584). 50 Zuvor galt Art. 38 c. p. von 1889, vgl. Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 84 f. 51 Brusiin, Zum Problem des immateriellen Schadens, 1966, S. 47 f. 52 Cass. 4.5.1935, n. 1625, in Mass. Foro it. 1935, S. 374 und Cass. 8.5.1935, n. 1677, in Foro it. 1935, I, 998. 53 Wrangel, VersR 1982, 628 (629); Brusiin, Zum Problem des immateriellen Schadens, 1966, S. 49. 54 Wrangel, VersR 1982, 628 (630). 55 Wrangel, VersR 1982, 628 (629).
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Was allerdings unter dem Begriff des Nichtvermögensschadens im Sinne von Art. 2059 c. c. zu verstehen war, blieb der Rechtsprechung überlassen, die unter Berufung auf die historische Auslegung des Art. 2059 c. c. und die Gesetzesmaterialien folgerte, dass im Rahmen des Nichtvermögensschadens ausschließlich Gefühlsschäden (danni morali) ersatzfähig seien, die infolgedessen mit dem Nichtvermögensschaden begrifflich gleichgesetzt wurden.56 Das führte bis in das Jahr 2003 zu einer doppelten Restriktion im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden: Zum einen musste die unerlaubte Handlung zwingend einen Straftatbestand erfüllen und zum anderen war die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden auf Schmerzen und Leiden im Sinne von danni morali begrenzt.57
(3) Abkehr von der doppelten Restriktion des Art. 2059 c. c. Da diese doppelte Restriktion zunehmend als unbefriedigend empfunden wurde und selbst die Einführung weiterer gesetzlicher Fälle58 im Sinne von Art. 2059 c. c. die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens nicht wesentlich erweitern konnte, wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Versuche zu dessen Ausweitung unternommen (s. u. zur Entwicklung des danno biologico § 3 II.2.a)dd), S. 89 ff.und des danno esistenziale § 3 II.3.a)cc), S. 105 ff.). Ohne an dieser Stelle bereits vorzugreifen, endeten diese Versuche schließlich 2003 damit, dass der Kassationshof mit den sog. „Zwillingsurteilen“ (sentenze gemelle) Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.200359 eine Abkehr vom restriktiven Verständnis des Art. 2059 c. c. einleitete. Er weitete nicht nur die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden auf die Verletzung verfassungsmäßig geschützter, absoluter Rechte aus, sondern verstand den Nichtvermögensschaden im Sinne von Art. 2059 c. c. auch als einheitliche Schadenskategorie, unter der Ersatz für den danno morale, danno biologico und danno esistenziale als voneinander unabhängige Unterkategorien des immateriellen Schadens gewährt werden sollte.60 Auch in den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 stellten die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes klar, dass der Nichtvermögensschaden eine einheitliche Schadenskategorie darstelle, die keiner Aufteilung in Unterarten zugänglich sei. Vielmehr handele es sich beim danno morale, danno biologico und danno esistenziale lediglich um beschreibende Figuren des einheitlichen Nichtvermögensschadens. Damit wurde der Nichtvermögensschaden zum einen nicht mehr nur mit dem danno morale gleichgesetzt, sondern zudem 56
Vgl. Gutachten des italienischen Justizministeriums, in JbItalR 13 (2000), 309 (314). Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (279 f.). 58 Zu den weiteren gesetzlichen Fällen oben § 3 Fn. 7. 59 Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272. 60 Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272. 57
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wurde seine Ersatzfähigkeit anerkannt, wenn die schädigende Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt, in allen weiteren gesetzlich vorgesehenen Fällen im Sinne von Art. 2059 c. c. und wenn die schädigende Handlung eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts zur Folge hat.61
b) Kein Ersatz reiner Gefühlsschäden im deutschen Recht Reine Gefühlsschäden sind im deutschen Recht nicht ersatzfähig. Ausweislich der historischen Entwicklung des Schmerzensgeldes (aa) bestand auch hierzulande Skepsis gegenüber dem Ersatz immaterieller Schäden. Vielmehr setzt ein Schmerzensgeldanspruch die Verletzung ausdrücklich bestimmter Schutzgüter voraus (bb), wobei die Rechtsprechung mittlerweile auch Schmerzensgeld bei weitgehendem Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit gewährt (cc).
aa) Historische Entwicklung Historisch betrachtet ist die Gewährung von Schmerzensgeld auch im deutschen Recht nicht selbstverständlich. Der Begriff des Schmerzensgeldes geht auf die mittelalterlichen Bußen des germanischen und fränkischen Rechts zurück, für deren Entschädigungsumfang es auf die erlittenen Schmerzen ankam. Es war Bestandteil des Sachsenspiegels und fand auch Eingang in Art. 20 und 21 der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 für die Entschädigung von Schmerzen bei unzulässiger Folter.62 Mit Übernahme des römischen Rechts beschränkte sich der Schadensersatz zunächst auf Vermögensschäden. In der rechtshistorischen Forschung wird angenommen, dass dem klassischen römischen Recht ein Anspruch auf Schmerzensgeld unbekannt war und nur materielle Schäden ersetzt wurden. In der nachklassischen Zeit waren lediglich sog. deliktische Bußklagen, insbesondere die actio iniuriarum und actio legis Aquiliae üblich,63 wobei Narben und Entstellungen nicht in die Schadensbemessung einbezogen wurden, weil der Körper eines freien Menschen der Bewertung nicht zugänglich sei (Gaius D. 9, 3, 7).64 § 112 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 sah zwar vor, dass „Personen vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande“ ein Schmerzensgeld gewährt wurde, das galt jedoch nach § 114 ALR nicht für „Per-
61 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 2.8. ff.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (588); Leitsatz bei Christandl, ZEuP 2011, 392 (392). 62 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 13 ff. 63 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, 2004, S. 69 ff. 64 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, 2004, S. 73 f.
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sonen höheren Standes“, für die es als anstößig empfunden wurde, ihre Empfindungen in Geld aufzurechnen.65 Zunächst sahen sich die Verfasser des BGB im Hinblick auf das Schmerzensgeld im Zwiespalt. Einerseits waren sie bestrebt im Sinne eines wirklichen Schadensausgleichs einen Totalersatz zu gewähren, der möglichst umfassend und nicht nur auf den Augleich lediglich körperlicher Schmerzens beschränkt sein sollte. Andererseits waren sie skeptisch gegenüber einem nicht in Geld messbaren Schaden, der beim Geschädigten zu einer unanständigen Bereicherung führen könnte, und hatten zudem Vorbehalte gegen die Freiheit, die den Gerichten bei der Bemessung eingeräumt werde.66 Erst als das Reichsgericht67 dem Strafrichter erlaubte, bei der Festlegung der Buße für Körperverletzungen nach § 231 Abs. 1 StGB vom 1.1.187268 auch immaterielle Einbußen des Verletzten zu berücksichtigen, entschied sich der Gesetzgeber des BGB dazu, dem Zivilrichter durch Schaffung des neuen § 847 Abs. 1 BGB a. F. die gleiche Befugnis einzuräumen.69 Daneben enthielt § 1300 BGB a. F.70 eine Regelung zum sog. „Kranzgeld“. Darunter verstand man eine finanzielle Entschädigung der Frau nach Auflösung des Verlöbnisses, wenn sie zuvor Geschlechtsverkehr mit ihrem Verlobten hatte. Im 20. Jahrhundert wurde der Schmerzensgeldanspruch zunächst auf wenige Tatbestände der Gefährdungshaftung ausgeweitet, unter anderem auf § 29k Abs. 3 S. 1 LuftVG und § 29 Abs. 2 AtomG.71 Auch der häufig kritisierte § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F., der die freie Übertragbarkeit und Vererbbarkeit von Schmerzensgeldansprüchen zunächst ausschloss, wurde mit Wirkung zum 1.7.1990 aufgehoben. Die Reform des Schadensrechts führte 2002 mit der Schaffung des § 253 Abs. 2 BGB zu einer grundlegenden Neukonzeption des Schmerzensgeldes. Durch die damit verbundene Vorverlagerung in den Allgemeinen Teil des Schuldrechts wurde nun auch Schmerzensgeld bei (vor)vertraglichen Pflichtverletzungen gewährt. Bezog sich das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung in § 847 Abs. 2 BGB a. F. noch auf 65 66
Neuner, JuS 2013, 577. Mugdan II, Mot. zu § 728 (später § 847 BGB), S. 447. 67 RG, Urt. v. 7.3.1887 – 187/87 – juris = RGSt 15, 352. 68 „§ 231 (1) In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende Buße bis zum Betrage von zweitausend Thalern erkannt werden.“ 69 Steffen, DAR 2003, 201 (202). 70 § 1300 BGB in der bis 30.6.1998 gültigen Fassung: „(1) Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1298 oder des § 1299 vorliegen, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. (2) Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist.“ 71 RGBl. 1943 I, S. 69 ff. (71) bzgl. § 29k Abs. 3 S. 1 LuftVG und BGBl. 1985 I, S. 1565 ff. (1578) bzgl. § 29 Abs. 2 AtomG.
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eine „Frauenperson“, so wurde es in § 253 Abs. 2 BGB geschlechtsneutral gefasst. Hinzu kamen außerdem Schmerzensgeldregelungen für Tatbestände der Gefährdungshaftung, wie z. B. § 11 S. 2 StVG. Von der Einführung einer Bagatellgrenze wurde dagegen abgesehen.72
bb) Verletzung ausdrücklich bestimmter Schutzgüter Sowohl nach früherer Rechtslage unter § 847 BGB a. F. als auch nach § 253 Abs. 2 BGB kann eine billige Entschädigung in Geld nur verlangt werden, wenn der immaterielle Schaden adäquate Folge „einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung“ ist. Auch der für Schäden infolge von Verkehrsunfällen geltende § 11 S. 2 StVG setzt die Verletzung des Körpers oder der Gesundheit voraus. Bloßer Schmerz, Trauer oder Niedergeschlagenheit des Verletzten sind allerdings keine haftungsbegründende Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 7 Abs. 1 StVG, sofern sie aus medizinischer Sicht nicht die Grenze des krankhaften Zustands überschreiten.73 Vielmehr ist seelischer Schmerz, der selbst nicht das Ausmaß einer medizinisch feststellbaren psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung erlangt, nur ersatzfähig, sofern er kausale Folge einer haftungsbegründenden Körper- oder Gesundheitsverletzung des Geschädigten ist.74 Trotz der von der früheren Rechtsprechung zum Teil unglücklich gewählten Formulierung kann also gerade nicht von einem reinen „Schmerzensgeld für seelische Unlustgefühle“75 gesprochen werden, dass unabhängig von einer vorherigen Körper- oder Gesundheitsverletzung gewährt wird. So hatte das OLG Karlsruhe 1960 dem Geschädigten, der bei einem Verkehrsunfall schwere Körperverletzungen erlitten hatte und infolgedessen sein Studium zwangsweise für ein Jahr unterbrechen musste, zwar „einen Ausgleich für das seelische Unlustgefühl“ zugesprochen,76 allerdings lag auch in diesem Fall eine Körperverletzung vor, sodass das seelische Unlustgefühl wegen der verzögerten Prüfung lediglich ein Kriterium im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung darstellte. Diese ablehnende Haltung der deutschen Rechtsordnung gegenüber dem Ersatz reiner Gefühlsschäden, die unabhängig von einer pathologischen Körperoder Gesundheitsverletzung sind, wird damit begründet, dass es ohne patholo-
72
Neuner, JuS 2013, 577 (578). BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883 (1885). BGH, Urt. v. 16.11.1999 – VI ZR 257/98 = NJW 2000, 862 (863); BGH, Urt. v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88 = NJW 1989, 2317; Staudinger/Hager, BGB, 2017, § 823, Rn. B 27; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 702. 75 So aber Münzel, NJW 1960, 2025. 76 OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.1960 – 4 U 198/59 = NJW 1960, 2058 (2059). 73 74
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gische Verletzungen unmöglich nachzuprüfen sei, ob und in welchem Umfang der Geschädigte tatsächlich einen Gefühlsschaden erlitten hat.77
cc) Schmerzensgeld bei weitgehendem Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit Seit dem Grundsatzurteil vom 13.10.199278 spricht der BGH auch dann Schmerzensgeld zu, wenn die Schädigung zum weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit und damit zur „nahezu vollständigen Zerstörung der Persönlichkeit des Verletzten“ geführt hat. Denn der Verlust an personaler Qualität stellt für sich genommen einen nach Art. 1 und 2 GG auszugleichenden immateriellen Schaden dar und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene die Beeinträchtigung empfindet. Damit gab der BGH seine frühere Rechtsprechung, wonach er in solchen Fällen mangels Genugtuungsfunktion zunächst lediglich eine symbolische Entschädigung zugesprochen hatte, auf.79 Heute sprechen die Gerichte in derartigen Fällen regelmäßig die höchsten Schmerzensgeldbeträge von bis zu € 500.000,00 zu.80
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Kein umgrenzter Katalog von Schutzgütern im italienischen Recht, aber begrenzter Entschädigungsgehalt des Gefühlsschadens (danno morale) im Vergleich zum deutschen Schmerzensgeld aa) Kein eng umgrenzter Katalog von Schutzgütern im italienischen Recht Nach § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 11 S. 2 StVG setzt der Ersatz immaterieller Schäden stets die Verletzung ausdrücklich genannter Schutzgüter voraus, wohingegen Art. 2059 c. c. keinen solchen eng umgrenzten Katalog von Schutzgütern kennt.81 Reine Trauer, Kummer, seelischer Schmerz und Niedergeschlagenheit sind deshalb nach deutschem Recht grundsätzlich nicht ersatzfähig, sofern sie nicht Folge einer haftungsrelevanten Körper- oder Gesundheitsverletzung sind und selbst Krankheitscharakter haben.
77 E. Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 51 ff.; Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 19 f. 78 BGH, Urt. v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91 = NJW 1993, 781; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 307 ff. 79 So noch BGH, Urt. v. 22.6.1982 – VI ZR 247/80 = NJW 1982, 2123 und BGH, Urt. v. 16.12.1975 – VI ZR 175/74 = NJW 1976, 1147; zur Entwicklung der Rspr. vgl. Kern, in Festschr. für Wolfgang Gitter, 1995, S. 447 (448 ff.). 80 LG Münster, Urt. v. 17.4.2009 – 16 O 532/07 = NJW 2010, 86; LG München I, Urt. v. 29.3.2001 – 19 O 8647/00 = NJW‑RR 2001, 1246 (1 Mio.). 81 Christandl, Una panoramica sul „danno esistenziale“ in Germania, 2004, S. 4 f.
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bb) Begrenzter Entschädigungsgehalt des Gefühlsschadens (danno morale) im Vergleich zum deutschen Schmerzensgeld Obwohl der als danno morale bezeichnete Gefühlsschaden in Italien lange Zeit mit dem Nichtvermögensschaden gleichgesetzt wurde, ist er bei funktionaler Betrachtung enger als der deutsche Schmerzensgeldbegriff,82 da er lediglich subjektive Schmerzempfindungen bzw. das pretium doloris umfasst, nicht jedoch objektivierbare, medizinisch feststellbare psychische und physische Belastungen.83 Letztere sind als Körper- und Gesundheitsschäden vielmehr dem danno biologico zuzuordnen.
cc) Unterschiedliche Behandlung beim Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit Der begrenzte Entschädigungsgehalt des danno morale im Vergleich zum deutschen Schmerzensgeld spiegelt sich auch beim Verlust der Wahrnehmungsund Empfindungsfähigkeit wider. So gewähren deutsche Gerichte auch dann Schmerzensgeld, wenn die Schädigung zum weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit und damit zur Persönlichkeitszerstörung des Geschädigten geführt hat. Demgegenüber können körperliche Beeinträchtigungen, die vom Opfer nicht mehr wahrgenommen werden, nach italienischem Recht nicht dem danno morale zugeordnet werden, sondern werden allenfalls vom danno biologico erfasst. Verstirbt der Verletzte allerdings unmittelbar oder innerhalb kürzester Zeit nach der Schädigung, ohne zuvor das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, steht ihm bzw. seinen Erben nach der Mailänder Tabelle 2018 kein sog. danno terminale zu.
2. Gesundheitsschaden (danno biologico) In diesem Abschnitt werden der italienische Gesundheitsschaden (danno biologico) (a) und das deutsche „Schmerzensgeld“ (b) dargestellt, bevor beide Figuren in einer rechtsvergleichenden Bewertung zugeführt werden (c).
a) Der Gesundheitsschaden (danno biologico) im italienischen Recht Im Folgenden wird der Gesundheitsschaden (danno biologico) zunächst von anderen mit ihm in Verbindung gebrachten Begriffen abgegrenzt (aa), bevor auf seine Symptomatik (bb) unter besonderer Betrachtung des psychischen bzw. geistigen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) (cc) eingegangen 82 83
Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (107 f.). Mansel/Seilstorfer, JbItalR 22 (2009), 95 (105 f.); Buse, VersRAI 2004, 61 (63); Scarabello, DAR 2001, 581 (584); Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (102).
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wird. Sodann wird die historische Entwicklung vom Gefühlsschaden (danno morale) bis zum danno biologico dargestellt.
aa) Abgrenzung des Gesundheitsschadens (danno biologico) vom Schaden an der Gesundheit (danno alla salute), der Gesundheitsverletzung (lesione della salute) und der körperlich-geistigen Verletzung (lesione psicofisica) Häufig werden im Zusammenhang mit dem danno biologico auch die Begriffe Gesundheitsverletzung (lesione della salute), körperlich-geistige Verletzung (lesione psicofisica) oder Schaden an der Gesundheit (danno alla salute) genannt. Eine kurze Abgrenzung ist deshalb angebracht. Lesione psicofisica ist ein klinischer Begriff. Er bezeichnet einen objektiv wahrnehmbaren Umstand, wie die Verletzung des körperlichen oder geistigen Wohls einer Person und ist Voraussetzung des danno alla salute. Allerdings gibt es auch Verletzungen der körperlich-geistigen Integrität, die keinen danno alla salute darstellen, wie z. B. der Verlust eines Haares. Beim danno alla salute handelt es sich dagegen um einen juristischen Begriff, der in seinem engeren Sinn die Folgen einer Gesundheitsverletzung beschreibt. Der danno alla salute ist im Gegensatz zur lesione della salute nicht objektiv wahrnehmbar, sondern bedarf einer Bewertung im Sinne eines Vergleichs der vom Geschädigten erlittenen Beeinträchtigung mit der Schadensersatznorm.84 Der Begriff danno biologico bezeichnet dagegen eine bestimmte Art des danno alla salute, nämlich die Beeinträchtigung der körperlich-geistigen Integrität und stellt somit einen Unterfall des danno alla salute dar. Denn der danno alla salute umfasst nicht nur den danno biologico im Sinne einer vorübergehenden oder dauerhaften Invalidität, sondern auch z. B. den Verlust von Heilungsoder Überlebenschancen.85
bb) Symptomatik des Gesundheitsschadens (danno biologico) Unter dem als danno biologico bezeichneten Gesundheitsschaden versteht man alle nachteiligen immateriellen Auswirkungen, die Folge einer medizinisch feststellbaren Verletzung der körperlichen und/oder der geistigen Gesundheit sind. Dabei kann der aus der Verletzung resultierende Gesundheitsschaden vorübergehender (danno biologico temporaneo) oder dauerhafter Natur (danno biologico permanente) sein.86 84 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 193 ff.; Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 62 ff.; Winkler, JbItalR 9 (1996), 135 (137). 85 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 193 ff.; Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 62 ff.; Winkler, JbItalR 9 (1996), 135 (137). 86 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/582.
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Im Gegensatz zum Gefühlsschaden (danno morale), der nur kurz andauernde subjektive Schmerzen umfasst, die keinen Krankheitswert erreichen, ist der danno biologico medizinisch feststellbar und damit objektivierbar. So handelt es sich bei der Niedergeschlagenheit des Geschädigten aufgrund seiner Verletzung um einen danno morale, während die mit der Verletzung selbst verbundenen, diagnostizierbaren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen als danno biologico zu qualifizieren sind.87
cc) Psychischer bzw. geistiger Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) Vor allem bei psychischen Beeinträchtigungen kann die Abgrenzung zwischen Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) schwierig sein. Sie ist aber erforderlich, da andernfalls dieselbe Beeinträchtigung bei der Entschädigung doppelt berücksichtigt würde. Während der danno morale nur vorübergehend ist und keinen Krankheitswert hat, schlägt sich der psychische bzw. geistige Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) in einem pathologischen Gesundheitsschaden nieder, mithin in einer medizinisch feststellbaren Veränderung der Psyche, wie z. B. Depressionen, Paranoia oder Schizophrenie. Überdies hat der danno biologico psichico aufgrund des Verlusts oder der Beschränkung der Möglichkeit lebenswichtige Tätigkeiten auszuüben, eine Verschlechterung der Lebensqualität zur Folge.88 Voraussetzung des danno biologico psichico ist also eine psychische bzw. geistige Gesundheitsverletzung, die nicht notwendigerweise Folge einer körperlichen bzw. organischen Verletzung sein muss, sondern auch von einem Schock herrühren kann, so z. B. wenn der Geschädigte Zeuge eines traumatischen Erlebnisses war, eine geliebte Person verloren hat oder eine ärztliche Diagnose über eine schwere Erkrankung erhält, die sich nachträglich als falsch erweist. Infolge dieser Gesundheitsverletzung muss es zu einer Beeinträchtigung im Sinne einer echten psychischen Krankheit gekommen sein, die über eine bloße Traurigkeit hinausgeht. Zudem muss die psychische Krankheit zu einer Verschlechterung der Lebensqualität geführt haben, weil sie den Geschädigten an der Ausübung lebenswichtiger Tätigkeiten ge- oder behindert hat.89 Dabei schließt eine psychische Vorerkrankung, die Kausalität zwischen unerlaubter Handlung und danno biologico psichico nicht automatisch aus, sofern die Verschlechterung oder der psychische Zusammenbruch auf die unerlaubte Handlung zurückzuführen sind.90 87
Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (102 f.). Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 951 ff.; Fiandaca, Il danno non patrimoniale: percorsi giurisprudenziali, 2009, 1.I. (S. 31); Cendon/Rossi, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2059, Kapitel 4.9., S. 769. 89 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 947 ff. 90 Cendon/Rossi, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2059, Kapitel 4.9., S. 770. 88
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dd) Historische Entwicklung vom Gefühlsschaden (danno morale) bis zum Gesundheitsschaden (danno biologico) Wie unter § 3 II.1.a)cc)(2) (S. 80) dargestellt, wurde der Nichtvermögensschaden begrifflich lange Zeit mit dem Gefühlsschaden (danno morale) gleichgesetzt, sodass auf Grundlage des Art. 2059 c. c. nur danni morali ersetzt wurden, sofern die unerlaubte Handlung nach Art. 185 Abs. 2 c. p. zugleich eine Straftat darstellte. Trotz der sukzessiven Einführung weiterer „gesetzlich bestimmter Fälle“ im Sinne von Art. 2059 c. c. führte dieses restriktive Verständnis des Nichtvermögensschadens auf die Dauer zu unbefriedigenden Ergebnissen. Infolgedessen versuchten die Lehre91 und die Rechtsprechung die vorherrschende Rechtslage durch Ausdehnung des Vermögensschadens zu umgehen,92 so z. B. durch den Schaden am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione) (1), bis letztendlich die Figur des danno biologico entstand.93 Das Landgericht Genua hatte diesen Begriff erstmals geprägt und ihn als dritte Schadenskategorie neben dem Vermögens- und Nichtvermögensschaden auf Art. 2043 c. c. gestützt (2). In der Folgezeit sah der Verfassungsgerichtshof die dogmatische Grundlage des danno biologico einmal in Art. 2059 c. c. (3) und dann als sog. Erfolgsschaden (danno evento) wieder in Art. 2043 c. c. i. V. m. Art. 32 Abs. 1 Cost. (4). Auch Versuche des Gesetzgebers zur Kodifizierung des danno biologico im Codice civile blieben erfolglos, führten aber zur Regelung in Spezialgesetzen (5). Erst im Jahr 2003 vollzog sich eine Kehrtwende von der Dreiteilung des Personenschadens zur Zweiteilung mit unter anderem dem danno biologico als unabhängiger Unterkategorie des Nichtvermögensschadens, der auch bei Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Interesses nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 32 Cost. ersatzfähig sein sollte (6). In den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 bestätigten die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes den Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie, innerhalb derer der danno biologico, danno morale und danno esistenziale aber keine selbständigen Unterkategorien darstellen, sondern lediglich als beschreibende Figuren integraler Bestandteil des Nichtvermögensschadens sind, was wiederum auch Änderungen in der Bemessungspraxis zur Folge hatte (7).
(1) Schaden am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione) Einer der Umgehungsversuche, um das enge Verständnis des Nichtvermögensschadens durch Ausdehnung des Vermögensschadens zu umgehen, war die Konstruktion des Schadens am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione), 91 Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 55 ff., 62 ff.; siehe Rossetti, Il danno da lesione della salute, 2001, Kapitel 2, Nr. 1 ff. (S. 89 ff.). 92 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (280). 93 Für einen kurzen historischen Abriss vgl. Winkler, in Festschr. Hansjörg Pobitzer, 2012, S. 97 ff.
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der in der Rechtsprechung erstmals 1931 auftauchte.94 Da der danno alla vita di relazione von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhing, blieb seine inhaltliche Bestimmung ungenau und umfasste z. B. Beeinträchtigungen im Bereich sportlicher, kultureller, künstlerischer und religiöser Aktivitäten.95 Durch das Inkrafttreten des Codice civile im Jahr 1942 kam angesichts des restriktiven Art. 2059 c. c. die Frage über die Rechtsnatur des danno alla vita di relazione auf, der schließlich als Vermögensschaden qualifiziert wurde und seine dogmatische Grundlage in Art. 2043 c. c. fand. Damit war der danno alla vita di relazione nach Art. 2043 c. c. ersatzfähig, sofern sich die Beeinträchtigung bei der Ausübung außerberuflicher, sozialer Aktivitäten negativ auf die Erwerbstätigkeit des Geschädigten auswirkte und ihr damit eine vermögenswerte Komponente zukam. Das wurde insbesondere bei freien Berufen und sozial gehobenen Positionen angenommen, z. B. wenn mit der Pflege und Unterhaltung sozialer Kontakte berufliche Vorteile einhergingen.96 Solche vermögensschmälernden Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit wurden auch in Bezug auf Beeinträchtigungen des Sexuallebens (danno alla sfera/vita sessuale) und der Verletzung des äußeren Erscheinungsbildes (danno estetico) angenommen97 und damit begründet, dass Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes den Verletzten daran hindern könnten, soziale Kontakte zu knüpfen und beruflich erfolgreich zu sein. Insbesondere bei Frauen waren Beeinträchtigungen des Sexuallebens nach damaligem Verständnis geeignet, eine Eheschließlung mit vermögensrechtlichen Vorteilen zu verhindern.98 Die Bezugnahme auf das Einkommen hatte allerdings zur Folge, dass bei der Schädigung nichterwerbstätiger Personen, wie z. B. Rentnern, Hausfrauen und Kindern als auch dort, wo Verletzte zwar bleibende Schäden erlitten hatten, ihre Erwerbsfähigkeit dadurch aber nicht beeinträchtigt wurde, ein Ersatzanspruch ausgeschlossen war.99 In diesem Zusammenhang verweist Busnelli auf ein hochgradig zynisches Urteil des Landgerichts Florenz, demzufolge sogar „Menschen ohne irgendeinen Wert“ existieren könnten.100 Zudem führte die Anknüpfung an das Einkommen dazu, dass die gleichen Verletzungen 94 Corte d’App. Milano 24.2.1931, in Resp. civ. prev. 1932, 132 – zitiert nach Wrangel, VersR 1982, 628 (631) Fn. 37. 95 Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 40 ff.; Wrangel, VersR 1982, 628 (631); Trucco, JbItalR 2 (1989), 53 (58). 96 Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 40 ff.; Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (280 f.); Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (86); Wrangel, VersR 1982, 628 (631). 97 Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 42 ff.; Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (280 f.); Buse, VersRAI 2004, 61 (62); Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (86 f.); Wrangel, VersR 1982, 628 (631 f.). 98 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 292. 99 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (281); Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 38 f.; Winkler, JbItalR 9 (1996), 135 (136). 100 Busnelli, JbItalR 14 (2001), 17 (18 f.) Fn. 4 mit Verweis auf Trib. Firenze 5.1.1967, in Archivio della responsabilità civile 1969, 130.
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abhängig von der Höhe des Verdienstes unterschiedlich bewertet wurden, sodass die körperliche Integrität des Besserverdieners mehr wert war als die des schlechter Verdienenden.101
(2) Entscheidung des Landgerichts Genua vom 25.5.1974 Als Reaktion auf die ungeeignete Verknüpfung des Körperschadens mit dem Einkommen prägte das Landgericht Genua 1974 erstmals den Begriff des danno biologico. Es hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem sich die bleibende Invalidität von 3 % nicht nachteilig auf die Erwerbsfähigkeit des Geschädigten auswirkte und ihm demnach kein Ersatzanspruch für die dauerhafte Beeinträchtigung zugestanden hätte.102 Nach Ansicht des Gerichts stellte aber die Verletzung der körperlichen Gesundheit an und für sich als Verletzung des Grundrechts auf Gesundheit (Art. 32 Cost.)103 einen rechtswidrigen Schaden (danno ingiusto) im Sinne von Art. 2043 c. c. dar und zwar unabhängig von eventuellen Auswirkungen auf die Erwerbfähigkeit. Anstatt des Einkommens sollten für die Schadensbemessung das Alter, das Geschlecht, die Umstände und das Ausmaß der Verletzung maßgebend sein.104 Obwohl das Gericht den danno biologico als nichtvermögenswerten Schaden qualifizierte, hielt es in dogmatischer Hinsicht am restriktiven Verständnis fest, wonach Art. 2059 c. c. nur danni morali erfasse und für alle sonstigen nichtvermögenswerten Schäden auf die Generalklausel des Art. 2043 c. c. zurückzugreifen sei. Dabei betrachtete das Gericht den danno biologico als dritte Schadenskategorie (tertium genus) neben dem Vermögensschaden (Art. 2043 c. c.) und dem damals mit dem Nichtvermögensschaden gleichgesetzten danno morale (Art. 2059 c. c.) und bezeichnete ihn als danno extrapatrimoniale, also als außerhalb der Vermögenssphäre liegender Schaden.105 Obwohl diese Ansicht in der Rechtsprechung teilweise Zuspruch fand,106 wurde sie dennoch überwiegend abgelehnt.280 Das regte erstmals den Verfas-
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Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (281). Trib. Genova 25.5.1974, in Giur. it. 1975, I, 2, 54. 103 Zur Entwicklung des Art. 32 Cost. vom Programmsatz hin zum subjektiven Grundrecht i. S. e. Freiheitsrechts vgl. Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 52 ff. 104 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (282); Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 61 f. 105 Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 59 ff.; Trucco, JbItalR 2 (1989), 53 (59); Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (282); Wrangel, VersR 1982, 628 (632); Gutachten des italienischen Justizministeriums, abgedruckt in JbItalR 7 (1994), 301 (305); Sella, La quantificazione dei danni da sinistri stradali, 2005, Kapitel 23.1. (S. 72). 106 Trib. Genova 20.10.1975, in Resp. civ. prev. 1976, 466; Trib. Genova 15.12.1975, in Foro it. 1976, I, 1997; Trib. Roma 11.10.1979, in Foro it. 1981, I, 1885; Trib. Pisa 10.3.1979, in Giur. it. 1980, II, 20.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
sungsgerichtshof an, in den zwei aufeinanderfolgenden Entscheidungen Nr. 87 und 88 vom 26.7.1979 zum danno biologico Stellung zu nehmen.
(3) Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes Nr. 87/1979 und Nr. 88/1979 Mit Vorlagebeschluss vom 12.11.1976108 hatte das Landgericht Camerino dem italienischen Verfassungsgerichtshof die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Art. 2043 c. c. vorgelegt: Wenn Art. 2043 c. c. nämlich nur Vermögensschäden erfasse und der Anwendungsbereich des Art. 2059 c. c. auf danni morali beschränkt sei, dann sei der als nichtvermögenswerter Schaden qualifizierte Gesundheitsschaden nach keiner der beiden Normen ersatzfähig, mit der Folge, dass sich Art. 2043 c. c. in seiner Beschränkung auf Vermögensschäden als verfassungswidrig erweise.109 Der Verfassungsgerichtshof verneinte die Verfassungswidrigkeit und quailifizierte den danno biologico (zunächst noch) als Nichtvermögensschaden im Sinne von Art. 2059 c. c.:110 In der Entscheidung Nr. 88 vom 26.7.1979111 führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass das Recht auf Gesundheit als absolutes Recht in Art. 32 Cost. geschützt sei und auch zwischen Privaten wirke. Allerdings legte er Art. 2059 c. c. erweiternd aus und stellte fest, dass nicht nur danni morali, sondern auch Gesundheitsschäden nach Art. 2059 c. c. zu ersetzen seien, sofern die unerlaubte Handlung zugleich eine Straftat darstelle. Da Art. 2059 c. c. im zugrundeliegenden Fall erfüllt war, war auf die Frage der Verfassungswidrigkeit des Art. 2043 c. c. nicht weiter einzugehen.112 Mit Entscheidung Nr. 87 vom gleichen Tag113 bestätigte der Verfassungsgerichtshof auch die Verfassungsmäßigkeit von Art. 2059 c. c. Insbesondere sei die Vorschrift nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil immaterielle Schäden nur bei Vorliegen einer Straftat ersetzt würden, wofür allein auf den Schädiger abzustellen sei und nicht auf den Geschädigten. Vielmehr liege es im Ermessen des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Schäden ersatzfähig seien und welche nicht. Sofern allerdings verfassungsmäßig garantierte subjektive Rechte verletzt wären, seien einfachgesetzliche Einschränkungen der Ersatzfähigkeit unzulässig.114 107
Corte d’App. Genova 17.7.1975, in Giur. it. 1976, I, 2, 442. Trib. Camerino (ord.) 12.11.1976, in Foro it. 1977, I, 1322. 109 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (88). 110 v. Bar, RabelsZ 59 (1995), 203 (215). 111 Corte cost. 26.7.1979, n. 88, in Foro it. 1979, I, 2542. 112 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (88); Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (283); Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 76. 113 Corte cost. 26.7.1979, n. 87, in Foro it. 1979, I, 2543. 114 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (88); Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (283); Wrangel, VersR 1982, 628 (629 f.). 108
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Auch die Qualifizierung des danno biologico als Nichtvermögensschaden im Sinne von Art. 2059 c. c. löste Kritik aus, weil es mit dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Gesundheit als unvereinbar angesehen wurde, den Ersatz des danno biologico nur auf Fälle zu beschränken, in denen die unerlaubte Handlung zugleich eine Straftat darstellte. Dies führte zu zwei weiteren Richtervorlagen zur Verfassungsmäßigkeit des Art. 2059 c. c.115
(4) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 184/1986 In der bekannten Entscheidung Nr. 184 vom 14.7.1986116 bestätigte der Verfassungsgerichtshof die umfassende Ersatzfähigkeit des danno biologico, stützte sie aber – im Gegensatz zur Entscheidung Nr. 88/1979 – nicht mehr auf Art. 2059 c. c., da dieser nur für danni morali gelte. Vielmehr betonte der Verfassungsgerichtshof, dass das Grundrecht auf Gesundheit (Art. 32 Abs. 1 Cost.) mittelbare Drittwirkung zwischen Privaten entfalte und legte Art. 2043 c. c. verfassungskonform aus (lettura costituzionale). Demnach sei der danno biologico unmittelbar auf Grundlage des Art. 2043 c. c. in Verbindung mit Art. 32 Cost. (tesi del combinato disposto) zu ersetzen.117 Der Verfassungsgerichtshof führte die Subsumtion des danno biologico unter Art. 2043 c. c. auf dessen einzigartige Formulierung des „rechtswidrigen Schaden“ (danno ingiusto) zurück. Der „rechtswidrige Schaden“ sei sowohl als Folge der unerlaubten Handlung (danno conseguenza bzw. Schadensfolge/Folgeschaden) als auch als Teil des Haftungsgrundes (danno evento bzw. Schadensereignis/Ereignis- oder Erfolgsschaden) zu begreifen. Dabei umfasse der Folgeschaden (danno conseguenza) den Vermögensschaden und den als danno morale zu verstehenden Nichtvermögensschaden (Art. 2059 c. c.), wohingegen der danno biologico als Erfolgsschaden (danno evento) der rechtswidrigen Tat selbst innewohne.118 Folglich sei die Körper- oder Gesundheitsverletzung als danno evento schon für sich genommen ein ersatzfähiger Schaden, der unabhängig von finanziellen Einbußen zu ersetzen sei. Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit sollte demnach lediglich der Nachweis einer Verletzung der körperlichen und/oder geistigen Integrität sein, die re ipsa Beweis für den Schaden war.119 Seit der Entscheidung 115 Trib. Genova (ord.) 8.10.1979, in Giur. it. 1980, I, 2, 1; Trib. Salerno (ord.) 15.12.1981, in Giur. it. 1982, I, 2, 604. 116 Corte cost. 14.7.1986, n. 184, in Foro it. 1986, I, 2053. 117 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (89 f.); Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 76 ff.; Christandl, JbItalR 18 (2005), 277, 283 f. 118 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, § 6 Rn. 573; ders., RabelsZ 59 (1995), 203 (216); Scarabello, DAR 2001, 581 (581); Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (90 f.); Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 41. 119 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 1 Rn. 18; Vismara, PHi 2010, 12 (13); Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (90 f.); Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 41;
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Nr. 184/1986 gab es im italienischen Recht somit drei Schadenskategorien, die unabhängig voneinander ausgeglichen wurden: den Vermögensschaden, den danno morale, der auch weiterhin nur bei Vorliegen einer Straftat ersetzt wurde und den danno biologico als tertium genus.120 In der Folgezeit wurde der Verfassungsgerichtshof des Öfteren angerufen, um über die Auslegung der Art. 2043 und 2059 c. c. zu entscheiden.121 In der Entscheidung Nr. 372 vom 27.10.1994122 gab er sodann sein Verständnis des danno biologico als danno evento auf und qualifizierte ihn ebenfalls als danno conseguenza. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass neben dem Beweis der Verletzung auch der Nachweis des Schadensumfangs erforderlich sei, mithin des Verlusts eines persönlichen, nichtvermögensrechtlichen Wertes.123
(5) Versuch der Kodifizierung des Gesundheitsschadens Der italienische Gesetzgeber versuchte zudem den danno biologico zu kodifizieren. Der Gesetzentwurf Nr. 4093 vom 4.6.1999 (Anhang II dieser Arbeit) sah vor, den Codice civile zu reformieren und neue Artikel zum danno biologico und danno morale zugunsten der Primärgeschädigten und deren Angehörigen einzuführen. Letztendlich wurden die vorgeschlagenen Regelungen aber nicht in den Codice civile aufgenommen.124 Nicht, wie ursprünglich geplant, als Reform des Codice civile, sondern als Spezialgesetz zur versicherungsrechtlichen Entschädigung bei Arbeitsunfällen wurde D. lgs. 23.2.2000, n. 38 erlassen, dessen Art. 13 den danno biologico regelt.125 Für den Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung regelte der italienische Gesetzgeber den danno biologico in Art. 5 des Gesetzes Nr. 57 vom
Bender, Personenschaden und Schadensbegriff, 1993, S. 77 f.; Winkler, in Festschr. Hansjörg Pobitzer, 2012, S. 97 (100). 120 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (91); Vismara, PHi 2010, 12 (13); von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 1 Rn. 19; Busnelli, VersR 1987, 952 (956); Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004, S. 20, 45. 121 Corte cost. 18.7.1991, n. 356, in Foro it. 1991, I, 2967; Corte cost. 27.12.1991, n. 485, in Foro it. 1993, I, 72; Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297; Corte cost. (ord.) 22.7.1996, n. 293, in Foro it. 1996, I, 2963; vgl. Rossetti, Il danno da lesione della salute, 2001, Kapitel 3, Nr. 6 ff. (S. 166 ff.); Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 42 ff. 122 Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297. 123 Rossetti, Il danno da lesione della salute, 2001, Kapitel 3, Nr. 7 (S. 168 ff.); Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 42 ff. 124 Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 7. Der italienische „danno biologico da morte“, S. 1611 f.; Busnelli, JbItalR 14 (2001), 17 (21 ff.). 125 Busnelli, JbItalR 14 (2001), 17 (21); Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c. VI. Rn. 2. ff.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 7. Der italienische „danno biologico da morte“, S. 1611 f. Fn. 99.
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5.3.2001126 hinsichtlich geringfügiger Verletzungen mit einer Dauerinvalidität von bis zu 9 %.127
(6) Kehrtwende im Jahr 2003 Bis in das Jahr 2003 wurden auf Grundlage des Art. 2059 c. c. also nur Gefühlsschäden (danni morali) ersetzt, sofern die unerlaubte Handlung zugleich eine Straftat darstellte. Im Jahr 2003 vollzog sich dann eine Kehrtwende, als der Kassationshof mit den sog. „Zwillingsurteilen“ (sentenze gemelle) Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.2003128 und der Verfassungsgerichtshof mit der Entscheidung Nr. 231 vom 11.7.2003129 eine Abkehr vom restriktiven Verständnis des Art. 2059 c. c. einleiteten. Sie rückten von der Dreiteilung des Personenschadens mit dem Gesundheitsschaden (danno biologico) als dritte Schadenskategorie (tertium genus) zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden ab und kehrten zur Zweiteilung in Vermögens- und Nichtvermögensschaden zurück. Innerhalb des Nichtvermögensschadens (Art. 2059 c. c.) wurde nun Ersatz für drei voneinander unabhängige Unterkategorien des immateriellen Schadens gewährt: den Gefühlsschaden (danno morale), den Gesundheitsschaden (danno biologico) und den zwischenzeitlich anerkannten Existenzschaden (danno esistenziale) (s. u. § 3 II.3.). Alle vorherigen in Rechtsprechung und Literatur besonders bezeichneten Schäden, wie z. B. die Verletzung des äußeren Erscheinungsbildes (danno estetico) oder der Schaden am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione) verloren ihre eigenständige Bedeutung und gingen im danno biologico und danno esistenziale auf.130 Normative Grundlage für den Ersatz des danno biologico war fortan nicht mehr Art. 2043 c. c. in Verbindung mit Art. 32 Cost. (tesi del combinato disposto), sondern unmittelbar Art. 2059 c. c. Wie schon der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung Nr. 372/1994,131 verwarf auch der Kassationshof nochmals ausdrücklich das Verständnis des danno biologico als sog. Erfolgsschaden (danno evento), wonach der alleinige Beweis der Schutzgutsverletzung re ipsa als Beweis für den Schaden angesehen wurde. Vielmehr war von diesem Zeit126 Das Gesetz Nr. 57/2001 modifizierte das ital. Kfz-Haftpflichtgesetz Nr. 990 vom 24.12.1969. 127 Scarabello, DAR 2001, 581 (583). Später regelte der italienische Gesetzgeber den gesamten Versicherungssektor, der zuvor in einzelnen Bestimmungen verschiedener Gesetze verstreut war (vgl. Backu, DAR 2003, 337 ff.) mit D. L. 7.9.2005, n. 209 in einem einheitlichen Regelwerk, dem italienischen Privatversicherungsgesetzbuch (Codice delle assicurazioni private), Pichler, DAR 2006, 549 (550). 128 Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272. 129 Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201. 130 Buse, VersRAI 2004, 61 (63); zuletzt zum danno alla vita di relazione Cass. (ord.) 27.3.2018, n. 7513. 131 Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297.
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punkt an neben dem Beweis der Verletzung auch der Nachweis des tatsächlich eingetretenen Schadens erforderlich.132 Zuvor hatte die Lehre des sog. Erfolgsschadens ausschließlich der dogmatischen Einordnung des danno biologico als tertium genus zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden gedient,133 was nun aufgrund seiner eindeutigen Zuordnung zum Nichtvermögensschaden nicht mehr erforderlich war. Basierend auf Art. 2059 c. c. war somit auch der Gesundheitsschaden nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ersatzfähig. Im Rahmen dieses Anwendungsbereichs wurde jedoch die Voraussetzung, wonach die unerlaubte Handlung zugleich einen Straftatbestand verwirklichen musste, abgemildert. So sollte es fortan genügen, wenn die schädigende Handlung den objektiven Tatbestand erfüllte, während der subjektive Tatbestand auch mittels zivilrechtlicher Beweisregeln (z. B. Art. 2054 c. c.) vermutet werden konnte.134 Des Weiteren wurde der Verweis in Art. 2059 c. c. auf die „gesetzlich vorgesehenen Fälle“ auch auf Schutzbestimmungen der Verfassung bezogen, sodass der Nichtvermögensschaden in seinen drei Unterkategorien in verfassungskonformer Auslegung nicht mehr nur bei Vorliegen einer Straftat, sondern auch im Fall der Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Interesses nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 32 Cost. zu ersetzen war.135
(7) Bestätigung des Nichtvermögensschadens als einheitliche Schadenskategorie durch die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes in den sog. „San Martino“-Urteilen Die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes trafen in den am 11.11.2008 ergangenen sog. „San Martino“-Urteilen (sentenze di San Martino) Nr. 26972, 26973, 26974 und 26975,136 eine bedeutende Grundsatzentscheidung zum Nichtvermögensschaden. 132 Cass. 31.5.2003, n. 8828, Rn. 3. 1. 10. und n. 8827, Rn. 4.3., in Foro it. 2003, I, 2272; siehe zum danno esistenziale in diesem Zusammhang Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (292 ff.). 133 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, S. 340 (Fn. 934). 134 Cass. 12.5.2003, n. 7283; Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201. 135 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (290 f.); Buse, VersRAI 2004, 61 (62); Vismara, PHi 2010, 12 (14 f.); Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/577. 136 Im Fall Nr. 26972 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden eines Mannes, dem infolge einer Fehlbehandlung ein Hoden amputiert werden musste, in den Fällen Nr. 26973, 26974 handelte es sich um immaterielle Schäden infolge der Tötung eines nahen Angehörigen bei einem Verkehrsunfall und im Fall Nr. 26975 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden wegen Geräuschimmissionen. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung der Entscheidungen Nr. 26972 und 26973 enthalten Buse, DAR 2009, 588 und Christandl, ZEuP 2011, 392.
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Zunächst bestätigte das Gericht die Zweiteilung des Personenschadens in Vermögensschaden (Art. 2043 c. c.) und Nichtvermögensschaden (Art. 2059 c. c.), wobei der maßgebliche Unterschied in der Verletzung des geschützten Interesses bestehe. Während für den Vermögensschaden die Verletzung eines beliebigen rechtlich relevanten Interesses genügen sollte, sei der Nichtvermögensschaden nach Art. 2059 c. c. nur in den gesetzlich bestimmten Fällen ersatzfähig. Das sollte zum einen der Fall sein, wenn die unerlaubte Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt, wobei hierfür weder die Feststellung des konkreten Verschuldens des Täters noch seine Schuldfähigkeit (z. B. Minderjährige unter vierzehn Jahren), oder die Feststellung der Straftat durch das Strafgericht erforderlich sein sollten. Vielmehr genügt die Feststellung der Straftat durch das Zivilgericht, wobei das Verschulden auch mittels zivilrechtlicher Beweisregeln (z. B. Art. 2054 c. c.) vermutet werden könne. Zum anderen ist der Nichtvermögensschaden in allen weiteren gesetzlich vorgesehenen Fällen137 ersatzfähig sowie in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c., wenn die unerlaubte Handlung eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts (diritti inviolabili) zur Folge hat.138 Unter dieser Prämisse sollte der Nichtvermögensschaden fortan auch dann ersetzt werden, wenn er durch eine Vertragsverletzung verursacht worden sei.139 Zudem stellte das Gericht fest, dass der Nichtvermögensschaden eine einheitliche Kategorie darstellt, die nicht in einzelne Unterkategorien (danno morale, danno biologico und danno esistenziale) aufzugliedern sei. Vielmehr handele es sich beim danno morale, danno biologico und danno esistenziale nicht um rechtlich selbständige Unterarten des Nichtvermögensschadens, sondern lediglich um rein beschreibende Figuren, die integraler Bestandteil des Nichtvermögensschadens seien.140 Ist die Beeinträchtigung Folge einer Gesundheitsverletzung (Art. 32 Cost.), so gehen der danno esistenziale (s. u. § 3 II.3.) und der danno morale im danno biologico auf.141 Das stellte eine wesentliche Änderung zur bisherigen Rechtspraxis dar. Denn bislang wurde seelischer Schmerz i. S. d. danno morale nicht als Teil des danno biologico angesehen. Vielmehr wurde der danno morale in Höhe von ¼ bis ½ des danno biologico bemessen und gesondert neben diesem ersetzt.
137 138
Zu den weiteren gesetzlichen Fällen oben § 3 Fn. 7. Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 2.8. ff.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (588); Leitsatz bei Christandl, ZEuP 2011, 392 (392). 139 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4 ff.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). 140 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 2.13.; 3.13.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589) und Christandl, ZEuP 2011, 392 (395). 141 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/583; Buse, DAR 2009, 557 (559).
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b) „Schmerzensgeld“ im deutschen Recht Nach deutschem Recht kann eine billige Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 11 S. 2 StVG insbesondere bei einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit (aa) verlangt werden, wobei sich der Nachweis des Krankheitsgrades bei geringfügigen Körperverletzungen und HWS‑Verletzungen als besonders schwierig erweist (bb).
aa) Voraussetzung einer Körper- oder Gesundheitsverletzung Unter einer Körperverletzung versteht man jede Beeinträchtigung der körperlichen Integrität. Demgegenüber ist eine Gesundheitsverletzung jede Störung der körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge,142 mithin jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands unabhängig davon, ob Schmerzen oder eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit auftreten.143 Hierunter fallen auch psychische Erkrankungen, wie z. B. Depressionen, Neurosen oder Psychosen.144 Psychische Erkrankungen, die Folge einer haftungsbegründenden physischen Körper- oder Gesundheitsverletzung sind,145 sind grundsätzlich ohne weiteres ersatzfähig, sofern sie nicht auf einer unangemessenen Erlebnisverarbeitung beruhen.146 Gesundheitsschäden sind aber nicht nur ersatzfähig, wenn sie organisch vermittelt wurden, sondern vielmehr auch dann, wenn sie durch das schädigende Ereigniss, z. B. den Unfall, unmittelbar hervorgerufen wurden. War der Anspruchsteller also selbst in einen Unfall verwickelt, hat er auch dann einen Schadensersatzanspruch, wenn er durch den Unfall lediglich psychisch verletzt wurde.147 Besondere Schwierigkeiten bereitet bei psychischen Störungen allerdings die Frage, ob sie den Grad einer Krankheit erreichen.148 142 Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 823 Rn. 4. 143 BGH, Urt. v. 30.4.1991 – VI ZR 178/90 = NJW 1991,
1948; BGH, Urt. v. 14.6.2005 – VI ZR 179/04 = NJW 2005, 2614. 144 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 76 II 1c (S. 378). 145 BGH, Urt. v. 25.2.1997 – VI ZR 101/96 = VersR 1997, 752; BGH, Urt. v. 16.11.1999 – VI ZR 257/98 = NJW 2000, 862; BGH, Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06 = NJW 2007, 2764. 146 BGH, Urt. v. 11.11.1997 – VI ZR 146/96 = NZV 1998, 110 zur psychischen Beeinträchtigung nach HWS‑Trauma. 147 Heß/Burmann, NJW‑Spezial 2006, 303 (303); BGH, Urt. v. 16.3.1993 – VI ZR 101/92 = NJW 1993, 1523; BGH, Urt. v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95 = NJW 1996, 2425; BGH, Urt. v. 9.4.1991 – VI ZR 106/90 = NJW 1991, 2347; OLG München, Urt. v. 1.12.1989 – 10 U 3980/86 = VersR 1991, 354; BGH, Urt. v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84 = VersR 1986, 240 und 448; Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 76 II 1c (S. 378); Staudinger/Hager, BGB, 2017, § 823 Rn. B 26 ff. 148 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 76 II 1c (S. 378).
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bb) Geringfügigkeitsgrenze und HWS‑Schleudertraumata Auch bei geringfügigen Körperverletzungen erweist sich der Nachweis des Krankheitsgrades als schwierig, wobei insbesondere die HWS‑Verletzungen ein komplexes Phänomen darstellen. Obwohl sich der Gesetzgeber im Rahmen der Reform des Schadensrechts 2002 gegen die Einführung einer Bagatellgrenze für Schmerzensgeldansprüche entschieden hat,149 kann der Anspruch dennoch bei besonders geringfügigen Verletzungen entfallen. So z. B. bei geringfügigen Platz- und Schürfwunden150 oder leichten Prellungen.151 Problematisch sind insbesondere leichte, nicht objetivierbare Halswirbelsäulen-Schleudertraumata (HWS‑Syndrom), die nach Verkehrsunfällen routinemäßig geltend gemacht werden. Der Schadenseintritt und die haftungsbegründende Kausalität müssen vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden und zwar nicht nur mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, sondern mit „einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit, der Zweifeln Schweigen gebietet“.152 Bis 2003 versuchte die Rechtsprechung das schwierige und komplexe Phänomen der HWS‑Verletzungen vorwiegend mit Hilfe der sog. „Harmlosigkeitsgrenze“ zu lösen. Demnach konnten kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderungen von bis zu 10 km/h allein unter biomechanischen Aspekten für gewöhnlich keine Körperverltzungen auslösen.153 Der BGH entschied sich allerdings gegen die rein schematische Anwendung der sog. „Harmlosigkeitsgrenze“ und stellte klar, „dass die Beantwortung der Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhängt“, wie z. B. der Sitzposition des verletzten Fahrzeuginsassen.154 Dies gelte sowohl bei Zusammenstößen „im Frontalbereich“ als auch „bei einem Heckanstoß“.155 Obwohl somit kein Anscheinsbeweis besteht, dass ein Auffahrunfall ein HWS‑Syndrom auslöst und die Verletzungen mit der medizinischen Diagnostik nicht feststellbar sind, werden sie von Versicherungen dennoch regelmäßig entschädigt, weil die geringe 149 150
BT‑Drs 14/8780, S. 34 ff. BGH, Urt. v. 27.5.1993 – III ZR 59/92 = NJW 1993, 2173 (2175). 151 BGH, Urt. v. 10.7.2012 − VI ZR 127/11 = NJW 2012, 2964; OLG Celle, Urt. v. 24.1.1980 – 5 U 279/78 = VersR 1980, 358 (359). 152 BGH, Urt. v. 9.5.1989 − VI ZR 268/88 = VersR 1989, 758; zu den Beweisanforderungen vgl. MüKoStVR/Geiger, 1. Aufl. 2017, BGB § 823, Rn. 105 ff. 153 OLG Hamm, Urt. v. 4.6.1998 − 6 U 200/96 = r+s 1998, 326; OLG Hamburg, Urt. v. 28.11.1997 − 14 U 34/97 = r+s 1998, 63; KG Berlin, Urt. v. 3.7.1997 − 22 U 4816/96 = VersR 1997, 1416; LG Bielefeld, Urt. v. 30.4.1997 − 1b S 161/96 = NJWE‑VHR 1997, 201; LG Bochum, Urt. v. 22.5.1996 − 6 O 225/95 = r+s 1996, 441. 154 BGH, Urt. v. 28.1.2003 − VI ZR 139/02 = NJW 2003, 1116 (1117). 155 BGH, Urt. v. 3.6.2008 − VI ZR 235/07 = NZV 2008, 502 und BGH, Urt. v. 8.7.2008 − VI ZR 274/07 = NZV 2008, 501.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Auffahrgeschwindigkeit des Unfallverursachers kein Verteidigungsmittel ist.156 Nichtsdestotrotz führt die Frage, inwieweit subjektiv empfundene HWS‑Beschwerden auf psychischen Ursachen oder auf einer psychischen Fehlverarbeitung beruhen, immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.157
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Unterschiedliche Entwicklung des Nichtvermögensschadens, aber im Wesentlichen kongruenter Entschädigungsgehalt von Schmerzensgeld und der Summe aus Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) aa) Unterschiedliche Entwicklung des Nichtvermögensschadens Schmerzensgeld für Körper- und Gesundheitsverletzungen wird in Deutschland bereits seit Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 gewährt. Dabei geht die deutsche Rechtsordnung schon immer von der Zweiteilung des Personenschadens in Vermögens- und Nichtvermögensschaden aus. Im Gegensatz dazu wurde der Nichtvermögensschaden in Italien erst durch richterliche Rechtsfortbildung ausgeweitet, mit der Folge, dass es zeitweise sogar zu einer Dreiteilung mit dem danno biologico als dritter Schadenskategorie neben dem Vermögensschaden und dem danno morale als Nichtvermögensschaden kam.
bb) Die Sphäre des Geschädigten als mittlerweile maßgeblicher Bezugspunkt für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden in beiden Rechtsordnungen Während die italienische Rechtsordnung den Nichtvermögensschaden lange Zeit mit dem danno morale gleichsetzte und seine Ersatzfähigkeit vom Vorliegen einer Straftat abhängig machte, stellte sie insofern ausschließlich auf die Sphäre des Schädigers und damit auf das Subjekt ab. Die deutsche Rechtsordnung knüpfte die Voraussetzungen des Schmerzensgeldanspruchs dagegen seit jeher an die Verletzung eng umgrenzter Schutzgüter des Geschädigten und stellte daher auf die Sphäre des Opfers als Objekt der Schädigung ab.158 Nach heutigem Verständnis umfasst der Nichtvermögensschaden im italienischen Recht als einheitliche Schadenskategorie unter anderem auch den danno biologico und ist ersatzfähig, wenn abstrakt ein Straftatbestand erfüllt ist sowie in den gesetzlich bestimmten Fällen und in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c., wenn die unerlaubte Handlung eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts zur Folge hat, wie z. B. eine Gesundheitsverletzung (Art. 32 Cost.). Durch die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung des Art. 2059 c. c. stellt die italie156 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 719; BGH, Urt. v. 28.1.2003 − VI ZR 139/02 = NJW 2003, 1116 (1117). 157 NK‑GVR/Slizyk, 2. Aufl. 2017, § 253 Rn. 103 ff. 158 Wrangel, VersR 1982, 628 (630).
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nische Rechtsordnung nun nicht mehr nur auf die Sphäre des Schädigers ab, sondern auch auf die des Geschädigten und näherte sich damit der deutschen Rechtsordnung an.
cc) Im Wesentlichen kongruenter Entschädigungsgehalt von Schmerzensgeld und der Summe aus Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) Das deutsche Schmerzensgeld hat einheitlichen Charakter. Der ideelle Schaden nach § 253 BGB umfasst sowohl die Beeinträchtigung des körperlichen Wohlgefühls, mithin den erlittenen körperlichen Schmerz, als auch das gestörte seelische Gleichgewicht, wie den erlittenen seelischen Schmerz, Kummer, Verdruss und entgangene Lebensfreude.159 Obwohl die italienische Rechtsordnung vom Nichtvermögensschaden als einheitlicher Schadenskategorie spricht, bedient sie sich dennoch beschreibender Figuren und ordnet ausschließlich subjektiv erlebtes Leid, Trauer, seelischen Schmerz und Niedergeschlagenheit aufgrund der Verletzung dem Gefühlsschaden (danno morale) zu, wohingegen die mit der Verletzung selbst verbundenen, diagnostizierbaren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen vom Gesundheitsschaden (danno biologico) umfasst sind. Die funktional rechtsvergleichende Betrachtung zeigt also, dass das Schmerzensgeld nach deutschem Verständnis auch solche Komponenten umfasst, die im italienischen Recht dem danno biologico angehören.160 Insbesondere die Rechtsprechung, wonach Schmerzensgeld auch beim weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit zugesprochen wird, sehen Busnelli161 und von Bar162 daher als eine Annäherung des deutschen Schmerzensgelds an den danno biologico. Im Ergebnis kann man daher mit Buse163 zu Recht behaupten, dass danno biologico und danno morale in ihrer Summe im Wesentlichen dem deutschen Schmerzensgeld im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB entsprechen.
3. Existenzschaden (danno esistenziale) Im Folgenden werden der italienische Existenzschaden (danno esistenziale) (a) und Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung im deutschen Recht (b) dargestellt, bevor beide Figuren rechtsvergleichend gegenübergestellt werden (c). 159 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 83 III 2a (S. 591); Buse, VersRAI 2004, 61 (63); Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1111. 160 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993) 76 (108 f.). 161 Busnelli, JbItalR 14 (2001), 17 (29). 162 v. Bar, RabelsZ 59 (1995), 203 (218). 163 Buse, VersRAI 2004, 61 (63).
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a) Der Existenzschaden (danno esistenziale) im italienischen Recht Im Folgenden wird zunächst auf die Symptomatik des Existenzschadens (danno esistenziale) (aa) eingegangen, bevor sodann sein sachlicher Anwendungsbereich (bb) und seine historische Entwicklung (cc) hin zum Bestandteil des einheitlichen Nichtvermögensschadens (dd) dargestellt werden.
aa) Symptomatik des Existenzschadens (danno esistenziale) Unter dem als danno esistenziale bezeichneten Existenzschaden versteht man alle immateriellen Nachteile, die eine Person in ihrer Persönlichkeitsentfaltung erleidet, weil sie in ihren Lebensgewohnheiten und ihren persönlichen und familiären Beziehungen beeinträchtigt ist.164 Dies äußert sich darin, dass der Geschädigte eine bestimmte, für seine Selbstentfaltung wichtige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann (non poter più fare) oder, dass er infolge der Schädigung fortan gezwungen ist, seine gewohnte Lebensführung zu ändern (dover far altrimenti).165 Im Gegensatz zum Gefühlsschaden (danno morale), der vom Geschädigten rein subjektiv empfunden wird, tritt der danno esistenziale aufgrund der veränderten Lebensführung nach außen in Erscheinung und ist damit objektivierbar.166 Im Gegensatz zum Gesundheitsschaden (danno biologico) setzt der danno esistenziale nicht stets eine Gesundheitsverletzung voraus, sondern kann auch selbständig vorliegen.167
bb) Sachlicher Anwendungsbereich Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung können nicht nur infolge von Körperverletzungen auftreten (1), sondern auch aufgrund der Verletzung eines anderen verfassungsmäßig geschützten unverletzlichen Rechts (2).
(1) Beeinträchtigungen der Selbstentfaltung infolge von Körperverletzungen Häufig treten Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung als Folge einer Körperverletzung auf. So z. B. wenn der Geschädigte bei einem fremdverschuldeten Unfall eine Hand verliert und infolgedessen eine Sportart nicht mehr ausüben kann, in seiner beruflichen Selbstentfaltung beeinträchtigt ist und das familiäre Verhältnis dadurch belastet wird.168 In diesem Fall geht der danno esistenziale seit den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 im danno 164
Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (285); Pichler, DAR 2006, 549 (553 f.). Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2008, 82 (84). Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/586. 167 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (289). 168 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2008, 82 (82 f.); Christandl, ZEuP 2011, 392 (401). 165 166
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biologico auf und wirkt sich im Rahmen der Bemessung des danno biologico erhöhend aus.
(2) Eigenständige Bedeutung des Existenzschadens (danno esistenziale) Dem danno esistenziale kann im Rahmen des Nichtvermögensschadens auch eigenständige Bedeutung zukommen, wenn der zu ersetzende immaterielle Schaden nicht Folge einer Gesundheitsverletzung ist, sondern der Verletzung eines anderen verfassungsmäßig geschützten unverletzlichen Rechts.169 Das ist z. B. der Fall bei der Tötung eines nahen Angehörigen, wodurch die Garantie auf Unversehrtheit der Familie nach Art. 2, 29, 30 Cost. verletzt wird, weil die Hinterbliebenen nicht mehr Ehegatte, Eltern oder Kind des Getöteten sein können (s. u. § 5). Weitere Anwendungsbereiche sind insbesondere Mobbing, wodurch die verfassungsmäßig geschützte Würde des Arbeitnehmers und seine freie Persönlichkeitsentfaltung am Arbeitsplatz verletzt werden.170 Auch immaterielle Schäden wegen vertaner Urlaubszeit (danno da vacanza rovinata) wurden als danno esistenziale qualifiziert171 und auf Art. 2, 36 Cost. gestützt, wonach jeder Arbeiter Anspruch auf einen wöchentlichen Ruhetag und auf einen bezahlten Jahresurlaub hat. Heute ist der Ersatz vertaner Urlaubszeit in Art. 46 Abs. 1 Codice del turismo (bzw. Art. 47 a. F.) geregelt. Ein danno esistenziale wurde ebenfalls bei nächtlicher Ruhestörung infolge von Geräusch-172 und Geruchsimmissionen173 anerkannt sowie bei rechtswidriger Freiheitsentziehung, da Art. 2, 13 Cost., Art. 5 Abs. 5 EMRK und Art. 9 Abs. 5 IPBPR die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit garantieren.174 Weitere Fälle, in denen dem danno esistenziale neben einer Körper- bzw. Gesundheitsverletzung eigenständige Bedeutung zukommen kann, sind die unerwünschte Geburt eines Kindes (a) und der Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit (b).
(a) Unerwünschte Geburt eines Kindes (danno da nascita indesiderata) Die unerwünschte Geburt eines Kindes kann das Recht der Eltern auf reproduktive Selbstbestimmung nach Art. 2 Cost. verletzen (lesione del diritto di au169 Vgl. Aufzählung bei Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/586 und Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c., VII.1. 170 Cass. S. U. 24.3.2006, n.°6572; Cass. sez. lav. 19.12.2008, n. 29832; Cass. sez. lav. 5.10.2009, n. 21223. 171 Trib. Bologna 7.6.2007, in Resp. civ. prev. 2008, 1401. 172 Cass. 19.12.2014, n. 26899; Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c., VII.4. 173 Cass. 31.3.2009, n. 7875: Zigarettenrauch durch die im Erdgeschoß liegende Bar. 174 Cass. pen. 22.1.2004, n. 2050 – Fall „Barillà“, der aufgrund eines Justizirrtums 7,5 Jahre zu Unrecht eine Freiheitsstrafe verbüßte.
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todeterminazione nella scelta procreativa oder lesione del diritto ad una procreazione cosciente e responsabile). Das ist der Fall, wenn die Eltern aufgrund unzureichender Aufklärung über die schwere Behinderung des Kindes, die bei Vorsorgeuntersuchungen feststellbar gewesen wäre, nicht frei über die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden konnten (sog. wrongful birth).175 Eine unerwünschte Geburt kann aber auch dann vorliegen, wenn es infolge der fehlerhaft durchgeführten Sterilisation der Mutter oder des Vaters zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt (sog. wrongful conception)176 oder ein Schwangerschaftsabbruch nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.177
(b) Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit (danno da perdita di chances di procreazione) Ausschließlich unter dem Aspekt des Gefühlsschadens (danno morale) ersetzt wurde dagegen der immaterielle Schaden eines Ehepaares bei Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit (danno da perdita di chances di procreazione). Im Wege der künstlichen Befruchtung sollten der Frau zwei von insgesamt drei befruchteten Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt werden. In der Nacht zuvor war es jedoch in der Klinik zu einem Stromausfall gekommen, infolgedessen diese beiden Eizellen unbrauchbar wurden. Das Gericht erkannte an, dass der Verlust der beiden Eizellen eine schwere Verletzung des in Art. 2, 29 Cost. und Art. 8 EMRK garantierten unverletzlichen Rechts auf Empfängnis eines Kindes darstellte. Unter dem Aspekt des danno morale sprach es dem Mann deshalb € 30.000,00 und der Frau € 35.000,00 zu.178 Dies wurde in der Literatur allerdings mit dem Argument kritisiert, dass auch der danno esistenziale nicht nur in Bezug auf den Unterschied zwischen dem Zustand vor und nach der unerlaubten Handlung bestimmt wird, sondern ebenfalls im Hinblick auf den Unterschied zwischen dem Istzustand und dem Zustand, der ohne die unerlaubte Handlung hätte bestehen können.179 Wenn die Embryonen sorgfältig aufbewahrt worden wären, hätten die Eltern die – selbstverständlich nicht sichere – Möglichkeit gehabt, ein Kind zu bekommen, das 175 Cass. S. U. 22.12.2015, n. 25767; Cass. 10.12.2013, n. 27528; Cass. 4.1.2010, n. 13; Cass. 11.5.2009, n. 10741; Cass. 29.7.2004, n. 14488; Cass. 10.5.2002, n. 6735; Eccher/Schurr/ Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/594. 176 Trib. Reggio Emilia 7.10.2015, abrufbar unter ; Trib. Venezia 10.9.2002, in Foro it. 2002, I, 3480; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/595. 177 Cass. 8.7.1995, n. 6464, in NGCC 1995, I, 1107; Trib. Caligari 23.2.1995, in NGCC 1995, I, 1107. 178 Trib. Milano 21.5.2013, in NGCC 2013, I, 1088. 179 Sapone, Embrioni distrutti: perché no al danno esistenziale?, abrufbar unter .
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auch ihr eigenes Leben bereichert hätte. Eine entsprechende Bewertung der Nachteile existenzieller Art fehlt in der Urteilsbegründung aber.180
cc) Historische Entwicklung vom Gesundheitsschaden (danno biologico) zum Existenzschaden (danno esistenziale) Um die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden weiter auszudehnen legte die Rechtsprechung auch den Begriff des Gesundheitsschadens (danno biologico) extensiv aus und subsumierte darunter Fälle, bei denen der Betroffene keine eigene Gesundheitsverletzung erlitten hatte (1). Diese übermäßige Ausdehnung des danno biologico regte auch die Lehre zu einer Debatte an (2), bis der Existenzschaden (danno esistenziale) erstmals in der Grundsatzentscheidung Nr. 7713 vom 7.6.2000 anerkannt wurde und seine dogmatische Grundlage – wie auch der danno biologico – zunächst als dritte Schadenskategorie in Art. 2043 c. c. i. V. m. Art. 2 ff. Cost. fand (3). Mit den Zwillingsurteilen im Jahr 2003 (s. o. § 3 II.2.a)dd)(6), S. 95) vollzog sich eine Kehrtwende von der Dreiteilung des Personenschadens zur Zweiteilung mit dem danno esistenziale als unabhängige Unterkategorie des Nichtvermögensschadens neben dem danno morale und danno biologico. Der danno esistenziale sollte nun auch bei Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Interesses nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 32 Cost. ersatzfähig sein (4). Da die neue Form des danno esistenziale für die Rechtsprechung jedoch schwer einzuordnen war, ergingen widersprüchliche Entscheidungen des Kassationshofes (5), in deren Folge die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes angerufen wurden. In den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 bestätigten die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes den Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie, der nach Art. 2059 c. c. nur ersatzfähig ist, wenn die unerlaubte Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt, in allen gesetzlich vorgesehenen Fällen und in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c., wenn die unerlaubte Handlung eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts zur Folge hat. Bloße unbedeutende immaterielle Nachteile im gewohnten Lebensvollzug sind dagegen nicht mehr ersatzfähig (6).
(1) Fortentwicklung des Gesundheitsschadens Um das restriktive Verständnis des Nichtvermögensschadens aufzubrechen entwickelten Rechtsprechung und Lehre den Gesundheitsschaden (danno biologico), dessen grundsätzliche Ersatzfähigkeit als dritte Schadenskategorie (tertium genus) durch den Verfassungsgerichtshof mit der Entscheidung Nr. 184/1986 anerkannt und auf Art. 2043 c. c. i. V. m. Art. 32 Cost gestützt wurde.181 180 181
Trib. Milano 21.5.2013, Anm. Negro, in NGCC 2013, I, 1088 (1095 f.). Corte cost. 14.7.1986, n. 184, in Foro it. 1986, I, 2053.
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In der Folgezeit wollte die Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden weiter ausdehnen und legte auch den Begriff des danno biologico extensiv aus. Unter den danno biologico wurden auch Fälle gefasst, bei denen die Betroffenen keine medizinisch feststellbare Gesundheitsverletzung erlitten hatten.182 Vielmehr rückte dabei das persönliche Wohl des Geschädigten in den Fokus. So erkannte der Kassationshof in der Grundsatzentscheidung Nr. 6607 vom 11.11.1986 die Ersatzfähigkeit des eigenen danno biologico eines Ehemannes an, der infolge der auf eine missglückte ärztliche Heilbehandlung zurückzuführenden Erkrankung der Harn- und Geschlechtsorgane seiner Ehefrau keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihr haben konnte. Der Kassationshof führte aus, dass der Umstand keinen Geschlechtsverkehr mehr mit der Ehefrau haben zu können, die Ehe beeinträchtige. Zudem stelle die Gefahr der Auflösung der Ehe einen schätzbaren Vermögensschaden dar, da aus der Ehe unter anderem auch die Pflicht zu materiellem Beistand folge. Demzufolge war keine selbst erlittene Körperverletzung nötig, um einen Anspruch geltend machen zu können.183 Ebenso wurden z. B. die Schäden naher Angehöriger eines infolge einer unerlaubten Handlung Verstorbenen, die oben beschriebenen Schäden am Beziehungsleben (danni relazionali) oder die Verletzung der Privatsphäre als danno biologico ersetzt.184
(2) Die Triester und die Pisaner Schule Die Gefahr einer übermäßigen Ausdehnung der Grenzen des danno biologico regte auch die Lehre zu einer Debatte an.185 So sprach sich die Triester Schule in den 1990er Jahren für die Ersatzfähigkeit des danno esistenziale auf Grundlage des Art. 2043 c. c. aus, mit der Begründung, dass der danno esistenziale nicht nur wie ein großes „Gefäß“ alle Arten des Nichtvermögensschadens inklusive des danno biologico umfasse, sondern vor allem für sich genommen Verfassungsrang habe und zwar unabhängig von der Natur des verletzten Interesses.186 Dementsprechend wurden die Vertreter der Triester Schule auch „esistenzialisti“ genannt. Die Pisaner Schule beharrte dagegen auf der ursprünglichen Zweiteilung in Vermögens- und Nichtvermögensschaden. Bei der Verletzung sog. unverletz182
Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (284). Cass. 11.11.1986, n. 6607, in Foro it. 1987, I, 833; Patti, FamRZ 2009, 1547 (1548 f.); von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 1 Rn. 19. 184 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (284). 185 Vitulia, JbItalR 22 (2009), 137 (138 ff.); Poletti, Enc. giur., 2007, „danno esistenziale“, S. 649 f. m. w. N. 186 Poletti, Enc. giur., 2007, „danno esistenziale“, S. 649; Cendon/Ziviz, Il risarcimento del danno esistenziale, 2003, S. 31 ff.; Ziviz, Contratto e impresa, 1994, 845 ff.; ähnlich auch die Turiner Schule um Monateri, vgl. Monateri, Danno e resp. 1999, 5 ff. 183
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licher Rechte im Sinne von Art. 2 Cost. sollten Nichtvermögensschäden nach Art. 2059 c. c. ersatzfähig sein, sodass kein Bedürfnis für einen Rückgriff auf den danno esistenziale als neue Schadensfigur bestand.187 Deshalb wurden die Vertreter der Pisaner Schule „antiesistenzialisti“ genannt.
(3) Anerkennung des Existenzschadens (danno esistenziale) durch die Grundsatzentscheidung des Kassationshofes Nr. 7713 vom 7.6.2000 In der Grundsatzentscheidung Nr. 7713 vom 7.6.2000 erkannte der Kassationshof erstmals den danno esistenziale eines Kindes gegenüber seinem Vater an, der dem Kind jahrelang keinen Unterhalt gezahlt hatte.188 Darin sah der Kassationshof eine unwiederbringliche Beeinträchtigung der Lebensqualität des Kindes. Denn ohne den Unterhalt sei es mangels finanzieller Mittel an der Ausübung vieler seiner Selbstentfaltung dienenden Aktivitäten (wie z. B. Freizeitaktivitäten, Reisen) und an einer höheren Ausbildung gehindert gewesen. Diese Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung könne auch nicht mehr nachträglich durch die Zahlung der Unterhaltsforderungen ausgeglichen werden.189 In Anlehnung an die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 184/ 1986 (s. o. § 3 II.2.a)dd)(4), S. 93) sah der Kassationshof die Grundlage für den Ersatz des danno esistenziale zunächst in Art. 2043 c. c. i. V. m. Art. 2 ff. Cost. Denn Art. 2043 c. c. umfasse in verfassungskonformer Auslegung nicht nur Vermögensschäden im engeren Sinn, sondern alle Schäden, die Aktivitäten zur Selbstverwirklichung des Menschen zumindest potenziell behindern können.190 In systematischer Hinsicht stellte der danno esistenziale somit eine Fortentwicklung des danno biologico dar und reihte sich wie dieser zunächst in die dritte Schadenskategorie (tertium genus) ein.191
(4) Die sog. „Zwillingsurteile“ des Kassationshofes Nr. 8827, 8828 vom 31.5.2003 Wie bereits unter § 3 II.2.a)dd)(6) erwähnt, sprach sich der Kassationshof mit den sog. „Zwillingsurteilen“ Nr. 8827, 8828 vom 31.5.2003 für die Rückkehr zur Zweiteilung des Personenschadens in Vermögens- und Nichtvermögensschaden aus, wobei er den Nichtvermögensschaden (Art. 2059 c. c.) als einheitliche Schadensform verstand. Im Rahmen des einheitlichen Nichtvermögensschadens sollte Ersatz für drei voneinander unabhängige Unterkategorien des 187 Poletti, Enc. giur., 2007, „danno esistenziale“, S. 649 f. m. w. N.; Busnelli, Danno e resp. 2003, S. 237 (242). 188 Cass. 7.6.2000, n. 7713, in Foro it. 2001, I, 187. 189 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (285). 190 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (287). 191 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (286).
