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German Pages 293 Year 2016
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 64
Das Europäische Patent im Wandel Ein Rechtsvergleich des EP-Systems und des EU-Patentsystems
Von
Sebastian Fuchs
Duncker & Humblot · Berlin
SEBASTIAN FUCHS
Das Europäische Patent im Wandel
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Band 64
Das Europäische Patent im Wandel Ein Rechtsvergleich des EP-Systems und des EU-Patentsystems
Von
Sebastian Fuchs
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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D6 Alle Rechte vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-14870-7 (Print) ISBN 978-3-428-54870-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84870-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meiner Familie
Vorwort Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Sommersemester 2014 als Dissertation angenommen. Sie wurde 2015 noch einmal überarbeitet, um u. a. die mittlerweile in Kraft getretene Neufassung der EuGVVO zu berücksichtigen. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum Gegenstand dieser Arbeit wurden bis Juli 2014 berücksichtigt. Dies schließt die Urteile in den Rechtssachen C-146/13 sowie C-147/13 aus. Die Urteile haben jedoch erwartungsgemäß die Sorge über eine Nichtigerklärung der EU-Patent-Verordnungen entkräftet (vgl. hierzu u., Kap. 5 A.). Die zahlreichen, trotz jahrzehntelanger Befassung durch Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgeber fortbestehenden Probleme des europäischen Patentsystems und seine im Hinblick auf die beteiligten Interessen bestehenden Unzulänglichkeiten weckten ursprünglich das Interesse des Verfassers. Sie waren ausschlaggebend für seine Befassung mit dem Wandel vom klassisch-nationalen zu einem internationalen Patent. Das sich 2011 in frühen Entwurfsfassungen befindende EU-Patent bot hier die Chance, das EPÜ-System gemeinsam mit dem sich entwickelnden EU-Patentpaket tiefergehend zu untersuchen. Bei der Erstellung dieser Arbeit in den Jahren 2011 bis 2014 durfte der Verfasser miterleben wie sich aus ersten rudimentären Entwurfspapieren ein solides Gesetzeswerk entwickelte, das auf viele der Kritikpunkte zum EPÜ-System eine angemessene Antwort gibt. Der Verfasser beabsichtigt durch seine Untersuchungen interessante und praxisrelevante Lösungsansätze hinsichtlich der von ihm ausgewählten Probleme des EP-Systems zu liefern und zu einem Verständnis des EU-Patentsystems beizutragen, das eine bloß isolierte Betrachtung des neuen Systems nicht vermitteln könnte. Dank schulde ich Professor Dr. Thomas Klicka für das hohe Maß an Freiheit, das er mir bei Auswahl und Bearbeitung des Themas gewährt hat, sowie für seine umfassende Unterstützung bei der Erstellung der Arbeit. Dank gebührt außerdem Professor Dr. Wolfram Timm für die Erstellung des Zweitgutachtens. In besonderer Weise möchte ich meiner Freundin Leonie Gallhöfer danken, die für mich stets Rückhalt und Ruhepol ist. Vom Herzen danken möchte ich meinen Eltern wie auch meinen Brüdern, die mit ihrem Interesse, ihrer Geduld und Ermutigung ganz maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Düsseldorf, Oktober 2015
Sebastian Fuchs
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Kapitel 1 Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
31
A. Allgemeine Bedeutung des Patentschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Kapitel 2 Das EP-System
40
A. Vertragsstaaten bzw. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Europäische Patentorganisation und Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Anmelde- und Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 E. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 F. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Kapitel 3 Ausgewählte Probleme des EP-Systems
46
A. Internationales Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 B. Trennungs- oder Verbundsystem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 D. Fazit: Bedarf für grenzübergreifende Patente mit einheitlicher Gerichtsbarkeit . . . . . . 159
10
Inhaltsübersicht Kapitel 4 Das EU-Patentsystem
161
A. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 B. Verstärkte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Übersicht über Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 D. Regelungswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 E. Das Einheitliche Patentgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Kapitel 5 Risiken für das EU-Patentsystem
195
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 B. Kosten für ein EPeW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 C. Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 D. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 E. Fazit: Keine erheblichen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Kapitel 6 Vorteile des EU-Patentsystems
253
A. Cross-border-injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Torpedoklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 C. Trennungs- oder Verbundsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 E. Fazit: Wesentliche Fortschritte des EU-Patentsystems gegenüber dem EP-System . . . 271 Kapitel 7 Gesamtergebnis
273
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Kapitel 1 Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
31
A. Allgemeine Bedeutung des Patentschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Nationale Patente als Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Anfänge eines Internationalen Patentschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Internationale Patentanmeldung und -erteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Internationaler Patentschutz durch grenzübergreifende Patente und einheitliche Patentgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 V. Ursachen für Schwierigkeiten bei der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . 38
Kapitel 2 Das EP-System
40
A. Vertragsstaaten bzw. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Europäische Patentorganisation und Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Europäische Patentorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Europäisches Patentamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Verwaltungsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. Anmelde- und Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Eingangsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Sachliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 E. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
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Inhaltsverzeichnis
F. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Erteilungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Jahresgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Kapitel 3 Ausgewählte Probleme des EP-Systems
46
A. Internationales Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Grundsätzliche Anwendbarkeit auf Patentverletzungsverfahren . . . . . . . . . . 48 b) Rechtsnatur und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Internationale Zuständigkeit für Patentstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb) Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubter Handlung . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. LugÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Cross-border-injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Gemeinsame Verhandlung in- und ausländischer Patentverletzungen . . . . . . . . 51 a) Verhandlung auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) „Fiona Shevill/Presse Alliance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (2) „Marinari/Lloyd’s Bank“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Übertragbarkeit der EuGH-Rechtsprechung auf Patentrechtsverletzungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (4) In- und ausländische Patentverletzungen auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (noch) gemeinsam verhandelbar? . . . . . . . . . . . . . . 56 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Rechtsprechung der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 cc) Zwischenergebnis: Keine Verhandlung auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Verhandlung auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Keine EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Rechtsprechung der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (1) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (2) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Inhaltsverzeichnis
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dd) Zwischenergebnis: Verhandlung ausländischer Patentverletzungen auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich möglich . . . . . . . . 65 c) Gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO . 65 aa) Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Ursprünge und Entwicklung der Spider in the web Doktrin in der nationalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (1) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (2) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (3) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) EuGH „Roche/Primus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (2) Rechtliche Beurteilung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (3) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (a) Regel-Ausnahme-Verhältnis von allgemeinen und besonderen Gerichtsständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (b) Auseinanderfallen der Rechtslagen in den Mitgliedstaaten . . . . . 74 dd) EuGH „Freeport/Arnoldsson“ und „Painer/Standard Verlags GmbH“ . . 75 ee) EuGH „Solvay/Honeywell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Rechtliche Beurteilung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 ff) Zwischenergebnis: Keine gemeinsame Verhandlung bei einer der Spider in the web Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 gg) Vereinbarkeit der EuGH-Rechtsprechung mit geltendem Recht . . . . . . . 78 (1) Richtlinie zur Durchsetzung des Geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . 78 (2) TRIPS-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 d) Ergebnis: Cross-border-injunctions nur eingeschränkt möglich . . . . . . . . . . 81 2. Auswirkungen des Nichtigkeitseinwands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) EuGH „GAT/LuK“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Rechtliche Beurteilung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Wortlautkonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (a) Deutsche Fassung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . 84 (b) Englische Fassung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . 85 (3) Vereinbarkeit mit Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) EuGH „Solvay/Honeywell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Rechtliche Beurteilung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
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Inhaltsverzeichnis c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Ergebnis: Renationalisierung der Patentstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Vorgreifende negative Feststellungsklagen („Torpedos“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Keine einheitliche Regelung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Lösungsansätze der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Nichtanwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf negative Feststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) OLG München „Elektronisches Navigationssystem“ . . . . . . . . . . . . 92 (2) BGH „Trägermaterial für Kartenformulare“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (1) Tribunale di Bologna „Verpackungsmaschine I“ . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Corte di Cassazione „Verpackungsmaschine II“ . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (3) Tribunale di Milano – einstweiliges Verfügungsverfahren . . . . . . . . 94 (4) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) EuGH „Folien Fischer e. a./Ritrama“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Rechtliche Beurteilung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 ee) Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Berufung auf rechtmissbräuchliche Ausnutzung des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 dd) Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO . . . . . . . 101 aa) Keine Identität von Ansprüchen bzw. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Keine Identität der Streitgegenstände von Erst- und Zweitklage . . . . . . 102 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 d) Garantie des Zweitverfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . 103 e) Einfluss von Torpedoklagen auf einstweilige Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Ergebnis: Torpedoklagen weiterhin möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 IV. Fazit: Cross-border-injunctions nicht praktikabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
B. Trennungs- oder Verbundsystem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Wesentliche Eigenschaften des Trennungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Wesentliche Eigenschaften des Verbundsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Vergleich der Systeme hinsichtlich Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Inhaltsverzeichnis
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2. Trennungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Verbundsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 IV. „Injunction Gap“ als Risiko des Trennungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 V. Ergebnis: Trennungssystem überwiegend klägerfreundlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Straßburger Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Maßnahmen auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Erfolgreiche Rechtsangleichung durch Harmonisierungsmaßnahmen? . . . . . . . . . 121 1. Vorprozessuale Maßnahmen zur Beweissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Besichtigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Düsseldorfer Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 e) Ursachen für unzureichende Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 f) Beste Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Schadensersatzberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Wortlaut des Art. 13 der Durchsetzungs-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Ziele des EU-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie durch die Mitgliedstaaten . . . . . . 135 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 dd) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
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Inhaltsverzeichnis ee) Zusammenfassung der unterschiedlichen Berechnungspraktiken . . . . . . 147 (1) Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Herausgabe des Verletzergewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Immaterielle Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (4) Lizenzanalogie („lump sum damages“ bzw. Pauschalbeträge) . . . . . 148 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Beste Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Festlegung von Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Identifizieren der generell geeignetsten Berechnungsmethode . . . . . . . . 150 cc) Definieren gemeinsamer Standpunkte der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . 151 dd) Beste Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Pauschal vervielfachte Lizenzgebühren im Rahmen der Lizenzanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (a) Vervielfachung einer Lizenzgebühr generell . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Pauschal verdoppelte Lizenzgebühren und widerlegbare Gewinnvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (c) Koppelung einer Vervielfachung an Verschuldensgrade . . . . . . . 156 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Ansatz des LG München I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Fazit: Ansatz des LG München I als beste Praxis . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Ergebnis: Abweichende Praxis trotz Harmonisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 159
D. Fazit: Bedarf für grenzübergreifende Patente mit einheitlicher Gerichtsbarkeit . . . . . . 159
Kapitel 4 Das EU-Patentsystem
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A. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 B. Verstärkte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Anwendung anlässlich des EU-Patentsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 C. Übersicht über Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 D. Regelungswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Verordnungen zur Schaffung einheitlichen Patentschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Patent-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Einheitliche Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Europäisches Patent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Erteilung und identischer Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Inhaltsverzeichnis
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cc) Beantragung und Eintragung der einheitlichen Wirkung . . . . . . . . . . . . 169 dd) Wirksamwerden des EP mit einheitlicher Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Keine materiellen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Übersetzungs-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Anforderungen an Antrag auf einheitliche Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Anforderungen an Patentschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Zusätzliche Anforderungen während des Übergangszeitraums . . . . . . . . . . . 172 d) Kompensationssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Relevante Rechtsquellen außerhalb des EU-Patentpakets . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Verhältnis von EuGVVO und EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Änderung der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Zuständigkeit eines „gemeinsamen Gerichts“ i. S. d. EuGVVO-Änderung . . 175 3. Materielle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Reichweite der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Voraussichtliches Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Stand der Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Inkrafttreten der EuGVVO-Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 E. Das Einheitliche Patentgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Grundsatz multinationaler Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Gericht erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Lokal- und Regionalkammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Verfahrenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Zentralkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Verfahrenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Gemeinsames Berufungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Verfahrenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Gericht erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Örtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
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Inhaltsverzeichnis 2. Zentralkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Örtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Opt-Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 IV. Organisation und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Verfahrensordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. Verstärkte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Klagen Spaniens und Italiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Keine ausschließliche Zuständigkeit der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Kein Verstoß gegen ultima ratio Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Umgehung eines Einstimmigkeitserfordernisses als zwingende Folge der verstärkten Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 d) Keine Schwächung des Binnenmarkts, Verzerrung des Wettbewerbs, Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 e) Keine Missachtung des Art. 327 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 f) Keine Kompetenzüberschreitung durch den Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Anmerkungen zum Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 II. Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. EuGH-Gutachten 1/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Rechtlicher Rahmen für eine Überprüfung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . 190 b) Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Maßnahmen zur Gewährleistung einer EU-Rechts-Konformität . . . . . . . . . . . . 192 a) „Non-Paper“ der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Änderungen in der beschlossenen Fassung des EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Kapitel 5 Risiken für das EU-Patentsystem
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A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. EPatVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Zusammenwirken von EPatVO und EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Fehlen einer Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Verstoß gegen die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU . . . . . . . . . . 199 c) Missbrauch der verstärkten Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
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d) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Frage bisher gerichtlich nicht geklärt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Einheitliche Wirkung in der EPatVO (ausreichend) geregelt . . . . . . . . . 200 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Abhängigmachung der EPatVO vom EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Geltung der EPatVO ab Inkrafttreten des EPGÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Räumliche Geltung (Umfang der einheitlichen Wirkung) . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Aufgabenverteilung an EPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. EPatÜbersVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Eingeschränkte Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Gleichbehandlung der Amtssprachen nicht zwingend . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Einheitliches Patent als legitimes Ziel der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Einschränkung der Übersetzungen verhältnismäßig . . . . . . . . . . . . . . . . 209 dd) Weitere Maßnahmen zur Verhinderung wettbewerblicher Nachteile . . . 210 2. Übersetzung im Falle des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Verwaltung des Kompensationssystems durch das EPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4. Abhängigmachung der EPatÜbersVO vom Inkrafttreten des EPGÜ . . . . . . . . . 211 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Ergebnis: Erfolgsaussichten gering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Kosten für ein EPeW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Anmeldekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Aktuelle Anmeldekosten für ein durchschnittliches EP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Voraussichtliche Anmeldekosten für ein durchschnittliches Einheitspatent . . . . 214 3. Abstrakte Kostenvorteile des Einheitspatents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Nationale Kosten und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Übersetzungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Vorübergehender Kostenanstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Jahresgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Erhebung von Jahresgebühren für ein EP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Erhebung von Jahresgebühren für ein EPeW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Grundsätze zur Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Progressiver Anstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Selbstfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 cc) Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
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Inhaltsverzeichnis dd) Kriterien für Festlegung der Jahresgebühren i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Grundsätze zur Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Konkrete Kostenhöhe – Vergleich des EU-Patentsystems mit Modellen zum EPSystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Kosten-Nutzen-Analyse von Danguy und van Pottelsberghe . . . . . . . . . . . . . 222 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Ergebnis: Kosten für ein EPeW ungewiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
C. Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Grundsätze des Kostensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Festlegung der Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Verhältnismäßigkeit und Besserstellung von KMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Finanzierung durch Vertragsmitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Studie der GD Binnenmarkt und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Methodik zur Determinierung des Kostenbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Methodik zur Berechnung der Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Ergebnis: Gerichtskosten ungewiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 D. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Beteiligung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Vorabentscheidungsverfahren über materielles Patentrecht möglich? . . . . . . . . 233 2. Theoretische Häufigkeit von Vorabentscheidungsverfahren über materielles Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Im Wesentlichen übereinstimmender Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Einheitliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Anwendung des EPGÜ durch nationale Gerichte während des Übergangszeitraums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Grundlegende Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Wortlaut des Art. 83 EPGÜ nicht eindeutig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Meinung des Vorbereitenden Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Multinationale Zusammensetzung der Kammern als Risikofaktor? . . . . . . . . . . . . 244
Inhaltsverzeichnis
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IV. Rechtsunsicherheit in nicht harmonisierten Bereichen zu befürchten? . . . . . . . . . 246 1. Übertragung von Patenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Vorschriften über die Rechte und Pflichten aus vertraglichen Lizenzen . . . . . . 248 3. Zwangslizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 V. Ergebnis: Keine wesentlichen Bedenken gegen Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . 251 E. Fazit: Keine erheblichen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Kapitel 6 Vorteile des EU-Patentsystems
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A. Cross-border-injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Verhandlung ausländischer Patentverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. EP-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 III. Gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter (Spider in the web Doktrin) . . . . . 255 1. EP-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Besondere Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Geltung für beide Arten des EP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Auswirkungen von Nichtigkeitseinrede und Nichtigkeitswiderklage . . . . . . . . . . . 256 1. EP-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Differenzierte Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Kein Konflikt mit der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Torpedoklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Torpedoklagen vor nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Differenzierte Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Fortgeltung der lis pendens Regel im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . 260 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 C. Trennungs- oder Verbundsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 I. Unterschiedliche Systeme in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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Inhaltsverzeichnis II. EPG – Koexistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Vorprozessuale Beweissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Situation in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Regelung vorprozessualer Beweissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Regelung einer Schadensersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Vereinbarkeit mit der Durchsetzungs-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Möglichkeit der Schutzschrifthinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Situation in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Schadensersatzberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Situation in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Keine besondere Regelung für das EPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 E. Fazit: Wesentliche Fortschritte des EU-Patentsystems gegenüber dem EP-System . . . 271
Kapitel 7 Gesamtergebnis
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. Abschn. a. E. AEUV a. F. ähnl. AIPPI Anm. AOEPÜ Art. Aufl. Ausg. Az. Begr. BGB BGBl. BGH BMJ BPatG bspw. BT-Drks. BVerfG bzgl. bzw. ca. ch. CLIP COREPER DAV ders. d. h. DIHK DIS Diss. Dok. DPMA dt.
andere Auffassung Amtsblatt Absatz Abschnitt am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung ähnlich Association Internationale pour la Protection de la Propriété Intellectuelle Anmerkung Ausführungsordnung zum EPÜ Artikel Auflage Ausgabe Aktenzeichen Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesministerium der Justiz Bundespatentgericht beispielsweise Drucksache des deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht bezüglich beziehungsweise circa chapter European Max Planck Group on Conflict of Laws in Intellectual Property Comité des Représentants Permanents (Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten) Deutscher Anwaltverein derselbe das heißt Deutscher Industrie- und Handelskammertag Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) e. V. Dissertation Dokument Deutsches Patent- und Markenamt deutsch(en)
24 DuchsetzungsG
Abkürzungsverzeichnis
Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums (Durchsetzungsgesetz) ECLR European Constitutional Law Review EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ehem. ehemals Einl. Einleitung EIPIN The European Intellectual Property Institutes Network E.I.P.R. European Intellectual Property Review EJRR European Journal of Risk Regulation El. Ergänzungslieferung ELF The European Legal Forum EMRK Europäische Menschenrechtskonvention endg. endgültig entspr. entspricht/entsprechend EPA Europäisches Patentamt EPatÜbersVO Einheitspatentübersetzungsverordnung EPatVO Einheitspatentverordnung EPeW Europäische(s) Patent(e) mit einheitlicher Wirkung EPG Einheitliches Patentgericht EPGÜ Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht EPLA European Patent Litigation Agreement EPO Europäische Patentorganisation EPÜ Europäisches Patentübereinkommen erw. erweiterte Erwgrd. Erwägungsgrund EU Europäische Union EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGVÜ Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen EuGVVO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVVO-Änderung Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/ 2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften EUV Vertrag der Europäischen Union EuZPR Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f./ff. folgend(e) Fn. Fußnote FS Festschrift GD MARKT Generaldirektion für Binnenmarkt und Dienstleistungen GebrMG Gebrauchsmustergesetz
Abkürzungsverzeichnis GEMA GeschmMG ggf. ggü. GGV GmbH GMV GPatG GPÜ GPÜ-1975 GPÜ-2000 grds. GRUR GRUR Ausl GRUR Int HABM Hs. ht. ICC i. d. R. i. E. i. F. IIC insb. InstGE IntPatÜG IP IPC IPRax IPRspr i. R. d. i. S. d. i. S. v. i. Ü. i. V. m. Jg. JIPLP JURI jurisPR-WettbR JZ Kap. Klgrd. KMU krit.
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Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte Geschmacksmustergesetz gegebenenfalls gegenüber Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinschaftsmarkenverordnung Gemeinschaftspatentgesetz Gemeinschaftspatentübereinkommen Gemeinschaftspatentübereinkommen, unterzeichnet am 15. Dezember 1975 Gemeinschaftspatentübereinkommen nach dem Vorschlag vom 1. August 2000 grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Ausländischer Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil Harmonisierungsamt für Binnenmarkt Halbsatz heute International Chamber of Commerce in der Regel im Ergebnis im Folgenden International Review of Intellectual Property and Competition Law insbesondere Entscheidungen der Instanzgerichte zum Recht des geistigen Eigentums Gesetz über internationale Patentübereinkommen Intellectual Property Intellectual Property Code Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Rahmen des/der im Sinne des/der im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Jahrgang Journal of Intellectual Property Law & Practice Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments juris Praxisreport – Wettbewerbsrecht JuristenZeitung Kapitel Klagegrund kleine und mittlere Unternehmen kritisch
26 LG li. Lit. lit. LondÜb Ls. LugÜ MarkenG MIP MittdtPatAnw MMR MPI m. w. N. n. F. NJOZ No. Nr. NZA o. o. g. OHIM OLG PatG PatQual PatRModG PCT pt. PVÜ R. Ratsdok. re. RegBegr Rn. Rs. Rspr. S. s. sent. Slg. SortSchG SPC Srl st. Rspr. tlw. TRIPS u.
Abkürzungsverzeichnis Landgericht links/linke Literatur litera Londoner Übereinkommen über die Anwendung des Artikels 65 EPÜ Leitsatz Lugano Übereinkommen Markengesetz Managing Intellectual Property Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Multimedia und Recht Max Planck Institut mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift number Nummer Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht oben oben genannt(e) Office for Harmonisation in the Internal Market Oberlandesgericht Patentgesetz Study on the Quality of the Patent System in Europe Patentrechtsmodernisierungsgesetz Patent Cooperation Treaty part (engl.) Pariser Verbandsübereinkunft Regel Ratsdokument rechts/rechte Regierungsbegründung Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Seite siehe sentence Sammlung (Rspr.) Sortenschutzgesetz Supplementary Protection Certificates (Ergänzende Schutzzertifikate) Società a responsabilità limitata (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) ständige Rechtsprechung teilweise Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) unten
Abkürzungsverzeichnis u. a. überarb. UCL Unterabs. UrhG UrhR ursprgl. v. v. a. Var. vgl. VGP Vorbem. Vors. VPP vs. wg. WPI WRP WTO z. B. ZGE ZPO z. T. ZUM
unter anderem überarbeitet(e) University College London Unterabsatz Urhebergesetz Urheberrecht ursprünglich vom vor allem Variante vergleiche Vereinbarung über Gemeinschaftspatente Vorbemerkung Vorsitzende/Vorsitzender Vereinigung von Fachleuten des Gewerblichen Rechtsschutzes versus wegen World Patent Information Wettbewerb in Recht und Praxis World Trade Organisation zum Beispiel Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zivilprozessordnung zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
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Einleitung Gewerbliche Schutzrechte sind in der heutigen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Unternehmen, die hohe Geldbeträge in Forschung und Entwicklung investieren, haben in der Regel ein besonderes Interesse daran, neue Erkenntnisse, die für den freien Markt bestimmt sind, durch gewerbliche Schutzrechte absichern zu lassen. Neben Gebrauchs- und Geschmacksmustern spielen Patente hierbei eine besondere Rolle. Sie sind als das gewerbliche Schutzrecht mit den strengsten Anforderungen gewissermaßen die „Krone“ der Entwicklungsbemühungen und bieten großes Potenzial, hohe Gewinne durch zeitlich begrenzte, faktische Marktexklusivität generieren zu können. Ihrem Ursprung nach rein national, werden gewerbliche Schutzrechte zunehmend internationalisiert. Diese Entwicklung hat folgende Gründe: Immer größere Absatzmärkte werden erschlossen, was zu einer Verringerung der Produktionskosten und damit zu einer Erhöhung der Gewinnspannen führt. Weltweit konkurrieren Staaten darum, optimale Bedingungen für Unternehmen zu schaffen, d. h. ihren jeweiligen Markt für Unternehmen attraktiv zu halten, um einer Abwanderung in andere Märkte entgegenzuwirken. Der Druck in diesem Wettbewerb erhöht sich dadurch, dass Unternehmen in ihrer Fähigkeit, auf andere Märkte auszuweichen, flexibler geworden sind. Die Internationalisierung, insbesondere des Patentrechts, ist eine zentrale gesetzgeberische Maßnahme zur Verbesserung der Marktbedingungen. Sie verspricht erhebliche Kostenvorteile sowohl in Form geringerer Anmelde- und Jahresgebühren als auch Gerichtskosten und erleichtert das rechtliche Vorgehen gegen Patentverletzer. Eine effektive Vorgehensweise ist mehr denn je notwendig, da es nachahmenden Wettbewerbern zunehmend leicht fällt, Märkte für die Produktion und den Absatz patentverletzender Güter zu finden. Insbesondere Schwellenländer, wie bspw. China, die über keinen effektiven Rechtschutz bzw. keine effektiven Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung verfügen, bieten nachahmenden Unternehmen optimale Bedingungen für Produktion und Export patentverletzender Güter. Gelangen diese Güter erst einmal an Absatzorte, ist es von besonderer Bedeutung zentral und effektiv gegen ihren Absatz vorzugehen. Dies erhöht das Bedürfnis von Patentinhabern für einen effizienten und kostengünstigen internationalen Patentschutz. Ein traditionell nationales Schutzrecht muss dementsprechend mit diesem Ziel reformiert werden. Der Patentschutz auf dem europäischen Markt hat sich dem Ziel der Internationalisierung bisher nur in schleppendem Tempo genähert. Seit dem in den 1970er
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Einleitung
Jahren hervorgebrachten Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ)1, das lediglich die Erteilung von Patenten vereinheitlicht, jedoch ihren nationalen Charakter unberührt lässt, hat es in der Europäischen Union keine relevanten Fortschritte mehr bei der Internationalisierung des Patentrechts gegeben: Nach wie vor erhöhen u. a. kostenintensive Übersetzungen der Patentschriften in die jeweiligen Landessprachen der Vertragsstaaten der nach dem EPÜ zustande gekommenen Europäischen Patente (EP) die Schwelle einer Patentanmeldung. Derzeit müssen, mangels eines einheitlichen Patentgerichts, außerdem Gerichtsverfahren vor nationalen Gerichten geführt werden. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund des einheitlichen Binnenmarkts in der EU problematisch, da der freie Warenverkehr gleichermaßen redlichen Unternehmen wie auch nachahmenden Patentverletzern den Vorteil bietet, Produkte ohne Binnenkontrollen und -zölle im gesamten Wirtschaftsraum der EU anbieten zu können. Entsprechend machen Patentverletzungen auch nicht vor Landesgrenzen Halt. Häufig werden daher mehrere nationale Teile eines EP parallel verletzt, was mangels eines einheitlichen Gerichts kostspielige Parallelverfahren in unterschiedlichen Mitgliedstaaten nach sich zieht, obwohl es sich zumeist um im Wesentlichen identische Patentverletzungen handelt. Die Verabschiedung zweier Verordnungen über das sog. Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (i. F. als EPeW bzw. als Einheits- oder EU-Patent bezeichnet)2 und der Abschluss eines Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (i. F. EPG)3 im Dezember 2012 bzw. im Februar 2013 (i. F. insgesamt bezeichnet als EU-Patentsystem) läuten eine neue Ära der Internationalisierung des Patentrechts in den Mitgliedstaaten ein. Das EU-Patentsystem wird frühestens ab 2016 zur Verfügung stehen. Angesichts dieser bevorstehenden, grundlegenden Veränderungen werden in den folgenden Kapiteln ausgewählte Probleme und Aspekte des EP-Systems beleuchtet, um Rückschlüsse auf die Qualität und die voraussichtlichen Chancen und Herausforderungen des neuen EU-Patentsystems ziehen zu können.
1 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 (EPÜ), unterzeichnet in München; ratifiziert in Deutschland am 21. Juni 1976 durch das Gesetz über internationale Patentübereinkommen (IntPatÜG), BGBl. 1976 II S. 649. 2 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (EPatVO), ABl. 2012 Nr. L 361, S. 1 sowie Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates vom 31. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen (EPatÜbersVO), ABl. 2012 Nr. L 361, S. 89. 3 Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht vom 19. Februar 2013 (EPGÜ), unterzeichnet in Brüssel, ABl. 2013 Nr. C 175, S. 1.
Kapitel 1
Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente Dieses Kapitel dient der Einführung in das Thema „Patentschutz“ sowie der Einordnung des EU-Patentpakets in den historischen Kontext des internationalen Patentschutzes.
A. Allgemeine Bedeutung des Patentschutzes Ein Patent gewährt seinem Inhaber hinsichtlich der im Patent verkörperten Lehre ein Recht zum Ausschluss anderer Unternehmer auf bestimmte Zeit. Als Grundlage für die Rechtfertigung seines Ausschließlichkeitscharakters werden in der Literatur unterschiedliche Theorien, darunter die Belohnungs-, Anspornungs-, Offenbarungsund Eigentumstheorie, angeführt. Der BGH schließt sich der Belohnungstheorie an, die eine Offenbarung (gemeint ist damit im Patentrecht die Zurverfügungstellung der Erfindung bzw. ihrer technischen Lehre an die Allgemeinheit1) im Sinne des technischen Fortschritts als entscheidenden Grund dafür ansieht, den Erfinder im Gegenzug mit einem Ausschließlichkeitsrecht auf Zeit zu belohnen.2 Im Kern beinhalten auch die anderen Patentrechtstheorien den Offenbarungs- und Belohnungsgedanken. Inhaltlich nicht weit von der Belohnungstheorie angesiedelt, ist die Offenbarungstheorie: Sie sieht die Offenbarung und das Patentrecht ebenfalls in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, legt aber entscheidenden Wert darauf, dass das neue Wissen durch das Patent früher öffentlich zugänglich gemacht werde als wenn der Erfinder es ansonsten zunächst geheim hielte. Die ebenfalls in der Literatur vertretene Anspornungstheorie3 sieht dagegen als vordergründig an, dass ein Erfinder durch die patentbedingte Marktexklusivität motiviert wird, dauerhaft den technischen Fortschritt zu fördern. Die Eigentumstheorie stellt hingegen das Erfindungswissen aus Wertungsgesichtspunkten dem Sacheigentum gleich und begründet den 1 Der Begriff der Offenbarung umfasst jede Maßnahme, durch die die Erfindung bzw. die ihr zugrundeliegende technische Lehre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, s. Moufang, in: Schulte, PatG mit EPÜ, 9. Aufl. München 2014, § 3, Rn. 137. 2 Vgl. Wortlaut: Die „Offenbarung der Erfindung in der Patentschrift umschreibt (…) das, wofür der Erfinder mit einer ausschließlichen Rechtsstellung zu belohnen ist“, BGH, Urteil vom 24. April 1969, Az.: X ZR 54/66, GRUR 1969, 534, 535 (Skistiefelverschluss). 3 s. hierzu auch Rogge, in: Benkard, PatG, 10. Aufl. München 2006, Einl., Rn. 2.
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Kap. 1: Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
Patentschutz damit, dass der Erfinder einen mit dem Sacheigentum vergleichbaren Schutz verdient.4
B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa Dieser Abschnitt befasst sich mit der Entwicklung eines internationalen Patentrechts in Europa, um einen Überblick über die verschiedenen Etappen auf dem Weg zu einer Rechtsvereinheitlichung zu geben. Die langjährigen, erfolglosen Bemühungen um ein einheitliches Patent für die europäischen Staaten deuten auf Schwierigkeiten hin, die in der Vergangenheit zu einem wiederholten Scheitern unterschiedlicher Konzepte zur Vereinheitlichung des Patentrechts geführt haben. Ein Einblick in die vorangegangenen Vorhaben zur Rechtsvereinheitlichung lässt gegebenenfalls Schlüsse auf potenzielle Schwierigkeiten einer Rechtsvereinheitlichung im Zuge der Errichtung des EU-Patentsystems zu.
I. Nationale Patente als Ursprung Das deutsche Patentgesetz hat seinen Ursprung in der Zeit der Industrialisierung.5 In einer Zeit, in der vor allem das Senken der Produktionskosten zur Herstellung von Massenwaren im Vordergrund stand, wurde zunehmend die Möglichkeit zur Sicherung eigener immaterieller Schutzrechte als wichtig erachtet. Produkte oder Verfahren, die neue Ideen verkörperten, sollten Kopien, die naturgemäß – ohne Forschungsaufwand – wesentlich risikoärmer zu produzieren waren, verdrängen können. Die Wirkung von gewerblichen Schutzrechten war zunächst auf den Anmeldestaat beschränkt (sog. Territorialitätsprinzip).
II. Anfänge eines Internationalen Patentschutzes Im Zuge einer grenzüberschreitenden Ausdehnung der Absatzmärkte schenkten Unternehmen einem internationalen Patentschutz größere Beachtung. In Europa war das erste Ergebnis internationaler Bestrebungen zur Vereinheitlichung des gewerblichen Rechtsschutzes die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ)6 von 1883.7 Die 4
Umfassend zu den vorgenannten Theorien s. auch Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl. München 2009, 1. Abschn., § 3, II. 5 Patentgesetz, Inkrafttreten am 1. Juli 1877, Dt. Reichsgesetzblatt, Bd. 1877, Nr. 23, 501. 6 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20. März 1883. 7 Die PVÜ trat in Deutschland erst am 1. Mai 1903 in Kraft.
B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa
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PVÜ ermöglichte in ihren Vertragsstaaten u. a. die Gleichbehandlung von In- und Ausländern beim Anmeldeprozess des jeweiligen nationalen Patents sowie eine Priorität für Nachanmeldungen, d. h. eine Rückdatierung späterer Anmeldungen auf den Tag einer vorangegangenen Anmeldung für eine Dauer von zwölf Monaten.8 Ein einheitliches Patenterteilungsverfahren sah die PVÜ dagegen nicht vor. Nichtsdestotrotz bildet die Übereinkunft eine wichtige Grundlage für die nachfolgenden zwischenstaatlichen Patentübereinkommen.9 Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die PVÜ das einzige internationale Vertragswerk zur Vereinfachung des Patentanmeldevorgangs. Erst 1953 traf der 1949 gegründete Europarat eine Übereinkunft10, die Formerfordernisse bei Patentanmeldungen weiter vereinheitlichte. Eine Möglichkeit zentraler Patentanmeldungen bestand jedoch nicht.
III. Internationale Patentanmeldung und -erteilung Den Weg zu internationalen Patentanmeldungen bereitete 1970 der Patentzusammenarbeitsvertrag11 (Patent Cooperation Treaty, PCT) der World Intellectual Property Organisation (WIPO).12 Der Vorteil des PCT liegt vor allem darin, dass er in den Vertragsstaaten die Einreichung nur einer zentralen Patentanmeldung ermöglicht (vgl. Art. 3; 4; 11 Abs. 3 PCT). Das Recht zur Überprüfung der Patentierbarkeit verbleibt jedoch weiterhin bei den Vertragsstaaten. Zu einem vollständig zentralisierten Erteilungsverfahren hat erst das EPÜ von 1973 geführt. Anders als der PCT sieht das EPÜ nicht die bloße „Transferierung“ einer zentralen Anmeldung in nationale Anmeldungen, sondern eine vollständig zentralisierte Erteilung durch das Europäische Patentamt (EPA) als Teil der Europäischen Patenorganisation (EPO) vor.13 Nach seiner Anmeldung zerfällt das zentral erteilte Europäische Patent (EP) in einzelne nationale Teile, weshalb es auch als ein Bündel nationaler Patente oder „Bündelpatent“ bezeichnet wird.14
8
Sog. Unionspriorität, vgl. Art. 4 PVÜ. Grabinski/Adam, in: Benkard, EPÜ, 2. Aufl. München 2012, Vor Präambel, Rn. 7. 10 Europäische Übereinkunft über Formerfordernisse bei Patentanmeldungen vom 11. Dezember 1953, verfügbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/016. htm (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 11 Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens, unterzeichnet in Washington am 19. Juni 1970, in Kraft getreten am 24. Januar 1978. 12 Der PCT ist durch die Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, WIPO) zustande gekommen, welche ihrerseits aufgrund des am 14. Juli 1967 in Stockholm unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum gegründet wurde. 13 Zum Aufbau der EPO und zum Erteilungsverfahren s. insb. u., Kap. 2. 14 s. bspw. Osterrieth, Patentrecht, 4. Aufl. München 2010, 1. Teil, VII., 3., Rn. 76. 9
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Kap. 1: Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
IV. Internationaler Patentschutz durch grenzübergreifende Patente und einheitliche Patentgerichtsbarkeit Bereits 1969 erwog der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur Vereinheitlichung des Patentrechts neben dem EPÜ den Abschluss von zwei weiteren Abkommen.15 Ein Abkommen sollte die Patenterteilung durch einen einzigen Rechtsakt eines internationalen Organs, nämlich des Europäischen Patentamts betreffen. Das zweite Abkommen sollte für das Gebiet des Gemeinsamen Marktes die weitere Existenz des europäischen Patents nach seiner Erteilung für die EWG-Staaten als unteilbares einheitliches Recht regeln.16 Das EPÜ als das Erste der Abkommen sieht entsprechend in Art. 142 vor, dass für den Fall, dass „eine Gruppe von Vertragsstaaten, die in einem besonderen Übereinkommen bestimmt hat, dass die für diese Staaten erteilten europäische Patente für die Gesamtheit ihrer Hoheitsgebiete einheitlich sind“ vorsehen kann, dass „europäische Patente nur für alle diese Staaten gemeinsam erteilt werden können“. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Ein besonderes Übereinkommen im Sinne dieser Norm wurde schließlich das Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt (GPÜ1975)17. Das GPÜ-1975 wurde – nach einem Streit über die Frage, ob und inwieweit Übersetzungen der Patentschriften zu erfolgen hätten18 – am 15. Dezember 1975 in Luxemburg unterzeichnet und 1979 von Deutschland ratifiziert19. Das Gemeinschaftspatent sollte das Bündelpatent durch ein rein internationales Schutzrecht ablösen; Anmelder sollten Patente nur noch für sämtliche Vertragsstaaten des EPÜ beantragen können. Dänemark und Irland ratifizierten das Übereinkommen jedoch nicht.20 Die spätere „Siebener-Lösung“, die ein Zustandekommen des Übereinkommens auch ohne die beiden Länder vorsah, scheiterte wiederum am Widerstand der Niederlande, sodass das GPÜ-1975 letztlich mangels ausreichender Unterstützung nicht in Kraft trat.21
15
Memorandum des EWG-Ministerrats über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens vom 3. März 1969, Dok. BR/2/69, GRUR Int 1969, 225. 16 Memorandum des EWG-Ministerrats, GRUR Int 1969, 225; vgl. auch Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften 1969, Brüssel 1970, S. 106. 17 Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt, ABl. 1976 Nr. L 17, S. 1 – 28. 18 Haertel, Die Luxemburger Konferenz über das Gemeinschaftspatent 1985 und ihre wesentlichen Ergebnisse, GRUR Int 1986, 293. 19 Gesetz über das Gemeinschaftspatent und zur Änderung patentrechtlicher Vorschriften (Gemeinschaftspatentgesetz, GPatG I) vom 26. Juli 1979, BGBl. 1979 I S. 1269. 20 Zu den einzelnen Problemen Dänemarks und Irlands s. Krieger, Das Luxemburger Übereinkommen über das Gemeinschaftspatent – Herausforderung und Verpflichtung, GRUR Int 1987, 729, 730. 21 Vgl. Haertel, Die Luxemburger Konferenz über das Gemeinschaftspatent 1985 und ihre wesentlichen Ergebnisse, GRUR Int 1986, 293, 296.
B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa
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Am 21. Dezember 1989 wurde das GPÜ-1975 durch die sog. Vereinbarung über Gemeinschaftspatente (VGP)22 überarbeitet. Aufgrund der vorangegangenen Einigungsschwierigkeiten sollte die VGP von Anfang an nur durch einen Kreis reformbereiter Mitgliedstaaten zustande kommen.23 In einem Annex enthält die Vereinbarung das GPÜ-1975 in revidierter Fassung. Auch die VGP ist mangels einer ausreichenden Anzahl von Ratifikationen nie in Kraft getreten.24 Aufgrund ausstehender Ratifikationen wurde 1992 die Lissabonner Konferenz über das Gemeinschaftspatent einberufen. Die Präsidentschaft schlug hier vor, ein Inkrafttreten der VGP – zunächst auch ohne eine Beteiligung Dänemarks und Irlands – möglich zu machen.25 Spanien und Portugal waren jedoch nicht einverstanden. Vor allem der Widerstand Spaniens führte dazu, dass zwei weitere Vorschläge abgelehnt wurden.26 Die VGP scheiterte damit letztlich an denselben Gründen wie zuvor das GPÜ-1975 – obwohl grundsätzlich weitere Verhandlungen noch zu einem Erfolg hätten führen können27, wurde ein Gemeinschaftspatent auf Grundlage der VGP nicht mehr weiterverfolgt.28 1997 machte die Europäische Kommission mit einem Grünbuch29, in dem sie die Kritikpunkte interessierter Kreise an der gescheiterten VGP identifizierte und Lösungsansätze für ein Gemeinschaftspatent vorschlug, einen neuen Anlauf.30 Ein Gemeinschaftspatent sollte nunmehr im Wege einer EG-Verordnung nach Art. 235 EGV (ht. Art. 352 AEUV) beschlossen werden. Gerichte der Mitgliedstaaten sollten für Verletzungsverfahren zuständig sein; Nichtigkeitsklagen sollten vor einer neu zu gründenden Abteilung des EPA erhoben werden. Rechtsbehelfe diesbezüglich 22 Vereinbarung über Gemeinschaftspatente vom 21. Dezember 1989, ABl. 1989 Nr. L 401, S. 1. 23 Nur ersatzweise sollte ein dem VGP beigefügtes Protokoll über eine etwaige Änderung der Bedingungen für das Inkrafttreten der Vereinbarung über Gemeinschaftspatente (VGPProtokoll), ABl. 1989 Nr. L 401/51, ein Inkrafttreten des GPÜ unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten möglich machen. 24 Jedoch in Deutschland ratifiziert durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (GPatG II), BGBl. 1991 II, 1354. 25 Art. 1 VGP-Protokolls erlaubt die Einberufung einer Konferenz, welche ggf. „einstimmig die Zahl der Staaten (…), die die genannte Vereinbarung ratifiziert haben müssen (…).“ ändern kann, sofern nach dem Stichtag des 31. Dezember 1991 die VGP nicht in Kraft getreten ist. 26 Vertiefend Koch, Europäische Gemeinschaften – Lissabonner Gemeinschaftspatentkonferenz gescheitert (Bericht der deutschen Delegation), GRUR Int 1992, 560 m. w. N. 27 Schäfers und Schennen sprachen bewusst nicht von einem „Scheitern“ der Konferenz, da sie noch weitere Verhandlungsmöglichkeiten sahen, s. Schäfers/Schennen, Die Lissaboner Konferenz über das Gemeinschaftspatent 1992, GRUR Int 1992, 638, 639. 28 Zur Entstehungsgeschichte und den Änderungen am GPÜ durch Überarbeitung s. Sugden, The Community Patent – The Luxembourg Agreement of 1989, WPI 1991, 5. 29 Förderung der Innovation durch Patente – Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa, KOM(1997) 314 endg. vom 24. Juni 1997. 30 Vgl. zu den Kritikpunkten bzgl. des VGP KOM(1997) 314, S. 7 – 18 (unter anderem zur allgemeinverbindlichen Nichtigerklärung durch einzelne nationale Gerichte und Übersetzungskosten).
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Kap. 1: Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
sollten vor dem EuG und letztinstanzlich vor dem EuGH erhoben werden können.31 Dem Grünbuch folgte ein Vorschlag zur Schaffung eines einheitlichen Patents auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene (i. F. bezeichnet als „GPÜ-2000“)32, der nicht viel mit den Überlegungen aus dem Grünbuch zu tun hatte: Die Europäische Gemeinschaft (EG) sollte dem EPÜ beitreten. Ein Gemeinschaftspatentgericht sollte – ähnlich den Gemeinschaftsmarkengerichten – beim jeweiligen Gericht der ersten Instanz eingerichtet werden. Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren sollten formell gem. Art. 229a EGV (ht. Art. 262 AEUV) dem EuGH übertragen werden. Patentansprüche sollten in die Amtssprachen sämtlicher Mitgliedstaaten übersetzt werden.33 Diesmal zeigte sich Deutschland mit dem Vorschlag nicht einverstanden, sodass das Vorhaben zunächst nicht vorankam.34 2003 wurde ein Kompromiss zur gemeinsamen politischen Ausrichtung35 (sog. „Common Approach“) von der EG veröffentlicht. Die unter diesem Kompromiss fortgesetzten Arbeiten wurden jedoch 2006 aufgegeben, nachdem eine Konsultation von Interessengruppen zum Entwurf des Gemeinschaftspatents36 ergab, dass 95 Prozent der Teilnehmer den Brüsseler Vorschlag – unter anderem wegen der Beteiligung des EuGH als faktisch dritte Instanz – ablehnten.37 Der damalige EGKommissar McCreevy sprach sich daher dafür aus, stattdessen das Übereinkommen über die Schaffung eines Streitregelungssystems betreffend Europäische Patente (European Patent Litigation Agreement, EPLA), das parallel von einer Arbeitsgruppe der EPO vorangetrieben wurde, zu unterstützen.38
31
KOM(1997) 314, S. 13 – 15. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent vom 1. August 2000, KOM(2000) 412 endg. 33 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Übertragung der Zuständigkeit in Gemeinschaftspatentsachen auf den Gerichtshof, KOM(2003) 827 endg. vom 23. Dezember 2003; Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Errichtung des Gemeinschaftspatentgerichts und betreffend das Rechtsmittel vor dem EuG, KOM(2003) 828 endg., vom 23. Dezember 2003. 34 Ermer hält die Ablehnung Deutschlands für ursächlich für das Scheitern des neuen Gemeinschaftspatents, s. Ermer, Die Weiterentwicklung des Patentschutzsystems in Europa, MittdtPatAnw 2006, 145, 146. 35 Gemeinschaftspatent – gemeinsame politische Ausrichtung vom 7. März 2008, Ratsdok. Nr. 7159/03. 36 Öffentliche Anhörung zur künftigen Patentpolitik in Europa, verfügbar unter: http://ec.eu ropa.eu/internal_market/indprop/patent/consultation_de.htm; die Ergebnisse sind verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/hearing/preliminary_findings_ en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 37 Vgl. Pagenberg, Another Year of Debates on Patent Jurisdiction in Europe and No End in Sight?, IIC 2007, 805, 806. 38 Schlussbemerkung zu einer öffentlichen Anhörung am 12. Juli 2006 über die zukünftige Patentpolitik, verfügbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-06-453_en.htm? locale=en (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); s. auch Adolphsen, Renationalisierung von Patentstreitigkeiten, IPRax 2007, 15, 21. 32
B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa
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Das EPLA sollte erneut eine nicht-gemeinschaftsrechtliche, auf dem EPÜ beruhende Lösung sein. Die Überlegung dabei war, sich nicht, wie bei einem EGRechtssetzungsakt erforderlich, auf die Mitwirkung sämtlicher Mitgliedstaaten, zu verlassen, sondern ein gemeinschaftliches Patent im prozessualen wie materiellen Sinne für die Unterzeichnerstaaten des EPÜ zu schaffen und die EG am EPÜ (ähnlich einem im Grünbuch geäußerten Vorschlag, s. o.) zu beteiligen. Obwohl das EPLA zunächst große Zustimmung39 – auch seitens der Bundesregierung40 – fand, wurde es letztendlich nicht weiter vorangetrieben. Die damalige Justizministerin Zypries gab auf einem Symposium des Bundespatentgerichts am 25. Juni 2007 an, dass die angestrebten Verhandlungen mit Bezug auf das EPLA „seit Herbst letzten Jahres gründlich fest[steckten]“.41 Dies lag maßgeblich daran, dass spätere Dokumente der Europäischen Kommission klar zum Ausdruck brachten, dass die EG das EPLA als solches nicht unterstützte, sondern vielmehr erneut das Konzept eines Gemeinschaftspatents verfolgte.42 Die Europäische Kommission hielt es in einer Mitteilung an das Europäische Parlament (EP) und den Rat43 für erforderlich, dass das EPLA mit Beteiligung der EG verwirklicht werde, da es eine Regelungsmaterie betreffe, die bereits durch EG-Gesetzgebung (acquis communautaire) geregelt wurde. Entsprechend seien die Mitgliedstaaten, welche das EPLA unterstützen „darauf angewiesen, dass die Kommission den Rat um Erteilung von Verhandlungsdirektiven ersucht und dieser diese erteilt, damit die Gemeinschaft Verhandlungen zum EPLA führen kann“.44 Die Europäische Kommission befürwortete einen „integrierten Ansatz“, welcher „Merkmale sowohl des EPLA wie auch der ursprünglich von der Kom39 Auf einer Pariser Konferenz der Cour de Cassation vom 2. Oktober 2006 stimmten die teilnehmenden Richter, Praktiker und Unternehmer darin überein, dass das EPLA weiter verfolgt werden sollte. Des Weiteren drängte die Association Internationale pour la Protection de la Propriété Intellectuelle (AIPPI) auf einem Kongress in Gothenburg (vom 8.–12. Oktober 2006) die Vertragsstaaten des EPÜ dazu, das EPLA alsbald umzusetzen, s. Resolution, verfügbar unter: https://www.aippi.org/download/commitees/165/RS165English.pdf, S. 5. (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Aufgrund der positiven Zeichen befasste sich das Richterforum in Venedig unter Federführung der European Patent Lawyers Association (EPLAW) und der Akademie des EPA mit einer weiteren Präzisierung des Entwurfs, s. Pagenberg, Another Year of Debates on Patent Jurisdiction in Europe and No End in Sight?, IIC 2007, 805, 807 ff. 40 s. Pressemitteilung des BMJ vom 31. Januar 2007, FD-GewRS 2007, 212566 (verfügbar über http://www.beck-online.de) worin sich das Ministerium ausdrücklich für die Unterstützung des EPLA ausspricht. 41 Tagungsband des Symposiums des BPatG vom 25. Bis 26. Juni 2007 in München, verfügbar unter: http://www.bpatg.de/cms/media/Das_Gericht/Veranstaltungen/Symposien/Ta gungsband.pdf, S. 11 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 42 Während der vorläufige Entwurf zu einer Versammlung in Finnland am 20. Oktober 2006 noch vorsah, dass die Ausarbeitung eines „kosteneffizienten EPLA der wichtigste Schritt“ sei, nannte die endgültige Fassung die „Ausarbeitung eines kosteneffizienten Gemeinschaftspatents“ (Übersetzung aus dem Englischen), s. Pagenberg, IIC 2007, 805, 808 f. m. w. N. 43 Mitteilung der Kommission an das EP und den Rat zur Vertiefung des Patentsystems in Europa, KOM(2007) 165 endg. vom 3. April 2007. 44 Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems, KOM(2007) 165 endg., S. 10 f.
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Kap. 1: Bedeutung und geschichtliche Entwicklung der Patente
mission vorgeschlagenen Gemeinschaftsjurisdiktion“ beinhalten sollte. „(E)ine Verdoppelung zweier konkurrierender Patentgerichtsbarkeiten in Europa“ wurde befürchtet. Das System könne sich aber „stark am EPLA-Modell ausrichten“.45 Die Arbeiten zum EPLA wurden seither nicht fortgeführt. Die Arbeiten wurden von der Europäischen Kommission 2007 wieder aufgenommen46 und mündeten schließlich in das beschlossene EU-Patentpaket. Unten wird näher auf die Einzelheiten der Gesetzgebungsarbeiten hierzu eingegangen.47
V. Ursachen für Schwierigkeiten bei der Rechtsvereinheitlichung Die frühe Geschichte des EU-Patentpakets zeigt, dass die Entwicklung von rein nationalen Patenten zu zentral anmeldbaren und grenzübergreifend wirkenden Patenten mit einer einheitlichen Gerichtsbarkeit von gravierenden Schwierigkeiten geprägt war. Während die Vereinheitlichung des Erteilungsprozesses relativ unproblematisch durch das EPÜ erreicht wurde, konnte über Jahrzehnte hinweg keine Einigung zu dieser zentralen Frage erzielt werden. Das frühere, mehrfache Scheitern einer Einigung über grenzüberschreitend wirkende Patente lässt sich darauf zurückführen, dass sich das Vorhaben in einem Spannungsfeld widerstreitender Faktoren bewegt. Diese können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Kein gegenseitiges Nachgeben – Die bisherigen Bestrebungen nach einem Gemeinschaftspatent sind allesamt, daran gescheitert, dass entweder in den Verhandlungen, vor allem in Bezug auf die Sprachenfrage48, kein Konsens erreicht werden konnte oder die erforderlichen Ratifikationen durch die Mitgliedstaaten (vgl. das GPÜ-1975 und die spätere VGP) ausblieben. Dies deutet darauf hin, dass die Positionen der Mitgliedstaaten zu einigen Aspekten sehr weit auseinandergehen. 2. Nutzerseitige Akzeptanz – Die Arbeiten am GPÜ-2000 scheiterten daran, dass die EG einen Ansatz49 verfolgte, der von potenziellen Nutzern des Systems überwiegend abgelehnt wurde. 45
Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems, KOM(2007) 165 endg., S. 12. Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems, KOM(2007) 165 endg. 47 Vgl. u., Kap. 4 A. 48 Bossung gibt einen Überblick zu den Verhandlungen, in denen sich das Sprachenparadox, d. h. der Widerstand gegen eine Sprachenreform bei gleichzeitiger Einsicht ihrer Erforderlichkeit, zeigte. Siehe Bossung, Unionspatent statt Gemeinschaftspatent – Entwicklung des europäischen Patents zu einem Patent der Europäischen Union, GRUR Int 2002, 463 (s. insb. IV.); s. auch Stieper, der insg. von einem Scheitern der Verhandlungen v. a. aufgrund der Sprachenfrage spricht, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Mayer, Das Recht der Europäischen Union, 45. El. 2011, Art. 118, Rn. 27. 49 Dies betrifft insbesondere die geplante Zuständigkeit des EuGH, vgl. o., IV. 46
B. Die Entwicklung zum internationalen Patentschutz in Europa
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3. EU-Rechts-Konformität und -Strukturen – Das EPLA wurde nicht weiterverfolgt, da die Europäische Kommission eine Teilnahme der EG für erforderlich hielt, da bereits Teile des Übereinkommens der EU-Gesetzgebung unterlagen.
Kapitel 2
Das EP-System Das EPÜ bezweckt lediglich die Schaffung einheitlicher Voraussetzungen für die zentrale Erteilung von Erfindungspatenten. Nach der Erteilung zerfällt das EP in einzelne nationale Teile, hat also in jedem Erteilungsstaat ein nationales Schicksal. EP sind daher Gegenstand eines Systems unterschiedlicher Zuständigkeiten, bestehend aus der durch das EPÜ errichteten EPO und den jeweils zuständigen Gerichten und Ämtern der Mitgliedstaaten. Nachfolgend wird dieses System als EPSystem bezeichnet. Dieses Kapitel soll einen Überblick über das EP-System geben.
A. Vertragsstaaten bzw. Geltungsbereich Die Bezeichnung „Europäisches Patent“, nicht etwa „EU-Patent“, legt bereits nahe, dass das EP nicht auf EU-Mitgliedstaaten beschränkt ist.1 Aktuell sind die Mitgliedstaaten des EPÜ (in der Reihenfolge ihres Beitritts) Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Schweiz, Vereinigtes Königreich, Schweden, Italien, Österreich, Liechtenstein, Griechenland, Spanien, Dänemark, Monaco, Portugal, Irland, Finnland, Zypern, Türkei, Bulgarien, Estland, Slowakei, Tschechische Republik, Slowenien, Ungarn, Rumänien, Polen, Island, Litauen, Lettland, Malta, Kroatien und Norwegen, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, San Marino, Albanien, Serbien.2 Die EPO kann durch Beschluss ihres Verwaltungsrats weitere Staaten zum Beitritt zum EPÜ einladen (Art. 166 Abs. 1 lit. b EPÜ). Drittstaaten können überdies Anerkennungsabkommen schließen, durch die der Wirkungsbereich von EP auf den jeweiligen Unterzeichnerstaat erstreckt wird. Ein Staat wird dadurch nicht zum Vertragsstaat des Übereinkommens, sondern lediglich Vertragspartner der EPO.3
1
Vgl. auch Wortlaut des Art. 166 EPÜ („europäische Staaten“), Ullmann/Grabinski, in: Benkard, EPÜ, Vor Präambel, Rn. 15. 2 Eine Liste mit den Daten der Beitritte zum EPÜ ist verfügbar unter: http://www.epo.org/ about-us/organisation/member-states_de.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 3 Grabinski/Adam, in: Benkard, EPÜ, Vor Präambel, Rn. 20.
C. Europäische Patentorganisation und Organe
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Durch das EPÜ bilden seine Vertragsstaaten zudem einen Sonderverband der PVÜ gem. Art. 19 PVÜ. Außerdem ist das EPÜ ein regionaler Patentvertrag gem. Art. 45 Abs. 1 PCT. Damit können auch Unterzeichnerstaaten dieses Übereinkommens bzw. Vertrags die Vorteile der zentralen Anmeldung nutzen.
B. Rechtsgrundlagen Die Einzelheiten zu EP sind im EPÜ geregelt, das als internationaler Vertrag beschlossen wurde. Daneben führt eine Ausführungsordnung (AOEPÜ) nähere Einzelheiten mit Bezug auf die Vorschriften des Übereinkommens aus. Protokolle dienen der näheren Erläuterung bestimmter Einzelthemen. Materielles Patenrecht regelt das EPÜ nicht als supranationales Recht, sondern als „koexistierendes (internationales) Recht“.4 Dies bedeutet, dass nationales Patentrecht nicht durch das Übereinkommen aufgehoben wird, sondern, dass die Regelungen des EPÜ daneben anwendbar sind. Im Übrigen verweisen Rechtsvorschriften mit materiellem Gehalt – abgesehen von den zur Patenterteilung notwendigen Vorschriften – in der Regel auf nationale Rechtsvorschriften (vgl. etwa Art. 2 Abs. 2; 64 Abs. 1, 3 EPÜ). Ausnahmen hierzu sind der einheitliche Mindestschutz nach der Offenlegung des Patents gem. Art. 67 Abs. 2 EPÜ, der Schutz des Verfahrenserzeugnisses gem. Art. 64 Abs. 2 EPÜ sowie der Schutzbereich des EP gem. Art. 69 EPÜ. Der Titel des zweiten Teils des EPÜ, Materielles Patentrecht (Art. 52 ff. EPÜ), ist insofern irreführend – er bezeichnet lediglich das materielle Recht, das zur Erteilung des Patents (v. a. die Patentierbarkeit) erforderlich ist.
C. Europäische Patentorganisation und Organe Das EPÜ sieht die Errichtung der Europäischen Patentorganisation (EPO) vor, die wiederum aus Organen, namentlich aus dem Europäischem Patentamt (EPA) und dem Verwaltungsrat besteht.
I. Europäische Patentorganisation Die EPO wurde aufgrund des Art. 4 EPÜ als internationale völkerrechtliche Organisation gegründet und ist gem. Art. 4 Abs. 3 EPÜ mit der Patenterteilung betraut. Insgesamt verfolgt die Organisation das Ziel, die Zusammenarbeit der eu-
4 Vgl. Haertel, Die Harmonisierungswirkung des Europäischen Patentrechts, GRUR Int 1981, 479, 485.
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Kap. 2: Das EP-System
ropäischen Staaten auf dem Gebiet des Schutzes der Erfindungen zu verstärken.5 Die EPO handelt als „Dachorganisation“ durch die Organe, das EPA und den Verwaltungsrat. Das EPA ist aufgrund seiner für die Vertragsstaaten rechtsverbindlichen Kompetenzen eine supranationale Organisation im Sinne des Völkerrechts.6
II. Europäisches Patentamt Das EPA mit Sitz in München ist ein eigenes, der EPO untergeordnetes Organ, das die Aufgabe der Patenterteilung in eigener Verantwortung wahrnimmt. Die Leitung des EPA wird vom Präsidenten übernommen, der das Amt leitet und zugleich dem Verwaltungsrat verpflichtet ist (Art. 5 Abs. 3, 10 Abs. 1 EPÜ). Der Bereich der Patenterteilung umfasst die (anfängliche) Erteilung bzw. Zurückweisung eines EP (Art. 97 EPÜ), sowie dessen Aufrechterhaltung oder Widerruf (Art. 101 EPÜ), für den Fall, dass ein Einspruch (Art. 99 EPÜ) eingelegt wird. Diese Rechtsakte des EPA mit Verbindlichkeit für die ansonsten zuständigen nationalen Erteilungsbehörden der Unterzeichnerstaaten begründen die eigentliche Supranationalität der Behörde: Die Vertragsstaaten des EPÜ haben insofern Souveränitätsbefugnisse abgetreten, als sie sämtliche durch das EPA erteilten Patente mit Wirkung für den jeweiligen Staat anerkennen.7 Zuständig für die Bearbeitung von Patentanmeldungen sind nach der Eingangsstelle, zur Erfassung und Weiterleitung der Anmeldungen, die Prüfungsabteilungen, die die im Rahmen des Erteilungsverfahrens notwendigen Recherchen, bspw. zur Frage der Neuheit einer Erfindung, vornehmen (Art. 16 – 18 EPÜ).8 Für alle anderen Aufgaben in Verbindung mit der Patenterhaltung (Widerruf, Aufrechterhaltung und Einspruch) ist dagegen die sog. Einspruchsabteilung zuständig (vgl. Art. 19 EPÜ).9 Das Patentregister wird durch die Rechtsabteilung verwaltet, welche über Eintragungen und Löschungen in der Liste der zugelassenen Vertreter entscheidet (Art. 20 EPÜ). Des Weiteren verfügt das EPA über Beschwerdekammern, die für Beschwerden gegen die o. g. Abteilungen zuständig sind (Art. 21 EPÜ). Eine zweite Instanz hierzu bildet die Große Beschwerdekammer, die im Falle von Vorlagen der Beschwerdekammer tätig wird und sich ausschließlich mit Rechtsfragen befasst (vgl. Art. 22, 112, 112a EPÜ).
5
Vgl. Präambel zum EPÜ. Vgl. Beschluss des BVerfG vom 4. April 2001, Az.: 2 BvR 2368/99, NJW 2001, 2705, 1. Ls.; Ensthaler, Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), 3. überarb. u. erw. Aufl. Berlin 2009, S. 178 m. w. N. 7 Joos, in: Benkard, EPÜ, Art. 4, Rn. 8. 8 s. u., D. 9 s. u., E. 6
D. Anmelde- und Erteilungsverfahren
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Das EPA übernimmt auch notwendige Annexaufgaben zur Patenterteilung. Dazu gehört die Recherche bzgl. Patenten, die nach den Bestimmungen des PCT eingereicht wurden, insbesondere hinsichtlich bereits existierender Publikationen als sog. International Searching Authority sowie die vorläufige Prüfung (International Preliminary Searching Authority).10
III. Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat ist neben dem EPA das zweite Organ der EPO. Er dient der Kontrolle des EPA (Art. 4 Abs. 3 EPÜ) und der Gesetzgebung der EPO (vgl. Art. 4 Abs. 3; 33 EPÜ). Der Rat setzt sich aus Vertretern der Vertragsstaaten des EPÜ zusammen (vgl. Art. 4 Abs. 3; 33 EPÜ).
D. Anmelde- und Erteilungsverfahren Das EPA ist gem. Art. 16, 18 EPÜ für Patentanmeldungen zuständig (s. auch o., C. II.). Anmeldungen für EP können bei den nationalen Patentämtern, bei dem EPA in München oder der Zweigstelle des EPA in Den Haag eingereicht werden (Art. 75 Abs. 1, 2 EPÜ) und müssen in einer der drei Amtssprachen, Deutsch, Englisch und Französisch, abgefasst sein (Art. 14 Abs. 1, 2 EPÜ). Alternativ können Anmeldungen auch in Drittstaaten eingereicht werden (Art. 14 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. EPÜ). Die Anmeldungen müssen den Erfordernissen des Art. 78 EPÜ und der AOEPÜ genügen. Eine Genehmigung von Patenten durch das EPA hat „automatisch“ die Genehmigung der Patente in den designierten Staaten zur Folge (vgl. o., C. II.), d. h. eine weitere Prüfung der Anmeldungen durch das jeweils zuständige nationale Patentamt findet nicht statt.11 Sämtliche Schritte, die üblicherweise von nationalen Patentbehörden vorgenommen werden, werden hierbei vom EPA übernommen. Dieser Vorgang gliedert sich in drei Stufen: Eingangsstufe (vgl. u., I.), sachliche Prüfung (vgl. u., II.) und Bekanntmachung (vgl. u., III.).
I. Eingangsstufe Die Eingangsstufe der Patentanmeldung betrifft im Wesentlichen die formelle Prüfung des Antrags. Zunächst wird nach Art. 90 EPÜ durch die Eingangsstelle 10 11
Joos, in: Benkard, EPÜ, Art. 4, Rn. 9. Vgl. Wortlaut „Die nach diesem Übereinkommen erteilten Patente“, Art. 2 Abs. 1 EPÜ.
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Kap. 2: Das EP-System
geprüft, ob dem EP ein Anmeldetag (üblicherweise zugleich Prioritätstag gem. Art. 80, 89 EPÜ) zugewiesen werden kann. Dann werden Form des Antrags und Identität des Anmelders geprüft. Nach Entrichtung der Anmeldegebühren fertigt das EPA einen sog. Recherchebericht (Art. 92 EPÜ) zur Feststellung des jeweiligen Stands der Technik, der spätestens nach 18 Monaten mit der europäischen Patentanmeldung veröffentlicht wird (Art. 92 i. V. m. Art. 93 Abs. 1 EPÜ).
II. Sachliche Prüfung Erst nach Veröffentlichung des Rechercheberichts erfolgt auf Antrag des Anmelders durch die Prüfungsabteilungen die eigentliche sachliche Überprüfung des Antrags gem. Art. 18 EPÜ hinsichtlich der Patentierbarkeit (Art. 94 EPÜ). Hierbei werden die materiellen Patentierungsvoraussetzungen, die in den Art. 52 – 57 EPÜ geregelt sind, überprüft. Die Prüfung umfasst unter anderem die Merkmale der Patentierbarkeit (Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit, vgl. Art. 52 Abs. 1 EPÜ). Das EP wird dann nach Art. 97 Abs. 1, 2 EPÜ entweder erteilt oder zurückgewiesen. Alternativ besteht die Möglichkeit einer Teilerteilung (vgl. Art. 105a Abs. 1 Satz 1, 2. Var. EPÜ) bzw. einer abgeänderten Anmeldung (vgl. Art. 94 Abs. 3 i. V. m. Art. 123 Abs. 1 EPÜ).
III. Bekanntmachung Von dem Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt gewährt ein EP seinem Inhaber in jedem Vertragsstaat, für den es erteilt wurde, dieselben Rechte wie ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent (Art. 64 Abs. 1 EPÜ). Ab Bekanntmachung können außerdem Dritte für einen gewissen Zeitraum Einspruch gegen das EP einlegen (s. hierzu u., E.). Zugleich hat der Patentinhaber ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, das (dann erteilte) Patent auf gewisse Ansprüche zu beschränken bzw. es vollständig zu widerrufen (Art. 105a, b EPÜ).
E. Einspruchsverfahren Innerhalb von neun Monaten nach Erteilung eines Patents kann gegen die Erteilung Einspruch beim EPA eingelegt werden. Dieser führt – sofern erfolgreich – zu einem Widerruf bzw. Teilwiderruf des EP in den Vertragsstaaten, die in der An-
F. Kosten
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meldung angegeben wurden. Ein (Teil-)widerruf führt dazu, dass die Wirkung des Patents (teilweise) als von Anfang an nicht eingetreten gilt (vgl. Art. 68 EPÜ). Nach Ablauf der Einspruchsfrist müssen dagegen – wegen des nationalen Charakters des erteilten EP – Nichtigkeitsverfahren vor dem jeweiligen Gericht bzw. Amt eines jeweiligen Geltungslands geführt werden.
F. Kosten Die Kosten für ein EU-Patent setzen sich im Wesentlichen aus Erteilungskosten und Jahresgebühren zusammen.
I. Erteilungskosten Der Begriff „Erteilungskosten“ umfasst alle Kosten, die im Zusammenhang mit Anmeldung und Veröffentlichung eines Patents vor Beginn der nationalen Phase typischerweise anfallen. Darunter fallen Anmeldegebühren und Übersetzungskosten aber auch Patentanwaltskosten und ggf. nationale Validierungskosten, etwa Gebühren oder Kosten für weitere Übersetzungen12 der Patentschrift.
II. Jahresgebühren Im EP-System werden zwei unterschiedliche Arten von Jahresgebühren erhoben. Die erste Gebühr wird nach Art. 86 Abs. 1 EPÜ vom EPA ab dem dritten Jahr ausgehend vom Anmeldetag für die Patentanmeldung erhoben. Nach Beginn der nationalen Phase13 werden Jahresgebühren durch die nationalen Patentämter14 auf Grundlage von Art. 141, 86 Abs. 2 EPÜ erhoben, von denen ein gewisser Anteil an die EPO weitergeleitet wird.15 Jahresgebühren steigen über die Jahre hinweg üblicherweise progressiv an und fallen sehr unterschiedlich hoch aus: Für Frankreich etwa fallen im zwanzigsten Jahr eines Patents nur die Hälfte der deutschen Gebühren an.16
12 Eine Übersicht der Übersetzungserfordernisse ist verfügbar unter: http://www.epo.org/ap plying/european/validation_de.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 13 Anm.: D. h. mit Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Europäischen Patents im Europäischen Patentblatt. 14 Vgl. etwa für Deutschland Art. II § 7 IntPatÜG i. V. m. § 17 PatG. 15 Vgl. Art. 39 Abs. 1 EPÜ sowie allg. Schäfers, in: Benkard, EPÜ, Art. 39, Rn. 2. 16 Vgl. Internetseite der EPO mit einer Möglichkeit Patentgebühren zu vergleichen, http:// www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/natlaw/de/vi/de.htm (Stand: 28. Januar 2014).
Kapitel 3
Ausgewählte Probleme des EP-Systems In diesem Kapitel werden unterschiedliche Aspekte des EP-Systems untersucht. Dabei beschränkt sich die Analyse des Systems auf ausgewählte Thematiken des internationalen Zivilprozessrechts und die Frage nach dem Grad der Harmonisierung der jeweiligen nationalen Patent(prozess)rechte. Ziel der nachfolgenden Untersuchungen ist es, potenzielle Probleme des EPSystems zu identifizieren, um ggf. an späterer Stelle untersuchen, ob das EU-Patentsystem die Probleme adressiert und löst. Soweit Rechtsvergleiche vorgenommen werden, beschränken sich diese auf die EU-Mitgliedstaaten.
A. Internationales Zivilprozessrecht Dieser Abschnitt befasst sich mit ausgewählten Problemen des internationalen Zivilprozessrechts, namentlich der zentralen Frage, inwieweit im EP-System grenzübergreifende Patentverletzungen überhaupt nach dem geltenden Internationalen Zivilprozessrecht verhandelbar sind. Nach Übergang in die nationale Phase haben Europäische Patente gemäß Art. 2 Abs. 2 EPÜ die gleiche Wirkung wie eine nationale Patentanmeldung und ein nationales Patent. Entsprechend sind für Patentverletzungs- und Nichtigkeitsverfahren die nationalen Gerichte (bzw. Behörden) zuständig.1 Es gelten also die nationalen Zuständigkeitsregeln2 und die allgemeinen Regeln über die internationale Zuständigkeit3. 1
Anderes gilt für das Einspruchsverfahren, das für Patente innerhalb von neun Monaten nach Bekanntmachung vor dem EPA erhoben werden kann. 2 Etwa in Deutschland die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Zivilkammern der Landgerichte, § 143 Abs. 1 PatG. 3 Zwar enthält das speziellere Protokoll über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen über den Anspruch auf Erteilung eines europäischen Patents vom 5. Oktober 1973 (Anerkennungsprotokoll) auch Regelungen über eine internationale Zuständigkeit. Allerdings gilt dies nur soweit Regelungen zur internationalen Zuständigkeit dem Anerkennungsprotokoll widersprechen, vgl. Art. 11 Abs. 1 des Protokolls. Die Regelungen der EuGVVO stehen jedoch zum Anerkennungsprotokoll nicht in Widerspruch, denn die
A. Internationales Zivilprozessrecht
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Einer internationalen Zuständigkeit eines Gerichts steht das im Patentrecht geltende Territorialitätsprinzip4 nicht entgegen. Es bezieht sich lediglich darauf, dass die Wirkung des Patents an den nationalen Grenzen endet und ist klar zu trennen von der Gerichtszuständigkeit für Verletzungen eines ausländischen Teils eines EP.5 Aus dem Prinzip kann daher nicht unmittelbar hergeleitet werden, dass ein Gericht eines Staates nicht zuständig sei, über eine Verletzung eines Patents zu befinden, das in dem Gerichtsstaat selbst keine Wirkung entfaltet.6 Auch sofern ein international zuständiges Gericht eine Patentverletzung auf Grundlage ausländischen Rechts prüft, kann das Prinzip der Territorialität keine Verletzung der Souveränität des ausländischen Rechts begründen, solange sich ein Urteil lediglich auf die Patentverletzung, nicht aber seinen Rechtsbestand, bezieht.7 Anders ist dies bei Nichtigkeitswiderklagen bzw. -einreden.
Bestimmungen des Protokolls und der Verordnung stimmen weitgehend überein, vgl. Melullis, in: Benkard, EPÜ, Art. 61 Rn. 3 (noch zur EuGVÜ). 4 Das Territorialitätsprinzip hat bei gewerblichen Schutzrechten allgemein grundlegende Bedeutung. Zu seiner Entstehungsgeschichte s. o., Kap. 1 B. I. 5 So auch Scharen, in: Benkard, PatG, 10. Aufl. München 2006, § 9, Rn. 9, 13; Neuhaus, Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (EuGVÜ) und das Luganer Übereinkommen vom 16. 9. 1988 (LugÜ), soweit hier von Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes betroffen werden, MittdtPatAnw 1996, 257, 261; Osterrieth, Patentrecht, Rn. 536. 6 Dem EuGH wurde in den englischen Fällen Fort Dodge/Akzo Nobel und Boston Scientific Ltd./Cordis Corp. eine Vorabentscheidungsfrage nach der Auswirkung des Territorialitätsprinzips auf die Zuständigkeit bei Verletzungsklagen bzgl. ausländischer Patente vorgelegt, jedoch anschließend wieder zurückgenommen, s. Lundtstedt, Gerichtliche Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im Immaterialgüterrecht – Geht der Pendelschlag zu weit?, GRUR Int 2001, 103, 105 m. w. N.; der EuGH hat sich jedenfalls dagegen entschieden, materiell-rechtliche Aspekte, wie die Reichweite des Patents, bei der Auslegung des Kriteriums, Ort des schädigenden Ereignisses, zu berücksichtigen, s. von Hein/Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. München 2011, Art. 5 EuGVVO, Rn. 88 m. w. N.; Hye-Knudsen lehnt ebenso eine Übertragung des Prinzips auf prozessuale Fragestellungen ab, s. Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, Diss. Tübingen 2005, S. 73. 7 Unabhängig hiervon wäre ein Hoheitseingriff nicht schon bei der Frage des Gerichtsstands von Belang, sondern erst bei der nachgelagerten Klärung kollisionsrechtlicher Aspekte, s. Pansch, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei der grenzüberschreitenden Verletzung gewerblicher Schutzrechte – Vorschläge zur Auslegung von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, ELF 2000, 353, 356, s. insb. Fn. 25.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
I. Einführung Die für das internationale Zivilprozessrecht in Bezug auf die EU-Mitgliedstaaten bedeutsamen Vorschriften sind die Brüssel-I-Verordnung (EuGVVO)8 und das Lugano Übereinkommen (LugÜ)9. 1. EuGVVO Die EuGVVO ist der Nachfolger des EuGVÜ. Das EuGVÜ wurde im September 1968 zunächst von den ursprünglichen Mitgliedstaaten der EWG, Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien Luxemburg und den Niederlanden (sog. EWG-6) beschlossen. Weitere Mitgliedstaaten der heutigen EU traten später bei.10 Die heutige EuGVVO gilt in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU, ist für Dänemark in ihrer Neufassung jedoch nicht bindend11. Sie ist in großen Teilen identisch mit dem Vorgängerübereinkommen, weshalb die bisher zum EuGVÜ ergangene Rechtsprechung bei der Auslegung der EuGVVO zu berücksichtigen ist.12 Nachfolgend wird lediglich auf die neuere EuGVVO eingegangen. a) Grundsätzliche Anwendbarkeit auf Patentverletzungsverfahren Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die EuGVVO auf grenzüberschreitende Patentverletzungsverfahren zu nach dem EPÜ erteilten Patenten übertragbar.13 Als Teil des sekundären Gemeinschaftsrechts hat sie Anwendungsvorrang gegenüber
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Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Kraft getreten am 15. Januar 2015, ehem. Verordnung (EG) 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO), ABl. EG 2001 Nr. L 12/01, S. 1. 9 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007. 10 Beitrittsakte: ABl. 1978 Nr. L 304, S. 1; ABl. 1982 Nr. L 388, S. 1; ABl. 1989 Nr. L 285, S. 1; ABl. 1997 Nr. C 15, S. 1. 11 Vgl. ErwGrd. 41. 12 Vgl. EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002, Rs. C-167/00, Slg. 2002 I-08111 (Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel), Rn. 49 mit Verweis auf das Erfordernis der Kohärenz, vgl. auch Erwgrd. 5, 19 der EuGVVO a. F.; zuletzt EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010, C-19/09, Slg. 2010 I-02121 (Wood Floor/Silva Trade). 13 1983 hat der EuGH das EuGVÜ bezüglich eines Patentverletzungsverfahrens für anwendbar erklärt, s. Urteil vom 15. November 1983, Rs. C-288/82, Slg. 1983, 3663, 3667 (Duijnstee/Goderbauer) am Beispiel von Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ. Auch das OLG Düsseldorf stellte 1999 fest, dass das EPÜ für derartige Verfahren keine Regelungen enthalte und folglich das EuGVÜ gelte, vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 1999, GRUR Int 1999, 775, 776 (Impfstoff II).
A. Internationales Zivilprozessrecht
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nationalem Recht.14 In den Art. 4 ff. EuGVVO (ehem. Art. 2 ff. EuGVVO) ist ein selbständiges Zuständigkeitssystem geregelt. b) Rechtsnatur und Systematik Grundsätzlich sind die nationalen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten zuständig (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, ehem. Art. 2 Abs. 1 EuGVVO). Juristische Personen und Gesellschaften haben gem. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO (ehem. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO) ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Nur ausnahmsweise kann ein Beklagter vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaates verklagt werden, wenn ein in den Abschnitten 2 – 7 EuGVVO geregelter Gerichtsstand gegeben ist (Art. 5 Abs. 1 EuGVVO, ehem. Art. 3 Abs. 1 EuGVVO). c) Internationale Zuständigkeit für Patentstreitigkeiten Für Patentstreitigkeiten kommen in der EuGVVO unterschiedliche Gerichtsstände infrage. Die Wahl des Gerichtsstands beurteilt sich nach dem Streitgegenstand. aa) Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes Auch bei Patentverletzungsverfahren gilt der Grundsatz des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO.15 bb) Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubter Handlung Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (ehem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) erklärt für Ansprüche aus unerlaubter Handlung die Gerichte „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ für zuständig. Eine unerlaubte Handlung i. S. d. EuGVVO ist nach der Kalfelis/Schröder-Entscheidung des EuGH gegeben, wenn in einer Klage eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht vertraglicher Natur i. S. d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO (ehem. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) ist.16 Demzufolge fallen auch Patentverletzungen außerhalb von Lizenzverträgen als nichtvertragliche Handlungen in den Anwendungsbereich dieser Norm.
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EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1270 (Costa/E.N.E.L.). Vgl. auch o., b). 16 EuGH, Urteil vom 27. September 1988, Rs. C-189/87, Slg. 1988, 5565 (Kalfelis/ Schröder), Rn. 16 f. 15
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Zur Auslegung des Wortlauts „des Ortes an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ vertritt der EuGH eine liberale Auffassung. Er erlaubt dem Kläger zwischen dem Handlungsort (Ort „an dem sich das Ereignis verwirklicht hat, das zu dem Schaden (…) geführt hat“17) und dem Erfolgsort (Ort an dem der Schaden eingetreten ist) zu wählen (sog. Ubiquitätsprinzip18).19 Als einschränkendes Kriterium verlangt der EuGH jedoch eine besonders enge Beziehung zu dem Gerichtsstand, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser anderen Gerichte rechtfertigt.20 cc) Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsorts Für Streitigkeiten über Patentlizenzverträge kann sich ein Gerichtsstand aus Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ergeben. Der EuGH hat mit Bezug zu urheberrechtlichen Lizenzverträgen in seiner Entscheidung Falco21 eine Anwendbarkeit der Norm entschieden. Gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVVO sind für derartige Streitigkeiten die Gerichte des vertraglichen Erfüllungsorts zuständig.22 Streitigkeiten über Patentlizenzverträge sollen für die nachfolgende Untersuchung jedoch keine Rolle spielen. 2. LugÜ Anstelle der EuGVVO gilt für die Schweiz, Island und Norwegen das LugÜ. Das Übereinkommen ist weitgehend identisch mit der EuGVVO und wurde 2007 von seinem Nachfolger abgelöst, der v. a. eine einheitliche Interpretation mit der EuGVVO ermöglichen soll.23 Aufgrund der Einheitlichkeit von EuGVVO und LugÜ
17 EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009, Rs. C-189/08, Slg. 2009 I-06917 (Zuid-Chemie), Rn. 27. 18 Übliche Terminologie in der dt. Rspr. und Lehre, vgl. Hohloch, Erfolgsort und Schadensort – Abgrenzung bei Ansprüchen auf Ersatz von (primären und sonstigen) Vermögensschäden, IPRax 1997, 312; von Hein/Kropholler, Art. 5 EuGVVO, Rn. 83; vgl. Hye-Knudsen, S. 65 – Bezeichnung des Kapitel I. 19 EuGH, Urteil vom 30. November 1976, Rs. C-21/76, Slg. 1976, 1735 (Bier/Mines de Potasse d’Alsace), Rn. 24 f.; EuGH, Urteil vom 7. März 1995, Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-00415, (Fiona Shevill/Presse Alliance SA), Rn. 20; EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1998, Rs. C-51/97, Slg. 1998, I-06511 (Réunion européenne SA/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor BV et al.). 20 EuGH, Urteil vom 10. Juni 2004, Rs. C-168/02, Slg. 2004, I-6022 (Kronhofer/Maier et al.), Rn. 15 mit Verweis auf EuGH Bier/Mines de potasse d’Alsace, Rn. 11; EuGH Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel, Rn. 46. 21 EuGH, Urteil vom 23. April 2009, Rs. C-533/07, Slg. 2009, I-03327 (Falco/WellerLindhorst). 22 Vgl. auch Mes, in: Mes, Kommentar zum PatG/GebrMG, 3. Aufl. München 2011, § 143, Rn. 25. 23 Zum Verhältnis des LugÜ zur EuGVVO vgl. Präambel sowie Art. 64 ff. des LugÜ.
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wird im Folgenden – sofern sich keine Besonderheiten ergeben – lediglich auf die EuGVVO verwiesen.
II. Cross-border-injunctions Lange fanden praktisch keine grenzübergreifenden Unterlassungsklagen wegen Patentverletzungen statt. Erst seit Anfang der neunziger Jahre wurden sog. Crossborder-injunctions im Patentrecht praktiziert.24 Von zentraler Bedeutung für Cross-border-injunctions ist der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) und der Gerichtsstand zur gemeinsamen Verhandlung mehrerer Beklagter (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO, ehem. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO).25 Es ist unbestritten, dass Cross-border-injunctions das effiziente Mittel sind, um gegen mehrere Patentverletzungen und/oder mehrere Patentverletzer vorzugehen. Seit Begründung der Cross-border-Rechtsprechung in Patentverletzungsverfahren hat sich der EuGH in unterschiedlichen Vorabentscheidungsverfahren mit ihrer Zulässigkeit auseinandergesetzt. Dieser Abschnitt soll klären, ob und inwieweit Cross-border-injunctions mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH26 zu vereinbaren sind. Vor allem betrifft dies die internationale Zuständigkeit für eine Verhandlung im Ausland begangener Patentverletzungen [s. u., a) sowie b)] bzw. für eine gemeinsame Verhandlung multinationaler Patentverletzungen durch mehrere Beklagte [s. u., c)]. 1. Gemeinsame Verhandlung in- und ausländischer Patentverletzungen Es stellt sich die Frage, ob Verhandlungen in- und ausländischer Patentverletzungen nach der EuGVVO allgemein möglich sind.
24 Allgemein zur Entwicklung der Cross-border-injunctions s. Grabinski, Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (Brüsseler Übereinkommens) und des Lugano-Übereinkommens in Rechtsstreitigkeiten über Patentverletzungen, GRUR Int 2001, 199. 25 Vgl. auch o., I. 26 Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV haben nicht nur rechtliche Bindungswirkung im jeweiligen Ausgangsstreitverfahren (inter partes-Wirkung), sondern darüber hinaus eine faktische rechtliche Bindungswirkung auch für andere letztinstanzliche Gerichte insofern, als diese von ihrer in Art. 267 Abs. 3 AEUV statuierten Vorlagepflicht zum EuGH nur dann freigestellt werden, wenn sie sich der EuGH-konformen Auslegung des Unionsrechts anschließen. Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl. München 2011, Art. 267, Rn. 47, 49.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
a) Verhandlung auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Zur Veranschaulichung einer typischen Konstellation, in der sich die Frage nach einer Verhandlung einer ausländischen Patentverletzung auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stellt, folgendes Beispiel: Ein in einem anderen Mitgliedstaat (Staat A) am Wohnsitz des Verletzers hergestelltes, patentverletzendes Gut wird anschließend in einen anderen Mitgliedstaat (Staat B) exportiert und dort auf den Markt gebracht. Der Patentinhaber, der über ein EP in beiden Staaten verfügt, möchte nun sowohl gegen die im Staat A (durch das Inverkehrbringen des patentverletzenden Gutes) als auch27 gegen die im Staat B (durch die Herstellung) begangene Patentverletzung vorgehen. Er begehrt die Unterlassung der jeweiligen patentverletzenden Handlungen.
Hierzu wäre es erforderlich, dass (1) ein Gericht des Staates B auf Grundlage des besonderen Gerichtsstands gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO als Gericht des Handlungs- bzw. des Erfolgsorts der unerlaubten Handlung (d. h. Gerichte „in einem anderen Mitgliedstaat“, vgl. Wortlaut des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) zuständig ist und dass (2) das Gericht eine Verletzung (auch) ausländischen Patentrechts verhandeln kann.
aa) Rechtsprechung des EuGH Der EuGH legt den Wortlaut des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO grundsätzlich extensiv aus, indem er erlaubt, unter dem Ort an dem „das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort der unerlaubten Handlung zu erfassen.28 Der Kläger habe hier die Wahl.29 Der Gerichtshof hat allerdings zugleich betont, dass ein Kriterium für die Gerichtszuständigkeit eine „besonders enge Beziehung“ zwischen dem Rechtsstreit und dem berufenen Gericht an dem jeweiligen Ort sein kann.30 Wegen ihres Ausnahmecharakters sei die Vorschrift zudem einschränkend auszulegen.31 (1) „Fiona Shevill/Presse Alliance“ In seiner Entscheidung32 Fiona Shevill/Presse Alliance hat der EuGH anlässlich einer Ehrverletzung durch Presseartikel entschieden, inwieweit ein Beklagter mit 27 Anm.: Die bloße Verhandlung des Inverkehrbringens im Staat B ist unproblematisch möglich. Sie unterliegt nicht internationalem Zivilprozessrecht. 28 EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, Rn. 20/23. 29 EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, Rn. 15/19. 30 EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, Rn. 8/12; EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19), Rn. 19. 31 EuGH Kalfelis/Schröder, Rn. 9, 19. 32 EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19).