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immateriellen Schadens gewährt werden: danno morale, danno biologico und danno esistenziale.192 Obwohl die Entscheidungen Nr. 8827 und 8828 vom 31.5.2003 zwar vom danno esistenziale handeln, verwenden sie – zur Wahrung des einheitlichen Charakters des Nichtvermögensschadens – nicht den Begriff „danno esistenziale“, sondern sprechen vielmehr von „Schäden, die aus der Verletzung von Rechten herrühren, die Verfassungsrang haben und der Person innewohnen“ (danni derivanti dalla lesione di interessi di rango costituzionale inerenti alla persona).193 Grundlage für die Ersatzfähigkeit des danno esistenziale sollte demnach nicht mehr die deliktsrechtliche Generalklausel des Art. 2043 c. c. sein. Vielmehr sollte er im Rahmen des Nichtvermögensschadens bei Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Interesses der Person nach Art. 2059 c. c. i. V. m. entsprechenden Verfassungsnormen (darunter immer Art. 2 Cost. i. V. m. den jeweiligen Grundrechten und -freiheiten der italienischen Verfassung Art. 1–47 Cost.) ersetzt werden sowie bei der Verletzung von in der EMRK oder dem IPBPR194 garantierten Rechten.195 Insoweit ging die italienische Rechtspraxis von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus. Die neue Form des danno esistenziale war für die Rechtsprechung allerdings schwer einzuordnen.
(5) Die Behandlung des Existenzschadens (danno esistenziale) in der Rechtsprechung nach 2003: Uneinigkeit zwischen der „existenzialistischen“ und der „antiexistenzialistischen“ Ansicht In der Folgezeit ergingen widersprüchliche Entscheidungen des Kassationshofes. Abhängig von ihrer Ausrichtung wurden sie als sog. „existenzialistische“ Rechtsprechung (a) oder als sog. „antiexistenzialistische“ Rechtsprechung (b) bezeichnet.
(a) Sog. „existenzialistische“ Tendenz: Exzessiver Ersatz des Existenzschadens auch bei bloßen Unannehmlichkeiten Nach dem Vorbild der Triester Schule erkannte die sog. „existenzialistische“ Tendenz in der Rechtsprechung196 den danno esistenziale als dritte, selbständige Schadensform neben dem Vermögens- und dem Nichtvermögensschaden an 192
Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272. Vitulia, JbItalR 22 (2009), 137 (143); Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (289 f.). Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder UN‑Zivilpakt oder ICCPR ist ein völkerrechtlicher Vertrag. 195 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (292). 196 Cass. sez. lav. 3.7.2001, n. 9009; Cass. 30.3.2005, n. 6732; Cass. S. U. 24.3.2006, n. 6572; Cass. 12.6.2006, n. 13546; Cass. 2.2.2007, n. 2311; Cass. 6.2.2007, n. 2546. 193 194
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens
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und wollte ihn kumulativ neben dem danno biologico und dem danno morale mittels einer gesonderten Summe ersetzen.197 Sie ging so weit, dass sogar bloße Unannehmlichkeiten, seelische Beunruhigung und Stress im Rahmen des danno esistenziale ersetzt wurden und in der Störung der subjektiven Gemütslage durch die Verletzung selbst eine Beeinträchtigung eines verfassungsmäßig geschützten Rechts (z. B. der Persönlichkeit, des Bildnisses, des Rufs, der Ehrbarkeit) lag, die als Beweis für das Vorliegen eines danno esistenziale angesehen wurden.198 Dies hatte zur Folge, dass ein danno esistenziale schon bei minimalen Beeinträchtigungen im gewohnten Lebensvollzug angenommen wurde,199 so z. B. bei vermindertem Genuss der eigenen Hochzeitsfeier infolge eines gebrochenen Absatzes am Brautschuh,200 bei einem durch unerwünschte Werbeanzeigen verstopften Briefkasten201 oder, weil es nicht möglich war die Kreditkarte beim Kauf eines Elektrogeräts zu verwenden.202 Außerdem wurde ein danno esistenziale eines Fußballfans angenommen, dessen Verein zu Unrecht in die zweite Liga versetzt wurde203 oder wegen Stress infolge von unzulässigen, verdeckten Werbeeinschüben während der Fernsehübertragung des Champions-LeagueHalbfinales zwischen Inter und Mailand.204
(b) Sog. „antiexistenzialistische“ Tendenz: Ablehnung der gesonderten Berücksichtigung des Existenzschadens Nach dem Vorbild der Pisaner Schule verstand die sog. „antiexistenzialistische“ Tendenz in der Rechtsprechung205 den Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie und lehnte eine gesonderte Berücksichtigung des danno esistenziale ab, weil der Nichtvermögensschaden andernfalls von den gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 2059 c. c. losgelöst würde.206 197 Buse, DAR 2009, 557 (557); Vismara, PHi 2010, 12 (15); Christandl, ZEuP 2011, 392 (398) Fn. 4; Cendon/Rossi, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2059, Kapitel 1.11., S. 702 f. 198 Cass. (ord.) 25.2.2008, n. 4712, in Foro it. 2008, I, 1447, der Vorlagebeschluss verweist diesbzgl. v. a. auf die Entscheidungen Cass. 9009/2001 und 7713/2000; Vismara, PHi 2010, 12 (15). 199 Für weitere Beispiele vgl. Buse, DAR 2009, 557 (557); Vitulia, JbItalR 22 (2009), 137 (144) Fn. 27. 200 Giudice di Pace Palermo 15.5.2004 – zitiert nach Buse, DAR 2009, 557 (557) Fn. 13. 201 Giudice di Pace Bari 22.12.2003, in Danno e resp. 2004, 880. 202 Giudice di Pace Catanzaro 3.12.2004, in Giud. di pace 2005, 230. 203 Giudice di Pace Napoli, 27.3.2006, in Resp. civ. prev. 2006, 1923, vgl. Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 29. 204 Cass. S. U. 29.8.2008, n. 21934, in NGCC 2008, I, 1395. 205 Cass. 15.7.2005, n. 15022; Cass. 12.7.2006, n. 15760; Cass. 9.11.2006, n. 23918, in Foro it. 2007, I, 71; Cass. 20.4.2007, n. 9510 und n. 9514; Cass. 27.6.2007, n. 14846; Cass. 8.10.2007, n. 20987. 206 Vismara, PHi 2010, 12 (15); Christandl, ZEuP 2011, 392 (398) Fn. 4; Cendon/Rossi, in:
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Die Uneinigkeit zwischen der „existenzialistischen“ und der „antiexistenzialistischen“ Ansicht führte dazu, dass zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes angerufen wurden.207
(6) Bestätigung der „antiexistenzialistischen“ Ansicht durch die sog. „San Martino“-Urteile der Vereinigten Senate des Kassationshofes vom 11.11.2008 Mit den am Martinstag des Jahres 2008 ergangenen Grundsatzurteilen Nr. 26972–26975208 beschritten die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes den mit den sog. „Zwillingsurteilen“ Nr. 8827, 8828 von 2003 eingeschlagenen Weg weiter und modifizierten einige Aspekte. So wurde nicht nur der Charakter des Nichtvermögensschadens als einheitliche Schadenskategorie (a) und als sog. Folgeschaden (b) bestätigt, sondern auch der Anwendungsbereich des Art. 2059 c. c. (c) erfuhr eine Konkretisierung. Außerdem erkannte der Kassationshof die grundsätzliche Zulässigkeit des Ersatzes immaterieller Schäden im Bereich der Vertragshafung an (d). Minimale Beeinträchtigungen im gewohnten Lebensvollzug wurden dagegen von der Ersatzfähigkeit ausgenommen (e).
(a) Der Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie In Anlehnung an die sog. „Zwillingsurteile“ von 2003 bestätigte der Kassationshof in den sog. „San Martino“-Urteilen die Zweiteilung des Personenschadens in Vermögensschaden (Art. 2043 c. c.) und Nichtvermögensschaden (Art. 2059 c. c.), wobei er der antiexistenzialistischen Ansicht folgte und den Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie ansah. Beim Gefühlsschaden (danno morale), Gesundheitsschaden (danno biologico) und Existenzschaden (danno esistenziale) handele es sich demnach nicht um rechtlich selbständige Unterkategorien des Nichtvermögensschadens, sondern lediglich um beschreibende Figuren.209 Während Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung im Fall von Körperverletzungen nun einheitlich im Rahmen des danno biologico ersetzt werden sollen, behält die Figur des danno esistenGabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2059, Kapitel 1.11., S. 702 f. 207 Cass. (ord.) 25.2.2008, n. 4712, in Foro it. 2008, I, 1447. 208 Im Fall Nr. 26972 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden eines Mannes, dem infolge einer Fehlbehandlung ein Hoden amputiert werden musste, in den Fällen Nr. 26973, 26974 handelte es sich um immaterielle Schäden infolge der Tötung eines nahen Angehörigen bei einem Verkehrsunfall und im Fall Nr. 26975 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden wegen Geräuschimmissionen. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung der Entscheidungen Nr. 26972 und 26973 enthalten Buse, DAR 2009, 588 und Christandl, ZEuP 2011, 392, vgl. auch Monateri, JbItalR 24 (2011), 19 ff. 209 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 2.13.; 3.13.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589) und Christandl, ZEuP 2011, 392 (395); Vismara, PHi 2010, 12 (15).
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens
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ziale eigenständige Bedeutung im Rahmen des einheitlichen Nichtvermögensschadens, wenn der zu ersetzende immaterielle Schaden Folge der Verletzung eines anderen verfassungsmäßig geschützten unverletzlichen Rechts ist als der Gesundheit, wie z. B. bei Mobbing.210
(b) Qualifizierung des Nichtvermögensschadens als sog. Folgeschaden Zudem bestätigten die Vereinigten Zivilsenate in den sog. „San Martino“-Urteilen, dass der Nichtvermögensschaden immer ein sog. Folgeschaden (danno conseguenza) sei. Auch wenn er auf die Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts zurückzuführen sei, müsse er stets gesondert dargelegt und bewiesen werden. Die Lehre des sog. Erfolgsschadens (danno evento), wonach der Schaden mit der Rechtsverletzung zusammenfalle und die Verletzung re ipsa Beweis für den Schaden sei, lehnten die Vereinigten Zivilsenate – wie auch schon zuvor der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung Nr. 372/1994211 und der Kassationshof in den sog. „Zwillingsurteilen“ Nr. 8827, 8828 aus 2003 – ab.212 In der Vergangenheit hatte die Lehre des sog. Erfolgsschadens ausschließlich der dogmatischen Einordnung des Gesundheitsschadens (danno biologico) als dritte Schadenskategorie (tertium genus) zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden gedient (s. o. § 3 II.2.a)dd) (6), S. 95).213 Da der Existenzschaden (danno esistenziale) in systematischer Hinsicht eine Fortentwicklung des danno biologico darstellte, hatte auch er sich zunächst in die dritte Schadenskategorie eingereiht.214 Nachdem nun auch der danno esistenziale dem einheitlichen Nichtvermögensschaden im Sinne von Art. 2059 c. c. zuzuordnen ist, bedarf es der Lehre des sog. Erfolgsschadens nicht mehr. Vielmehr muss der Anspruchsteller seinen Nichtvermögensschaden stets gesondert darlegen und beweisen.
(c) Schutzgüter des Art. 2059 c. c. Sofern die Voraussetzungen des Art. 2043 c. c. als Haftungsnorm vorliegen, ist der Nichtvermögensschaden nach Art. 2059 c. c. nur in den gesetzlich bestimmten Fällen zu erstatten. Das ist zum einen der Fall, wenn die unerlaubte Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt (Art. 185 Abs. 2 c. p.) und zum anderen, wenn eine gesetzliche Vorschrift215 den Ersatz des Nichtver210 Christandl, ZEuP 2011, 392 (401). 211 Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro
it. 1994, I, 3297. Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.10; vgl. Christandl, ZEuP 2011, 392 (396); Vismara, PHi 2010, 12 (15); Vitulia, JbItalR 22 (2009), 137 (145). 213 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, S. 340 (Fn. 934). 214 Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (286). 215 Zu den weiteren gesetzlichen Fällen oben § 3 Fn. 7. 212
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mögensschadens auch unabhängig vom Vorliegen einer Straftat ausdrücklich gestattet.216 Darüber hinaus gebietet eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 2059 c. c. einen Ersatz von Schäden nichtvermögenswerter Art auch dann, wenn die unerlaubte Handlung die schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts (diritti inviolabili) des Geschädigten zur Folge hat.217 Der durch die Verletzung eines solchen verfassungsmäßig garantierten Rechts verursachte Schaden ist unabhängig von einer gesetzlichen Anordnung zu ersetzen. Solche verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechte sind z. B. das Recht auf Unverletzlichkeit von Körper und Gesundheit (Art. 32 Abs. 1 Cost.218), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Cost.219 i. V. m. Art. 3 Cost.), das Recht auf Ehe und Familie (Art. 2 Cost i. V. m. Art. 29220 und 30221 Cost.), das Recht auf Ehre, das Recht am eigenen Bild, das Namensrecht, das Recht auf Privatsphäre oder das Recht auf persönliche Freiheit.222
(d) Ausdehnung des Ersatzes von Nichtvermögensschäden auf die Vertragshafung Zudem dehnte der Kassationshof die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden auf die vertragliche Haftung aus.223 Demnach ist der Nichtvermögensschaden in den gesetzlich vorgesehenen Fällen sowie bei der schweren Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts auch dann zu ersetzen, wenn er durch eine Vertragsverletzung verursacht wurde. Dabei ist der Anlass (causa) für das konkrete Geschäft maßgebend für die Bestimmung der in den Vertragsbereich fallenden ideellen Interessen. Letztere sind nach dem Kassationshof als Synthese der tatsächlichen Interessen zu verstehen, auf deren Erreichung der Vertrag gerichtet ist.224 Außerdem enthalten 216
Christandl, ZEuP 2011, 392. Christandl, ZEuP 2011, 392. 218 Deutsche Übersetzung der ital. Verfassung abrufbar unter . „Art. 32. (1) Die Republik hütet die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen und als Interesse der Gemeinschaft und gewährleistet den Bedürftigen kostenlose Behandlung.“ 219 „Art. 2. Die Republik anerkennt und gewährleistet die unverletzlichen Rechte des Menschen, sei es als Einzelperson, sei es innerhalb der gesellschaftlichen Gebilde, in denen sich seine Persönlichkeit entfaltet, und sie fordert die Erfüllung der unabdingbaren Pflichten politischer, wirtschaftlicher und sozialer Solidarität.“ 220 „Art. 29. (1) Die Republik anerkennt die Rechte der Familie als einer natürlichen, auf die Ehe gegründeten Gemeinschaft.“ 221 „Art. 30. (1) Es ist Pflicht und Recht der Eltern, die Kinder, auch die außerhalb der Ehe geborenen, zu erhalten, auszubilden und zu erziehen.“ 222 Buse, DAR 2009, 557 (558); Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, S. 378, Fn. 1140. 223 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4 ff.; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589); Christandl, ZEuP 2011, 392 (395). 224 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.2; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). 217
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die sog. „San Martino“-Urteile eine nicht abschließende Aufzählung bestimmter Vertragsarten, bei deren Verletzung die gleichzeitige Verletzung verfassungsrechtlich geschützter, unverletzlicher Rechte wahrscheinlich ist. Hierzu zählen insbesondere sog. Verträge mit Schutzpflichten, wie z. B. im medizinischen Bereich.225 Die Interessen, die die Grundlage dieser Verträge bilden, gehören der Gesundheitssphäre im weiteren Sinne an, sodass die Schlechterfüllung des Schuldners geeignet ist, absolut geschützte Persönlichkeitsrechte zu verletzen und Nachteile nichtvermögenswerter Art auszulösen. Dies betrifft nicht nur das Recht des Patienten auf Unverletzlichkeit seines Körpers und seiner Gesundheit (Art. 32 Abs. 1 Cost.226), sondern auch Rechte Dritter, auf die sich die Schutzwirkung des Vertrages erstreckt. Konnten die Eltern im oben beschriebenen Fall der unerwünschten Geburt (s. o. § 3 II.3.a)bb)(2)(a), S. 103) aufgrund der schuldhaft nicht erkannten Fehlbildungen des Fötus nicht frei über die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden, sind neben der Schwangeren auch der nasciturus und der Vater in unverletzlichen Rechten betroffen, wie z. B. dem Recht auf Gesundheit (Art. 32 Abs. 1 Cost.), dem Recht auf Selbstbestimmung (Art. 32 Abs. 2227 und Art. 13228 Cost.) und dem Recht auf Familie (Art. 2, 29 und 30 Cost.). Auch bei zwischen Schülern und dem Schulträger bestehenden Verträgen sowie bei Beförderungsverträgen gehört der Schutz der körperlichen Unversehrtheit zu den Pflichten des Vertragspartners.229 Für Arbeitsverträge erhebt Art. 2087 c. c.230 derartige Interessen bereits zum Vertragsbestandteil und indiziert somit, dass der Vertrag auch der Realisierung ideeller, absolut geschützter Interessen wie der körperlichen Unversehrtheit und der Bewahrung der Würde des Arbeitnehmers (Art. 2, 4231, 32 Cost.) dient.232 Den Umfang der vertraglichen Schadensersatzhaftung regeln gesetzliche Bestimmungen des Schadensrechts, wie Art. 1218 c. c.233 und Art. 1223 c. c.234, 225
Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.3; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). (1) Die Republik hütet die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen und als Interesse der Gemeinschaft und gewährleistet den Bedürftigen kostenlose Behandlung.“ 227 „Art. 32. (2) Niemand kann zu einer bestimmten Heilbehandlung verhalten werden, außer durch eine gesetzliche Verfügung. Das Gesetz darf in keinem Fall die durch die Würde der menschlichen Person gezogenen Grenzen verletzen.“ 228 „Art. 13. (1) Die persönliche Freiheit ist unverletzlich.“ 229 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.4 und 4.6; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). 230 „Art. 2087. Schutz der Arbeitsbedingungen. Der Unternehmer ist verpflichtet, beim Betrieb des Unternehmens die Maßnahmen zu treffen, die nach der besonderen Art der Arbeit, nach der Erfahrung und dem Stand der Technik zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der geistigen Persönlichkeit der Arbeitnehmer notwendig sind.“ 231 „Art. 4. (1) Die Republik erkennt allen Staatsbürgern das Recht auf Arbeit zu und fördert die Bedingungen, durch die diesesRecht verwirklicht werden kann.“ 232 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.5; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). 233 „Art. 1218. Haftung des Schuldners. Der Schuldner, der die geschuldete Leistung nicht gehörig erbringt, ist zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er nicht beweist, dass die Nicht226 „Art. 32.
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die verfassungskonform auszulegen sind, sodass der Schuldner auch für den Nichtvermögensschaden aufzukommen hat. Mit Ausnahme von Fällen vorsätzlicher Pflichtverletzungen unterliegt der Schadensersatz zudem den in Art. 1225 c. c.235 festgelegten Grenzen, wobei die Entschädigung auf den im Zeitpunkt der Entstehung der Verpflichtung vorhersehbaren Schaden begrenzt ist.236
(e) Beschränkung des Ersatzes immaterieller Schäden auf schwere Verletzungen eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts Mit der Voraussetzung einer schweren Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts nahm der Kassationshof – in Abkehr von der existenzialistischen Ansicht – eine Einschränkung vor. Bloße unbedeutende immaterielle Nachteile im gewohnten Lebensvollzug, wie z. B. leichte Unannehmlichkeiten oder die Verletzung eines eingebildeten Rechts, wie das Recht auf Lebensqualität oder auf ein glückliches Leben, sollen demnach keinen ersatzfähigen Nichtvermögensschaden darstellen.237 Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung folgte z. B. das Landgericht Modena. Im Streitfall hatte das Festessen bei der Hochzeitsgesellschaft eine Lebensmittelvergiftung verursacht. Das Gericht lehnte einen Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens wegen der ruinierten Hochzeitsfeier ab, da diese sich weder unter die gesetzlich vorgesehenen Fälle subsumieren ließ noch eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts darstellte.238 Gegensätzlich hatte das Landgericht Paola239 entschieden. Es sprach jedem Ehegatten im Fall einer durch das Hochzeitsessen verursachten Lebensmittelvergiftung der Hochzeitsgesellschaft einen Nichtvermögensschaden in Höhe von jeweils € 5.000,00 zu. Dieser setzte sich zusammen aus einem Gefühlsschaden (danno morale) in Höhe von € 2.000,00 für die Wut und Trauer des Brautpaares ab dem Moment, als es erkannte, dass die Hochzeitsfeier nun endgültig ruiniert war, sowie einem Existenzschaden (danno esistenziale) in Höhe von erfüllung oder die Verspätung durch Unmöglichkeit der Leistung verursacht worden ist, die auf einen von ihm nicht zu vertretenden Grund zurückgeht.“ 234 „Art. 1223. Schadenersatz. Der Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder wegen Verspätung muss sowohl den vom Gläubiger erlittenen Verlust wie auch den entgangenen Gewinn umfassen, soweit diese deren unmittelbare und direkte Folge sind.“ 235 „Art. 1225. Voraussehbarkeit des Schadens. Beruht die Nichterfüllung oder die Verspätung nicht auf Vorsatz des Schuldners, so wird der Ersatz auf den Schaden beschränkt, der im Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeit vorausgesehen werden konnte.“ 236 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 4.7; vgl. Buse, DAR 2009, 588 (589). 237 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 Rn. 3.9; vgl. Christandl, ZEuP 2011, 392 (395). 238 Trib. Modena 19.6.2012, n. 964, abrufbar unter . 239 Trib. Paola 15.2.2018, abrufbar unter .
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€ 3.000,00 aufgrund des schlechten Eindrucks, den das Paar bei seinen Gästen wegen der misslungenen Feier hinterlassen hatte. Das Landgericht Rom240 sprach dem Brautpaar im Fall eines Hochzeitsessens in zu geringer Menge einen Nichtvermögensschaden in Höhe von jeweils € 10.000,00 zu. Zur Begründung verwies es auf die sog. „San Martino“Urteile, wonach der Schutz nicht auf die zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Verfassung ausdrücklich anerkannten, unverletzlichen Persönlichkeitsrechte beschränkt sei. In Anpassung an sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse können vielmehr neue unverletzliche Rechte jederzeit über Art. 2 Cost. aus dem gesamten Verfassungssystem abgeleitet werden,241 so z. B. auch die Bedeutung der Trauung als Ganzes, einschließlich der anschließenden Feierlichkeiten. In der Entscheidung Nr. 13370 vom 29.5.2018 bestätigte der Kassationshof242 dagegen, dass ein Hochzeitsfotograf keinen Ersatz für verlorene Hochzeitsfotos schulde, weil es sich beim Recht auf die Erinnerung an den Hochzeitstag nicht um ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht handele.
dd) Zwischenergebnis: Der Existenzschaden (danno esistenziale) als Bestandteil des einheitlichen Nichtvermögensschadens Nach heutigem Verständnis ist der Existenzschaden (danno esistenziale) integraler Bestandteil des einheitlichen Nichtvermögensschadens im Sinne von Art. 2059 c. c. und stellt keine eigenständige Unterkategorie dar. Als solcher wird der danno esistenziale im Rahmen des Nichtvermögensschadens in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c. bei einer schweren Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts (diritti inviolabili) ersetzt. Insoweit geht die italienische Rechtspraxis von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus. Minimale Beeinträchtigungen im gewohnten Lebensvollzug sind dagegen nicht mehr ersatzfähig, selbst wenn es sich um die Verletzung von verfassungsmäßig geschützten Rechten handelt.243 Der Nichtvermögensschaden, der auch den danno esistenziale umfasst, wird nach Art. 1226 c. c. nach billigem Ermessen bemessen,244 vor allem wenn er unabhängig von einer Gesundheitsverletzung auftritt, wie z. B. bei Mobbing.245 Ist die Beeinträchtigung der Selbstentfaltungsmöglichkeit dagegen Folge einer 240 Trib. Roma 13.7.2009, abrufbar unter . 241 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972–26975, Rn. 2.14.; deutschsprachige Übersetzung bei Christandl, ZEuP 2011, 392 (394) und Buse, DAR 2009, 588 (589). 242 Cass. 29.5.2018 n°13370, abrufbar unter . 243 Christandl, ZEuP 2011, 392 (400 f.); Vismara, PHi 2010, 12 (15). 244 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/585. 245 Christandl, ZEuP 2011, 392 (401).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Körperverletzung, so geht der danno esistenziale im Gesundheitsschaden (danno biologico) auf (s. u. § 3 III.1.b), S. 127).246
b) Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung im deutschen Recht Immaterielle Schäden aufgrund der Beeinträchtigung der Selbstentfaltung werden im deutschen Recht als Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG entschädigt (aa). Sind solche Beeinträchtigungen Folge einer Körperverletzung im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB, wie z. B. die verletzungsbedingt erzwungene Aufgabe eines Hobbys oder Berufs, werden sie erhöhend im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt (bb).
aa) Entschädigung für die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dient der Achtung der Menschenwürde und Entfaltung der individuellen Persönlichkeit. § 253 Abs. 2 BGB nennt die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht. Vielmehr ist es als sog. Rahmenrecht dogmatisch den „sonstigen Rechten“ des § 823 Abs. 1 BGB zuzuordnen (1). Dabei lassen sich im Rahmen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verschiedene Schutzbereiche unterscheiden (2), wobei im Bereich der Familienplanung besondere Grenzfälle zwischen Körperverletzung und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht existieren (3).
(1) Entwicklung und dogmatische Grundlage des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 1908 erachtete das Reichsgericht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht noch als mit dem bürgerlichen Recht unvereinbar.247 Unter Geltung des Grundgesetzes erkannte der BGH das Allgemeine Persönlichkeitsrecht erstmals in der Schachtbrief-Entscheidung als „sonstiges Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB an.248 Zunächst stützte der BGH den Anspruch auf Geldentschädigung für Persönlichkeitsverletzungen in der Herrenreiter-Entscheidung249 dogmatisch auf eine Analogie zu § 847 BGB a. F. Später leitete er den Anspruch unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG her.250 Im Soraya-Beschluss erklärte 246 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/583; Buse, DAR 2009, 557 (559). 247 RG, Urt. v. 7.11.1908 – I 638/07 – juris = RGZ 69, 401 (403). 248 BGH, Urt. v. 25.5.1954 – I ZR 211/53 = NJW 1954, 1404. 249 BGH, Urt. v. 14.2.1958 – I ZR 151/56 = NJW 1958, 827. 250 BGH, Urt. v. 19.9.1961 – VI ZR 259/60 = NJW 1961, 2059; BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = NJW 1995, 861 (Caroline von Monaco I); BGH, Urt. v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94 = NJW 1996, 984 (Caroline von Monaco II).
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens
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das BVerfG diese methodisch umstrittene Rechtsfortbildung für verfassungskonform.251 Obwohl die Problematik der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen zum Zeitpunkt des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften im Jahr 2002 bekannt war, wurde das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht in § 253 Abs. 2 BGB aufgenommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers steht das zwar „auch künftig einer Geldentschädigung bei nach § 823 BGB erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht entgegen“,252 das verdeutlicht aber, dass § 253 Abs. 2 BGB weder unmittelbar noch analog auf Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzuwenden ist. Da § 253 Abs. 1 BGB den Ersatz immaterieller Schäden jedoch „nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen“ gestattet und es sich bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenfalls um den Ersatz von Nichtvermögensschäden handelt, wäre es vorzugswürdig gewesen, wenn der Gesetzgeber auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in § 253 Abs. 2 BGB aufgenommen hätte.253
(2) Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Im Rahmen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts lassen sich folgende Schutzbereiche unterscheiden:254 Schutz vor der Herstellung und Verbreitung von Bildnissen; Schutz der Person vor Entstellungen ihrer Identität; Schutz vor dem Eindringen in den persönlichen Bereich und dessen Ausforschung; Schutz vor Verarbeitung personenbezogener Daten; Schutz der Person vor unbefugter wirtschaftlicher Nutzung ihrer Persönlichkeit und Schutz vor Angriffen auf ihre Ehre und persönliche Integrität. Unter den letzten Schutzbereich fällt unter anderem auch Mobbing im Arbeitsleben, mithin Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit das Persönlichkeitsrecht oder gar die Gesundheit des Betroffenen verletzen.255 Wird das Allgemeine Persönlichkeitsrecht z. B. durch Mobbing verletzt, werden an die Gewährung einer Geldentschädigung aber hohe Anforderungen gestellt. Voraussetzung ist, dass zum einen eine schwerwiegende Verletzung vorliegt und zum anderen die Beeinträchtigungen nach der Art der Verletzung nicht auf andere Weise hinreichend ausgeglichen werden können.256 Führt das Mobbing zu einer psychischen Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, so kommt ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB in Betracht. 251
BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 = NJW 1973, 1221. BT‑Drs 14/7752, S. 24. Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (45). 254 MüKoBGB/Rixecker, 8. Aufl. 2018, BGB Anh. zu § 12 Rn. 60 ff. 255 MüKoBGB/Rixecker, 8. Aufl. 2018, BGB Anh. zu § 12 Rn. 104 f. 256 BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06 = NZA 2007, 1154; BAG, Urt. v. 24.9.2009 – 8 AZR 636/08 = NJW 2010, 554. 252 253
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(3) Besondere Grenzfälle im Bereich der Familienplanung Auf der Grenze zwischen Körperverletzung und Eingriff in das „Recht auf Familienplanung“ als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehen die Fälle der ungewollten Schwangerschaft (a) und des Verlusts der Fortpflanzungsmöglichkeit (b).
(a) Ungewollte Schwangerschaft als Körperverletzung Kommt es infolge der fehlgeschlagenen Sterilisation zu einer ungewollten Schwangerschaft, so nimmt die Rechtsprechung eine Körperverletzung der Mutter im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB an, die dann einen Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB hat.257 Das gilt auch, wenn die Frau aufgrund der fehlgeschlagenen Sterilisation des Mannes schwanger wird.258 Kein „Recht auf Familienplanung“ nimmt die Rechtsprechung dagegen an, wenn der Arzt der Schwangeren aufgrund unterlassener Aufklärung über eine schwere Behinderung des Kindes die Möglichkeit nimmt, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden.259 Allerdings gewährt der BGH der Mutter in diesem Fall ein Schmerzensgeld wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, wenn es aufgrund der Behinderung des Kindes während der Schwangerschaft und Geburt zu größeren Komplikationen kommt, weil z. B. ein Kaiserschnitt erforderlich ist.260
(b) Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit als Körperverletzung Auch in Deutschland birgt die moderne Medizin das Risiko von Beeinträchtigungen wesentlicher Interessen der Persönlichkeitsentfaltung. Dem begegnete die Rechtsprechung allerdings durch extensive Auslegung des Merkmals der Körperverletzung in §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Nach Ansicht des BGH stellt die Vernichtung von Sperma, das der Spender aufgrund seiner vorhersehbaren Unfruchtbarkeit einfrieren ließ, um sich die Möglichkeit eigener Nachkommen zu erhalten, eine Körperverletzung dar. Aufgrund der Belastung des Geschädigten, weil er seine einzige Chance verloren hat, mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Kind zu zeugen, hielt der BGH ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 DM für angemessen. Insofern geht der BGH in diesem Fall von einem zu weiten Begriff der Körperverletzung aus und nimmt an, dass das Sperma und der Körper eine funktionale Einheit bilden.261 Da seine 257 BGH, Urt. v. 8.7.2008 – VI ZR 259/06 = NJW 2008, 2846; BGH, Urt. v. 18.3.1980 – VI ZR 247/78 = NJW 1980, 1452. 258 BGH, Urt. v. 27.6.1995 – VI ZR 32/94 = NJW 1995, 2407. 259 OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.7.1990 – 8 U 128/89 = VersR 1992, 493; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.6.1992 – 3 U 121/91 = VersR 1993, 356. 260 BGH, Urt. v. 18.1.1983 – VI ZR 114/81 = NJW 1983, 1371. 261 BGH, Urt. v. 9.11.1993 – VI ZR 62/93 = NJW 1994, 127.
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Ansicht zu einem unterschiedlichen Verständnis der Körperverletzung im Strafund Zivilrecht führt, sieht die Literatur in der Beeinträchtigung des Interesses an bewusster und planvoller Fortpflanzung richtigerweise eine Verletzung des Rechts auf Familienplanung als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.262
bb) Berücksichtigung von Beeinträchtigungen der Selbstentfaltungsmöglichkeit infolge von Körperverletzungen Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit führen in der deutschen Rechtsordnung weder zu Schadensersatz- noch Schmerzensgeldansprüchen.263 Sind Beeinträchtigungen der Selbstentfaltungsmöglichkeit dagegen Folge einer Körperverletzung im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB oder § 11 S. 2 StVG, berücksichtigt die deutsche Rechtspraxis diesen Umstand erhöhend im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung:264 So insbesondere, wenn die Körperverletzung einen Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel erforderlich macht (1), die Sportausübung beeinträchtigt (2) oder negative Auswirkungen auf das Sexualleben hat (3). Dagegen werden entgangene Hochzeitsfeierfreuden ohne eigene Körperoder Gesundheitsverletzung des Brautpaares nicht entschädigt (4).
(1) Verletzungsbedingt erzwungener Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel Obwohl die verletzungsbedingte Aufgabe des Berufs auf den ersten Blick einen finanziellen Verlust darstellt, gibt es auch Fälle in denen der Geschädigte dadurch eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung verliert. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, berücksichtigt die Rechtsprechung den verletzungsbedingt erzwungenen Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel sowie die Änderung eines festen Berufswunsches erhöhend bei der Schmerzensgeldbemessung. So sprach das OLG Frankfurt a. M. einem 20-jährigen Koch, der bei einem Verkehrsunfall einen Trümmerbruch der Nase erlitten hatte und infolgedessen seinen Geruchssinn verloren hatte und seinen Beruf aufgeben musste, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 DM zu. Dabei berücksichtigte das Gericht nicht nur den zurückbleibenden Dauerschaden, sondern auch die negativen Auswirkungen auf seine Karriere, die einen Berufswechsel erzwungenen hatte.265
(2) Beeinträchtigungen bei der Sportausübung Beeinträchtigungen, die sich auf die Sportausübung auswirken, werden ebenfalls als Bemessungskriterium berücksichtigt und zwar sowohl, wenn der Sport 262 Taupitz, NJW 1995, 745 (748 ff.); MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 823 Rn. 169; Staudinger/Hager, 2017, § 823 Rn. B 19. 263 Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 823 Rn. 6. 264 Christandl, ZEuP 2011, 392 (402). 265 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.2.1986 – 8 U 87/85 = VersR 1987, 1140 (1141).
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professionell ausgeübt wurde, als auch im Rahmen der Freizeitgestaltung.266 Denn die Unfähigkeit Sport zu treiben wirkt sich nicht nur negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit aus, sondern auch auf soziale Kontakte.267 So entschied das OLG Köln,268 dass für die Schmerzensgeldbemessung bei jungen Menschen erhebliche Beeinträchtigungen bei der Ausübung gängiger Sportarten auch dann zu berücksichtigen seien, wenn der Geschädigte bisher keinen Sport ausgeübt hat. In dem zugrundeliegenden Fall hatte ein 22-jähriger Mann bei einem Verkehrsunfall einen Trümmerbruch des Oberschenkels erlitten, wodurch eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 % verblieb und er künftig keine Laufsportarten mehr ausüben konnte. Das Gericht sprach ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 DM zu und berücksichtigte, dass viele Menschen sich oft erst in späteren Lebensjahren entscheiden würden, zur Erhaltung der Gesundheit oder zu Zwecken der Geselligkeit einen Sport auszuüben.
(3) Negative Auswirkungen auf das Sexualleben Haben Körper- oder Gesundheitsverletzungen negative Auswirkungen auf das Sexualleben des Geschädigten, so berücksichtigt die deutsche Rechtspraxis auch solche Folgen erhöhend bei der Schmerzensgeldbemessung. In einem Fall, den das OLG Schleswig-Holstein269 zu entscheiden hatte erlitt eine 28-jährige Mutter und Ehefrau infolge eines von ihrem Ehemann verschuldeten Verkehrsunfalls eine Querschnittslähmung. Fortan hatte sie Blasen- und Darmbeeinträchtigungen, die ein sexuelles Eheleben unmöglich machten und auch zu einer Veränderung ihrer Persönlichkeitsstruktur führten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sprach ihr das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 280.000,00 DM zu. In einem vergleichbaren Fall, bei dem ein 22-Jähriger nach einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmt war und aufgrund seiner damit einhergehenden Impotenz keine eigene Familie mehr gründen konnte, sprach das OLG Frankfurt am Main270 200.000,00 DM Schmerzensgeld sowie eine monatliche Rente von 400,00 DM zu. Im Gegensatz zum italienischen Recht (s. o. § 3 II.3.a)cc)(1), S. 105 f.)271 erkennt die deutsche Rechtspraxis allerdings keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch der Ehefrau an, deren Ehemann aufgrund eines Behandlungsfehlers impotent wurde.272 Nach Ansicht der deutschen Rechtsprechung ist sie weder 266 MüKoBGB/Oetker, BGB, 8. Aufl. 2018, BGB § 253 Rn. 41 m. w. N. 267 Christandl, Una panoramica sul „danno esistenziale“ in Germania, 2004,
S. 14. OLG Köln, Urt. v. 20.5.1992 – 2 U 191/91 = VersR 1992, 975. OLG Schleswig, Urt. v. 9.1.1991 – 9 U 40/89 = VersR 1992, 462. 270 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21.3.1990 – 7 U 126/88 = VersR 1990, 1287. 271 Cass. 11.11.1986, n. 6607, in Foro it. 1987, I, 833; Patti, FamRZ 2009, 1547 (1548 f.). 272 OLG Köln, Beschl. v. 22.12.2015 – 5 U 135/15 = VersR 2016, 796; LG Frankenthal, Urt. v. 19.12.1996 – 8 O 105/96 = MedR 1998, 130. 268 269
II. Erscheinungsformen des Nichtvermögensschadens
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nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in den Behandlungsvertrag ihres Ehemannes einbezogen noch folgt ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Zum einen fehle es bereits an einer Rechtsgutsverletzung der Ehefrau, weil die faktische Beschränkung des ehelichen Geschlechtsverkehrs infolge der Erkrankung des Ehemannes weder eine Verletzung des Körpers der Frau darstelle noch eine Einschränkung ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Zum anderen fehle auch der Zurechnungszusammenhang, weil ihre Beeinträchtigung als lediglich mittelbar Verletzte dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen sei.273 Darin wird die Bedeutung des in Deutschland geltenden Tatbestandsprinzips deutlich, wonach ein Schmerzensgeldanspruch zwingend die eigene Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Rechtsgüter voraussetzt.
(4) Kein Schmerzensgeld für entgangene Hochzeitsfeierfreuden Trotz der Neukonzeption des Schmerzensgeldes infolge der Reform des Schadensrechts im Jahr 2002 (s. o. § 3 I. 2.c), S. 74) kommt der Haftung für immaterielle Schäden im Rahmen von Vertragsverletzungen nur geringe praktische Bedeutung zu. So erkennt die deutsche Rechtspraxis nur dann einen Schmerzensgeldanspruch für entgangene Hochzeitsfeierfreuden an, sofern das Brautpaar eine eigene Körper- oder Gesundheitsverletzung erlitten hat. Zudem beschränkt die Rechtsprechung die vertragliche Haftung für immaterielle Schäden nach dem Schutzzweck der verletzten vertraglichen Leistungspflicht und steht somit im Spannungsverhältnis zur Schutzpflichtenlehre im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB (s. o. § 3 I. 2.c), S. 74).274 Insbesondere lehnte das OLG Brandenburg275 einen solchen Anspruch in einem Fall ab, in dem mehrere Raketen des Hochzeitsfeuerwerks in die Hochzeitsgesellschaft geflogen waren und die Hochzeitsfeier infolgedessen abgebrochen werden musste. Denn das Brautpaar selbst war nicht verletzt worden und psychische Beeinträchtigungen von einiger Dauer lagen nicht vor. Das Gericht sah im Abbruch der Hochzeitsfeier auch weder eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, der ohnehin nicht zu Schmerzensgeldansprüchen führen kann.276 Wurden die Brautleute dagegen bei einem Verkehrsunfall mit der Hochzeitskutsche selbst verletzt, ist die für das Brautpaar sinnlos gewordene Hochzeitsfeier unter ideellen Aspekten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.277 273
OLG Köln, Beschl. v. 22.12.2015 – 5 U 135/15 = VersR 2016, 796. BGH, Urt. v. 9.7.2009 – IX ZR 88/08 – juris (Rn. 12); kritisch Gsell, ZJS 2011, 389 ff. 275 OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.3.2004 – 7 U 8/04 = NJW‑RR 2005, 253. 276 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (38). 277 LG Görlitz, Urt. v. 25.10.2000 – 4 O 116/00 = Schaden-Praxis 2001, 376. 274
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Diese Rechtspraxis ist im Hinblick auf die unterschiedliche rechtliche Behandlung der enttäuschten Erwartung der Brautleute, mit der Familie und Freunden ein schönes Fest zu feiern, nicht widerspruchsfrei. Sie zeigt zudem deutlich auf, dass immaterielle vertragliche Erfüllungsinteressen ohne nachvollziehbaren Grund von der deutschen Rechtsordnung weniger geschützt werden als materielle Leistungsinteressen.278
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Große dogmatische Gemeinsamkeiten zwischen dem Existenzschaden und der Entschädigung bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach deutschem Recht aa) Jeweils dogmatische Herleitung unter Bezugnahme auf verletzte Verfassungsnormen In systematischer Hinsicht stellt der Existenzschaden (danno esistenziale) eine Fortentwicklung des Gesundheitsschadens (danno biologico) dar. Seit den sog. „San Martino“-Urteilen aus dem Jahr 2008 ist auch der danno esistenziale integraler Bestandteil des einheitlichen Nichtvermögensschadens. Als solcher wird er in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c. bei einer schweren Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts (diritti inviolabili) nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 2 Cost. (und gegebenenfalls weiterer verletzter Verfassungsnormen) ersetzt. In dogmatischer Hinsicht weist der danno esistenziale daher große Gemeinsamkeiten mit dem Ersatz des ideellen Schadens bei schwerwiegenden Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf, das im deutschen Recht aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird.279 Im Gegensatz zu Art. 2059 c. c. ist § 253 Abs. 2 BGB aber weder unmittelbar noch analog auf Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts anwendbar. Demzufolge wird begrifflich in Deutschland bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch kein Schmerzensgeld gewährt, sondern eine Geldentschädigung. Sowohl der Ersatz des danno esistenziale als auch die Geldentschädigung für immaterielle Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch z. B. Mobbing setzen eine schwerwiegende Verletzung voraus. Minimale Beeinträchtigungen sind in beiden Ländern nicht ersatzfähig.
bb) Ausschließliche Berücksichtigung von Beeinträchtigungen der Selbstentfaltung infolge einer eigenen Körperverletzung im deutschen Recht Die Erscheinungsformen, bei denen es zu Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung kommen kann, sind in Deutschland genauso vielfältig wie in 278 279
Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (38, 41); Wagner, 66. DJT‑Gutachten, Band I, S. A 49 ff. Buse, VersRAI 2004, 61 (63).
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Italien. Dabei differenzieren beide Rechtsordnungen danach, ob die Beeinträchtigung der Selbstentfaltung Folge einer eigenen Körperverletzung des Geschädigten ist oder eine andere Ursache hat, wie z. B. bei Mobbing. Während die italienische Rechtsordnung im Bereich der Familienplanung anerkennt, dass mit der unerwünschten Geburt eines Kindes oder dem Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit primär eine Beeinträchtigung der Selbstentfaltung verbunden ist, gewährt der BGH in diesen Fällen ausschließlich nach § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung. Diese übermäßige Ausdehnung des Begriffs der Körperverletzung ist jedoch angesichts der Einheit der Rechtsordnung nicht widerspruchsfrei. Ohne eine eigene Körperverletzung sind im deutschen Recht z. B. entgangene Hochzeitsfeierfreuden oder negative Auswirkungen auf das Sexualleben ebenfalls nicht ersatzfähig, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 2059 c. c. kennt dagegen keinen begrenzten Katalog von Schutzgütern. Im Gegensatz zum deutschen Tatbestandsprinzip muss der Anspruchsteller in Italien die Gesundheitsverletzung nicht einmal selbst erlitten haben. So erkennt die italienische Rechtspraxis einen eigenen Schmerzensgeldanspruch der Ehefrau an, deren Ehemann aufgrund eines Behandlungsfehlers impotent wurde oder einen Anspruch von Hinterbliebenen beim Tod oder der Verletzung eines nahen Angehörigen (s. u. § 5). Ist die Beeinträchtigung der Selbstentfaltungsmöglichkeit dagegen Folge einer eigenen Körperverletzung, so geht der danno esistenziale im danno biologico auf. Sowohl im deutschen Recht als auch im italienischen Recht wirken sich Beeinträchtigungen der Selbstentfaltung in diesem Fall anspruchserhöhend im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung bzw. der Bemessung des danno biologico aus, so z. B. wenn der Geschädigte aufgrund der Verletzung seinen Beruf oder sein Hobby aufgeben muss.
cc) Geringerer Schutz immaterieller vertraglicher Erfüllungsinteressen im deutschen Recht Beide Rechtsordnungen erkannten den Ersatz immaterieller Schäden aus Vertragsverletzung erst spät an: Deutschland im Jahr 2002 und Italien im Jahr 2008 (s. o. § 3 I. 3.c), S. 76). In Italien ist der Nichtvermögensschaden nach Art. 2059 c. c. auch dann zu ersetzen, wenn die schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts aus der Verletzung einer Vertragspflicht herrührt. Während für die Bestimmung der in den Vertragsbereich fallenden ideellen Interessen der Anlass für das konkrete Geschäft maßgebend ist und bei bestimmten Vertragsarten sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass mit der Vertragsverletzung gleichzeitig eine Verletzung verfassungsrechtlich geschütz-
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
ter, unverletzlicher Rechte einhergeht, beschränkt die deutsche Rechtspraxis die vertragliche Haftung für Schmerzensgeld dagegen auf den Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht. Dies führt unweigerlich zu einem Spannungsverhältnis zur Schutzpflichtenlehre nach § 241 Abs. 2 BGB,280 wie der Fall der Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages zeigt (s. o. § 3 I. 2.c), S. 74). Obwohl die Haftungsbeschränkung in Italien über die Voraussetzung einer schweren Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts erfolgt und lediglich unbedeutende immaterielle Nachteile im gewohnten Lebensvollzug nicht nach Art. 2059 c. c. ersatzfähig sind (s. o. sog. „San Martino“-Urteile § 3 II.3.a)cc)(6)(e), S. 114), ist die italienische Rechtsprechung hinsichtlich immaterieller Schäden wegen entgangener Hochzeitsfreuden nach wie vor uneinheitlich. Teilweise leiten Instanzgerichte auch nach den sog. „San Martino“-Urteilen neue unverletzliche Rechte über Art. 2 Cost. aus dem Verfassungssystem ab. Demgegenüber kommt der vertraglichen Haftung für immaterielle Schäden im deutschen Recht lediglich geringe praktische Bedeutung zu, da – wie das Beispiel der infolge des missglückten Feuerwerks abgebrochenen Hochzeitsfeier zeigt – stets eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt sein muss. Nur, wenn die Brautleute selbst eine Körperverletzung erleiden, ist die sinnlos gewordene Hochzeitsfeier bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Eine Herleitung neuer Schutzgüter aus der Verfassung selbst ist dagegen in Deutschland ausgeschlossen. Der Umstand, dass die Schlechterfüllung eines Vertrages, der auf einen immateriellen Zweck, wie die Ausrichtung einer schönen Hochzeitsfeier, gerichtet ist, als solche keinen Schmerzensgeldanspruch auslöst, bedeutet im Grunde, dass immaterielle vertragliche Leistungsinteressen in Deutschland weniger Schutz genießen als materielle Leistungsinteressen. Eine solche Zurücksetzung nichtvermögenswerter vertraglicher Erfüllungsinteressen ohne ausreichende Rechtfertigung überzeugt jedoch nicht.281
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens infolge von Körperverletzungen Zunächst wird die Bemessung immaterieller Schäden infolge von Körperverletzungen im italienischen (1.) und im deutschen Recht (2.) dargestellt, bevor beide Systeme in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (3.).
280 281
Gsell, ZJS 2011, 389 (390); dies., JbItalR 24 (2011), 29 (41 ff.). Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (41).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
125
1. Bemessung immaterieller Schäden infolge von Körperverletzungen nach italienischem Recht Im Folgenden werden zunächst allgemein die Funktion und Grundsätze des Schadensersatzes in Italien dargestellt (a) bevor sodann auf den danno biologico als maßgeblichen Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen (b) abhängig von der jeweiligen Schadensursache (c) eingegangen wird. Danach wird die Bemessung des danno biologico infolge von Verkehrsunfällen nach Art. 138, 139 ital. VersGB (d) sowie nach der Mailänder Tabelle (e) erörtert, die in beiden Fällen grundsätzlich mit einem Kapitalbetrag zu ersetzen sind (f). Besonderes Augenmerk ist auf das nach wie vor strittige Verhältnis zwischen danno biologico und danno morale zu richten (g) bevor dieser Abschnitt mit einer Gegenüberstellung der Bemessung nach Art. 138, 139 ital. VersGB und nach der Mailänder Tabelle in einem praktischen Rechenbeispiel abschließt (h).
a) Funktion und Grundsätze des Schadensersatzes Bevor auf die Besonderheiten der italienischen Bemessungspraxis eingegangen wird, werden zuerst die Funktion des italienischen Schadensersatzrechts (aa), allgemeine bei der Bemessung des Nichtvermögensschadens zu beachtende Grundsätze (bb) sowie die zwei Schritte, in denen die Bemessung erfolgt (cc), dargestellt.
aa) Funktion des italienischen Schadensersatzrechts Nach bisher herrschender Ansicht kam dem zivilrechtlichen Schadensersatz in Italien keine Straffunktion zu, sondern primär eine Ausgleichsfunktion (funzione compensativa, funzione reintegratrice oder auch funzione riparatrice). Das zivile Haftungsrecht sollte das Vermögen des Verletzten durch die Zahlung einer Geldsumme wiederherstellen und damit die Folgen des zugefügten Schadens beseitigen. Der Geschädigte sollte mit der Geldsumme in die Lage versetzt werden, sich in anderen Bereichen Annehmlichkeiten zu verschaffen und seine Schmerzen und seelischen Leiden dadurch zu lindern.282 Das galt für jeden Schaden, auch den Nichtvermögensschaden. Da dem immateriellen Schaden nach h. M. keine Straffunktion beigemessen wurde, kam es bei der Bemessung weder auf die Bedürfnisse des Geschädigten noch auf die Finanzkraft des 282 Astone, Danni non patrimoniali, 2012, S. 242 ff.; D’Alessandro, Die pönale Funktion des Schadensersatzrechts im deutsch-italienischen Deliktsrecht und im IPR/IZPR, in: Baldus/ Schmon (Hrsg.), Zivilprozess und historische Rechtserfahrung, 2015, S. 53 (63); Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 576, 578; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/467 ff.; Wrangel, VersR 1982, 628 (633); Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 24; Buse, DAR 2017, 561 (564).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Verpflichteten an. Vielmehr hatte der Geschädigte das Vorhandensein einer bestimmten, kausal durch die unerlaubte Handlung verursachte Verletzung nachzuweisen.283 Obwohl sich die Straffunktion284 nicht durchsetzte und von den Vereinigten Zivilsenaten des Kassationshofes in der Entscheidung Nr. 15350 vom 22.7.2015285 zur Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens (s. u. § 4 VI.) abgelehnt wurde, ist der Verschuldensgrad auch im Rahmen der Ausgleichsfunktion bei der Bemessung des Nichtvermögensschadens zu berücksichtigen und wirkt sich auf dessen Höhe aus. Das wird allerdings nicht als Indiz für die Straffunktion gesehen.286 In der Entscheidung Nr. 16601 vom 5.7.2017 zum Strafschadensersatz (punitive damages) haben die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes jedoch bestätigt, dass der Strafschadensersatz begrifflich mit der italienischen Rechtsordnung nicht unvereinbar ist. Vielmehr kann der zivilrechtlichen Haftung in Italien neben der Ausgleichs- und Wiederherstellungsfunktion unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Abschreckungs- und Straffunktion zukommen.287
bb) Die Billigkeitskriterien für die Bemessung des Nichtvermögensschadens in Italien Nach Art. 2056, 1226 c. c. wird Nichtvermögensschaden nach Billigkeit bemessen. Dabei hat das Gericht folgenden drei Prinzipien Rechnung zu tragen: Erstens sind nach dem Prinzip der sog. „vollständigen Entschädigung“ (integrale risarcimento) alle Vorteile bzw. Nutzen, die das Opfer infolge der unerlaubten Handlung verloren hat, zu ersetzen. Das Gericht hat den Umständen des konkreten Falles durch Personalisierung (personalizzazione) Rechnung zu tragen. Demzufolge darf der Nichtvermögensschaden nicht lediglich mit einem symbolischen Betrag bemessen werden.288 Zweitens muss das Gericht unzulässige Verdoppelungen des Schadensersatzes (duplicazione risarcitoria) vermeiden. Das bedeutet, dass es dieselbe Beeinträchtigung nicht unter Verwendung einer anderen Bezeichnung mehrfach entschädigen darf. 283 So zur Ablehnung von Strafschadensersatz (punitive damages) Cass. 9.1.2007, n. 1183, in Foro it. 2007, I, 1460, deutsche Übersetzung bei Gebauer, ZEuP 2009, 409; ebenso Cass. 8.2.2012, n. 1781, in Danno e resp. 2012, 609. 284 Busnelli, Assicurazioni 2011, S. 587 ff.; Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004, S. 148 m. w. N. 285 Cass. S. U. 22.7.2015, n. 15350, in Foro it. 2015, I, 2682. 286 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/469 m. w. N. aus der Lit.; a. A. noch Corte d’App. Bologna 19.2.1907, in Giur. it. 1907, I, 2, 437 wonach sich der Verschuldensgrad aufgrund der Ausgleichsfunktion nicht auf die Höhe des Schadensersatzes auswirken soll. 287 Cass. S. U. 5.7.2017, n. 16601, deutsche Übersetzung bei Tescaro, ZEuP 2018, 459. 288 Cass. sez. lav. 12.5.2006, n. 11039; Cass. 11.1.2007, n. 392, in Arch. giur. circol. 2007, 806; Cass. 11.1.2007, n. 394.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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Drittens muss das Gericht Ungerechtigkeiten vermeiden (uniformità di trattamento), indem es unähnliche Fälle nicht gleich behandeln bzw. für ähnliche Schäden nicht unterschiedliche Beträge zusprechen darf.289
cc) Zwei Schritte der Bemessung In Anbetrach der zuvorgenannten drei Grundsätze hat die Bemessung in zwei Schritten zu erfolgen: Um die Gleichbehandlung ähnlicher Fälle zu gewährleisten muss zunächst ein sog. „Standardbetrag“ (parametro standard) ermittelt werden. Dabei handelt es sich um den Gesundheitsschaden und seine Folgen (z. B. Oberschenkelbruch), für den gesetzliche oder gerichtliche Tabellen einen gewissen Entschädigungsrahmen vorgeben. Um den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles gebührend Rechnung zu tragen, sind diese Umstände in einem zweiten Schritt im Rahmen der Personalisierung (personalizzazione) anspruchserhöhend oder -mindernd zu berücksichtigen. Dabei sind die negativen Folgen des Gesundheitsschadens auf das Leben und die Gewohnheiten des Geschädigten zu würdigen, wie z. B. dass er seine regelmäßig ausgeübte Sportart nicht mehr ausüben kann.290
b) Der Gesundheitsschaden (danno biologico) als maßgeblicher Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen In den sog. „San Martino“-Urteilen Nr. 26972–26975 vom 11.11.2008291 haben die Vereinigten Zivilsenate festgestellt, dass der Nichtvermögensschaden eine einheitliche Schadenskategorie darstellt und der danno morale, danno biologico und danno esistenziale als beschreibende Figuren integraler Bestandteil des Nichtvermögensschadens sind. Innerhalb des Nichtvermögensschadens bildet daher auch der danno biologico lediglich eine unselbständige Schadensposition mit beschreibender Funktion. Seine überragende Bedeutung folgt allerdings daraus, dass der danno biologico im Fall einer Gesundheits- oder Körperverletzung maßgeblicher Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens ist. Alle weiteren immateriellen Folgen, wie seelische Leiden im Sinne des danno morale (str. s. u. § 3 III.1.g), S. 152 ff.) sowie erzwungene Veränderungen der persönlichen 289
Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 592 ff.
290 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 660 ff. 291 Im Fall Nr. 26972 ging es um den Ersatz immaterieller
Schäden eines Mannes, dem infolge einer Fehlbehandlung ein Hoden amputiert werden musste, in den Fällen Nr. 26973, 26974 handelte es sich um immaterielle Schäden infolge der Tötung eines nahen Angehörigen bei einem Verkehrsunfall und im Fall Nr. 26975 ging es um den Ersatz immaterieller Schäden wegen Geräuschimmissionen. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung der Entscheidungen Nr. 26972 und 26973 enthalten Buse, DAR 2009, 588 und Christandl, ZEuP 2011, 392.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Lebensgewohnheiten im Sinne des danno esistenziale sind in der Bemessung des danno biologico bereits enthalten.292 So sind z. B. Beeinträchtigungen der allgemeinen Arbeitsfähigkeit, der Sportausübung, der zwischenmenschlichen Beziehungen, des Sexuallebens, Enstellungen, aber auch Gefühlsschäden (pretium doloris) (str.) nicht zusätzlich zum danno biologico zu ersetzen, sondern im Rahmen der Bemessung des danno biologico erhöhend zu berücksichtigen.293 Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körper- und Gesundheitsverletzungen ist demnach der danno biologico, der abhängig von der Schadensursache mit Hilfe von speziellen Tabellen bemessen wird.
c) Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) abhängig von der Schadensursache Nach Art. 2056, 1226 c. c. bemisst das Gericht die Höhe des Nichtvermögensschadens im Sinne von Art. 2059 c. c. nach billigem Ermessen. Dabei unterscheidet die italienische Rechtsordnung in Bezug auf die Bemessung des danno biologico nach der jeweiligen Schadensursache. Für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die vom Nationalinstitut für die Arbeitsunfallversicherung (INAIL) entschädigt werden, sind die Bemessungskriterien in Art. 13 D. lgs. 23.2.2000, n. 38 geregelt.294 Angestellte im öffentlichen Dienst, die in Ausübung ihrer Pflichterfüllung (vittime del dovere) einen Gesundheitsschaden erlitten haben, werden ebenfalls so entschädigt, als hätten sie einen Arbeitsunfall erlitten (Art. 1 Abs. 562–564 Gesetz Nr. 266 vom 23.12.2005, ausgeführt in Art. 5 D. P. R. 7.7.2006, n. 243). Für den Direktanspruch bei immateriellen Schäden, die durch Verkehrs- oder Wasserunfälle verursacht wurden, sieht der italienische Codice delle assicurazioni private (Privatversicherungsgesetzbuch, D. lgs. 7.9.2005, n. 209, nachfolgend mit „ital. VersGB“ abgekürzt) in Art. 138, 139 ital. VersGB vorrangig geltende Regelungen zur Bemessung des danno biologico vor. Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 24 vom 8.3.2017 (sog. legge Gelli) erweitert den Anwendungsbereich der Art. 138, 139 ital. VersGB auf Gesundheitsberufe.295 Eine solche Verweisung enthalten ebenfalls Art. 4 Abs. 1 D. P. R. Nr. 181 vom 30.10.2009 in Bezug auf Terrorismusopfer und Art. 1082 Abs. 1 lit. b D. P. R. Nr. 90 vom 15.3.2010 im Hinblick auf Gesundheitsschäden von Zivilund Militärpersonal der Verteidigungsverwaltung, die abgereichertem Uran (uranio impoverito) und anderem Kriegsmaterial ausgesetzt waren. 292 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/583; Buse, DAR 2017, 561 (561); ders., DAR 2009, 557 (559). 293 Buse, DAR 2017, 561 (561) m. w. N. aus der Rspr. 294 Busnelli, JbItalR 14 (2001), 17 (21); Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c., VI.2. 295 Eine identische Regelung enthielt bereits Art. 3 Abs. 3 des D. L. 13.9.2012, n. 158 (sog. decreto Balduzzi), das absurderweise vom Gesetz Nr. 24 vom 8.3.2017 nicht abgeschafft wurde.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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Sofern die Schädigung nicht auf einer dieser speziellen Schadensursachen beruht, erfolgt die Bemessung des danno biologico mit Hilfe von eigens zu diesem Zweck erarbeiteten gerichtlichen Tabellen (tabelle del danno biologico). Im Folgenden wird ausschließlich die Bemessung des danno biologico bei Verkehrsunfällen nach Art. 138, 139 ital. VersGB (d) sowie die Bemessung nach dem zivilgerichtlichen Tabellensystem der Mailänder Tabelle (e) dargestellt. Wie sich später anhand eines praktischen Rechenbeispiels (s. u. § 3 III.1.h), S. 155 ff.) zeigen wird, führt dieses Nebeneinander verschiedener Bemessungssysteme zu uneinheitlichen Ergebnissen, mit der Folge, dass für gleiche Verletzungen abhängig von der jeweiligen Schadensursache – Verkehrsunfall oder unerlaubte Handlung – unterschiedlich hohe Entschädigungsbeträge zugesprochen werden.
d) Bemessung des Gesundheitsschadens infolge von Verkehrsunfällen nach Art. 138, 139 ital. VersGB Für den Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung hat der italienische Gesetzgeber den Umfang des Entschädigungsanspruchs für Körper- und Gesundheitsschäden infolge von Verkehrs- und Wasserunfällen in Art. 138, 139 ital. VersGB (D. lgs. 7.9.2005, Nr. 209) gesondert geregelt.296 Das dient dem Zweck eine landesweit einheitliche Schadensliquidierung zu erreichen, das Phänomen des forum shopping innerhalb Italiens zu vermeiden, die außergerichtliche Schadensregulierung zu fördern und dadurch die Kosten der Versicherungsprämien zu stabilisieren.297 Der Codice delle assicurazioni private enthält eine eigene Definition des danno biologico (aa) und unterscheidet – abhängig von der Schwere der Verletzung – zwischen dem danno biologico aufgrund von leichten Verletzungen mit einem Invaliditätsgrad von 1–9 % (danno biologico per lesioni di lieve entità) nach Art. 139 ital. VersGB (bb) und dem danno biologico auf Grund von schweren Verletzungen mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % (danno biologico per lesioni di non lieve entità) nach Art. 138 ital. VersGB (cc).
aa) Legaldefinition des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach dem italienischen Privatversicherungsgesetzbuch (Codice delle assicurazioni private) Art. 138 Abs. 2 lit. a und Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB298 definieren den Gesundheitsschaden (danno biologico) wie folgt: 296 Trimarchi, La responsabilità civile: atti illeciti, rischio, danno, 2017, Kap. V. 25.18.2., S. 609. 297 Gozzi, VersRAI 2007, 2 (8). 298 „… per danno biologico si intende la lesione temporanea o permanente all’integrità psico-fisica della persona, suscettibile di accertamento medico-legale, che esplica un’inciden-
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
„Unter einem Gesundheitsschaden versteht man die rechtsmedizinisch feststellbare vorübergehende oder dauerhafte Beeinträchtigung der geistig-körperlichen Unversehrtheit der Person, die sich nachteilig auf die alltäglichen Betätigungen und die sozialen Beziehungen des Geschädigten auswirkt, unabhängig von etwaigen Auswirkungen auf seine Erwerbsfähigkeit.“299
Die Einbeziehung der negativen Folgen auf das Leben des Verletzten im sozialen Bereich und seine täglichen Betätigungen stellen insofern klar, dass das ital. VersGB einen umfassenden Begriff des danno biologico vorsieht, der zur Vermeidung einer doppelten Entschädigung ausdrücklich auch den danno esistenziale umfasst und deshalb mit einem einheitlichen Betrag zu bemessen ist.300 Obwohl Art. 138 Abs. 2 lit. a und Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB sowie Art. 13 D. lgs. 23.2.2000, n. 38 für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten und Art. 1 lit. a D. P. R. 30.10.2009, n. 181 für Terrorismusopfer (s. o. § 3 III.1.c), S. 128) eigenständige, jeweils nicht wortgleiche Definitionen des danno biologico enthalten, sind die Definitionen dennoch inhaltlich deckungsgleich. In der italienischen Rechtsordnung existiert demnach nur einen Begriff des danno biologico, der lediglich im Rahmen seiner Bemessung unterschiedlich behandelt wird.301 Bevor der danno biologico bemessen werden kann, ist es in Italien allerdings erforderlich, dass ein medizinischer Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) den Invaliditätsgrad und die Dauer der Invalidität mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) bestimmt. Dabei handelt es sich um Tabellen, die nach dysfunktionalen Beeinträchtigungen (z. B. Skelettapparat, innere Organe etc.) gegliedert sind.302 Erst wenn der Invaliditätsgrad (1–9 % bzw. 10–100 %) bestimmt ist und feststeht, ob gegebenenfalls ein Dauerschaden vorliegt, ist die Bemessung mit Hilfe der Tabellen überhaupt möglich.
bb) Bemessung leichter Körperverletzungen nach Art. 139 ital. VersGB Leichte Körperverletzungen aufgrund von Straßenverkehrsunfällen machen den Großteil der Entschädigungszahlungen der italienischen Kfz-Haftpflichtversicherungen aus.303 Um die Kosten der Versicherungsleistungen zu begrenzen und Streitigkeiten zu vermeiden hat der italienische Gesetzgeber den Umza negativa sulle attività quotidiane e sugli aspetti dinamico-relazionali della vita del danneggiato, indipendentemente da eventuali ripercussioni sulla sua capacità di produrre reddito.“ 299 Deutsche Übersetzung bei Buse, DAR 2017, 561 (561); Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208); Gozzi, VersRAI 2007, 2 (8). 300 Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208); Gozzi, VersRAI 2007, 2 (10); Cian/Trabucchi/Thiene, Commentario breve al Codice Civile, 2016, Art. 2059, IV. Rn. 7. 301 Zu den verschiedenen Definitionen siehe Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 196 ff. 302 Hinsichtlich des Vorgehens des medico legale siehe Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 398 ff., 402. 303 Vismara, PHi 2014, 111.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
131
fang des Entschädigungsanspruchs in Art. 139 ital. VersGB gesondert geregelt und insofern das freie Ermessen der Gerichte eingeschränkt.304 Für durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Körper- und Gesundheitsverletzungen mit einem Invaliditätsgrad 1–9 % enthält Art. 139 ital. VersGB eigene Tabellen zur Bemessung des danno biologico. In einem ersten Schritt ist somit der „Standardbetrag“ zu errechnen, wobei der danno biologico aus einer vorübergehenden (invalidità temporanea) (1) und gegebenenfalls aus einer Dauerinvalidität (invalidità permanente) (2) herrühren kann. In einem zweiten Schritt kann den besonderen Umständen des Einzelfalles im Rahmen der Personalisierung (personalizzazione) dieses „Standardbetrags“ Rechnung getragen werden (3). Zu beachten ist aber, dass auch der Ersatz leichter Körperschäden die Feststellung durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) voraussetzt (4).
(1) Bemessung des vorübergehenden Gesundheitsschadens (danno biologico temporaneo) nach Art. 139 Abs. 1 lit. b ital. VersGB Der vorübergehende Gesundheitsschaden (danno biologico temporaneo) ist in Art. 139 Abs. 1 lit. b ital. VersGB geregelt. Dabei handelt es sich um eine vorübergehende, heilbare Gesundheitsbeeinträchtigung, die absolut oder partiell sein kann. Die vorübergehende Vollinvalidität (invalidità temporanea assoluta/totale) beschreibt den Zeitraum, in dem der Verletzte an der Ausübung gewöhnlicher, existenzieller Tätigkeiten, wie z. B. sich zu waschen, anzukleiden oder zu laufen gehindert ist.305 Sie geht während des Heilungsprozesses in eine vorübergehende Teilinvalidität (invalidità temporanea relativa/parziale) von z. B. 75 %, dann 50 % etc. über, bis der Geschädigte seine normalen Fähigkeiten wiedererlangt hat.306 Für jeden Tag der vorübergehenden Vollinvalidität von 100 % erhält der Geschädigte aufgrund des Ministerialdekrets (D. M.) vom 22.7.2019 (G. U. 13.8.2019, n. 189) seit Ablauf des Monats April 2019 pro Tag € 47,49.307 Obwohl es sich bei Art. 139 ital. VersGB um eine Regelung mit Rechtsnormcharakter handelt und die Tabellenwerte in der Regel jährlich angepasst werden, 304
Winkler, in Festschr. Hansjörg Pobitzer, 2012, S. 97 (100 f.). Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 656. 306 Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208). 307 Zuvor erhielt der Geschädigte aufgrund des D. M. 9.1.2019 seit Ablauf des Monats April 2018 pro Tag € 47,07, aufgrund des D. M. 17.7.2017 seit Ablauf des Monats April 2017 pro Tag € 46,88, aufgrund des D. M. 19.7.2016 seit Ablauf des Monats April 2016 pro Tag € 46,10; aufgrund des D. M. 25.6.2015 seit Ablauf des Monats April 2015 pro Tag € 46,29; aufgrund des D. M. 20.6.2014 seit Ablauf des Monats April 2014 pro Tag € 46,43. Frühere Beträge sind nach Auswahl des entspr. Jahres abrufbar unter . 305
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
wenden die Gerichte bei der Bemessung des danno biologico den zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung gültigen Tabellenwert an und nicht den Wert zum Zeitpunkt des Unfalls.308 Mit zunehmender Rückerlangung von Mobilität und Selbständigkeit wird dieser Betrag proportional herabgesetzt und kann bei fortschreitender Genesung z. B. nur noch 75 %, 50 % oder 25 % betragen.309 Hinsichtlich der vorübergehenden Invalidität (invalidità temporanea) besteht die Aufgabe des medico legale also vor allem darin, die Dauer und das Ausmaß der vorübergehenden Voll- und Teilinvalidität festzulegen.310
(2) Bemessung von leichten Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 1–9 % nach Art. 139 Abs. 1 lit. a ital. VersGB Der bleibende Gesundheitsschaden (danno biologico permanente oder lesioni micropermanenti) mit einer leichten Invalidität von 1–9 % ist in Art. 139 Abs. 1 lit. a ital. VersGB geregelt. Darunter versteht man eine dauerhafte, irreversible Minderung der körperlich-seelischen Integrität, mithin bleibende Folgen der Verletzung, die ebenfalls von einem medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) festgestellt (a)311 und anschließend mit Hilfe einer Formel (b) errechnet werden. Der Schadensersatzanspruch für die dauerhafte Invalidität entsteht allerdings erst nach Beendigung der vorübergehenden Invalidität, wenn sich der Gesundheitszustand stabilisiert hat und die dauerhaften Folgeerscheinungen feststehen. Das bedeutet, dass vorübergehende und dauerhafte Invalidität nicht gleichzeitig vorliegen können,312 was sich nach Rossetti auch auf den Verjährungsbeginn auswirkt (s. o. § 2 V. 1.b)bb), S. 60).
(a) Bestimmung des Invaliditätsgrades durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) mit Hilfe von Schadensskalen Zunächst setzt der medico legale den bleibenden Körper- oder Gesundheitschaden mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) in Form eines Prozentsatzes 308 Zur Dauerinvalidität siehe Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 603 m. w. N.; zur vorübergehenden Invalidität so anscheinend Giudice di Pace Ottaviano 13.12.2012, abrufbar unter ; Trib. Treviso 6.9.2017, abrufbar unter . 309 Buse, DAR 2017, 561 (563). 310 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 423 ff.; ders., Guida pratica per il calcolo di danni, interessi e rivalutazione, 2009, S. 81 ff. 311 Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208); bzgl. der Feststellungen (Körperverletzung, die kausal zu einer dauerhaften Lebensbeeinträchtigung geführt hat), die der medico legale zu treffen hat, siehe Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 892 ff. 312 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1366.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
133
bzw. Invaliditätsgrades fest, anhanddessen später die Bemessung des immateriellen Schadens erfolgt (liquidazione a punto). Für leichte Körperschäden infolge von Verkehrsunfällen mit einem Invaliditätsgrad 1–9 % (Art. 139 ital. VersGB) hat der medico legale zwingend die mit D. M. 3.7.2003 (G. U. 11.9.2003, n. 211) verabschiedete Schadensskala (sog. barèmes) anzuwenden.313 Diese sieht z. B. für ein leichtes HWS‑Trauma mit anhaltender Rachialgie (Schmerz im Bereich der Wirbelsäule) und analgetischer Bewegungseinschränkung des Kopfes einen Invaliditätsgrad von ≤ 2 % vor.
(b) Formel zur Bemessung der Entschädigung bei leichten Dauerschäden Nach Art. 139 Abs. 1 lit. a ital. VersGB wird der leichte Dauerschaden mit einem Betrag bemessen, der in Bezug auf jeden Prozentpunkt der Invalidität überproportional anwächst, wobei die Berechnung dieses Betrages auf Grundlage der Multiplikation jedes Invaliditätspunktes mit dem entsprechenden in Art. 139 Abs. 6 ital. VersGB aufgeführten Koeffizienten erfolgt. Der Wert des Basispunktes ist der nach Art. 139 Abs. 4 ital. VersGB erlassenen und nach Abs. 5 jährlich angepassten Tabelle314 zu entnehmen, wobei es auf den Tabellenwert zum Zeitpunkt der Bemessung bzw. Gerichtsentscheidung ankommt und nicht auf den Wert zum Zeitpunkt des Unfalls. Aufgrund des D. M. 22.7.2019 (G. U. 13.8.2019, n. 189) beträgt der Wert des Basispunktes seit Ablauf des Monats April 2019 € 814,27315 und verringert sich mit zunehmendem Alter des Betroffenen jedes Jahr um 0,5 %, beginnend mit dem 11. Lebensjahr. Die Bemessung erfolgt mittels folgender Formel:316 R = (Vp (IP (x)) – [0,5 % (Ev – 10)]
R = Entschädigungsbetrag Vp = Wert (€) des Basispunktes zum Zeitpunkt der Bemessung IP = prozentualer Grad der Dauerinvalidität x = zu multiplizierender Koeffizient nach Art. 139 Abs. 6 ital. VersGB Ev = Alter des Opfers zum Unfallzeitpunkt 313 Diese sog. barèmes ist für den medico legale ebenfalls bei leichten Körperverletzungen aufgrund ärztlichen Verschuldens verbindlich (Art. 7 Abs. 4 L. 8.3.2017, n. 24; Art. 3 Abs. 3 D.lgs. 13.9.2012 n. 158, umgewandelt in L. 8.11.2012 n. 189). Für Körperverletzungen infolge von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten hat der medico legale dagegen die mit D. M. 12.7.2000 (G. U. 25.7.2000, n. 172) verabschiedete barèmes anzuwenden; vgl. Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 402 ff. 314 Abrufbar unter . Zuvor betrug der erste Invaliditäts-Prozentpunkt aufgrund des D. M. 9.1.2019 seit Ablauf des Monats April 2018 € 807,01, aufgrund des D. M. 19.7.2016 seit Ablauf des Monats April 2016 € 790,35, aufgrund des D. M. 25.6.2015 seit Ablauf des Monats April 2015 € 793,52; aufgrund des D. M. 20.6.2014 seit Ablauf des Monats April 2014 € 795,91. 315 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 603 m. w. N. 316 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 602 ff.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Zur Veranschaulichung wird der Anspruch eines 35-jährigen Geschädigten, der infolge eines Verkehrsunfalls eine bleibende Invalidität von 9 % erlitten hat, wie folgt berechnet:
R = € 814,27 × 9 × 2,3 – [0,5 × (35 – 10)] R = € 16.855,389 – 12,5 % R = € 14.748,47
(3) Eventuelle Anspruchserhöhung nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB Nach Bestimmung des tabellarisch ersatzfähigen „Standardbetrags“ ist in einem zweiten Schritt den Umständen des konkreten Falles durch Personalisierung (personalizzazione) Rechnung zu tragen (s. o. § 3 III.1.a)cc), S. 127). Hierzu sieht Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB gesetzliche Kriterien für eine eventuelle Anspruchserhöhung vor (a), wobei mit dem konkreten Invaliditätsgrad für gewöhnlich verbundene Beeinträchtigungen nicht zu einer Erhöhung führen (b).
(a) Anforderungen des Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB Falls sich die festgestellte Beeinträchtigung in relevanter Weise nachweisbar und objektiv nachprüfbar auf persönliche Aspekte des dynamischen Beziehungslebens (aspetti dinamico-relazionali personali) auswirkt oder psychischkörperliche Leiden einer bestimmten Intensität verursacht oder verursacht hat, kann der im ersten Schritt bestimmte tabellarische „Standardbetrag“ vom Gericht im Wege einer der Billigkeit entsprechenden und mit Gründen versehenen Bewertung der persönlichen Umstände des Geschädigten nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB um bis zu 20 % erhöht werden. Dabei ersetzt der unter Art. 139 ital. VersGB zuerkannte Gesamtbetrag den aus der Körperverletzung folgenden Nichtvermögensschaden abschließend (esaustivo). Demzufolge steht es dem Gericht nicht frei, den ersatzfähigen „Standardbetrag“ zu verringern. Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB stellt aber auch klar, dass die Geltendmachung eines weitergehenden immateriellen Schadens aus Körperverletzungen infolge von Verkehrsunfällen somit ausgeschlossen ist und wiederholt damit den Kerngehalt der sog. „San Martino“-Urteile vom 11.11.2008. Der zuerkannte Betrag trägt demnach bereits dem Gefühlsschaden (danno morale) und Existenzschaden (danno esistenziale) Rechnung, die bei Körperverletzungen nicht mehr gesondert geltend gemacht werden können.317
(b) Keine Erhöhung aufgrund von mit dem konkreten Invaliditätsgrad für gewöhnlich verbundenen Beeinträchtigungen Will das Gericht den „Standardbetrag“ ihm Rahmen der Personalisierung erhöhen, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die es entsprechend 317
Buse, DAR 2017, 561 (566).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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zu begründen hat, wobei die Obergrenze von 20 % sowohl im Hinblick auf die vorübergehende als auch die dauerhafte Invalidität infolge von leichten Körperverletzungen gilt.318 Obwohl der Begriff „aspetti dinamico-relazionali“ im Gesetz erstmals in Art. 13 Abs. 2 lit. a D. lgs. 23.2.2000, n. 38 im Hinblick auf die versicherungsrechtliche Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten erschien, umfasst er nach heutigem Verständnis nicht mehr nur den Verlust der Arbeitsfähigkeit, sondern alle negativen Auswirkungen auf den Geschädigten bei seinen alltäglichen Betätigungen. Gewöhnliche Beeinträchtigungen, die jeder ertragen muss, der dieselbe Verletzung erlitten hat, rechtfertigen dagegen keine Erhöhung des „Standardbetrags“.319 Außerdem muss es sich um Tätigkeiten des täglichen Lebens handeln, die der Geschädigte nicht nur gelegentlich ausgeübt hat.320 Für eine Erhöhung muss der Geschädigte somit darlegen und beweisen, dass die nachteiligen Folgen der Verletzung andersartig sind und über solche Folgen, die für gewöhnlich mit einer Invalidität desselben Grades verbunden sind, hinausgehen und konkret ihn persönlich bei der Ausübung lebenswichtiger Tätigkeiten im Vergleich zu früher beeinträchtigen.321 Ist der Geschädigte z. B. Regionalmeister im Bogenschießen und hat der Unfall bei ihm Rückenschmerzen an der Lendenwirbelsäule zur Folge, aufgrund derer er das Bogenschießen aufgeben muss, so kann dieser Umstand eine Erhöhung des „Standardbetrags“ rechtfertigen.322
(4) Beweisanforderungen beim Ersatz leichter Körperverletzungen Da leichte Körperverletzungen infolge von Straßenverkehrsunfällen den Großteil der Entschädigungszahlungen der Kfz-Haftpflichtversicherungen ausmachen,323 sollten durch Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter D. lgs. 24.1.2012, n. 1 (decreto Cresci Italia) (mit Änderungen umgesetzt durch das Gesetz Nr. 27 vom 24.3.2012) die Beweisanforderungen für die leichte dauerhafte und vorübergehende Invalidität mit einem Invaliditätsgrad von 1–9 % erhöht werden (a). Das betraf vor allem die häufig im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen auftretenden HWS‑Schleudertraumata (colpo di frusta cervicale).324 Zweck dieser Änderung war es, die Versicherungen vor Betrug zu schützen, sie dadurch fi318
Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 669. Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 330 ff. Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 672. 321 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 670. 322 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 775. 323 Vismara, Phi 2014, 111. 324 Häcker, DAR‑Extra 2013, 758 (759); Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 176 (Fn. 78); Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 901 ff. 319 320
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
nanziell zu entlasten und eine Senkung der Versicherungsbeiträge herbeizuführen.325 Die Absätze 3-ter und 3-quater des Art. 32 D. lgs. 1/2012 führten allerdings zu verschiedenen Interpretationsansätzen (b) bis der Kassationshof die Rechtslage klarstellte (c). In jedem Fall wird dem Geschädigten in Italien zum Zweck der Beweissicherung eine zeitnahe Konsultation der Notaufnahme empfohlen (d). Handelt es sich für den Geschädigten dagegen um einen Verkehrsunfall mit Auslandsbezug und erhebt er an seinem Wohnsitz in Deutschland Direktklage, so ist die im italienischen Recht vorgesehene Pflicht zur Konsultation eines italienischen medico legale als Beweismittelbeschränkung wegen des lex fori-Prinzips unanwendbar (e).
(a) Erhöhte Beweisanforderungen durch Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter D. lgs. 24.1.2012, n. 1 (decreto Cresci Italia) Art. 32 Abs. 3-ter326 D. lgs. 1/2012 ergänzte Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB a. F. um Satz 2, wonach leichte Verletzungen, die nicht durch objektive klinische Instrumente nachweisbar waren, nicht zu einer Entschädigung für dauerhafte Körperschäden führen konnten. Diese Regelung wurde mittlerweile durch Art. 1 Abs. 19 Gesetz Nr. 124 vom 4.8.2017 (G. U. 14.8.2017, n. 189) geändert. Art. 139 Abs. 2 S. 2 ital. VersGB n. F. macht die Entschädigung für dauerhafte Körperschäden nun davon abhängig, dass die Feststellung der leichten Verletzungen alternativ durch objektive klinische Instrumente erfolgt oder durch visuelle Untersuchungen, wie z. B. bei Narben, die ohne Hilfe von Instrumenten objektiv feststellbar sind. Daneben sah Art. 32 Abs. 3-quater327 D. lgs. 1/2012, der von vorneherein keinen Eingang in den Normtext des Art. 139 ital. VersGB fand, vor, dass leichte Körperverletzungen sowohl durch objektive klinische Instrumente (z. B. Röntgenbilder), die durch einen medizinischen Fachgutachter (medico legale) bestätigt werden, und/oder durch visuelle Untersuchung der Verletzungen durch einen medizinischen Fachgutachter feststellt werden konnten. Diese Vorschrift ist allerdings durch Art. 1 Abs. 30 lit. b Gesetz Nr. 124 vom 4.8.2017 ersatzlos weggefallen.
325 Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 176; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 429. 326 „Art. 32 co. 3-ter. Al comma 2 dell’articolo 139 del codice delle assicurazioni private, di cui al decreto il legislativo 7 settembre 2005, n. 209, è aggiunto, in fine, il seguente periodo: ‚In ogni caso, le lesioni di lieve entità, che non siano suscettibili di accertamento clinico strumentale obiettivo, non potranno dar luogo a risarcimento per danno biologico permanente‘.“ 327 „Art. 32 co. 3-quater. Il danno alla persona per lesioni di lieve entità di cui all’articolo 139 del codice delle assicurazioni private, di cui al decreto legislativo 7 settembre 2005, n. 209, è risarcito solo a seguito di riscontro medico legale da cui risulti visivamente o strumentalmente accertata l’esistenza della lesione.“
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
137
(b) Kritik an Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter D. lgs. 24.1.2012, n. 1 Die Neuregelungen durch Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quater D. lgs. 1/2012 hatten damals rege Diskussionen ausgelöst und zu verschiedenen Interpretationsansätzen geführt. So sahen einige darin eine Beschränkung der Beweismittel auf z. B. Röntgenbilder, Kernspintomographie oder Computertomographie. Andere verstanden die Regelungen als eine Art Selbstbeteiligung, wonach nicht alle Personenschäden ersatzfähig sein sollten, sondern nur solche, die aufgrund ihrer Schwere durch Instrumente feststellbar sind. Nach einer dritten Ansicht führten die Regelungen dagegen zu keiner beweisrechtlichen Veränderung, da der danno biologico entsprechend seiner Legaldefinition in Art. 138, 139 ital. VersGB ohnehin von der Feststellung durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) abhängig ist (suscettibile di accertamento medico-legale).328 Da sich Abs. 3-ter ausdrücklich auf den dauerhaften Gesundheitsschaden (danno biologico permanente, Art. 139 Abs. 1 lit. a ital. VersGB) bezog, war überdies unklar, ob Abs. 3-quater im Umkehrschluss lediglich für die vorübergehende Invalidität (Art. 139 Abs. 1 lit. b ital. VersGB) anwendbar sein sollte.329 Dieses Verständnis hätte zur Folge gehabt, dass an den Nachweis der vorübergehenden und der dauerhaften Invalidität (1–9 %) unterschiedliche Beweisanforderungen gestellt worden wären, da Abs. 3-quater auch die visuelle Untersuchung der Verletzungen vorsah.
(c) Klarstellung durch den Kassationshof Da Art. 138, 139 ital. VersGB selbst eine Definition des danno biologico enthalten und ihn von der Feststellung durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt abhängig machen (suscettibile di accertamento medicolegale), bestätigte der Kassationshof,330 dass die Absätze 3-ter und 3-quater identische Voraussetzungen vorsehen. Beide Absätze dienen der Klarstellung und bekräftigen lediglich den ohnehin in Art. 138, 139 ital. VersGB normierten Grundsatz, wonach der danno biologico von der Feststellung durch einen medico legale abhängig ist. Diese Feststellung kann visuell, klinisch oder mit Hilfe von Instrumenten erfolgen, wobei zwischen den einzelnen Mitteln keinerlei Hierarchie besteht. Vielmehr sind sie lege artis anzuwenden, um die Objek328 Zu den verschiedenen Interpretationsansätzen siehe Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 426 ff.; jeweils mit Nachweisen aus der Rspr.; Poletti, in NLCC 2013, I, 41 (50 ff.); Spera, in Danno e resp. 2013, 216 (227) und Maura, La liquidazione del danno nella RCA, 2014, S. 145 f. 329 So die ital. Versicherungsaufsichtsbehörde (ISVAP, heute IVASS) in einem Brief (lettera al mercato) vom 19.4.2012, siehe Auszug bei Maura, La liquidazione del danno nella RCA, 2014, S. 144 f. 330 Cass. 26.9.2016, n. 18773, in Foro it. 2016, I, 3863.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
tivität der Feststellung der Verletzungen und entsprechender Folgeerscheinungen zu garantieren. Jüngst bestätigte der Kassationshof in den Entscheidungen Nr. 1272 vom 19.1.2018, Nr. 22066 vom 11.9.2018 und Nr. 26249 vom 16.10.2019, dass die objektive Beurteilung mittels klinischer Instrumente, wie z. B. Röntgenaufnahmen, nicht das einzig zulässige Beweismittel ist. Die Feststellung leichter Körperschäden infolge von Verkehrsunfällen erfordert folglich keinen anderen Nachweis, als die strikte Anwendung der Kriterien, die ohnehin von der Rechtsmedizin gelehrt werden. Dadurch sollen vor allem die medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsärzte bei ihren Feststellungen zur Objektivität angehalten werden und nicht leichtfertig leichte Körperschäden aufgrund von oberflächlichen Untersuchungen annehmen.331 An diesem Ergebnis sollte auch das Gesetz Nr. 124 vom 4.8.2017 nichts ändern.332
(d) Zeitnahe Konsultation der Notaufnahme als Mittel der Beweissicherung in Italien Der Gesundheitsschaden ist nach der Definition des danno biologico in Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB nur ersatzfähig, wenn er durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) festgestellt werden kann. Daher birgt das Verstreichenlassen eines längeren Zeitraums nach dem Unfall ohne Konsultation eines Arztes für den Geschädigten das Risiko des Beweisverlustes. Als zweckmäßige Maßnahmen der Beweissicherung wird Geschädigten in Italien deshalb empfohlen, nach einem Unfall auch bei leichten Verletzungen, wie z. B. HWS‑Schleudertraumata, die Notaufnahme (pronto soccorso) aufzusuchen, damit die so gesicherten Beweise in einem späteren Prozess durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt bestätigt werden können. Dabei untersucht der medico legale die verletzte Person und überprüft z. B. die in der Notaufnahme erstellten Röntgenaufnahmen. Er stellt den Kausalzusammenhang zwischen den Verletzungen und dem Unfall fest und bestimmt, wie viele Tage für die vorübergehende Voll- und Teilinvalidität anzuerkennen sind. Außerdem legt er bei Dauerschäden den Invaliditätsgrad mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) fest.333
(e) Keine Pflicht zur Konsultation eines italienischen Gerichtsarztes (medico legale) bei Direktklageerhebung in Deutschland aufgrund des lex fori-Prinzips Gerade im Hinblick auf Verkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug, in deren Folge der Geschädigte an seinem Wohnsitz in Deutschland Direktklage 331 332
Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 432. Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 435. 333 Cendon/Negro, Danno biologico e tabelle milanesi, 2011, 8.5 (S. 36); Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 346, bzgl. barèmes S 394 ff.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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erhebt (s. o. § 1 II.1.a), S. 4), stellt die Begutachtung durch einen italienischen Gerichtsarzt (medico legale) ein großes Problem dar. Denn ein praktizierender medico legale wird außerhalb Italiens eher selten anzutreffen sein und der Geschädigte wäre somit gezwungen, für die Begutachtung gegebenenfalls sogar nach Italien zu reisen. Deshalb stellt sich vor allem bei Auslandsunfällen die Frage, ob die Konsultation eines italienischen Gerichtsarztes (medico legale) verfahrensrechtlicher oder materiell-rechtlicher Natur ist, da sich die Zulässigkeit von Beweismitteln bei verfahrensrechtlicher Qualifikation nach dem Recht des Gerichtsortes (lex fori) richtet (s. o. § 1 II.1.e), S. 7). Für die Einordnung als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung spricht, dass die in Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB normierte Legaldefinition des Gesundheitsschadens (danno biologico) verbindlich vorsieht, dass dieser von der Feststellung durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt abhängig ist (suscettibile di accertamento medico legale). Dabei hat der medico legale bei seiner Begutachtung zwingend die mit D. M. 3.7.2003 verabschiedete Schadensskala (sog. barèmes) anzuwenden. Zwar kommt dem D. M. 3.7.2003 im System der italienischen Rechtsquellen keine Gesetzeskraft zu, dennoch sieht die darauf basierende Schadensskala verbindliche Kriterien für die Kategorisierung von durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 1 –9 % vor (s. o. § 3 III.1.d)bb)(2)(a), S. 132 f.). Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der Pflicht zur Begutachtung durch einen italienischen Gerichtsarzt (medico legale) überzeugenderweise um ein Mittel zur Beweissicherung, mit der Folge, dass eine solche Beweismittelbeschränkung aufgrund des lex fori-Prinzips in Verfahren vor deutschen Gerichten nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 2 Alt. 1 Rom II‑VO i. V. m. Art. 18 Abs. 2 Rom I‑VO unanwendbar ist. Ein anderes Verständnis würde die mit der EuGH‑Entscheidung FBTO/Jack Odenbreit334 eröffnete Möglichkeit des Geschädigten, an seinem Wohnsitz Direktklage zu erheben, obsolet machen. Müsste er sich zur Schadensbegutachtung wieder nach Italien begeben, würden hierfür nicht nur Reisekosten, sondern auch Kosten für die Übersetzung des medico legale-Gutachtens anfallen, die der Geschädigte zunächst auslegen müsste. Zwar verfolgte der italienische Gesetzgeber mit dem Erfordernis einer Schadensbegutachtung durch einen italienischen Gerichtsarzt (medico legale) das Ziel, Kfz-Haftpflichtversicherungen vor Betrug zu schützen, diesem Zweck wird aber auch durch eine lege artis-Begutachtung durch einen deutschen Mediziner ausreichend Rechnung getragen. Vor allem bei Auslandsunfällen erscheint eine Betrugsabsicht des Geschädigten unwahrscheinlich, da mit Direktklagen gegen ausländische Versicherungen und der damit ver 334
EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C-463/06 (FBTO/Jack Odenbreit) = EuZW 2008, 124.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
bundenen Ermittlung des ausländischen Sachrechts ein hoher Aufwand verbunden ist, den ein Geschädigter regelmäßig nicht bei Bagatellschäden betreiben wird. Diese verfahrensrechtliche Einordnung wirft jedoch in der Praxis ein Folgeproblem auf: Die sachgerechte Anwendung italienischer Tabellenwerke zur Bemessung des Nichtvermögensschadens setzt zwingend die Bestimmung des Invaliditätsgrades und die Festlegung der Dauer einer vorübergehenden Invalidität mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) voraus. Konsequenz der Unanwendbarkeit der italienischen Beweismittelbeschränkung auf die Schadensbegutachtung durch einen medico legale ist somit, dass in Verfahren vor deutschen Gerichten deutsche medizinische Fachgutachter zur Bestimmung des Invaliditätsgrades und Festlegung der Dauer einer vorübergehenden Invalidität mit Hilfe von italienischen Schadensskalen (sog. barèmes) berufen sind. Für die Bemessung von vorübergehenden Gesundheitsschäden im Sinne von Art. 139 Abs. 1 lit. b ital. VersGB mag die von einem deutschen Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Anforderungen des Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB genügen, da die Legaldefinition des danno biologico geringere Anforderungen stellt, als die von einem deutschen Mediziner attestierte Arbeitsunfähigkeit. Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB definiert den danno biologico als rechtsmedizinisch feststellbare vorübergehende oder dauerhafte Beeinträchtigung der geistig-körperlichen Unversehrtheit der Person, die sich negativ auf die täglichen Betätigungen und die sozialen Beziehungen des Geschädigten auswirkt, unabhängig von etwaigen Auswirkungen auf seine Erwerbsfähigkeit (s. o. § 3 III.1.d)aa), S. 129). Attestiert ein deutscher Arzt eine Arbeitsunfähigkeit, wird sich der Gesundheitsschaden in der Regel erst recht negativ auf die täglichen Betätigungen und sozialen Beziehungen des Geschädigten auswirken. Somit dürften die Voraussetzungen für die Bemessung des vorübergehenden Gesundheitsschadens (danno biologico) durch eine im Heimatland ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unproblematisch erfüllt sein. Bei Dauerschäden dürfte deutschen Mediziner die sachgerechte Bestimmung des Invaliditätsgrades mit Hilfe von speziellen italienischsprachigen Schadensskalen (sog. barèmes) allerdings Schwierigkeiten bereiten. Da es bei Dauerschäden für den Geschädigten regelmäßig um hohe Entschädigungsbeträge geht, ist in diesem Fall die freiwillige Konsultation eines italienischen Gerichtsarztes (medico legale) zu empfehlen. Zum Teil können italienische Gerichtsärzte über deutsche Kooperationspraxen kontaktiert werden,335 auf jeden Fall sind sie aber im deutschsprachigen Bozen anzutreffen.
335 Z. B. der italienische Gerichtsmediziner Dott. Mario Gulisano, .
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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cc) Bemessung von schweren Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % nach Art. 138 ital. VersGB Art. 138 ital. VersGB sieht für Dauerschäden aufgrund von schweren Verletzungen (danno biologico per lesioni di non lieve entità oder lesioni macropermanenti) mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % den Erlass einer entsprechenden Tabelle mittels Rechtsverordnung vor. Bislang blieb Art. 138 ital. VersGB allerdings eine leere Hülle, mit der Folge, dass schwere Dauerschäden mit Hilfe der Mailänder Tabelle bemessen werden.336 Art. 138 Abs. 1 ital. VersGB sah bereits in seiner früheren Fassung von 2005 vor, dass mittels Verordnung des Staatspräsidenten (D. P. R.) eine landesweit gültige Tabelle zur Bemessung schwerer Dauerschäden erlassen werden sollte. Da es bislang nicht dazu kam, entschied der Kassationshof mit Urteil Nr. 12408 vom 7.6.2011, dass insofern die Mailänder Tabelle anzuwenden sei.337 Mit Gesetz Nr. 124 vom 4.8.2017 (in Kraft getreten am 29.8.2017) verlieh der Gesetzgeber seiner Forderung Nachdruck. Er änderte Art. 138 Abs. 1 ital. VersGB und verpflichtete die Regierung erneut, innerhalb von 120 Tagen nach Inkrafttreten des neu gefassten Art. 138 ital. VersGB, also bis zum 27.12.2017, zum Erlass einer landesweit gültigen Tabelle. Dabei gab der Gesetzgeber die inhaltlichen Anforderungen an die Tabelle in Art. 138 Abs. 2 ital. VersGB vor. Demnach muss die Tabelle insbesondere den von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für angemessen erachteten Maßstäben zur Bemessung des Nichtvermögensschadens Rechnung tragen. Da die Rechtsprechung nahezu einhellig nur die Mailänder Tabelle als mit dem Billigkeitserfordernis nach Art. 1226 c. c. konform ansieht, reduzierte der Gesetzgeber das Ermessen bei der Ausgestaltung der Tabelle damit praktisch auf Null.338 Im Übrigen sieht Art. 138 Abs. 3 ital. VersGB vor, dass das Gericht den „Standardbetrag“ nach billigem Ermessen aufgrund einer begründeten Bewertung der persönlichen Umstände des Geschädigten um bis zu 30 % erhöhen kann, wenn sich die Beeinträchtigung in relevanter Weise nachweisbar und objektiv nachprüfbar auf die persönliche Lebensführung und die sozialen Beziehungen des Geschädigten auswirkt. Dabei ersetzt der zugesprochene Gesamtbetrag den Nichtvermögensschaden infolge der Körperverletzung nach Art. 138 Abs. 4 ital. VersGB abschließend (esaustivo). Bislang leistete die Exekutive auch der letzten Aufforderung des Gesetzgebers zum Erlass einer landesweit gültigen Tabelle nicht Folge und ließ die Frist vom 27.12.2017 verstreichen. Deshalb erfolgt die Bemessung bei schwe336 337
Buse, DAR 2017, 561 (563). Cass. 7.6.2011, n. 12408; Cass. 20.5.2015, n. 10263; vgl. Vismara/Eidam, DAR 2011, 610; Vismara/Eidam, PHi 2011, 139; Buhr-Iurato/Nugel, VRR 2012, 129 f.; Feller/Zampano, ZVR 2011, 281 (283); Cendon/Negro, Trattario di diritto civile. Illeciti, danni, risarcimento, 2013, Kap. 20.10.3.2., S. 983 ff. 338 Buse, DAR 2017, 561 (565).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
ren Dauerschäden infolge von Verkehrsunfällen mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % vorerst auch weiterhin mit Hilfe der Mailänder Tabelle.
e) Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach der Mailänder Tabelle Nicht durch Straßenverkehrsunfälle verursachte Körper- und Gesundheitsverletzungen werden mit Hilfe von eigens zu diesem Zweck erarbeiteten landgerichtlichen Tabellen (z. B. Tabelle des Landgerichts Mailand oder Tabelle des Landgerichts Rom) bemessen.339 Das gilt bis zum Erlass einer Tabelle nach Art. 138 ital. VersGB vorläufig auch für schwere Dauerschäden infolge von Verkehrsunfällen mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % (s. o. § 3 III.1.d)cc), S. 141).340 Dabei ist die Mailänder Tabelle der nationale Maßstab zur Bemessung immaterieller Schäden in ganz Italien (aa), wobei die sog. „San Martino“-Urteile Nr. 26972–26975 vom 11.11.2008 eine grundlegende Reformierung der Mailänder Tabelle erforderlich machten (bb), die auch heute noch Grundlage für die Bemessung des danno biologico nach der Mailänder Tabelle 2018 ist (cc).
aa) Die Mailänder Tabelle als nationaler Maßstab zur Bemessung des Nichtvermögensschadens in Italien Die einzelnen landgerichtlichen Tabellen sehen verschiedene Beträge vor, die den unterschiedlichen Lebensbedingungen und -standards in den jeweiligen Regionen Italiens Rechnung tragen sollen. Da die Mailänder Tabelle auch von Gerichten außerhalb Norditaliens am häufigsten angewendet wird,341 entschied der Kassationshof mit Urteil Nr. 12408 vom 7.6.2011, dass die Gerichte in ganz Italien immaterielle Schäden nach der Mailänder Tabelle bemessen sollen, um so die Gleichbehandlung der Geschädigten zu gewährleisten. Außerdem dient die Mailänder Tabelle als Orientierungshilfe für außergerichtliche Schadensersatzverhandlungen und soll einen weiteren Anstieg der Versicherungsprämien verhindern.342 Die Mailänder Tabelle wird durch den Osservatorio sulla Giustzia Civile di Milano erstellt. Dabei handelt es sich um einen Zusammen339 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/582. 340 So auch Neidhart, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff (Hrsg.), Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl. 2015, Teil 11.B. VIII. Italien, Rn. 419; ders., Unfall im Ausland, Bd. II, 5. Aufl. 2007, Italien, Rn. 84. 341 Laut einer Umfrage von „Guida al Diritto“ wurden von insg. 167 Landgerichten in Italien 116 Landgerichte kontaktiert, von denen 99 Gerichte die Anwendung der Mailänder Tabelle bestätigten. Damit wendeten 60 % der Gerichte die Mailänder Tabelle an, Corrado/De Pascale, Guida al Diritto, in Il Sole-24 Ore, Dossier/4, Mai 2011, S. 5 (6 f.). 342 Cass. 7.6.2011, n. 12408; Vismara/Eidam, DAR 2011, 610; Vismara/Eidam, PHi 2011, 139; Buse, DAR 2017, 561 (562).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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schluss von Richtern, Rechtsanwälten, Universitätsprofessoren und Gerichtsmedizinern, die landesweit Gerichtsentscheidungen auswerten und ihre Ergebnisse in der Mailänder Tabelle zusammentragen.343 Das Urteil 12408/2011 bindet die unterinstanzlichen Gerichte nicht, vielmehr stellt die einheitliche Anwendung der Mailänder Tabelle lediglich eine Empfehlung dar. Da die höchstrichterliche Rechtsprechung aber nahezu einhellig nur die Mailänder Tabelle als mit dem Billigkeitserfordernis nach Art. 1226 c. c. konform ansieht, ist zunehmend die Durchsetzung der Mailänder Tabelle zu verzeichnen,344 von deren Vorgaben das Gericht nur nach ausführlicher Begründung abweichen darf.345 Die Mailänder Tabelle hat keinen Rechtsnormcharakter. Allerdings bestehen Bestrebungen, sie in den Codice civile und andere Gesetze aufzunehmen. Am 21.3.2017 nahm die Abgeordnetenkammer ein entsprechendes Gesetzesvorhaben in erster Lesung an und leitete es an den Senat weiter.346 Der Senat nahm allerdings Änderungen an dem Gesetzentwurf vor, weshalb das Gesetzesvorhaben seit 4.10.2017 in der parlamentarischen Beratung ist.347 Diese im Urteil 12408/2011 geäußerte Präferenz des Kassationshofes für die Mailänder Tabelle veranlasste das Landgericht Rom, seine eigene Tabelle zu überarbeiten und im Jahr 2019 eine aktualisierte Fassung348 zu veröffentlichen. Diese Neufassung trägt insbesondere der Bemessung von verkehrsunfallbedingten schweren Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 10–100 % (Art. 138 ital. VersGB) sowie der Bemessung im Rahmen der Arzthaftung Rechnung. Ob die Neufassung die Rechtspraxis überzeugen wird und die Mailänder Tabelle künftig ablöst, wird sich erst noch herausstellen. Da die Mailänder Tabelle jedenfalls derzeit faktisch der nationale Maßstab zur Bemessung immaterieller Schäden ist, wird im Folgenden nur die Bemessung des danno biologico nach der Mailänder Tabelle in ihrer jüngsten Fassung von 2018349 dargestellt.
343 Vismara/Eidam, DAR 2011, 610; Vismara/Eidam, PHi 2011, 139; Buse, DAR 2017, 561 (562). 344 Cass. 18.5.2017, n. 12470; Cass. 11.7.2017, n. 17061; Cass. 8.1.2016, n. 125 und n. 126; Cass. 29.9.2015, n. 19211; Cass. 20.5.2015, n. 10263; Cass. 6.3.2014, n. 5243; dagegen beanstandete Cass. 8.5.2014, n. 9945 die Anwendung der am Gerichtsort (Rom) geltenden Tabelle nicht; vgl. Buse, DAR 2017, 561 (562) Fn. 24 m. w. N. 345 Cass. 20.4.2017, n. 9950; Cass. 14.10.2015, n. 20615; Cass. 20.5.2015, n. 10263. 346 „Modifiche al codice civile, alle disposizioni per la sua attuazione e al codice delle assicurazioni private, di cui al decreto legislativo 7 settembre 2005, n. 209, concernenti la determinazione e il risarcimento del danno non patrimoniale (1063)“, abrufbar unter . 347 . 348 Abrufbar unter . 349 Abrufbar unter .
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
bb) Reformierung der Mailänder Tabelle nach den sog. „San Martino“-Urteilen In der kumulativen Bemessung des danno biologico, danno morale und danno esistenziale sah der Kassationshof eine unzulässige „Verdoppelung“ des Schadensersatzes (1). Daher leiteten die sog. „San Martino“-Urteile Nr. 26972–26975 vom 11.11.2008 eine große Veränderung in der Struktur des bisherigen Kompensationssystems ein und machten eine grundlegende Reformierung der Mailänder Tabelle erforderlich (2). Durch die letzte Aktualisierung der Mailänder Tabelle im Jahr 2018 wurden weitere wesentliche Neuerungen eingeführt (3).
(1) Kumulative Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico), Gefühlsschadens (danno morale) und Existenzschadens (danno esistenziale) als unzulässige „Verdoppelung“ des Schadensersatzes Bis 2008 sahen die gängige Bemessungspraxis und die Mailänder Tabelle vor, dass der danno biologico nachzuweisen und gesondert zu berechnen war. Daneben wurde automatisch und ohne weiteren Nachweis ein danno morale in Höhe von ¼ bis ½ (in Ausnahmefällen sogar bis zu ⅔) des danno biologico zuerkannt. Zudem wurde den besonderen persönlichen Umständen des Geschädigten im Rahmen der sog. Personalisierung (personalizzazione) durch Erhöhung des danno biologico um bis zu 30 % Rechnung getragen.350 Von dieser unzulässigen „Verdoppelung“ des Schadensersatzes für dieselbe Beeinträchtigung nahm der Kassationshof mit den sog. „San Martino“-Urteilen Abstand. Fortan soll der Nichtvermögensschaden nur noch einheitlich bemessen werden, wobei alle immateriellen Folgen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, wie seelische Leiden im Sinne des danno morale (str. s. u. § 3 III.1.g), S. 152 ff.) und erzwungene Veränderungen der persönlichen Lebensgewohnheiten im Sinne des danno esistenziale nun im danno biologico aufgehen und die Tabellenbeträge – sofern erforderlich – durch eine Erhöhung an die jeweiligen Umstände des Einzelfalles angepasst werden.351 Damit machten die sog. „San Martino“-Urteile aber auch eine Reformierung der gerichtlichen Tabellen erforderlich.
(2) Große Reform der Mailänder Tabelle im Jahr 2009 Am 25.6.2009 veröffentlichte das Landgericht Mailand die neuen Tabellen, in die es die Änderungen entsprechend den sog. „San Martino“-Urteilen eingear350 § I Criteri Orientativi per la liquidazione del danno non patrimoniale derivante da lesione alla integrità psico-fisica e dalla perdita del rapporto parentale, oben § 3 Fn. 349. 351 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/583; Buse, DAR 2017, 561 (561); ders., DAR 2009, 557 (559); Vismara, PHi 2010, 12 (16); Christandl, ZEuP 2011, 392 (400).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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beitet hatte und nun von einem weiten Verständnis des danno biologico ausgeht, der auch den danno morale und danno esistenziale umfasst. Die Bemessung hat fortan in zwei Schritten zu erfolgen: Im ersten Schritt ist der sog. tabellarische „Standardbetrag“ zu ermitteln. Dieser „Standardbetrag“ entspricht dem durchschnittlichen Ersatzbetrag und beinhaltet bereits subjektive Leiden i. S. d. danno morale (a). Im zweiten Schritt sind besondere schadenserhöhende oder -mindernde Umstände im Rahmen der Personalisierung zu berücksichtigen (b). Dabei führte die Reformierung der Mailänder Tabelle 2009 – trotz der nunmehr einheitlichen Bezifferung des Nichtvermögensschadens – insgesamt zu einer Erhöhung der Entschädigungsbeträge (c).
(a) Erster Schritt: Bestimmung des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ Zur Bemessung von Dauerschäden setzt die Mailänder Tabelle abhängig vom Invaliditätsgrad (1–100 %) und dem Alter des Geschädigten (1–100 Jahre) unterschiedliche Beträge fest.352 In der linken Spalte (vgl. exemplarisch Anhang III dieser Arbeit) mit dem Titel „Punto biologico 2008 riv. al 2009“ ist der neue sog. „Punktewert“ (valore del c. d. punto) für den jeweiligen Invaliditätsgrad bzw. -punkt angegeben. Dieser sog. „Punktewert“ bezieht sich ausschließlich auf die nichtvermögensrechtliche Komponente des dauerhaften Gesundheitsschadens (danno biologico permanente).353 Um subjektiven Leiden (sofferenza soggettiva) im Sinne des Gefühlsschadens (danno morale) Rechnung zu tragen, werden die sog. „Punktewerte“ ausweislich der linken Spalte mit dem Titel „aumento“ aufsteigend pro Invaliditätspunkt wie folgt erhöht: y Bei einem Invaliditätsgrad von 1–9 % werden sie um 25 % erhöht, y bei einem Invaliditätsgrad von 10–33 % werden sie progressiv pro Punkt um 26 %–49 % erhöht und y bei Verletzungen mit einem Invaliditätsgrad von 34–100 % wird der sog. „Punktewert“ um 50 % erhöht.354 Durch die prozentuale Erhöhung des sog. „Punktewertes“ wurde der danno morale in die Bemessung des danno biologico integriert und auf diese Weise weiterhin automatisch zugesprochen, was die Vereinigten Senate nach den sog. „San Martino“-Urteilen eigentlich gerade unterbinden wollten.355 352 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/582. 353 Anmerkungen § I zum Erlass der Mailänder Tabelle 2009, abrufbar unter . 354 Anmerkungen § I zum Erlass der Mailänder Tabelle 2009, oben § 3 Fn. 353; Vismara, PHi 2010, 12 (19). 355 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 652 f.; Vismara, PHi 2010, 12 (19).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Zusammen bilden der danno biologico permanente und der danno morale somit den tabellarischen „Standardbetrag“, der in der linken Spalte mit dem Titel „Punto danno ‚non patrimoniale‘ al 2009“ bereits für jeden Invaliditätspunkt berechnet ist. Dieser sog. tabellarische „Standardbetrag“ entspricht dem durchschnittlichen Betrag (liquidazione medio), der zur Bemessung der im Regelfall erlittenen, durchschnittlichen Verletzungsfolgen herangezogen wird. Damit sollen die mit dem jeweiligen Invaliditätsgrad für gewöhnlich verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen abgegolten werden.356 Da die nachteiligen Folgen mit steigendem Invaliditätsgrad bzw. Schwere der Verletzung zunehmen, steigt insofern auch der sog. „Standardbetrag“ überproportional an. Umgekehrt verringert er sich proportional mit zunehmendem Alter, weil sich die Nachteile dann nur noch geringer auswirken. Ausgangspunkt ist der Dauerschaden einer Person im ersten Lebensjahr mit einem Invaliditätsgrad von 1 %.357
(b) Zweiter Schritt: Berücksichtigung besonderer schadenserhöhender oder -mindernder Umständen im Rahmen der Personalisierung Auf der Grundlage des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ ist in einem zweiten Schritt im Rahmen der Personalisierung (personalizzazione) den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen.358 Erbringt der Geschädigte den Beweis für das Vorliegen besonderer, gegenüber vergleichbaren Fällen schadenserhöhender subjektiver Erschwernisse, wie z. B. sehr starke Schmerzen oder sonstige Beeinträchtigungen, die über die mit der Verletzung für gewöhnlich verbundenen Beeinträchtigungen hinaus gehen,359 so ist der Schadensersatz zu erhöhen. Insofern enthält die Mailänder Tabelle in der rechten Spalte (vgl. exemplarisch Anhang III dieser Arbeit) mit dem Titel „aumento personalizzato“ jedoch eine Beschränkung der Möglichkeit zur Erhöhung des Schadensersatzes, die mit zunehmendem Invaliditätsgrad wie folgt absteigt: y Bei einem Invaliditätsgrad von 1–9 % ist eine Erhöhung um 50 % möglich, y bei einem Invaliditätsgrad von 10–33 % kann der Schadensersatz absteigend um 49 %–26 % erhöht werden und y bei Verletzungen mit einem Invaliditätsgrad von 34–100 % ist nur noch eine Erhöhung um 25 % möglich.360 356 357
Vismara, PHi 2010, 12 (19). Buse, DAR 2017, 561 (562). 358 Anmerkungen § I zum Erlass der Mailänder Tabelle 2009, oben § 3 Fn. 353; Vismara, PHi 2010, 12 (19); Buse, DAR 2017, 561 (562). 359 Vismara, PHi 2010, 12 (19). 360 Anmerkungen § I zum Erlass der Mailänder Tabelle 2009, oben § 3 Fn. 353; die konkreten Zahlen ergeben sich jedoch unmittelbar aus der Tabelle selbst (rechte Spalte – aumento personalizzato); Vismara, PHi 2010, 12 (19).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
147
(c) Insgesamt Erhöhung der Entschädigungsbeträge infolge der Reformierung 2009 Entgegen der kurz nach den sog. „San Martino“-Urteilen geäußerten Befürchtungen, dass die Entschädigungsbeträge durch ihre einheitliche Bezifferung zugunsten der Versicherungswirtschaft reduziert werden könnten, erhöhte das Landgericht Mailand die Beträge sogar. Sah die Mailänder Tabelle von 2008 für jeden Tag der vorübergehenden vollständigen Invalidität noch € 69,14 vor, so waren es nach der Reformierung 2009 sogar € 88,00 pro Tag, die aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles auf bis zu € 132,00 erhöht werden konnten. Damit trug das Landgericht Mailand der Annahme Rechnung, dass der Kassationshof nicht die Absicht gehabt habe, die bis dahin üblichen Entschädigungsbeträge neu festzulegen.361 Auch im Hinblick auf Dauerschäden wurden die Beträge im Vergleich zu 2008 deutlich erhöht: So fand z. B. in Bezug auf einen 31-jährigen Geschädigten bei einem Invaliditätsgrad von 30 % eine Erhöhung um 16,09 % statt, bei einem Invaliditätsgrad von 40–70 % eine Erhöhung um 14,8 % und bei einem Invaliditätsgrad von 80–90 % eine Erhöhung um 10,71 %.362
(3) Weitere Neuerungen infolge der Aktualisierung der Mailänder Tabelle im Jahr 2018 Die durch die große Reform der Mailänder Tabelle im Jahre 2009 eingeführten Änderungen gelten auch heute noch, lediglich die Entschädigungsbeträge wurden entsprechend des Verbraucherpreisindexes des italienischen Nationalen Instituts für Statistik (ISTAT) regelmäßig angepasst. Im Vergleich zur Mailänder Tabelle 2014 brachte die Mailänder Tabelle 2018 aber vier weitere grundlegende Neuerungen zur Bemessung des Nichtvermögensschadens in folgenden Fällen: 1) Schaden aufgrund des vorzeitigen Todes (danno da premorienza oder danno biologico intermittente). Ein solcher liegt vor, wenn das Opfer infolge der Verletzung einen Dauerschaden (invalidità permanente) erlitten hat und in großem zeitlichem Abstand an anderen als den Unfallfolgen stirbt, bevor der Richter den Dauerschaden bemessen konnte.363 2) Schaden mit Todesfolge (danno terminale), der später noch gesondert dargestellt wird (s. u. § 4 V.). 361 362
Vismara, PHi 2010, 12 (18 f.). Für eine tabellarische Gegenüberstellung der Mailänder Tabelle von 2008 und 2009 vgl. Vismara, Le nuove Tabelle del Tribunale di Milano. Analisi e confronto, 2009, abrufbar unter . 363 Zur Bemessung des danno da premorienza vor der Mailänder Tabelle 2018 vgl. Buse, DAR 2017, 561 (563 f.) m. w. N. aus der Rspr.; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 216.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
3) Schaden aufgrund der Diffamierung durch die Presse und andere Massenmedien (danno da diffamazione a mezzo stampa e con altri mezzi di comunicazione di massa). 4) Schaden infolge böswilliger Prozessführung im Sinne von Art. 96 c. p. c. (danno da lite temeraria). Keinen Eingang in die Mailänder Tabelle 2018 fand dagegen die Behandlung gesundheitlicher Vorschäden.364
cc) Grundlagen der Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) nach der Mailänder Tabelle 2018 Für den danno biologico, der durch unerlaubte Handlungen außerhalb des Straßenverkehrs verursacht wurde, hat die Rechtsprechung eine Vielzahl von Definitionen entwickelt, die jedoch inhaltlich mit den spezialgesetzlichen Definitionen übereinstimmen (1). Dabei ist auch hier zunächst die Bestimmung des Invaliditätsgrades durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) erforderlich (2), bevor der Nichtvermögensschaden beim vorübergehenden Gesundheitsschaden (3) und beim Dauerschaden (4) bemessen werden kann.
(1) Keine allgemeingültige Definition des Gesundheitsschadens (danno biologico) im Codice civile Im Gegensatz zu Art. 138, 139 ital. VersGB sieht der Codice civile keine allgemeingültige Definition des danno biologico vor, wenn die Verletzung durch eine unerlaubte Handlung, wie z. B. eine Schlägerei, verursacht wurde. Vielmehr hat sich durch die Rechtsprechung eine Vielzahl von Definitionen herausgebildet, die allerdings sowohl untereinander als auch im Verhältnis zu den verschiedenen spezialgesetzlichen Definitionen inhaltsgleich sind: So z. B. Art. 138 Abs. 2 lit. a) und Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB für Verkehrsunfälle; Art. 13 D. lgs. 23.2.2000, n. 38 für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten und Art. 1 lit. a) D. P. R. 30.10.2009, n. 181 für Terrorismusopfer. Allgemeine Voraussetzung ist die Verletzung der körperlich-geistigen Integrität, die unabhängig von vermögensrechtlichen Folgen zu einer Verschlechterung des Zustands und der Lebensqualität des Opfers führt.365 Der danno biologico umfasst also sowohl körperliche als auch psychische Krankheiten, die medizinsch feststellbar sind. Dabei kann die aus der Verletzung resultierende
364 Vgl. Buse, DAR 2017, 561 (563) m. w. N. aus der Rspr.; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 214; zum Umgang mit Vorschädigungen im deutschen Recht vgl. NK‑GVR/Slizyk, 2. Aufl. 2017, § 253 BGB Rn. 88 ff. 365 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 197, 200 ff.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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Invalidität vorübergehender Natur (danno biologico temporaneo) oder dauerhafter Natur (danno biologico permanente) sein.366
(2) Bestimmung des Invaliditätsgrades durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) mit Hilfe von Schadensskalen Auch die Bemessung des danno biologico mit Hilfe der Mailänder Tabelle setzt zunächst voraus, dass ein medizinischer Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) den Invaliditätsgrad und die Dauer der vorübergehenden Invalidität mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) bestimmt. Dabei kann er auf konventionelle Schadensskalen zurückgreifen, da D. M. 3.7.2003 nur für leichte Körperverletzungen infolge von Verkehrsunfällen zwingend anzuwenden ist.
(3) Bemessung von vorübergehenden Gesundheitsschäden Beim vorübergehenden Körper- oder Gesundheitsschaden handelt es sich um eine heilbare und damit vorübergehende Gesundheitsbeeinträchtigung, die absolut oder partiell sein kann. Dabei beschreibt die vorübergehende Vollinvalidität (invalidità temporanea totale) den Zeitraum, in dem der Verletzte an der Ausübung gewöhnlicher, existenzieller Betätigungen, wie z. B. sich zu waschen, anzukleiden oder zu gehen, gehindert ist. Sie geht während des Heilungsprozesses in eine vorübergehende Teilinvalidität (invalidità temporanea parziale) über (z. B. 75 %, dann 50 % etc.), bis der Geschädigte seine normalen Fähigkeiten wiedererlangt hat.367 Für jeden Tag der vorübergehenden Vollinvalidität von 100 % sieht die Mailänder Tabelle 2018368 einen pauschalen Geldbetrag in Höhe von € 98,00 vor, der im Rahmen der Personalisierung bei Vorliegen nachgewiesener Besonderheiten um maximal 50 %, mithin auf € 147,00 pro Tag, erhöht werden kann. Geht die vorübergehende Vollinvalididtät während des Heilungsprozesses in eine Teilinvalidität über (z. B. 75 %, 50 % etc.), reduziert sich dieser Betrag verhältnismäßig.369 Dabei wenden die Gerichte stets den zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung gültigen Tabellenwert an und nicht den Wert zum Zeitpunkt des Unfalls.370 366 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/582. 367 Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208). 368 Abrufbar unter . 369 Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208). 370 Cass. 11.7.2017, n. 17061; Cass. 4.2.2016, n. 2167; Cass. 13.12.2016, n. 25485; Cass. 29.9.2015, n. 19211; Cass. 6.3.2014, n. 5254; nach Cass. 28.2.2017 n. 5013 kommt es auf die Tabellenwerte im Zeitpunkt einer vor Urteilsfällung erfolgten Schadensersatzleistung an.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
(4) Bemessung von Dauerschäden mit einem Invaliditätsgrad von 1–100 % Die dauerhafte Invalidität (invalidità permanente) beschreibt dagegen dauerhafte und irreversible Beeinträchtigungen der körperlich-geistigen Integrität, wie z. B. den Verlust eines Fingers. Nach der großen Reform der Mailänder Tabelle infolge der sog. „San Martino“-Urteile hat die Bemessung fortan in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst ist der sog. tabellarische „Standardbetrag“ zu ermitteln (a), der dann bei Vorliegen besonderer Umstände im Wege der Personalisierung erhöht werden kann (b) (s. o. § 3 III.1.e)bb)(2)(b), S. 146).
(a) Erster Schritt: Bestimmung des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ Für Dauerschäden setzt die Mailänder Tabelle je nach Invaliditätsgrad (1– 100 %) und Alter des Geschädigten (1–100 Jahre) unterschiedliche Beträge fest. Aus der Mailänder Tabelle lässt sich daher abhängig vom Invaliditätsgrad und dem Alter des Geschädigten der sog. tabellarische „Standardbetrag“ ablesen. Dabei entspricht der sog. „Standardbetrag“ dem durchschnittlichen Betrag (liquidazione medio), der zur Bemessung der im Regelfall erlittenen, durchschnittlichen Verletzungsfolgen herangezogen wird. Mit diesem Betrag sollen die mit dem jeweiligen Invaliditätsgrad für gewöhnlich verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen abgegolten werden.371 Zudem trägt der sog. „Standardbetrag“ auch bereits den subjektiven Leiden i. S. d. danno morale Rechnung (s. o. § 3 III.1.e)bb)(2)(a), S. 145). Da es sich bei Schadensersatzpflichten um Geldwertschulden (debiti di valore) handelt, muss das (Berufungs-)Gericht bei der Bestimmung des sog. „Standardbetrags“ stets die Mailänder Tabelle in der zum Urteilszeitpunkt aktuell geltenden Fassung anwenden, selbst wenn im früheren Zeitpunkt der Schädigung andere Werte galten.372
(b) Zweiter Schritt: Berücksichtigung besonderer schadenserhöhender oder -mindernder Umständen durch Personalisierung des sog. „Standardbetrags“ Auf Grundlage des sog. tabellarischen „Standardbetrags“ ist in einem zweiten Schritt eine Personalisierung (personalizzazione) vorzunehmen. Liegen gegenüber vergleichbaren Fällen besondere Umstände vor, die eine außergewöhnliche Schadensfolge darstellen, so kann der Schadensersatz erhöht werden. Hierfür hat der Geschädigte die besondere Beeinträchtigung und au371
Vismara, PHi 2010, 12 (19). Cass. 11.7.2017, n. 17061; Cass. 4.2.2016, n. 2167; Cass. 13.12.2016, n. 25485; Cass. 29.9.2015, n. 19211; Cass. 6.3.2014, n. 5254; nach Cass. 28.2.2017 n. 5013 kommt es auf die Tabellenwerte im Zeitpunkt einer vor Urteilsfällung erfolgten Schadensersatzleistung an; MüKoStVR/Buse, Kap. 2/Italien, Rn. 200. 372
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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ßergewöhnlichen Schadensfolgen darzulegen und zu beweisen und der Richter muss die Ermessensausübung in seiner Entscheidung begründen.373 Ausweislich der rechten Spalte (vgl. Anhang III dieser Arbeit) mit dem Titel „aumento personalizzato“ ist die Möglichkeit der Erhöhung allerdings – abhängig vom Invaliditätsgrad – prozentual beschränkt (s. o. § 3 III.1.e)bb)(2)(b), S. 146). Mindern die besonderen Umstände ausnahmsweise die normalen Schadensfolgen oder schließen sie sogar aus, ist ihnen durch eine Reduzierung oder gegebenfalls sogar durch einen vollständigen Ausschluss des Schadensersatzes Rechnung zu tragen.374 Die von der Rechtsprechung verwendeten Kriterien, die eine Erhöhung im Rahmen der Personalisierung gestatten, sind sehr vielfältig, wie z. B. das Erfordernis weiterer chirurgischer Eingriffe, das Auftreten schwerer Komplikationen, Schmerzen, die das Opfer infolge der Verletzung erlitten hat, Beeinträchtigungen bei Tätigkeiten des täglichen Lebens oder der Verschuldensgrad bei der unerlaubten Handlung.375 Sofern die schädigende Handlung zugleich eine vorsätzliche Straftat darstellt, weil das Opfer z. B. ausgeraubt, entführt oder körperlich misshandelt wurde, hat das Gericht auch diesem Umstand durch eine Anspruchserhöhung Rechnung zu tragen. Darin ist allerdings kein Indiz für die Straffunktion zu sehen, sondern vielmehr leiden die Opfer in den genannten Fällen regelmäßig unter größeren psychophysischen Beeinträchtigungen.376
f) Grundsätzlich Ersatz eines Kapitalbetrags Grundsätzlich werden immaterielle Schäden in Italien mit einem Kapitalbetrag ersetzt. Bei Dauerschäden (invalidità permanente) kann das Gericht die Ersatzleistung nach Art. 2057 c. c. unter Berücksichtigung der Umstände der Parteien und der Art des Schadens auch in Form einer Leibrente festlegen. Das gilt ebenfalls für durch Verkehrsunfälle verursachte Dauerschäden, denn Art. 138, 139 ital. VersGB enthalten nur vorrangige Spezialregelungen für die Bemessung dieser Schäden, wohingegen Art. 2057 c. c. allgemein regelt, wie die Zahlung der Ersatzleistung zu erfolgen hat.377
373 § I Criteri Orientativi per la liquidazione del danno non patrimoniale derivante da lesione alla integrità psico-fisica e dalla perdita del rapporto parentale, a. a.O § 3 Fn. 349; Cass. (ord.) 27.3.2018, n. 7513. 374 Buse, DAR 2017, 561 (562) m. w. N. aus der Rspr. 375 Eine tabellarische Fallanalyse findet sich bei Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 684 ff. 376 § I Criteri Orientativi per la liquidazione del danno non patrimoniale derivante da lesione alla integrità psico-fisica e dalla perdita del rapporto parentale, oben § 3 Fn. 349. 377 Rossetti, in: Gabrielli/Carnevali (Hrsg.), Commentario del Codice Civile, Dei Fatti Illeciti, 2011, Art. 2057, Kapitel 2.3., S. 595 f.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
g) Verhältnis zwischen Gesundheitsschaden (danno biologico) und Gefühlsschaden (danno morale) nach den sog. „San Martino“-Urteilen Obwohl der Gefühlsschaden (danno morale) nach den sog. „San Martino“-Urteilen im Fall von Körperschäden von den Ersatzbeträgen des Gesundheitsschadens (danno biologico) umfasst sein sollte (aa) betont der Gesetzgeber die eigenständige Bedeutung des danno morale gegenüber dem danno biologico (bb).
aa) Einheitliche Bemessung des Nichtvermögensschadens nach den sog. „San Martino“-Urteilen Vor 2008 entsprach es der gängigen Praxis den danno morale für Schmerz und Leid im Zusammenhang mit einer Körperverletzung zusätzlich zum danno biologico zu gewähren. Der danno biologico wurde mit Hilfe des jeweils anzuwendenden Tabellensystems ermittelt und der danno morale wurde sodann mit ¼ bis ½ (maximal ⅔) des danno biologico bemessen und zu diesem addiert.378 In dieser Praxis sahen die Vereinigten Senate des Kassationshofes eine unzulässige Verdoppelung des Schadensersatzes für dieselbe Beeinträchtigung und sprachen sich 2008 in den sog. „San Martino“-Urteilen gegen eine solche Kumulierung aus.379 Fortan sollte bei Körper- und Gesundheitsverletzungen der danno biologico Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens sein. Dem danno esistenziale und danno morale sollte im Rahmen des danno biologico Rechnung getragen werden.380 Dennoch ergingen in der Folgezeit etliche Entscheidungen, die sowohl die begriffliche als auch betragsmäßige Selbständigkeit des danno esistenziale sowohl gegenüber dem danno morale als auch dem danno biologico betonten.381 Nach anderer Ansicht sollte der danno esistenziale dagegen bereits vom Begriff des danno biologico im Sinne von Art. 139 Abs. 2 ital. VersGB umfasst sein und gegebenenfalls im Rahmen der Personalisierung (personalizzazione) anspruchserhöhend berücksichtigt werden. Eine gesonderte Entschädigung sollte dagegen nicht stattfinden, so zuletzt auch der dritte Senat des Kassationshofes in der Entscheidung Nr. 901 vom 17.1.2018.382 Erheblich größe378 Lemor, SVR 2007, 372 (372); Feller/Jurisch, ZfSch 2008, 543 (546); Feller/Perencin/ Jurisch, ZVR 2008, 250 (253); Gutachten des italienischen Justizministeriums, in JbItalR 13 (2000), 309 (316). 379 Christandl, ZEuP 2011, 392 (400 f.). 380 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/583; Buse, DAR 2009, 557 (559). 381 Cass. 30.6.2011, n. 14402, in Foro it. 2011, I, 2274, zur selbständigen Bedeutung des danno esistenziale ggü. dem danno biologico beim Verlust einer nahestehenden Person Cass. 20.11.2012, n. 20292; zur gesonderten betragsmäßigen Ausweisung aller drei Figuren Cass. sez. lav. 19.1.2015, n. 777; Cass. 11.10.2013, n. 23147; Viana, in Persona e Mercato, 1/2013, S. 22 (36 ff.). 382 Cass. 17.1.2018, n. 901; so auch Cass. sez. lav. 15.1.2016, n. 583; Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (208); Chindemi, in NGCC 2006, II, 128 (136).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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re Bedeutung kommt aber dem Verhältnis zwischen danno morale und danno biologico zu.
bb) Betonung der eigenständigen Bedeutung des Gefühlsschadens gegenüber dem Gesundheitsschaden durch den italienischen Gesetzgeber Nicht nur zwei Verordnungen des Staatspräsidenten aus dem Jahr 2009 sehen eine gesonderte Bemessung des danno morale vor (1), sondern auch Art. 138 Abs. 3 und Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB (2).
(1) Bemessung des Gefühlsschadens mit bis zu ⅔ des Gesundheitsschadens nach Art. 5 Abs. 1 lit. c D. P. R. 3.3.2009, n. 37 und Art. 4 Abs. 1 lit. c D. P. R. 30.10.2009, n. 181 Obwohl in der Folgezeit etliche Entscheidungen ergingen, die den sog. „San Martino“-Urteilen der Vereinigten Senate folgten,383 löste die Bemessung des danno morale im Rahmen des danno biologico aber auch heftigen Widerstand aus und kurze Zeit nach den sog. „San Martino“-Urteilen gewährte auch der dritte Senat des Kassationshofes wieder Ersatz des danno morale neben dem danno biologico.384 Zudem erließ der Staatspräsident im Jahr 2009 zwei Verordnungen (decreto del Presidente della Repubblica = D. P. R.), die eine gesonderte Bemessung des danno morale vorsahen: Art. 5 D. P. R. 3.3.2009, n. 37 regelt im Hinblick auf die Entschädigung von Militärangehörigen aufgrund von Einsätzen im Ausland, dass der danno morale nicht Teil des danno biologico ist. Vielmehr ist der danno morale nach Art. 5 Abs. 1 lit. c D. P. R. 3.3.2009, n. 37 von Fall zu Fall zu bemessen. Dabei ist neben dem Ausmaß des seelischen Leids und der Störung des Gefühlslebens auch der Verletzung der Würde der Person Rechnung zu tragen und der danno morale in Bezug auf das schädigende Ereignis mit bis zu ⅔ des danno biologico zu bemessen. Eine wortgleiche Regelung enthält Art. 4 Abs. 1 lit. c D. P. R. 30.10.2009, n. 181 in Bezug auf die Entschädigung von Terrorismusopfern.385 Diese Verordnungen des Staatspräsidenten sind nach der italie383 Cass. 24.2.2010, n. 4484; Cass. 13.4.2010, n. 8724; Cass. 1.6.2010, n. 13431; Cass. 1.12.2010, n. 24401; Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072; Cass. 13.5.2011, n. 10527; Cass. 28.6.2011, n. 14263; Cass. 14.5.2013, n. 11514; Cass. 16.5.2013, n. 11950; Cass. 3.10.2013, n. 22604; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 780 ff. 384 Cass. 28.11.2008, n. 28407; Cass. 12.12.2008, n. 29191; Cass. 13.1.2009, n. 479; Cass. 20.5.2009, n. 11701; Cass. 11.6.2009, n. 13530; Cass. 15.7.2009, n. 16448; Cass. 19.1.2010, n. 702; Cass. 10.3.2010, n. 5770; Cass. 3.2.2011, n. 2557; Cass. 16.2.2012, n. 2228; Cass. 14.5.2013, n. 11514; Cass. 3.10.2013, n. 22585; Cass. 9.6.2015, n. 11851. 385 Cian/Ferrata, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 139 ital. VersGB, VI. Rn. 2; Vitulia, JbItalR 22 (2009), 137 (146 f.).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
nischen Normenhierarchie nicht als gegenüber formellen Gesetzen nachrangig zu behandeln.386 Demnach wird der danno morale gesondert nach Billigkeit bemessen, wobei allen Umständen des konkreten Falles Rechnung zu tragen ist und nicht nur den in Art. 5 Abs. 1 lit. c D. P. R. 3.3.2009, n. 37 bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. c D. P. R. 30.10.2009, n. 181 genannten Kriterien. Denn danno morale und danno biologico beziehen sich auf unterschiedliche Beeinträchtigungen: zum einen den inneren Schmerz und zum anderen die spürbare Veränderung des täglichen Lebens.387
(2) Keine unzulässige Verdoppelung des Schadensersatzes aufgrund der gesonderten Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens (danno morale) nach Art. 138 Abs. 2 lit. e und Abs. 3 ital. VersGB und Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB In Bezug auf Art. 138, 139 ital. VersGB scheint der Gesetzgeber das Verhältnis geklärt zu haben. Um dem danno morale Rechnung zu tragen soll die für schwere Verletzungen zu erlassende landesweit gültige Tabelle nach Art. 138 Abs. 2 lit. e ital. VersGB im Rahmen der Gesamtpersonalisierung der Bemessung (personalizzazione complessiva della liquidazione) eine je nach Invaliditätspunkten prozentual und progressiv ansteigende Erhöhung des sog. „Punktewertes“ ermöglichen, um so den individuellen Umständen des Verletzten Rechnung zu tragen. Ferner sieht Art. 138 Abs. 3 ital. VersGB für schwere Verletzungen eine Erhöhung des Tabellenbetrages um bis zu 30 % vor und Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB gestattet für leichte Verletzungen eine Erhöhung um bis zu 20 %, falls sich die festgestellte Beeinträchtigung in relevanter Weise nachweisbar und objektiv nachprüfbar auf persönliche Aspekte des dynamischen Beziehungslebens (aspetti dinamico-relazionali personali) auswirkt oder psychisch-körperliche Leiden einer bestimmten Intensität verursacht oder verursacht hat. Darüber hinaus erfolgt keine gesonderte Bemessung des danno morale. Vielmehr sind die unter Art. 138 und Art. 139 ital. VersGB zugesprochenen Gesamtbeträge nach Art. 138 Abs. 4 bzw. Art. 139 Abs. 3 S. 2 ital. VersGB abschließend (esaustivo). In der Entscheidung Nr. 901 vom 17.1.2018 bestätigte auch der dritte Senat des Kassationshofes, dass die gesonderte Ersatzfähigkeit des danno morale neben dem danno biologico keine unzulässige Verdoppelung des Schadensersatzes darstelle und stellte dabei ebenfalls auf den Regelungsinhalt der Art. 138 Abs. 3 und Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB ab.388 386
Kindler, Einführung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 5 Rn. 9 ff. Cass. 26.6.2013, n. 16041; Cass. 3.10.2013, n. 22585; Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c., V. Rn. 2. 388 Cass. 17.1.2018, n. 901; zuvor bereits Cass. 14.11.2017, n. 26805; Cass. 20.4.2016, n. 7766; Cass. 9.6.2015, n. 11851. 387
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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h) Gegenüberstellung der Bemessung nach Art. 138, 139 ital. VersGB und nach der Mailänder Tabelle in einem praktischen Rechenbeispiel Zur Veranschaulichung der vorhergehenden Ausführungen (s. o. § 3 III.1.d) und e), S. 129 ff. und 142 ff.) wird die Bemessung des Nichtvermögensschadens infolge von Verkehrsunfällen nach Art. 139 ital. VersGB (aa) sowie nach der Mailänder Tabelle 2018 (bb) anhand eines praktischen Rechenbeispiels gegenübergestellt. Abhängig von der Schadensursache führt die Anwendbarkeit unterschiedlicher Entschädigungssysteme dazu, dass Verletzungen derselben Art und Schwere mit geringeren Ersatzbeträgen entschädigt werden, wenn sie durch einen Verkehrsunfall verursacht wurden (cc). Dennoch bestätigten sowohl der EuGH als auch der italienische Verfassungsgerichtshof die Unionsrechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit des Art. 139 ital. VersGB (dd). Dem praktischen Rechenbeispiel liegt folgender Sachverhalt389 zugrunde: Der 35-jährige Geschädigte wurde am Arm verletzt (einmal bei einem Verkehrsunfall, einmal durch eine schuldhafte unerlaubte Handlung). Dabei erlitt er eine Schädigung des Schulterblattnervs. Die Verletzung war sehr schmerzhaft. Nach dem Unfall war der Geschädigte 30 Tage ans Bett gefesselt (vorübergehende Vollinvalidität von 100 %), für weitere 30 Tage war er teilweise unbeweglich (vorübergehende Teilinvalidität von 50 %). Die letzten 10 Tage bis zur Stabilisierung seines Gesundheitszustands war er noch geringfügig eingeschränkt (vorübergehende Teilinvalidität von 25 %). Später stellte ein medizinischer Fachgutachter (medico legale) fest, dass eine bleibende Invalidität von 9 % besteht.
aa) Schadensbemessung nach Art. 139 ital. VersGB Bei der durch einen Verkehrsunfall verursachten leichten Körperverletzung mit einem Invaliditätsgrad von 9 % erfolgt die Bemessung des immateriellen Schadens unter Verwendung der im Zeitpunkt der Urteilsfällung geltenden Tabellenwerte des Art. 139 ital. VersGB. Für die Berechnung sind sog. „Schmerzensgeldrechner“ im Internet abrufbar, die den Nichtvermögensschaden nach Eingabe aller relevanten Daten entsprechend berechnen.390 Ohne Personalisierung beträgt der sog. tabellarische „Standardbetrag“ € 17.004,25. Nach Erhöhung dieses Gesamtbetrags um 20 % im Wege der Personalisierung (Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB) kann der Nichtvermögensschaden in diesem Fall maximal € 20.405,10 betragen.
389 Nachempfunden Miribung/Gallmetzer, NZV 2012, 206 (209). 390 Z. B.
.
oder
156
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
30 Tage vorübergehende Vollinvalidität von 100 %
30 Tage x € 47,49
30 Tage vorübergehende Teilinvalidität von 50 %
30 Tage x (€ 47,49 × 50 %)
€ 712,35
10 Tage vorübergehende Teilinvalidität von 25 %
10 Tage x (€ 47,49 × 25 %)
€ 118,73
Summe des vorübergehenden Gesundheitsschadens Bleibende Invalidität in Höhe von 9 % (s. o. § 3 III.1.d)bb)(2)(b), S. 133 f.) Sog. tabellarischer „Standardbetrag“ Ggf. Personalisierung durch Erhöhung des sog. „Standardbetrags“ um bis zu 20 % nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB
€ 1.424,70
€ 2.255,78 € 814,27 × 9 × 2,3 – [0,5 % × (3 – 10)]
€ 14.748,47
€ 17.004,25 × 20 % = € 3.400,85
€ 20.405,10
€ 17.004,25
bb) Schadensbemessung nach der Mailänder Tabelle 2018 Bei einer Schädigung aufgrund einer schuldhaften unerlaubten Handlung außerhalb des Straßenverkehrs erfolgt die Bemessung entsprechend der Mailänder Tabelle. Auch hierfür sind sog. „Schmerzensgeldrechner“ im Internet abrufbar.391 30 Tage vorübergehende Vollinvalidität von 100 %
30 Tage x € 98,00
€ 2.940,00
30 Tage vorübergehende Teilinvalidität von 50 %
30 Tage x (€ 98,00 × 50 %)
€ 1.470,00
10 Tage vorübergehende Teilinvalidität von 25 %
10 Tage x (€ 98,00 × 25 %)
€ 245,00
Zwischensumme Bei der vorübergehenden Invalidität ist laut € 4.655,00 × 50 % Tabelle eine Erhöhung um max. 50 % möglich,= € 2.327,50 da der Tagessatz € 98,00 – € 147,00 beträgt.
€ 4.655,00 [€ 6.982,50]
Dauerschaden in Höhe von 9 % Mailänder Tabelle 2018 (Anhang III dieser Arbeit) Bei einem Dauerschaden von 9 % ist im Wege der Personalisierung eine Erhöhung des sog. „Standardbetrags“ um max. 50 % möglich (rechte Spalte mit dem Titel „aumento personalizzato“).
€ 19.321,00
391
Wert des Basispunktes des Nichtvermögensschadens (Punto base danno non patrimoniale) € 2.586,51 € 19.321,00 × 50 % = € 9.660,50
[€ 28.981,50]
Z. B. .
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
157
Summe des Nichtvermögensschadens ohne Personalisierung des sog. tabellarischen „Standardbetrags“
€ 23.976,00
Summe nach maximaler Ausschöpfung der Personalisierung von 50 %
€ 35.964,00
Ohne Personalisierung bzw. fakultative Erhöhungen beträgt der Nichtvermögensschaden nach der Mailänder Tabelle 2018 insgesamt € 23.976,00. Bei Ausschöpfung der maximalen fakultativen Erhöhungen, mithin der Personalisierung des Dauerschadens um 50 % (€ 28.981,50) und unter Zugrundelegung des höchsten Tagessatzes von € 147,00 bei der vorübergehenden Invalidität, kann der Nichtvermögensschaden in diesem Fall sogar bis zu maximal € 35.964,00 betragen.
cc) Fazit der rechnerischen Gegenüberstellung: Unterschiedliche Entschädigung von Verletzungen derselben Art und Schwere Nach Art. 2056, 1226 c. c. erfolgt die Bemessung des Nichtvermögensschadens grundsätzlich nach billigem Ermessen des Gerichts. Beruht der Gesundheitsschaden auf einer unerlaubten Handlung außerhalb des Straßenverkehrs, dient dem Gericht die Mailänder Tabelle als Orientierungshilfe bei der Bemessung des danno biologico. Dabei wird dem Geschädigten in obigem Beispiel ein sog. tabellarischer „Standardbetrag“ in Höhe von € 23.976,00 (vor Personalisierung) zugesprochen. Bei durch Verkehrsunfälle verursachte Gesundheitsschäden ist das richterliche Ermessen durch Art. 139 ital. VersGB eingeschränkt. In diesem Fall wird derselbe Schaden mit einem um ca. 30 % geringeren Betrag in Höhe von € 17.004,25 (vor Personalisierung) ersetzt. Um den Umständen des konkreten Einzelfalles Rechnung zu tragen, können beide Beträge im Rahmen der Personalisierung erhöht werden. Während nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB nur eine Erhöhung um bis zu 20 % auf insgesamt € 20.405,10 möglich ist, gestattet die Mailänder Tabelle bei einem Invaliditätsgrad von 9 % eine Erhöhung des Gesamtbetrags um bis zu 50 % auf maximal € 35.964,00. Insgesamt kann somit nach der Mailänder Tabelle ein um bis zu 43 % höherer Nichtvermögensschaden zugesprochen werden. Jedenfalls hat der Kassationshof bestätigt, dass Art. 139 ital. VersGB nur für leichte Körperverletzungen infolge von Verkehrsunfällen gilt und nicht auf die allgemeine Haftpflicht für andere unerlaubte Handlungen außerhalb des Straßenverkehrs übertragbar ist.392 392 Cass. 7.6.2011, n. 12408; vgl. Vismara/Eidam, DAR 2011, 610; Vismara/Eidam, PHi 2011, 139.
158
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
dd) Unionsrechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit des Art. 139 ital. VersGB Art. 139 ital. VersGB schränkt das richterliche Ermessen bei der Bemessung des immateriellen Schadens für durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Körperverletzungen mit einem Invaldititäsgrad von 1–9 % erheblich ein. Das führt im Ergebnis dazu, dass nach Art. 139 ital. VersGB um 30 %393 geringere Entschädigungsbeträge zugesprochen werden, als für gleiche Schäden, die eine andere Schadensursache haben und mit Hilfe der Mailänder Tabelle bemessen werden. Dennoch bestätigte der EuGH die Unionsrechtskonformität (1) und der italienische Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit (2) des Art. 139 ital. VersGB.
(1) Bestätigung der Unionsrechtskonformität durch den EuGH mit Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Petillo) Mit Vorlagebeschluss vom 20.6.2012394 in der Rechtssache „Petillo“ legte das Landgericht Tivoli dem EuGH die Frage vor, ob Art. 139 ital. VersGB als nationale Bestimmung, die die Entschädigungshöhe für durch Verkehrsunfälle verusachte leichte Körperverletzungen im Verhältnis zu gleichen Schäden aufgrund anderer Schadensursachen begrenze, mit den Unionsvorschriften für die Kraftfahrzeugversicherung (Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 90/232/ EWG sowie 2009/103/EG) vereinbar sei. Mit Entscheidung C-371/12 vom 23.1.2014395 bestätigte der EuGH die Vereinbarkeit des Art. 139 ital. VersGB mit dem Gemeinschaftsrecht. Demnach ist zwischen der Pflicht zur Deckung von Schäden durch die Haftpflichtversicherung und dem Umfang ihrer Entschädigung zu unterscheiden. Während Erstere durch das Unionsrecht geregelt ist, steht es den Mitgliedstaaten nach gegenwärtigem Stand des Gemeinschaftsrechts jedoch frei, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen und den Umfang des Entschädigungsanspruchs selbst festzulegen. Von dieser Befugnis hat der italienische Gesetzgeber Gebrauch gemacht: So regelt Art. 2059 c. c. die Voraussetzungen für den Ersatz von Nichtvermögensschäden, die durch Verkehrsunfälle verursacht wurden und Art. 139 ital. VersGB legt die Modalitäten für die Bestimmung des Entschädigungsumfangs fest.396 393 Cuocci, NGCC 2015, I, 180 (180) spricht von 30 %, wohingegen Vismara, PHi 2014, 111 (111) von 40 % ausgeht. 394 Vorlagebeschluss des Trib. Tivoli vom 20.6.2012, abrufbar unter . 395 EuGH, Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Enrico Petillo u. a./Unipol Assicurazioni SpA). 396 EuGH, Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Enrico Petillo u. a./Unipol Assicurazioni SpA), Rn. 28 ff., 37. Der EuGH entschied im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
159
Zudem wird der Entschädigungsanspruch durch Art. 139 ital. VersGB nicht ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt, weil erstens überhaupt eine Entschädigung gewährt wird, zweitens die für diese Entschädigung vorgesehene restriktive Berechnungsart nur für durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Körperverletzungen gilt und drittens der sich aus dieser Berechnung ergebende Betrag insbesondere zur Schwere der erlittenen Verletzungen und zur Dauer der verursachten Invalidität in einem angemessen Verhältnis steht. Außerdem kann der Entschädigungsbetrag nach Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB durch eine Erhöhung um bis zu 20 % angepasst werden.397 Im Ergebnis ist die in Art. 139 ital. VersGB normierte Anspruchsbegrenzung für immaterielle Schäden von Verkehrsunfallopfern somit unionsrechtskonform.
(2) Wiederholte Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit von Art. 139 ital. VersGB Trotz bereits zahlreicher früherer Verfassungsbeschwerden398 zu Art. 139 ital. VersGB bzw. seiner Vorgängervorschrift (Art. 5 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 57 vom 5.3.2001) hatten vier Instanzgerichte399 den Verfassungsgerichtshof erneut angerufen, um die Verfassungsmäßigkeit des Art. 139 ital. VersGB unter mehreren Gesichtspunkten überprüfen zu lassen. Mit Entscheidung Nr. 235 vom 16.10.2014 bestätigte der Verfassungsgerichtshof zum wiederholten Male die Verfassmäßigkeit des Art. 139 ital. VersGB.400 Insbesondere stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Cost. vorliege, wenn für durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Verletzungen geringere Entschädigungsbeträge zugesprochen werden, als für gleiche Verletzungen aufgrund anderer Schadensursachen, weil Verkehrsunfallopfer im Vergleich zu anderweitig Geschädigten sogar privilegiert seien. Denn für Kraftfahrzeuge besteht eine gesetzliche Versicherungspflicht mit zwingender Deckungssumme. Zudem steht Verkehrsunfallopfern die Direktklage gegen die Versicherung zu und letztere müssen auch für vorsätzliche Schädigungen durch ihren Versicherungsnehmer einstehen. Ferner profitieren Verkehrsunfallopfer vom Garantiefonds,401 der unter anderem auch dann 397 EuGH, Urt. v. 23.1.2014 – C-371/12 (Enrico Petillo u. a./Unipol Assicurazioni SpA), Rn. 45. 398 Eine Übersicht findet sich bei Cuocci, NGCC 2015, I, 180 (183). 399 Giudice di Pace Torino (ord.) 24.10.2011, in Danno e resp. 2012, 439; Trib. Brindisi, sez. distaccata di Ostuni (ord.) 15.5.2012, in Danno e resp. 2012, 1011; Trib. Tivoli (ord.) 21.3.2012, in Danno e resp. 2012, 1011; Giudice di Pace Recanati (ord.) 24.5.2013; siehe Cuocci, NGCC 2015, I, 180 (180). 400 Corte cost. 16.10.2014, n. 235, in NGCC 2015, I, 172; Facci, NGCC 2015, II, 424 (427 ff.). 401 Zum Garantiefonds vgl. Neidhart, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff (Hrsg.), Praxis des
160
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Entschädigungszahlungen leistet, wenn der Schaden durch ein nicht identifiziertes Fahrzeug verursacht wurde.402 Ferner schließt Art. 139 ital. VersGB die Ersatzfähigkeit des danno morale nicht aus. Der Kassationshof hat in der Entscheidung Nr. 26972 von 2008 festgestellt, dass der danno morale als Teil des danno biologico zu ersetzen ist. Insofern erlaubt Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB die Erhöung des für den danno biologico ermittelten Betrags um bis zu 20 %.403 Zudem verletzt Art. 139 ital. VersGB auch nicht den Grundsatz der „vollständigen Entschädigung“ (integrale risarcimento) (s. o. § 3 III.1.a)bb), S. 126). Denn die Personalisierung des Entschädigungsbetrags im Rahmen von Art. 139 Abs. 3 ital. VersGB ermöglicht es, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den beiden widerstreitenden Interessen herzustellen: dem Entschädigungsinteresse des Verletzten einerseits und dem Interesse der Versichertengemeinschaft an bezahlbaren Versicherungsprämien andererseits. Im obiter dictum deutete der Verfassungsgerichtshof zudem an, dass er die durch Art. 32 Abs. 3-ter und Abs. 3-quarter des D. lgs. 1/2012 eingeführten erhöhten Beweisanforderungen für leichte Körperverletzungen aus Gründen eines stabilen Prämienniveaus für angemessen hält.404 Auf dieser Grundlage bestätigte er mit Beschluss Nr. 242 vom 26.11.2015 erneut die Verfassungsmäßigkeit von Art. 139 Abs. 2 S. 2 ital. VersGB a. F., der einem angemessenen Interessenausgleich dient.405 In einer 2016 ergangenen Entscheidung vertritt der Kassationshof dagegen die gegensätzliche Ansicht, wonach es dem medico legale obliegt die Verletzung mit denjenigen Mitteln festzustellen, die er für geeignet erachtet (zu den Beweisanforderungen bei leichten Körperverletzungen s. o. § 3 III.1.d)bb)(4), S. 135).406
2. Bemessung des Schmerzensgeldes in Deutschland nach § 287 ZPO Nach h. M. kommt dem Schmerzensgeld in Deutschland eine Doppelfunktion zu (a). Ein Anspruch auf Schmerzensgeld wird allerdings nur bei Verletzung bestimmter Rechtsgüter gewährt, wobei die Geringfügigkeitsgrenze überschritten sein muss (b). Bei der Bemessung orientiert sich das Gericht an sog. Schmerzensgeldtabellen und bestimmten Bemessungsfaktoren aus der Sphäre des Verletzten und des Schädigers (c). Auch ein Mitverschulden des Verletzten stellt Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl. 2015, Teil 11.B. VIII. Italien, Rn. 387; ders., Unfall im Ausland, Bd. II, 5. Aufl. 2007, Italien, Rn. 7 ff. 402 Corte cost. 16.10.2014, n. 235, in NGCC 2015, I, 172 mit Anm. Cuocci S. 108 (181); Vismara, PHi 2014, 219. 403 Corte cost. 16.10.2014, n. 235, in NGCC 2015, I, 172 mit Anm. Cuocci S. 180 (181 f.). 404 Corte cost. 16.10.2014, n. 235, in NGCC 2015, I, 172 mit Anm. Cuocci S. 180 (182). 405 Corte cost. (ord.) 26.11.2015, n. 242. 406 Cass. 26.9.2016, n. 18773, in Foro it. 2016, I, 3863.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
161
ein Bemessungskriterium dar (d). Dabei wird das Schmerzensgeld grundsätzlich als Kapitalbetrag ersetzt (e).
a) Funktion des Schmerzensgeldes In Deutschland kommt dem Schmerzensgeld eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu (aa). Lediglich bei der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Medien kommt der Geldentschädigung auch eine Präventionsfunktion zu (bb).
aa) Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom 6.7.1955 kommt dem Schmerzensgeld eine Doppelfunktion zu:407 In erster Linie erfüllt das Schmerzensgeld eine Ausgleichsfunktion. Es soll dem Geschädigten einen Ausgleich für seine immateriellen Einbußen verschaffen, die er durch die Verletzung erlitten hat. Zwar können seelische Entbehrungen durch eine Geldzahlung nicht ungeschehen gemacht werden, allerdings soll der Verletzte dadurch in die Lage versetzt werden, sich mithilfe des Schmerzensgeldes Annehmlichkeiten oder Erleichterungen zu verschaffen, wie z. B. eine Urlaubsreise.408 Daneben kommt dem Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion zu.409 Der Geschädigte soll Genugtuung für seine Rechtsgutsverletzung erhalten, weshalb auch die Schwere des Verschuldens des Schädigers und eine grundlos verzögerte Schadensregulierung berücksichtigt werden.410 Damit trug der BGH dem Umstand Rechnung, dass die rechtsgeschichtlichen Ursprünge des Schmerzensgeldes im Strafrecht (§ 231 Abs. 1 StGB vom 1.1.1872, s. o. § 3 II.1.b)aa), S. 82 f.) liegen. Mit der Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs auf die Gefährdungshaftung wurde der Genugtuungsfunktion allerdings die Grundlage entzogen, weil sie zu einer „Bestrafung“ des Schädigers im Sinne einer verschuldensunabhängigen Ersatzpflicht führt und eine solche Bestrafung im Bereich von Straßenverkehrsunfällen angesichts der Regulierung durch die Haftpflichtversicherung sinnlos erscheint.411 Deshalb betont der BGH mittlerweile zunehmend die Ausgleichsfunktion,412 hält aber bei vorsätzlichen Schädigungen weiterhin an der Genugtuungsfunktion fest.413 407 BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – Großer 408 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019,
Zivilsenat 1/55 = NJW 1955, 1675. BGB § 253 Rn. 10 f.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht,
13. Aufl. 2016, Rn. 705. 409 BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – Großer Zivilsenat 1/55 = NJW 1955, 1675; BGH, Urt. v. 29.11.1994 – VI ZR 93/94 = NJW 1995, 781. 410 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (35); MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 11. 411 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 706; Diederichsen VersR 2005, 433 (435). 412 BGH, Urt. v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91 = NJW 1993, 781; BGH, Urt. v. 15.1.1991 – VI ZR 163/90 = NJW 1991, 1544 (1545). 413 BGH, Urt. v. 29.11.1994 – VI ZR 93/94 = NJW 1995, 781.