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Wohnsitz in einem anderen Staat im Hinblick auf Handlungs- und Erfolgsort in Anspruch genommen werden kann. Er hat entschieden, dass Gerichte des Wohnsitzstaates des Veröffentlichenden (d. h. am Handlungsort) (auch) für die Verhandlung sämtlicher im Ausland (durch Verbreitung der Veröffentlichung des Artikels) entstandenen Schäden zuständig seien.33 Die Gerichte der Staaten in denen aber lediglich die Verbreitung des Artikels stattgefunden hat (Erfolgsort), seien dagegen nur zuständig für die dort verursachten Schäden.34 Zusammenfassend können demnach am Handlungsort Rechtsverletzungen verhandelt werden, die Handlungsund Erfolgsort betreffen; umgekehrt soll dies am Erfolgsort nicht der Fall sein. Der EuGH begründet die Einführung dieser häufig als Mosaik-Prinzip35 bezeichneten Rechtsprechung mit dem Grundsatz der Nähe der Gerichte.36 Die Wahl zwischen Handlungs- und Erfolgsort sei möglich, „da jeder von beiden je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses in eine besonders sachgerechte Richtung weisen kann.“37 Dieser Erwägung liegt wiederum der Gedanke der Prozessökonomie zugrunde – nationalen Gerichten fiele es naturgemäß schwerer an einem ausländischen Erfolgsort Beweise über die ausländischen Ursachen für den Verletzungserfolg zu erheben. So stellte der EuGH fest, dass das Gericht des Verbreitungsstaates einer Ehrverletzung „örtlich am besten geeignet (sei), um die in diesem Staat erfolgte Ehrverletzung zu beurteilen und den Umfang des entsprechenden Schadens zu bestimmen.“. (2) „Marinari/Lloyd’s Bank“ Im Verfahren Marinari38 hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob der Ort, an dem lediglich mittelbare Schäden aus einer unerlaubten Handlung eintreten, noch unter den Begriff des Erfolgsorts im Sinne seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO fällt. Er kam zu dem Schluss, dass der Begriff des Erfolgsorts nicht jeden Ort erfasse, an dem die schädlichen Folgen eines Umstands spürbar werden könnten, der bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist.39 Es soll daher nur der Ort des Erstschadens nicht aber der
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EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19), Rn. 25. EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19), Rn. 30. 35 Der Begriff verbildlicht die Situation des Verletzten, der in jedem Staat, in dem ein rechtsverletzender Presseartikel verbreitet wird, gesondert klagen muss, s. auch Mankowski, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, 2. Aufl. München 2012, Art. 5 EuGVVO, Rn. 207 ff., insb. Rn. 208. 36 EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, Rn. 8/12; EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19), Rn. 19. 37 EuGH Fiona Shevill/Presse Alliance SA (Fn. 19), Rn. 21. 38 EuGH, Urteil vom 19. September 1995, Rs. C-364/93, Slg. I-2733 (Marinari/Lloyd’s Bank). 39 EuGH Marinari/Lloyd’s Bank, Rn. 14. 34
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Ort des weiteren Schadens von dem Begriff des Erfolgsorts erfasst sein.40 Der EuGH hat mit diesem Urteil den Begriff des Erfolgsorts weiter präzisiert.41
(3) Übertragbarkeit der EuGH-Rechtsprechung auf Patentrechtsverletzungen mit Auslandsbezug Der EuGH hat sich in seinem Urteil Shevill nicht damit auseinandergesetzt, ob die Mosaik-Rechtsprechung auch auf Patentrechtsverletzungsklagen, insbesondere Unterlassungsansprüche, anwendbar ist.42 Eine Übertragbarkeit wird in der Rechtsprechung und Lehre aber vielfach angenommen.43 Sie war allerdings lange Zeit umstritten, da sich die Sachlage, die der Shevill-Entscheidung zugrunde liegt, von der Sachlage bei patentrechtlichen Verletzungsfällen unterscheidet: Der Shevill-Entscheidung liegt ein Schadensersatzanspruch und kein Unterlassungsanspruch zugrunde. Außerdem betrifft die Entscheidung die Verletzung von Persönlichkeitsrecht, nicht die eines Patents.44 Mittlerweile hat der EuGH klargestellt, dass das Shevill-Urteil auch für Unterlassungsklagen gilt: In den verbundenen Entscheidungen eDate Advertising GmbH 40
von Hein/Kropholler, Art. 5 EuGVVO, Rn. 87. So auch Hye-Knudsen, S. 66. 42 Dagegen beziehen sich die Schlussanträge des Generalanwalts Darmon zur Begründung des Mosaik-Prinzips ausdrücklich auf das zur Jahrtausendwende beschlossene, jedoch nie in Kraft getretene, Gemeinschaftspatent. Der Generalanwalt zitiert Art. 69 Abs. 2 GPÜ nach dessen Satz 2 das Gericht der Verletzungshandlung „nur für die Entscheidung über Verletzungshandlungen zuständig (ist), die in dem Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats begangen worden sind.“ Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 14. Juli 1994 zu Rs. C-68/93 (Fiona Shevill/Presse Alliance SA), Slg. 1994 Nr. I-434, Rn. 88. 43 Grabinski, GRUR Int 2001, 199; Thum, Die Territorialität gewerblicher Schutzrechte und ihre Bedeutung für Sachverhalte mit Auslandsbezug, verfügbar unter http://www.wuesthoff.de/ fileadmin/site/documents/news/de/Aufsatz_zu_Territorialitaetsprinzip_-_Thum.pdf, S. 32 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); Meibom/Pitz, Die europäische „Transborderrechtsprechung“ stößt an ihre Grenzen, GRUR Int 1998, 765, 766; Stauder, Grenzüberschreitende Verletzungsverbote im gewerblichen Rechtsschutz und das EuGVÜ, IPRax 1998, 317, 322; Hausmann, Die Verletzung gewerblicher Schutzrechte im europäischen internationalen Privatund Verfahrensrecht, ELF 2003, 278, 282; Pansch, ELF 2000, 353, 356, 357 (im Ergebnis zustimmend); differenzierte Analyse in Hess/Pfeiffer/Schlosser, Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, S. 98 ff., insb. S. 342 f. (Anwendbarkeit auf gewerblichen Rechtsschutz generell wird bejaht), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/civiljustice/ news/docs/study_application_brussels_1_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); LG Düsseldorf, Urteil vom 25. August 1998, Az.: 4 O 165/97, GRUR Int 1999, 455, 456 f. (ohne Begründung). 44 Nach Hau sei die „keineswegs unstreitige“ Frage der Anwendung des Shevill-Urteils auf Unterlassungsklagen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, s. Anm. von Hau zu BGH, Urteil vom 9. Juli 2009, Az.: Xa ZR 19/08, NJW 2009, 3371, LMK 2009, 293079; s. auch Diskussion in Winkler, Die internationale Zuständigkeit für Patentverletzungsstreitigkeiten, Diss. Frankfurt a. M. 2001, S. 221 ff. 41
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und Martinez45 beschäftigte sich der Gerichtshof mit Unterlassungsklagen, allerdings bezüglich Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet. Auch die Tatsache, dass die Shevill-Entscheidung einen Anspruch aus Persönlichkeitsrecht zum Gegenstand hat, dürfte einer Übertragbarkeit nicht entgegenstehen. Zwar besteht der Ehrschutz länderübergreifend46, während das ein Patent de lege lata nur für das Gebiet des Staates gilt, in dem es erteilt wurde (Territorialitätsprinzip).47 Der EuGH rechtfertigt seine Entscheidung jedoch nicht mit dem grenzübergreifenden Charakter des Ehrschutzes, sondern u. a. mit dem Risiko von forum shopping48, das bestünde, wenn auch Gerichte des Erfolgsorts über den gesamten Schaden zu entscheiden hätten. So äußerte sich auch der Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen wie folgt: „Ferner dürfte diese Lösung insbesondere auf diesem Gebiet, auf dem der Geschädigte in der Praxis die Möglichkeit hätte, ein beliebiges Gericht in allen Vertragsstaaten anzurufen (55), im Widerspruch zum Geist des Übereinkommens stehen, der bestimmt nicht dahin geht, das ,forum shopping‘ zu fördern, sondern darin, die Verteilung der besonderen Zuständigkeiten zu organisieren. Wer sieht nicht, daß der Geschädigte auf diese Weise den Gerichtsstand wählen würde, vor dem nach seiner Ansicht sein Schaden am besten ersetzt wird?“49 [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Ein allgemeines Risiko des forum shoppings ist im Persönlichkeitsrecht wie im Patentrecht gleichermaßen gegeben. Insofern ist die Argumentation des EuGH ohne Weiteres auf die Sachlage im Patentrecht übertragbar.50 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass weder die Territorialität des Patents noch der Unterlassungscharakter der Klage gegen eine Übertragbarkeit der Shevill-Rechtsprechung auf hier diskutierte Cross-border-injunctions spricht. Unabhängig davon sei hier angemerkt, dass der EuGH sich bisher nicht mit der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Patente bzw. auf gewerbliche Schutz45 EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 zu verb. Rs. C-509/09 und C-161/10, (eDate Advertising GmbH und Martinez/MGN Limited). 46 Für transnationalen Ehrschutz vgl. bspw. Art. 7 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 8 EMRK. 47 In dem Fragebogen zum Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht (s. Fn. 43) äußert sich Österreich skeptisch zu der allgemeinen Erstreckung des Urteils auf Delikte, die sich nicht auf die Verbreitung von Medien beziehen, s. http://ec.europa.eu/civiljustice/news/docs/study_bxl1_aus tria.pdf, S. 31 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 48 Der Begriff forum shopping beschreibt allgemein das Verhalten eines Klägers unter mehreren zuständigen Gerichten das für ihn günstigste Gericht auszusuchen, s. Pitz, Patentverletzungsverfahren, 2. Aufl. München 2010, Rn. 222. 49 Schlussanträge des Generalanwalts Darmon, Rn. 67. 50 s. auch Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Diss. Bielefeld 1999, S. 237 f.; zur Ausweitung der Fiona Shevill-Rechtsprechung auf „andere Streudelikte“ unter dem Aspekt des forum shoppings s. Kropholler, Art. 5 EuGVVO Rn. 85; Zigann, Entscheidungen inländischer Gerichte über ausländische gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, Diss. München 2001, S. 108 ff.
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rechte generell auseinandergesetzt hat. Die letztinstanzlichen Gerichte der Mitgliedstaaten sind daher weiterhin verpflichtet, dem EuGH die Frage der Übertragbarkeit zur Vorabentscheidung vorzulegen.51 (4) In- und ausländische Patentverletzungen auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (noch) gemeinsam verhandelbar? Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Shevill-Rechtsprechung des EuGH auf internationale Patentverletzungen hat. Genauer ist zu klären, ob es sich bei Schäden, die durch die Verletzung eines Patents in einem Drittstaat entstehen, um Schäden des Erfolgsorts i. S. d. Shevill-Entscheidung handelt. Wäre dies der Fall, so wäre nach der Rechtsprechung des EuGH eine Gerichtszuständigkeit für die Verhandlung von Verletzungen ausländischer Patente auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO per se zu verneinen. Nach der Shevill-Entscheidung können ausschließlich vor Gerichten des Handlungsortes auch ausländische Rechtsverletzungen verhandelt werden. Der Handlungsort erfasst unter Umständen auch Orte „an denen Teilhandlungen einer unerlaubten Handlung erfolgen“.52 Bei der anfänglich geschilderten Konstellation grenzübergreifender Patentverletzungen ist in jedem Fall der Handlungsort derjenige, an dem das patentverletzende Gut hergestellt wurde. Für eine derartige Einordnung spricht – aus räumlicher Sicht – auch das Territorialitätsprinzip: Die Herstellung eines patentverletzenden Guts ist danach für sich genommen nicht nur eine Teilhandlung, sondern eine jeweils eigenständige und abgeschlossene unerlaubte Handlung (vgl. etwa für Deutschland § 9 PatG). Das Inverkehrbringen des patentverletzenden Gegenstands begründet also einen eigenen Handlungs- und auch Erfolgsort, der zumindest rechtlich mit dem ausländischen Handlungs- und Erfolgsort zusammenhängt. So existieren zwei Handlungs- und Erfolgsorte in beiden Staaten unabhängig voneinander.53 Gerichte wären in jedem Fall lediglich zuständig für die Verhandlung der dortigen Patentverletzungen. Zwar würden, auf das oben genannte Beispiel bezogen, im Zuge der Sachverhaltserhebung im Staat B Teilhandlungen, die im Staat A stattgefunden haben (hier etwa die Beauftragung eines Spediteurs) als Bestandteil der unerlaubten Handlung untersucht. Ausländisches Patentrecht wäre aber nie Gegenstand der Prüfung.
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s. zur Bindungswirkung von Urteilen des EuGH in Vorabentscheidungsfragen auch Fn. 26. 52 Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Heidelberg 2011, S. 95. 53 So im Wesentlichen auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 1999, Az.: 2 U 127/98, IPRspr 1999, Nr. 12; IPRax 2001, 336 (Schussfadengreifer II).
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(5) Zwischenergebnis Die Shevill-Entscheidung des EuGH schränkt die Möglichkeit, Verletzungen ausländischer Teile eines europäischen Patents nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vor einem nationalen Gericht zu verhandeln, erheblich ein. Im obigen Beispielsfall kann nicht die ausländische Patentverletzung, sondern lediglich die Verletzung im Staat B vor den Gerichten des Staates verhandelt werden. Teilhandlungen (wie hier die Beauftragung eines Spediteurs im Ausland) können ohne Auswirkungen auf Feststellungen zu einer ausländischen Patentverletzung zur Sachverhaltsaufklärung erhoben werden. Es kann also festgehalten werden, dass die Rechtsprechung des EuGH eine Verhandlung von Verletzungen ausländischer Patente auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht zulässt. bb) Rechtsprechung der Mitgliedstaaten Im Folgenden werden Urteile der EU-Mitgliedstaaten über ausländische Patentverletzungen auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dargestellt und diskutiert. (1) Niederlande In den Niederlanden sind bisher zu der o. g. Fallkonstellation zwei wesentliche Entscheidungen ergangen.54 In einem Urteil55 zu einer unerlaubten Handlung in Deutschland und den Niederlanden bejahte die zuständige Rechtbank Den Haag ihre internationale Zuständigkeit zur Verhandlung beider Verletzungen. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sei systematisch eine „echte“Alternative zu dem in Art. 5 Abs. 1 EuGVVO bezeichneten allgemeinen Gerichtsstand. Ansonsten böte dieser keinen über die Ursprungsnorm hinausgehenden Vorteil. Das Gericht ordnete den Sachverhalt unter dem Handlungs-, nicht dem Erfolgsort ein, weshalb die vom Beklagten vorgebrachte Verteidigung mit Argumentation des Shevill-Urteils nicht durchgriff. In späterer Rechtsprechung wurde diese liberale Praxis der niederländischen Gerichte vom Berufungsgericht in Den Haag56 revidiert. Das Gericht betonte hierbei das Schicksal des EP als „Bündel“ einzelner nationaler Patente57 und sah damit gerade keine Einheitlichkeit des Patents. Der niederländische Teil eines Bündel54 Anm.: Beide Urteile ergingen in einem sog. kort geding-Verfahren, welches in etwa mit einer einstweiligen Verfügung vergleichbar ist (auch summarisches Verfahren), jedoch häufig zu Urteilen ohne Hauptverfahren führt (daher auch als „Quasi-Hauptsacheverfahren“ bezeichnet), s. Bertrams, Das grenzüberschreitende Verletzungsverbot im niederländischen Patentrecht, GRUR Int 1995, 193, 197. 55 Rechtbank Den Haag, Urteil vom 15. Oktober 1997 (Biddle/Kampmann), I.E.R. 1998, 29. 56 Gerechtshof Den Haag, Urteil vom 23. April 1998, Rs. 97/1296, 1999 FSR 352 bzw. E.I.P.R. 1998, Nr. 134 (Expendable Grafts Partnership/Boston Scientific BV). 57 Vgl. o., Kap. 2, Einl.
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patents könne konsequenterweise nicht eine „enge Verbindung“ i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuGVÜ a. F. (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO n. F.) zur Verletzung eines ausländischen (hier französischen) Teils eines Bündelpatents darstellen, was die Verhandlung in demselben Verfahren vor einem niederländischen Gericht ermögliche.58 Obwohl das Urteil zu Art. 6 Abs. 1 EuGVÜ a. F. (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO n. F.) erging, ist es insofern von Bedeutung, als das Merkmal der „engen Verbindung“ in der EuGHRechtsprechung auch bei Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eine Rolle spielt.59 Es ist also davon auszugehen, dass die niederländischen Gerichte ihre bisherige, liberale Auslegung aufgegeben haben.60 Entsprechend stellte im späteren Verfahren Välinge61 die Rechtbank Den Haag zu einer unerlaubten Handlung durch einen in Belgien ansässigen Beklagten – nunmehr auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO – fest, dass ausschließlich Handlungen, die im Gerichtsstaat begangen wurden, eine Zuständigkeit begründen könnten. Es wurde damit nur eine unerlaubte Handlung in den Niederlanden, nicht aber in Belgien vor dem Gericht verhandelt.62 (2) Deutschland 1998 hat das LG Düsseldorf im Urteil Schussfadengreifer63 über die Zuständigkeit zur Verhandlung einer ausländischen Patentverletzung entschieden. Eine italienische Klägerin warf einer in Belgien ansässigen Beklagten, die Webmaschinen herstellte und unter anderem in Deutschland vertrieb, die Verletzung eines dort angemeldeten Patents vor. Das Landgericht erklärte, dass zwar die belgische Beklagte auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vor einem deutschen Gericht verklagt werden könne. Es erklärte sich jedoch nur für die Verhandlung der Verletzung des deutschen Teils des Klagepatents, d. h. nicht (auch) des belgischen Teils, zuständig. Dies begründete das Gericht damit, dass „das schädigende Ereignis“ nicht wie vom Wortlaut gefordert im Inland eingetreten ist. Das Landgericht erwog allenfalls für den Fall, dass „Patentverletzungen in den anderen Vertragsstaaten ihren Ursprung an dem Ort haben, für den das angerufene Gericht der unerlaubten Handlung zuständig ist, d. h. wenn das patentverletzende Erzeugnis von dort aus auf den Weg gebracht wird“64, eine deliktische Zuständigkeit für die Verhandlung sämtlicher Patentverletzungen 58 Urteilszusammenfassung mangels Vorliegens der Originalfassung nach Beitrag Niederlande – Ende der „Cross-Border Injunctions“?, GRUR Int 1998, 737. 59 Vgl. hierzu o., a). 60 Von einer „Kehrtwende in Den Haag“ sprechen auch Meibom/Pitz, GRUR Int 1998, 765, 766. 61 Rechtbank Den Haag, Urteil vom 22. Februar 2000 (Välinge/Uniin), B.I.E. 2000, 355. 62 Die Urteilszusammenfassungen Välinge und Biddle wurden aus Mangel an anderen Quellen entnommen aus Pertegás Sender, Cross-border injunctions in patent litigation: Ingenious Tactics or Misuse of Private International Rules, Jura Falconis, Jg. 37 2000 – 2001, Ausg. 4, S. 505. 63 LG Düsseldorf, Urteil vom 25. August 1999, Az.: 4 O 165/97, GRUR Int 1999, 455 (Schussfadengreifer). 64 Schussfadengreifer, GRUR Int 1999, 455, 458.
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am Ort ihres Ursprungs. Damit schloss sich das LG Düsseldorf im Wesentlichen der Rechtsprechung des EuGH an, nach welcher nur im Ursprungsstaat der gesamte Schaden geltend gemacht werden kann.65 Im Berufungsverfahren66 hat das OLG Düsseldorf mit Hinblick auf den nationalen Charakter von erteilten EP bestätigt, dass „sich sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort im Falle einer Patentverletzung dort befinden, wo der betreffende Schutzrechtsteil belegen ist.“67 Im selben Jahr der Schussfadengreifer-Entscheidung entschied das OLG Düsseldorf in seinem Urteil Impfstoff II68 über seine gerichtliche Zuständigkeit auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Hierbei berücksichtigte das Gericht das Wahlrecht des Klägers zwischen Handlungs- und Erfolgsort sowie das Erfordernis der besonders engen Beziehung, das der EuGH in seiner Rechtsprechung zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO herausgearbeitet hat.69 Hinsichtlich des Wahlrechts stellte das OLG Düsseldorf fest, dass die Herstellung des Gutes im Staat A – für sich genommen – schon eine abgeschlossene unerlaubte Handlung darstellt: Handlungsort im Fallbeispiel ist danach der Staat A. Der Verletzungserfolg tritt ebenso nach dem OLG ebenso im Staat A ein, da der dortige Teil des europäischen Patents verletzt wird. Daran könne der spätere Export in den Staat B (und die damit verbundene dortige Patentverletzung) nichts ändern. Aufgrund dieser Tatsachen liege die geforderte besonders enge Beziehung auch nicht in Bezug auf Gerichte des Staat B vor.70 Andererseits hätten Gerichte ausländisches Patentrecht zu prüfen. In diesem Zusammenhang wurde seitens der Rechtsprechung nicht auf das Territorialitätsprinzip, sondern auf den in der EuGVVO allg. geltenden actor sequitur forum rei-Grundsatz abgestellt. Das LG Mannheim71 erklärte sich nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständig zur Verhandlung einer Patentverletzung durch den Import von Kondensatoren zur Automobilherstellung aus Italien. In diesem Urteil hat das Gericht ausschließlich die Patentverletzung in Deutschland auf der Grundlage deutschen Patentrechts geprüft und sich dabei auf das Schutzlandprinzip berufen.72 Das Gericht berief sich auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf im Berufungsverfahren zu der Schussfadengreifer-Entscheidung. 65 Vgl. hierzu o., a) aa); Zigann interpretiert das obiter dictum des Gerichts dagegen als eine Bereitschaft zur Verhandlung von Spider in the web Konstellationen am Ort des Ursprungs, s. Zigann, S. 130; s. zu derartigen Patentverletzungen u., c). 66 OLG Düsseldorf, Schussfadengreifer II, IPRax 2001, 336. 67 OLG Düsseldorf, Schussfadengreifer II, IPRax 2001, 336, Rn. 32. 68 OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 1999, Az.: 4 O 198/97, GRUR Int 1999, 775, 776 (Impfstoff II). 69 St. Rspr. seit EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, für weitere Nachweise s. auch o., Fn. 19. 70 OLG Düsseldorf, Impfstoff II, GRUR Int 1999, 775, 776. 71 LG Mannheim, Urteil vom 26. August 2005, Az.: 7 O 506/04, InstGE 6, 9. 72 LG Mannheim, InstGE 6, 9 Rn. 34.
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(3) Zusammenfassung Die Gerichte der untersuchten EU-Mitgliedstaaten haben sich – mit Ausnahme einer abweichenden Entscheidung – in Fällen grenzüberschreitender Patentverletzungen stets gegen eine Verhandlung (auch) der ausländischen Patentverletzung entschieden. Das eine Verhandlung bejahende niederländische Urteil „Biddle“ beruht auf einer unscharfen Argumentation. So führte das Gericht das systematische Argument an, das Exklusivitätsverhältnis des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu dem allgemeinen Gerichtsstand werde nicht gewahrt, wenn die Norm ihres Anwendungsbereichs beraubt würde. Dies ist natürlich im Grundsatz zutreffend, verkennt jedoch die Tatsache, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVVO – anders als Art. 8 Nr. 1 EuGVVO – nicht notwendigerweise eine gemeinsame Verhandlung mehrerer Sachverhalte vorsieht73, die sich in unterschiedlichen Ländern abgespielt haben. Art. 7 EuGVVO eröffnet lediglich die Möglichkeit „(e)ine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat“ in „einem anderen Mitgliedstaat“ verklagen zu können. Die Norm bietet vor diesem Hintergrund also schon dann eine echte Alternative zum allgemeinen Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes aus Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, wenn sie dem Kläger erlaubt, sowohl Gerichte des Handlungs- als auch des Erfolgsorts aufzusuchen, wenn einer der beiden Orte in einem anderen Staat als dem Wohnsitzstaat des Beklagten liegt.74 Eine gemeinsame Verhandlung ist dabei nicht zwangsläufig vorgesehen. Das Argument der Alternativität der Rechtbank Den Haag vermag daher nicht zu überzeugen. Die deutschen Urteile Schussfadengreifer und Impfstoff II stehen dagegen im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Sie nehmen auf dieser Grundlage eine eindeutige Differenzierung zwischen Handlungs- und Erfolgsort vor. Überträgt man die deutsche Rechtsprechung auf das o. g. Fallbeispiel, kommt man zu dem Schluss, dass weder Handlungs- noch Erfolgsort der ausländischen Patentverletzung im Gerichtsstaat liegt und diese folglich nicht vor inländischen Gerichten verhandelt werden kann. cc) Zwischenergebnis: Keine Verhandlung auf Grundlage von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Die Frage, ob Verhandlungen (auch) ausländischer Patentverletzungen nach ausländischem Patentrecht von Gerichten im Geltungsbereich der EuGVVO bei der Verletzung eines Bündelpatents vorgenommen werden können, ist mit Hinblick auf die EuGH-Rechtsprechung zu verneinen. 73
Vgl. Wortlaut des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO „(…) mehrere Personen zusammen verklagt (…)“, welches notwendigerweise die Verhandlung mehrerer Sachverhalte zur Folge hat. 74 So der EuGH mit seiner Erwägung, dass, sofern nicht zwischen Handlungs- und Erfolgsort differenziert würde, „die in Artikel 2 und Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vorgesehenen Gerichtsstände zusammenfielen“, s. EuGH Bier/Mines de Potasse d’Alsace, Rn. 20, 23.
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Das durch die Entscheidung eingeführte Mosaik-Prinzip ist im Grundsatz durchaus berechtigt – die bloße Tatsache, dass Klagen an einem anderen Staat als dem Wohnsitzstaat des Beklagten erhoben werden können, begünstigt den Kläger. Forum shopping wurde dabei grundsätzlich zu recht befürchtet, da der Kläger – wenn ihm zusätzlich die Möglichkeit der Verhandlung ausländischer Rechtsverletzungen an die Hand gegeben würde – doppelt begünstigt wäre.75 Die „Gefahr“ von forum shopping darf jedoch angesichts der besonderen Sachlage im Patentrecht nicht zulasten der Rechtsinhaber überbewertet werden: Die Europäische Union bietet einen unvergleichbar vorteilhaften Binnenmarkt, der redlichen Marktteilnehmern gleichermaßen wie auch jenen zur Verfügung steht, die ihn missbrauchen, um die in einem Staat hergestellten, patentverletzenden Güter in auch anderen Mitgliedstaaten abzusetzen. Versetzt man Rechtsinhaber in die Position, nur jeweils die nationale Patentverletzung verhandeln zu können, trägt man effektiv zu einer Begünstigung von Patentverletzern bei. Es ist nicht einsehbar, dass Unternehmen zugemutet werden soll, im Falle einer Patentverletzung, die sich – von einem Land ausgehend – auf mehrere Mitgliedstaaten erstreckt, auch ausländischen Rechtsbeistand in jenen Staaten in Anspruch zu nehmen. Forum shopping betreibt hier nämlich nicht der Kläger, sondern vielmehr der Beklagte, der etwa Länder mit dem geringsten Schutzniveau als Absatzmärkte (bzw. Produktionsstätten) bevorzugt. Dabei gibt ihm häufig ein Bewusstsein über die Rechtswidrigkeit seiner Handlungen einen weiteren Vorsprung: Er weiß um die Möglichkeit, dass ggf. Gerichtsverfahren gegen ihn angestrengt werden und kann entsprechend von vornherein ein günstiges Forum wählen.76 b) Verhandlung auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO Ausländische Patentverletzungen können möglicherweise am allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO vor Gerichten des Sitzstaats des Patentverletzers, verhandelt werden. Dies ist z. B. für Fälle denkbar, in denen am Wohnsitz des Verletzers die Herstellung eines Guts dort einen Teil eines europäischen Bündelpatents verletzt und das verletzende Gut anschließend in andere Mitgliedstaat(en) exportiert und dort auf den Markt gebracht wird, in denen ebenfalls Patentschutz durch ein EP besteht. Veranschaulichend kann dies wie folgt dargestellt werden: Ein im Staat A ansässiges Unternehmen begeht (durch Herstellung bzw. Import von Gütern) in seinem Sitzstaat (Staat A) sowie in einem anderen Mitgliedstaat (Staat B) eine Patentverletzung.
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Z. B. Winkler meint, dass die Waffengleichheit von Kläger und Beklagtem „erheblich gestört“ sei, wenn Kläger überall Klagen wg. des Gesamtschadens erheben könnten, s. Winkler, S. 224. 76 So auch Neuhaus, MittdtPatAnw 1996, 257.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems Der Patentinhaber möchte mit einer Unterlassungsklage gegen beide Patentverletzungen am Beklagtenwohnsitz vorgehen.
Hier ist nicht von Belang, ob, wie oben [vgl. o., a)], Gerichte in den Exportstaaten für die Verhandlung der ausländischen Patentverletzung (des Sitzstaats) zuständig sind. In dieser Fallkonstellation steht die Frage im Mittelpunkt, ob auch Patentverletzungen, die in den Exportstaaten [Staat B (C etc.)] begangen wurden, zentral am Wohnsitz des Verletzers (d. h. in Staat A) verhandelt werden können. aa) Keine EuGH-Rechtsprechung Bisher hat sich der EuGH nicht zur Handhabung von Cross-border-injunctions auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO geäußert. bb) Rechtsprechung der Mitgliedstaaten (1) Deutschland In der deutschen Rechtsprechung sehen die Gerichte eine Verhandlung von Verletzungen ausländischer gewerblicher Schutzrechte auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO in der Regel als möglich an. Überwiegend findet sich Rechtsprechung zur Zuständigkeit deutscher Gerichte für im Ausland begangene Urheberrechtsverletzungen, aber auch der Überprüfung von Verletzungen ausländischer Registerrechte stand schon das Reichsgericht 1930 (zu Warenzeichen) offen gegenüber.77 Konkret zu Patenten hat das LG Düsseldorf 1994 entschieden. Ein niederländischer Patentinhaber klagte gegen ein deutsches Unternehmen wegen Verletzung eines britischen Patents durch den Export eines in Deutschland ebenfalls patentverletzenden Guts nach Großbritannien.78 Das Gericht erklärte sich zuständig für die Verhandlung der Unterlassungsklage und gründete seine internationale Zuständigkeit auf Art. 4 Abs. 1 EuGVVO: „Da Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ eine Ausnahme – im Sinne einer ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaates, in dem die Erteilung des Patents erfolgt ist – nur für Nichtigkeitsklagen gegen Patente vorsieht, gilt Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ auch für Verletzungsklagen aus einem ausländischen Patent, und zwar auch insoweit, als die Klage – wie hier – darauf gerichtet ist, der beklagten Partei die Vornahme bestimmter Handlungen in dem betreffenden ausländischen Staat zu untersagen (…).“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
77 Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 198 m. w. N.; s. auch Walter, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. München 2010, § 58, A. I. Rn. 14 m. w. N. 78 LG Düsseldorf, Urteil vom 1. Februar 1994, Az.: 4 O 193/87 (Kettenbandförderer III).
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Ein Urteil im Berufungsverfahren79 erging in dem Verfahren nicht, da der Rechtsstreit von beiden Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.80 Eine weitere Entscheidung des LG Düsseldorf von 1996 hat eine Verletzung des deutschen und britischen Teils eines europäischen Patents durch ein Unternehmen mit Sitz in England zum Gegenstand.81 Der u. a. beklagte Geschäftsführer der Beklagten, hatte seinen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen. Patentverletzungshandlungen konnte der Kläger überdies nur für England nachweisen. Das LG Düsseldorf erklärte sich dennoch zuständig für die Verhandlung der ausländischen Patentverletzung. Zwar begründete es seine Zuständigkeit zur gemeinsamen Verhandlung von den in unterschiedlichen Ländern situierten Beklagten mit dem spezielleren Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Dieser Überlegung lag allerdings überhaupt erst zugrunde, dass sich das Gericht für die Verhandlung der Patentverletzung (stellvertretend) durch einen der Beklagten zuständig erklärte. Grund dafür ist, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVVO unter anderem voraussetzt, dass am Gerichtsort „einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat“. Diese Wohnsitzzuständigkeit bejahte das LG Düsseldorf wie folgt: „Da ein solcher sachlicher Zusammenhang (Anm.: in Form des Konnexitätserfordernisses) aufgrund des gegen alle Beklagten gerichteten Klagevorwurfes der gemeinschaftlichen Patentverletzung gegeben ist, können auch die in England ansässigen Beklagten zu 1, 3, 4 und 6 vor dem Landgericht Düsseldorf verklagt werden, da der Beklagte zu 5 seinen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Düsseldorf hat, dem die Patentstreitsachen für das Land Nordrhein-Westfalen durch die genannte Verordnung zugewiesen sind.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Hiermit erklärte sich also das Gericht für zuständig, die angeblich im Ausland begangene Patentverletzung zu verhandeln. Obwohl sich das LG Düsseldorf hierbei nicht ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO auseinandersetzte, kann das Urteil nur so verstanden werden, dass die Richter eine (gemeinsame) Verhandlung von Verletzungen ausländischen (und inländischen) Patentrechts am Beklagtenwohnsitz für zulässig erachteten.
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OLG Düsseldorf, Az.: 2 U 81/94 (nicht veröffentlicht). Hintergrund war, dass die Kl. zuvor von der Muttergesellschaft der Bekl. übernommen wurde, Anm. zu Urteil „Kettenbandförderer III“ aus Landgericht Düsseldorf – Entscheidungen der 4. Zivilkammer, verfügbar unter: http://www.duesseldorfer-archiv.de/files/4_Kammer/1 998-1.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015) (s. dort Fn. 1). 81 LG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 1996, Az.: 4 O 5/95, verfügbar unter: http://www. duesseldorfer-archiv.de/files/4_Kammer/1996-1.pdf (Reinigungsmittel für Kunststoffverarbeitungsmaschinen) (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 80
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(2) Großbritannien Ursprünglich galt in Großbritannien die sog. „Moçambique“-Regel.82 Diese sei Ausfluss des Gedankens der gegenseitigen Gleichachtung der Völker, dass die Gerichte des Staates, in dem sich unbewegliches Vermögen befindet, für diesbezügliche Klagen kraft ihrer staatlichen Souveränität die ausschließliche internationale Zuständigkeit besitzen.83 Diese Rechtsprechung wurde anschließend auf Schadensersatzklagen und auf Klagen ausgeweitet, die sich allgemein mit der Verletzung ausländischer gewerblicher Schutzrechte befassen.84 Verletzungen ausländischer Patente wurden daher lange Zeit per se nicht vor nationalen Gerichten verhandelt.85 Schließlich befand der High Court of Justice 1997, dass die Regel auf ausländische Patentverletzungen nicht zu übertragen sei, solange keine Partei den Einwand der Patentnichtigkeit erhebt.86 cc) Literaturmeinungen Der Beklagtenwohnsitz wird in der Literatur überwiegend als „Allzuständigkeit“ bezeichnet.87 Das bedeutet, dass – unabhängig von der zugrundeliegenden Klageart – Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten für alle Klagen gegen ihn zuständig sind.88 Obwohl in den meisten Quellen nicht ausdrücklich erwähnt, umfasst diese Einordnung des Anspruchs, dass auch ausländische Rechtsverletzungen am Wohnsitz des Beklagten verhandelt werden können.89 Besonders für Patente wird die internationale Zuständigkeit zur Verhandlung ausländischer Patentverletzungen gem. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO überwiegend bejaht90, sofern diese nicht lediglich deliktischer Natur91 sind. 82 Die Regel geht zurück auf das Urteil des High Court of Justice (Chancery Division) vom 8. September 1893, 1893 AC 602 (Africa Co/Companhia de Moçambique and Potter v Broken Hill Pty Co Ltd). 83 Übernommen aus dem 1. Ls. der Übersetzung des Urteils des High Court of Justice (Chancery Division) vom 21. Januar 1999, GRUR Int 1999, 787 (Pearce v. Ove Arup Partnership Ltd. and others bzw. Bauzeichnungen II). 84 High Court of Justice (Chancery Division), Urteil vom 2. Februar 1990, 1990 1 All E.R. 909 (Tyburn Productions/Conan Doyle). Für eine detaillierte Übersicht über die Entwicklung der Moçambique-Rechtsprechung s. Zigann, S. 42 ff. 85 Schlosser, Kommentar zum EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. München 2009, Art. 2, Rn. 1. 86 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 2, Rn. 1 mit Verweis auf das Urteil des High Court of Justice (Cancery Division), vom 26. März 1997, F. S. R. 662 (Coin Controls/Suzo) übersetzt in GRUR Int 1998, 314. 87 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht (EZVR), Art. 2, Rn. 161 (Überschrift). 88 Geimer, in: Geimer/Schütze, EZVR, Art. 2, Rn. 161. 89 Ausdrücklich, s. Pitz, Rn. 223; Benkard, PatG, § 9, Rn. 13. 90 Mes, in: Mes, PatG, § 14, Rn. 142; allg. Jestaedt/Osterrieth, in: Benkard, EPÜ, Art. 64, Rn. 16; Scharen, in: Benkard, PatG, § 9, Rn. 13; ders., § 14, Rn. 136; Rogge/Grabinski, in: Benkard, PatG, § 139, Rn. 101a; Kraßer, Patentrecht, 5. Abschn., § 36, I. b) 4.; Pitz, Rn. 223;
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Pitz führt zu der internationalen Zuständigkeit nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO folgendes Beispiel an: „Ein amerikanischer Patentinhaber kann z. B. aus einem europäischen Patent, das für die Bundesrepublik Deutschland, England, Frankreich, Italien und die Niederlande erteilt wurde, gegen den in Deutschland ansässigen Patentverletzer in Deutschland sowohl wegen der Verletzung des deutschen Schutzrechts als auch wegen Verletzung der Schutzrechte in den anderen Benennungsstaaten klagen.“92
In der Literatur ist also eine internationale Zuständigkeit zur Verhandlung (auch) ausländischer Patentverletzungen (auf Grundlage ausländischen Patentrechts) überwiegend anerkannt.93 dd) Zwischenergebnis: Verhandlung ausländischer Patentverletzungen auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich möglich Die aufgeführten Entscheidungen zeigen, dass sich deutsche und englische Gerichte zuständig erklären, ausländische Patentverletzungen auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO zu verhandeln. Dabei wird die Frage, nach der Prüfung ausländischen Patentrechts weitgehend nicht problematisiert: Das LG Düsseldorf setzt in seinem Urteil Reinigungsmittel für Kunststoffverarbeitungsmaschinen im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO stillschweigend eine entsprechende Reichweite des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO voraus. Diese Sichtweise wird – nahezu einhellig – von der Literatur geteilt. EuGH-Rechtsprechung steht dieser Einordnung nicht entgegen. c) Gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO Die spider in the web Doktrin behandelt eine Sonderform der Mehrparteienverhältnisse bei Patentverletzungen: Unterschiedliche Tochterorganisationen bilden das web, das Netz, der Konzernmutter (der spider, Spinne) und begehen in unterschiedlichen Geltungsstaaten eines Bündelpatents gleichgeartete Verletzungshandlungen.
Osterrieth, Rn. 540; Mousseron/Raynard/Véron, Cross-Border Injunctions – A French Perspective, IIC 1998, 884, 892; v. a. Winkler, S. 27 m. w. N. 91 Jestaedt/Osterrieth, in: Benkard, EPÜ, Art. 64, Rn. 16 m. w. N. 92 Pitz, Rn. 223. 93 Die oben angegebenen Quellen beziehen sich zwar allesamt auf das aufgrund der Vorschriften des EPÜ erteilte „Bündelpatent“. Zumindest für die internationale Zuständigkeit aufgrund von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO muss aber dasselbe gelten für „rein nationale“ Patente. D. h. Patentverletzer können vor Gerichten ihres Wohnsitzstaats auch bzgl. der Verletzung ausländischer Patente verklagt werden, die jeweils bei den jeweiligen Behörden angemeldet wurden. Im Folgenden ist allerdings nur die Verletzung von EP von Belang.
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Ziel der Doktrin ist es, eine Klagebündelung bzgl. aller Patentverletzer im Herkunftsstaat der Konzernmutter94 bzw. am Ort eines Tochterunternehmens zu ermöglichen, damit parallele Verletzungsverfahren gegen eine Mehrzahl von Verletzern in unterschiedlichen Staaten vermieden werden. Das folgende Fallbeispiel soll dazu dienen, eine typische Konstellation der „Spinne im Netz“ zu illustrieren: A ist Inhaber eines EP, das in mehreren Staaten (bspw. Belgien, Deutschland und Frankreich) angemeldet ist. B, D und F sind Tochtergesellschaften eines niederländischen Konzerns N mit Sitz in einem Anmeldestaat. Die Tochtergesellschaften vertreiben – ohne Lizenz oder sonstige Berechtigung – in ihren jeweiligen Sitzstaaten ein Produkt, das mit dem von A patentierten Produkt identisch ist. Die zentrale Leitung der Töchter B, D und F (zumindest in der Verletzungssache) wurde von N wahrgenommen. A möchte die B, D und F wegen der Verletzung seines Patents möglichst an einem Ort gemeinsam in Anspruch nehmen.95 Nach dem Grundgedanken der Doktrin sollen die Klagen gemeinsam am Sitzstaat des die Führung ausübenden Unternehmens, der „Spinne im Netz“, d. h. hier in den Niederlanden, verhandelt werden. Einzelne Gerichtsprozesse in den unterschiedlichen Staaten der Patentverletzungen könnten so vermieden werden. Die Konstellation hat hohe praktische Bedeutung. Beispielsweise bei Arzneimittelpatenten, die regelmäßig durch Bündelpatente in fast allen europäischen Ländern geschützt sind, führen derart Verletzungen regelmäßig zu einer Vielzahl von Prozessen in unterschiedlichen Ländern.96 aa) Rechtliche Grundlage Art. 8 EuGVVO ermöglicht dem Kläger unter Vorliegen der besonderen Voraussetzungen, abweichend von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, mehrere Beklagte aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten vor einem Gericht zu verklagen, in dessen Bezirk einer von ihnen seinen Wohnsitz hat. Diese Regelung einer internationalen Zuständigkeit für Streitgenossen ist dem deutschen Recht fremd, findet sich jedoch in Rechtssystemen anderer europäischer Staaten wie England und Österreich.97
94 Der Gerechtshof Den Haag war der Auffassung, dass zur Wahrung der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands eine Klage zentral vor Gerichten am Sitzstaat der Konzernmutter zu erheben sei, vgl. Gerechtshof Den Haag, Urteil vom 23. April 1998, Rs. 97/1296, 1999 FSR 352 bzw. E.I.P.R. 1998, Nr. 134 (Expendable Grafts Partnership/Boston Scientific BV) zit. in Grabinski, GRUR Int 2001, 199, 207. 95 Fallbeispiel abgeändert entnommen aus Grabinski, GRUR Int 2001, 199, 207. 96 Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 1. Aufl. München 2010, § 14, Rn. 230 f. 97 Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. München 2007, § 3, Rn. 91.
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Nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO kann eine „Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat“, auch dann „verklagt werden wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beteiligten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Der letzte hervorgehobene Abschnitt enthält das sog. Konnexitätserfordernis. Das Merkmal war in alten Fassungen des sonst wortgleichen Art. 6 EuGVÜ nicht enthalten. Eine „enge Beziehung“ zwischen den Klagen war also ursprünglich nicht erforderlich. Später wurde diese Voraussetzung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Norm hineingelesen.98 Grund für die einschränkende Auslegung der EuGVVO war die Tatsache, dass Art. 2 der Verordnung eine allgemeine Zuständigkeit regelt, Art. 8 Nr. 1 EuGVVO jedoch als Norm des 2. Abschnitts des Titels II des Übereinkommens eine besondere Zuständigkeit darstellt. Wegen dieses RegelAusnahme-Verhältnisses folgerte der EuGH, dass die Ausnahme das Bestehen des Grundsatzes selbst nicht in Frage stellen kann99, und folglich Art. 8 Nr. 1 EuGVVO einer Einschränkung bedürfe, damit nicht immer auch neben Art. 4 EuGVVO zugleich die besondere Zuständigkeitsregelung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO anwendbar wäre. Daher wurde das Konnexitätserfordernis, das ursprünglich nur in Art. 30 Abs. 3 EuGVVO (ehem. Art. 28 Abs. 3 EuGVVO, fr. Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ) enthalten war, ausdrücklich in Art. 8 Nr. 1 EuGVVO aufgenommen.100 bb) Ursprünge und Entwicklung der Spider in the web Doktrin in der nationalen Rechtsprechung Die gemeinsame Verhandlung mehrerer patentverletzender Konzerntöchter am Sitz der Konzernmutter wurde von niederländischen Gerichten geprägt; es finden sich aber auch in anderen EU-Staaten entsprechende Ansätze. Ein Überblick über die verfügbare Rechtsprechung soll dazu dienen, Einblicke über Ausprägung und Verbreitung der Doktrin zu erhalten. (1) Niederlande Anfang der neunziger Jahre gingen niederländische Gerichte vor dem Hintergrund der damals extensiven Auslegung des EuGH zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO davon aus, dass allein der Vorwurf, einzelne Beteiligte hätten ein Bündelpatent in unterschiedlichen Vertragsstaaten verletzt, für eine Klagebündelung nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ausreiche, wenn lediglich die Verletzungshandlungen ähnlich waren 98
EuGH Kalfelis/Schröder. EuGH Kalfelis/Schröder, Rn. 8 (18). 100 Nagel/Gottwald, § 3, Rn. 94.
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(bspw. das Inverkehrbringen desselben patentverletzenden Guts).101 Die von der Doktrin bezeichneten Handlungen waren danach erfasst. 1998 setzte ein Urteil des niederländischen Gerechtshof Den Haag102 den Grundstein der Spider in the web Doktrin im engeren Sinne. Wegen des aufgrund der Entscheidung Kalfelis/Schröder103 eingeführten einschränkenden Konnexitätserfordernisses zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO und des jeweils eigenen Schicksals der EP befand der Gerechtshof Den Haag, dass die bloße parallele Verletzung jeweils nationaler EP nicht für eine gemeinsame Verhandlung ausreiche.104 Dagegen könnte das Konnexitätserfordernis erfüllt sein, wenn (i) die Verletzer Mitglieder derselben Unternehmensgruppe seien und (ii) in kollektivem Zusammenwirken Patentverletzungen begingen. In diesem Fall seien niederländische Gerichte zuständig, falls die Konzernmutter dort ihren Sitz habe und sie die Führungsfunktion bei der Geschäftstätigkeit innehatte. Der Gerechtshof war der Auffassung, dass auf diese Weise die Interessen der Beteiligten in Einklang gebracht werden könnten, ohne dass die Gefahr des forum shoppings und der Unvorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts bestünde.105 In einem weiteren Urteil106, das ebenfalls 1998 erging, stellte die Arrondissementbank ’s-Gravenhage klar, dass es, sofern die Firmen- und Leitungsstruktur eines Konzerns nicht ersichtlich ist, dem Kläger grundsätzlich freistünde in jedem beliebigen Land, in dem ein Konzern Niederlassungen hat, Klage zu erheben. Zwei weitere Urteile boten zudem Anlass für Vorabentscheidungsfragen an den EuGH. Diese werden im Folgenden diskutiert [vgl. u., c) bzw. e)]. (2) Deutschland In Deutschland hat das LG Düsseldorf Mitte der neunziger Jahre über eine Verletzung des britischen Teils eines europäischen Bündelpatents einer deutschen Klägerin durch sechs Beklagte entschieden.107 Zwar hatten fünf der sechs Beklagten 101
Zigann, S. 125. Gerichtshof Den Haag, Urteil vom 23. April 1998, Rs. 97/1296, 1999 FSR 352 bzw. E.I.P.R. 1998, Nr. 134 (Expendable Grafts Partnership/Boston Scientific BV). 103 EuGH Kalfelis/Schröder, Rn. 8. 104 Vgl. auch Ausführungen zum Bündelpatent o., Kap. 2, Einl. 105 Zusammenfassend, s. Hye-Knudsen, S. 125. 106 Arrondissementbank ’s-Gravenhage, Beschluss vom 26. August 1998, Az.: 98/2431 (G.D. Searle/Co. and The Monsanto Company v. Merck Sharp & Dome BV). Gegenstand waren Klagen, die von zwei U. S.-amerikanischen Unternehmen gegen eine europäische Firmengruppe wegen Verletzung eines EP erhoben wurden. Das Patent war in unterschiedlichen Staaten durch das gleiche Produkt der Unternehmensgruppe verletzt worden. Die Beklagten waren überdies in eine Unternehmensgruppe mit zentraler Leitung und einheitlichem Vertriebsplan eingebunden. 107 LG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 1996, Az.: 4 O 5/95, verfügbar unter: http://www. duesseldorfer-archiv.de/files/4_Kammer/1996-1.pdf (Reinigungsmittel für Kunststoffverarbeitungsmaschinen) (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 102
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ihren Wohnsitz in England. Jedoch sah das Gericht seine Zuständigkeit dadurch begründet, dass ein Mitglied der Geschäftsleitung seinen Wohnsitz in Düsseldorf hatte. Die Konnexität hat das Gericht in seinem Urteil schon aufgrund des Vorwurfs der gemeinschaftlichen Patentverletzung angenommen. (3) Großbritannien In einem Verfahren108 sah ein britisches Gericht eine ausreichende Verbindung zwischen britischen, deutschen und niederländischen Beklagten. Interessant an diesem Urteil ist die Auslegung des EPÜ: Das britische Gericht ging davon aus, dass auch in der nationalen Phase (d. h. nach Anmeldung und Erteilung), die nationalen Teile des EP in Einklang mit Art. 69 EPÜ in gleicher Weise auszulegen seien. Trotz der Behandlung wie ein nationales Patent (vgl. Art. 64 Abs. 1 EPÜ) könne man die Patentrechte als „Ableger ansehen, die von dem europäischen Patentstrunk getrennt und in die nationale Erde eingepflanzt werden“.109 Art. 69 EPÜ wurde also vom High Court of Justice klägergünstiger als im oben genannten Urteil des Gerechtshof Den Haag ausgelegt, das dem nationalen Teil ein losgelöstes „eigenes Schicksal“ zuschrieb [vgl. o., a)]. (4) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die niederländischen Gerichte als Urheber der Spider in the web Doktrin, bereits eine gefestigte Rechtsauffassung mit klaren Voraussetzungen entwickelt haben. Darüber hinaus haben englische und deutsche Gerichte in ähnlichen Fallkonstellationen ebenfalls eine Klagebündelung auf Grundlage von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO für zulässig erachtet. cc) EuGH „Roche/Primus“ Das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Roche/Primus“110 behandelt im Wesentlichen die Frage nach der Anwendbarkeit der Spider in the web Doktrin. Nachfolgend soll festgestellt werden, ob die oben dargestellten nationalen Gerichtspraktiken mit dieser Rechtsprechung zu vereinbaren sind. (1) Sachverhalt Das EuGH-Urteil Roche/Primus erging in einem Vorabentscheidungsverfahren anlässlich eines Rechtsstreits zwischen der Roche Nederland BV und acht anderen 108 High Court of Justice (Cancery Division), Urteil vom 26. März 1997, F. S. R. 662 (Coin Controls/Suzo) übersetzt in GRUR Int 1998, 314. 109 Aus der dt. Übersetzung des Urteils Coin Controls/Suzo (Münzausgabevorrichtung), GRUR Int 1998, 314, 316. 110 EuGH, Urteil vom 13. Juli 2005, Rs. C-539/03, GRUR Int 2006, 836 (Roche Nederland BV u. a. gegen Frederick Primus und Milton Goldenberg, i. F. zit. Roche/Primus).
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Unternehmen der Roche-Gruppe und Milton Goldenberg, sowie Frederick Primus, der zuvor bereits in mehreren Instanzen vor Gerichten in den Niederlanden geführt worden war. Primus und Goldenberg sind in den USA situiert und besitzen Rechte an einem EP über sog. Immundosierungskits, das nach den Vorschriften des PCT111 beantragt wurde. Sie erhoben Klage gegen Roche Nederland BV und acht Mitglieder der Roche-Gruppe (mit Sitz in den USA, Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich, Schweden und der Schweiz) vor der Rechtbank Den Haag wegen gleichartiger Patentverletzungen in den jeweiligen Sitzstaaten. Die Rechtbank wies den Einwand der Unzuständigkeit der Beklagten zurück. Im Berufungsverfahren wurde das Urteil abgeändert und es wurde Roche die künftige Patentverletzung in sämtlichen Registrierungsstaaten des Patents untersagt. Die von dem Kassationsgericht vorgelegten Vorabentscheidungsfragen waren darauf gerichtet, ob Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dahingehend auszulegen ist, dass er in Bezug auf Klagen wegen Verletzung von EP, die gegen mehrere, in verschiedenen Vertragsstaaten ansässige, Gesellschaften auf Grund von im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Vertragsstaaten begangener Handlungen erhoben wurden, insbesondere dann anwendbar ist, „wenn die demselben Konzern angehörigen Gesellschaften gemäß einer gemeinsamen Geschäftspolitik, die eine der Gesellschaften allein ausgearbeitet hat, in derselben oder in ähnlicher Weise gehandelt haben“.112 Es ging also im Wesentlichen um die Frage, ob auf Grundlage der EuGVVO – mehrere Gesellschaften, – die in unterschiedlichen Vertragsstaaten (des EPÜ) ansässig sind und – derselben Unternehmensgruppe angehören – wegen Verletzungen von unterschiedlichen Teilen desselben EP vor einem Gericht gemeinsam verklagt werden können.113 (2) Rechtliche Beurteilung des EuGH Die obige Vorabentscheidungsfrage hätte prinzipiell auch wie folgt formuliert werden können: „Ist Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dahingehend auszulegen, dass er eine gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter i. S. d. Spider in the web Doktrin zulässt?“
Zur Beantwortung dieser Frage hat der EuGH zunächst darauf hingewiesen, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVVO, eine Ausnahme von der Grundregel des Art. 4 EuGVVO darstellt.114 Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang auf das vorher ergangene Kalfelis/Schröder-Urteil hin, in dem er festgestellt hat, dass eine Einschränkung 111
Patent Cooperation Treaty, s. o., Kap. 1 B. II. EuGH Roche/Primus, Rn. 18. 113 So auch die Zusammenfassung in den Schlussanträgen des Generalanwalts Léger zu Rs. C-539/03 vom 8. Dezember 2005, Rn. 1. 114 EuGH Roche/Primus, Rn. 19. 112
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der Norm durch die Einführung des Konnexitätserfordernisses als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erforderlich sei, damit nicht das Bestehen des Grundsatzes selbst infrage gestellt werden könne.115 Der EuGH befasste sich zur Beantwortung der Vorlagefrage mit der Auslegung des Merkmals widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren. Hierzu setzte er sich mit der Auffassung der Rechtbank und des Gerechtshof Den Haag auseinander. Beide Gerichte legten aufgrund des EuGH-Urteils Tatry116 zu Art. 30 Abs. 3 EuGVVO (zu fr. Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ) den Begriff der widersprechenden Entscheidungen weit aus und übertrugen diese Auslegung wegen der Identität des Wortlauts auf Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Nach Tatry genügte es für das Vorliegen der Konnexität von Klagen, dass bei getrennter Verhandlung und Entscheidung die Gefahr widersprechender Entscheidungen bestand. Es wurde dagegen nicht vorausgesetzt, dass sich Rechtsfolgen „gegenseitig ausschließen“.117 Hieraus hatten die niederländischen Gerichte den Schluss gezogen, dass es für eine gemeinsame Verhandlung nicht der Identität der Rechtsgrundlagen in den unterschiedlichen Verletzungsfällen bedarf.118 Dem hat sich der EuGH nicht angeschlossen: Er stellte fest, dass eine Entscheidung über die Reichweite des Begriffs widersprechender Entscheidungen dahinstehen könne, da selbst bei Zugrundelegung einer weiten Auslegung, im Fall von Klagen wegen Verletzung eines europäischen Patents in verschiedenen Vertragsstaaten gegen mehrere Personen, Entscheidungen mangels Vorliegens derselben Rechtslage sich schon gar nicht widersprechen könnten. Es käme nicht nur auf eine abweichende Entscheidung des Rechtsstreits (so Tatry) an, sondern auch darauf an, dass eine mögliche Abweichung bei derselben Rechtslage bestehe. Daran fehle es hier aber. Das EPÜ sehe nach Art. 2 Abs. 2; 64 Abs. 1 ausdrücklich vor, dass ein Patent, das nach dem Übereinkommen erlassen wurde, dem nationalen Recht des jeweiligen Vertragsstaats unterliege für den es erteilt worden ist. Entsprechend sei jede Verletzungsklage gem. Art. 64 Abs. 3 EPÜ anhand des nationalen Rechts jenes Staates zu prüfen.119 Selbst bei Identität der Sachlage sei bei Spider in the web Konstellationen jedenfalls die Rechtslage nicht dieselbe.120 Der Gerichtshof räumt ein, dass zwar prozessökonomische Erwägungen für eine Klagekonzentration sprechen könnten, jedoch potenzielle Vorteile begrenzt seien, und äußert Bedenken, dass die Konzentrationsmöglichkeit zu einer Einschränkung der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln der EuGVVO führen könne und damit 115
EuGH Roche/Primus, Rn. 21, sowie o., a); EuGH Kalfelis/Schröder, Rn. 20. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994, I-5439 bzw. NJW 1995, 1883 (Tatry/Maciej Rataj). 117 EuGH Tatry/Maciej Rataj, Rn. 5. 118 Anm.: Dieses Argument wurde von den niederländischen Gerichten angeführt, um die unterschiedlichen nationalen Teile von Bündelpatenten (die auch von diesen Gerichten als auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhend angesehen wurden) trotz der Anforderung an eine Konnexität weiterhin zu erfassen. 119 EuGH Roche/Primus, Rn. 29 ff. 120 EuGH Roche/Primus, Rn. 34 f. 116
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letztlich die Rechtssicherheit, auch wegen forum shoppings, beeinträchtigt sein könnte.121 Bedenklich sei, dass das jeweilige Gericht im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die Kriterien des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO erfüllt sind, verpflichtet wäre, in der Sache zu entscheiden, bevor es seine Zuständigkeit feststellen könnte und obwohl der Kläger für die Kriterien die Beweislast trage. Anderenfalls würde sich die Verfahrensdauer verlängern und Verfahrenskosten würden sich erhöhen, falls das Gericht in einer späteren Entscheidung seine Zuständigkeit verneinen und stattdessen vor dem Gericht eines anderen Staates Klage erhoben werden müsste. Eine Klagebündelung würde potenziell zu einer Zersplitterung der patentrechtlichen Streitigkeiten durch eine Häufung potenzieller Gerichtsstände führen. Dies gründe darauf, dass als Verteidigungsmittel häufig die Frage die Patentgültigkeit einredeweise bzw. als Widerklage aufgeworfen werde und dann nach Art. 24 Nr. 4 EuGVVO (zu fr. Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ) die Gerichte des Registrierungsstaats des Patents ausschließlich zuständig seien [s. hierzu die EuGH-Entscheidung GAT/LuK122, u. diskutiert unter 2. a)].123 Im Ergebnis sei daher Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auf die in der Vorlagefrage genannte Konstellation nicht anwendbar. (3) Diskussion Mit seiner Roche/Primus-Entscheidung hat der EuGH praktisch die Spider in the web Doktrin abgelehnt. Entsprechend häufig ist die Entscheidung in der Literatur und auch in den Medien diskutiert und kritisiert worden.124 Im Folgenden werden die unterschiedlichen Argumente der Entscheidung beleuchtet. (a) Regel-Ausnahme-Verhältnis von allgemeinen und besonderen Gerichtsständen Ein wichtiges Argument des EuGH für eine restriktive Auslegung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ist der Sinn und Zweck des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO. Die Norm statuiert den Grundsatz, dass ein Beklagter in seinem jeweiligen Wohnsitzstaat verklagt wird. Dies spiegelt sich auch in der Systematik der EuGVVO wider: Art. 4 Abs. 1 EuGVVO ist Teil des ersten Abschnitts des Titels II „Allgemeine Vorschrif121
EuGH Roche/Primus, Rn. 36 ff. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006, Rs. C-4/03, GRUR Int 2006, 839; GRUR 2007, 49 (GAT/LuK). 123 EuGH Roche/Primus, Rn. 40. 124 Sujecki, Die Solvay-Entscheidung des EuGH und ihre Auswirkungen auf Verfahren über Immaterialgüterrechte, GRUR Int 2013, 201, 203; Kur, A Farewell to Cross-Border Injunctions? The ECJ Decisions GAT v. LuK and Roche Nederland v. Primus and Goldenberg, IIC 2006, 844, 851; Schuster, Divide and Conquer, MIP Oktober 2006, S. 27 f.; Hess-Blumer, Crossborder-Litigation – und sie lebt doch!, verfügbar unter: http://www.homburger.ch/filead min/publications/Gat-Luk_Homepage.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), S. 7; DAV-Stellungnahme Nr. 40/2009, S. 7, verfügbar unter: www.anwaltverein.de (Stand: 5. Januar 2011). 122
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ten“ zur Zuständigkeit, während Art. 8 Nr. 1 EuGVVO, im 2. Abschnitt als besonderer Gerichtsstand geregelt ist. Daraus ergibt sich notwendigerweise, dass nicht schon grundsätzlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO auch immer die Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO gegeben sein können, da ansonsten ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht gewährleistet wäre.125 Art. 8 Nr. 1 EuGVVO enthielt in seiner ursprünglichen Fassung im EuGVÜ lediglich die folgenden Voraussetzungen: 1. Wohnsitz eines Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats; 2. Gemeinsame Klage gegen mehrere Beklagte. Eine rein wörtliche Auslegung der Norm hätte also zur Folge, dass regelmäßig im Falle von Klagen mit mehreren Beklagten an unterschiedlichen Wohnsitzen eine Klage am beliebigen Ort eines Wohnsitzes irgendeines Beklagten – sofern Mitgliedsstaat – nach Belieben des Klägers gebündelt werden könnte und auf diese Weise mindestens für einen Beklagten die Wohnsitzregel außer Kraft gesetzt würde. Dies liefe dem systematischen Verständnis zuwider. Zum anderen ist Art. 4 Abs. 1 EuGVVO Auswuchs der actor sequitor forum reiRegel, einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, der von der grundsätzlichen Zuständigkeit des Wohnsitzes ausgeht und dem Schutz des Beklagten dient.126 Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber durch Formulierung des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO innerhalb der allgemeinen Zuständigkeit gerade diesen Rechtsgrundsatz manifestieren wollte. Der EuGH leitete den Grundsatz des Beklagtenschutzes zudem aus Art. 5 Abs. 1 EuGVVO her. Dass der Beklagte in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich schützenswert ist, liegt auf der Hand. Durch eine Bündelung von Klagen im Ausland sind die Interessen eines Beklagten erheblich beeinträchtigt: Er wird in eine fremde Jurisdiktion hineingezogen. Für den Beklagten geht damit häufig die Aufgabe von Sicherheiten der heimatlichen Jurisdiktion einher. Unterschiedliche Prozessrechte sowie Sprach- und Verständnisprobleme, auch der Kostenfaktor, sind zumindest geeignet, die Position des Beklagten zu verschlechtern.127 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Schutzwürdigkeit des Beklagten nach der Konzeption der EuGVVO nicht uneingeschränkt überwiegt: Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ist Auswuchs prozessökonomischer Erwägungen vor dem Hintergrund eines gerechten Interessenausgleichs.128 Der EuGH selbst stellt in anderen Entscheidungen fest, dass die EuGVVO für den Fall, dass ein Streitgenosse als „normal informierter Beklagter vernünftigerweise vorhersehen kann, vor welchem
125
Vgl. EuGH Kalfelis/Schröder, Rn. 8. Kropholler, Art. 2, Rn. 1. 127 Lange, Der internationale Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Kennzeichenrecht im Lichte der „Roche/Primus“-Entscheidung des EuGH, GRUR 2007, 107, 109. 128 Kur, IIC 2006, 844, 850. 126
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anderen Gericht er (…) verklagt werden kann“ Ausnahmen vorsieht.129 Die damit einhergehende Möglichkeit, einer ggf. eingeschränkten Schutzwürdigkeit von Beklagten unter den hier gegebenen Umständen, wurde vom EuGH in Roche/Primus gänzlich außer Acht gelassen. (b) Auseinanderfallen der Rechtslagen in den Mitgliedstaaten Dem EuGH ist uneingeschränkt darin zuzustimmen, dass die Rechtslage bei gedachten Einzelentscheidungen über die einzelnen Teile eines EP auseinanderfällt. Für eine Einheitlichkeit der Rechtslage wird zwar teilweise angeführt, dass Art. 69 EPÜ zur einheitlichen Auslegung der nationalen Patentvorschriften anmahne.130 Die rechtlichen Unterschiede seien zumindest nicht derart, dass es sich bei den nationalen Patentvorschriften im Rahmen des europäischen Gemeinschaftspatents um „vollkommen autonome Instrumente“131 handele. Tatsächlich unterscheidet sich jedoch die Rechtslage bei unterschiedlichen Teilen eines europäischen Bündelpatents: Gemäß Art. 138 EPÜ i. V. m. Art. 69 EPÜ kann ein Bündelpatent in jedem Benennungsstaat aufgrund nationalen Rechts mit Wirkung für das Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates für nichtig erklärt werden. Art. 69 EPÜ regelt aber lediglich, dass die Patentansprüche den Schutzbereich des Patents bestimmen. Lange Zeit war das Ausmaß, in dem Art. 69 EPÜ den Schutzbereich von nationalen Teilen eines EP vereinheitlicht, umstritten.132 Erst ein zur Auslegung des Art. 69 EPÜ nachträglich beigefügtes Protokoll (sog. Auslegungsprotokoll)133 klärt, dass weder der „genaue Wortlaut“ der Patentansprüche den Schutzbereich allein bestimmt, noch, dass Patentansprüche „lediglich als Richtlinie“ für einen Schutzbereich dienen. Art. 69 EPÜ bezwecke danach vielmehr einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz für den Patentinhaber und der Rechtssicherheit für Dritte herbeizuführen. Das Protokoll, das nach Art. 164 EPÜ Bestandteil des Übereinkommens ist, hat also zu einer Anpassung zwischen zwei extremen Auslegungen zu einem gemäßigten Weg geführt.134 Das Auslegungsprotokoll ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls für die Bereiche, die nicht im EPÜ normiert sind, nach Art. 2 Abs. 2 EPÜ bzw. Art. 64 EPÜ das EP denselben Vorschriften wie ein in einem jeweiligen Geltungsstaat erteiltes nationales Patent unterliegt (Art. 2 Abs. 2 EPÜ). Die Einheitlichkeit der Erteilungs- und Schutzbereichsbestimmungen (Art. 69, 75 ff., 90 ff. 129
EuGH, Urteil vom 17. Juni 1992, Rs. C-26/91, Rn. 18 (Handte/Traitements mécanochimiques des surfaces SA); EuGH, Urteil vom 19. Februar 2002, Rs. C-256/00, EuZW 2002, 217, 218, Rn. 26 (Besix SA/WABAG u. Plafog). 130 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 6, Rn. 4; Sujecki, Solvay-Entscheidung, GRUR Int 2013, 201, 206. 131 Kur, IIC 2006, 844, 849 f. 132 Grabinski, Kann und darf die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patents in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Ergebnissen führen?, GRUR 1998, 857, 864. 133 Protokoll über die Auslegung des Art. 69 vom 5. Oktober 1973 in der Fassung der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000. 134 Grabinski, GRUR 1998, 857, 864.
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EPÜ) ändert also nichts daran, dass die internationalen Vorschriften nach der Erteilung hinter die Territorialität auf nationaler Ebene zurücktreten müssen.135 Es können also unterschiedliche Entscheidungen in Patentverletzungsverfahren verschiedener Vertragsstaaten ergehen, welche auf unterschiedliche Rechtslagen und -traditionen zurückgehen. Die Rechtslage divergiert zwangsläufig.136 Das Kriterium einer einheitlichen Rechtslage ist damit bei einem Bündelpatent nach dem EPÜ nicht erfüllt. dd) EuGH „Freeport/Arnoldsson“ und „Painer/Standard Verlags GmbH“ In seinen späteren Entscheidungen Freeport/Arnoldsson137 und Painer/Standard Verlags GmbH138 hat der EuGH sich erneut mit dem Merkmal der Gefahr widersprechender Entscheidungen auseinandergesetzt. Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass ein bloßes Auseinanderfallen der Rechtslagen, die den Klagen gegen mehrere Beklagte zugrunde liegen, zu einer Verneinung der Konnexität i. S. d. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO führt. Der Umstand, dass die Klagen auf derselben Rechtsgrundlage beruhten sei nur einer von mehreren erheblichen Faktoren, jedoch keine unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Entscheidend für die Anwendbarkeit der Norm sei, dass eine gemeinsame Verhandlung in dem Mitgliedstaat eines Beklagten für die übrigen Beklagten vorhersehbar sei. Erst recht wäre eine Vorhersehbarkeit bei nationalen Rechtsvorschriften, die sich „als in den Grundzügen identisch erweisen“ (bzw. die auf eine gemeinsame unionsrechtliche Vorgabe zurückgehen139) gegeben. 140 Der EuGH weicht damit von seiner bisherigen Praxis, eine identische Rechtsgrundlage der Streitigkeiten gegen die unterschiedlichen Beklagten als eine zwingende Voraussetzung141 für widersprechende Entscheidungen i. S. d. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO zu sehen, ab. Es scheint als hätte der EuGH seinen formalistischen Ansatz durch seine späteren Entscheidungen Freeport/Arnoldsson und Painer/ Standard Verlags GmbH zugunsten eines praxisorientierteren Ansatzes aufgegeben und das Kriterium der Identität der Rechtslage in das richterliche Ermessen gestellt. Die Konnexität von Klagen soll sich entscheidend an der Vorhersehbarkeit für Beklagte messen. Dieser Ansatz wäre zu begrüßen, da er – über Roche/Primus hin135
Adolphsen, IPRax 2007, 15, 20. s. auch Luginbühl, Die neuen Wege zur einheitlichen Auslegung des Europäischen Patentrechts, GRUR Int 2010, 97, 98, 102. 137 EuGH, Urteil vom 11. 10. 2007, Rs. C-98/06 (Freeport/Arnoldsson). 138 Zu einem urheberrechtlichen Streit, EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2011, Rs. C-145/10 (Painer/Standard Verlags GmbH). 139 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12. April 2011 zu Rs. C-145/ 10, Rn. 80. 140 EuGH Painer/Standard Verlags GmbH, Rn. 80 – 84, mit Verweis auf EuGH Freeport/ Arnoldsson. 141 EuGH Roche/Primus, Rn. 25. 136
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ausgehend – erlaubt, die Schutzwürdigkeit der Parteien in die richterlichen Erwägungen einzubeziehen142 und so differenziertere und billigere Entscheidungen zu ermöglichen. ee) EuGH „Solvay/Honeywell“ Eine Vorabentscheidungsfrage im Verfahren Solvay/Honeywell betrifft erneut die rechtliche Zulässigkeit der Spider in the web Doktrin. (1) Sachverhalt Im Ursprungsverfahren vor der Rechtbank Den Haag143 warf die Solvay SA drei Tochterfirmen des Konzerns Honeywell BV mit Sitz in den Niederlanden und Belgien die Verletzung desselben Teils eines EP durch das Inverkehrbringen eines Produkts vor. Die Rechtbank erklärte sich auf Grundlage von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO zuständig für die gemeinsame Verhandlung sämtlicher Patentverletzungen der drei Beklagten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens Art. 35 EuGVVO (ehem. Art. 31 EuGVVO). Der EuGH sollte im Vorabentscheidungsverfahren unter anderem entscheiden, ob eine Verhandlung auch durch belgische Gerichte, welche die Rechtbank Den Haag ausdrücklich nicht ausschloss, zu widersprechenden Entscheidungen i. S. d. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO führen könne und daher der Weg für die gemeinsame Verhandlung geebnet sei.144 Damit ähnelt die Vorabentscheidungsfrage derjenigen des Verfahrens Roche/ Primus. Die Verfahren unterscheiden sich jedoch in zwei Punkten wesentlich: Im Verfahren Roche/Primus haben die Kläger die Konzernstruktur als Argument für eine Konnexität angeführt. Außerdem wurden bei Roche/Primus Verletzungen unterschiedlicher nationaler Teile, nicht – wie bei Solvay/Honeywell – desselben Teils, eines Bündelpatents, behandelt. (2) Rechtliche Beurteilung des EuGH Der EuGH erklärte Art. 8 Nr. 1 EuGVVO für anwendbar. Er betonte, die Roche/ Primus-Rechtsprechung sei auf die geschilderte Konstellation nicht übertragbar.145 Erstaunlich ist, dass der Gerichtshof in dem Urteil erneut feststellt, dass die Frage widersprechender Entscheidungen aufgrund derselben Sach- und Rechtslage geklärt werden müsse. Dabei zitiert er die Entscheidung Painer/Standard Verlags GmbH, 142
Vgl. o., c) cc) (1). Rechtbank Den Haag, Urteil vom 15. September 2010, IEPT 2010, 915 (Solvay/Honeywell). 144 EuGH, Rs. C-616/10, eingereicht am 29. Dezember 2010 (Solvay/Honeywell). Anm.: Die Fragen beziehen sich auf einstweilige Verfügungen sowie Hauptsacheverfahren. 145 EuGH Solvay/Honeywell, Rn. 21 ff. 143
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lässt jedoch unerwähnt, dass dort das Kriterium der Identität der Rechtslage gerade keine zwingende Voraussetzung für eine Konnexität der Klagen bilden soll.146 Auch der Generalanwalt Villalón äußert in seinen Schlussanträgen, dass eine Übereinstimmung der Sach- und Rechtslage überhaupt erforderlich sei, damit widersprechende Entscheidungen möglich sind.147 Scheinbar ändert der EuGH auch nichts an seiner Einschätzung, dass sich bei einem EP die Rechtslagen unterscheiden.148 Obwohl das Verfahren Solvay/Honeywell eine andere Fallkonstellation behandelt, erklärt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auf die Spider in the web-Konstellation ausdrücklich für unanwendbar.149 Für den dargestellten Fall, dass derselbe nationale Teil eines EP verletzt wird, soll indes Art. 8 Nr. 1 EuGVVO unabhängig davon anwendbar sein, ob die unterschiedlichen Unternehmen konzernmäßig verbunden sind.150 ff) Zwischenergebnis: Keine gemeinsame Verhandlung bei einer der Spider in the web Konstellation Dem Patentinhaber, der sich Verletzungen in Gestalt der oben dargestellten Fallkonstellation ausgesetzt sieht, ist eine zentrale Verhandlung dem EuGH zufolge generell mangels einer Konnexität der Klagen verwehrt. Die restriktive Roche/Primus-Entscheidung der Neunziger Jahre bleibt von dem neueren Urteil Solvay/Honeywell unberührt. Lediglich in der besonderen Situation, in der durch Unternehmen einer Gruppe „gelenkte“ Handlungen zu der Verletzung desselben Teils eines EP führen, können mehrere in unterschiedlichen Mitgliedstaaten durch mehrere Beklagte begangene Patentverletzungen vor den Gerichten des Mitgliedstaates verhandelt werden, in dem das Unternehmen, das die Führungsfunktion ausübt, seinen Sitz hat. In diesem Fall soll es jedoch unerheblich sein, ob die unterschiedlichen Unternehmen konzernmäßig verbunden sind. Diese Rechtsprechung führt zu keinen besonderen Verbesserungen für Rechtsinhaber, denn eine Verletzung desselben nationalen Teils eines Patents durch mehrere Beklagte verbundener Unternehmen ist in der Praxis selten: Aus unternehmerischer Sicht wäre es sinnwidrig, wenn unterschiedliche Unternehmen, die gleichartige Patentverletzungen – etwa durch eine 146
EuGH Solvay/Honeywell, Rn. 24; s. o., d). Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Villalón zu Rs. C-616/10, Rn. 16. 148 Der EuGH gibt erneut an, dass „jede Klage wegen Verletzung eines europäischen Patents, wie Art. 64 Abs. 3 dieses Übereinkommens zu entnehmen ist, anhand des einschlägigen nationalen Rechts zu prüfen (sei), das in jedem der Staaten, für die das Patent erteilt worden ist, gilt.“, EuGH Solvay/Honeywell, Rn. 26. 149 Der Generalanwalt verneint – übereinstimmend mit Roche/Primus – eine Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO für den Fall, dass verschiedene, in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässige, Unternehmen unterschiedliche Teile desselben europäischen Patents in ihrem jeweiligen Sitzstaat verletzen, s. Schlussanträge des Generalanwalts Villalón zu Rs. C-616/10, Rn. 27. 150 Vgl. Solvay/Honeywell, Rn. 30. 147
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patentverletzende Produktion eines Medikaments in verschiedenen Mitgliedstaaten – begehen, dieselben Absatzmärkte bedienen würden. Die Solvay/Honeywell vorangegangenen Entscheidungen Freeport/Arnoldsson und Painer/Standard Verlags GmbH ließen auf eine Änderung der Rechtsprechung hoffen: Besonders in der letztgenannten Entscheidung hat der EuGH das Konnexitätskriterium stärker an dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands ausgerichtet und damit scheinbar den Gerichten eine liberalere Handhabe von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO – selbst bei divergierenden Rechtslagen – erlaubt. Dieser Ansatz wäre gegenüber dem sehr formalistischen Ansatz aus Roche/Primus, nach dem die Prüfung widersprechender Entscheidungen per se bereits dann verwehrt sein soll, wenn eine Unterschiedlichkeit der Rechtslage gegeben ist, vorzugswürdig. gg) Vereinbarkeit der EuGH-Rechtsprechung mit geltendem Recht (1) Richtlinie zur Durchsetzung des Geistigen Eigentums Die Richtlinie zur Durchsetzung des Geistigen Eigentums151 hat unter anderem die Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarkts sowie die Beseitigung von Beschränkungen des freien Warenverkehrs unter besonderer Wahrung des Schutzes des geistigen Eigentums zum Ziel.152 Aus dem dritten Erwägungsgrund geht hervor, dass „die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Binnenmarkts“ sind.153 Die EuGH-Entscheidung verhindert eine Möglichkeit effektiver Rechtsdurchsetzung und steht damit grundsätzlich den Zielen der Richtlinie entgegen. Allerdings dient die Richtlinie der Durchsetzung durch einzelne Mitgliedstaaten und bezieht sich damit nicht primär auf zwischenstaatliche Zuständigkeitsregelungen. (2) TRIPS-Übereinkommen Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen)154 beinhaltet konkretere Regelungen zur effektiven Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums (Art. 41 ff TRIPS). Die EU ist Unterzeichner. Nach Art. 41 Abs. 2 TRIPS dürfen „Verfahren nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen“, „Gewähr gegen Missbrauch“ soll „gegeben“ sein. Gebündelte Verfahren am Geschäftssitz der Konzernmutter in beschriebenen Verletzungsfällen durch Tochterunternehmen werden durch die 151 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. 2004 Nr. L 157, S. 45. 152 Erwgrd. 1 der Durchsetzungs-RL. 153 Erwgrd. 3 der Durchsetzungs-RL. 154 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. April 1994 (TRIPS-Übereinkommen); Verwaltung durch die WTO, BGBl. 1994 II S. 1730.
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Rechtsprechung des EuGH faktisch unmöglich gemacht. Die Folge sind kostspielige und aufwendige Einzelverfahren in unterschiedlichen Jurisdiktionen.155 Außerdem birgt das Fehlen einer effektiven Klagemöglichkeit gegen Konzerne, die sich jederzeit ihrer ausländischen Tochterunternehmen „bedienen“ können, Missbrauchspotenzial. Dennoch ist fraglich, ob die EuGH-Rechtsprechung aufgrund der Ablehnung der Doktrin gegen das TRIPS-Übereinkommen verstößt.156 Denkbar wäre eine Verletzung überhaupt erst, wenn von dem in Art. 41 Abs. 2 TRIPS genannten Verfahrensbegriff auch Regelungen zur Klagebündelung wie Art. 8 Nr. 1 EuGVVO erfasst wären. Dann wäre der EuGH möglicherweise gehalten, die Norm in Übereinstimmung mit dem TRIPS-Übereinkommen auszulegen. Der Terminus „Verfahren“ erfasst jedoch dem Wortlaut nach lediglich das Verfahren an sich, nicht die davon logisch abzugrenzende und tatsächlich vorgelagerte Gerichtszuständigkeit. Dies wird von der Systematik der Art. 41 ff. TRIPS bestätigt: Insbesondere aus Art. 41 Abs. 1 TRIPS geht hervor, dass sich der Verfahrensbegriff i. S. v. Art. 41 Abs. 2 TRIPS lediglich auf die im Teil III genannten Verfahren über bspw. Auskunfts-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche (vgl. Art. 42 ff. TRIPS), bezieht. Regelungen zur internationalen Klagebündelung unterliegen dagegen dem hiervon gesonderten Bereich des internationalen Zivilprozessrechts zu dem das TRIPS keine Regelungen enthält. Eine restriktive Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Klagebündelung kann dem TRIPS-Übereinkommen daher nicht zuwiderlaufen. hh) Zwischenergebnis Der EuGH hat in seiner Entscheidung Roche/Primus bedauerlicherweise kaum praktische Überlegungen angestellt. Vor allem Aspekte wie Prozessökonomie, Missbrauchsgefahr und Schutzwürdigkeit des Geschädigten ließ er zugunsten eines in der konkreten Fallkonstellation schwer nachvollziehbaren Beklagtenschutzes aus. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der EuGH mit den praktischen Konsequenzen und Missbrauchsgefahren seiner Rechtsprechung auseinandersetzt hätte. Das Argument, eine Einschränkung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO sei vor dem Hintergrund des forum shopping geboten, überzeugt nicht. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob im Falle des europäischen Bündelpatents überhaupt ein solcher Missbrauch durch Klagebündelung an dessen Ort bei derart engen Voraussetzungen (Konzern, Patentverletzung durch Tochterunternehmen, Gleichartigkeit der Verletzung, gemeinsame Führung durch Konzernmutter, Klage vor Gericht des Mutterstaats) möglich ist. Von forum shopping, welches i. d. R. eine gewisse Handlungsfreiheit des Klägers voraussetzt, kann hier nicht die Rede sein, da der Gerichtsort vielmehr durch den Sitz der patentverletzenden Unternehmen bzw. die Verletzungshandlungen der Beklagten prädestiniert wird. So auch Generalanwalt Léger in seinen Schlussan155
Vgl. auch Lange, GRUR 2007, 107, 109. So Schack o. Begr., s. Schack, Aktuelle Entwicklungen und Probleme des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts, Ritsumeikan Law Review No. 26, 2009, S. 124. 156
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trägen zu Roche/Primus, der resümiert, dass in einem „Patentverletzungsstreit (dem Kläger) schwerlich zum Vorwurf gemacht werden (könne), dass er forum shopping betreibt, um seine Interessen bestmöglich zu verteidigen“.157 Handlungsbedarf zur Verhinderung der systematischen Ausnutzung von Standortvorteilen besteht also in der Konstellation des Spider in the web nicht. Stattdessen hat der EuGH ohne eine eingehende Interessenabwägung den Weg zementiert, dass Patentverletzer, die planmäßig unter Ausnutzung einer multinationalen Konzernstruktur nationale Teile von EP verletzen, nicht gemeinsam in Anspruch genommen werden können. Stattdessen müssen Gerichtsprozesse gegen einzelne Verletzer geführt werden, die für die widerrechtlich handelnde Unternehmensgruppe ein wesentlich geringeres Risiko darstellen, da sie für Kläger häufig zu kostspielig sind und keine Sicherheit einheitlicher Entscheidungen bieten. Obwohl die durch den EuGH geschaffene Situation für die Praxis unhaltbar erscheint, verstößt die restriktive Praxis nicht gegen geltendes Recht. Die Folgeentscheidungen Freeport bzw. Painer/Standard Verlags GmbH ließen auf eine praxisorientiertere Rechtsprechung hoffen, die eine Berücksichtigung der (fehlenden) Schutzwürdigkeit der Beklagten erlaubte. Die Entscheidungen werden Art. 8 Nr. 1 EuGVVO gerecht, der letztlich auf einen gerechten Interessenausgleich abzielt.158 Insofern steht die Rechtsprechung auch im Einklang mit dem 11. Erwägungsgrund der EuGVVO, der eine Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften für den Beklagten vorsieht.159 Letztlich hat der EuGH jedoch in seiner neueren Entscheidung Solvay/Honeywell in einem obiter dictum betont, dass seine restriktive Rechtsprechung nach Roche/Primus weiterhin Geltung in Bezug auf EP hat. Dem EuGH ist im Übrigen darin zuzustimmen, dass die von ihm statuierte Voraussetzung der Einheitlichkeit der Sach- und Rechtslage bei dem europäischen Bündelpatent nicht gegeben ist: Im EP-System mangelt es an einheitlichem (materiellen sowie prozessualen) Recht. Der effektiven Rechtsverfolgung nach dem Gedanken der Spider in the web Doktrin hat der EuGH damit grundsätzlich einen Riegel vorgeschoben. Vor dem Hintergrund des neuen EU-Patentsystems, das eine umfassende Rechts- und Gerichtsbarkeitsangleichung zum Gegenstand hat, stellt sich daher erneut die Frage, ob eine zentrale Verhandlung von Klagen gegen mehrere Beklagte möglich sein wird.160 157
Schlussanträge des Generalanwalts Léger, Rn. 99. So auch Kur, IIC 2006, 844, 850. 159 Schacht schlägt vor, als zusätzliche Voraussetzung für Art. 8 Nr. 1 EuGVVO (zu ehem. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) eine subjektive Komponente zu verlangen, dass Beklagte die Lieferung eines patentverletzenden Produkts in Kenntnis des jeweils anderen Unternehmens vorgenommen haben, s. Schacht, Neues zum internationalen Gerichtsstand der Streitgenossen bei Patentverletzungen, GRUR 2012, 2110, 2113. 160 s. dazu Kap. 6 A. III., in der Literatur wurde ein neues Patentsystem vielfach als der einzige Ausweg aus der derzeitigen rechtlichen Situation beschrieben, vgl. etwa in Bezug auf das vormals geplante EPLA Nuyts/Szychowska/Hatzimihail, Cross-Border-Litigation in IP/IT Matters in the European Union: The Transformation of the Jurisdictional Landscape, in: Nuyts, 158
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d) Ergebnis: Cross-border-injunctions nur eingeschränkt möglich Die Möglichkeiten im EP-System Cross-border-injunctions zu erlangen, sind durch die EuGH-Rechtsprechung erheblich eingeschränkt worden. Eine Verhandlung grenzüberschreitender Patentverletzungsfälle scheitert in Bezug auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO an fehlender Sachnähe bezüglich ausländischer Rechtsverletzungen. Einer Klagebündelung gem. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO i. S. d. Spider in the web Doktrin steht nach Auffassung des EuGH das sog. Konnexitätskriterium entgegen, das mittlerweile ausdrücklich im Wortlaut der Norm enthalten ist. Die Verhandlung grenzübergreifender Patentverletzungen ist effektiv auf Gerichte des Wohnsitzstaats eines Beklagten nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO beschränkt. Der praktisch einzige, zentral verhandelbare Fall multinationaler Patentverletzungen ist gegeben, wenn ein Beklagter in seinem Wohnsitzstaat zugleich in (einem) anderen Mitgliedstaat(en) nationale Teile eines EP verletzt. Er kann in diesem Fall vor einem Gericht des Wohnsitzstaats auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO auch bzgl. der Patentverletzung im Ausland verklagt werden. Angesichts des wegen der Schutzwürdigkeit von Patentinhabern in den angesprochenen Fällen legitimen Bedürfnisses, mehrere Patentverletzer gemeinsam in Anspruch nehmen zu können161, ist diese Einschränkung zu bedauern. 2. Auswirkungen des Nichtigkeitseinwands Grenzüberschreitende Patentverletzungen können vor nationalen Gerichten wegen der restriktiven EuGH-Rechtsprechung nur sehr eingeschränkt verhandelt werden. Nichtigkeitseinreden bzw. -widerklagen bezüglich des Klagepatents sind bei Patentverletzungsverfahren ein beliebtes Verteidigungsmittel.162 Mögliche Auswir-
International Litigation in Intellectual Property and Information Technology, 2008, S. 32 ff. m. w. N. 161 96 % der teilnehmenden Unternehmen gaben in einer Studie der Kommission an, dass eine Fragmentierung des europäischen Patentsystems zu hohe Prozesskosten verursache, vgl. Scellato/Calerini e. a., Study on the Quality of the Patent System in Europe (PatQual), in Auftrag gegeben von der Kommission (GD MARKT), Stand: März 2011, S. 48, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/patqual02032011_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), S. 48. 162 Unter anderem im deutschen Rechtssystem sind die Zuständigkeiten für die Verhandlung von Patentverletzungs- und Patentnichtigkeitsverfahren getrennt (sog. Trennungssystem): Während Erstere erstinstanzlich den Landgerichten zugewiesen sind, gilt für Letztere eine erstinstanzliche Zuständigkeit des BPatG. Daraus folgt, dass die Patentnichtigkeit nicht einredeweise vor dem Landgericht erhoben werden kann, sondern stattdessen als Nichtigkeitsklage vor dem BPatG geltend zu machen und eine Aussetzung des Patentverletzungsprozesses vor dem Landgericht zu beantragen ist (vgl. § 148 ZPO). In ausländischen Rechtssystemen gilt
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
kungen auf die internationale Zuständigkeit der Gerichte werden daher an dieser Stelle untersucht. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht Art. 24 Nr. 4 EuGVVO (ehem. Art. 22 Nr. 4 EuGVVO). Die Norm sieht eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats vor, in dessen Hoheitsgebiet die Registrierung eines Patents vorgenommen wurde, falls Klagen (u. a.) die Gültigkeit von Patenten betreffen. Sollte die Regelung auch bei grenzüberschreitenden Patentverletzungsverfahren zu beachten sein, müsste sich das Verletzungsgericht, nachdem es seine internationale Zuständigkeit (etwa auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO) bejaht hat, ggf. nach Art. 27 EuGVVO (ehem. Art. 25 EuGVVO) i. V. m. Art. 24 Nr. 4 EuGVVO für unzuständig erklären. Zwei Urteile des EuGH, die im Folgenden beleuchtet werden [vgl. u., a) b)], befassen sich mit dem Zusammenwirken von grenzüberschreitenden Patentverletzungsverfahren und Nichtigkeitseinreden bzw. -widerklagen. a) EuGH „GAT/LuK“ Zeitgleich mit der oben diskutierten Entscheidung Roche/Primus [vgl. o., c) cc)] erging das Urteil in der Rechtssache GAT/LuK.163 aa) Sachverhalt GAT und LuK sind deutsche Wettbewerber auf dem Gebiet der Kfz-Technik. LuK machte gegen GAT vor dem LG Düsseldorf die Verletzung zweier französischer Patente geltend. GAT erhob daraufhin Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Klagepatente. Das LG Düsseldorf wies das Vorbringen zur Nichtigkeit als unbegründet ab.164 Im Berufungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf wurde dem EuGH zu fr. Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ (ht. Art. 24 Nr. 4 EuGVVO) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Regelung derart auszulegen sei, dass er nur Klagen auf Nichtigerklärung eines Patents erfasst oder, ob er schon eingreift, wenn der Beklagte im Rahmen eines Patentverletzungsverfahrens den entsprechenden Einwand (einrede- oder klageweise165) erhebt.
dagegen meist das sog. Verbund- oder Einheitsprinzip in welchem die Nichtigkeit des Klagepatents einredeweise gerügt werden kann. Für einen Vergleich beider Systeme s. u., Kap. 6 C. 163 EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006, Rs. C-4/03, GRUR Int 2006, 839; GRUR 2007, 49 (GAT/LuK). 164 Im deutschen Recht ist die Nichtigkeit eines Patents nach §§ 22, 81 ff. PatG nur in einem gesonderten Verfahren feststellbar, vgl. Fn. 162. Anders ist dies im (in diesem Fall einschlägigen) französischen Recht. 165 s. Fn. 162.
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bb) Rechtliche Beurteilung des EuGH Zunächst stellte der EuGH in seiner Entscheidung fest, dass aus dem Wortlaut des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO nicht hervorgehe, ob er die klageweise bzw. einredeweise Geltendmachung der Nichtigkeit des Patents erfasst.166 Zweck der Norm sei es, Streitigkeiten vor Gerichten mit sachlicher und rechtlicher Nähe167 zu verhandeln.168 Die Gerichte des Registrierungsstaates seien am Besten in der Lage über Gültigkeitsfragen zu entscheiden. Der Gerichtshof betonte, dass Art. 24 Nr. 4 EuGVVO unabdingbar sei.169 Die Vorschrift habe daher losgelöst davon zu gelten, wie der verfahrensrechtliche Rahmen beschaffen ist, d. h. unabhängig davon, ob sich die Gültigkeitsfrage klage- oder einredeweise, bei Klageerhebung oder in einem späteren Verfahrensstadium stellt.170 Eine engere Auslegung, die beispielsweise dem Verletzungsgericht eine Inzidentprüfung der Patentnichtigkeit ermöglichen würde, würde nach Meinung des EuGH die zwingende Natur des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO umgehen.171 Dies wiederum führte zu einer Häufung der Gerichtsstände und damit zu einer Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregelungen und damit der Rechtssicherheit.172 Die Möglichkeit die Nichtigkeit ausländischer Patente inzident zu prüfen würde zudem die Gefahr widersprechender Entscheidungen erhöhen, was dem Ziel des Übereinkommens zuwiderliefe.173 cc) Kritik Die Entscheidung GAT/LuK hatte bedeutsame Auswirkungen auf die Handhabung grenzübergreifender Patentverletzungen. Bei Patentinhabern führte sie zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, da keine Gewissheit darüber bestand, dass Gerichte, die sich nach den Vorschriften der EuGVVO zur Verhandlung von Verletzungen ausländischen Patentrechts für zuständig erklärten, auch zuständig blieben. Sofern ein Beklagter die Nichtigkeit des Klagepatents in einem anderen Mitgliedstaat einwendet, muss sich also ein Verletzungsgericht nach Art. 29 Abs. 1 EuGVVO für unzuständig erklären.