162
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
bb) Präventionsfunktion nur bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Darüber hinaus misst der BGH der Geldentschädigung bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Medien auch eine Präventionsfunktion zu.414 Da die Verletzung der Würde und Ehre des Menschen schwer wiegt und durch die Verletzung bzw. Veröffentlichung hohe Gewinne erzielt werden können, muss sich die Bemessung am erzielten Gewinn des Verletzers orientieren, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Die Entschädigung für Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet. Da § 253 Abs. 2 BGB somit weder unmittelbar noch analog anwendbar ist (s. o. § 3 II.3.b)aa)(1), S. 116 f.), ist fraglich, ob die Präventionsfunktion überhaupt ohne weiteres auf § 253 Abs. 2 BGB übertragen werden kann.415 Im Bereich der Gefährdungshaftung erscheint das zumindest zweifelhaft. Da nicht auf ein steuerbares Fehlverhalten des Schädigers abgestellt wird, kann selbst ein sehr hohes Schmerzensgeld keine abschreckende, präventive Wirkung auf den Schädiger entfalten.
b) Geringfügigkeitsgrenze und HWS‑Schleudertraumata Sofern eines der in § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 11 S. 2 StVG genannten Rechtsgüter verletzt ist, kann wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Das ist insbesondere bei Körper- und Gesundheitsverletzungen der Fall. Bei Bagatellverletzungen, wie z. B. bei geringfügigen Platz- und Schürfwunden416 oder leichten Prellungen417 sprechen die Gerichte dagegen kein Schmerzensgeld zu. Angesichts dieser von der Rechtsprechung entwickelten Geringfügigkeitsschwelle hat der Gesetzgeber im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften auf die Einführung einer Bagatellgrenze verzichtet.418 Obwohl leichte Halswirbelsäulen-Schleudertraumata (HWS‑Syndrom) nach Verkehrsunfällen mit der medizinischen Diagnostik regelmäßig nicht feststellbar sind, werden sie von Versicherungen dennoch routinemäßig entschädigt,
414 BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = NJW 1995, 861 (Caroline von Monaco I); BGH, Urt. v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94 = NJW 1996, 984 (Caroline von Monaco II); BVerfG, Beschl. v. 8.3.2000 – 1 BvR 1127/96 = NJW 2000, 2187. 415 Dagegen MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 14; a. A. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 707. 416 BGH, Urt. v. 27.5.1993 – III ZR 59/92 = NJW 1993, 2173 (2175). 417 BGH, Urt. v. 10.7.2012 − VI ZR 127/11 = NJW 2012, 2964; OLG Celle, Urt. v. 24.1.1980 – 5 U 279/78 = VersR 1980, 358 (359). 418 BT‑Drs 14/8780, S. 20.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
163
weil die geringe Auffahrgeschwindigkeit des Unfallverursachers kein Verteidigungsmittel ist419 (s. o. § 3 II.2.b)bb), S. 99).
c) Grundlagen der Schmerzensgeldbemessung im deutschen Recht Nach § 253 Abs. 2 BGB kann wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Die Bemessung des Schmerzensgeldes steht nach § 287 ZPO im freien Ermessen des Gerichts. Dabei hat das Gericht bei der Festsetzung der „billigen“ Entschädigung alle Umstände des Falles zu berücksichtigen und sie in ein angemessenes Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzungen zu bringen.420 Daher verlangt die Bestimmung der billigen Entschädigung auch eine umfassende Betrachtung der Fuktion des Schmerzensgeldes, um dem Geschädigten einerseits einen Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung zu verschaffen und ihm andererseits auch Genugtuung zu gewähren. Dabei orientiert sich das Gericht an sog. Schmerzensgeldtabellen (aa) und an Bemessungsfaktoren, die den Umständen des Geschädigten Rechnung tragen (bb) und solchen, die die Verhältnisse des Schädigers berücksichtigen (cc).
aa) Orientierung an sog. Schmerzensgeldtabellen Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht zu berücksichtigen, dass unabhängig vom Haftungsgrund für vergleichbare Verletzungen in der Regel ein Schmerzensgeld in annähernd gleicher Höhe zuzusprechen ist. Verbindliche Kataloge existieren in Deutschland nicht.421 Bei der Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe orientiert sich die Rechtspraxis aber an sog. Schmerzensgeldtabellen, in denen nach Verletzungsarten sortierte Gerichtsentscheidungen ausgewertet sind, wobei nur gleichartige Fälle einbezogen werden dürfen und die Geldentwertung infolge des Zeitablaufs zu berücksichtigen ist.422 Schmerzensgeldtabellen bieten aber nur eine Orientierungshilfe. Sie sind nicht verbindlich, legen keine Ober- und Untergrenze fest und begrenzen auch nicht das richterliche Ermessen. Sie dienen dem Gericht lediglich als Mittel der Information und Präjudizienfindung und bilden somit nur einen Anhaltspunkt. Da es aber für bestimmte Verletzungen keine festen Bewertungskategorien im Sinne einer „Gliedertaxe“ gibt, ist eine mechanische Anwendung untersagt.423 Vielmehr hat das Gericht sein Ermessen nach § 287 ZPO sachgerecht auszuüben. Hierzu muss es alle für die Schmerzensgeldhöhe maßgeben419 BGH, Urt. v. 28.1.2003 − VI ZR 139/02 = NJW 2003, 1116 (1117); Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 719. 420 BGH, Urt. v. 8.6.1976 − VI ZR 216/74 = VersR 1976, 967. 421 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 37. 422 Luckey, SVR 2014, 125 (128); Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 253 Rn. 15. 423 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 9. Aufl. 2018, Rn. 1206.
164
§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
den Umstände berücksichtigen, darf bei seiner Abwägung nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und muss die Entschädigung in eine angemessene Beziehung zu Art und Dauer der erlittenen Schäden setzen.424 Dabei ist das Gericht nicht daran gehindert, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unter- oder überschreiten. Diese Entscheidung hat es aber entsprechend zu begründen.425 Vor allem in den letzten Jahren ist festzustellen, dass die Instanzgerichte bei schwersten und dauerhaften Gesundheitsverletzungen höhere Schmerzensgeldbeträge zusprechen.426
bb) In der Person des Geschädigten zu berücksichtigende Umstände Ausgehend von der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes (s. o. § 3 III.2.a)aa), S. 161) soll der Schmerzensgeldanspruch primär Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung verschaffen. Dieser lässt sich aber nicht streng rechnerisch ermitteln, weil menschliches Leid und finanzielle Ressourcen inkommensurabel sind.427 Der Ausgleichsfunktion liegt der Gedanke zugrunde, dass der Schädiger dem Geschädigten das Leben schwer gemacht hat und es ihm durch seine Leistung im Rahmen des Möglichen wieder leichter machen soll. Unter Berücksichtigung dieser Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bilden in erster Linie die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung.428 Zudem sind in der Person des Geschädigten auch die Dauer der stationären Behandlung, Belastungen durch Operationen und Behandlungsmaßnahmen, bleibende dauerhafte Behinderungen und sein Alter zu berücksichtigen sowie Beeinträchtigungen der Freizeitgestaltung, der sportlichen Betätigungsmöglichkeiten und die verletzungsbedingte Aufgabe des Berufs, weil die Berufsausübung auch Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung ist.429 Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten können ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Sie sind aber nur zu berücksichtigen, wenn sie dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben.430 Unerheblich für die Schmerzensgeldbemessung ist dagegen, wenn der Geschädigte aus einem ausländischen Rechtskreis stammt und in seinem Heimatland höhere Entschädigungsbeträge 424
BGH, Urt. v. 8.6.1976 − VI ZR 216/74 = VersR 1976, 967. BGH, Urt. v. 8.6.1976 − VI ZR 216/74 = VersR 1976, 967; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 715. 426 Höke, NZV 2014, 1 (2) m. w. N. aus der Rechtsprechung; so schon Ott/Schäfer, JZ 1990, 563 (569). 427 Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Katzenmeier JZ 2017, 869 (872). 428 BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – Großer Zivilsenat 1/55 = NJW 1955, 1675. 429 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 40 ff. 430 BGH, Vereinigte Große Senate, Beschl. v. 16.9.2016 – VGS 1/16 = r+s 2017, 101. 425
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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gewährt werden, sofern er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat.431 Die auswärtigen Verhältnisse sind allenfalls anspruchsmindernd oder -erhöhend zu berücksichtigen, wenn im Aufenthaltsstaat des Geschädigten ein deutlich geringeres oder höheres Kaufkraftniveau herrscht als in Deutschland.432
cc) In der Person des Schädigers zu berücksichtigende Umstände Zugleich soll das Schmerzensgeld dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Verletzten auch Genugtuung schuldet, wobei dieser Gesichtspunkt bei leichter Fahrlässigkeit und Gefährdungshaftung heutzutage meist in den Hintergrund tritt (s. o. § 3 III.2.a)aa), S. 161). So ist unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion der Grad des Verschuldens des Schädigers zu berücksichtigen, mit der Folge, dass eine vorsätzliche oder besonders brutale Schädigung das Schmerzensgeld erhöht.433 Berücksichtigt wird auch das Verhalten des Schädigers nach der Tat sowie das Regulierungsverhalten seiner Haftpflichtversicherung, das er sich wie eigenes Verhalten zurechnen lassen muss.434 So wirkt es entschädigungserhöhend, wenn sich der leistungsfähige Schuldner einem erkennbar begründeten Anspruch ohne schutzwürdiges Interesse widersetzt und dadurch geschützte Interessen des Geschädigten beeinträchtigt, der z. B. unter der langen Dauer der Schadensregulierung leidet.435 Auch die Vermögensverhältnisse des Schädigers und das Bestehen einer Haftpflichtversicherung können bei der Bemessung nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Sie sind in der Regel aber nur zu berücksichtigen, wenn sie dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben.436
d) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden Ein Mitverschulden des Verletzten ist bei der Bemessung anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Während § 254 BGB bei Vermögensschäden zur Bildung einer Haftungsquote führt, stellt das Mitverschulden bei der Entschädigung im431 KG Berlin, Urt. v. 23.4.2001 − 12 U 971/00 = VersR 2002, 1567; OLG Koblenz, Urt. v. 15.10.2001 – 12 U 2123/98 = NJW‑RR 2002, 1030. 432 AG Frankenthal, Urt. v. 15.10.2014 – 3 a C 158/13 = NZV 2015, 391 (Polen); LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013 – 27 O 218/09 = BeckRS 2013, 12790 (Serbien); OLG Köln, Urt. v. 30.4.1993 – 20 U 236/92 = ZfSch 1994, 47 (Polen); OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 11.3.2004 – 26 U 28/98 = ZfSch 2004, 452 (USA); Huber, NZV 2006, 169 (173). 433 BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – Großer Zivilsenat 1/55 = NJW 1955, 1675; MüKoBGB/ Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 48 f. 434 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 713. 435 Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 253 Rn. 17; OLG Saarbrücken NJW 2011, 933 (936). 436 BGH, Vereinigte Große Senate, Beschl. v. 16.9.2016 – VGS 1/16 = r+s 2017, 101; Schubert, Schmerzensgeld, 2017, S. 5 (19 ff.).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
materieller Schäden nach allgemeiner Meinung einen Bewertungsfaktor dar und führt gerade nicht zur quotenmäßigen Anspruchsbegrenzung.437 Das gilt entsprechend auch für eine mitwirkende Betriebsgefahr, für die der Geschädigte als Kfz-Halter einzustehen hat. So muss sich ein verletzter Kfz-Halter, sofern er die Haftungsausschlusstatbestände der §§ 7 Abs. 2 und 17 Abs. 3 StVG nicht beweisen kann, die Betriebsgefahr seines eigenen Fahrzeugs auch gegenüber seinem Schmerzensgeldanspruch mindernd anrechnen lassen.438
e) Grundsätzlich Ersatz eines Kapitalbetrags Grundsätzlich steht die Entscheidung, ob Schmerzensgeld als Kapitalbetrag oder Rente ausbezahlt wird, im freien tatrichterlichen Ermessen. Allerdings hat sich nach h. M. die Auszahlung in Form des Kapitalbetrags etabliert, wohingegen eine Schmerzensgeldrente nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen soll.439
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Vorzugswürdigkeit der Schmerzensgeldbemessung nach deutschem Recht als uneingeschränkte Ermessensentscheidung a) Funktion des Ersatzes von Nichtvermögensschäden In beiden Ländern ist die Ausgleichsfunktion das primäre Ziel des Ersatzes immaterieller Schäden. Während der BGH dem Schmerzensgeld bereits seit 1955 daneben noch eine Genugtuungsfunktion beimisst, die aufgrund der Einführung pönaler Elemente in das deutsche Haftungsrecht Kritik ausgesetzt ist, haben 2017 auch die Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes bestätigt, dass der zivilrechtlichen Haftung in Italien unter bestimmten Voraussetzungen eine Abschreckungs- und Straffunktion zukommen kann. In beiden Rechtsordnungen wird der Grad des Verschuldens des Schädigers im Rahmen der Bemessung des Nichtvermögensschadens berücksichtigt, in Italien auch bereits vor 2017 im Rahmen der Ausgleichsfunktion. Während die Vereinigten Großen Senate des BGH im Jahr 2016 bestätigten, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Bemessung des Schmerzens437 OLG Brandenburg, Urt. v. 12.12.2001 – 14 U 50/01 = VersR 2002, 863; OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.6.2011 − 4 U 451/10 = NJW 2011, 3169 (3170); Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 253 Rn. 20; für eine Quotenbildung dagegen NK‑BGB/Huber, 3. Aufl. 2016, § 253 Rn. 33. 438 BGH, Urt. v. 13.4.1956 – VI ZR 347/54 = NJW 1956, 1067 (1068); KG Berlin, Urt. v. 21.5.2001 – 12 U 3372/00 = NZV 2002, 34 (35); Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 254 Rn. 10. 439 NK‑GVR/Slizyk, 2. Aufl. 2017, § 253 BGB Rn. 310 ff.
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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geldes nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, blieb die Finanzkraft des Verpflichteten in Italien bislang unberücksichtigt.
b) Grundsätzlich Bemessung des Nichtvermögensschadens nach freiem Ermessen in beiden Rechtsordnungen In beiden Rechtsordnungen steht die Bemessung des Nichtvermögensschadens grundsätzlich im freien Ermessen des Gerichts. Dabei regelt Art. 2059 c. c. zunächst – unabhängig vom Haftungsgrund – allgemein die Voraussetzungen für den Ersatz des Nichtvermögensschadens. Er enthält dagegen selbst keine Vorgaben für dessen Bemessung, diese sind vielmehr in Art. 2056, 1226 c. c. enthalten, die die Bemessung in das Ermessen des Gerichts stellen. Demgegenüber sieht die deutsche Rechtsordnung – abhängig vom Haftungsgrund – im Wesentlichen inhaltsgleiche Anspruchsnormen für den Ersatz von Schmerzensgeld vor, so z. B. § 253 Abs. 2 BGB für unerlaubte Handlungen und Vertragspflichtverletzungen oder § 11 S. 2 StVG für die Gefährdungshaftung bei Verkehrsunfällen. Dabei regeln diese Anspruchsnormen nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen, wie die Verletzung konkreter Rechtsgüter, sondern enthalten zugleich Vorgaben für die Bemessung, wonach wegen des Schadens der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann. Diese steht nach § 287 ZPO wiederum im freien Ermessen des Gerichts.
c) Grundlegend unterschiedliche Bemessungssysteme in Italien und Deutschland Während im deutschen Recht eine Körper- oder Gesundheitsverletzungen bereits Voraussetzung für einen Anspruch auf Schmerzensgeld ist, stellt auch im italienischen Recht im Fall der Körper- oder Gesundheitsverletzungen der danno biologico den maßgeblichen Ausgangspunkt für die Bemessung des Nichtvermögensschadens dar. Allerdings wenden beide Rechtsordnungen unterschiedliche Bemessungssysteme an.
aa) Einschränkung des freien Ermessens in Italien durch Tabellensysteme Die italienische Rechtsordnung differenziert bei der Bemessung des danno biologico vorab nach der Schadensursache und wendet verschiedene Tabellensysteme an, die das richterliche Ermessen zum Teil erheblich einschränken. Das hat zur Folge, dass für gleiche Verletzungen – abhängig von der Schadensursache – unterschiedliche Entschädigungsbeträge zugesprochen werden, was bei leichten Körperverletzungen infolge von Verkehrsunfällen dazu führt, dass um 30 % niedrigere Beträge zugesprochen werden, als bei gleichen Verletzungen infolge anderer unerlaubter Handlungen, die nach der Mailänder Tabelle bemessen werden.
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
Dabei nutzen alle Tabellen ein „Punktesystem“. Um die jeweiligen Tabellen aber überhaupt anwenden zu können, sind die italienischen Gerichte auf medizinische Fachgutachter bzw. Gerichtsärzte (medico legale) angewiesen, die zunächst den Invaliditätsgrad mit Hilfe von Schadensskalen (sog. barèmes) bestimmen und die Invaliditätspunkte festlegen. Dem medico legale kommt daher als Schlüsselfigur der italienischen Bemessungspraxis eine besonders wichtige Rolle zu. Das erweist sich vor allem dann als problematisch, wenn Ausländer in Italien verletzt werden und in ihrem Heimatland Klage erheben, weil die Untersuchungen in ihren jeweiligen Heimatländern in der Regel anders verlaufen.440 Die jeweilige Tabelle weist jedem Invaliditätspunkt – abhängig vom Alter des Geschädigten – einen bestimmten Geldwert zu, sodass die Gerichte den danno biologico im Ergebnis schlichtweg „ausrechnen“. Das relativ starre italienische Bemessungssystem zeigt sich auch darin, dass die Tabellen die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles bei der Personalisierung (personalizzazione) nur durch eine Erhöhung im Rahmen festgelegter Prozentsätze erlauben. Dadurch ist die Möglichkeit, den Umständen des Einzelfalles durch richterliches Ermessen umfassend Rechnung zu tragen, in der Praxis sehr eingeschränkt.
bb) Echte Ermessensentscheidung deutscher Gerichte Im Gegensatz zur italienischen Bemessungspraxis kann das Schmerzensgeld von deutschen Gerichten nicht einfach „ausgerechnet“ werden. Vielmehr handelt es sich bei der Festsetzung der „billigen“ Entschädigung um eine echte Ermessensentscheidung, bei der die Gerichte alle Umstände des Falles berücksichtigen und sie in eine angemessene Beziehung zu Art und Dauer der Verletzungen bringen müssen. Dabei orientieren sie sich an sog. Schmerzensgeldtabellen, die Gerichtsentscheidungen – sortiert nach Verletzungsarten bzw. betroffenen Organgen – auswerten. Diese Schmerzensgeldtabellen sind aber weder verbindlich noch begrenzen sie das richterliche Ermessen. Vielmehr geben sie lediglich einen Anhaltspunkt, wobei das Gericht von den bisher für vergleichbare Verletzungen zugesprochenen Beträgen auch abweichen darf. Zwar sind für die Ermittlung vergleichbarer Präjudizien mit Hilfe von Schmerzensgeldtabellen ebenfalls ärztliche Atteste erforderlich, die sämtliche Verletzungsbilder auflisten, allerdings bestehen für den Verletzten keine derartigen Hürden, wie im italiensichen Recht. Insbesondere muss er sich keiner Begutachtung durch einen besonders ausgebildeten medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) unterziehen, da die hiesigen Schmerzensgeldtabellen keine vorherige Festlegung von Invaliditätspunkten voraussetzen. Das erleichtert das Verfahren vor allem für ausländische Geschädigte. 440
Höke, NZV 2014, 1 (4); Feller/Zampano, ZVR 2011, 281 (283).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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Sie müssen vor der Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs nicht für eine besondere medizinische Untersuchung sorgen, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen. Das gilt umsomehr, als dem Geschädigten die konkreten Anforderungen einer fremden Rechtsordnung in der Regel unbekannt sind.
cc) Stellungnahme zu den Bemessungssystemen: Vorzugswürdigkeit der Schmerzensgeldbemessung nach deutschem Recht Zunächst ist festzuhalten, dass es weder in Deutschland noch in Italien absolute Rechtssicherheit und Gleichbehandlung gibt. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass kein Fall gänzlich dem anderen gleicht und die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Dem versuchen beide Rechtordnungen durch Anwendung verschiedener Bemessungssysteme Rechnung zu tragen. Auf den ersten Blick erweckt das italienische „Punktesystem“ den Anschein, als würde es den Belangen der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung besser Rechnung tragen als die deutsche Bemessungspraxis, weil es eine für jeden Geschädigten vermeintlich nachvollziehbare „Berechnung“ des immateriellen Schadens erlaubt. Dieser Schein trügt jedoch. Das zeigt vor allem die Abhängigkeit italienischer Gerichte von medizinischen Fachgutachtern bzw. Gerichtsärzten (medico legale), ohne deren Festlegung der Invaliditätspunkte eine Bemessung mit Hilfe der Tabellen überhaupt nicht möglich ist. Insbesondere die wiederholten Versuche des italienischen Gesetzgebers, die Beweisanforderungen bei durch Verkehrsunfälle verursachte leichte Körperverletzungen zu erhöhen (s. o. § 3 III.1.d)bb) (4), S. 135 ff.), verdeutlichen, dass der Gesetzgeber den medizinischen Fachgutachtern bzw. Gerichtsärzten skeptisch gegenübersteht und sie wohl häufig zu leichtfertig leichte Körperschäden aufgrund von oberflächlichen Untersuchungen annehmen und dadurch die Versichertengemeinschaft belasten. Die italienischen Tabellen bleiben daher in Bezug auf die Einzelfallgerechtigkeit „scheingenau“, weil sie die Grundfrage, welche Umstände mit welcher Gewichtung eingeordnet und bewertet werden, selbst nicht beantworten,441 sondern dies gänzlich den medizinischen Fachgutachtern bzw. Gerichtsärzten bei der Festlegung der Invaliditätspunkte überlässt. Hinzu kommt, dass die italienischen Tabellen die Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalles bei der Personalisierung (personalizzazione) zwar in das Ermessen des Gerichts stellen, aber auch hier nicht regeln, welche Umstände mit welcher Gewichtung bewertet werden und eine Erhöhung auch nur im Rahmen festgelegter Prozentsätze erlauben. Im Ergebnis handelt es sich bei den italienischen Tabellensystemen daher nur um eine vermeintlich schematische Lösung, die sich aufgrund des Erforder441
Luckey, SVR 2014, 125 (126).
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§ 3 Ersatzfähiger Nichtvermögensschaden des Verletzten
nisses der Begutachtung durch einen medizinischen Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt als problematisch erweist, wenn Ausländer in Italien verletzt werden und die Untersuchungen in ihrem Heimatland anders verlaufen.442 Überdies ist die unterschiedliche Entschädigungshöhe abhängig von der Schadensursache nicht sachgerecht. Insofern stellt das italienische Bemessungssystem ausschließlich auf die Sphäre des Schädigers und damit auf das Subjekt ab. Der Verletzte bleibt dagegen als Objekt der Schädigung unberücksichtigt. Dabei begibt er sich nicht immer gleichermaßen in Gefahr, sodass eine unterschiedliche Entschädigungshöhe nicht gerechtfertigt ist. So kommt ein Hundeangriff für einen Fußgänger auf dem Gehweg genauso überraschend, als wenn er dort von einem Auto angefahren wird. Deshalb ist ein Bemessungssystem nach italienischem Vorbild weder für Deutschland noch für Europa praktikabel. Vielmehr erscheint eine echte Ermessensentscheidung im Sinne von § 287 ZPO unter Orientierung an den in Schmerzensgeldtabellen zusammengetragenen Präjudizien vorzugswürdig. Hierfür sind lediglich ärztliche Atteste erforderlich, die Verletzungsbilder auflisten. Diese müssen nicht erst noch in Invalditätspunkte „umgewandelt“ werden. Zwar können die deutschen Schmerzensgeldtabellen unter Umständen für bestimmte Verletzungen eine geringe Falldichte aufweisen oder auf der Auswertung älterer Entscheidungen beruhen, allerdings bilden sie den gegenwärtige Stand der bundesweiten Judikatur ungefiltert ab und lassen regionale Tendenzen und „Ausreißer“ erkennen, die gegebenenfalls eine frühzeitige Änderung der Bemessungspraxis ankündigen.443 Auch die Mailänder Tabelle beruht auf einer landesweiten Auswertung von Gerichtsentscheidungen.444 Sie gibt den aktuellen Stand der landesweiten Judikatur aber nur gefiltert durch den Osservatorio sulla Giustiza Civile di Milano wieder. Den deutschen Gerichten steht daher mit den Schmerzensgeldtabellen eine umfassendere Erkenntnisquelle zur Verfügung aufgrund derer sie den Umständen des konkreten Einzelfalles optimaler Rechnung tragen können und gegebenenfalls durch die Bestätigung eines „Ausreißers“ zur Rechtsfortbildung beitragen können. Das deutsche Bemessungssystem ist daher im Ergebnis vorzugswürdig.
d) Unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit HWS‑Schleudertraumata In beiden Rechtsordnungen stellen leichte HWS‑Verletzungen, die mit der medizinischen Diagnostik regelmäßig nicht feststellbar sind, die Gerichte vor besondere Herausforderungen.
442 443
Höke, NZV 2014, 1 (4); Feller/Zampano, ZVR 2011, 281 (283). Luckey, SVR 2014, 125 (127). 444 Vismara/Eidam, DAR 2011, 610; Vismara/Eidam, PHi 2011, 139; Buse, DAR 2017, 561 (562).
III. Bemessung des Nichtvermögensschadens bei Körperverletzungen
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Während der italienische Gesetzgeber wiederholt versuchte dieses Problem durch eine Erhöhung der Beweisanforderungen zu lösen, stellte die deutsche Rechtsprechung zunächst allein auf die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung ab, bis der BGH klarstellte, dass daneben auch eine Reihe anderer Faktoren für die Kausalitätsfrage entscheidend wären. Während die italienische Rechtspraxis mittlerweile wieder gestattet, dass HWS‑Verletzungen visuell, klinisch oder mit Hilfe von Instrumenten festgestellt werden können, werden solche leichten Verletzungen in Deutschland heutzutage wohl routinemäßig entschädigt, weil die geringe Auffahrgeschwindigkeit des Unfallverursachers allein kein Verteidigungsmittel sein soll.
§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche Erliegt der Erstgeschädigte am Ende seinen Verletzungen, so differenzieren mittlerweile beide Rechtsordnungen zwischen dem von Hinterbliebenen selbst (iure proprio) erlittenen Nichtvermögensschaden bzw. dem sog. Hinterbliebenengeld (s. u. § 5) und einem vererblichen Anspruch, den der Getötete noch während des Zeitraums seines Überlebens erworben hat und der mit seinem Tod im Wege der Erbfolge (iure hereditario bzw. hereditatio oder haereditario, auch iure hereditatis oder iure successionis) auf seine Erben übergeht. Im Folgenden geht es zunächst um die Ansprüche iure hereditario, mithin die generelle Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche (I.) und unter welchen Voraussetzungen beide Rechtsordnungen ihre Entstehung im Fall des kurzen Überlebens im Zustand der Bewusstlosigkeit (II.) und des kurzen, bewusst miterlebten Todeskampfes (III.) anerkennen. Sodann werden beide Fallgruppen in einer rechtsvergleichenden Gesamtbetrachtung gegenübergestellt (IV.). Zudem werden die durch die Mailänder Tabelle 2018 eingeführten Neuerungen bei der Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) dargestellt (V.), bevor dieses Kapitel mit der in Italien regen Diskussion zum Ersatz für den Verlust des Lebens als solches (VI.) abschließt.
I. Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche Während in der italienischen Rechtsprechung lange Zeit Uneinigkeit zur Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche und deren Voraussetzungen bestand (1), war die Vererbbarkeit des Schmerzensgeldes in Deutschland bis 1990 durch Gesetz beschränkt (2). Seit den 1990er Jahren erkennen beide Rechtsordnungen die Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche unter vergleichbaren Voraussetzungen an (3).
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
1. Uneinheitliche italienische Rechtsprechung zur Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche beim sofortigen Tod des Geschädigten In Italien sind die Voraussetzungen für die Vererbbarkeit immaterieller Schadensersatzansprüche nicht gesetzlich geregelt. Vielmehr entwickelten sie sich über einen langen Zeitraum aus einer widersprüchlichen Rechtsprechung. Umstritten war, ob ein vererblicher danno biologico selbst dann vorliegt, wenn der Erstgeschädigte sofort verstorben war und damit sein Leben verloren ging. Im Kern ging es also um Ersatz für den Verlust des Lebens als solches (danno tanatologico oder danno biologico da morte), was die überwiegende Rechtsprechung jedoch ablehnte (siehe hierzu § 4 VI.).1 In den 1990er Jahren ergingen mehrere Entscheidungen des Kassationshofes, in denen er die Vererbbarkeit immaterieller Schäden unter bestimmten Voraussetzungen anerkannte.2 Demnach konnten die Erben des Verstorbenen in zwei Fällen geerbte immaterielle Ansprüche geltend machen: Zum einen im Fall des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale), wenn das Opfer nach der unerlaubten Handlung noch einen beachtlichen Zeitraum überlebt hatte (§ 4 II.1.) und zum anderen im Fall des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale), wenn es während einer nur sehr kurzen Überlebenszeit seinen Todeskampf bewusst miterlebt hatte (§ 4 III.1.).3 Die im März 2018 veröffentlichte Mailänder Tabelle führte allerdings zu grundlegenden Änderungen bei der Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) (§ 4 V.).
2. Bis 1990 Beschränkung der Vererbbarkeit des Schmerzensgeldes im deutschen Recht durch § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. Das am 1.1.1900 in Kraft getretene BGB schloss ursprünglich die freie Übertragbarkeit und Vererbbarkeit von Schmerzensgeldansprüchen durch § 847 Abs. 1 1 Ablehnend Cass. 20.12.1988, n. 6938, in Resp. civ. prev. 1989, 1173; Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297; Cass. 14.3.1996, n. 2117, in Rep. Foro it. 1996, Stichwort „Danni civili“, n. 151; in Riv. giur. circ. trasp. 1996, 115; aus der Lit. Navarretta, Diritti inviolabili e risarcimento del danno, 1996, S. 130 ff.; Ragnoni, in NGCC 1998, I, 789 (791 f.); bejahend dagegen Trib. Napoli 18.5.1988, in Arch. giur. circol. 1989, 789; Trib. Napoli 8.7.1988, in Dir. giur. 1990, 176; Trib. Roma 24.5.1988, in Foro it. 1989, I, 892, der zwar von der Corte d’App. bestätigt, jedoch von Cass. 14.3.1996, n. 2117 wieder aufgehoben wurde; aus der Lit. Giannini/Pogliani, Il danno da illecito civile, 1997, S. 234 ff.; Caso, in Foro it. 1995, I, 1854 (1859 ff.); für eine Darstellung der Entwicklung und einen Überblick über die Ansichten vgl. Rossetti, Il danno da lesione della salute, 2001, S. 795 ff.; Bonilini, Codice delle successioni e donazioni, 2015, S. 441 ff.; Ziviz, in NGCC 1995, I, 411 (420 ff.). 2 Cass. 27.12.1994, n. 11169, in Foro it. 1995, I, 1852; Cass. 28.11.1995, n. 12299, in Foro it. 1996, I, 3108; Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (Fn. 15). 3 Cass. 20.2.2015, n. 3374.
I. Vererbbarkeit immaterieller Ansprüche
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S. 2 BGB a. F. aus. Demnach war der Anspruch weder übertragbar noch vererblich, es sei denn, dass er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig gemacht wurde. Ohne im Detail auf die geschichtliche Entwicklung des Schmerzensgeldes unter dem Aspekt seiner Vererbbarkeit einzugehen4 entsprach der Gesetzgeber mit dem restriktiven § 847 Abs. 1 S. 2 BGB der damaligen allgemeinen Volksauffassung.5 Diese sah es noch als moralisch anstößig an, den Erben des Geschädigten die Geltendmachung eines Anspruchs zu gestatten, auf den dieser selbst vielleicht sogar verzichtet hätte.6 Vielmehr sollte die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs und dessen Übertragung auf die Erben allein vom ausdrücklichen Willen des Geschädigten abhängen. Zur Ermittlung dieses Willens wurde auf die vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigkeit des Anspruchs abgestellt.7 Infolgedessen kam es zu einem „makaberen Wettlauf mit dem Tod“ da die Angehörigen des tödlich Verletzten für die vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigmachung des Anspruchs sorgen mussten, solange dieser noch im Sterben lag und die „Rettung“ des Anspruchs oft nur von der zufälligen Überlebensdauer des Verletzten abhing.8 Dabei mussten sie sich ein finanzielles Interesse am zumindest kurzfristigen Überleben des Verletzten nachsagen lassen und auch der Missbrauch lebenserhaltender Maßnahmen zu diesem Zweck wurde befürchtet.9 Dieser Kritik gab der Gesetzgeber letztendlich nach und strich Satz 2 des § 847 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1.7.1990 ersatzlos.10 Heute ist der Schmerzensgeldanspruch in § 253 Abs. 2 BGB geregelt und ist als Vermögensbestandteil nach § 1922 Abs. 1 BGB frei vererblich. Insofern unterscheidet auch die deutsche Rechtspraxis zwischen zwei Fallgruppen: Zum einen, wenn das Opfer kurz nach dem Unfall stirbt, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben (§ 4 II.2.) und zum anderen, wenn das schwer verletzte Opfer bei Bewusstsein ist und seine Schädigung (meist eine Straftat) und seinen Todeskampf miterlebt (§ 4 III.2.).11 4 Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 18 ff; zur Entwicklung allgemein Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 51 ff. 5 Nach § 112 Abs. 1 S. 6 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten stand es Personen vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande zu, ein billiges Schmerzensgeld zu fordern, Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 31 f.; Schips, Schmerzensgeld für die Erben?, S. 6. 6 Mugdan II, Mot. zu § 728 (später § 847 BGB), S. 448, Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 33. 7 Mugdan II, Mot. zu § 728 (später § 847 BGB), S. 448. 8 BGH, Urt. v. 4.10.1977 – VI ZR 5/74 = NJW 1978, 214 (215); BGH, Urt. v. 19.9.1967 – VI ZR 82/66 = NJW 1967, 2304 (2305). 9 Schips, Schmerzensgeld für die Erben?, S. 7 f. 10 BGBl. 1990 I, S. 478. 11 Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 281.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Vererbbarkeit immaterieller Schäden in beiden Rechtsordnungen In beiden Rechtsordnungen ist die freie Vererbbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs erst seit den 1990er Jahren anerkannt. In Deutschland waren Schmerzensgeldansprüche zunächst lange Zeit von Gesetzes wegen nur eingeschränkt vererblich, sofern der Anspruch vor dem Tod des Geschädigten durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig gemacht wurde. Eine Änderung dieser Rechtslage erforderte ebenfalls ein erneutes Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers. Dagegen existiert in Italien keine gesetzliche Regelung zur Vererbbarkeit des Nichtvermögensschadens. Dort wurde die Änderung vielmehr durch die höchstrichterliche Rechtsprechung herbeigeführt. Während die Debatte in Italien jedoch den Ersatz für den Verlust des Lebens als solches im Fall des sofortigen Todes des Geschädigten betraf, besteht diesbezüglich in der deutschen Literatur Einigkeit (s. u. § 4 VI.2.). Die deutschen Bestrebungen galten dagegen der Aufhebung der in § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. normierten Beschränkung der freien Vererbbarkeit. Bis März 2018 erkannten beide Rechtsordnungen die Vererbbarkeit immaterieller Schäden unter zwei Voraussetzungen an: Zum einen, wenn der Verletzte noch einen bestimmten Zeitraum ohne Bewusstsein überlebt hatte und zum anderen, wenn er während einer nur sehr kurzen Überlebenszeit seinen Todeskampf bewusst miterlebte.
II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein bzw. Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) Im Folgenden werden zunächst der italienische Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) vor Aktualisierung der Mailänder Tabelle 2018 (1) und die entsprechende deutsche Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein“ (2) dargestellt, bevor beide in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (3).
1. Rechtslage in Italien bis 2018: Ersatz des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) Bis zur Veröffentlichung der aktualisierten Mailänder Tabelle im März 2018 lag nach der Rechtsprechung ein Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) vor, wenn zwischen der unerlaubten Handlung und dem Tod des Verletzen ein nicht unwesentlicher Zeitraum (apprezzabile lasso di tempo oder spatium vivendi) lag, währenddessen rechtlich relevante Beeinträchtigungen für die körperliche und seelische Integrität des Opfers entstehen
II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein
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konnten.12 Dabei kam es nicht darauf an, ob das Opfer vor seinem Ableben bei Bewusstsein war.13 Da das Opfer seine Rechtsfähigkeit bis zu seinem Tod behielt, erwarb es zunächst selbst Schadensersatzansprüche, die dann im Wege der Erbfolge auf seine Erben übergingen. Unklar war im Rahmen der Figur des danno biologico terminale aber nicht nur die erforderliche Überlebensdauer (a), sondern auch der Gegenstand und die Kriterien der Bemessung (b), was aufgrund der ungleichen Bemessungspraxis zur Rechtsunsicherheit führte (c).
a) Uneinigkeit bzgl. der Mindestdauer des Überlebens (apprezzabile lasso di tempo) Da das Gesetz keine verbindlichen Vorgaben zur Mindestdauer des Überlebens machte, vertraten die Gerichte unterschiedliche Ansätze, die weder mit der Gleichbehandlung der Geschädigten noch einer einheitlichen Rechtsanwendung im Einklang standen. Erforderlich war eine deutliche zeitliche Trennung zwischen unerlaubter Handlung und dem Tod, sodass 30 Minuten,14 oder etwas mehr als 2 Stunden15 jedenfalls als zu kurz erachtet wurden. Andere hielten dagegen eine Überlebensdauer von 24 Stunden grundsätzlich für ausreichend,16 wohingegen wiederum andere 3 Tage als zu kurz erachten.17 Sowohl 7 Tage,18 16 Tage,19 als auch 18 Tage20 wurden jedenfalls als ausreichend angesehen.
b) Gegenstand und Kriterien zur Bemessung des Gesundheitsschadens mit Todesfolge Gegenstand der Bemessung des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) war nicht der dauerhafte biologische Schaden bezogen auf 12 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/590; Faccioli, ZEuP 2016, 750 (758). 13 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1086, 1089; Cass. 19.10.2016, n. 21060; Cass. 26.7.2016, n. 15395; Cass. 19.10.2007, n. 21976; Cass. 28.8.2007, n. 18163; Cass. 22.3.2007, n. 6946; Cass. 1.12.2003, n. 18305, Danno e resp. 2004, 143. 14 Cass. 17.2.2017, n. 4208; Cass. 21.7.2004, n. 13585; auch 45 Minuten sind unzureichend, Trib. Piacenza, 29.6.2010, n. 458, abrufbar unter . 15 Cass. 22.3.2007, n. 6946; Cass. 31.5.2005, n. 11601, abrufbar unter . 16 Cass. 19.10.2007, n. 21976; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1091 mit der Begründung, dass der danno biologico temporaneo Tag für Tag bemessen werde. 17 Cass. 13.1.2009, n. 458; a. A. Cass. 17.1.2008, n. 870, wonach 3 Tage ausreichen. 18 Cass. 31.10.2014, n. 23183. 19 Cass. 20.10.2014, n. 22228. 20 Cass. 26.7.2016, n. 15395.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
die durchschnittliche Lebenserwartung, die der Erstgeschädigte noch gehabt hätte,21 sondern der danno biologico unter Heranziehung der Tabellenwerte für die vorübergehende vollständige Invalidität von 100 % bezogen auf den tatsächlich zwischen der Verletzung und dem Todeseintritt verstrichenen Zeitraum (§ 3 III.1.e)cc)(3), S. 149).22 Die Tabellenwerte für die vorübergehende vollständige Invalidität sind jedoch auf Opfer ausgelegt, die das schädigende Ereignis überleben und wieder vollständig oder teilweise genesen. Beim Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) tritt dagegen keine Genesung ein, vielmehr endet die Verletzung mit dem Tod. Deshalb wurden die Tabellenwerte für die Bemessung des danno biologico terminale im Rahmen der Personalisierung entsprechend erhöht.23 Dabei war eine lediglich symbolische Bemessung aber selbst dort verboten, wo angesichts einer zu kurzen Überlebenszeit nicht einmal der Minimalbetrag der Tabelle zugesprochen werden konnte.24 Denn, obwohl der Gesundheitsschaden angesichts des baldigen Todes nur vorübergehend war, erreichte er hinsichtlich seiner Intensität und seines Umfangs maximale Ausmaße, weil keine Heilungsmöglichkeit bestand und er letztlich mit dem Tod endete.25 Erhöhend berücksichtigt wurden z. B. das junge Alter des Opfers und seine psychischen Leiden, wenn es seinen baldigen Tod bei Bewusstsein erwartete, sowie die Umstände der unerlaubten Handlung als auch die Schwere der erlittenen Verletzungen.26
c) Rechtsunsicherheit aufgrund ungleicher Bemessungspraxis Da die Tabellenwerte für den Ersatz der vorübergehenden Vollinvalidität nicht auf totgeweihte Opfer ausgelegt waren, behalf sich die Rechtspraxis damit, den durchschnittlichen Betrag um das ca. 30-fache auf € 2.500 pro Tag27 bzw. sogar das ca. 100-fache auf umgerechnet € 3.227,86 pro Tag zu erhöhen.28 Die Per21 A. A. Cass.
sez. lav. 23.5.2003, n. 8204. Cass. 30.10.2009, n. 23053; Cass. 24.2.2003, n. 2775; Cass. 12.12.2003, n. 19057. Cass. 31.10.2014, n. 23183; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1088 m. w. N. aus der Rspr. 24 Cass. 14.5.2012, n. 7499: Der Kassationshof hob das Urteil der Corte d’App. Firenze auf, das den Hinterbliebenen eines Verkehrsunfallopfers, das angesichts der Schwere seiner Verletzungen das Bewusstsein nicht wiedererlangt hatte und 12 Stunden nach dem Unfall verstorben war, für den danno biologico terminale den symbolischen Betrag von lediglich € 1.500,00 zugesprochen hatte. 25 Cass. 8.7.2014, n. 15491; Cass. 28.8.2007, n. 18163; Cass. 16.5.2003, n. 7632. 26 Cass. 31.10.2014, n. 23183; Cass. 26.7.2016, n. 15395; Cass. 20.5.2015, n. 10246. 27 Cass. 31.10.2014, n. 23183: Das junge Opfer verstarb 7 Tage nach dem Unfall. Das Instanzgericht hatte den Erben € 2.500 pro Tag zugesprochen. Der Kassationshof bestätigte dieses Urteil, weil das Instanzgericht das junge Alter des Opfers bei der Bemessung berücksichtigt hatte; Pucella, in NGCC 2015, II, 652 (653). 28 Cass. 16.5.2003, n. 7632, in Foro it. 2003, I, 2681: Obwohl sich das 17-jährige Opfer nach dem Unfall diverser chirurgischer Eingriffe unterzog, verstarb es 10 Tage nach dem Un22 23
II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein
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sonalisierung der Tabellenwerte durch die Gerichte führte somit zu sehr unterschiedlichen Ersatzbeträgen und auch die Überlebensdauer bot keine konkreten Anhaltspunkte für eine einheitliche Bemessungspraxis, was große Rechtsunsicherheit zur Folge hatte. So sprach z. B. das Landgericht Trento den Erben eines Unfallopfers, das die ersten Stunden nach dem Unfall (12:40–21:30 Uhr) wach und klar war, bevor es dann ins Wachkoma fiel und 9 Tage später verstarb, für den Ersatz des Nichtvermögensschadens iure hereditario insgesamt € 120.000,00 zu. Dieser Betrag sollte sowohl die vorübergehende vollständige Invalidität als auch alle anderen Aspekte des Nichtvermögensschadens entschädigen.29 In dem der Entscheidung des Kassationshofes Nr. 22896 vom 13.12.2012 zugrundeliegenden Sachverhalt war das Unfallopfer bei Bewusstsein und war sich auch seines körperlichen Zustands bewusst, bevor es 14 Tage nach dem Verkehrsunfall verstarb. Das Oberlandesgericht L’Aquila hatte den Erben € 40.000,00 als danno biologico iure hereditatis zugesprochen. Da das Opfer während der 14 Tage vor seinem Tod bei Bewusstsein war, interpretierte der Kassationshof den danno biologico in einen Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno catastrofale) (s. u. § 4 III.1.) um.30 Dabei verkannte es jedoch, dass sich danno biologico terminale und danno morale nicht gegenseitig ausschließen, sondern der danno morale vielmehr im Rahmen der Bemessung des danno biologico terminale berücksichtigt werden kann. In der Entscheidung des Kassationshofes Nr. 10246 vom 20.5.2015 war der bei einem Verkehrsunfall verletzte jugendliche Beifahrer nach 21 Tagen der Bewusstlosigkeit verstorben. Das Landgericht Cosenza hatte den danno biologico im Hinblick auf den tatsächlich zwischen der Verletzung und dem Todeseintritt verstrichenen Zeitraum bemessen und insgesamt € 681.785,00 zugesprochen, wobei darin ein danno morale in Höhe von ⅓ enthalten war. Da angesichts der Bewusstlosigkeit des Verletzten überhaupt kein danno morale hätte zugesprochen werden dürfen,31 rechtfertigte der Kassationshof diese Erhöhung als eine angemessene Personalisierung des mathematisch berechneten danno biologico.32 Dagegen bestätigte der Kassationshof in der Entscheidung Nr. 10524 vom 14.5.2014 die Bemessung des danno biologico terminale durch das Oberlanfall. Der Trib. sprach den Erben für den danno biologico terminale Lire 63.000,00 (€ 32,54) pro Tag zu. Die Corte d’App. erhöhte diesen Betrag auf Lire 6.250.000 (€ 3.227,86) pro Tag; Pucella, in NGCC 2015, II, 652 (653). 29 Trib. Trento 19.9.2013, in La Nuova Procedura Civile 2014/I, abrufbar unter . 30 Cass. 13.12.2012, n. 22896. 31 „… danno morale soggettivo – danno che, se rettamente inteso come sofferenza psicofisica, non avrebbe neppure potuto esser riconosciuto, attesa la condizione di incoscienza in cui versava il B., …“ 32 Cass. 20.5.2015, n. 10246.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
desgericht Mailand, die den Erben eines 29 Tage nach einem Motorradunfall verstorbenen jungen Mannes insgesamt nur € 19.575,00 als Anspruch iure hereditario zugesprochen hatte.33 Grund hierfür war wohl, dass die Rechtsmittelführer nur die Höhe des zugesprochenen Betrags an sich beanstandet hatten, anstatt Ermessensfehler zu rügen.
2. Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein“ in Deutschland Auch im deutschen Recht ist die erforderliche Überlebensdauer nicht festgelegt (a), sondern wurde wie die Bemessungskriterien (b) von der Rechtsprechung entwickelt. Dabei ist festzustellen, dass sich eine längere Überlebensdauer im Zustand der Bewusstlosigkeit regelmäßig nicht anspruchserhöhend auswirkt (c).
a) Erforderliche Überlebensdauer Auch bei kurzer Überlebenszeit im Zustand der Bewusstlosigkeit besteht nach gefestigter Rechtsprechung ein Schmerzensgeldanspruch des Verletzten. Voraussetzung ist, dass das Opfer zumindest kurze Zeit überlebt hat und die Körperverletzung gegenüber dem alsbald eintretenden Tod „die Bedeutung einer abgrenzbaren immateriellen Beeinträchtigung“ hat.34 Stirbt das Opfer dagegen sofort oder wird es innerhalb kürzester Zeit nach dem Unfall bewusstlos, so stellt die Körperverletzung gegenüber dem Tod keine abgrenzbare immaterielle Beeinträchtigung dar, sondern lediglich ein notwendiges Durchgangsstadium. Wie lange der Zeitraum zwischen Verletzung und Todeseintritt sein muss, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht abschließend geklärt. Als unzureichend werden jedenfalls Sekunden35 oder wenige Minuten erachtet,36 wohingegen 1 Stunde37 oder 3,5 Stunden38 bereits genügen sollen.
33 34
Cass. 14.5.2014, n. 10524. BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741 (2743). 35 OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.1.2000 – U 5/99 BSch = VersR 2001, 1123. 36 KG Berlin, Urt. v. 30.10.2000 – 12 U 5120/99 = NZV 2002, 38: ca. 11 Min.; OLG München, Urt. v. 11.5.2000 – 1 U 1564/00 – juris: ca. 20–25 Min.; LG Erfurt, Urt. v. 7.6.2010 – 3 O 2066/09 = r+s 2010, 532: 45 Min. 37 OLG Hamm, Urt. v. 21.1.1997 – 9 U 161/96 = NZV 1997, 233: 2.500,00 DM bei Tod nach 1 Std. Bewusstlosigkeit. 38 OLG Stuttgart, Urt. v. 2.5.1994 – 20 U 69/94 = NJW 1994, 3016: 2.500,00 DM bei Tod nach 3 ½ Std. Bewusstlosigkeit.
II. Kurze Überlebenszeit ohne Bewusstsein
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b) Bemessungskriterien Überlebt das Opfer mehrere Tage im Zustand der Bewusstlosigkeit bevor es letztendlich stirbt, so erwirbt es noch zu seinen Lebzeiten einen Schmerzensgeldanspruch, der dann im Wege der Erbfolge auf seine Erben übergeht. Da der Schmerzensgeldanspruch in der Höhe auf die Erben übergeht, in der er in der Person des Erstgeschädigten entstanden ist, sind allein die vom Erblasser vor seinem Ableben erlittenen Schmerzen maßgebend.39 Dabei ist im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung eine Gesamtbetrachtung der immateriellen Beeinträchtigung vorzunehmen und die Art und Schwere der Verletzungen, das hierdurch verursachte Leiden und dessen Wahrnehmung durch den Geschädigten sowie der Zeitraum zwischen Verletzung und Tod besonders zu berücksichtigen.40
c) Je länger die Überlebensdauer im Zustand der Bewusstlosigkeit, desto geringer die Anspruchshöhe Im Vergleich zu Italien sind die in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge um ein Vielfaches geringer. Dabei ist festzustellen, dass sich eine längere Überlebenszeit im Zustand der Bewusstlosigkeit nicht mehr anspruchserhöhend auswirkt. So wurde bei einer Überlebenszeit von einem Tag im Zustand der Bewusstlosigkeit 4.800,00 DM (€ 2.454,20) zugesprochen,41 bei 3 Tagen 5.000,00 DM (€ 2.556,46),42 bei 7 Tagen 10.000,00 DM (€ 5.112,92),43 bei 8 Tagen 12.000,00 DM (€ 6.135,50),44 beim Tod eines 4-Jährigen nach 13 Tagen Bewusstlosigkeit 10.000,00 DM (€ 5.112,92),45 beim Tod nach nach 16 Tagen Bewusstlosigkeit 10.000,00 DM (€ 5.112,92),46 bei 23 Tagen Bewusstlosigkeit 20.000,00 DM (€ 10.225,84)47 und beim Tod eines 6-Jährigen nach 4 Monaten komagleichen Zustands 10.000,00 DM (€ 5.112,92)48.
39
BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741. BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741. KG Berlin, Urt. v. 25.4.1994 – 22 U 2282/93 = NJW‑RR 1995, 91. 42 OLG Hamm, Urt. v. 19.4.1988 – 27 U 279/87 = NJW‑RR 1988, 1301. 43 OLG Schleswig, Urt. v. 14.5.1998 – 7 U 87–96 = NJW‑RR 1998, 1404. 44 OLG Koblenz, Urt. v. 18.11.2002 – 12 U 566/01 = NJW 2003, 442. 45 LG München, Urt. v. 4.3.1999 – 19 O 151/98 (Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Nr. 3608). 46 OLG Schleswig, Urt. v. 22.10.1987 – 5 U 88/86 = NJW 1988, 569. 47 OLG Braunschweig, Urt. v. 27.5.1999 – 8 U 45/99 – juris. 48 LG München, Urt. v. 22.2.2001 – 19 O 11433/99 (Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Nr. 3607). 40 41
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Höhere Anforderungen an die Überlebensdauer durch die italienische Rechtspraxis und vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen, aber große Divergenzen bei der Anspruchshöhe a) Höhere Anforderungen an die Überlebensdauer im italienischen Recht Sowohl das deutsche als auch das italienische Recht fordern für die Entstehung eines vererblichen Schmerzensgeldanspruchs, dass das Opfer nicht sofort stirbt, sondern zumindest noch einen gewissen Zeitraum überlebt. Wie lange der Überlebenszeitraum sein muss, legen beide Rechtsordnungen nicht gesetzlich fest. Insofern hat die Rechtssprechungspraxis beider Länder verschiedene Ansätze entwickelt, wobei jeweils danach unterschieden wird, ob das Opfer bis zu seinem Tod bei Bewusstsein war oder nicht. Das deutsche Pendant zum italienischen Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) stellt die Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein“ dar. Beide Rechtsfiguren erfordern eine deutliche zeitliche Zäsur zwischen der unerlaubten Handlung und dem Todeseintritt, wobei im deutschen Recht eine Stunde genügt, wohingegen im italienischen Recht zumindest 24 Stunden erforderlich sein sollen.
b) Vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen Die Bemessung des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) erfolgte bis 2018 in Bezug auf den tatsächlich zwischen Verletzung und Todeseintritt verstrichenen Zeitraum unter Heranziehung der Tabellenwerte für die vorübergehende vollständige Invalidität von 100 %, die angesichts des tödlichen Ausgangs im Rahmen der Personalisierung erhöht wurden. Der deutschen Rechtsordnung ist die Schmerzensgeldbemessung anhand festgelegter Tabellenwerte dagegen fremd. Vielmehr steht die Bemessung allein im Ermessen des Gerichts, das sich dabei an sog. Schmerzensgeldtabellen orientiert. Dabei werden in beiden Rechtsordnungen dieselben Kriterien erhöhend berücksichtigt, wie z. B. die Schwere der Verletzungen, der Umstand, dass das Opfer bis zu seinem Tod bei Bewusstsein war sowie der zwischen Verletzung und Todeseintritt verstrichene Zeitraum.
c) Großer Unterschied bei der Anspruchshöhe Obwohl die Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen vergleichbar sind, weichen die zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge erheblich voneinander ab. Es überrascht nicht, dass in Italien sehr viel höhere Beträge zugesprochen werden als in Deutschland.
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes
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Aber auch innerhalb Italiens werden ähnlich gelagerte Fälle nicht immer einheitlich entschädigt. Während sich der Anspruch auf Schmerzensgeld in Deutschland nicht mehr erhöht, je länger der Verletzte im Zustand der Bewusstlosigkeit überlebt, erscheinen die in Italien zugesprochenen Schadensersatzbeträge im Verhältnis zur Überlebensdauer oft willkürlich.
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes bzw. Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) In diesem Abschnitt werden der italienische Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) vor Aktualisierung der Mailänder Tabelle 2018 (1) und die entsprechende deutsche Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes“ (2) dargestellt, bevor beide in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (3).
1. Rechtslage in Italien bis 2018: Ersatz des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) und des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) Sofern der Geschädigte während der Überlebensdauer bei Bewusstsein war, gewährte die italienische Rechtspraxis vor Aktualisierung der Mailänder Tabelle 2018 Ersatz des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) (a). In seltenen Fällen, wenn der Geschädigte während der verhältnismäßig kurzen Überlebenszeit einen medizinisch feststellbaren „Schockschaden“ erlitt, war auch dieser psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) ersatzfähig (b).
a) Ersatz des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) bis 2018 Bis 2018 wurde ein vererblicher Schadensersatzanspruch auch dann angenommen, wenn der Verletzte nur für einen sehr kurzen Zeitraum überlebt hatte, der – in Abgrenzung zum Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) – zwar hinter der erforderlichen Überlebensdauer zurückblieb, er während dieser kurzen Überlebenszeit aber nachweislich bei Bewusstsein war. Beim Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) manifestierte sich die tödliche Verletzung wegen der zu kurzen Überlebenszeit nicht in einem medizinisch messbaren Gesundheitsschaden. Da das Opfer während seiner kurzen Überlebenszeit aber bei Bewusstsein war und das herannahende Ende seines Lebens bewusst miterleben musste, erlitt es einen Gefühlsschaden. Dieser wird auch als katastrophaler Schaden (danno catastrofico
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
bzw. danno catastrofale) oder Schaden des bewussten Todeskampfes (danno da lucida agonia) bezeichnet.49 Im Folgenden wird der Gefühlsschaden bei herannahendem Tod zunächst vom Gesundheitsschaden mit Todesfolge abgegrenzt (aa), wobei dem katastrophalen Moment bei der Bemessung großes Gewicht zukam (bb).
aa) Abgrenzung zum Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) Im Gegensatz zum Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) war das Verstreichen eines bestimmten Zeitraums (apprezzabile lasso di tempo) zwischen unerlaubter Handlung und Todeseintritt keine anspruchsbegründende Voraussetzung für den Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale). Maßgeblich war lediglich, dass das Opfer bei Bewusstsein war und die Intensität seiner während dieses – wenn auch kurzen – Zeitraums erlittenen Qualen miterlebt hatte. Dabei wurde die Dauer des Todeskampfes bei der Bemessung berücksichtigt.50 Lag der Verletzte während der sehr kurzen Überlebenszeit also im Koma oder war nicht nachweisbar, ob er bei Bewusstsein war, waren weder die Voraussetzungen des vererblichen danno biologico terminale noch die des danno morale terminale erfüllt.51 Die Hinterbliebenen waren in diesem Fall auf ihre iure proprio-Ansprüche verwiesen. Der danno morale terminale entfaltete also nur eigenständige Bedeutung, wenn der Verletzte sehr kurze Zeit nach dem Unfall starb und das herannahende Ende seines Lebens bewusst erlebt hatte, ohne dass bereits die Voraussetzungen eines vererblichen danno biologico terminale vorlagen.
bb) Großes Gewicht des katastrophalen Moments bei der Bemessung Trotz dieses nur sehr kurzen und bewusst miterlebten Todeskampfes wurden im Rahmen des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) sehr hohe Summen zugesprochen. So sprach das Oberlandesgericht Genua den Erben eines 16-jährigen Unfallopfers, das 9 Stunden nach dem Verkehrsunfall starb, einen danno morale terminale in Höhe von € 300.000,00 zu.52 Das lässt darauf schließen, dass der kurze, bewusst erlittene Todeskampf bei der Bemessung des immateriellen Schadens großes Gewicht hatte, wenn nicht 49 Faccioli, ZEuP 2016, 750 (758); Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972 und n. 26973; Cass. 21.3.2013, n. 7126; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1087; Belli, in Resp. civ. 2012, 542 (546). 50 Cass. 24. 3. 2015, n. 5866; Cass. 21. 3. 2013, n. 7126; Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1091. 51 Cass. 22.2.2012, n. 2564: Tod nach ca. 1,5 Std. der Bewusstlosigkeit. 52 Cass. 21.3.2013, n. 7126.
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes
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sogar größer, als wenn das Opfer noch mehrere Tage schwer verletzt überlebt hätte.
b) Medizinisch feststellbarer psychischer Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) während der verhältnismäßig kurzen Überlebenszeit In seltenen Fällen nimmt die italienische Rechtsprechung auch bei sehr kurzer Überlebenszeit des Opfers einen psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) an.53 Ein psychischer Gesundheitsschaden liegt vor, wenn sich der Geschädigte der Schwere seiner Verletzungen bewusst ist und auf seinen herannahenden Tod wartet (danno morale terminale), diese Beeinträchtigung aber derart intensiv ist, dass sie Krankheitswert erreicht und medizinisch messbar ist. Im Folgenden wird der psychische Gesundheitsschaden zunächst vom Gefühlsschaden (danno morale) abgegrenzt (aa). Dann wird die Bemessungspraxis dargestellt (bb), bevor die Figur des psychischen Gesundheitsschadens kritisch betrachtet wird (cc).
aa) Abgrenzung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) vom Gefühlsschaden (danno morale) Obwohl der psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) sowohl Merkmale des Gesundheitsschadens (danno biologico) als auch des Gefühlsschadens (danno morale) beinhaltet, qualifiziert die Rechtsprechung ihn im Ergebnis dennoch als Gesundheitsschaden (danno biologico). Der Gesundheitsschaden ist als Nichtvermögensschaden für Gesundheitsverletzungen weit und umfassend zu verstehen. Bei seiner Bemessung muss das Gericht allen konkret vom Opfer erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen Rechnung tragen, ohne den Schadensersatz in unzulässiger Weise zu verdoppeln, indem dieselben Beeinträchtigungen unter Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen doppelt ersetzt werden. Deshalb ist es unzulässig, dem Geschädigten einen Gesundheitsschaden (danno biologico) für die Gesundheitsverletzung und zusätzlich einen Gefühlsschaden (danno morale) für die psychischen Leiden zuzusprechen.54
bb) Bemessungspraxis Der psychische Gesundheitsschaden wird als dauerhafte Invalidität bezogen auf die durchschnittliche Lebenserwartung bemessen und im Gegensatz zum Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) gerade nicht in 53 54
Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072; Cass. 14.2.2007, n. 3260. Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
Bezug auf den tatsächlich zwischen der Verletzung und dem Todeseintritt verstrichenen Zeitraum. Dies führte in dem der Entscheidung Nr. 1072 vom 18.1.2011 zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem das Opfer infolge eines Arbeitsunfalls 4 Tage später verstarb, dazu, dass den Erben trotz der relativ kurzen Überlebenszeit des Opfers € 164,00 für den Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) und € 693.020,00 für den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) zugesprochen wurden.55 In dem Sachverhalt, der dem Landgericht Caltanisetta zur Entscheidung vorlag, war ein Arbeiter von einem Baugerüst gefallen. Er lag 54 Tage schwer verletzt im Krankenhaus bevor er starb, wobei nach ärztlichem Bericht nicht mit Sicherheit auszuschließen war, dass er bei Bewusstsein war. Das Landgericht Caltanisetta sprach den Erben insgesamt € 335.156,33 zu, davon € 7.830,00 für die dauerhafte Invalidität bis zum Tod (danno biologico terminale) und € 327.326,33 für die körperlichen Leiden (womit wohl der danno biologico psichico gemeint war) sowie einen danno morale, der mit ⅓ des für die 100 %-ige Invalidität errechneten danno biologico [psichico] bemessen wurde.56
cc) Kritik an der Figur des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) Fraglich ist allerdings, ob den psychischen Leiden des Opfers in solchen Fällen überhaupt Krankheitswert zukommt. Erkennt das Opfer die Schwere seiner Verletzungen und realisiert es, dass diese alsbald zu seinem Tod führen, so zeugt das eher von einem gesunden, klaren Verstand und nicht von einer manifestierten psychischen Krankheit. Die Situation weist vielmehr Ähnlichkeit zum Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) auf.57 Zudem kann es bei längerer Überlebenszeit wegen des Verbots der doppelten Entschädigung desselben Schadens zu einer Konkurrenz zwischen dem psychischen Gesundheitsschaden und dem Gefühlsschaden (danno morale) im herkömmlichen Sinn kommen (s. o. § 4 III.1.b)aa), S. 185). Bei kürzerer Überlebenszeit bestehen dagegen Abgrenzungsschwierigkeiten zum Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale).58 55
Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072. Trib. Caltanisetta 24.6.2015 n. 407, abrufbar unter . 57 So Sapone vom 19.2.2011 zu Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072, abrufbar unter . 58 Cass. S. U. 22.7.2015, n. 15350, in NGCC 2015, I, 1008 mit Anm. D’Acunto S. 1015 (1017 ff.). 56
III. Kurze Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes
187
Dabei wird im Falle einer sehr kurzen Überlebenszeit von wenigen Stunden nur in seltenen Fällen anzunehmen sein, dass sich die psychischen Leiden des baldigen Todes innerhalb dieser kurzen Zeit in einer medizinisch feststellbaren psychischen Erkrankung niederschlagen, wie auch die Entscheidung Nr. 26973 des Kassationshofes vom 11.11.2008 zeigt. Ein 18-jähriger Mann erlitt bei einem Verkehrsunfall Verbrennungen und starb nach 11-stündigen, bewusst wahrgenommenen Todesqualen. Der Kassationshof beanstandete insbesondere, dass das Oberlandesgericht Rom den Schaden nicht explizit als danno morale terminale oder danno biologico psichico qualifiziert hatte. Mangels Anhaltspunkte für eine psychische Beeinträchtigung des Opfers und in Anbetracht der Tatsache, dass sich eine solche angesichts der kurzen Überlebensdauer auch nicht in einem für den danno biologico erforderlichen pathologischen Zustand hätte verfestigen können, nahm der Kassationshof letztlich einen danno morale terminale an.59 Obwohl der danno biologico psichico dogmatisch dem Gesundheitsschaden zuzuordnen ist, weist er dennoch – abhängig von der Überlebensdauer – große Ähnlichkeit zum Gefühlsschaden (danno morale) bzw. Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) auf, was letztendlich zu einem Konkurrenzverhältnis führt.
2. Fallgruppe der „kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des Todes“ in Deutschland Auch das deutsche Recht kennt ein Pendant zum Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale). Bei diesen Fällen handelt es sich häufig um sehr brutale Straftaten, deren Folgen das Opfer bis zu seinem Tod bewusst miterlebt und dabei Todesqualen erleidet. Im Vergleich zum danno morale terminale werden im Folgenden zunächst die Bemessungskriterien dargestellt (a), bevor die erforderliche Dauer bewusst erlittener Todesqualen (b) untersucht wird. Eine dem italienischen psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) entsprechende Fallgruppe kennt das deutsche Recht dagegen nicht (c).
a) Bemessungskriterien Neben den Verletzungen und der Leidenszeit bis zum Tod sind vor allem die Leidenszeit während der Begehung der Tat, die vorsätzliche Begehensweise, die Nichtigkeit des Anlasses und eine übermäßige Brutalität des Täters schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.60 Auf die hypothetische Frage, ob die Heilbehandlung im Falle des Überlebens deutlich länger gedauert hätte und 59 60
Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26973. Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 285.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
dies schmerzensgelderhöhend zu bewerten gewesen wäre, kommt es dabei nicht an. Maßgeblich sind vielmehr nur die vom Geschädigten zu seinen Lebzeiten tatsächlich erlittenen und wahrgenommenen Unfallfolgen.61 Da der Ausgleichsfunktion in diesem Fall angesichts des Todeseintritts keine nennenswerte Bedeutung mehr zukommen kann, gewinnt die Genugtuungsfunktion an Bedeutung.62 Nicht anwendbar sind dagegen die zur dauerhaften Wahrnehmungsund Empfindungsunfähigkeit entwickelten Grundsätze, wenn das Opfer kurz nach der Schädigung stirbt.63
b) Sehr kurze Dauer bewusst erlittener Todesqualen ausreichend Im Gegensatz zur oben genannten Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein, scheint der für einen Schmerzensgeldanspruch erforderliche Zeitraum zwischen Verletzung und Todeseintritt im Fall bewusst erlittener Todesqualen geringer zu sein. So genügten im Falle des Absturzes eines Privatflugzeugs bereits 10 Sekunden Todesangst, um den Erben ein Schmerzensgeld in Höhe von € 10.000,00 zuzusprechen.64 Nach dem Germanwings-Absturz hatte die Fluggesellschaft den Erben freiwillig € 25.000,00 Schmerzensgeld für die ca. 7-minütige Todesangst der Opfer des Absturzes gezahlt, wobei derzeit noch Schmerzensgeldklagen bei deutschen Gerichten anhängig sind.65 Das Landgericht Bochum sprach den Eltern eines durch einen Messerstich in den Hals getöteten Jugendlichen, der schon nach kurzer Zeit das Bewusstsein verloren und bis zu seinem Tod nicht wiedererlangt hatte, € 50.000,00 zu.66 Bei anderen brutalen Straftaten wurde bei 30 Minuten67 und 24 Stunden68 dauernden Todesqualen jeweils ein Schmerzensgeld in Höhe von € 50.000,00 zugesprochen. Bei einem 2-stündigen Todeskampf nach einem Motorradunfall sprach das Gericht € 6.000,00 zu.69 Vor Einführung des Hinterbliebenengeldes am 22.7.2017 erkannte Kadner Graziano in dieser Tendenz, den Hinterbliebenen auch bei nur sehr kurzen Todesqualen des Geschädigten ein Schmerzens-
61 62
LG Wuppertal, Urt. v. 4.1.2013 – 2 O 407/10 – juris. Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 285. 63 BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741 (2742). 64 OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2011 – I-18 U 216/10 = BeckRS 2013, 18320. 65 Nach dem Absturz hatte Germanwings € 50.000,00 Soforthilfe für jeden Todesfall gezahlt. Zudem wurden in Deutschland € 25.000,00 Schmerzensgeld für die 7-minütige Todesangst der Opfer des Flugzeugabsturzes sowie € 10.000,00 für „unterstellte eigene Gesundheitsschäden“ der nächsten Angehörigen gezahlt; Redaktion beck-aktuell, becklink 2010800. 66 LG Bochum, Urt. v. 29.10.2015 – I-2 O 574/12 – juris. 67 OLG Bremen, Beschl. v. 16.3.2012 − 3 U 6/12 = NJW‑RR 2012, 858; LG Frankenthal, Urt. v. 9.4.2014 – 6 O 488/13 = BeckRS 2014, 11448. 68 BGH, Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 72/15 = BeckRS 2016, 03376. 69 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 14.9.2009 – 1 U 309/08 = NJOZ 2009, 4715.
IV. Rechtsvergleichende Gesamtbetrachtung
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geld zuzusprechen, sogar die versteckte Gewährung eines Angehörigenschmerzensgeldes.70
c) Kein Pendant zum psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) im deutschen Recht Eine dem psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) vergleichbare Fallgruppe, wonach sich kurzzeitige psychische Leiden aufgrund des bewusst miterlebten Todeskampfes in einer medizinisch diagnostizierbaren geistigen Erkrankung niederschlagen, kennt das deutsche Recht dagegen nicht. Das mag wohl daran liegen, dass die deutsche Rechtspraxis psychischen Erkrankungen und ihrer Qualifikation als Gesundheitsschaden ohnehin zurückhaltend gegenübersteht. Vor allem die Bemessung des danno biologico psichico unter Bezugnahme auf die Tabellenwerte der dauerhaften Invalidität für die durchschnittliche Lebenserwartung des Opfers ist der deutschen Rechtspraxis fremd.
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Geringere Anforderungen an die Dauer bewusst erlittener Todesqualen im deutschen Recht Das deutsche Pendant zum italienischen Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) stellt die Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des baldigen Todes dar. In beiden Rechtsordnungen wird die Leidenszeit des Opfers anspruchserhöhend berücksichtigt, wobei das deutsche Recht im Fall eines Flugzeugabsturzes bereits bei bewusst erlebter Todesangst von lediglich 10 Sekunden einen vererblichen Schmerzensgeldanspruch bejaht, was im italienischen Recht dagegen nicht ausreicht. Da es sich in Deutschland bei dieser Fallgruppe häufig um bewusst erlebte Todesqualen infolge brutaler Straftaten handelt, werden hier sogar verhältnismäßig hohe Schmerzensgeldbeträge zugesprochen, die dennoch im Vergleich zu den Beträgen in Italien weitaus geringer sind.
IV. Rechtsvergleichende Gesamtbetrachtung: Insgesamt höhere Anforderungen an die Dauer der Überlebenszeit für beide Fallgruppen nach italienischem Recht Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Opfer in beiden Rechtsordnungen nur einen vererblichen Schmerzensgeldanspruch erwirbt, sofern die Verletzung nicht unmittelbar zum Tod führt, sondern es noch eine bestimmte Zeit über70
Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (562).
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
lebt hat. Je nachdem, ob das Opfer während dieser kurzen Überlebenszeit bei Bewusstsein war oder nicht, werden unterschiedliche Zeiträume zwischen Verletzung und Todeseintritt für ausreichend erachtet, um noch zu Lebzeiten einen Schmerzensgeldanspruch zu erwerben. War das Opfer bis zu seinem Tod bewusstlos, so muss es nach deutschem Recht in diesem Zustand mindestens eine Stunde überlebt haben, wohingegen beim bewusst erlebten Todeseintritt infolge eines Flugzeugsabsturzes bereits wenige Sekunden der Todesangst für die Entstehung eines Schmerzensgeldanspruchs ausreichen sollen. Die Literatur kritisiert diese Rechtspraxis, weil es dadurch zu einem „Wettlauf um das Überleben“ kommen kann und die Gefahr besteht, dass ein Schwerverletzter künstlich am Leben erhalten wird, um seinen Erben einen auf sie übergehenden Schmerzensgeldanspruch zu sichern.71 Auch eine rechtsethisch unangenehme Auseinandersetzung mit der Frage, mit welchen Beweismitteln die kurze Überlebenszeit nachweisbar ist, ist die Folge.72 Im Ergebnis stellte das italienische Recht bis 2018 damit höhere Anforderungen an die Dauer der Überlebenszeit als das deutsche Recht. Überlebte das Opfer nur wenige Stunden im Zustand der Bewusstlosigkeit, so erwarb es nach italienischem Recht weder unter den Voraussetzungen des Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) noch des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) einen eigenen vererblichen Anspruch. Im Gegensatz dazu genügen nach deutschem Recht bereits wenige Sekunden zur Anspruchsentstehung.
V. Der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) als Neuerung der Mailänder Tabelle 2018 Da die für den Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) erforderliche Überlebensdauer nicht konkret festgelegt war, führte dies häufig zu Abgrenzungsschwierigkeiten mit dem Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) und zur Verwechslung dieser beiden Anspruchsalternativen durch die Rechtsprechung. Auch das Fehlen einer Tabelle zur Bemessung immaterieller Schäden in diesen Fällen verhinderte, dass sich in Italien eine einheitliche, objektive Bemessungspraxis bilden konnte. Vielmehr sprachen die Gerichte bei vergleichbaren Sachverhalten sehr unterschiedliche Beträge zu, was Rechtsunsicherheit zur Folge hat. Diesen Missständen hilft die Mailänder Tabelle durch die im März 2018 neu eingeführten Kriterien zur Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge 71 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 253 Rn. 31. 72 Klinger NZV 2005, 290 (290) mit Verweis auf KG Berlin,
5120/99 = NZV 2002, 38 (39).
Urt. v. 30.10.2000 – 12 U
V. Der sog. Schaden mit Todesfolge
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(danno terminale) ab (Anhang IV dieser Arbeit). Fortan wird der danno terminale einheitlich bemessen (1), wobei das Bewusstsein des Opfers anspruchsbegründende Voraussetzung ist (2). Die Bemessung des danno terminale erfolgt ab dem vierten Überlebenstag in absteigenden Tagessätzen (3), was in einem praktischen Rechenbeispiel veranschaulicht wird (4), bevor dieser Abschnitt mit einer rechtsvergleichenden Bewertung abschließt (5).
1. Der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) als einheitliche und allumfassende Schadenskategorie Abweichend von der bisherigen Differenzierung zwischen Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale) und Gefühlsschadens bei herannahendem Tod (danno morale terminale) schlägt die Mailänder Tabelle 2018 nun eine einheitliche Definition des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) vor. Zur Vermeidung einer doppelten Entschädigung derselben Beeinträchtigung trägt der danno terminale nun sowohl dem danno biologico terminale als auch dem danno morale terminale umfassend Rechnung (principio di unitarietà ed omnicomprensività). Auch die gesonderte Bemessung des „regulären“ danno biologico für die Dauer der vorübergehenden Invalidität ist demnach ausgeschlossen.73
2. Bewusstsein als Anspruchsvoraussetzung Voraussetzung für einen danno terminale ist, dass das Opfer seinen herannahenden Tod bewusst wahrgenommen hat. Die Mailänder Tabelle 2018 lehnt daher das Bestehen eines Schadens in re ipsa bei Bewusstlosigkeit des Opfers ab. Erlangt das Opfer bei entsprechend längerer Überlebenszeit das Bewusstsein erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder, so entsteht der danno terminale erst ab diesem Zeitpunkt.74 Im Gegensatz zur Fallgruppe des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale), bei der es allein auf die Dauer des Überlebens und nicht auf die bewusste Wahrnehmung des herannahenden Todes durch das Opfer ankam, ist das Bewusstsein nun eine anspruchsbegründende Voraussetzung.75
73 Criteri Orientativi per la liquidazione del danno c. d. terminale, Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. 74 Criteri Orientativi per la liquidazione del danno c. d. terminale, Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. 75 Buse, DAR 2017, 561 (564 f.).
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
3. Höchste Schadensintensität in den ersten drei Tagen, danach Bemessung in absteigenden Tagessätzen Im Rahmen der Bemessung geht die Tabelle davon aus, dass die emotionale Erschütterung des Opfers über die bewusste Wahrnehmung seines eigenen, herannahenden Todes in den ersten Tagen am schlimmsten ist und gestattet dem Gericht für die ersten drei Tage nach der Schädigung bzw. Wiedererlangung des Bewusstseins nach eigenem Ermessen bis zu maximal € 30.000,00 zuzusprechen, wobei keine weitere Erhöhung dieses Betrags im Rahmen der Personalisierung zulässig ist. Vom vierten bis zum hundertsten Tag wird der danno terminale in absteigenden Tagessätzen von € 1.000,00 (für Tag 4) bis € 98,00 (für Tag 100) bemessen, wobei den Umständen des konkreten Einzelfalles und der für jeden Tag nachzuweisenden besonderen Erschütterung durch eine Anspruchserhöhung um bis zu 50 % (personalizzazione) Rechnung getragen werden kann. Ab dem hundersten Tag erhält das Opfer nur noch € 98,00, was der regulären Bemessung des Gesundheitsschadens bei vorübergehender Vollinvalidität nach der Mailänder Tabelle 2018 entspricht. Auch der ab dem hundersten Tag ersatzfähige Betrag von € 98,00 kann im Wege der Personalisierung um maximal 50 %, mithin auf € 147,00 pro Tag erhöht werden (s. o. § 3 III.1.e)cc)(3), S. 149). Diese Staffelung beruht zum einen darauf, dass in der Gerichtspraxis am häufigsten Fälle vorkommen, in denen das Opfer drei Tage überlebt, wohingegen eine Überlebensdauer von mehr als hundert Tagen eher selten ist. Zum anderen ist die Schadensintensität in den ersten Tagen am schlimmsten. Mit zunehmender Überlebensdauer nehmen der Schock und die Todesangst aufgrund von Therapieermutigung und Zuspruch durch Angehörige, Ärzte und Pflegepersonal ab.76
4. Praktisches Rechenbeispiel Überlebt ein Opfer z. B. zehn Tage, so kann das Gericht für die ersten drei Tage bis zu € 30.000,00 zusprechen, die nicht mehr zusätzlich erhöht werden können. Für den Zeitraum vom vierten bis zum zehnten Tag erhält das Opfer laut Tabelle € 6.803,00, die im Rahmen der Personalisierung (+ 50 %) auf maximal € 10.204,50 erhöht werden können, sodass dem Opfer insgesamt zwischen € 36.803,00 (ohne Personalisierung) und € 40.204,50 (nach maximaler Personalisierung) zugesprochen werden können.77
76 77
Buse, DAR 2017, 561 (564). Criteri Orientativi per la liquidazione del danno c. d. terminale, Mailänder Tabelle 2018, S. 5, oben § 3 Fn. 349.
V. Der sog. Schaden mit Todesfolge
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Basierend darauf errechnet Buse78 für die ersten 100 Tage einen maximalen Schadensersatzbetrag von ca. € 110.000,00 (€ 30.000,00 für Tag 1–3 + € 53.234,00 zzgl. 50 % Personalisierung für Tag 4–100) und für jedes weitere Überlebensjahr ca. € 35.000,00 (€ 98,00 × 365 Tage). Für das erste Überlebensjahr kommt er jedoch zu einem Betrag von € 163.000,00. Demzufolge wäre für die restlichen 265 Tage ein Tagessatz von € 200,00 (€ 163.000,00 – € 110.000,00 = € 53.000,00 ÷ 265 Tage = € 200,00) zugrunde zu legen, anstatt nach der Mailänder Tabelle 2018 € 98,00–€ 147,00 (nach einer max. Personalisierung von + 50 %). Im Vergleich dazu erhält ein 45-jähriger Geschädigter mit einer Dauerinvalidität von 100 % nach der Mailänder Tabelle 2018 vor Personalisierung € 951.097,00, was bei einer statistischen Lebenserwartung von weiteren 40 Jahren einem Jahresbetrag von € 23.777,43 entspricht. Grundsätzlich ist Buse zwar zuzustimmen, dass der Schadensersatzbetrag im Rahmen des danno terminale im Vergleich zum biologischen Schaden bei Dauerinvalidität höher ausfällt,79 einem direkten Vergleich dieser beiden Schadensfiguren steht allerdings entgegen, dass eine Überlebensdauer von mehr als 100 Tagen in der Gerichtspraxis sehr selten ist und sich der Gesundheitszustand bei einer langen Überlebensdauer irgendwann stabilisiert, sodass eine Dauerinvalidität feststellbar ist und das Opfer nicht mehr in ständiger Todesangst lebt.
5. Rechtsvergleichende Bewertung: Höhere Anforderungen an die Vererbbarkeit durch die neue Mailänder Tabelle 2018 Während der Verletzte nach dem sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) der neuen Mailänder Tabelle 2018 nun bei Bewusstsein überlebt haben muss und die italienische Rechtspraxis berücksichtigt, dass die Schadensintensität in den ersten drei Tagen am schlimmsten ist, unterscheidet das deutsche Recht weiterhin zwischen zwei Fallgruppen: Zum einen die Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des baldigen Todes als Pendant zum früheren italienischen Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) und zum anderen die Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein als Pendant zum früheren italienischen Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale). Die Mailänder Tabelle 2018 gewährleistet durch die nun klaren Voraussetzungen für die Vererbbarkeit ein gewisses Maß an Rechtssicherheit und Gleichbehandlung. Das ist insoweit begrüßenswert, als die italienische Rechtsprechung selbst häufg nicht in der Lage war, trennscharf zwischen dem danno morale terminale und dem danno biologico terminale zu unterscheiden. Sofern 78 79
Buse, DAR 2017, 561 (565). Buse, DAR 2017, 561 (565).
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
das Opfer aber vor seinem Tod das Bewusstsein nicht wiedererlangt, erwirbt es keinen eigenen Anspruch, der im Wege der Erbfolge übergeht, auch nicht unter dem Aspekt des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale), da der sog. Schaden mit Todesfolge (danno terminale) einheitlich und allumfassend zu verstehen ist. Seine Hinterbliebenen, die nicht notwendig mit den Erben identisch sein müssen, sind in diesem Fall auf ihre iure proprio-Ansprüche (s. u. § 5) verwiesen. Stirbt der Erstgeschädigte also ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben und hatte er keine verwandtschaftlichen oder familienänhlichen Bindungen, die iure proprio-Ansprüche von Hinterbliebenen begründen, so erweist sich sein Tod für den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung als Glücksfall. Dieses Ergebnis ist insbesondere dann unbillig, wenn der Verstorbene Opfer einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Straftat war, selbst wenn trauernde Hinterbliebene vorhanden sind. In diesem Fall kann eine Anwendung der Kriterien der Mailänder Tabelle 2018 nicht überzeugen. Außerdem wird es in der Praxis auch häufig Fälle geben, in denen das Opfer zeitweise bei Bewusstsein ist und das Bewusstsein dann wieder verliert oder mit Beruhigungsmitteln betäubt oder ins künstliche Koma versetzt werden muss, um die Schmerzen besser ertragen zu können. Auch in solchen Fällen wäre es unbillig, dem Opfer jeden eigenen Anspruch mangels Bewusstseins zu versagen. Insbesondere könnte so die Gefahr bestehen, dass einem Schwerverletzten Schmerzmittel versagt werden, um seinen Erben einen auf sie übergehenden Anspruch zu sichern. Der mit der Mailänder Tabelle 2018 verfolgte Zweck, Rechtssicherheit zu schaffen, ist zwar begrüßenswert, allerdings bedarf die Tabelle noch weiterer Feinjustierung.
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches In diesem Abschnitt werden zunächst die uneinheitliche italienische Gerichtspraxis zur Ersatzfähigkeit des Lebens als solches (1) und die hierzu vertretenen Meinungen der deutschen Literatur dargestellt (2), bevor der Abschnitt mit einer rechtsvergleichenden Bewertung endet (3).
1. Beendigung der uneinheitlichen Gerichtspraxis zur Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) in Italien im Jahr 2015 Bis zur Neufassung der Mailänder Tabelle 2018 erwarb das Unfallopfer nur einen eigenen Anspruch, der iure hereditario (bzw. hereditatio, hereditatis, haereditario, successionis) auf seine Erben übergehen konnte, wenn es entweder einen nicht unwesentlichen Zeitraum nach dem Unfall überlebte (danno bio-
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches
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logico terminale) oder – sofern es nur einige Stunden überlebte – während dieser kurzen Zeit zumindest bei Bewusstsein war und seinem baldigen Tod ins Auge blickte (danno morale terminale). Stirbt der Verletze dagegen sofort oder komatös innerhalb kürzester Zeit nach dem Unfall, so erwarb er weder früher noch heute einen eigenen vererblichen Entschädigungsanspruch. Dies wurde in Italien teilweise als unbefriedigend empfunden und entfachte die Diskussion um den Schaden infolge des Todes (danno tanatologico). Der danno tanatologico betrifft die Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes und damit die Frage, ob dem Verstorbenen für den Verlust seines Lebens ein eigener Entschädigungsanspruch zusteht, der auf seine Erben übergeht.80 Traditionell lehnte die Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit des danno tanatologico ab (a) und wurde deshalb kritisiert (b). Im Jahr 2014 bestätigte der Kassationshof die Ersatzfähigkeit des danno tanatologico (c), was fragwürdige Versuche der Instanzgerichte zu seiner Bemessung zur Folge hatte (d), bis die Vereinigten Zivilsenate die Ersatzfähigkeit des danno tanatologico letztendlich ablehnten (e).
a) Keine Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) nach der traditionellen Auffassung der Rechtsprechung Der Kassationshof vertrat schon sehr früh in der Entscheidung Nr. 3475 vom 22.12.1925 die Auffassung, dass der Verlust des Lebens als solches nicht ersatzfähig ist.81 Der italienische Verfassungsgerichtshof bestätigte 1994 diese Ansicht,82 die auch der Entscheidung der Vereinigten Zivilsenate des Kassationhofes Nr. 26972 vom 11.11.2008 entspricht. Der Kassationshof begründete seine Ansicht damit, dass das Leben und die Gesundheit zwei unterschiedliche Rechtsgüter seien. Das Rechtsgut Leben sei durch das Strafrecht umfassend geschützt und könne von seinem Inhaber nur in Natur in Anspruch genommen werden, eine Wiederherstellung durch Wertersatz sei dagegen nicht möglich.83 Zudem gelte in Italien der Grundsatz, dass nur Folgeschäden (danno conseguenza) ersatzfähig seien, nicht dagegen Erfolgsschäden (danno evento).84 Da der Tod eine direkte Folge der unerlaubten Handlung sei, würde ein Ersatz für den Verlust des Lebens gegen diesen Grundsatz verstoßen und käme einem Ersatz für einen Ereignisschaden gleich. Außerdem verliere das Opfer mit dem Tod seine Rechtsfähigkeit und könne nicht mehr Inhaber eines Schadensersatz80
Vismara, PHi 2014, 111 (112 f.). Cass. 22.12.1925, n. 3475, in Foro it. 1926, I, 328. 82 Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297. 83 Cass. 16.5.2003, n. 7632. 84 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972–26975. 81
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
anspruchs wegen des Verlusts seines Lebens sein, sodass dieser Anspruch auch nicht auf die Erben übergehen könne. Ferner bezwecke der Ersatz des Nichtvermögensschadens auch in Italien primär die Wiedergutmachung und den Ausgleich der erlittenen Schäden. Da ein solcher Zweck beim Verstorbenen aber nicht mehr erreicht werden könne, käme die Anerkennung einer Geldsumme zugunsten seiner Erben einem Strafschadensersatz gleich.85
b) Kritik an der traditonellen Auffassung und Vorschläge zur Bemessung des Schadens infolge des Todes Ende der 1980er Jahre kam allerdings eine nicht unbeachtliche, vorwiegend von der unterinstanzlichen Rechtsprechung vertretene Ansicht auf, wonach der Tod als größtmögliche Verletzung der Gesundheit ersatzfähig sein müsse und der Anspruch im Wege der Erbfolge auf die Erben übergehe. Als Gesundheitsschaden infolge des Todes (danno biologico da morte) sei der Schaden entsprechend den Kriterien zur Bemessung des Gesundheitsschadens zu bewerten.86 Eine Ansicht stellte insofern auf die Tabellen zur Bemessung des danno biologico ab und bemaß den Schaden infolge des Todes wie die dauerhafte Invalidität zu 100 %.87 Eine andere Ansicht erkannte, dass der zur Entschädigung einer dauerhaften Invalidität von 100 % dienende Betrag der Wiedergutmachung dauerhafter Beeinträchtigungen des Opfers diene. Da eine solche im Fall des Todes des Geschädigten aber nicht vorliege, wollte diese Ansicht nur einen niedrigeren Betrag in Höhe von ca. der Hälfte des für eine dauerhafte Invalidität von 100 % anerkannten Betrags zusprechen.88 Wiederum andere stellten auf Kriterien ab, die für bestimmte Fälle gesetzlich geregelt sind, so wie die durch Gesetz Nr. 497 vom 21.12.1999 erlassenen „Bestimmungen für die Leistung von Entschädigungen in Bezug auf den Seilbahnunfall von Cermis vom 3.2.1998 in Cavalese“.89 Am 3.2.1998 hatte ein amerikanisches Kampfflugzeug das Tragseil der Seilbahn durchtrennt, sodass die Kabinen abstürzt waren. Im Anschluss an dieses Unglück wurde dieses Gesetz erlassen.
85
Faccioli, ZEuP 2016, 750 (758). Faccioli, ZEuP 2016, 750 (756); für umfangreiche Hinweise in der Lit. vgl. D’Acunto, Besprechung v. Cass. S. U. 22.7.2015, n. 15350, in NGCC 2015, I, 1008 (1022 f.). 87 Trib. Venezia 15.3.2004, in Foro it. 2004, I, 2256; Trib. Venezia 15.6.2009, in NGCC 2010, I, 467. 88 Trib. Vibo Valentia, sez. distaccata di Tropea 28.5.2001, in Danno e resp. 2001, 1095 sprach den Erben 500.000.000 Lire zu; Trib. Santa Maria Capua Vetere 14.1.2003, in Giur. it. 2004, 496 sprach € 250.000,00 zu, was jeweils der Hälfte des für eine Invalidität von 100 % entsprach. 89 Trib. Roma 27.11.2008, in Danno e resp. 2009, 533. 86
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches
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c) Bestätigung der Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes durch den Kassationshof (Cass. 23.1.2014, n. 1361) Die Kritik an der traditionellen Rechtsauffassung fand Bestätigung beim Kassationshof. Mit dem Urteil Nr. 1361 vom 23.1.2014 (sentenza Scarano) stellte die 3. Zivilkammer des Kassationshofes fest, dass der Schaden aus dem Verlust des Lebens selbst dann iure hereditario ersatzfähig sei, wenn die verkehrsunfallbedingten Verletzungen unmittelbar zum Tod geführt hatten.90 Im dort entschiedenen Fall ging es um einen Verkehrsunfall, bei dem die Ehefrau sofort verstorben war und ihr Mann schwer verletzt wurde und infolge der durch den Verlust seiner Frau verursachten Depressionen ca. zwei Jahre später Selbstmord beging. Der Kassationshof begründete seine Ansicht unter anderem damit, dass zwischen Gesundheit und Leben eine Abhängigkeit bestehe: die Unversehrtheit der Person sei eine wesentliche Eigenschaft des Lebens und das Leben sei wiederum Grundvoraussetzung dieser Unversehrtheit. Zudem komme dem Leben ein größerer Stellenwert zu als der Gesundheit, sodass es paradox sei, wenn eine Gesundheitsverletzung ersetzt würde, der Verlust des Lebens dagegen nicht. Dadurch wäre es für den Schädiger sogar von Vorteil das Opfer zu töten anstatt es nur zu verletzen. Zwar sei eine Wiederherstellung des Lebens unmöglich, allerdings sei dies bei dauerhaften Gesundheitsschäden ebenso. Außerdem sei der Grundsatz, wonach nur Folgeschäden (danno conseguenza) ersatzfähig seien, nicht gesetzlich verankert. Jedenfalls müsse für den Schaden infolge des Todes eine Ausnahme gelten, da der Geschädigte unwiderruflich das verliere, was das Leben beinhalte und darum keine Beurteilung der negativen Folgen des mit dem Tod verbundenen Ereignisschadens möglich sei. Die Ausgleichsfunktion sei ferner dadurch gewährleistet, dass der Betrag zunächst dem Vermögen des Geschädigten zuwachse, dessen Vorteil darin bestehe, dass er den Betrag an diejenigen Personen übertrage, die er begünstigen wollte.91 Eine Bemessung des danno tanatologico nahm der Kassationshof selbst allerdings nicht vor. Vielmehr wies er darauf hin, dass der Schadensersatz für den Verlust des Lebens „angemessen“ im Sinne von Art. 1226 c. c. sein müsse und die Bestimmung der Kriterien im Ermessen der Tatrichter lägen, wobei jedoch eine objektive Lösung, die für jeden den gleichen Betrag vorsehe – unabhängig von einer Personalisierung in Bezug auf das Alter, den Gesundheitszustand, die künftige Lebenserwartung, die ausgeübte Tätigkeit und die persönlichen und familiären Umstände des Opfers – nicht geeignet sei.92 90 91
Cass. 23.1.2014, n. 1361, in Foro it. 2014, I, 719. Faccioli, ZEuP 2016, 750 (759 ff.). 92 Faccioli, ZEuP 2016, 750 (770).
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
d) Fragwürdige Versuche der Instanzgerichte zur Bemessung des Verlusts des Lebens Einige Instanzgerichte folgten der Auffassung des Kassationshofes und erkannten die Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) an. Bei dem Versuch geeignete Methoden zur Bemessung des danno tanatologico zu erarbeiten gelang die Rechtsprechung jedoch zu sehr unterschiedlichen und fragwürdigen Ergebnissen:93 Das Landgericht Brindisi hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem ein 9 Monate altes Kind einen Tag und seine 32-jährige Mutter fünf Tage nach dem Verkehrsunfall starben. Obwohl angesichts der Überlebensdauer eigentlich die Voraussetzungen des Gesundheitsschadens mit Todesfolge (danno biologico terminale) erfüllt waren, wandte das Gericht die Tabelle für dauerhafte Invalidität von 100 % an und sprach den Erben iure hereditatio einen als „danno terminale“ bezeichneten Ersatz in Höhe von € 1.018.126,00 für die Mutter und € 1.204.882,00 für das Kind zu.94 Das Oberlandesgericht Mailand sprach den Erben eines 67-jährigen Opfers unter Heranziehung der Tabelle für dauerhafte Invalidität von 100 % € 807.271,00 zu. Dann trug das Gericht der nicht mehr langen Lebenserwartung und der gefühlmäßigen Verbundenheit zu den Angehörigen Rechnung und sprach € 300.000,00 als danno tanatologico zu.95 Das Oberlandesgericht Cagliari hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem infolge eines Zusammenstoßes zweier Motorräder einer der Fahrer wenige Stunden nach dem Unfall verstarb. Das Gericht sprach angesichts des jungen Alters des Verstorbenen von 18 Jahren einen danno tanatologico in Höhe von € 600.000,00 zu, der aufgrund eines 30 %-igen Mitverschuldens entsprechend dieser Quote reduziert wurde.96 In dem Fall, den das Landgericht Vallo della Lucania zu entscheiden hatte, unterzog sich das Opfer einer Computertomographie mit Kontrastmittel, das unmittelbar einen allergischen Schock auslöste infolgedessen der Patient innerhalb von 15 Stunden verstarb. Das Gericht erkannte zwar die große Schwierigkeit das menschliche Leben zu bewerten und dass jeder Wertersatz unzureichend sei, dennoch sprach es € 450.000,00 zu und berücksichtigte, dass das Opfer erst 47 Jahre alt und sein Gesundheitszustand im Wesentlichen gut war.97 93 94
Intagliata, RCVS 2015 Vol. IX – N. 3, S. 27 (34 f.). Trib. Brindisi 1.12.2014, n. 2039, abrufbar unter . 95 Corte d’App. Milano 1.12.2014, n. 4307, abrufbar unter . 96 Corte d’App. Cagliari 1.7.2014, n. 438 – zitiert nach Intagliata, RCVS 2015 Vol. IX – N. 3, S. 27 (35). 97 Trib. del Vallo della Lucania 30.4.2014, n. 158 – zitiert nach Intagliata, RCVS 2015 Vol. IX – N. 3, S. 27 (35).
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches
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Ergänzend hierzu sei noch angemerkt, dass laut einer 2014 veröffentlichten Studie des italienischen Nationalen Instituts für Statistik (ISTAT) der Wert des menschlichen Lebens 2008 unter Bezugnahme auf die Erwerbstätigkeit in Italien € 453.000,00 für einen Mann und € 231.000,00 für eine Frau betrug.98
e) Festhalten an der traditionellen Auffassung durch die Vereinigten Zivilsenate: Ablehnung der Ersatzfähigkeit des Schadens infolge des Todes (danno tanatologico) Einige unterinstanzliche Gerichte vertraten weiterhin die traditionelle Ansicht, wonach Verstorbenen kein eigener Anspruch auf Ersatz des Schadens infolge ihres Todes zustünde, so auch das Landgericht Cuneo und das Oberlandesgericht Turin, die über den Sachverhalt zu entscheiden hatten, der letztendlich zur Entscheidung Nr. 15350 der Vereinigten Zivilsenate vom 22.7.2015 führte. Bei einem Frontalzusammenstoß war einer der Fahrer unmittelbar verstorben. Nachdem sowohl die erste als auch die zweite Instanz der traditionellen Auffassung folgend den Ersatz des danno tanatologico abgelehnt hatten, reichten die Kläger angesichts des Konflikts dieser Ansicht mit dem Urteil Nr. 1361 vom 23.1.2014 eine Beschwerde beim Kassationshof ein. Die Rechtssache wurde den Vereinigten Zivilsenaten zur Entscheidung vorgelegt. Durch Urteil Nr. 15350 vom 22.7.2015 lösten die Vereinigten Zivilsenate diesen Konflikt im Sinne der traditionellen Auffassung und entschieden, dass die Erben des Verstorbenen den Schaden infolge des Todes des Erblassers nicht iure hereditario geltend machen könnten, wenn der Erblasser unmittelbar oder innerhalb kürzester Zeit nach der unerlaubten Handlung verstorben sei.99 Diese Entscheidung begründeten die Vereinigten Zivilsenate im Wesentlichen damit, dass die traditionelle Auffassung – mit Ausnahme Portugals – der europäischen Rechtsprechung entspreche. Die Forderung, auch dem Verstorbenen Schadensersatz zu gewähren, diene einzig dem Ziel, den Angehörigen mehr Geld zu verschaffen. Denn das Rechtsgut „Leben“ könne nur von seinem Inhaber in natura in Anspruch genommen werden. Eine Wiedergutmachung durch Wertersatz sei dagegen nicht möglich, da mit dem Tod auch der Anspruchsberechtigte wegfalle. Auch sei die Tötung für den Täter nicht wirtschaftlich vorteilhafter als die Körperverletzung, weil nicht erwiesen sei, dass der Ausschluss des vererblichen danno tanatologico insgesamt zu einem geringen Schadensersatz für die Angehörigen führe. Denn die Ansprüche der Angehörigen iure prorio blieben unberührt. Zudem würde die im Urteil Nr. 1361 von 2014 vertretene zeitliche Vorverlegung des Zeitpunkts für die Entstehung der Schadensersatzforderung auf 98 ISTAT, Il valore monetario dello stock di capitale umano in Italia, Anni 1998–2008, Roma 2014, S. 31 (Tavola 3.1), abrufbar unter . 99 Cass. S. U. 22.7.2015, n. 15350, in Foro it. 2015, I, 2682; englischsprachige Bespr. von Bargelli, European Tort Law Yearbook, Bd. V (Nov. 2016), XV. Italy, S. 314 ff.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
den Zeitpunkt der Körperverletzung zur Aufhebung der Unterscheidung zwischen den Rechtsgütern „Leben“ und „Gesundheit“ führen.100 Im Ergebnis besteht nun Klarheit darüber, dass der Verlust des Lebens auch in Italien nicht ersatzfähig ist. Vielmehr stellt der Tod eines Menschen nur einen Schaden für seine Hinterbliebenen dar (s. u. § 5), nicht dagegen für den Verstorbenen selbst.
2. Geringer Diskussionsbedarf in der deutschen Literatur Obwohl das Leben zu den von § 823 Abs. 1 BGB und § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgütern zählt, führen weder der Tod noch die Verkürzung der Lebenserwartung zu einem Schmerzensgeldanspruch des Verstorbenen, weil das Leben weder in § 253 Abs. 2 BGB noch in § 11 S. 1 StVG genannt ist.101 Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus dem mit dem Tod einhergehenden Verlust der Persönlichkeit. Stirbt das Opfer, kommt dem Persönlichkeitsverlust keine eigenständige Bedeutung mehr zu, wohingegen es bei einer dauerhaften schweren Hirnschädigung mit dieser Beeinträchtigung weiter leben muss.102 Zwar befürworten wenige Literaturstimmen die Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens aus präventiven Gründen (a), überwiegend wird seine Ersatzfähigkeit jedoch abgelehnt (b).
a) Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens aus präventiven Gründen Nur wenige Stimmen in der Literatur, die diese Frage überhaupt untersuchen, fordern aus präventiver Sicht, dass der Verlust des Lebens als höchstes Rechtsgut entschädigungspflichtig sein müsse. Denn der Tod des Opfers sei für den Schädiger haftungsrechtlich günstiger, als wenn dieses verletzt überlebe. Da eine solche Rechtslage nicht mit Art. 1 und Art. 2 GG vereinbar sei, vertritt Adams die Ansicht, dass der Erblasser infolge einer verfassungskonformen Auslegung des § 823 BGB in der juristischen Sekunde seines Todes einen Anspruch aufgrund des Verlusts seines Lebens erwirbt, der sodann auf seine Erben übergeht.103 Auch nach Brüggemeier müsse die Tötung aus Gründen eines effektiven Lebensschutzes entschädigungspflichtig sein. Ihm zufolge ist die Entschädigung unmittelbar an die Angehörigen oder den Lebenspartner zu zahlen; bzw. bei deren Fehlen an eine Wohlfahrtseinrichtung.104 100
Faccioli, ZEuP 2016, 750 (751 ff.); Vismara, PHi 2015, 185. BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741 (2743). OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.1.2000 – U 5/99 BSch = VersR 2001, 1123. 103 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, 1985, S. 177 f. 104 Brüggemeier, Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, 2006, 3. Teil § 9 B. III.1.c) (S. 578 f.). 101 102
VI. Kein Ersatz für den Verlust des Lebens als solches
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Ott/Schäfer errechneten, dass das 44-fache des Bruttosozialprodukts pro Kopf zur Todesverhütung erforderlich ist.105 Das entspräche bei einem Bruttoinnlandsprodukt pro Kopf für das Jahr 2017 in Höhe von € 39.454,00106 einem Betrag von € 1.735.976,00.
b) Überwiegende Ablehnung der Ersatzfähigkeit des Verlusts des Lebens Da die Tötung nachträglich allerdings nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und beim Getöteten selbst für den Verlust seines Lebens kein Ausgleich mehr geschaffen werden kann, käme dem Ersatz für den Verlust des Lebens eine Straffunktion zu. Zudem wäre die Bemessung des Werts des Lebens äußerst schwierig.107 Deshalb lehnt von Bar eine Entschädigung für den Verlust des Lebens mit der Begründung ab, dass mit dem Tod die Rechtsfähigkeit des Geschädigten endet und in seiner Person keine vererblichen Ansprüche mehr entstehen könnten.108 Nach Stoll hindert der Verlust der Rechtsfähigkeit zwar nicht das Entstehen eines vererblichen Anspruchs. Ansprüche aus der Verletzung eines höchstpersönlichen Rechtsguts seien jedoch unvererblich, weil der Tod die Schadensbilanz abschließe.109
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Kein Ersatz für den Verlust des Lebens in beiden Rechtsordnungen Obwohl die §§ 7, 18 StVG und § 823 BGB das Leben als höchstes Gut schützen, löst der Verlust des Lebens nach § 253 Abs. 2 BGB keinen vererblichen Schmerzensgeldanspruch aus. Hierüber herrscht in Deutschland nahezu Einigkeit und dementsprechend wenig gegensätzliche Literaturstimmen gibt es zu diesem Thema. Damit im Kontrast stehen die Versuche der italienischen Gerichte das Leben abhängig vom Alter, Gesundheitszustand, der künftige Lebenserwartung, der ausgeübten Tätigkeit und der persönlichen und familiären Umstände des Opfers in Geld zu bemessen. Vielmehr erinnert diese Praxis an die Verteilung des Entschädigungsfonds, den die amerikanische Regierung nach 9/11 eingerichtet hatte. Eine einzige Person wurde damit beauftragt, nach eigenem Ermessen jedem verlorenen oder verletzten Leben basierend auf dem Einkommen einen monetären Wert beizumessen.110 Dem Leben Alter, Kranker, Alleinstehender 105 Ott/Schäfer, JZ 1990, 563 (572). 106 . 107 108
Schramm, Haftung für Tötung, 2010, S. 404 f. von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 1 Rn. 47. 109 Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, Rn. 277 (S. 359). 110 Zeug, Gedankenexperiment: Der Wert des Lebens, zeit-online v. 23.1.2018.
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§ 4 Im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergegangene Ansprüche
und Menschen, die eine weniger anspruchsvolle Tätigkeit ausüben, einen geringeren Geldwert beizumessen, als dem Leben junger, gesunder Menschen, die anspruchsvolle Berufe und eine Familie haben, ist indes nach überzeugender Ansicht mit der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürde unvereinbar und daher strikt abzulehnen. Im Ergebnis ist die Entscheidung Nr. 15350 der Vereinigten Zivilsenate vom 22.7.2015, wonach der Verlust des Lebens als solches nicht ersatzfähig sein soll, deshalb sehr zu begrüßen.
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen In diesem Kapitel geht es um Ansprüche, die Angehörigen im Fall der Tötung (I.) oder schwersten Verletzung (II.) einer nahestehenden Person aus eigenem Recht zustehen.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung einer nahestehenden Person Im Folgenden werden die Ansprüche dargestellt, die Hinterbliebenen eines infolge einer unerlaubten Handlung Getöteten aus eigenem Recht (iure proprio) zustehen. Im Gegensatz zu den iure hereditario-Ansprüchen, die im Wege der Erbfolge übergehen, entstehen die iure proprio-Ansprüche unmittelbar bei den Hinterbliebenen selbst, sodass es zu einer Kumulation von eigenen und geerbten Ansprüchen kommen kann.1 In Deutschland werden solche eigenen Ansprüche von Hinterbliebenen für Unfallgeschehen nach dem 22.7.2017 als sog. Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB gewährt. Im Gegensatz hierzu beruhen die iure proprio-Ansprüche von Hinterbliebenen in Italien auf einer langen Tradition. Dort haben sich für den eigenen Schaden der Hinterbliebenen die Begriffe des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) und des Schadens wegen entgangener Lebensfreude infolge der Tötung eines nahen Angehörigen (danno edonistico) etabliert. Dabei stellt der danno da perdita del rapporto parentale keine eigenständige Schadenskategorie dar, sondern eine Fallgruppe des Nichtvermögensschadens (Art. 2059 c. c.), wobei die in Kapitel § 3 gemachten Ausführungen zum Nichtvermögensschaden auch für den danno da perdita del rapporto parentale gelten. Nach den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.20082 kann der von Hinterbliebenen erlittene immaterielle Schaden folglich in Form aller drei beschreibenden Figuren auftreten: 1 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/588. 2 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26973, 26974; eine auszugsweise deutsche Übersetzung der Entscheidungen Nr. 26972 und 26973 enthalten Buse, DAR 2009, 588 und Christandl, ZEuP 2011, 392, siehe auch Monateri, JbItalR 24 (2011), 19 ff.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
So kann der Verlust einer nahestehenden Person bei den Hinterbliebenen nicht nur Trauer im Sinne eines Gefühlsschadens (danno morale) auslösen, sondern auch einen medizinisch feststellbaren Gesundheitsschaden (danno biologico) zur Folge haben sowie Beeinträchtigungen des gewohnten Lebensvollzugs und damit der Persönlichkeitsentfaltung (danno esistenziale).3 Der von Hinterbliebenen erlittene Schaden besteht also nicht aus dem Verlust des Angehörigen an sich (als sog. Erfolgsschaden bzw. danno evento), sondern aus den damit verbundenen negativen Folgen für die eigene Lebensqualität der Hinterbliebenen. Demnach handelt es sich um einen sog. Folgeschaden (danno conseguenza), an dessen Nachweis die Rechtspraxis abhängig vom Näheverhältnis des Anspruchsberechtigten unterschiedliche Anforderungen stellt.4 Ausgehend von der langen Erfahrung der italienischen Rechtsordnung mit iure proprio-Ansprüchen wird im Folgenden untersucht, inwieweit das noch sehr junge deutsche Hinterbliebenengeld bei funktionaler Betrachtung den beschreibenen Figuren danno morale (1.), danno biologico (2.) und danno esistenziale (3.) entspricht, wer zum anspruchsberechtigten Personenkreis zählt (4.) und wie die Bemessungspraxis in beiden Rechtssystemen konzipiert ist (5.).
1. Gefühlsschaden der Hinterbliebenen: Vorübergehende Trauer und Niedergeschlagenheit infolge des Verlusts einer nahestehenden Person In diesem Abschnitt wird zunächst der Gefühlsschaden (danno morale) von Hinterbliebenen nach italienischem Vorbild dargestellt (a). Sodann wird untersucht, inwieweit das deutsche Hinterbliebenengeld bei funktionaler Betrachtung inhaltliche Übereinstimmungen zum danno morale aufweist (b), bevor die Ergebnisse dieser Untersuchung in einer rechtsvergleichenden Bewertung zusammengefasst werden (c).
a) Lange Tradition des Gefühlsschadens (danno morale) der Hinterbliebenen im italienischen Recht Der Gefühlsschaden (danno morale) beschreibt die vorübergehende Trauer und Niedergeschlagenheit, die Hinterbliebene für gewöhnlich über den plötzlichen Verlust ihres nahen Angehörigen empfinden und die keinen Krankheitswert erreichen. Bei diesem seelischen Schmerz handelt es sich um lediglich subjektives, inneres Leiden der Hinterbliebenen, das nicht objektivierbar ist.5 Dabei blickt die Ersatzfähigkeit des danno morale der Hinterbliebenen in Italien auf 3 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/590; Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 1. 4 Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 10. 5 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (49); Cass. 8.7.2014, n. 15491.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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eine lange Tradition zurück und war bereits unter dem Codice civile von 1865 anerkannt (aa). Dennoch nahm auch die italienische Rechtsordnung eine restriktive Haltung zum Ersatz immaterieller Schäden von Hinterbliebenen ein, woran auch das Inkrafttreten von Art. 2059 des Codice civile von 1942 nichts änderte (bb). Erst durch die sog. „Zwillingsurteile“ des Kassationshofes aus dem Jahr 2003 (cc) und die sog. „San Martino“-Urteile aus dem Jahr 2008 (dd) wurden die Voraussetzungen an die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden von Hinterbliebenen mit der Zeit gelockert.
aa) Ersatzfähigkeit des Gefühlsschadens (danno morale) bereits nach dem Codice civile von 1865 In Italien beruht der Anspruch naher Angehöriger eines Getöteten auf Ersatz ihres eigenen Gefühlsschadens auf einer langen Tradition und war lange Zeit auch nur als danno morale ersatzfähig.6 So sollte es nach Giorgi7 für einen Ersatzanspruch von Angehörigen eines Verstorbenen bereits nach dem Codice civile von 1865 genügen, wenn diese durch die unerlaubte Handlung nur indirekt einen Vermögensschaden oder danno morale erlitten haben. Dem sollte auch Art. 1229 c. c. von 1865 nicht entgegenstehen, der als Vorgängervorschrift von Art. 1223 c. c. von 1942 bereits vorsah, dass nur Schäden ersatzfähig sind, die unmittelbare und direkte Folge der unerlaubten Handlung sind. Denn nur die unerlaubte Handlung und der Schaden müssen in einem direkten Verhältnis zueinanderstehen, wohingegen die Beziehung zwischen der unerlaubten Handlung und der geschädigten Person auch eine indirekte sein konnte, mit der Folge, dass Schäden von Hinterbliebenen des Verstorbenen als direkte Folge der unerlaubten Handlung angesehen wurden, obwohl die Hinterbliebenen nicht unmittelbare Opfer der unerlaubten Handlung waren. Um eine Ausuferung der Haftung zu vermeiden, wurde in der Folgezeit allerdings versucht, den Anspruch von Hinterbliebenen durch restriktive Auslegung des anspruchsberechtigten Personenkreises zu regeln. So sollten z. B. nur nahe Angehörige im Sinne eines formalen Verwandtschaftsverhältnisses bzw. Unterhaltsberechtigte anspruchsberechtigt sein, nicht dagegen Verlobte oder Lebensgefährten.8 Diese restriktive Ansicht wurde auch auf § 844 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. sowie § 845 BGB gestützt, die Ersatzansprüche Dritter regeln, denen gegenüber 6 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 71; vgl. Bona, Manuale per il risarcimento dei danni ai congiunti, 2013, S. 11 ff. m. w. N.; Corte d’App. Bologna 19.2.1907, in Giur. it. 1907, I, 2, 437; Cass. 8.3.1935, in Giur. it. 1935, I, 1, 509. 7 Giorgi, Teoria delle obbligazioni nel diritto moderno italiano, vol. V., 7. Aufl. 1909, S. 320 ff. 8 Vgl. Bona, Manuale per il risarcimento dei danni ai congiunti, 2013, S. 22 f.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
der Getötete „kraft Gesetzes“ unterhaltspflichtig war.9 Das zeigt, dass Deutschland und Italien in dieser Frage schon früh im Dialog standen.
bb) Doppelte Restriktion unter Art. 2059 c. c. von 1942: Verwirklichung eines Straftatbestandes als Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens und Begrenzung seines Ersatzes auf Gefühlsschäden (danni morali) Auch das Inkrafttreten von Art. 2059 des Codice civile von 1942 konnte diese restriktive Einstellung der italienischen Rechtsordnung gegenüber dem Nichtvermögensschaden von Hinterbliebenen nicht ändern. Da der Nichtvermögensschaden mit dem danno morale gleichgesetzt wurde, war er nur ersatzfähig, wenn die unerlaubte Handlung nach Art. 2059 c. c. i. V. m. Art. 185 Abs. 2 c. p. zugleich eine Straftat darstellte, was bei der Tötung eines Menschen in der Regel der Fall war. Dass nach Art. 1223 c. c. nur Schäden ersatzfähig sind, die unmittelbare und direkte Folge der unerlaubten Handlung sind und die Hinterbliebenen selbst nicht Opfer der Straftat waren, war für den Ersatz ihres danno morale dogmatisch unbeachtlich.10
cc) Aufbrechen der Restriktionen durch die sog. „Zwillingsurteile“ des Kassationshofes Nr. 8828 und 8827 vom 31.5.2003 und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 231 vom 11.7.2003 Im Jahr 200311 rückte die Rechtsprechung von dem restriktiven Verständnis des Nichtvermögensschadens, der begrifflich mit dem danno morale gleichgesetzt wurde und nur bei Vorliegen einer Straftat ersatzfähig war, ab. Vielmehr wurde die Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens auch bei Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten Gutes, nämlich dem Verlust einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (perdita del rapporto parentale) im Sinne von Art. 2, 29 und 30 Cost. als eigene Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen anerkannt. Überdies wurde auch die Voraussetzung der Erfüllung eines Straftatbestandes dahingehend abgemildert, dass es fortan genügen sollte, wenn die schädigende Handlung den objektiven Tatbestand erfüllt, während der subjektive Tatbestand auch mittels zivilrechtlicher Beweisregeln (z. B. Art. 2054 c. c.) vermutet werden konnte.12
9 De Cupis, Il danno: teoria generale della responsabilità civile, 1954, S. 301. 10 Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 90 ff.; Christandl/Hinghofer-Szalkay,
ZfRV 2007, 44 (50 ff.); Wrangel, VersR 1982, 628 (632). 11 Cass. 31.5.2003, n. 8828 und n. 8827, in Foro it. 2003, I, 2272; Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201. 12 Cass. 12.5.2003, n. 7283; Corte cost. 11.7.2003, n. 233, in Foro it. 2003, I, 2201.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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dd) Kehrtwende durch die sog. „San Martino“-Urteile der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes vom 11.11.2008: Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden auch bei schwerer Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts Nach heutigem Verständnis wird der Nichtvermögensschaden als einheitliche Schadenskategorie verstanden und ist nach Art. 2059 c. c. ersatzfähig, wenn die unerlaubte Handlung zumindest abstrakt einen Straftatbestand erfüllt sowie in den weiteren gesetzlich vorgesehenen Fällen13 und in verfassungskonformer Auslegung des Art. 2059 c. c., wenn die schädigende Handlung eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten, unverletzlichen Rechts (diritti inviolabili) zur Folge hat. Dabei ist der Nichtvermögensschaden auch dann ersatzfähig, wenn er durch eine Vertragsverletzung verursacht wurde.14 Hierzu muss der Anspruchsgegner alle haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt haben. Im Fall der delikischen Haftung nach Art. 2043 c. c. insbesondere den Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidriger Handlung und Verletzung eines rechtserheblichen Interesses sowie das Verschulden, wobei sich der Schädiger im Hinblick auf den Schaden der Hinterbliebenen nicht auf die mangelnde Vorhersehbarkeit ihres Schadens berufen kann. Die Vorhersehbarkeit des schädigenden Ereignisses beruht vielmehr darauf, dass es abstrakt gesehen der Normalität entspricht, dass ein Opfer in einen Familienverband eingebunden war.15 Anspruchsberechtigt sind – vergleichbar § 844 Abs. 3 BGB – nicht nur Verwandte, sondern auch Personen, die zum Getöteten nicht in einer formalen familienrechtlichen Beziehung standen, wobei die Rechtsprechung unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Nähebeziehung stellt (s. u. § 5 I. 4.). Hat der Hinterbliebene infolge der Tötung einer nahestehenden Person einen eigenen Nichtvermögensschaden erlitten und verstirbt er in der Folgezeit selbst, so ist dieser iure proprio-Anspruch ebenfalls vererbbar.16
b) Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Deutschland als Annäherung an die Rechtslage in Italien und anderen europäischen Staaten Obwohl der historische Gesetzgeber des BGB und die Rechtspraxis einem sog. Angehörigenschmerzensgeld lange Zeit skeptisch gegenüberstanden (aa), beugte sich der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2017 dem europäischen Druck 13
Zu den weiteren gesetzlichen Fällen oben § 3 Fn. 7. Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26973. Cass. 19.8.2003, n. 12124. 16 Cass. 23.1.2014, n. 1361, in Foro it. 2014, I, 719: infolge des verkehrsunfallbedingten Todes der Ehefrau litt der Ehemann 2 Jahre lang an depressiver Selbstisolierung mit anschließendem Suizid. Nach seinem Suizid klagten seine Angehörigen u. a. auf Ersatz seiner iure proprio-Ansprüche. 14 15
208
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
und führte den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ein (bb), dessen Voraussetzungen nun unter anderem in § 844 Abs. 3 BGB normiert sind (cc).
aa) Zurückhaltung des historischen Gesetzgebers und der Rechtspraxis gegenüber Drittschäden – Vermeidung einer Haftungsausuferung mit Hilfe des Tatbestandsprinzips Der historische Gesetzgeber stand dem Ersatz immaterieller Schäden allgemein seit jeher sehr zurückhaltend gegenüber.17 Um eine Haftungsausuferung zu vermeiden waren Drittschäden – mit Ausnahme von §§ 844 a. F., 845 BGB – grundsätzlich nicht ersatzfähig18 und §§ 844 a. F., 845 BGB umfassten auch lediglich materielle Ersatzansprüche wie Unterhalt, Beerdigungskosten und entgangene Dienste. In Bezug auf immaterielle Ansprüche erfolgte die Haftungsbeschränkung mit Hilfe des Begriffs der Gesundheitsverletzung. Bei fremdverursachter Tötung stand nahen Angehörigen nach ständiger Rechtsprechung nur unter den Voraussetzungen der sog. Schockschaden-Rechtsprechung ein eigener Schmerzensgeldanspruch zu. Das war der Fall, wenn sie eine medizinisch fassbare Gesundheitsverletzung erlitten hatten, die über gesundheitliche Beeinträchtigungen hinausging, denen Hinterbliebene im Todesfall erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.19 Seelischer Schmerz, Trauer, Verzweiflung oder Niedergeschlagenheit, wie sie Angehörige erfahrungsgemäß bei der Nachricht über den Tod einer nahestehenden Person erleiden, waren somit nach deutschem Recht nicht ersatzfähig, sofern sie nicht die Schwelle einer medizinisch feststellbaren Gesundheitsverletzung überschritten.20 Diese rechtspolitische Entscheidung beruhte auf der Überlegung, dass es bei Trauer- bzw. Gefühlsschäden unmöglich sei, den Umfang des Schadens aus der Art und dem Ausmaß äußerer Verletzungen abzuleiten und die vom Geschädigten gezeigten Äußerungen innerer Reaktionen nicht überprüfbar seien.21
bb) Deutschlands Distanzierung von seiner Rolle als „letzter Mohikaner in Europa“ durch Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Von dieser restriktiven Haltung gegenüber immateriellen Schäden von Hinterbliebenen rückte der deutsche Gesetzgeber durch die Einführung eines gesetz17 Nach § 112 Abs. 1 S. 6 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten stand es nur Personen vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande zu, ein billiges Schmerzensgeld zu fordern, wobei dies von der Bevölkerung bereits als schäbig und unehrenhaft empfunden wurde, Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 28, 31 f.; Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 51 ff. 18 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil, Bd. I, § 27 IV a (S. 460). 19 Grundlegend BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883. 20 BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883, 1885; KG Berlin, Urt. v. 10.6.2004 – 12 U 315/02 = NZV 2005, 315. 21 E. Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 52 f.
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lichen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld (1) nach einer Jahrzehnte dauernden Entwicklung und steigendem Druck ab (2).
(1) Ergänzung des § 844 BGB um Absatz 3 sowie Aufnahme inhaltsgleicher Regelungen in Spezialgesetze zur Gefährdungshaftung Von dieser restriktiven Haltung ist der deutsche Gesetzgeber nach Jahrzehnte dauernden Diskussionen nun abgerückt. Am 22.7.2017 wurde mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 17.7.201722 dem § 844 BGB ein dritter Absatz hinzugefügt. Dieser lautet wie folgt: „(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“
Zudem wurden inhaltsgleiche Regelungen in § 86 Abs. 3 AMG, § 32 Abs. 4 GenTG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG, § 12 Abs. 3 UmweltHG, § 15 Abs. 3 AtG, § 10 Abs. 3 StVG, § 5 Abs. 3 HPflG und § 35 Abs. 3 LuftVG aufgenommen.
(2) Einlenken des deutschen Gesetzgebers nach europäischem Druck, rechtspolitischen Debatten und medienträchtigen Unglücksfällen Dieser aktuellen Entwicklung im deutschen Recht ging jedoch eine lange rechtspolitische Debatte voraus, die verdeutlicht, dass die Einführung eines Hinterbliebenengeldes in Deutschland auf keinen Fall selbstverständlich war. Da zahlreiche andere europäische Länder den Hinterbliebenen immaterielle Einbußen infolge der Tötung23 oder sogar schweren Verletzung24 eines nahen Angehörigen gewähren,25 entfachte auch in Deutschland schon früh die rechtspolitische Diskussion um die Argumente für und gegen ein sog. Angehörigen22 BGBl. 2017 I S. 2421. 23 Z. B. Italien, Frankreich,
Spanien, Portugal, Belgien, Luxemburg, England und Wales, Schottland, Irland, Schweiz, Österreich, Finnland, Norwegen, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, Kroatien, die Tschechische Republik, Serbien, Rumänien, Bulgarien und Griechenland, vgl. Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (555). 24 So z. B. Slowenien, Estland und Serbien, Schweiz, Litauen, Belgien, Luxemburg, Spanien, Österreich, Italien, vgl. Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (556 f.); ders., ZEuP 2002, 834 (845). 25 Vgl. Überblick bei Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (555) Fn. 53; Häcker, DAR‑Extra 2013, 758 (759 ff.); Janssen, ZRP 2003, 156 (157 ff.); Scheffen, NZV 1995, 218 (219); Für England, Frankreich, Österreich, Schweiz vgl. Stiegler, Schmerzensgeld für Schock- und Trauerschäden, 2009; Für Frankreich und England vgl. Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004; Schramm, Haftung für Tötung, 2010, speziell für Frankreich: Schernitzky, Immaterieller Schadensersatz in Deutschland, Frankreich und in der Europäischen Union, 2005, S. 111 ff.; für England und Wales: Wagner, ZEuP 2015, 869.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
schmerzensgeld.26 Gegen ein solches wurde vor allem angeführt, dass es unmöglich sei, das Leid der Angehörigen in Geld zu bewerten und auch die dazu erforderliche Einsichtnahme in familiäre Verhältnisse schwierig sei.27 Im Jahre 1964 schloss sich der 45. Deutsche Juristentag dem Gutachten von Stoll28 an und empfahl die Einführung eines Schmerzensgeldanspruchs zugunsten naher Angehöriger im Tötungsfall. Diese Empfehlung fand allerdings keinen Eingang in den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften von 1967.29 In den Grundsätzen 13 und 19 des Beschlusses (75) 7 vom 14.3.1975 hatte auch das Ministerkomitee des Europarates die Regelung eines Angehörigenschmerzensgeldes für den Fall der Körperverletzung oder Tötung eines Angehörigen empfohlen.30 Im Jahr 1988 griff das Bayerische Staatsministerium der Justiz diese Empfehlung in einem entsprechenden Gesetzentwurf auf, der im Bundesjustizministerium aber keine Zustimmung fand.31 Im Rahmen der Reform über die Vererbbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs wurde das Angehörigenschmerzensgeld zwar erneut thematisiert, aufgrund der ersatzlosen Streichung von Satz 2 des § 847 Abs. 1 BGB a. F. aber nicht mehr für notwendig erachtet.32 Mit der Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Trauerschadens infolge des Verlusts einer nahestehenden Person in Schweden im Jahr 200033 und 26 Pro Angehörigenschmerzensgeld: z. B. Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 145 ff.; Odersky, Schmerzensgeld bei Tötung naher Angehöriger, 1989; S. 21 ff.; Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 ff., Vorndran, ZRP 1988, 293 ff.; Janssen, ZRP 2003, 156; Scheffen, NZV 1995, 218; Wagner, JZ 2004, 319 (325 ff.); ders., 66. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. A 65; ders., Angehörigenschmerzensgeld, in Festschr. Stürner, 2013, S. 231 (233 ff.); Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 57 ff.; Kadner Graziano, ZEuP 2002, 834 (859); ders., RIW 2015, 549 ff.; Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi, ZfSch 2012, 6 ff.; Schwintowski, VuR 2016, 18 ff.; Wenter, ZfSch 2012, 243 (246 ff.); Neuner, JuS 2013, 577 (582 f.); Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18 ff.; Staudinger, NJW 2006, 2433 (2435 f.); ders., DAR 2012, 280 (282 ff.); Huber, NZV 2012, 5 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 645 ff.; dies., in Karlsruher Forum 2016: Schmerzensgeld, S. 5 (30 ff.); Schramm, Haftung für Tötung, 2010, S. 406 ff. (461 ff.); Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 340 ff. (363); Schmid, RRa 2003, 145; Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, NZV 2012, 471 (472 ff.); Contra Angehörigenschmerzensgeld: z. B. E. Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 51 ff.; Aldag, ZRP 1989, 312; Bollinger, ZRP 1998, 32; Jansen, ZEuP 2001, 30 (60 f.); Katzenmeier, JZ 2002, 1029 (1034 f.); Müller, VersR 1995, 489 (494); Diederichsen, DAR 2011, 122 (124); Kötz, in Festschr. v. Caemmerer, 1978, S. 389 (406 ff.). 27 Müller, VersR 1995, 489 (494); Kötz, in Festschr. v. Caemmerer, 1978, S. 389 (406 ff.). 28 Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 145 ff. 29 Staudinger/Schäfer, BGB, 12. Aufl. 1986, § 847 Rn. 38. 30 Entschließung (75) 7 des Ministerkomitees des Europarates vom 14.3.1975, Bekanntmachung vom 5.2.1976, BGBl. 1976 II, S. 323. 31 Ullmann, FamRZ 1988, 801 (802); Vorndran, ZRP 1988, 293 (295). 32 BT‑Drucks. 11/4415, S. 2. 33 Entscheidung des Högsta Domstolen v. 17.10.2000, in Nytt Jurisdiskt Arkiv 2000, 521 –
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Österreich im Jahr 200134 verlor Deutschland in der Debatte um das Angehörigenschmerzensgeld zwei wichtige Mitstreiter. Überdies entschieden international zuständige ausländische Gerichte, insbesondere der italienische Kassationshof,35 wiederholt, dass die Nichtgewährung von Angehörigenschmerzensgeld nach dem anwendbaren materiellen Recht gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des Gerichtsstaates verstieße. Der 66. Deutsche Juristentag befasste sich im Jahr 2006 aufgrund eines Gutachtens von Wagner36 erneut mit dem Angehörigenschmerzensgeld, lehnte einen solchen Anspruch jedoch sowohl bei Tötung als auch schwerer Verletzung naher Angehöriger ab,37 mit der Folge, dass Deutschland in Bezug auf das Angehörigenschmerzensgeld bereits als „der letzte Mohikaner in Europa“ bezeichnet wurde.38 Im Jahr 2012 empfahl der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes zumindest bei fremdverursachter Tötung.39 Diese Forderung fand 2013 sogar Eingang in den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode.40 Die Initiative zur Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes kam letztendlich – wie auch schon 1988 – aus Bayern, dem Italien nächstgelegenen und wohl am stärksten seinem Einfluss ausgesetzten Bundesland.41 Am 15.2.2012 hatte das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zunächst einen Diskussionsentwurf42 vorgelegt, der sich am 1.1.2015 zu einem zitiert nach Klinger, NZV 2005, 290 (Fn. 5); Janssen, ZRP 2003, 156 (158); Kadner Graziano, ZEuP 2002, 834 ff. 34 Österr. OGH, Urt. v. 16.5.2001 – 2 Ob 84/01v = NZV 2002, 26; Janssen, ZRP 2003, 156 (158); Kadner Graziano, ZEuP 2002, 834 ff. 35 Cass. 22.8.2013, n. 19405, in NGCC 2014, I, 139 in Bezug auf Österreich; vgl. Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (553 f. mit Fn. 39); Gebauer, JbItalR 27 (2014), 57 (70). 36 Wagner, 66. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. A 62 ff. 37 , S. 4, IV. 2.; Verhandlungen des 66. DJT, Bd. II/1, 2006, S. L 90. 38 Huber, NZV 2012, 5 (5). 39 Bericht von Born, NZV 2012, 118 (119). 40 Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode: Deutschlands Zukunft gestalten, S. 146: „Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt“; abrufbar unter . 41 Huber, NZV 2012, 5 (7); Brand, in Festschr. Jaeger, 2014, S. 191 (197 ff.); Kuhn, in Festschr. Jaeger, 2014, S. 345 (352 ff.). 42 „Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern“; abrufbar unter ; vgl. hierzu Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, NZV 2012, 471 (472 ff.); Wagner, Angehörigenschmerzensgeld, in Festschr. Stürner, 2013, S. 231 (234 f.).
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Gesetzentwurf43 verdichtete. Im Gegensatz zum Diskussionsentwurf, der noch ein Angehörigenschmerzensgeld für den Fall der Tötung oder schweren Verletzung im Rahmen der Delikts- und Gefährdungshaftung vorsah, beschränkte sich der Gesetzentwurf auf ein Hinterbliebenengeld infolge schuldhafter Tötung44 und schloss somit nicht nur die vertragliche, sondern auch die Gefährdungshaftung vom Anwendungsbereich aus. Zwischenzeitlich wurde der Druck auf den deutschen Gesetzgeber auch von europäischer Seite erhöht. So hatte der EGMR wiederholt gefordert, nationale Rechtsordnungen müssten nach Art. 13 EMRK nahen Angehörigen eines Getöteten jedenfalls bei einer möglichen staatlichen Mitverantwortung für den Todesfall auch einen zivilrechtlichen Geldanspruch gewähren.45 Hatte dieses Thema bereits früher im Zusammenhang mit großen Unglücksfällen öffentliche Aufmerksamkeit erregt, so gaben der Absturz des Germanwings-Passagierflugzeugs am 24.3.2015 und das Zugunglück von Bad Aibling am 9.2.2016 den letzten Anstoß. Am 18.5.2017 nahm der Bundestag den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD46 einstimmig an. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.7.2017 wurde sowohl in § 844 Abs. 3 BGB als auch in verschiedene Spezialgesetze zur Gefährdungshaftung47 eine Regelung zum Hinterbliebenengeld aufgenommen.
cc) Regelungsinhalt und Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes Für Verletzungen, die sich nach Art. 229 § 43 EGBGB ab Inkrafttreten des § 844 Abs. 3 BGB am 22.7.2017 ereignet haben, hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Dabei wird ein besonderes persönliches Näheverhältnis vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Der Anspruch ist nicht höchstpersönlich, sondern übertragbar und vererbbar.48 43 „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern und zur Änderung des § 1374 Absatz 2 BGB“, abrufbar unter . 44 Gesetzentwurf S. 2; Zwickel, NZV 2015, 214 (216 f.). 45 BT‑Drs 18/11397, S. 8, 14 mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 13.3.2012, Reynolds/Großbritannien, Nr. 2694/08, Rn. 60 ff. m. w. N.; EGMR, Urt. v. 17.3.2005, Bubbins/Großbritannien, Nr. 50196/99, Rn. 166 ff.; EGMR, Urt. v. 3.4.2001, Keena/Großbritannien, Nr. 27229/95, Rn. 125 ff. 46 BT‑Drs 18/11397. 47 § 86 Abs. 3 AMG, § 32 Abs. 4 GenTG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG, § 12 Abs. 3 UmweltHG, § 15 Abs. 3 AtG, § 10 Abs. 3 StVG, § 5 Abs. 3 HPflG und § 35 Abs. 3 LuftVG. 48 BT‑Drs 18/11397, S. 12; zur fehlenden Vererbbarkeit infolge der Genugtuungsfunk-
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Nach dem Gesetzeszweck soll die Entschädigung allerdings keinen Ausgleich für den Verlust des Lebens darstellen, sondern der Anerkennung des seelischen Leids der Hinterbliebenen dienen, das sie infolge der Tötung eines nahestehenden Menschen erleiden.49 Schiemann qualifiziert den Schaden insofern zu Recht als „Gefühlsschaden“50 i. S. d. danno morale. Zunächst muss der Schädiger alle haftungsbegründenden Voraussetzungen der deliktsrechtlichen Haftung oder Gefährdugnshaftung erfüllen (1) und dadurch kausal den Tod eines Menschen (2) und das seelische Leid seiner Hinterbliebenen (3) verursacht haben, wobei Haftungsausschlüsse und -begrenzungen auch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ausschließen und begrenzen (4).
(1) Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen im Verhältnis zum getöteten Primäropfer In Deutschland leiten die Hinterbliebenen ihre Ansprüche als Sekundärgeschädigte bzw. Drittbetroffene von einem Anspruch ihrer nahestenden Person, dem Primäropfer, ab. Demzufolge müssen die Haftungsvoraussetzungen im Verhältnis zum Primäropfer vorliegen. Der Schädiger muss den Tod des Primäropfers verursacht haben, wobei der Anspruch auf Hinterbliebenengeld dem Grunde nach bereits mit der Zufügung einer Körperverletzung entsteht, in deren Folge der Tod eintritt.51 Für die Haftungsbegründung gegenüber dem Getöteten kommen grundsätzlich nur die deliktische Haftung, insbesondere § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i. V. m. z.B. §§ 211, 212 oder § 222 StGB in Betracht sowie §§ 831, 832, 833, 836, 839 BGB52 und die spezialgesetzliche Gefährdungshaftung, die aus § 86 Abs. 3 AMG, § 32 Abs. 4 GenTG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG, § 12 Abs. 3 UmweltHG, § 15 Abs. 3 AtG, § 10 Abs. 3 StVG, § 5 Abs. 3 HPflG und § 35 Abs. 3 LuftVG folgt. Mit Ausnahme der Passagierschadenshaftung im Luft-, Eisenbahn- und Seeverkehr und der § 618 Abs. 3 BGB und § 62 Abs. 3 HGB, die für bestimmte Vertragsverhältnisse auf die §§ 842 bis 846 BGB verweisen, ist die Vertragshaftung vom sachlichen Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes ausgeschlossen.53 Insbesondere auf die vertragliche Arzthaftung und die Verletzung von Betreuungspflichten in Kindertagesstätten oder Pflegeheimen ist § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar.54 tion dagegen Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (693); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 268 ff.; Balke, SVR 2018, 207 (211). 49 BT‑Drs 18/11397, S. 1, 10, 14. 50 Schiemann, GesR 2018, 69 (71). 51 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; BT‑Drs 18/11397, S. 13 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 13.2.1996 – VI ZR 318/94 = NJW 1996, 1674. 52 BT‑Drs 18/11397, S. 13. 53 BT‑Drs 18/11397, S. 9 f.; BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 91 f. 54 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017
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(2) Kausalität Der Anspruchsgegner muss durch die schädigende Handlung den Tod des Primäropfers verursacht haben. Allerdings kann die Feststellung der Kausalität zwischen unerlaubter Handlung und Tötung problematisch sein, wenn der Tod nicht sofort, sondern erst einige Zeit nach der Körperverletzung eintritt. In diesem Fall kann die Haftung gegebenenfalls unter Zurechnungsgesichtspunkten einzuschränken sein. Der Tod des Primäropfers muss sich auch unter den Gesichtspunkten der Adäquanz und des Schutzzwecks der Norm als Folge der unerlaubten Handlung darstellen. Dies wird umso unwahrscheinlicher, je größer der zeitliche Abstand zwischen Körperverletzung und Todeseintritt ist.55 Sofern der Primärgeschädigte noch kurze Zeit überlebt hat und die Körperverletzung gegenüber dem alsbald eintretenden Tod „die Bedeutung einer abgrenzbaren immateriellen Beeinträchtigung“ hat,56 steht ihm noch selbst ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu, der gemäß § 1922 BGB auf seine Erben übergeht (s. o. § 4 II.2. und § 4 III.2.).
(3) Bestehen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses und tatsächliches Empfinden von seelischem Leid infolge der Tötung Maßgebend für den persönlichen Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes ist, dass zum Zeitpunkt der Körperverletzung bzw. Tötung ein besonderes persönliches Näheverhältnisses zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen bestand, wobei es auf die „Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung“ ankommt.57 Das Bestehen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses wird nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB widerleglich vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner,58 ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war (zum Kreis der Anspruchsberechtigten s. u. § 5 I. 4.b), S. 241 ff.). Zudem muss der Hinterbliebene kausal infolge der Tötung tatsächlich seelisches Leid empfunden haben, was in der Regel das besondere persönliche Näheverhältnis zum Getöteten nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB indiziert.59 Dies ist allenfalls nicht der Fall bei Hinterbliebenen, die keine innere Beziehung zum vom Januar 2017, S. 9 f., abrufbar unter ; zum Hinterbliebenengeld i. R. d. Arzthaftung Walter, MedR 2018, 213 ff. 55 BT‑Drs 18/11397, S. 13. 56 BGH, Urt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182–97 = NJW 1998, 2741 (2743). 57 BT‑Drs 18/11397, S. 13. 58 Gemeint ist der Lebenspartner i. S. d. LPartG. Seit 1.10.2017 können keine Lebenspartnerschaften mehr begründet werden (Art. 3 Abs. 3 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017). Eine bestehende Lebenspartnerschaft kann nach (§ 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt werden. 59 BT‑Drs 18/11397, S. 14.
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Getöteten hatten, dessen Tod aus besonderen Gründen nicht als Verlust empfinden oder wenn das seelische Leid nicht aus der Tötung herrührt. Dann kann der Anspruchsgegner die Indizwirkung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB nach § 292 ZPO widerlegen.60 Anspruchsberechtigt sind aber nicht nur Verwandte i. S. d. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB, sondern auch Personen, die zum Getöteten nicht in einer formalen familienrechtlichen Beziehung standen, wobei letztere ihr besonderes persönliches Näheverhältnis zum Getöteten darlegen und beweisen müssen (s. u. § 5 I. 4.b)bb), S. 243).61
(4) Haftungsausschlüsse und -begrenzungen Sofern die Haftung ausgeschlossen oder begrenzt ist, unterliegt auch der Anspruch auf Hinterbliebenengeld dieser Einschränkung.62 Im Bereich der Gefährdungshaftung für Straßenverkehrsunfälle kommt insbesondere ein Haftungsausschluss des Kfz-Halters bei höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG oder bei Unabwendbarkeit des Unfalls nach § 17 Abs. 3 StVG in Betracht. Zudem unterliegt auch das Hinterbliebenengeld der Haftungshöchstsumme des § 12 StVG. Da die Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Versicherten bei tödlichen Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nach § 104 SGB VII ausgeschlossen ist, nimmt die Literatur an, dass dieses Haftungsprivileg auch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ausschließt.63 Abweichend hat der BGH dies jedoch für den Schockschadensersatz gesehen. Dieser beruht allerdings auf einer eigenen Rechtsgutsverletzung des Angehörigen.64
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Annäherung beider Rechtsordnungen durch die Einführung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland – vergleichbare Anspruchsvoraussetzungen trotz unterschiedlicher Entwicklung und Gesetzessystematik aa) Entwicklung: Lange Tradition italienischer iure proprio-Ansprüche im Gegensatz zur Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.7.2017 Der Ersatz des Nichtvermögensschadens von Hinterbliebenen für den Verlust einer nahestehenden Person beruht in Italien auf einer langen Tradition und zählt zu den Grundwerten der Rechtsordnung (ordre public). Demgegenüber galt das infolge einer fremdverursachten Tötung von Hinterbliebenen erlittene 60 61
BT‑Drs 18/11397, S. 14. BT‑Drs 18/11397, S. 14 f. 62 BT‑Drs 18/11397, S. 13. 63 Witschen, JZ 2018, 490 (494 ff.); Wagner, NJW 2017, 2641 (2643); Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (408); Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (693); Steenbuck, r+s 2017, 449 (451). 64 BGH, Urt. v. 6.2.2007 – VI ZR 55/06 = NZV 2007, 453.
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seelische Leid in Deutschland bis zum 22.7.2017 als entschädigungslos hinzunehmendes Schicksal. Reiner seelischer Schmerz konnte nicht den durch § 253 Abs. 2 BGB geschützten Rechtsgütern zugeordnet werden. Die Haftungsbeschränkung erfolgte maßgeblich über den Begriff der Gesundheitsverletzung, sodass den Hinterbliebenen nur ein eigener Schmerzensgeldanspruch zustand, wenn das seelische Leid das Ausmaß eines medizinisch fassbaren Schocks erreichte, der über gesundheitliche Beeinträchtigungen hinausging, die Angehörige in Todesfällen erfahrungsgemäß erleiden. Im italienischen Recht wird die Haftungsbeschränkung dagegen nicht durch das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung erreicht.65 Vielmehr stellt der Verlust einer nahestehenden Person in Italien eine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf die familiäre Beziehung nach Art. 2, 29 und 30 Cost. dar. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.7.2017 erfuhr das deutsche Recht eine Kehrtwende und damit eine Annäherung an die italienische Rechtsordnung. Zwar enthält der Gesetzentwurf (BT‑Drs 18/11397) selbst keine Belege dafür, dass das italienische Recht als Vorbild für das deutsche Hinterbliebenengeld diente, allerdings hatte sich bereits der bayerische Diskussionsentwurf66 vom 15.2.2012 mit der Rechtslage in Italien befasst, die somit auch dem Bundesgesetzgeber zumindest in Grundzügen bekannt gewesen sein dürfte. Nach Jahrzehnte dauernden rechtspolitischen Debatten werden nun auch im deutschen Recht Gefühlschäden von Hinterbliebenen eines Getöteten ersetzt.
bb) Unterschiedliche Gesetzessystematik: Hinterbliebenengeld als ersatzfähiger Drittschaden aufgrund von deliktischen Ansprüchen im Gegensatz zur eigenen Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen im italienischen Recht Der immaterielle Schaden von Angehörigen wird im italienischen Recht nach § 2059 c. c. nicht nur in den gesetzlich angeordneten Fällen ersetzt, sondern auch bei schwerer Verletzung eines verfassungsmäßig geschützten unverletzlichen Rechts und zwar unabhängig davon, ob der Nichtvermögensschaden durch eine unerlaubte Handlung, Gefährdungshaftung oder eine Vertragsverletzung verursacht wurde. Erfasst ist damit insbesondere auch die Arzthaftung. Der deutsche Gesetzgeber hat den Anspruch auf Hinterbliebenengeld dagegen nicht systematisch im allgemeinen Schuldrecht bei § 253 BGB angesiedelt, sondern im Deliktsrecht in § 844 Abs. 3 BGB und in den Spezialgesetzen zur Gefährdungshaftung. Damit hat er klargestellt, dass grundsätzlich die vertragliche Haftung, insbesondere die Arzthaftung, nicht vom Anwendungs65 Wrangel, VersR 1982, 628 (632). 66 „Diskussionsentwurf eines Gesetzes
zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern“, oben § 5 Fn. 42.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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bereich des Hinterbliebenengeldes erfasst ist; der Anwendungsbereich ist somit im italienischen Recht weiter. Zudem verdeutlicht die Gesetzessystematik, dass es sich beim Hinterbliebenengeld nicht um Schmerzensgeld infolge einer eigenen Rechtsgutsverletzung handelt, sondern vielmehr um einen ersatzfähigen Drittschaden, wohingegen in Italien Art. 2059 c. c. als einheitliche Anspruchsgrundlage für immaterielle Schäden des unmittelbaren Opfers und seiner Hinterbliebenen gilt und damit von einer eigenen Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen ausgeht (s. u. § 5 I. 3.a)aa), S. 227).
cc) Vergleichbare Anspruchsvoraussetzungen in beiden Rechtsordnungen Sowohl bei Art. 2059 c. c. als auch bei § 844 Abs. 3 BGB handelt es sich um Rechtsfolgennormen. Folglich müssen in beiden Rechtsordnungen die Voraussetzungen einer Haftungsnorm im Verhältnis zum Primäropfer erfüllt sein. Der Schädiger muss kausal den Tod des Primäropfers verursacht haben, wobei das italienische Recht hierzu auch die vertragliche Haftung anerkennt. Ferner setzen beide Länder ein Näheverhältnis sowie eine tatsächliche enge Gefühlsbindung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen voraus, wobei der Kreis der Anspruchsberechtigten und die Anforderungen an den Nachweis des persönlichen Näheverhältnisses in Kapitel § 5 I. 4. noch ausführlich untersucht wird. Außerdem ist der iure proprio-Anspruch der Hinterbliebenen in beiden Rechtsordnungen vererbbar. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass mittlerweile beide Rechtsordnungen anerkennen, dass der reine seelische Trauerschmerz Angehörige oft gravierender und nachhaltiger beeinträchigt als die Schmerzfolgen einer eigenen medizinisch fassbaren Körper- oder Gesundheitsverletzung. Durch die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Deutschland näherten sich beide Rechtsordnungen somit an.
2. Eigener Gesundheitsschaden der Hinterbliebenen infolge des Verlusts einer nahestehenden Person In diesem Abschnitt werden der psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) von Hinterbliebenen in Italien (a) und die deutsche Rechtsprechung zum sog. „Schockschaden“ dargestellt (b), bevor beide Figuren rechtsvergleichend gegenübergestellt werden (c).
a) Ersatz des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) von Hinterbliebenen in Italien Beim Gesundheitsschaden (danno biologico) von Hinterbliebenen handelt es sich um psychische Beeinträchtigungen, die medizinisch feststellbar sind und
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somit Krankheitswert erreichen, wie z. B. Depressionen, posttraumatische Störungen und Psychosen. Diese heftigen Trauerreaktionen betreffen die geistige Gesundheit und werden deshalb auch als psychischer Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) oder infolge des Todes erlittener Gesundheitsschaden (danno biologico da morte iure proprio) bezeichnet.67 Der danno biologico psichico wurde in Italien erstmals 1994 anerkannt (aa) und wird in vorübergehenden oder dauerhaften Invaliditätspunkten bemessen (bb).
aa) Bestätigung der Ersatzfähigkeit des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) von Hinterbliebenen durch die Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nr. 372 vom 27.10.1994 Da sich die Figur des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) erst später durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelte, verwundert es nicht, dass die italienische Rechtsprechung auch den Gesundheitsschaden (danno biologico) von Angehörigen zunächst mangels Kausalzusammenhangs ablehnte.68 So hatte z. B. das Landgericht Mailand 1935 die Schadensersatzklage einer Frau, die infolge der Nachricht vom Unfalltod ihres Ehemannes psychiatrisch auffällig geworden war, mit dem Argument abgelehnt, dass die Krankheit durch den Tod des Ehemannes und nicht durch den Verkehrsunfall verursacht worden sei und deshalb kein adäquater Kausalzusammenhang bestehe.69 Ab 1990 ergingen einige wenige Entscheidungen,70 in denen Instanzgerichte den Angehörigen eines Verstorbenen einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihres danno biologico wegen Verletzung ihrer psychischen Integrität zusprachen. Diese Ansicht fand auch in der Literatur große Zustimmung.71 In der Grundsatzentscheidung Nr. 372 vom 27.10.1994 bestätigte sodann der Verfassungsgerichtshof den Ersatz des danno biologico zugunsten der Hinterbliebenen unter der Voraussetzung einer medizinisch diagnostizierbaren Ge67 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (47 f.); Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 972 ff., 1092; Cass. 28.11.2008, n. 28423; Cass. 3.2.2011, n. 2557; Cass. 8.5.2015, n. 9320; Cass. 20.5.2015, n. 10269. 68 Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 7. Der italienische „danno biologico da morte“, S. 1600 ff.; Wrangel, VersR 1982, 628 (632). 69 Trib. Milano 23.12.1935, in: Giur. it. 1936, I, 2, 230. 70 Trib. Milano 4.6.1990, in Giur. it. 1991, I, 2, 175; Trib. Verona 15.10.1990, in Foro it. 1991, I, 261; Trib. Treviso 5.5.1992, in Resp. civ. prev. 1992, 441; Trib. Milano 2.9.1993, n. 8166 und Trib. Milano 1.2.1993, in Foro it. 1994, I, 1954; Corte d’App. Roma 3.3.1998, in NGCC 1999, I, 121; a. A. Trib. Milano 19.3.1990, in Rep. Foro it. 1990, Stichwort „Danni civili“, n. 113; in NGCC 1990, I, 555. 71 Busnelli, in Resp. civ. prev. 1990, 469; Ponzanelli, in Corr. giur. 1994, 113; Giambelli Gallotti, in Giur. mer. 1992, 371; Comandé, in Resp. civ. prev. 1993, 355; Cendon/Gaudino/ Ziviz, in Riv. trim. dir. proc. civ. 1991, 971 (1013).