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EuGH GAT/LuK, Rn. 19. EuGH GAT/LuK, Rn. 20 f. 168 In Übereinstimmung mit EuGH, Urteil vom 15. November 1983, Rs. 288/82, Slg. 1983, 3663 (Duijnstee/Goderbauer). 169 EuGH GAT/LuK, Rn. 22 ff. 170 EuGH GAT/LuK, Rn. 25. 171 EuGH GAT/LuK, Rn. 26 f. 172 EuGH GAT/LuK, Rn. 28; vgl. auch EuGH Roche/Primus, Rn. 37 f. 173 Hierzu berief sich der EuGH unter anderem auf die oben angesprochene Rechtssache Tatry/Maciej Rataj, c) cc) (2). 167
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(1) Rechtssicherheit Der Gerichtshof lief mit dem Urteil GAT/LuK seiner bisherigen Rechtsprechung174 zuwider. Zuvor hatte er ausdrücklich festgestellt, dass für die gerichtliche Zuständigkeit Anträge des Klägers – und eben nicht Verteidigungsmittel des Beklagten – maßgeblich seien. Die Rechtssicherheit sei gefährdet, falls dem Beklagten ermöglicht würde, nachträglich die Zuständigkeit des Gerichts zu ändern.175 Im Übrigen ist der Gedanke der Zuständigkeitsbestimmung durch den Kläger Auswuchs des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der perpetuatio fori, zu dem der EuGH ursprünglich eine gefestigte Rechtsprechung176 hatte. Diese grundlegende Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung hat der EuGH weder angesprochen noch begründet. (2) Wortlautkonformität Der EuGH greift in GAT/LuK auf Argumente zum Sinn und Zweck der Norm und zur Systematik des EuGVÜ (ht. EuGVVO wortgleich) zurück, da der Wortlaut selbst nicht weiterhelfe.177 (a) Deutsche Fassung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO Angesichts des eindeutigen Wortlauts der deutschen Fassung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO liegt es fern, dass der EuGH sein Urteil auf sekundäre Auslegungsmethoden stützt. Art. 24 Nr. 4 EuGVVO erklärt die „Gerichte des Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die (…) Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Gemeinschaftsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt“ für ausschließlich zuständig „für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten (…) zum Gegenstand haben.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser] Patentverletzungsverfahren haben jedoch weder die Eintragung noch die Gültigkeit eines Patents „zum Gegenstand“. Es wird ausschließlich über die jeweilige Patentverletzung gestritten. Sofern eine Nichtigkeitseinrede bzw. Nichtigkeitswiderklage erhoben wird, erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils der Verletzungsklage lediglich auf den Klageantrag (vgl. etwa für Deutschland § 322 ZPO), der wiederum durch den Kläger bestimmt wird. Die Eintragung/Gültigkeit von Patenten kann daher nicht Gegenstand des Patentverletzungsverfahrens sein. 174 Etwa EuGH, Urteil vom 8. Mai 2003, Rs. C-111/01, Slg. 2003, I-4207 (Gantner Electronic) zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. 175 EuGH, Urteil vom 5. Februar 2004, Rs. C-18/02, Slg. 2004, I-1417, Rn. 37 (DFDS Tor Line). 176 EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1977, Rs. C-73/77, Slg. 1975, 2383, Rn. 10 ff. (Sanders/van der Putte) zu Art. 22 EuGVVO a. F. 177 EuGH GAT/LuK, Rn. 18.
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(b) Englische Fassung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO Die englische Fassung des Gesetzestextes unterscheidet sich von der deutschen und im Übrigen auch von der niederländischen, französischen und italienischen Version178 : Die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 4 EuGVVO soll danach für Verfahren greifen, die sich mit der Gültigkeit (etc.) „befassen“ („concerned with“). Dieser Wortlaut erlaubt offensichtlich eine wesentlich weitere Auslegung des Merkmals als die dem dt. Wortlaut „zum Gegenstand haben“ entsprechende Formulierung („have as their object/subject matter“). Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der EuGH sich nicht zumindest mit den unterschiedlichen Übersetzungen der Norm auseinandergesetzt, sondern stattdessen eine autonome Auslegung vorgenommen hat.179 Die Auslegung des EuGH ist schließlich nur von dem Wortlaut der englischen Übersetzung gedeckt, der jedoch nicht die Ursprungsfassung des Gesetzestextes ist.180 (3) Vereinbarkeit mit Sinn und Zweck Darüber hinaus finden sich auch Unzulänglichkeiten bei der teleologischen Auslegung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO. Wie ein Sachverständigenbericht zum EuGVÜ von 1979 nahe legt, ist der Grund für die ausschließliche Zuständigkeit i. S. d. ht. Art. 24 Nr. 4 EuGVVO, dass die Erteilung von Patenten Ausfluss nationaler Souveränität ist.181 Der Norm würde dann ein Ansatz zugrunde liegen, der im Kern dem Rechtsgedanken des actus contrarius ähnelt: Erfolgt die Erteilung eines Patents durch einen nationalen Akt, so ist auch für dessen Rücknahme derselbe Mitgliedstaat zuständig. Konsequenterweise schloss die Literatur daraus, dass das Merkmal „Klagen, welche (…) die Gültigkeit von Patenten (…) zum Gegenstand haben“ dahingehend ausgelegt werden müsse, dass nur solche Klagen erfasst sind, die den Bestand des Patents erga omnes berühren.182 Bei einem Nichtigkeitseinwand bzw. einer Nichtigkeitswiderklage im Rahmen eines Verletzungsverfahrens kann erga omnes aber ohnehin nur über die jeweiligen nationalen Patente entschieden werden. (Inzident)prüfungen über die Gültigkeit ausländischer Patente entfalten
178 Französische Version: „en matière d’inscription (…)“; spanische Version: „en materia de inscripciones (…)“; italienische Version: „in materia di registrazione (…), verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= EN&numdoc=32001R0044&mode=guichett (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 179 Kur, IIC 2006, 844, 847. 180 Weitere Einzelheiten in Basedow/Kur, Exclusive Jurisdiction and Cross Border IP (Patent) Infringement – Suggestions for Amendment of the Brussels I Regulation (CLIP), S. 8, verfügbar unter: http://www.cl-ip.eu/_www/files/pdf2/clip_brussels_i_dec_06_final4.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 181 Jenard, Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen vom 5. März 1979, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1, Viertes Kap. B. 5. Abschn. (S. 36). 182 Etwa Kropholler, Art. 22, Rn. 47; Geimer/Schütze, Art. 22, Rn. 224 ff.
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dagegen nur inter partes Rechtskraft. Der Bestand des Patents ist damit nicht berührt.183 Außerdem ist die Befürchtung des EuGH, dass eine andersartige Auslegung des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO zu Rechtsunsicherheit führen würde, indem „zwingende“ Regelungen durch die „bloße Formulierung des Klageantrags“ umgangen werden könnten184, unbegründet. Ein Risiko der Umgehung ist nicht ersichtlich185, da eine Umgehung nur droht, wenn die Norm tatsächlich auch auf Vorfragen und Inzidentprüfungen anwendbar ist. Diese Anwendbarkeit wollte der EuGH in seinem Urteil jedoch überhaupt erst belegen.186 Es wäre daher ein Zirkelschluss, ein Risiko für eine Umgehung dieser Norm schon anzunehmen, bevor ihr Inhalt bzw. Sinn und Zweck klar herausgearbeitet wurde. Paradoxerweise entsteht durch die EuGHEntscheidung erst die befürchtete Rechtsunsicherheit: Dem Beklagten wurden Tür und Tor geöffnet, um die allgemeine Gerichtszuständigkeit zugunsten der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO zu umgehen. Rechtsunsicherheit herrscht nun bei den Patentinhabern. Weiter hat der EuGH eine Gefahr durch eine Häufung der Gerichtsstände gesehen, die gegeben sei, wenn andere Gerichte Inzidententscheidungen der Gültigkeit der Klagepatente vornehmen könnten. Der Grundsatz der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeiten nach der EuGVVO wäre so beeinträchtigt.187 Diese Argumentation findet sich auch unter anderem im Urteil Roche/Primus und ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Allerdings darf die bloße Gefahr der Häufung der Gerichtsstände nicht ausnahmslos Gewicht haben. Die Idee, Häufungen von Gerichtsständen zu vermeiden, folgt aus dem Grundgedanken der EuGVVO – Rechtssicherheit sowie eine Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände zu gewährleisten. Gerade am Beispiel von internationalen Patentverletzungsverfahren wird deutlich, dass bei einer derartigen Auslegung die Rechtsunsicherheit nur vergrößert wird, da Gerichtsstände weniger vorhersehbar sind: Die Verhandlung ausländischer Patentverletzungen am Wohnsitz des Beklagten auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO führt bei Nichtigkeitseinrede bzw. -widerklage faktisch zu einer ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des jeweiligen Registrierungsstaates und damit zu einer Zersplitterung der Gerichtsstände. Für Kläger wird der Gerichtsstand unvorhersehbar.
183 Reichard, Die Auswirkung des Nichtigkeitseinwands auf die internationale Zuständigkeit in Patentstreitigkeiten, GRUR Int 2008, 574, 576; Adolphsen, IPRax 2007, 15, 18. 184 EuGH GAT/LuK, Rn. 26 f. 185 A. Arg. s. Reichard, GRUR Int 2008, 574, 576. 186 So auch Heinze/Roffael, Internationale Zuständigkeit für Entscheidungen über die Gültigkeit ausländischer Immaterialgüterrechte, GRUR Int 2006, 787, 792; Kubis, Patentverletzungen im europäischen Prozessrecht – Ausschließliche Zuständigkeit kraft Einrede?, MittdtPatAnw 2007, 220, 222. 187 Vgl. EuGH GAT/LuK, Rn. 29 sowie den 11. Erwgrd. der EuGVVO a. F.
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Nachtrag
In Übereinstimmung mit EuGH GAT/LuK sieht die Neufassung der EuGVVO in Art. 24 Nr. 4 EuGVVO n. F. nunmehr ausdrücklich die Zuständigkeit der Gerichte des Registrierungsstaates „unabhängig davon (vor), ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird (…)“. b) EuGH „Solvay/Honeywell“ In einem neueren (tlw. o., unter c) ee) besprochenen) Urteil in der Rechtssache Solvay/Honeywell188 setzte sich der EuGH mit der Frage auseinander, ob Art. 24 Nr. 4 EuGVVO anwendbar ist, wenn die Einrede der Patentnichtigkeit in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (mit internationaler Zuständigkeit nach Art. 35 EuGVVO) erhoben wird. aa) Rechtliche Beurteilung des EuGH Der EuGH beruft sich in seinem Urteil auf die Grundsätze der GAT/LuKRechtsprechung. Er stellt fest, dass der Richter bei einstweiligen Verfügungsverfahren mit vorläufigem Charakter keine endgültige Entscheidung über die Gültigkeit des einredeweise angegriffenen Klagepatents vornimmt, sondern lediglich eine Einschätzung wie das gem. Art. 24 Nr. 4 EuGVVO zuständige Gericht diesbezüglich entscheiden würde.189 Wegen der bloßen Vorläufigkeit einstweiliger Verfügungen sei auch im Einklang mit GAT/LuK keine Gefahr widersprechender Entscheidungen gegeben.190 Der ausschließliche Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO habe daher keine Auswirkungen auf den Gerichtsstand für einstweilige Maßnahmen nach Art. 35 EuGVVO. bb) Bewertung Mit seinem Urteil Solvay/Honeywell hat der EuGH die Durchsetzung einstweiliger grenzüberschreitender Verfügungen erleichtert. Das Argument der Vorläufigkeit derartiger Entscheidungen ist im Kern richtig. Bedauerlich ist, dass der EuGH Solvay/Honeywell nicht zum Anlass genommen hat, um seine GAT/LuK-Rechtsprechung zu ändern. Vor dem Hintergrund der berechtigten Kritik der restriktiven Rechtsprechung hätte Solvay/Honeywell Gelegenheit gegeben, festzustellen, dass auch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren – selbst wenn sie die Überprüfung der Gültigkeit eines ausländischen Patents zum Gegenstand hat – keine Auswir-
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Für eine Darstellung des Sachverhalts s. o., e). EuGH Solvay/Honeywell, Rn. 49. EuGH Solvay/Honeywell, Rn. 45 mit Verweis auf EuGH GAT/LuK, Rn. 47; 50.
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kungen auf den Rechtsbestand des ausländischen Patents hat.191 Erst recht müsste dies dann für einstweilige Verfügungen gelten. c) Zwischenergebnis Die durch GAT/LuK statuierten Grundsätze sind von besonderer Bedeutung für Cross-border-injunctions. Dem Beklagten wurde faktisch die Möglichkeit an die Hand gegeben, durch Erhebung des Nichtigkeitseinwands die Gerichtszuständigkeit zu bestimmen.192 Die Zuständigkeitsregeln sind damit letztlich für den Kläger nicht (mehr) vorhersehbar.193 Dabei würde der eigentliche Sinn und Zweck des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO, die Wahrung der nationalen Souveränität194, nicht unterlaufen, wenn man eine ausschließliche Zuständigkeit i. S. d. Norm ablehnte. Grund dafür ist, dass eine Überprüfung der Gültigkeit eines ausländischen Patents durch das Verletzungsgericht lediglich Wirkung inter partes entfalten würde. Derart wäre die Patentgültigkeit, welche – ungeachtet des jeweiligen Urteils im Verletzungsverfahren – vor dem Gericht bzw. der Behörde des Geltungsstaates zu beurteilen wäre, nicht berührt. Die durch GAT/LuK ermöglichte, auch als „Nichtigkeitstorpedo“195 bezeichnete, Einwendung der Nichtigkeit des Klagepatents wurde erfreulicherweise durch die neuere Solvay/Honeywell-Rechtsprechung für den Fall einstweiliger Verfügungsverfahren eingeschränkt. Wegen der im Kern fehlerhaften Erwägungen hätte der EuGH die Entscheidung zum Anlass nehmen sollen, Art. 24 Nr. 4 EuGVVO unter Aufgabe von GAT/LuK enger auszulegen. Die Europäische Max Planck Gruppe für „Conflict of Laws in Intellectual Property“ (CLIP) sprach sich zur Klarstellung der bloßen inter partes Wirkung von Urteilen hinsichtlich der Patentgültigkeit dafür aus196, Art. 24 Nr. 4 EuGVVO durch einen Unterabsatz mit folgendem Wortlaut zu ergänzen: „(b) Die unter (a) genannten Bestimmungen sind nicht auf Verfahren anwendbar, in denen die Fragen über Gültigkeit oder Registrierung aus anderen Verfahren als der Nichtigkeitsklage oder -widerklage hervorgehen. Entscheidungen, welche aus diesen Verfahren ergehen, berühren nicht die Gültigkeit oder Registrierung dieser Rechte gegenüber Dritten.“ (frei übersetzt197) 191
Vgl. o., a) cc). Kubis spricht auch von einer „ausschließlichen Zuständigkeit kraft Einrede“, s. Kubis, Patentverletzungen (s. Titel). 193 Reichard, GRUR Int 2008, 574, 576. 194 Vgl. Jenard-Bericht, Fn. 181. 195 Begriff geprägt von von Falck, EU-Patentrechtsharmonisierung II: Forum-Shopping und Torpedo, GRUR 2000, 579. 196 CLIP (Fn. 180), S. 11. 197 Aus dem Englischen: „(b) The provisions under lit. (a.) do not apply where validity or registration arises in a context other than by principle claim or counterclaim. The decisions 192
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3. Ergebnis: Renationalisierung der Patentstreitigkeiten Internationale Patentverletzungsklagen kommen wegen der restriktiven EuGHUrteile bei EP praktisch nur in Betracht, sofern sie sich am Wohnsitzstaat gegen eine in- und ausländische Patentverletzung desselben Beklagten auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO richten.198 Nach GAT/LuK können jedoch selbst die aufgrund dieser eingeschränkt möglichen internationalen Zuständigkeit erhobenen Klagen prinzipiell nur solange zentral geführt werden, wie der Beklagte die Gültigkeit des Klagepatents nicht infrage stellt.199 Tut er dies, wird der Verletzungsprozess effektiv lahmgelegt bis das ausländische Gericht bzw. die ausländische Behörde über die Gültigkeit eines oder mehrerer nationaler Teile des Klagepatents entschieden hat.200 Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass die GAT/LuK-Rechtsprechung erst dazu geführt hat, dass die Einrede der Patentnichtigkeit im internationalen Zivilprozess zu einer Standardverteidigung geworden ist.201 Konsequenterweise spricht Adolphsen daher nach einer „Hochphase“ der grenzübergreifenden Patentverletzungsverfahren in den neunziger Jahren nun von einer „Renationalisierung der Patentstreitigkeiten“.202
III. Vorgreifende negative Feststellungsklagen („Torpedos“) Die Möglichkeit des Beklagten durch Einwendung der Nichtigkeit des Klagepatents im Patentverletzungsprozess die Wahl des internationalen Gerichtsstands zu präjudizieren wird allgemein als „Torpedo“ bezeichnet (auch „Nichtigkeitstorpedo“, vgl. hierzu o., II. 2.).203 Häufiger beschreibt der Begriff „Torpedo“ jedoch den Fall, dass ein Patentverletzer einer gegen ihn gerichteten Patentverletzungsklage durch resulting from such proceedings do not affect the validity or registration of those rights as against third parties.“, s. CLIP (Fn. 180), S. 11. 198 Vgl. o., b). 199 Vgl. EuGH GAT/LuK, Rn. 16. 200 Auch eine Klagebündelung i. S. d. Spider in the web Doktrin – sofern zulässig – würde überflüssig werden, vgl. Schauwecker, Zur internationalen Zuständigkeit bei Patentverletzungsklagen – Der Fall Voda v. Cordis im Lichte europäischer und internationaler Entwicklungen, GRUR Int 2008, 96. 201 s. Phillips verfügbar unter: http://ipkitten.blogspot.de/2012/04/patents-and-jurisdictioni-solving.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), vgl. auch Mes, in: Mes, PatG, § 14, Rn. 142; Adolphsen, IPRax 2007, 15, 17. 202 Vgl. Adolphsen, Renationalisierung von Patentstreitigkeiten, IPRax 2007, 15, 20; Bukow, Die Entscheidung GAT/LUK und ihre Konsequenzen – Vom Ende der „Cross-BorderInjunctions“, FS Schilling, Köln 2007, S. 59. 203 Anm.: Die sog. Torpedos sind nicht nur eine Problematik des Patent- oder Immaterialgüterrechts. Die Verzögerungsstrategie lässt sich theoretisch auf alle Sachverhalte übertragen, die eine unerlaubte Handlung zum Gegenstand haben.
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Erhebung einer negativen Feststellungsklage in einem anderen Mitgliedstaat zuvorkommt. In der Praxis läuft ein solcher Torpedo wie folgt ab: (1) Der Inhaber eines europäischen Patents mahnt einen potenziellen Patentverletzer ab.204 (2) Der Abgemahnte erhebt eine negative Feststellungsklage der Patentverletzung in einem Mitgliedstaat, der für eine lange Verfahrensdauer205 bekannt ist (i. F. bezeichnet als „Erstklage“ bzw. „Erstverfahren“).206 Gegebenenfalls erhebt der Abgemahnte zusätzlich in demselben Mitgliedstaat eine Nichtigkeitsklage.
Im Ergebnis lässt sich so mit dem Torpedo die in einem anderen Mitgliedstaat drohende Verletzungsklage (i. F. bezeichnet als „Zweitklage“ bzw. „Zweitverfahren“) blockieren. Der Beklagte kann sich Art. 29 Abs. 1 EuGVVO zunutze machen, der lautet: (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren (…) von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.
Sofern der Kläger der Erstklage als Beklagter im Verletzungsverfahren die Einrede der entgegenstehenden Rechtshängigkeit (aufgrund eines ausländischen Verfahrens) erhebt, muss das Gericht das Zweitverfahren gem. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO zumindest aussetzen bis die gerichtliche Unzuständigkeit des Gerichts der Erstklage rechtskräftig207 feststeht (Prioritätsprinzip208).209 Erklärt sich das Erstgericht für zuständig, muss das Zweitgericht die Klage mangels Zuständigkeit abweisen.210 Dieses Ergebnis ist offensichtlich unbillig, da der potenzielle Patentverletzer durch die (erforderliche) Abmahnung einen tatsächlichen Wissensvorsprung hat, mittels dessen er im Wege des Torpedos Patentverletzungsklagen erheblich verzö204 Zum generellen Vorgehen vgl. etwa Nieder, Die Patentverletzung, München 2004, Teil C. II. 1. e), Rn. 196. 205 Häufig wurden belgische bzw. italienische Gerichte für die negative Feststellungsklage ausgesucht, weshalb die Praxis als belgischer bzw. italienischer Torpedo bezeichnet wird, s. Sujecki, Torpedoklagen im europäischen Binnenmarkt – zgl. Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 1. Februar 2011, BGH 01. 02. 2011 Aktenzeichen KZR 8/10, GRUR Int 2012, 18. 206 Die Erhebung einer negativen Feststellungsklage ist i. d. R. unproblematisch noch innerhalb der zur Unterzeichnung der strafbewehrten Unterlassungserklärung gesetzten Frist möglich, vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Aufl. München 2011, Rn. 641. 207 Leitzen, Comeback des „Torpedo“?, GRUR Int 2004, 1010, 1011. 208 Vgl. etwa Geimer, in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht – Kommentar, 3. Aufl. München 2010, Art. 27, Rn. 7 (Überschrift). 209 Mes, in: Mes, PatG, § 139, Rn. 259. 210 Sujecki, Torpedoklagen, GRUR Int 2012, 18, Kühnen, Handbuch, Rn. 639.
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gern und ggf. die Rechtsdurchsetzung gänzlich vereiteln kann. Fraglich ist daher, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten über angemessene Mittel verfügen, um einem „Torpedo“ zu begegnen. 1. Keine einheitliche Regelung durch den EuGH Die EuGVVO bietet unterschiedliche Möglichkeiten einer missbräuchlichen Ausnutzung negativer Feststellungsklagen zu begegnen. Der EuGH hatte bisher nur begrenzt Gelegenheit, sich mit den „Gegenmitteln“ auseinanderzusetzen: 1999 hat das OLG Düsseldorf dem Gerichtshof im Zuge des Verfahrens Impfstoff III211 Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sich auf den Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO – namentlich auf die Merkmale der Rechtshängigkeit und der Partei – bezogen. Allerdings wurde das Verfahren durch eine außergerichtliche Einigung beigelegt, sodass eine Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren nicht mehr erging.212 2012 erging jedoch ein Urteil des Gerichtshofs, dass sich mit Torpedoklagen vor dem Hintergrund von Art. 5 Nr. 3 EUGVVO befasst.213 Das Urteil wird zum Zwecke der Übersichtlichkeit im Zusammenhang mit nationalen Gerichtsentscheidungen diskutiert.214 2. Lösungsansätze der Mitgliedstaaten a) Nichtanwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf negative Feststellungsklagen Einige Gerichte ordnen die Erstklage, d. h. die negative Feststellungsklage, nicht als eine Klage ein, die i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung zum Gegenstand hat. Es würde sich damit bei positiven Verletzungsklagen und negativen Feststellungsklagen nicht um Klagen wegen desselben Anspruchs handeln, sodass Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nicht erfüllt wäre. aa) Deutschland Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte zeigt auf, dass selbst innerhalb eines Mitgliedstaats nicht von einer einheitlichen Behandlung der Torpedoproblematik die Rede sein kann. 211 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. September 1999, Az.: 2 W 60/98, GRUR Int 2000, 776 (Impfstoff III). 212 Sujecki, Torpedoklagen, GRUR Int 2012, 18, Fn. 6 m. w. N. 213 EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2012, Rs. C-133/11 (noch nicht veröffentlicht) (Folien Fischer e. a./Ritrama). 214 Trotz der hohen Relevanz der „Torpedo-Problematik“ im internationalen Zivilprozess hat sich der EuGH bisher nicht im Wege von Vorabentscheidungsverfahren mit dem gesamten Komplex auseinandersetzen können.
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(1) OLG München „Elektronisches Navigationssystem“ Im Urteil Elektronisches Navigationssystem215 entschied das OLG München gegen eine Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO in Bezug auf negative Feststellungsklagen. Das Gericht war der Auffassung, durch die negative Feststellungsklage werde keine „Schadenshaftung“ i. S. d. Kalfelis/Schröder216-Rechtsprechung [vgl. hierzu o, II. 1. a) aa)] geltend gemacht, „sondern gerade (…) das Fehlen einer solchen.“217 In Bezug auf das Argument der Sachnähe sei der Fall nicht mit der Rechtssache Fiona Shevill/Press Alliance218 vergleichbar. Außerdem müsse dem angeblichen Patentverletzer kein Wahlrecht – wie es durch eine alternative Anknüpfungsmöglichkeit an den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung faktisch vermittelt würde – eingeräumt werden.219 Ein weiteres Argument des OLG München ist, dass eine Wahlmöglichkeit des angeblichen Schädigers die Wahlmöglichkeit des (schutzwürdigen) Patentinhabers aufgrund des Art. 29 EuGVVO nehmen würde und so die „zügige Durchsetzung seines Rechts gehemmt“ würde.220 Zusätzlich zieht das OLG einen Erst-Recht-Schluss mithilfe der Gemeinschaftsmarken-Verordnung221 und dem GPÜ222, die jeweils ausdrücklich regeln, dass für negative Feststellungsklagen das forum delicti commissi nicht eröffnet ist. Wenn diese Regelungen für Gemeinschaftsschutzrechte gelten, müsse dies „umso mehr auf parallele Rechte, insbesondere auf das nationale Patente beinhaltende europäische Bündelpatent für parallele Schutzrechte wie das Europäische Patent zu(treffen).“223 (2) BGH „Trägermaterial für Kartenformulare“ Die Frage nach der Anwendbarkeit des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung auf negative Feststellungsklagen hat der BGH dem EuGH erstmals in seinem Beschluss zur Rechtssache „Trägermaterial für Kartenformulare“ zur Vorabentscheidung224 vorgelegt225.
215 OLG München, Urteil vom 25. Oktober 2001, Az.: 6 U 5508/00, InstGE 2, 61 (Elektronisches Navigationssystem) (i. F. zit. nach Juris). 216 EuGH Kalfelis/Schröder. 217 EuGH Elektronisches Navigationssystem, Rn. 145 ff. 218 EuGH Fiona Shevill/Press Alliance. 219 EuGH Elektronisches Navigationssystem, Rn. 142. 220 EuGH Elektronisches Navigationssystem, Rn. 144. 221 Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. 12. 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. 1994 Nr. L 011. 222 Das GPÜ trat nie in Kraft, vgl. o., Kap. 1 B. IV. 223 EuGH Elektronisches Navigationssystem, Rn. 145 f. 224 EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2012, Rs. C-133/11 (noch nicht veröffentlicht) (Folien Fischer e. a./Ritrama), näher s. u., dd). 225 BGH, Vorlagebeschluss vom 1. Februar 2011, Az.: KZR 8/10, GRUR 2011, 554 (Trägermaterial für Kartenformulare).
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In dem zugrundeliegenden Fall standen Klägerinnen und Beklagte der negativen Feststellungsklage in einer dauerhaften Geschäftsbeziehung. Die Beklagte beantragte die Erteilung einer Lizenz. Als der Beklagten die Lizenzerteilung verweigert wurde, warf sie den Klägerinnen vor, kartellrechtswidrig zu handeln [vgl. o., III. (i)]. Daraufhin erhoben die Klägerinnen eine Klage auf Feststellung, dass sie durch ihre Weigerung zur Lizenzerteilung nicht gegen Kartellrecht verstießen [Erstklage, vgl. o., III. (ii)].226 Die Beklagten der in Rede stehenden Feststellungsklage erhoben eine Schadensersatzklage sowie eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der in Rede stehenden Lizenzen vor dem Tribunale di Milano (Zweitklage). Die Erstklage wurde dagegen im Ursprungs- und Berufungsverfahren mit der Begründung abgewiesen, der allein in Betracht kommende Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sei für eine Klage mit der „geltend gemacht werde, dass im Inland gerade keine unerlaubte Handlung begangen worden sei.“227 nicht gegeben. Der BGH war dagegen der Auffassung, Wortlaut und Zweck des besonderen Gerichtsstands sprächen für eine entsprechende Anwendung des deliktischen Gerichtsstands auf negative Feststellungsklagen. Die „unerlaubte Handlung“ i. S. d. Norm sei schließlich auch bei einer negativen Feststellungsklage „Gegenstand des Verfahrens“. Zudem wären die Ansprüche von Leistungs- und negativer Feststellungsklage deckungsgleich.228 Für den BGH ist auch die für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung erforderliche Sachnähe zu den Gerichten bei negativen Feststellungsklagen gleichermaßen wie bei Leistungsklagen von Belang. Er sieht keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung negativer und positiver Klagen.229 Der Senat sieht zwar ein Missbrauchsrisiko „wenn der Kl. für seine negative Feststellungsklage ein Forum in der Erwartung gewählt hat, dort werde die Verfahrensdauer unvertretbar lang sein“230, ist jedoch der Auffassung, der Missbrauchsgedanke der EuGH-Rechtsprechung müsse bei Auslegung der Norm außer Betracht bleiben, da Art. 7 Nr. 2 EuGVVO – anders als Art. 8 Nr. 2 EuGVVO – keinen Missbrauchsvorbehalt enthalte.231
226 In Rede steht damit die Feststellung, dass keine unerlaubte Handlung gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begangen wurde. Der Fall ist daher auf die patentrechtliche Torpedoproblematik anwendbar. 227 Vgl. BGH Trägermaterial für Kartenformulare, GRUR 2011, 554 (Sachverhaltsdarstellung). 228 BGH Trägermaterial für Kartenformulare, GRUR 2011, 554, 555, Rn. 15 mit Berufung auf EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994, I-5439 bzw. NJW 1995, 1883 (Tatry/Maciej Rataj). 229 BGH Trägermaterial für Kartenformulare, Rn. 16 f. 230 BGH Trägermaterial für Kartenformulare, Rn. 20. 231 BGH Trägermaterial für Kartenformulare, Rn. 20 m. w. N., damit stellt sich der BGH indirekt auf die Seite der Befürworter eines Anspruchs wg. Missbrauchs außerhalb der EuGVVO, etwa aufgrund von Art. 6 Nr. 1 EMRK.
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bb) Italien (1) Tribunale di Bologna „Verpackungsmaschine I“ Das Tribunale di Bologna entschied, dass negative Feststellungsklagen generell nicht unter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO fielen.232 Bei einer negativen Feststellungsklage verneine der im Klageantrag geschilderte Sachverhalt gerade die unerlaubte Handlung anstatt sie – wie im Falle einer positiven Schadensersatz- oder Unterlassungsklage – zu untermauern.233 Der Tatbestand würde daher „von der Partei ausdrücklich als rechtmäßig bezeichnet und wird als solcher nicht vom Begriff der unerlaubten Handlung und/oder der ihr gleichgestellten Handlung i. S. d. oben angeführten Norm des Übereinkommens erfasst.“234 Das Tribunale di Bologna sah seine Entscheidung im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung, da nach dieser die unerlaubte Handlung (nur) „als ein autonomer Begriff anzusehen (ist), der sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Bekl. geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag (…) anknüpfen“.235 (2) Corte di Cassazione „Verpackungsmaschine II“ In der Berufungsinstanz teilte der Corte di Cassazione im Wesentlichen die formale Argumentation des erstinstanzlichen Tribunale, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erfasse nur Fragen, „die auf die Feststellung eines Schadens gerichtet und mit einer derartigen Feststellung funktionell verbunden“ seien.236 Der Corte setzte effektiv den Ort, an dem eine negative Feststellungsklage erhoben wird, dem Handlungsort gleich und ordnete damit den Fall in die EuGH-Rechtsprechung zur Nähe der Gerichte (bzw. zum „Mosaikprinzip“) ein: Bei der Feststellung der fehlenden Unrechtmäßigkeit (i. R. d. negativen Feststellungsklage) sei die „Ratio, welche die ausnahmsweise Zuständigkeit des Richters am Ort des Schadens rechtfertigt“, nicht gegeben. (3) Tribunale di Milano – einstweiliges Verfügungsverfahren In einem einstweiligen Verfügungsverfahren schloss sich 2007 das Tribunale der Argumentation des Corte di Cassazione im Verfahren Verpackungsmaschine II an.237 Zu erwähnen ist, dass das Gericht, von der Klageerhebung an gerechnet, zwei Jahre
232 Tribunale di Bologna, Urteil vom 16. September 2008, Az.: I ZR 236/97, übersetzt in: GRUR Int 2000, 1021 (Verpackungsmaschine). 233 Vgl. Verpackungsmaschine, GRUR Int 2000, 1021 (Tenor). 234 Tribunale di Bologna Verpackungsmaschine, GRUR Int 2000, 1021. 235 Tribunale di Bologna Verpackungsmaschine, GRUR Int 2000, 1021 mit Verweis auf EuGH Kalfelis/Schröder, 2. Ls. 236 Corte di Cassazione, Urteil vom 19. Dezember 2003, Az.: Nr. 19550, übersetzt in: GRUR Int 2005, 264 (Verpackungsmaschine II). 237 Tribunale di Milano, Urteil vom 26. März 2007, No. 3373; Betti, The Italian torpedo is dead: long live the Italian torpedo, JIPLP 2008, 3. Ausg., S. 6 f.
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zur Feststellung seiner Unzuständigkeit238 benötigte, was wesentlich über dem europäischen Durchschnitt lag.239 (4) Kritik Auf den ersten Blick mag die Einordnung der negativen Feststellungsklage des Tribunale di Bologna [s. o., (1)] einleuchten. Im Gegensatz zu Leistungsklagen steht bei negativen Feststellungsklagen ja gerade die Feststellung, dass keine haftungsbegründende Verletzung bestehe, im Mittelpunkt. Aus der Tatsache, dass der EuGH Klagen mit dem Ziel der Schadenshaftung eines Beklagten als unerlaubte Handlung qualifiziert, lässt sich jedoch nicht schon den Umkehrschluss ziehen, dass Klagen, zur Feststellung, dass eine unerlaubte Handlung nicht besteht nicht erfasst sein sollen. Dagegen spricht, dass der EuGH in der vom Tribunale angeführten Entscheidung lediglich eine Abgrenzung deliktischer Handlungen zu Verträgen vornehmen wollte240 und nicht etwa Klagearten abzugrenzen oder auszuschließen beabsichtigte. Gegen einen Ausschluss negativer Feststellungsklagen aus dem Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO spricht auch die Rechtsprechung des EuGH zur Identität des Klageanspruchs von negativer und positiver Feststellungsklage: Zu Art. 29 Abs. 1 EuGVVO (Art. 21 EuGVÜ a. F.) befasste sich der EuGH damit, „ob zwei Klagen denselben Gegenstand haben, wenn die erste auf die Feststellung gerichtet ist, daß der Kläger für einen von den Beklagten behaupteten Schaden nicht haftet, während die zweite, später von letzteren erhobene Klage im Gegensatz dazu auf die Feststellung, daß der Kläger des ersten Verfahrens für den Schaden haftet, und auf dessen Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet ist.“241 Der Gerichtshof kommt zu dem Schluss, dass die bloße negative Formulierung eines Antrags nicht bewirkt, dass der Anspruch sich von dem einer Klage mit positiv formuliertem Antrag unterscheidet.242 Die Norm sei dahingehend auszulegen, „daß eine Klage, die auf die Feststellung, daß der Beklagte für einen Schaden haftet, und auf dessen Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet ist, denselben Anspruch betrifft wie eine von diesem Beklagten früher erhobene Klage auf Feststellung, daß er für diesen Schaden nicht haftet.“243 Zwar erging das Urteil zum Begriff des „Anspruchs“ gem. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO (Art. 21 EuGVÜ a. F.). Jedoch muss konsequenterweise der insoweit gleichlautende Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einheitlich ausgelegt werden. Schließlich ist 238
Betti, JIPLP 2008, 3. Ausg., S. 6 f. Für eine Übersicht über die Verfahrensdauer in unterschiedlichen Mitgliedstaaten s. Milbradt, in: Milbradt, Patent Litigation in Germany, 2012, S. 186. 240 Vgl. EuGH Kalfelis/Schröder, Ls. 2. 241 EuGH Tatry/Maciej Rataj, Rn. 42 f. 242 EuGH Tatry/Maciej Rataj, Rn. 43, s. auch BGH, Trägermaterial für Kartenformulare, Rn. 15. 243 EuGH Tatry/Maciej Rataj, Rn. 45. 239
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kein Grund ersichtlich, weshalb für deliktische Ansprüche anderes gelten soll als für „Ansprüche“ i. S. d. ht. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO, welcher für sämtliche Klagen Geltung hat, mit denen u. a. vertragliche wie auch deliktische Ansprüche geltend gemacht werden können.244 cc) Belgien Der Gerechtshof Brüssel erklärte sich in einem Urteil für die Entscheidung über eine negative Feststellungsklage eines potenziellen Schädigers für unzuständig, da er die für Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erforderliche Nähe zum Gerichtsstand verneinte.245 Darüber hinaus verurteilte er den Kläger wegen missbräuchlicher Ausnutzung seiner Klagemöglichkeiten.246 dd) EuGH „Folien Fischer e. a./Ritrama“ (1) Rechtliche Beurteilung des EuGH In einem 2012 ergangenen Urteil erklärte der EuGH ausdrücklich, dass auch Torpedoklagen unter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO unterliegen.247 Dies begründet er mit der weiten Formulierung der Norm, die neben der unerlaubten Handlung selbst bzw. der unerlaubten Handlung gleichgestellten Handlungen auch solche Klagen erfasst, bei denen „Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden“. Des Weiteren bezwecke der zusätzliche Gerichtsstand nicht die Begünstigung des (potenziellen) Schädigers, sondern vielmehr eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens durch die Wahl eines sach- und beweisnäheren Gerichts. Dies gelte unabhängig davon, ob der Geschädigte in der Kläger- oder Beklagtenrolle ist, da sich die Klagen in beiden Fällen „im Wesentlichen auf dieselben tatsächlichen und rechtlichen Aspekte“ bezögen.248 (2) Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen Die Entscheidung des EuGH überraschte, da sich der Generalanwalt Jääskinen zuvor in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 noch gegen eine Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf Torpedoklagen entschied.249 Er führte unter anderem an, dass die Torpedoklage anders als eine Schadensersatzklage „auf den Ausschluss der Haftung des Klägers gerichtet (sei).“250 Die EuGVVO bezwecke nicht, den 244
Im Ergebnis auch Sujecki, Torpedoklagen, GRUR Int 2012, 18, 21. Rechtbank van eerste aanleg te Brüssel, Urteil vom 12. Mai 2000, übersetzt in GRUR Int 2001, 170 (Röhm Enzyme). 246 Vertiefend zur missbräuchlichen Ausnutzung von Klagen s. u., b). 247 EuGH Folien Fischer e. a./Ritrama, Rn. 55. 248 EuGH Folien Fischer e. a./Ritrama, Rn. 36 ff. 249 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen zu Rs. C-133/11 vom 19. April 2012. 250 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen, Rn. 47. 245
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Schädiger besser zu stellen, sondern (lediglich) den mutmaßlich Geschädigten [vgl. auch Argumentation des EuGH, o., a)], weshalb die Norm nicht auf Torpedoklagen anwendbar sei. Die für Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vom EuGH vorgesehene Nähe zu nationalen Gerichten sieht Jääskinen bei Torpedoklagen generell als nicht gegeben an. Er überträgt das vom EuGH vorgebrachte Argument der Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Feststellungsklage, aus dem der EuGH eine Anspruchsidentität beider Klagen gefolgert hat251, nicht auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, da sich die Ausführungen auf den „Gegenstand des Rechtsstreits“ i. S. d. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO, nicht aber – wie hier – auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bezögen. Der Generalanwalt wählte hierbei offensichtlich einen praktischen Ansatz und betonte „(e)ine Auslegung (…) die in der Theorie befriedigend ist, aber derartige praktische Probleme aufwirft, (…) (sei) zu vermeiden“.252 ee) Bewertung und Zwischenergebnis Die oben dargestellten Urteile sind lediglich eine prominente Auswahl der gerichtlichen Entscheidungen, die darauf abzielen, die Torpedoproblematik über den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu lösen.253 Indem man den Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für negative Feststellungsklagen für unanwendbar erklärt, ließen sich womöglich „auf einen Schlag“ potenzielle Missbrauchsfälle des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO eindämmen. Auch wenn diese Lösung „nur“ solche Fälle erfassen würde, in denen sich die klagende Partei (ausschließlich) auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung stützt254, trifft diese Konstellation doch auf eine Vielzahl der Torpedofälle zu.255 Aus dogmatischer Sicht lassen sich jedoch kaum Argumente dafür finden, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVVO diese einschränkende Auslegung zuteilwerden sollte.256 Gerade der zweite Halbsatz des Art. 7 Nr. 2 Satz 1 EuGVVO, der auch Klagen erfasst, die Ansprüche aus unerlaubter Handlung zum Gegenstand haben, deutet darauf hin, dass die Norm extensiv auszulegen ist. Zudem müsste hier die weite Rechtsprechung des EuGH, die sich anlässlich des Begriffs der „Ansprüche“ i. S. v. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO entwickelt hat, Niederschlag finden [vgl. o., insb. a) bb) (4)], nach der positive und negative Feststellungsklage denselben An-
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Zum Argument der Spiegelbildlichkeit zum gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 LugÜ s. auch Schweizer Bundesgericht, Urteil vom 13. März 2007, Az.: 4C.318/2006, IPRax 2008, 544. 252 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen, Rn. 71. 253 Kühnen, Handbuch, Rn. 1208 m. w. N.; Sujecki, Torpedoklagen, GRUR Int 2012, 18, Rn. 5. 254 Kühnen, Handbuch, Rn. 1208. 255 Dagegen wird der Gerichtsstand auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO selten zu wählen sein, da der Beklagte ihn durch seinen Wohnsitz vordefiniert, d. h. keine Wahlmöglichkeiten des Klägers bestehen. 256 So auch Magnus, EuGH: Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bei negativen Feststellungsklagen, LMK 2013, 341419 (verfügbar über http://www.beck-online.de).
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spruch betreffen.257 Auch ist zu bedenken, dass eine Lösung des Torpedo-Problems per Ausschluss aus dem Geltungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gravierende praktische Nachteile zur Folge hätte: Ein Sich-unzuständig-Erklären kann nämlich eine Verzögerung des Verletzungsverfahrens nicht verhindern. Schließlich hat das Gericht der Zweitklage das Verfahren so lange auszusetzten bis das Erstklagegericht sich für unzuständig befunden hat und darf in diesem Rahmen auch nicht seine Gerichtszuständigkeit eigenständig überprüfen. So wäre die Gefahr jahrelanger Verzögerungen letztlich nicht gebannt. Zwar wurde langen Verfahrensdauern sowohl den in „Torpedoländern“ Italien258 als auch Belgien259 durch Reformen entgegengewirkt. Das Urteil des Tribunale di Milano von 2007 zeigt jedoch für Italien, dass die oben bezeichnete Rechtsreform260 auch Jahre nach ihrer Einführung noch nicht zu einem akzeptablen Ergebnis geführt hat: Eine derzeit noch zweijährige Verzögerung – lediglich zur Klärung der Zuständigkeitsfrage – ist für Patentinhaber nicht hinnehmbar. Eine erfolgreiche Eindämmung von Torpedoklagen ist also nur möglich, wenn in einem beschleunigten Verfahren Zuständigkeitsfragen geprüft würden. b) Berufung auf rechtmissbräuchliche Ausnutzung des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO aa) Deutschland Im Urteil Cholesterin-Test261 stellte das LG Düsseldorf anlässlich einer Zweitklage Voraussetzungen für eine missbräuchliche Ausnutzung des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO auf. Nach dem Gericht liegt eine missbräuchliche Ausnutzung vor, wenn 1. das Gericht der negativen Feststellungsklage offensichtlich unzuständig ist und 2. das Verfahren vor dem Gericht der Erstklage nicht oder ohne Grund derart langsam geführt wird, dass das Recht des Klägers auf eine ordnungsgemäße 257 Vor allem aus diesen Gründen wird der Ausschluss von Torpedoklagen aus der Deliktszuständigkeit auch vom Schrifttum abgelehnt, vgl. Sujecki, Torpedoklagen, GRUR Int 2012, 18; Franzosi, Torpedoes Are Here to Stay, IIC 2002, 154, 158 ff.; Pitz, Rn. 245a (zum Wortlaut), Mes, in: Mes, PatG, § 143, Rn. 28 (zur Chancengleichheit beim Gerichtsstand der unerlaubten Handlung); Luginbuehl, European Patent Law – Towards A Uniform Interpretation, Cheltenham 2011, S. 56 ff.; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 195. 258 Ein Gesetz von 2003 regelt die Errichtung neuer Spezialkammern für geistiges Eigentum bei bestimmten italienischen Gerichten, Bastian, Italien – Spezialgerichte für Geistiges Eigentum, GRUR Int 2003, 1045. Jandoli weist darauf hin, dass diese Reform die Dauer der Prozesse vor italienischen Gerichten effektiv verkürze, s. Jandoli, The Italian Torpedo, IIC 2000, 783, 788; s. auch Leitzen, GRUR Int 2004, 1010, 1011 f. 259 Belgische Gerichte haben eine Vorabentscheidungsmöglichkeit in Zuständigkeitsfragen eingeführt, Leitzen, GRUR Int 2004, 1010, 1012. 260 s. o., Fn. 258. 261 LG Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2002, Az.: 4a O 4/00, InstGE 3, 8 (Cholesterin-Test).
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Durchführung des Patentverletzungsverfahrens praktisch vereitelt würde, wenn es zu einer Aussetzung nach Art. 29 Abs. 1 EuGVVO käme.262 Damit sind die Anforderungen an einen Missbrauch, der im Übrigen zu einer Verwehrung der Aussetzung des Zweitverfahrens führen würde, relativ hoch. Insbesondere ist unklar, wann genau die Durchführung des Patentverletzungsverfahrens praktisch vereitelt würde. Man wird wohl regelmäßig davon ausgehen müssen, dass ein Verfahren erst praktisch vereitelt ist, wenn die Verhandlungen der Zuständigkeit bzgl. des Erstprozesses schon eine erhebliche Zeit andauern. Das macht diese Lösung zu einer ultima ratio-Rechtsprechung, die dem schutzwürdigen Kläger nicht ausreichend entgegenkäme. Fraglich ist zudem, ob ein derartiges Vorgehen mit Art. 29 Abs. 1 EuGVVO im Einklang steht, da das Zweitgericht zur Prüfung einer offensichtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts notwendigerweise Überlegungen zu treffen hätte, die im Ergebnis die strenge Priorität des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO überflüssig machen würden.263 Ein derartiges Vorgehen würde dem Wortlaut der Norm zuwiderlaufen. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO sieht nämlich eindeutig vor, dass „das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen“ aussetzt und eben nicht noch eine Prüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts vornimmt. Eine Überprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts könnte dahin ausufern, dass Gerichte eine Aussetzung lediglich wegen einer voraussichtlich überlangen Verfahrensdauer beim Erstgericht und den sich daraus ergebenden Konsequenzen ablehnten. Dies hat der EuGH aber gerade verhindern wollen.264,265 Nach Haertel ist davon auszugehen, dass sich das LG Düsseldorf mittlerweile von der Missbrauchsrechtsprechung abgewendet hat.266 bb) Belgien Die Kläger erhoben vor der Rechtbank in Brüssel eine negative Feststellungsklage bzgl. einer ihnen vorgeworfenen Patentverletzung sowie zugleich Klage auf Fest-
262
Die Argumentation wie BGH, Urteil vom 26. Januar 1983, Az.: IVb ZR 335/81, NJW 1983, 1269, zum deutsch-italienischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen, Pitz, Teil 10, Rn. 244 m. w. N. 263 Ausführlich zur fehlenden Möglichkeit des Zweitgerichts, die Zuständigkeit des Erstgerichts zu prüfen s. Leible, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 3. Aufl. München 2011, Art. 27, Rn. 16. 264 EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2003, Rs. C-116/02, EuZW 2004, 188 (Erich Gasser GmbH/MISAT Srl) (3. Ls.). 265 Dennoch spricht sich der überwiegende Anteil der dt. Lit. für eine Durchbrechung der Rechtshängigkeitssperre bei rechtsmissbräuchlich erhobenen negativen Feststellungsklagen aus, vgl. Rojahn, Neues vom Torpedo oder Totgesagte leben länger, in: FS Mes, S. 303, 309 m. w. N.; 317. 266 Vertiefend Haertel, Italienischer Torpedo 2.0 – Anmerkungen zu LG Düsseldorf, GRUR-RR 2009, 402 – Italienischer Torpedo und OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2009, 401 – Torpedo, GRUR-RR 2009, 373.
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stellung der Nichtigkeit des belgischen Teils des europäischen Klagepatents.267 Das Gericht befand, dass sie Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ausnutzten, um sich einen zeitlichen Vorteil zu verschaffen. Dies begründete es damit, dass das Gericht weder nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO noch gem. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO für die Verhandlung der negativen Feststellungsklage zuständig sei. Die zugleich erhobene Nichtigkeitsklage, für die die gerichtliche Zuständigkeit gem. Art. 16 Nr. 4 EuGVVO begründet wurde, qualifizierte der Gerechtshof ebenso als missbräuchlich. Die „Frage der Gültigkeit des Patents“ sei „ausgerechnet in Belgien“ erhoben worden, obwohl der Rechtsstreit gebietsmäßig den gesamten Geltungsbereich des europäischen Patents erfasse.268 cc) Frankreich Das Pariser Gericht erklärt in seinem Urteil Art. 29 Abs. 1 EuGVVO (Art. 21 EuGVÜ a. F.) für unanwendbar, „(w)enn die Erhebung einer negativen Feststellungsklage in einem EuGVÜ-Vertragsstaat zum Ziel hat, eine später in einem anderen EuGVÜ-Vertragsstaat anhängig gemachte Verletzungsklage zu blockieren.“ Dies stelle „eine Instrumentalisierung und Umgehung des europäischen Zivilprozeßrechts dar.“269 Die Tatsache, dass das Gericht für einen Missbrauch scheinbar nur die Klageerhebung und die subjektive Komponente „Ziel des Verzögerns“ verlangt, ist bedenklich, da die Kriterien sehr vage erscheinen und schlecht zu belegen sein dürften. Die Verzögerung des Verfahrens müsste für eine eindeutige Abgrenzung vielmehr der tragende Grund bzw. das vorrangige Ziel des eingeleiteten Verfahrens sein. Das Gericht hat den Rechtsmissbrauch allein aus dem in Italien eingereichten Klageantrag hergeleitet.270 Diese Rechtsprechung kann auch angesichts der Gleichwertigkeit der Gerichtsstände der EuGVVO keinen Bestand haben. dd) Bewertung und Zwischenergebnis Einige Gerichte der Mitgliedstaaten gewähren dem Kläger im Falle vorangegangener Torpedoklagen unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen eine Verhandlung des – eigentlich blockierten – Verfahrens der Zweitklage. Ein Gebrauch rechtlicher Gestaltungsmittel kann für sich genommen keinen Missbrauch darstellen, weshalb das bloße „Rennen um die Zuständigkeit“ von Patentinhaber und ver-
267
Rechtbank van eerste aanleg te Brüssel, Urteil vom 12. Mai 2000, GRUR Int 2001, 170 (Röhm Enzyme). 268 Röhm Enzyme, GRUR Int 2001, 170, 173. 269 Tribunal de grande instance de Paris, Urteil vom 28. April 2000, übersetzt in GRUR Int 2001, 173 (The General Hospital/Bracco), 2. Ls. 270 Treichel, Anmerkung zu The General Hospital/Bracco, GRUR Int 2001, 173, 178.
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meintlichem Schädiger als systemkonform zu bezeichnen ist.271 Diesen Anforderungen genügt eine Rechtsprechung, die faktisch nur aus dem Klageantrag der Erstklage einen Missbrauch ableitet [vgl. o., sowohl das französische als auch das belgische Urteil, cc) bzw. bb)], nicht. Dies wäre allenfalls der Fall, wenn Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ausdrücklich einen Missbrauchsvorbehalt (wie bspw. Art. 8 Nr. 2 EuGVVO) enthielte. Vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ist zudem die – wohl mittlerweile überholte – Rechtsprechung des LG Düsseldorf anlässlich des Urteils „Cholesterin-Test“ abzulehnen. c) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO Wiederum andere Gerichte wollen Torpedos durch eine einschränkende Auslegung der lis pendens Regel des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO Einhalt gebieten. aa) Keine Identität von Ansprüchen bzw. Parteien Der Fall Italienischer Torpedo272 des LG Düsseldorf unterscheidet sich durch zwei wesentliche Punkte von „klassischen“ Torpedofällen: Einerseits klagte in der Erstklage die vermeintliche Verletzerin gegen die Patentinhaberin, während die spätere Leistungsklage durch die ausschließlichen Lizenznehmer (Tochterunternehmen der Patentinhaberin) geführt wurde. Andererseits wurde die ursprüngliche negative Feststellungsklage auf Grundlage einer Stammanmeldung273 eines Patents geführt. Etwaige darauffolgende Teilanmeldungen waren zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die potenzielle Schädigerin hat daher ihre Klageschrift nicht auf die Stammanmeldung beschränkt, sondern abgeleitete Ansprüche mit einbezogen.274 Die spätere positive Feststellungsklage bezog sich sodann auf Teilanmeldungen. Aus dieser besonderen Situation folgend, setzte sich das Landgericht vor allem mit zwei Aspekten, der Partei- und Anspruchsidentität, auseinander. Die Parteiidentität verneinte das Landgericht trotz der Tatsache, dass die Lizenznehmer abhängige Unternehmen des Patentinhabers waren, mit Hinblick auf die EuGHRechtsprechung, die fordert, dass das Interesse der Parteien von Erst- und Zweitverfahren soweit übereinstimmen müsse, dass das Urteil gegen die eine Partei
271 von Falck, Einstweilige Verfügungen in Patent- und Gebrauchsmustersachen, MittdtPatAnw 2002, 429, 434. 272 LG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2009, Az.: 4b O 218/08, GRUR-RR 2009, 402 (Italienischer Torpedo). 273 Stammanmeldungen sind Patentanmeldungen aus denen eine Teilanmeldung abgetrennt wurde, vgl. Gruber/Adam/Haberl, Europäisches und internationales Patentrecht, 6. Aufl. München 2008, Rn. 5.16. 274 LG Düsseldorf Italienischer Torpedo, GRUR-RR 2009, 402.
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Rechtskraft gegenüber der anderen entfaltet.275 Das sei bei Patentinhaber und ausschließlichem Lizenznehmer allgemein nicht der Fall. Die Anspruchsidentität lehnte das Gericht ab, da sich die Erstklage auf das Stammpatent bezog, in der die späteren Teilanmeldungen, auf die sich die Zweitklage bezog, noch nicht ausdrücklich benannt werden konnten. Zu Recht kritisiert Haertel das Vorgehen des Gerichts „einen rein formalen Vergleich zwischen den Schutzrechtsnummern anzustellen“, da „gerade bei Teilanmeldungen der Schutzbereich zum Stammpatent weitestgehend identisch ist“. Es böte sich vielmehr an, „inhaltlich die Schutzbereiche zu vergleichen“.276 Diese formale Sichtweise beruht allem Anschein nach auf der Ansicht, dass Art. 32 Abs. 1 EuGVVO, so auszulegen sei, dass der „Kernpunkt“ des Verfahrens aus den verfahrenseinleitenden Schriftstücken zu beurteilen sei.277 Die Entscheidung italienischer Torpedo bietet keinen allgemein gültigen Lösungsweg aus der Torpedoproblematik, sondern gilt lediglich für den besonderen Fall, in dem Erst- und Zweitklage unterschiedliche (Stamm- und Teil-)anmeldungen zum Gegenstand haben. bb) Keine Identität der Streitgegenstände von Erst- und Zweitklage Die Rechtsache The Hospital Group/Bracco278 des Tribunale de grande instance de Paris betrifft ein Zweitverfahren. Nachdem die Klägerin in Paris Klage erhob, stellte die Beklagte aufgrund einer zuvor in Italien erhobenen negativen Feststellungsklage einen Aussetzungsantrag. Trotz Anhängigkeit des Verfahrens in Italien hatte der Aussetzungsantrag vor dem Zweitgericht keinen Erfolg. Zwar ging es von einer Identität der Anspruchsgrundlagen aus, verneinte jedoch die Identität des Streitgegenstands. Zur Begründung führte es aus, dass die in Italien anhängige negative Feststellungsklage darauf abziele, dass die Antragstellerin (weiterhin) ihr Produkt vermarkten kann. In Frankreich solle dagegen die „dort stattgefundene Rechtsverletzung“ geahndet werden.279 Auch die hilfsweise Aussetzung über Art. 30 EuGVVO wies das Gericht mit Hinweis auf das ihm eingeräumte Ermessen ab.
275
LG Düsseldorf Italienischer Torpedo, GRUR-RR 2009, 402 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 19. Mai 1998, Slg. 1998, 3075 (Drouot/CMl) (1. Ls.). 276 Haertel, Italienischer Torpedo, GRUR-RR 2009, 373, 375. 277 Erwägung ergänzt durch das Berufungsgericht, s. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Juli 2009, Az.: I-2 W 35/09, GRUR-RR 2009, 401 (Torpedo) (unter Klgrd. I). 278 Tribunal de grande instance de Paris, Urteil vom 28. April 2000 übersetzt in: GRUR Int 2001, 173 (The General Hospital/Bracco). 279 Zweifel an der Identität bestanden, da die zuvor erhobene negative Feststellungsklage sich auf alle Patentansprüche, die darauffolgende Leistungsklage sich dagegen nur auf die Verletzung ausgewählter Patentansprüche bezog.
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Eine derartige Auslegung des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO würde die Torpedoproblematik effektiv beseitigen: Zweitklagen in den eigentlich „lahmgelegten“ Schadensersatzverfahren könnten so verhandelt werden, ohne dass eine Entscheidung über die Zuständigkeit im Erstverfahren abgewartet werden müsste. Die Argumentation des Gerichts läuft aber grundlegend der Meinung des EuGH zuwider, da der EuGH bereits entschied, dass die „Gegenstände“280 miteinander korrespondierender negativer Feststellungs- und positiver Leistungsklagen übereinstimmten.281 cc) Zwischenergebnis Das Urteil des Tribunale de grande instance de Paris bietet potenziell einen Lösungsansatz für Torpedoklagen auf Grundlage von Art. 29 Abs. 1 EuGVVO. Eine Identität der Gegenstände von positiven und negativen Feststellungsklagen per se zu verneinen verstößt allerdings klar gegen die – zuletzt durch sein Urteil in der Rechtssache Folien Fischer bestätigte282 – EuGH-Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 1 EuGVVO, vor allem, da der weite Wortlaut der Norm ignoriert würde. d) Garantie des Zweitverfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK Vor allem im Schrifttum wird der Gedanke erwogen, „notfalls“ eine Zuständigkeit des Zweitgerichts über Art. 6 Abs. 1 EMRK herbeizuführen. Das dort manifestierte Recht auf ein faires Verfahren (sog. fair-trial-Grundsatz) beinhalte auch das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer. Hein befürwortet sogar, dieses Recht ausschließlich derart und nicht „durch eine wertend modifizierende Auslegung des Art. 27“ durchzusetzen.283 Diese Lösung ist eher theoretischer Natur, da sie den offensichtlichen Nachteil birgt, dass sie eine gewisse Verzögerung voraussetzt.284 So verbleibt dem vermeintlichen Schädiger in jedem Fall der Vorteil einer Prozessverzögerung. e) Einfluss von Torpedoklagen auf einstweilige Verfügungen Grundsätzlich können einstweilige Verfügungen gem. Art. 35 EuGVVO auch im Falle von Torpedoklagen erhoben werden, da Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nicht an280 Der Begriff „Gegenstand“ ist in der deutschen Fassung des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nicht enthalten. Stattdessen lautet die Formulierung „Klagen wegen desselben Anspruchs“. 281 Vgl. o., 2. a) ee). 282 Vgl. o., 2. a) ee) m. w. N. 283 von Hein/Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 21 m. w. N. 284 Vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Februar 2002, NJW 2002, 2795, 2796, in welchem der BGH feststellt, dass eine „überlange Verfahrensdauer“ in dem streitgegenständlichen Erstverfahren „bislang nicht der Fall“ ist.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
wendbar ist.285 Verschiedene Beschlüsse des LG Düsseldorf haben in den vergangenen Jahren den Einfluss von Torpedoklagen auf den Erlass einstweiliger Verfügungen diskutiert. In der Rechtssache Kondensatorspeicherzellen286 hat sich das Zweitgericht mit der Frage beschäftigt, ob es in den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens die Zuständigkeit des Erstgerichts überprüfen darf. Die Antragstellerin stützte ihre Argumentation, dass ein Verfügungsgrund gegeben sei, darauf, dass das Hauptsacheverfahren wegen Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ausgesetzt werden müsse. Zwar lehnte das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab, da Art. 29 Abs. 1 EuGVVO mangels Identität der Parteien nicht anwendbar war und es folglich nicht zu den von der Antragstellerin vorgetragenen Verzögerungen im Hauptsacheverfahren kommen konnte. Es ging aber davon aus, dass im konkreten Fall eine Dringlichkeit gegeben sei, „wenn das Hauptsacheverfahren mit Rücksicht auf die in Italien anhängigen Prozesse nach Art. 21 EuGVÜ [ht. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO] ausgesetzt werden müßte.“ Damit, gab das Gericht im Grundsatz der Antragstellerin Recht.287 Vor allem in Fällen, in denen das Verfügungspatent nur noch eine relativ kurze Laufzeit hat, sodass im Falle einer jahrelangen Verzögerung Rechte aus dem Patent grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden könnten, ist diese Entscheidung von Bedeutung.288 In der Rechtssache NMR-Kontrastmittel289 entschied das LG Düsseldorf, dass die bloße Tatsache, dass eine Torpedoklage anhängig ist und daher bis auf Weiteres ein Hauptsacheverfahren verzögert, nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt.290 In dem späteren Urteil HIV-Immunoassay291 lehnte das Gericht bzgl. einer einstweiligen Verfügung den Verfügungsgrund (d. h. die Dringlichkeit) für den Fall ab, dass eine Patentverletzungsklage vor Erhebung der negativen Feststellungsklage hätte erhoben werden können.292
285 LG Hamburg, Urteil vom 22. April 2002, Az.: 315 O 64/02, GRUR Int 2002, 1025 (Seifenverpackung); Kühnen, Handbuch, Rn. 1591. 286 LG Düsseldorf, Urteil vom 27. Januar 1998, Az.: 4 O 418/97, GRUR Int 1998, 803 (Kondensatorspeicherzellen). 287 Das ist nach der Rechtsprechung des LG Düsseldorf grds. nicht der Fall, s. LG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Februar 1998, Az.: 4 O 127/97, GRUR Int 1998, 804 (1. Ls., 2. Satz) (Impfstoff I). 288 s. hierzu auch Meier-Beck, Aktuelle Fragen des Patentverletzungsverfahrens, GRUR 1999, 379, 383. 289 LG Düsseldorf, Urteil vom 8. Juli 1999, Az.: 4 O 187/99, GRUR 2000, 692 (NMRKontrastmittel). 290 NMR-Kontrastmittel, GRUR 2000, 692 (2. Ls.). 291 LG Düsseldorf, Urteil vom 24. September 2001, Az.: 4a O 162/01, GRUR Int 2002, 157 (HIV-Immunoassay). 292 LG Düsseldorf HIV-Immunoassay, GRUR Int 2002, 157 (Ls.).
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3. Ergebnis: Torpedoklagen weiterhin möglich Torpedoklagen auf Grundlage von Art. 29 Abs. 1 EuGVVO sind zu einer bedeutsamen Problematik des internationalen Zivilprozessrechts, vor allem im Hinblick auf Immaterialgütersachen, geworden und sind – nach wie vor – nicht entschärft worden. Einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Befragung von Praktikern zufolge sind zwar in den vergangenen Jahren die Fallzahlen zurückgegangen.293 Dennoch gibt es weiterhin ein starkes Bedürfnis für eine einheitliche Regelung der Fälle. Schließlich wird am Beispiel der oben aufgeführten Urteile offensichtlich, dass es – trotz eines Rückgangs von Missbräuchen der lis pendens Regel des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO – an Mitteln mangelt, der Verzögerungstaktik effektiv zu begegnen.294 Zwar wurde in den Rechtssystemen Belgiens und Italiens nachgebessert. Jedoch bietet die zunehmend größer werdende Anzahl von EPÜ-Vertragsstaaten zahlreiche neue Rechtsforen, die unerfahren mit Patentverletzungsklagen und daher anfällig für Prozessverzögerungen sind.295 Angesichts der Tatsache, dass einem Missbrauch der internationalen Zuständigkeit Tür und Tor offenstehen, erstaunt es sehr, dass sich in den Mitgliedstaaten bzw. durch den EuGH bisher keine einheitliche Handhabe entwickelt hat. Vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts der geltenden lis pendens Regel des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO müssen jedenfalls die Gerichte des Zweitverfahrens weiterhin etwaige Verletzungsverfahren aussetzen, sofern Torpedoklagen vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten anhängig sind. Allein die Möglichkeit einer langen Verfahrensdauer genügt nicht, um eine Aussetzung zu verneinen. Auch die Möglichkeit, den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für negative Feststellungsklagen (d. h. auch für Torpedoklagen) generell für unanwendbar zu erklären, ist nach dem jüngsten Urteil des EuGH in Sachen Torpedoklagen nicht mehr gegeben. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu begrüßen, da sie der Praxis einiger Gerichte, negativen Feststellungsklagen – erkennbar nur aufgrund der theoretischen Missbrauchsmöglichkeit als Torpedoklagen – generell aus dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu verbannen, einen Riegel vorschiebt. Alle plausiblen Überlegungen, beispielsweise ein Ermessen des Zweitgerichts, würden jedenfalls eine ausdrückliche Regelung in der EuGVVO erfordern, denn nach dem Wortlaut der Normen und der dazu ergangenen höchstrichterlichen
293 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, Rn. 814. 294 So auch die Antwort des Bar Council of England and Wales auf das Grünbuch der Kommission zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen unter Rn. 4.7, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/justice/news/consulting_pu blic/0002/contributions/civil_society_ngo_academics_others/bar_council_of_england_and_ wales_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 295 Leitzen, GRUR Int 2004, 1010, 1012 m. w. N.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Rechtsprechung ist keine rechtliche Lücke ersichtlich, um Verzögerungstorpedos effektiv zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass die jüngst überarbeitete EuGVVO296 eine Neuregelung vermissen lässt, obwohl ursprünglich ein neu eingefügter Art. 29 Abs. 2 EuGVVO in einem Vorschlagspapier297 enthalten war, der wie folgt lautete: In den in Absatz 1 genannten Fällen stellt das zuerst angerufene Gericht innerhalb von sechs Monaten seine Zuständigkeit fest, es sei denn, dies erweist sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich. Auf Antrag eines mit der Streitigkeit befassten Gerichts teilt das zuerst angerufene Gericht dem später angerufenen Gericht mit, wann es mit der Streitigkeit befasst wurde und ob es die Zuständigkeit in der Hauptsache festgestellt hat beziehungsweise wann die Entscheidung über die Zuständigkeit voraussichtlich getroffen wird. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Die Regelung hätte im Wege der Verpflichtung des Erstgerichts eine Verzögerung auf sechs Monate begrenzt. Sie wäre geeignet gewesen, Torpedoklagen zu verhindern. Auch eine Überlegung, das Risiko von Torpedos zumindest dadurch zu mindern, dass „das später angerufene Gericht von seiner Pflicht entbunden werden sollte, das Verfahren gemäß der Rechtshängigkeitsvorschrift auszusetzen“, „wenn das zuerst angerufene Gericht offenkundig unzuständig ist“298, wurde nicht in die endgültige Neufassung der EuGVVO übernommen. In Art. 29 EuGVVO n. F. findet sich nun lediglich für den Fall einer Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 31 Abs. 2, 3 EuGVVO) eine Ausnahmeregelung von der ansonsten unveränderten lis pendens Regel vor. Patentinhaber werden daher weiterhin einem Torpedo, notfalls durch trickreiches Verhalten, entkommen müssen, bspw. indem sie eine ausschließliche Lizenz auf einen Dritten übertragen, welcher wiederum eine Patentverletzung nur für den Zeitpunkt nach der Übertragung geltend macht.299
296
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012 Nr. L 351. 297 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) vom 14. Dezember 2010, KOM(2010) 748 endg. 298 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. September 2010 zu der Umsetzung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. C 308, S. 42, Erwgrd. 22. 299 Nach der Rechtsprechung zur Parteiidentität kann in diesem Fall Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nicht greifen, s. Mes, in: Mes, PatG, § 139, Rn. 262, mit Verweis auf das Urteil des LG Düsseldorf vom 5. Juni 2008, Az.: 4a O 27/07, GRUR Int 2008, 756, 759 (Mehrschichtiges Verschlusssystem).
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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IV. Fazit: Cross-border-injunctions nicht praktikabel Der Überblick zu nationalen Urteilen zeigt, dass grenzüberschreitende Verletzungsverfahren im Patentrecht zumindest in den neunziger Jahren sehr populär waren. Zwei EuGH-Entscheidungen haben jedoch dazu geführt, dass der Crossborder litigation faktisch ein Ende gesetzt wurde: Der sog. Spider in the web Doktrin hat der EuGH eine ausdrückliche Absage erteilt, sodass eine gemeinsame Verhandlung multinationaler durch mehrere Beklagte begangener Patentverletzungen im EP-System selbst dann nicht möglich ist, wenn es sich um gleichartige Verletzungen handelt, die auf einem gemeinsamen Plan beruhen. Die sog. Mosaik-Rechtsprechung des EuGH hat dazu geführt, dass eine Verhandlung von in- und ausländischen Verletzungen eines EP durch nur einen Beklagten am Ort des Klägers nicht möglich ist. Lediglich auf Grundlage des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagtenwohnsitzes sind noch Verhandlungen in- und ausländischer Patentverletzungen möglich. Sofern sich ein Gericht hierzu zuständig erklären sollte, erlaubt die EuGVVO jedoch gewissermaßen eine Torpedierung dieser Zuständigkeit durch die bloße Einwendung der Patentnichtigkeit in einem anderen EP-Mitgliedstaat. Dies macht grenzüberschreitende Verfahren letztlich gänzlich unattraktiv. Diese Einschränkungen durch den EuGH gründen v. a. auf dem lediglich nationalen Charakter des Bündelpatents. Es wird daher nachfolgend untersucht, ob das Einheitspatent sachgerechtere Verhandlungsmöglichkeiten für den Fall grenzübergreifender Patentverletzungen bieten wird.300
B. Trennungs- oder Verbundsystem? Die Zuständigkeiten für die Patentverletzungs- und -nichtigkeitsverfahren sind in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich geregelt. Überwiegend sehen die Patentgerichtssysteme der Mitgliedstaaten vor, dass dieselben Gerichte sowohl für die Feststellung der Patentverletzung als auch der -nichtigkeit zuständig sind (nachfolgend bezeichnet als „Verbundsystem“). In diesen Mitgliedstaaten kann die Nichtigkeit i. R. v. Patentverletzungsprozessen einredeweise geltend gemacht werden. Eine Ausnahme hierzu stellen Deutschland, Österreich und einige andere Mitgliedstaaten301 dar, die jeweils eine Trennung von Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren vorsehen (nachfolgend bezeichnet als „Trennungssystem“). 300
s. hierzu u., Kap. 6 A. Weitere Mitgliedstaaten mit Trennungsprinzip sind Bulgarien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Ungarn, Tschechische Republik. Für eine Auflistung s. Clerix, Invalidation 301
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
An dieser Stelle wird untersucht, welches der beiden Systeme zu einem besseren Interessenausgleich zwischen den Verfahrensbeteiligten führt.
I. Wesentliche Eigenschaften des Trennungssystems Aus der getrennten Gerichtszuständigkeit für Patentverletzung bzw. -nichtigkeit302, folgt im Trennungssystem, dass, anstatt mittels Einrede, die Nichtigkeit des Klagepatents nur klageweise eingewendet werden kann. Die Jurisdiktion des Richters im Patentverletzungsverfahren ist daher im Trennungssystem beschränkt: Er darf nicht den Rechtsbestand des Klagepatents in Frage stellen.303,304 Der Patentverletzungsprozess wird in Deutschland gem. § 148 ZPO ggf. nach freiem Ermessen des Richters ausgesetzt. Allerdings kommt eine Aussetzung in der Praxis eher selten infrage. Weder die Anhängigkeit eines Nichtigkeitsverfahrens305 noch ein patentaufhebendes Urteil in erster Instanz306,307 führt zwangsläufig zur Aussetzung des Patentverletzungsverfahrens. Verletzungsverfahren im Trennungssystem werden also in der Regel nicht unterbrochen und können damit grds. zügiger abgeschlossen werden als Prozesse im Verbundsystem, da nicht zusätzlich der Rechtsbestand des Klagepatents von demselben Gericht zu prüfen ist.308 Strengere Anforderungen an den Rechtsbestand gelten allerdings bei einstweiligen Verfügungsverfahren.309 proceedings as a counter-attack according to split litigation systems, epi Information 1/2009, 14, 18, verfügbar unter http://www.patentepi.com. Zu Bulgarien und Rumänien s. Micsunescu, Der Amtsermittlungsgrundsatz im Patentprozessrecht, Diss. Tübingen 2010, S. 224 f.; insb. zum System in Ungarn s. Kereszty/Machytka-Frank (u. a.), AIPPI-Report of Hungary national group: The patentability criterion of inventive step/non-obviousness, verfügbar unter: https:// www.aippi.org/download/commitees/217/GR217hungary.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 302 Vgl. § 65; §§ 81 ff. PatG bzw. § 156; §§ 112 ff. öPatG. 303 Mes, in: Mes, PatG, § 81, Rn. 6 m. w. N. aus der dt. Rspr. 304 Eine eingeschränkte Überprüfung der Erfolgsaussichten bei der Überprüfung einer Aussetzung ist in Österreich und Deutschland möglich. Das österreichische PatG sieht ausdrücklich die Aussetzung vor, sofern ein Gericht die Nichtigkeit für wahrscheinlich hält (vgl. § 156 Abs. 1, 3 Satz 3 öPatG). 305 In seiner Grundsatzentscheidung Transportfahrzeug hat der BGH in Übereinstimmung mit dem BPatG entschieden, dass eine Aussetzung des Verfahrens bei Nichtigkeitsverfahren in erster Instanz nur in Betracht kommt, „wenn das Klagepatent mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtsbeständig sei.“ Das sei nur bei neuheitsschädlicher Vorwegnahme der Fall. Siehe BGH, Urteil vom 11. November 1986, Az.: X ZR 56/85, GRUR 1987, 284 (B., I.). 306 OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: 2 W 47/07, GRUR-RR 2008, 329, 331 (Olanzapin). 307 Für eine umfassende Auflistung der vom BGH geforderten Nichtigkeitswahrscheinlichkeiten in unterschiedlichen Instanzen s. Milbradt, in: Milbradt, S. 170 ff. 308 Pakuscher, Zur Reform des Nichtigkeitsverfahrens, GRUR 1977, 371, 374. 309 OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2010, Rs. 2 U 126/09, BeckRS 2010, 15862 (Harnkatheterset). Hier entschied das OLG, dass ein für die einstweilige Verfügung erfor-
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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Mit der Trennung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren geht allerdings auch die Möglichkeit unterschiedlicher Auslegungen des Klagepatents einher.310 Es besteht ein gewisses Risiko, dass eine spätere Nichtigerklärung einem bereits vollstreckten Titel aus einem im Verletzungsverfahren ergangenen Urteil den Boden entzieht.311
II. Wesentliche Eigenschaften des Verbundsystems Im Verbundsystem entscheidet ein und dasselbe Gericht über Verletzung und Nichtigkeit eines Patents. Dies kann aus Effizienzgesichtspunkten vorteilhaft sein, da Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren wesentliche Überschneidungspunkte aufweisen. Folgendes Beispiel macht eine Effizienzsteigerung deutlich: In Deutschland und der Schweiz lässt sich im Falle einer vom Kläger vorgebrachten äquivalenten Patentverletzung, d. h. einer Verletzung bei der die Merkmale des Patentanspruchs durch den patentverletzenden Gegenstand nicht wortsinngemäß aber gleichwirkend verwirklicht werden312, der sog. Formstein-Einwand313 erheben. Dem Verletzungsvorwurf der Äquivalenz kann mit dem Einwand begegnet werden, die Lehre des Klagepatents gehöre zum Stand der Technik, d. h. das Klagepatent sei nicht neu. In einem Trennungssystem müssten ggf. unterschiedliche Gerichte den Begriff der Neuheit unabhängig voneinander überprüfen, da er neben dem Formstein-Einwand auch als Nichtigkeitsgrund (i. R. d. fehlenden Neuheit) eine Rolle spielt. Dies wäre im Einheitssystem, in dem Gerichte ggf. einen Einwand der Patentnichtigkeit i. R. d. Verletzungsverfahrens mit überprüfen, nicht der Fall. Bei einem Vergleich beider Systeme kommt dem Verbundsystem außerdem zugute, dass eine Aussetzung des Verfahrens generell nicht vorkommt, da dasselbe Gericht Verletzungs- und Gültigkeitsaspekte beurteilt.314 Auch dies spricht grds. dafür, dass im Verbundsystem Patentverletzungsverfahren zügiger ablaufen.
derlicher Verfügungsgrund grds. nur dann gegeben sei, wenn von einem hinreichenden Rechtsbestand ausgegangen werden könne, was nur dann der Fall sei, „wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat“. 310 Pagenberg/Stauder/Singer, GRUR Int 2008, 689, 693. 311 s. näher hierzu u., IV. 312 Vgl. Nieder, Teil A. II., Rn. 22. 313 BGH, Urteil vom 29. April 1986, Az.: X ZR 28/85, GRUR 1986, 803, 805 (Formstein). 314 s. am Beispiel Frankreichs Véron, Der Patentverletzungsprozess in Frankreich – Ein Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland, MittdtPatAnw 2002, 386, 387.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
III. Vergleich der Systeme hinsichtlich Verfahrensdauer Während in der Literatur für das Trennungssystem vor allem das zügige Verletzungsverfahren angeführt wird, spricht für das Verbundsystem das insgesamt, d. h. im Hinblick auf sowohl Verletzungs- als auch Nichtigkeitsfrage, effizientere Vorgehen, da verwandte Aspekte durch denselben/dieselben Richter nur einmal behandelt werden müssen. Diese theoretischen Eigenschaften lassen jedoch nicht auf den tatsächlichen praktischen Nutzen schließen. Ein zuverlässiger Faktor zum Feststellen der Effizienz von Trennungs- und Verbundsystem in der Praxis ist die Verfahrensdauer, da ihre Heranziehung erlaubt, hinreichend zu berücksichtigen, dass Patente lediglich eine begrenzte Schutzdauer von 20 Jahren315 haben und daher eine zügige Klärung von Bedeutung ist, da ansonsten das „Monopolrecht“ des Patents für den Patentinhaber faktisch entwertet würde. 1. Methode Um die Verfahrensdauer in beiden Systemen zu vergleichen, muss der durchschnittlichen Dauer von Patentverletzungsprozessen im Verbundsystem das jeweils länger andauernde Verfahren im Trennungssystem gegenübergestellt werden. Dies ist sachgerecht, da gerade am Beispiel Deutschlands aufgezeigt werden kann, dass der Ausgang des Verletzungsverfahrens stark vom letztinstanzlichen Urteil im Nichtigkeitsverfahren abhängt.316 Zwar kann schon vor Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens ein (vorläufig) vollstreckbares Urteil, etwa auf Unterlassung bzw. Zahlung von Schadensersatz, ergehen. Rechtssicherheit besteht aber in jedem Fall erst mit Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens, da im Falle der Patentnichtigkeit selbst ein rechtskräftiges Urteil im Wege der Restitutionsklage317 aufgehoben werden kann. Daher besteht für einen ggf. beträchtlichen Zeitraum Rechtsunsicherheit für die Parteien.318
315
Bzw., sofern ein ergänzendes Schutzzertifikat (Supplementary Protection Certificate, SPC) in besonderen Fällen erteilt wurde, zusätzlich eine maximal fünf Jahre dauernde Marktexklusivität, die sich an die Patentlaufzeit anschließt, vgl. Dieners/Reese, Teil VIII., § 14, G., Rn. 165 ff. 316 s. Tagungsband des BPatG 2011, verfügbar unter: http://www.bpatg.de/cms/media/Das_ Gericht/Veranstaltungen/Symposien/bpatg_tagungsband_2011.pdf, S. 11 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 317 Vgl. § 580 ZPO. 318 Zur näheren Untersuchung dieses sog. injunction gap, s. u., IV.
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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2. Trennungssystem Dieser Abschnitt dient der Analyse der Verfahrensdauer im Trennungssystem am Beispiel Deutschlands [a)] und Österreichs [b)]. a) Deutschland Die Dauer des deutschen Nichtigkeitsverfahrens wird maßgeblich durch Verfahrensverzögerungen in Berufungsverfahren vor dem BGH beeinflusst. Bereits 2007 betrug, durch die stetig wachsende Zahl der Eingänge von Berufungen bedingt, der im Nichtigkeitsverfahren verursachte „Stau“ mehr als fünf Jahre.319 2003 hatte das BPatG die Dauer der Nichtigkeitsberufungsverfahren vor dem BGH noch auf ca. vier Jahre beziffert.320 In einer Stellungnahme des DAV bezeichnete dieser die Belastung des BGH als „nicht mehr hinnehmbar“.321 Zwischenzeitlich gab es Bestrebungen des Gesetzgebers dieser Verfahrensverzögerung zu begegnen. 2009 wurde das Patentrechtsmodernisierungsgesetz (PatRModG)322 verabschiedet, in dessen Entwurf die Bundesregierung den für Patentinhaber belastenden Zusammenhang der überlangen Verfahrensdauer des Nichtigkeitsverfahrens für das Verletzungsverfahren erkannte.323,324 Das PatRModG bezweckt daher in erster Linie die Beschleunigung von Nichtigkeitsverfahren: Die erste Instanz des Nichtigkeitsverfahrens sowie die Berufung wurden zum Zwecke der Beschleunigung reformiert.325 Ursprünglich versprach man sich, so die frühere Bundesjustizministerin Zypries, von der Reform eine „Halbierung der Verfahrensdauer“ von Nichtigkeitsberufungsverfahren.326 Bislang finden sich jedoch keine Quellen, die einen tatsächlich positiven Einfluss des Gesetzes auf die Verfahrensdauer belegen. 319 Der Präsident des BGH sprach sich daher in einem Schreiben für die Einführung des Nichtigkeitseinwands im Patentverletzungsprozess aus, vgl. DAV-Stellungnahme (vom 25. Januar 2007), verfügbar unter: http://anwaltverein.de/de/newsroom/id-2007-26?file=files/ anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2007/2007-26.pdf, S. 3 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 320 BPatG, Urteil vom 30. Januar 2003, Az.: 3 Ni 9/02; das Gericht stellt in seinem Urteil fest, dass diese lange Verfahrensdauer gegen eine Aussetzung des Patentverletzungsverfahrens spricht, s. Entschgrd. 71 nach Juris. 321 DAV-Stellungnahme (Fn. 319). 322 Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009 (PatRModG), veröffentlicht in BGBl. 2009 I S. 2521. 323 Vgl. Entwurf des Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (PatRModG-Entwurf), BT-Drks. 16/11339 vom 10. Dezember 2008, S. 14 f. 324 Genauer zu den negativen Auswirkungen des Nichtigkeitsverfahrens auf Patentverletzungsverfahren s. Micsunescu, S. 82 ff. 325 Eine ausführliche Zusammenfassung der Änderungen an beiden Verfahren findet sich in Micsunescu, S. 90 ff. 326 Pressemitteilung des BMJ „Patentverfahren werden beschleunigt“ vom 15. Oktober 2008 verfügbar unter: http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?aktion= jour_pm&r=342351 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Jahresberichten des BPatG zufolge lag die durchschnittliche Verfahrensdauer für erstinstanzliche Verfahren 2010 bei 22,77 Monaten; 2011 bei 24,19 Monaten und 2012 bei 24,6 Monaten.327 Legt man den günstigsten Wert von vier Jahren für das Nichtigkeitsberufungsverfahren zugrunde (vgl. o.), kommt man auf eine Gesamtverfahrensdauer von rund sechs Jahren. Das PatRModG könnte selbst bei Zugrundelegung der optimistischen Halbierung der Dauer des Berufungsverfahrens allenfalls zu einer Gesamtverfahrensdauer von vier Jahren führen. Micsunescu hält die in § 83 PatG neu gefasste „Konzentration der tatrichterlichen Tätigkeit auf das BPatG“ für einen Schritt in die richtige Richtung. Der BGH könne so deutlich entlastet werden. Für eine Tatsachenermittlung in lediglich erster Instanz bedürfe es aber einer Abstimmung des BPatG und des BGH.328 Das Problem der langen Verfahrensdauer könnte ihrer Meinung nach durch die Reform durchaus gelöst werden.329 Bisweilen muss jedoch mangels aktueller Zahlen weiterhin von einer noch sechsjährigen Verfahrensdauer ausgegangen werden. Nichtigkeitsverfahren zögern derart Patentverletzungsverfahren mit einer durchschnittlichen Dauer von 10 bis 15 Monaten in erster bzw. 18 Monaten in zweiter330 bzw. zwei bis drei Jahren in letzter Instanz potenziell erheblich hinaus. Fraglich ist aber, ob diese lange Verfahrensdauer bei einem durchschnittlichen Verletzungsverfahren ins Gewicht fällt. Das ist wiederum nur der Fall, wenn Nichtigkeitswiderklagen in der Praxis auch hinreichend häufig erhoben werden. Es ist daher zu untersuchen, wie hoch der Anteil von erhobenen Widerklagen der Verletzungsklagen tatsächlich ist. Hierbei ist problematisch, dass keine offiziellen Zahlen verfügbar sind, die wiedergeben, wie häufig in Verletzungsverfahren Nichtigkeitswiderklagen erhoben werden. Der Verfasser kann sich daher nicht auf eine Korrelation der eingegangenen Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen berufen. Pagenberg sieht in einem Trennungssystem am Beispiel Deutschlands den Anteil von Patentnichtigkeitsklagen bei lediglich 25 Prozent der Patentverletzungsverfahren331, während in einem Verbundsystem in „(p)raktisch 100 %“ (bzw. 90 – 95 Prozent Widerklagen bzw. Nichtigkeitseinwände332) der Patentverletzungsklagen vor demselben Gericht auch die Nichtigkeit behandelt würde.333 Zweifelhaft er327 Jahresbericht des BPatG 2012, verfügbar unter: http://www.bundespatentgericht.de/cms/ media/Oeffentlichkeitsarbeit/Veroeffentlichungen/Jahresberichte/jahresbericht_2012.pdf, S. 77 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 328 Micsunescu, S. 125 f. 329 Micsunescu, S. 137. 330 Milbradt, in: Milbradt, S. 186. 331 Pagenberg, Neue Überlegungen zur europäischen Patentgerichtsbarkeit – Ist Deutschland noch zu retten?, GRUR Int 2010, 195, 196. Anm.: Die angegebenen Zahlen sind nicht durch Quellen belegt. 332 Pagenberg, Das zukünftige europäische Patentgerichtssystem – Status quo nach den Anträgen der Generalanwälte, GRUR 2011, 32, 34. 333 s. auch Pagenberg, Die EU-Patentrechtsreform – zurück auf Los?, GRUR 2012, 582, 584.
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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scheint dieser geringe Anteil bereits vor dem Hintergrund einer Studie aus dem Jahr 1983, die anlässlich des damals geplanten Gemeinschaftspatents zu dem Schluss kam, dass in der „Hälfte aller Verfahren“ Nichtigkeitsklagen erhoben wurden. Die Verletzungsverfahren seien gar in 25 Prozent der Fälle auf die Nichtigkeitsklage hin tatsächlich ausgesetzt worden.334 Pagenberg selbst stellt in einem gemeinsam mit Stauder und Singer veröffentlichten Aufsatz von 2008 fest, dass „bei dem (Nichtigkeitsverfahren) aber der Anstieg der Klagen in den letzten Jahren ein für alle Beteiligten so unerträgliches Maß angenommen hat, dass zunehmend auch im Ausland Zweifel am Standort Deutschland geäußert werden.“335 Die Nichtigkeitsklage sei „heute auch dann zu einem unabweisbaren Mittel der Prozessführung geworden, wenn nur die geringste Gefahr besteht, dass vom Oberlandesgericht die Verletzung ebenfalls bejaht werden könnte, auch wenn die objektiven Chancen der Nichtigkeitsklage nach herkömmlichen Maßstäben um einiges unter 50 % liegen.“336 Vor dem Hintergrund, dass die Nichtigkeitsklage in den vergangenen Jahren zunehmende Bedeutung erfahren hat337, ist die Aussage Pagenbergs, Patentnichtigkeitsklagen würden lediglich in 25 Prozent der Fälle erhoben, jedenfalls heute anzuzweifeln. Vor allem deutet die Tatsache, dass ca. ein Prozent aller registrierten Patente als Klagepatente fungieren und ein ebenso hoher Anteil Gegenstand eines Nichtigkeitsverfahrens wird, darauf hin, dass zumindest ein hoher Prozentsatz der Klagepatente in Nichtigkeitsverfahren überprüft wird. Abschließend kann festgestellt werden, dass 1. Nichtigkeitsverfahren in Deutschland erheblich länger dauern als Verletzungsverfahren; 2. Verletzungsverfahren durch Nichtigkeitsverfahren im Falle der Aussetzung erheblich verzögert werden; 3. das rechtliche Risiko der Nichtigerklärung des Klagepatents bis zur Beendigung des damit befassten Verfahrens fortbesteht;338 4. sehr wahrscheinlich in weit mehr als 25 % der Verletzungsverfahren korrespondierende Nichtigkeitsverfahren angestrengt werden.