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sundheitsbeeinträchtigung.72 Zudem muss der Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsbeeinträchtigung des Angehörigen und der unerlaubten Handlung angemessen nachgewiesen werden73 und auch der persönliche Anwendungsbereich schränkt den Anspruch weiter ein (zum Kreis der Anspruchsberechtigten s. u. § 5 I. 4.a), S. 234 ff.). Allerdings erkennt die italienische Rechtspraxis den danno biologico psichico der Angehörigen nicht nur im Fall der Tötung einer nahestehenden Person an, sondern auch im Fall ihrer schweren Verletzung.74
bb) Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens der Hinterbliebenen in vorübergehenden oder dauerhaften Invaliditätspunkten Auch der danno biologico psichico wird in vorübergehenden oder dauerhaften Invaliditätspunkten bemessen. So nahm der Kassationshof z. B. in der Entscheidung Nr. 19402 vom 22.8.2013 infolge des Auftretens einer reaktiven Depression mit möglicher Entwicklung einer psychotischen Störung eine „zurückhaltend“ mit 5 Prozentpunkten bewertete Verletzung der psychophysischen Integrität an.75 Ein danno biologico psichico wurde auch bei zweijähriger depressiver Selbstisolierung mit anschließendem Suizid des Ehemannes infolge des verkehrsunfallbedingten Todes der Ehefrau angenommen.76 Dabei ist der danno biologico psichico der Hinterbliebenen unabhängig vom danno morale und setzt einen solchen nicht voraus. Häufig ist der danno biologico psichico mangels Nachweises einer medizinisch diagnostizierbaren Gesundheitsstörung allerdings nicht ersatzfähig.77 Deshalb kommt ihm in Italien eine geringere Bedeutung zu als dem Schockschaden in Deutschland.
b) Ausschließlicher Ersatz für sog. „Schockschäden“ nahestehender Personen bis zur Einführung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland Einen eigenen Schmerzensgeldanspruch von Angehörigen eines Getöteten kannte das deutsche Recht bis zum 22.7.2017 nur unter dem Begriff des sog. „Schockschadens“. Darunter versteht man eine eigene „psychisch vermittelte“ Gesundheitsverletzung, die ein Dritter, der selbst nicht unmittelbar in den Unfall verwickelt 72 Corte cost. 27.10.1994, n. 372, in Foro it. 1994, I, 3297; so auch Cass. 12.10.1998, n. 10085, in Resp. civ. prev. 1999, 752; Cass. 4.2.2002, n. 1442, in Danno e resp. 2002, 748; Cass. 3.5.2004, n. 8333, in Danno e resp. 2005, 413; Cass. 22.8.2013, n. 19402; Cass. 8.7.2014, n. 15491. 73 Cass. 8.7.2014, n. 15491; Cass. 23.2.2004, n. 3549. 74 Cass. 22.6.2007, n. 14581. 75 Cass. 22.8.2013, n. 19402. 76 Cass. 23.1.2014, n. 1361, in Foro it. 2014, I, 719. 77 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (49).
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war, dadurch erleidet, dass er den Unfall entweder mitansehen musste oder aufgrund der Nachricht78 von der schweren Verletzung oder Tötung einer ihm nahestehenden Person erschüttert wird.79 Diese „psychische Vermittlung“ beruht auf der Tatsache, dass der Schädiger die Gesundheitsverletzung nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar verursacht hat, wobei die rein psychische Vermittlung die Haftung grundsätzlich nicht ausschließt. In Deutschland wurde die Ersatzfähigkeit psychisch vermittelter Schäden erstmals 1931 anerkannt (aa), wobei der BGH für die Zurechnung sog. „Schockschäden“ präzise Voraussetzungen entwickelt hat (bb). Liegen sowohl die Anspruchsvoraussetzungen des Hinterbliebenengeldes als auch die des sog. „Schockschadens“ vor, ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld subsidiär (cc).
aa) Erstmalige Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Fernwirkungsschäden durch das Reichsgericht im Jahr 1931 Zunächst nahm die Rechtsprechung eine Haftung nur bei finalen Handlungen an, die zu unmittelbaren psychischen Verletzungen führten. So hatte das Reichsgericht über einen Fall zu entscheiden, in dem die Klägerin einen Nervenschock erlitten hatte, als in ihrer unmittelbaren Nähe durch ein Verschulden der Beklagten ein Feuerwerkskörper explodierte, wodurch ihr Enkel verletzt wurde. Das Reichsgericht nahm eine ersatzpflichtige Gesundheitsverletzung an, weil sich die Geschädigte selbst in unmittelbarer Nähe des Gefahrenbereichs aufgehalten hatte.80 Dagegen lehnte die Rechtspraxis einen Schadensersatzanspruch stets mangels Kausalzusammenhangs ab, wenn Handlungen nur mittelbar eine psychische Beeinträchtigung ausgelöst hatten, wie etwa das Erlebnis der schweren Verletzung oder des Todes eines Angehörigen ohne eigene unmittelbare Gefährdung des Schockopfers. So wies das Reichsgericht 190881 die Schadensersatzklage eines Vaters, der beim Anblick seiner bei einem Eisenbahnunfall schwer verletzten Tochter einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und in eine schwere Geisteskrankheit verfiel, mangels Kausalzusammenhangs ab.82 Damit war trauernden Angehörigen die Geltendmachung eines eigenen Scha78 BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883; BGH, Urt. v. 5.2.1985 – VI ZR 198/83 = NJW 1985, 1390. 79 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 823 Rn. 186. 80 RG, Urt. v. 14.3.1931 – IX 540/30 = JW 1931, 1468. 81 RG, Urt. v. 2.3.1908– VI 220/07 = RGZ 68, 47 ff. (48), ebenso RG, Urt. v. 30.1.1911– VI 615/09 = RGZ 75, 284. 82 Zur Entwicklung des Schockschadens m. w. N. aus der Rspr. vgl. Fischer, VersR 2016, 1155; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 3. Der Schockschaden in der deutschen Rechtsprechung, S. 14 ff.; Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, 19 ff.; Heldermann, Schadensersatz für Schockschäden Dritter im Vergleich, 2004, S. 20 ff.; Stiegler, Schmerzensgeld für Schock- und Trauerschäden, 2009, S. 17.
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densersatzs nur möglich, wenn sie durch das Verhalten des Schädigers unmittelbar psychisch verletzt wurden. Mit der Grundsatzentscheidung RGZ 133, 27083 gab das Reichsgericht seine bisher restriktive Haltung erstmals auf. Unter dem Begriff des „Fernwirkungsschadens“ gab es der Schadensersatzklage einer Mutter auf Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit statt, die durch den Erhalt der Nachricht über den Unfalltod ihres Sohnes einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Maßgebend für die Ersatzfähigkeit mittelbarer Gesundheitsverletzungen war demnach zum einen, ob zwischen dem schädigenden Verhalten und der psychischen Beeinträchtigung ein adäquater Kausalzusammenhang bestand und zum anderen, ob die psychische Beeinträchtigung vorhersehbar war.84 Zwar betraf diese Entscheidung nur den Ersatz von Vermögensschäden, allerdings wurde bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Schäden zu ersetzen seien, die durch die psychische Verletzung entstanden waren. Der hierdurch beschrittene Weg ermöglichte somit auch den Ersatz von immateriellen Schäden.
bb) Voraussetzungen des BGH für die Zurechnung von Schockschäden Der BGH folgte der vom Reichsgericht vorgegebenen Linie. Da jedoch wegen der schweren Verifizierbarkeit und der Gefahr missbräuchlicher Behauptungen das Risiko einer Überwälzung des allgemeinen Lebensrisikos auf den Schädiger besteht, präzisierte der BGH die richterrechtlich entwickelten Rechtsgrundsätze. Deshalb erfordert die Zurechnung eine sorgfältige Prüfung der vom BGH85 entwickelten drei Voraussetzungen für den Ersatz von Schockschäden im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität.86 Erstens muss eine Gesundheitsverletzung nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung vorliegen (1). Zweitens muss der Anlass den Schock als verständlich erscheinen lassen (2) und drittens sind nur nahe Angehörige des Opfers anspruchsberechtigt (3).
(1) Vorliegen einer Gesundheitsverletzung kraft allgemeiner Verkehrsauffassung Der Schock muss als Gesundheitsverletzung pathologisch fassbar sein und „nach Art und Schwere deutlich über das hinausgehen, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden.“87 83
RG, Urt. v. 21.9.1931 – VI 149/31 = RGZ 133, 270 (272 f.). RG, Urt. v. 21.9.1931 – VI 149/31 = RGZ 133, 270 (272 f.). BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883. 86 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 76 II 1e (S. 380); sofern das primär geschädigte Unfallopfer bei oder nach einem Unfall selbst einen Schock erleidet, handelt es sich um ein Problem der haftungsausfüllenden Zurechnung. 87 BGH, Urt. v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88 = NJW 1989, 2317. 84 85
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Indem die Beeinträchtigung also nicht nur aus medizinischer Sicht Krankheitswert aufweisen muss, sondern darüber hinaus auch nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ als Gesundheitsverletzung angesehen werden muss,88 stellt der BGH im Rahmen des Schockschadens höhere Anforderungen an die Gesundheitsverletzung als bei unmittelbaren Verletzungen des Primäropfers. Diese restriktive Auslegung findet keine Stütze im Gesetz und stößt auch in der Literatur auf Kritik.89 In einer Entscheidung vom 27.1.201590 senkte der BGH diese Anforderung behutsam ab. In diesem Fall war der Schockgeschädigte mit seinem Motorrad selbst nur knapp vom Unfallgegner verfehlt worden, bevor er im Rückspiegel mitansehen musste, wie das Motorrad seiner hinter ihm fahrenden Ehefrau frontal erfasst und sie dabei getötet wurde. Hinsichtlich der Schwere der Beeinträchtigung differenziert der BGH nun danach, ob der Schockschaden nur durch den Erhalt der Unfallnachricht ausgelöst wurde oder ob der Schockgeschädigte den Unfall miterlebt hat bzw. sogar daran beteiligt war und für ihn selbst unmittelbare Lebensgefahr bestand. In letzterem Fall soll in der Regel eine psychisch vermittelte Gesundheitsstörung vorliegen, wohingegen es für den bloßen Erhalt einer Unfallnachricht weitergehender Anhaltspunkte bedarf.91
(2) Verständlichkeit des Schocks im Verhältnis zum Anlass Überdies muss der Anlass den Schock als verständlich erscheinen lassen. So werden nur Schockschäden ersetzt, die durch den Tod92 oder die schwere Verletzung93 eines nahen Angehörigen ausgelöst wurden, unabhängig davon, ob der Schockgeschädigte den Unfall selbst miterlebt hat oder den Schock erst durch die Benachrichtigung erleidet.94 Leichtere Körperverletzungen95 reichen dagegen ebensowenig aus, wie der Tod eines geliebten Tieres96 oder die Nachricht von einer leichten Beschädigung des Fahrzeugs.97 88 BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883. 89 Staudinger/Hager, 2017, § 823 Rn. B 34; Karczewski, Die Haftung
für Schockschäden, 1992, 342 ff. 90 BGH, Urt. v. 27.1.2015 − VI ZR 548/12 = NZV 2015, 227. 91 Zwickel, NZV 2015, 214 (215). 92 BGH, Urt. v. 18.7.2006 − X ZR 142/05 = VersR 2006, 1653; OLG Nürnberg, Urt. v. 1.8.1995 − 3 U 468/95 = NZV 1996, 367; OLG Oldenburg, Urt. v. 1.12.1998 − 5 U 127/98 = NJW‑RR 1999, 820. 93 OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.12.1977 − 1 U 85/77 = VersR 1978, 575. 94 BGH, Urt. v. 5.2.1985 − VI ZR 198/83 = NJW 1985, 1390; OLG Nürnberg, Urt. v. 1.8.1995 − 3 U 468/95 = NZV 1996, 367; OLG Oldenburg, Urt. v. 1.12.1998 − 5 U 127/98 = NJW‑RR 1999, 820; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 19.7.2012 – 1 U 32/12 = NJW‑RR 2013, 140. 95 OLG Nürnberg, Urt. v. 24.5.2005 − 1 U 538/05 = NZV 2008, 38; AG Oberhausen, Urt. v. 30.1.2014 – 37 C 2749/12 – juris. 96 BGH, Urt. v. 20.3.2012 − VI ZR 114/11 = VersR 2012, 634; AG Frankfurt a. M., Urt. v.
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(3) Vorhandensein einer persönlichen Nähebeziehung zwischen dem Primäropfer und dem Schockgeschädigten Die Haftung für sog. „Schockschäden“ setzt eine besondere persönliche Nähebeziehung zum Erstgeschädigten voraus, wie sie in der Regel nur zwischen nahen Angehörigen vorliegt. Dabei muss die persönliche Verbindung des Schockgeschädigten zum Erstgeschädigten so eng sein, dass der Schockgeschädigte die Tötung oder schwere Verletzung des Erstgeschädigten als Beeinträchtigung der eigenen Integrität auffasst.98 Eine solche persönliche Nähebeziehung wird vor allem zwischen Ehegatten99 angenommen sowie zwischen Eltern100 und ihren Kindern101 und regelmäßig auch zwischen Geschwistern, wenn sie noch in einem gemeinsamen Haushalt leben.102 Allerdings kommt es nicht auf einen bestimmten Verwandtschaftsgrad an, sondern auf die Tiefe der Beziehung, sodass eine persönliche Nähebeziehung auch zwischen eingetragenen Lebenspartnern,103 nichtehelichen Lebensgefährten,104 Getrenntlebenden,105 Verlobten106 und Adoptivoder Stiefeltern beim Tod ihres Adoptiv- oder Stiefkindes107 vorliegen kann. Bisher gibt es allerdings keine Rechtsprechung, in der entfernteren Verwandten, wie z. B. Enkel, Großeltern, Tanten, Onkeln, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen sowie Schwiegereltern ein Schmerzensgeld für ihren Schockschaden zugesprochen wurde. Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass die persönliche Betroffenheit bei weiter entfernten Verwandten abnimmt und die Trauer in 14.6.2000 – 29 C 2234/99–69 = NJW‑RR 2001, 17; KreisG Cottbus, Urt. v. 12.5.1993 − 40 C 124/93 = NJW‑RR 1994, 804. 97 LG Hildesheim, Urt. v. 25.10.1968 − 7 S 208/68 = VersR 1970, 720. 98 Park, Grund und Umfang der Haftung für Schockschäden nach § 823 I BGB, 1997, S. 199. 99 BGH, Urt. v. 11.5.1971 − VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883; BGH, Urt. v. 27.1.2015 − VI ZR 548/12 = NZV 2015, 227. 100 OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.12.1977 − 1 U 85/77 = VersR 1978, 575; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.1992 – 8 U 257/92 = ZfSch1992, 368; OLG Nürnberg, Urt. v. 1.8.1995 − 3 U 468/95 = NZV 1996, 367; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 19.7.2012 – 1 U 32/12 = NJW‑RR 2013, 140. 101 BGH, Urt. v. 6.2.2007 − VI ZR 55/06 = NJW‑RR 2007, 1395; OLG Stuttgart, Urt. v. 21.7.1988 − 14 U 3/88 = VersR 1988, 1187; OLG Nürnberg, Urt. v. 27.2.1998 − 6 U 3913/97= VersR 1999, 1501. 102 BGH, Urt. v. 18.7.2006 − X ZR 142/05 = VersR 2006, 1653; zumindest, wenn sie noch in einem gemeinsamen Haushalt leben Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 356 f. 103 Adelmann, VersR 2009, 449 (451); Stöhr, NZV 2009, 161 (165). 104 OLG Köln, Beschl. v. 16.9.2010 − 5 W 30/10 = VersR 2011, 674; Adelmann, VersR 2009, 449 (452); Spandl, Schmerzensgeld für nahe Angehörige, 2012 S. 170. 105 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.10.2011 − 1 U 28/11 = NZV 2012, 41. 106 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.3.1969 − 2/12 O 50/67 = NJW 1969, 2286; OLG Oldenburg, Urt. v. 1.12.1998 − 5 U 127/98 = NJW‑RR 1999, 820. 107 LG Münster, Urt. v. 23.11.1965 – 3 O 77/65 = VersR 1966, 501.
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solchen Fällen nur selten das Ausmaß einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ erreicht. Nicht anspruchsberechtigt sind außerdem bloße Unfallzeugen, wie zum Unfallort hinzukommende Polizisten,108 enge Freunde109 und befreundete Nachbarn.110
cc) Subsidiarität des Hinterbliebenengeldes gegenüber dem Schockschaden bei gleichzeitigem Vorliegen beider Anspruchsvoraussetzungen Beim Schockschaden handelt es sich somit nicht um einen vom Erstgeschädigten abgeleiteten Anspruch im Sinne eines Drittschadens, sondern um einen Anspruch des Schockgeschädigten wegen einer eigenen Gesundheitsverletzung. Auch nach Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld kommt dem Schockschaden immer noch dann eigenständige Bedeutung zu, wenn § 844 Abs. 3 BGB in persönlicher oder sachlicher Hinsicht nicht anwendbar ist, z. B. wenn die nahestehende Person schwer verletzt überlebt hat111 oder ein Fall der Vertragshaftung vorliegt. Liegen sowohl die Voraussetzungen für den Ersatz eines Schockschadens als auch eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vor, so geht der Anspruch auf Ersatz des Schockschadens vor bzw. das Hinterbliebenengeld geht im Schockschaden auf. Einerseits soll nicht zusätzlich zum Schmerzensgeld für einen Schockschaden noch ein Hinterbliebenengeld verlangt werden können, andererseits soll der Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht dazu führen, dass im Fall einer Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert ein weitergehender Anspruch auf Erstattung des Schockschadens ausgeschlossen sein soll (Hinsichtlich der Konsequenzen für die Bemessung s. u. § 5 I. 5.b)bb)(4), S. 275).112
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Feststellung gegenläufiger Tendenzen bei der Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Gefühlsund Gesundheitsschäden in Italien und Deutschland Der deutsche Schockschaden entspricht dem psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) im italienischen Recht. Beide gewähren Ersatz für medizinisch fassbare, pathologische Gesundheitsverletzungen, wie z. B. Depressionen, posttraumatische Störungen und Psychosen, die Angehörige aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person erleiden.
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BGH, Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06 = NJW 2007, 2764. LG Tübingen, Urt. v. 29.11.1967 – 1 S 107/67 = VersR 1969, 335. 110 AG Oberhausen, Urt. v. 30.1.2014 – 37 C 2749/12 – juris. 111 BT‑Drs 18/11397, S. 12. 112 BT‑Drs 18/11397, S. 12. 109
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aa) Gegenläufige Tendenzen bei der Entwicklung originiär eigener Ansprüche von Hinterbiliebenen in beiden Rechtsordnungen Obwohl die Haftungsbeschränkung im deutschen Recht über den Begriff der Gesundheitsverletzung erfolgt und eine solche nach italienischem Recht gerade nicht Voraussetzung für den Ersatz immaterieller Schäden war, lehnten zunächst beide Rechtsordnungen die Zurechnung psychisch vermittelter Gesundheitsverletzungen mangels Kausalzusammenhangs ab. In beiden Ländern wurde die Ersatzfähigkeit solcher Gesundheitsverletzungen erst durch die Rechtsprechung anerkannt. In der Entwicklung der iure proprio-Ansprüche von Hinterbliebenen sind allerdings gegenläufige Tendenzen feststellbar: Während der Ersatz von Gefühlsschäden naher Angehöriger in Italien auf eine lange Tradition zurückgeht, wurde der psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) erst sehr spät 1994 anerkannt. In Deutschland gewährte dagegen das Reichsgericht erstmals 1931 Ersatz für psychisch vermittelte Gesundheitsverletzungen, wohingegen Gefühlsschäden von Hinterbliebenen erst seit dem 22.7.2017 ersatzfähig sind.
bb) Zurechnungskriterien: Erhöhte Anforderungen an die Zurechnung von Schockschäden in Deutschland durch das Erfordernis einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ Zur Vermeidung einer Haftungsausuferung entwickelte der BGH besondere Zurechnungskriterien für den Ersatz von Schockschäden. Sowohl in Deutschland als auch in Italien begrenzt die Rechtsprechung die Haftung für iure proprio-Ansprüche auf Personen, die eine besondere persönliche Nähebeziehung zum Erstgeschädigten hatten. In Deutschland ist die Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis eine vom BGH entwickelte Voraussetzung für die Zurechnung speziell von Schockschäden. Demgegenüber ist die Aktivlegitimation in Italien (s. u. § 5 I. 4.a), S. 234 ff.) maßgebend für die Geltendmachung des einheitlichen Nichtvermögensschadens von Hinterbliebenen und nicht lediglich in Bezug auf den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico). In beiden Rechtssystemen ist der Tod oder die schwere Verletzung des Primäropfers insofern von Bedeutung, als ein verständlicher Anlass für die psychische Beeinträchtigung des Schockgeschädigten vorliegen muss. Unterschiede gibt es aber im Hinblick auf die Gesundheitsverletzung. Im Gegensatz zu Italien, genügt eine bloße medizinisch feststellbare Gesundheitsverletzung in Deutschland gerade nicht, um die Zurechnung von Schockschäden zu begründen. Vielmehr muss sie darüber hinaus auch nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ als Gesundheitsverletzung angesehen werden.113 Dabei diffe113
Gozzi, Der Anspruch iure proprio, 2006, S. 87.
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renziert der BGH seit 2015 danach, ob der Schockschaden lediglich durch den Erhalt der Unfallnachricht ausgelöst wurde oder ob der Schockgeschädigte den Unfall selbst miterlebt hat bzw. sogar daran beteiligt war und für ihn selbst unmittelbare Lebensgefahr bestand. Folglich stellt das deutsche Recht höhere Anforderungen an den Schockschaden als das italienische Recht.
3. Existenzschaden der Hinterbliebenen In diesem Abschnitt wird zunächst der italienische Existenzschaden (danno esistenziale) von Hinterbliebenen dargestellt (a). Sodann wird untersucht, ob das deutsche Recht bei funktionaler Betrachtung ebenfalls solche existenziellen Nachteile ersetzt (b), bevor die Ergebnisse dieser Untersuchung in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (c).
a) Ersatzfähigkeit des Existenzschadens (danno esistenziale) von Hinterbliebenen nach italienischem Recht Beim Existenzschaden (danno esistenziale) handelt es sich um die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung, die der Hinterbliebene dadurch erleidet, dass er das Angehörigenverhältnis zum Verstorbenen in seinen alltäglichen Ausprägungen nicht mehr fortführen kann. Durch den Tod der nahestehenden Person verliert der Hinterbliebene endgültig die Möglichkeit, eine zwischenmenschliche Beziehung zum Verstorbenen zu unterhalten und somit auf emotionaler Ebene von ihm zu profitieren.114 Diese negativen Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen im Familienverband treten im Gegensatz zum danno morale nach außen in Erscheinung und sind objektivierbar.115 Sie können sich sowohl in einem „Nicht-Mehr-Tun-Können“ (non poter più fare) als auch in einem „Anders-Tun-Müssen“ (dover agire altrimenti) äußern. So ist z. B. eine junge Witwe insofern in ihrer Persönlichkeitsentfaltung betroffen, als sie das gemeinsame Kind fortan alleine, ohne die Unterstützung ihres Ehemannes aufziehen muss und sie gezwungen ist, ihre bisherigen Lebensgewohnheiten zu ändern und wieder eine Beschäftigung aufzunehmen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.116 In dogmatischer Hinsicht erkennt die italienische Rechtspraxis eine eigene Verletzung der Hinterbliebenen in ihrem Grundrecht auf Unversehrtheit der Familie an (aa), wobei im Hinblick auf das Verhältnis von Gefühlsschaden (danno 114 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (53); Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 161. 115 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (53). 116 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (53 f.); Christandl, JbItalR 18 (2005), 277 (293).
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morale) und Existenzschaden (danno esistenziale) auch nach den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 noch Uneinigkeit herrscht (bb).
aa) Anerkennung einer eigenen Verletzung der Hinterbliebenen in ihrem Grundrecht auf Unversehrtheit der Familie durch eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Diese Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung ist allerdings nur ersatzfähig, wenn sie durch eine schwere Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten unverletzlichen Rechts hervorgerufen wurde.117 Dabei wird beim Verlust einer nahestenden Person das unverletzliche Interesse in der verfassungsrechtlichen Garantie auf Unversehrtheit der Familie nach Art. 2, 29, 30 Cost. gesehen.118 Die italienische Rechtspraxis behandelt die Hinterbliebenen von Unfallopfern somit als unmittelbar Geschädigte, die eine eigene Rechtsgutsverletzung erleiden,119 wobei sie von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ausgeht. Die Grundrechte entfalten ihre Wirkung durch verfassungskonforme Auslegung von zivilrechtlichen Generalklauseln wie der „ingiustizia“ des Nichtvermögensschadens nach Art. 2043, 2059 c. c.120 Der Existenzschaden (danno esistenziale) ist also im Rahmen des Nichtvermögensschadens ersatzfähig, wenn der Verlust des nahen Angehörigen beim Hinterbliebenen nicht nur zu einer Beeinträchtigung des gewohnten Lebensvollzugs geführt hat, sondern sich in einer grundlegenden und radikalen Veränderung des Lebensstils niederschlägt. Mit anderen Worten, wenn die Existenz des Hinterbliebenen in objektiv festellbarer Weise völlig aus den Bahnen geworfen wird (sconvolgimento dell’esistenza obiettivamente accertabile).121
bb) Verhältnis von Gefühlsschaden (danno morale) und Existenzschaden (danno esistenziale) Selbst nach den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008, in denen der Kassationshof eine Grundsatzentscheidung zum einheitlichen und allumfassenden Charakter des Nichtvermögensschadens getroffen hat, besteht in der Rechtsprechung Uneinigkeit hinsichtlich des Verhältnisses der beschreibenden Fi117 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/585. 118 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/590. 119 Wenter, ZfSch 2012, 243 (244). 120 Rechtsvergleichend zur Drittwirkung von Grundrechten im deutschen und italienischen Recht vgl. Christandl, La risarcibilità del danno esistenziale, 2007, S. 78 ff. (S. 90). 121 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972; Cass. 22.8.2013, n. 19402; Cass. 19.10.2016, n. 21059.
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guren zueinander, insbesondere des Gefühlsschadens (danno morale) und des Existenzschadens (danno esistenziale).122 Insoweit ist umstritten, ob der danno esistenziale unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses des danno morale von letzterem erfasst ist123 oder, ob er einen eigenständigen Begründungsansatz darstellt. In letzerem Fall wäre von einem engen Verständnis des danno morale auszugehen, um zu vermeiden, dass derselbe Nachteil doppelt ersetzt wird.124 Abhängig von der jeweiligen Ansicht wird der Begriff des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) in diesem Zusammenhang häufig entweder als Synomym für den Gefühlsschaden (danno morale) verwendet, der dann unter anderem den danno esistenziale beinhaltet, oder er wird mit dem danno esistenziale gleichgesetzt, der dann selbständig neben dem danno morale steht. Überzeugend erscheint die vom Kassationshof in den sog. „San Martino“Urteilen vertretene Ansicht, wonach der Nichtvermögensschaden einheitlich zu verstehen ist. Diese Ansicht vermeidet Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den beschreibenden Figuren und somit auch die Gefahr, dass dieselbe Beeinträchtigung doppelt ersetzt wird. Demzufolge tragen auch die Rahmenwerte der Mailänder Tabelle dem Nichtvermögensschaden bereits umfassend sowohl hinsichtlich der beschreibenden Figur des Gefühlsschadens (danno morale) als auch der des Existenzschadens (danno esistenziale) Rechnung. Eine separate Bemessung dieser immateriellen Nachteile ist demnach ausgeschlossen (s. u. § 5 I. 5.a)aa)(1), S. 249).125
b) Keine Ersatzfähigkeit existenzieller Nachteile im deutschen Recht Die deutsche Rechtsordnung gewährt Hinterbliebenen keinen Anspruch wegen „entgangener Lebensfreude“ aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person, weder unter dem Gesichtspunkt des Hinterbliebenengeldes (aa) noch des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (bb). Vielmehr ist der Tod eines nahen Angehörigen im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung nur berücksichtigungsfähig, wenn der Hinterbliebene durch das schädigende Ereignis selbst unmittelbar ver122 Zur 2009 von den Land- und Berufungsgerichten vertretenen Ansichten zum Verhältnis des danno esistenziale zum danno morale vgl. Balbusso, in NGCC 2010, II, 403 (411 f.). 123 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972; Cass. S. U. 16.2.2009, n. 3677, abrufbar unter ; Cass. sez. lav. 18.1.2011, n. 1072; Cass. 8.7.2014, n. 15491; Cass. 20.2.2015, n. 3387; Cass. 17.12.2015, n. 25351. 124 Cass. 20.11.2012, n. 20292; Cass. 6.4.2011, n. 7844; Cass. 15.4.2010, n. 9040. 125 Die gleichzeitige Zuerkennung von Schadensersatz unter dem Begriff des danno morale und des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) stellen eine Verdoppelung des Schadensersatzes dar, Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26973; Cass. 17.12.2015, n. 25351.
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letzt wurde (cc), wobei das Kriterium der unmittelbaren eigenen Verletzung gerade bei leichten Verletzungen zu Wertungswidersprüchen führt (dd).
aa) Keine Ersatzfähigkeit künftig „entgangener Lebensfreude“ aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person in Deutschland Obwohl Hinterbliebene oft ihr Leben lang unter den Folgen des Verlusts einer nahestehenden Person leiden, lehnte die ständige Rechtsprechung Schmerzensgeldansprüche von Hinterbliebenen wegen „entgangener Lebensfreude“126 und Gefühlen des „Aus-der-Bahn-geworfen-seins“127 ab. Maßgeblicher Grund hierfür ist das im deutschen Recht verankerte Tatbestandsprinzip, wonach nur derjenige Ersatz seines immateriellen Schadens verlangen kann, der nach § 253 Abs. 2 BGB selbst eine „Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung“ erlitten hat. Die entgangene Lebensfreude, weil das Leben ohne die getötete Person nicht mehr so schön ist wie zuvor, ist dagegen ebensowenig geschützt wie Gefühle des „Aus-der-Bahn-geworfenseins“, die keine pathologisch fassbaren Auswirkungen haben. Daran hat auch die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nichts geändert. Denn die Entschädigung soll lediglich das zugefügte seelische Leid (i. S. d. danno morale) kompensieren und den Hinterbliebenen in die Lage versetzen, seine durch den Verlust des geliebten Menschen hervorgerufene Trauer und sein seelisches Leid zu lindern. Was der Verlust des nahestehenden Menschen für seine Hinterbliebenen bedeutet, kann dagegen nicht in Geld bemessen werden und fließt somit nicht in die Bemessung ein.128 Überdies handelt es sich beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld dogmatisch um einen Drittschaden. Das belegen die systematische Regelung in § 844 Abs. 3 BGB und die Bezeichnung der Hinterbliebenen als Sekundärgeschädigte, Drittbetroffene oder mittelbar Betroffene, die keine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten haben.129
126
BGH, Urt. v. 27.6.1978 – VI ZR 183/76 = NJW 1978, 2337. OLG Koblenz, Urt. v. 17.10.2000 – 3 U 131/00 = OLGR 2001, 9 (10). 128 BT‑Drs 18/11397, S. 8, 14; so auch Schiemann, GesR 2018, 69 (71). 129 Müller, VersR 2017, 321 (322); Quaisser, DAR 2017, 688 (689); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (942); Nugel, ZfSch 2018, 72 (74); Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (690); MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; a. A. Steenbuck, r+s 2017, 449 (452): das Hinterbliebenengeld ist ein „Schmerzensgeld für Angehörige“; vor Einführung des Hinterbliebenengeldes so auch Odersky, Schmerzensgeld bei Tötung naher Angehöriger, 1989, S. 21; Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 363 f., 366. 127
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bb) Keine Anerkennung einer eigenen Verletzung der Hinterbliebenen in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person Entgegen einiger Stimmen in der Literatur130 kann in der Tötung einer Person nicht zugleich eine Verletzung der nahen Angehörigen in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gesehen werden, mit der Folge, dass die Anspruchsgrundlage zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und 2 Abs. 1 GG131) auf diese Fallgruppe auszudehnen und gegebenenfalls auch der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG heranzuziehen wäre. Obgleich hierzulande Bedenken bestehen, Grundrechte überhaupt als eigenständige Quelle privatrechtlicher Ansprüche heranzuziehen, fehlt es ausweislich der Entstehungsgeschichte des 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.132 Auch die Situation beim Verlust einer nahestehenden Person ist nicht mit der einer Persönlichkeitsverletzung vergleichbar. Während das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Generalklausel konzipiert ist, um angesichts der fortschreitenden Weiterentwicklung von Technologien vor immer neuen Bedrohungen zu schützen,133 setzt die unwiederbringliche Möglichkeit eine zwischenmenschliche Beziehung zum Angehörigen zu unterhalten, tatbestandlich immer seine Tötung voraus.134 Somit ist also auch die Angriffsrichtung eine Andere.135 Außerdem ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht disponibel, wohingegen der plötzliche Tod eines Angehörigen die Hinterbliebenen reflexartig trifft.136 Ferner muss im Rahmen der Rechtswidrigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen zuerst der Schutzumfang durch eine Güter- und Interessenabwägung bestimmt werden, wohingegen die Tötung eines Angehörigen die Rechtswidrigkeit indiziert.137 Unterschiede ergeben sich aber auch hinsichtlich der Funktion der Entschädigung. Da Persönlichkeitsverletzungen immer schuldhaft erfolgen, sei es 130 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (37); Staudinger, DAR 2012, 280 (284); Huber, NZV 2012, 5 (11); von Jeinsen, ZfSch 2008, 61 (67); Klinger, NZV 2005, 290 (291 ff.); Kadner Graziano, ZEuP 2002, 834 (858); ders., ZEuP 1996, 135 (150); Schramm, Haftung für Tötung, 2010, S. 334 ff., 357; dies ablehnend Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 253, 256 f., 358; Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 155; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 64 ff.; Adelmann, VersR 2009, 449 (451). 131 BGH, Urt. v. 5.12.1995 – VI ZR 332/94 = NJW 1996, 984 (985) (Caroline von Monaco II). 132 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 141 ff. 133 v. Caemmerer, in Festschr. des Deutschen Juristentages, Bd. II, 1969, S. 49 (102 ff.). 134 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 144 f. 135 Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 104. 136 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 145 f. 137 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 146 f.
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durch vorsätzliche erfundene Interviews138 oder fahrlässig unwahre Tatsachenbehauptungen infolge unzureichender Recherche,139 dienen die hohen Entschädigungssummen vor allem der Prävention. Die Haftung für Verkehrsunfälle, als häufige fremdverursachte Todesursache, beruht dagegen auf der Gefährdungshaftung.140 Mangels steuerbaren Fehlverhaltens des Schädigers käme einem Angehörigenschmerzensgeld deshalb kaum abschreckende bzw. präventive Wirkung zu, zumal ein solches auch von der Haftpflichtversicherung getragen werden würde. Vielmehr stünde bei einem Angehörigenschmerzensgeld angesichts der massiven Einbuße an Lebensqualität die Ausgleichsfunktion im Vordergrund.141 Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Geldentschädigung für Persönlichkeitsverletzungen nicht mit dem Verlust einer nahestehenden Person vergleichbar ist und eine Einbeziehung in die Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts deshalb ausgeschlossen ist.142 Auch die EMRK lässt sich hierzu nicht bemühen.143
cc) Berücksichtigung des Verlusts einer nahestehenden Person bei der Schmerzensgeldbemessung im Fall der gleichzeitigen Verletzung der Hinterbliebenen durch das schädigende Ereignis Der Tod einer nahestehenden Person ist im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung auch weiterhin nur berücksichtigungsfähig, wenn der Hinterbliebene durch das schädigende Ereignis selbst unmittelbar verletzt wurde.144 Bei der Schmerzensgeldbemessung des verletzt Überlebenden soll es dann darauf ankommen, dass seine psychische Belastung durch den Verlust einer engen Bezugsperson erhöht wird und dadurch gegebenenfalls auch sein Heilungsverlauf beeinträchtigt wird.145 So hatten in dem der Entscheidung des OLG Celle146 zugrundeliegenden Sachverhalt sowohl die 51-jährige Klägerin als auch ihr Ehemann aufgrund des fehlerhaften Einbaus einer Gastherme eine Kohlenmonoxidvergiftung erlitten, in deren Folge die Klägerin erblindete und ihr Ehemann starb. Dabei berück138 139
BGH, Urt. v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 = NJW 1995, 861 (Caroline von Monaco I). BGH, Urt. v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86 = NJW 1987, 2225. 140 Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 104. 141 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 153 ff. 142 So auch Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 155; Höke, NZV 2014, 1 (4); Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 103 f., 256 f., 357 f. 143 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, 2013, S. 420 f.; Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 301 f. 144 OLG Celle, Urt. v. 19.2.1986 – 9 U 234/84 = VersR 1987, 993; OLG Nürnberg, Urt. v. 2.3.1982 –11 U 2998/81= VersR 1983, 469. 145 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 32 ff. 146 OLG Celle, Urt. v. 19.2.1986 – 9 U 234/84 = VersR 1987, 993.
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sichtigte das OLG Celle bei der Schmerzensgeldbemessung, dass die vollständige Erblindung der Klägerin mit dem Verlust ihres Ehemannes zusammenfiel. Auch das OLG Nürnberg147 berücksichtigte bei der Schmerzensgeldbemessung einer Frau, die bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde und bis zu ihrem Tod zwei Monate und zwölf Tage nach dem Unfall bei vollem Bewusstsein war und dreimal operiert wurde, dass „sie darüber hinaus das seelische Leid hinnehmen mußte, das ihr durch den Tod ihres noch am Unfalltag aufgrund eines Schocks verstorbenen Ehemannes widerfuhr“. In dem Fall, den das LG Baden-Baden148 zu entscheiden hatte, war ein PkwFahrer in eine Radfahrergruppe hinein gefahren. Dabei verletzte er eine Frau schwer, tötete deren 4½ -jähriges Kind und verletzte ihren elfjährigen Sohn schwer. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht im Rahmen der durch den Unfall erlittenen Lebensbeeinträchtigung auch die Tatsache, dass „die Klägerin bei dem Unfall ein Kind verloren hat, was einer Mutter naturgemäß in besonderem Maße Leiden verursacht, bezüglich deren sie einen Anspruch auf Ausgleich hat“ und dass ihr zweites Kind schwer verletzt wurde.
dd) Untauglichkeit des Kriteriums der unmittelbaren Verletzung der Hinterbliebenen für die Berücksichtigungsfähigkeit des Verlusts einer zwischenmenschlichen Beziehung zum Verstorbenen Wären die Geschädigten in den zuvor genannten Fällen nicht selbst verletzt worden, hätten sie den Verlust ihrer Angehörigen entschädigungslos hinnehmen müssen. Insofern ist Pflüger zuzustimmen, dass das Kriterium der unmittelbaren eigenen Verletzung des Hinterbliebenen als Voraussetzung, um den Verlust einer nahestehenden Person im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen, untauglich ist und vor allem bei nur leichten Verletzungen der Hinterbliebenen, wie z. B. einem HWS‑Schleudertrauma oder einem Bruch, zu Wertungswidersprüchen führt. Dies gilt umso mehr, als der auf der eigenen Verletzung beruhende immaterielle Schaden im Verhältnis zum Verlust des Familienbandes zum Verstorbenen zu vernachlässigen sein wird.149
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Das Hinterbliebenengeld als ersatzfähiger Drittschaden im Gegensatz zum Existenzschaden (danno esistenziale) als eigene Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen in ihrer verfassungsrechtlichen Garantie auf Unversehrtheit der Familie Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung, die Hinterbliebene dadurch erleiden, dass sie infolge des Verlusts eines Angehörigen keine zwischen147 148
OLG Nürnberg, Urt. v. 2.3.1982 – 11 U 2998/81 = VersR 1983, 469. LG Baden-Baden, Urt. v. 22.6.1976 – 2 O 30/76 – juris. 149 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 38.
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menschliche Beziehung mehr zu ihm unterhalten können und ihre Lebensumstände dadurch drastisch umgestürzt werden, werden in Italien als Existenzschaden (danno esistenziale) bezeichnet. Der danno esistenziale wird aus der verfassungsrechtlichen Garantie auf Unversehrtheit der Familie nach Art. 2, 29, 30 Cost. hergeleitet und durch verfassungskonforme Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln ersetzt. Insoweit geht die italienische Rechtspraxis von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus und erkennt an, dass die Hinterbliebenen von Unfallopfern als unmittelbar Geschädigte eine eigene Rechtsgutsverletzung erleiden. Die dogmatische Grundlage des danno esistenziale weist daher große Gemeinsamkeiten mit dem Ersatz des ideellen Schadens bei schwerwiegenden Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf, das in Deutschland aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird.150 Das Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB ist dagegen eine Anspruchsgrundlage zum Ersatz für Drittschäden und gerade nicht für eine eigene Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen. Im Gegensatz zum italienischen Recht gewährt das deutsche Recht den Hinterbliebenen deshalb keinen Ersatz für Beeinträchtigungen der Lebensfreude oder Veränderungen der Lebensumstände infolge des Verlusts einer geliebten Person. Ein solcher Anspruch folgt nach derzeitigem Rechtsverständnis weder aus den Grundrechten noch aus der EMRK. Entscheidend, ob ein immaterieller Schaden wegen des Verlusts eines Angehörigen an sich geltend gemacht werden kann, ist in Deutschland vielmehr auch weiterhin, ob der Hinterbliebene zugleich eine eigene Verletzung erlitten hat. Nur, wenn dies der Fall ist, kann der Tod einer nahestehenden Person anspruchserhöhend im Rahmen des Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB berücksichtigt werden. Andernfalls ist der Verlust entschädigungslos hinzunehmen. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht widerspruchsfrei und überzeugt im Ergebnis nicht. Obwohl die Grundsätze zur Entschädigung von Persönlichkeitsverletzungen nicht auf die Situation beim Verlust einer nahestehenden Person übertragbar sind, stellt es für die Hinterbliebenen unter dem Aspekt der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit sehr wohl einen Eingriff in ihre weitere Lebensgestaltung dar, wenn sie ihr Leben aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person künftig neu ausrichten müssen.151 Vorzugswürdig wäre es deshalb gewesen, die Funktion des Hinterbliebenengeldes weiter zu verstehen und nicht nur vorübergehende Trauer im Sinne des Gefühlsschadens zu ersetzen, sondern auch Nachteilen existenzieller Art gebührend Rechnung zu tragen.
150 151
Buse, VersRAI 2004, 61 (63). Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (37).
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4. Kreis der Anspruchsberechtigten In diesem Abschnitt werden die Anspruchsberechtigten der iure proprio-Ansprüche des italienischen (a) und deutschen Rechts dargestellt (b), bevor die Ergebnisse in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (c).
a) Kategorisierung der Anspruchsberechtigten in Italien Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens setzt nach italienischem Recht ein Näheverhältnis und eine enge Gefühlsbindung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen voraus.152 Dabei hat die persönliche Nähebeziehung zum Verstorbenen nicht nur Auswirkungen auf das „Ob“ des Anspruchs, sondern auch auf den Umfang der Beweislast zum Nachweis des Schadens. Es gilt, je näher der Hinterbliebene mit dem Getöteten verwandt war, desto eher kann das Bestehen einer Gefühlsgemeinschaft bereits durch Anscheinsbeweis über Erfahrungswerte vermutet werden. Je entfernter der Verwandtschaftsgrad oder bei lediglich faktischen Familienangehörigen (famiglia di fatto), wie z. B. Pflegekindern und Lebensgefährten,153 ist dagegen der Nachweis einer tatsächlichen Gefühlsgemeinschaft zum Getöteten erforderlich,154 wofür ein gemeinsamer Haushalt ein Indiz sein kann. Der reine Kontakt über soziale Netzwerke genügt dagegen nicht für den Nachweis einer Gefühlsgemeinschaft.155 Der Anspruch kann dagegen ausgeschlossen sein, wenn ein bewusstes Desinteresse des Hinterbliebenen an der familiären Beziehung zum Getöteten nachgewiesen werden kann,156 wie z. B. bei Geschwistern, die sich nur wenige Male begegnet sind und keinen Kontakt zueinander hatten.157 Jeder Hinterbliebene macht sein Recht eigenständig geltend. Sind mehrere anspruchsberechtigte Hinterbliebene vorhanden, so hat jeder einen eigenen Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens. Folglich kann das Gericht bei der Bemessung nicht von einer einheitlichen Summe für alle Hinterbliebenen ausgehen und diese dann verhältnismäßig auf die Hinterbliebenen aufteilen. Vielmehr muss das Gericht den Schaden für jeden Hinterbliebenen gesondert bemessen.158 152 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 22. 153 Kadner Graziano, ZEuP 1996, 135 (147). 154 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1264 f.; Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (56). 155 Cass. pen. 9.2.2017, n. 11428. 156 Trib. Arezzo 7.1.2014, in Riv. it. med. leg. 2015, 1265. 157 Cass. 22.10.2013, n. 23917; Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 22. 158 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 55.
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Im Folgenden wird der anspruchsberechtigte Personenkreis beginnend mit dem engsten Familienkern (Ehegatten, Kinder, Eltern und Geschwister) (aa), über getrennt lebende Ehegatten (bb), gleichgeschlechtliche Lebenspartner (cc), Lebensgefährten (dd), Enkel und Großeltern (ee), Verlobte und sonstige Verwandte und Verschwägerte (ff), bis hin zum nasciturus (gg), Freunden und geschiedenen Ehegatten (hh) dargestellt, bevor schließlich auf den Sonderfall des Verlusts eines geliebten Haustieres eingegangen wird (ii).
aa) Familienkern: Ehegatten, Kinder, Eltern und Geschwister Unstreitig anspruchsberechtigt sind die nächsten Angehörigen (prossimi congiunti), die zum Familienkern (famiglia nucleare) zählen, mithin Ehegatten, Kinder, Eltern und (Halb-)Geschwister (fratello consanguineo)159. Für sie fordert die Rechtsprechung nicht den Nachweis eines tatsächlich erlittenen Nachteils. Vielmehr leitet das Gericht den immateriellen Schaden mittels Anscheinsbeweises bzw. Vermutung nach Art. 2727 c. c.160 vom engen familiären Näheverhältnis ab. Demnach stellt es ein Naturgesetz dar, dass der Verlust einer derart nahestehenden Person bei den Angehörigen einen schweren Schmerz hervorruft.161 So ging der Kassationshof in der Entscheidung Nr. 10527 vom 13.5.2011 davon aus, dass der Tod einer nahestehenden Person (eines 19-jährigen Kindes) für sich genommen einen Umstand darstellt, von dem der Richter mittels Vermutung nach Art. 2727 c. c. ableiten könne, dass die Hinterbliebenen seelischen Schmerz erlitten haben, der zu einer Veränderung ihres Beziehungslebens geführt und sie zu einer anderen Lebensführung veranlasst habe, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Das Zusammenleben mit dem Getöteten ist für nahe Angehörige daher keine zwingende Anspruchsvoraussetzung. Ein fehlendes Zusammenleben kann sich allerdings auf die Anspruchshöhe auswirken.162 Haben die Hinterbliebenen solche Umstände dargelegt, obliegt es im Schadensersatzprozess dem Schädiger, das Vorhandensein dieser Nachteile zu widerlegen,163 wobei auch dieser Gegenbeweis mittels Vermutung erbracht werden kann. So können z. B. aus einem zwischen Geschwistern anhängigen 159 Trib. Arezzo 7.1.2014, in Riv. it. med. leg. 2015, 1265, wonach der Anspruch beim Verlust eines Halbbruders auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die Geschwister nicht zusammenlebten und sich kaum sahen. Der Anspruch entfällt dagegen, wenn die Geschwister keinen Kontakt wollten. 160 „Art. 2727. Begriff. Vermutungen sind Folgerungen, die das Gesetz oder das Gericht aus einem bekannten Tatumstand zieht, um zu einem unbekannten Tatumstand zu gelangen.“ 161 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1265 f.; ders., L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, Kap. 17.2., S. 546 f. 162 Cass. 20.10.2016, n. 21230 (Enkel-Großvater); Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 24. 163 Cass. 13.5.2011, n. 10527.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Rechtsstreit oder aus dem Umstand, dass sie schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten, Rückschlüsse auf das Fehlen einer Gefühlsgemeinschaft gezogen werden.164
bb) Getrennt lebende Ehegatten Auch das Getrenntleben von Ehegatten schließt den Anspruch nicht per se aus. Dabei müssen neben der tendenziell vorübergehenden Trennung und der Möglichkeit einer Wiederversöhnung auch die Trennungsgründe berücksichtigt werden.165 So kann z. B. der betrogene und verlassene Ehegatte anspruchsberechtigt sein, wenn er versucht hat die Ehe zu retten, wohingegen im Fall einer konfliktreichen Trennung, die von gegenseitiger Bitterkeit geprägt ist, keine Anspruchsberechtigung anzunehmen ist.166 Jedenfalls hat der hinterbliebene Ehegatte darzulegen, dass trotz der Trennung noch eine besonders enge gefühlsmäßige Bindung zum Verstorbenen bestand, was der Kassationshof z. B. bei einem gemeinsamen Kind und einer erst kurzen Trennungszeit von einem Monat angenommen hat.167 Bei geschiedenen Ehegatten besteht keine gefühlsmäßige Bindung mehr, sodass ein Anspruch ausgeschlossen ist.168 Das Problem der Anspruchsberechtigung von Getrenntlebenden dürfte allerdings durch die mit Gesetz Nr. 55 vom 6.5.2015169 eingeführte kurze Scheidung (divorzio breve) abgemildert worden sein. Die zur Ehescheidung erforderliche Trennungszeit wurde bei der streitigen Scheidung (separazione giudiziale) auf zwölf Monate und bei der einvernehmlichen Scheidung (separazione consensuale) auf sechs Monate verkürzt. Das Gesetz trat am 26.5.2015 in Kraft.
cc) Gleichgeschlechtliche Lebenspartner Bereits vor Regelung der eingetragenen Lebenspartnerschaft (unione civile) durch das Gesetz Nr. 76 vom 20.5.2016170 erkannten die Instanzgerichte die Anspruchsberechtigung homosexueller Lebenspartner an.171 Wie bei Ehegatten 164 165
Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1265. Cass. 17.7.2002, n. 10393; Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (57). 166 Trib. Venezia 22.1.1994, in Riv. giur. circ. trasp. 1994, 862; Rossetti, L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, Kap. 17.2., S. 547. 167 Cass. 17.1.2013, n. 1025: der Kassationshof hatte nicht beanstandet, dass die Corte d’App. Milano den erstinstanzlich zugesprochenen Betrag von € 84.000,00 angesichts der Trennung der Ehegatten auf € 25.212,00 reduziert hatte; Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 28. 168 Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (60). 169 Cubeddu Wiedemann/Henrich, FamRZ 2015, 1253 (1253). 170 Patti, FamRZ 2017, 1463; Cubeddu Wiedemann, FamRZ 2016, 1535; Bertino, ZEuP 2018, 625 (633 ff.). 171 Cass. 20.6.2013, n. 15481; Corte d’App. Milano 20.11.2012, n. 6836, in Resp. civ. prev.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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kann der Nachweis einer Gefühlsgemeinschaft nach Art. 2727 c. c. mittels Vermutung erbracht werden.172
dd) Lebensgefährten Um eine Haftungsausuferung zu verhindern, setzte die Rechtsprechung lange Zeit eine formale familienrechtliche bzw. verwandtschaftliche Beziehung zum Getöteten voraus (s. o. § 5 I. 1.a)aa), S. 205) und schloss die Anspruchsberechtigung des Lebensgefährten (convivente di fatto oder convivente more uxorio) zunächst aus.173 Die ständige Rechtsprechung stellt die Lebensgefährten heute den Ehegatten gleich, sofern sie mit dem Getöteten in einer eheählichen Beziehung lebten und die Beziehung von einer gewissen Stabilität und gegenseitigem materiellem und moralischem Beistand gekennzeichnet war, wobei ein gemeinsamer Haushalt nicht notwendig erforderlich ist. Eine bloß flüchtige Liebesbeziehung genügt dagegen nicht.174 Unerheblich ist auch, ob die Beziehung zum Lebensgefährten gleichzeitig neben der Ehe unterhalten wurde. So hat der Kassationshof in einem Fall, in dem der Getötete neben seiner Ehefrau und drei ehelichen Kindern noch eine feste Beziehung zu einer anderen Frau unterhielt, mit der er ebenfalls ein Kind hatte, sowohl der Lebensgefährtin und der Ehefrau einen Anspruch in gleicher Höhe zugesprochen als auch den ehelichen Kindern und dem nichtehelichen Kind.175 Seit 2016 ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft (famiglia di fatto) in Art. 1 Abs. 36 ff. Gesetz Nr. 76 vom 20.5.2016 geregelt. Demnach gibt es eine vertraglich geregelte (Art. 1 Abs. 50 ff.) und eine nicht geregelte sog. „außervertragliche“ nichteheliche Lebensgemeinschaft. Wird ein Lebensgefährte durch die unerlaubte Handlung eines Dritten getötet, so sind zur Bestimmung des ersatzfähigen Schadens des hinterbliebenen Lebensgefährten nach Art. 1 Abs. 49 dieselben Kriterien anzuwenden, wie beim Schaden eines überlebenden Ehegatten.176 Während der Zeitpunkt der Beendigung einer vertraglich geregelten nichtehelichen Lebensgemeinschaft konkret feststellbar ist und dem hinterbliebenen 2014, 641 m. Anm. Winkler, abrufbar unter ; Trib. Milano 12.9.2011, n. 9965, abrufbar unter . 172 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1272. 173 Cass. pen. 12.6.1987, in Riv. pen. 1988, 253; Ass. Genova 24.10.1984, in Foro it. 1986, II, 621. 174 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 33 m. w. N. 175 Cass. 7.6.2011, n. 12278. 176 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1275 ff., Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 36.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Lebensgefährten nach Art. 1 Abs. 49 dieselben Ansprüche zustehen, wie einem Ehegatten, ist der Beendigungszeitpunkt bei der außervertraglichen nichtehelichen Lebensgemeinschaft dagegen nicht sicher ermittelbar. Für sie gelten vielmehr die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, wonach der Lebensgefährte nachweisen muss, dass die Lebensgemeinschaft einen eheähnlichen Charakter hatte, also von bestimmter Dauer war und eine gegenseitige gefühlsmäßige Bindung vorhanden war.177 Eine Gefühlsgemeinschaft kann zudem zwischen einem Lebensgefährten und dem Kind des anderen Lebensgefährten bestehen. Stirbt z. B. das Kind eines Partners, so gewährt die Rechtsprechung auch dem Lebensgefährten einen Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens, wenn er den Nachweis einer stabilen affektiven Beziehung zum verstorbenen Kind seines Partners erbringen kann.178 Das gilt auch in Bezug auf Kinder einer homosexuellen Lebensgemeinschaft. So erkennt die Rechtsprechung auch die Anspruchsberechtigung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerin der Mutter an, wenn zu deren verstorbem Kind eine von Dauer geprägte, innige Nähebeziehung bestand.179
ee) Großeltern und Enkel Im Hiblick auf das Verhältnis zwischen Enkel und Großeltern ist grundsätzlich der Nachweis eines gegenseitigen Zuneigungsverhältnisses erforderlich, das nach jüngster Rechtsprechung auch bestehen kann, wenn die Personen nicht in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebten,180 sondern sich regelmäßig, z. B. täglich bis mehrmals wöchentlich besuchten oder gemeinsam in den Urlaub fuhren.181 Wenn der Enkel allerdings mit dem getöteten Großelternteil in häuslicher Gemeinschaft lebte, kann das Bestehen einer Gefühlsgemeinschaft im Wege des Anscheinsbeweises vom Zusammenleben abgeleitet werden, ohne dass es hierfür weiterer Nachweise bedarf.182 Das Zusammenleben ist mittlerweile also nur noch ein Indiz für das Vorhandensein einer Gefühlsgemeinschaft, nicht dagegen anspruchsbegründende Voraussetzung. Ein gemeinsamer 177 Cass. 16.6.2014, n. 13654; Cass. 7.6.2011, n. 12278; Cass. 29.4.2005, n. 8976; Corte d’App. Milano 16.11.1993, in Foro it. 1994, I, 3212; Cass. 28.3.1994, n. 2988, in Giust. civ. 1994, I, 1849, vgl. Ferrari, ZEuP 1997, 1122 (1132 f.); Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (57). 178 Cass. 21.4.2016, n. 8037 betraf den Anspruch des Lebensgefährten der Mutter, deren Tochter gestorben war. 179 Trib. Reggio Emilia 2.3.2016, n. 315, abrufbar unter . 180 Bzgl. Großeltern vgl. Cass. 20.10.2016, n. 21230; Cass. 15.7.2005, n. 15019; a. A. Cass. 16.3.2012, n. 4253; Cass. 23.6.1993, n. 6938. 181 Trib. Rovereto 10.2.2014, abrufbar unter ; Trib. Milano 13.10.2010, n. 11617, in Arch. giur. circol. 2011, 244. 182 Cass. 7.7.2010, n. 16018; Cass. 11.5.2007 n. 10823; Mascia, in Resp. civ. prev. 2006, 876.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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Haushalt kann allerdings, neben anderen Indizien, ein Mittel zum Nachweis der Tiefe der affektiven Beziehung sein und sich daher auf die Anspruchshöhe auswirken.183
ff) Verlobte und sonstige Verwandte und Verschwägerte Auch Verlobte sind anspruchsberechtigt, wobei sie ebenfalls nicht notwendig mit dem Verstorbenen zusammengelebt haben müssen.184 Hinsichtlich Personen, die nicht zum engsten Familienkreis zählen, wie z. B. Tanten, Enkel von Geschwistern (nipoti ex fratre), Cousins, Schwager, Schwiegereltern und Schwiegersöhne oder -töchter, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, ist der Nachweis eines gegenseitigen Zuneigungsverhältnisses erforderlich.185
gg) Der nasciturus als Anspruchsberechtigter und Getöteter In Italien ist auch der Nichtvermögensschaden des nasciturus ersatzfähig, wenn der leibliche Vater während der Schwangerschaft getötet wird und das Kind ohne Vaterfigur aufwachsen muss. Der Schaden entsteht allerdings erst mit der Geburt und dem damit einhergehenden Erwerb der Rechtsfähigkeit.186 Im umgekehrten Fall beim Verlust befruchteter Eizellen bzw. Embryonen187 und bei einem tot geborenen Fötus188 verneint die Rechtsprechung dagegen einen Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) der Eltern. In diesen Fällen kann der immaterielle Schaden der Eltern nicht mit Hilfe der Rahmenwerte der Mailänder Tabelle für den Verlust eines Angehörigen bemessen werden. Denn die Mailänder Tabelle setzt eine tatsächliche emotionale Bindung zwischen den Eltern und dem Kind voraus, wohingegen es sich vor der Geburt lediglich um eine potenzielle Bindung handelt.189 Angesichts dieser Begründung erscheint es inkon183 184
Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 40. Cass. 10.11.2014, n. 46351; Trib. Firenze, 26.3.2015, n. 1011, abrufbar unter . 185 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 1268 f.; ders., L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, Kap. 17.2., S. 547 f.; Cendon, Il quantum nel danno esistenziale: giurisprudenza e tabelle, 2010, Kap. 3.1.5., S. 195 ff. 186 Cass. 10.3.2014, n. 5509; Cass. 3.5.2011, n. 9700, die auf den Verlust der Eltern-KindBeziehung abstellen, wohingegen Cass. 22.11.1993, n. 11503, in Foro it. 1994, I, 2479 noch ausschließlich auf den danno morale Bezug nimmt; Rossetti, L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, Kap. 17.2., S. 552 ff.; Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (57); a. A. noch Cass. 28.12.1973, n. 3476, in Foro it. 1974, I, 667, das die Anspruchsberechtigung des nasciturus mangels Rechtsfähigkeit zum Unfallzeitpunkt ablehnte. 187 Trib. Milano 21.5.2013, in NGCC 2013, I, 1088, es wurde aber ein immaterieller Schaden der Eltern unter dem Gesichtspunkt des danno morale anerkannt. 188 Cass. 19.6.2015, n. 12717. 189 Cass. 19.6.2015, n. 12717; Trib. Varese 14.3.2012, abrufbar unter .
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
sequent einen Anspruch der Eltern zu verneinen und im umgekehrten Fall einen Anspruch des nasciturus zu bejahen, wenn der Vater noch vor seiner Geburt stirbt. Denn auch in diesem Fall handelt es sich vor der Geburt lediglich um eine potenzielle Bindung, obwohl der iure proprio-Anspruch neben dem Näheverhältnis auch eine tatsächliche enge Gefühlsbindung voraussetzt. Jedenfalls kann den Eltern im Fall des Verlusts von Embryonen gegebenenfalls ein Nichtvermögensschaden aufgrund des Verlusts der Fortpflanzungsmöglichkeit (danno da perdita di chances di procreazione) zustehen (s. o. § 3 II.3.a)bb)(2)(b), S. 104).190
hh) Keine Anspruchsberechtigung von Freunden und Geschiedenen Nicht anspruchsberechtigt sind dagegen geschiedene Ehegatten sowie Freunde des Verstorbenen.191
ii) Verlust eines Haustieres Zunächst lehnte die Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit des immateriellen Schadens wegen des Verlusts eines geliebten Haustieres (animale d’affezione) noch mit der Begründung ab, dass dieser Verlust keine Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Unversehrtheit des Gefühlslebens und somit keinen Existenzschaden (danno esistenziale) darstelle.192 Mittlerweile erkennt die Rechtsprechung193 aber vermehrt an, dass auch der Verlust eines Haustieres einen ersatzfähigen Nichtvermögensschaden darstellt und verweist zur Begründung auf die sog. „San Martino“-Urteile vom 11.11.2008, wonach der Schutz nicht auf die zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Verfassung ausdrücklich anerkannten unverletzlichen Persönlichkeitsrechte beschränkt sei. In Anpassung an sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse 190
Trib. Milano 21.5.2013, in NGCC 2013, I, 1088. Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (60); zu bloßen Freunden siehe Rossetti, L’assicurazione obbligatoria della R. C. A., 2010, Kap. 17.2., S. 548; Sella/Bausardo/Checchin/ Negro, Infortunistica nella circolazione stradale nel lavoro nello sport, 2012, Kap. 38.11.2.; Trib. Genova 7.3.2006, in Danno e resp. 2006, 760, auch abrufbar unter . 192 Cass. 27.6.2007, n. 14846 (bzgl. Pferd), in NGCC 2008, I, 211; Trib. Milano, sez. V, 20.7.2010, n. 9453, in Danno e resp. 2010, 1068; Trib. Sant’Angelo dei Lombardi 12.1.2011, in NGCC 2011, I, 663 (bzgl. Hund). 193 Trib. Pavia, sez. III, 17.9.2016, n. 1266 (Jäger erschießt Hund), abrufbar unter , Trib. Foggia 24.6.2011, abrufbar unter ; Trib. Rovereto 18.10.2009, abrufbar unter . 191
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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können vielmehr neue unverletzliche Rechte jederzeit über Art. 2 Cost. aus dem gesamten Verfassungssystem abgeleitet werden,194 wie z. B. die Schutzwürdigkeit der Nähebeziehung zu einem Tier.
b) Regel-Ausnahme-Verhältnis im deutschen Recht Sowohl der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als auch das Schmerzensgeld für Schockschäden setzen ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen dem Erstgeschädigten und seinen Hinterbliebenen voraus. Im Hinblick auf das Hinterbliebenengeld wird das Bestehen eines solchen persönlichen Näheverhältnisses bei den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Angehörigen vermutet (aa), wohingegen nicht in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannte Hinterbliebene das persönliche Näheverhältnis darlegen und beweisen müssen (bb). Voraussetzung für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist aber in jedem Fall, dass der Anspruchsteller infolge der Tötung der nahestehenden Person tatsächlich seelisches Leid empfunden hat (cc). Der zur Geltendmachung von Schockschäden berechtigte Personenkreis wurde dagegen von der Rechtsprechung entwickelt (dd).
aa) Vermutung des persönlichen Näheverhältnisses des privilegierten Personenkreises und seine Bestimmung bei Fällen mit Auslandsberührung Im Folgenden wird zunächst der nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierte anspruchsberechtigte Personenkreis dargestellt (1), bevor auf seine Bestimmung in Fällen mit Auslandsberührung eingegangen wird (2).
(1) Grundsätzliche Anspruchsberechtigung der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen: Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Kinder Anspruchsberechtigt sind nach § 844 Abs. 3 S. 1 BGB Hinterbliebene, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen. Das wird nach Satz 2 vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner,195 ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Dieser privilegierte Personenkreis muss das Näheverhältnis nicht besonders darlegen, obgleich der Anspruchsgegner das Näheverhältnis nach § 292 S. 1 ZPO widerlegen kann, z. B. wenn im Zeitpunkt der Verletzung nur noch ein formales familienrechtliches Band bestand oder die Ehegatten oder eingetragenen Le194 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972–26975, Rn. 2.14.; deutschsprachige Übersetzung bei Christandl, ZEuP 2011, 392 (394) und Buse, DAR 2009, 588 (589). 195 Gemeint ist der Lebenspartner i. S. d. LPartG. Seit 1.10.2017 können keine Lebenspartnerschaften mehr begründet werden (Art. 3 Abs. 3 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017). Eine bestehende Lebenspartnerschaft kann nach (§ 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt werden.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
benspartner getrennt lebten und die Voraussetzungen des § 1933 BGB bzw. des § 10 Abs. 3 LPartG vorlagen, sofern nicht gleichwohl ein besonderes persönliches Näheverhältnis zum Getöteten fortbestand. Dadurch soll vermieden werden, dass formale Verwandte, die kein besonderes persönliches Näheverhältnis mehr unterhielten, in den unerwarteten Genuss eines Hinterbliebenengeldes kommen.196 Insoweit kann den Hinterbliebenen aber eine sekundäre Darlegungslast für familiäre Umstände treffen, die sich in seiner ausschließlichen Wissensphäre befinden und in die der Schädiger keinen Einblick hat.197 Regelmäßig werden die Hinterbliebenen die Qualität ihrer Beziehung zum Verstorbenen aber ohnehin darlegen müssen, um dem Gericht ausreichend Anhaltspunkte zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes zu geben. Je sorgfältiger sie die tatsächlich gelebte Beziehung und das mit dem Verlust der nahestehenden Person verbundene seelische Leid darlegen, umso vorteilhafter wird sich dies auf die Anspruchshöhe auswirken. Steht fest, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis bestand, so spricht die allgemeine Lebenserfahrung (Anscheinsbeweis) bereits dafür, dass der Todeseintritt beim Hinterbliebenen auch kausal zu seelischem Leid geführt hat.198 Sind wegen der Tötung einer nahestehenden Person mehrere Hinterbliebene anspruchsberechtigt, so hat jeder einen eigenen Anspruch auf Hinterbliebenengeld.199
(2) Bestimmung des privilegierten Personenkreises bei Auslandsfällen Gerade bei Fällen mit Auslandsberührung stellt sich nach Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts bei Hinterbliebenen, die keine Beziehung zum Land des Unfallortes haben, die Frage, wie das besondere persönliche Näheverhältnis zu bestimmen ist. Maßgeblich ist die Auslegung der anwendbaren Sachnorm, unabhängig davon, ob deutsches oder italienisches Recht anwendbar ist. Zum einen ist es denkbar, die Bestimmung des persönlichen Näheverhältnisses unter Einbeziehung sog. ausländischer „moral data“ im konkreten Einzelfall dem zur Entscheidung berufenen Gericht zu überlassen. Nach überzeugender Ansicht von Jayme200 sollen dagegen selbst dann, wenn deutsches Recht anwendbar ist, bei der Bestimmung des persönlichen Näheverhältnisses die gesellschaftlichen Standards des Wohnsitzlandes der Hinterbliebenen als „local data“ berücksichtigt werden können, die sich an den dort geltenden Gesetzen 196
BT‑Drs 18/11397, S. 14 f. Nugel, ZfSch 2018, 72 (73); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 173; Jaeger, VersR 2017, 1041 (1052); Steenbuck, r+s 2017, 449 (454); Schumann/Nugel, VRR 2018, 4 (5). 198 Nugel, ZfSch 2018, 72 (74); Steenbuck, r+s 2017, 449 (454). 199 BT‑Drs 18/11397, S. 13. 200 Jayme, IPRax 2018, 230 (231 f.). 197
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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oder gesellschaftlichen Standards orientieren. Soweit deutsches Sachrecht anwendbar ist, sind die in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten familienrechtlichen Begriffe als Vorfrage selbständig nach den Regeln des deutschen Internationalen Privatrechts zu bestimmen. Ob z. B. eine wirksame Ehe vorlag, richtet sich dann nach dem Recht, das Art. 13, 17b Abs. 4 EGBGB für anwendbar erklären.201 Obwohl seit 1.10.2017 in Deutschland keine Lebenspartnerschaften mehr begründet werden können (Art. 3 Abs. 3 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017) und eine bestehende Lebenspartnerschaft nach § 20a LPartG in eine Ehe umgewandelt werden kann, besteht keine Verpflichtung der Partner hierzu. Sehen diese von der Umwandlung in eine Ehe ab, unterliegt ihre Lebenspartnerschaft auch weiterhin den Bestimmungen des LPartG. Derartige Probleme dürften sich allerdings bei Auslandsunfällen mit Italienbezug durch Gesetz Nr. 76 vom 20.5.2016 erledigt haben (s. o. § 5 I. 4.a)cc), S. 236).
bb) Erhöhte Beweisanforderungen an den nicht privilegierten Personenkreis Mit dem Begriff des „Hinterbliebenen“ stellt das Gesetz klar, dass die Anspruchsbererechtigung von der sozialen Bindung abhängen soll, anstatt von der formalen Verwandtschaft.202 So können auch Hinterbliebene außerhalb des privilegierten Personenkreises anspruchsberechtigt sein, die nicht mit dem Getöteten in einer formalen familienrechtlichen Beziehung im Sinne von § 844 Abs. 3 S. 2 BGB standen, wie z. B. Partner einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobte, Stief- und Pflegekinder, Großeltern, Enkel sowie Geschwister203 des Getöteten. Damit soll den heute gelebten verschiedenen Familiensituationen (z. B. sog. „Patchwork“-Familien) Rechnung getragen werden.204 In Anlehnung an das Vorbild der italienischen Rechtspraxis wird man den Lebensgefährten wohl auch dann zum nicht privilegierten Personenkreis zählen, wenn der Verstorbene die Beziehung gleichzeitig neben seiner Ehe unterhalten hat (s. o. § 5 I. 4.a)dd), S. 237). Dieser nicht privilegierte Personenkreis muss allerdings die Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich das besondere persönliche Näheverhältnis zum Getöteten im Zeitpunkt der Verletzung ergibt,205 wobei die Anforderungen umso höher sind, je weiter entfernt das (Verwandtschafts-)Verhältnis ist. Indizien für ein persönliches Näheverhältnis können z. B. das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, regelmäßiger Kontakt oder fortdauernde finan201 202
Jayme, IPRax 2018, 230 (232). So bereits zum Referententenentwurf Müller, VersR 2017, 321 (323). 203 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 107) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 204 BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 145 ff. 205 BT‑Drs 18/11397, S. 12 f.; 15; BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 125.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
zielle Unterstützung sein.206 Das LG München II207 hat ein solches persönliches Näheverhältnis zwischen der Schwiegertochter und der verstorbenen Schwiegermutter anerkannt. Beide stammen aus Nordafrika, wo dem Familienband erhebliche Bedeutung zukommt. Da die Schwiegertochter der deutschen Sprache nicht mächtig ist und deshalb zur Kommunikation auf arabischsprachige Angehörige angewiesen ist, stellte die Schwiegermutter für sie eine besonders nahestehende Person dar. An den nicht privilegierten Personenkreis erhöhte Beweisanforderungen zu stellen schafft zwar Einzelfallgerechtigkeit, birgt jedoch auch die Gefahr, dass das Familienleben des Verstorbenen und der Hinterbliebenen im Prozess ausgeforscht und vor Gericht „schmutzige Wäsche“ gewaschen wird.
cc) Voraussetzung von tatsächlich empfundenem seelischen Leid infolge der Tötung Unabhängig davon, ob der Anspruchsteller zum privilegierten (§ 844 Abs. 3 S. 2 BGB) oder zum nicht privilegierten Personenkreis zählt, setzt der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in jedem Fall voraus, dass der Hinterbliebene infolge der Tötung (wenn auch vermutet) tatsächlich seelisches Leid empfunden hat. Als Konsequenz ist nach richtiger Ansicht die Anspruchsberechtigung von Demenzkranken, schwer geistig Behinderten, Kleinkindern, Säuglingen oder des nasciturus zu verneinen.208 Denn der Umstand, dass ein Kind als Halb- oder Vollwaise aufwächst stellt ein andersartiges Leid (im Sinne des Existenzschadens) dar, das nicht durch das Hinterbliebenengeld entschädigt werden soll.209 Außerdem bezieht sich das zu entschädigende seelische Leid auf den Verlust einer vorhandenen Nähebeziehung und nicht auf den Umstand, dass eine solche Nähebeziehung gar nicht erst entstehen kann, weil der Vater schon vor der Geburt verstirbt.210 Nach anderer Ansicht soll dagegen das reine Kindschaftsverhältnis zum getöteten Vater für eine Aktivlegitimation des nasciturus genügen.211 Im umgekehrten Fall einer tödlichen Schädigung eines Embryos ist in der Literatur umstritten, ob den Eltern ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld zustehen soll. Bei einem Wunschkind im fortgeschrittenen Stadium der Schwan206 BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 179 ff.; zu mögl. Indizen auch Nugel, ZfSch 2018, 72 (73). 207 LG München II, Urt. v. 17.5.2019 – 12 O 4540/18 – juris (Rn. 29). 208 Balke, SVR 2018, 207 (208); Schiemann, GesR 2018, 69 (71); Peiffer, PHi 2018, 42 (44); Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (406); Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (693); BHHJ/ Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 143, 235. 209 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 8, oben § 5 Fn. 54; Steenbuck, r+s 2017, 449 (451); Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (411). 210 Schiemann, GesR 2018, 69 (71). 211 Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (941); ders., JuS 2018, 744 (746).
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gerschaft sprechen allerdings gute Gründe für einen solchen Anspruch der Eltern.212 Der Unterschied zur zuvor abgelehnten Anspruchsberechtigung des nasciturus besteht hier darin, dass die Eltern in der Regel bereits während der Schwangerschaft eine Nähebeziehung zu ihrem ungeborenen Kind aufbauen und ihr seelisches Leid wahrnehmbar ist. Fragwürdig erscheint allerdings, ob diese Ansicht hinsichtlich der Anspruchsberechtigung schwer geistig Behinderter mit dem Grundsatzurteil des BGH vom 13.10.1992 zum Schmerzensgeld bei der „nahezu vollständigen Zerstörung der Persönlichkeit des Verletzten“ vereinbar ist.213 Da es sich jedoch beim Hinterbliebenengeld aufgrund seiner systematischen Stellung in § 844 Abs. 3 BGB um einen Drittschaden handelt und gerade nicht um einen Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB214 aufgrund eigener Rechtsgutsverletzung, erscheint es überzeugend, dass insofern unterschiedliche Maßstäbe gelten können.
dd) Anspruchsberechtigte des Schockschadens Die Haftung für sog. „Schockschäden“ setzt eine besondere persönliche Nähebeziehung zum Erstgeschädigten voraus, die in der Regel zwischen Ehegatten215 vorliegt sowie zwischen Eltern216 und ihren Kindern217 und regelmäßig auch zwischen Geschwistern, wenn sie noch in einem gemeinsamen Haushalt leben.218 Maßgebend ist aber nicht das formale Verwandtschaftsverhältnis, sondern eine persönliche Nähebeziehung, die auch zwischen eingetragenen Lebenspartnern,219 nichtehelichen Lebensgefährten,220 Getrenntlebenden,221 212 Bejahend MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (941); ders., JuS 2018, 744 (746); ablehnend Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (404). 213 BGH, Urt. v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91 = NJW 1993, 781. 214 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; a. A. Steenbuck, r+s 2017, 449 (452): das Hinterbliebenengeld ist ein „Schmerzensgeld für Angehörige“. 215 BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883; BGH, Urt. v. 27.1.2015 − VI ZR 548/12 = NZV 2015, 227. 216 OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.12.1977 – 1 U 85/77 = VersR 1978, 575; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26.5.1992 – 8 U 257/92 = ZfSch1992, 368; OLG Nürnberg, Urt. v. 1.8.1995 – 3 U 468/95 = NZV 1996, 367; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 19.7.2012 – 1 U 32/12 = NJW‑RR 2013, 140. 217 BGH, Urt. v. 6.2.2007 – VI ZR 55/06 = NJW‑RR 2007, 1395; OLG Stuttgart, Urt. v. 21.7.1988 – 14 U 3/88 = VersR 1988, 1187; OLG Nürnberg, Urt. v. 27.2.1998 – 6 U 3913–97 = VersR 1999, 1501. 218 BGH, Urt. v. 18.7.2006 – X ZR 142/05 = VersR 2006, 1653; zumindest, wenn sie noch in einem gemeinsamen Haushalt leben Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 356 f. 219 Adelmann, VersR 2009, 449 (451); Stöhr, NZV 2009, 161 (165). 220 OLG Köln, Beschl. v. 16.9.2010 – 5 W 30/10= VersR 2011, 674; Adelmann, VersR 2009, 449 (452); Spandl, Schmerzensgeld für nahe Angehörige, 2012 S. 170. 221 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.10.2011 – 1 U 28/11= NZV 2012, 41.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Verlobten222 und Adoptiv- oder Stiefeltern beim Tod ihres Adoptiv- oder Stiefkindes223 vorliegen kann. Bisher gibt es keine Rechtsprechung, in der entfernteren Verwandten, wie z. B. Enkel, Großeltern, Tanten, Onkeln, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen sowie Schwiegereltern ein Schmerzensgeld für ihren Schockschaden zugesprochen wurde. Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass die persönliche Betroffenheit bei weiter entfernten Verwandten abnimmt und die Trauer in solchen Fällen selten das Ausmaß einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ erreicht. Auch bloße Unfallzeugen,224 enge Freunde225 und befreundete Nachbarn226 sind nicht anspruchsberechtigt.
c) Rechtsvergleichende Bewertung: Vergleichbare Anforderungen beider Rechtsordnungen an den anspruchsberechtigten Personenkreis beim Ersatz von Gefühlsschäden, aber höhere Anforderungen an die Zurechnung von Schockschäden nach deutschem Recht aa) Anspruchsberechtigung beim Hinterbliebenengeld bzw. beim italienischen iure proprio-Anspruch (1) Persönliches Näheverhältnis Beide Rechtssysteme setzen ein persönliches Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen im Zeitpunkt der Tötung voraus, wobei der Kreis der Anspruchsberechtigten jeweils nicht abschließend gesetzlich festgelegt ist. Zwar würde eine formale Festlegung des anspruchsberechtigten Personenkreises die Darlegungs- und Beweislast im Prozess erheblich erleichtern, dies würde jedoch wiederum zu Ungerechtigkeiten im Einzelfall führen, da eine enge Gefühlsgemeinschaft außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung ebenso möglich ist, wie Ehegatten, die ihre Ehe nur noch formal aufrechterhalten.227 Deshalb erkennen beide Rechtsordnungen die Anspruchsberechtigung nicht nur bei Bestehen eines formalen Verwandtschaftsverhältnisses an, wie dies bei Ehegatten, Eltern und Kinder der Fall ist, sondern auch bei rein faktischen Nähebeziehungen, wie sie bei Verlobten und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorliegen. Allerdings weitet die italienische Rechtspraxis die familienähnlichen Verhältnisse aus, indem sie auch getrennt lebenden Ehegatten oder Lebensgefähr222 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.3.1969 – 2/12 O 50/67 = NJW 1969, 2286; OLG Oldenburg, Urt. v. 1.12.1998 – 5 U 127/98 = NJW‑RR 1999, 820. 223 LG Münster, Urt. v. 23.11.1965 – 3 O 77/65 = VersR 1966, 501. 224 BGH, Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06 = NJW 2007, 2764. 225 LG Tübingen, Urt. v. 29.11.1967 – 1 S 107/67= VersR 1969, 335. 226 AG Oberhausen, Urt. v. 30.1.2014 – 37 C 2749/12 – juris. 227 Katja Keul, im Plenarprotokoll zur 2. Beratung des Bundestags, Plenarprotokoll 18/234 S. 23804 B.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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ten bei Tötung des Kindes des Partners einen eigenen Anspruch gewährt.228 Dieselben Fallkonstellationen werden künftig auch deutsche Gerichte beschäftigen, sodass die italienische Rechtsprechung durchaus als Vorbild dienen kann. Geschiedene Ehegatten, Freunde des Verstorbenen oder bloße Unfallzeugen sollen in beiden Rechtsordnungen nicht anspruchsberechtigt sein. Während die italienische Rechtsordnung aber auch den Verlust der Nähebeziehung zu einem Tier ersetzt, lehnt die deutsche Rechtspraxis Ersatzansprüche für den Verlust eines Haustieres seit jeher ab.
(2) Tatsächlich empfundenes seelisches Leid infolge der Tötung Neben der persönlichen Nähebeziehung fordern beide Rechtsordnungen, dass der Hinterbliebene infolge der Tötung (wenn auch vermutet) tatsächlich seelisches Leid empfunden hat. Dass in der Regel die nächsten Angehörigen die Trauernden sind, kommt im deutschen Recht in der Vermutungsregel des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zum Ausdruck. Auch in der italienischen Rechtsordnung kann der Nachweis bei den nächsten Angehörigen durch Anscheinsbeweis bzw. Vermutung erbracht werden. Dagegen müssen entferntere Verwandte und faktische Familienangehörige, wie z. B. Pflegekinder und Lebensgefährten, ihr persönliches Näheverhältnis und ihr seelisches Leid aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person in beiden Rechtsordnungen nachweisen. Obwohl auch die italienische Rechtspraxis grundsätzlich eine effektive und nicht nur eine potenzielle emotionale Bindung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen voraussetzt, bejaht sie dennoch die Anspruchsberechtigung des nasciturus. Ersetzt wird der Nichtvermögensschaden in der Figur des danno esistenziale und damit der Umstand, dass das Kind ohne Vaterfigur aufwachsen muss, was sich wiederum nachteilig auf seine Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Der Verlust eines Elternteils und der Eltern-Kind-Beziehung im Sinne des Existenzschadens (danno esistenziale) ist im deutschen Recht dagegen – auch nach Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld – nicht ersatzfähig. Nichtsdestotrotz gibt es bereits jetzt in der deutschen Literatur Bestrebungen, das reine Kindschaftsverhältnis zum getöteten Vater für eine Aktivlegitimation des nasciturus genügen zu lassen. Dies überzeugt allerdings nicht, denn die persönliche Nähebeziehung ist nicht nur eine Anspruchsvoraussetzung, sondern sie ist auch für die Schadensbemessung und damit für die Höhe des Hinterbliebenengeldes von Bedeutung. Daher ist fraglich mit welchem Geldbetrag der Verlust eines Elternteils entschädigt werden sollte. Dies käme einer Entschädigung für den Verlust des Lebens oder einer „Angehörigentaxe“ gleich, zumal auch kaum eine Prognose darüber möglich wäre, ob der 228 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 71.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
verstorbene Elternteil seinen elterlichen Pflichten hingebungsvoll nachgekommen wäre.
bb) Anspruchsberechtigung beim Schockschaden In Bezug auf den Schockschaden bzw. den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) ergeben sich allerdings Unterschiede. Während die italienische Rechtspraxis den Kreis der Anspruchsberechtigten für alle iure proprio-Ansprüche des Nichtvermögensschadens einheitlich beurteilt und das Vorliegen eines danno biologico psichico nur vom Nachweis einer Gesundheitsverletzung abhängig macht, sieht die zur Zurechnung von Schockschäden entwickelte deutsche Rechtsprechung vor, dass diese von vornherein nur nahen Angehörigen zustehen. Hierzu zählen zwar nicht nur Verwandte im formalrechtlichen Sinn, sondern auch faktische Familienangehörige, wie Lebensgefährten und Verlobte. Jedoch ist die Anspruchsberechtigung von entfernteren Verwandten, wie z. B. Enkel, Großeltern, Tanten oder Onkeln regelmäßig ausgeschlossen. Denn die deutsche Rechtspraxis stellt mit dem Nachweis einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ im Rahmen von Schockschäden höhere Anforderungen als die italienische Rechtspraxis. Bei weiter entfernten Verwandten nimmt die persönliche Betroffenheit jedoch ab, sodass die Trauer in solchen Fällen nur selten das Ausmaß einer Gesundheitsverletzung nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ erreicht. In Bezug auf Schockschäden von entfernten Verwandten ist die italienische Rechtsordnung somit großzügiger, weil sie den Nachweis einer „gewöhnlichen“ Gesundheitsverletzung genügen lässt.
5. Bemessung der originiär eigenen Ansprüche von Hinterbliebenen infolge der Tötung einer nahestehenden Person In diesem Abschnitt wird die Bemessungspraxis zum italienischen Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) und zum deutschen Hinterbliebenengeld (a) dargestellt sowie die entsprechende Praxis beider Rechtsordnungen zur Bemessung psychisch vermittelter Gesundheitsschäden (Schockschäden) von Hinterbliebenen (b).
a) Bemessung des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) und des deutschen Hinterbliebenengeldes Im Folgenden wird zunächst die italienische Praxis zur Bemessung immaterieller Schäden aufgrund des Todes einer nahestehenden Person dargestellt (aa),
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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bevor die Grundsätze zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland untersucht werden (bb) und schließlich beide Systeme in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt werden (cc).
aa) Bemessung immaterieller Schäden aufgrund des Todes einer nahestehenden Person nach italienischem Recht Die Bemessung der iure propiro-Ansprüche in Italien erfolgt nach Billigkeit (Art. 2056, 1226 c. c.),229 wobei Tabellenwerke auch hierfür eine Orientierungshilfe bieten. Da die Tabellen keinen verbindlichen Rechtsnormcharakter haben, existieren neben der Mailänder Tabelle grundsätzlich auch andere Tabellen, wie z. B. die des Landgerichts Rom. Um die Gleichbehandlung der Hinterbliebenen zu gewährleisten, sollen die Gerichte nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes auch hinsichtlich der iure proprio-Ansprüche grundsätzlich die Mailänder Tabelle (1) anwenden.230 Nichtsdestotrotz wendet das Landgericht Rom auch weiterhin seine eigene Tabelle an,231 die der Vollständigkeit halber ebenfalls dargestellt wird (2), bevor die unterschiedlichen Bemessungssysteme verglichen werden (3). Sofern die Tabelle zwischen Klageerhebung und Entscheidung aktualisiert wird, hat das Gericht (auch das Berufungsgericht) für die Bemessung die im Zeiptunkt seiner Entscheidung gültige Tabelle anzuwenden. Damit wird den langen Verfahrensdauern in Italien Rechnung getragen.232
(1) Bemessung nach der landesweit anzuwendenden Mailänder Tabelle Im Rahmen der Reformierung der Mailänder Tabelle im Jahre 2009 wurden auch Neuerungen für die Entschädigung im Todesfall eingeführt. So wurden nicht nur die Entschädigungsbeträge zugunsten der Angehörigen eines Getöteten um 30–40 % erhöht, sondern auch erstmals die Möglichkeit einer Entschädigung von Großeltern für den Verlust eines Enkels aufgenommen.233 Für die jeweiligen Personen sieht die Mailänder Tabelle 2018 bestimmte Rahmenbeträge vor, wobei der Kreis der Anspruchsberechtigten nicht auf diese Personen beschränkt ist. Vielmehr sind z. B. auch Enkel und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anspruchsberechtigt, sofern sie nachweisen,
229
Rn. 1.
230
Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c., XIII.3.
Zuletzt Cass. 28.2.2017, n. 5013. Trib. Roma 4.7.2017, n. 13561 und Trib. Roma 23.1.2017, n. 1091, beide abrufbar unter . 232 Cass. 13.12.2016, n. 25485; Cass. 11.5.2012, n. 7272. 233 Vismara, PHi 2010, 12 (19 f.). 231
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
dass sie eine gefühlsmäßige Bindung zum Verstorbenen hatten und ihr Leben durch seinen Tod aus der Bahn geworfen wurde.234 Im Folgenden werden die Rahmenbeträge der Mailänder Tabelle 2018 dargestellt (a), die im Rahmen der Personalisierung einer Feinjustierung unterzogen werden (b), bevor der so ermittelte konkrete Ersatzbetrag um die Mitverschuldensquote gekürzt wird (c). Ein unterschiedliches Kaufkraftniveau am Aufenhaltsort der Hinterbliebenen hat dagegen keinen Einfluss auf die Anspruchshöhe (d).
(a) Angabe von Rahmenbeträgen in der Mailänder Tabelle 2018 Nichtvermögensschaden wegen des Todes eines Angehörigen
von
bis
Zugunsten jeden Elternteils wegen des Todes eines Kindes
€ 165.960,00 € 331.920,00
Zugunsten des Kindes wegen des Todes eines Elternteils
€ 165.960,00 € 331.920,00
Zugunsten des überlebenden (nicht getrennt lebenden) Ehegatten bzw. der überlebenden, zusammenlebenden Person
€ 165.960,00 € 331.920,00
Zugunsten jeden Geschwisterteils wegen des Todes eines Bruders oder einer Schwester
€ 24.020,00 € 144.130,00
Zugunsten jedes Großelternteils wegen des Todes eines Enkelkindes
€ 24.020,00 € 144.130,00
Die Tabelle gibt Rahmenbeträge vor, innerhalb derer das Gericht den konkreten Umstände des Einzelfalles durch eine angemessene Personalisierung (personalizzazione) Rechnung trägt und somit den immateriellen Nachteil jedes einzelnen Angehörigen individuell bemisst (s. u. § 5 I. 5.a)aa)(1)(b), S. 251). Dabei weist die Tabelle keinen garantierten Mindestbetrag aus, der den Hinterbliebenen in jedem Fall zugesprochen wird. Vielmehr handelt es sich bei den Tabellenwerten um Durchschnittswerte, die die Rechtspraxis in den entsprechenden Fällen für angemessen erachtet hat. Den Höchstbetrag darf das Gericht dagegen nur zusprechen, wenn im Prozess Tatsachen dargelegt und lückenlos bewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass das Leben des Hinterbliebenen aufgrund des Verlusts der nahestenden Person maximal erschüttert bzw. aus der Bahn geworfen wurde.235 Um eine unzulässige Verdoppelung des Schadensersatzes zu vermeiden tragen die Tabellenbeträge dem Nichtvermögensschaden nach überzeugender Ansicht der sog. „San Martino“-Urteile vom 11.11.2008 bereits umfassend unter Berücksichtigung aller beschreibenden Figuren Rechnung. Eine separa234 235
Criteri Orientativi § III zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. Criteri Orientativi § III zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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te Bemessung des Gefühlsschadens (danno morale) und des Existenzschadens (danno esistenziale) ist daher ausgeschlossen.236 Die Einheitlichkeit des Nichtvermögensschadens schließt allerdings nicht aus, dass die unterschiedlichen Aspekte des Nichtvermögensschadens im Rahmen der Bemessung eigens berücksichtigt werden, sofern alle Komponente jeweils nur einmal und in einer Gesamtbewertung gewürdigt werden.237
(b) Die Umstände der unerlaubten Handlung und die persönlichen und familiären Verhältnisse der Hinterbliebenen als Kriterien zur Personalisierung der Rahmenbeträge (personalizzazione) Das Gericht hat die Schadensbemessung für jeden Hinterbliebenen gesondert vorzunehmen. Dabei hat es zur Bestimmung der konkreten Summe innerhalb der Rahmenbeträge den Umständen des Einzelfalles durch eine Personalisierung (personalizzazione) Rechnung zu tragen. Welche Kriterien es bei der Personalisierung berücksichtigt, ist in den Erläuterungen zur Mailänder Tabelle 2018 vorgegebenen. Das Gericht berücksichtigt insbesondere, ob noch andere Angehörige vorhanden sind, ob die Anspruchsberechtigten mit dem Verstorbenen zusammengelebt haben, die Qualität und Intensität der Beziehung zu den verbliebenen Angehörigen und die Qualität und Intensität der Beziehung zum Verstorbenen.238 Maßgeblich für die Bemessung sind somit die Leiden des Hinterbliebenen und nicht des Getöteten. Als weitere Bemessungskriterien berücksichtigt das Gericht z. B. auch den Schweregrad der unerlaubten Handlung, die Größe der Familie, die Lebensgewohnheiten sowie das Alter des Getöteten und der einzelnen Hinterbliebenen und somit auch den Zeitraum, in dem voraussichtlich noch ein gemeinsames Familienleben möglich gewesen wäre.239 So ist der geteilte Schmerz bei Vorhandensein einer Vielzahl von Hinterbliebenen leichter zu ertragen, als wenn der Getötete der einzige Angehörige war.240 Sofern die schädigende Handlung zugleich eine Straftat darstellt, ist allerdings zu beachten, dass die Mailänder Tabelle nur bei fahrlässiger Verwirklichung eines Straftatbestandes anwendbar 236 Die gleichzeitige Zuerkennung von Schadensersatz unter dem Begriff des danno morale und des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) stellen eine Verdoppelung des Schadensersatzes dar, Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972; Cass. 17.12.2015, n. 25351. 237 Cass. 10.1.2017, n. 238. 238 Criteri Orientativi § III zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349; Bachmeier/Feller, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 181. 239 Mazzon, Le azioni a tutela del danneggiato da circolazione stradale, 2011, 2.4.3.1. (S. 35 f.); Cian/Viglione, Codice Civile e Leggi Collegate, 2. Aufl. 2016, Art. 2059 c. c. XIII.3. Rn. 1; Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2007, 44 (54); Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 50 ff.; Cass. 11.2.2009, n. 3357 in Bezug auf das Alter des Getöteten. 240 Cass. 16.2.2010, n. 3581.
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ist. Bei vorsätzlichen Straftaten steht es dem Richter dagegen frei, alle Besonderheiten des konkreten Falles zu berücksichtigen und die Höchstbeträge der Tabelle sogar zu überschreiten.241 Da dem Nichtvermögensschaden in Italien bislang keine Straffunktion beigemessen wurde, kam es bei der Bemessung bisher auch nicht auf die Bedürfnisse des Geschädigten und die Finanzkraft des Verpflichteten an (s. o. § 3 III.1.a)aa), S. 125). In jedem Fall muss das Gericht dezidiert begründen, welche Kriterien es der Bemessung zugrunde gelegt hat und wie es sie bewertet hat, um den konkreten Betrag festzulegen.242 Eine Rechtsverletzung oder unzureichende Urteilsbegründung sind mit Kassationsbeschwerde (Art. 360 Abs. 1 Nr. 3, 5 c. p. c.) anfechtbar. Darum weisen die Gerichte in der Praxis zwar besonders auf die Personalisierung hin, um die Entscheidung „kassationsfest“ zu machen, legen in der Urteilsbegründung meist aber dennoch nicht hinreichend offen, in welchem Verhältnis die jeweiligen Bemessungskriterien zu den ausgesprochenen Beträgen stehen.243 Deshalb weichen die zugesprochenen Beträge oft erheblich voneinander ab. Einheitlichkeit ist in den instanzgerichtlichen Entscheidungen nicht zu erkennen.
(c) Kürzung des Ersatzbetrags um die Mitverschuldensquote Obwohl auch hier das Leid der Hinterbliebenen bei der Bemessung im Mittelpunkt steht, müssen sich diese nicht nur eigenes Mitverschulden (z. B. Art. 2048 c. c. Haftung der Eltern) anspruchsmindernd anrechnen lassen, sondern nach Art. 1227 Abs. 1 c. c. auch ein Mitverschulden des Erstgeschädigten.244 So wird z. B. der Schadensersatz der Angehörigen eines Verkehrsunfallopfers gemindert, wenn dieses als Beifahrer nicht angeschnallt war.245 Ein Mitverschulden ist in Italien aber nicht als Bemessungskriterium zu berücksichtigen, sondern führt zu einer Kürzung des Betrags um die Mitverschuldensquote.246
241
Criteri Orientativi § III zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. Criteri Orientativi § III zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. Beispielhaft Trib. Caltanisetta 24.6.2015, n. 407, abrufbar unter . 244 Cass. 23.10.2014, n. 22514, in NGCC 2015, I, 488. 245 Gallmetzer, in: Huber/ Kadner Graziano/ Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 65. 246 Cass. 23.10.2014, n. 22514, in NGCC 2015, I, 488. 242 243
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253
(d) Keine Berücksichtigung eines niedrigeren Kaufkraftniveaus am Aufenhaltsort der Hinterbliebenen und Unanwendbarkeit des Reziprozitätsgrundsatzes Da es sich bei der Verletzung einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (rapporto parentale) um die Verletzung verfassungsmäßig garantierter Rechte (Art. 2, 29, 30 Cost) handelt, ist für die Bemessung der Schadenshöhe ausländischer Hinterbliebener irrelevant, dass an ihrem Aufenthaltsort ein niedrigeres Kaufkraftniveau herrscht als in Italien.247 Im Hinblick auf ausländische Geschädigte war angesichts des in Art. 16 Abs. 1 der Vorgesetze zum italienischen Zivilgesetzbuch (disposizioni preliminari al Codice civile, d. p. c. c.)248 normierten Reziprozitätsgrundsatzes ohnehin lange umstritten, ob sie überhaupt einen derartigen Anspruch geltend machen können, wenn die Rechtsordnung ihres Herkunftslandes einen solchen Anspruch gar nicht kennt.249 In Bezug auf Unionsbürger steht die Unanwendbarkeit des Art. 16 d. p. c. c. jedenfalls seit 2004250 fest. Hinsichtlich der Nicht-Unionsbürger wurde das gleiche Ergebnis durch verfassungskonforme Auslegung des Art. 16 d. p. c. c. erreicht,251 sodass auch sie iure proprio-Ansprüche geltend machen können, selbst wenn ihr Herkunftsland einen solchen Anspruch nicht vorsieht.
(2) Ausschließliche Berücksichtigung der Qualität der Beziehung zum Verstorbenen durch die Tabelle des Landgerichts Rom Die Tabelle des Landgerichts Rom252 orientiert sich ebenfalls an den von der Mailänder Tabelle verwendeten objektiven Bemessungskriterien, wie dem Verwandtschaftsgrad, dem Alter des Verstorbenen und des Hinterbliebenen, dem Zusammenleben sowie dem Vorhandensein weiterer Angehöriger. Innerhalb dieser Kriterien nimmt die Tabelle des Landgerichts Rom allerdings eine Bewertung nach Punkten vor. 247 Cass. 7.10.2016, n. 20206 (Senegal), in NGCC 2017, I, 145; Cass. 13.11.2014, n. 24201 (Tunesien), in Giur. it. 2015, 1080; Trib. Milano 19.12.2008, n. 12099, in Guida al dir. 2009, 19; Trib. Roma 3.6.2008, in Foro it. 2008, I, 2999; Jayme, IPRax 2018, 230 (232). 248 „Art. 16. Behandlung des Ausländers (1) Der Ausländer genießt unter der Bedingung der Gegenseitigkeit und vorbehaltlich der in Sondergesetzen enthaltenen Bestimmungen die dem Inländer zuerkannten bürgerlichen Rechte. (2) Diese Bestimmung gilt auch für ausländische juristische Personen.“ 249 So auch noch De Pauli in seinem Vortrag „Der deutsche Geschädigte und italienischer Schadenersatz“ auf der 3. ADAC/ACI‑Konferenz in Verona, in Backu, DAR 1999, 495 (496). 250 Corte d’App. Venezia 9.6.2004, in Foro it. 2005, I, 550; deutschsprachige Bespr. von Christandl, ZfRV 2005, 190; i. d. S. auch Trib. Bolzano 27.11.2000, n. 777, in Riv. giur. circ. trasp. 2001, 679, deutschsprrachige Bespr. von Pichler, DAR 2001, 602. 251 Bajons, ZVglRWiss 92 (1993), 76 (105 f.); Cass. 24.2.2010, n. 4484; Cass. 7.5.2009, n. 10504. 252 Abrufbar unter , S. 9 f.
254
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
LANDGERICHT ROM Tabelle zur Bemessung des Nichtvermögensschadens infolg der Tötung eines Angehörigen Der Punktewert für das Jahr 2019 beträgt € 9.806,70 Verwandtschaftsbeziehung zum Verstorbenen*
Punkte
Eltern Kind Großeltern Geschwister Enkel Onkel Cousin Ehegatte Lebensgefährte Gleichgeschlechtlicher Lebenspartner
20 18 6 7 6 6 2 20 20 20
*Die Punkteanzahl kann im Hinblick auf die konkrete Situation und abhängig vom tatsächlichen Vorhandensein einer ernsthaften gefühlsmäßigen Beziehung um bis zur Hälfte gemindert werden oder bei nachgewiesenem Fehlen einer solchen sogar völlig versagt werden. Alter des Opfers
Punkte
0–20 21–40 41–60 61–80 über 80
5 4 3 2 1
Alter des Hinterbliebenen
Punkte
0–20 21–40 41–60 61–80 über 80
5 4 3 2 1
Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft und Zusammensetzung des Familienkerns
Punkte
Zusammenleben des Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen
4
Fehlen von anderen, im selben Haushalt lebenden Angehörigen
3
Fehlen von anderen Familienangehöriger bis zum 2. Verwandtschaftsgrad
Erhöhung der Gesamtpunktezahl um ⅓ bis ½
Fehlendes Zusammenleben
Möglichkeit einer Reduzierung der Gesamtpunktezahl um bis zu ½
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
255
Mit zunehmendem Alter des Verstorbenen und der Angehörigen und entfernterem Verwandtschaftsgrad werden Abschläge bei den Punkten gemacht. Am Ende werden die Punkte addiert und mit dem für 2019 maßgeblichen Punktewert (valore punto) von € 9.806,70 multipliziert. Dabei wird das subjektive Kriterium der Qualität der Beziehung zum Verstorbenen nur über den Verwandtschaftsgrad und das Zusammenleben im selben Haushalt berücksichtigt. Ohne dass es weiterer Nachweise durch die Angehörigen bedarf, wird eine gute Beziehung zum Getöteten vermutet. Lebten der Verstorbene und der Hinterbliebene dagegen nicht in häuslicher Gemeinschaft zusammen, ist sogar eine Reduzierung der Gesamtpunktezahl um bis zu 50 % möglich.
(3) Vergleichende Bewertung: Unterstellung einer guten Beziehung zum Verstorbenen durch die Tabelle des Landgerichts Rom; Erfordernis des Nachweises der Intensität der gefühlsmäßigen Bindung durch die Mailänder Tabelle mit der Folge eines weiteren Ermessensspielraums Wird jemand infolge einer unerlaubten Handlung getötet, so gewährt das italienische Recht den Hinterbliebenen einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihres Nichtvermögensschadens. Zur Bemessung stehen Tabellenwerke zur Verfügung, die im Wesentlichen dieselben Bemessungskriterien enthalten. In gewissem Ausmaß sehen sowohl die Mailänder Tabelle als auch die Römische Tabelle dahingehend einen Automatismus vor, dass bestimmte Angehörige allein aufgrund ihres Verwandtschaftsgrades anspruchsberechtigt sind. Während die Tabelle des Landgerichts Rom ohne weitere Nachweise eine gute Beziehung zum Getöteten unterstellt und den Hinterbliebenen je nach Verwandtschaftsgrad Punkte zumisst, erfordert die Bemessung mit Hilfe der Mailänder Tabelle, dass die Angehörigen die Intensität der gefühlsmäßigen Bindung zum Getöteten nachweisen. Je entfernter der Verwandtschaftsgrad, desto höhere Anforderungen stellt die Rechtsprechung an den Nachweis. Regelmäßig wird es dem Schädiger allerdings nicht gelingen, den Nachweis einer engen gefühlsmäßigen Bindung zum Getöteten zu widerlegen, sofern er das Opfer nicht persönlich kannte. Einerseits räumt die Mailänder Tabelle den Gerichten damit einen größeren Ermessensspielraum ein, andererseits birgt diese Praxis aber auch die Gefahr, dass das Familienleben des Verstorbenen und der Hinterbliebenen im Prozess ausgeforscht wird und vor Gericht „schmutzige Wäsche“ gewaschen wird. In ihren Entscheidungen betonen die Gerichte zwar besonders die Personalisierung und nennen Bemessungskriterien, um die Urteile „kassationsfest“ zu machen, da sie die Bemessungskriterien aber nicht ins Verhältnis zu den ausgesprochenen Beträgen setzen, bleibt die Gewichtung unklar. So weichen die zugesprochenen Beträge meist erheblich voneinander ab.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
bb) Bemessung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland Soweit die Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf den jeweiligen Hinterbliebenen erfüllt sind, hat jeder in vollem Umfang Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld. In vielen Fällen fremdverursachter Tötung wird es deshalb mehrere anspruchsberechtigte Hinterbliebene geben.253 Nach § 844 Abs. 3 S. 1 BGB ist für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Dabei kann das Hinterbliebenengeld ebensowenig „ausgerechnet“ werden, wie das Schmerzensgeld, weil menschliches Leid und finanzielle Ressourcen inkommensurabel sind.254 Zunächst werden daher die in der Literatur diskutierten Kriterien zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes dargestellt (1), bevor auf die mögliche Anspruchshöhe (2) und die Bemessung beim gleichzeitigen Verlust mehrerer nahestehender Personen (3) eingegangen wird.
(1) Orientierung der Bemessung des Hinterbliebenengeldes an der Schmerzensgeldbemessung? Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich richtigerweise um einen Drittschaden, der keine eigene Rechtsgutsverletzung der Hinterbliebenen voraussetzt und deshalb ausdrücklich keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gewährt.255 Teilweise will die Literatur dennoch die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Bemessung des Schmerzensgeldes anwenden und dem Hinterbliebenengeld neben der Ausgleichsfunktion auch eine Genugtuungsfunktion beimessen.256 Nach einem Teil der Literatur dient das Hinterbliebenengeld sogar ausschließlich der Genugtuung der Hinterbliebenen.257 Grundsätzlich sollte aber eine Aufspaltung der Bemessungspraxis von Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld vermieden werden. Abhängig davon, ob dem Hinterbliebenengeld Ausgleichsfunktion (a) und/ oder Genugtuungsfunktion (b) zukommt, kommen unterschiedliche Bemes253
BT‑Drs 18/11397, S. 13. Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Katzenmeier JZ 2017, 869 (872). Müller, VersR 2017, 321 (322); Quaisser, DAR 2017, 688 (689); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (942); Nugel, ZfSch 2018, 72 (74); Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (690); MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; a. A. Steenbuck, r+s 2017, 449 (452): das Hinterbliebenengeld ist ein „Schmerzensgeld für Angehörige“; vor Einführung des Hinterbliebenengeldes so auch Odersky, Schmerzensgeld bei Tötung naher Angehöriger, 1989, S. 21; Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 363 f., 366. 256 Für eine Berücksichtung der Schwere der Schuld unter Bejahung der Genugtuungsfunktion Balke, SVR 2018, 207 (209 ff., 211); Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 234. 257 Müller, VersR 2017, 321 (325); Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (410); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 222 ff.; Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (692). 254 255
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
257
sungskriterien zur Anwendung. Uneinigkeit besteht auch im Hinblick darauf, inwieweit die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten Einfluss auf die Anspruchshöhe haben (c). Ein Mitverschulden des Getöteten wird jedenfalls anspruchsmindernd berücksichtigt (d).
(a) Ausgleichsfunktion Da das Hinterbliebenengeld nur dem Ersatz von Gefühlsschäden i. S. d. danno morale dient und nicht dem Ersatz von Existenzschäden, wird nicht der immaterielle „Wert“, den das Leben des Getöteten für den Hinterbliebenen hatte, entschädigt, sondern nur die schwere Störung des eigenen Gemütszustands des Hinterbliebenen.258 Der Deutsche Anwaltverein schlug im Rahmen seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf vor, sowohl Umstände der Verletzung, wie ein grobes Verschulden des Schädigers, als auch besondere familiäre oder persönliche Verhältnisse der Hinterbliebenen als Bemessungskriterien zu berücksichtigen. So kann die Tötung des einzigen Kindes oder das gänzliche Fehlen anderer nahestehender Personen die Erhöhung der Entschädigungssumme rechtfertigen, wohingegen bei Vorhandensein einer Vielzahl von Hinterbliebenen der geteilte Schmerz leichter zu verkraften ist.259 Nugel schlägt als Bemessungskriterien z. B. den Grad der Verbundenheit, den Grad der Angewiesenheit aufeinander und der Abhängigkeit vom Verstorbenen, die Intensität der gelebten Beziehung (z. B. Häufigkeit und Inhalt der sozialen Kontakte, Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, gemeinsame Unternehmungen wie Reisen),260 die Bedeutung des Verstorbenen für den Hinterbliebenen, den Status als besondere oder einzige Vertrauensperson, gravierende miterlebte Umstände des Versterbens und die persönliche Veranlagung bei der Trauerbewältigung vor.261 Dabei löst nach den Ergebnissen der empirischen Forschung über die Lebenszufriedenheit der Tod eines Ehe- oder Lebenspartners den höchsten psychischen Schmerz aus, gefolgt vom Tod eines Kindes und danach vom Tod eines Elternteils.262 Für viele wird es hingegen nichts Schlimmeres geben, als die eigenen Kinder begraben zu müssen.263 In jedem Fall kommt es auf die Qualität der gelebten sozialen Beziehung an.264 Rund 22 Monate nach Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld finden sich in der Rechtsprechung nun erste veröffentlichte Entscheidung. In 258 259
Schiemann, GesR 2018, 69 (72). Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 5, oben § 5 Fn. 54. 260 Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (691). 261 Nugel, ZfSch 2018, 72 (77). 262 Frey/Ulbrich, AcP 218 (2018), 32 (49). 263 Wagner NJW 2017, 2641 (2645); Huber, JuS 2018, 744 (749). 264 BT‑Drs 18/11397, S. 13, 15.
258
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
vorbildlicher Weise setzte sich das LG Tübingen265 mit der Bemessung des Hinterbliebenengeldes auseinander. Nach dem tödlichen Motorradunfall eines verheirateten 60-jährigen Familienvaters sprach es der Witwe € 12.000,00, den vier Kindern jeweils € 7.500,00 und dem Bruder des Getöteten € 5.000,00 Hinterbliebenengeld zu. Dabei berücksichtigte das Gericht zugunsten der Ehefrau, dass sie über dreißig Jahre mit dem Getöteten verheiratet war. Da der Verstorbene den Großteil des Haushaltseinkommens erwirtschaftete und sich die Ehefrau überwiegend um den Haushalt kümmerte, ergab sich für das Gericht „das Bild einer langjährigen Ehe mit geregelter Aufgabenteilung“, die von gegenseitigem Vertrauen und wohl auch finanzieller Abhängigkeit geprägt war. Anspruchsmindernd berücksichtigte das Gericht dagegen, dass die Ehefrau den tödlichen Unfall nicht selbst miterlebt hatte und die Ehegatten das gemeinsame Hobby Motorradfahren nicht mehr oder kaum noch ausübten, sondern die gemeinsame Familienaktivität nur noch aus Urlaub an der Nordsee bestand.266 Den Anspruch der vier volljährigen Kinder bewertete das Gericht niedriger als den der Ehefrau, da sie nicht so lange mit dem Verstorbenen zusammengelebt hatten wie die Ehefrau und sie mit über 20 Jahren nicht mehr auf die väterliche Fürsorge angewiesen waren. Das Gericht differenzierte jedoch nicht weiter zwischen den Kindern und dem Umstand, dass zwei von ihnen (ein Kind arbeitssuchend, das Andere Student) noch im elterlichen Haushalt lebten. Denn dieser Umstand beruhte nicht auf einem besonderen Näheverhältnis zum Vater, sondern war vielmehr auch finanziell bedingt. Da keines der Kinder im Vergleich zu seinen Geschwistern ein [außerordentlich] besonderes persönliches Näheverhältnis zum Vater hatte, hielt das Gericht auch wegen des „familiären Zusammenhalts“ eine Gleichbehandlung der Geschwister für geboten.267 Für den Bruder des Verstorbenen berücksichtigte das Gericht bei der Bemessung die räumliche Entfernung der Lebensmittelpunkte anspruchsmindernd. Erhöhend wirkte dagegen der Umstand, dass der Bruder mit dem Motorrad hinter dem Getöteten unterwegs war und den tödlichen Unfall unmittelbar miterlebt hatte.268
(b) Genugtuungsfunktion: Berücksichtigung des Verschuldensgrades In der Literatur kontrovers diskutiert wird die Funktion des Hinterbliebenengeldes und die damit zusammenhängende Berücksichtigungsfähigkeit des Grades 265 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 266 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 82 ff.) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 267 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 92 ff.) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 268 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 100 ff.) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19).
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
259
des Verschuldens des Schädigers.269 Im Rahmen von § 253 Abs. 2 BGB wird dem Grad des Verschuldens aufgrund der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes anspruchserhöhend Rechnung getragen. Denn einerseits kann vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten eine verbitternde Wirkung auf den Geschädigten haben und andererseits entspricht es der Billigkeit und Genugtuung, wenn Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit im Rahmen der Bemessung zulasten des Schädigers und leichte Fahrlässigkeit zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.270 Obwohl es sich beim Hinterbliebenengeld um einen Drittschaden und gerade nicht um ein Schmerzensgeld handelt,271 ist Pflüger zuzustimmen, dass bei einigen Bemessungskriterien die Frage, ob sie anspruchserhöhend oder -mindernd zu berücksichtigen sind, für das Hinterbliebenengeld nicht neu beantwortet werden muss. Richtig ist es deshalb den Grad des Verschuldens auch bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes zu berücksichtigen, weil eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Tötung sich auch auf die Hinterbliebenen verbittend auswirken kann.272 Diese Ansicht vertritt auch das LG Tübingen.273 Im Rahmen der Bemessung des Hinterbliebenengeldes berücksichtigte es erhöhend, dass der Schädiger wegen grob fahrlässiger Tötung strafrechtlich verurteilt worden war. Zu seinen Gunsten schlug sich aber unter anderem nieder, dass er sich einsichtig gezeigt hatte, zuvor verkehrs- und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war und ihm zur Auflage gemacht wurde, € 2.000,00 als Wiedergutmachung an die Ehefrau des Getöteten zahlen.274
269 Für eine Berücksichtung der Schwere der Schuld unter Bejahung der Genugtuungsfunktion Balke, SVR 2018, 207 (209 ff., 211); Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 234; für eine Berücksichtung des Verschuldensgrades unter ausschließlicher Annahme der Ausgleichsfunktion Jaeger, VersR 2017, 1041 (1042, 1054); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (947); gegen eine Differenzierung zwischen verschuldensabhängiger Haftung und Gefährdungshaftung und für die Annahme einer Genugtuungs- und Anerkennungsfunktion Müller, VersR 2017, 321 (325); Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (410); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 222 ff.; Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (692); gegen eine Berücksichtung der Schwere der Schuld unter Ablehnung der Genugtuungsfunktion Steenbuck, r+s 2017, 449 (451); für eine Ausgleichs- und Präventionsfunktion dagegen Stahmer, Entschädigung von Nichtvermögensschäden bei Tötung, 2004, S. 364; offen gelassen bei Wagner, NJW 2017, 2641 (2645). 270 Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 74 ff.; zur Genugtuungsfunktion bei vorsätzlichen Rechtsgutsverletzungen BGH, Urt. v. 29.11.1994 – VI ZR 93/94 = NJW 1995, 781. 271 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; a. A. Steenbuck, r+s 2017, 449 (452): das Hinterbliebenengeld ist ein „Schmerzensgeld für Angehörige“. 272 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 233 ff. 273 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 81) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 274 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 84) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19).
260
§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
(c) Berücksichtigungsfähigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten Schiemann deutet den Umstand, dass im Rahmen des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nach dem Gesetzeswortlaut im Gegensatz zu § 253 Abs. 2 BGB keine „billige“, sondern eine „angemessene“ Entschädigung zu leisten ist, als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, nicht „alle Umstände“, wie z. B. die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, bei der Bemessung berücksichtigen zu müssen.275 Obwohl die Vereinigten Großen Senate des BGH erst kürzlich bestätigt haben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten bei der Schmerzensgeldbemessung eine Rolle spielen können, wenn sie dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben,276 sollen die beiderseitigen Vermögensverhältnisse nach Pflüger lediglich eine untergeordnete Bedeutung haben, da auf Seiten des Schädigers regelmäßig eine Haftpflichtversicherung besteht, die von der Rechtsprechung berücksichtigt wird und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers in einem besseren Licht erscheinen lassen.277 Ob dieses Argument angesichts der von Schwab vorgebrachten versicherungsrechtlichen Probleme bei der Kfz-Haftplichtversicherung noch tragbar ist, ist fragwürdig. Demnach können die Versicherer nach derzeitiger Gesetzeslage und gültiger Vertragssituation im Hinblick auf das Hinterbliebenengeld nicht auf Deckung in Anspruch genommen werden. Vielmehr sind die Hinterbliebenen nach Ansicht Schwabs auf die Leistungsfähigkeit des Schädigers und die Kulanz seines Versicherers angewiesen.278
(d) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden Fest steht jedenfalls, dass sich die Hinterbliebenen sowohl ein Mitverschulden des Getöteten nach § 846 BGB als auch eine vom Getöteten zu verantwortende Betriebsgefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen müssen.279 Ein Mitverschulden soll allerdings nicht zu einer „arithmetischen Quotierung“ führen, sondern – wie beim Schmerzensgeld – ein bei der Bemessung zu berücksichtigender Umstand sein.280
275 276
Schiemann, GesR 2018, 69 (72); so auch Jaeger, VersR 2017, 1041 (1054). BGH, Vereinigte Große Senate, Beschl. v. 16.9.2016 – VGS 1/16 = r+s 2017, 101; Schubert, Schmerzensgeld, 2017, S. 5 (19 ff.). 277 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 236. 278 Schwab, DAR 2018, 284 (287). 279 BT‑Drs 18/11397, S. 12. 280 Steenbuck, r+s 2017, 449 (452); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 241; offen gelassen bei Schumann/Nugel, VRR 2018, 4 (5).
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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(2) Deutliches Zurückbleiben der Höhe des Hinterbliebenengeldes hinter den Rahmenwerten der Mailänder Tabelle Der Gesetzgeber hat die konkrete Anspruchshöhe nicht festgelegt, sondern die Bemessung den Gerichten überlassen. Dabei gibt das Gesetz Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes vor (a). Ausgehend von dem Gesetzeszweck haben sich im Schrifttum unterschiedliche Standpunkte zur Höhe des Hinterbliebenengeldes herausgebildet (b) und auch erste Gerichtsentscheidungen liegen bereits vor (c).
(a) Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes als Maßgabe für seine Höhe Das Hinterbliebenengeld dient der Anerkennung des seelischen Leids der Hinterbliebenen. Bewertungen des verlorenen Lebens oder was der Verlust der nahestehenden Person für den Hinterbliebenen bedeutet fließen dagegen nicht in die Bemessung ein. Vor allem dient das Hinterbliebenengeld ausdrücklich nicht dazu, das Leben des Getöteten aufzuwiegen oder zu kompensieren.281 Vielmehr soll der Hinterbliebene mit der Entschädigung in die Lage versetzt werden, seine durch den Verlust verursachte Trauer und sein seelisches Leid zu lindern.282 Die konkrete Anspruchshöhe in das Ermessen der Gerichte zu stellen erzeugt zwar zunächst Rechtsunsicherheit, andererseits macht es regelmäßige Gesetzesanpassungen entbehrlich und schafft Einzelfallgerechtigkeit. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung relativ bald Bemessungskriterien entwickeln wird und sich auch für das Hinterbliebenengeld handhabbare Tabellen entwickeln werden, wie dies beim Schmerzensgeld der Fall ist.283 Bei der Bestimmung der konkreten Anspruchshöhe sind Erwägungen der Angemessenheit zu Grunde zu legen und § 287 ZPO anzuwenden. Eine gewisse Orientierung bei der Bemessung können die Schmerzensgeldhöhe bei Schockschäden und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze geben.284
(b) Meinungsstand des Schrifttums zur Höhe des Hinterbliebenengeldes Ausgehend von dem oben genannten Zweck, die Hinterbliebenen mit der Entschädigung in die Lage zu versetzen, ihr seelisches Leid zu lindern, nimmt die Gesetzesbegründung hinsichtlich der Berechnung des Schadensaufwands auf die durchschnittlichen Beträge von ca. € 10.000,00 Bezug, die derzeit für 281 BT‑Drs 18/11397, S. 14; Steenbuck, r+s 2017, 449 (451); Wagner, NJW 2017, 2641 (2645). 282 BT‑Drs 18/11397, S. 8. 283 Katja Keul, im Plenarprotokoll zur 2. Beratung des Bundestags, Plenarprotokoll 18/234 S. 23804 B. 284 BT‑Drs 18/11397, S. 14.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Schockschäden zugesprochen werden.285 Dabei werden die Gerichte im Rahmen der Bemessung des Hinterbliebenengeldes zu berücksichtigen haben, dass die hierfür ausgesprochenen Summen niedriger sein müssen als die für Schockschäden zugesprochenen Summen, weil das Hinterbliebenengeld gerade keine außergewöhnliche gesundheitliche Beeinträchtigung voraussetzt.286 Deshalb sollte das Hinterbliebenengeld nach Müller, Steenbuck und Balke zumindest unter € 10.000,00 liegen,287 wohingegen Quaisser eine Größenordnung von € 2.500,00 bis € 3.000,00 für realistisch hält288 und Jahnke nur von 20 % eines Schockschaden-Schmerzensgeldes ausgeht.289 Wagner differenziert dagegen nach dem Kreis der Anspruchsberechtigten. Hinsichtlich des in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten privilegierten Personenkreises spricht er sich für ein Hinterbliebenengeld in Höhe von mindestens € 10.000,00 bis € 20.000,00 aus, wohingegen er außerhalb dieses Kernbereichs geringere Beträge von € 5.000,00 bis € 10.000,00 für angemessen hält.290 Ebenfalls von einer Gruppenbildung ausgehend nimmt Bredemeyer einen Betrag von € 3.000,00 bis € 20.000,00 an.291 Auch Katzenmeier292 geht unter Bezugnahme auf die von der Literatur diskutierten Beträge im Rahmen des „Angehörigenschmerzensgeldes“293 von € 5.000,00 bis € 15.000,00 aus und Walter hält zunächst Entschädigungsvorstellungen zwischen € 10.000,00 und € 12.000,00 für realistisch.294 Jaeger weist jedoch darauf hin, dass das derzeit für Schockschäden zugesprochene Schmerzensgeld € 5.000,00 bis € 10.000,00 nicht erreiche und folgert aus diesem Widerspruch, dass es nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sei, dass das Hinterbliebenengeld hinter den Beträgen für Schockschäden zurückbleibe. Vielmehr solle nach seiner Ansicht als Hinterbliebenengeld „bis zu € 10.000,00 und mehr“ gezahlt werden.295 Dagegen spricht allerdings, dass die 285
BT‑Drs 18/11397, S. 11. 18/11397, S. 14; vgl. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 3 f., oben § 5 Fn. 54; Müller, VersR 2017, 321 (324); Jaeger, VersR 2017, 1041 (1053 f.); Bischoff, MDR 2017, 739 (741); Katzenmeier, JZ 2017, 869 (876); Quaisser, DAR 2017, 688 (691). 287 Müller, VersR 2017, 321 (324); Steenbuck, r+s 2017, 449 (452), Balke, SVR 2018, 207 (210). 288 Quaisser, DAR 2017, 688 (691). 289 BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 229. 290 Wagner, NJW 2017, 2641 (2645). 291 Bredemeyer, ZEV 2017, 690 (692). 292 Kaztenmeier, JZ 2017, 869 (876). 293 Wagner, Angehörigenschmerzensgeld, in Festschr. Stürner, 2013, S. 231 (246) und Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18 (21): € 5.000,00–15.000,00; Kuhn, SVR 2012, 288 (290): € 10.000,00–15.000,00; Huber, NZV 2012, 5 (9) und Höke, NZV 2014, 1 (4): € 15.000,00; Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (563): € 30.000,00–50.000,00; Wenter, ZfSch 2012, 243 (248): mind. € 100.000,00. 294 Walter, MedR 2018, 213 (217). 295 Jaeger, VersR 2017, 1041 (1055 f.). 286 BT‑Drs
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von der SPD‑Fraktion zur Diskussion gestellte Größenordnung von € 30.000,00 bis € 60.000,00 in der Gesetzesbegründung nicht mehrheitsfähig war.296 Ob ein Betrag von etwa € 10.000,00 die Hinterbliebenen in die Lage versetzen kann, ihre durch den Verlust verursachte Trauer zu lindern,297 ist allerdings fraglich.298 Wenter kritisierte, dass es für Angehörige schwer nachvollziehbar sei, wenn ihnen für den Verlust ihres Sohnes ein Betrag zugesprochen würde, der unter dem Kaufpreis eines Kleinwagens liege und hielt vielmehr einen Mindestbetrag von € 100.000,00 für angemessen.299 Angesichts des Gesetzeszwecks, die Hinterbliebenen mit der Entschädigung in die Lage zu versetzen, ihr seelisches Leid zu lindern, warf Müller die Frage auf, ob die Höhe des Hinterbliebenengeldes von den Vermögensverhältnissen der Hinterbliebenen abhängig sei mit der Folge, dass für einen wohlhabenden Hinterbliebenen eine höhere Entschädigung angemessen sei als für einen weniger wohlhabenden Hinterbliebenen.300 Da eine solche Differenzierung jedoch inakzeptabel ist, kann beim Hinterbliebenengeld insoweit nur die Anerkennungsfunktion maßgeblich sein.301 Mit Blick in die Nachbarstaaten verweisen Frank und Huber darauf, dass ein Hinterbliebenengeld von ca. € 10.000,00, wie es in Österreich, der Schweiz und Frankreich zugesprochen wird, eine übliche Größenordnung bzw. die „absolute Untergrenze“ bilden könne.302
(c) Erste Gerichtsentscheidungen zum Hinterbliebenengeld Obwohl das Gesetz seit 22.7.2017 einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt, existieren in der Rechtsprechung bisher nur sehr wenige, meist unveröffentlichte zivilrechtliche Entscheidungen sowie solche, die im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens ergangenen sind: So sprach das LG Rottweil am 26.6.2018303 den Angehörigen von drei Mordopfern in einem Strafprozess Hinterbliebenengeld zwischen jeweils € 10.000,00 bis € 30.000,00 zu. In einem weiteren Strafprozess gewährte das LG Darmstadt am 27.2.2019304 der 23-jäh296
Fechner, DRiZ 2017, 84 (85). BT‑Drs 18/11397, S. 8. Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (40); Müller, VersR 2017, 321 (325). 299 Wenter, ZfSch 2012, 243 (248). 300 Müller, VersR 2017, 321 (325). 301 Jaeger, VersR 2017, 1041 (1054); Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 235 ff. m. w. N.; Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 4, oben § 5 Fn. 54. 302 Frank, FamRZ 2017, 1640 (1642 f.); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (951 ff.). 303 . 304 . 297 298
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
rigen Tochter, deren Vater die Mutter getötet hatte, ein Hinterbliebenengeld in Höhe von € 20.000,00. Ebenfalls in einem Strafprozess sprach das LG Osnabrück dem Vater, dessen Sohn Opfer eines Raub-Mordes war, ein Hinterbliebenengeld in Höhe von € 2.000,00 zu,305 was der BGH ohne Ausführungen billigte.306 Das LG Wiesbaden hat dagegen in einem Hinweisbeschluss € 10.000,00 als Obergrenze eines Hinterbliebenengeldes genannt.307 Im Fall einer überfahrenen Fußgängerin hielt das LG München II308 dagegen € 5.000,00 Hinterbliebenengeld für den 48-jährigen Sohn und € 3.000,00 für die Schwiegertochter für angemessen. Besonders hervorzuheben ist allerdings die Entscheidung des LG Tübingen,309 das sich in vorbildlicher Weise mit der Bemessung des Hinterbliebenengeldes auseinandersetzte. Nach dem tödlichen Motorradunfall eines verheirateten 60-jährigen Familienvaters hielt es für die Witwe ein Hinterbliebenengeld von € 12.000,00 (anstatt der geforderten € 5.000,00) für angemessen. Das Gericht erkannte, dass dieser Betrag zwar im internationalen Vergleich im „unteren, aber noch vertretbaren Bereich“ liegt, sich aber in die Rechtsprechung zum Schockschaden einfügt und den Vorstellungen des Gesetzgebers zum Hinterbliebenengeld gerecht wird.310 Den vier Kindern sprach das Gericht jeweils € 7.500,00 und dem Bruder des Getöteten € 5.000,00 zu (für Einzelheiten zur Bemessung s. o. § 5 I. 5.a)bb)(1)(a), S. 257 f.).
(3) Vornahme einer Gesamtbetrachtung bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes für den Verlust mehrerer Angehöriger? Erfährt der Hinterbliebene durch ein Ereignis den Tod mehrerer nahestehender Personen, z. B. wenn alle Kinder bei einem Verkehrsunfall sterben,311 so soll nach Burmann/Jahnke wie beim Schockschaden (s. u. § 5 I. 5.b)bb)(2), S. 274) eine Gesamtbetrachtung vorgenommen und das Hinterbliebenengeld einheitlich im Rahmen eines einzigen Anspruchs bemessen werden.312 Eine derartige Einschränkung ist dem Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB jedoch nicht zu entnehmen. Bei Bejahung eines eigenen Anspruchs für jeden Todesfall gibt Nugel allerdings zu bedenken, dass der Anspruchsberechtigte bei reiner 305 306
LG Osnabrück, Urt. v. 9.1.2019 – 3 KLs 4/18 – juris. BGH, Beschl. v. 9.1.2019 – 3 StR 529/18 – juris. 307 LG Wiesbaden – 3 O 219/18 – zitiert nach Müller, ZfSch 2019, 304 (309) Fn. 43. 308 LG München II, Urt. v. 17.5.2019 – 12 O 4540/18 – juris (Rn. 36 f.). 309 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 310 LG Tübingen, Urt. v. 17.5.2019 – 3 O 108/18 – juris (Rn. 87) (nicht rechtskräftig – Berufung anhängig beim OLG Stuttgart – 10 U 225/19). 311 OLG Nürnberg NZV 1996, 367. 312 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 (407); BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB, § 844 Rn. 187, so auch Balke, SVR 2018, 207 (210).
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Addition einen gleich hohen oder sogar höheren Ersatzanspruch haben könnte, als ihm beim Schockschaden infolge des Todes mehrerer Personen zustünde.313 Überzeugend erscheint allerdings, dass es keinen Unterschied machen kann, ob Eltern zwei Kinder in zeitlichem Abstand aufgrund zwei verschiedener Ereignisse verlieren oder zeitgleich aufgrund eines einzigen Ereignisses,314 zumal das seelische Leid beim gleichzeitigen Verlust konzentriert und darum regelmäßig größer sein wird. Bei zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Todesfällen wird das Gericht bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes beim ersten Todesfall berücksichtigen, dass zumindest noch ein weiteres Kind vorhanden ist, das Trost spendet, wohingegen der spätere Tod dieses letzten Kindes wiederum anspruchserhöhend berücksichtigt werden müsste, weil die Eltern nun über gar keine Nachkommen mehr verfügen (zu den Bemessungskriterien s. o. § 5 I. 5.a) bb)(1)(a), S. 257). Überdies kann auch beim gleichzeitigen Verlust mehrerer Angehöriger nicht davon ausgegangen werden, dass der Hinterbliebene zu allen ein inniges Verhältnis hatte und ihren Verlust gleichermaßen betrauert. Dies müsste zumindest auch bei einer Gesamtbetrachtung im Rahmen der Bemessung berücksichtigt und vom Gericht dezidiert begründet werden.
cc) Rechtsvergleichende Bewertung: Tendenz zur Berücksichtigung des Existenzschadens als Bemessungskriterium im Rahmen des Hinterbliebenengeldes in Deutschland (1) Bemessungssysteme: Uneingeschränkte Ermessensentscheidung in Deutschland im Gegensatz zur Bemessung mittels landgerichtlicher Tabellenwerke in Italien Sowohl die italienische als mittlerweile auch die deutsche Rechtsordnung gewähren den Hinterbliebenen Ersatz des immateriellen Schadens, den sie infolge der Tötung einer nahestehenden Person erleiden. Dabei ist die Anspruchshöhe in beiden Rechtsordnungen nicht gesetzlich geregelt. Vielmehr steht die Bemessung des immateriellen Schadens der Hinterbliebenen in beiden Ländern im Ermessen der Gerichte. Während deutsche Gerichte das Hinterbliebenengeld nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bemessen und sich angesichts des erst kürzlichen Inkrafttretens des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gerade eine Spruchpraxis in Bezug auf Bemessungskriterien und Anspruchshöhe herausbildet, dienen in Italien landgerichtliche Tabellenwerke als Orientierungshilfe bei der Schadensbemessung. Dabei gibt die landesweit 313 Nugel, ZfSch 2018, 72 (77), der auf den entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers verweist. 314 Wagner, NJW 2017, 2641 (2646).
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maßgebende Mailänder Tabelle nur Rahmenbeträge vor, weist jedoch keinen garantierten Mindestbetrag aus. Innerhalb dieser Rahmenbeträge haben italienische Gerichte unter Würdigung aller Umstände des Falles eine Personalisierung vorzunehmen, um die konkrete Schadenssumme für jeden Hinterbliebenen individuell zu bemessen. Somit zeigt die Mailänder Tabelle 2018 eindrucksvoll, dass durch die Vorgabe von Rahmenbeträgen in Kombination mit einer ausreichenden Möglichkeit der Gerichte zur Ermessensausübung ein ausgewogener Ausgleich zwischen Rechtsicherheit und Einheitlichkeit der Entscheidungen einerseits und einer angemessenen Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles andererseits geschaffen werden kann. Da dem deutschen Recht die Vorgabe von Rahmenbeträgen bei der Schmerzensgeldbemessung allerdings fremd ist und mit der Nennung von Rahmenbeträgen stets eine gewisse Erwartungshaltung der Geschädigten verbunden ist, ist die Einführung einer derartigen Tabelle in Deutschland nicht zu erwarten.
(2) Vergleichbare Bemessungskriterien in beiden Rechtsordnungen trotz unterschiedlicher Funktion des Hinterbliebenengeldes und des italienischen iure proprio-Anspruchs In beiden Rechtsordnungen ist die Feststellung der konkreten Schadenssumme in das billige Ermessen der Gerichte gestellt. Obwohl sich in Deutschland gerade eine Spruchpraxis herausbildet, ähneln die von der Literatur und dem Deutschen Anwaltverein vorgeschlagenen Bemessungskriterien bereits jetzt den von italienischen Gerichten verwendeten Kriterien. Während die in Italien zugesprochenen Entschädigungsbeträge dem Verlust einer nahestehenden Person sowohl unter dem Aspekt des Gefühlsschadens (danno morale) als auch der damit einhergehenden Nachteile existenzieller Art (danno esistenziale) Rechnung tragen, dient das deutsche Hinterbliebenengeld ausschließlich der Anerkennung des seelischen Leids der Hinterbliebenen und soll nur den Gefühlsschaden i. S. d. danno morale ersetzen. Nachteile existenzieller Art, also was der Verlust der nahestehenden Person für den Hinterbliebenen bedeutet, soll das Hinterbliebenengeld ausweislich der Gesetzesbegründung dagegen nicht ausgleichen. Nichtsdestotrotz tragen die vom Deutschen Anwaltverein und Nugel vorgeschlagenen Kriterien zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes auch den Nachteilen existenzieller Art Rechnung. Sie berücksichtigen nicht nur die Umstände der unerlaubten Handlung, sondern auch die Bedeutung des Verstorbenen für den Hinterbliebenen, wie z. B. die Tötung des einzigen Kindes, das gänzliche Fehlen anderer nahestehender Personen oder den Grad der Angewiesenheit aufeinander. Diese Bemessungskriterien dienen nicht nur zur Bemessung der vorübergehenden Trauer, sondern berücksichtigen auch, dass der Verlust
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der nahestehenden Person künftig zu einer radikalen Veränderung der Lebensgewohnheiten des Hinterbliebenen führt. Insofern kann die wertvolle Vorarbeit der italienischen Gerichte bei der Erarbeitung von Bemessungskriterien durchaus auch zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes herangezogen werden. In beiden Rechtsordnungen sollen nach überzeugender Ansicht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Bemessung unberücksichtigt bleiben. Fraglich ist allerdings, wie sich das angesichts der mittlerweile in Italien anerkannten Straffunktion des Nichtvermögensschadens und dem Umstand, dass das Hinterbliebenengeld in Deutschland unter Umständen nicht von der Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt ist, künftig entwickeln wird.
(3) Rückschlüsse vom Verwandtschaftsverhältnis auf die mögliche Anspruchshöhe im italienischen Recht Obwohl die Mailänder Tabelle keinen garantierten Mindestbetrag vorgibt, orientiert sie sich hinsichtlich der möglichen Anspruchshöhe an weitgehend formal-objektiven Kriterien, wie dem konkreten Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen, für das sie abhängig vom Verwandtschaftsgrad bestimmte Rahmenbeträge nennt. Im deutschen Recht ist das Verwandtschaftsverhältnis zwar nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB ein Indiz für das Bestehen eines besonderen Näheverhältnisses, es lässt für sich genommen aber keine Rückschlüsse auf die Anspruchshöhe zu.315 Vielmehr entscheiden deutsche Gerichte über die Höhe des Hinterbliebenengeldes nach § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Die Mailänder Tabelle zeigt daher eindrucksvoll, wie – abhängig vom Verwandtschaftsgrad – durch die Vorgabe unverbindlicher Rahmenbeträge einerseits Rechtssicherheit geschaffen werden kann und andererseits den Gerichten im Rahmen der Personalisierung innerhalb der Rahmenbeträge noch ausreichend Ermessen eingeräumt wird, um den Umständen des Einzelfalles gebührend Rechnung zu tragen. Insofern kann die Mailänder Tabelle dem deutschen Recht durchaus als Vorbild dienen.
(4) Anspruchshöhe: Höheres Entschädigungsniveau in Italien Auffällig ist, dass beide hier untersuchten italienischen Tabellenwerke Entschädigungsbeträge vorsehen, die den in Deutschland diskutieren Betrag von etwa € 10.000,00 pro Hinterbliebenem um ein Vielfaches übersteigen. Angesichts des in Italien generell hohen Entschädigungsniveaus bei immateriellen Schäden316 und dem Umstand, dass der Schaden aufgrund des Verlusts einer ge315 316
Frank, FamRZ 2017, 1640 (1643). Vismara, PHi 2013, 138 ff.; vgl. auch Statistik der IVASS, abrufbar unter .
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fühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) auch Nachteile existenzieller Art umfasst, ist dieses Ergebnis nicht überraschend. Die in Deutschland in diesem Zusammenhang seit jeher vorherrschende Zurückhaltung ist dagegen nicht nachvollziehbar. Vor allem das vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft317 bemühte Argument, dass höhere Entschädigungssummen für immaterielle Schäden von Hinterbliebenen die Kosten für die Versichertengemeinschaft in die Höhe treiben würden, überzeugt nicht.318 Die Kosten des Hinterbliebenengeldes werden laut Gesetzesbegründung auf ca. € 240 Mio. pro Jahr geschätzt.319 Diese Schätzung kann jedoch zum einen aufgrund einer tatsächlich wohl geringeren Anzahl von Haftungsfällen nach unten korrigiert werden,320 zum anderen zeigen Erfahrungen aus dem Ausland, wie z. B. Österreich und der Schweiz, dass ein Hinterbliebenengeld bei den Prämien kaum Kostensteigerungen zur Folge hat.321 Da Hinterbliebenen in vielen Ländern Europas bereits vor Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Deutschland ein eigener Anspruch gewährt wurde, waren derartige Zahlungen im Hiblick auf Verkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug schon vorher fester Kalkulationsbestandteil der deutschen Versicherungswirtschaft.322 Aufgrund des überragenden Wertes, den die deutsche Rechtsordnung dem menschlichen Leben, der Gesundheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit beimisst, überzeugt es deshalb nicht, dass im Bereich von Sachschäden z. B. Schönheitsreparaturen ersatzfähig sind, wohingegen die für den Verlust einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung zugesprochenen Beträge nur den Wert eines Kleinwagens erreichen.323 Bedenkt man, wie schwerwiegend sich das Leben der Hinterbliebenen durch den Verlust der nahestenden Person verändert, ist es vorzugswürdig auch Nachteile existenzieller Art zu entschädigen und einen dementsprechend höheren Betrag zuzusprechen.
(5) Gleichzeitiger Tod mehrerer nahestehender Personen Ein Teil der deutschen Literatur möchte für den Fall, dass ein Ereignis zum Tod mehrerer nahestehender Personen führt, eine Gesamtbetrachtung vornehmen und das Hinterbliebenengeld nicht addieren, sondern einheitlich im Rahmen eines einzigen Anspruchs bemessen. Demgegenüber lassen sich der ita317 Stellungnahme des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld des BMJV vom 23.12.2016, S. 4 f., 6, abrufbar unter . 318 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (40). 319 BT‑Drs 18/11397, S. 11. 320 Peiffer, PHi 2018, 42 (48 f.). 321 Werwigk, in: Schultzky, VersR 2011, 857 (860). 322 Merk, DRiZ 2012, 118 (119). 323 Gsell, JbItalR 24 (2011), 29 (40).
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lienischen Rechtsprechung keine Belege für ein solches Vorgehen entnehmen und auch die Mailänder Tabelle, die abhängig vom Verwandtschaftsgrad unterschiedliche Rahmenbeträge vorgibt, deutet eher auf eine gesonderte Bemessung als eine Gesamtbetrachtung hin.
(6) Behandlung von Mitverschulden In beiden Rechtsordnungen müssen sich die Hinterbliebenen ein mitwirkendes Verschulden des Getöteten anspruchsmindernd anrechnen lassen. Im deutschen Recht soll ein Mitverschulden bereits bei der Bemessung anspruchsmindernd berücksichtigt werden, wohingegen ein Mitverschulden in Italien zu einer Kürzung des Entschädigungsbetrags um die Mitverschuldensquote führt.
b) Bemessung psychischer Gesundheitsschäden (Schockschäden) von Hinterbliebenen Im Folgenden wird zunächst die Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) und sein Verhältnis zum Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) dargestellt (aa). Danach werden die Grundsätze zur Bemessung des deutschen Schockschadens untersucht (bb) und schließlich beide Bemessungssysteme in einer rechtsvergleichenden Bewertung gegenübergestellt (cc).
aa) In jüngerer Zeit kumulative Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) und des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) im italienischen Recht Obwohl sich die Vereinigten Zivilsenate in den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008 für den einheitlichen Charakter des Nichtvermögensschadens ausgesprochen hatten (1), ist in jüngster Zeit eine kumulative Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) neben dem Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) festzustellen (2). Dabei wird der danno biologico psichico der Hinterbliebenen – abhängig von der Ursache für die Tötung des Primäropfers – entweder mit Hilfe der Mailänder Tabelle zur Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) oder des Art. 139 ital. VersGB bemessen (3).
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(1) Bestätigung der einheitlichen Bemessung des Nichtvermögensschadens nach den sog. „San Martino“-Urteilen der Vereinigten Senate des Kassationshofes von 2008 Der Tod einer nahestehenden Person kann bei den Hinterbliebenen auch zu einem echten, eigenen Gesundheitsschaden führen.324 Die Vereinigten Zivilsenate hatten sich in den sog. „San Martino“-Urteilen vom 11.11.2008325 jedoch für den einheitlichen und allumfassenden Charakter des Nichtvermögensschadens ausgesprochen. Demzufolge muss das Gericht dem Umstand, dass ein Hinterbliebener zusätzlich zum Verlust der gefühlsmäßigen Nähebeziehung auch einen eigenen psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) erlitten hat, bei seiner Entscheidung innerhalb der tabellarischen Rahmenwerte Rechnung tragen.
(2) In jüngster Zeit Feststellung einer kumulativen Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) neben dem Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn) Bereits kurz nach der Grundsatzentscheidung der Vereinigten Zivilsenate wichen einige Landgerichte von dieser Vorgabe ab und bemaßen den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) kumulativ zum Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale im engeren Sinn).326 Auch die jüngere Rechtsprechung vertritt die Ansicht, dass die Rahmenwerte der Tabellen zur Bemessung des Nichtvermögensschadens wegen der Tötung eines nahen Angehörigen nur Gefühlsschäden (danni morali) und die sich aus dem Verlust des Angehörigen ergebenden nachteiligen Folgen existenzieller Art umfassen, wenn der Hinterbliebene in seinem Alltag fortan auf den Verstorbenen verzichten muss.327 Der psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) sei dagegen nicht von den Rahmenwerten der Mailänder Tabelle umfasst. Vielmehr sollte er demnach gesondert bemessen werden, um zu verhindern, dass dieser Aspekt des Schadens ersatzlos bleibt, und um angemessen zu berücksichtigen, dass der Verlust eines Angehörigen nicht in jedem Fall auch zu einer eigenen Gesundheitsverletzung der Hinterbliebenen führt.328 Insbesondere dürfe nicht auto324 Toppetti, Il danno psichico e la prova nel processo, 2016, S. 77 f.; dies., Come dimostrare il danno psichico, 2014, S. 77 ff.; Cass. 28.11.2008, n. 28423; Cass. 3.2.2011, n. 2557, in NGCC 2011, I, 656; Cass. 8.5.2015, n. 9320. 325 Cass. S. U. 11.11.2008, n. 26972–26975. 326 Balbusso, in NGCC 2010, II, 403 (413) m. w. N. aus der Rspr. 327 Trib. Rovereto 10.2.2014, abrufbar unter . 328 Cass. 19.10.2015, n. 21084.
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matisch, wenn ein danno biologico psichico vorliegt, der Höchstbetrag der Mailänder Tabelle zur Bemessung des Nichtvermögensschadens wegen der Tötung einer nahestehenden Person herangezogen werden. Vielmehr erfolgt die Bemessung des Schadens infolge der Zerstörung der Verwandtschaftsbeziehung unabhängig vom danno biologico psichico des Hinterbliebenen entsprechend den Bemessungskriterien der Tabellen. Die gesonderte Bemessung des danno biologico psichico kann somit dazu führen, dass der Höchstbetrag der Mailänder Tabelle sogar überschritten wird.329 Der gesonderten Bemessung des danno biologico psichico steht auch nicht der in den sog. „San Martino“-Urteilen entwickelte Grundsatz entgegen, wonach der Nichtvermögensschaden einheitlich zu bemessen sei. Denn dieser Grundsatz gilt nur, wenn die Einbuße (perdita)330 an gleichartigen Rechtsgütern eingetreten ist, wie der Gesundheit. Bei der Körper- oder Gesundheitsverletzung wird der Gesundheitsschaden (danno biologico) einheitlich bemessen und es findet keine zusätzliche Bemessung der Verletzung des äußeren Erscheinungsbildes (danno estetico) und des Schadens am Beziehungsleben (danno alla vita di relazione) statt. Denn derselbe Schaden darf nicht unter Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen doppelt ersetzt werden. Das ist aber gerade nicht der Fall, wenn die unerlaubte Handlung zu Einbußen an verschiedenen Rechtsgütern, wie der Gesundheit (Art. 32 Cost.) und dem Familienband (Art. 2 i. V. m. Art. 29, 30 Cost.) geführt hat, selbst wenn diese Einbußen jeweils nichtvermögensrechtlicher Art sind. Es kommt also maßgeblich darauf an, an welchem Rechtsgut die Einbuße eingetreten ist und nicht auf deren nichtvermögensrechtlichen Charakter.331
(3) Bemessung des psychischen Gesundheitsschadens der Hinterbliebenen abängig von der Ursache für die Tötung des Primäropfers Diese Ansicht bemisst den medizinisch festgestellten psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) der Hinterbliebenen in vorübergehenden oder dauerhaften Invaliditätspunkten, wobei hinsichtlich des anwendbaren Tabellensystems (Art. 139 ital. VersGB oder Mailänder Tabelle) nach der Schadensursache für die Tötung des Primäropfers (Verkehrsunfall oder anderweitige unerlaubte Handlung) differenziert wird. 329 Trib. Rovereto 10.2.2014, abrufbar unter . 330 Die Einbuße ist nicht identisch mit dem verletzten Recht, sondern
stellt die Folge der Verletzung dar. Der ersatzfähige Schaden ist der durch die Rechtsgutsverletzung hervorgerufene Verlust. Das bedeutet einerseits, dass der Schaden für sich genommen nicht mit der reinen Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen ist, sondern zu einem konkreten Nachteil führen muss. Anderseits bedeutet das, dass die Verletzung eines einzigen Rechtsgutes zu verschiedenen Nachteilen führen kann; Cass. 8.5.2015, n. 9320. 331 Cass. 8.5.2015, n. 9320; ebenfalls auf die unterschiedlichen Rechtsgüter abstellend Trib. Brindisi 26.10.2012, abrufbar unter .
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Wurde der Angehörige bei einem Verkehrsunfall getötet, so wird der danno biologico psichico der Hinterbliebenen nach Art. 139, 138 ital. VersGB bemessen.332 Das heißt, bei einem leichten Invaliditätsgrad von 1–9 % erfolgt die Bemessung nach Art. 139 ital. VersGB und bei einem Invaliditätsgrad von 10– 100 % ist die Mailänder Tabelle maßgebend, solange keine staatliche Tabelle im Sinne von Art. 138 ital. VersGB existiert (s. o. § 3 III.1.d)cc), S. 141). Bei anderen Schadensursachen erfolgt die Bemessung nach der Mailänder Tabelle.333 Dabei muss das Gericht in seiner Begründung das Alter des Schockgeschädigten angeben, den Prozentsatz der dauerhaften Invaliditätspunkte, den Basiswert des Nichtvermögensschadens (Punto base danno non patrimoniale), der z. B. bei einem 43-jährigen Hinterbliebenen mit dauerhaftem Invaliditätssatz von 35 % nach der Mailänder Tabelle 2018 bei € 7.136,55 liegen kann, sowie die Gründe aufgrund derer das Gericht von den Maßgaben des Durchschnittsfalls abweicht oder nicht.334 In Bezug auf die vorübergehende Invalidität hat das Gericht bei der Bemessung den konkreten Tagessatz (€ 98,00–€ 147,00) und die Anzahl der Tage der vollständigen und teilweisen vorübergehenden Invalidität (z. B. 75 %, 50 % u. s. w.) anzugeben. Die gesonderte Bemessung führt somit – abhängig vom Alter des Hinterbliebenen und dem Grad der dauerhaften Invalidität – dazu, dass neben den Tabellenbeträgen für den Schaden aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) (s. o. § 5 I. 5.a)aa)(1), S. 249 ff.) ein zusätzlicher Betrag zur Entschädigung des Gesundheitsschadens zugesprochen wird. Dieser kann in Extremfällen wie dem des Landgerichts Bologna Nr. 615 vom 19.2.2015 bei einer 35 %-igen Dauerinvalidität eines 43-jährigen Hinterbliebenen nach der Mailänder Tabelle 2014 sogar € 230.000,00 (vor Personalisierung € 194.984,00) betragen,335 wobei eine derart starke gesundheitliche Beeinträchtigung äußerst selten sein wird und sich hier tatsächlich der Verdacht aufdrängt, dass der medizinische Fachgutachter bzw. Gerichtsarzt (medico legale) zu leichtfertig eine derart hohe Dauerinvalidität angenommen hat. Bei einer Dauerinvalidität von 5 % wird sich der Betrag – abhängig vom Alter – daher regelmäßig auf € 4.000,00 bis € 5.000,00 belaufen.336
332
Trib. Rovereto 10.2.2014, abrufbar unter . So z. B. Trib. Bologna 19.2.2015, n. 615, abrufbar unter , wo der bahnreisende Angehörige durch einen Steinschlag getötet wurde. 334 Cass. 8.5.2015, n. 9320. 335 Trib. Bologna 19.2.2015, n. 615; Trib. Rovereto 10.2.2014, beides abrufbar unter . 336 Trib. Rovereto 10.2.2014, abrufbar unter . 333
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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bb) Bemessung von Schockschäden in Deutschland und das Aufgehen des Hinterbliebenengeldes im Schockschaden-Schmerzensgeld Sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht erfüllt, z. B. weil die nahestehende Person schwer verletzt überlebt hat oder ein Fall der Vertragshaftung vorliegt, gewährt das deutsche Recht den Angehörigen eines Getöteten oder Schwerverletzten nach wie vor nur einen eigenen Anspruch unter den strengeren Voraussetzungen des Schockschadens. Dieser Anspruch geht über den des Hinterbliebenengeldes hinaus und umfasst sowohl materielle Schäden, wie z. B. Behandlungskosten, als auch immaterielle Schäden nach § 253 Abs. 2 BGB.337 Allerdings werden das seelische Leid und die Niedergeschlagenheit der Hinterbliebenen im Rahmen der Bemessung von Schockschäden nicht berücksichtigt (1) und auch hinsichtlich der Höhe des Schockschaden-Schmerzensgeldes sind deutsche Gerichte zurückhaltend (2), wobei sich Angehörige auch hier ein Mitverschulden anspruchsmindernd anrechnen lassen müssen (3). Liegen die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes und des Schockschadens vor, so geht das Hinterbliebenengeld im Schockschaden auf (4), obwohl der Deutsche Anwaltverein bereits jetzt ein umgekehrtes Verhältnis empfiehlt (5).