334
Stauder, Die tatsächliche Bedeutung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – Ergebnisse einer statistisch-empirischen Untersuchung, GRUR Int 1983, 234, 241. 335 Pagenberg/Stauder/Singer, „Show me your best piece of prior art …“ … oder wie kann das deutsche Nichtigkeitsverfahren kuriert werden?, GRUR Int 2008, 689. 336 Pagenberg/Stauder/Sänger, GRUR Int 2008, 689. 337 Die Bundesregierung weist in ihrem PatRModG-Entwurf (Fn. 323) auf die stark angestiegene Zahl der Nichtigkeitsberufungsverfahren (Verdopplung seit den 70er Jahren) hin, vgl. S. 14. 338 Zur näheren Untersuchung des sog. „injunction gap“, s. u., IV.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
b) Österreich Die Dauer von Patentverletzungsverfahren in der ersten Instanz von Hauptsacheverfahren wird für Österreich mit „einigen Jahren“ angegeben. Im Falle anschließender Berufungsverfahren kann sich dieser Zeitraum auf „fünf Jahre und mehr“ verlängern.339 Nichtigkeitsverfahren haben eine Zeitdauer von ca. drei bis sieben Jahren.340 Ähnlich wie in Deutschland haben österreichische Gerichte Verletzungsprozesse zwingend zu unterbrechen, wenn die Richter die Nichtigkeit des Klagepatents für wahrscheinlich halten (vgl. § 156 Abs. 3 Satz 3 öPatG). So besteht – wie in Deutschland – auch in Österreich die realistische Gefahr einer erheblichen Verzögerung von Patentverletzungs- durch Nichtigkeitsverfahren. 3. Verbundsystem Die Verfahrensdauer im Verbundsystem wird nachfolgend anhand von lokalen Daten aus Großbritannien [s. u., a)], den Niederlanden (s. u., b)] sowie Frankreich [s. u., c)] untersucht. a) Großbritannien Vor englischen Patentgerichten dauern Verfahren in der Regel mindestens ein Jahr, häufig sogar zwei bis drei Jahre.341 Berufungen (Appeals) haben eine Dauer von etwa zehn Monaten.342 So kann bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung mit einer Maximaldauer von etwa vier Jahren gerechnet werden. Dabei ist aber festzuhalten, dass sowohl der Aspekt der Verletzung als auch der Patentnichtigkeit in diesem Zeitraum geklärt wurden. Damit ist das englische Verfahren im Vergleich zu dem in Deutschland maßgebenden Nichtigkeitsverfahren wesentlich schneller. Pagenberg, Stauder und Singer
339 Israiloff, Getting the Deal Through Patents 2012 (Austria), verfügbar unter www.gettingthedealthrough.com, S. 22 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 340 Kletzer, Getting the Deal Through Patents 2006 (Austria), verfügbar unter www.gettingthedealthrough.com, S. 1 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 341 Zum Beispiel des Patents Court London s. Rojahn, Forum Shopping für Patentverletzungsverfahren – Ein Vergleich: Deutschland – England – Niederlande (Enforcement Richtlinie 2004/48/EG), in: Bredow, Tagungsbeiträge zur DIS-Vortragsveranstaltung vom 12. Oktober 2005 in München, verfügbar unter: http://www.shearman.com/files/Publication/4020613cfbcd-4f5a-80b7-4e564b22a397/Presentation/PublicationAttachment/707b3144-13af-4492a068-562f839d4a90/Schiedsgerichtsbarkeit%20und%20Gewerblicher%20Rechtsschutz%2 0I%20-%20287.pdf, S. 62. 342 Milbradt, in: Milbradt, S. 186.
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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gehen also zu Recht davon aus, Großbritannien habe Deutschland aus Verfahrenssicht „eingeholt oder gar überholt“.343 Seit 2003 steht zudem auf Antrag beider Parteien ein beschleunigtes Verfahren (sog. streamlined procedure) zur Verfügung. Im Wesentlichen ist dieses Verfahren eine Annäherung an das deutsche Verletzungsverfahren. Verfahrensbeschleunigend soll unter anderem wirken, dass Beweismittel sowie Gutachten dem Gericht schriftlich vorzulegen sind und Vernehmungen nur noch eingeschränkt vorgenommen werden. Das beschleunigte Verfahren findet vor allem bei eindeutigen Patentverletzungen und Sachverhalten von geringer Komplexität Anwendung.344 b) Niederlande Für die Niederlande wird die Dauer erstinstanzlicher Patentverletzungsverfahren mit 15 bis zu 18 Monaten, teilweise mit 18 bis 24 Monaten345, angegeben346. Berufungen nehmen einen Zeitraum von 18 bis 24 Monaten ein.347 Damit haben dort Verfahren eine Gesamtdauer von 42 Monaten, d. h. von dreieinhalb Jahren. Der Gerechtshof Den Haag führte 1996 für bestimmte Fälle ein sog. beschleunigtes Verfahren (accelerated proceeding) ein. Anders als das kort geding-Verfahren, das mit dem einstweiligen Rechtsschutz vergleichbar ist, gilt das beschleunigte Verfahren für Hauptsacheverfahren. Es ist gewissermaßen eine Kombination des summarischen kort geding-Verfahrens und des ursprünglichen Hauptsacheverfahrens bei der Verhandlungstermine und Anträge begrenzt sind. So reduziert sich die Prozessdauer auf nur sechs Monate. Dieses Verfahren ist mittlerweile in den Niederlanden üblich geworden.348 c) Frankreich Verfahren in erster Instanz nehmen in Frankreich ca. 18 Monate für einfach gelagerte Fälle und für kompliziertere Fälle bis zu 30 Monate in Anspruch349, während Verfahren vor der Cour d’Appel in zweiter Instanz ca. zwei bis zu drei Jahre350 dauern. 343
Pagenberg/Stauder/Sänger, GRUR Int 2008, 689, 695. Klink, Cherry Picking in Cross-border Patent Infringement Actions: A Comparative Overview of German and UK Procedure and Practice, E.I.P.R. 2004, 439, 504. 345 Milbradt, in: Milbradt, S. 186. 346 Am Beispiel des District Court Den Haag: DIS Tagungsbeitrag (Fn. 341), S. 62. 347 Milbradt, in: Milbradt, S. 186. 348 Eck, International Law Office – Scope of European Transborder Jurisdiction, vom 18. Januar 2000, verfügbar unter: http://www.internationallawoffice.com/newsletters/detail. aspx?r=1296 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); Meibom/Pitz, GRUR Int 1998, 765, 767 m. w. N. 349 Véron, MittdtPatAnw 2002, 386, 396 f. 350 Milbradt, in: Milbradt, S. 186. 344
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Gegebenenfalls findet durch die Cour de Cassation eine Überprüfung auf Rechtsfehler, vergleichbar mit der Revision vor dem BGH, statt. Das Kassationsverfahren nimmt wiederum ca. zwei Jahre in Anspruch, wird jedoch relativ selten angestrengt, da nur in ca. 15 % der Fälle vorinstanzliche Urteile aufgehoben werden.351 Die Gesamtdauer von Nichtigkeitsüberprüfungen einschließenden Verletzungsverfahren beträgt damit in Frankreich maximal sechseinhalb Jahre. 4. Schlussfolgerungen Aus den aufgezeigten Verfahrensdauern von Verbund- bzw. Trennungssystem lässt sich eine eindeutige Tendenz ableiten: Verletzungsverfahren dauern in den Staaten mit Verbundsystem maximal dreieinhalb (Niederlande) bzw. vier (Großbritannien) und sechseinhalb Jahre (Frankreich). Dem stehen im Trennungssystem bei Berücksichtigung von Nichtigkeitsverfahren Zeiträume von ca. sechs bis sieben Jahren (Deutschland und Österreich) gegenüber. Die Dauer dieser Verfahren ist uneingeschränkt mit einzubeziehen, da Nichtigkeitswiderklagen im Rahmen von Patentverletzungsprozessen mittlerweile regelmäßig erhoben werden. Damit dauern Patentverletzungsverfahren im Verbundsystem durchschnittlich viereinhalb Jahre, im Trennungssystem – bei konservativer Betrachtung – dagegen sechseinhalb Jahre. Verfahren im Trennungssystem dauern also durchschnittlich zwei Jahre länger als im Verbundsystem und sind damit um 44 Prozent zeitintensiver. Aus Sicht der Verfahrensdauer verdient das Verbundsystem daher gegenüber dem Trennungssystem den Vorzug.
IV. „Injunction Gap“ als Risiko des Trennungssystems Die Tatsache, dass Patentverletzungs- und Nichtigkeitsverfahren im Trennungssystem parallel, d. h. unabhängig voneinander, ablaufen, hat den Nachteil, dass – obwohl ggf. zuvor ein (vorläufig) vollstreckbares Urteil im Patentverletzungsprozess ergangen ist – das Klagepatent zu einem späteren Zeitpunkt ggf. für nichtig erklärt wird. Selbst rechtskräftige Urteile im Verletzungsverfahren haben keinen Bestand mehr, wenn sie im Wege einer Restitutionsklage aufgehoben werden. Die Unsicherheit einer Aufhebung birgt für die Verfahrensbeteiligten eines Patentverletzungsprozesses ein nicht unerhebliches Risiko: Einerseits sind Patentinhaber auch außerhalb von einstweiligen Verfügungsverfahren352 potenziellen Schadensersatzforderungen ausgesetzt, wenn sie gegen vermeintliche Patentverletzer vollstrecken. 351
Véron, MittdtPatAnw 2002, 386, 402 f. Für einstweilige Verfügungsverfahren in Deutschland ergibt sich eine originäre Schadensersatzpflicht aus § 945 ZPO. 352
B. Trennungs- oder Verbundsystem?
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Andererseits sind vermeintliche Patentverletzer Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt, die sich mglw. ex post als ungerechtfertigt herausstellen. Die Zeitspanne zwischen dem Urteil im Verletzungsverfahren und dem Urteil im Nichtigkeitsverfahren ist daher ein Zeitraum, in dem die Rechtssicherheit erheblich herabgesetzt ist. In der englischsprachigen Literatur hat sich hierfür der Begriff injunction gap herausgebildet.353 Ein konkretes Fallbeispiel dient dazu, die Situation der Beklagten in Patentverletzungsprozessen im Falle einer später festgestellten Patentnichtigkeit zu veranschaulichen: Vistaprint Technologies Ltd. erwirkte gegen zwei Wettbewerber ein Urteil, in dem diese verpflichtet wurden, die Nutzung eines sog. „Web-to-Print“-Verfahrens zur Weiterleitung und Verarbeitung von Daten, die von Kunden auf einer Internetseite eingegeben wurden, an eine Druckmaschine, zu unterlassen und der Klägerin Auskunft zur Berechnung von Schadensersatz zu leisten.354 Jahre später wurde – nachdem das Urteil vollstreckt worden war – das Klagepatent in dem parallel geführten Patentnichtigkeitsverfahren letztinstanzlich für nichtig erklärt und das belastende Urteil durch ein Urteil in einem Restitutionsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf aufgehoben.355 Die Klägerin des Ursprungsverfahrens war nun der ursprünglichen Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet. Problematisch ist in derartigen Fällen, v. a., dass selbst nach einer erfolgreichen Restitutionsklage der entstandene (Image-)Schaden häufig nicht ersetzt werden kann. Vor allem bereitet aber die Bezifferung eines (materiellen bzw. immateriellen) Schadens Probleme, wenn der Beklagte einem Auskunftsanspruch bereits nachgekommen ist und etwa unternehmensinterne Preiskalkulationen offengelegt hat.356 Der oben beschriebene Fall zeigt, dass die Asynchronität von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren in einem Trennungssystem ein erhebliches Risiko für die Rechtsbeständigkeit von Urteilen und damit für die Rechtssicherheit der Beteiligten darstellt.
353 Vgl. etwa Philipps, Bifurcation of European patent litigation: a practitioners’ perspective: „The concern is that owners of weak patents may have the potential to obtain injunctions well before defendants have an opportunity to revoke the patent in suit. This is the socalled ,injunction gap‘“, verfügbar unter: http://ipkitten.blogspot.de/2013/03/bifurcation-of-eu ropean-patent.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 354 Stellungnahme Sommer ggü. Bundestag, verfügbar unter: http://www.bundestag.de/bun destag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/47_Patentierung_von_Computerprogrammen/ 04_Stellungnahmen/Stellungnahme_Sommer.pdf, S. 6, 14 ff. (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 355 LG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2013, Az.: 4b O 60/12 (Visitenkarten II) (nicht veröffentlicht). 356 s. auch Flocke, 7 Patentreformen, S. 5, verfügbar unter: http://www.patentverein.de/ files/Patentreformen%20V3-fl.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
V. Ergebnis: Trennungssystem überwiegend klägerfreundlich Das Trennungssystem ist gegenüber dem Verbundsystem sowohl hinsichtlich der Verfahrensdauer als auch im Hinblick auf die Rechtsbeständigkeit erstinstanzlicher Urteile nachteilhaft. Beide Faktoren kommen eher Rechtsinhabern zugute: Einerseits bietet ein schneller Verletzungsprozess ggf. eine gute Verhandlungsposition für Vergleiche, in denen sich etwa die Gegenseite verpflichtet, eine patentverletzende Handlung, u. U. sogar länderübereifend, zu unterlassen. Andererseits ist die Verhandlungsposition des Patentinhabers wegen des (drohenden) injunction gap – selbst bei einem noch laufenden Nichtigkeitsverfahren – vorteilhaft, da die Vollstreckung droht, bei der ggf. ein irreversibler Schaden, (v. a. durch Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen wie Preiskalkulationen und Kundenlisten) eintreten kann.357 Vor diesem Hintergrund erklärt sich, weshalb – losgelöst von der geschätzten Expertise deutscher Patentrichter und der Attraktivität von Urteilen in Bezug auf den deutschen Markt – die meisten Patentverletzungsprozesse innerhalb der EU vor deutschen Gerichten geführt werden.358 Um einen angemessenen Ausgleich zwischen Kläger und Beklagten und eine höhere Effizienz des Patentverletzungsprozesses zu erreichen, wäre es ein logischer Schritt in einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit die Vorzüge von Nichtigkeits- und Trennungsverfahren miteinander zu verbinden. Dies dürfte in den meisten Mitgliedstaaten, die ohnehin bereits über ein Verbundsystem verfügen, nicht auf Widerstand stoßen.359 Auch in Deutschland lässt sich in den vergangenen Jahren eine Entwicklung der Patentverletzungsgerichte erkennen, die Patentgültigkeit zu beurteilen. Ohnehin nehmen die Verletzungsgerichte eine summarische Prüfung der voraussichtlichen Rechtsbeständigkeit bei der Frage nach einer Aussetzung des Verfahrens i. S. v. § 148 ZPO für den Fall eines anhängigen Nichtigkeitsverfahrens vor. 2009 ging Thomas Kühnen, Vorsitzender Richter des 2. Senats des OLG Düsseldorf, jedoch weiter, indem er eine einstweilige Verfügung gewährte, obwohl das BPatG zuvor das Verfügungspatent erstinstanzlich für nichtig erklärt hatte. Das Gericht führte aus, dass ein Widerruf bzw. eine Nichtigerklärung eines Patents in erster Instanz nicht 357 Eine Kompensation ist nach Flocke kaum möglich, vgl. Interview, verfügbar unter: http://www.patentverein.de/files/Patentreformen%20V3-fl.pdf, S. 5. 358 Zudem schätzen Patentinhaber die liberale Handhabung einiger Gerichte im Hinblick auf einstweilige Verfügungsverfahren. Vor allem das Landgericht Düsseldorf ist hier für seine klägerfreundliche Rechtsprechung bekannt. Nach Schätzungen Harhoffs werden in 60 – 70 % der Fälle Patentstreitverfahren bzgl. EP vor deutschen Gerichten geführt. Harhoff, Economic Cost-Benefit Analysis of a Unified and Integrated European Patent Litigation System – Final Report vom 26. Februar 2009, in Auftrag gegeben von der Kommission (GD MARKT), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/studies/litigation_sys tem_en.pdf, S. 39. 359 So auch die rechtsvergleichende Untersuchung von Micsunescu, S. 225.
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten
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notwendigerweise zu Fall gebracht werden müsse bevor eine einstweilige Verfügung aufgrund des Patents ergehen kann. Eine Ausnahme gelte unter eng umgrenzten Voraussetzungen, wo der Widerruf oder die Nichtigerklärung evident unrichtig sei.360 Es bleibt jedoch abzuwarten, ob das 2009 verabschiedete PatRModG sich noch positiv auf die Dauer von Patentnichtigkeitsverfahren auswirkt. Zeigt sich eine wesentliche Beschleunigung der Nichtigkeitsverfahren, wäre das Risiko eines „injunction gap“ im Trennungssystem zumindest verringert.
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen Die mit patentrechtlichen Verfahren befassten Gerichte der EU-Mitgliedstaaten unterliegen in zivilprozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht noch immer weitgehend nationalen Regelungen, die möglicherweise unterschiedliche Schutzniveaus zur Folge haben. Eine gewisse Angleichung dieser Regelungen wurde in der Vergangenheit jedoch durch unterschiedliche Maßnahmen auf internationaler Ebene vorangetrieben. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Bereiche des Patentrechts untersucht, zu welchem Grad tatsächlich von einer Harmonisierung des Patentrechts die Rede sein kann. Soweit eine Harmonisierung unzureichend ist, werden die nationalen Praktiken identifiziert, die in Theorie und Praxis geeignet sind, den besten Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herbeizuführen (best practiceGrundsatz). Eine Untersuchung beschränkt sich dabei in der Regel auf die drei von Patentnutzern am häufigsten gewählten Patentjurisdiktionen – Deutschland, England und Frankreich. Auf diese Weise sollen Bereiche identifiziert werden, die in einem gemeinsamen Patentsystem der EU-Mitgliedstaaten sinnvollerweise einheitlich zu regeln sind, um zu vermeiden, dass nationales Recht neben Gemeinschaftsrecht steht, damit das langfristige Ziel der einheitlichen Behandlung des Patents in den Mitgliedstaaten erreicht werden kann.
360 Für weitere Anforderungen an die Durchbrechung des grds. Vorrangs des erstinstanzlichen Nichtigkeits- bzw. Widerrufsurteils, s. OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: 2 W 47/07, GRUR-RR 2008, 329 (Olanzapin) (Ls. 3 f.).
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
I. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen 1. Straßburger Übereinkommen Das Straßburger Übereinkommen von 1963361 hat zu einer maßgeblichen Vereinheitlichung der nationalen Patentierungsvoraussetzungen (etwa §§ 1 – 5 PatG) sowie des Schutzbereichs und der Nichtigkeitsgründe des Patents geführt.362,363 Es wurde von den einzelnen Mitgliedstaaten des damaligen Europarats ratifiziert.364 Aktuell ist das Übereinkommen in zehn EU-Mitgliedstaaten365 in Kraft getreten. So sind im Wesentlichen die Voraussetzungen der Patentierbarkeit und Nichtigerklärung, der Patentlaufzeit und die Regelungen über den Schutzbereich des Patents in den Vertragsstaaten weitgehend harmonisiert. 2. Maßnahmen auf EU-Ebene Die Durchsetzungs-Richtlinie (auch Enforcement Directive)366 hat zu einigen Anpassungen auf dem Gebiet der Durchsetzung von gewerblichen Schutzrechten geführt.367 Sie umfasst beispielsweise die zentrale Regelung eines Auskunfts-, Vernichtungs- und Rückrufanspruchs, vorprozessuale Maßnahmen zur Beweissicherung368 sowie die Garantie der Verfügbarkeit einstweiligen Rechtsschutzes.
361 Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, unterzeichnet am 27. November 1963 in Straßburg, BGBl. 1976 II S. 649; GRUR Int 1964, 259. 362 Ein umfassender Überblick über die übernommenen Regelungen findet sich bei Rogge, in: Benkard, PatG, Einl., Rn. 22. 363 Anm.: Zudem wurde das Straßburger Übereinkommen zum Wegbereiter für das EPÜ. Einige Regelungen des Straßburger Übereinkommens wurden im Wesentlichen in das EPÜ übernommen, vgl. Ullrich/Konrad, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 27. El. 2010, C. III, Rn. 119. 364 In Deutschland wurde das Straßburger Übereinkommen durch das Gesetz über das internationale Patentübereinkommen umgesetzt, s. BGBl. 1976 II Nr. 32 vom 26. Juni 1976 S. 649; Wadlow, Strasbourg, the Forgotten Patent Convention, and the Origins of the European Patents Jurisdiction, IIC 2010, 123. 365 Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Großbritannien. 366 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. 2004 Nr. L 157, S. 45. 367 s. etwa Erwgrde 7 – 10. Insb. sollen gem. Nr. 10 die nationalen „Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.“. Zum Harmonisierungsbedarf s. auch Vorschlag für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum vom 30. Januar 2003, veröffentlicht unter 2003/24/COD, S. 17. 368 s. hierzu auch u., II. 1.
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Auf der Durchsetzungs-Ebene ist außerdem die Produktpiraterie-Verordnung369 zu erwähnen, die vereinheitlichte Maßnahmen vor allem in Bezug auf Grenzbeschlagnahmeverfahren erlaubt. Die BioTech-Richtlinie370 hat dagegen Regelungen zur Patentfähigkeit von biotechnologischen Erfindungen sowie zur Reichweite des Patentschutzes vereinheitlicht und vor dem Hintergrund der besonderen Interessenlage in der Landwirtschaft das Ausschließlichkeitsrecht des Patentinhabers eingeschränkt. Weiter wurde durch die EU-weite Einführung sog. Ergänzender Schutzzertifikate (Supplementary Protection Certificates, SPC) in den EU-Mitgliedstaaten ein neuer, maximal fünfjähriger Schutz eigenen Ursprungs, der sich an die Patentlaufzeit anschließt und dazu dient, eine angemessene Besserstellung für forschende Unternehmen im Bereich von Arznei- und Pflanzenschutzmitteln zu erreichen, eingeführt.371 Eine Richtlinie für computerimplementierte Erfindungen372, die darauf abzielte, die unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen anzugleichen und so ein einheitliches Schutzniveau innerhalb der EU zu gewährleisten, scheiterte dagegen am Widerstand im Europäischen Parlament.373
II. Erfolgreiche Rechtsangleichung durch Harmonisierungsmaßnahmen? Wie oben aufgeführt hat die EU bereits durch unterschiedliche Maßnahmen eine Angleichung der nationalen Patentrechte angestrebt. Hier stellt sich die Frage, ob die bisherigen Maßnahmen auch tatsächlich dazu geführt haben, dass die nationalen 369 Zuletzt: Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates, ABl. 2013 Nr. L 181, S. 15 (in Kraft seit dem 1. Januar 2014). 370 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. 1998 Nr. L 213, S. 13. 371 Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel, ABl. 2009 Nr. L 152, S. 1; Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel, ABl. 1996 Nr. L 198, S. 30. 372 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vom 20. Februar 2002, KOM(2002) 92 endg. 373 Die Abstimmung im Europäischen Parlament im Juli 2005 führte zum Scheitern der Richtlinie, vgl. Plenardebatte vom 6. Juli 2005, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc. do;jsessionid=00AF37D020BEBAC9F802CEDED31747A.node1?pubRef=-//EP//TEXT+ CRE+20050706+ITEM-007+DOC+XML+V0//DE&query=INTERV&detail=3-100.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Rechtsgrundlagen und ihre Anwendung weitgehend harmonisiert wurden. Um diesen Aspekt zu untersuchen, werden in diesem Abschnitt einzelne Bereiche der Rechtsangleichung auf ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten untersucht. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Durchsetzungs-Richtlinie, da sie den Mitgliedstaaten einheitliche Vorgaben zu Maßnahmen macht, die für die Rechtsdurchsetzung wesentlich sind. 1. Vorprozessuale Maßnahmen zur Beweissicherung Vorprozessuale Beweissicherungsmaßnahmen sind vor allem in Fällen von Bedeutung, in denen dem Rechtsinhaber der aus Beweisgründen benötigte Zugang zu (vermeintlich) patentverletzenden Gegenständen aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen verwehrt ist.374 Beweissicherungsmaßnahmen im Vorfeld zu Patentverletzungsprozessen bewegen sich in einem eng umgrenzten Spannungsfeld zwischen den Interessen des Patentinhabers und des potenziellen Patentverletzers: Einerseits dürfen Beweisanforderungen an Patentinhaber nicht zu hoch sein, da der Beweisbedürftige meist in dem frühen Stadium des Verfahrens noch nicht über ausreichend Informationen zum Beweis bzw. der substantiierten Darlegung einer Verletzung verfügt. Andererseits müssen Maßnahmen einen möglichen Missbrauch in Form des unzulässigen Ausforschungsbeweises verhindern. Bei alledem ist zudem ein gewisser Überraschungseffekt gegenüber dem vermeintlichen Patentverletzer unerlässlich, da ansonsten die Gefahr besteht, dass Beweismittel fortgeschafft werden. Im Folgenden wird untersucht, ob vorprozessuale Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Beweissicherung durch die Durchsetzungs-Richtlinie bereits in hinreichendem Maß harmonisiert wurden. Ist dies nicht der Fall, wird herausgearbeitet, welche nationale Maßnahme der Interessenlage am ehesten gerecht wird. a) Deutschland In Deutschland kann zur vorprozessualen Beweissicherung ein sog. Besichtigungsanspruch geltend gemacht werden. Der Anspruch wurde erst vor wenigen Jahren aufgrund der Durchsetzungs-Richtlinie im PatG kodifiziert. Davor wurden „Besichtigungen“ vermeintlich patentverletzender Gegenstände auf Grundlage des BGB nach der sog. Düsseldorfer Praxis375 gehandhabt.
374 Etwa am Beispiel einer vermeintlich patentverletzenden Buchdruckpresse auf dem Firmengelände des mutmaßlichen Patentverletzers wird deutlich, dass ein Patentinhaber unter Umständen nicht anhand (frei verfügbarer) Erzeugnisse die Patentverletzung belegen kann, sondern auf eine Inaugenscheinnahme des patentverletzenden Gegenstands angewiesen ist. 375 s. u., bb).
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aa) Besichtigungsanspruch Der Besichtigungsanspruch wurde 2008 mit der Umsetzung der DurchsetzungsRichtlinie in § 140c PatG kodifiziert.376 § 140c PatG ist ggü. dem allgemeinen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB vorrangig.377 Wesentliche Voraussetzung des Anspruchs ist, dass der Antragsteller die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ der Benutzung einer patentierten Erfindung geltend macht (vgl. § 140c Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. PatG). Mangels ausreichender Rechtsprechung ist noch nicht eindeutig geklärt, wie der Rechtsbegriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auszulegen ist.378 Schon dem Wortlaut nach kann die früher anlässlich des zivilrechtlichen Besichtigungsanspruchs vom BGH geforderte „erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung“379 für § 140c PatG jedenfalls nicht mehr gefordert werden. 2002 setzte der BGH in seiner Entscheidung „Faxkarte“ nur noch eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ voraus.380 Dieses Urteil ist auch auf § 140c PatG übertragbar.381 Vor Durchführung der Maßnahme haben die Richter eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen, innerhalb derer auch die dem § 140c PatG zugrunde liegende Durchsetzungs-Richtlinie Niederschlag findet (richtlinienkonforme Auslegung382). Vor allem muss hierbei gem. Art. 6 der Durchsetzungs-Richtlinie feststehen, dass der Anspruch der Gewinnung von Beweisen dient, d. h. der Sachverhalt nicht etwa schon feststeht.383 Der patentrechtliche Besichtigungsanspruch erstreckt sich auf potenziell patentverletzende Güter, aber auch auf Verfahren zu ihrer Herstellung bzw. auf Produktionsanlagen. Außerdem können im Zusammenhang mit der Verletzung stehende „Bank-, Finanz- bzw. Handelsunterlagen“ eingesehen werden (vgl. § 140c Abs. 1 Satz 1 PatG). Für den Fall, dass der vermeintliche Patentverletzer den Einwand der Vertraulichkeit der Informationen erhebt, hat das Gericht nach § 140c Abs. 1 376
§ 140c PatG wurde eingeführt mit Wirkung vom 1. September 2008 durch Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008, BGBl. 2008 I S. 1191. 377 Pitz, Teil III. 3. 2., Rn. 38a. 378 Zur Auslegung der der Regelung zugrundeliegenden Durchsetzungs-Richtlinie s. u., e). 379 BGH, Urteil vom 8. Januar 1985, Az.: X ZR 18/84, GRUR 1985, 512 (2. Ls.) (Druckbalken). 380 BGH, Urteil vom 2. Mai 2002, Az.: I ZR 45/01, GRUR 2002, 1046, 1048 (bzw. 2. Ls.) (Faxkarte). 381 Der Gesetzgeber ist ausdrücklich von den Grundsätzen der Entscheidung „Faxkarte“ ausgegangen, vgl. Mes, in: Mes, PatG, § 140c, Rn. 10 m. w. N.; ebenso Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drks. 16/5048 vom 20. April 2007, S. 40. 382 Vgl. allg. zum Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 77 ff. 383 Mes, in: Mes, PatG, § 140c, Rn. 11.
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Satz 3 PatG eine weitere Interessenabwägung im Einzelfall darüber vorzunehmen, ob die jeweiligen Unterlagen dennoch eingesehen werden dürfen. Hierbei hat es abzuwägen, ob das Interesse an der Wahrung der Betriebsgeheimnisse das gegenläufige Informationsinteresse überwiegt. Nur sofern dies nicht der Fall ist, sind die Unterlagen freizugeben.384 Der patentrechtliche Besichtigungsanspruch kann gem. § 140c Abs. 3 Satz 1 PatG per einstweiliger Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners durchgesetzt werden. Auf diese Weise kann der Antragsteller vom „Überraschungsmoment“ profitieren.385 Ein ex parte Vorgehen kann der Antragsgegner in Deutschland jedoch verhindern, indem er bei in Frage kommenden Landgerichten vor Antragstellung gem. § 140c PatG eine Schutzschrift einreicht.386 Alternativ besteht auch die Möglichkeit das sog. Zentrale Schutzschriften Register (ZSR) zu nutzen, welches mit den meisten Landgerichten, die Patentverletzungsfälle verhandeln, zusammenarbeitet.387 Die teilnehmenden Gerichte haben sich bereit erklärt, bei Eingang einer einstweiligen Verfügung eine Anfrage an das ZSR nach eingereichten Schutzschriften zu richten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Antragsgegner einer einstweiligen Verfügung drohende Besichtigungsansprüche frühzeitig erkennt, da ihm in der Regel der Patentinhaber vor Durchführung der Maßnahme eine Berechtigungsanfrage und/oder eine Abmahnung zukommen lässt.388,389 § 140c Abs. 5 PatG sieht einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch des Antragsgegners für den Fall vor, dass keine Verletzung vorlag oder drohte. bb) Düsseldorfer Praxis Unter der sog. Düsseldorfer Praxis (tlw. bezeichnet als Düsseldorfer Verfahren) versteht man allgemein eine Praxis, die zunächst von Düsseldorfer Gerichten angewendet wurde, um einen vorprozessualen Besichtigungsanspruch, der im Patentrecht ursprünglich nicht ausdrücklich geregelt war, zu gewähren. Die Gerichte weiteten den allg. materiell-rechtlichen Besichtigungsanspruch aus § 809 BGB auf die vorprozessuale Ebene aus und gewährten diese im Wege einer einstweiligen 384
Müller-Stoy, Der Besichtigungsanspruch gemäß § 140c PatG in der Praxis – Teil 2: Der Schutz der Interessen des Anspruchsgegners, MittdtPatAnw 2010, 267. 385 So bspw. Hufnagel, in: Dieners/Reese, Teil VIII, § 14, Rn. 211. 386 Allg. zur Schutzschrift s. Pitz, Rn. 106 ff. 387 Eine Liste der am ZSR teilnehmenden Landgerichte ist verfügbar unter: https://www. schutzschriftenregister.de/Default.aspx (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 388 Vgl. Schulz, Die Rechte des Hinterlegers einer Schutzschrift, WRP 2009, 1472, 1473. 389 Anm.: Eine vorherige Abmahnung ist in der Praxis sehr wahrscheinlich, da ansonsten der Antragsteller im Hauptsacheverfahren im Falle einer sofortigen Anerkenntnis die Kostenlast trägt (§ 93 ZPO), vgl. auch Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl. München 2012, § 12, Rn. 1.8 (entsprechend auf PatG anwendbar).
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Verfügung im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens. Auch nach der Düsseldorfer Praxis kann unter Umständen eine Durchsetzung ohne Anhörung des Antragsgegners erreicht werden. Ausgangspunkt war die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH in seinem 2002 zum zivilrechtlichen Besichtigungsanspruch ergangenen Urteil „Faxkarte“ [vgl. hierzu auch o., a) bb)].390 Auch nach Einführung des spezielleren § 140c PatG ist der Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB weiterhin anwendbar.391,392 Der Anspruch setzte im Gegensatz zum obigen Besichtigungsanspruch ursprünglich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Patentverletzung voraus.393 Substanzeingriffe (bspw. der Ausbau von Einzelteilen) waren zudem, selbst wenn sie irreversibel waren, nicht zulässig,394 weshalb sich der Anspruch faktisch auf die bloße Inaugenscheinnahme beschränkte.395 Anstatt einer erheblichen Wahrscheinlichkeit lässt der BGH seit 2002 eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ genügen [vgl. hierzu o., a) aa)]. Zu Recht wurde Deutschland in der Literatur, bevor die BGH-Entscheidung „Faxkarte“ erging, als „Entwicklungsland“ vorprozessualer Beweissicherungsmittel kritisiert.396 Allerdings stellt Kühnen fest, dass auch zwei Jahre nach der Entscheidung, die Maßnahme kaum Bedeutung hat.397 Bezüglich der sonstigen Voraussetzungen des Besichtigungsanspruchs in Form der Düsseldorfer Praxis wird wegen der weitreichend angepassten Anspruchsvoraussetzungen auf den ausdrücklich geregelten patentrechtlichen Besichtigungsanspruch verwiesen. b) Großbritannien Das ursprünglich als Anton Piller Order aus dem englischen Case Law bekannte Rechtsinstrument zur vorprozessualen Beweissicherung ist mittlerweile im Civil 390 Zur Entwicklung der Praxis s. Kühnen, Die Besichtigung im Patentrecht – Eine Bestandsaufnahme zwei Jahre nach „Faxkarte“, GRUR 2005, 185. 391 Mes, in: Mes, PatG, § 140c, Rn. 3; Hufnagel, in: Dieners/Reese, § 14, Rn. 209 mit Verweis auf § 141a PatG. 392 Als potenziellen Anwendungsfall nennt Kühnen etwa den Besichtigungsanspruch zur Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen bei rechtmäßiger Patentbenutzung, für den § 140c PatG nicht gilt, s. Kühnen, Update zum Düsseldorfer Besichtigungsverfahren, MittdtPatAnw 2009, 211, Fn. 2. 393 BGH, Urteil vom 8. Januar 1985, Az.: X ZR 18/84, GRUR 1985, 512, 2. Ls. (Druckbalken). 394 Habersack, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. München 2013, § 809, Rn. 11. 395 Rogge/Grabinski, in: Benkard, PatG, § 139, Rn. 117a. 396 Kühnen, GRUR 2005, 185. 397 Vgl. Kühnen, GRUR 2005, 185, 186.
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Procedure Act (U. K.) ausdrücklich unter dem Namen Search Order geregelt.398 Die zugrunde liegende Entscheidung Anton Piller KG vs. Manufacturing Processes Ltd & Others399 verdeutlicht die drei wesentlichen Merkmale der Search Order: „Nach meiner Meinung müssen drei wesentliche Voraussetzungen zum Erlaß der Order vorliegen. Erstens muß ein äußerst zwingender prima facie-Fall gegeben sein. Zweitens muß der mögliche oder eingetretene Schaden für den Antragsteller sehr schwer sein. Drittens ist eindeutiger Beweis zu fordern, daß die Beklagten inkriminierende Schriftstücke oder Gegenstände in ihrem Besitz haben und daß eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie dieses Material vernichten werden, bevor ein Antrag im kontradiktorischen Verfahren gestellt werden kann“400. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Das erste Kriterium stellt bereits eine sehr hohe Hürde für den Antragsteller dar. Ein „äußerst zwingender prima facie-Fall“ bedeutet, dass der Verdacht einer Patentverletzung dem ersten Anschein nach sehr schwer wiegen muss.401 Gerade vor dem Hintergrund, dass die Search Order in vielen Fällen dazu dienen soll, dass sich der Antragsteller Beweise erst verschafft, erscheint diese Anforderung sehr streng. In einem Urteil von 1983402 wurde ausdrücklich klargestellt, dass sog. fishing expeditions, bei denen Durchsuchungen zu dem Zwecke stattfinden, überhaupt erst mögliche Rechtsverletzungen zu entdecken, nach der Search Order nicht möglich sein sollten, weshalb bloß vage Verdachtsmomente für die Maßnahme nicht ausreichen sollen.403 An der Search Order ist klägerfreundlich, dass sie – ähnlich dem deutschen Besichtigungsanspruch [vgl. o., a)] – keine vorherige Benachrichtigung des Antragsgegners voraussetzt und damit einen Überraschungseffekt zulässt. Die Search Order erlaubt das Betreten der zu durchsuchenden Räumlichkeiten durch einen Supervising Solicitor. In diesem Zusammenhang agiert er als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“, d. h. er darf nicht ausschließlich die Interessen des Antragstellers vertreten.404
398
Civil Procedure Act 1997 (U. K.) ch. 12, sent. 7. Court of Appeal, Urteil vom 8. Dezember 1975, [1975] EWCA Civ 12 (Anton Piller KG vs. Manufacturing Processes Ltd & Others). 400 Übersetzung aus Urteil Anton Piller KG vs. Manufacturing Processes Ltd & Others entnommen aus Stauder, Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht – Zur neueren Entwicklung im englischen und deutschen Recht, GRUR Int 1982, 226, 228. 401 Götting spricht auch von einem „extrem starken prima-facie Anschein“, vgl. Götting, Die Entwicklung neuer Methoden der Beweisbeschaffung zur Bekämpfung von Schutzrechtsverletzungen – Die Anton Piller Order – Ein Modell für das deutsche Recht?, GRUR Int 1988, 729, 731. 402 (1983) F.S.R. 63 (Hytrac Conveyors Ltd/Conveyors International Ltd). 403 Götting, GRUR Int 1988, 729, 733. 404 Enchelmaier, Durchsetzung von Immaterialgüterrechten vs. Schutz von Betriebsgeheimnissen im englischen Zivilprozessrecht, GRUR Int 2012, 503, 511. 399
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Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, ist der Antragsteller auch hier zum Schadensersatz verpflichtet.405 c) Frankreich Der französische vorprozessuale Besichtigungsanspruch, die sog. saisie contrefaçon erlaubt dem Antragsteller vor Beginn eines Patentverletzungsverfahrens die Beweiserhebung durch Gerichtsanordnung zu beantragen. Sie ähnelt dem deutschen Besichtigungsanspruch, geht allerdings insofern über diesen hinaus als sie eine Durchsuchung mittels obrigkeitlicher Hilfe auch ohne eine vorherige Abmahnung, Anhörung bzw. Verweigerung durch den Antragsgegner [vgl. o., a)] zulässt.406 Auch die saisie contrefaçon nutzt also den Überraschungseffekt. Eine wesentliche Erleichterung ergibt sich daraus, dass in einem Antrag keine Patentverletzung bewiesen werden muss – die bloße Vermutung einer Verletzung genügt. Der Richter ist nicht befugt, die Maßnahme aufgrund mangelnder Glaubhaftigkeit der Verletzungsvorwürfe zu verweigern. Dies macht die saisie contrefaçon zu einem weitaus klägerfreundlicheren Mittel als den deutschen Besichtigungsanspruch und die englische Search Order, die zumindest einen Anscheinsbeweis voraussetzt.407 Die Durchführung der Maßnahme erfolgt durch einen vom Antragsteller bestimmten Gerichtsvollzieher, der, begleitet von Gutachtern und ggf. der Polizei bzw. anderen zur Durchsetzung erforderlichen Personen wie Photographen, die Geschäftsräume bzw. Produktionsstätte des Antragsgegners besucht.408 Die Maßnahme umfasst eine Beschlagnahme von Proben und ggf. der produzierten Güter, wobei der Umfang der Beschlagnahme auf das zum Beweis Notwendige beschränkt ist.409 Auch Unterlagen, welche im Zusammenhang mit der Patentverletzung stehen, dürfen beschlagnahmt werden.410 Dabei spielt es grds. keine Rolle, ob diese vertraulich sind oder nicht.411 Falls sich der Antragsgegner mit Hinweis auf ihre Vertraulichkeit weigert, Dokumente herauszugeben, lässt sich der diensthabende Richter anrufen, welcher wiederum vor Ort einen unabhängigen Experten bestimmt, der Dokumente ggf. von der Beschlagnahme ausschließt, sofern er sie als vertraulich erachtet.412 Die beschlagnahmten Gegenstände können anschließend vom Antragsteller eingesehen wer405
Götting, GRUR Int 1988, 729, 733. Schönig, in: Milbradt, S. 294 f.; Anm.: Eine unterlassene Abmahnung wirkt sich nach französischem Recht nicht nachteilig für den Kläger aus. 407 Binn/Dupuis-Latour, Patentverletzungsverfahren in Frankreich – Ein Überblick aus der Praxis, VPP-Rundbrief Nr. 3/1998, S. 72, 74. 408 Binn/Dupuis-Latour, VPP-Rundbrief Nr. 3/1998 (Fn. 407), S. 72, 74. 409 Eine Beschlagnahme etwa der gesamten Produktion potenziell patentverletzender Güter ist nicht möglich, vgl. Binn/Dupuis-Latour, VPP-Rundbrief Nr. 3/1998 (Fn. 407), S. 72, 73. 410 Mes, Si tacuisses. – Zur Darlegungs- und Beweislast im Prozeß des gewerblichen Rechtsschutzes, GRUR 2000, 934, 935 f. 411 Véron, MittdtPatAnw 2002, 386, 393. 412 Binn/Dupuis-Latour, VPP-Rundbrief Nr. 3/1998 (Fn. 407), S. 72, 75. 406
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den.413 In das Verfahren werden entweder eine amtliche Beschreibung des vermeintlich patentverletzenden Erzeugnisses bzw. die beschlagnahmten Unterlagen selbst, eingeführt. Für den Fall, dass ein Antragsteller nicht innerhalb von 14 Tagen nach Durchführung der Durchsuchung Klage im Hauptsacheverfahren erhebt, ist er zum Schadensersatz verpflichtet.414 Außerdem erwächst in diesem Fall ein Beweisverwertungsverbot.415 Die Tatsache, dass die saisie contrefaçon hinsichtlich Beweisschwelle und Umfang wesentlich liberaler ist als Besichtigungsanspruch, Düsseldorfer Praxis und Search Order, wirft die Frage auf, ob die Maßnahme missbräuchlich ausgenutzt werden kann. In einem Urteil von 2011416 befand die Cour d’Appel Paris, dass die saisie contrefaçon im gegenständlichen Fall vorgeschoben wurde, um auf ungerechtfertigte Weise an Informationen eines Wettbewerbers zu gelangen. Der Antragsteller wurde entsprechend zur Zahlung von Schadensersatz an die geschädigte Partei verurteilt. Das Urteil wird in der Literatur als positives Beispiel dafür angeführt, dass ein Missbrauch der Maßnahme effektiv mit Schadensersatz belegt werden kann.417 Vor allem aber dürfte die o. g. verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht, die bereits greift, sofern keine Klageerhebung erfolgt, effektiv zur Abschreckung beitragen. Nachdem in Frankreich lange Zeit kritisiert worden war, dass eine Möglichkeit zur Hinterlegung von Schutzschriften für den Fall eines ex parte Vorgehens der Behörde fehlt,418 wurde 2012 ein vergleichbares Mittel eingeführt.419
413
Schönig, in: Milbradt, S. 296. Vgl. Code de la propriété intellectuelle, L.615-5, 4; s. Pezard, Seizure of infringing goods, S. 9, verfügbar unter: http://www.ipr2.org/document-centre/download.php?id=476; Stauder, Die tatsächliche Bedeutung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – Ergebnisse einer statistischempirischen Untersuchung, GRUR Int 1983, 234, 237. 415 Véron, MittdtPatAnw 2002, 386, 393. 416 Cour d’Appel Paris, Urteil vom 22. Juni 2011, Az.: 09/24271 (Vetrotec/Interver), Übersetzung auf Englisch verfügbar unter: http://www.eplawpatentblog.com/2011/November/2 011-06-22_CA_Paris_Vetrotech_c_Interver_Securit%C3%A9_translation.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 417 Grundlage für die zivilrechtliche Haftbarkeit war Art. 1382 Code Civil. Das o. g. sowie ein weiteres Urteil zur Pönalisierung von Missbräuchen des Verfahrens werden diskutiert von Véron, On the use and abuse of saisie-contrefaçon, verfügbar unter: http://kluwerpatentblog. com/2011/09/26/on-the-use-and-abuse-of-saisie-contrefacon/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 418 Vgl. Treichel, Die französische Saisie-contrefaçon im europäischen Patentverletzungsprozeß – Zur Problematik der Beweisbeschaffung im Ausland nach Art. 24 EuGVÜ, GRUR Int 1999, 693, 694, s. insb. Fn. 60. 419 Ménard, France gives „protective letter“ a try, verfügbar unter: http://www.lexology. com/library/detail.aspx?g=9487d36b-c7de-4552-ada7-e73fa3ce1b56 (Stand: 27. Januar 2012) (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 414
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d) Zusammenfassung Der obige Vergleich zeigt, dass (mittlerweile) jeder der aufgeführten Mitgliedstaaten ein Instrument zur vorprozessualen Beweissicherung bietet. In Deutschland wurde erst aufgrund von Art. 7 der Durchsetzungs-Richtlinie die vorprozessuale Beweissicherung sui generis eingeführt. Die Untersuchung zeigt aber, dass sich die vorprozessualen Beweissicherungsansprüche in den drei Ländern in Bezug auf ihre Voraussetzungen wesentlich voneinander unterscheiden. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Beweisschwelle: Während für die Durchführung einer französischen saisiecontrefaçon eine Patentverletzung überhaupt nicht bewiesen werden muss, fordert eine englische Search Order einen „äußerst zwingenden prima facie-Fall“, d. h. einen sehr schwer wiegenden Anschein der Patentverletzung. Der deutsche Besichtigungsanspruch bewegt sich dagegen mit der Voraussetzung einer „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ im Mittelfeld der Beweisanforderungen. Die verbleibenden, erheblichen Unterschiede zeigen, dass die Durchsetzungs-Richtlinie das nationale Recht nur unzureichend harmonisiert hat. Letztlich sind die untersuchten Mitgliedstaaten weitestgehend bei ihren bisherigen Rechtstraditionen geblieben. e) Ursachen für unzureichende Harmonisierung Mit Art. 7 der Durchsetzungs-Richtlinie wurde eine weitgehende Harmonisierung der vorprozessualen Maßnahmen zur Beweissicherung angestrebt. Allerdings beschränkt sich die Richtlinie in Art. 2 Abs. 1 auf eine Mindestharmonisierung, d. h. Vorschriften der Mitgliedstaaten, die über die Richtlinie hinausgehen, bleiben unberührt. Art. 7 der Durchsetzungs-Richtlinie lautet wie folgt: (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche, dass ihre Rechte an geistigem Eigentum verletzt worden sind oder verletzt zu werden drohen, vorgelegt hat, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. (…) [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Die Anforderungen an einen zu stellenden Antrag sind in Art. 7 der Durchsetzungs-Richtlinie nur sehr vage geregelt. Es wird vorausgesetzt, dass „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“ (= Beweise) durch den Antragsteller „vorgelegt“ werden. Der Artikel schweigt sich aber darüber aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit die vorzulegenden Beweismittel eine tatsächliche Verletzung belegen müssen. Dies erklärt, dass auch nach der Umsetzung die liberale saisie contrefaçon und die weniger liberale Search Order sowie der patentrechtliche Besichtigungsanspruch nebeneinander fortexistieren. Sinnvoller wäre es gewesen hier von Anfang an eindeutige Vorgaben zu machen. Von einer Harmonisierung, die eigentlich an-
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gestrebt wurde420, kann also nicht die Rede sein. Daraus resultiert, dass trotz Schaffung einer Richtlinie kein einheitliches Schutzniveau in den genannten Ländern geschaffen wurde. f) Beste Praxis Da offensichtlich bedeutsame Unterschiede im Bereich der vorprozessualen Beweissicherung bestehen, stellt sich die Frage, welche der untersuchten Maßnahmen zum besten Interessenausgleich für die Beteiligten führt. Wie oben aufgezeigt sind die Voraussetzungen zur Durchsetzung einer englischen Search Order bzw. eines deutschen (patentrechtlichen) Besichtigungsanspruchs höher als die Anforderungen an die Durchführung einer saisie contrefaçon. Der Patentinhaber muss für die erstgenannten Instrumente zumindest den schwerwiegenden Verdacht der Patentverletzung (zwingender prima facie Verdacht) bzw. nach deutschem Konzept ihre „gewisse Wahrscheinlichkeit“ darlegen. Demgegenüber sind die Anforderungen an die Durchführung einer saisie contrefaçon für den Rechtsinhaber wesentlich günstiger, da ein Nachweis der Rechtsverletzung nicht erforderlich ist. Gemeinsam haben alle Ansätze eine Interessenabwägung und eine Schadensersatzpflicht des Antragstellers im Falle der Unbegründetheit seines Antrags entsprechend der Durchsetzungs-Richtlinie. Bei den Überlegungen, welches dieser Mittel zur Beweissicherung für alle Beteiligten einen angemessenen Interessenausgleich bietet, ist zunächst die abstrakte Interessenlage von Bedeutung: Bereits oben wurde die Situation des Antragstellers umschrieben. Es ist davon auszugehen, dass er in einem derart frühen Stadium des Verfahrens i. d. R. einen Verdacht der Patentverletzung weder belegen kann noch, dass er ihre überwiegende Wahrscheinlichkeit beweisen kann.421 Diese Ungewissheit rührt vor allem daher, dass vorprozessuale Beweissicherungsmittel praktisch gerade für Fälle von Bedeutung sind, in denen der Antragsteller sich gerade nicht, etwa über Probekäufe oder anderweitig auf legalem Wege, das potenziell patentverletzende Gut beschaffen kann.422 Denn ohne den vermeintlich patentverletzenden Gegenstand einsehen zu können, wird regelmäßig die Verletzung selbst nicht zu belegen sein. Dies hat auch der BGH in seiner Entscheidung „Faxkarte“ erkannt, in welcher er ausdrücklich darauf hinweist, dass ein Anspruch nach § 809 BGB (so auch nach § 140c PatG)
420 Vgl. hierzu Erwgrd. 10 der Durchsetzungs-Richtlinie: „Mit dieser Richtlinie sollen diese Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.“. 421 Vgl. Hess, Preservation and Taking of Evidence in Cross-Border Proceedings – Comparative Remarks in the Context of IP Litigation, in: Nuyts, International Litigation in Intellectual Property and Information Technology, 2008, S. 289, 290. 422 Vgl. hierzu die Anforderungen der Anton Piller Order, o., b).
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten
131
„gerade auch in Fällen (besteht), in denen ungewiss ist, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt“.423 Für den Antragsgegner ist dagegen ein Geheimnisschutz von erheblicher Bedeutung, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass vorprozessuale Beweissicherungsmittel zur Ausforschung von Mitbewerbern (als sog. fishing expeditions) missbraucht werden. In Abwägung dieser Interessenlagen erweist sich das Interesse des Patentinhabers grds. als vorrangig, da anderenfalls der Patentverletzer regelmäßig ohne ein Verfahren gewähren könnte. Dabei sollte der Schutz des Antragsgegners grds. umso höher ausfallen, je niedriger die Voraussetzungen für die Durchführung der Maßnahme sind. Unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte wird die saisie contrefaçon der Interessenlage des Patentinhabers – im Falle eines begründeten, jedoch nicht belegbaren Anfangsverdachts einer Patentverletzung – gerecht. Problematisch ist allerdings, ob die Schadensersatzpflicht im Falle der missbräuchlichen Ausnutzung der Maßnahme sowie, wenn der Antragsteller nicht innerhalb von 14 Tagen Klage im Hauptsacheverfahren erhebt, einem Missbrauch zum Zwecke der Ausforschung von Geschäftsgeheimnissen effektiv vorbeugen kann. Die saisie contrefaçon wird auch den Anforderungen an den Schutz des Antragsgegners gerecht, da sie Vorkehrungen enthält, nach denen die erlangten Informationen über die besichtigte Sache bzw. die beschlagnahmten Dokumente dem Antragsteller erst zu einem späteren Zusammenhang ausgehändigt werden. Dieser favorisierten Interessengewichtung trägt auch ein Vorschlag Stauders – bereits von 1978 – zur Einführung einer modifizierten saisie contrefaçon im dt. Rechtssystem Rechnung424 : „(1) Wer sich Gewißheit verschaffen will, ob ihm gegen den angeblichen Benutzer einer patentierten Erfindung ein Anspruch wegen Patentverletzung zusteht, kann, wenn der Berechtigte an der Besichtigung der Benutzung aus diesem Grunde ein Interesse hat, verlangen, daß der Benutzer die Beschreibung durch einen Sachverständigen gestattet. (…) (4) Ist die Beschreibung durch einstweilige Maßnahme angeordnet worden, so ist über die Aushändigung der Beschreibung an den Berechtigten im Verfahren der Hauptsache zu entscheiden.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Stauder setzte also lediglich voraus, dass der Berechtigte sich „Gewissheit verschaffen will“ und ein „Interesse“ hat. Eine Beweishürde sah er dabei nicht vor. Er
423
BGH Faxkarte (Fn. 380), GRUR 2002, 1046, 1048. Stauder, Überlegungen zur Schaffung eines besonderen Beweisverfahrens im europäischen Patentverletzungsrecht – Saisie contrefaçon oder actio ad exhibendum als Beispiele?, GRUR Int 1978, 230, s. insb. S. 237 (IV., 1. ff.). 424
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
wollte Missbrauch dadurch vorbeugen, dass dem Berechtigten die Beschreibung der besichtigten Sache erst im Hauptsacheverfahren ausgehändigt wird.425 2. Schadensersatzberechnung Die Berechnung von Schadensersatz ist in Patentverletzungsprozessen häufig problematisch, obwohl dem Patentinhaber i. d. R. drei unterschiedliche Berechnungsmethoden zur freien Wahl zur Verfügung stehen. Falls eine Berechnung nach dem den Kläger entgangenen Gewinn erfolgen soll, ist es in der Regel äußerst schwierig, nachzuweisen, dass eine Kausalität zwischen der Patentverletzung und einem Umsatzrückgang besteht.426 Außerdem erfordert die Berechnung entgangenen Gewinns, dass Patentverletzer427 und -inhaber ihre Preiskalkulation offen legen.428 Eine solche Offenlegung stößt allerdings angesichts des großen Geheimhaltungsinteresses auf beiden Seiten regelmäßig auf großen Widerstand und wird von den Gerichten restriktiv gehandhabt.429 Der entgangene Gewinn ist daher eine wenig erfolgsversprechende Methode zur Schadensersatzberechnung. Alternativ ließe sich der Gewinn des Verletzers dem Schadensersatzanspruch zugrunde legen. Jedoch besteht auch hier grundsätzlich die Schwierigkeit darin, dass zumindest eine Seite geheimhaltungsbedürftige Informationen offenlegen müsste.430 Letztlich ist wegen dieser Hindernisse die dritte Methode, die sog. Lizenzanalogie, im Regelfall einzig erfolgsversprechend für die Berechnung der Schadensersatzsumme. Sie ist gewissermaßen eine „Auffang-Methode“, die es oft erlaubt Schadensersatzbeträge aufgrund objektiver Marktdaten, d. h. ohne Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, zu errechnen. Als „Mindeststandard“ verdient die Lizenzanalogie daher ein besonderes Augenmerk bei der Untersuchung der Frage nach der Harmonisierung von Berechnungsmethoden von Schadensersatz. 425
Vgl. Stauder, GRUR Int 1978, 230, 238 (Abs. 4 des Gesetzesvorschlags). Nieder, Teil B. III. 2. a. aa., Rn. 104; zu MarkenG Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. München 2010, Vorbem. zu §§ 14 – 19, Rn. 235. 427 Vgl. Mes, in: Mes, PatG/GebrMG, § 139, Rn. 124; Rogge/Grabinski, in: Benkard, PatG, § 139, Rn. 62, beide Quellen mit Hinweis auf das Urteil des BGH zu konkreten Beweisanforderungen, vom 6. März 1980, Az.: X ZR 49/78, GRUR 1980, 841 (Tolbutamid). 428 Goldmann spricht in dieser Hinsicht zu Recht von einer „Selbstentblößung“, s. Goldmann, Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs vor und nach Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie, WRP 2011, 954 m. w. N. 429 Die Gerichte können zwar gem. §287 ZPO den Schaden schätzen. Sie bedürfen aber hierzu einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Die Möglichkeit der Schätzung befreit den Kläger also nicht von der Beibringung ausreichender Tatsachen, vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. München 2008, § 287, Rn. 14 m. w. N. 430 Eine Lösung für das Problem der Offenlegung von geheimhaltungsbedürftigen Informationen zeichnet sich in Deutschland seit der „Gemeinkosten“-Entscheidung ab und hat bereits zu einer größeren Attraktivität der Berechnungsmethode des Verletzergewinns geführt. Vgl. hierzu u., b) aa) (2). 426
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten
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a) Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen Sowohl das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS-Übereinkommen)431 als auch die DurchsetzungsRichtlinie haben eine Harmonisierung auf dem Gebiet der Berechnung von Schadensersatz angestrebt. Das TRIPS-Übereinkommen ging der Durchsetzungs-Richtlinie voraus. Es stimmt hinsichtlich der Regelungen über Schadensersatz weitgehend mit der Durchsetzungs-Richtlinie überein, ist jedoch unbestimmter.432 Zudem hat das TRIPS-Übereinkommen eine geringere Bindungswirkung als die Richtlinie.433 Daher wird im Folgenden ausschließlich die Rechtslage nach der DurchsetzungsRichtlinie untersucht. aa) Wortlaut des Art. 13 der Durchsetzungs-Richtlinie Art. 13 der Durchsetzungs-Richtlinie lautet wie folgt: (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.
Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt: a) Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber, oder b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.
431
Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. April 1994 (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights; TRIPs-Übereinkommen); Verwaltung durch die WTO, BGBl. 1994 II S. 1730. 432 Art. 13 der Durchsetzungs-Richtlinie stimmt weitgehend mit dem o. g. Art. 45 TRIPS überein, ist aber insofern ausführlicher, als er ausdrücklich Instrumente zur Schadensersatzberechnung nennt. 433 Ein Grund für die Verabschiedung der Richtlinie war, dass trotz des Abschlusses des TRIPS-Übereinkommens unter anderem im Bereich der Berechnung von Schadensersatz wesentliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten fortbestanden, vgl. Erwgrd. 7 der Richtlinie, sowie Vorschlag zur Durchsetzungs-Richtlinie (Fn. 367), 2003/24/COD, S. 25.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
(2) Für Fälle, in denen der Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Art. 13 Abs. 1 Satz 2 lit. a) erklärt einerseits eine Berechnung auf Grundlage des dem Patentinhaber entstandenen Schadens bzw. des Verletzergewinns (bzw. immaterieller Schäden434) für zulässig. Andererseits kann nach lit. b) („oder“, „stattdessen“) ein Pauschalbetrag nach der sog. Lizenzanalogie berechnet werden. Der einfache Lizenzbetrag wird ausdrücklich als Untergrenze des Schadensersatzes („mindestens“) festgelegt.435 Schadensersatz soll nur für den Fall gewährt werden, dass der Verletzer von der Vornahme der Verletzungshandlung „wusste“ bzw. dies „hätte wissen müssen“. Dies entspricht dem deutschen Maßstab zur Feststellung von Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit. Ein Verschulden wird also vorausgesetzt.436 Die Gewinnabschöpfung bzw. die Zahlung eines „im Voraus festgesetzten“ Schadensersatzes kann indes verschuldensunabhängig angeordnet werden (vgl. Art. 13 Abs. 2 der Durchsetzungs-Richtlinie). bb) Ziele des EU-Gesetzgebers Aus einem Vorschlagspapier zur Durchsetzungs-Richtlinie geht hervor, dass der EU-Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigte, einen „doppelten Schadensersatz“ als Untergrenze einzuführen, d. h. standardmäßig eine zweifache Lizenzgebühr bei Wahl der Lizenzanalogie als Berechnungsmethode zu fordern (vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a des Vorschlags der Durchsetzungs-Richtlinie437). Dieser Gedanke findet sich dagegen nicht mehr in der finalen Fassung der Richtlinie. Zwar setzt die endgültige Fassung des entsprechenden Art. 13 nicht mehr eine Vervielfachung der Lizenzgebühren zur Berechnung des Schadensersatzes voraus. 434 Immaterielle Schäden sind an dieser Stelle nur bedingt relevant, da bspw. in Deutschland ausdrücklich nur im dt. UrhR vorgesehen, vgl. hierzu RegBegr zu Entwurf des DurchsetzungsG vom 20. April 2007, BT-Drks. 16/5048, S. 33. 435 Die Regelung ist eine Konsequenz aus der Teilharmonisierung, vgl. Art. 2 Abs. 1 der Durchsetzungs-Richtlinie. 436 So auch Kämper mit Verweis auf die deutsche Umsetzung, s. Kämper, Der Schadensersatzanspruch bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten – Neue Entwicklungen seit der Enforcement-Richtlinie, GRUR Int 2008, 539; Dreier, Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen von Urheberrechtsverletzungen – Erste Gedanken zur EU-Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, GRUR Int 2004, 706, 707. 437 Art. 17 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum vom 30. Januar 2003, veröffentlicht unter 2003/24/COD, S. 25, „Die geschädigte Partei hat Anspruch auf pauschale Schadensersatzzahlungen in doppelter Höhe der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des besagten Rechts eingeholt hätte (…).“ [Hervorhebungen durch den Verfasser].
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten
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Allerdings nennt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ausdrücklich das Ziel, dass die „Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe (…) wirksam, verhältnismäßig und a b s c h r e c k e n d sein“ müssen. Art. 13 Abs. 1 verlangt also für den tatsächlichen Schaden „angemessenen“, d. h. kompensatorischen Ersatz438, der aber zugleich nach Art. 3 Abs. 2 „abschreckend“ sein soll.439 Offensichtlich besteht hier ein „Zielkonflikt“: Gerade bei Patentverletzungen ist problematisch, dass Verletzer des Patents, zumeist Produkte schlicht kopieren und sich dadurch kostspielige Forschungsarbeit ersparen. Daher können sie Güter mit signifikant höheren Gewinnmargen anbieten. So vermag eine Ersatzpflicht bzgl. Gerichts- und Anwaltskosten, sowie einer einfachen Lizenz (die zusätzlich durch einen erfolgreichen Prozess bedingt ist) zwar den tatsächlichen Schaden des Patentinhabers auszugleichen. Sie vermag dagegen nicht, den Verletzer abzuschrecken, der Gewinne macht, die den Schadensersatzbetrag um ein Vielfaches übersteigen. Pincus spricht daher sogar von einem Anreiz zur Patentverletzung („incentive to infringe“) – der Anreiz keine Lizenz zu beantragen, sondern es auf einen Gerichtsprozess ankommen zu lassen.440 Es ist aber zu bemerken, dass der EU-Gesetzgeber – trotz der Statuierung der Pflicht zur Angemessenheit von Schadensersatz – grundsätzlich auch eine Abschreckung von durch Schadensersatz forciert bzw. zulässt: Einerseits stellt die übliche Lizenzgebühr gem. Art. 13 den „mindestens“ zu ersetzenden Schadensersatz dar.441 Andererseits erlaubt der in Art. 1 Abs. 1 erwähnte Mindestharmonisierungsgrundsatz generell weitergehende, klägerfreundlichere Regelungen.442 Nachfolgend ist zu untersuchen, ob der Zielkonflikt zwischen Angemessenheit und Abschreckung durch die nationalen Umsetzungen der Richtlinie interessengerecht aufgelöst wurde. b) Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie durch die Mitgliedstaaten Nachfolgend wird untersucht, ob der oben identifizierte Konflikt zwischen Angemessenheit und Abschreckung durch die Mitgliedstaaten gerecht aufgelöst wurde.
438
Vgl. auch Erwgrd. 26 der Durchsetzungs-RL: „Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten (…).“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 439 Zum grds. Zielkonflikt s. auch Bodewig/Wandte, Die doppelte Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie, GRUR 2008, 220, 222. 440 Pincus, The Computation of Damages in Patent Infringement Actions, Harvard Journal of Law & Technology 1991, Vol. 5, 95, 124. 441 Dreier, GRUR Int 2004, 706, 707. 442 s. auch Bodewig/Wandte, GRUR 2008, 220, 222.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
aa) Deutschland Deutschland hat 2007 die Durchsetzungs-Richtlinie durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums umgesetzt.443 (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie In Deutschland wurden bereits vor Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie die in Art. 13 der Richtlinie genannten Berechnungsmethoden angewandt. Der BGH erwähnte 1972 in seinem Urteil „Wandsteckdose II“444, dass Schadensersatz u. a. im PatG auf „dreierlei Weise berechnet werden (könne): Als konkreter Schaden, einschließlich des entgangenen Gewinns (…) als entgangene angemessene Lizenzgeber [Anm.: Gemeint ist ,-gebühr‘], und (…) Verletzergewinn (…).“ Diese – vor Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie ungeschriebenen – Berechnungsmethoden wurden nunmehr ausdrücklich in das PatG aufgenommen.445 Der immaterielle Schaden wird dagegen nicht in § 139 Abs. 2 PatG n. F. erwähnt. Der Gesetzgeber sah hier keinen Anpassungsbedarf446, da ein solcher Schaden im Patentrecht als Form des „Imageschadens“ im Rahmen des Anspruchs aus § 139 Abs. 1 PatG bzw. als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ersetzbar ist.447 Die Lizenzanalogie ist in § 139 Abs. 2 Satz 2 PatG n. F. als Berechnungsgrundlage genannt. Die Bundesregierung hat sich aber bewusst gegen eine Empfehlung des Bundesrats entschieden, eine doppelte Lizenzgebühr einzuführen.448 Eine Vervielfältigung lehnte sie im Hinblick auf Erwägungsgrund 26 der DurchsetzungsRichtlinie449 und das lediglich auf Ausgleich, nicht auf Sanktion gerichtete, zivile Schadensersatzrecht, ab.450 Der Wortlaut „mindestens“, der impliziert, dass ein nach 443 Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (DurchsetzungsG) vom 7. Juli 2008, BGBl. 2008 I, Nr. 28, S. 1191. 444 BGH, Urteil vom 8. Oktober 1971, Az.: I ZR 12/70, GRUR 1972, 189, 190 (Wandsteckdose II). 445 DurchsetzungsG (Fn. 443). 446 Lediglich nach dem UrhG werden ausdrücklich auch immaterielle Schäden gem. § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG ersetzt. 447 RegBegr zu Entwurf des DurchsetzungsG vom 20. April 2007, BT-Drks. 16/5048, S. 33, s. auch zum sog. Marktverwirrungs- oder Diskreditierungsschaden, Rogge/Grabinski, in: Benkard, PatG, § 139, Rn. 76. 448 Empfehlungen des Bundesrats zum Entwurf DurchsetzungsG vom 26. Januar 2007, BRDrks. 64/1/07, S. 4. In seiner Empfehlung sprach sich der Bundesrat dafür aus, im Rahmen des Verletzergewinns eine widerlegbare Vermutung der doppelten Lizenzgebühr einzuführen, um die Rechtsstellung des Patentinhabers zu verbessern und dabei zugleich dogmatisch einem Strafschadensersatz zu entgehen. 449 Nach Erwgrd. 26 der Durchsetzungs-RL findet ausdrücklich ein „Ausgleich“ des Schadens statt. Bezweckt werde „nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz“. 450 s. RegBegr zu Entwurf des DurchsetzungsG, BT-Drks. 16/5048, S. 37, re. Spalte.
C. Bisherige Harmonisierungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten
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der Lizenzanalogie berechneter Schadensersatz die Untergrenze darstellt, wurde ebenfalls nicht in § 139 Abs. 2 Satz 2 PatG n. F. aufgenommen.451 Die Bundesregierung stellt aber klar, dass die Formulierung der „angemessenen Vergütung“ durchaus höhere als die marktüblichen Lizenzgebühren zulasse.452 Nach wie vor gelte allerdings das sog. „Vermengungsverbot“, nach dem z. B. nicht kumulativ Schadensersatz, der nach unterschiedlichen Methoden berechnetet wurde, verlangt werden kann.453 Eine weitere Änderung hat es in Bezug auf die Verschuldensgrade gegeben. Die Bundesregierung hielt eine Aufrechterhaltung der Vorschrift, die für den Fall leichter Fahrlässigkeit lediglich eine Entschädigung (unter Schadensersatzhöhe) vorsah (vgl. § 139 Abs. 2 Satz 2 PatG a. F.), aufgrund der Systematik des Art. 13 der Richtlinie nicht mehr für legitim.454 Die verschuldensunabhängige Haftung bei Ansprüchen auf Herausgabe des Verletzergewinns als fakultative Vorschrift wurde nicht vom deutschen Gesetzgeber übernommen. (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie Die Wahl der jeweiligen Berechnungsmethode455 liegt auch nach der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie weiterhin beim Patentinhaber.456 Die Tatsache, dass die Richtlinie keine Regeln darüber vorsieht, wann eine bestimmte Methode anwendbar
451 Tetzner ist der Auffassung, dass daher die Richtlinie nicht ausreichend umgesetzt wurde, s. Tetzner, Der Verletzerzuschlag in der Lizenzanalogie, GRUR 2009, 6, 8 f., vgl. auch Stellungnahme der GRUR zur Durchsetzungs-RL, GRUR 2005, 747. 452 Vgl. RegBegr DurchsetzungsG (Fn. 449), BT-Drks. 16/5048, S. 37, re. Spalte („Die angemessene Vergütung kann also durchaus über der Vergütung liegen, die der Verletzte (…) von Dritten verlangt.“). 453 RegBegr DurchsetzungsG (Fn. 449) BT-Drks. 16/5048, S. 33, li. Spalte mit Verweis auf BGH, Urteil vom 17. Juni 1992, Az.: I ZR 107/90, GRUR 1993, 55 (Tchibo/Rolex II) (insb. S. 57 f. wonach bei zwei Berechnungsmethoden im Zweifel die für den Kläger günstigere (ausschließlich) anzuwenden ist.). 454 Der Vergleich von Art. 13 Abs. 1 mit dessen Abs. 2 zeige, dass eine niedrigere Entschädigung nur für den Fall vorgesehen sei, dass gar kein Verschulden vorliege. s. RegBegr DurchsetzungsG (Fn. 449) BT-Drks. 16/5048, S. 33, re. Spalte. Krit. hierzu: Ungern-Sternberg, Einwirkung der Durchsetzungsrichtlinie auf das deutsche Schadensersatzrecht, GRUR 2009, 460, 465. 455 Ungern-Sternberg weist darauf hin, dass es sich bei der Wahl der Bemessungsart weder um ein Recht noch eine Pflicht handelt. Die Berechnungsmethode kann der Kläger auch im laufenden Verfahren ändern, s. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 465 f. 456 Anm.: Das Wahlrecht darf in st. Rspr. ausgeübt werden bis der Anspruch erfüllt oder rechtskräftig zuerkannt worden ist. Siehe BGH, Urteil vom 12. Januar 1966, Az.: Ib ZR 5/64, GRUR 1966, 375, 379 (Meßmer-Tee II); BGH, Urteil vom 13. Juli 1973, Az.: I ZR 101/72, GRUR 1974, 53, 54 (Nebelscheinwerfer); BGH, Urteil vom 24. November 1981, Az.: X ZR 7/ 80, NJW 1982, 1154, 1155 (Kunststoffhohlprofil II).
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
sei soll, wurde vom Gesetzgeber als Grund dafür angesehen, dass die bisherige gerichtliche Praxis richtlinienkonform ist.457 Bei der Berechnung des entgangenen Gewinns sind keine besonderen Änderungen zu erwarten. Für Patentinhaber ist es unverändert problematisch, eine Kausalität zwischen Umsatzrückgang und Patentverletzung nachzuweisen sowie die Preiskalkulation des Verletzers und die eigene Berechnung offenzulegen.458 Daher wird der entgangene Gewinn aller Voraussicht nach auch zukünftig nur selten als Grundlage zur Berechnung von Schadensersatz gewählt werden. Wie oben beschrieben, kann gem. § 139 Abs. 2 Satz 1 PatG auch der Gewinn des Patentverletzers Berechnungsgrundlage für Schadensersatz sein. Zuvor galt, dass die Herausgabe des Verletzergewinns alternativ zur Zahlung von Schadensersatz zu erfolgen habe. In § 42 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG a. F. war sogar ausdrücklich geregelt, dass „an Stelle des Schadensersatzes (…) die Herausgabe des Gewinns, den der Verletzer durch die Benutzung des Geschmacksmusters erzielt hat, (…) verlangt werden“ kann. Im Patentrecht wurde der Verletzergewinn von der Rechtsprechung als angemaßte Geschäftsführung gem. §§ 687 Abs. 2, 667 BGB qualifiziert.459 Diese dogmatische Begründung kann nach aktueller Rechtslage nicht mehr aufrecht erhalten werden: Nachdem der Verletzergewinn vom EU-Gesetzgeber gemeinsam mit anderen Berechnungsmethoden in Art. 13 aufgenommen und in Deutschland entsprechend umgesetzt wurde460, hat sich die dogmatische Begründung in Deutschland dahingehend geändert, dass es sich bei der Heranziehung des Gewinns lediglich um eine (den sonstigen Methoden gleichgestellte) Methode zur Berechnung des Schadensersatzes, und damit nicht um einen eigenen Anspruch, handelt.461 Änderungen in der Praxis ergeben sich hierdurch jedoch nicht.
457 RegBegr zu Entwurf des DurchsetzungsG vom 20. April 2007, BT-Drks. 16/5048, S. 33, re. Spalte; s. auch Dreier, GRUR Int 2004, 706, 709. 458 Goldmann spricht in dieser Hinsicht zu Recht von einer „Selbstentblößung“, s. Goldmann, Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs vor und nach Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie, WRP 2011, 954 m. w. N. 459 BGH, Urteil vom 2. November 2000, Az.: I ZR 246/98, GRUR 2001, 329, 331 (Gemeinkostenanteil) (Zum Geschmacksmusterrecht s. bspw. OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Juni 2005, Az.: I-2 U 39/03, veröffentlicht in InstGE 5, 251 (Rn. 16), entspr. übertragbar auf Patentrecht.); krit. dazu: Melullis (Vors. Richter des X. Zivilsenats am BGH), s. Melullis, Zur Ermittlung und zum Ausgleich des Schadens bei Patentverletzungen, GRUR Int 2008, 679, 680. 460 Neben § 139 Abs. 2 Satz 2 wurden auch neu gefasst: § 24 Abs. 2 Satz 2 GebrMG; § 15 Abs. 6 Satz 2 MarkenG; § 29 Abs. 2 Satz 2 UrhG; § 42 Abs. 2 Satz 2 GeschmMG; § 37 Abs. 2 Satz 2 SortSchG. 461 Dörre/Maaßen, Das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums – Teil I: Änderungen im Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken- und Geschmacksmusterrecht, GRUR-RR 2008, 217, 218 sowie Grabinski, Gewinnherausgabe nach Patentverletzung – Zur gerichtlichen Praxis acht Jahre nach dem „Gemeinkostenanteil“-Urteil des BGH, GRUR 2009, 260, 261.
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Nach fr. Rspr. waren Patentinhaber größtenteils auf eine Berechnung im Wege der Lizenzanalogie eingeschränkt. Diese wurde nach Schätzung von Reimann in 95 Prozent der Fälle favorisiert.462 Seit der sog. „Gemeinkostenanteil“-Entscheidung des BGH463 ist die Berechnung des Verletzergewinns jedoch attraktiver geworden und wird, Grabinski zufolge, mittlerweile in drei Vierteln aller Patentverletzungsfälle zugrunde gelegt.464 Der Anstieg465 gründet darauf, dass nun höhere Beträge als nach der Methode der Lizenzanalogie berechnet werden, da sich Verletzer nach neuer Rechtsprechung nicht mehr über den Abzug sog. Gemeinkosten466 „arm rechnen“ können.467 Die Lizenzanalogie ist in der dt. Rspr. jedoch nach wie vor die „Auffang-Berechnungsmethode“. Sie wird als sicherer Weg gewählt, wenn die beiden anderen, grundsätzlich höhere Schadensersatzsummen versprechenden, Methoden, etwa wegen Beweisschwierigkeiten, geringe Erfolgsaussichten haben. Vor Umsetzung der Richtlinie nahmen die Gerichte bei Zugrundelegung der Lizenzanalogie praktisch an, dass sich der Schädiger bei einem Hinwegdenken des schädigenden Ereignisses ordnungsgemäß verhalten hätte. Er wurde folglich so behandelt wie ein redlicher Lizenznehmer.468 So entschied 2003 das OLG München nach damals geltendem Recht, die Berechnung nach der Lizenzanalogie dürfe „nicht dazu führen, dass der Verletzte mehr erhält, als er bei ordnungsgemäßem Vorgehen des Eingreifenden erhalten hätte; es gibt keinen Strafzuschlag. Nur de lege ferenda solle darüber 462
Reimann, Bericht Q 136 für die Deutsche AIPPI-Landesgruppe, Nr. 43, verfügbar unter: https://www.aippi.org/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 463 s. o., Fn. 459. 464 Grabinski, GRUR 2009, 260, 262. 465 Beispielhaften Berechnungen von Rojahn zufolge ergeben sich bedeutsame Unterschiede in der Schadensersatzhöhe, s. Rojahn, Praktische Probleme bei der Abwicklung der Rechtsfolgen einer Patentverletzung, GRUR 2005, 623, 628; Reimann geht von einem Anstieg der Schadensersatzsummen um 50 % im Vergleich zur alten Rechtslage aus. Siehe Reimann, Patent – Compensation of Damages, verfügbar unter: http://www.expertguides.com/default. asp?Page=9&GuideID=315&Ed=196 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 466 Der Begriff der Gemeinkosten wird umfassend erläutert von Rojahn, GRUR 2005, 623, 627; s. auch Meier-Beck, Herausgabe des Verletzergewinns – Strafschadensersatz nach deutschem Recht?, GRUR 2005, 617, 619 f. 467 Vor der Gemeinkostenanteil-Entscheidung konnten weitgehend Gemeinkosten den Gewinn schmälernd angebracht werden. Effektiv konnten Patentverletzer auch Verluste errechnen. Seit der vorgenannten BGH-Entscheidung können nunmehr nur noch Kosten in Abzug gebracht werden, die mit den, mit der Patentverletzung unmittelbar im Zusammenhang stehenden, Handlungen in Verbindung gebracht werden können. Die Beweislast für dieses „Unmittelbarkeitskriterium“ liegt beim Verletzer. Für eine knappe und zutreffende Zusammenfassung s. Müller-Stoy, LG München I macht Lizenzanalogie attraktiver, GRUR-Prax 2011, 341, 34; im Detail zur Abzugsfähigkeit s. Grabinski, GRUR 2009, 260, 262 f. 468 In seinem Urteil Fersenabstützvorrichtung stellt der BGH fest, „daß ein Schutzrechtsverletzer nicht schlechter, aber eben auch nicht besser gestellt werden solle als ein Lizenznehmer“, s. BGH, Urteil vom 24. November 1989, Az.: X ZR 36/80, GRUR 1982, 286, 289 (Fersenabstützvorrichtung).
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
nachgedacht werden.“469 Folge dieser Rechtsprechung war in der Regel ein niedriger Schadensersatzbetrag ohne abschreckende Wirkung. Aber auch in der neuen Fassung des § 139 PatG ist weder ein „Strafzuschlag“ noch eine nicht sanktionierende Erhöhung der ohnehin zu zahlenden Lizenzgebühr geregelt worden.470 Dennoch räumte der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ein, dass die fiktive Lizenzgebühr „sofern (…) zum sachgerechten Ausgleich angemessen“ auch über der marktüblichen Lizenz liegen kann.471 Es blieb daher zunächst abzuwarten, wie die Gerichte konkret entscheiden würden. Schließlich erging 2010 das erste, lang erwartete, Urteil mit Erwägungen, die auf der neuen Rechtslage nach der Durchsetzungs-Richtlinie fußten.472 Im Einklang mit der Richtlinie entschied das LG München I in seiner Entscheidung „Gülleausbringungsvorrichtung“, dass die Lizenzanalogie nicht (mehr) zu Beträgen führen dürfe, die maximal dem Lizenzsatz entsprechen, der für einen „vertrauenswürdigen Lizenznehmer vor Klärung der Verletzungs- und Bestandsfrage“ erzielt worden wäre.473 Weiter betonte das Landgericht aber, dass sich an dem vom BGH statuierten Grundsatz, „daß ein Schutzrechtsverletzer nicht schlechter, aber eben auch nicht besser gestellt werden solle als ein Lizenznehmer“, nichts ändere.474 Das Gericht geht jedoch in seinem Urteil über die bisherige Rspr. hinaus, indem es Faktoren, die ein Patentinhaber bei einer Lizenzvergabe mit einem redlichen Lizenznehmer zu berücksichtigen hat, den risikoerhöhenden Faktoren gegenüberstellt, die bei einer (hypothetischen) Lizenzvergabe mit einem (erwiesenen) Patentverletzer zu berücksichtigen wären. Anschaulich vergleicht das Landgericht dazu die Situation bei der Lizenzvergabe mit der Kreditvergabe: Ein nachgewiesen unsicherer Kandidat (zu vergleichen mit dem Patentverletzer), der einen Kredit bei der Bank beantragt, hätte gegenüber einem Konkurrent, der seine Kreditunwürdigkeit noch nicht unter Beweis gestellt hat (zu vergleichen mit dem redlichen Lizenznehmer), „wesentlich höhere Kreditzinsen zu bezahlen“.475 Konkret auf einen Patentverletzungsfall bezogen zählt das Gericht auf, dass etwa der Patentinhaber dem Verletzer keinen Vorschussbonus für fristgemäße Lizenzzahlungen gewährt hätte, wenn er über Insolvenzausfallrisiko, Abmahnung und 469 OLG München, Urteil vom 17. Januar 2003, Az.: 21 U 2664/01, GRUR-RR 2003, 194, 195 (Blauer Engel) (Urheberrecht). 470 Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Verdoppelung des Schadensersatzes entschieden, vgl. o., a). 471 RegBegr DurchsetzungsG (Fn. 449) BT-Drks. 16/5048, S. 37, re. Spalte. 472 LG München I, Urteil vom 25. März 2010, Az.: 7 O 17716/09, NJOZ 2011, 1318 (Gülleausbringungsvorrichtung). 473 LG München I Gülleausbringungsvorrichtung (Fn. 472) NJOZ 2011, 1318, 1. Ls. Insoweit übereinstimmend, dass der (einfache) Lizenzbetrag der Mindestvergütung entspricht, LG Berlin, Urteil vom 22. Dezember 2009, Az.: 15 S 9/07, GRUR-RR 2010, 422, 424 f. 474 Das LG München I zitiert die BGH-Rspr. von 1982 in seinem Urteil Fersenabstützvorrichtung uneingeschränkt, vgl. NJOZ 2011, 1318, 1320, s. auch Fn. 468. 475 LG München I Gülleausbringungsvorrichtung (Fn. 472), NJOZ, 2011, 1318, 1320.
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Verletzungsprozess mit Unsicherheit über zur Berechnung des Schadensersatzes erforderliche Auskünfte informiert gewesen wäre. Er hätte also – der atypischen Situation angemessen – wesentlich höhere Lizenzzahlungen vereinbart. Letztlich steckt in der missverständlichen Aussage, dass ein Patentverletzer nicht schlechter gestellt sein solle als ein Lizenznehmer, eine Billigkeitserwägung, der die Lösung des LG München I möglicherweise auf den ersten Blick nicht gerecht zu werden scheint: Es mag für den Betrachter so aussehen, als bewirke die Zugrundelegung der neuen Faktoren nun eine „Schlechterstellung“, da die (fiktiven) Lizenzzahlungen sich erhöhen. Aus Sicht der Umstände des Einzelfalls findet eine Schlechterstellung aber gerade nicht statt: Die Rspr. des LG München I erlaubt es, bei Patentverletzern – genau wie bei redlichen Lizenznehmern – alle Umstände des Einzelfalls, d. h. auch bspw. die Risiken der Lizenzeintreibung, zu berücksichtigen. Angesichts dieser Gleichwertigkeit der Behandlung ist ein Patentverletzer also im Ergebnis ggü. dem redlichen Lizenznehmer nicht schlechter gestellt, sondern vielmehr gleichgestellt. Demgegenüber muss die fr. Rspr., die ausschließlich Faktoren berücksichtigte, die den nach der Lizenzanalogie errechneten Betrag verringerten, als eine Besserstellung des Patentverletzers anzusehen sein. Sie wurde daher vom Gericht zu Recht als verkürzend und unzutreffend bezeichnet. Zutreffend hält das LG München I die bis dahin st. Rspr. nicht mit Art. 13 der Durchsetzungsrichtlinie (insb. Art. 13 Abs. 2 lit. b mit dem Wortlaut „mindestens“) für vereinbar.476 Bedauerlicherweise wurde die Berufung in dem Verfahren zurückgenommen, sodass kein höchstrichterliches Urteil hierzu ergangen ist. Es bleibt zu hoffen, dass der Ansatz des LG München I zu einer neuen Gerichtspraxis führen wird, die eine Erhöhung des nach der Lizenzanalogie berechneten Schadensersatzes zur Folge haben wird.477 Weiteren Grund, auf eine künftige Änderung der höchstrichterlichen Rspr. zu hoffen, gibt ein Beitrag des Vorsitzenden Richters des X. Zivilsenats des BGH, Meier-Beck478, von 2010, in dem er sich für einen erhöhten Schadensersatz aussprach.479 Seine Überlegung fußt im Wesentlichen darauf, dass die Lizenzanalogie in der Durchsetzungs-Richtlinie neben den anderen Berechnungsmethoden für Schadensersatz genannt wird und damit gewissermaßen zu gleichwertigen (wenn auch 476
LG München I Gülleausbringungsvorrichtung (Fn. 472), NJOZ, 2011, 1318, 1321; ähnl. Kritik Tetzners, s. dazu o., Fn. 451. 477 Ähnl. Müller-Stoy, der es für „nicht unwahrscheinlich“ hält, dass sich andere Gerichte dieser Rspr. anschließen werden, s. Müller-Stoy, „Merklich“ erhöhter Lizenzsatz, Anm. zu LG München, Az.: 7 O 17716/09, jurisPR-WettbR 10/2011, Anm. 2. 478 Vorsitzender des X. Zivilsenats des BGH seit September 2010, s. Pressemitteilung Nr. 168/2010 vom 6. September 2010, verfügbar unter: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgibin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&Sort=3&nr=53233 &pos=6&anz=174 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 479 Meier-Beck, Schadenskompensation bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie, in: FS Loschelder, Köln 2010, S. 221.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
nicht identischen) Ergebnissen führen müsse.480 Es sei „verfehlt“ die Gebühr so zu bemessen „wie sie in einem Vertrag vereinbart wird, in dem der Schutzrechtsinhaber dem Lizenznehmer das Recht zur Nutzung des Gegenstands seines Schutzrechts einräumt“. Meier-Beck hält sogar eine Verdoppelung der Lizenzgebühr für „nicht fernliegend“. Er spricht sich damit nicht dafür aus, die Lizenzanalogie pauschal zu verdoppeln, sondern dafür, dass auch nach der Lizenzanalogie bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Ergebnis ein Schadensersatz in Höhe des Verletzergewinns herausgegeben werden kann.481 Seine, in vielen Aspekten liberalere, Haltung lässt hoffen, dass die großzügige Handhabung der Schadensersatzberechnung auf Grundlage der Lizenzanalogie höchstrichterlich zumindest bestätigt wird. bb) Frankreich In Frankreich wurde die Durchsetzungs-Richtlinie durch die Reform der gewerblichen Schutzrechte482 umgesetzt. (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie Vor Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie verwies der Code de la propriété intellectuelle (CPI)483 auf die allgemeinen Grundsätze des Code Civil zur Berechnung von Schadensersatz.484 Diese beruhen – wie dt. Schadensersatzrecht – auf dem Prinzip der Wiedergutmachung, nach dem Schäden nur bis zu der Höhe ersetzt werden können, zu der sie dem Patentinhaber nachweislich entstanden sind. Der Verletzergewinn konnte nach altem Recht bei der Schadensersatzberechnung nicht berücksichtigt werden. Schaffner kritisierte angesichts dieser Rechtslage, dass aus wirtschaftlichen Aspekten so kein Grund ersichtlich sei, von einer Patentverletzung abzusehen, da dem Verletzer ein nicht unerheblicher Teil seines Gewinns verblieb.485 Vielversprechender war (auch) in Frankreich die Berechnung des Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie. Die Rechtsprechung war hier bereits früh dazu geneigt, Werte zugrunde zu legen, die marktübliche Lizenzen übertrafen. 1985 begründete das Tribunal de Grande Instance de Paris einen über den üblichen Li480 Meier-Beck, FS Loschelder, S. 227; nach Melullis, GRUR Int 2008, 679, 684 sollten die Methoden „wirtschaftlich gleichwertig“ sein; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. September 2007, Az.: X ZR 60/06, GRUR 2008, 93: „Bei den drei Bemessungsarten handelt es sich lediglich um Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens (…).“. 481 Die Lizenzgebühr sei zur Herausgabe des Verletzergewinns „bestimmt und geeignet“, s. Meier-Beck, FS Loschelder, S. 231. 482 Loi No. 2007-1544 de lutte contre la contrefaçon vom 29. Oktober 2007, Franz. OJ No. 252 vom 30. Oktober 2007 unter 17775. 483 Art. 1382, 1149 Code Civil. 484 Art. L 615-1 Abs. 2 CPI nannte lediglich die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Verletzers („La contrefaçon engage la responsabilité civile de son auteur“). 485 Vgl. Schaffner, Two years on: The French experience of the enforcement directive, JIPLP 2010, 178, 184.
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zenzgebühren liegenden Schadensersatz damit, dass dieser erforderlich sei, um Patentverletzer abzuschrecken.486 Auch in Frankreich bestand schon vor der Durchsetzungs-Richtlinie für Patentinhaber die Möglichkeit zwischen den unterschiedlichen Berechnungsmethoden zu wählen.487 Die Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie hat zu einer wesentlichen Neuerung im französischen Recht geführt: Der Verletzergewinn kann nun bei der Berechnung des Schadensersatzes ebenfalls zugrunde gelegt werden und ist – über die Richtlinie hinausgehend – nicht auf „zu Unrecht erzielte“ Gewinne (injustement réalisés) begrenzt.488 Außerdem werden immaterielle Schäden des Patentinhabers (etwa eine Rufschädigung) ersetzt und pauschale Beträge auf Grundlage angemessener Lizenzgebühren berechnet.489 Die fakultative Regelung aus Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie, die bspw. zuvor festgelegten Schadensersatz für unverschuldete Patentverletzungen vorsah, wurde auch in Frankreich nicht umgesetzt.490 (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie Eine Änderung der gerichtlichen Praxis vor allem in Bezug auf den Verletzergewinn ist noch nicht absehbar.491 Praktiker sind der Auffassung, dass der nun größere Spielraum der Gerichte womöglich eher Schadensersatz zulässt, der über den entstandenen Schaden des Patentinhabers hinausgeht.492 Der Rechtsprechung obliegt auch die Auslegung des weitgehend unklaren Rechtsbegriffs des „immateriellen Schadens“ (französisch: préjudice moral).493 Bei Lizenzpauschalen herrscht die Auffassung, dass die Gerichte zumindest bei ihrer – im Vergleich zu Deutschland großzügigen – Rechtsprechung bleiben werden494 bzw., dass sich Schadensersatzsummen in Zukunft sogar weiter erhöhen werden.495 486
Tribunal de Grande Instance de Paris, Urteil vom 30. Januar 1985, Dalloz 1986 I.R. 136. Benhamou, Compensation of Damages for Infringements of Intellectual Property Rights in France, Under Directive 2004/48/EC and Its Transposition Law – New Notions?, IIC 2009, 125, 147. 488 s. auch Heinze, Die Durchsetzung geistigen Eigentums in Europa – Zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG in Deutschland, England und Frankreich, EuZW 2009, 282, 308. 489 Vgl. Art. L 615-7 CPI. 490 Benhamou, IIC 2009, 125, 128. 491 Heinze hält es für möglich, dass die Berechnung des Schadensersatzes nach dem Verletzergewinn anderen Regeln als bspw. in Deutschland folgen wird, s. Heinze, EuZW 2009, 282, 308 m. w. N. 492 Benhamou, IIC 2009, 125, 142 f.; speziell zum neuen Mittel, Gewinne des Verletzers zu berücksichtigen, s. Schaffner, JIPLP 2010, 178, 184. 493 Heinze, EuZW 2009, 282, 308 m. w. N. Allg. zur Interpretation des Begriffs moral prejudice der englischen Fassung der Richtlinie s. auch Kur, The Enforcement Directive – Rough Start, Happy Landing?, IIC 2004, 821, 828 m. w. N. 494 Schaffner, JIPLP 2010, 178, 184. 487
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cc) Großbritannien 2006 wurde die Durchsetzungs-Richtlinie in Großbritannien umgesetzt.496 (1) Bisherige Praxis und Umsetzung der Richtlinie Das englische Case Law ließ schon vor Umsetzung der Richtlinie sämtliche Berechnungsmethoden zu.497 Die genaue Beurteilung zur Höhe des Schadensersatzes oblag dabei den Richtern: Sie muss angemessen sein und alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Der Schadensersatz sollte großzügig bemessen sein, damit direkte Schäden sowie Folgeschäden erfasst werden können.498 Ein Gewinnherausgabeanspruch (account of profits) war – ähnlich wie zuvor im deutschen Recht – als gesonderter Anspruch alternativ zum Schadensersatz zu realisieren.499 Auch in Großbritannien war es für Patentinhaber eine wesentliche Hürde, Gewinne zu belegen, die die übliche Kompensation überstiegen,500 weshalb in der Praxis Schadensersatz zumeist nach der Lizenzanalogie berechnet wurde.501 Punitive damages sind nach der Catnic-Entscheidung nicht zu verhängen.502 Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie wurde in Großbritannien durch Einführung einer wortgleichen Norm im Patents Act umgesetzt. Zudem wurde das „Wissenskriterium“503 statt der bisherigen Voraussetzung der Bösgläubigkeit eingefügt.504 Die englische Regierung entschied sich jedoch gegen die Umsetzung des fakultativen 495
Benhamou, IIC 2009, 125, 144. Die Umsetzung erfolgte durch „Intellectual Property Regulations“ bzw. „Enforcement Regulations“, SI 2006 No 1028, vgl. Harbottle, The Implementation in England and Wales of the European Enforcement Directive, JIPLP 2006, 719. 497 Vgl. Karnell, Gedanken zur Bemessung von Schadensersatzansprüchen bei Patentverletzungen, GRUR Int 1996, 335, 339 f. 498 Catnic Components Ltd. v. Hill & Smith Ltd., [1983] FSR 512. 499 Vgl. Colston/Galloway, Modern Intellectual Property Law, 3. Aufl. Oxford 2010, S. 791 f. (Rn. 19.8.1) mit Verweis auf die Grundsatz-Entscheidung General Tire and Rubber Company v. Firestone Tyre and Rubber Company Limited, [1976] WLR 819. 500 Bayliss e. a., AIPPI, Report Q186 in the name of the United Kingdom Group, Punitive damages as a contentious issue of Intellectual Property Rights, S. 2, verfügbar unter: https:// www.aippi.org/download/commitees/186/GR186uk.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 501 The Law Gazette, Artikel vom 11. Mai 1995, Patent problems – Gerber, the first decision in a patent damages inquiring for 12 years, verfügbar unter: http://www.lawgazette.co.uk/ news/patent-problems-gerber-first-decision-a-patent-damages-inquiring-12-years (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 502 s. auch Bayliss e. a., AIPPI, Report Q186 (Fn. 500) S. 2, verfügbar unter: https://www. aippi.org/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 503 Unwissentliche Patentverletzungen (non-awareness) führen nicht zu einer zivilrechtlichen Schadensersatzpflichtigkeit, vgl. Bayliss e. a., AIPPI, Report Q186 (Fn. 500), S. 21 f., 36. 504 Für weitere Details s. Explanatory Memorandum to the Intellectual Property Regulations 2006 No. 1028, S. 13 f., verfügbar unter: http://www.legislation.gov.uk/uksi/2006/1028/ pdfs/uksiem_20061028_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 496
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Art. 13 Abs. 2 der Durchsetzungs-Richtlinie, weshalb das geltende Recht in Großbritannien nach wie vor keine Schadensersatzansprüche gegen schuldlos handelnde Patentverletzer vorsieht.505 Außerdem wurde die Deckelung des Schadensersatzes in bestimmten Fällen abgeschafft, da sie nicht für richtlinienkonform gehalten wurde.506 (2) Praxis nach Umsetzung der Richtlinie Allgemein wird von Praktikern keine wesentliche Auswirkung auf die Rechtsprechung zur Schadensersatzberechnung angenommen. Weiterhin werden in Großbritannien keine sanktionierenden Schadensersatzforderungen realisiert werden können, sondern nur solche, die den Patentinhaber in die Lage versetzen, die ohne die Rechtsverletzung bestanden hätte.507 Für Verwirrung unter englischen Praktikern hat das Merkmal „unfair profits made by the defendant“ (zu Deutsch: „zu Unrecht erzielte Gewinne des Beklagten (Verletzers)“) gesorgt. Nicht nachvollziehbar erscheint einigen, dass der Verletzergewinn in einem Zug mit dem Schadensersatz genannt wird (bspw. in Art. 3 Abs. 2).508 Hierbei handelt es sich um ein dogmatisches Problem, das – ähnlich wie in Deutschland und Frankreich – darauf gründet, dass in Großbritannien zuvor der Gewinnherausgabeanspruch nicht als Teil der Kompensation durch Schadensersatz angesehen wurde, sondern als eigener Anspruch galt. McGurk schließt daraus, dass nun dem Wortlaut nach womöglich eine Vermischung der unterschiedlichen Berechnungsmethoden erlaubt sei.509 In einer EU-Befragung spricht sich Großbritannien allerdings klar gegen eine Kumulierung aus.510 Die Gerichte werden auch zu entscheiden haben, was unter den Begriff „moral prejudice“ in Art. 13 Abs. 1 lit. a der Richtlinie fällt.511 Bislang sind hierzu keine relevanten Entscheidungen ergangen.512 505 Cumming/Freudenthal/Janal, Enforcement of Intellectual Property Rights in Dutch, English and German Civil Procedure, London 2008, S. 173. 506 Einige absolute Schranken des Schadensersatzanspruchs (pre-conditions) wurden aus dem Patents Act entfernt. s. hierzu Harbottle, JIPLP 2006, 719, 726 f. 507 UK Government response to the Commission Report on the application of the Enforcement-Directive, Rn. 8 f. (Stand: März 2011), verfügbar unter: http://www.ipo.gov.uk/poli cy-enforcement-civil-20110407.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 508 Harbottle, JIPLP 2006, 719, 726. 509 McGurk, Account of profits v damages: when and why does it matter?, verfügbar unter: http://www.inhouselawyer.co.uk/index.php/media-entertainment-a-sport/7319-account-of-pro fits-v-damages-when-and-why-does-it-matter (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Anm.: Eine derartige Praxis würde im Widerspruch zum deutschen Vermengungsverbot [vgl. o., aa) (2)] stehen. 510 European Observatory on Counterfeiting and Piracy, Damages in Intellectual Property Rights (EU-Befragung), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/iprenforcement/ docs/damages_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), S. 22. 511 Anders: Harbottle, der für eine Ausweitung der immateriellen Schäden keinen Bedarf sieht, da das englische Recht bereits sog. aggravated damages, sog. „verschärften“ Scha-
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
dd) Österreich In Österreich hat die Durchsetzungs-Richtlinie zu keinen Anpassungen in Bezug auf die Schadensersatzberechnung geführt,513 da das öPatG bereits ausdrückliche Regelungen hierzu enthielt. Der entgangene Gewinn kann nach § 150 Abs. 2 lit. a öPatG als Schadensersatz verlangt werden. Außerdem kann gem. § 150 Abs. 2 lit. b öPatG der Verletzergewinn abgeschöpft werden, wobei Gemeinkosten514 berücksichtigt werden. Das öPatG geht über die Richtlinie hinaus, indem es im Falle grob fahrlässiger und vorsätzlicher Patentverletzungen eine Inanspruchnahme in Höhe des doppelten Betrags eines „angemessenen Entgelts“ erlaubt (vgl. § 150 Abs. 1, 3 öPatG) ohne den Nachweis eines konkreten Schadens zu fordern (vgl. § 150 Abs. 1, 3 öPatG). Die Vereinbarkeit dieses Vorgehens mit der Durchsetzungs-Richtlinie ist zweifelhaft: Zwar bezeichnet Art. 13 Abs. 1 lit. b der Richtlinie nur die Untergrenze der (einfachen) angemessen Lizenzvergütung („mindestens“). Außerdem enthält Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie den Grundsatz der Mindestharmonisierung, der den Mitgliedstaaten Maßnahmen zugesteht, „die für die Rechtsinhaber günstiger sind (…)“. Problematisch ist jedoch, dass die Verdoppelung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit greift, während die Richtlinie in Art. 13 Abs. 1 an Vorsatz und Fahrlässigkeit generell anknüpft.515 Außerdem könnte eine pauschale Verdoppelung der Lizenzgebühr die Schwelle zu einem Strafschadensersatz überschreiten, was wiederum dem Erwägungsgrund 26 der Durchsetzungs-Richtlinie zuwiderlaufen könnte.516 In Österreich sind die Gerichte bei der Wahl der Berechnungsmethode an die Anträge des Patentinhabers gebunden.517
densersatz, kennt, der auch immaterielle Schäden umfasst, s. Harbottle, JIPLP 2006, 719, 726 mit Verweis auf Nottinghamshire Healthcare NHS Trust v News Group Newspapers Ltd [2002] EWHC 409; [2002] EMLR 33, Rn. 51; Kur, IIC 2004, 821, 828. 512 EU-Befragung (Fn. 510), S. 34. 513 Vgl. Vortrag von Griss vor dem BPatG, Erfahrungen mit der Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie in Österreich, S. 8, verfügbar unter: https://www.yumpu.com/de/document/ view/26930148/erfahrungen-mit-der-umsetzung-der-durchsetzungsrichtlinie-in- (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 514 Zum Begriff der Gemeinkosten s. auch o., Fn. 466. 515 Vgl. hierzu auch die für Österreich geltende Übertragbarkeit der Wissenselemente des Art. 13 auf Vorsatz und Fahrlässigkeit, o., dd), sowie die Tatsache, dass in Deutschland die Vorschrift zur Privilegierung von leicht fahrlässigen Patentverletzungen aufgrund der Richtlinie gestrichen wurde, o., aa). 516 Vgl. insofern auch das Argument der deutschen Bundesregierung, Fn. 450. 517 EU-Befragung (Fn. 510), S. 44.
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ee) Zusammenfassung der unterschiedlichen Berechnungspraktiken Die Untersuchungen zur Durchsetzungs-Richtlinie haben ergeben, dass zwar die Funktion des Schadensersatzes in den aufgeführten Ländern dieselbe ist.518 Jedoch bestehen auch nach ihrer Umsetzung entscheidende Unterschiede in Kodifizierung und Praxis der Schadensersatzberechnung. Die Praxis der Mitgliedstaaten kann, geordnet nach den jeweiligen Berechnungsarten, in die nachfolgend dargestellten Gruppen eingeordnet werden. (1) Entgangener Gewinn Der entgangene Gewinn beschränkt sich in allen Ländern auf den tatsächlich entstandenen Schaden, der meist deutlich unter dem Verletzergewinn liegt. Dies hat zur Folge, dass die Methode nicht zu einer Sanktionierung des Verletzerverhaltens führt. Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aufgrund entgangenen Gewinns ist den Untersuchungen zufolge zumindest in Deutschland, Großbritannien und Frankreich problematisch. Dabei ist es für Rechtsinhaber eine wesentliche Hürde, die Kausalität zu belegen und ein tatsächliches Problem, erforderliche, unternehmensinterne (ggf. geheimhaltungsbedürftige) Dokumente offen zu legen. Patentinhaber sind daher oft geneigt, andere Berechnungsmethoden zu wählen, um eine Offenlegung von Unternehmensgeheimnisse gegenüber Konkurrenten zu verhindern. (2) Herausgabe des Verletzergewinns Der Verletzergewinn überwiegt wertmäßig häufig den materiellen Schaden, der einem Patentinhaber entstanden ist, da ein Verletzer sich durch bloßes Kopieren einer Erfindung kostenaufwendige Forschung erspart.519 Nach dem Verletzergewinn berechneter Schadensersatz ist damit grds. die vielversprechendste Abschreckungsmaßnahme, jedoch in der Praxis – ähnlich wie der entgangene Gewinn – in allen untersuchten Mitgliedstaaten schwer durchzusetzen. Dies mag daran liegen, dass die Mitwirkung in Form der Herausgabe relevanter Buchführungsdokumente nicht immer erreicht werden kann und dem Verletzer Raum bleibt, u. U. Akten zu vernichten bzw. ausschließlich nicht belastende Dokumente herauszugeben. Auch der Abzug von Gemeinkosten macht die Berechnungsmethode für Rechtsinhaber un518
Der Schadensersatz in den untersuchten Ländern, aber auch in sonstigen Mitgliedstaaten beruht auf dem Prinzip der Ausgleichsfunktion (d. h. dem Restitutionsgedanken). In den Mitgliedstaaten soll also der Geschädigte jeweils nicht schlechter aber auch nicht besser stehen als er ohne die schädigende Handlung stünde. Siehe Jansen zu der Durchsetzung des Ausgleichsprinzips in Europa, auch Großbritannien einschließend, Jansen, Konturen eines europäischen Schadensrechts, JZ 2005, 160, 162 f. m. w. N. 519 Vgl. auch die Gegenüberstellung von Restitutionsgedanken im Rahmen der Lizenzanalogie und der Theorie des Gewinnherausgabeanspruchs, „dass der Verletzte durch die Herausgabe des Verletzergewinns so zu stellen ist, als hätte er ohne die Rechtsverletzung den gleichen Gewinn wie der Rechtsverletzer erzielt“; s. BGH Gemeinkostenanteil, GRUR 2001, 329, 331.
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attraktiv. Hier fällt die Einschränkung der Abzugsfähigkeit von Gemeinkosten in Deutschland positiv auf. Die Umsetzung der Richtlinie hat vor allem in Frankreich durch die Einführung der Berechnungsmethode nach dem Verletzergewinn einen Mehrwert gehabt. Insgesamt kann aber festgestellt werden, dass die Durchsetzungs-Richtlinie, wegen wenig konkreter Vorgaben, die schon nach alter Rechtslage bestehenden Unterschiede bzw. Probleme bei der Schadensersatzberechnung nicht gelöst hat. Im Ergebnis wurden damit durch sie wohl nur Rechtsinhaber in Frankreich wirklich bessergestellt. Ansonsten verbleiben erhebliche Rechtsunterschiede. (3) Immaterielle Schäden Der Begriff der immateriellen Schäden (vgl. Erwgrd. 26 sowie Art. 13 Abs. 1 lit. a der Richtlinie) hat zu Verwirrung in Frankreich und Großbritannien geführt. Auch hier wurde festgestellt, dass in der Umsetzung gravierende Unterschiede gemacht wurden: In Deutschland können nach dem PatG als immaterielle Schäden lediglich „Imageschäden“ ersetzt werden. Über das allg. Deliktsrecht hinaus sind auch weitere Schadensersatzansprüche, etwa wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, möglich, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Richtlinie genügt wurde. Frankreich ersetzt ebenso Rufschäden wie immaterielle Schäden. In Großbritannien wurde zwar der gesamte Text wegen Unsicherheiten über seine konkrete Auslegung wortgleich umgesetzt (sog. „copy out approach“520). Nach wie vor ist dort unklar, was genau unter dem Rechtsbegriff „moral prejudice“ zu verstehen ist. (4) Lizenzanalogie („lump sum damages“ bzw. Pauschalbeträge) Bei der der zugleich beliebtesten und am kontroversesten diskutierten Berechnungsmethode finden sich in den untersuchten Mitgliedstaaten – wenig erstaunlich – die größten Unterschiede. Diese Rechtsprechung reicht von einzelfallunabhängig gewährten relativ hohen Beträgen (Großbritannien und Frankreich), über neue Ansätze zu einer einzelfallbezogenen Berechnung (Deutschland) bis hin zu pauschal verdoppeltem Schadensersatz (Österreich). (5) Zwischenergebnis Die – teilweise erheblichen – Unterschiede in der Schadensersatzberechnung, bestehen (wenn auch teilweise in neuer Form) auch nach Umsetzung der Richtlinie fort, was am Beispiel des Schadensersatzes nach der Lizenzanalogie besonders deutlich wird: Die Höhe des Schadensersatzes variiert von einem einfachen, marktüblichen Lizenzsatz (Großbritannien) bzw. einem angemessenen, einzelfall520 Vertiefend zu diesem Ansatz für die Umsetzung von Richtlinien in Großbritannien s. Morris, Gold-plating: on the way out?, verfügbar unter: http://uk.practicallaw.com/6-504-574 5 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
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bezogenen Lizenzsatz (Deutschland) über einen pauschal verdoppelten Satz (Österreich) bis hin zu einem zum Zwecke der Abschreckung möglichst hohen Schadensersatz (Frankreich). Es bestehen also auch nach der Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie unterschiedliche Schutzniveaus nebeneinander fort. Letztlich wurde also das in der Richtlinie angestrebte Ziel der Harmonisierung521 verfehlt. Maßgeblicher Grund für ihr Scheitern ist, dass die Richtlinie sich zu der konkreten Ausführung der Berechnungsarten ausschweigt. Zu diesem Schluss kommt auch der EU-Gesetzgeber, der in einem Papier zur Umsetzung der Richtlinie feststellt, dass „in den meisten Fällen lediglich geringfügige Anpassungen (…) erforderlich waren, um die Richtlinienvorgaben einzuhalten“ (frei übersetzt).522 Es lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die Mitgliedstaaten, wenig verwunderlich, bei ihren ursprünglichen Rechtstraditionen geblieben sind, sofern eine Neuregelung nicht zwingend erforderlich war. Nach Gegenüberstellung der unterschiedlichen Berechnungsmethoden in den Mitgliedstaaten [s. o., (1) bis (4)] kann festgestellt werden, dass die Mitgliedstaaten Schwierigkeiten haben, den erwähnten Zielkonflikt zwischen einem angemessenen Schadensausgleich und einer abschreckenden Wirkung interessengerecht und einheitlich aufzulösen.523 Im Folgenden wird daher untersucht, ob eine Vereinheitlichung konkreterer Art auf Grundlage der identifizierten nationalen Praktiken möglich ist, um ein gleichartiges Schutzniveau, das angemessene Maßnahmen bietet, aber dennoch abschreckend auf Patentverletzer wirkt, zu erzielen. Dazu sollte eine „beste Praxis“ der Mitgliedstaaten identifiziert und auf ihre Übertragbarkeit hin untersucht werden. c) Beste Praxis Um die beste Praxis für die Mitgliedstaaten herauszuarbeiten zu können, werden anhand der oben gewonnenen Erkenntnisse zunächst abstrakte Rahmenbedingungen festgelegt, die die geeignete Berechnungsmethode erfüllen muss. Anschließend wird auf dieser Grundlage die beste Praxis unter den konkreten Berechnungsmethoden ermittelt. 521
Nach Erwgrd. 10 der Durchsetzungs-Richtlinie soll diese ein „hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt (…) gewährleisten.“. 522 Vgl. Accompanying Document to COM(2010) 779 final, SEC(2010) 1589 final (nur auf Englisch verfügbar), S. 21 „In most cases only slight adjustments of national laws governing the calculation and award of damages were needed to make Member States comply with the Directive.“. 523 Eine Studie der Kommission zeigt auf, dass der gewährte Schadensersatz auch nach Umsetzung noch relativ gering ist. Ihr zufolge seien „Rechtsverletzer nicht wirksam von illegalen Tätigkeiten abzuschrecken“, s. Bericht der Kommission zur Anwendung der Durchsetzungs-Richtlinie vom 22. Dezember 2010, KOM(2010) 779 endg., S. 8 f.
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aa) Festlegung von Rahmenbedingungen Nach den im Rechtsvergleich gewonnenen Erkenntnissen sollte ein optimaler Ansatz (1) einen echten Mindeststandard schaffen;524 (2) durch konkrete Vorgaben nachvollziehbar formuliert werden können;525 (3) zu einem idealen Ausgleich der Faktoren „Angemessenheit“ und „Abschreckung“ führen und526 (4) von den Mitgliedstaaten gebilligt werden.527 Ein Mindeststandard (1) sollte eine solide Untergrenze des Schadensersatzes schaffen. Dazu muss im Folgenden erwogen werden, welches der Instrumente sich generell dazu am besten eignet, die Ziele der Abschreckung und Angemessenheit zu erreichen. Eine Untersuchung von gemeinsamen Standpunkten der EU bzw. der Mitgliedstaaten soll dabei helfen, eine – im Idealfall für sämtliche Staaten – optimale Lösung (4) zu entwickeln, die mit konkreten Vorgaben (2) den Zielen der Richtlinie gerecht wird (3). Dabei ist der tragende Gedanke, dass die Schaffung einer abschreckenden Untergrenze maßgeblich ist für die Abschreckungswirkung des Schadensersatzanspruchs. bb) Identifizieren der generell geeignetsten Berechnungsmethode Im Folgenden soll geklärt werden, welche der drei Berechnungsmethoden überhaupt geeignet ist, einen Mindeststandard zu schaffen. Die Untersuchung der Berechnungsmethoden hat ergeben, dass sich sowohl entgangener Gewinn bzw. Verletzergewinn schwer belegen bzw. berechnen lassen. In der Praxis führt dies dazu, dass Kläger häufig auf die – regelmäßig unvorteilhaftere – Lizenzanalogie ausweichen müssen. Die Lizenzanalogie ist damit gewissermaßen eine verlässliche Mindestlösung.528 Der Ausdruck „Mindestlösung“ impliziert dabei aber nicht, dass die Methode 524 Anders ist nicht ersichtlich, wie angesichts der Komplexität der drei unterschiedlichen Berechnungsmethoden jeweils gewährleistet sein soll, dass jedes Mittel auf Patentverletzer eine abschreckende Wirkung haben soll. 525 Die vage Formulierung der Durchsetzungs-Richtlinie führt offensichtlich dazu, dass die Mitgliedstaaten den damit einhergehenden Gestaltungsspielraum nutzen, um vorangegangene Rechtstraditionen weitgehend beizubehalten. Damit eine wirkliche Harmonisierung gewährleistet wird, muss zumindest ein Mindeststandard konkret vorgegeben werden. 526 Diese, in der Richtlinie bereits festgelegten, Grundsätze sind nach Meinung des Verfassers sachgerecht und sollten beibehalten werden. Ein gewisses „Spannungsfeld“ der Begriffe führt gerade zu einer gebotenen Konkordanz beider Aspekte. 527 Offensichtlich muss ein überzeugender Ansatz von allen Mitgliedstaaten unterstützt werden und bestenfalls schon auf Grundlage der Durchsetzungs-Richtlinie möglich sein. 528 Von einem „Mindestschadensersatz“ spricht auch Melullis, GRUR Int 2008, 679, 682.
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schlechthin nur zur Berechnung einer Untergrenze des Schadensersatzes geeignet ist.529 Vielmehr ist die Lizenzanalogie gegenüber dem Gewinn des Verletzers bzw. dem entgangenen Gewinn des Patentinhabers in der Praxis das letzte Mittel. „Verlässlich“ ist die Lizenzanalogie, da sie von allen Instrumenten der Schadensersatzberechnung dasjenige ist, welches sich ehesten durchsetzen lässt. Dies beruht einerseits darauf, dass sie sich auf objektive Informationen stützt530 und nicht – wie die Berechnung von Verletzergewinn und entgangenem Gewinn – von der umfassenden Beweisführung der Beteiligten abhängt. Der Verletzer hat außerdem wegen der objektiven Überprüfbarkeit der Faktoren kaum Einfluss darauf, den errechneten Betrag zu schmälern. Das macht die Lizenzanalogie zu dem einzigen, geeigneten, Werkzeug, um einen Mindeststandard bei der Schadensersatzberechnung herzustellen. Zudem ist die offensichtliche Verlässlichkeit der Lizenzanalogie geeignet, potenzielle Verletzer abzuschrecken.531 cc) Definieren gemeinsamer Standpunkte der Mitgliedstaaten Damit eine Berechnungsmethode auch von den Mitgliedstaaten gebilligt wird, ist es förderlich, gemeinsame Standpunkte herauszuarbeiten. Es kann zunächst davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten Verbesserungsbedarf bei der Berechnung von Schadensersatz sehen, da herausgearbeitet wurde, dass den nationalen Regelungen und Praktiken zur Schadensersatzberechnung zumeist die abschreckende Wirkung auf Patentverletzer fehlt. Aus der Richtlinie selbst zeigt sich zudem, dass die Mitgliedstaaten einen Strafschadensersatz nicht für sinnvoll erachten. Dieser ist i. Ü. auch nicht mit den nationalen zivilrechtlichen Systemen in Einklang zu bringen [vgl. Ausführungen zu den einzelnen Mitgliedstaaten, o., b) aa) – dd)].532 Außerdem haben die europäischen Rechtssysteme das Restitutionsprinzip gemein.533 Eine optimale Schadensberechnung muss diesem Prinzip folgen, darf also nicht zu darüber hinausgehenden Zahlungen führen.
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Dies ist nicht der Fall sofern z. B. der Verletzer kaum Gewinne erwirtschaftet hat. Bspw. die in einem gewissen Markt bei Erfindungen einer gewissen Art üblichen Lizenzbeträge. 531 Vgl. zur Präventionsfunktion der Lizenzanalogie Bodewig/Wandte, GRUR 2008, 220, 224. 532 Strafschadensersatz findet sich auch nicht in den nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten, außer in Bulgarien. Vgl. Cohen/Haugaard, Monetary Compensation for Trademark Infringement in the European Union, JIPLP, 2010, 372, 376. 533 Aufgrund dieses Prinzips wurde überhaupt in der Richtlinie festgeschrieben, dass der Ausgleich des Rechtsinhabers das oberste Prinzip ist. Vgl. Erwgrd. 26 („Um den Schaden auszugleichen, den ein Verletzer von Rechten des geistigen Eigentums verursacht hat (…)“ bzw. „(…) Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber (…).“) bzw. Art. 13 („(…) zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens (…).“). 530
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dd) Beste Praxis (1) Pauschal vervielfachte Lizenzgebühren im Rahmen der Lizenzanalogie Die pauschale Vervielfachung von Lizenzgebühren ist unter den oben untersuchten Mitgliedstaaten nur in Österreich vorgesehen. Eine Befragung weiterer Mitgliedstaaten zeigt aber, dass einige sogar höhere Vervielfachungen geregelt haben.534 In Österreich ist eine Verdoppelung der angemessenen Lizenzgebühr vom Grad des Verschuldens abhängig.535 Die Koppelung einer Vervielfachung der Lizenzgebühr an Verschuldensgrade wird auch in Deutschland kontrovers diskutiert. Die deutsche AIPPI-Gruppe etwa schlug in einem Papier zur DurchsetzungsRichtlinie vor, dass eine Pauschale auf Grundlage einer bis zu zweifachen Gebühr berechnet werden soll. Um Einzelfällen Rechnung zu tragen, empfahl sie, eine Erhöhung des Schadensersatzes abzustufen: Bei grober Fahrlässigkeit sollte er das Eineinhalbfache, bei Vorsatz das Zweifache der Lizenzgebühr betragen.536 Auch Mitglieder eines GRUR-Fachausschusses sahen es als erforderlich an, eine Vervielfachung der üblichen Lizenzgebühr einzuführen und an ein Verschulden zu koppeln.537 Die Vervielfachung einer Lizenzgebühr, aber auch die Koppelung eines Faktors an einen bestimmten Verschuldensgrad, verdient eine kritische Betrachtung. (a) Vervielfachung einer Lizenzgebühr generell Vervielfachungen der Lizenzgebühr sind jedenfalls nicht per se als Strafschadensersatz einzuordnen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Schadensersatz eine Genugtuungs-, nicht aber eine Sanktionsfunktion erfüllt. Solange also eine Vervielfachung den Schaden des Patentinhabers kompensiert und damit die Schwelle zur Sanktion nicht überschreitet, kann kein Strafschadensersatz gegeben sein.538 Diese Argumentation steht im Einklang mit dem in europäischen Staaten vorherrschenden Restitutionsgedanken und lässt sich folglich auf andere Mitgliedstaaten übertragen. 534 Belgien, Polen und Rumänien erlauben tlw. eine Verdreifachung üblicher Lizenzbeträge. In allen Ländern ist diese Berechnung allerdings auf das Urheberrecht beschränkt. In Belgien gilt sie nur für Verwertungsgesellschaften (ähnl. der dt. GEMA), in Polen ausschl. bei vorsätzlichem Handeln, s. EU-Befragung (Fn. 510), S. 5, 15, 41, 75 f. 535 Österreich sieht für grob fahrlässige und vorsätzliche Patentverletzungen eine Vervielfachung (Verdoppelung) der Lizenzgebühren vor [vgl. o., b) dd)]. 536 Vgl. Haft/Donle/Ehlers/Nack, Bericht Q 186 für die Deutsche AIPPI-Landesgruppe, GRUR Int 2005, 403, 406. 537 So Brandi-Dohrn in Bericht von Stauder, Sitzung des Fachausschusses für Patent- und Gebrauchsmusterrecht am 13. 12. 2004 in Düsseldorf, GRUR 2005, 401. 538 Vgl. Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217, die davon ausgehen, dass die Ausgleichsfunktion, nicht die Sanktionsfunktion, beim doppelten Schadensersatz eine noch wesentlichere Rolle spielt, s. zur Abgrenzung von Schadensersatz und Sanktion auch Dreier, GRUR Int 2004, 706, 708.
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Dies führt zu der Frage, welcher Faktor gewährleistet, dass ein Schaden lediglich ausgeglichen und nicht überschritten wird. Insofern könnten betriebswirtschaftliche Untersuchungen bzw. statistische Erhebungen womöglich identifizieren, in welchem Maße Lizenzgebühren am ehesten vervielfältigt werden müssten, damit eine (annähernd) vollständige Kompensation des Rechtsinhabers erreicht werden kann. Die AIPPI geht davon aus, dass ihr Vorschlag einer anderthalb bis zweifach erhöhten Lizenzgebühr „in der Größenordnung eines realistisch geschätzten konkreten Schadens“ liegt.539 Es liegt jedoch auf der Hand, dass dieser Ansatz – selbst wenn diese Aussage tatsächlich zuträfe – nie die Präzision bieten könnte, die eine Berechnung unter Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalls erreicht. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die pauschale Vervielfachung – als nicht einzelfallbezogen – überhaupt einen angemessenen Interessenausgleich herbeiführen kann. Hierbei muss Folgendes berücksichtigt werden: Die Lizenzanalogie an sich bezweckt bereits eine Pauschalierung von Schadensersatz. Ihre Existenz als nur mäßig auf Einzelfälle bezogene Berechnungsmethode rechtfertigt sich schon durch ihren Charakter als „Reservemittel“. Schließlich wurde die Lizenzanalogie von Gerichten nur erwogen, um dem Rechtsinhaber, der bei nachgewiesener Schutzrechtsverletzung ansonsten keinen Schadensnachweis führen konnte, aus Billigkeitsgründen540 zumindest den Betrag zu gewähren, den er erhalten hätte, wenn er einen Lizenzvertrag mit dem Verletzer geschlossen hätte. Der Lizenzanalogie sind objektive Marktwerte (die marktangemessene Lizenz) und ggf. Besonderheiten des Einzelfalls zugrunde gelegt. Somit ist sie nachvollziehbar und angemessen. Dies gilt jedoch nicht automatisch auch für eine Vervielfältigung der so errechneten Pauschalbeträge.541 Diese bedarf vielmehr einer gesonderten, angemessenen Begründung.542 Dem Richtlinien-Entwurf, der einen doppelten Schadensersatz vorsah, mangelte es hieran: Zwar sollte dieser ausdrücklich nicht als Strafschadensersatz eingeordnet werden.543 Die Europäische Kommission führte aber als vage Begründung für eine Verdoppelung an, dass sie den Rechtsinhaber für seinen Aufwand, beispielsweise für Kosten, die „mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher“ im
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Haft/Donle/Ehlers/Nack, GRUR Int 2005, 403, 407. BGH, Urteil vom 10. März 1972, Az.: I ZR 160/70, NJW 1973, 96, 97 (GEMA II) m. w. N. 541 Kochendörfer merkt an, dass bereits die Lizenzanalogie eine Ausnahme der Systematik der §§ 249 ff. BGB darstellt. Bereits durch sie würde „den Interessen der Schutzrechtsinhaber in nicht unerheblichem Umfang Rechnung getragen.“ Siehe Kochendörfer, Verletzerzuschlag auf Grundlage der Enforcement-Richtlinie?, ZUM 2009, 389, 392 f. 542 Der BGH sprach sich ausdrücklich gegen einen einzelfallunabhängigen Verletzerzuschlag aus, s. BGH, Urteil vom 6. März 1980, Az.: X ZR 49/78, GRUR 1980, 841, 3. Ls. (Tolbutamid); s. hierzu grds. auch Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 464. 543 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, KOM(2003) 0046 endg., Begr. zu Art. 17, S. 25. 540
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Zusammenhang stehen, entschädigen sollte.544 Dabei wurde scheinbar nicht berücksichtigt, dass in den Mitgliedstaaten ein derartiger Aufwand i. d. R. ohnehin vom allgemeinen Schadensersatzrecht abgedeckt ist.545 Auch das Argument von Bodewig und Wandte, eine doppelte Lizenzgebühr könne Reputations- sowie Marktverwirrungsschäden ersetzen, vermag nicht zu überzeugen546 – diese Posten werden vom patentrechtlichen Schadensersatzanspruch erfasst.547 Eine angemessene Begründung für pauschale Vervielfachung im Patentrecht könnte sich aus der sog. GEMA-Rechtsprechung548 des BGH ergeben. Der BGH begründet eine zweifache Lizenzgebühr bei urheberrechtlichen Schadensersatzprozessen durch die GEMA damit, dass der Verwertungsgesellschaft regelmäßige Kosten dadurch entstehen, dass sie dauerhaft eine „umfangreiche Überwachungsorganisation“ zur Aufdeckung von Urheberrechtsverletzungen unterhalten muss.549 Hierbei stellt das Gericht Billigkeitserwägungen an. Es sei nicht einsehbar diese Kosten – bei anderer Handhabung – den „gesetzestreuen“ Rechtsinhabern aufzuerlegen.550 Dieser Überlegung liegt jedoch die besondere Konstruktion der GEMA als Verwertungsgesellschaft zugrunde. Ihr entstehen zum Zwecke der Überwachung der Einhaltung der Rechte einzelner Rechtsinhaber (im Sinne der rechtmäßigen Verwerter) regelmäßig gewisse Kosten, die sachgerecht durch eine Pauschalierung in Höhe einer doppelten Lizenzgebühr zu Lasten der Rechtsverletzer ersetzt werden können. Eine ähnliche Rechtsprechung zu Verwertungsgesellschaften findet sich auch in anderen Mitgliedstaaten.551 Eine Übertragung dieser Rechtsprechung von Kollektiv-Verwertungsgesellschaften auf einzelne Rechtsinhaber wäre jedoch problematisch. Zwar entstehen diesen ebenfalls regelmäßig Rechtsverfolgungskosten. Diese Kosten sind aber – im Gegensatz zu denen der GEMA – bei einzelnen Rechtsinhabern auf konkrete Weise ersetzbar (vgl. hierzu o.) und einzelfallbezogen. Eine Pauschalisierung wäre hier 544
s. Vorschlag zur Durchsetzungs-Richtlinie (Fn. 543). Hoeren, High-noon im europäischen Immaterialgüterrecht – Überlegungen zum Vorschlag für eine EU-Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte am geistigen Eigentum, MMR 2003, 299, 301; Metzger/Wurmnest, Auf dem Weg zu einem Europäischen Sanktionenrecht des geistigen Eigentums?, ZUM 2003, 922, 931. 546 Bodewig/Wandte, GRUR 2008, 220, 226. 547 Rogge/Grabinski, in: Benkard, PatG, § 139, Rn. 76. 548 Die Rechtsprechung ist auch nach der Umsetzung der Richtlinie als klägergünstigere Maßnahme (i. S. v. Art. 2 Abs. 1 der Durchsetzungs-Richtlinie) weiterhin möglich, vgl. auch Dreier, GRUR Int 2004, 706, 710 f. 549 BGH, Urteil vom 24. Juni 1955, Az.: I ZR 178/53, NJW 1955, 1356, 1357. Ls. c) (GEMA I); BGH GEMA II, NJW 1973, 96. 550 BGH GEMA II, NJW 1973, 96; BGH, Urteil vom 22. Januar 1986, Az.: I ZR 194/83, veröffentlicht GRUR 1986, 376, 2. Ls. (Filmmusik); allg. s. Dreier, in: Dreier/Schulze, Kommentar zum UrhG, 3. Aufl. München 2008, § 97, Rn. 71. 551 Belgien, Polen, Griechenland und die Tschechische Republik verfügen bspw. ebenso über Verwertungsgesellschaften, die im Falle von Urheberrechtsverletzungen doppelte Lizenzgebühren verlangen können, s. EU-Befragung (Fn. 510), S. 16. 545
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unangemessen: Bspw. können Testkäufe in Einzelfällen hohe Kosten verursachen, während bloße Abmahnungen bei eindeutiger Rechtslage wesentlich günstiger sind. Die gerichtliche Praxis, diese Schäden individuell auf ihre Ausgleichsfähigkeit zu überprüfen, ist insofern sachgerechter als Patentverletzern generell einen doppelten Lizenzsatz aufzuerlegen – nur, weil Rechtsinhaber womöglich von der Maßnahme Gebrauch gemacht haben. Zum anderen besteht im Falle der Patentverletzung kein Risiko der unbilligen Umverteilung von Kosten auf eine Vielzahl nicht betroffener Rechtsinhaber. Daher verdient eine Einzelfallbetrachtung gegenüber der Vervielfachung einer Lizenzgebühr den Vorrang.552 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine pauschale Vervielfachung von Lizenzbeträgen zwar nicht notwendig als Strafschadensersatz zu qualifizieren ist, jedoch angesichts der Interessenverteilung zwischen Rechtsinhaber und -verletzer unbillig wäre. Eine Einzelfallbetrachtung ist daher einer pauschalierten Vervielfachung vorzuziehen. (b) Pauschal verdoppelte Lizenzgebühren und widerlegbare Gewinnvermutung Der Bundesrat befürwortete in seiner Empfehlung zur Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie die Einführung einer widerlegbaren Vermutung der doppelten Lizenzgebühr, um in Zweifelsfällen (bspw. bei Scheitern eines Auskunftsanspruchs) den Verletzergewinn auf einfachere Weise berechnen zu können.553 Für ein solches Konzept spricht, dass – selbst wenn eine doppelte Lizenzgebühr den tatsächlichen Schaden des Rechtsinhabers übersteigen würde – kein Fall des Strafschadensersatzes gegeben wäre, da ein zweifacher Lizenzbetrag konkreten Berechnungen554 zufolge den tatsächlichen Verletzergewinn voraussichtlich regelmäßig unterschreiten würde. Dazu kommt, dass der errechnete Betrag nur der Vermutung dient, d. h. dem Patentverletzer die Möglichkeit verbleibt, einen niedrigeren Gewinn nachzuweisen. Sehr zweifelhaft ist jedoch, ob die Heranziehung von fiktiven Lizenzbeträgen im Gewinnherausgabeanspruch dem, jedenfalls in Deutschland herrschenden, Vermengungsverbot zuwiderläuft, da auf diese Weise die Berechnungsmethode der Lizenzanalogie auf den – eigentlich gesonderten – Anspruch auf Herausgabe des 552 Gegen eine Übertragbarkeit der GEMA-Rechtsprechung auf andere Schutzrechtsverletzungen s. auch BGH, Filmmusik, GRUR 1986, 376, 2. Ls; BGH, Urteil vom 16. November 1989, Az.: I ZR 15/88, GRUR 1990, 353, 355 (Raubkopien); Delahaye, Kernprobleme der Schadensberechnungsarten bei Schutzrechtsverletzungen, GRUR 1986, 217, 220; anders: Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 465. 553 Die „Geltendmachung einer (einfachen) Lizenzgebühr“ soll in der Empfehlung des Bundesrates „unbeschadet“ fortbestehen, vgl. Empfehlung der Ausschüsse zum DurchsetzungsG, BR-Drks. 64/1/07, S. 4. 554 Nach Angabe der deutschen AIPPI-Gruppe würde der Betrag auch ohne Widerlegung durch den Beklagten sehr wahrscheinlich nicht über seinen Gewinn hinausgehen. Sie gibt an, dass anteilig auf den Umsatz Lizenzsätze von ca. 1 – 10 % entfallen, vgl. Haft/Donle/Ehlers/ Nack, GRUR Int 2004, 403. 1996 lag der Anteil einer Lizenz am Gewinn bei 25 – 30 %, vgl. MittdtPatAnw 1998, 27, 30. Ein Höchstanteil von 20 % würde sehr wahrscheinlich einen Gewinn, bei einer Gewinnmarge von 30 – 50 %, nicht überschreiten.
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Verletzergewinns übertragen wird.555 Auch eine Richtlinienkonformität ist problematisch, da Art. 13 Abs. 1 lit. a und b die Berechnungsmethoden (u. a.) des entgangenen Gewinns und des Verletzergewinns einerseits und der Pauschale auf Grundlage einer Lizenzgebühr andererseits, ebenfalls eindeutig voneinander trennt (vgl. auch den Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 lit. b „stattdessen“).556 (c) Koppelung einer Vervielfachung an Verschuldensgrade Die Überlegung, die Höhe des anzusetzenden Faktors vom Grad des Verschuldens abhängig zu machen, ist offensichtlich wenig praktikabel. Selbst der Bericht der befürwortenden AIPPI-Landesgruppe lässt erahnen, dass die Feststellung des Verschuldensgrades eine schwierige Aufgabe für Gerichte ist. Die Autoren erwähnen, dass regelmäßig über den Verschuldensgrad „gestritten wird – und oft auch gestritten werden kann“ da bereits „der Irrtum über Bestehen und Tragweite des Patentes den Vorsatz ausschließt.“557. Dies legt zumindest nahe, dass Beklagte relativ leicht einen Vorsatz bzw. eine grobe Fahrlässigkeit widerlegen können, was im Endeffekt wiederum auf einen einfachen Schadensersatz „im Zweifel“ hinausliefe.558 Hierbei handelt es sich selbstverständlich nicht nur um ein deutsches Problem. Diese Schwierigkeiten dürften sich erst recht bei einer Unterscheidung zwischen leichter mittlerer und grober Fahrlässigkeit auswirken. Die beste Praxis sollte ein hohes Maß an Praktikabilität bieten, damit sie von den Rechtsinhabern angenommen und auch einheitlich angewendet werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht sachgerecht, eine weitere Aufspaltung in leichte und grobe Fahrlässigkeit vorzunehmen. Sehr zweifelhaft ist zudem, ob die Kopplung an Verschuldensgrade angemessen ist. Der deutsche Grundsatz, dass der Patentverletzer im Rahmen der Lizenzanalogie einem ordnungsgemäßen Lizenzgeber gleichgestellt wird, hat seine Wurzeln darin, dass bei diesem gleichermaßen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Ein bloßes Abstellen auf den Verschuldensgrad, d. h. ein Außerachtlassen der sonstigen Umstände des Einzelfalls, führt insofern zu einer einseitigen Betrachtung. Es ist zudem fraglich, ob eine Regelung, die Pauschalbeträge vom Grad des Verschuldens abhängig macht, überhaupt mit der Durchsetzungs-Richtlinie vereinbar wäre. Erwägungsgrund 26 der Richtlinie dagegen, spricht davon, dass mit der Lizenzanalogie „(…) eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage [engl. „compensation based on an objective criterion“] unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher (…)“ bezweckt wird. Die 555
Vgl. o., aa) (1). So auch Goldmann, WRP 2011, 950, 965, der von einer „strikten Alternativität“ spricht. 557 Haft/Donle/Ehlers/Nack, GRUR Int 2005, 403, 404. 558 Anders ist dies im Markenrecht, für das sich aufgrund der Bekanntheit von Marken häufig relativ einfach ein Vorsatz belegen lässt. 556
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Richtlinie unterscheidet also klar zwischen objektiven und subjektiven559 Merkmalen.560 Außerdem könnte das Abhängig machen vom Grad des Verschuldens bereits als Strafschadensersatz zu bewerten sein.561 (d) Zusammenfassung Den unterschiedlichen Konzepten zur Vervielfachung von Lizenzbeträgen mangelt es an ausreichender Rechtfertigung. Bereits die Lizenzanalogie stellt für sich genommen eine Ausnahme zum Nachweis des Schadens dar. Für eine Vervielfachung der so berechneten Lizenzgebühr bedürfte es einer gesonderten Begründung. Angesichts der Tatsache, dass eine konkrete Berechnung der Lizenzgebühr für einen Rechtsinhaber auch ohne Mitwirkung eines Patentverletzers zumutbar ist, wäre eine pauschale Verdoppelung unbillig. Eine Koppelung an Verschuldensgrade würde dagegen in der Praxis zu Abgrenzungsproblemen führen. Einer widerlegbaren Vermutung, des Verletzergewinns in Höhe einer zweifachen Lizenzgebühr, steht entgegen, dass der wesentliche Grundsatz der Trennung von Gewinnherausgabeanspruch und Lizenzanalogie durchbrochen würde. Letztlich ist auch zu beachten, dass sich schon bei der Konsultation der Mitgliedstaaten zur Durchsetzungs-Richtlinie eine Vielzahl ausdrücklich gegen das Konzept der Vervielfachung entschieden hat.562 Insofern ist nicht zu erwarten, dass ein pauschaliert vervielfachter Schadensersatz konsensfähig wäre. (2) Ansatz des LG München I Das 2010 ergangene Urteil des LG München I (vgl. o., b) aa) (2).) vermeidet eine pauschale Vervielfachung der Lizenzgebühr. Stattdessen befasst es sich ausschließlich mit der Betrachtung des Einzelfalls. Dabei legt das Gericht die hypothetische Situation der Lizenzerteilung zugrunde und berücksichtigt dabei – im Gegensatz anderen Gerichtsentscheidungen – viele Aspekten, die eine marktübliche Lizenzgebühr im Falle ihrer Verletzung denklogisch erhöhen. Lizenzerhöhende Faktoren können aufgeteilt werden in solche, die auf die rechtswidrige Benutzung bzw. die Festsetzung der Gebühr ex post zurückgehen. Die rechtswidrige Benutzung wird insofern berücksichtigt, als (i.) der Umstand des fehlenden Vertrauens in die Richtigkeit der Auskünfte des Verletzers sowie (ii.) das erhöhte Ausfallrisiko des Patentinhabers (durch Ungewissheiten im Gerichtsprozess) berücksichtigt werden. 559
Vgl. Art. 13 Abs. 1 der Durchsetzungs-Richtlinie, der das subjektive Element des Wissens nennt. 560 Goldmann stellt zutreffend fest, dass Erwgrd. 17, nach dem allgemein ggf. zwischen Vorsatz und Nicht-Vorsatz unterschieden werden kann, im Falle des Erwgrd. 26, der sich speziell auf Schadensersatz (berechnet nach der Lizenzanalogie) bezieht, nicht anwendbar ist, s. Goldmann, WRP 2011, 950, 968. 561 Kochendörfer, ZUM 2009, 389, 393. 562 Viertiefend: Amschewitz, Die Durchsetzungsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Recht, Tübingen 2008 (Diss), S. 99.
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Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Die Betrachtungsweise ex post erlaubt darüber hinaus (iii.) die tatsächliche Patentnutzung sowie (iv.) die Tatsache zu berücksichtigen, dass sich das Patent in vielen Fällen schon als rechtsbeständig erwiesen hat und daher eine Vergünstigung aufgrund eines Unsicherheitsfaktors nicht mehr in Betracht kommt. Das LG München I betont, dass nach dem neuen Ansatz „nicht einfach dieselben Lizenzsätze zu Grunde gelegt werden können, die am Markt zwischen unbefangenen oder gar über langjährige Geschäftsbeziehungen verbundenen Unternehmen für vergleichbare Produkte (Bezugsgrößen) vereinbart werden (…)“.563 Die Berechnung führt so regelmäßig zu Summen, die eine jeweilige marktübliche Lizenz übersteigen. Tatsächlich ergab sich im zu beurteilenden Fall – wie vom Gericht angeführt – ein merklich höherer Lizenzsatz564 : Kläger und Beklagter sind in vorangegangenen Verhandlungen, die letztlich nicht zu einem gültigen Vertrag geführt haben, übereinstimmend von einer Lizenzgebühr in Höhe von 3 Prozent ausgegangen. Das Gericht gestand dem Kläger nach den o. g. Faktoren jedoch sogar 5 Prozent zu. Damit ging der zugebilligte Lizenzsatz hier um 66 Prozent über den marktüblichen Lizenzsatz hinaus, betrug also mehr als das Anderthalbfache dieses Lizenzsatzes. Dieser Faktor dürfte bereits abschreckende Wirkung haben. Außerdem wird die Einzelfallbetrachtung des Gerichts der Richtlinie gerecht, da die marktübliche Lizenz wegen der Berücksichtigung ausschließlich betragserhöhender Faktoren (vgl. o.) nunmehr tatsächlich eine absolute Mindestgrenze darstellten würde. (3) Fazit: Ansatz des LG München I als beste Praxis Von den vorgestellten Methoden zur Berechnung von Schadensersatz hat sich der Ansatz des LG München I als vorzugswürdig herausgestellt. Dies liegt zum einen daran, dass er richtlinienkonform ist, d. h. grundsätzlich keine neue EU-gesetzgeberische Maßnahme erfordert. Zum anderen ist er lediglich eine Konkretisierung des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 lit. b der Richtlinie, die einen Schadensersatz bezweckt, der regelmäßig die einfache, marktübliche Lizenzgebühr übersteigt und diese damit – wie von der Richtlinie gefordert – zur absoluten Untergrenze macht. Die Art der Berechnung ist auch praktikabel, da sich für Gerichte konkrete Aspekte der Einzelfallberücksichtigung (beispielhaft) aufführen lassen. Die Angemessenheit der Maßnahme steht aufgrund der Einzelfallbetrachtung besonders im Vordergrund. Wie sich oben gezeigt hat, erlaubt die Methode des LG München I auch potenzielle Patentverletzer effektiv abzuschrecken. Im konkreten Fall wurde die marktübliche Lizenz um mehr als das Anderthalbfache erhöht. Auf diese Weise bringt die Berechnungsmethode des LG München I letztlich Angemessenheit und Abschreckungseffekt zu einem idealen Ausgleich.
563 564
LG München I Gülleausbringungsvorrichtung (Fn. 472), NJOZ, 2011, 1318, 1320. LG München I Gülleausbringungsvorrichtung (Fn. 472), NJOZ, 2011, 1318, 1321.
D. Fazit
159
III. Ergebnis: Abweichende Praxis trotz Harmonisierungsmaßnahmen Die Untersuchung der Bereiche der vorprozessualen Beweissicherung und Schadensersatzberechnung hat ergeben, dass, trotz der in der DurchsetzungsRichtlinie angestrebten Rechtsvereinheitlichung, in weiten Teilen unterschiedliche Rechtspraktiken in den Mitgliedstaaten fortbestehen. Die Praktiken der mitgliedstaatlichen Gerichte unterscheiden sich dabei jeweils derart, dass von einem einheitlichen Schutzniveau nicht die Rede sein kann. Aus dem Vergleich der vorprozessualen Maßnahmen zur Beweissicherung in Frankreich mit denen vor deutschen Gerichten folgt, dass Rechtsinhaber in Deutschland wesentlich schlechter an Beweise herankommen. Umgekehrt hat ein Kläger in Deutschland – auch wenn eine Berechnung von Schadensersatz nach entgangenem Gewinn bzw. Verletzergewinn weitgehend impraktikabel ist – mittlerweile gute Chancen, im Wege der Lizenzanalogie eine Schadensersatzsumme einzuklagen, die wesentlich über einer von einem redlichen Lizenznehmer zu zahlenden Gebühr liegt. Die Hauptursache für das weitgehende Fortbestehen der Rechtstraditionen in den untersuchten Mitgliedstaaten liegt offenbar in der vagen Formulierung der untersuchten Durchsetzungs-Richtlinie.
D. Fazit: Bedarf für grenzübergreifende Patente mit einheitlicher Gerichtsbarkeit Die zum internationalen Zivilprozessrecht, zu den unterschiedlichen Systemen zur Verhandlung von Nichtigkeits- und Verletzungsklagen und zum Grad der tatsächlichen Harmonisierung nationaler Patentrechte gewonnenen Erkenntnisse, führen zu dem Schluss, dass ein Bedarf für grenzübergreifende Patente besteht, die einer einheitlichen Gerichtsbarkeit unterliegen. Grenzübergreifende Patente hätten das Potenzial „auf einen Schlag“ das Territorialprinzip auf mehrere Staaten auszuweiten und damit etwa die Reichweite von Unterlassungstiteln auszudehnen. Außerdem könnte – je nach Konzeption eines grenzübergreifenden Patents – das materielle Recht (bspw. die Voraussetzungen für eine Patentverletzung) für alle Staaten verbindlich geregelt werden, sodass viele einzelne Harmonisierungsmaßnahmen obsolet würden. Der grenzübergreifende Charakter eines EU-Patents würde zentrale Patentverletzungsverfahren gegen mehrere, in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässige, Beklagte möglich machen, da theoretisch das Kriterium der „Gefahr widersprechender Entscheidungen“ wegen der dann identischen Rechtslage erfüllt wäre.
160
Kap. 3: Ausgewählte Probleme des EP-Systems
Verfahren über grenzüberschreitende Patentverletzungen könnten dann wohl auch nicht mehr im Wege der Einrede torpediert werden. Jedoch würden allein grenzübergreifende Patente nicht notwendigerweise auch Verhandlungen von im Ausland begangenen unerlaubten Handlungen ermöglichen. Ihnen könnte die Rspr. des EuGH zur Ortsnähe entgegenstehen. Außerdem wäre das Problem der Torpedos unter Ausnutzung der lis pendens Regel nicht gelöst. Zudem hat die Untersuchung zum Grad der Harmonisierung der nationalen Regelungen zur vorprozessualen Beweissicherung und Schadensersatzberechnung gezeigt, dass die bloße Vorgabe von Recht (im Falle von Richtlinien wohl eher eines „Rechtsrahmens“) nicht notwendigerweise zu dessen einheitlicher Auslegung führt. Echte grenzüberschreitende Verhandlungen und eine einheitliche Auslegung können vielmehr nur durch eine zusätzliche, einheitliche Gerichtsbarkeit mit gemeinsamem Berufungsgericht erzielt werden.
Kapitel 4
Das EU-Patentsystem Die Einführung eines echten EU-Patents unter Führung der Europäischen Union (und vormals der EWG bzw. EG) wurde seit mehreren Jahrzehnten diskutiert.1 Während die Marke und das Geschmacksmuster bereits im Wege von EU-Verordnungen für alle Mitgliedstaaten einheitlich geregelt wurden2, konnte für ein Patent unter Führung der EU trotz mehrfacher Anläufe kein Konsens erreicht werden.3 Nach jahrzehntelangen Verhandlungen konnte am 11. Dezember 2012 ein Durchbruch erzielt werden, als das Europäische Parlament für zwei Verordnungen stimmte, die einen einheitlichen Patentschutz auf EU-Ebene regeln und außerdem ein zwischenstaatliches Übereinkommen auf den Weg brachte, das die Einführung des sog. Einheitlichen Patentgerichts vorsieht. Insgesamt wurde damit das sog. Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (i. F. „EPeW“ bzw. „EU-Patent“ bzw. „Einheitspatent“)4 und einheitlichem Patentgericht5 (i. F. „EPG“) und damit insgesamt ein einheitliches „EU-Patentsystem“ auf den Weg gebracht. Dieses Kapitel soll zunächst einen Überblick über die Entstehung und den Aufbau des EU-Patentsystems geben.
1
Vgl. zur Entwicklung länderübergreifender Patente in Europa o., Kap. 1 B. Die Gemeinschaftsmarke wurde durch die Verordnung (EG) No. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke vom 20. Dezember 1993, ABl. 1994 Nr. L 11, S. 11, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster durch die Verordnung (EG) No. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 12. Dezember 2001, ABl. 2002 Nr. L 3, S. 1, eingeführt. 3 Zu den unterschiedlichen Problemen, die sich im Zusammenhang mit Vorläufern des Einheitspatents ergaben, s. o., Kap. 1 B. V. 4 Der Name für das neue EPeW entstammt dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, KOM(2011) 215 (s. Art. 3 sowie die sonstige Bezeichnung des Patents in den Artikeln des Vorschlags) bzw. dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit bei der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, KOM(2011) 216 (s. bspw. Art. 7). 5 In früheren Fassungen des EPGÜ wurde das Einheitliche Patentgericht als „Gericht für europäische Patente und EU-Patente“ bezeichnet, vgl. etwa Ratsdok. Nr. 7928/09. 2
162
Kap. 4: Das EU-Patentsystem
A. Entstehungsgeschichte Die Gesetzesarbeiten6 zum EU-Patentsystem knüpften an frühere Vorschläge der Europäischen Kommission zum GPÜ-2000 an.7 Nachdem eine Konsultation von 2006 ergab, dass die Nutzer des Patentsystems den Vorschlag zum GPÜ-2000 ablehnten (vgl. hierzu ausführlich o., Kap. 1 B.), veröffentlichte die Europäische Kommission im April 2007 eine Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems in Europa8 und legte Änderungsvorschläge vor, die sich mit möglichen Alternativen wie dem EPLA-Konzept, einerseits, und einer „Gemeinschaftsgerichtsbarkeit für Europäische und Gemeinschaftspatente“, andererseits auseinandersetzte. Als Mittelweg erwog die Kommission einen „Kompromiss“, welcher sich „stark am EPLAModell ausrichten“9 könnte. Im März 2009 erging schließlich eine Empfehlung, in der die Kommission den Rat ermächtigte, Verhandlungen zu einem entsprechenden Übereinkommen aufzunehmen.10 Im Verlauf der Verhandlungen wurde klar, dass Italien und Spanien die angedachten Übersetzungsregelungen nicht akzeptieren wollten. Der ursprüngliche Vorschlag für ein EU-Patent mit Wirkung für die Union wurde daher fortan im Wege der sog. verstärkten Zusammenarbeit verfolgt. Das EU-Patent, das im Wege der verstärkten Zusammenarbeit nunmehr nicht in allen Mitgliedstaaten Wirkung erlangen würde, wird nun als „europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“11 bezeichnet.
B. Verstärkte Zusammenarbeit Das EPeW wurde mittels des EU-Rechtssetzungsinstruments der verstärkten Zusammenarbeit umgesetzt. Neben dem aktuellen Vorhaben wurde die verstärkte Zusammenarbeit bisher nur einmal, nämlich zur Durchsetzung von Regelungen bezüglich der Ehescheidung12, angewendet. Dieser Abschnitt erklärt Zweck und grundlegende Funktionsweise der verstärkten Zusammenarbeit. Ein großes Hin6
Eine Übersicht zu den Gesetzesarbeiten findet sich u. in tabellarischer Übersicht, s. u., C. Näher vgl. o., Kap. 1 IV. 8 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Vertiefung des Patentsystems in Europa, KOM(2007) 165 endg. vom 3. April 2007. 9 Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems, KOM(2007) 165 endg., S. 12. 10 Empfehlung der Kommission an den Rat zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems vom 20. März 2009, SEK(2009) 330 endg. 11 Zur Namensgebung s. Fn. 4. 12 Verordnung Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20. Dezember 2010, ABl. 2010 Nr. L 343, S. 10. 7
B. Verstärkte Zusammenarbeit
163
dernis auf dem Weg zu einem EU-Patent war die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser verstärkten Zusammenarbeit.
I. Sinn und Zweck Das in Art. 20 EUV13 i. V. m. den Vorschriften des Titels III, Art. 326 – 336 AEUV geregelte Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit ermöglicht es einer Gruppe von teilnehmenden Mitgliedstaaten, Gesetzesvorhaben in bestimmten Rechtsgebieten durchzusetzen ohne auf die Zustimmung nicht teilnehmender Mitgliedstaaten angewiesen zu sein. Das mit dem Vertrag von Amsterdam (Art. 11 f. EGV) eingeführte Rechtssetzungsinstrument14 ist eine konsequente Umsetzung des Prinzips der abgestuften (bzw. flexiblen) Integration.15 Dem Grundgedanken nach soll das Prinzip dazu dienen, schwächeren Mitgliedstaaten durch integrationsstarke Staaten mit Vorreiterrolle bei Reformen zu einem Auftrieb zu verhelfen. Im Wesentlichen geht diese Denkweise zurück auf das sog. Kerneuropa-Modell (sog. Schäuble/Lamers-Papier), das Modell eines Europas konzentrischer Kreise und das Konzept eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten (two speeds16).17 An dieser Stelle soll nicht vertiefend auf diese ursprünglichen, lediglich schematischen, Modelle eingegangen werden.
II. Anwendung anlässlich des EU-Patentsystems Als 2010 die Mitgliedstaaten über Übersetzungsregelungen für ein EU-Patent berieten, kam es zu Unstimmigkeiten mit Italien und Spanien wegen der Sprachenregelung des geplanten Patents. Während einer Tagung des Rates zum Europapatent am 11. Oktober 2010 haben daher die restlichen Mitgliedstaaten zunächst signalisiert, dass – sofern keine Einigung durch alle Mitgliedstaaten vor Jahresende erreicht werde, das Vorhaben im Wege der verstärkten Zusammenarbeit durchgesetzt
13
S. 1.
Vertrag über die Europäische Union (EUV) vom 29. Juli 1992, ABl. 1992 Nr. C 191,
14 Die verstärkte Zusammenarbeit hat durch den Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zu Gründung der europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte vom 10. November 1997, ABl. 1997 Nr. C 340, S. 1, Eingang in den Vorläufervertrag des AEUV, den EGV gefunden. 15 s. Lamping, Enhanced Cooperation – A Proper Approach to Market Integration in the Field of Unitary Patent Protection?, IIC 2011, 879, 909. 16 Beispielhaft s. Ehlermann, How flexible is community law? An unusual Approach to the Concept of „Two Speeds“, Michigan Law Review 1984, 1274. 17 Vertiefend s. Pechstein, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. München 2012, Art. 20 EUV, Rn. 4.
164
Kap. 4: Das EU-Patentsystem
werden solle. Am 25. November 2010 bestätigten die teilnehmenden Mitgliedstaaten dieses geplante Vorgehen auf einer Tagung des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“.18 Nachdem weiterhin keine Fortschritte in den Verhandlungen erreicht werden konnten, wurde die verstärkte Zusammenarbeit durch Beschluss des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“ genehmigt. Darauffolgende Vorschlagspapiere bezüglich des EPeW sowie zu den diesbezüglichen Übersetzungsregelungen19 wurden daraufhin im Wege der verstärkten Zusammenarbeit eingereicht.
C. Übersicht über Gesetzgebungsmaterialien Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die wesentlichen Gesetzgebungsmaterialien zum EU-Patentsystem. Datum
Dokument/Ereignis
Quelle
3. April 2007
Europäische Kommission nimmt eine Mitteilung zur „Vertiefung des Patentsystems in Europa“ an
KOM(2007) 165
20. März 2009
Empfehlung der Kommission an SEK(2009) 330 endg. den Rat zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems
23. März 2009
Arbeitsdokument mit dem Text des Ratsdok. Nr. 7928/09 Vorsitzes für den Entwurf eines Übereinkommens über das Gericht für europäische Patente und EUPatente und den Entwurf der Satzung
12. September 2009 Antrag des Rates der Europäischen ABl. 2009 Nr. C 220/15 (Avis 1/ Union auf ein Gutachten zur Ver- 2009) tragskonformität des Gutachtens nach Art. 30 Abs. 6 EG 27. Oktober 2009
18
Vorschlag für eine Verordnung des Ratsdok. Nr. 16113/09 Add. 1 Rates über das Patent der Europäischen Union
s. Einl. zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, KOM(2010) 790 endg. 19 Vorschlag für eine verstärkte Zusammenarbeit, KOM(2010) 790 endg.
C. Übersicht über Gesetzgebungsmaterialien
07. Dezember 2009 Dokument „Schlussfolgerungen zur Verbesserung des Patentsystems in Europa“ – Einigung des Rates über wesentliche Elemente des neuen Patentsystems
Ratsdok. Nr. 17229/09
20. Juni 2010
KOM(2010) 350 endg.
Vorschlag für eine Verordnung (EU) des Rates zur Regelung der Übersetzung des Patents der Europäischen Union
14. Dezember 2010 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine verstärkte Zusammenarbeit betreffend die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Patentsystems
KOM(2010) 790
14. Dezember 2010 Vorschlag für eine Verordnung des KOM(2010) 748 Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung der EuGVVO) 15. Februar 2011
Europäisches Parlament stimmt Vorschlag für eine verstärkte Zusammenarbeit betreffend die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Patentsystems zu (legislative Entschließung)
8. März 2011
Gutachten des EuGH zum Entwurf Gutachten 1/09 eines Vertrags über die Errichtung eines einheitlichen europäischen Patentgerichtssystems – Ergebnis: Unvereinbarkeit mit EUV und AEUV
10. März 2011
Beschluss: Rat nimmt Vorschlag 2011/167/EU für eine verstärkte Zusammenarbeit betreffend die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Patentsystems an
13. April 2011
Europäische Kommission nimmt KOM(2011) 215; 216 Verordnungsvorschläge (Patentverordnung, Übersetzungsverordnung) zur verstärkten Zusammenarbeit zum Beschluss des Rates an
P7_TA(2011)0054
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
26. Mai 2011
„Non-Paper“ des Rates mit Lösungsansätzen zu den vom EuGH gerügten Unvereinbarkeiten
Ratsdok. Nr. 10630/11
3. Juni 2011
Klage Spaniens bei EuGH auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/167/EU eingereicht
ABl. 2011 Nr. C 219, S. 12; Rs. C-273/11
3. Juni 2011
Klage Spaniens bei EuGH gegen die Durchsetzung im Wege der verstärkten Zusammenarbeit eingereicht
ABl. 2011 Nr. C 219, S. 12; Rs. C-274/11
10. Juni 2011
Klage Italiens bei EuGH gegen die ABl. 2011 Nr. C 232, S. 21; Rs. Durchsetzung im Wege der verC-295/11 stärkten Zusammenarbeit eingereicht
27. Juni 2011
Allgemeine Ausrichtung des Rates Ratsdok. Nr. 11328/11 der Europäischen Union (auf Beschluss des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“ vom 10. März 2011): Ankündigung, dass das neue Patent trotz der Klagen umgesetzt werden soll
11. Dezember 2012 Europäisches Parlament beschließt einheitlichen EU-Patentschutz
http://www.europarl.europa.eu/ news/de/news-room/content/2 0121210IPR04506/html/Parla ment-verabschiedet-einheitli chen-EU-Patentschutz
12. Dezember 2012 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ABl. 2012 Nr. L 351 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen 17. Dezember 2012 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 ABl. 2012 Nr. L 361, S. 1 ff. des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes 17. Dezember 2012 Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 ABl. 2012 Nr. L 361, S. 89 ff. des Rates über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen
D. Regelungswerk
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19. Februar 2013
24 Mitgliedstaaten, einschließlich Italien, unterzeichnen das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht, Polen verweigert die Unterschrift
http://www.consilium.europa.eu/ homepage/highlights/agreementon-unified-patent-court-signed? lang=de
22 März 2013
Klagen durch Spanien eingereicht C-146/13; C-147/14 – Verordnung Nr. 1257/2012 sowie Verordnung Nr. 1260/2012 soll für rechtlich inexistent, hilfsweise ganz oder in Teilen für nichtig erklärt werden
26. Juli 2013
Kommission nimmt Vorschlag für http://ec.europa.eu/prelex/detail_ eine Verordnung zur Änderung der dossier_real.cfm?CL=en&Do Neufassung der EuGVVO an, um sId=1041132 Vereinbarkeit der EuGVVO mit dem EPG zu gewährleisten
15. Mai 2014
Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften
ABl. 2014 Nr. L 163
D. Regelungswerk Das EU-Patentsystem besteht aus EU-Patent und Einheitlichem Patentgericht und damit aus zwei Regelungskomplexen. Das EU-Patent wird durch Unionsrecht geregelt, während das Einheitliche Patentgericht aufgrund eines Übereinkommens errichtet wird. Damit besteht das EU-Patentpaket aus einem unionsrechtlichen und einem völkerrechtlichen Teil. Im Folgenden werden die Einzelheiten dieses Patentpakets dargestellt.
I. Verordnungen zur Schaffung einheitlichen Patentschutzes Das EU-Patent besteht aus einer Patent-Verordnung (EPatVO)20 und einer Übersetzungs-Verordnung (EPatÜbersVO)21. 20 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der
168
Kap. 4: Das EU-Patentsystem
1. Patent-Verordnung Die EPatVO regelt unterschiedliche Aspekte des einheitlichen EU-Patents. Vorwiegend geht es um die Voraussetzungen für die Erlangung der einheitlichen Wirkung [s. u., a)] und ihre Verwaltung [s. u., b)]. a) Einheitliche Wirkung Nach der EPatVO sollen EP, die „nach den Regeln und Verfahren des EPÜ erteilt wurden“ (Art. 2 lit. b EPatVO) nach Erteilung auf Antrag gemäß der Verordnung „einheitliche Wirkung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten haben“ (s. Erwgrd. 5). Eine Änderung des EPÜ in Bezug auf die neu eingeführte einheitliche Wirkung ist nicht erforderlich, da das Übereinkommen bereits in Art. 142 EPÜ ausdrücklich vorsieht, dass EPÜ-Vertragsstaaten eine gemeinsame Erteilung vereinbaren können.22 Es wird also die bereits neben der neuen Verordnung bestehende Struktur des europäischen Bündelpatents genutzt, um EP (zumindest in den bisher teilnehmenden 24 Mitgliedstaaten23) eine einheitliche Wirkung zu verleihen. Eine weitere Konsequenz aus der einheitlichen Wirkung ist, dass Patente „nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen“ (Art. 3 Abs. 2 Satz 2; vgl. auch Erwgrd. 7).24 Um als EP mit einheitlicher Wirkung qualifiziert zu werden, muss ein Patent bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Es muss sich um ein EP mit gleichen Ansprüchen für alle teilnehmenden Mitgliedstaaten handeln, das bereits erteilt wurde und für das eine einheitliche Wirkung im Register für einheitlichen Patentschutz beantragt und eingetragen wurde.25
Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. 2012 Nr. L 361 vom 31. Dezember 2012, S. 1. 21 Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates vom 31. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, ABl. 2012 Nr. L 361 vom 31. Dezember 2012, S. 89. 22 Art. 142 EPÜ sieht vor, dass „eine Gruppe von Vertragsstaaten, die in einem besonderen Übereinkommen bestimmt hat, dass die für diese Staaten erteilten Patente für die Gesamtheit ihrer Hoheitsgebiete einheitlich sind“ vorsehen kann, „dass europäische Patente nur für alle diese Staaten gemeinsam erteilt werden können.“. 23 Polen hat nicht das EPGÜ unterzeichnet, weshalb EPeW dort bis auf Weiteres keine Wirkung haben werden. 24 Im Übrigen wird auf die nationalen Gesetze der jeweiligen Mitgliedstaaten verwiesen in dessen Hoheitsgebiet der Anmelder seinen Wohnsitz bzw. seine Hauptniederlassung hat bzw. hatte, vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a, b EPatVO. 25 Vgl. Art. 3 Abs. 1 EPatVO.
D. Regelungswerk
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aa) Europäisches Patent Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. b EPatVO stellt klar, dass die Verordnung nur für Patente gilt, die „vom Europäischen Patentamt (…) nach den Regeln und Verfahren des EPÜ erteilt“ wurden. An dem Anmeldeverfahren für ein EP ändert sich bis auf ein neu eingeführtes Kompensationssystem für Übersetzungskosten durch die EPatÜbersVO nichts.26 bb) Erteilung und identischer Schutzbereich Eine weitere Voraussetzung ist, dass EPeW einen identischen Schutzbereich in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten haben (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2; Erwgrd. 7 EPatVO) und dort erteilt sind. cc) Beantragung und Eintragung der einheitlichen Wirkung Ein entsprechender Antrag muss gestellt werden, damit dem EP eine einheitliche Wirkung verliehen wird. Der Antrag muss in einer der Verfahrenssprachen des EPA innerhalb eines Monats nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung im Europäischen Patentblatt eingereicht werden (Art. 9 Abs. 1 lit. g, h; Erwgrd 5, 18 EPatVO). dd) Wirksamwerden des EP mit einheitlicher Wirkung Das Einheitspatent wird am Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt durch das EPA in den Hoheitsgebieten der teilnehmenden Mitgliedstaaten wirksam (Art. 4 Abs. 1 EPatVO). b) Verwaltung Die Verwaltung der einheitlichen Wirkung übertragen die Mitgliedstaaten dem EPA zur Ausführung nach seinen internen Regeln (vgl. Art. 9 Abs. 1 EPatVO i. V. m. Art. 143 Abs. 1 EPÜ). Neben der Bearbeitung der Anträge und der Eintragung der einheitlichen Wirkung (Art. 9 Abs. 1 lit. g) ist das EPA auch mit der sonstigen Eingliederung eines Registers über EPeW befasst, d. h. es gewährleistet die Eintragung etwaiger Beschränkungen, Lizenzen, Übertragungen, Nichtigerklärungen oder eines etwaigen Erlöschens (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b; Art. 2 lit. e EPatVO). Auch die vom Patentinhaber zu errichtenden Jahresgebühren sollen nun zentral durch das EPA erhoben werden (Art. 9 Abs. 1 lit. e; Art. 11 EPatVO). Ein „engerer Ausschuss“ 26 Die Kosten hierfür trug bisher der Anmelder. Er wurde aber auf Grundlage der R. 6 Abs. 3 AO EPÜ durch eine Ermäßigung der Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdegebühr kompensiert. Nun gilt ein neues Kompensationssystem nach Art. 5 EPatVO i. V. m. den Regeln des EPÜ, s. u., d).
170
Kap. 4: Das EU-Patentsystem
des Verwaltungsrats des EPA soll die Tätigkeit des EPA bezüglich der Verwaltungstätigkeit kontrollieren (Art. 9 Abs. 2 Satz 3 – 6 EPatVO i. V. m. Art. 145 Abs. 1 EPÜ; Erwgrd. 16 der EPatVO). c) Keine materiellen Regelungen In früheren Vorschlagspapieren zur EPatVO waren in Art. 6 – 8 materielle Regelungen zum EU-Patent enthalten.27 Die Artikel regelten den Unterlassungsanspruch für den Fall der unmittelbaren (Art. 6) und mittelbaren (Art. 7) Benutzung der Erfindung und die Beschränkung der Ausschlusswirkung des Patents (Art. 8). Im Juni 2012 schlug der Rat erfolgreich die Streichung28 der vorgenannten Regelungen aus der EPatVO vor.29 Die entsprechenden Artikel finden sich nun in den gleich lautenden Art. 25 – 27 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Ein Kompromiss, der vom Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER30) am 19. November 2012 ausgearbeitet wurde31, besteht darin, dass nun Art. 5 Abs. 3 EPatVO auf die „Rechtsvorschriften“ verweist, die für Einheitliche Patente in dem jeweiligen teilnehmenden Mitgliedstaat gelten, dessen Recht nach Art. 7 EPatVO auf Einheitliche Patente anwendbar ist.32 Damit wird – mangels anderer bisher für EPeW geltender Vorschriften – auf die jeweiligen nach Ratifikation des EPGÜ geltenden Bestimmungen des Übereinkommens, insbesondere auf Art. 25 – 27 EPGÜ, verwiesen.33 Die einzelnen Regelungen werden daher in den Ausführungen zum EPGÜ dargestellt.
27 Vgl. bspw. ursprgl. Verordnungsvorschlag, KOM(2011) 215 endg., Fn. 20. Anm.: Die Art. 6 – 8 der EPatVO entsprechen den Art. 25 – 28 GPÜ-1989. 28 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20. Juli 2012 zur Tagung vom 28./ 29. Juni 2012, EUCO 76/2/12. 29 Der Vorschlag zur Streichung der materiellen Regelungen hat für Unstimmigkeiten gesorgt und war ursächlich dafür, dass eine auf den 4. Juli 2012 angesetzte Abstimmung zum EU-Patent verschoben wurde, s. Pressemitteilung, verfügbar unter: http://www.europarl.euro pa.eu/pdfs/news/expert/infopress/20120703IPR48182/20120703IPR48182_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 30 Aus dem Franz., Comité des Représentants Permanents. 31 Vgl. Mosca, Hope of breakthrough with agreement in Coreper, verfügbar unter: http:// www.highbeam.com/doc/1G1-310700750.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 32 Ein inoffizielles Dokument mit Erklärungen zu dem neu eingefügten Verweis findet sich unter http://www.eplaw.org/Downloads/2012-11-20_UNOFFICIAL_New_Art_5a_Regul_Uni tary_Patent.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 33 Im Einzelnen zu dem Ablauf der Verhandlungen zum EU-Patent s. Koekoek, Final EU patent deal could be in reach, verfügbar unter: http://sciencebusiness.net/news/75944/Final-EUpatent-deal-could-be-in-reach (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
D. Regelungswerk
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2. Übersetzungs-Verordnung Die EPatÜbersVO ist der zweite Bestandteil des EU-rechtlichen Teils des Patentpakets. Sie regelt Einzelheiten zur Übersetzung des EPeW im Anschluss an die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung (Art. 4 Abs. 1 EPatVO). a) Anforderungen an Antrag auf einheitliche Wirkung Der Antrag auf einheitliche Wirkung ist in einer der drei Verfahrenssprachen des EPA, d. h. Deutsch, Englisch und Französisch, zu stellen (Art. 3 Abs. 2 EPatÜbersVO i. V. m. Art. 2 lit. b EPatÜbersVO i. V. m. Art. 14 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 EPÜ). b) Anforderungen an Patentschrift Die Patentschrift (bestehend aus Zeichnungen, Patentansprüchen sowie Beschreibungen, vgl. R. 73 Abs. 1 AOEPÜ) wird, nach wie vor, in einer der Verfahrenssprachen34 des EPÜ nach Art. 16 Abs. 6 EPÜ gemeinsam mit zwei weiteren Übersetzungen der Patentansprüche in die jeweils anderen Amtssprachen des EPA veröffentlicht (vgl. insoweit Erwgrd. 7 der EPatÜbersVO). Anders als im EP-System, in dem zahlreiche Übersetzungen nach der Veröffentlichung der Patentschrift für die Validierung durch Mitgliedstaaten erforderlich sind, soll nach der EPatÜbersVO grds. keine weitere Übersetzung anfallen. Nur für den Fall eines Rechtsstreits sieht Art. 4 EPatÜbersVO vor, dass auf Antrag des mutmaßlichen Verletzers hin eine vollständige Übersetzung des EP mit einheitlicher Wirkung in die Sprache des Verletzungsstaats oder des Sitzstaats des Verletzers (Abs. 1), bzw., auf Anforderung des Gerichts, in die jeweilige Verfahrenssprache (Abs. 2), vorgelegt werden soll, wobei die Übersetzungskosten vom Anmelder zu tragen sind (Abs. 3). Die so grds. fehlenden Übersetzungen in andere Amtssprachen der Mitgliedstaaten der EU sollen durch maschinelle Übersetzungen für alle Amtssprachen ersetzt werden. Für die Implementierung dieser „qualitativ hochwertigen maschinellen Übersetzungen in alle Amtssprachen“ der EU (vgl. Art. 6 Abs. 1, 4 f. EPatÜbersVO; Erwgrd. 12 f.) ist eine Übergangszeit von mindestens sechs (Art. 6 Abs. 3 EPatÜbersVO), maximal jedoch zwölf Jahren seit Inkrafttreten der Verordnung angedacht. Ein Sachverständigengremium soll in diesem Zeitraum feststellen, ob die verfügbaren maschinellen Übersetzungen den Anforderungen genügen (vgl. Art. 6 Abs. 3 EPatÜbersVO).
34 Anm.: Der Begriff Verfahrenssprache erfasst die Amtssprache, die für das Verfahren gewählt wurde, vgl. auch Art. 2 lit. b EPatÜbersVO.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
c) Zusätzliche Anforderungen während des Übergangszeitraums Für den Übergangszeitraum soll jeder Patentschrift, sofern die Verfahrenssprache Deutsch oder Französisch ist, zusätzlich eine vollständige englische Übersetzung beigefügt werden (Art. 6 Abs. 1 lit. a EPatÜbersVO). Bei Einreichung einer englischsprachigen Patentschrift soll dagegen eine Übersetzung „in eine andere Amtssprache der Union“ eingereicht werden (Art. 6 Abs. 1 lit. b EPatÜbersVO). Diese Übersetzungen werden nunmehr durch das EPA veröffentlicht. Sie haben jedoch keine Rechtswirkung und dienen lediglich Informationszwecken (Art. 6 Abs. 2 EPatÜbersVO). d) Kompensationssystem Für Anmelder, die Patentanmeldungen in einer Amtssprache der EU einreichen, die keine Amtssprache des EPA ist und für die gem. Art. 14 Abs. 2 EPÜ eine Übersetzung in eine der Amtssprachen des EPA fällig wird, sieht Art. 5 EPatÜbersVO ein Kompensationssystem vor, sofern es sich bei ihnen um kleine und mittlere Unternehmen (KMU), natürliche Personen, Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht, Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, handelt. Privilegierten Anmeldern werden Übersetzungskosten bis zu einem bisher nicht näher definierten Höchstbetrag ersetzt, den nach Art. 5 Abs. 1 EPatÜbersVO das EPA festzulegen hat. Gemäß Art. 5 Abs. 2 EPatÜbersVO wird das System durch Einnahmen von Jahresgebühren i. S. d. Art. 11 EPatVO finanziert.
II. Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)35 ist die Rechtsgrundlage für das EPG. Es handelt sich nicht um EU-Recht, sondern um einen völkerrechtlichen Vertrag sui generis. Das Ausweichen auf ein Nicht-EU-Instrument lässt sich vor dem Hintergrund erklären, dass ursprünglich nach Absicht der EPÜ-Vertragsstaaten das Übereinkommen sich nicht auf EU-Mitgliedstaaten beschränken, sondern auch Drittstaaten offen stehen sollte.36 Nichtsdestotrotz hat sich das EPGÜ an EU-Recht zu messen: Da aufgrund des Übereinkommens ein gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten errichtet wird, welches unter anderem auch EU-Recht (beispielsweise EU-Richtlinien) 35
Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht vom 19. Februar 2013 (EPGÜ), unterzeichnet in Brüssel, ABl. 2013 Nr. C 175, S. 1. 36 Gem. der Orientierungsaussprache zur Schaffung eines europäischen Patentgerichtssystems, Ratsdok. Nr. 10630/11, Rn. 2, sollte das „Übereinkommen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Drittstaaten, die Vertragsparteien des Europäischen Patentübereinkommens sind, andererseits“ geschlossen werden.
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anwendet und auslegt, hat der EuGH entschieden, dass bestimmte Maßgaben erfüllt sein müssen, die gewährleisten, dass sich das Gericht innerhalb es institutionellen Rahmens der EU bewegt.37 Unter anderem wegen der Maßgaben des EuGH in seinem Gutachten zur Rechtmäßigkeit des EPGÜ, sieht die beschlossene Fassung nunmehr nur noch eine Beteiligung der Mitgliedstaaten38, nicht aber von Drittstaaten, vor. Das EPGÜ ist auf Einheitspatente, übliche EP und ergänzende Schutzzertifikate (Supplementary Protection Certificates, SPC)39 anwendbar (vgl. Art. 3 EPGÜ), sofern nicht bezüglich EP und SPC von der sog. Opt out Regelung (vgl. Art. 83 Abs. 3 EPGÜ)40 Gebrauch gemacht wurde, die während einer Übergangszeit einen Ausschluss der Zuständigkeit des EPG erlaubt (vgl. Art. 83 Abs. 3 EPGÜ). 1. Relevante Rechtsquellen außerhalb des EU-Patentpakets Das EPG wendet das EPGÜ, die EPatVO, EPatÜbersVO und auch sonstiges (EU-) Recht an, das mit Patentverletzungen und -nichtigkeit im Zusammenhang steht. Art. 24 Abs. 1 EPGÜ nennt u. a. als fremde Rechtsquellen: – das Unionsrecht einschließlich der EPatVO sowie der EPatÜbersVO (lit. a); – das EPÜ (lit. c); – andere internationale Übereinkünfte, die für Patente gelten und für alle Vertragsmitgliedstaaten bindend sind (lit. d) sowie – das Recht von Nichtvertragsstaaten (Abs. 3).
2. Verhältnis von EuGVVO und EPGÜ Die EuGVVO wurde zuletzt geändert, um eine Vereinbarkeit mit dem EPG zu gewährleisten.41 In erster Linie sind diese Änderungen klarstellender Natur.
37
Gutachten 1/09 des EuGH vom 8. März 2011, Slg. 2011 I-01137, vertiefend s. dazu u., F. II. 1. 38 Vgl. Art. 84 Abs. 4 EPGÜ, in dem lediglich die Möglichkeit eines Beitritts der Mitgliedstaaten genannt ist. 39 Die nachfolgende Untersuchung bezieht sich auf Patente und nicht zusätzlich ergänzende Schutzzertifikate i. S. d. Art. 3 lit. b EPGÜ. 40 Vertiefend hierzu s. u., E. III. 3. 41 Compatibility of the draft agreement on the Unified Patent Court with the Union acquis – Non-paper from the Commission services vom 20. September 2011, Ratsdok. Nr. 14191/11 (nur auf Englisch verfügbar).
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
a) Änderung der EuGVVO Am 26. Juli 2013 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der am 15. Januar 2015 in Kraft getretenen Neufassung der EuGVVO42 (i. F. „EuGVVO-Änderung“)43 angenommen.44 Am 11. Februar 2014 stimmte der EP-Rechtsausschuss (JURI) über einen Kompromisstext des Vorschlagspapiers ab, der zuvor im Trilogverfahren mit der Europäischen Kommission und dem EU-Ministerrat erstellt wurde.45 Nachdem das EP am 15. April 2014 in erster Lesung über den Kompromisstext abstimmte46 wurde die EuGVVO-Änderung durch die Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union am 6. Mai 2014 verabschiedet.47 Die EuGVVO-Änderung sieht unter anderem vor, dass das EPG und der bereits bestehende Benelux Gerichtshof als „gemeinsames Gericht“ der Mitgliedstaaten48 gelten (Art. 71a Abs. 2 lit. a i. V. m. Art. 71a Abs. 1). Vor der EuGVVO-Änderung war nur der Benelux Gerichtshof in den Erwägungsgründen als gemeinsames Gericht aufgeführt.49 Die EuGVVO-Änderung soll nunmehr eindeutig klarstellen, dass gemeinsame Gerichte im Allgemeinen und das EPG im Besonderen dem Gerichtsbegriff der EuGVVO unterfallen. 42 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012 Nr. L 351. 43 Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften, ABl. 2014 Nr. L 164. 44 Vgl. Auskunft aus Prelex, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real. cfm?CL=en&DosId=1041132 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), s. auch Weal, Unified Patent Court News: European Commission Adopts Proposal for Amendment to Brussels I Regulation, verfügbar unter: http://ipcopy.wordpress.com/2013/07/31/unified-patent-courtnews-european-commission-adopts-proposal-for-amendment-to-brussels-i-regulation (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 45 Pressemitteilung der Kommission vom 11. Februar 2014 „Full speed on Justice for Growth initiatives following European Parliament votes“, verfügbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_MEMO-14-101_en.htm (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 46 Vgl. Übersicht über Gesetzgebungsverfahren http://www.europarl.europa.eu/oeil/pop ups/ficheprocedure.do?reference=2013/0268%28COD%29&l=en (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 47 Pressemitteilung der Kommission vom 6. Mai 2014, verfügbar unter: http://www.consili um.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/jha/142493.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 48 Nach Art. 71a Abs. 1 erfasst der Begriff „gemeinsames Gericht“ ein „Gericht eines Mitgliedstaats, das aufgrund der zu seiner Errichtung geschlossenen Übereinkunft eine gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen im Sinne dieser Verordnung ausübt“. Vgl. zu dem Begriff des gemeinsamen Gerichts der Mitgliedstaaten auch das Gutachten 1/09 des EuGH, u., F. II. 1. 49 Vgl. 11. Erwgrd. der EuGVVO, ABl. 2012 Nr. L 351.
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b) Zuständigkeit eines „gemeinsamen Gerichts“ i. S. d. EuGVVO-Änderung Nach Art. 71b Abs. 1 EuGVVO-Änderung ist ein gemeinsames Gericht zuständig, „wenn die Gerichte eines Mitgliedstaats, der Partei einer Übereinkunft zur Errichtung eines gemeinsamen Gerichts ist, nach Maßgabe dieser Verordnung in einem unter die betreffende Übereinkunft fallenden Rechtsgebiet zuständig sind.“ Auf diese Weise soll die Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände gewährleistet werden.50 Die Zuständigkeitsregelung ist so zu verstehen, dass das gemeinsame Gericht exklusiv zuständig ist, sobald ein Gericht eines Mitgliedstaates – nach Maßgabe der EuGVVO – zuständig ist. Dies hat zur Folge, dass nach der (hypothetischen) Feststellung der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts im Falle der nach dem EPGÜ zugewiesenen Zuständigkeiten die jeweiligen Lokal- und Regionalkammern ausschließlich auf Grundlage des Übereinkommens bestimmt werden. Für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers spricht auch die im Non-Paper geäußerte Meinung der Europäischen Kommission, dass die Regeln der EuGVVO nicht auf die interne Zuständigkeitsverteilung des EPG (die im EPGÜ geregelt ist) anwendbar sein sollten.51 Ein weiterer durch den Rechtsausschuss eingeführter und beschlossener Änderungsantrag nimmt eine entsprechende Klarstellung in die Erwägungsgründe der Änderungsverordnung auf. Danach sollen die Änderungen dazu dienen, „die internationale Zuständigkeit dieses Gerichts zu begründen, und berühren weder die interne Zuweisung der Verfahren an seine einzelnen Kammern noch die im UPC-Übereinkommen festgelegten Regelungen hinsichtlich der Ausübung der gerichtlichen Zuständigkeit, einschließlich der ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit, während des in dem genannten Übereinkommen vorgesehenen Übergangszeitraums.“52 [Hervorhebungen durch den Verfasser]
3. Materielle Regelungen Die Art. 25 – 27 EPGÜ regeln in ihrer endgültigen Fassung den materiellen Unterlassungsanspruch bei unmittelbarer (Art. 25 EPGÜ) bzw. mittelbarer (Art. 26 EPGÜ) Benutzung der patentierten Erfindung sowie die Beschränkungen der Wirkung des Patents (Art. 27 EPGÜ).