(1) Keine Berücksichtigungsfähigkeit von seelischem Leid und Niedergeschlagenheit der Hinterbliebenen im Rahmen der Bemessung von Schockschäden Bei der Schmerzensgeldbemessung von Schockschäden ist einerseits zwischen dem seelischen Leid zu differenzieren, das dem Schock voranging bzw. ihn begleitete und dem immateriellen Schaden andererseits, der sich erst als Folge des Schocks entwickelte. Nur Letzterer wird im Rahmen von § 253 Abs. 2 BGB berücksichtigt. Es werden also nur solche Schmerzen entschädigt, die adäquate Folge der eigenen pathologischen Gesundheitsverletzung des Schockgeschädigten sind. Den Angehörigen wird folglich kein Schmerzensgeld wegen ihres Schmerzes über den Tod einer nahestehenden Person gewährt, sondern ausschließlich aufgrund der körperlichen und seelischen Leiden, die sich aus ihrer eigenen Gesundheitsschädigung ergeben.338 Es wird also danach differenziert, ob der seelische Schmerz Ursache des Schocks war oder ob sich der Schmerz erst als adäquate Folge dieses Schocks entwickelte, wobei nur der Letztgenannte ersatzfähig ist.339 337
Walter, MedR 2018, 213 (217). Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, 1960, S. 25; Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 86 f.; Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 30 ff. 339 Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 24; Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 87. 338
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Dies führt in der Praxis häufig zu Abgrenzungsschwierigkeiten, da nicht immer trennscharf zwischen dem nicht ersatzfähigen seelischen Schmerz als Auslöser der Gesundheitsverletzung und dem ersatzfähigen seelischen Schmerz infolge der Gesundheitsverletzung differenziert werden kann.340
(2) Zurückhaltung der Gerichte hinsichtlich der Höhe von Schockschaden-Schmerzensgeldern Um nur die durch den Schock selbst hervorgerufenen seelischen Schmerzen zu berücksichtigen und kein verdecktes Trauerschmerzensgeld zu gewähren wurde das Schmerzensgeld für Schockschäden bis zum 22.7.2017 sehr niedrig bemessen.341 So lagen die Schmerzensgelder für Schockschäden zwischen 1980 und 2000 in der Regel unter 10.000,00 DM.342 In einem sehr tragischen Fall, in dem der Vater den Unfalltod seines jüngsten Sohnes miterlebte und daraufhin an schweren Depression mit latenter Suizidgefahr litt, sprach das LG Verden 1988 ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 DM zu.343 Besonders hervorzuheben ist auch das Urteil des OLG Nürnberg vom 1.8.1995.344 Infolge eines grob schuldhaften Verhaltens des Unfallverursachers hatten die Eltern alle drei Kinder im Alter zwischen 18 und 20 Jahren auf einmal verloren und litten fortan an schwersten Depressionen, die sich beim Vater zu gravierenden Aktualneurosen entwickelten und letztlich zur Berufsunfähigkeit führten. Das OLG billigte „gerade noch“ die vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge in Höhe von 30.000,00 DM für die Mutter und 60.000,00 DM für den Vater. Angesichts der damals zurückhaltenden Spruchpraxis ist nicht von der Hand zu weisen, wenn einige Autoren in diesen hohen Schmerzensgeldbeträgen zugleich eine stillschweigende Abgeltung des – damals nicht ersatzfähigen – Schmerzes über den Verlust aller drei Kinder und damit ein verdecktes Trauerschmerzensgeld erkannten.345 Obwohl die von den Angehörigen erlittenen Belastungen größer sind, als diejenigen von Prominenten bei Persönlichkeitsverletzungen durch Pressever-
340 Stoll, 45. DJT‑Gutachten, Bd. I, S. 25; Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 87. 341 Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil II/2, § 76 II 1e (S. 382 f.). 342 B/B/Heß/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 6.F. Schmerzensgeld Rn. 21 m. w. N. 343 LG Verden, Urt. v. 4.3.1982 – 8 O 27/81 = DAR 1988, 320. 344 OLG Nürnberg, Urt. v. 1.8.1995 – 3 U 468/95= NZV 1996, 367. 345 Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (561) Fn. 123; Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, S. 32 ff.; so im Ergebnis wohl auch Christandl, der darin die Berücksichtigung des danno esistenziale erkennt, Christandl, La risarcibilità del danno esistenziale, 2007, S. 443 f.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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öffentlichungen, billigt das Bundesverfassungsgericht die geringeren Schmerzensgeldbeträge für Hinterbliebene.346 Auch in jüngerer Zeit sind die Gerichte hinsichtlich der Schmerzensgeldhöhe äußerst zurückhaltend und sprechen den Schockgeschädigten selbst bei sehr tragischen Ereignissen durchschnittlich nur € 5.000,00 bis € 20.000,00 zu.347 Als besonderer Ausnahmefall ist deshalb das Urteil des OLG Frankfurt a. M.348 zu werten. Der Ehefrau war aufgrund der schweren psychischen Beeinträchtigungen nach dem Miterleben des tödlichen Verkehrsunfalls ihres Ehemannes und der 12-jährigen Dauer ihrer Leidensphase, während der sie sich nicht um ihre zum Unfallzeitpunkt erst ca. 2,5 Jahre und 6 Monate alten Kinder kümmern konnte und das Sorgerecht auf ihre Schwiegermutter übertragen musste, ein Schmerzensgeld in Höhe von € 100.000,00 zugesprochen worden.
(3) Anspruchsmindernde Berücksichtigung von Mitverschulden Im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung muss sich der Schockgeschädigte nicht nur eigenes Mitverschulden, wie z. B. die Aufsichtspflichtverletzung, die zum Unfall eines Kindes führt,349 anspruchsmindernd zurechnen lassen, sondern nach §§ 242, 254 Abs. 1 BGB auch das Mitverschulden des Erstgeschädigten. Eine Anwendung des § 846 BGB kommt dagegen nicht in Betracht.350 Einen vom Verstorbenen gegebenenfalls noch vererbten Schmerzensgeldanspruch muss sich der schockgeschädigte Angehörige dagegen nicht anrechnen lassen.351
(4) Absorption des Hinterbliebenengeldes durch den Schockschaden bei gleichzeitigem Vorliegen beider Anspruchsvoraussetzungen Der Gesetzgeber sieht das Hinterbliebenengeld als Minus zum Schockschadensersatz. Liegen sowohl die Voraussetzungen des Schockschadens als auch eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vor, so soll – ausweislich der Gesetzesbegründung352 – der Anspruch auf Ersatz des Schockschadens vorgehen bzw. das Hinterbliebenengeld im Schockschaden aufgehen. Einerseits soll nicht zusätzlich zum Schmerzensgeld für einen Schockschaden noch ein Hinterbliebenengeld verlangt werden können, andererseits soll der Anspruch auf Hinter346 347
BVerfG, Beschl. v. 8.3.2000 – 1 BvR 1127/96 = NJW 2000, 2187. Slizyk, Schmerzensgeld 2020, 16. Aufl. 2020, Rn. 302 m. w. N. 348 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 6.9.2017 – 6 U 216/16 = BeckRS 2017, 135880. 349 OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.12.1977 – 1 U 85/77 = VersR 1978, 575. 350 BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = NJW 1971, 1883 (1885). 351 MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 249 Rn. 150. 352 BT‑Drs 18/11397, S. 12: „Liegen sowohl die Voraussetzungen auf Ersatz eines ‚Schockschadens‘ nach § 823 Absatz 1 in Verbindung mit § 253 Absatz 2 BGB vor als auch die Voraussetzungen nach § 844 Absatz 3 BGB‑E, geht der Anspruch auf Ersatzdes Schockschadens dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor, bzw. letztgenannter geht in erstgenanntem auf.“
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
bliebenengeld nicht dazu führen, dass im Fall einer Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert ein weitergehender Anspruch auf Erstattung des Schockschadens ausgeschlossen sein soll.353 Obwohl der Wille des Gesetzgebers eindeutig aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, ist es aus dogmatischer Sicht überzeugender mit Jaeger354 und Pflüger355 anzunehmen, dass beide Ansprüche auch nebeneinander bestehen können,356 da der Schutzweck nicht derselbe ist. Während der Schockschaden nach § 253 Abs. 2 BGB eine eigene Rechtsgutsverletzung voraussetzt, handelt es sich beim Hinterbliebenengeld lediglich um einen Drittschaden, wie schon die systematische Stellung in § 844 Abs. 3 BGB belegt. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist ausdrücklich kein Anspruch auf Schmerzensgeld.357 Zwar empfindet auch derjenige, der einen Schockschaden erleidet, Trauer und seelisches Leid, bei der Bemessung von Schockschäden werden allerdings nur solche Schmerzen berücksichtigt, die adäquate Folge der eigenen Gesundheitsverletzung sind. Der Schmerz über den Tod der nahestehenden Person bleibt als Ursache des Schocks im Rahmen des Schockschadens dagegen unberücksichtigt (s. o. § 5 I. 5.b)bb)(1), S. 273).358
(5) Empfehlung des Deutschen Anwaltvereins: Absorption des Schockschadens durch das Hinterbliebenengeld Ausgehend davon, dass der Schmerz über den Tod der nahestehenden Person als Ursache des Schocks im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung unberücksichtigt bleibt und dem Willen des Gesetzgebers, dass der Schockschaden das mit dem Hinterbliebenengeld anerkannte seelische Leid über den Verlust einer nahestehenden Person fortan einschließen soll, stellt sich die Frage, ob der Anspruch wegen des Schockschadens eines nach § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigten Hinterbliebenen demnach höher sein muss als das reine Hinterbliebenengeld ohne Vorliegen eines Schockschadens.359 Denn in solchen Fällen müssten künftig die Trauer und das seelische Leid über den Tod der nahestehenden Person anspruchserhöhend in die Bemessung 353 354
BT‑Drs 18/11397, S. 12; so auch Müller, VersR 2017, 321 (324). Jaeger, VersR 2017, 1041 (1055). 355 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 319 ff. 356 A. A. Nugel, ZfSch 2018, 72 (74); Wagner, NJW 2017, 2641 (2645); Steenbuck, r+s 2017, 449 (452). 357 Müller, VersR 2017, 321 (322); Quaisser, DAR 2017, 688 (689); Huber, in Festschr. für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 920 (942); MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 844 Rn. 7; a. A. Steenbuck, r+s 2017, 449 (452): das Hinterbliebenengeld ist ein „Schmerzensgeld für Angehörige“. 358 Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, 1960, S. 25; Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992, S. 86 f.; Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005, S. 30 ff. 359 So auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 6, oben § 5 Fn. 54.
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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des Schockschaden-Schmerzensgeldes einfließen, um dem Hinterbliebenengeld angemessen Rechnung zu tragen. Im Rahmen der Bemessung des Schockschaden-Schmerzensgeldes müssten dann ausnahmsweise sowohl seelische Leiden berücksichtigt werden, die Ursache des Schocks waren (mithin das Hinterbliebenengeld), als auch körperliche und seelische Leiden, die Folge der eigenen Gesundheitsschädigung sind (mithin der Schockschaden). Außerhalb des Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes, wenn der Angehörige schwer verletzt überlebt oder bei Tötung im Bereich der Vertragshaftung, müsste es aber weiterhin bei dem Grundsatz bleiben, dass im Rahmen von Schockschäden ausschließlich körperliche und seelische Leiden berücksichtigt werden dürften, die Folge der eigenen Gesundheitsschädigung sind, jedoch nicht deren Ursache (s. o. § 5 I. 5.b)bb)(1), S. 273). Diese Lösung würde allerdings zu dem nicht wünschenswerten Ergebnis führen, dass innerhalb des Schockschadens mit zweierlei Maß gemessen würde: Einmal dürfte seelischer Schmerz bereits als Ursache des Schocks berücksichtigt werden, ein anderes Mal dagegen nicht. Geht man davon aus, dass der Schockschaden ein andersartiger Schaden ist als derjenige, den das Hinterbliebenengeld ausgleichen soll, so wird es jedenfalls praktisch unmöglich sein, die beiden Schäden bei demselben Anspruchsberechtigten im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB quantifizierbar abzugrenzen.360 Zudem würde dadurch die ohnehin bestehende Ungerechtigkeit im Hinblick auf Personen, deren Angehöriger schwer verletzt überlebt und die ausschließlich unter den strengen Voraussetzungen des Schockschadens einen eigenen Schmerzensgeldanspruch geltend machen können, noch vertieft, wenn sie bei der Bemessung dieses Schockschadens restriktiveren Voraussetzungen unterliegen würden. Eine derartige Differenzierung ist deshalb nicht angezeigt. Überzeugend ist vielmehr der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins, den Schockschaden im Hinterbliebenengeld aufgehen zu lassen und damit ein umgekehrtes Verhältnis beider Anspruchsalternativen anzunehmen, als es der Gesetzgeber getan hat. Der Deutsche Anwaltverein empfiehlt, dass Umstände, die regelmäßig zur Anerkennung eines Schockschadens führen würden, als besondere Umstände zu einer Erhöhung des Regelbetrags des Hinterbliebenengeldes führen sollen. Gleichzeitig soll ein Anspruch auf Ersatz des Schockschadens derselben Person ausgeschlossen sein.361
360 So auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 6, oben § 5 Fn. 54. 361 So auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Referentenentwurf Nr. 3/2017 vom Januar 2017, S. 6, oben § 5 Fn. 54.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
cc) Rechtsvergleichende Bewertung: Empfehlung der Absorption des Schockschadens durch das Hinterbliebenengeld nach italienischem Vorbild Erleidet ein Hinterbliebener infolge der fremdverursachten Tötung einer nahestehenden Person eine eigene medizinisch feststellbare Gesundheitsverletzung (Schockschaden bzw. danno biologico psichico), so gewähren beide hier untersuchten Rechtsordnungen hierfür Ersatz des immateriellen Schadens.
(1) Bemessung: Freie Ermessensentscheidung in Deutschland im Gegensatz zur Bemessung mit Hilfe von Tabellenwerken in Italien Abweichend von der Grundsatzentscheidung der Vereinigten Zivilsenate von 2008 (sog. „San Martino“-Urteile) bemisst die jüngere italienische Rechtsprechung den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) der Hinterbliebenen – abhängig von der Ursache für die Tötung des Primäropfers – entweder mit Hilfe der Mailänder Tabelle zur Bemessung des Gesundheitsschadens (danno biologico) oder nach Art. 139 ital. VersGB gesondert. In Deutschland liegt die Bemessung von Schockschäden dagegen im freien Ermessen des Gerichts, wobei auch hier sog. Schmerzensgeldtabellen eine Orientierungshilfe bieten. Berücksichtigt werden bei Schockschäden allerdings nur solche körperlichen und seelischen Leiden, die adäquate Folge der eigenen Gesundheitsverletzung des Schockgeschädigten sind und nicht solche Leiden, die der Gesundheitsverletzung vorausgingen und damit Ursache des Schocks waren.
(2) Gegensätzliche Bewertung des Verhältnisses von Schockschaden und Hinterbliebenengeld bzw. Gefühlsschaden in beiden Rechtsordnungen Bemerkenswert ist, dass nach Einführung des Hinterbliebenengeldes in Deutschland derselbe Streit über das Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schockschaden-Schmerzensgeld entfachte, wie in Italien zum Verhältnis des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) und des Schadens aufgrund des Verlusts einer gefühlsmäßigen Nähebeziehung (danno da perdita del rapporto parentale) im engeren Sinn, der demnach nur den Gefühlsschaden (danno morale) und den Existenzschaden (danno esistenziale) umfassen soll. Allerdings beurteilen beide Rechtsordnungen das Verhältnis gegensätzlich. Nach den sog. „San Martino“-Urteilen sollte der danno biologico psichico von den Tabellenwerten für den Verlust einer nahestehenden Person und damit vom danno da perdita del rapporto parentale (im weiteren Sinn) umfasst sein. Die jüngere italienische Rechtsprechung erkennt dagegen an, dass es sich bei der Gesundheit und der gefühlsmäßigen Nähebeziehung um verschiedenartige Rechtsgüter nichtvermögensrechtlicher Art handelt und bemisst den immateriellen Schaden infolge des Verlusts der gefühlsmäßigen Nähebeziehung und
I. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei Tötung
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den immateriellen Schaden infolge einer durch die Tötung hervorgerufenen eigenen Gesundheitsverletzung der Hinterbliebenen jeweils gesondert, kumulativ nebeneinander. Demgegenüber soll das Hinterbliebenengeld nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers nur seelisches Leid und Niedergeschlagenheit der Hinterbliebenen ausgleichen, nicht dagegen den Verlust der gefühlsmäßigen Nähebeziehung im Sinne des Existenzschadens (danno esistenziale). Dabei geht der deutsche Gesetzgeber davon aus, dass das Hinterbliebenengeld und das Schmerzensgeld für Schockschäden auf der gleichen Ursache beruhen: nämlich der Trauer über den Verlust einer nahestehenden Person, die sich beim Schockschaden sogar zu einer pathologischen Gesundheitsverletzung verdichtet. Bei gleichzeitigem Vorliegen eines Schockschadens und des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld soll das Hinterbliebenengeld daher im weitergehenden Schockschaden aufgehen. Um den seelischen Schmerz über den Verlust einer nahestehenden Person nicht doppelt zu entschädigen, soll deshalb nicht zusätzlich zum Schmerzensgeld für einen Schockschaden noch ein Hinterbliebenengeld verlangt werden können. Gänzlich eigenständige Bedeutung kommt dem Schockschaden daher nur noch zu, wenn die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes nicht vorliegen, so z. B. wenn das Opfer schwer verletzt überlebt oder bei Tötung im Rahmen der Vertragshaftung. Während das deutsche Recht also maßgeblich auf die Ursache des immateriellen Schadens abstellt, hält die italienische Rechtspraxis die verletzten Rechtsgüter für maßgebend. Dabei misst die italienische Rechtsordnung dem Gesundheitsschaden offenbar geringere Bedeutung bei als dem Schaden am Familienband. Das wird nicht nur im Hinblick auf die Höhe der Entschädigungsbeträge deutlich, sondern auch die Bemessung des immateriellen Schadens unter Berücksichtigung der Umstände der unerlaubten Handlung und der persönlichen und familiären Verhältnissen der Hinterbliebenen erfolgt maßgeblich im Rahmen der für die Entschädigung im Todesfall geltenden Tabellen (s. o. § 5 I. 5.a)aa)(1), S. 249 ff.). Insofern ist es durchaus empfehlenswert, sich hinsichtlich des Verhältnisses beider Anspruchsalternativen am italienischen Recht zu orientieren, das auf eine längere Erfahrung im Umgang mit iure proprio-Ansprüchen zurückgreifen kann. Das vom deutschen Gesetzgeber vorgesehene Verhältnis beider Anspruchsalternativen, wonach das Hinterbliebenengeld im SchockschadenSchmerzensgeld aufgehen soll, ist nicht widerspruchsfrei und führt zu Unklarheiten hinsichtlich der künftigen Bemessung. Nach italienischem Vorbild empfiehlt der Deutsche Anwaltverein deshalb schon jetzt ein umgekehrtes Verhältnis beider Anspruchsalternativen, nämlich dass der Schockschaden im Hinterbliebenengeld aufgehen und zu einer Erhöhung des Regelbetrags führen soll (s. o. § 5 I. 5.b)bb)(5), S. 276 f.).
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
(3) Anspruchshöhe: Höheres Entschädigungsniveau in Italien Obwohl der psychische Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) in Italien eher selten auftritt, kann er in Extremfällen schon einmal ca. € 230.000,00 betragen, wohingegen sich die für Schockschäden zugesprochenen Beträge in Deutschland regelmäßig zwischen € 5.000,00 bis € 20.000,00 bewegen.
(4) Behandlung von Mitverschulden Hinsichtlich des Mitverschuldens ist festzuhalten, dass sich die Hinterbliebenen in Deutschland und in Italien sowohl eigenes Mitverschluden als auch ein Mitverschulden des Erstgeschädigten anspruchsmindernd zurechnen lassen müssen. Während ein Mitverschulden im deutschen Recht bereits bei der Bemessung anspruchsmindernd berücksichtigt wird, führt es nach italienischem Recht zu einer Kürzung des Entschädigungsbetrags um die Mitverschuldensquote.
II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden von Angehörigen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person nach italienischem Recht (1.) und nach deutschem Recht (2.) dargestellt, bevor beide Rechtssysteme anschließend rechtsvergleichend bewertet werden (3.).
1. Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden von Angehörigen bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person nach italienischem Recht Ein Anspruch auf Ersatz ihres immateriellen Schadens steht den Angehörigen und nahestehenden Personen nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung auch dann zu, wenn der Primärgeschädigte durch den Unfall nicht getötet wird, sondern so schwer verletzt überlebt, dass er infolgedessen an einer hochgradigen bleibenden Invalidität (lesioni seriamente invalidanti) leidet (a).362 Die iure proprio-Ansprüche werden in diesem Fall nach billigem Ermessen innerhalb der Rahmenwerte der Mailänder Tabelle für den Tod einer nahestehenden Person bemessen (b), wobei die Anspruchshöhe sehr variiert (c) und es zur Kumulation von iure propiro-Ansprüchen und iure hereditario-Ansprüchen kommen kann, wenn der schwer verletzte Erstgeschädigte später an den Folgen der Schädigung verstirbt (d). 362 Cass. S. U. 1.7.2002, n. 9556; Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/593.
II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung
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a) Bestätigung der Ersatzfähigkeit durch die Grundsatzentscheidung der Vereinigten Zivilsenate des Kassationshofes Nr. 9556 vom 1.7.2002 Ein eigener Ersatzanspruch bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person war früher allerdings umstritten. Der Kassationshof befürchtete eine Doppelbelastung des Schädigers mit Ansprüchen des schwer verletzt Überlebenden und solchen seiner Angehörigen und lehnte deshalb eigene Ansprüche der Angehörigen in diesem Fall ab. Das begründete er damit, dass es sich bei den Schäden der Angehörigen lediglich um mittelbare Schäden handele, die nach Art. 1223 c. c. nicht ersatzfähig seien. Nur die vom Primärgeschädigten selbst erlittenen Schäden seien als unmittelbare und direkte Folge der unerlaubten Handlung ersatzfähig.363 Allerdings ergingen auch einige Entscheidungen, die den Angehörigen eines schwer verletzt Überlebenden einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihres Gefühlsschadens (danno morale iure proprio) zusprachen.364 Diese Ansicht bestätigten letztendlich auch die Vereinigten Zivilsenate mit der Grundsatzentscheidung Nr. 9556 vom 1.7.2002.365 Ersetzt werden folglich nicht nur Vermögensschäden, wie Pflegekosten und Verdienstentgang infolge der häuslichen Pflege des Angehörigen, sondern auch der Nichtvermögensschaden der Angehörigen.366 Letzterer umfasst das mit der hochgradigen bleibenden Invalidität des Verletzten verbundene seelische Leid seiner Angehörigen (danno morale),367 Beeinträchtigungen des Familienlebens und die radikale Umwälzung der Lebensweise der Angehörigen (danno esi363 Cass. sez. lav. 23.2.2000, n. 2037, in Danno e resp. 2000, 1203; Cass. 11.2.1998, n. 1421; Cass. 17.11.1997, n. 11396; Cass. 17.10.1992, n. 11414, in NGCC 1993, I, 875 wonach den Eltern eines bei einem Unfall verletzten Kindes nach Art. 2059 c. c. kein eigener Anspruch auf Ersatz des danno morale (nicht des danno biologico) zustehe; Cass. 16.12.1988, n. 6854; Cass. 21.5.1976, n. 1845; Cass. 13.4.1973, n. 1056, in Foro it. 1974, I, 508; Cass. 15.10.1971, n. 2915, in Foro it. 1972, I, 1302; Martini/Rodolfi, Il danno alla persona dopo la Cass. ss. uu. n. 15350/2015, 2015, S. 53 ff.; Garofoli/Cutugno, Assicurazione obbligatoria e sinistri stradali, 2008, S. 157; Wrangel, VersR 1982, 628 (632); von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 1 Rn. 19 (Fn. 119). 364 Cass. 23.4.1998, n. 4186, in Danno e resp. 1998, 686; Cass. 19.5.1999, n. 4852, in Foro it. 1999, I, 2874; Cass. 1.12.1999, n. 13358, in Danno e resp. 2000, 322; Cass. 2.2.2001, n. 1516, Auszug in DAR 2001, 601 f. mit Anm. Pichler; Trib. Milano 9.1.1997, in Resp. civ. prev. 1997, 1220 und Trib. Napoli 13.2.1997, NGCC 1997, I, 984 gewährten den Eltern schwerstgeschädigter Kinder u. a. Ersatz ihres danno morale (nicht des danno biologico); Trib. Trento 19.5.1995, in NGCC 1995, I, 1017; Trib. Milano 2.9.1993, in NGCC 1994, I, 680; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 7. (S. 1603 f.) m. w. N.; Kadner Graziano, ZEuP 1996, 135 (146). 365 Cass. S. U. 1.7.2002, n. 9556. 366 Eccher/Schurr/Christandl/Christandl, Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/593. 367 Cass. 4.6.2013, n. 14040; Cass. 5.10.2010, n. 20667; Cass. 3.4.2008, n. 8546; Cass. 3.10.2005, n. 19316.
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
stenziale),368 wenn der Angehörige z. B. seinen Beruf aufgeben muss, um den Geschädigten zu pflegen, sowie eventuelle medizinisch feststellbare Gesundheitsverletzungen (danno biologico psichico).369 Der Schaden muss allerdings konkret dargelegt und nachgewiesen werden, auch mittels Vermutungen.370
b) Bemessung von iure proprio-Ansprüchen bei schwerster Verletzung nach billigem Ermessen innerhalb der Rahmenwerte der Mailänder Tabelle für den Tod einer nahestehenden Person Der immaterielle Schaden der Angehörigen eines Schwerstverletzten wird nach Billigkeit bemessen, wobei das Gericht die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat. Im Gegensatz zur Tötung einer nahestehenden Person enthält die Mailänder Tabelle für den Fall der schweren Verletzung keine konkreten Rahmenbeträge zur Bemessung des Schadens der Angehörigen und nahestehenden Personen. Dennoch empfiehlt der Kassationshof auch in diesem Fall eine Orientierung an der Mailänder Tabelle und verbietet eine reine Bemessung nach Billigkeit.371 Hierfür enthalten die Erläuterungen zur Mailänder Tabelle Vorgaben. Demnach kommt es bei der Bemessung des Schadens der Angehörigen ausdrücklich nicht auf den Gesundheitsschaden (danno biologico) des Erstgeschädigten an.372 Zwar ist die Schwere seiner Verletzungen wichtig für die Darstellung des Schadens der Angehörigen und nahestehenden Personen, allerdings erscheint es angemessen für die Bemessung ihres Schadens auf die Natur und Intensität ihrer Beziehung zum Erstgeschädigten abzustellen sowie auf das Ausmaß und die Art der Veränderungen des Familienlebens, welche auch mittels Vermutungen bewiesen werden können.373 Dabei sollen die für den Fall der Tötung einer nahestehenden Person vorgesehenen Höchstbeträge der Mailänder Tabelle (s. o. § 5 I. 5.a)aa)(1), S. 250) auch für den Fall der schweren Verletzung als Bemessungsobergrenze dienen. Diese Obergrenze ist jedoch nur dann auszuschöpfen, wenn die Anspruchsberechtigten den Nachweis erbringen, dass das Familienleben völlig aus der Bahn geworfen wurde (massimo sconvolgimento della vita familiare). Dagegen ist es nicht möglich, einen durchschnittlichen immateriellen Schaden zu vermuten.374 So 368 369
Cass. 31.1.2008, n. 2379. Cass. 22.6.2007, n. 14581; Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 43. 370 Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 814. 371 Cass. 18.5.2017, n. 12470. 372 Criteri Orientativi § IV zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349; a. A. Gallmetzer, in: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, Teil 2, § 3, Rn. 46 mit Verweis auf Cass. 13.1.2009, n. 469. 373 Criteri Orientativi § IV zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. 374 Criteri Orientativi § IV zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349.
II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung
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kann z. B. der Nichtvermögensschaden einer Mutter, deren Kind schwerst verletzt wurde, zwischen € 0,00 und bei maximaler Erschütterung des Familienlebens € 331.920,00 betragen, wenn die Mutter ihren Beruf aufgibt, um ihr eigenes Leben vollständig der Betreuung ihres Kindes zu widmen.375 Hinsichtlich des anspruchsberechtigten Personenkreises, der Darlegungsund Beweislast sowie der Begründungspflicht des Richters gelten die Ausführungen zum Tod einer nahestehenden Person entsprechend (s. o. § 5 I. 4.a), S. 234 ff.).376 Überdies müssen sich die Angehörigen ein Mitverschulden des Primärgeschädigten nach Art. 1227 c. c. anspruchsmindernd anrechnen lassen. Ein Mitverschulden ist in Italien aber nicht als Bemessungskriterium zu berücksichtigen, sondern führt zu einer Kürzung des Betrags um die Mitverschuldensquote.377
c) Anspruchshöhe Nach Rossettis tabellarischer Auswertung unterinstanzlicher Rechtsprechung zwischen 2004–2008 sprachen die Gerichte den Eltern eines schwer geschädigten Säuglings häufig nur zwischen € 15.000,00 und € 48.000,00 zu, wohingegen sie bei schwerer Invalidität eines Kindes im jungen Erwachsenenalter € 86.000,00 bis € 150.000,00 erhielten.378 So sprach das Landgericht Monza den Eltern eines 25-jährigen Mannes, der infolge eines Motorradunfalls querschnittsgelähmt war, aufgrund des schweren Schmerzes der Eltern und der Auswirkungen auf das Familienleben jeweils € 150.000,00 zu. Dabei berücksichtigte das Gericht auch die besonders enge Bindung zwischen den Eltern und ihrem Sohn (Zusammenleben), das junge Alter des Sohnes und das Alter der Eltern von 56 und 52 Jahren.379 Demgegenüber sprach das Landgericht Cassino im Jahr 2017 der Mutter eines Neugeborenen, das aufgrund eines Arztfehlers bei der Geburt eine Lähmung des rechten Arms (Dauerinvalidität von 45 %) erlitt, € 29.938,00 zu und dem Vater € 28.836,00. Das Kind selbst erhielt € 531.385,00.380 Nichtsdestotrotz sind immer wieder auch sog. „Ausreißer“ zu verzeichnen. So gewährte das Landgericht Brindisi der Mutter, die aufgrund eines Bruches des Hüftbeins an einer Deformierung des Geburtskanals litt und ihr Kind trotzdem – gegen ihren Willen – auf natürliche Weise und nicht per Kaiserschnitt zur 375 376
Criteri Orientativi § IV zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. Criteri Orientativi § IV zum Erlass der Mailänder Tabelle 2018, oben § 3 Fn. 349. 377 Cass. 23.10.2014, n. 22514, in NGCC 2015, I, 488. 378 Vgl. tabellarische Auswertung unterinstanzlicher Rspr. zw. 2004–2008 bei Rossetti, Il danno alla salute, 2. Aufl. 2017, S. 816 f. 379 Trib. Monza 3.11.2004, abrufbar unter . 380 Trib. Cassino 21.7.2017, abrufbar unter .
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
Welt bringen musste, in dessen Folge das Kind schwere Hirnschäden mit einer Dauerinvalidität von 100 % erlitt, einen Nichtvermögensschaden in Höhe von € 70.000,00.381 In einem vergleichbaren Fall, in dem die Ärzte einen Kaiserschnitt zu spät durchgeführt hatten, weshalb das Kind ebenfalls schwere Hirnschäden mit einer Dauerinvalidität von 100 % erlitt, sprach das Landgericht Avezzano den Eltern jeweils einen Nichtvermögensschaden von € 450.000,00 zu.382 Das Landgericht Palermo gewährte den Eltern eines Kindes, das während der Geburt durch Kaiserschnitt aufgrund eines Arztfehlers zu wenig Sauerstoff erhalten hatte und infolgedessen an einer Dauerinvalidität von 100 % litt, jeweils € 300.000,00. Das Kind selbst erhielt eine monatliche Leibrente von € 1.344,00 sowie Schadensersatz in Höhe von € 1.900.000,00.383
d) Kumulation von originär eigenen und geerbten Ansprüchen bei späterem Versterben des Schwerstverletzten Wenn der Primärgeschädigte den Unfall zunächst noch einige Zeit schwer verletzt überlebt und erst später an den Unfallfolgen stirbt, kann es für seine Angehörigen dadurch zu einer Kumulation von iure propiro-Ansprüchen kommen: zum einen aufgrund des Miterlebens seines Leids für die Dauer der Überlebenszeit und zum anderen aufgrund des endgültigen Verlusts der gefühlsmäßigen Nähebeziehung infolge seines Todes. Hinzu kommen die iure hereditario-Ansprüche, die im Wege der Erbfolge auf die Hinterbliebenen übergehen.
2. Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person nur unter den strengen Voraussetzungen der deutschen Schockschaden-Rechtsprechung Der Gesetzgeber hat zwar erkannt, dass die seelischen Leiden von Menschen, die einem Schwerverletzten besonders nahe stehen, häufig nicht weniger groß sind, als jene, die Hinterbliebene eines Getöteten erleiden, dennoch fand die Forderung der Opferhilfe Weißer Ring,384 auch Angehörigen von schwerst verletzten Opfern ein Trauergeld zukommen zu lassen, im Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld keine Berücksichtigung. Vielmehr 381
Trib. Brindisi 2.2.2009, in Foro it. 2009, I, 1633. Trib. Avezzano 10.10.2008, in Giur. mer. 2009, 2714. 383 Trib. Palermo 5.7.2017, n. 3612, abrufbar unter . 384 Weißer Ring, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 16.1.2017, abrufbar unter ; Gegen eine Ausdehnung des „Angehörigenschmerzensgeldes“ auf schwerste Verletzungen z. B. Kuhn, SVR 2012, 288 (290); Scheffen, NZV 1995, 218 (219); Wagner, Angehörigenschmerzensgeld, in Festschr. Stürner, 2013, S. 231 (248 f.). 382
II. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen bei schwerster Verletzung
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wird ein Hinterbliebenengeld nur bei einer fremdverursachten Tötung gewährt, nicht dagegen bei einer schweren Verletzung eines nahestehenden Menschen. Dadurch sollen vor allem Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen schweren Verletzungen, die einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld auslösen würde und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, vermieden werden.385 Dem schwer verletzt Überlebenden stehen allerdings – wie bereits vor Einführung des Hinterbliebenengeldes – eigene Schmerzensgeldansprüche gegen den Schädiger zu. Bleibende Schäden, wie z. B. schwerste dauerhafte Gehirnschädigungen, die den Geschädigten zum Intensivpflegefall werden lassen, berücksichtigt die Rechtsprechung anspruchserhöhend bei der Schmerzensgeldbemessung und spricht hierfür bis zu € 550.000,00 zu.386 Dass das Leben von Angehörigen durch eine lebenslange Aufopferung zur Pflege und das tagtägliche Konfrontiertsein mit dem Leid des Schwerstverletzten ebenfalls grundlegend umgewälzt und aus der Bahn geworfen wird, bleibt dagegen unberücksichtigt.387 Einen eigenen Anspruch billigt die Rechtsprechung den Angehörigen und nahestehenden Personen nur unter den restriktiven Voraussetzungen des Schockschadens zu (s. o. § 5 I. 2.b)bb), S. 273 ff.). Das Schmerzensgeld für Schockschäden stellt aber keinen Ausgleich für den Kummer über die Verletzung der nahestehenden Person dar, sondern nur einen Ausgleich für die eigene Gesundheitsverletzung der Angehörigen (s. o. § 5 I. 5.b)bb)(1), S. 273).
3. Rechtsvergleichende Bewertung: Kein Ersatz für die gravierende Veränderung des Familienlebens aufgrund bleibender hochgradiger Invalidität des Erstgeschädigten im deutschen Recht a) Anspruch bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person Zwar sind Pflegekosten und Verdienstentgang als Vermögensschaden in beiden Rechtsordnungen ersatzfähig, jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich eine hochgradige bleibende Invalidität des Überlebenden auch auf das Familienleben seiner Angehörigen auswirkt. Die italienische Rechtsordnung berücksichtigt diesen Aspekt und spricht den Angehörigen einen eigenen Anspruch auf Ersatz ihrer immateriellen Schäden zu, wohingegen solche erheblichen Einschnitte in die Lebensgestaltung nach deutschem Recht von den Familienmitgliedern entschädigungslos hingenommen werden müssen. Vor allem der Ersatz von Schockschäden bietet hierfür keinen adäquaten Ausgleich. Denn im Rahmen des Schockschaden-Schmerzensgeldes sind nur Schmerzen ersatzfähig, die Folge des Schocks und damit der eigenen Gesundheitsverletzung 385 386
BT‑Drs 18/11397, S. 9. LG Offenburg, Urt. v. 1.9.2017 – 3 O 386/14 = BeckRS 2017, 157369. 387 Harald Petzold im Plenarprotokoll zur 2. Beratung des Bundestags, Plenarprotokoll 18/234 S. 23803 D; Bischoff, MDR 2017, 739 (741).
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§ 5 Originär eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
sind. Folglich hat der Ersatz von Schockschäden eine andere Funktion und trägt gerade nicht dem Umstand Rechnung, dass auch das Familienleben der Angehörigen durch die hochgradige bleibende Invalidität aus der Bahn geworfen wird. Zudem verkennt die deutsche Rechtsordnung, dass den Angehörigen vor allem im Hinblick auf langwierige Heilbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen des Primärgeschädigten eine wichtige Rolle beim Genesungsprozess und der Kostenstabilisierung zukommt. Helfen sie z. B. durch häusliche Pflege aktiv mit, so kann dies dazu beitragen Krankenhausaufenthalte zu verkürzen, Kosten zu senken und die Versichertengemeinschaft zu entlasten. Eine Berücksichtigung des Leids und der Situation der Angehörigen schafft somit ein kooperatives Klima bei der Schadensregulierung.388 Demgegenüber geht von der restriktiven deutschen Schockschaden-Rechtsprechung für die Angehörigen eher der Anreiz aus, tragische Ereignisse nicht zu verarbeiten, sondern die Trauer das Ausmaß einer Gesundheitsverletzung erreichen zu lassen.389 Die italienische Rechtspraxis zeigt, dass die Abgrenzung zwischen schweren Verletzungen, die einen eigenen Anspruch der Angehörigen rechtfertigen, und solchen, die das nicht tun, gelingen kann. Hielt man es in Deutschland früher auch nicht für möglich, das Leid der Hinterbliebenen beim Tod einer nahestehenden Person in Geld zu bemessen, so hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes das Gegenteil bewiesen. Dies ist zumindest ein erster Schritt zur europäischen Rechtsangleichung. Darum sollte der deutsche Gesetzgeber auch künftig mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der Gerichte haben und entsprechend dem italienischen Vorbild auch immaterielle Schäden von Familienmitgliedern, deren Angehöriger infolge einer schweren Verletzung an einer hochgradigen bleibenden Invalidität leidet, ersetzen.
b) Uneinheitliche Entschädigungssummen im italienischen Recht Festzustellen ist allerdings, dass die Entscheidungen italienischer Instanzgerichte in Bezug auf die zugesprochenen Schadenssummen sehr uneinheitlich sind. Im weitesten Sinn vergleichbare Schäden, wie z. B. eine Dauerinvalidität eines Neugeborenen von 100 %, werden von verschiedenen Gerichten in sehr unterschiedlichem Maß ersetzt. Dabei hält sich die Rechtsprechung nicht an die von der Mailänder Tabelle vorgegebenen Obergrenzen. Daher ist durchaus fragwürdig, ob die italienische Rechtspraxis der vom Kassationsgericht geforderten Gleichbehandlung von ähnlich gelagerten Fällen ausreichend Rechnung trägt. Auch angesichts der Bestrebungen, die Mailänder Tabelle im Codice civile und anderen Gesetzen zu kodifizieren, bleibt zu bezeifeln, ob sich der ausufernden Rechtsprechung der Instanzgerichte dadurch in Zukunft Einhalt gebieten lässt. 388 389
Werwigk, in: Schultzky, VersR 2011, 857 (860). Kadner Graziano, RIW 2015, 549 (553).
§ 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen Die zu Beginn dieser Arbeit dargestellte These Immanuel Kants deutete bereits darauf hin, dass die Frage, ob und in welchem Umfang das Recht Ansprüche auf Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld gewähren sollte, stark emotional und philosophisch aufgeladen ist. Heute geht man zwar nicht mehr davon aus, dass die Bemessung immaterieller Schäden in Geld die Würde des Geschädigten oder seiner Hinterbliebenen verletzt, jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Betroffene zu geringe Entschädigungssummen als Verhöhnung empfinden. Erfreulich ist deshalb zum einen, dass die in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge stetig gestiegen sind, und zum anderen, dass in der gegenüber immateriellen Schäden bislang sehr zurückhaltenden deutschen Rechtsordnung in den vergangenen Jahrzehnten eine beständige Ausdehnung des Ersatzes dieser Schäden zu verzeichnen ist. Insgesamt hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass hinsichtlich der rechtlichen Ansatzpunkte viele Gemeinsamkeiten zwischen der italienischen und der deutschen Rechtsordnung bestehen, aber auch bedeutsame Unterschiede vor allem im Hinblick auf die Bemessung und Verjährung immaterieller Schäden. Im Einzelnen:
I. Strengere Haftung von Fahrzeugführern und vor allem von Fahrradfahrern nach italienischem Recht Die unterschiedliche Definition des Fahrzeugbegriffs und die Tatsache, dass dem italienischen Recht der Begriff der Betriebsgefahr fremd ist, führen insgesamt zu einer strengeren Haftung von Fahrradfahrern. Während sich Fahrradfahrer bei einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug nach deutschem Recht nur nachgewiesenes „echtes“ schuldhaftes Verhalten entgegenhalten lassen müssen, ist im italienischen Recht die Vermutung hälftigen Mitverschuldens des Art. 2054 Abs. 2 c. c. auch zu Lasten von Fahrradfahrern anwendbar. Das führt zu unbilligen Ergebnissen, da es sich bei Fahrradfahrern – im Vergleich zu motorisierten Fahrzeugen – um schwächere Verkehrsteilnehmer handelt. Die italienische Rechtsordnung stellt insgesamt auch höhere Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Fahrzeugführers. Da der im deutschen Rechts-
288 § 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen kreis anerkannte Vertrauensgrundsatz im italienischen Recht nur eingeschränkt gilt, genügt in Italien verkehrsrichtiges Verhalten allein gerade nicht, um den Entlastungsbeweis zu führen. Vielmehr muss es neben dem Nachweis des regelgerechten Verhaltens auch bei Beachtung der gewöhnlichen Sorgfalt unmöglich gewesen sein, den Unfall zu verhindern, sodass dieser letztlich auf einem Zufall beruht. Gelingt der Entlastungsbeweis, so ist im italienischen Recht auch die Halterhaftung ausgeschlossen, wohingegen im deutschen Recht die Situation auftreten kann, dass der Halter haftet, während der Fahrer entlastet ist. Dieses Ergebnis ist allerdings angesichts der mit dem Betrieb von Kraftfahrzeugen verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter Dritter vorzugswürdig.
II. Keine Anknüpfung der Verjährung zivilrechtlicher Ersatzansprüche an strafrechtliche Verjährungsfristen im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung Das anwendbare materielle Recht ist auch maßgebend für die Vorschriften über die Verjährung. Die Regelverjährung für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung beträgt in Italien fünf, in Deutschland dagegen nur drei Jahre. Während das italienische Recht für Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall eine verkürzte zweijährige Verjährungsfrist vorsieht, verjähren auch solche Ansprüche nach deutschem Recht in drei Jahren. Die Verjährungsfrist kann in Italien gegebenenfalls länger sein, wenn die unerlaubte Handlung zugleich eine Straftat darstellt und für die Straftat längere Verjährungsfristen gelten. Die Anknüpfung der Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche an strafrechtliche Verjährungsfristen kann bei Unfällen mit mehreren Beteiligten allerdings dazu führen, dass es aufgrund desselben Unfalls zu unterschiedlichen Verjährungsfristen in Bezug auf die Ansprüche verschiedener Geschädigter kommt. Daher nahm auch das Europäische Parlament das italienische Recht richtigerweise nicht zum Vorbild für eine europäische Rechtsangleichung im Hinblick auf gemeinsame Verjährungsfristen für Straßenverkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug.
III. Der Nichtvermögensschaden des Primärgeschädigten 1. Gegensätzliche Entwicklung, aber im Wesentlichen gleicher Entschädigungsgehalt des Nichtvermögensschadens beider Rechtsordnungen Auch hinsichtlich des Nichtvermögensschadens bestehen Unterschiede. Zwar trennen beide Rechtsordnungen ausschließlich zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden, allerdings steht diese Zweiteilung in Italien erst seit
III. Der Nichtvermögensschaden des Primärgeschädigten
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2003 fest. Obwohl dem Nichtvermögensschaden seit den sog. „San Martino“Urteilen vom 11.11.2008 einheitlicher Charakter beigemessen wird, greift die italienische Rechtspraxis für seine Bestimmung immer noch auf die drei beschreibenden Figuren zurück: Gefühlsschaden (danno morale), Gesundheitsschaden (danno biologico) und Existenzschaden (danno esistenziale). Ihr Verhältnis zueinander wird auch nach den sog. „San Martino“-Urteilen kontrovers diskutiert. Während das Erfordernis einer Körper- oder Gesundheitsverletzung im deutschen Recht gesetzlich normiert ist und ihr Vorliegen unstreitig eine Ersatzpflicht auslöst, wurde der danno biologico in Italien erst durch richterliche Rechtsfortbildung aus dem danno morale entwickelt. Der reine Gefühlsschaden des Primärgeschädigten, der keinen Krankheitswert erreicht, ist nach deutschem Recht dagegen nicht ersatzfähig. Während der danno esistenziale in dogmatischer Hinsicht eine Fortentwicklung des danno biologico darstellte, werden durch Körperschäden verursachte Beeinträchtigungen der Selbstentfaltungsmöglichkeit im deutschen Recht als Kriterien bei der Schmerzensgeldbemessung erhöhend berücksichtigt. Mittlerweile kann man zu Recht behaupten, dass die beschreibenden Figuren des italienischen Nichtvermögensschadens in ihrer Summe im Wesentlichen dem Entschädigungsgehalt des deutschen Schmerzensgeldes entsprechen. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass der Begriff „Schmerzensgeld“ mit seiner Bezugnahme auf „Schmerzen“ zu eng ist und den tatsächlichen Entschädigungsumfang des Nichtvermögensschadens im deutschen Recht nicht umfassend abbildet.
2. Erhebliche Einschränkung des richterlichen Ermessens bei der Bemessung immaterieller Schäden durch italienische Tabellenwerke In beiden Rechtsordnungen steht die Bemessung des Nichtvermögensschadens grundsätzlich im freien Ermessen der Gerichte. Dabei wenden beide Rechtsordnungen unterschiedliche Bemessungssysteme an. Allerdings ist ein Bemessungssystem nach italienischem Vorbild weder für Deutschland noch für Europa nachahmenswert. Die Schwächen des italienischen Bemessungssystems liegen insbesondere darin, dass in Italien abhängig von der Schadensursache unterschiedliche Entschädigungsbeträge zugesprochen werden, obwohl die Schadensursache aus Opfersicht hierfür kein sachgerechtes Differenzierungskriterium darstellt. Auch die Abhängigkeit italienischer Gerichte von medizinischen Fachgutachtern bzw. Gerichtsärzten (medico legale), um diese Tabellen überhaupt erst anwenden zu können, sowie die begrenzte Möglichkeit, Umständen des Einzelfalles im Rahmen der Personalisierung gebührend Rechnung zu tragen, verdeutlichen, dass es sich um ein relativ starres Bemessungssystem handelt, wodurch das richter-
290 § 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen liche Ermessen in der Praxis erheblich eingeschränkt wird. Vorzugswürdig ist daher eine „echte“ Ermessensentscheidung, wie sie von deutschen Gerichten vorgenommen wird und die es erlaubt, Umstände des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen.
IV. Höhere Anforderungen an die Vererbbarkeit immaterieller Ersatzansprüche in Italien, insbesondere nach Veröffentlichung der Mailänder Tabelle 2018 Beide Rechtsordnungen erkennen den Übergang des Schmerzensgeldanspruchs im Wege der Erbfolge (iure hereditario) an, fordern hierfür aber, dass das Opfer nicht sofort aufgrund der Verletzungen stirbt, sondern diese zumindest noch eine gewisse Zeit überlebt. Die Dauer dieser Überlebenszeit ist dagegen in beiden Rechtssystemen nicht gesetzlich festgelegt. Während der Verletzte nach der neuen Mailänder Tabelle 2018 vor seinem Tod notwendigerweise das Bewusstsein wiedererlangt haben muss, unterscheidet das deutsche Recht weiterhin zwischen zwei Fallgruppen: Zum einen die Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit im Bewusstsein des baldigen Todes als Pendant zum früheren italienischen Gefühlsschaden bei herannahendem Tod (danno morale terminale) und zum anderen die Fallgruppe der kurzen Überlebenszeit ohne Bewusstsein als Pendant zum früheren italienischen Gesundheitsschaden mit Todesfolge (danno biologico terminale). Stirbt der Erstgeschädigte jedoch ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, so erwirbt er nach italienischem Recht nun keinen eigenen, vererblichen Anspruch mehr. Vielmehr werden die Hinterbliebenen in diesem Fall auf ihre Ansprüche aus eigenem Recht (iure proprio) verwiesen, die sie infolge des Verlusts der familiären Nähebeziehung zum Verstorbenen unmittelbar selbst erworben haben. Dieses Ergebnis überzeugt insbesondere dann nicht, wenn der Verstorbene das Opfer einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Straftat war oder er aufgrund eines künstlichen Komas oder der Verabreichung starker Schmerzmittel bis zu seinem Tod nicht mehr zu Bewusstsein kam. Im Ergebnis ist der Grundgedanke der Mailänder Tabelle 2018, Rechtssicherheit zu schaffen, durchaus auch für Deutschland und Europa ein erstrebenswertes Ziel. Allerdings sollte bei der Erarbeitung solcher Bemessungssysteme nicht aus den Augen verloren werden, Mechanismen zur angemessenen Berücksichtigung von Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu schaffen.
V. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
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V. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen 1. Trauerschäden von Hinterbliebenen aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person a) Gegensätzliche Entwicklung und unterschiedlicher Umfang des Nichtvermögensschadens der Hinterbliebenen bei funktionaler Betrachtung Ansprüche, die Hinterbliebenen im Fall der Tötung einer nahestehenden Person aus eigenem Recht zustehen, entwickelten sich in beiden Rechtsordnungen gegensätzlich. Während italienische Gerichte den Hinterbliebenen eigene Ansprüche ursprünglich nur unter dem Begriff des Gefühlsschadens (danno morale) zusprachen und den psychischen Gesundheitsschaden (danno biologico psichico) als Pendant zum deutschen Schockschaden erst durch richterliche Rechtsfortbildung anerkannten, kannte die deutsche Rechtspraxis aufgrund des Tatbestandsprinzips zunächst nur medizinisch fassbare Schockschäden, die Angehörige aufgrund des Verlusts oder der schweren Verletzung einer nahestehenden Person erlitten. Erst seit Inkrafttreten des gesetzlichen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.7.2017 wird nun auch in Deutschland Hinterbliebenen ein eigener Anspruch auf Ersatz ihres Trauerschadens im Sinne des Gefühlsschadens (danno morale) gewährt, selbst wenn ihre Beeinträchtigung keinen Krankheitswert erreicht und damit hinter den Voraussetzungen des Schockschadens zurückbleibt. Während der Nichtvermögensschaden von Hinterbliebenen im italienischen Recht auch eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung umfasst, die Hinterbliebene dadurch erleiden, dass sie infolge des Verlusts einer nahestehenden Person keine zwischenmenschliche Beziehung mehr zu ihr unterhalten können und das Leben ohne den Getöteten nicht mehr so schön ist wie zuvor, dient das Hinterbliebenengeld bei funktionaler Betrachtung nicht dazu, entgangene Lebensfreude auszugleichen. Dabei stellt es für die Hinterbliebenen gerade unter dem Aspekt der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit sehr wohl einen Eingriff in ihre weitere Lebensgestaltung dar, wenn sie ihr Leben aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person künftig neu ausrichten müssen. Vorzugswürdig wäre es deshalb gewesen, die Funktion des Hinterbliebenengeldes weiter zu verstehen und nicht nur vorübergehende Trauer im Sinne des Gefühlsschadens zu ersetzen, sondern auch Nachteile existenzieller Art gebührend zu berücksichtigen.
b) Anspruchsberechtigter Personenkreis Bei den Ansprüchen der Hinterbliebenen aus eigenem Recht verzichten beide Rechtsordnungen auf eine abschließende Aufzählung des anspruchsberechtigten Personenkreises. Vielmehr lassen sie ein persönliches Näheverhältnis zwi-
292 § 6 Gesamtbewertung des Haftungs- und Schadensrechts beider Rechtsordnungen schen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen genügen und setzen gerade kein formales Verwandtschaftsverhältnis voraus. Während die italienische Rechtsordnung aber auch den Verlust der Nähebeziehung zu einem Tier ersetzt, lehnt die deutsche Rechtspraxis Ersatzansprüche für den Verlust von Haustieren seit jeher ab. Das Vorliegen einer engen Gefühlsgemeinschaft wird dagegen in beiden Rechtsordnungen bei nächsten Angehörigen vermutet, wohingegen entferntere Verwandte und faktische Familienangehörige die persönliche Nähebeziehung zum Getöteten nachweisen müssen. Obwohl grundsätzlich beide Rechtsordnungen eine tatsächliche und nicht nur eine potenzielle emotionale Bindung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen voraussetzen, erkennt die italienische Rechtspraxis auch die Anspruchsberechtigung des nasciturus an, der künftig ohne Vaterfigur aufwachsen muss. Dies überzeugt allerdings nicht, da die Intensität der effektiven, persönlichen Nähebeziehung auch in Italien maßgebend für die Personalisierung der Rahmenbeträge der Mailänder Tabelle ist und die Bemessung aufgrund einer potenziellen emotionalen Bindung einer „Angehörigentaxe“ gleichkäme.
c) Unterschiedliche Bemessungssysteme In beiden Rechtsordnungen steht die Bemessung des immateriellen Schadens, den Hinterbliebene infolge der fremdverursachten Tötung einer nahestehenden Person erleiden, im Ermessen der Gerichte. Während deutsche Gerichte das Hinterbliebenengeld nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bemessen und sich im deutschen Recht gerade erst eine Spruchpraxis herausbildet, dient italienischen Gerichten auch hier die landesweit anzuwendende Mailänder Tabelle als Orientierungshilfe. Dabei überzeugt die Mailänder Tabelle bei der Bemessung, indem sie zunächst – abhängig vom formal-objektiven Verwandtschaftsgrad zum Verstorbenen – unverbindliche Rahmenbeträge vorgibt und damit einerseits Rechtssicherheit schafft und andererseits den Gerichten bei der Personalisierung dieser Rahmenbeträge noch ausreichend Ermessen einräumt, um den Umständen des Einzelfalles gebührend Rechnung zu tragen. Dabei tragen die Rahmenbeträge der Mailänder Tabelle dem Verlust einer nahestehenden Person sowohl unter dem Aspekt des Gefühlsschadens als auch der damit einhergehenden Nachteile existenzieller Art Rechnung, wenn der Hinterbliebene in seinem Alltag fortan auf den Verstorbenen verzichten muss. Da solche Nachteile existenzieller Art gerade nicht vom deutschen Hinterbliebenengeld ersetzt werden, verwundert es nicht, dass die Mailänder Tabelle Entschädigungsbeträge vorsieht, die das in Deutschland angestrebte Hinterbliebenengeld von ca. € 10.000,00 pro Hinterbliebenem um ein Vielfaches übersteigen.
V. Eigene Ansprüche von Hinterbliebenen
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2. Schockschäden von Angehörigen Unter dem Begriff des psychischen Gesundheitsschadens (danno biologico psichico) gewährt die italienische Rechtsordnung auch Ersatz für die in Deutschland unter dem Begriff des Schockschadens bekannte psychisch vermittelte, medizinisch feststellbare Gesundheitsverletzung infolge der Tötung oder schweren Verletzung einer nahestehenden Person. Während die Bemessung von Schockschäden im deutschen Recht im freien Ermessen des Gerichts steht und mit Hilfe von sog. Schmerzensgeldtabellen erfolgt, unterscheidet die jüngere italienische Rechtsprechung im Hinblick auf das anwendbare Tabellensystem auch hier zunächst nach der Ursache für die Tötung des Primäropfers. Bei gleichzeitigem Vorliegen eines Schockschadens und des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld soll das Hinterbliebenengeld nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers – dogmatisch allerdings wenig überzeugend – im Schockschaden aufgehen. Demgegenüber handelt es sich nach der jüngeren italienischen Rechtsprechung bei der Gesundheit und der gefühlsmäßigen Nähebeziehung um verschiedenartige Rechtsgüter nichtvermögensrechtlicher Art, die gesondert nebeneinander zu bemessen sind. Insofern ist es durchaus empfehlenswert, sich hinsichtlich des Verhältnisses beider Anspruchsalternativen am italienischen Recht zu orientieren, das auf eine längere Erfahrung im Umgang mit iure proprio-Ansprüchen zurückgreifen kann und dessen Begründung dogmatisch überzeugt. So empfiehlt der Deutsche Anwaltverein schon jetzt ein umgekehrtes Verhältnis beider Anspruchsalternativen nach italienischem Vorbild.
3. Ansprüche bei schwerster Verletzung einer nahestehenden Person In Deutschland hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes nichts an der vorherigen Rechtslage geändert, wonach zwar dem schwer verletzt Überlebenden ein eigener Schmerzensgeldanspruch zusteht, seine Angehörigen aber allenfalls unter den hohen Anforderungen des Schockschadens einen eigenen Anspruch haben können. Überlebt der Erstgeschädigte den Unfall schwer verletzt und leidet er fortan an einer hochgradigen bleibenden Invalidität, so steht nach italienischem Recht dagegen nicht nur dem Erstgeschädigten selbst ein Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens zu, sondern auch seinen Angehörigen. Die italienische Rechtspraxis zeigt somit eindrucksvoll, wie die Abgrenzung zwischen schweren Verletzungen, die einen eigenen Anspruch der Angehörigen rechtfertigen, und solchen, die das nicht tun, gelingen kann. Da das seelische Leid von Menschen, deren Angehöriger schwer verletzt überlebt, häufig nicht weniger groß ist, als wenn die nahestehende Person getötet wird, sollte die italienische Rechtspraxis als Vorbild für Deutschland und Europa dienen.
Anhang I
Typische Unfallsituationen mit Haftungsquoten Übersetzungen zum Teil aus Feller, in: Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen, 2. Aufl. 2017, Italien, Rn. 11. D. P. R. 18.7.2006, Nr. 254 Anhang A – Kriterien zur Bestimmung des Verschuldensgrades Allgemeine Grundsätze Zur Bestimmung des Verschuldensgrades bei Unfällen im Sinne von Art. 149 ital. VersGB, sind die folgenden Grundsätze zu beachten: y Wenn zwei Fahrzeuge in dieselbe Richtung und auf derselben Spur fahren, ist das Fahrzeug, das das vordere Fahrzeug anfährt, zu 100 % für den Unfall verantwortlich.
Das Fahrzeug Y, das hinten auffährt, ist verantwortlich. y Wenn zwei Fahrzeuge auf zwei verschiedenen Fahrbahnen fahren, ist das Fahrzeug, das die Spur wechselt, zu 100 % für den Unfall verantwortlich. Wenn es zum Zusammenstoß zwischen den beiden Fahrzeugen ohne Spurwechsel kommt, wird von einer jeweils 50 %igen Haftung ausgegangen.
Das Fahrzeug Y, das die Spur wechselt, ist verantwortlich.
Die Haftung besteht zu 50 %, wenn kein Spurwechsel stattfindet. y Wenn sich eines der beiden Fahrzeuge aus einer Parkposition oder beim Herausfahren von einem Privatgelände in den fließenden Verkehr einordnet
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Anhang I
und dabei ein fahrendes Fahrzeug beschädigt, ist dieses zu 100 % verantwortlich.
Das Fahrzeug Y, das sich aus einer Parkposition heraus wieder in den Verkehr begibt, ist verantwortlich. y Fahren beide Fahrzeuge in gegensätzlicher Fahrtrichtung, befahren oder überfahren den Mittelstreifen und kollidieren dabei frontal, wird von einer Haftungsaufteilung von jeweils 50 % ausgegangen. Wenn hingegen nur eines der beiden Fahrzeuge den Mittelstreifen überfährt, ist dieses zu 100 % verantwortlich.
Die Haftung besteht zu 50 %, da beide Fahrzeuge den Mittelstreifen überfahren haben.
Das Fahrzeug Y, das den Mittelstreifen überfahren hat, ist verantwortlich. y Kommen beide Fahrzeuge aus zwei verschiedenen Straßen, die sich kreuzen oder zusammenlaufen, ist immer dasjenige Fahrzeug, das von links kommt, zu 100 % verantwortlich, es sei denn Straßenschilder oder Ampeln legen andere Vorfahrtsbestimmungen fest.
Das Fahrzeug Y, das von links kommt, ist verantwortlich. y Fährt ein fahrendes Fahrzeug ein Stehendes an, ist das Fahrende [zu 100 %] für den Unfall verantwortlich.
Typische Unfallsituationen mit Haftungsquoten
297
Das fahrende Fahrzeug Y, das ein stehendes Fahrzeug anfährt, ist verantwortlich. y Das rückwärtsfahrende Fahrzeug ist für den Unfall [zu 100 %] verantwortlich.
Das Fahrzeug Y, das rückwärtsfährt, ist verantwortlich.
Anhang II
Gesetzentwurf Nr. 4093 vom 4.6.1999 zur Kodifizierung des danno biologico und danno morale im Codice civile Übersetzungen zum Teil aus Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kapitel 14, 7. Der italienische „danno biologico da morte“, S. 1612 f. Disegno di legge 4.6.1999, n. 4093 – Nuova disciplina in tema di danno alla persona. Art. 2056-bis Codice civile (Entwurf 1999) – Danno biologico (1) Danno biologico è la lesione all’integrità psicofisica, suscettibile di accertamento medico legale, della persona. (2) Il danno biologico è risarcibile indipendentemente dalla sua incidenza sulla capacità di produzione del reddito del danneggiato. (3) In caso di morte del danneggiato, il danno biologico è risarcibile avuto riguardo al tempo trascorso dall’evento dannoso. Zu Deutsch: (1) Biologischer Schaden ist diejenige Verletzung der psycho-physischen Integrität der Person, die gerichtsmedizinisch feststellbar ist. (2) Der biologische Schaden ist ersetzbar, unabhängig von seiner Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Geschädigten (3) Im Falle des Todes des Geschädigten, ist der biologische Schaden ersetzbar bei Berücksichtigung des Zeitablaufs seit dem schädigenden Ereignis. Art. 2056-ter Codice civile (Entwurf 1999) – Danno biologico dei prossimi congiunti del danneggiato (1) In caso di morte del danneggiato, è risarcibile il danno biologico subìto dai prossimi congiunti. (2) Ai fini del primo comma, per prossimi congiunti del danneggiato si intendono il coniuge e i parenti entro il secondo grado. (3) Al coniuge è equiparato il convivente di fatto, unito da stabile comunione morale e materiale con il danneggiato, che ne dia la relativa prova. Zu Deutsch: (1) Im Falle des Todes des Geschädigten ist der von dessen nahen Angehörigen erlittene biologische Schaden ersetzbar.
Gesetzentwurf Nr. 4093 vom 4.6.1999
299
(2) Zu nahen Angehörigen des Geschädigten im Sinne des ersten Absatzes zählen der Ehegatte und Verwandte im zweiten Grad. (3) Dem Ehepartner ist der tatsächliche Lebenspartner gleichgestellt, sofern dieser in fester moralischer und materieller Gemeinschaft mit dem Geschädigten lebt, wofür er die Beweislast trägt. Art. 2059 Codice civile (Entwurf 1999) – Danno morale In mancanza di specifici criteri previsti dalla legge, il danno morale è liquidato dal giudice tenuto conto della gravità della lesione e di ogni altro elemento idoneo a provarne l’effettiva incidenza sul danneggiato. Zu Deutsch: In Ermangelung besonderer gesetzlicher Kriterien wird der Gefühlsschaden durch den Richter bemessen unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung und jedes anderen Umstandes, der zum Beweis der faktischen Auswirkungen auf den Geschädigten geeignet ist. Art. 2059-bis Abs. 1 und 5 Codice civile (Entwurf 1999) – Danno morale dei prossimi congiunti del danneggiato (1) In caso di morte del danneggiato, è risarcibile il danno morale subìto dai prossimi congiunti. (2) Il danno morale sofferto dai prossimi congiunti del danneggiato é altresí risarcibile quando la lesione dell’integrità psicofisica da quest’ultimo subíta in conseguenza dell’evento dannoso sia pari o superiore al 50 per cento di invalidità. (3) Nella determinazione dell’ammontare del risarcimento del danno di cui al primo e secondo comma si applicano le disposizioni dell’articolo 2059. (4) Ai fini del primo e secondo comma, per prossimi congiunti del danneggiato si intendono il coniuge e i parenti entro il secondo grado. (5) Al coniuge è equiparato il convivente di fatto, unito da stabile comunione morale e materiale con il danneggiato, che ne dia la relativa prova. Zu Deutsch: (1) Im Falle des Todes des Geschädigten ist der von dessen nahen Angehörigen erlittene Gefühlsschaden ersetzbar. (2) Der von nahen Angehörigen des Geschädigten erlittene Gefühlsschaden ist auch dann ersatzfähig, wenn der Geschädigte infolge des schädigenden Ereignisses eine Verletzung seiner geistig-körperlichen Integrität erlitten hat, die zu einer Invalidität von 50 % oder mehr geführt hat. (3) Die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes nach Absatz 1 und 2 richtet sich nach Art. 2059 c. c. (4) Zu nahen Angehörigen des Geschädigten im Sinne des ersten Absatzes zählen der Ehegatte und Verwandte im zweiten Grad.
300
Anhang II
(5) Dem Ehepartner ist der tatsächliche Lebenspartner gleichgestellt, sofern dieser in enger moralischer und materieller Gemeinschaft mit dem Geschädigten lebt, wofür er die Beweislast trägt.
Anhang III
Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des biologischen Schadens bei Dauerinvalidität Abrufbar unter .
302
Anhang III
Invaliditätsgrad
„Punktewert“ für den jeweiligen Invaliditätsgrad 2008 neubewertet 2018
Erhöhung
Neubewertung
„Standardbetrag“ zur Bemessung des Nichtvermögensschadens 2018
Demultiplikator
Entschädigung: Altersklassen 31–40 Altersklassen
Auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Erhöhung
LANDGERICHT MAILAND – BEMESSUNG DES NICHTVERMÖGENSSCHADENS – TABELLEN 2018 Dauerschaden infolge von Körper- oder Gesundheitsverletzungen: Durchschnittliche Bemessungsbeträge und maximale Prozentsätze der „Personalisierung“
Auszug Mailänder Tabelle 2018
303
Invaliditätsgrad
Anhang IV
Auszug Mailänder Tabelle 2018 zur Bemessung des sog. Schadens mit Todesfolge (danno terminale) Abrufbar unter . Sog. Schaden mit Todesfolge, einschließlich der Komponente des vorübergehenden biologischen Schadens Tage Gesamtbetrag bis zu 3 bis zu € 30.000,00 weitere Tagessätze Tage
weitere Tagessätze weitere Tagessätze weitere Tagessätze Tage Tage Tage
4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
1.000,00 991,00 981,00 972,00 962,00 953,00 944,00 934,00 925,00 915,00 906,00 987,00 887,00 878,00 868,00 859,00 850,00 840,00 831,00 821,00 812,00 803,00 793,00 784,00
774,00 765,00 756,00 746,00 737,00 727,00 718,00 709,00 699,00 690,00 680,00 671,00 662,00 652,00 643,00 633,00 624,00 615,00 605,00 596,00 586,00 577,00 568,00 558,00
52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
549,00 539,00 530,00 521,00 511,00 502,00 492,00 483,00 474,00 464,00 455,00 445,00 436,00 427,00 417,00 408,00 398,00 389,00 380,00 370,00 361,00 351,00 342,00 333,00
76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100
323,00 314,00 304,00 295,00 286,00 276,00 267,00 257,00 248,00 239,00 229,00 220,00 210,00 201,00 192,00 182,00 173,00 163,00 154,00 145,00 135,00 126,00 116,00 107,00 98,00
Individuelle Erhöhung (sog. maximale Erschütterung) nur ab dem 3. Tag um maximal + 50 %
305
Auszug Mailänder Tabelle 2018
Sog. Schaden mit Todesfolge, einschließlich der Komponente des vorübergehenden biologischen Schadens Tage Gesamtbetrag bis zu 3 bis zu € 30.000,00 weitere GesamtTage beträge
weitere GesamtTage beträge
weitere GesamtTage beträge
weitere Gesamt Tage beträge
4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100
1.000,00 1.991,00 2.972,00 3.944,00 4.906,00 5.859,00 6.803,00 7.737,00 8.662,00 9.577,00 10.483,00 11.380,00 12.267,00 13.145,00 14.013,00 14.872,00 15.722,00 16.562,00 17.393,00 18.214,00 19.026,00 19.829,00 20.622,00 21.406,00
22.180,00 22.945,00 23.701,00 24.447,00 25.184,00 25.911,00 26.629,00 27.338,00 28.037,00 28.727,00 29.407,00 30.078,00 30.740,00 31.392,00 32.035,00 32.668,00 33.292,00 33.907,00 34.512,00 35.108,00 35.694,00 36.271,00 36.839,00 37.397,00
37.946,00 38.485,00 39.015,00 39.536,00 40.047,00 40.549,00 41.041,00 41.524,00 41.998,00 42.462,00 42.917,00 43.362,00 43.798,00 44.225,00 44.642,00 45.050,00 45.448,00 45.837,00 46.217,00 46.587,00 46.948,00 47.299,00 47.641,00 47.974,00
48.297,00 48.611,00 48.915,00 49.210,00 49.496,00 49.772,00 50.039,00 50.296,00 50.544,00 50.783,00 51.012,00 51.232,00 51.442,00 51.643,00 51.835,00 52.017,00 52.190,00 52.353,00 52.507,00 52.652,00 52.787,00 52.913,00 53.029,00 53.136,00 53.234,00
Individuelle Erhöhung (sog. maximale Erschütterung) nur ab dem 3. Tag um maximal + 50 %
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Sachverzeichnis absolute Rechte 98, 112 anwendbares Sachrecht 7 ff., 12 – Ansprüche von Hinterbliebenen 9 barèmes siehe Schadensskala Bemessung 124 ff., 155 ff. – Dauerschaden – leichter 60, 132 ff. – schwerer 141 – des Lebens 198 – Gefühlsschaden bei herannahendem Tod 184 – Gesundheitsschaden mit Todesfolge 177 ff. – Hinterbliebenengeld 248 ff., 256 ff. – kurzes Überleben im Bewusstsein des Todes 187 f. – kurzes Überleben ohne Bewusstsein 181 – Mitverschulden 165, 252, 260, 269, 275 – psychischer Gesundheitsschaden 185 f. – Schaden mit Todesfolge 192 – Schockschaden 269 ff., 273 ff. – vorübergehender Gesundheitsschaden 60, 131, 149 Beschaffenheitsfehler 45 ff. Betrieb des Kraftfahrzeugs 24, 30, 34 Betriebsgefahr 27, 31 f., 34, 36, 39 Bewusstsein siehe Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit caso fortuito siehe Zufall circolazione siehe Betrieb des Kraftfahrzeugs conducente siehe Fahrzeugführer danno alla vita di relazione siehe Schaden am Beziehungsleben
danno biologico (psichico) siehe Gesundheitsschaden danno biologico terminale siehe Gesundheitsschaden mit Todesfolge danno conseguenza siehe Folgeschaden danno da perdita del rapporto parentale siehe Hinterbliebenengeld danno esistenziale siehe Existenzschaden danno evento siehe Erfolgsschaden danno ingiusto 20, 93 danno morale siehe Gefühlsschaden danno morale terminale siehe Gefühlsschaden bei herannahendem Tod danno non patrimoniale siehe Schmerzensgeld danno tanatologico siehe Verlust des Lebens als solches danno terminale siehe Schaden mit Todesfolge deliktische Generalklausel 20 deliktische Verschuldenshaftung 19 ff. Direktklage/-anspruch 4, 50, 61, 64, 66, 138 ff. diritti inviolabili siehe absolute Rechte Draft Common Frame of Reference 13 dritte Schadenskategorie 91, 107 Drozdovs 14 Entlastungsbeweis 24 ff., 27, 30, 35, 38, 41, 43 Erfolgsschaden 93, 95, 111, 195 Existenzschaden 101 ff. – von Hinterbliebenen 226 ff. Fahrlässige Körperverletzung 51 ff. Fahrlässige Tötung 55 ff. Fahrradfahrer 23, 29, 32 f., 34 Fahrzeugführer 23, 30, 34 Fahrzeughalter 37, 40, 43
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Sachverzeichnis
Folgeschaden 93, 111, 195, 197, 204 Friedenspflicht 6, 61, 67 Garantiefonds für Straßenverkehrsopfer 9, 38 Gefährdungshaftung 37, 39, 46, 71 f. Gefühlsschaden bei herannahendem Tod 183 ff. Gefühlsschaden 77 ff., 82 ff., 101, 145, 150, 152 ff. – von Hinterbliebenen 204 ff., 208 geplatzter Reifen 26, 31, 46 ff. Gerichtsarzt 132, 136 ff., 149 Gesundheitsschaden mit Todesfolge 176 ff., 184 Gesundheitsschaden 86 ff., 129 ff. – psychischer 88, 98, 185 ff. – psychischer Gesundheitsschaden von Hinterbliebenen siehe Schockschaden Haasová 14 Haftung im Straßenverkehr 21 ff. Hinterbliebenengeld 203 ff, 207 ff., 291 – anspruchsberechtigter Personenkreis 234 ff., 241 ff. – Verhältnis zum Schockschaden 224, 269 ff., 275 ff., 278 f. – Voraussetzungen 207, 213 ff. Hochzeitsfeier 114, 121 höhere Gewalt 40, 44 HWS‑Syndrom 99, 135 ff., 162, 170 invalidità permanente siehe Bemessung – Dauerschaden invalidità temporanea siehe Bemessung – vorübergehender Gesundheitsschaden Invaliditätsgrad 130 ff. iure hereditario-Ansprüche 173 ff. iure proprio-Ansprüche 203 ff. Kaufkraftniveau 165, 253 Kausalität 24, 30 Kraftfahrzeug 23, 29 Kraftfahrzeugregister 37 Lazar 9 Mailänder Tabelle 141 ff., 190 ff., 249
Marques Almeida 14 medico legale siehe Gerichtsarzt Mitverschulden 31 ff., 36, 42 Mitverschuldensvermutung 27, 36, 287 Mobbing 103, 111, 115, 117 Nichtvermögensschaden siehe Schmerzensgeld notwendige Streitgenossenschaft 6 Odenbreit 4 f., 139 Personalisierung 127, 134, 146, 150, 158 ff., 178 f., 192, 251 personalizzazione siehe Personalisierung Persönlichkeitsentfaltung 102, 107, 110, 116 ff., 119 ff., 230 Petillo 14, 158 Principles of European Tort Law 13 prova liberatoria siehe Entlastungsbeweis responsabilità oggettiva siehe Gefährdungshaftung Sachschäden 58 San Martino-Urteile 72, 96, 110, 144, 207 Schaden am Beziehungsleben 89, 95 Schaden mit Todesfolge 190 ff. Schadensregulierungsbeauftragter 5 Schadensskala 132, 140, 149 Schmerzensgeld – Funktion 125, 161, 166 – Gefährdungshaftung 72, 74 – Konzeption 70, 73, 75 – mittelbare Drittwirkung 70, 76, 93, 108, 115, 227 – Schmerzensgeldtabellen 128, 163, 167 ff. – Schutzgüter 70, 73, 76, 84, 85, 98 – Vererbbarkeit 173 ff. – Vertragshaftung 72, 74, 97, 112 ff., 121, 123 f. Schockschaden 217 ff., 219 ff., 284 f., 293 – anspruchsberechtigter Personenkreis 234 ff., 245 – Haustier 222, 240
Sachverzeichnis
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– Verhältnis zum Hinterbliebenengeld 224, 269 ff., 275 ff., 278 f. Schwarzfahrt 38, 41, 44 scontro tra veicoli siehe Zusammenstoß von Fahrzeugen sentenze di San Martino siehe San Martino-Urteile sentenze gemelle siehe Zwillingsurteile Skifahrer 23 Sorgfalts- und Verschuldensmaßstab 28, 31 ff. Spedition Welter 5 Strafantrag 55, 80
– Hemmung und Neubeginn (bzw. Unterbrechung) 62, 65, 67 – ordentliche 49, 64 – strafrechtliche 50, 54, 56 f., 66 – Straßenverkehrsunfälle mit grenzüberschreitendem Bezug 15 – Wirkung 49, 63, 65 Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit 104, 118 Verlust des Lebens als solches 194 ff. vermutetes Verschulden 22, 29 Versicherungsbinnenmarkt 17 Vertrauensgrundsatz 35 f., 287
tertium genus siehe dritte Schadenskategorie
Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit 78, 85, 86, 101, 183, 187, 191 Wohnsitzforum 4, 139
Überlebensdauer 177, 180, 182 unabwendbares Ereignis 41 f. unerwünschte Geburt 103, 118 veicolo siehe Kraftfahrzeug Verjährung – Beginn und Berechnung 58 ff., 67
Zufall 25, 44, 46, 288 Zusammenstoß von Fahrzeugen 27, 31 f., 35 Zustellung der Klageschrift 5 Zwillingsurteile 72, 81, 95, 107, 206