50
Vgl. Non-Paper (Fn. 41), S. 5. Vgl. Non-Paper (Fn. 41), S. 3, „The rules of the Brussels I Regulation do not apply to the internal allocation of competences between the various divisions of the UPC, which will be regulated by the UPC Agreement itself“. 52 Zwiefka, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. Januar 2014, Plenarsitzdokument A7-0052/2014 . 51
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
4. Reichweite der Entscheidungen Gemäß Art. 34 EPGÜ gelten die Entscheidungen des EPG im Falle eines EP für das Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen das EP wirksam ist. Die Reichweite von Entscheidungen die EP mit einheitlicher Wirkung zum Gegenstand haben, bezieht sich auf die Vertragsmitgliedstaaten nach Maßgabe des Art. 5 EPatVO. 5. Voraussichtliches Inkrafttreten Gemäß Art. 89 EPGÜ tritt das Übereinkommen erst in Kraft, wenn „am ersten Tag des vierten Monats nach Hinterlegung der dreizehnten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde gemäß Artikel 84, einschließlich der Hinterlegung durch die drei Mitgliedstaaten, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab, oder am ersten Tag des vierten Monats nach dem Inkrafttreten der Änderungen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, die das Verhältnis zwischen jener Verordnung und diesem Übereinkommen betreffen, je nachdem, welcher Zeitpunkt der späteste ist.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Entscheidend für das Inkrafttreten des EPGÜ sind nunmehr, nach Ablauf des 1. Januar 2014, noch zwei Faktoren, namentlich: 1. die Ratifikation des EPGÜ durch eine ausreichende Anzahl von Mitgliedstaaten sowie 2. das Inkrafttreten EuGVVO-Änderung. a) Stand der Ratifikation Nach der offiziellen Auskunft der Rates der Europäischen Union haben bereits Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Malta, Österreich, Schweden und Portugal das EPGÜ ratifiziert.53 Es bedarf damit einer Ratifikation durch mindestens fünf weitere teilnehmende Mitgliedstaaten, wobei eine Ratifikation durch Deutschland und England54 zwingend ist. Zu beachten ist auch, dass eine Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Brüssel i. S. d. Art. 89 Abs. 1 i. V. m. Art. 84 Abs. 2 (beim Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union) erfolgen muss. Die Mitgliedstaaten haben damit theoretisch auch nach der Ratifi-
53
Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung – Ratifikationsprozess (Stand: Oktober 2015), verfügbar unter: http://www.consilium.europa.eu/en/documents-publications/agree ments-conventions/agreement/?aid=2013001 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 54 Deutschland, England und Frankreich waren die Mitgliedstaaten „in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab“ (vgl. Art. 89 Abs. 1 EPGÜ).
E. Das Einheitliche Patentgericht
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kation des EPGÜ eine Möglichkeit zum Hinauszögern des Inkrafttretens des Übereinkommens.55 b) Inkrafttreten der EuGVVO-Änderung Weitere Voraussetzung für das Inkrafttreten des EPGÜ ist nach Art. 89 EPGÜ das Inkrafttreten der EuGVVO-Änderung. Nach Art. 2 EuGVVO-Änderung gilt diese ab dem 10. Januar 2015. Der Geltungszeitpunkt ist deckungsgleich mit dem der Neufassung der EuGVVO (vgl. Art. 83 EuGVVO n. F.). c) Ergebnis Auf Grundlage der obigen Erkenntnisse kann davon ausgegangen werden, dass das EPGÜ nicht bereits am ersten Tag des vierten Monats nach Inkrafttreten der EuGVVO-Änderung seinerseits in Kraft treten wird, da bis zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich nicht die mindestens erforderliche Anzahl von Mitgliedstaaten das EPGÜ ratifiziert und die entsprechenden Urkunden hinterlegt haben wird.
E. Das Einheitliche Patentgericht Das EPG besteht aus zwei Instanzen. Erstinstanzlich existieren eine Zentralkammer und Lokal- bzw. Regionalkammern (Art. 7 Abs. 1 EPGÜ). Die zweite Instanz wird gebildet durch ein Berufungsgericht (Art. 9 EPGÜ).
I. Grundsatz multinationaler Zusammensetzung Ein wesentlicher Grundsatz des EPGÜ ist die multinationale Zusammensetzung seiner Spruchkörper. Vor allem gilt dies für die Zentralkammer und das Berufungsgericht, aber auch für Lokal- und Regionalkammern. Rechtlich und technisch qualifizierte Richter gehören einem sog. Richterpool an, der gem. Art. 18 Abs. 1 EPGÜ nach einer eigenen Satzung errichtet wird. Die Zuweisung dieser Richter nach Fach- und Sprachkenntnissen sowie ihrer Erfahrung soll eine gleichbleibend hohe Qualität der Rechtsprechung in erster Instanz gewährleisten (vgl. Art. 18 Abs. 3 Satz 2, 3 EPGÜ).56
55
So auch Bardehle/Pagenberg, Einheitspatent und Einheitspatentgericht, verfügbar unter: http://www.bardehle.com/fileadmin/contentdocuments/broschures/Einheitspatent_Einheitspa tentgericht.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 56 Zu Schulungen für Patentrichter s. auch Art. 19 EPGÜ.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
II. Aufbau Das EPG besteht aus einem Gericht erster Instanz (s. u., 1.) und einem Berufungsgericht (s. u., 2.). 1. Gericht erster Instanz Das Gericht erster Instanz besteht aus Lokal- und Regionalkammern sowie einer Zentralkammer (Art. 7 Abs. 1 EPGÜ). a) Lokal- und Regionalkammern aa) Errichtung Lokalkammern werden auf Antrag eines jeden Vertragsmitgliedstaats an dem von ihm bestimmten Sitz errichtet. Gegebenenfalls kann ein Staat mehrere Lokalkammern einrichten, wenn die Zahl der zu verhandelnden Verfahren sich um jeweils einhundert pro Kalenderjahr für je eine Kammer erhöht. Maximal darf ein Staat über vier Lokalkammern verfügen (vgl. Art. 7 Abs. 3, 4 EPGÜ). Mindestens zwei Vertragsmitgliedstaaten können sich zusammenschließen und statt Lokalkammern gemeinsame Regionalkammern bilden (Art. 7 Abs. 5 EPGÜ). bb) Zusammensetzung Spruchkörper des EPG bestehen grundsätzlich aus drei Richtern. Ausnahmsweise ist nach Art. 8 Abs. 1 EPGÜ i. V. m. Art. 8 Abs. 5 EPGÜ (maximal) ein zusätzlicher, technisch qualifizierter, Richter zu stellen. Um dem Prinzip der Multinationalität nachzukommen, bestehen die Lokalkammern gem. Art. 8 EPGÜ je nach Anzahl der vor oder nach Inkrafttreten des Übereinkommens57 verhandelten Fälle nur aus einem bzw. zwei nationalen Richtern. Hier gilt der Grundsatz, dass je mehr Fälle verhandelt wurden, desto mehr staatsangehörige Richter gestellt werden dürfen. Der bzw. die übrigen Posten werden durch einen nicht staatsangehörigen Richter besetzt, der aus dem Richterpool zugewiesen wird (vgl. Art. 18, 8 EPGÜ). Bei Regionalkammern besteht die Besonderheit, dass zwei Richter über eine sog. „regionale Liste“ gewählt werden und aus den „Regionsstaaten“ stammen. Dazu kommt ein aus dem Richterpool zugewiesener Richter (vgl. Art. 8 Abs. 4 EPGÜ).
57 Maßgeblich sind die in den letzten drei Jahren vor oder nach Inkrafttreten im Durchschnitt pro Jahr verhandelten Fälle, vgl. Art. 8 Abs. 2, 3 EPGÜ.
E. Das Einheitliche Patentgericht
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cc) Verfahrenssprache Die Sprache der Lokal- und Regionalkammern richtet sich nach Art. 49 EPGÜ. Danach bestimmt sich die Verfahrenssprache grundsätzlich nach der Amtssprache in den jeweiligen Vertragsmitgliedstaaten (bei Lokalkammern) bzw. nach der/den für eine Regionalkammer bestimmten Amtssprache(n). Alternativ können – sofern vom Gericht erster Instanz bestimmt – eine oder mehrere der Amtssprachen des EPA Verfahrenssprache sein (Art. 49 Abs. 1, 2 EPGÜ). Außerdem können Parteien auf Antrag übereinstimmend die Sprache des Klagepatents als Amtssprache festlegen lassen oder auf Vorschlag des Spruchkörpers annehmen. Sofern der Antrag vom Gericht abgelehnt wird, steht ihnen der Weg zur Zentralkammer offen, wo die Verfahrenssprache der Sprache des Klagepatents entspricht (Art. 49 Abs. 3, 6 EPGÜ). Sofern kein Konsens erreicht werden kann, besteht die Möglichkeit, dass – nach Anhörung der anderen Partei – der Gerichtspräsident die Sprache des Klagepatents nach eigenem Ermessen anordnet (Art. 49 Abs. 3 – 5 EPGÜ). Außerdem kann nach den Grundsätzen der „Zweckmäßigkeit und Fairness“ der Spruchkörper mit Zustimmung der Parteien bestimmen, dass die Sprache des Klagepatents als Verfahrenssprache verwendet wird (Art. 49 Abs. 4 EPGÜ). b) Zentralkammer aa) Sitz Lange Zeit war der Sitz der Zentralkammer unklar. Viele Mitgliedstaaten – vor allem Deutschland – sprachen sich dafür aus, dass der Sitz aus Praktikabilitätsgründen am Standort der EPO in München festgelegt werden sollte. Überraschenderweise einigte man sich schließlich auf einen (Haupt-)Sitz in Paris mit Abteilungen in London und München (Art. 7 Abs. 2 EPGÜ). Die Zuständigkeiten der jeweiligen Abteilungen der Zentralkammer richten sich nach dem jeweiligen Gebiet der Technik.58 bb) Zusammensetzung Gemäß Art. 8 Abs. 6 EPGÜ setzt sich die Zentralkammer aus zwei rechtlich qualifizierten Richtern aus unterschiedlichen Vertragsmitgliedstaaten zusammen. Diese werden von einem weiteren Richter aus dem Richterpool unterstützt, der im jeweiligen technischen Gebiet geschult ist. Nur bei Klagen gegen Entscheidungen des EPA nach Art. 32 Abs. 1 lit. i EPGÜ, die in Ausübung der diesem gem. Art. 9 EPatVO übertragenen Aufgaben getroffen wurden, urteilen ausnahmsweise 58 Vgl. hierzu u., III. 1. b) (örtliche Zuständigkeit); Art. 7 Abs. 2 Satz 2 EPGÜ i. V. m. Anhang II zum EPGÜ.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
drei rechtlich qualifizierte Richter unterschiedlicher Vertragsstaaten (Art. 8 Abs. 6 Satz 1 EPGÜ). cc) Verfahrenssprache Die Sprache der Zentralkammer ist die des Klagepatents (Art. 49 Abs. 6 EPGÜ). 2. Gemeinsames Berufungsgericht Die Berufungsinstanz besteht aus einem einheitlichen Berufungsgericht. Es hat seinen Sitz in Luxemburg (Art. 9 Abs. 5 EPGÜ). a) Zusammensetzung Das Berufungsgericht besteht aus fünf Richtern aus multinationaler Zusammensetzung. Drei Richter sind rechtlich, zwei sind technisch qualifiziert. Dabei werden nur letztere aus dem Richterpool zugewiesen (Art. 9 Abs. 1 EPGÜ). Nur bei Klagen gem. Art. 32 Abs. 1 lit. i EPGÜ über Entscheidungen, die das EPA in Ausübung von Aufgaben, die ihm gem. Art. 9 EPatVO übertragen wurden, gefällt hat, besteht ein Spruchkörper lediglich aus drei rechtlich qualifizierten Richtern unterschiedlicher Vertragsmitgliedstaaten (Art. 9 Abs. 2 EPGÜ). b) Verfahrenssprache Die Sprache des Berufungsgerichts ist die der ersten Instanz, es sei denn die Parteien vereinbaren übereinstimmend die Sprache des Klagepatents als Verfahrenssprache. Ausnahmsweise kann eine andere Sprache mit Zustimmung der Parteien gewählt werden (Art. 50 EPGÜ). Art. 51 EPGÜ regelt weitere Besonderheiten zu Dolmetschern und der Übersetzung einzelner Dokumente.
III. Zuständigkeit 1. Gericht erster Instanz a) Sachlich Lokal- und Regionalkammern sind nach Art. 33 Abs. 1 EPGÜ i. V. m. Art. 32 Abs. 1 EPGÜ zuständig für Patentverletzungsklagen bzw. Klagen wegen der Verletzung von SPC und für entsprechende Klageerwiderungen bzw. Widerklagen in Bezug auf Lizenzen (Art. 32 lit. a EPGÜ); einstweilige Maßnahmen, Sicherungsmaßnahmen und einstweilige Verfügungen (Art. 32 lit. c EPGÜ); Schadensersatzklagen oder Entschädigungsklagen aufgrund vorläufigen Schutzes durch eine ver-
E. Das Einheitliche Patentgericht
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öffentlichte Patentanmeldung (Art. 32 lit. f EPGÜ) sowie Klagen wegen Benutzung vor Patenterteilung bzw. aufgrund von Vorbenutzungsrechten (Art. 32 lit. g EPGÜ). b) Örtlich Nach Art. 33 Abs. 1 lit. a EPGÜ ist die Lokalkammer eines Vertragsmitgliedstaats zuständig, „in dessen Gebiet die tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist oder möglicherweise erfolgen wird“ bzw. die Regionalkammer, an der dieser Vertragsmitgliedstaat beteiligt ist. Dies entspricht dem Merkmal des Handlungsortes. Alternativ kann nach lit. b am Ort des Beklagtenwohnsitzes (bzw. am Sitz der Hauptniederlassung oder dem Geschäftssitz) nach demselben Prinzip geklagt werden. Art. 33 Abs. 1 lit. b Satz 2 EPGÜ erlaubt zudem eine Klage gegen mehrere Beklagte, „wenn zwischen diesen eine Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft.“ Sofern der Beklagte nicht im Gebiet der Vertragsmitgliedstaaten ansässig ist, kann der Kläger gem. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 3 EPGÜ auf die Vorschrift zum Handlungsort zurückgreifen. 2. Zentralkammer a) Sachlich Nach Art. 33 Abs. 4 EPGÜ ist die Zentralkammer ausschließlich zuständig für negative Patentverletzungsklagen (Art. 32 Abs. 1 lit. b EPGÜ) und Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten bzw. von SPC (Art. 32 Abs. 1 lit. d EPGÜ). Außerdem ist sie für Klagen nach Art. 32 Abs. 1 lit. i EPGÜ gem. Art. 33 Abs. 9 EPGÜ zuständig, die Entscheidungen behandeln, die das EPA in Ausübung von Aufgaben, die ihm gem. Art. 9 EPatVO übertragenen wurden, gefällt hat. Negative Feststellungsklagen können nach Art. 33 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Art. 32 Abs. 1 lit. a EPGÜ nicht vor der Zentralkammer erhoben werden, wenn zuvor bei einer Lokal- oder Regionalkammer eine Verletzungsklage zwischen denselben Parteien erhoben wurde. Die Lokal- bzw. Regionalkammer ist dann ausschließlich zuständig.59 Außerdem regelt Art. 33 Abs. 5 i. V. m. Art. 32 Abs. 1 lit. b EPGÜ, dass selbst bei einer zuerst anhängigen Klage auf Nichtigerklärung vor der Zentralkammer, eine Patentverletzungsklage dennoch vor jeder Kammer oder der Zentralkammer erhoben werden kann. Ausnahmsweise ist die Zentralkammer auch für Klagen auch dann zuständig, wenn
59
s. hierzu insbesondere u., Kap. 6 B.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
– ein Beklagter nicht in der EU ansässig ist60 bzw. im Wohnsitzstaat keine Lokalbzw. Regionalkammer errichtet ist.61 – mehrfache Patentverletzungen in unterschiedlichen Gebieten von mindestens drei Regionalkammern stattfinden. Dann besteht sogar eine Verweisungspflicht für das angerufene Gericht.62 – die Parteien sich darauf verständigen, dass etwa ein Patentverletzungsverfahren (alternativ auch die anderen in Art. 32 Abs. 1 lit. a bis h genannten Verfahren) vor der Zentralkammer verhandelt wird.63 b) Örtlich Die Zentralkammer hat ihren Hauptsitz in Paris und zwei Abteilungen in London und München (Art. 7 Abs. 2. Satz 1 EPGÜ). Gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EPGÜ werden die Verfahren entsprechend ihrer Internationalen Patentklassifikation gem. Anhang II verteilt. Demnach ergibt sich folgende Verteilung: – Verfahren über Patente des täglichen Lebensbedarfs, Chemie und Hüttenwesen werden in London verhandelt. – Verfahren über Patente, die sich mit Arbeitsverfahren, Transportieren, Textilien, Papier, Bauwesen, Erdbohren, Bergbau, Physik und Elektrotechnik befassen, finden in Paris statt. – Verfahren über Patente auf dem Gebiet Elektrotechnik, Maschinenbau, Heizung Waffen und Sprengen werden in München verhandelt.
3. Opt-Out In einem Übergangszeitraum von sieben Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ können nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ Anmelder und Inhaber von Bündelpatenten unter bestimmten Voraussetzungen Gebrauch von einem sog. Opt out64 machen. Ihnen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, die ausschließliche Zuständigkeit des EPG vollständig auszuschließen. Ein Opt out kann auf Grundlage von Art. 83 Abs. 4 EPGÜ jederzeit zurückgenommen werden „(s)ofern noch keine Klage vor einem nationalen Gericht erhoben worden ist (…)“. Außerdem können Kläger 60
Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 3, 2. Var EPGÜ. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 4 EPGÜ. 62 Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 EPGÜ. 63 Art. 33 Abs. 7 EPGÜ. 64 Der treffende Begriff findet sich in der englischen Fassung des Art. 83 Abs. 3 EPGÜ („(…) shall have the possibility to opt out from the exclusive competence of the Court.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 61
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gemäß Art. 83 Abs. 1 EPGÜ in diesem Zeitraum Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen weiterhin bei nationalen Gerichten bzw. Behörden erheben.65
IV. Organisation und Verfahren Das EPGÜ beinhaltet Regelungen zur Gerichtsorganisation und zum Verfahren. Das EPGÜ enthält in seinem Teil III (Art. 40 ff.) Regelungen zu Gerichtsorganisation und Verfahren. Unter anderem werden dort die Verfahrensgrundsätze66 geregelt. Außerdem sind dort die Parteifähigkeit (Art. 46 EPGÜ), die Klageberechtigung (Art. 47 EPGÜ), die Prozessstandschaft (Art. 48 EPGÜ), zulässige Beweismittel (Art. 53, 57 EPGÜ), die Anordnung der Beweissicherung (Art. 60 EPGÜ) sowie vorläufige und endgültige Verfügungen und Abhilfemaßnahmen (Art. 61 ff. EPGÜ) geregelt. Weitere Einzelheiten der Gerichtsorganisation werden durch eine Satzung geregelt, während eine Verfahrensordnung die Einzelheiten des Verfahrens normiert (vgl. Art. 40 f. EPGÜ). 1. Satzung Im Anhang I enthält das EPGÜ eine Satzung, die sich mit institutionellen und finanziellen Regelungen für das EPG befasst. 2. Verfahrensordnung Art. 41 EPGÜ sieht vor, dass eine Verfahrensordnung (VerfO EPGÜ) durch den Verwaltungsausschuss beschlossen werden soll, die die Einzelheiten der Verfahren vor dem EPG regelt und im Einklang mit dem EPGÜ steht. Zum aktuellen Zeitpunkt liegen lediglich vorläufige Fassungen der Verfahrensordnung vor. Die folgenden Untersuchungen beziehen sich – soweit erforderlich – auf die aktuelle Entwurfsfassung67 (nachfolgend bezeichnet als „VerfO EPGÜ-Entwurf“). 65 Zu den i. Ü. streitigen Folgen eines Opt outs bei Erhebung einer Klage vor einem nationalen Gericht s. u., Kap. 5 D. II. 66 Verhältnismäßigkeit und Fairness (Art. 42 EPGÜ); Öffentlichkeit der Verhandlungen (Art. 45 EPGÜ); Schriftlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens (Art. 52 EPGÜ); Beweislast und Beweislastumkehr (Art. 54 f. EPGÜ). 67 Zur Zeit der Bearbeitung: 16th Draft of the Preliminary set of provisions for the Rules of Procedure („Rules“) of the Unified Patent Court vom 31. Januar 2014 (nur auf Englisch verfügbar), verfügbar unter: http://www.unified-patent-court.org/images/documents/revised-draftrules-of-procedure.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
184
Kap. 4: Das EU-Patentsystem
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ Neben der verstärkten Zusammenarbeit ist auch das gesamte Patentpaket Gegenstand rechtlicher Überprüfungen durch den EuGH geworden. Aus Verständnisgründen wird an dieser Stelle das Urteil des EuGH zu der Klage gegen die Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit (s. dazu u., I.) sowie über das Gutachten zur Legitimität des EPG als gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten (s. dazu u., II.) gegeben werden. Über die im März 2013 von Spanien erhobenen Nichtigkeitsklagen gegen die EPatVO68 und die EPatÜbersVO69 hat der EuGH dagegen noch nicht entschieden. Ihre Erfolgsaussichten werden zum Kapitel über die Risiken des EU-Patentsystems diskutiert (s. u., Kap. 5 A.).
I. Verstärkte Zusammenarbeit Ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem EU-Patent war die Frage nach der Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit. Im Juni 2011 reichten Spanien70 und Italien71 vor dem EuGH Klagen auf Grundlage von Art. 263 AEUV72 ein, mittels derer sie sich vor allem gegen die Rechtmäßigkeit der von 25 Mitgliedstaaten angestrebten verstärkten Zusammenarbeit richteten. 1. Klagen Spaniens und Italiens Mit ihren Klagen73 begehrten Spanien und Italien die Nichtigerklärung des Ratsbeschlusses vom 10. März 2011, durch den die Mitgliedstaaten zur Schaffung des EU-Patents im Wege der verstärkten Zusammenarbeit ermächtigt wurden.74 68 Klage des Königreichs Spanien/Rat der Europäischen Union, eingereicht am 22. März 2013 (Rs. C-146/13). 69 Klage des Königreichs Spanien/Rat der Europäischen Union, eingereicht am 22. März 2013 (Rs. C-147/13). 70 Klage des Königreichs Spanien/Rat der Europäischen Union, eingereicht am 3. Juni 2011 (Rs. C-274/11). 71 Klage der Italienischen Republik/Rat der Europäischen Union, eingereicht am 10. Juni 2011 (Rs. C-295/11). 72 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom 9. Mai 2008, ABl. 2008 Nr. C 115, S. 47. 73 Vgl. EuGH, Urteil vom 16. April 2013 zu verbundenen Rs. C-274/11 und C-295/11 (noch nicht veröffentlicht). 74 Beschluss des Rates vom 10. März 2011 über die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, veröffentlicht
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ
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Die beiden Mitgliedstaaten rügten, die Voraussetzungen für den Erlass einer verstärkten Zusammenarbeit lägen nicht vor. Es handele sich bei der Zuständigkeit der Union in Bezug auf Art. 118 Abs. 2 AEUV nicht – wie es Art. 20 Abs. 1 EUV für eine verstärkte Zusammenarbeit vorsehe – um eine geteilte Zuständigkeit, sondern eine ausschließliche Zuständigkeit der Union nach Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV für die „Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln“, weshalb schon keine Materie gegeben sei, die mittels verstärkter Zusammenarbeit überhaupt durchgesetzt werden könne.75 Außerdem sei keine Ultima-ratio-Situation gegeben, da nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien.76 Der Beschluss über die verstärkte Zusammenarbeit umgehe zudem die Anforderungen der Rechtsgrundlage für die Sprachenregelung, Art. 118 Abs. 2 AEUV, da nicht die erforderliche Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten gegeben sei.77 Des Weiteren werde der Binnenmarkt geschwächt, was dem eigentlichen Ziel der verstärkten Zusammenarbeit zuwiderliefe. Durch sie werde nur ein Teil des Unionsgebiets begünstigt, was zu Nachteilen bei den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten führe.78 Zudem führe die Sprachenregelung, die Deutsch, Englisch, und Französisch bevorzugt, zu einer Verzerrung des Wettbewerbs und einer Diskriminierung zwischen Unternehmen.79 Italien und Spanien waren außerdem der Auffassung, das Recht der beiden Mitgliedstaaten aus Art. 327 AEUV, der verstärkten Zusammenarbeit künftig beizutreten, wäre vom Rat missachtet worden, da dieser bereits einer Sprachenregelung den Vorzug gegeben habe, die von den beiden Mitgliedstaaten nicht akzeptiert werden könne.80 Zuletzt führten die Mitgliedstaaten an, es sei nicht rechtmäßig, dass der Beschluss nähere Ausführungen zur Ausgestaltung des Gerichtssystems, das im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit erst zu schaffen wäre, enthielt.81 Art. 262 AEUV sehe lediglich die Möglichkeit eines speziellen Rechtsbehelfs, nicht aber die „Einführung eines speziellen gerichtlichen Rahmens“ vor.
unter 2011/167/EU, s. auch Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 13. April 2011 „Europäische Kommission schlägt einheitlichen Patentschutz zur Förderung von Forschung und Entwicklung vor“, verfügbar unter: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAc tion.do?reference=IP/11/470&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en (zuletzt abgerufen am: 2. Februar 2012). 75 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 10 ff. 76 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 42 ff. 77 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 64 f. 78 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 71. 79 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 72. 80 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 79. 81 EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 87 f.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
2. Urteil des EuGH Der EuGH sah in der verstärkten Zusammenarbeit keinen Verstoß gegen EURecht und wies entsprechend die verbundenen Klagen Spaniens und Italiens in seinem Urteil vom 16. April 201382 ab. a) Keine ausschließliche Zuständigkeit der EU Die Ermächtigungsgrundlage zu Sprachenregelungen für europäische Rechtstitel für geistiges Eigentum, Art. 118 Abs. 2 AEUV, falle nicht unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Die dort geregelte Rechtsgrundlage für Sprachenregelungen stünde in einem engen Zusammenhang mit der Schaffung des Rechtstitels für geistiges Eigentum nach Art. 118 Abs. 1 AEUV, der „im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts“ erlassen wird. Daher fiele Art. 118 Abs. 2 AEUV ebenfalls in den Bereich des Funktionierens des Binnenmarkts und damit gem. Art. 4 Abs. 2 AEUV unter eine geteilte Zuständigkeit.83 Regeln im Bereich des geistigen Eigentums stellten auch keine „Wettbewerbsregeln“ i. S. d. Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV dar, sodass kein Fall der ausschließlichen Zuständigkeit gegeben sei.84 b) Kein Verstoß gegen ultima ratio Erfordernis Angesichts der Situation beim EU-Patent sei auch das Erfordernis des letzten Mittels erfüllt. Grundsätzlich könne zwar nicht jede ergebnislose Verhandlung als Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit ausreichen. Ausgangssituationen, in denen die verstärkte Zusammenarbeit als „letztes Mittel“ angesehen werden kann, könnten nur solche sein, bei denen ein Erlass eines Beschlusses „in absehbarer Zukunft nicht möglich ist“. Bezüglich der Tatsache, ob das Erfordernis des letzten Mittels generell tatsächlich vorliegt, hat der EuGH seinen Entscheidungsspielraum eingeschränkt. „Der Rat, der die genannte endgültige Entscheidung trifft, vermag am besten zu beurteilen, ob die Mitgliedstaaten Kompromissbereitschaft zeigen und in der Lage sind, Vorschläge zu unterbreiten, die in absehbarer Zukunft zum Erlass der Regelung für die Union in ihrer Gesamtheit führen können.“ Der Rat habe generell lediglich die relevanten Gesichtspunkte für ein Scheitern von Verhandlungen zu prüfen und das Ergebnis hinreichend zu begründen. Der EuGH ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall der Rat dieser Pflicht nachgekommen sei, indem er dargelegt hat, dass während der umfassenden Gesetzesarbeiten seit 2000 zuletzt unterschiedliche Sprachenregelungen diskutiert worden 82 83 84
EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 16 ff. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 22.
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ
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seien, von der jedoch keine eine Unterstützung gefunden hätte, „die zur Verabschiedung eines vollständigen ,Gesetzgebungspakets‘ über das einheitliche Patent auf Unionsebene hätte führen können.“85 c) Umgehung eines Einstimmigkeitserfordernisses als zwingende Folge der verstärkten Zusammenarbeit Eine Umgehung des Erfordernisses der Einstimmigkeit für Sprachenregelungen i. S. d. Art. 118 Abs. 2 AEUV finde nicht statt. Die verstärkte Zusammenarbeit sei vielmehr gerade in den Bereichen zulässig, die – wie die Sprachenregelung – Einstimmigkeit erforderten. Dementsprechend würden auch im Wege der verstärkten Zusammenarbeit geschaffene Rechtstitel für geistiges Eigentum nicht in der gesamten Union gelten, sondern nur im Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten.86 d) Keine Schwächung des Binnenmarkts, Verzerrung des Wettbewerbs, Diskriminierung Auch eine Schwächung des Binnenmarkts, Verzerrung des Wettbewerbs bzw. eine Diskriminierung lägen nicht vor. Insoweit verweist der EuGH auf seine Ausführungen zum Einstimmigkeitserfordernis des Art. 118 Abs. 2 AEUV, das sich – im Falle der verstärkten Zusammenarbeit – lediglich auf die teilnehmenden Mitgliedstaaten bezieht. Aus demselben Grund ließe sich bei einem nicht in der gesamten Union geltenden einheitlichen Patent nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Binnenmarkt im Hinblick auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten beeinträchtigt bzw. diskriminiert werde.87 Soweit Italien und Spanien sich zum Nachweis einer Beeinträchtigung des Binnenmarkts bzw. einer Diskriminierung und Wettbewerbsverzerrungen auf Details zur Sprachenregelung bezogen, betonte der EuGH, dass ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht in dem aktuellen Verfahren nicht geprüft werden könne.88 e) Keine Missachtung des Art. 327 AEUV Die Anforderungen des Art. 327 AEUV, insbesondere „die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten“ nicht teilnehmender Mitgliedstaaten zu wahren, seien durch die verstärkte Zusammenarbeit erfüllt worden. Es sei dabei unerheblich, dass von den teilnehmenden Mitgliedstaaten eine Sprachenregelung verfolgt wurde, mit denen die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten nicht einverstanden seien, da dies die Möglichkeit eines Beitritts nicht unwirksam werden ließe. Art. 328 Abs. 1 Unter85 86 87 88
EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 47 – 59. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 68. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 75 i. V. m. 68. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 75 i. V. m. 76.
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
abs. 1 AEUV sehe vielmehr vor, dass, im Falle eines späteren Beitritts, die beitretenden Mitgliedstaaten die im Wege der verstärkten Zusammenarbeit beschlossenen Rechtsakte zu achten hätten.89 f) Keine Kompetenzüberschreitung durch den Rat Auch den Vorwurf, der Rat habe missachtet, dass das Gerichtssystem der Union ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren sei, da er bei Erteilung der Ermächtigung zur verstärkten Zusammenarbeit nicht dargelegt habe, welches Rechtsschutzsystem konkret eingeführt werden soll, sieht der EuGH als unbegründet. Der Rat habe lediglich die Anträge der Mitgliedstaaten, die auch Anwendungsbereich und Ziele der verstärkten Zusammenarbeit enthielten sowie den Vorschlag der Europäischen Kommission einschließlich Erläuterungen in den Beschluss übernommen. Er sei dabei jedoch nicht verpflichtet gewesen, zusätzliche Angaben zum Inhalt der verstärkten Zusammenarbeit zu machen, da der Beschluss lediglich darauf gerichtet war, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, die verstärkte Zusammenarbeit überhaupt einzuleiten. Durch sie sollten erst Vorschriften erlassen werden, die ggf. spezielle Vorschriften zur Gerichtsbarkeit einschlössen.90 3. Anmerkungen zum Urteil des EuGH Erstmals hatte der EuGH Gelegenheit zu den besonderen Voraussetzungen einer verstärkten Zusammenarbeit, insbesondere zum ultima ratio Erfordernis und dem Erfordernis der Einstimmigkeit, Stellung zu nehmen. Zufriedenstellend hat der Gerichtshof die Kompetenzfrage anlässlich von Art. 118 AEUV gelöst. Eine ausschließliche Zuständigkeit der Union lässt sich jedoch nicht bereits aufgrund der Tatsache begründen, dass Art. 118 AEUV den Begriff „Binnenmarkt“ enthält und damit schon aufgrund von Art. 4 Abs. 2 lit. a AEUV in den Bereich der geteilten Zuständigkeit falle.91 Mit diesem Argument wird verkannt, dass auch in Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV (zur ausschließlichen Zuständigkeit der EU für Wettbewerbsregeln), der Binnenmarktsbegriff genannt ist. Dieser kann also per se nicht als Argument für eine geteilte Zuständigkeit herangezogen werden. Der Aufbau des Arbeitsweisevertrags spricht allerdings klar dagegen, dass die in Art. 118 AEUV geregelte Ermächtigung der Union für ein EU-Patent unter den Oberbegriff „Wettbewerbsregeln“ im Sinne der ausschließlichen Zuständigkeit fällt. 89
EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 75 i. V. m. 81 ff. EuGH, Urteil vom 16. April 2013, Rs. C-274/11/C-295/11, Rn. 75 i. V. m. 89 ff. 91 Vgl. etwa Peers, The Constitutional Implications of the EU Patent, ECLR 2011, Ausg. 7, S. 229, 251; Jaeger, Back to Square One? – An Assessment of the Latest Proposals for a Patent and Court for the Internal Market and Possible Alternatives, IIC 2012, 286; s. auch Vorschlag für eine verstärkte Zusammenarbeit, KOM(2010) 790 endg., S. 8 f. 90
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ
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Ausdrücklich ist im AEUV das Kap. 1 von Titel VII „Wettbewerbsregeln“ betitelt. Der europäische Rechtstitel für geistiges Eigentum als Kompetenzregelung für das EU-Patent ist allerdings unter Kap. 3, „Angleichung der Rechtsvorschriften“, geregelt.92,93 Sehr zu begrüßen ist, dass der EuGH dem Rat einen breiten Ermessensspielraum bei der Beurteilung des Erfordernisses des letzten Mittels eingeräumt hat. Diese Einordnung hat den besonderen praktischen Vorteil, dass sie das Risiko zumindest einschränkt, dass verhandlungsunwillige Staaten Gesetzesvorhaben – nachdem ein Beschluss über die Genehmigung einer verstärkten Zusammenarbeit bereits ergangen ist – weiterhin blockieren. Auch der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 EUV erlaubt einen derart weiten Ermessensspielraum des Rates. Danach ist das ultima ratio Erfordernis erfüllt, „wenn er (der Rat) feststellt, dass die mit dieser Zusammenarbeit angestrebten Ziele von der Union in ihrer Gesamtheit nicht innerhalb eines vertretbaren Zeitraums verwirklicht werden können“. Die Begriffe „vertretbarer Zeitraum“ sowie „verwirklicht“ erlauben vielfältige Auslegungen. Etwa: Welcher Zeitraum ist für die Erreichung eines Ziels in der Unionsgesetzgebung vertretbar? Unter welchen Umständen ist ein Ziel (auch mit Kompromissen) innerhalb dieses Zeitraums als nicht zu verwirklichen anzusehen? Die liberale Haltung des EuGH wird auch von einem von der Union veröffentlichten Kommentar gestützt: Das ultima ratio Erfordernis sei in der neuen Fassung des EUV gerade weit zu fassen. Die Streichung des Wortlauts „unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Verträge“ (vgl. Art. 43a EGV-Nizza) durch den Vertrag von Lissabon sei so zu verstehen, dass nunmehr nicht einmal mehr ein vorangegangenes Verfahren oder gar dessen Scheitern erforderlich sei.94,95
II. Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des heutigen EPGÜ wurde ein früher Entwurf des Übereinkommens dem EuGH am 25. Juni 200996 vom Rat mit der Frage zur Begutachtung übermittelt, ob „das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems (…) mit den Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vereinbar“ ist. 92
s. auch Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 3 AEUV, Rn. 7 m. w. N. A. A. Jaeger, Back to square one?, IIC 2012, 286. 94 Dokument über die verstärkte Zusammenarbeit im Verfassungsvertrag, CONV 723/03, S. 18 (Im Dokument wird Art. 32b Abs. 2 kommentiert, der im Wesentlichen gleichlautend ist mit dem heutigen Art. 20 Abs. 2 EUV). 95 Bedenken einer Ausnutzung der Flexibilität dagegen von Lamping, Enhanced Cooperation – A Proper Approach to Market Integration in the Field of Unitary Patent Protection?, IIC 2011, 879, 909 ff. 96 EuGH, Gutachten 1/09 vom 8. März 2011, Slg. 2011 I-01137. 93
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
Die Frage des Gutachtens bezog sich auf den damaligen Entwurf eines Übereinkommens über das Gericht für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente (nachfolgend „EPGÜ-Entwurf“).97 Am 8. März 2011 entschied der EuGH, der Entwurf sei mit den Verträgen unvereinbar. Das Urteil ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des EPGÜ als „gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten“. Um den Kriterien, die der EuGH für ein solches Gericht in seinem Gutachten aufgestellt hat zu genügen, wurden wesentliche Änderungen an dem Übereinkommen vorgenommen. 1. EuGH-Gutachten 1/09 Dieser Abschnitt gibt die Kritikpunkte des EuGH am Übereinkommensentwurf wieder. a) Rechtlicher Rahmen für eine Überprüfung durch den EuGH Grundsätzlich hat der EuGH gemäß Art. 19 EUV die „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ zu sichern (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV). Die genannte Norm umschreibt lediglich grob die Aufgaben des EuGH und kann damit selbst nicht als Kompetenznorm herangezogen werden.98 Eine konkrete Ausformung dieses Grundsatzes der rechtswahrenden Funktion findet sich in Art. 218 Abs. 11 AEUV in Form des Gutachtenverfahrens. Danach können zur Überprüfung der Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen Gutachten des Gerichtshofs eingeholt werden (Art. 218 Abs. 9 AEUV). Antragsberechtigt sind einzelne Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission (Art. 218 Abs. 11 Satz 1 AEUV). Die Prüfungsmaterie des EuGH umfasst dabei sämtliche materielle Normen sowie auch Verfahrens- und Zuständigkeitsnormen und „das institutionelle Gefüge der Gemeinschaft“99, d. h. das gesamte EU-Primärrecht100. b) Gutachten Am 8. März 2011 stellte der EuGH in seinem Gutachten 1/09 fest, dass der EPGÜ-Entwurf „mit den Bestimmungen des EU-Vertrags und des AEU-Vertrags 97
Entwurf eines Übereinkommens über das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente und Entwurf der Satzung des Generalsekretariats des Rates, Ratsdok. Nr. 7928/09 vom 23. März 2009. 98 Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 52. El. 2014, Art. 19, Rn. 4. 99 EuGH, Gutachten 1/08 vom 30. November 2009, Rn. 108 (GATS) mit Verweis auf EuGH, Gutachten 1/78 vom 4. Oktober 1979, Slg. 1979, 2871, Rn. 30. 100 Lorenzmaier, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 45. El. 2011, Art. 218, Rn. 187 m. w. N.
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ
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nicht vereinbar“101 sei. Der Gerichtshof hat sich in seinem Gutachten vor allem mit den grundsätzlichen Fragen der Wahrung von EU-Primärrecht einschließlich seiner eigenen Rolle befasst. Schwerpunktmäßig hat der EuGH Art. 14a sowie Art. 48 EPGÜ-Entwurf kritisiert. Art. 14a Abs. 1b, 2a EPGÜ-Entwurf erklärt das Patentgericht zuständig für die Anwendung und Auslegung von Gemeinschaftsrecht102, während Art. 48 Abs. 1 regelt, dass der Europäische Gerichtshof durch das Gericht erster Instanz ersucht werden kann „wenn es dies für erforderlich hält“. Durch dieses Zusammenspiel sieht der EuGH grundsätzliche Mechanismen, welche innerhalb der EU eine einheitliche Auslegung von EU-Sekundärrecht und damit auch die Wahrung von EU-Primärrecht gewährleisten sollen, als nicht erfüllt an. Hierbei erwähnt er insbesondere den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV geregelt ist, in Bezug auf die „Wahrung des Unionsrechts“.103 Dieser Grundsatz führt zu der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV geregelten Verpflichtung der „nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts (…) und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen (…).“104 Dazu gehört auch, dass nationale Gerichte nach Art. 267 AEUV berechtigt, gegebenenfalls auch verpflichtet105, sind, im Wege von Vorabentscheidungsverfahren den EuGH zu ersuchen.106,107 Der EuGH stellt klar, dass, falls eine Verletzung von Unionsrecht (sei es durch Mitgliedstaaten oder durch deren Gerichte) vermutet wird, normalerweise die Möglichkeit besteht, diese Verletzung gem. Art. 258 – 260 AEUV durch den EuGH feststellen zu lassen108 und die Staaten dann ggf. zur Leistung von Schadensersatz109 zu verpflichten. Ein Patentgericht, welches auf Grundlage eines internationalen Übereinkommens mehrerer Mitgliedstaaten legitimiert sein soll, befinde sich jedoch 101
EuGH Gutachten 1/09, Rn. 89 a. E. Eigentlich hätte, der Terminologie der neuen Verträge folgend, nicht mehr von Gemeinschaftsrecht, sondern von Unionsrecht die Rede sein müssen. Der EuGH merkt in seinem Gutachten an, dass der Antrag auf ein Gutachten (und damit auch die Entwürfe) sich auf den EU- sowie den EG-Vertrag beziehen. Die Fragen sind nunmehr auf Grundlage des EUV und des AEUV zu beurteilen. Siehe EuGH Gutachten 1/09, Rn. 58 (Vorbemerkungen). 103 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 68 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998, Rs. C-298/96, Slg. 1998, I-4767, Rn. 23 (Oelmühle und Schmidt Söhne). 104 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 68 f., u. a. mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 13. März 2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Rn. 38 m. w. N. (Unibet). 105 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 80 mit Verweis auf weitere Urteile des EuGH. 106 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 80. 107 Der EuGH geht an dieser Stelle nicht auf den eigentlich passenden Art. 19 EUV ein, welcher in Abs. 1 Unterabs. 2 regelt, dass die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Rechtsbehelfe (schaffen), damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“. 108 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 87 m. w. N. 109 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 86. 102
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
nach dem Gutachten außerhalb dieses „Verpflichtungssystems“110 : Es sei weder ein „nationales Gericht“, gegen das bei Nichtvorlage einer Frage über die Auslegung und Anwendung von Unionsrecht Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden könnten111 noch sei es – anders als der Benelux-Gerichtshof112 – ein „gemeinsames Gericht mehrerer Mitgliedstaaten“113. Im Unterschied zum EPG nach dem EPGÜEntwurf sei der Benelux-Gerichtshof in das Gerichtssystem der EU integriert und unterliege tatsächlich den Kontrollmechanismen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts. Zusammenfassend hat der EuGH folgende Kritikpunkte: *
*
*
Das EPG ist mit Anwendung und Auslegung des geplanten Übereinkommens und auch des Unionsrechts betraut (vgl. Art. 14a EPGÜ-Entwurf). Das EPG bestimmt selbständig, ob es Vorabentscheidungen beim EuGH ersucht (vgl. Art. 48 Abs. 1 EPGÜ-Entwurf) und entzieht damit nationalen Gerichten ihre Möglichkeit, diesem Recht bzw. dieser Pflicht nachzukommen. Das EPG ist im Unterschied zu nationalen Gerichten nicht zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen verpflichtet. Verletzungen des EPG in Bezug auf die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht114 könnten weder durch Vertragsverletzungsverfahren noch durch eine Haftung einzelner Mitgliedstaaten geahndet werden.
2. Maßnahmen zur Gewährleistung einer EU-Rechts-Konformität Die Europäische Kommission hat sich nach dem ablehnenden EuGH-Gutachten (vgl. o., 1.) dafür entschieden, den EPGÜ-Entwurf zu überarbeiten.115 Dieser Ab-
110 Der EuGH stellte fest, „dass (das EPG) außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union steht“, s. EuGH Gutachten 1/09, Rn. 71. 111 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 88. 112 Vgl. auch EuGH, Urteil vom 4. November 1997, Rs. C-337/95, Slg. 1997, I-6013, Rn. 21 – 23 (Christian Dior/Evora BV), auf welches Gutachten 1/09 in Rn. 82 Bezug nimmt. 113 EuGH Gutachten 1/09, Rn. 82. 114 Nach dem EuGH kann ein durch ein internationales Übereinkommen geschaffenes supranationales Gericht, dagegen durchaus „mit der Auslegung seiner [eigenen] Bestimmungen“ betraut sein ohne, dass es Unionsrecht zuwiderläuft. Vgl. Gutachten 1/09, Rn. 74, mit Bezugnahme auf das Gutachten 1/91 über den 1991 geplanten EWG-Gerichtshof: „Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluss internationaler Abkommen umfasst nämlich notwendig die Fähigkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Abkommen geschaffenen oder bestimmten Gerichts zu unterwerfen.“. 115 Die „institutionelle Grundstruktur des einheitlichen Patentgerichts sollte (…) in der Form beibehalten werden, wie sie vom Rat 2009 (…) für das EPGÜ vorgesehen wurde.“, Ratsdok. Nr. 10630/11, S. 10.
F. Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit und des EPGÜ
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schnitt beleuchtet die Änderungen, die aufgrund des Gutachtens 1/09 am Übereinkommen vorgenommen wurden. a) „Non-Paper“ der Europäischen Kommission Ein auf den 26. Mai 2011 datiertes „Non-Paper“116 der Kommission befasste sich zunächst mit möglichen Handlungsalternativen nach dem Gutachten 1/09. Neben einer Überarbeitung zur Gewährleistung der EU-Rechts-Konformität wurden folgende Alternativen erwogen: 1. Prinzipielle Einbindung des Gerichtshofs (gegenüber einem „eigenen Patentgericht“) mit dem EuGH als Berufungsinstanz auf Grundlage von Art. 262 AEUV, ähnlich der Lösung zum GPÜ-2000;117 2. Kompetenz einzelstaatlicher Gerichte für EU-weite Urteile nach Vorbild der Gemeinschaftsmarkengerichte.118 Die Europäische Kommission hat konkret vier Änderungen der abgelehnten Fassung des EPGÜ angedacht: 1. Keine Beteiligung von Drittstaaten; 2. Abschluss des Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten untereinander, anstatt, wie zuvor geplant, zwischen den Mitgliedstaaten und der EU (betitelt: „Übereinkommen über die Schaffung einer gemeinsamen Patentgerichtsbarkeit“); 3. Vorabentscheidungsmechanismus entsprechend dem einzelner Staaten; 4. Gewährleistung von Sanktionsmöglichkeiten (Vertragsverletzungsverfahren und finanzielle Haftung). b) Änderungen in der beschlossenen Fassung des EPGÜ Die nun beschlossene Fassung des Übereinkommens enthält sämtliche der im „Non-Paper“ vorgeschlagenen Änderungen. Kapitel IV des Übereinkommens, das im Übrigen – wie vorgeschlagen – nur zwischen Vertragsmitgliedstaaten der EU 116
s. Lösungen für ein einheitliches Patentgerichtssystem – Vorgehen im Anschluss an das Gutachten 1/09 des Gerichtshofs – Non-Paper der Kommissionsdienststellen, in: Anlage II zu Orientierungsaussprache zur Schaffung eines europäischen Patentgerichtssystems (i. F. „NonPaper“), Ratsdok. Nr. 10630/11, S. 4 ff. 117 Vgl. Non-Paper (Fn. 116), S. 7. 118 Im Gemeinschaftsmarkensystem sind neben dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM), zuständig für Anmeldung, Erteilung und Nichtigkeit, spezielle Kammern der üblichen Gerichte der Mitgliedstaaten (sog. Gemeinschaftsmarkengerichte) für Verletzungen und Feststellungen der Nichtverletzung einer Marke zuständig. In Deutschland sind das spezielle Landgerichte (1. Instanz) und Oberlandesgerichte (2. Instanz) (vgl. § 125e MarkenG).
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Kap. 4: Das EU-Patentsystem
geschlossen wurde, regelt die Zusammenarbeit mit dem EuGH in Bezug auf den Vorrang und die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht im Einklang mit Art. 267 AEUV (vgl. insb. Art. 20 f. EPGÜ). Dabei schreibt Art. 22 Abs. 1 EPGÜ ausdrücklich vor, dass die teilnehmenden Mitgliedstaaten gesamtschuldnerisch für eine Verletzung von Unionsrecht haften. Art. 23 EPGÜ gewährleistet die unmittelbare Haftung Einzelner und der Gesamtheit der Mitgliedstaaten für Handlungen „einschließlich für die Zwecke der Artikel 258, 259 und 260 AEUV“.
III. Ergebnis Der EuGH entschied, die verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten am EU-Patentpaket verstoße nicht gegen EU-Recht (vgl. o., I.). Auch dürfte die beschlossene Fassung des EPGÜ mit den Verträgen vereinbar sein, da alle Kritikpunkte, die vom EuGH angesprochen wurden, in der eingereichten Entwurfsfassung des Übereinkommens von der Europäischen Kommission adressiert wurden (vgl. o., II. 2.).
Kapitel 5
Risiken für das EU-Patentsystem Die Erwartungen, die an EP mit einheitlicher Wirkung und das zu errichtende EPG gestellt werden, sind ebenso groß wie die Kritik, die am EU-Patentsystem geübt wird. Die Kostenbelastung für Patentanmelder soll insgesamt, d. h. in der Anmeldephase und in Bezug auf darauffolgend zu entrichtende Jahresgebühren, womöglich auch bei Gerichtsverfahren sinken.1 Außerdem sollen kostenaufwendige Parallelverfahren in unterschiedlichen Mitgliedstaaten wegen der Geltung der Entscheidungen in allen Vertragsmitgliedstaaten vermieden werden. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass die Wirkung eines einheitlichen Patents und damit korrespondierend die Reichweite von Entscheidungen des EPG standardmäßig nicht mehr auf das Hoheitsgebiet eines jeweiligen Mitgliedstaats begrenzt ist, sondern sich – auch für EP (vgl. Art. 34 EPGÜ) – auf alle Vertragsmitgliedstaaten erstreckt, ist eine hohe Qualität der Entscheidungen von noch größerer Bedeutung. Dies gilt sowohl für Verletzungs- als auch Nichtigkeits(-wider) klagen, wo praktisch ein „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ eingeführt wird. Das EU-Patentsystem kann nur erfolgreich sein, wenn Rechtsinhaber darauf vertrauen, dass sie die neuen Eigenschaften des Systems zu ihrem Vorteil nutzen können. Gerade in den ersten Jahren des neuen Gerichtssystems, in denen wegen der Möglichkeit eines OptOuts2 und der Erhebung von Klagen vor nationalen Gerichten (vgl. Art. 83 EPGÜ) faktisch das bisherige und das neue Patentsystem nebeneinander fortbestehen, wird klar erkennbar sein, welches System bevorzugt wird. Außerdem wird anhand der Anträge auf einheitliche Wirkung ein Erfolg des Einheitspatents ablesbar sein. Dieses Kapitel befasst sich mit der Frage, ob das neue System geeignet ist, den Anforderungen der beteiligten Kreise hinsichtlich der Kosten und der Qualität der Gerichtsentscheidungen gerecht zu werden. Zunächst soll jedoch geklärt werden, ob eine Nichtigerklärung der Verordnungen in den aktuell vor dem EuGH anhängigen Verfahren zu befürchten ist.
1 Zusammenfassung der Folgenabschätzung – Begleitdokument zum Vorschlag für die EPatVO und EPatÜbersVO, SEK(2011) 483 endg., S. 3. 2 Für eine Begriffserklärung s. o., Kap. 4 II. 3.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen? Im März 2013 hat Spanien Nichtigkeitsklagen gegen die EPatVO3 und die EPatÜbersVO4 erhoben, nachdem der EuGH seine Prüfungskompetenz bezüglich der Verordnungen anlässlich des Verfahrens zur Nichtigerklärung des Beschlusses zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten zu einer verstärkten Zusammenarbeit ausdrücklich auf den Beschluss selbst beschränkt hatte.5 Als essentieller Bestandteil für das Funktionieren des EU-Patentsystems wird in diesem Kapitel die Frage seiner Rechtmäßigkeit diskutiert.
I. EPatVO In diesem Abschnitt wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit der EPatVO anhand des Vorbringens Spaniens untersucht. Über die am 22. März 2013 erhobene Klage Spaniens mit dem Ziel die EPatVO für rechtlich inexistent zu erklären bzw. hilfsweise insgesamt oder zum Teil für nichtig zu erklären, ist bislang (Stand: Juli 2014) noch kein Urteil ergangen.6 Spanien bringt im Wesentlichen Argumente zu vier Kernbereichen vor. Diese werden im Folgenden diskutiert. 1. Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 2 EUV Zunächst rügt Spanien, das Rechtsstaatsprinzip des Art. 2 EUV (Art. 263, 265 AEUV) sei verletzt, da die EPatVO notwendigerweise im Rahmen des Erteilungsverfahrens des EP Akte einer internationalen Organisation (Anm.: des EPA) einschließt, die nicht gerichtlich überprüft werden könnten. Daher könne eine richtige Anwendung von EU-Recht nicht garantiert werden.7 Dies gelte beispielsweise für eine Zurückweisung der Patentanmeldung bzw. eines Einspruchs gegen 3 Klage des Königreichs Spanien/Rat der Europäischen Union eingereicht am 22. März 2013 (Rs. C-146/13). 4 Klage des Königreichs Spanien/Rat der Europäischen Union eingereicht am 22. März 2013 (Rs. C-147/13). 5 Italien schloss sich der Klage Spaniens in diesem Fall nicht an, da es am 19. Februar 2013 gemeinsam mit den anderen an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten das EPGÜ unterzeichnete, gegen das sich unter anderem die Klage Spaniens richtet. Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/patent/ratification/index_de.htm (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 6 Anm.: Am 5. Mai 2015 hat der EuGH nunmehr in den Rs. C-146/13 bzw. C-147/13 entschieden (noch nicht in Slg. veröffentlicht). Die Urteile konnten in der Druckfassung nicht mehr berücksichtigt werden. 7 Vgl. zum Zusammenwirken der EPatVO mit dem EPÜ und damit mit den Handlungen der EPO o., D. I. 1. a).
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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eine Patenterteilung. Die Beschwerdekammern des EPA seien keine Gerichte und könnten keine richterliche Kontrolle gewähren. Zudem sehe Art. 3 Abs. 1 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der EPO8 ausdrücklich vor, dass keine gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des EPA stattfindet. Es ist nicht erkennbar, wie Spanien mit obiger Argumentation die Rechtmäßigkeit der EPatVO angreifen möchte. Schließlich sieht die Verordnung lediglich vor, dass einem bestehenden EP ein einheitlicher Effekt verliehen wird. Regelungen, die das Zustandekommen bzw. den Bestand des EP selbst regeln, finden sich an keiner Stelle in der EPatVO, sondern sind im EPÜ geregelt. Daher ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb das Zustandekommen des EP (wohlgemerkt: nicht der einheitlichen Wirkung) die Rechtmäßigkeit der EPatVO berühren sollte. Auch die von Spanien angeführte Zurückweisung einer Patentanmeldung bzw. eines Einspruchs unterliegt den Regelungen des EPÜ. Das EP selbst ist schließlich (nach wie vor) – anders als z. B. die Gemeinschaftsmarke – kein EU-Rechtstitel. Soweit dagegen „Entscheidungen, die das Europäische Patentamt in Ausübung der in Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 genannten Aufgaben getroffen hat“ betroffen sind, bietet das EPGÜ in Art. 32 Abs. 1 lit. i einen Rechtsbehelf vor der Zentralkammer des EPG (Art. 33 Abs. 9 EPGÜ). Diese Regelung genügt Art. 9 Abs. 3 EPatVO, der regelt, dass die teilnehmenden Mitgliedstaaten für Rechtsschutz gegen Maßnahmen des EPA mit einem „Gericht eines teilnehmenden Mitgliedstaats oder mehrerer teilnehmender Mitgliedstaaten“ sorgen. Bei dem EPGÜ handelt es sich schließlich um ein gemeinschaftliches Gericht der Mitgliedstaaten.9 Selbst wenn man jedoch einen erfolgreichen Einspruch gegen des EP als mittelbaren Eingriff in die einheitliche Wirkung ansehen würde, da er eine bereits bestehende einheitliche Wirkung faktisch zerstört10, stünde dem Betroffenen der Rechtsweg vor den Beschwerdekammern des EPA offen (vgl. Art. 106 ff. EPÜ), welcher wiederum den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips genügen dürfte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat anhand des Falls Waite und Kennedy v. Deutschland11 Grundsätze für ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) vor einer internationalen Organisation i. S. d. Europäischen Men-
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Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation vom 5. Oktober 1971, verfügbar unter: http://www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/epc/2013/d/ ma5.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 9 Die beschlossene Fassung des EPGÜ erfüllt alle im Gutachten 1/09 vom EuGH genannten Voraussetzungen eines gemeinsamen Gerichts der Mitgliedstaaten, vgl. o., Kap. 4 II. 2. 10 Vgl. Art. 68 EPÜ, wonach bei einem erfolgreichen Einspruch die Wirkungen des zugrundeliegenden EP als von Anfang an nicht eingetreten anzusehen sind. Damit wäre der einheitlichen Wirkung des EP ggf. ex post die Grundlage entzogen. 11 EGMR, Urteil vom 18. Februar 1999, Az.: 26083/94 (Waite und Kennedy v. Deutschland) verfügbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/webservices/content/pdf/001-58912?TID=ef gvrdadpo (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
schenrechtskonvention (EMRK)12 entwickelt. Obwohl die EMRK für den EuGH keine direkte Wirkung hat, da die EU selbst die EMRK nicht unterzeichnet hat13, sind die Urteile des EGMR von zunehmender Bedeutung für die EuGH-Rechtsprechung.14 Eine Überprüfung durch eine internationale Organisation statt eines mitgliedstaatlichen Gerichts verstößt nach Rechtsprechung des EGMR nicht gegen das in Art. 6 Abs. 1 EMRK statuierte Recht auf ein faires Verfahren (vgl. auch Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta)15) solange die Organisation ein berechtigtes Ziel verfolgt und ein angemessenes Verhältnis zwischen Mitteln und Ziel besteht. Außerdem dürften Beschränkungen das Recht des Einzelnen auf Zugang nicht in einer Weise und in einem Ausmaß einschränken oder verkürzen, dass das Recht seinem Wesensgehalt angetastet wird.16,17 Es ist nicht ersichtlich, dass ein Verfahren vor den Beschwerdekammern des EPA diese Anforderungen nicht einhält. Außerdem hat Spanien hierzu nichts vorgetragen. 2. Zusammenwirken von EPatVO und EPGÜ Spanien greift das Zusammenwirken von EPatVO und EPGÜ mit drei Argumenten an: Erstens fehle es an einer Rechtsgrundlage für die EPatVO, da der Verordnung ein materieller Inhalt fehle, der stattdessen im EPGÜ geregelt sei [s. u., a)]. Zweitens verstoße ein Verweis von EPatVO auf das EPGÜ gegen die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU [s. u., b)]. Drittens seien derart die Grenzen der verstärkten Zusammenarbeit durch einen Ermessensmissbrauch überschritten worden [s. u., c)]. a) Fehlen einer Rechtsgrundlage Spanien zufolge würde der EPatVO „unter dem Deckmantel einer Rechtsgrundlage nach Artikel 118 AEUV“18 ein materieller Inhalt fehlen, da die Ausschlusswirkung des Patents in Art. 5 EPatVO nur unzureichend geregelt worden sei. 12 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1959, BGBl. 1952 II 685, 953. 13 Zum Verhältnis der EMRK zum EU-Recht s. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 40. Aufl. München 2009, Art. 6 EUV, Rn. 41 – 45. 14 Beutler, in: von der Groeben/Schwarze – Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Aufl. München 2003, Art. 66, Rn. 62. 15 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2010 Nr. C 83/02. 16 Umkehrschluss aus Waite and Kennedy v. Germany (Fn. 11), Rn. 59. 17 s. zur allg. Kritik am Rechtsschutzsystem der EPO Benkard, EPÜ, Art. 13, Rn. 15 – 19. 18 Aus dem Englischen „This is therefore a Regulation that, under the guise of a legal position under Article 118 TFEU (…).“ Vgl. Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 65 ff.
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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Art. 5 Abs. 1 EPatVO regelt die Ausschlusswirkung des Patents, nämlich dem Inhaber das Recht zu verleihen, „Dritte daran zu hindern, Handlungen zu begehen, gegen die dieses Patent innerhalb der Hoheitsgebiete der teilnehmenden Mitgliedstaaten, in denen das Patent einheitliche Wirkung besitzt, vorbehaltlich geltender Beschränkungen Schutz bietet.“ Diese Ausschlusswirkung werde allerdings erst durch Art. 5 Abs. 3 EPatVO konkretisiert, wobei die Norm wiederum auf die Rechtsvorschriften verweist „die für Europäische Patente mit einheitlicher Wirkung in dem teilnehmenden Mitgliedstaat gelten, dessen nationales Recht auf das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung als ein Gegenstand des Vermögens nach Artikel 7 anwendbar ist.“ Die Tatsache, dass die materielle Regelung in einem bloßen Verweis enthalten sei, beraube die Regelung jeglichen Aussagegehalts.19 b) Verstoß gegen die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU Weiter rügt Spanien, die EPatVO werde durch die Verschiebung der materiellen Normen aus Art. 6 – 8 des ursprünglichen Vorschlagspapiers in die Art. 26 – 28 EPGÜ von dem Übereinkommen abhängig gemacht. Diese Verschiebung von Inhalten der Verordnung in ein Übereinkommen stelle eine Verletzung des Prinzips der Eigenständigkeit der Rechtsordnung der EU dar, da ihr Ziel darin bestünde, durch ein zwischenstaatliches Übereinkommen Rechtsmaterie zu regeln, für die die EU und ihre Institutionen ausschließlich zuständig seien. Die Wirkungen des Patents wie sie nun im EPGÜ geregelt sind, könnten keine rechtlichen Auswirkungen auf die EPatVO haben.20 Als rechtliche Konsequenz sei die Verordnung gemäß dem HoechstUrteil21 für „rechtlich inexistent“, hilfsweise für nichtig zu erklären. c) Missbrauch der verstärkten Zusammenarbeit Spanien meint außerdem, die verstärkte Zusammenarbeit sei zu einem vertragswidrigen Zweck genutzt worden, da durch die Verschiebung der angesprochenen Regelungen in ein internationales Übereinkommen der eigentliche Zweck der verstärkten Zusammenarbeit, nämlich das europäische Aufbauwerk mittels eigener Instrumente und Zuständigkeiten voranzubringen, verfehlt worden sei. Diese Art verstärkter Zusammenarbeit führe dagegen einen Schritt weg von Unionsrecht und unionsrechtlicher Kontrolle.22
19 Vgl. aus dem Englischen: „(…) the fact that this provision is contained in a recital and not in an article of the Regulation divests the provision of any value (…)“, s. Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 66. 20 Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 76 – 78. 21 EuGH, Urteil vom 8. Juli 1999, Rs. C-227/92, Slg. 1999 I-04443, Rn. 70 (Hoechst/ Kommission). 22 Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 92 – 95.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
d) Diskussion Die Verweisung in Art. 5 Abs. 3 EPatVO auf das EPGÜ sorgte bereits vor der Anhängigkeit der Klage Spaniens für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verordnung.23 Eine Diskussion der oben genannten Argumente soll klären, ob das Vorgehen trotz Verschiebung der Artikel rechtmäßig ist. aa) Frage bisher gerichtlich nicht geklärt Die Frage, ob die Verschiebung der Art. 6 – 8 aus der EPatVO in das EPGÜ einen Verstoß gegen die Rechtsgrundlage, Art. 118 AEUV, darstellt, war bisher noch nicht Gegenstand einer Überprüfung durch den EuGH. In seinem Gutachten 1/09 hat sich der Gerichtshof lediglich mit dem Wesen des EPG auseinandergesetzt und gerügt, das Gericht bewegte sich auf Grundlage der damals eingereichten Fassung außerhalb des institutionellen Rahmens der EU. Die Prüfung befasste sich jedoch nur mit der Einbettung des EPG in die Gerichtsstruktur der EU, nicht mit dem Zusammenspiel des EPGÜ mit der EPatVO bzw. der Rechtmäßigkeit der EPatVO.24 Auch in seinem Urteil zur Klage Italiens und Spaniens gegen die verstärkte Zusammenarbeit der übrigen Mitgliedstaaten hat der EuGH sich lediglich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der verstärkten Zusammenarbeit als solche, nicht aber mit dem Inhalt der ihr zugrundeliegenden Vorschlagspapiere auseinandergesetzt.25 bb) Einheitliche Wirkung in der EPatVO (ausreichend) geregelt Das Fehlen einer Rechtsgrundlage wäre unproblematisch, wenn die in der EPGÜ geregelten materiellen Regelungen, auf die Art. 5 Abs. 3 EPatVO verweist, bereits nicht in der Verordnung geregelt sein müssten. Wäre dies der Fall, würden sich die Vorwürfe des Verstoßes gegen die Eigenständigkeit der Rechtsordnung [s. o., b)] sowie des Missbrauchs der verstärkten Zusammenarbeit [s. o., c)] erübrigen. Nach Art. 118 Abs. 1 AEUV, der Rechtsgrundlage für den Erlass der EPatVO, „(…) erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums (…)“. Die zentrale 23
Im Detail s. u., bb). s. insb. o., Kap. 4 F. II. 25 Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16. April 2013 zu verbundenen Rs. C-274/11 und C-295/11 (noch nicht veröffentlicht), Rn. 92: „Der Rat war nicht verpflichtet, in dem angefochtenen Beschluss zusätzliche Angaben zum möglichen Inhalt der von den Teilnehmern der in Rede stehenden Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Regelung zu machen. Dieser Beschluss war nämlich allein darauf gerichtet, die antragstellenden Mitgliedstaaten zu ermächtigen, diese Zusammenarbeit einzuleiten.“. 24
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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Frage ist, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit es sich um eine taugliche „Maßnahme“ zur Schaffung eines in der Norm beschriebenen Rechtstitels handelt. Die Regelung ist mangels eines eindeutigen Wortlauts auslegungsbedürftig. Für eine strenge Auslegung, dass die Art. 25 – 27 EPGÜ in der EPatVO enthalten sein müssten, ließe sich anführen, dass ein „einheitlicher Schutz“ i. S. d. Art. 118 Abs. 1 AEUV denklogisch auch die Schaffung von Werkzeugen auf EU-Ebene umfasst, mittels derer ein Rechtsinhaber diese Rechte durchsetzen kann.26 Danach wäre z. B. der in Art. 25 EPGÜ geregelte Unterlassungsanspruch als essentieller Bestandteil des Schutzes anzusehen. Dieser Sichtweise scheint sich der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) anzuschließen: „Art. 6 bis 8 der vorgeschlagenen Verordnung, die materielles Recht zum Gegenstand haben, bilden den Kern des tatsächlichen Titels über gewerblichen Rechtsschutz. (…) Daher würde eine Streichung der Art. 6 bis 8 (…) ein wesentliches Element des materiellen Patentschutzes von der vorgeschlagenen Verordnung entfernen und würde sie im Hinblick auf den Europäischen Rechtstitel für geistiges Eigentum i. S. d. Art. 118 Abs. 1 AEUV unvollständig lassen.“27
26 Vgl. Tilmann, HC 1799 European Scrutiny Committee Written evidence, Rn. 18, verfügbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm201012/cmselect/cmeuleg/1799/1 799vw06.htm (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Der Begriff „Maßnahmen“ müsse nach Auffassung Tilmanns (auch) Ansprüche und Sanktionen enthalten. So i. E. auch Jaeger, Hieronymus Bosch am Werk beim EU-Patent? – Alternativen zur Einheitspatentlösung, EuZW 2013, 15, 17. Jaeger ist der Auffassung, dass die Systematik des AEUV für eine strenge Auslegung spräche, da es sich in Abgrenzung zu Art. 114 AEUV, der lediglich die Rechtsangleichung regelt, bei „Maßnahmen“ i. S. d. Art. 118 AEUV um „autonome und daher vollwertige, neue Rechte“ handele. 27 Übersetzt aus dem Englischen, s. JURI-Rechtsgutachten vom 9. Juli 2012, Dok-Nr. SJ0462/12 (inoffizielles Dokument), verfügbar unter: http://www.ipinitalia.com/Legal%20Ser vices%20of%20the%20EU%20-%20Opinion%209%20July%202012.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), Rn. 17. Dieser Meinung schließt sich auch der Berichterstatter Rapkay an. Er hält eine ersatzlose Streichung der Artikel für rechtswidrig. Es könne nach gesundem Menschenverstand nichts geregelt werden, wenn der Regelungsgegenstand wegfällt, so Rapkay, s. Pressemitteilung unter http://www.spd-europa.de/web/pressemitteilungen-1182.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); sowie Pressemitteilung, verfügbar unter: http://www.europ arl.europa.eu/sides/getDoc.do?pub Ref=-%2f%2fEP%2f%2fNONSGML%2bIM-PRESS%2b2 0120709IPR48484%2b0%2bDOC%2bPDF%2bV0%2f%2fEN (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015) Auch Lehne, Vorsitzender von JURI, ist der Auffassung bei einer Streichung der Art, bestünde „keine geeignete Rechtsgrundlage (mehr)“, s. Videomitschnitt zur Debatte des Rechtsausschusses mit Beitrag von Lehne, verfügbar unter: https://www.unitary-patent.eu/con tent/why-european-council-has-killed-any-workable-eu-patent (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Zwar beziehen sich das Rechtsgutachten und auch die Aussagen der Berichterstatter auf die Situation vor dem Kompromiss, der im COREPER erarbeitet wurde und in dem in Art. 5 Abs. 3 EPatVO geregelten Verweis auf das nationale Recht besteht. Jedoch räumt der Kompromiss die Bedenken nicht aus dem Weg, da er zu keiner neuen Sachlage führt. Schließlich ist – nach wie vor – das materielle Ausschließungsrecht aus Art. 5 Abs. 1 EPatVO nur zum Teil in der Verordnung geregelt, da Art. 5 Abs. 3 EPatVO bezüglich einzelner Handlungen auf das EPGÜ verweist.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Eine derart strenge Auslegung würde jedoch den gesetzgeberischen Hintergrund zu Art. 118 Abs. 1 AEUV außer Acht lassen. Schließlich war dem EU-Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Regelung der Norm durch den Vertrag von Lissabon bewusst, dass nicht nur Rechtstitel mit reinem Unionscharakter von der Norm erfasst sein sollten.28 Das Europäische Patentübereinkommen sieht bereits seit den 1970er Jahren in Art. 142 die Möglichkeit vor, EP durch ein Übereinkommen über die Anmeldephase hinaus supranationale Wirkung zu verleihen. Die EPatVO ist eine Konkretisierung dieser Vorschrift – sie stellt nach Art. 1 Abs. 2 EPatVO ein Übereinkommen i. S. d. Art. 142 EPÜ dar.29 Der EU-Gesetzgeber wollte also auch „europäische Rechtstitel“ zulassen, die nicht originär auf EU-Recht basieren. Er wollte es genügen lassen, dass bereits bestehende Schutzrechte, wie das EP, durch Instrumente des EU-Rechts mit einer einheitlichen Wirkung versehen werden. Eine einheitliche Wirkung ist unstreitig in der EPatVO geregelt, da gem. Art. 3 Abs. 2 das EPeW einen einheitlichen Charakter und Schutz sowie die gleiche Wirkung in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten bietet. Zudem kann das EPeW „nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen.“ Wenn die Mitgliedstaaten schon durch ein internationales Übereinkommen eine internationale Organisation mit der Verwaltung des Schutzrechts, das dem einheitlichen Titel zugrunde liegt, betrauen dürfen, steht auch einer Regelung der materiellen Wirkungen dieses Schutzrechts durch ein Übereinkommen nichts entgegen. Die in Art. 5 Abs. 1 EPatVO geregelte materiell-rechtliche Ausschlusswirkung (getitelt: Einheitlicher Schutz) kann demzufolge auch durch weitere Rechtsquellen wie das EPGÜ konkretisiert werden (vgl. Art. 5 Abs. 3 EPatVO). Die Tatsache, dass die Gemeinschaftsmarke und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Regelung materiellen Rechts weiter gehen (vgl. Art. 9 GMV; Art. 19 Abs. 1 GGV), ändert hieran nichts.30 Im Übrigen regeln jedoch auch Gemeinschafsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmuster-Verordnung nicht sämtliche materiellen Ansprüche sondern verweisen bzgl. der Sanktions- und Hilfsansprüche (bspw. Schadensersatz- oder Auskunftsansprüchen) auf nationales Recht.31 Die Systematik des EU-Arbeitsweisevertrags bestätigt die Einordnung, dass Art. 118 Abs. 1 AEUV keine vollständige Harmonisierung voraussetzt, da sich die
28 Der EU-Gesetzgeber hat eine solche Konstellation bereits erwogen als Art. 118 AEUV 1997 eingeführt wurde. Bspw. nach dem Scheitern des Gemeinschaftspatents von 2000 nach der Konsultation beteiligter Kreise und dem Scheitern des damaligen Gemeinschaftspatents hat der damalige Kommissar McCreevy eine Verfolgung des EPLA-Ansatzes, der eine Beteiligung der EU am EPÜ involviert, erwogen, s. o., Kap. 1 B. IV. 29 Vgl. auch Erwgrd. 6 EPatVO. 30 Anders: Tilmann, HC 1799 (Fn. 26), Rn. 25; Jaeger, EuZW 2013, 15 f. 31 Vgl. Art. 98 Abs. 2 GMV bzw. Art. 89 Abs. 1 lit. d GGV.
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Regelung im Titel VII, 3. Kap. AEUV, zur „Angleichung der Rechtsvorschriften” befindet.32 cc) Zwischenergebnis Vor dem Hintergrund von Entstehungsgeschichte und Systematik der Norm ist davon auszugehen, dass der EU-Gesetzgeber unter einem „einheitlichen Schutz“ i. S. d. Art. 118 Abs. 1 AEUV auch einen (bereits bestehenden) Schutz erfassen wollte, dem (lediglich) eine einheitliche Wirkung verliehen wird. Vor diesem Hintergrund genügen Art. 3, 5 EPatVO bereits den Anforderungen des Art. 118 Abs. 1 AEUV, da sie bereits die Voraussetzungen, einen solchen Schutz zu schaffen, erfüllen. Die hierüber hinausgehenden Art. 25 – 27 EPGÜ konnten daher im Übereinkommen geregelt werden und stehen i. Ü. der einheitlichen Wirkung nicht entgegen. Damit ist weder ein Verstoß gegen die Eigenständigkeit der Rechtsordnung [vgl. o., b)] noch ein Missbrauch der verstärkten Zusammenarbeit [vgl. o., c)] gegeben. 3. Abhängigmachung der EPatVO vom EPGÜ Spanien führt gegen die Rechtmäßigkeit der EPatVO an, dass diese in zweierlei Hinsicht vom EPGÜ abhängig gemacht worden sei. a) Geltung der EPatVO ab Inkrafttreten des EPGÜ In seinem sechsten Einwand führt Spanien gegen eine Rechtmäßigkeit der EPatVO an, dass Art. 18 Abs. 2 EPatVO vorsieht, dass die Verordnung „ab dem 1. Januar 2014 oder ab dem Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (…) je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist“ gilt. Der EU-Gesetzgeber habe daher die Verordnung als einen Akt ausgestaltet, der nicht eigenständig, sondern nur unter der Voraussetzung anwendbar sei, dass zusätzlich ein internationales Übereinkommen in Kraft trete. Dadurch würden nach der EuGHRechtsprechung die Zuständigkeiten der EU verfälscht.33 b) Räumliche Geltung (Umfang der einheitlichen Wirkung) Außerdem richtet sich Spanien in seinem siebten Einwand dagegen, dass Art. 18 Abs. 2 Satz 2 EPatVO den Geltungsbereich der einheitlichen Wirkung eines EPeW 32
Übereinstimmend auch: Jacob, Opinion, Institute of Brand and Innovation Law, UCL Faculty of Laws, verfügbar unter: http://www.eplawpatentblog.com/2011/November/Robin%2 020Jacob%2020Opinion%2020re%2020Arts.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 33 Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 175 ff.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
auf die Mitgliedstaaten beschränkt „in denen das Einheitliche Patentgericht am Tag der Eintragung über die ausschließliche Zuständigkeit für Europäische Patente mit einheitlicher Wirkung verfügt“. Dies stelle eine Verletzung der Prinzipien der Eigenständigkeit und Einheitlichkeit des Unionsrechts dar, da ein einzelner Mitgliedstaat durch seine Entscheidung, das EPGÜ nicht zu ratifizieren, entscheiden könnte, dass die Verordnung und damit die Wirkung des EPeW in diesem Mitgliedstaat nicht anwendbar ist.34 c) Diskussion Beide Kritikpunkte [sowohl a) als auch b)] können gemeinsam diskutiert werden, da die Argumente hierzu eng miteinander verwandt sind. Die in Art. 18 Abs. 2 Satz 1 EPatVO geregelte Abhängigmachung der Geltung der EPatVO vom Inkrafttreten des EPGÜ kann nicht erfolgreich als Argument für eine „Verfälschung der Zuständigkeiten der EU“ herangezogen werden: Das EPGÜ ist ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der EU abgeschlossen worden. Außerdem bewegt sich das durch das Übereinkommen beschlossene EPG innerhalb des Rechtsrahmens der EU, da die Kritikpunkte des EuGH an einem früheren Entwurf in seinem Gutachten 1/09 in der endgültigen Fassung des Übereinkommens gelöst wurden.35 Außerdem ist die EPatVO bereits vor ihrer Geltung in großen Teilen anwendbar.36 Sie ist bereits am 20. Januar 2013, „am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union“ (vgl. Art. 18 Abs. 1 EPatVO), in Kraft getreten.37 Bereits mit Inkrafttreten erfüllen die Mitgliedstaaten eigenständig (vgl. Art. 18 Abs. 5 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 EPatVO) und durch das EPA (vgl. Art. 18 Abs. 4 i. V. m. Art. 9 Abs. 1, 2; 12; 13 EPatVO) Aufgaben zur Implementierung des EPeW.38 Demgegenüber ist die einheitliche Wirkung von EP (vgl. Art. 3 – 5 EPatVO) von der Geltung der EPatVO abhängig, die ihrerseits das Inkrafttreten des Übereinkommens voraussetzt (vgl. Art. 18 Abs. 2 Satz 1 EPatVO). Von einer Abhängigmachung der Verordnung als Ganzes vom EPGÜ kann also nicht die Rede sein. Die teilweise Koppelung (hinsichtlich der einheitlichen Wirkung) lässt sich wiederum dadurch rechtfertigen, dass das EPeW den Nutzern sinnvollerweise erst zugänglich gemacht werden soll, wenn das gemeinsame Gericht, dessen Wirken von der Ratifikation des EPGÜ abhängt, einen Schutz des neuen EPeW auch sicherstellen kann.
34
Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 231 ff. Vgl. o., Kap. 4 F. II., III. 36 Vgl. Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 EPatVO. 37 Zeitpunkt der Veröffentlichung im Amtsblatt war der 31. Dezember 2012. 38 Art. 18 Abs. 4 EPatVO bzw. Art. 18 Abs. 5 EPatVO, beziehen sich ausdrücklich auf Handlungen bis zum Tag des Geltungsbeginns. 35
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
205
Dasselbe trifft im Hinblick auf die Abhängigkeit des Geltungsbereichs von EPeW von der Ratifikation des Übereinkommens im jeweiligen Staat zu. Würde das EPeW losgelöst von einer Ratifikation des EPGÜ in allen Vertragsmitgliedstaaten gelten, führte dies zu untragbaren Zuständen: Die EPatVO würde eine einheitliche Wirkung garantieren, die mangels eines zuständigen Gerichts jedoch nicht durchgesetzt werden könnte. Wären als „Auffanggerichte“ dagegen die nationalen Gerichte zuständig, könnten diese faktisch mangels Rechtsgrundlage nur Entscheidungen mit nationaler Wirkung fällen.39 Dies würde zu einem Dualismus innerhalb des EUPatentsystems und damit zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für Nutzer führen. Daher war es zwingend, dass eine Regelung entsprechend Art. 18 Abs. 2 Satz 2 EPatVO getroffen wurde, die den Geltungsbereich eines EPeW auf Gebiete, in denen das Übereinkommen ratifiziert wurde, beschränkt. Wenn der EuGH, wie nach seinem Gutachten 1/09 geschehen, ein gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten für ein Einheitspatent per Übereinkommen im Grundsatz billigt, muss er auch das Abhängig machen der einheitlichen Wirkung des Patents vom Inkrafttreten dieses Übereinkommens für zulässig erachten, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen dieses Gerichts zu Rechtssicherheit führen. 4. Aufgabenverteilung an EPO Spanien rügt zudem, dass die Festlegung von Jahresgebühren durch die Mitgliedstaaten (Art. 9 Abs. 2 EPatVO) der Meroni-Rechtsprechung des EuGH zuwiderlaufe, der zufolge die Erhebung von Gebühren i. S. d. Art. 291 Abs. 2 AEUV „einheitliche Bedingungen für die Durchführung erfordert“. Vielmehr wären danach die Europäische Kommission und der Rat der Europäischen Union ausschließlich zuständig.40 Außerdem kritisiert Spanien die Aufgabenzuweisung an die EPO (Art. 9 Abs. 1 EPatVO, bspw. die Verwaltung des Kompensationssystems nach Art. 9 Abs. 1 lit. f EPatVO), da es an einer gerichtlichen Überprüfbarkeit ihrer Rechtsakte mangele. Bezüglich des ersten Punktes ist allerdings festzustellen, dass – anders als in dem EuGH-Urteil zur Rechtssache „Meroni“ – im vorliegenden Fall die angesprochene Materie nicht der EU, sondern den Mitgliedstaaten zugewiesen war: Bisher waren nach der Genehmigung eines EP die einzelnen Mitgliedstaaten für die Verwaltung eines jeweiligen nationalen Teils des EP zuständig, weshalb ihnen entsprechend die Erhebung der Jahresgebühren oblag (sog. nationale Phase, vgl. o., Kap. 2 F. II.). Die neue Regelung verlagert lediglich Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten auf die 39
Eine Untersuchung der Frage, ob das EPGÜ – zumindest für den Übergangszeitraum – ggf. auch durch nationale Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten anwendbar ist, die das EPGÜ ratifiziert haben, findet sich u., D. II. 40 Klageschrift zu Rs. C-146/13, Rn. 96 – 119.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
EPO und verlängert damit konsequenterweise die Zuständigkeit der Organisation für die Verwaltung des EP über den Zeitpunkt der Genehmigung des EP hinaus. Vor diesem Hintergrund ist es abwegig, die ausschließlich für EU-originäre Zuständigkeiten entwickelte Meroni-Feststellung auf den Fall der Erhebung von Jahresgebühren für das EPeW anzuwenden. Eine gerichtliche Überprüfbarkeit für Akte durch die EPO, die im Zusammenhang mit dem Kompensationssystem stehen, ist vor dem EPG möglich. Art. 32 lit. i EPGÜ sieht vor, dass gegen „Entscheidungen, die das Europäische Patentamt in Ausübung der in Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 genannten Aufgaben getroffen hat“ Klagen erhoben werden können. Dies erfasst auch die nach Art. 9 Abs. 1 lit. f EPatVO vorgesehene Verwaltung des Kompensationssystems. 5. Zwischenergebnis Die von Spanien für eine Nichtigkeit bzw. rechtliche Inexistenz der EPatVO vorgebrachten Argumente greifen nicht durch. Eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch eine angeblich fehlende gerichtliche Überprüfbarkeit von Rechtsakten bezüglich EP scheitert schon daran, dass die Verordnung keine Regelungen zum EP selbst trifft, sondern ihm lediglich einheitliche Wirkung verleiht. Im Übrigen ist, soweit Rechtsakte des EPA mittelbaren Einfluss auf den Bestand auch der einheitlichen Wirkung haben, eine Überprüfung durch die Beschwerdekammern des EPA möglich. Diese genügt als Organisation mit einem legitimen Zweck den Anforderungen des EGMR. Es fehlt nicht an einer hinreichenden Rechtsgrundlage, da die in den Art. 25 – 27 EPGÜ enthaltenen Regelungen nicht in der EPatVO als deren wesentlicher Bestandteil hätten geregelt werden müssen. Es entspricht der Systematik des Gesetzes und auch dem Willen des Gesetzgebers, dass ein einheitlicher Schutztitel i. S. d. Rechtsgrundlage, Art. 118 Abs. 1 AEUV, nicht vollständig durch originäres EURecht geregelt sein muss. Vielmehr genügt bereits die Regelung der einheitlichen Wirkung an sich, die in der EPatVO enthalten ist. Es genügt, wenn die weiteren Regelungen anderweitig – wie hier im nationalen Recht – geregelt sind, solange gewährleistet ist, dass sie in den Mitgliedstaaten miteinander übereinstimmen. Die Verknüpfung von EPatVO und EPGÜ verstößt nicht gegen EU-Recht, da sie zwingend erforderlich ist, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Auch die Übertragung von Aufgaben an die EPO verstößt nicht gegen die MeroniRechtsprechung zur Gebührenerhebung, da diese nicht auf Materie anwendbar ist, die nicht der EU, sondern den Mitgliedstaaten zugewiesen ist. Die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklage Spaniens gegen die EPatVO sind damit gering.
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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II. EPatÜbersVO In dem zweiten von Spanien angestrengten Nichtigkeitsverfahren beantragt der Mitgliedstaat die Nichtigerklärung der EPatÜbersVO insgesamt, hilfsweise die Nichtigerklärung der Art. 4, 5, 6 Abs. 2 sowie 7 Abs. 2 EPatÜbersVO. Im Folgenden werden die wesentlichen Argumente Spaniens untersucht. 1. Eingeschränkte Übersetzungen Zunächst wendet sich Spanien gegen die faktische Privilegierung von Übersetzungen in englischer, deutscher und französischer Sprache. a) Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung Spanien trägt vor, die EPatÜbersVO verstoße gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, da eine Regelung eingeführt werde, die für Rechtssubjekte nachteilig sei, deren Sprache nicht den Übersetzungssprachen Englisch, Deutsch und Französisch entspreche. Die Regelung sei im Verhältnis zum verfolgten Ziel unangemessen. Potenzielle Wettbewerber aus den benachteiligten Länder könnten mangels vorhandener Übersetzungen nicht mit Sicherheit feststellen, ob sie einen nationalen Markt bedienen dürften oder nicht. Sie müssten – anders als Wettbewerber, die Englisch, Deutsch oder Französisch als Muttersprache haben – zusätzliche Übersetzungskosten tragen, was insbesondere für KMU eine Belastung wäre. Das angestrebte Ziel der Kostenreduzierung würde die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung müsse generell auf anderen als rein wirtschaftlichen Kriterien beruhen. Weder automatische Übersetzungen noch Übersetzungen im Streitfalle noch die Absicht das EPO-System aufrechterhalten zu wollen, würden die Ungleichbehandlung rechtfertigen. b) Diskussion Die von Spanien vorgebrachten Argumente zu einem angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung werden nachfolgend diskutiert. aa) Gleichbehandlung der Amtssprachen nicht zwingend In den Verträgen findet sich keine Bestimmung, die eine Gleichbehandlung der Amtssprachen verlangt. Ein Recht der Mitgliedstaaten hierauf ergibt sich auch nicht mittelbar aus den Verträgen. Art. 342 AEUV bildet die Rechtsgrundlage für den Erlass der Regelung zu der Sprachenfrage. Unmittelbar aus dieser Regelung lässt sich kein Recht zur sprachlichen Gleichberechtigung ableiten. Die Norm ermächtigt lediglich „unbeschadet
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union“, zum Erlass von Verordnungen „zur Regelung der Sprachenfrage“. Auch mittelbar ergibt sich kein Recht auf Gleichbehandlung der Amtssprachen über die sog. Verordnung Nr. 141 als „Rechtsakt abgeleiteten Rechts“42, der aufgrund des Art. 342 AEUVerlassen wurde. In seinem Urteil Christina Kik/HABM entschied der EuG ausdrücklich, dass sich kein „gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz der Gleichheit der Sprache“ aus der Verordnung ergebe.43 Der EuGH bestätigte dies in seiner sog. Kik-II-Entscheidung44 : Es gebe keinen Grundsatz in den genannten Bestimmungen der Verträge, welcher „jedem Bürger einen Anspruch darauf gewährte, dass alles, was seine Interessen berühren könnte, unter allen Umständen in seiner Sprache verfasst sein müsste.“45 Auch aus Art. 20, 24 AEUV lässt sich kein Recht zur Gleichbehandlung der Amtssprachen ableiten, aus der eine korrespondierende Pflicht der Mitgliedstaaten erwachsen könnte, Informationen in ihrer Amtssprache zur Verfügung zu stellen. Insbesondere regelt Art. 20 Abs. 2 lit. d i. V. m. Art. 24 Abs. 4 AEUV kein generelles Recht des Unionsbürgers über eigene Belange in der jeweils eigenen Sprache informiert zu werden. Für das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM)46 hat der EuGH eine Anwendbarkeit abgelehnt.47 Das Amt gehöre „nicht zu den (…) genannten Organen und Einrichtungen.“ Die Norm nennt lediglich das Europäische Parlament, den Rat der Europäischen Union sowie den Bürgerbeauftragten. Das KikUrteil des EuGH wurde durch seine spätere Rechtsprechung bestätigt.48 Das EPA fällt offensichtlich nicht unter diese Aufzählung. Ein Recht des Bürgers auf behördliche Kommunikation in der eigenen Sprache ergibt sich auch nicht aus der EU-Grundrechtecharta. Zwar ist die EU gem. Art. 21, 22 und 41 der Grundrechtecharta angehalten, kulturelle und sprachliche Vielfalt zu wahren. Allerdings nennt Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta hierzu eine ausdrückliche Ausnahme: Eine Ungleichbehandlung der Sprache darf stattfinden, sofern die Einschränkungen „gesetzlich vorgesehen“ (Satz 1), „verhältnismäßig“ und „notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden
41 Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die EWG, ABl. Nr. L 17, S. 385 (erlassen auf Grundlage von Art. 217 EGV, ht. Art. 342 AEUV). 42 EuG, Urteil vom 12. Juli 2009, Rs. T-120/99 (Christina Kik/HABM bzw. Kik I) ergangen zu der Vorgängernorm von Art. 217 EGV (in der Fassung vom Vertrag von Amsterdam). 43 EuG Christina Kik/HABM, Rs. T-120/99, Rn. 58. 44 EuGH, Urteil vom 9. September 2003, Rs. C-361/01, Slg. 2003, Nr. I-8283 (Christina Kik/HABM bzw. Kik II). 45 EuGH Christina Kik/HABM, Rs. C-361/01, Slg. 2003, Nr. I-8283, Rn. 82. 46 Anm.: Das HABM ist zuständig für Gemeinschaftsmarken, -muster und -modelle. 47 Die Kik I- und -II-Entscheidungen bezogen sich auf einen Sachverhalt vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam. Dennoch prüfte der EuG in seinem Urteil eine mögliche Anwendbarkeit des Art. 8d EGV, welcher mit Art. 24 Abs. 4 AEUV übereinstimmt. 48 EuGH, Urteil vom 12. Mai 2011, Rs. C-410/09 (Polska Telefonia Cyfrowa/Prezes Urze˛du Komunikacji Elektronicznej), Rn. 38.
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen“ (Satz 2). Schon die Existenz von Art. 118 Abs. 2 AEUV als speziellere Regelung zu Art. 342 AEUV legitimiert die Möglichkeit zur Wahl bestimmter Sprachen im Rahmen der Errichtung europäischer Rechtstitel nach Art. 118 Abs. 1 AEUV und eine damit einhergehende (sachlich gerechtfertigte) Ungleichbehandlung. Im Folgenden wird anhand der in Art. 52 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta niedergelegten Grundsätze geprüft, ob die sprachlichen Einschränkungen verhältnismäßig sind. bb) Einheitliches Patent als legitimes Ziel der EU Zunächst handelt es sich bei der Errichtung des Einheitspatents um ein Ziel der EU gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 3 EUV, wonach die EU „den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt“ fördert.49 Das bestehende System mit üblichen EP ist im Vergleich zu einem Einheitspatent wesentlich kostenaufwendiger und aufgrund des Zerfallens eines zentral angemeldeten Patents in unterschiedliche nationale Teile unnötig komplex. Übersetzungskosten machen den Großteil der Kosten aus. Anmeldern entstehen nach Berechnungen der Europäischen Kommission für eine durchschnittliche Patentanmeldung Kosten von 23.375 EUR allein für die nach dem System erforderlichen Übersetzungen in die Sprachen der 27 Mitgliedstaaten. Derart hohe Kosten haben nachteilige Auswirkungen auf den Binnenmarkt, die Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum von europäischen Unternehmen. Dabei sind insbesondere KMU betroffen. cc) Einschränkung der Übersetzungen verhältnismäßig Die Reduzierung der Anzahl von Übersetzungen ist geeignet, das Ziel eines kostengünstigeren Einheitspatents zu erreichen. Nach einer Studie der Kommission liegen die Erteilungskosten selbst für die Übergangszeit (Art. 6 EPatÜbersVO) unter den Kosten, die derzeit durchschnittlich für ein vergleichbares EP anfallen. Es existiert angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Kosten für eine Europäische Patentanmeldung im EP-System – auch nach dem LondÜb50 – weit überwiegend durch Übersetzungen verursacht wird, auch kein milderes Mittel, das gleichsam effektiv gewesen wäre wie die Verringerung der zu tätigenden Übersetzungen. Die Übernahme der Sprachregeln des EPA war hierbei naheliegend und am Wirt-
49
Vgl. auch Vorschlag für die Ermächtigung zur verstärkten Zusammenarbeit, KOM (2010) 790, S. 9 – 11. 50 Londoner Übereinkommen über die Anwendung des Artikels 65 EPÜ, unterzeichnet am 17. Oktober 2000, ABl. EPA 2001, 549, in Kraft getreten am 1. Mai 2008.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
schaftlichsten im Vergleich zu einer Umstrukturierung des Amtes. Damit ist die Übersetzungsregelung bereits verhältnismäßig.51 dd) Weitere Maßnahmen zur Verhinderung wettbewerblicher Nachteile Die teilnehmenden Mitgliedstaaten haben zudem an unterschiedlichen Stellen in der EPatVO Regelungen vorgesehen, die darauf abzielen, einen möglichen Nachteil für Wettbewerber in den Mitgliedstaaten, deren Amtssprache nicht der des EPA entspricht, zu verhindern. Einerseits enthält Art. 5 EPatÜbersVO eine Regelung zur Errichtung eines Kompensationssystems für Übersetzungskosten, durch das Patentanmeldern, die beim EPA ein Patent in einer Amtssprache der Union einreichen, die keine Amtssprache des EPA ist, Kosten bis zu einem bestimmten Höchstbetrag erstattet werden können.52 Insbesondere gegen mögliche Nachteile, die Angehörige von Mitgliedstaaten dadurch erleiden, dass während der Übergangszeit Übersetzungen nicht in ihrer Amtssprache zur Verfügung stehen, sieht Art. 6 EPatÜbersVO ein weiteres Ausgleichssystem vor: Es ist eine vollständige Übersetzung der Patentschrift des EP ins Englische zu tätigen, wenn die Verfahrenssprache Französisch oder Deutsch ist. Ist die Verfahrenssprache Englisch, soll die Patentschrift außerdem in eine andere Amtssprache der Union übersetzt werden.53 Die Regelung richtet sich gerade an Angehörige von Staaten, deren Amtssprache nicht zugleich Amtssprache des EPA ist und erhöht die Transparenz und damit die Rechtssicherheit bis dauerhaft automatische Übersetzungen54 in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Für den Fall einer Patentverletzungsstreitigkeit sieht Art. 4 EPatÜbersVO vor, dass der mutmaßliche Patentverletzer vollständige Übersetzungen entweder in die Sprache des Mitgliedstaats der Patentverletzung oder in die Sprache des Sitzstaats des Verletzers verlangen kann (Abs. 1). Außerdem hat auf Antrag des Gerichts eine Übersetzung in die jeweilige Verfahrenssprache zu erfolgen (Abs. 2). In jedem Fall sind nach Art. 4 Abs. 3 EPatÜbersVO die Kosten vom Patentinhaber zu tragen. Besondere Erwähnung finden insbesondere KMU, natürliche Personen, Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht, Hochschulen bzw. öffentliche Forschungseinrichtungen in Art. 4 Abs. 4 EPatVO. Die Regelung sieht in Bezug auf diese (nicht abschließend genannten) Gruppen vor, dass Gerichte eine unwissentliche Verletzung in Erwägung ziehen, solange ihnen keine Übersetzung vorgelegt wurde. So kann den vorgenannten Gruppen kein Nachteil dadurch entstehen, dass wo51
Vgl. im Detail u., B. I. Vgl. o., Kap. 4 D. I. 2. d). 53 Anm.: Hierbei handelt es sich nach Art. 6 Abs. 2 EPatÜbersVO um Übersetzungen allein zu Informationszwecken. 54 Vgl. Art. 6 Abs. 3; Erwgrd. 11 – 13 EPatÜbersVO. 52
A. Möglichkeit der Nichtigerklärung der Verordnungen?
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möglich keine Übersetzungen zur Verfügung standen. Spätestens im Falle einer Übersetzung können die angeblichen Patentverletzer so entscheiden, ob sie das angeblich patentverletzende Verhalten einstellen oder sich gegen die Klage verteidigen.55 Die Einschränkung ist damit letztlich auch verhältnismäßig.56 2. Übersetzung im Falle des Rechtsstreits Spanien ist der Ansicht für die Regelung über eine Übersetzung von EPeW im Falle eines Rechtsstreits (Art. 4 EPatÜbersVO) fehle es an einer Rechtsgrundlage. Eine Sprachenregelung i. S. v. Art. 118 Abs. 2 AEUV sei nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Art. 4 EPatVO nicht vom Begriff der Sprachenregelung umfasst sein sollte. Schließlich sieht die Norm die Übersetzung von Sprachen vor, um einem Ungleichgewicht zwischen Kläger (Patentinhaber) und Beklagten (angeblichem Patentverletzer) zu entgegenzuwirken. Insbesondere Art. 4 Abs. 3 EPatÜbersVO dient der Besserstellung von Angehörigen von Mitgliedstaaten mit anderen Amtssprachen als denen des EPA. Letztlich ist dies eine Regelung mit Sprachbezug, die zugunsten der Mitgliedstaaten Nachteile eingeschränkter Übersetzungen ausgleichen soll.57 Die Regelungen tragen damit letztlich dazu bei, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten hinsichtlich der sprachlichen Unterschiede zu schaffen. Sie gehören damit zum eigentlichen Kernregelungsbereich des Art. 118 Abs. 2 AEUV. 3. Verwaltung des Kompensationssystems durch das EPA Auch in seiner Klage gegen die EPatÜbersVO kritisiert Spanien die Zuweisungen von Kompetenzen an das EPA. Dies betrifft insbesondere die Verwaltung des Kompensationssystems nach Art. 5 EPatÜbersVO sowie die Veröffentlichung von Übersetzungen nach Art. 6 Abs. 2 EPatÜbersVO. Insoweit gilt das zu der EPatVO Gesagte.58 4. Abhängigmachung der EPatÜbersVO vom Inkrafttreten des EPGÜ Wie in seiner Klage gegen die EPatVO rügt Spanien auch hier, dass die EPatVO an das Inkrafttreten des EPGÜ geknüpft werde und daher gegen die Autonomie des 55 s. auch Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit bei der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen vom 13. April 2011, KOM(2011) 216, S. 7. 56 Zur Rechtmäßigkeit der Einschränkung s. auch Peers, The Constitutional Implications of the EU Patent, ECLR 2011, S. 229, 256. 57 s. o., dd). 58 s. o., I.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Unionrechts verstoßen werde. Auch insoweit kann auf das oben zur EPatVO Gesagte verwiesen werden.59 5. Zwischenergebnis Die Klage Spaniens gegen die EPatÜbersVO bezieht sich zumeist auf Aspekte, die bereits in der Klageschrift gegen die EPatVO vorgebracht wurden, sodass weitestgehend das zu dieser Verordnung Gesagte gilt. Eine Diskriminierung von EUMitgliedstaaten durch die gewählten Sprachenregelungen ist insbesondere nicht gegeben, da die Regelungen verhältnismäßig sind.
III. Ergebnis: Erfolgsaussichten gering Die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklagen Spaniens sind gering.
B. Kosten für ein EPeW Als wesentliches Ziel des EU-Gesetzgebers sollen Einheitspatente Kostenvorteile für Patentanmelder, v. a. KMU und universitäre Forschungseinrichtungen, bringen und dadurch vermehrt Innovation ermöglichen, um die globale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.60 Laut einer Studie von 2011 stagnieren seit 2005 die Anmeldezahlen von EP in den EU-Mitgliedstaaten, während sie in anderen Staaten (China und den USA) ansteigen.61 Die Europäische Kommission ist der Auffassung, die vergleichsweise geringe Zahl von Neuanmeldungen sei den hohen Kosten für das Patent geschuldet.62 Folgt man dieser Auffassung, dürfte also die Finanzierbarkeit seiner Patente für das neue EU-Patentsystem von grundlegender Bedeutung sein.
59
s. o., I. Vgl. etwa Vermerk des Generalsekretariats des Rates für die Delegationen, Schlussfolgerungen des Rates zur Verbesserung des Patentsystems in Europa vom 7. Dezember 2009, Ratsdok. Nr. 17229/09, S. 2. 61 Côme/Quintais/Swan/Le Naour, EIPIN Report 2011, The European Patent and the Path of Enhanced Cooperation – Myth or Reality ? (Stand: April 2011) S. 14, verfügbar unter: http:// eipin.wikispaces.com/Final+Draft (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 62 Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis of the Community Patent, S. 6 (Stand: 7. April 2009) in Auftrag gegeben von der Kommission (GD MARKT), S. 6 verfügbar unter: http://www.uil-sipo.si/fileadmin/upload_folder/prispevki-mnenja/COMPAT-Costbenefit-Study_ Final.pdf (Stand: 7. April 2009) (i. F. „Cost-benefits Analysis“) (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 60
B. Kosten für ein EPeW
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Aktuell existieren noch keine konkreten Bestimmungen zu den Anmeldegebühren für ein EPeW. Aus diesem Grund werden nachfolgend die bisherigen Kostenkomponenten des EP-Systems mit denen eines EU-Patents verglichen, um ein ungefähres Bild über mögliche Kostenersparnisse zu erhalten.
I. Anmeldekosten Zu den Anmeldekosten für ein EP zählen alle Kosten, die für eine Patentanmeldung und für den Eintritt der nationalen Phase anfallen. Dazu zählen Übersetzungskosten, Anmeldegebühren beim EPA, Patentanwaltskosten und ggf. anfallende nationale Validierungsgebühren63. 1. Aktuelle Anmeldekosten für ein durchschnittliches EP Nach Angaben der Europäischen Kommission kostet derzeit die Anmeldung eines in seiner Länge und seinen Patentansprüchen durchschnittlichen EP in den 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten insgesamt 32.119 EUR während die Anmeldung eines vergleichbaren US-amerikanischen Patents, lediglich mit ca. 1.850 EUR zu Buche schlägt.64 Damit stehen die Unterzeichnerstaaten des EPÜ im weltweiten Vergleich sowohl der absoluten als auch der relativen Anmeldekosten an letzter Stelle.65 Als jedoch größten Kostenfaktor der insgesamt 32.119 EUR, die bei der Anmeldung eines EP in 25 Mitgliedsstaaten entstehen, hat die Kommission die mit der nationalen Validierung im Zusammenhang stehenden Übersetzungskosten in Höhe von durchschnittlich 20.145 EUR identifiziert. Zur Berechnung dieses Betrags geht die Kommission von einem Patent aus, das aus einer 15-seitigen Patentbeschreibung, vier Seiten Patentansprüchen und einer Seite Zeichnungen besteht und dessen Übersetzung 85.00 EUR pro Seite kostet. Daneben hat die Kommission Patentanwaltskosten in Höhe von 5.250 EUR und Validierungsgebühren der Patentämter der Mitgliedstaaten in Höhe von 2.679 EUR zugrunde gelegt. Demgegenüber macht die
63
Vgl. zum aktuellen System eine Veröffentlichung der EPO zu den nationalen Besonderheiten, verfügbar unter: http://www.epo.org/law-practice/legal-texts/national-law_de.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 64 DIHK Innovationsreport 2010, verfügbar unter: http://www.dihk.de/ressourcen/down loads/innovationsreport_2010.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); Bonadio, The EU embraces enhanced cooperation in patent matters: „Towards a unitary patent protection system“, EJRR, 2011, (Ausg. 3), S. 416. 65 Danguy/van Pottelsberghe, Economic Cost-benefits Analysis (Fn. 62), Danguy/van Pottelsberghe haben für einen relativen Vergleich die Kosten, die pro Patentanspruch pro Kopf anfallen (cost per claims per capita), verglichen.
214
Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Anmeldepauschale, die vom EPA erhoben wird, nur einen verhältnismäßig geringen Anteil von 4.045 EUR von der Gesamtsumme aus.66,67 2. Voraussichtliche Anmeldekosten für ein durchschnittliches Einheitspatent Zum aktuellen Zeitpunkt liegen keine konkreten Zahlen zu den Kosten für ein Einheitspatent vor. Nach einer Studie, die von der Europäische Kommission in Auftrag gegeben wurde, sollen die Anmeldekosten eines durchschnittlichen Einheitspatents (auf Grundlage desselben fiktiven Patents wie o., 1.) voraussichtlich nur 4.725 EUR betragen. Diese vergleichsweise niedrigen Anmeldekosten für Einheitspatente setzen sich aus Übersetzungskosten von 680 EUR68 und einer (als gleichbleibend angenommenen, s. o., 1.) Anmeldepauschale des EPA in Höhe von 4.045 EUR zusammen.69 Damit stehen nach den Angaben der Kommission einem Gesamtbetrag von 32.119 EUR für ein EP (in 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten) lediglich 4.725 EUR für EPeW gegenüber.70 Fraglich ist, ob eine derart drastische Kostenreduzierung überhaupt erreicht werden kann und, falls ja, ob diese dem durchschnittlichen Patentinhaber zugutekommt. Konkret ist die Kostenberechnung bereits unrealistisch, da der Faktor der Patentanwaltskosten (vgl. o., 1.) an dieser Stelle nicht berücksichtigt wurde, obwohl wg. der Komplexität der Patentanmeldung auch bei einem durchschnittlichen Patent von der Inanspruchnahme von Patentanwälten auszugehen ist.71 3. Abstrakte Kostenvorteile des Einheitspatents Das Einheitspatent bietet auf den ersten Blick erhebliche Rationalisierungsmöglichkeiten im Hinblick auf Anmeldekosten. 66 Cost comparison: „Classic“ European Patent versus new Unitary patent, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/faqs/cost-comparison_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Bonadio schätzt den Anteil von Übersetzungskosten dagegen auf ca. 23.000 EUR, s. Bonadio, EJRR, 2011, (Ausg. 3), S. 416. 67 Vgl. Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis (Fn. 62), S. 3 f. 68 Vgl. bspw. Pressemitteilung „EU patent gets Legal Affairs Committee green light“ vom 20. September 2011, verfügbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef =-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bIM-PRESS%2b20111219IPR34540%2b0%2bDOC%2bXML %2bV0%2f%2fEN (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015); Pressemittelung IP/11/470 vom 13. April 2011. 69 s. Kostenvergleich der Kommission (Fn. 66). 70 s. Kostenvergleich der Kommission (Fn. 66). 71 So auch Alps/Steins (u. a.), The EU Patent Package Handbook: A Practitioner’s Guide, S. 145.
B. Kosten für ein EPeW
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a) Nationale Kosten und Gebühren Nationale Validierungskosten, wie beispielsweise Publikationskosten72, entfallen zukünftig bei einem Einheitspatent, weil es durch seine zentrale Organisation durch die EPO keine nationale Phase mehr geben wird. Stattdessen ist das Europäische Patentregister für die Verwaltung von EP mit einheitlicher Wirkung zuständig.73 Damit entfallen auch Kosten für lokale Patentanwälte und Validierungsgebühren vor den Patentämtern der Mitgliedstaaten. b) Übersetzungskosten Die EPatÜbersVO sieht vor, dass zukünftig Patentschriften nur noch in einer der drei Verfahrenssprachen des EPA, d. h. Deutsch, Englisch und Französisch, eingereicht werden können, ohne dass (weitere) Übersetzungen anfallen. Für Anmelder, die Patentschriften in einer anderen Sprache abgefasst haben, werden die anfallenden Übersetzungskosten indes durch ein Kompensationssystem aufgefangen, das wiederum durch Einnahmen von Jahresgebühren finanziert werden soll.74 Die Höhe der vom Kompensationssystem aufgefangenen Kosten ist noch vom Verwaltungsrat festzulegen.75 Weitere Übersetzungskosten entstehen nur im Falle eines Rechtsstreits (vgl. Art. 4 Abs. 3 EPatÜbersVO).76 Teilweise wird bezweifelt, dass das EU-Patent überhaupt einen wirklichen Kostenvorteil bei Übersetzungen bieten wird, da Unternehmen ohnehin ihre Patente regelmäßig in nur wenigen Staaten anmeldeten, die zudem als Unterzeichner des LondÜb bereits allesamt das Übersetzungserfordernis abgeschafft hätten. Es gäbe keinen darüber hinausgehenden Kostenvorteil.77 Das Argument ist im Kern zutreffend, da bereits das LondÜb von 2001 gleichartige Kostenvorteile78 für 12 der 27 EU72
Impact Assessment Accompanying document to the Proposal for a Council Regulation on the translation arrangements for the European Union patent, vom 30. Juni 2010, SEC (2010) 796, S. 10 f. 73 Vgl. Art. 2 lit. e; Art. 7, 9 EPatVO. 74 Art. 5 Abs. 2 EPatÜbersVO i. V. m. Art. 11 EPatVO. Damit werden in dem selbstfinanzierten System faktisch die Kosten von der Übersetzungsebene auf die Jahresgebühren verlagert. Die finanzielle Belastung der Patentanmelder durch das Kompensationssystem soll daher an dieser Stelle nicht von Bedeutung sein. 75 Gem. Art. 9 lit. f EPatVO i. V. m. Art. 5 EPatÜbersVO ist der Verwaltungsrat mit der Aufgabe betraut, Übersetzungen zu einem gewissen Höchstbetrag zu ersetzen, vgl. auch o., Kap. 4 D. I. 2. d). 76 Vgl. allg. zu der Konzeption in der EPatÜbersVO auch o., Kap. 4 D. I. 2. 77 s. etwa Metzler, Will the Unitary Patent Really Lower Costs for Applicants by up to 70 %?, verfügbar unter: http://blog.ksnh.eu/en/2011/10/07/will-eu-patent-really-lower-costsfor-applicants-by-70-percent/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 78 Wie beim EU-Patent verzichten beim LondÜb die unterzeichnenden Staaten auf das in Art. 65 Abs. 1 EPÜ genannte Erfordernis der Übersetzung von Patentschriften. Falls ein Un-
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Mitgliedstaaten bietet.79 Außerdem trifft zu, dass Patentanmelder selektiv anmelden: Ein EU-Papier geht von einer durchschnittlichen Validierung in (nur) fünf EUMitgliedstaaten aus.80 Dazu gehören in siebzig Prozent der Fälle Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die allesamt Unterzeichner des LondÜb sind81 und für die daher keine zusätzlichen Übersetzungskosten anfallen.82 Vor diesem Hintergrund ist unwahrscheinlich, dass sich für den durchschnittlichen Anmelder ein Kostenvorteil ergibt.83 Andererseits ist es aber auch nicht wahrscheinlich, dass sich die Übersetzungskosten im Verhältnis zu einem durchschnittlichen EP erhöhen. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass voraussichtlich für in etwa gleiche Kosten der Kreis der Unterzeichnerstaaten des LondÜb effektiv um 1384 weitere Mitgliedstaaten vergrößert wird, in denen das Patent einheitlichen Schutz bietet.85 c) Vorübergehender Kostenanstieg Art. 6 Abs. 1 EPatÜbersVO sieht für eine Übergangszeit von mindestens sechs Jahren vor, dass Patentanmeldungen in einer Amtssprache des EPA eine weitere vollständige Übersetzung der Patentschrift auf Englisch (lit. a) bzw. einer beliebigen Amtssprache der teilnehmenden Mitgliedstaaten (lit. b) beizufügen ist. Erst wenn
terzeichnerstaat keine Amtssprache mit der des EPA gemein hat, müssen i. d. R. lediglich Patentansprüche übersetzt werden. Vollständige Übersetzungen werden ebenfalls im Falle eines Rechtsstreits erforderlich. Sie können aber auch ausnahmsweise verlangt werden, wenn das Patent nicht in der EPA-Sprache vorliegt, die ein Staat als für sich gültig bezeichnet hat (vgl. Art. 1 Abs. 2 LondÜb); vgl. etwa Joos, in: Benkard, EPÜ, Art. 65, Rn. 7 ff. 79 Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Slowenien, Ungarn, Großbritannien haben als EU-Mitgliedstaaten das LondÜb unterzeichnet bzw. sind ihm beigetreten. 80 Diese derzeitige Praxis mit dem Ziel der Kostenersparnis wird von unterschiedlichen namhaften dt. Unternehmen bestätigt. Selbst große Unternehmen melden Patente nicht in allen EPÜ-Unterzeichnerstaaten an. Siehe am Beispiel von BASF Meyer, EU-Patent und europäische Patentgerichtsbarkeit, GRUR Int 2012, 332, 333. 81 Zusammenfassung der Folgenabschätzung (Fn. 1), S. 4 mit Verweis auf eine Studie von Roland Berger Market Research zu den Patentierungskosten (Stand: August 2004). 82 Vgl. auch Impact Assessment, SEC(2010) 796, S. 12 (Fig. 3). 83 Vor allem gilt dies für die Übergangszeit, in der zusätzliche Übersetzungskosten anfallen, vgl. u., c). 84 Anm.: Im Wege der verstärkten Zusammenarbeit nehmen nur 25 Mitgliedstaaten am EUPatentsystem teil. 85 Bezogen auf diese tatsächliche Situation bei Anmeldern erscheint die Bemerkung von Benoît Battistelli, dem Präsident der EPO und dem EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Michel Barnier, die Anmeldekosten sollten um bis zu 70 Prozent sinken, irreführend, vgl. Pressemitteilung des EPA vom 6. Oktober 2011, verfügbar unter http://www. epo.org/news-issues/news/2011/20111006.html (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Tlw. werden Kostensenkungen von 80 % angegeben, s. Pressemitteilung, EU-Parlament: Änderungen am Gemeinschaftspatent durchgesetzt, MMR-Aktuell 2011, 325849.
B. Kosten für ein EPeW
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gem. Art. 6 Abs. 3 EPatÜbersVO „qualitativ hochwertige maschinelle Übersetzungen (…) zur Verfügung stehen (…)“, soll diese Voraussetzung entfallen. 86 Nach Berechnungen der Kommission fallen für eine zusätzliche Übersetzung der gesamten Patentschrift während des Übergangszeitraums weitere Kosten in Höhe von 1.700 EUR an87, womit ein EPeW letztlich in diesem Zeitraum voraussichtlich mehr kosten wird als ein durchschnittliches EP, das in den fünf am häufigsten gewählten Staaten, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden, zu Kosten von durchschnittlich 1.615 EUR88 angemeldet wird. Dies liegt vor allem darin begründet, dass für Italien, das weder Teilnehmer der verstärkten Zusammenarbeit89 noch Unterzeichnerstaat des LondÜb ist, voraussichtlich zusätzliche Übersetzungs- und lokale Anmeldekosten anfallen werden. 4. Zwischenergebnis Das EP mit einheitlicher Wirkung wird eindeutig zu einer erheblichen Verringerung der Übersetzungskosten im Verhältnis zum geschützten Gebiet führen. Allerdings ist noch nicht sicher, ob die Anmeldekosten dauerhaft den Kosten für ein durchschnittliches EP, das in durchschnittlich fünf EU-Mitgliedstaaten angemeldet wird, entsprechen werden. Zumindest in der Übergangszeit, die für das Einheitspatent vorgesehen ist, werden die Kosten voraussichtlich die eines vergleichbaren EP übersteigen, was vor allem dadurch begründet ist, dass für das häufig von Patentanmeldern bevorzugte Italien bedeutsam hohe nationale Validierungskosten entstehen. Der im Vergleich zu den Gesamtanmeldekosten relativ geringe Kostenanstieg dürfte jedoch dadurch kompensiert werden können, dass im Gegenzug ein weitaus größerer Bereich der teilnehmenden Mitgliedstaaten durch den Patentschutz abgedeckt wird.
86
Art. 6 Abs. 3 EPatÜbersVO. Commission Staff Working Paper, Impact Assessment zur EPatVO und EPatÜbersVO vom 13. April 2011, SEC(2011) 482 final, S. 34 f. 88 Die Kosten setzen sich wie folgt zusammen: Italien ist kein Unterzeichner des LondÜb, weshalb die durchschnittlichen Übersetzungskosten von 1.275 EUR angenommen werden. Dazu kommen Kosten für die Übersetzung der Patentansprüche für die Niederlande. Zwar sind die Niederlande Unterzeichner des LondÜb. Sie haben jedoch keine Amtssprache mit der EPO gemein, weshalb eine Übersetzung der Patentansprüche nach geltendem System erforderlich ist, vgl. Study on the Quality of the Patent System in Europe (PatQual), in Auftrag gegeben von der Kommission (GD MARKT), Stand: März 2011, S. 48, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/ internal_market/indprop/docs/patent/patqual02032011_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), Für Patentansprüche von durchschnittlich vier Seiten Länge gem. dem Impact Assessment zur EPatÜbersVO beträgt dies zusätzliche 340 EUR, s. SEC(2010) 796. 89 Anm.: Nachdem Italien das EPGÜ unterzeichnet hat, erscheint nunmehr auch ein Beitritt zur verstärkten Zusammenarbeit möglich. 87
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
II. Jahresgebühren Anders als bei EP90 werden bei Einheitspatenten die vom Patentinhaber zu errichtenden Jahresgebühren ausschließlich vom EPA erhoben (vgl. Art. 9 lit. e, Art. 11 EPatVO). Der zuständige engere Ausschuss (Select Committee)91 der Mitgliedstaaten hat bisher zwar noch keine Gebühren festgelegt, jedoch finden sich in der EPatVO Grundsätze zur Festlegung (Art. 12) und Verteilung (Art. 13) der Gebühren. Die folgende Untersuchung hat zum Ziel, aus den zum Einheitspatent geregelten Grundsätzen zur Gebührenerhebung auf eine tatsächliche Kostenbelastung für Anmelder zu schließen um Aufschluss über ein mögliches Kostenrisiko des EPeW zu erhalten. Hierbei bezieht sich der Verfasser unter anderem auf eine Studie, die von der Kommission in Auftrag gegeben wurde. 1. Erhebung von Jahresgebühren für ein EP Für EP fallen supranationale und nationale Jahresgebühren an. Nationale Jahresgebühren werden ab dem dritten Jahr nach Anmeldung in den jeweiligen Mitgliedstaaten erhoben, für die das EP angemeldet ist, und steigen in der Regel – abhängig von den jeweiligen nationalen Vorschriften – über die Anmeldejahre hinweg progressiv an. Für ihren Verwaltungsaufwand enthält die EPO einen bestimmten Anteil der Gebühren von den Mitgliedstaaten. Die nationale Verwaltung der Patente durch die jeweiligen Patentämter der Geltungsländer führt zu einer teilweise unnötigen Vervielfachung des Verwaltungsaufwands, der durch entsprechend hohe Jahresgebühren abgegolten werden muss. 2. Erhebung von Jahresgebühren für ein EPeW Einheitspatente werden durchweg zentral durch die EPO verwaltet (vgl. Art. 9 EPatVO), weshalb voraussichtlich ein geringerer Verwaltungsaufwand als bei EPeW nötig sein wird, der niedrigeren Kapitalbedarf zur Folge haben dürfte.92 a) Grundsätze zur Höhe Art. 12 EPatVO legt unterschiedliche Grundsätze zur Festlegung der Jahresgebühr fest. 90
s. o., Kap. 2 F. II. Der engere Ausschuss besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten und Beobachtern der Kommission, vgl. Art. 145 EPÜ i. V. m. Art. 9 Abs. 2 EPatVO. 92 Im Grundsatz so auch Lamping, IIC 2011, 879, 905. 91
B. Kosten für ein EPeW
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aa) Progressiver Anstieg Patentgebühren sind über ihre gesamte Laufzeit hinweg progressiv zu gestalten (Art. 12 Abs. 1 lit. a EPatVO). Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Jahresgebühren hat keine unmittelbare Auswirkung auf die absoluten Kosten.93 Sie wird hier allerdings, der Vollständigkeit halber, erwähnt. Ein progressiver Anstieg entspricht der Praxis der nationalen Patentämter in Bezug auf EP. Die Fortführung dieser Praxis ist zu begrüßen, da sie die Hemmschwelle zur Patentanmeldung verringert und tendenziell Erfinder bzw. Unternehmen in der Zeit des i. d. R. kostspieligen Markteintritts entlastet. bb) Selbstfinanzierung Die durch EPeW eingenommenen Jahresgebühren sollen Erteilungs- und Verwaltungskosten vollständig abdecken und zusammen mit Anmeldegebühren einen ausgeglichenen Haushalt der EPO sicherstellen (vgl. Art. 12 Abs. 1 lit b, c EPatVO). Eine Selbstfinanzierung führt – verglichen mit teilsubventionierten Systemen – zu geringerer Flexibilität bei der Festlegung der Jahresgebühren. cc) Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen Art. 12 Abs. 2 EPatVO legt bestimmte Ziele fest, an denen sich, „unter anderem unter Berücksichtigung der Situation bestimmter Einheiten wie kleiner und mittlerer Unternehmen“, die Höhe der Jahresgebühren ausrichten soll: a) Erleichterung von Innovationen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, b) Orientierung an der Größe des durch das Patent abgedeckten Marktes, und c) Anlehnung an die Höhe der nationalen Jahresgebühren für ein durchschnittliches Europäisches Patent, das in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem die Höhe der Jahresgebühren erstmals festgelegt wird.94
Bedeutsam ist vor allem das dritte Ziel, die Höhe der erst-festgelegten Jahresgebühren an die Höhe der nationalen Jahresgebühren anzulehnen, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Festlegung der Jahresgebühren für ein übliches EP anfallen (Art. 12 Abs. 2 lit. c EPatVO). Unter der Formulierung „nationale Jahresgebühren“ sind die Jahresgebühren zu verstehen, die „für ein durchschnittliches Europäisches Patent“ insgesamt in den angemeldeten Mitgliedstaaten anfallen. Die Vorschrift dient offensichtlich der Vorhersehbarkeit der zukünftig erstmals erhobenen Gebühren.
93
Anm.: Eine mittelbare Auswirkung auf die absoluten Kosten ist gegeben, da etwa bei hohen, gleichbleibenden Jahresgebühren tendenziell weniger Anmeldungen erfolgen bzw. weniger Patente aufrechterhalten werden. Dies wirkt sich wiederum auf den Kapitalbedarf aus. 94 s. auch Erwgrd. 19 der EPatVO.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
dd) Kriterien für Festlegung der Jahresgebühren i. e. S. Art. 12 Abs. 3 EPatVO regelt den Weg zur Erreichung des oben unter c) genannten Ziels. Danach „wird die Höhe der Jahresgebühren so festgesetzt, dass: a) sie der Höhe der Jahresgebühren entspricht, die für die durchschnittliche geografische Abdeckung der üblichen Europäischen Patente zu entrichten sind, b) sie die Verlängerungsrate gegenwärtiger Europäischer Patente widerspiegelt und c) die Zahl der Anträge auf einheitliche Wirkung widerspiegelt.“
Buchstaben b) und c) sind rechnerische Kriterien, die eine Kostendeckung durch Jahresgebühren sicherstellen. Buchstabe a) ist dagegen nur ein Orientierungsmaßstab für die absolute Höhe der Gebühren. Würde das Einheitspatent den Jahresgebühren entsprechen, die für die Anmeldung eines – einen durchschnittlichen Geltungsbereich umfassenden – EP anfielen, wäre dies optimal, da so dem durchschnittlichen Patentanmelder der Gebietsvorteil zuteilwird.95 Es verwundert, dass trotz des Bestrebens, das Patentsystem in erster Linie zugunsten von KMU zu reformieren96, keine kostenmäßige Privilegierung dieser Gruppe aufgenommen wurde. Die USA und Japan bieten insofern einen Wettbewerbsvorteil, als sie für diese Gruppe eine Reduzierung der Gebühren um die Hälfte zulassen. Die EPatVO hätte z. B. eine Subventionierung für die Phase vor der Patenterteilung mit oder ohne Rückzahlungsverpflichtung nach Erteilung enthalten können. b) Grundsätze zur Verteilung Nach der EPatVO sollen Jahresgebühren nunmehr unmittelbar an die EPO gezahlt werden (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 EPatVO). Bis zu fünfzig Prozent dieser Einnahmen sollen an die Mitgliedstaaten abgeführt werden (vgl. Art. 13 EPatVO). Die Mitgliedstaaten (Art. 13 Abs. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 2 EPatVO) legen eine Kostenaufteilung nach Maßgabe des Art. 13 EPatVO fest, wonach die Höhe eines jeden Anteils abhängt von a) der Größe des Marktes, wobei gewährleistet wird, dass jeder teilnehmende Mitgliedstaat einen Mindestbetrag erhält, b) Ausgleichsleistungen an die teilnehmenden Mitgliedstaaten, die c) eine andere Amtssprache als eine der Amtssprachen des EPA haben, i. deren Umfang an Patentaktivität unverhältnismäßig gering ist und/oder ii. die erst jüngst der Europäischen Patentorganisation beigetreten sind. 95
Vgl. o. zu Anmeldegebühren, I. In einer wirtschaftlichen Analyse zum vorangegangenen Gemeinschaftspatent wurde der Mangel an einer genauen Zuordnung der Gebühren und deren Höhe, Struktur bzw. eine Differenzierung in Bezug auf die Kategorien der Antragsteller (wie KMU und Universitäten) kritisiert, vgl. Lévêque/Ménière, Academic response to the European Commission’s Questionnaire on the patent system in Europe: An economic approach, WPI 2006, 304, 307 f. 96
B. Kosten für ein EPeW
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Hinsichtlich der Allokationskriterien ist die Regelung des Art. 13 EPatVO sicherlich nicht zu beanstanden. Es wird eine faire Verteilung gewährleistet, die einerseits den größeren Verwaltungsaufwand bei größeren Einwohnerzahlen (absolut) berücksichtigt und zudem berücksichtigt, dass Staaten mit wenig Patentaktivität ein unverhältnismäßiger Aufwand entsteht. Andererseits wirkt die Regelung einer Diskriminierung von Staaten entgegen, die andere Amtssprache(n) als die des EPA haben97. Allerdings erscheint die Weitergabe der Hälfe der Jahresgebühren unangemessen hoch, da kein Grund für eine derart hohe Beteiligung der Mitgliedstaaten in Bezug auf Einheitspatente besteht, da Verwaltungsaufgaben für EPeW weit überwiegend vom EPA98 und eben nicht mehr von den Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Eine Stellungnahme der teilnehmenden Mitgliedstaaten offenbart die Beweggründe: Danach werden sich die Mitgliedstaaten in ihrer Entscheidung über eine Festsetzung der Jahresgebühren zwar von den in Art. 13 Abs. 2 EPatVO genannten Kriterien leiten lassen, jedoch mit dem Ziel (zumindest) ihre aktuellen Jahresgebühren beizubehalten bzw. sicherzustellen, dass Mitgliedstaaten mit geringen Einnahmen diese signifikant erhöhen.99 Da das System selbstfinanzierend ist100, liegt nahe, dass eine etwaige mangelnde Kostendeckung nur mittels Einnahmen aus Jahres- bzw. Anmeldegebühren, und damit auf Kosten des Anmelders, ausgeglichen werden kann. Vor allem die zusätzlichen Kosten für das neue Kompensationssystem gem. Art. 9 Abs. 1 lit. f EPatVO i. V. m. Art. 5 EPatÜbersVO dürften nicht unerheblich sein.101 Die Regelung könnte so letztlich das Ziel gefährden, dass Jahresgebühren den Gebühren für ein EP mit durchschnittlicher geographischer Abdeckung entsprechen (Art. 12 Abs. 3 lit. a EPatVO). 97
s. hierzu insb. Ausführungen zur EU-Rechts-Konformität der Sprachenregelungen, o., A. II. 98 Vgl. Art. 9 Abs. 1 EPatVO für die Aufgaben des EPA. Die Aufgaben der teilnehmenden Mitgliedstaaten (s. Art. 9 Abs. 2 EPatVO, ggf. i. V. m. dem EPÜ) sind demgegenüber vergleichsweise gering. 99 Vgl. Wortlaut: „When deciding on the share of distribution of the renewal fees, the representatives of the participating Member States will be guided by the criteria listed in Article 13 (2) of the Regulation implementing enhanced cooperation in the area of the creation of unitary patent protection, with the aim of allowing all participating Member States to keep their current renewal fee income while at the same time ensuring that those Member States which currently have a low renewal fee income will significantly increase this income.“, Statement of Common Guidelines to the adoption of the Proposal for a Regulation of the Council and the European Parliament implementing enhanced cooperation in the area of the creation of unitary patent protection vom 14. Dezember 2012, Ratsdok. Nr. 17503/12 ADD 1 REV 1, verfügbar unter: http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=EN&t=PDF&gc= true&sc=false&f=ST%2017503%202012%20ADD%201%20REV%201 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 100 Vgl. o., b). 101 Das Kompensationssystem wird durch Jahresgebühren finanziert (Art. 5 Abs. 2 EPatÜbersVO).
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
c) Zwischenergebnis Die Jahresgebühren für ein Einheitspatent werden voraussichtlich wesentlich geringer ausfallen als die Gebühren, die aktuell für ein EP anfallen, das in allen der 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten angemeldet wird. Außerdem lässt die Regelung zur Gebührenhöhe darauf hoffen, dass auch der durchschnittliche Patentanmelder, der derzeit ein EP in nur fünf EU-Mitgliedstaaten anmeldet, bei gleichen Kosten von einem Patentschutz in 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten profitieren kann. Der progressive Anstieg der Jahresgebühren dürfte vor allem KMU zugutekommen, da er tendenziell v. a. in den ersten Jahren der Patentlaufzeit kostenschonend ist. Problematisch erscheint jedoch, dass die Hälfte der Jahresgebühren an die Mitgliedstaaten gehen soll. Die Regelung ist unter synallagmatischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar und schlägt sich voraussichtlich in der Höhe der Jahresgebühren zulasten der Anmelder nieder. Letztlich könnte so das Ziel gefährdet werden, dass Jahresgebühren sich an den Gebühren für ein durchschnittliches EP orientieren. Es ist daher erforderlich, die Kostenberechnung auf ihre Realisierbarkeit im konkreten Fall zu überprüfen. 3. Konkrete Kostenhöhe – Vergleich des EU-Patentsystems mit Modellen zum EP-System Eine Kosten-Nutzen-Analyse102, die von der EU in Auftrag gegeben wurde, beschäftigt sich mit unterschiedlichen Kostenmodellen für Jahresgebühren des Einheitspatents103 auf Grundlage von Daten zum EP-System. a) Kosten-Nutzen-Analyse von Danguy und van Pottelsberghe Die Studie geht in ihrem methodologischen Ansatz wie folgt vor: Zunächst werden die für ein durchschnittliches EP bei den nationalen Patentämtern insgesamt eingehenden Jahresgebühren berechnet und Faktoren identifiziert, die beeinflussen, wie lange Patentinhaber nach den jeweiligen Modellen ihre Patentanmeldungen aufrechterhalten werden. Auf dieser Grundlage wird anschließend die „Aufrechterhaltungsrate“ (maintenance rate) berechnet, um darauf schließen zu können, welche Einnahmen mit einem Einheitspatent zu erzielen sind.104 Die in der Studie vorgeschlagenen Kostenmodelle sehen allesamt Jahresgebühren ab dem sechsten auf das Jahr der Patentanmeldung folgenden Jahr vor. Sie gehen davon aus, dass im ersten Jahr ein Betrag von 600 EUR fällig wird, der sich pro Jahr um jeweils 200 EUR (bzw. 300 EUR und 400 EUR in alternativen Berechnungen bis 102 103 104
Danguy/van Pottelsberghe, Cost-Benefits Analysis (Fn. 62). Anm.: Die Studie bezieht sich noch auf Gemeinschaftspatente (Community Patents). Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis (Fn. 62), S. 12.
B. Kosten für ein EPeW
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zum zehnten Jahr) erhöht. Nach Danguy und van Pottelsberghe wäre ein Modell realisierbar, bei dem die Gesamtjahresgebühren in etwa der Höhe der Summe entsprechen, die ein Patentinhaber zahlt, um in den vier beliebtesten Unterzeichnerstaaten des EPÜ, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, ein EP aufrecht zu erhalten.105 Ein solches Modell sähe innerhalb von zehn Jahren Gebühren in Höhe von insgesamt 13.000 EUR vor, was unter den für die sechs beliebtesten EP-Mitgliedstaaten im gleichen Zeitraum zu zahlenden 16.000 EUR läge. Die Autoren vergleichen schließlich die Jahresgebühren, die im favorisierten Modell bis zum zehnten Jahr anfallen, mit Gebühren für ein vergleichbares Patent in Japan und den USA im selben Zeitraum und kommen zu dem Schluss, dass ein Einheitspatent in Bezug auf die relativen Kosten zwischen Japan und den USA läge.106 Diesem Ergebnis lag außerdem ein Vergleich der konkreten Kosten für einen Patentanspruch pro Einwohner (cost per claim per capita) zugrunde. b) Kritik Grundsätzlich erscheint der in der Kosten-Nutzen-Analyse verfolgte Ansatz vielversprechend. Vor allem ist der Ansatz, potenzielle Jahresgebühren unter Berücksichtigung der jeweils durch ein Patent erreichten Pro-Kopf-Bevölkerung in einem weltweiten Vergleich, geeignet, die relativ hohen Jahresgebühren bei EP für das EU-Patent auf ein für Nutzer attraktiveres Niveau zu bringen. Allerdings ist nicht ersichtlich, weshalb der internationale Vergleich von Jahresgebühren nur die jeweiligen Gesamtjahresgebühren vom ersten bis zum zehnten Patentlebensjahr zugrunde legt107, da die Berechnungsmodelle für Jahresgebühren eines Einheitspatents einen exponentiellen Anstieg erst nach dem zehnten Patentlebensjahr vorsehen108. Somit wird der überwiegende Teil der Patentgebühren außerhalb des Vergleichsrahmens fällig. Ein Vergleich über lediglich zehn Jahre repräsentiert daher nicht die relativen Gesamtkosten, sondern führt zu einem vermeintlich zugunsten von EPeW verfälschten Ergebnis. c) Zusammenfassung Die Kostenmodelle in der Kosten-Nutzen-Analyse von Danguy und van Pottelsberghe vermögen keinen Aufschluss darüber zu geben, auf welche Höhe sich die 105 Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis (Fn. 62), S. 34; Pagenberg geht indes von höheren Kosten aus, s. Pagenberg, GRUR 2012, 582, 583. 106 Ausführlich s. Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis (Fn. 62), S. 31. 107 Danguy/van Pottelsberghe, Cost-benefits Analysis (Fn. 62), S. 30; dies., Patent Fees for a Sustainable EU (Community) Patent System, Studie vom 14. April 2010, S. 2 (Fig. 1), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/patent_fees_report_en. pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 108 Danguy/van Pottelsberghe, Patent Fees (Fn. 107), S. 14 (Fig. 11, s. „VCOM(200+)“).
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Jahresgebühren für Einheitspatente tatsächlich belaufen werden. Sie dienen lediglich als Empfehlung für eine ungefähre Gebührenhöhe, die erlaubt, dass das Einheitspatent weltweit einen vergleichsweise kostenangemessenen Platz einnimmt. Der Vergleich mit den USA und Japan verliert dadurch Aussagekraft, dass die Studie sich lediglich auf die in den ersten zehn Jahren der Patentlaufzeit anfallenden Gebühren beschränkt, da bei der progressiven Gebührenentwicklung (etwa wenn ein System keinen graduellen Anstieg vorsieht) das Ergebnis verfälscht werden kann. 4. Zwischenergebnis Grundsätzlich bieten die Patent-Verordnungen gute Ansätze für eine zukünftige Kostenstruktur bei den Jahresgebühren. Vor allem eine Orientierung an den Gebühren, die für die durchschnittliche geographische Abdeckung üblicher EP entstehen (vgl. Art. 12 Abs. 3 lit. a EPatVO), ist zu begrüßen. Allerdings ist vor dem Hintergrund, dass die Hälfte der Jahresgebühren in dem selbstfinanzierten System ungerechtfertigter Weise an die teilnehmenden Mitgliedstaaten gehen soll, zweifelhaft, ob dieses Ziel erreicht werden kann. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Anmelder womöglich auch außerhalb der teilnehmenden Mitgliedstaaten (etwa in Spanien) Patentschutz anstreben und dass dabei bei einem Einheitspatent zusätzliche Kosten auf sie zukommen. Es kann also nur geschlossen werden, dass die tatsächliche Höhe der Jahresgebühren noch vollkommen unsicher ist und einen gewissen Risikofaktor für den Erfolg des neuen Patentsystems darstellt.109
III. Ergebnis: Kosten für ein EPeW ungewiss Die Untersuchung der Kosten für ein EPeW hat ergeben, dass sich wesentliche Ersparnisse bei den Anmeldekosten durch den Wegfall von Übersetzungen erreichen lassen. Dies kann dazu führen, dass der Anreiz für die Anmeldung von Patenten bedeutsam steigt. Dennoch wird voraussichtlich in den ersten Jahren die Erteilung eines Einheitspatents mehr als die Anmeldung eines EP für die im Durchschnitt gewählten Mitgliedstaaten betragen, da erhebliche Übersetzungskosten für Italien, das eines der fünf beliebtesten Vertragsstaaten des EPÜ ist, anfallen könnten.
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Vertiefend auch Metzler, EU-Einheitspatent: Demonstrativer Optimismus und Zahlenmystik allerorten – Naivität oder politische Beeinflussung?, Beitrag vom 26. Juni 2013, verfügbar unter: http://blog.ksnh.eu/de/2013/06/26/eu-einheitspatent-demonstrativer-optimis mus-und-zahlenmystik-allerorten-naivitat-oder-politische-beeinflussung/; Bausch/Petersen-Padberg, The Unitary Patent System – What’s Up Next? – The great challenge of fixing the fees to fit the needs of the user, Beitrag vom 3. Januar 2013, verfügbar unter: http://kluwerpatentblog. com/2013/01/03/the-unitary-patent-system-whats-up-next-the-great-challenge-of-fixing-thefees-to-fit-the-needs-of-the-user/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
C. Gerichtskosten
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Bei den Jahresgebühren zeichnet sich indes kein klares Bild ab. Insbesondere der hohe Anteil der an die Mitgliedstaaten fließenden Einnahmen könnte in dem selbstfinanzierten System dazu führen, dass das Einheitspatent mehr kosten wird als ein für ein durchschnittliches Gebiet angemeldetes EP.110 Es ist jedoch auch möglich, dass die durch die zentrale Verwaltung des EPeW gewonnenen Effizienzvorteile sich derart positiv auf den Kapitalbedarf auswirken, dass die Mitgliedstaaten ihr „Stück vom Kuchen“ abbekommen, ohne dass dies zu Lasten der Patentinhaber geht. Als sicher gilt jedenfalls, dass die relativen Kosten im Vergleich mit einem EP, welches für alle Mitgliedstaaten beantragt wird, sinken werden. Insgesamt ist weiterhin fraglich, ob der unzweifelhafte Vorteil eines größeren Anmeldegebiets geeignet ist, die derzeitige Praxis, Patentschutz über EP lediglich in ausgewählten Ländern zu beantragen, zu ändern.111,112 Sofern Jahresgebühren sich zukünftig tatsächlich an den Kosten für ein in der durchschnittlichen Zahl von bevorzugten Mitgliedstaaten angemeldetes Patent orientieren werden, stehen die Chancen für die Änderung dieser Anmeldestrategie gut.
C. Gerichtskosten Im EP-System waren bisher die einzelnen nationalen Gerichte bzw. Patentämter für Patentverletzungs- bzw. Nichtigkeitsverfahren zuständig. Entsprechend fielen auch jeweils nationale Gerichtskosten an. Im EPG-System ist das Einheitliche Patentgericht sowohl für Einheitspatente als auch für übliche EP zuständig, sofern ein Rechtsinhaber nicht während der Übergangszeit von seiner Möglichkeit zum Opt out Gebrauch macht.113 Das EPGÜ enthält nunmehr eigene Vorschriften über Gerichtskosten, die im Folgenden untersucht werden.
I. Grundsätze des Kostensystems Art. 36 Abs. 1 EPGÜ sieht vor, dass das EPG grundsätzlich durch eigene Mittel finanziert wird. Die Einnahmequellen hierzu sind gem. Art. 36 Abs. 2 EPGÜ Ge110
Eine neuere Untersuchung der Jahresgebühren durch Weal ist nicht Gegenstand dieser Analyse geworden, s. Weal, Speculation on the Unitary Patent Renewal Fees: Graphs, graphs, graphs and a prediction, Beitrag auf IP Copy vom 19. März 2014, verfügbar unter: http://ipcopy. wordpress.com/2014/03/10/speculation-on-the-unitary-patent-renewal-fees-graphs-graphsgraphs-and-a-prediction/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 111 Krit. Pagenberg, GRUR 2012, 582, 583. 112 Selbst große Marktteilnehmer wie der Chemiekonzern BASF bedienen sich dieser Möglichkeit, s. o., Fn. 80. 113 Im Falle eines Opt outs wäre die Zuständigkeit des EPG ausgeschlossen. Es wären dann wieder nationale Gerichte für Klagen zuständig, die auch Gerichtskosten aufgrund rein nationaler Regelungen erheben würden, s. zu dieser Problematik u., Kap. 5 D. II.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
richtsgebühren und „sonstige Einnahmen“. Nur sofern erforderlich, wird das Gericht „zumindest in der Übergangszeit nach Artikel 83 aus Beiträgen der Vertragsmitgliedstaaten finanziert.“ Demgegenüber herrschte im EP-System bisher noch vollständige finanzielle Gerichtsunabhängigkeit, d. h. die nationalen Gerichte wurden von staatseigenen Geldern unterhalten. Es drängt sich daher die Frage auf, ob eine derartige Umstrukturierung Kostenerleichterungen mit sich bringt oder gar zu einem Kostenzuwachs führt und, falls ja, zu welchem Maße sich dieser in den Prozesskosten niederschlägt. 1. Festlegung der Gebühren Art. 36 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ legt fest, dass Gebühren grundsätzlich als Festbeträge erhoben werden. Bei der Überschreitung bestimmter Schwellen sollen zusätzliche Gebühren anfallen. Es wird also ein Festbetrag mit variablen Gerichtsgebühren gekoppelt.114 Insgesamt wird so erreicht, dass die Gerichtskosten vorhersehbar sind und dass ggf. wesentlich höhere Gerichtsgebühren abgerechnet werden können, wenn dem Verfahren ein entsprechender Streitwert zugrunde liegt. Letzteres ist wiederum dem Ziel der Selbstfinanzierbarkeit des Systems zuträglich. 2. Verhältnismäßigkeit und Besserstellung von KMU Art. 36 Abs. 3 EPGÜ sieht unterschiedliche Maßnahmen vor, durch die eine finanzielle Zugangsbeschränkung zum Einheitlichen Patentgericht ausgeschlossen werden soll. Einerseits betrifft dies die Angemessenheit der Kosten an sich (Art. 36 Abs. 3 Satz 3 EPGÜ), andererseits eine gezielte Unterstützung von KMU (Art. 36 Abs. 3 Satz 5 EPGÜ). Art. 36 Abs. 3 Satz 3 EPGÜ lautet wie folgt: „Die Höhe der Gerichtsgebühren wird so festgesetzt, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Grundsatz eines fairen Zugangs zum Gerichtssystem – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, Kleinstunternehmen, natürliche Personen, Organisationen ohne Erwerbszweck, Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen – und einer angemessenen Beteiligung der Parteien an den dem Gericht entstandenen Kosten gewährleistet ist, wobei der wirtschaftliche Nutzen für die beteiligten Parteien und das Ziel der Eigenfinanzierung und ausgeglichener Finanzmittel des Gerichts berücksichtigt werden.“ 114 Für eine Übersicht der in den Vertragsmitgliedstaaten herrschenden Systeme zur Festlegung von Gebühren s. Preliminary Findings of DG Internal Market and Services Study on the Caseload and Financing of the Unified Patent Court, Stand: 7. November 2011, (i. F. „GD MARKT Studie“) Part VIII, verfügbar unter: https://lt.justice.gov.sk/Attachment/draftStudy_ re_UPC_Financing_7_11_2011rev.rtf?instEID=-1&attEID=42206&docEID=225621&mat EID=4743&langEID=1&tStamp=20111202132108207 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
C. Gerichtskosten
227
Die Norm stellt also sicher, dass kein Missverhältnis zwischen dem fairen Zugang zum Gerichtssystem und der angemessenen Beteiligung der Parteien an Kosten besteht. Damit wird gewährleistet, dass die Parteien zwar zur Selbstfinanzierung des Systems beitragen (vgl. Art. 43 Abs. 1 EPGÜ), jedoch nicht derart hohe Gebühren zu zahlen haben, dass eine gerichtliche Klärung unerschwinglich wird. Art. 36 Abs. 3 Satz 5 EPGÜ erlaubt zudem eine Besserstellung von KMU und Kleinstunternehmen durch „gezielte Unterstützungsmaßnahmen“. 3. Prozesskostenhilfe Für den Fall, dass eine natürliche Person „außerstande (ist), die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise zu bestreiten“ sieht das EPGÜ die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe vor (Art. 71 EPGÜ). Die Begrenzung der Prozesskostenhilfeberechtigten auf natürliche Personen gilt unabhängig davon, ob es sich um KMU handelt oder nicht115 und hilft, eine Kostenbelastung des Gerichts einzuschränken.116 4. Finanzierung durch Vertragsmitgliedstaaten Das EPGÜ regelt, dass ggf. die Finanzierung des Gerichts von den Mitgliedstaaten übernommen wird. Art. 36 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 83 EPGÜ sieht vor, dass das Gericht zumindest für eine Übergangszeit von sieben Jahren durch Beiträge der Vertragsmitgliedstaaten finanziert wird, sofern dies erforderlich ist. Einem Verteilungsschlüssel zufolge sollen die Zahl der EP, die im jeweiligen Staat Wirkung haben bzw. die Zahl der Patente, zu denen im Zeitraum von drei Jahren vor Inkrafttreten des Übereinkommens Verletzungs- bzw. Nichtigkeitsverfahren geführt wurden, als Bemessungsgrundlage für Finanzierungsbeiträge der Vertragsmitgliedstaaten dienen (Art. 37 Abs. 3 EPGÜ). Aber auch über diese Zeit hinaus stellt Art. 36 Abs. 4 EPGÜ sicher, dass die Vertragsmitgliedstaaten ggf. „besondere Finanzbeiträge zur Verfügung“ stellen, sofern das Gericht sich nicht durch Eigenmittel finanzieren kann. 5. Zwischenergebnis Zwar gilt auch für Gerichtsgebühren das Prinzip der Selbstfinanzierung. Allerdings sieht das EPGÜ, anders als die Patent-Verordnungen, vor, dass – sofern notwendig auch über die starre Übergangszeit von sieben Jahren hinaus – Mitgliedstaaten das EPG finanziell unterstützen. Bei der Ermittlung der Höhe der Gerichtskosten sollen der faire Zugang zum Gericht und die angemessene Beteiligung
115
Vgl. auch R. 375 VerfO EPGÜ. Prozesskostenhilfen werden aus dem Haushalt des EPGÜ finanziert (nicht ausdrücklich geregelt). 116
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
an tatsächlichen Gerichtskosten insbesondere privilegierter Gruppen (wie KMU) berücksichtigt werden.
II. Studie der GD Binnenmarkt und Dienstleistungen Ein Kosten-Nutzen-Papier117 und eine Studie der Generaldirektion für Binnenmarkt und Dienstleistungen der Europäischen Kommission (i. F. Studie)118 beschäftigen sich mit der Finanzierung des Einheitlichen Patentgerichts. Das KostenNutzen-Papier zielt darauf ab, anhand einzelner Kostenfaktoren (Richtergehälter, Gehälter sonstiger Mitarbeiter der Lokal- und Regionalkammern und des Berufungsgerichts und sonstige Kosten) den tatsächlichen voraussichtlichen Finanzbedarf des Systems zu berechnen, setzt sich jedoch nicht mit möglichen Kostenmodellen auseinander. Die spätere Studie der Generaldirektion dagegen konzentriert sich unter Einbeziehung der Harhoff-Studie119 auf Kostenbedarf und Finanzierung des Systems. Sie dient nicht der Errechnung konkreter Zahlen, sondern lediglich dem Ziel, Grundsätze und Kriterien für die Gebührenfestsetzung zu gewinnen.120 Wegen ihrer Relevanz, wird im Folgenden lediglich auf die Studie der Generaldirektion eingegangen. 1. Methodik zur Determinierung des Kostenbedarfs Um die Kosten zu berechnen, die durch die Errichtung und Aufrechterhaltung des EPG anfallen, wird zunächst die Zahl der voraussichtlich anfallenden Patentstreitigkeitsfälle pro Jahr zugrunde gelegt. Die Annahmen beruhen auf den schätzungsweise nach Inkrafttreten des Übereinkommens angemeldeten EPeW und den heute gütigen EP unter Berücksichtigung voraussichtlicher Opt-outs121 nach unterschiedlichen Modellen. Anschließend wird die Wahrscheinlichkeit von Streitfällen berechnet, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie viele Patentstreitverfahren künftig pro Jahr vor dem EPG anfallen könnten. Dabei ist die voraussichtliche Häufigkeit mit der eine Verweisung von Nichtigkeitswiderklagen an die Zentralkammer stattfindet, zu berücksichtigen, da sich in diesem Fall zwei Kammern mit der Materie beschäftigen, die anderenfalls vor nur einer Kammer verhandelt werden 117
Harhoff, Economic Cost-Benefit Analysis of a Unified and Integrated European Patent Litigation System – Final Report vom 26. Februar 2009, in Auftrag gegeben von der GD MARKT, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/studies/liti gation_system_en.pdf, S. 39. 118 GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. VIII. 119 Harhoff (Fn. 117). 120 GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. X, „The aim is to enable an informed discussion on the principles and criteria which should prevail when the level of the fees are set out, not to discuss precise figures.“. 121 Vgl. hierzu o., Kap. 4 E. III. 3.
C. Gerichtskosten
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würde. Ein Tätigwerden zweier Kammern, anstatt nur einer, kann schließlich zu einer wesentlichen Erhöhung des Kostenbedarfs führen. In der Studie wird angenommen, dass in 60 Prozent der Patentverletzungsverfahren eine Nichtigkeitswiderklage bzw. -einrede erhoben wird. Diese Zahl wurde als Mittelwert aus den Annahmen, dass in 95 Prozent der Verfahren im Verbundsystem und in 20 – 25 Prozent der Verfahren im Trennungssystem Nichtigkeitseinreden bzw. -widerklagen erhoben würden, berechnet.122 Aus den sich so ergebenden Fallzahlen wurde unter Zugrundelegung weiterer Annahmen berechnet, wie viele Richter und sonstige Mitarbeiter im EPG voraussichtlich angestellt werden müssen. Hierbei wurde auch berücksichtigt, dass die Kosten des Gerichts erster Instanz wesentlich dadurch beeinflusst werden, wie viele Mitgliedstaaten von ihrem Recht, eine Regionalkammer zu gründen, Gebrauch machen. Mithilfe dieser Zahlen wird schließlich der Gesamtkostenbedarf des EPG berechnet.123 2. Methodik zur Berechnung der Gerichtskosten Die Studie berücksichtigt die im Vorschlagspapier zum EPGÜ statuierten Grundsätze [bspw. die angestrebte Selbstfinanzierung des EPG, vgl. o., b)]. Auf ihrer Grundlage werden unterschiedliche Finanzierungsmodelle berechnet, denen niedrige124, mittlere125 und hohe126 streitwertunabhängige Gerichtsgebühren zugrunde liegen (Anm.: Die Autoren ordnen jedoch in den Finanzierungsmodellen die Gerichtskosten in Deutschland und Österreich mit Gerichtsgebühren von z. T. mehr als 15.000 EUR als hoch ein127). 3. Ergebnisse Die Studie kommt zu dem Schluss, dass in der Anlaufphase nach Errichtung des EPG eine vollständige Selbstfinanzierung nicht möglich sein wird128, da selbst ein 122 Vgl. GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. 1, Sec. 6. Diese Ausgangsdaten stimmen mit der Schätzung Pagenbergs überein, s. Pagenberg, GRUR 2011, 32, 34; zu den Unterschieden der Systeme s. auch o., Kap. 3 B. 123 GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. VII. 124 3.000 EUR pro Verletzungsklage; 2.000 EUR pro Nichtigkeitswiderklage; 3.000 EUR pro Nichtigkeitsklage; 6.000 EUR pro Berufung im Hauptsacheverfahren sowie 3.000 EUR pro Berufung bei einer einstweiligen Verfügung. 125 Verteilung entspr. Fn. 124: 6.000 EUR; 4.000 EUR; 6.000 EUR; 9.000 EUR sowie 4.500 EUR. 126 Verteilung entspr. Fn. 124: 12.000 EUR; 7.000 EUR; 12.000 EUR; 20.000 EUR sowie 10.000 EUR. 127 Vgl. GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. IX, Sec. 3 (Proposals for fee levels at the Unified Patent Court). 128 GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. X – Financing of the Unified Patent Court, „It should not come as a surprise that the objective of a fully self-financed UPC cannot be attained in the first years of operations.“
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Kostenmodell, das hohe Gerichtsgebühren vorsieht, nicht annähernd den für das EPG projizierten Kostenbedarf deckt. 129 In Bezug auf die Kostendeckung nach der Übergangszeit legt sich die Studie nicht fest. Scheinbar wird erwogen, dass auch später das EPG zusätzlich finanziell durch die Vertragsmitgliedstaaten unterstützt werden muss.130 Die Studie setzt sich daher mit „special contributions“, d. h. besonderen Beiträgen, auseinander, die nach einer Übergangszeit zur zusätzlichen Finanzierung des Gerichts durch die Vertragsmitgliedstaaten anfallen.131,132 Außerdem werden unterschiedliche Vorschläge zur Kostensenkung gemacht.133 4. Kritik Die Annahmen zu den Gerichtskosten sind nur eingeschränkt auf das EPGSystem anwendbar, da sie von nicht-variablen Gerichtsgebühren ausgehen. In der endgültigen Fassung des EPGÜ sieht Art. 36 Abs. 3 jedoch neben einer Festgebühr zusätzliche, streitwertabhängige Gebühren vor.134 Außerdem ist nicht nachvollziehbar, dass der Studie zugrunde gelegt wurde, Nichtigkeitswiderklagen bzw. -einreden würden durchschnittlich in 60 Prozent der Patentverletzungsverfahren erhoben. Ein Wert von 20 – 25 Prozent im Trennungssystem erscheint nach der obigen Untersuchung des dt. Systems zu niedrig.135 Die tatsächlichen Kosten dürften daher höher ausfallen als die Studie vermuten lässt.
III. Ergebnis: Gerichtskosten ungewiss Das Ziel des EPGÜ ist die angemessene Verteilung der Gerichtskosten unter Wahrung des freien Zugangs zum Gericht. Um dieses Ziel zu erreichen, soll das EPG grundsätzlich allein durch Gerichtskosten finanziert werden, die sich aus einer 129
GD MARKT-Studie (Fn. 114), Table IX.3, Ausgaben werden hier maximal zu 75,4 % gedeckt. 130 GD MARKT-Studie (Fn. 114), Part XI – Conclusions and Proposals, „(…) since initial and special contributions will be necessary (…)“. 131 Derartige Beiträge sind von Art. 36 Abs. 4 EPGÜ gedeckt. 132 Die Autoren schlagen hier u. a. einen Verteilungsschlüssel für Beiträge der Mitgliedstaaten vor, der i. R. d. EPLA in den Art. 91 und 21 angedacht war. GD MARKT-Studie (Fn. 114), Pt. XI – Financing Models. Diese Anregung wurde letztlich in die endgültige Fassung des Übereinkommenstextes übernommen, vgl. Art. 19 Abs. 4. 133 Etwa sollten in der anfänglichen Phase Verträge zwischen dem EPG und verschiedenen nationalen Gerichten der Vertragsmitgliedstaaten gewährleisten, dass bereits existierende Einrichtungen als Nebenstellen der Kanzlei verwendet werden können. Außerdem könnten Anreize für kleine Staaten geschaffen werden, Regionalkammern beizutreten. Siehe GD MARKT-Studie (Fn. 114), Part XI – Conclusions and Proposals. 134 Anders Art. 18 a. F., s. etwa Draft Agreement on a Unified Patent Court and Draft Statute vom 2. September 2011, Ratsdok. Nr. 13751/11, Art. 18. 135 Vgl. auch o., Kap. 3 B. II.
D. Rechtssicherheit
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Festgebühr zuzüglich eines streitwertabhängigen Betrages zusammensetzen. Es ist aber ausdrücklich geregelt, dass der Gerichtshaushalt in der Übergangszeit durch Beträge der Mitgliedstaaten ausgeglichen wird und dass, ggf. auch dauerhaft, besondere Finanzbeiträge durch die Mitgliedstaaten bereitgestellt werden. Die untersuchte Studie bestätigt, dass die Mitgliedstaaten das EPG zumindest übergangsweise finanziell unterstützen müssen. Ihre Aussage, dass voraussichtlich hohe Gerichtsgebühren (von 12.000 EUR für Verletzungs- bzw. Nichtigkeitsklagen136) anfallen werden, ist jedoch nur eingeschränkt verwertbar, da die Studie von einer streitwertunabhängigen Festgebühr ausgeht. Bisher ist auch noch nicht bekannt, wie die im EPGÜ genannten „gezielten Unterstützungsmaßnahmen“ für KMU (vgl. Art. 36 Abs. 3 Satz 5 EPGÜ) konkret aussehen bzw. ob und, ggf., unter welchen Umständen sie tatsächlich gewährt werden. Somit bleibt die Höhe der Gerichtsgebühren im Falle eines EU-Patentstreits vorerst ungewiss.
D. Rechtssicherheit Der Bestand des neuen EU-Patentsystems hängt vom Erfolg des EPG und des Einheitspatents ab. In Bezug auf das EPG ist neben Gerichtkosten von entscheidender Bedeutung, ob die Nutzer auf die Qualität des Gerichts und seiner Urteile vertrauen. Ansonsten besteht das Risiko, dass Nutzer von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen, für EP die Zuständigkeit des Gerichts durch einen Opt out auszuschließen. Mangelnde Beteiligung am System könnte zu Finanzierungsengpässen für das EPA [Stichwort: Selbstfinanzierung und Kostenabfluss an die Mitgliedstaaten, vgl. o., B. II. 2. a) bb)] und ultimativ zu seinem Scheitern führen. Ein Vertrauen in die Qualität und den Rechtsbestand der Urteile hängt entscheidend von der Konzeption des Systems ab. Insbesondere werden vier Aspekte kritisch diskutiert: Erstens besteht die Befürchtung Einiger über eine mögliche Beteiligung des EuGH als „faktische Dritte Instanz“, die bereits 2006 in einer Befragung zum Gemeinschaftspatent ausdrücklich abgelehnt wurde137 (s. u., I.). Zweitens steht die Frage im Raum, ob nationale Gerichte, die ggf. während des Übergangszeitraums für Nichtigkeits- und Verletzungsklagen zuständig sind, das EPGÜ anwenden könnten bzw. anzuwenden hätten (s. u., II.) und, drittens, ist fraglich, welche Auswirkungen das im EPG-System geltende Prinzip der Multinationalität einschließlich des sog. 136 137
s. Fn. 126. Vgl. o., Kap. 1 IV.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Richterpools auf die Harmonisierung der Rechtstraditionen und damit die Gewährleistung eines gleichbleibenden Niveaus haben wird (s. u., III.). Viertens wird befürchtet, dass Rechtsunsicherheit wegen nicht harmonisierter, weiterhin im nationalen Recht geregelter, Bereiche entsteht (s. u., IV.).
I. Beteiligung des EuGH Die „Umschichtung“ der Art. 6 – 8 EPatVO in die Art. 25 – 27 EPGÜ wurde mit dem Ziel vorgenommen, um eine Überprüfung der Anwendung und Auslegung der Vorschriften zum materiellen Patentrecht durch den EuGH zu verhindern.138 Diese Absicht hat der vorangegangene Streit zwischen dem EP und dem Rat der Europäischen Union hinreichend offenbart.139 Die endgültige Fassung der EPatVO verweist nunmehr in Art. 5 Abs. 3 EPatVO lediglich auf die Rechtsvorschriften, „die für Europäische Patente mit einheitlicher Wirkung in dem teilnehmenden Mitgliedstaat gelten, dessen nationales Recht auf das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung als ein Gegenstand des Vermögens nach Artikel 7 anwendbar ist“. Damit wird praktisch auf Art. 25 – 27 EPGÜ für die Länder verwiesen, die das Übereinkommen ratifiziert haben.140 Die Herausnahme der Artikel ist sicherlich als ein Entgegenkommen an die Nutzer des Systems zu werten. Zuvor sprachen sich etwa mit Business Europe141 und der ICC142 wichtige Vertreter der Industrie gegen die Aufnahme der Art. 6 – 8 in die endgültige Fassung der EPatVO aus. 138
Eine Überprüfung im Wege von Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV wurde kritisiert. Pagenberg etwa befürchtete eine substantielle „Verzögerung des Verfahrens“ und „erhebliche Rechtsunsicherheit“, da der EuGH nicht in Patentstreitigkeiten erfahren sei, s. Pagenberg, GRUR 2011, 32; s. auch Carr anlässlich einer Befragung zum EPGÜ, Carr, House of Commons: Unified Patent Court – Help or Hinderance, verfügbar unter: http://www. publications.parliament.uk/pa/cm201012/cmselect/cmeuleg/1799/179906.htm, Rn. 69. Vgl. hierzu auch o., Kap. 1 B. IV. Diese Besorgnis wird auch in wirtschaftlichen Kreisen getragen – bereits in der Umfrage unter Patentnutzern von 2006 wurde eine EuGH-Beteiligung an Patentstreitigkeiten überwiegend abgelehnt, s. auch Carr, Deputy High Court Judge, zu Erfahrungen mit Vorabentscheidungsverfahren bei der Gemeinschaftsmarke, Carr, House of Commons: Unified Patent Court – Help or Hinderance, verfügbar unter: http://www.publicati ons.parliament.uk/pa/cm201012/cmselect/cmeuleg/1799/179906.htm, Rn. 69 (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 139 So auch Koekoek, Final EU patent deal could be in reach, verfügbar unter: http://science business.net/news/75944/Final-EU-patent-deal-could-be-in-reach (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), „The move was intended to limit the role of the EU Court of Justice (…)“. 140 s. auch o., Kap. 4 D. I. 1. c). 141 Keine unmittelbare Quelle verfügbar, vgl. bspw. Pagenberg, President’s Report 2011 der AIPPI, S. 2, verfügbar unter: http://www.eplaw.org/Downloads/President%27s%20Report.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 142 ICC letter on Unitary Patent Protection Regulation – Articles 6 – 8 vom 14. November 2011, verfügbar unter: http://www.iccwbo.org/Data/Policies/2011/ICC-letter-on-Unitary-
D. Rechtssicherheit
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Bereits oben wurde die Frage diskutiert, ob diese Auslagerung materieller Normen gegen EU-Recht verstößt.143 Zu dem Verfahren Spaniens gegen die Rechtmäßigkeit der EPatVO ist bis zum heutigen Zeitpunkt (Juli 2014) noch kein Urteil ergangen. Die Erfolgsaussichten Spaniens sind aber gering.144 Hier soll dagegen diskutiert werden, ob im Falle einer Rechtmäßigkeit der EPatVO der EuGH möglicherweise eine Überprüfungskompetenz bzgl. der materiellen Regelungen im EPGÜ hätte. 1. Vorabentscheidungsverfahren über materielles Patentrecht möglich? Dieser Abschnitt untersucht die Frage, ob der EuGH sich möglicherweise trotz der Streichung der Artikel in der EPatVO für eine Überprüfung der nun in Art. 25 – 27 EPGÜ geregelten materiellen Regelungen zuständig erklären könnte. Ein originäres Prüfungsrecht bezüglich des EPGÜ als völkerrechtlichem Vertrag steht dem EuGH nach seiner bisherigen Rspr. nicht zu.145 Der vorliegende Fall könnte jedoch – sofern der EuGH, entgegen der Meinung des Verfassers, der Auffassung ist, die Rechtsgrundlage des Art. 118 Abs. 1 AEUV setze notwendigerweise auch die Regelung materiellen Patentrechts voraus – eine neue Fallgruppe darstellen. Ein legitimes Bedürfnis zur Ausweitung der Kompetenzen bestünde, da ansonsten eine Verschiebung von EU-Rechts-Materie in einen völkerrechtlichen Vertrag vorläge, durch die die Materie der Kontrolle durch den EuGH entzogen würde. Entsprechend könnte der Gerichtshof zur Wiedererlangung seiner Überprüfungshoheit entscheiden, dass das EPG (als gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten) Auslegungsfragen (auch) bezüglich der Regelungen des EPGÜ vorlegt, die in der EPatVO hätten geregelt werden müssen.146 Die Souveränität von Drittstaaten wäre nicht betroffen, da sich das EPGÜ in seiner beschlossenen Fassung ausschließlich auf EU-Vertragsstaaten beschränkt, die teilnehmende Mitgliedstaaten der verstärkten Zusammenarbeit sind.
Patent-Protection-Regulation-%E2%80%93-Articles-6-8/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 143 Vgl. o. A. I. 2. d). 144 s. o., A. 145 Vgl. EuGH, Beschluss vom 12. November 1998, Rs. C-162/98, Slg. 1998, I-7083, Rn. 8 f. (Hartmann). 146 Die Gefahr, dass der EuGH seine Kompetenzen als eingeschränkt ansieht, äußert auch der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) in einem Treffen vom 26. November 2012. Aus dem Videomitschnitt zitiert: „It [CJEU] might say that basically it is competent only for interpretation of community law – whats in the regulation itself. But it’s also possible to imagine that the court might feel that – when it has to judge whether the regulation is in conformity with European law – that it might say, well, part of this patent law is still to be assessed under national law so it might feel on the scope it can rule.“.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Gewissermaßen würde so eine Auslegung des Übereinkommenstexts im Lichte der Verträge ermöglicht. Ein Ausufern dieser Auslegungskompetenz wäre nicht zu befürchten, da sich eine Überprüfung lediglich auf die klar umgrenzten Normen bezöge, auf die Art. 5 Abs. 3 EPatVO verweist.147 2. Theoretische Häufigkeit von Vorabentscheidungsverfahren über materielles Patentrecht Eine Mitwirkung des EuGH wäre nur dann ein potenzieller Kritikpunkt am EPGSystem, wenn sie auch spürbare Auswirkungen auf das EU-Patent und seine Gerichtsbarkeit hätte. Dies hängt davon ab, ob das EPG (v. a. das Berufungsgericht) überhaupt regelmäßigen Anlass hätte, Vorabentscheidungsfragen an den EuGH zu formulieren. Grundsätzlich besteht nur für letztinstanzliche Gerichte gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV eine „Pflicht“ zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen.148 Diese Pflicht ist zwar eher theoretischer Natur, da grundsätzlich die unabhängigen nationalen Gerichte, nicht der EuGH, für das Einleiten des Verfahrens, zuständig sind. Dennoch kann eine widerrechtliche Nichtvorlage zu Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 f. AEUV führen.149 Im Fall des EPG wären i. d. R. die Berufungskammern der Lokal- und Regionalkammern von einer Vorlagepflicht betroffen. Bei einer „vorwerfbaren“ Nichtvorlage könnten die Vertragsmitgliedstaaten über Vertragsverletzungsverfahren sanktioniert werden.150,151 Eine Pflicht zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen bestünde aber nur, solange tatsächlich eine Auslegungsdivergenz zu befürchten wäre. Nach der vom EuGH entwickelten acte clair Doktrin ist das nicht der Fall, wenn „die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten 147 Ohly sieht dagegen aufgrund von Art. 2 EPatVO eine Auslegbarkeit des EPGÜ durch den EuGH als möglicherweise gegeben an. „Abs. 2 betont die Einheitlichkeit des Schutzes, was dafür spricht, dass jedenfalls das EPGÜ ins Unionsrecht inkorporiert wird und vom EuGH in vollem Umfang ausgelegt werden kann.“ Er hält sogar eine Auslegbarkeit von Normen des EPÜ für vertretbar. Siehe Ohly, Auf dem Weg zum Einheitspatent und zum Einheitlichen Patentgericht – Licht am Ende des Tunnels oder Tunnel am Ende des Lichts?, ZGE 2013, 419, 437. 148 Letztinstanzliches Gericht ist dem Wortlaut des Art. 267 Abs. 3 AEUV nach ein solches Gericht, „dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können (…)“. Dies wird das Berufungsgericht des EPG in Luxemburg betreffen. 149 Die nationalen Gerichte sollen gerade nicht zur Vorlage gezwungen werden, vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 267 AEUV, Rn. 33 f. m. w. N. 150 Vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. El. 2012, Art. 267, Rn. 72. 151 Vgl. zur Einführung der Schadensersatzpflicht bei Nichtvorlage auch das Gutachten 1/09 des EuGH; für die später eingeführte Haftung des EPG s. Kap. 4 F. II. sowie Art. 20 – 23 EPGÜ.
D. Rechtssicherheit
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des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen.“152,153 Tilmann meint, es bestehe schon kein Bedarf (und keine Pflicht) für Vorlagefragen, da das in Art. 25 – 27 EPGÜ geregelte materielle Patentrecht acte clair sei. Die relevanten Auslegungsfragen seien bereits weitgehend durch Gerichtsentscheidungen in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten gelöst worden.154 Die Mitgliedstaaten hätten dieselben, jedenfalls aber sehr ähnliche Regelungen, welche seit dem Luxemburger Übereinkommen von 1985 bzw. 1989155 „gemeinschaftliches Eigentum“ („common property“) der Mitgliedstaaten seien. Diese Fragen müssten daher nicht durch den EuGH neu entschieden werden.156 Nach den Grundsätzen des EuGH wäre die Regelungsmaterie acte clair, wenn (i)
das Luxemburger Übereinkommen mit den Art. 25 – 27 EPGÜ übereinstimmt;157
(ii) der Wortlaut des Luxemburger Übereinkommens im Wesentlichen von den Mitgliedstaaten übernommen wurde158 und (iii) die Auslegung der relevanten Normen durch die nationalen Gerichte – zumindest überwiegend – einheitlich wäre.
Diese Überlegungen bedürfen einer Überprüfung.
152
EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Rn. 21 (C. I. L. F. I. T.). Die Anwendung der acte clair Doktrin wurde auch für dt. Gerichte bestätigt. Das BVerfG hat u. a. ihre korrekte Anwendung als Voraussetzung dafür gemacht, dass das Ablehnen eines Vorabentscheidungsersuchens durch nationale Gerichte den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Der EuGH ist damit faktisch gesetzlicher Richter im Sinne der Norm. Vgl. BVerfG, Urteil vom 25. Februar 2010, Az.: 1 BvR 230/09, NJW 2010, 1268; Thüsing/Pötters/Traut, Der EuGH als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 I 2 GG, NZA 2010, 930. 154 Tilmann, HC 1799 European Scrutiny Committee Written evidence, Rn. 7, verfügbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm201012/cmselect/cmeuleg/1799/1799vw06. htm (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015), a. A.: Kraßer, Auswirkungen einer Einbeziehung von Vorschriften über Inhalt und Grenzen der Verbietungsrechte des Patentinhabers in eine EU Verordnung zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Patentschutzes, S. 7, verfügbar unter: http://www.eplawpatentblog.com/2011/September/Opinion%20Prof%20Kras ser.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 155 Anm.: Damit ist das GPÜ gemeint. 156 Vgl. Tilmann (Fn. 26), s. II. 157 Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass der Wortlaut zumindest in den Unterzeichnerstaaten des Luxemburger Übereinkommens generell übereinstimmt. 158 Dies ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Luxemburger Übereinkommen überhaupt zu einer Rechtsangleichung im Hinblick auf die Art. 25 – 27 GPÜ beigetragen hat. 153
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
a) Im Wesentlichen übereinstimmender Wortlaut In den nachfolgenden Tabellen wird exemplarisch Art. 25 EPGÜ Art. 25 GPÜ159 gegenübergestellt (i). Beide regeln die Wirkung des Patents bei seiner unmittelbaren Verletzung. Außerdem werden am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens aktuelle Fassungen gleichbedeutender Regelungen gegenübergestellt und mit Art. 25 EGPÜ (bzw. Art. 25 GPÜ, sofern weitgehend identisch) verglichen. Wenn diese wiederum mit Art. 25 EPGÜ weitgehend identisch wären, läge wiederum nahe, dass dies auch für Art. 26 f. EPGÜ zutrifft. Außerdem könnte darauf geschlossen werden, dass auch in anderen Unterzeichnerstaaten des Luxemburger Übereinkommens eine entsprechende Gesetzeslage vorliegt (ii). Die Schwäche dieses Ansatzes liegt darin, dass er keinen Aufschluss darüber gibt, wie die Gesetzeslage in Staaten ist, die nicht Unterzeichner des Luxemburger Übereinkommens sind. Nichtsdestotrotz wurde der Ansatz gewählt, um ein ungefähres Bild über die Rechtsvereinheitlichung der materiellen Patentvorschriften zu erhalten. Art. 25 GPÜ (dt. Fassung)
Art. 25 EPGÜ (dt. Fassung)
Das Gemeinschaftspatent gewährt seinem Inhaber das Recht, es Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung
Ein Patent gewährt seinem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung
a) ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
a) ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
b) ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden, oder, wenn der Dritte weiß oder es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Gebiet der Vertragsstaaten, anzubieten;
b) ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden, oder, falls der Dritte weiß oder hätte wissen müssen, dass die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen dieses Patent Wirkung hat, anzubieten;
c) das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestelltes Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
c) ein durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestelltes Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
159
Zur Entstehungsgeschichte des GPÜ s. o, Kap. 1 B. IV.
D. Rechtssicherheit
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Art. 25 GPÜ (engl. Fassung)
Art. 25 EGPÜ (engl. Fassung)
A Community patent shall confer on its proprietor the right to prevent all third parties not having his consent:
A patent shall confer on its proprietor the right to prevent any third party not having the proprietor’s consent from the following:
(a) from making, offering, putting on the market or using a product which is the subject-matter of the patent, or importing or stocking the product for these purposes;
(a) making, offering, placing on the market or using a product which is the subject matter of the patent, or importing or storing the product for those purposes;
(b) from using a process which is the subject-matter of the patent or, when the third party knows, or it is obvious in the circumstances, that the use of the process is prohibited without the consent of the proprietor of the patent, from offering the process for use within the territories of the Contracting States;
(b) using a process which is the subject matter of the patent or, where the third party knows, or should have known, that the use of the process is prohibited without the consent of the patent proprietor, offering the process for use within the territory of the Contracting Member States in which that patent has effect;
(c) from offering, putting on the market, using, or importing or stocking for these purposes the product obtained directly by a process which is the subject-matter of the patent.
(c) offering, placing on the market, using, or importing or storing for those purposes a product obtained directly by a process which is the subject matter of the patent.
§ 9 PatG
Art. 25 EPGÜ (dt. Fassung)
Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung
Ein Patent gewährt seinem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung
1. ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
a) ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
2. ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten;
b) ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden, oder, falls der Dritte weiß oder hätte wissen müssen, dass die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen dieses Patent Wirkung hat, anzubieten;
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
3. das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
c) ein durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestelltes Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
Sec. 60 (1) a – c Patents Act
Art. 25 EPGÜ (engl. Fassung)
(1) Subject to the provisions of this section, a person infringes a patent for an invention if, but only if, while the patent is in force, he does any of the following things in the United Kingdom in relation to the invention without the consent of the proprietor of the patent, that is to say –
A patent shall confer on its proprietor the right to prevent any third party not having the proprietor’s consent from the following:
(a) where the invention is a product, he makes, disposes of, offers to dispose of, uses or imports the product or keeps it whether for disposal or otherwise;
(a) making, offering, placing on the market or using a product which is the subject matter of the patent, or importing or storing the product for those purposes;
(b) where the invention is a process, he uses the process or he offers it for use in the United Kingdom when he knows, or it is obvious to a reasonable person in the circumstances, that its use there without the consent of the proprietor would be an infringement of the patent;
(b) using a process which is the subject matter of the patent or, where the third party knows, or should have known, that the use of the process is prohibited without the consent of the patent proprietor, offering the process for use within the territory of the Contracting Member States in which that patent has effect;
(c) where the invention is a process, he disposes of, offers to dispose of, uses or imports any product obtained directly by means of that process or keeps any such product whether for disposal or otherwise.
(c) offering, placing on the market, using, or importing or storing for those purposes a product obtained directly by a process which is the subject matter of the patent.
Die Gegenüberstellung der deutschen und englischen Fassungen von Art. 25 GPÜ und Art. 25 EPGÜ offenbart weitgehende Übereinstimmungen im Wortlaut (hervorgehoben). Außerdem stimmen die geltenden Fassungen des deutschen PatG bzw. des englischen Patents Act mit dem Wortlaut des EPGÜ im Wesentlichen überein. Vor allem geht aus dem Vergleich der unterschiedlichen Fassungen hervor, dass sämtliche Benutzungshandlungen (entspr. dem EPGÜ) bereits im PatG bzw. im Patents Act geregelt sind. Die deutsche Fassung des § 9 PatG stimmt nahezu
D. Rechtssicherheit
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wortgleich mit Art. 25 EPGÜ überein. In den englischen Fassungen ergeben sich geringfügige Unterschiede. Insbesondere ist in der aktuellen Fassung von Sec. 60 (1) Patents Act die Rede von „dispose of“ und „offer to dispose of“ gegenüber Art. 25 EPGÜ mit „offering“ und „placing on the market“. Ein „Angebot über etwas zu verfügen“ („offer to dispose of“) entspricht jedoch im Wesentlichen dem „in Verkehr bringen“ („placing on the market“). Beide Fassungen unterscheiden sich in Bezug auf den Verschuldensgrad bei der Verletzung von Verfahrenspatenten von Art. 25 EPGÜ. Die aktuellen Fassungen fordern, dass es „auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist“ (bzw. „it is obvious to a reasonable person in the circumstances, that its use there without the consent of the proprietor would be an infringement of the patent“). Art. 25 EPGÜ dagegen fordert, dass der Patentverletzer „hätte wissen müssen, dass die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist“ (bzw. „[the patent infringer] should have known, that the use of the process is prohibited without the consent of the patent proprietor“). Der Vergleich mit Deutschland und Großbritannien legt es nahe, dass auch andere Unterzeichnerstaaten des Luxemburger Übereinkommens über weitgehend ähnliche Regelungen verfügen, weshalb von einem hohen Grad der Harmonisierung des Wortlauts der materiellen Regelungen durch das Luxemburger Übereinkommen gesprochen werden kann.160 b) Einheitliche Auslegung Für eine Anwendbarkeit der acte clair Doktrin müsste aber auch die Auslegung der relevanten Normen durch die nationalen Gerichte einheitlich sein. Gegen eine einheitliche Auslegung spricht, dass das GPÜ mangels ausreichender Ratifikationen nie in Kraft trat. Eine höhere, gemeinsame Instanz der Mitgliedstaaten zur rechtsangleichenden Auslegung der Normen des GPÜ hat es dementsprechend nie gegeben. Auch die Rechtsprechung des EPA zum EPÜ hat nicht zu einer vereinheitlichenden Auslegung der Vorschriften über die Wirkung des Patents geführt. Grund dafür ist, dass EP nach ihrer Erteilung nationalem Recht unterliegen (Art. 2 Abs. 2 EPÜ). Inhaltsgleiche bzw. -ähnliche Regelungen wurden daher nicht in das EPÜ aufgenommen.161 160
Brandi-Dohrn berichtet, dass sogar der Wortlaut des Art. 25 GPÜ seinen Weg in die meisten nationalen Patentgesetze in Europa gefunden hätte, da die Staaten bereit waren, ihr nationales Recht im Hinblick auf das scheinbar nahende Gemeinschaftspatent zu koordinieren, s. Brandi-Dohrn, Some Critical Observations on Competence and Procedure of the Unified Patent Court, IIC 2012, 372, 378. 161 Eine Ausnahme hierzu stellt Art. 64 Abs. 2 EPÜ dar, nach welchem sich bei Verfahrenspatenten der Patentschutz auf die durch das Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse erstreckt. Außerdem wird gem. Art. 69 EPÜ der Schutzbereich der EP einheitlich bestimmt.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Auch in der Praxis lässt sich eine unterschiedliche Auslegung der einzelnen Merkmale der Normen feststellen. Beispielsweise werden die oben beschriebenen Begriffe „Anbieten“ bzw. „offer to dispose of“, die ihrer Bedeutung nach übereinstimmen (vgl. o.), unterschiedlich ausgelegt. Der englische Wortlaut wird von den Gerichten dahingehend ausgelegt, dass keine Verletzung vorliegt, wenn ein Angebot schon vor Patentablauf gemacht wird, eine Lieferung jedoch erst nach Ablauf des Patents stattfindet. Im deutschen Recht wird der Begriff des Anbietens indes weiter ausgelegt. Auch Fälle, in denen sich das Angebot vor Patentablauf auf Geschäfte und Lieferung nach Ablauf des Patentschutzes bezieht, werden nach deutschem Patentrecht erfasst.162 Kraßer weist zu Recht darauf hin, dass sich anhand der Entwicklung des Patentrechts in Deutschland abgelesen lässt, dass einiger Anlass zur einheitlichen Klärung der einzelnen Verletzungshandlungen besteht. Beispielsweise beträfe dies die Frage, ob ein „Herstellen“ im Sinne von Art. 25 lit. a, b EPGÜ auch dann vorliegt, wenn ein Dritter nur den Teil eines Produktionsprozesses durchführt, der wiederum von einem anderen vervollständigt wird. Unter Umständen könnte in solchen Fällen die Herstellung des Produkts insgesamt der Partei als unmittelbare Patentverletzung zugerechnet werden, die mit der Herstellung begonnen hat. Aber auch der Erzeugnis-Begriff des Art. 25 lit. c EPGÜ kann seiner Auffassung nach Gegenstand unterschiedlicher Auslegung sein. So könnte zweifelhaft sein, ob von dem Begriff des (durch ein Verfahren unmittelbar hergestellten) Erzeugnisses nur physische Objekte erfasst sind oder auch unkörperliche Ergebnisse eines Verfahrens wie Klang, Licht, Hitze oder elektrische Energie.163 Selbst wenn der Wortlaut der aktuellen Patentgesetze in den Mitgliedstaaten bereits identisch ist, bedeutet dies nicht ohne weiteres, dass die acte clair Doktrin anwendbar ist. Die Doktrin setzt voraus, dass die richtige Antwort auf die Rechtsfrage derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.164 Damit wird faktisch eine Gewissheit, zumindest aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Offenkundigkeit der richtigen Anwendung von Unionsrecht, vorausgesetzt. Schon vor dem Hintergrund, dass das Luxemburger Übereinkommen von nur wenigen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass das EPG ohne Weiteres zu einem solchen Grad der Überzeugung gelangen und daher dem EuGH keine Vorlagefrage vorlegen wird. Das EPG könnte sich etwa im Einzelfall die Frage stellen, ob eine bestimmte Auslegung derart eindeutig ist, dass ein Rechtsgutachten über die Einheitlichkeit 162 Vgl. hierzu vertiefend Gruber/von Zumbusch/Haberl/Oldekop, Europäisches und internationales Patentrecht, 7. Aufl. München 2012, Rn. 21.08 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006, Az.: X ZR 76/05, GRUR 2007, 221 (Simvastatin) bzw. Gerber Garment v. Lectra Systems (1995) RPC 383. 163 Für weitere Beispiele potenziell uneinheitlicher Auslegung, auch im Hinblick auf die Art. 26 f. EPGÜ, s. Kraßer, (Fn. 154), S. 2 ff. 164 EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-283/81, Slg. 1982, 3415 (C.I.L.F.I.T.), vgl. insb. die zusammenfassende Antwort auf die Vorlagefrage.
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der Rechtsauslegung nicht eingeholt werden müsste. Nur dann dürfte eine Offenkundigkeit zu bejahen sein. 3. Zwischenergebnis Die Untersuchung der Erfolgsaussichten der derzeit beim EuGH anhängigen Nichtigkeitsklage Spaniens hat ergeben, dass Art. 118 Abs. 1 AEUV nicht voraussetzt, dass die nun in Art. 25 – 27 EPGÜ enthaltenen materiellen Regelungen auf EUEbene zu regeln gewesen wären.165 Sollte der EuGH diesbezüglich anderer Auffassung sein, wäre nach den obigen Erwägungen zumindest denkbar, dass er sich eine Überprüfungskompetenz bezüglich der materiellen Regelungen der Art. 25 – 27 EPGÜ einräumt. Ohly gibt daher zutreffend an, der EuGH sei hier Richter in eigener Sache, der die „Reichweite seiner Zuständigkeit selbst bestimmen kann“.166 Sollte dies der Fall sein, dürften die Kammern bzw. das gemeinsame Berufungsgericht ein Recht bzw. eine Pflicht zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen haben, da trotz eines weitgehend übereinstimmenden Wortlauts korrespondierender Regelungen in den Vertragsmitgliedstaaten in vielen Fällen keine einheitliche Auslegung gegeben sein dürfte und daher die Ausnahme, dass die Rechtsmaterie acte clair ist, nicht greifen dürfte.
II. Anwendung des EPGÜ durch nationale Gerichte während des Übergangszeitraums? Umstritten167 ist die Frage, ob für den Fall, dass ein Patentinhaber von seiner Möglichkeit zum Opt out168 nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ Gebrauch macht bzw. wenn Verletzungs- oder Nichtigkeitsklagen nach Art. 83 Abs. 1 EPGÜ vor nationalen Gerichten anstatt vor dem EPG erhoben werden, die nationalen Gerichte nationales Recht oder das EPGÜ anzuwenden haben.
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Vgl. o., A. Ohly, ZGE 2012, 419, 433. 167 s. etwa Steins, The Unified Patent Court and the Transitional Regime Controversies, verfügbar unter: http://kluwerpatentblog.com/2014/03/03/the-unified-patent-court-and-the-tran sitional-regime-controversies/ (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 168 Für die Möglichkeit eines Opt outs, d. h. den Ausschluss der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ, vgl. o., Kap. 4 E. III. 3. 166
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
1. Grundlegende Bedeutung Die Frage, ob nationale Gerichte ggf. auf Grundlage des EPGÜ entscheiden, ist von grundlegender Bedeutung, da in diesem Fall nicht nur die oben angesprochenen Art. 25 – 27 EPGÜ, sondern womöglich auch die sonstigen prozessualen Bestimmungen des EPGÜ – wie zum Beispiel die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel169 – zu beachten wären170. 2. Wortlaut des Art. 83 EPGÜ nicht eindeutig Befürworter einer Anwendbarkeit des EPGÜ auf nationale Gerichte beziehen sich auf Art. 3 lit. c, d EPGÜ, wonach das EPGÜ für alle europäischen Patente bzw. alle europäischen Patentanmeldungen „unbeschadet des Artikel 83“ gilt. Diese Geltung des Übereinkommens werde jedoch durch Art. 83 Abs. 3 EPGÜ nicht ausgeschlossen, da die Regelung nicht die Frage beantworte, in welchem Maße von der Anwendbarkeit des EPGÜ auf EP (aufgrund von Art. 3 EPGÜ) abgewichen wird. Das EPGÜ erlaube daher für den Übergangszeitraum nur die Wahl eines anderen Gerichtsstands, nicht aber eine Rechtswahl.171 Diese Annahme steht auch der vom Wortlaut des Art. 83 EPGÜ nicht entgegen: Danach können Nichtigkeits- und Verletzungsklagen für EP „weiterhin bei nationalen Gerichten oder anderen zuständigen nationalen Behörden erhoben werden.“. Es findet sich aber kein Wort dazu, dass das EPGÜ172 von den dann zuständigen nationalen Gerichten nicht angewendet werden soll. Das Gleiche gilt für den Opt out nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ, der vorsieht, dass die dort genannten Berechtigten (lediglich) „die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts ausschließen“ können.
169
Steins (Fn. 167); s. insb. zur Anwendung der Art. 56 ff. EPGÜ Schröer, Einheitspatentgericht – Überlegungen zum Forum-Shopping im Rahmen der alternativen Zuständigkeit nach Art. 83 Abs. 1 EPGÜ, GRUR Int 2013, 1102, 1108 f. (im Ergebnis eine Anwendbarkeit ablehnend). 170 Anm.: Diese Normen zu den Voraussetzungen einer Patentverletzung dürften aufgrund umfassender Harmonisierung in der Vergangenheit i. d. R. nicht von der jeweiligen nationalen Regelung abweichen, vgl. insoweit die Ausführungen zur Wortlautähnlichkeit von GPÜ und EPGÜ. Eine Abweichung hierzu stellt z. B. die Bolar-Ausnahme (des Versuchsprivilegs) in Deutschland dar, wie Steins zu bedenken gibt, s. Fn. 167. 171 Steins (Fn. 167). 172 Anm.: Für EP gelten die meisten Art. des EPGÜ soweit nicht ausdrücklich differenziert wird, vgl. die Begriffsbestimmung unter Art. 2 lit. g EPGÜ, die unter dem Begriff Patent „ein europäisches Patent und/oder ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“ versteht.
D. Rechtssicherheit
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3. Auslegung Haben nationale Gerichte nach Umsetzung des EPGÜ durch den jeweiligen Vertragsmitgliedstaat also ggf. das Recht oder sogar die Pflicht das Übereinkommen bei Ausschließung der Zuständigkeit des EPG (Art. 83 Abs. 3 EPGÜ) bzw. Klage vor einem nationalen Gericht (Art. 83 Abs. 1 EPGÜ) anstatt – wie bisher – das jeweilige nationale Recht für EP anzuwenden? Da das Übereinkommen sich hierzu ausschweigt, führt die Antwort notwendigerweise über den Weg der Auslegung. Entscheidend ist eine Untersuchung des Willens der Vertragsmitgliedstaaten als Gestalter des Übereinkommens bzw. des Sinn und Zwecks des EPGÜ. Ausdrücklich wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein derartiger Wille geäußert.173 Steins sieht als Ziel des EPGÜ (und damit als Willen der Vertragsmitgliedstaaten) die kohärente Auslegung des Rechts, das auf EP anwendbar ist. Nationale Gerichte würden diesem Ziel durch Anwendung desselben materiellen Rechts das auch das EPG anzuwenden hat, näherkommen als wenn sie ihre jeweiligen nationalen Gesetze anwendeten. So könnten nationale Gerichte das EPG bei der Auslegung in den ersten Jahren unterstützen. Zudem würde die erste Instanz des EPG bis zu einer Rechtsvereinheitlichung durch die Berufungsinstanz und womöglich auch der EuGH unvermeidlich widersprechende Entscheidungen hervorbringen.174 Den Ausführungen zum Ziel der kohärenten Auslegung und zu wohl unvermeidlich widersprechenden Entscheidungen der Kammern erster Instanz des EPG ist voll und ganz zuzustimmen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass eine parallele Auslegung desselben Rechts – einerseits durch EPG, andererseits durch die Rechtsprechung nationaler Gerichte – diesem Ziel förderlich wäre. Vielmehr würde eine Koexistenz unterschiedlicher, nicht miteinander verbundener, Gerichte eher für Rechtsunsicherheit sorgen, da so ein Dualismus175 innerhalb der Vertragsmitgliedstaaten entstehen würde. Nationale Gerichte wären – im Gegensatz zur ersten Instanz des EPG – an eine Auslegung und Anwendung des Rechts durch das gemeinsame Berufungsgericht nicht gebunden. Nutzer könnten ab Inkrafttreten des EPGÜ nicht mehr mit Sicherheit voraussagen, ob sie ihre Klage bzw. ihre Verteidigung auf das bisherige nationale Recht in einem jeweiligen Vertragsmitgliedstaat oder auf das 173 Vgl. auch Steins (Fn. 167) sowie Tilmann, The transitional period of the UPCA, MittdtPatAnw 2014, 58. 174 Steins (Fn. 167). 175 Es liegt nahe, dass die lediglich national besetzten Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten zumindest für einen Übergangszeitraum bei ihrer bisherigen Rechtspraxis bleiben werden, während das EPG voraussichtlich, entsprechend seiner Konzeption, eher auf eine Vermischung von Rechtstraditionen und ein einheitliches Schutzniveau hinwirken wird. Selbst wenn Richter sowohl als EPG- als auch als nationale Richter fungieren würden, was wahrscheinlich ist, da die interne Zuordnung von Richtern nicht ausschließt, dass ein Richter des erstinstanzlichen Gerichts des EPG zugleich nationaler Richter im jeweiligen Vertragsmitgliedstaat ist, wäre ein Auseinanderfallen der Auslegungen wg. der unterschiedlichen Kammerbesetzungen zu befürchten.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
EPGÜ selbst stützen sollten. Hätten die Vertragsmitgliedstaaten gewollt, dass eine solch grundlegende Änderung der Rechtslage für die nationalen Gerichte während des Übergangszeitraums eintritt, hätten sie dies im EPGÜ ausdrücklich geregelt. Die Tatsache, dass Art. 3 EPGÜ zum Geltungsbereich des Übereinkommens definiert, dass die Übergangsregelungen (Art. 83 EPGÜ) „unbeschadet“ gelten sollen, deutet bereits darauf hin, dass die Regelungen ggf. (auch) als Ausnahme zum Geltungsbereich wirken sollen. Hätte Art. 83 EPGÜ in keinem denkbaren Fall Auswirkungen auf Art. 3 EPGÜ, hätte dieser Verweis keinen Anwendungsbereich. Demnach ist davon auszugehen, dass das EPGÜ für nationale Gerichte im Falle des Opt outs bzw. der nationalen Klage während der Übergangszeit nicht angewendet werden soll. 4. Meinung des Vorbereitenden Ausschusses Im Januar 2014 hat der Vorbereitende Ausschuss (Preparatory Committee) des EPG in einer Pressemitteilung seine Auffassung kundgetan, dass die Regelungen des EPGÜ weder im Falle eines Opt outs i. S. d. Art. 83 noch für den Fall von Nichtigkeits- oder Verletzungsklagen vor einem nationalen Gericht gem. Art. 83 Abs. 1 EPGÜ gelten.176 Stattdessen gelte das jeweilige nationale Recht. Diese Einschätzung des Vorbereitenden Ausschusses ist für nationale Gerichte nicht bindend. Sie dürfte allenfalls eine Wirkung ähnlich derer von Gesetzgebungsmaterialien haben.177 5. Zwischenergebnis Die obige Diskussion des Problems hat aufgezeigt, dass es gute Argumente für eine Anwendbarkeit des EPGÜ durch nationale Gerichte gibt. Allerdings sprechen gewichtigere Argumente, vor allem der aus dem Wortlaut des EPGÜ hervorgehende Wille der Vertragsmitgliedstaaten, dagegen, dass nationale Gerichte ggf. das EPGÜ anwenden und auslegen.
III. Multinationale Zusammensetzung der Kammern als Risikofaktor? Eine weitere Neuerung des EU-Patentsystems ist die multinationale Zusammensetzung der Kammern des EPG. 176 Äußerung des Preparatory Committee vom 27. Januar 2014, verfügbar unter: http:// www.unified-patent-court.org/news/71-interpretative-note-consequences-of-the-application-ofarticle-83-upca (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 177 Vortrag Kather, Schadensersatz nach Patentverletzung – Die deutsche Praxis! EUkonform? EPGÜ-konform?, VPP-Rundbrief Nr. 1/2014, 28, 34.
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Lokal- und Regionalkammern bestehen aus mindestens drei Richtern. Bei Lokalkammern wird bezüglich des Grades der Internationalisierung differenziert: Je nachdem wie viele Patentstreitigkeiten in einer Lokalkammer zuvor jährlich im Durchschnitt verhandelt wurden178, wird sie mit einem bzw. zwei Richtern, die nicht Staatsangehörige des jeweiligen Vertragsmitgliedstaaten sind, besetzt.179 Regionalkammern sind indes aus zwei „regionalen“ Richtern und einem weiteren Richter zusammengesetzt, der kein Staatsangehöriger eines Regionsmitgliedstaats ist (Art. 8 Abs. 4 EPGÜ). Die „internationalen“ Richter stammen aus einem sog. „Richterpool“, dem entsprechend technisch bzw. juristisch, sprachlich und erfahrungsmäßig qualifizierte Richter zugewiesen werden (vgl. Art. 18 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ). Art. 18 Abs. 3 Satz 3 zufolge gewährleistet „die Zuweisung (…), dass sämtliche Spruchkörper des Gerichts erster Instanz mit derselben hohen Qualität arbeiten und über dasselbe hohe Niveau an rechtlichem und technischem Sachverstand verfügen.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Damit zielt das Prinzip der Multinationalität darauf ab, eine hohe Rechtssicherheit und Konsistenz der Entscheidungen des EPG zu gewährleisten. Aktuell ist noch nicht abzusehen, wie sich die internationale Zusammensetzung der Kammern auf die Zusammenarbeit innerhalb der Kammern oder gar die Entscheidungen des EPG auswirken wird. Die weiteren Erwägungen werden sich daher ausschließlich auf die abstrakte Konzeption des Gerichts stützen. Teilweise wird befürchtet, dass schon unterschiedliche Traditionen und Vorverständnisse, die mit einer multinationalen Zusammensetzung einhergehen, zu „Reibungsverlusten“ führten.180 Man wird bei divergierenden Rechtsauffassungen unter Juristen aber wohl kaum davon ausgehen, dass sich „Reibungen“ verringern. Vielmehr liegt es doch nahe, dass ein Austausch für- und widersprechender Argumente stattfindet, als dessen Ergebnis sich die argumentativ stärkere Rechtsauffassung herauskristallisiert. Sicherlich muss die Einführung multinationaler Kammern beim EPG als Kompromisslösung für die unzweifelhaft unterschiedlich ausgeprägte Expertise und Erfahrung der Richter angesehen werden. Nicht jeder Mitgliedstaat wird gleichermaßen von ihr profitieren. Vor allem Mitgliedstaaten mit einer hohen Zahl jährlich verhandelter Patentfälle (v. a. Deutschland als Mitgliedstaat mit den meisten europaweit jährlich verhandelten Patentstreitigkeiten181) dürften keinen besonderen Zugewinn von Erfahrungswerten durch die Beiordnung von Richtern anderer Mitgliedstaaten erfahren. Demgegenüber dürften Lokalkammern mit weniger Erfah178
Die Regelung bezieht sich auf die innerhalb von Jahren vor bzw. nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens durchschnittlich verhandelten Fälle, vgl. Art. 8 Abs. 2 bzw. Abs. 3 EPGÜ. 179 Art. 8 Abs. 2 bzw. Abs. 3 EPGÜ. 180 Ohly, ZGE 2012, 419, 438. 181 Harhoff (Fn. 358).
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
rung182 in Patentstreitigkeiten von einer Unterstützung „externer“ Richter durchaus von einem Erfahrungs- und damit auch einem Wissenszuwachs profitieren.183 Besonders zu beachten ist nämlich, dass Lokalkammern mit weniger als fünfzig Patentverfahren pro Jahr sogar zwei Richter aus einem anderen Mitgliedstaat zugeordnet werden. Damit besteht die Mehrheit der Kammer aus Richtern, die nach der Konzeption des Richterpools über die entsprechende juristische, technische und sprachliche Kenntnis verfügen. Der vermeintlich weniger erfahrene nationale Richter kann damit sogar ggf. von den vermeintlich erfahreneren Richtern überstimmt werden. Letztlich ist damit die multinationale Zusammensetzung des Gerichts ein effizienter Kompromiss zur Erreichung des von der EU gesetzten Ziels, ein neues, gemeinsames Gericht (aller) Mitgliedstaaten mit homogener Entscheidungspraxis zu schaffen. Das Prinzip gewährleistet zudem eine Beschleunigung der Harmonisierung der Rechtsprechung, da nicht erst in der gemeinsamen Berufungsinstanz, sondern schon in erster Instanz, Entscheidungen von Richtern mehrerer Mitgliedstaaten gestützt werden, was eine einheitliche Auslegung vorantreibt und Entscheidungen theoretisch berufungsresistenter machen dürfte. Erst die Entscheidungspraxis wird jedoch zeigen, ob der beim EPG gewählte Ansatz auch tatsächlich zu einer gleichbleibenden Qualität der Entscheidungen in den unterschiedlichen Kammern führen wird. Während der Überganszeit von mindestens sieben Jahren wird die Häufigkeit von Opt outs (Art. 83 Abs. 1 EPGÜ) ein wichtiger Indikator sein, um den Grad der Akzeptanz des EPG zu bemessen.
IV. Rechtsunsicherheit in nicht harmonisierten Bereichen zu befürchten? Einige Regelungsbereiche des Patentrechts wurden nicht durch das Patentpaket geregelt. Sie unterliegen – sofern keine anderen Rechtsquellen einschlägig sind – nationalem Recht.184 Besondere Bereiche, die weder in der EPatVO noch im EPGÜ geregelt sind, betreffen die Übertragung von Patenten185, die Rechte und Pflichten aus vertragli-
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Bspw. Rumänien hat erst seit 1992 ein Patentgesetz, vertiefend zu Reformen s. Strenc, Basic Amendments to the Romanian Patent Law, IIC 2003, 603. 183 So auch Mooney, The Unified Patents Court – an insider’s view, Beitrag vom 12. Juni 2013 im „Unified Patent Court Toolkit“ von Simmons & Simmons, verfügbar unter: http://www.simmons-simmons.com. 184 Vgl. die in Art. 24 EPGÜ genannten Rechtsquellen, insb. Art. 24 lit. e EPGÜ. 185 Eine entspr. Regelung war noch in einem ursprgl. Entwurf der EPatVO enthalten, s. Art. 15 EPatVO-Entwurf vom 29. September 2009, Ratsdok. Nr. 13706/09 (nur auf Englisch verfügbar).
D. Rechtssicherheit
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chen Lizenzen186 sowie Zwangslizenzen187. Im fraglichen Fall ist die Anwendbarkeit des jeweiligen nationalen Rechts durch Art. 7 EPatVO bzw. die Rom-I-188 bzw. die Rom-II-Verordnung189 festzustellen (vgl. Art. 25 Abs. 2 EPGÜ). Die uneinheitliche Regelung dieser Bereiche, könnte ein Risiko für das System darstellen. Maßgeblicher Indikator für eine Risikohaftigkeit ist die potenzielle Akzeptanz der Nutzer des Systems. Diese Akzeptanz wäre aber grds. nur betroffen, wenn die unzureichende Harmonisierung bestimmter Bereiche für Nutzer aus praktischen und/oder rechtlichen Gesichtspunkten potenziell nachteilhaft wäre. Rechtliche Nachteile könnten sich dabei etwa aus praxisfernen Regelungen bzw. Unsicherheiten darüber ergeben, welches Recht Anwendung findet. Praktische Nachteile könnten dadurch auftreten, dass Nutzern erhöhte Kosten entstehen. 1. Übertragung von Patenten Die Übertragung von Patenten sollte nach früheren Entwurfspapieren in der EPatVO geregelt werden. Art. 15 Abs. 1 EPatVO-Entwurf190 setzte eine schriftliche Übertragung mit handschriftlicher Unterschrift der Parteien voraus. Die Übertragung sollte nicht die vor dem Zeitpunkt der Übertragung erworbenen Rechte Dritter beeinträchtigen (Abs. 2) und in ein zentrales Patentregister eingetragen werden (Abs. 3). Nachdem Art. 15 EPatVO-Entwurf gestrichen wurde, treten nun an seine Stelle die Normen des jeweiligen Mitgliedstaats, der nach internationalem Privatrecht zuständig ist. Art. 7 Abs. 1 EPatVO sieht hierzu ausdrücklich vor, dass „(e)in Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens (…) in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des teilnehmenden Mitgliedstaats zu behandeln (ist), in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat (…)“ Das jeweils anwendbare nationale Recht bestimmt sich auf Grundlage von Art. 7 Abs. 1 lit. a, b, Abs. 2, 3 EPGÜ. 186
Art. 19 EPatVO-Entwurf (Fn. 26) sah vor, dass Patente entweder für einige oder sämtliche Mitgliedstaaten der EU lizenziert werden können und, dass der Patentinhaber gegen den rechtsbrüchigen Lizenznehmer die Rechte aus dem Patent geltend machen kann (Abs. 1, 2). Außerdem sollten Lizenzen in ein zentrales Patentregister eingetragen werden (Abs. 3 i. V. m. Art. 15 Abs. 3 EPatVO-Entwurf). 187 Ursprünglich fanden sich Regelungen zu diesen Bereichen in den Vorschlagspapieren zur EPatVO [Art. 21 f. EPatVO-Entwurf (Fn. 26)]. Diese wurden später ersatzlos gestrichen. 188 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-I-Verordnung) vom 17. Juni 2008, ABl. 2008 Nr. L 177, S. 6. 189 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-Verordnung) vom 11. Juli 2007, ABl. 2007 Nr. L 199, S. 40 (u. a. anwendbar bei deliktsrechtlichen Streitigkeiten). 190 s. Fn. 26.
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Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Der Umfang der Übertragung EPeW ist einheitlich in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EPatVO geregelt. Danach kann ein EU-Patent „nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten“ übertragen werden. Damit haben die Nutzer des Systems also ggf. unterschiedlich lautende nationale Anforderungen an eine Übertragung zu beachten. Während beispielsweise in Deutschland eine Übertragung formlos erfolgen kann (durch formlosen Vertrag gem. §§ 413, 398 BGB), setzt Sec. 30 (6) UK Patents Act die Schriftform191 voraus. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass Patentinhaber die Geltung nationalen Rechts für Patentübertragungen als problematisch ansehen. Die in Art. 7 EPGÜ gewählten Anknüpfungspunkte (Sitz der Hauptniederlassung bzw. Wohnsitz bzw. Sitz der EPO für Anmelder außerhalb der teilnehmenden Mitgliedstaaten) sind nachvollziehbar und stellen im Übrigen keine Veränderung zur bisherigen Praxis dar. Der Rechtskreis der Betroffenen beschränkt sich überdies auf den Übertragenden und den neuen Rechtsinhaber. Es dürfte für Vertragsparteien kein Problem darstellen, das nationale Recht am Ort des Übertragenden anzuwenden. Sie dürften i. Ü. eine Patentübertragung i. d. R. ohnehin schriftlich (und mit handschriftlicher Unterschrift) festhalten, sodass auch den strengeren nationalen Anforderungen Genüge getan wäre. Gegenüber der freien Übertragbarkeit von EP auch für einzelne Vertragsstaaten (vgl. Art. 71 EPÜ) ist die Beschränkung der Übertragung von EPeW auf (nur) alle teilnehmenden Mitgliedstaaten nachteilhaft. Inhaber von EPeW sind insoweit weniger flexibel. Allerdings ist diese Beschränkung die notwendige Kehrseite der einheitlichen Wirkung des EU-Patents und kann durch entsprechende Lizenzvergaben umgangen werden (s. u., 2.) 2. Vorschriften über die Rechte und Pflichten aus vertraglichen Lizenzen Ein EU-Patent kann gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 3 EPatVO mit Wirkung für die Gesamtheit oder für einen Teil der teilnehmenden Mitgliedstaaten lizenziert werden. Die sonstigen Regelungen zum Abschluss und der Rechtmäßigkeit192 von vertraglichen Lizenzen unterliegen mangels Regelung in der EPatVO dem nationalem Recht. Lizenzrechte tragen wesentlich zur wirtschaftlichen Nutzbarmachung eines Patents bei und sind damit für Patentinhaber potenziell vorteilhaft. Eine größere Ausgestaltungsfreiheit dieser Rechte durch die Möglichkeit zur Rechtswahl zwischen unterschiedlichen nationalen Rechten kommt Rechtsinhabern zugute. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Rechtslage bei EPeW einen 191
Sec. 30(6) Patents Act lautet „Any of the following transactions (…) shall be void unless it is in writing and is signed by or on behalf of the assignor (…).“. 192 Bspw. bedarf es in einigen Ländern vor Abschluss eines Lizenzvertrags kartell- bzw. wettbewerbsrechtlicher Überprüfungsmaßnahmen.
D. Rechtssicherheit
249
Nachteil gegenüber der für EP geltenden Rechtslage darstellt. Wie ein EP kann auch ein EPeW durch Lizenzen für einen Teil oder die Gesamtheit der Mitgliedstaaten nach freier Gestaltung durch Lizenzgeber und -nehmer nutzbar gemacht werden. Diese Flexibilität kann den Nachteil ausgleichen, dass Übertragungen von EPeW wegen ihrer einheitlichen Wirkung nur für die Gesamtheit der teilnehmenden Mitgliedstaaten erfolgen können. 3. Zwangslizenzen Kraßer definiert die Zwangslizenz als Rechtsinstitut, das es ermöglicht „das Ausschließungsrecht des Patentinhabers aufzubrechen, wo seine Ausübung zum Mißbrauch wird, den technischen Fortschritt oder die wirtschaftliche Entwicklung in untragbarer Weise hemmt, oder der Befriedigung wesentlicher sozialer Bedürfnisse entgegensteht.“193 Damit beschränken Zwangslizenzen das faktische Monopolrecht eines Patentinhabers. Sie stellen eine Ausnahme zu seiner Verfügungsfreiheit (in Form der positiven Vertragsfreiheit, etwa durch Lizenzvergabe) dar. Der 10. Erwägungsgrund der EPatVO regelt ausdrücklich, dass Zwangslizenzen „dem Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihr jeweiliges Hoheitsgebiet unterliegen.“ Außerdem unterliegen Verfahren über Zwangslizenzen nicht der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG. Art. 32 EPGÜ regelt die Zuständigkeit des EPG abschließend und nennt lediglich „Widerklagen in Bezug auf Lizenzen“ (Abs. 1 lit. a) sowie „Klagen auf Zahlung einer Lizenzvergütung“ unter Abs. 1 lit. h, nicht aber Klagen bzw. Widerklagen auf Zwangslizenzen. Insofern gilt Art. 32 Abs. 2 EPGÜ, wonach die nationalen Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten (weiterhin) zuständig sind. Zuvor enthielten die Entwurfspapiere dagegen differenzierte Regelungen in Art. 21, 22 EPatVO-Entwurf, die es ermöglichten, Zwangslizenzen in Bezug auf den gesamten Geltungsbereich des EU-Patent zu erlassen. So sollte das EPG bei Vorliegen eines nationalen Notstands oder in Fällen von äußerster Dringlichkeit, beispielsweise wenn ein äußerst wichtiges öffentliches Interesse besteht, auf Antrag eines Mitgliedstaats die Benutzung eines EU-Patents gestatten dürfen.194 Patentinhaber sollten bei Erteilung einer Zwangslizenz angemessen entschädigt werden.195 Es bleibt also bei unterschiedlichen nationalen Regelungen, wie beispielsweise § 24 PatG. Eine geringere Akzeptanz der Nutzer des neuen Patentsystems durch die Entscheidung, Zwangslizenzen nicht in das Regelungswerk aufzunehmen, ist nicht zu erwarten. Das Gegenteil ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall, da Zwangslizenzen Rechtsinhabern (auch im Falle einer „angemessenen Entschädigung“) schlichtweg nicht zugutekommen. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass sich 193 194 195
Kraßer, Patentrecht, § 34, IV., b.). Art. 21 Abs. 4 EPatVO-Entwurf (Fn. 26). Art. 22 lit. f EPatVO-Entwurf (Fn. 26).
250
Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
in Fällen, in denen die Vergabe einer Zwangslizenz gerichtlich erwirkt werden soll, ein Patentinhaber zuvor i. d. R. geweigert haben wird, eine (freiwillige) Lizenz zu erteilen. Eine supranationale Regelung der Voraussetzungen für den Erlass von Zwangslizenzen wäre daher möglicherweise von Nachteil für Patentinhaber. Der nun gewählte Weg, Zwangslizenzen weiterhin dem nationalen Recht zu unterstellen, kommt daher Patentinhabern tendenziell entgegen. Mitbewerber (bzw. Mitgliedstaaten), die eine Zwangslizenz erwirken wollen, müssen den Rechtsweg vor nationalen Gerichten beschreiten.196 4. Zwischenergebnis Die Untersuchung der weiterhin im nationalen Recht geregelten Bereiche im Zusammenhang mit (Zwangs-)lizenzen und der Übertragung von Patenten hat ergeben, dass eine weiterhin nationale Regelung den Parteien voraussichtlich nicht schaden, sondern nutzen wird. Die Patentübertragung lässt sich flexibler handhaben, wenn auf unterschiedliche nationale Regelungen zurückgegriffen werden kann. Dasselbe gilt für Lizenzrechte, bei denen eine tendenziell größere Ausgestaltungsfreiheit im Zweifel den Beteiligten zugutekommt. Es ist nicht zu erwarten, dass beispielsweise lokale Formerfordernisse für Parteien nicht vorhersehbar sind. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Zwangslizenzen nicht verbindlich für den gesamten Geltungsbereich zu regeln, kommt Nutzern entgegen, da Zwangslizenzen im Zweifel von Nachteil für Rechtsinhaber sind.
196 Unabhängig hiervon ist str., ob Mitgliedstaaten überhaupt für die Genehmigung von Zwangslizenzen zuständig sind: Teilweise wird dies bezweifelt. Das MPI geht davon aus, es sei keine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 2 Abs. 2, 4 AEUV gegeben – selbst wenn Zwangslizenzen zu der Regelungsmaterie der geteilten Zuständigkeit gehörten. Grund dafür sei, dass ansonsten die Mitgliedstaaten in die einheitliche Wirkung des EU-Patents eingreifen würden. Eine bloße Randnummer in den Erwägungsgründen, die erklärt, dass Zwangslizenzen dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen, genüge als Ermächtigung nicht, s. Ullrich, Select from within the System: The European Patent with Unitary Effect, MPI Law Research Paper No. 12-11, S. 43, verfügbar unter: http://www.ip.mpg.de/files/pdf2/ SSRN12-11.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). Zudem seien Zwangslizenzen Regelungsmaterie der EU von der einzelne Mitgliedstaaten nicht abweichen dürften. Ansonsten würde einerseits die einheitliche Wirkung des EU-Patents zerstört, andererseits würde gegen Regeln des freien Wettbewerbs verstoßen. Vgl. Hilty/Jaeger/Lamping/Ullrich, The Unitary Patent Package: Twelve Reasons for Concern, MPI Research Paper, S. 5, verfügbar unter: http:// www.ip.mpg.de/fileadmin/templates/pdf/MPI-IP_Twelve-Reasons_2012-10-17_04.pdf (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015).
E. Fazit
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V. Ergebnis: Keine wesentlichen Bedenken gegen Rechtssicherheit Im vorliegenden Abschnitt wurden das EPeW und das EPG auf ihre voraussichtliche Rechtssicherheit untersucht. Eine Untersuchung der Rechtslage hat ergeben, dass der EuGH möglicherweise für die Anwendung und Auslegung der in den Art. 25 – 27 EPGÜ geregelten materiellen Verletzungstatbestände zuständig ist (vgl. o., I.), was wiederum zu einer Verpflichtung des EPG führen könnte, dem EuGH Fragen zur Auslegung entsprechender Normen zur Vorabentscheidung vorzulegen, da trotz einer gewissen Harmonisierung nationaler Regelungen Auslegungsfragen i. d. R. nicht acte clair sein dürften. Mangels einer Rechtsvereinheitlichung, die über ein von wenigen Mitgliedstaaten ratifiziertes Übereinkommen hinausgeht, dürfte zumeist keine offensichtlich identische Auslegung durch die Mitgliedstaaten gegeben sein. Nationale Gerichte, sofern diese nach Inkrafttreten des EPGÜ zuständig sind, dürften nicht mit Anwendung und Auslegung des Übereinkommens betraut sein (vgl. o., II.). Dennoch ist zu bedenken, dass der Wortlaut des EPGÜ insoweit nicht eindeutig ist, sodass ein gewisses Risiko besteht, dass neben dem EPG auch nationale Gerichte das Übereinkommen in Patentverletzungsstreitigkeiten bezüglich EP zugrunde legen und so möglicherweise dasselbe Recht unterschiedlich ausgelegt wird. Die multinationale Zusammensetzung der Kammern des EPG (s. o., III.) ist eine begrüßenswerte Neuerung. Es ist zu erwarten, dass das Prinzip gegenüber einer rein nationalen Zusammensetzung eine effizientere Rechtsharmonisierung und zudem eine höhere Berufungsresistenz bewirken wird, ohne dass womöglich andersartige Auslegungen von in Patentrechtsfällen relativ unerfahreneren Vertragsmitgliedstaaten Gewicht erhalten. Außerdem ist nicht zu erwarten, dass die nationale Regelung der Übertragung von Patenten, der Rechte und Pflichten aus vertraglichen Lizenzen und der Zwangslizenzen ein Risiko für das EU-Patentsystem darstellt, sondern vielmehr positiv zu werten ist, da sie dem mutmaßlichen Willen von Patentinhabern bzw. Vertragspartnern entspricht (vgl. o., IV.). Insgesamt bleiben damit vor allem in Bezug auf die Auslegung des Rechts durch die Gerichte (ob nationales Gericht oder EPG bzw. EuGH) noch Fragen offen, die zu Unsicherheit bei Rechtsinhabern führen können. Die angesprochenen Risiken sind jedoch eher als gering zu bewerten.
E. Fazit: Keine erheblichen Risiken Im vorliegenden Kapitel wurden die potenziellen Risiken des EU-Patentsystems untersucht.
252
Kap. 5: Risiken für das EU-Patentsystem
Zunächst sind die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklagen gegen die EPatVO sowie die EPatÜbersVO als gering einzuschätzen. Die EPatVO dürfte insbesondere nicht aufgrund einer fehlenden Rechtsgrundlage nichtig sein.197 Auch die EPatÜbersVO dürfte, insbesondere da die Sprachenregelung verhältnismäßig ist, rechtmäßig sein.198 Die Untersuchungen zu den Kosten des Systems auf Grundlage verfügbarer Studien haben ergeben, dass sich weder zu den voraussichtlichen Anmelde- bzw. Jahresgebühren von EPeW noch zu den voraussichtlichen Gerichtsgebühren des EPG konkrete Aussagen machen lassen.199 Potenziell kostenerhöhend wirkt sich jedenfalls aus, dass – aus nicht nachvollziehbaren Gründen – ein nicht unerheblicher Anteil der Jahresgebühren an die teilnehmenden Mitgliedstaaten fließen wird. Allerdings kann aus der Konzeption des Systems bereits jetzt der Schluss gezogen werden, dass die Anmeldung eines Einheitspatents – relativ gesehen – günstiger sein wird als eine EP-Anmeldung und, dass das neue Patent bereits einem durchschnittlichen Patentanmelder zugutekommen wird. Die Finanzierung des EPG ist flexibel ausgestaltet. Die Vertragsmitgliedstaaten des EPGÜ sollen, ggf. auch über eine Übergangsphase hinaus, das Gericht finanziell unterstützen, um einen fairen Zugang zum Gericht zu gewährleisten und ggf. KMU „gezielt“ zu unterstützen. Konkrete Unterstützungsmaßnahmen sind derzeit allerdings noch nicht bekannt. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Kosten eines Einheitspatents die Nutzer abschrecken werden. Eine Untersuchung des Systems auf potenzielle Rechtsunsicherheiten hat ebenfalls ein positives Bild ergeben: Weder hat sich die Kritik des EuGH als „faktische dritte Instanz“ bewahrheitet, noch kann davon ausgegangen werden, dass die fortwährend nationale Ausgestaltung bestimmter Bereiche ein Problem für Beteiligte darstellt. Zudem erscheint die Zusammensetzung der EPG-Kammern durch internationale Richter gelungen. Sie lässt auf einen hohen Grad der Homogenität der Entscheidungen und eine effiziente Rechtsharmonisierung hoffen. Abschließend ist jedoch zu anzumerken, dass der psychologische „Angstfaktor“ vor potenziellen Risiken – ob begründet oder nicht – bei Unternehmen nicht zu unterschätzen ist. So zeichnet sich bereits jetzt ab, dass zu Beginn des Inkrafttretens des EPGÜ eine große Anzahl von Opt outs vorgenommen werden wird.
197 198 199
Für weitere Einzelheiten s. o., A. I. Für weitere Einzelheiten s. o., A. II. Vgl. o., B. I. bzw. II.
Kapitel 6
Vorteile des EU-Patentsystems Das EP-System wurde auf die Möglichkeit, grenzüberschreitende Patentverletzungsverfahren vor nationalen Gerichten zu verhandeln und im Hinblick auf eine bisherige Harmonisierung der nationalen Patentrechte der EU-Mitgliedstaaten untersucht (vgl. o., Kap. 3). Im Rahmen dieser Analyse wurden unterschiedliche Probleme identifiziert, die eine effektive Prozessführung aktuell wesentlich erschweren und/oder zu Rechtsunsicherheit bei den Beteiligten führen. Die für einen angemessenen Interessenausgleich vorteilhaftesten Praktiken der Mitgliedstaaten wurden identifiziert. Im Folgenden wird untersucht, ob das EU-Patentsystem die aufgezeigten Nachteile des EP-Systems adressiert und zugunsten der Beteiligten löst. Dabei wird auf die oben gewonnenen Erkenntnisse zur jeweils besten Praxis zurückgegriffen.
A. Cross-border-injunctions Den in den neunziger Jahren populären Verhandlungen grenzüberschreitender Patentverletzungsfällen hat der EuGH mit den Urteilen Roche/Primus bzw. GAT/LuK faktisch ein Ende gesetzt. Das EU-Patentsystem zielt insbesondere auf die Vermeidung von Parallelprozessen ab. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob innerhalb dieses Systems nun eine gemeinsame Verhandlung in- und ausländischer Patentverletzungen (s. u., II.) sowie mehrerer Beklagter, die – zentral geleitet – gleichartige Patentverletzungen begangen haben (s. u., III.), (wieder) möglich sein wird.
I. Einleitung Das grundsätzliche Verhältnis von EuGVVO und EPGÜ gestaltet sich wie folgt: Nach Art. 31 – 34 EPGÜ hat das EPG weiterhin die Regeln der EuGVVO zur internationalen Zuständigkeit zu beachten.1 Art. 71b Abs. 1 EuGVVO-Änderung sieht jedoch vor, dass das EPG als „gemeinsames Gericht“ für das entsprechende Rechtsgebiet zuständig ist, wenn die Gerichte eines jeweiligen Mitgliedstaats „nach 1
Vgl. Kap. VI (Art. 31 – 34 EPGÜ).
254
Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
Maßgabe“ der EuGVVO zuständig sind. Sobald also die Zuständigkeit eines (teilnehmenden) Mitgliedstaats des EPGÜ gegeben ist, regelt das EPG die weiteren Zuständigkeiten seiner jeweiligen Kammern. Das EPG wird damit als „gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten“ praktisch behandelt wie einzelstaatliche Gerichte nach Feststellung ihrer Zuständigkeit. Entscheidend sind daher im Folgenden die internen Zuständigkeitsregelungen des EPGÜ und deren Vereinbarkeit mit der EuGVVO.2
II. Verhandlung ausländischer Patentverletzungen Ausländische Patentverletzungen sollten vor dem EPG verhandelbar sein. Dieser Abschnitt untersucht, ob derartige Verhandlungen im EPG-System möglich sind. 1. EP-System Im EP-System sind Verletzungen ausländischer Teile eines EP nur sehr eingeschränkt über Art. 4 Abs. 1 EuGVVO vor nationalen Patentgerichten verhandelbar. Die Verhandlung von in- und ausländischen Verletzung(en) eines EP durch einen Beklagten am Ort des Klägers auf Grundlage des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dagegen nicht möglich. 2. EPG Vor dem EPG ist es möglich, sogar beabsichtigt, zentral gegen Patentverletzungen, die durch einen Beklagten in mehreren Mitgliedstaaten begangen werden, vorzugehen. Art. 33 Abs. 1 lit. a und b EPGÜ sehen ähnlich Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO die Möglichkeit vor, einen Beklagen am Ort der Rechtsverletzung (lit. a) bzw. an seinem Wohnsitz3 (lit. b) zu verklagen. Ist das Gericht nach diesen Vorschriften zuständig, behandelt es jedoch grds. die gesamte Patentverletzung für das Gebiet aller Vertragsmitgliedstaaten: Aus Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 3 EPGÜ ergibt sich, dass bei Erhebung mehrerer Klagen in mehreren Kammern, „die dieselben Parteien und dasselbe Patent betrifft (…) die zuerst angerufene Kammer für das gesamte Verfahren zuständig (ist) und jede später angerufene Kammer (…) die Klage im Einklang mit der Verfahrensordnung für unzulässig“ erklärt [Hervorhebungen durch den Verfasser]. Außerdem stellt Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 3 EPGÜ klar, dass bei einer anhängigen Verletzungsklage „zwischen denselben Parteien zum selben Patent keine Klage (…) bei einer anderen Kammer erhoben werden kann.“ 2
Vertiefend s. auch o., Kap. 4 D. II. 2. Bzw. bei „Klagen gegen Beklagte, die ihren Wohnsitz (…) nicht im Gebiet der Vertragsmitgliedstaaten haben“ am Ort der Rechtsverletzung bzw. bei der Zentralkammer, vgl. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 EPGÜ. 3
A. Cross-border-injunctions
255
3. Zwischenergebnis In- und ausländische Patentverletzungen – soweit diese in das Hoheitsgebiet des EPG fallen – können und sollen vor diesem Gericht uneingeschränkt gemeinsam verhandelt werden. Dies ist eine direkte Folge der einheitlichen Wirkung.
III. Gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter (Spider in the web Doktrin) Angesichts der neuen Gerichtszuständigkeiten des EPG-Systems stellt sich erneut die Frage, ob eine gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter i. S. d. Spider in the web Doktrin möglich ist. 1. EP-System Im Kapitel 3 wurde festgestellt, dass nach aktueller EuGH-Rechtsprechung eine gemeinsame Verhandlung von Patentverletzungen, die durch mehrere Beklagte begangen und i. S. d. Spider in the web Doktrin durch eine Konzernmutter gelenkt wurden, vor Patentverletzungsgerichten der Mitgliedstaaten nicht möglich ist. Nach dem Urteil Roche/Primus des EuGH scheitert eine gemeinsame Verhandlung daran, dass es an der für Art. 8 Nr. 1 EuGVVO zu fordernden identischen Sach- und Rechtslage fehlt.4 2. EPG a) Besondere Zuständigkeit Art. 33 Abs. 1 lit. b EPGÜ5 enthält unter anderem für Patentverletzungsklagen (Art. 32 Abs. 1 lit. a, c EPGÜ) eine Zuständigkeit für mehrere Beklagte sofern „einer der Beklagten (dort) den Sitz seiner Hauptniederlassung“ hat und „zwischen diesen (den Beklagten) eine Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft.“ Der Wortlaut der Norm dürfte zentral gesteuerte, gleichartige Patentverletzungen durch Tochterunternehmen mit gemeinsamer Konzernmutter erfassen.
4
s. o., Kap. 3 A. II. c). Obwohl sich eine Regelung zur internationalen Zuständigkeit des EPG in Art. 31 EPGÜ unter der gleichnamigen Vorschrift findet, betrifft Art. 33 Abs. 1 lit. b EPGÜ gleichwohl diese Regelungsmaterie. Grund dafür ist, dass eine Patentverletzung schon nach der Konzeption des EPeW sich nicht mehr auf Landesgrenzen beschränkt, da das Patent in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitliche Wirkung hat. 5
256
Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
Eine Geschäftsbeziehung dürfte sich bei einer Konzernverbundenheit, selbst auf der Ebene der Tochterfirmen untereinander, nachweisen lassen. Bei der Geschäftsbeziehung handelt es sich um ein Minus zu der nach der Doktrin geforderten „lenkenden Funktion“ der Konzernmutter. Damit dürfte also Art. 33 Abs. 1 lit. b EPGÜ noch weitere Konstellationen als die bloße konzernmäßige Verbundenheit erfassen. Auch eine Identität der Patentverletzung („derselbe Verletzungsvorwurf“) dürfte schon aufgrund der Klageanträge ermittelbar sein. b) Geltung für beide Arten des EP Die besondere Zuständigkeit des EPG in Bezug auf mehrere Beklagte gilt sowohl für EPeW als auch für übliche EP, da sich die Zuständigkeitsregelung nach Art. 32 Abs. 1 lit. a, 1. Var. EPGÜ auf „Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten (…)“ generell bezieht.6 Dies soll auch für die Übergangszeit gelten, sofern von der Möglichkeit des Opt outs kein Gebrauch gemacht wurde. Hierfür spricht auch der klarstellende Wortlaut der EuGVVO-Änderung, der ausdrücklich vorsieht, dass die EuGVVO die interne Zuweisung an die Kammern auch „während des in dem genannten Übereinkommen vorgesehenen Übergangszeitraums“ nicht berührt (vgl. Erwgrd 5 der EuGVVOÄnderung). 3. Zwischenergebnis Abschließend ist festzustellen, dass Art. 33 Abs. 1 lit. b EPGÜ die zentrale Verhandlung einer Verletzungskonstellation i. S. d. Spider in the web Doktrin erlaubt. Die Regelung ist sogar liberaler, da sie lediglich das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung, nicht aber einer Konzernstruktur (neben einem identischen Verletzungsvorwurf) voraussetzt.
IV. Auswirkungen von Nichtigkeitseinrede und Nichtigkeitswiderklage 1. EP-System Im EP-System besteht für Patentinhaber das Risiko, dass sich ein international zuständiges Gericht nach Art. 24 Nr. 4 i. V. m. Art. 27 EuGVVO für unzuständig erklärt, falls der Beklagte die Nichtigkeit des Klagepatents einwendet, da in einem derartigen Fall die Gültigkeit des jeweiligen nationalen Teils des EP Gegenstand des Verfahrens ist, für deren Feststellung (nach Zerfallen eines EP in nationale Teile) der „Registerstaat“ ausschließlich zuständig ist. Letztendlich führt diese 6
Der Begriff „Patent“ erfasst gem. Art. 2 lit. g EPGÜ sowohl EP als auch EPeW.
A. Cross-border-injunctions
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Rechtsprechung zu wesentlichen Nachteilen für Patentinhaber, da sie – zugunsten des Beklagten – faktisch zu einer Zuständigkeitsbestimmung kraft Einrede führt, durch die grenzüberschreitende Patentverletzungsverhandlungen „aufgespalten“ werden. 2. EPG Fraglich ist, ob auch innerhalb des EPG-Systems eine Zuständigkeitsbestimmung kraft Einrede möglich ist. Denkbar ist dies, da das EPGÜ in bestimmten Fällen eine Verweisung von Lokal- bzw. Regionalkammer zur Zentralkammer vorsieht. a) Differenzierte Regelung Für den Fall, dass in einem laufenden Verletzungsverfahren ein Nichtigkeitseinwand erhoben wird, steht den Richtern des Verletzungsgerichts nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ ein umfassender Ermessensspielraum zur Verfügung: Sie können „nach eigenem Ermessen beschließen a) sowohl die Verletzungsklage als auch die Widerklage auf Nichtigerklärung zu verhandeln (…), b) die Widerklage auf Nichtigerklärung zur Entscheidung an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren auszusetzen oder fortzuführen, oder c) den Fall mit Zustimmung der Parteien zur Entscheidung an die Zentralkammer zu verweisen.“
Dieser weit reichende Ermessensspielraum erlaubt es, die in Trennungs- und Verbundsystem abweichende Verweisungspraxis der Gerichte fortzuführen: Die gemeinsame Verhandlung von Verletzungs- und Nichtigkeitsklage (nach dem Verbundsystem) erlaubt Art. 33 Abs. 2 Satz 2 lit. a EPGÜ. Ein „Trennen“ nach deutscher Praxis ist auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 Satz 2 lit. b EPGÜ weiterhin möglich, wobei eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens nicht zwingend ist. Nur auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 Satz 2 lit. c EPGÜ ergäbe sich für den Patentinhaber der unliebsame Effekt, dass sich das Verletzungsgericht für unzuständig erklären und an die Zentralkammer verweisen könnte. Diese Verweisung ist jedoch nur mit Zustimmung der Parteien möglich. Eine Zuständigkeit kraft Einrede ist daher weder im Falle von Cross-border-injunctions noch in einem rein nationalen Patentverletzungsprozess möglich. b) Kein Konflikt mit der EuGVVO Der im EP-System i. R. v. Patentverletzungsverfahren problematische Art. 24 Nr. 4 EuGVVO ist auf EPeW nicht anwendbar, da er auf Klagen begrenzt ist, die die
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
Gültigkeit eines nationalen Teils eines EP betreffen (vgl. Wortlaut von Art. 24 Nr. 4 Satz 2 EuGVVO).7 Theoretisch könnte die ausschließliche Zuständigkeit des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO aber greifen, wenn Klagen vor nationalen Gerichten von Nicht-Vertragsmitgliedstaaten erhoben werden, die die Gültigkeit nationaler Teile von mit dem EPeW inhaltlich gleichen EP zum Gegenstand haben. Jedoch spricht der Sinn und Zweck des Art. 24 Nr. 4 EuGVVO gegen eine Verpflichtung des EPG, sich in derartigen Fällen nach Art. 24 Nr. 4 i. V. m. Art. 27 EuGVVO für unzuständig zu erklären. Es bedarf nämlich nicht der von Art. 24 Nr. 4 EuGVVO bezweckten Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten8, da der räumliche Geltungsbereich von EPG-Entscheidungen auf Staaten begrenzt ist, in denen das EPeW Wirkung hat (vgl. Art. 34 EPGÜ). 3. Zwischenergebnis Auch dem Problem des EP-Systems, dass Beklagte mittels Nichtigkeitseinwendungen faktisch die Gerichtszuständigkeit im Falle grenzüberschreitender Verletzungsverhandlungen bestimmen können, begegnet das EPGÜ auf angemessene Art und Weise. Das Verweisungssystem zwischen Lokal- bzw. Regionalkammern und Zentralkammer erlaubt die Zuständigkeit der Zentralkammer auch für das Verletzungsverfahren nur mit Zustimmung der Parteien und räumt den Richtern zusätzlich Ermessen ein, den Verletzungsstreit unter Fortführung der bisherigen Rechtstraditionen von Verbund- und Trennungssystem fortzusetzen.
V. Ergebnis Vor dem EPG können (und sollen) in- und ausländische Patentverletzungen verhandelt werden. Außerdem können mehrere Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen, die u. a. die Konstellation der Spider in the web Doktrin erfasst, gemeinsam verklagt werden, ohne dass die Möglichkeit besteht, dass per Nichtigkeitseinwand faktisch die Gerichtszuständigkeit im Falle grenzüberschreitender Verletzungsverhandlungen durch Beklagte bestimmt werden kann. Damit vermeidet die Konzeption des EPG effektiv Parallelverfahren und bietet so Rechtsinhabern eine effizientere und kostengünstigere Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung.
7 8
Non-Paper (Fn. 22), S. 3. Vgl. o., Kap. 3 A. II. 2. a) cc) (3).
B. Torpedoklagen
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B. Torpedoklagen I. Torpedoklagen vor nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten Torpedoklagen haben in Patentverletzungsverfahren im EP-System zu erheblichen Verfahrensverzögerungen geführt. Grund hierfür ist die lis pendens Regel des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO (ehem. Art. 27 EuGVVO) nach der das später angerufene Gericht das Verfahren vom Amts wegen auszusetzen hat, wenn zwischen den gleichen Parteien wegen desselben Anspruchs zuvor ein Verfahren bei einem anderen Gericht anhängig wurde. Torpedoklagen werden unter Ausnutzung dieser Regelung mittels negativer Feststellungsklagen (in denen die Feststellung, dass ein Patent nicht verletzt wurde, begehrt wird) in Ländern erhoben, die eine bekanntermaßen lange Verfahrensdauer haben. Die untersuchten Lösungsansätze der Gerichte zur Bekämpfung der Verzögerungstaktik aufgrund geltenden Rechts innerhalb des EP-Systems sind allesamt nicht effektiv darin, Torpedos zu verhindern.9
II. EPG Vor dem EPG ist die Zentralkammer nach Art. 33 Abs. 4 i. V. m. Art. 32 Abs. 1 lit. b EPGÜ für negative Feststellungsklagen zuständig, während Verletzungsklagen nach Art. 33 Abs. 1 i. V. m. Art. 32 Abs. 1 lit. b EPGÜ vor Lokal- bzw. Regionalkammern zu erheben sind. Negative Feststellungsklagen können daher Verletzungsklagen womöglich verzögern. 1. Differenzierte Regelung Auch bezüglich dieser vorgreifenden negativen Feststellungsklagen findet sich eine spezielle Regelung im EPGÜ. Art. 33 Abs. 6 EPGÜ sieht hierzu Folgendes vor: „Eine Klage zur Feststellung der Nichtverletzung im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe b, die bei der Zentralkammer anhängig ist, wird ausgesetzt, wenn innerhalb von drei Monaten nach Klageerhebung vor der Zentralkammer bei einer Lokal- oder Regionalkammer zwischen denselben Parteien oder zwischen dem Inhaber einer ausschließlichen Lizenz und der Partei, die die Feststellung der Nichtverletzung beantragt hat, zum selben Patent eine Verletzungsklage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a erhoben wird.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Patentverletzungsklagen wird also automatisch ein Vorrang eingeräumt, sofern sie innerhalb von drei Monaten nach Erhebung der negativen Feststellungsklage 9
Vgl. o., Kap. 3 III. 2.
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
erhoben wurden. Der so gegebene Vorrang der Zweitklage10 ist eine echte Option des klagebefugten Patentinhabers bzw. Lizenznehmers. Eine Frist von drei Monaten ab Zustellung der Klageschrift der negativen Feststellungsklage (= dem Zeitpunkt der Klageerhebung) dürfte auch angemessen sein. Die Tatsache, dass so eine Blockade für längere Zeit durch den Rechtsinhaber allein verhindert werden kann, beugt effektiv Missbrauch vor. Eine Befristung ist auch sachgerecht, da sich ein untätiger Patentinhaber billigerweise darauf einlassen muss, dass die negative Feststellungsklage (zunächst) verhandelt wird. Ein tatsächliches Risiko könnte jedoch aus der neu eingeführten Pflicht von Regionalkammern herrühren, Patentverletzungsklagen auf Antrag des Beklagten an die Zentralkammer zu verweisen, sofern die „Verletzung im Gebiet von mindestens drei Regionalkammern erfolgt“ (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 EPGÜ). Der Beklagte kann also theoretisch eigenständig die Zuständigkeit der Zentralkammer herbeiführen und damit den Verletzungsprozess torpedieren.11 Allerdings ist das Risiko eines Missbrauchs gering, da dieser Torpedo zweifach bedingt ist: Erstens müssten Patentverletzungen im Gebiet von mindestens drei Regionalkammern erfolgen (Art. 33 Abs. 2 Satz 2 EPGÜ). Zweitens müsste die Patentverletzungsklage vor einer Regionalkammer erhoben worden sein. Letzterer Faktor ließe sich nicht durch den Beklagten beeinflussen. 2. Fortgeltung der lis pendens Regel im Verhältnis zu Drittstaaten Art. 71c Nr. 1 EuGVVO-Änderung sieht vor, dass Art. 29 – 32 EuGVVO (nur) Anwendung finden, wenn das gemeinsame Gericht12 und ein Gericht in einem Mitgliedstaat angerufen werden, der nicht Vertragspartei des EPGÜ ist. Damit wären Torpedoklagen – jedenfalls theoretisch – bei üblichen EP möglich, wenn die Nichtverletzung eines Teils eines EP in einem Nicht-Vertragsmitgliedstaat im Zusammenhang mit einem Verletzungsverfahren vor dem EPG geltend gemacht wird. Selbst in einem solchen Fall dürfte jedoch das EPG nicht verpflichtet sein, das Verfahren auszusetzen, da sich die Klage nicht auf „denselben Anspruch“ i. S. d. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO beziehen dürfte. Grund dafür ist, dass schließlich das EPeW und das EP in dem Nicht-Vertragsmitgliedstaat ein anderes Schicksal haben dürften, da Letzteres eine von der einheitlichen Wirkung losgelöste, lediglich nationale Wirkung und damit womöglich einen anderen Schutzbereich hat.
10
Zur Terminologie von Erst- und Zweitklage, s. o., Kap. 3 A. III. So auch Alps/Steins (u. a.), The EU Patent Package Handbook, S. 201 ff. 12 Anm.: Das EPGÜ ist ein „gemeinsames Gericht“ i. S. d. Art. 71a Abs. 1, 2 lit. a der EuGVVO-Änderung. 11
C. Trennungs- oder Verbundsystem
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III. Ergebnis Die speziellere Regelung des Art. 33 Abs. 6 EPGÜ steht der lis pendens Regel des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO diametral entgegen, da sie eine Priorität des Zweitverfahrens vorsieht. Sie berücksichtigt die bei Patentverletzungsverfahren beteiligten Interessen angemessen, da ein Patentinhaber grds. vor Torpedos zu schützen ist und seine Begünstigung mittels Priorität zeitlich befristet ist. Dennoch verbleibt ein gewisses Risiko von Torpedoklagen in Fällen, in denen ein vermeintlicher Verletzer vor Erhebung der Patentverletzungsklage eine Feststellungsklage auf Nichtverletzung in einem Nicht-Vertragsmitgliedstaat erhebt. Ein Torpedo-ähnliches Verhalten könnte durch die Möglichkeit der Verweisung zur Zentralkammer auf Antrag eines Beklagten nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 EPGÜ gefördert werden.
C. Trennungs- oder Verbundsystem Dieser Abschnitt untersucht das Verhältnis von Trennungs- und Verbundsystem im EU-Patentsystem.
I. Unterschiedliche Systeme in den Mitgliedstaaten Die nationalen Systeme der Mitgliedstaaten lassen sich hinsichtlich der Zuständigkeiten bzgl. Patentverletzungs- und Nichtigkeitsverfahren in ein Trennungssystem, bei dem eine strikte Trennung der Zuständigkeit für Patentnichtigkeitsverfahren vorgesehen ist und ein Verbundsystem, bei dem die Frage der Patentgültigkeit als Teil des Patentverletzungsverfahrens verhandelt wird, aufteilen. Eine Gegenüberstellung beider Systeme hat ergeben, dass das Trennungssystem zwar zu zügigeren Patentverletzungsprozessen führt, solange keine Nichtigkeitswiderklage erhoben wird, jedoch sich, sofern dies der Fall ist, ein wesentlich länger dauerndes Patentnichtigkeitsverfahren anschließt. Die Erhebung der Nichtigkeitsklage führt i. d. R. zu einer Aussetzung des Patentverletzungsverfahrens. So ist es möglich – und zumindest in Deutschland nicht unwahrscheinlich – dass zunächst ein Urteil im Verletzungsverfahren ergeht und vollstreckt wird, jedoch erst später ein Urteil im Nichtigkeitsverfahren erlassen wird, dass ggf. zur Nichtigkeit des Klagepatents führt. So ergibt sich ein Zeitraum – zwischen dem der Verletzungsklage stattgebenden und dem das Patent für nichtig erklärendem Urteil – in dem die Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestands des Ersturteils erheblich herabgesetzt ist (sog. injunction gap). Ein Verbundsystem hat demgegenüber den Nachteil einer prinzipiell längeren Verfahrensdauer, da – sofern eine entsprechende Einrede erhoben wurde – auch die Frage nach der Patentgültigkeit Verfahrensgegenstand wird. Da eine Entscheidung
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
über einen Nichtigkeitseinwand nicht losgelöst vom Verletzungsverfahren erfolgt, hat jedoch ein Urteil eher Bestand und bietet damit eine erhöhte Rechtssicherheit.13
II. EPG – Koexistenz Im EU-Patentsystem bestehen beide Systeme nebeneinander sofern Nichtigkeitseinwände in Patentverletzungsprozessen erhoben werden. Lokal- und Regionalkammern haben bei der Frage, ob sie eine Verletzungsklage und eine Widerklage auf Nichtigerklärung gemeinsam verhandeln (Art. 33 Abs. 3 Satz 2 lit. a EPGÜ) bzw. an die Zentralkammer verweisen und das Verletzungsverfahren aussetzen, oder auch nicht, einen weiten Ermessensspielraum (vgl. Art. 33 Abs. 3 Satz 2 lit. b EPGÜ).14 Außerdem können nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 lit. c EPGÜ die Parteien selbst eine Verweisung an die Zentralkammer vereinbaren. Das „Trennen“ bzw. „Verbinden“ von Patentnichtigkeits- und -verletzungsklage ist also zukünftig nicht mehr nur eine Frage einzelner Länder, sondern aller Vertragsmitgliedstaaten.15 Es ist nunmehr eine Frage mit Bedeutung im Verhältnis der Lokal- und Regionalkammern zur Zentralkammer des EPG. Die oben gewonnenen Erkenntnisse zu den Verfahrensdauern beider Systeme16, lassen sich nur sehr eingeschränkt auf das EPG-System übertragen. Dies liegt daran, dass noch keine Daten über eine potenzielle Arbeitsbelastung vorhanden sind, die auf eine potenzielle Verfahrensdauer im Falle der Trennung beider Verfahren schließen lassen, da etwa weder die Zahl der Richter, noch die Beliebtheit des Systems bzw. die Verweisungspraxis der Lokal- und Regionalkammern bekannt bzw. vorhersehbar ist. Allein die Tatsache, dass neben der Möglichkeit, die Nichtigkeitswiderklage zu verweisen, auch eine gemeinsame Verhandlung von Verletzungs- und Nichtigkeitsklage möglich ist, legt jedoch nahe, dass sich keine derart „einseitige“ Belastung der Zentralkammer ergeben wird, wie sie sich derzeit beim BPatG bzw. beim BGH zeigt und negativ auf die Verfahrensdauer auswirkt. Selbst wenn auch zukünftig weiterhin die meisten Verletzungsverfahren in Deutschland geführt werden sollten,
13
Ausführlich s. o., Kap. 3 B. Anm.: Nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ sind Nichtigkeitsklagen vor den jeweiligen Lokal- und Regionalkammern zu erheben, wenn dort zuvor eine Verletzungsklage zwischen denselben Parteien zum selben Patent erhoben wurde. 15 Der deutsche Dualismus von Verletzungsgerichten und BPatG besteht im EPG-System nicht fort. Die Regelung über den Übergangszeitraum nach der weiterhin Nichtigkeitsklagen bei nationalen Gerichten eingereicht werden können, bezieht sich lediglich auf Nichtigkeitsverfahren, die mit Verletzungsverfahren nicht im Zusammenhang stehen. Für den letztgenannten Fall gilt (ausschließlich) Art. 33 Abs. 3 Satz 2 lit. a EPGÜ. 16 s. o., Kap. 3 B. III. 14
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung
263
ist durchaus denkbar, dass Richter von ihrer neuen Möglichkeit, die Gültigkeitsfrage mit zu verhandeln, Gebrauch machen werden.17 Zumindest ist dieser, aus einem politischen Kompromiss hervorgegangene, Ansatz, beide Systeme nebeneinander zuzulassen, geeignet, eine ausgewogene Balance im Sinne der Nutzer zu schaffen. Dabei kommt den Parteien die Möglichkeit, wahlweise Verfahren vor der Zentralkammer zu führen, zugute. Kombiniert mit dem Prinzip der Multinationalität bietet der den Richtern eingeräumte Ermessensspielraum eine Chance, dass sich eine ausgewogene Gerichtspraxis in Bezug auf alle Vertragsmitgliedstaaten herausbildet, die möglicherweise die problematischen injunction gaps verhindert.
III. Ergebnis Anstatt der starren Wahl zwischen Ländern mit entweder einem Trennungs- oder einem Verbundsystem im EP-System, bietet das EPG-System nunmehr für alle Vertragsmitgliedstaaten eine flexiblere Praxis. Obwohl die Regelung – wie viele Bestandteile des EU-Patentsystems – einen Kompromiss darstellt, da sich keines der beiden Systeme durchsetzen konnte, ist sie für Nutzer nicht nachteilhaft. Sie erlaubt ggf. sogar eine sachgerechtere Handhabung von Fällen, da die mit einem weiteren Ermessensspielraum ausgestatteten Richter auf Nachteile im System (bspw. eine Überlastung der Zentralkammer wg. häufiger Trennung von Verfahren) flexibel reagieren können. Zudem kommt das EPGÜ den Parteien entgegen, indem es die Zentralkammer auf Antrag der Parteien für zuständig erklärt.
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung Die obige Untersuchung des nationalen Patent(prozess)rechts hat ergeben, dass – trotz Harmonisierungsmaßnahmen auf EU-Ebene – in den Mitgliedstaaten zur vorprozessualen Beweissicherung und der Berechnung von Schadensersatz weitgehend unterschiedliche Ansätze bestehen. Dieser Abschnitt untersucht, ob das EPG-System zu weiteren Fortschritten auf diesen Gebieten geführt hat.
17 So Ulrike Voß, Vors. Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf, die sich eine gemeinsame Verhandlung von Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren durchaus vorstellen kann. Mooney geht davon aus, dass die Trennung von Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren im EPG-System die Ausnahme sein wird, s. Mooney (Fn. 24).
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
I. Vorprozessuale Beweissicherung Die vorprozessuale Beweissicherung ist von besonderer Bedeutung für den Patentinhaber, da die Maßnahme ihn häufig erst in die Position versetzt in einem anschließenden Verfahren erfolgreich gegen eine Patentverletzung vorzugehen.18 1. Situation in den Mitgliedstaaten Die oben durchgeführte Untersuchung zu den Rechtsvorschriften über eine vorprozessuale Beweissicherung in den EU-Mitgliedstaaten kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der Durchsetzungs-Richtlinie das Maß der Rechtsangleichung unzureichend ist. Vor allem hinsichtlich der Anforderungen an den Beleg für das Vorliegen einer Patentverletzung bestehen in den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede. Generell ist die Beweisschwelle für eine vorprozessuale Beweissicherungsmaßnahme häufig zu hoch, was zu erheblichen Beweisschwierigkeiten für einen Patentinhaber führen kann, der im Vorfeld zu einem Verletzungsverfahren häufig nur verhältnismäßig vage Anhaltspunkte hat, um eine Patentverletzung zu begründen. Insofern besteht für Patentinhaber ggf. ein legitimes Interesse, auch ohne den lückenlosen Nachweis einer Patentverletzung überhaupt, Beweise sichern zu lassen. Eine rechtsvergleichende Untersuchung ergab, dass die französischen Gerichten, mit dem Mittel der saisie contrefaçon die beteiligten Interessen am ehesten zu einem angemessenen Ausgleich bringen.19 Sie wird einerseits der Situation der häufig über unzureichende Beweise verfügenden Patentinhaber gerecht, indem sie die bloße Vermutung einer Patentverletzung ausreichen lässt und wirkt andererseits dem Risiko einer Ausforschung von Mitbewerbern (fishing expeditions) durch Statuierung einer strengen Schadensersatzpflicht, u. a. für den Fall, dass ein Antragsteller nicht innerhalb von 14 Tagen nach Ausführung der Durchsuchung Klage im Hauptsacheverfahren erhebt, entgegen. So hat der Antragsteller das Schadensersatzrisiko zu tragen, was wiederum zur Folge hat, dass er sich eine Antragstellung gut überlegt. 2. EPG Das EPGÜ bzw. die VerfO EPGÜ regeln Maßnahmen zur vorprozessualen Beweissicherung [s. u., a)], zur Schadensersatzpflicht und Maßnahmen, um die Zahlung von Schadensersatz abzusichern [s. u., b)]20.
18
Vertiefend s. o., Kap. 3 C. II. 1. s. o., Kap. 3 C. II. 1. f). 20 Die Regelung zur Sicherung des Schadensersatzanspruchs in Art. 60 Abs. 7 EPGÜ sieht vor, dass die Maßnahme von der Leistung einer angemessenen Kaution bzw. Sicherheit abhängig gemacht werden kann. Sie soll für die folgende Untersuchung keine Rolle spielen. 19
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung
265
a) Regelung vorprozessualer Beweissicherung Art. 60 Abs. 1 EPGÜ sieht zu vorprozessualen Beweissicherungsmaßnahmen Folgendes vor: (1) Auf Ersuchen des Antragstellers, der alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung der Behauptung, dass das Patent verletzt worden ist oder verletzt zu werden droht, vorgelegt hat, kann das Gericht selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung anordnen, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Die Norm stimmt im Wesentlichen21 mit Art. 7 Abs. 1 der DurchsetzungsRichtlinie überein. Ihre praktische Bedeutung ist wegen der vielen ausfüllungsbedürftigen Merkmale, v. a. der Frage wann Beweismittel „vernünftigerweise verfügbar“ sind, allerdings weitestgehend ungewiss. Daher muss auf die Verfahrensordnung zum EPGÜ zurückgegriffen werden, die ein eigenes Kapitel zur vorprozessualen Beweissicherung enthält.22 Danach scheinen die Anforderungen an den Antrag auf Beweissicherung weniger streng als bspw. beim dt. Besichtigungsanspruch: R. 192.2 VerfO EPGÜ-Entwurf sieht vor, dass ein Antrag lediglich die in R. 13.1 lit. a – i VerfO EPGÜ-Entwurf geregelten Einzelheiten enthalten muss. An keiner Stelle wird in der betreffenden Regel vorausgesetzt, dass der Antragsteller Angaben zur Art bzw. zum Ort der Patentverletzung oder zu den verletzten Patentansprüchen macht, obwohl diese Einzelheiten in R. 13.1 lit. l VerfO EPGÜ-Entwurf geregelt sind und daher eine entsprechende Verweisung nahe gelegen hätte. Auf weniger strikte Beweisanforderungen deutet auch R. 192.2 lit. d VerfO EPGÜ-Entwurf der Verfahrensordnung in ihrer neuesten Fassung23 hin, nach der ein Antrag neben dem Tatbestand nunmehr nur noch – „wenn verfügbar“ („if available“) – Beweismittel zu enthalten hat. Die Regel lässt erwarten, dass das EPG eine geringere Beweisschwelle als beispielsweise deutsche Gerichte24 für Maßnahmen der vorprozessualen Beweissicherung als
21
Die Norm weicht nur insoweit ab, als sie sich auf die Begründung einer unmittelbaren bzw. einer drohenden Patentverletzung bezieht. 22 R. 192 – 199 VerfO EPGÜ. 23 Zum Zeitpunkt der Bearbeitung ist dies die 16. Fassung der Draft Rules of Procedure, s. 16th Draft of the Preliminary set of provisions for the Rules of Procedure („Rules“) of the Unified Patent Court vom 31. Januar 2014 (nur auf Englisch verfügbar), verfügbar unter: http:// www.unified-patent-court.org/images/documents/revised-draft-rules-of-procedure.pdf. Anm.: mittlerweile wurde die 17. Fassung der Draft Rules of Procedure veröffentlicht, verfügbar unter: http://www.unified-patent-court.org/images/documents/UPC_Rules_of_Procedure_17th_Draft. pdf (beide Dokumente zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 24 s. zur Praxis dt. Gerichte o., Kap. 3 C. II. 1. a).
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
ausreichend ansieht und sich damit der Praxis französischer Gerichte zur saisie contrefaçon annähert.25 b) Regelung einer Schadensersatzpflicht Art. 60 Abs. 9 EPGÜ ermächtigt das EPG, Antragsteller zur Leistung eines angemessenen Ersatzes für einen dem jeweiligen Antragsgegner durch eine Beweissicherungsmaßnahme entstandenen Schaden zu verpflichten, wenn die Maßnahme entweder „aufgehoben“ (1. Var.) oder „aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig“ wird (2. Var.) oder aber nachträglich festgestellt wird, dass keine Verletzung des Patents vorlag bzw. drohte (3. Var). Die Regelung ist identisch mit Art. 7 Abs. 4 der Durchsetzungs-Richtlinie.26 Fraglich ist, ob die Regelung geeignet ist, möglichen Ausforschungseingriffen effektiv entgegenzuwirken. Für den Fall, dass im Zusammenhang mit einer Beweissicherungsmaßnahme ein Antragsteller eine Verletzungsklage bzw. ein Antragsgegner eine negative Feststellungsklage erhebt und diese negativ bzw. positiv entschieden wird, wäre eine Schadensersatzpflicht nach der 3. Var. grundsätzlich gegeben, da in diesem Fall feststünde, dass keine Verletzung des Patents vorlag bzw. drohte. Ausforschungseingriffe wären aber gerade in der Konstellation denkbar, in der Antragsteller im Zuge einer Beweissicherungsmaßnahme Beweismittel erlangen, jedoch keine Klage erheben. Besteht in diesem Fall eine Schadensersatzpflicht oder müsste zunächst der Antragsgegner auf eigene Kosten eine negative Feststellungsklage erheben, um einen, ggf. durch die Beweissicherung entstandenen, Schaden, ersetzt zu bekommen? Um einer ungerechtfertigten Ausforschung effektiv entgegenzuwirken, müsste also schon die unterlassene Klageerhebung geeignet sein, den haftungsbegründenden Tatbestand zu erfüllen. Der Wortlaut von Art. 60 Abs. 9, 2. Var. EPGÜ ist insoweit aber nicht eindeutig. Ist die Beweissicherungsmaßnahme also bereits i. S. d. Art. 60 Abs. 9, 2. Var. EPGÜ „hinfällig“, wenn der Antragsteller es „unterlässt“ zu klagen? Die Verfahrensordnung deutet hierauf hin: R. 198.1 VerfO EPGÜ-Entwurf regelt, dass die Anordnung der Beweissicherung, auf Antrag des Gegners aufgehoben wird bzw. ihre Wirkung verliert, wenn der Antragsteller nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums Klage im Hauptsacheverfahren erhebt.27 Die Regel knüpft also an ein 25
Anm.: Auf die saisie contrefaçon deutet auch die Überschrift des 4. Abschnitts (R. 192 – 199 VerfO EPGÜ) hin, die bezeichnenderweise „Chapter 4 – Order to Preserve Evidence (Saisie) and Order for Inspection“ [Hervorhebung durch den Verfasser] lautet. 26 Anm.: Art. 7 Abs. 4 der Durchsetzungs-Richtlinie ist wiederum wortgleich mit Art. 50 Abs. 7 TRIPS zu Schadensersatz bzgl. einstweiliger Maßnahmen. 27 Nach R. 198 VerfO EPGÜ ist die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen hiervon ausdrücklich nicht berührt. Anm.: Die in R. 198.1 VerfO EPGÜ geregelte „Aufhebung“ der Anordnung der Beweissicherung erfüllt nicht bereits den Tatbestand des Schadensersatzes nach Art. 60 Abs. 9, 1. Var. EPGÜ, da hier von einer Aufhebung der Maßnahme zur Beweissicherung die Rede ist. Dies wird dadurch bestätigt, dass in R. 198.2 VerfO EPGÜ – anders als
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung
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Unterlassen des Antragstellers die Folge der Wirkungslosigkeit bzw. Aufhebung der Maßnahme. Damit ist die Maßnahme hinfällig. Die Voraussetzungen für Schadensersatz nach Art. 60 Abs. 9, 2. Var. EPGÜ dürften daher bei der unterlassenen Klageerhebung gegeben sein. c) Vereinbarkeit mit der Durchsetzungs-Richtlinie Eine der Verfahrensordnung entsprechende Gerichtspraxis, Beweismittel nur noch sofern sie verfügbar sind zu verlangen, dürfte mit Art. 7 Abs. 1 der Durchsetzungs-Richtlinie vereinbar sein, da ihr (insofern mit Art. 60 Abs. 1 EPGÜ identische) Wortlaut lediglich die Vorlage „vernünftigerweise verfügbarer“ Beweismittel voraussetzt. Diese Formulierung deutet als unbestimmter Rechtsbegriff auf einen gewissen Ermessensspielraum des Gerichts hin, sodass Umstände des Einzelfalls wie die typische Beweisknappheit in einem vorprozessualen Stadium vor einer Beweissicherungsmaßnahme sehr wohl vom EPG mitberücksichtigt werden können. Auch die in der Verfahrensordnung ausdrücklich geregelte „Verwirkung“, die erlangten Beweismittel in einem Verfahren einführen zu können, dürfte mit der Richtlinie vereinbar sein, da Art. 7 Abs. 4 der Durchsetzungs-Richtlinie wie der gleichlautende Art. 60 Abs. 9 EPGÜ vorsieht, dass ein Beweismittel hinfällig werden kann. 3. Zwischenergebnis Für das EPG haben die Vertragsmitgliedstaaten einmal mehr einen Ansatz beschlossen, der über das herrschende Mindestniveau in den oben untersuchten Mitgliedstaaten hinausgeht: Ein Beweis der Patentverletzung ist im Antrag auf eine vorprozessuale Beweissicherungsmaßnahme nicht mehr vorgesehen. Außerdem folgen aus einer unterlassenen Klageerhebung ein Verbot der Beweisverwertung und ggf. eine Schadensersatzpflicht. Es ist davon auszugehen, dass sich damit die gerichtliche Praxis der besten Praxis in den EU-Mitgliedstaaten, der saisie contrefaçon, annähert, denn alle wesentlichen Merkmale der Maßnahme (kein Beweiserfordernis, Schadensersatzpflicht bei unterbliebener Klage, Verbot der Beweisverwertung) sind in den Regeln der Verfahrensordnung angelegt. Rechtsinhaber erhalten damit ein weiteres Instrument zur Durchsetzung legitimer Interessen. Fishing expeditions werden effektiv verhindert. Die Praxis dürfte mit der Durchsetzungs-Richtlinie kompatibel sein, da die saisie contrefaçon gemeinsam mit der britischen Search Order als ihr Vorbild diente.28 R. 198.1 VerfO EPGÜ – die Formulierung aus Art. 60 Abs. 9, 1. Var. EPGÜ (order to preserve evidence bzw. measures to preserve evidence) verwendet wird. 28 Die Kommission erwähnt in ihrer Analyse zur Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie, dass Art. 7 von der britischen und der französischen Maßnahme beeinflusst wurde. („Article 7
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
Negativ ist anzumerken, dass weder die Konkretisierung der Beweisschwelle, noch der Schadensersatzvoraussetzungen, noch das Verbot der Beweisverwertung unmittelbar im EPGÜ, sondern in der dazugehörigen Verfahrensordnung geregelt sind.
II. Möglichkeit der Schutzschrifthinterlegung Das Prinzip der Schutzschrift stammt ursprünglich aus Deutschland und erlaubt dem Antragsgegner die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen er grundsätzlich nicht gehört wird (sog. ex parte Verfahren). 1. Situation in den Mitgliedstaaten Nicht nur in Deutschland wurde erkannt, dass auch bei Maßnahmen, die grundsätzlich ohne vorherige Verhandlung und Benachrichtigung des Gegners durchgeführt werden können, ein gewisses Maß an rechtlichem Gehör gewährt werden muss.29 Auch Frankreich hat mittlerweile ein vergleichbares Verfahren zugelassen.30 Teilweise wird gegen Schutzschriften eingewendet, dass sie die Durchsetzung von ex-parte-Verfahren wesentlich erschwerten.31 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sie zur Gewährung rechtlichen Gehörs unerlässlich sind. Für die EU-Mitgliedstaaten ist die Gewährung rechtlichen Gehörs in Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. in den Art. 47 f. der EU-Grundrechtecharta geregelt. In Deutschland unterliegt die Gewährung rechtlichen Gehörs zudem Art. 103 Abs. 1 GG. Eine Schutzschrift ist daher – jedenfalls in Deutschland und seit kurzem auch Frankreich – zwingend zu beachten.32
was largely inspired by the practices in some Member States such as the UK (,Anton Pillar order‘) or France (,saisie-contrefaçon‘)“), Analysis of the application of Directive 2004/48/EC of the European Parliament and the Council of 29 April 2004 on the enforcement of intellectual property rights in the Member States, COM (2010) 779 final, S. 7 f. 29 Ein Antragsgegner kann hier nach § 140c PatG eine Schutzschrift einreichen. 30 Ménard, France gives „protective letter“ a try, verfügbar unter: http://www.lexology.com/ library/detail.aspx?g=9487d36b-c7de-4552-ada7-e73fa3ce1b56 (Stand: 27. Januar 2012) (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 31 Johnson/Bowler/Bouzanquet, The role of the saisie in the UPC, verfügbar unter: http:// www.bristows.com/articles/the-role-of-the-saisie-in-the-upc-by-anne-laure-bouzanquet-an drew-bowler-and-alan-johnson (zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2015). 32 Allg. s. auch Wehlau/Kalbfus, Beschlussverfügung und rechtliches Gehör – zur Notwendigkeit einer europaweiten Anerkennung der Schutzschrift, GRUR Int 2011, 396.
D. Weitere Fortschritte bei der Rechtsangleichung
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2. EPG Die Verfahrensordnung des EPG enthält in R. 207 ihrer aktuellen Fassung die Möglichkeit für Parteien i. S. d. Art. 47 EPGÜ, eine Schutzschrift bei der Kanzlei (Art. 6 Abs. 1 EPGÜ) einzureichen, wenn diese einstweilige Verfügungsverfahren gegen sich für wahrscheinlich halten. Die Kanzlei hat in einem solchen Fall die jeweilige Kammer zu informieren, wenn ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits eingegangen ist (R. 207.4 lit. d VerfO EPGÜ-Entwurf) bzw., wenn nachträglich ein entsprechender Antrag eingeht (R. 207.7 VerfO EPGÜ-Entwurf). Im Falle von einstweiligen Verfügungen muss das Gericht nach R. 209.2 lit. d VerfO EPGÜ-Entwurf bei Vorliegen einer Schutzschrift insbesondere in Erwägung ziehen, einen Termin zur mündlichen Verhandlung festzusetzen. Es ist jedoch nicht an die Festsetzung einer mündlichen Verhandlung gebunden.33
III. Schadensersatzberechnung 1. Situation in den Mitgliedstaaten Trotz dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung durch die Durchsetzungs-Richtlinie hat sich die nationale Praxis zur Schadensersatzberechnung im Wege der Lizenzanalogie nicht angeglichen. Einigkeit besteht in den Mitgliedstaaten über folgende Punkte: *
Im Falle von Schadensersatz darf der Patentverletzer gegenüber einem redlichen Lizenznehmer nicht bessergestellt werden;
*
Schadensersatz soll abschreckend sein;
*
Schadensersatz darf keinen Strafcharakter haben.34
Gewissermaßen definieren diese Punkte die Marge für die Berechnung von Schadensersatzsummen. Praktikabilität und Angemessenheit bilden bei der Schadensersatzberechnung ein Spannungsfeld, wobei praktikable Ansätze, v. a. die Schadensersatzberechnung aufgrund einer angemessenen Lizenzgebühr, den Hauptnachteil haben, dass sie zumeist den Verletzer begünstigen, da eine pauschalisierte Vervielfachung von Lizenzsätzen vielfach als Strafschadensersatz und damit als unangemessen eingeordnet wird, weshalb häufig der Patentverletzer so gestellt wird wie ein redlicher Lizenznehmer. Der als beste Praxis identifizierte Ansatz des LG München I einer ex post-Beurteilung einer Schadensersatzberechnung auf Lizenzanalogiegrundlage ist sowohl 33 „2. In exercising its discretion pursuant to Rule 209 the Court shall in particular take into account (…) (d) any Protective letter filed by the defendant; the Court shall in particular consider summoning parties to an oral hearing if a relevant Protective letter has been filed by the defendant.“. 34 Vgl. o., Kap. 3 C. II. 2.
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
praktikabel als auch einzelfallbezogen und angemessen. Er erlaubt zudem Schadensersatzsummen, die über eine lediglich einfache Lizenzgebühr hinausgehen und steht insofern mit Art. 13 Abs. 1 lit. b der Durchsetzungs-Richtlinie im Einklang. Der danach berechnete Schadensersatz hat so keinen Strafcharakter (vgl. Erwgrd. 26 der Richtlinie). 2. Keine besondere Regelung für das EPG Im EPGÜ ist die Berechnung von Schadensersatz in Art. 68 geregelt. Die Regelung ist jedoch nahezu identisch mit dem vagen Art. 13 der DurchsetzungsRichtlinie. Anders als z. B. die deutsche Umsetzung der Durchsetzungs-Richtlinie sieht Art. 68 Abs. 4 EPGÜ vor, dass im Falle einer bloß fahrlässigen Verletzung neben Schadensersatz eine „Entschädigung“ bzw. die Herausgabe des Verletzergewinns angeordnet wird.35 Zusätzlich stellt Art. 68 Abs. 1 EPGÜ klar, dass das Restitutionsprinzip gilt, d. h. die geschädigte Partei „soweit wie möglich in die Lage zu versetzen (ist) in der sie sich ohne die Verletzung befunden hätte“36 sowie, dass dem Verletzer „kein Nutzen aus der Verletzung erwachsen“ darf. Außerdem wird klargestellt, dass der Schadensersatz „keinen Strafcharakter“37 hat. Die Verfahrensregeln enthalten keine näheren Hinweise auf eine Berechnung konkreter Schadensersatzsummen. Lediglich Bestimmungen zu einer Zwischenentscheidung über Schadensersatz (R. 119 VerfO EPGÜ-Entwurf) und über ein gesondertes Verfahren zur Festlegung von Schadensersatz und Entschädigung (R. 125 ff. VerfO EPGÜ-Entwurf) sind geregelt. Insoweit wurde also kein Fortschritt gegenüber der Durchsetzungs-Richtlinie erzielt. Es bleibt abzuwarten, welche Praxis sich beim EPG herausbilden wird. Grundsätzlich jedenfalls ließe sich die oben als beste Praxis identifizierte Berechnungsmethode des LG München I verfolgen, da sie mit der Durchsetzungs-Richtlinie vereinbar ist [s. hierzu o., Kap. 3 C. II. 2. c) dd) (2)].
IV. Ergebnis Trotz Regelung der vorprozessualen Beweissicherung und Schadensersatzberechnung im EPGÜ ist hinsichtlich der im EP-System identifizierten Probleme jedenfalls unmittelbar aus dem Wortlaut der Normen kein Fortschritt ersichtlich, da er im Wesentlichen mit der Durchsetzungs-Richtlinie identisch ist.
35 Vgl. § 139 Abs. 2 PatG, welcher auch für den Fall der Fahrlässigkeit die uneingeschränkte Schadensersatzfolge vorsieht. 36 Erwgrd. 2 der Durchsetzungs-Richtlinie. 37 Erwgrd. 26 der Durchsetzungs-Richtlinie.
E. Fazit
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Nichtsdestotrotz dürften vorprozessuale Beweissicherungsmaßnahmen von der liberalen Regelung in der Verfahrensordnung profitieren, die voraussetzen, dass ein entsprechender Antrag Beweismittel nur noch enthalten muss, wenn diese verfügbar sind. Eine Annäherung der EPG-Praxis an die oben als beste Praxis identifizierte französische saisie contrefaçon [vgl. o., Kap. 3 C. II. 1. f)] ist damit wahrscheinlich und dürfte im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Durchsetzungs-Richtlinie stehen. Demgegenüber enttäuscht, dass sich zur Schadensersatzberechnung im Wege der Lizenzanalogie keinerlei Konkretisierungen in der Verfahrensordnung finden. Daher ist es nun Aufgabe der Kammern des EPG, einen voraussehbaren Schadensersatz auf Grundlage der Lizenzanalogie zu berechnen, der eine abschreckende Wirkung auf Verletzer hat. Die Aufnahme der Regelung aus der Durchsetzungs-Richtlinie, die ggf. eine Reduzierung des Schadensersatzes auf eine Entschädigung für den Fall der Fahrlässigkeit vorsieht, lässt indes befürchten, dass Verletzer den Prozess durch Ausführungen zum Verschuldensgrad unnötig hinauszögern. Sie war zudem unnötig, da die Regelung nicht der Vollharmonisierung unterlag.38 Eine Regelung von Schutzschriften für alle Vertragsmitgliedstaaten ist erfreulich. Aus deutscher und wohl auch französischer Sicht ist sie sogar erforderlich.
E. Fazit: Wesentliche Fortschritte des EU-Patentsystems gegenüber dem EP-System Die Konzeption des EPG löst sämtliche der im Rahmen der Untersuchung zivilprozessualer Aspekte festgestellten Probleme des EP-Systems. *
*
Im Falle grenzüberschreitender Patentverletzungen lassen sich vor den Kammern des EPG sowohl in- als auch ausländische Verletzungen verhandeln. Auch die gemeinsame Verhandlung mehrerer, in unterschiedlichen Vertragsmitgliedstaaten ansässiger, Beklagter i. S. d. Spider in the web Doktrin ist möglich. Bei Crossborder-injunctions können Beklagte sich, selbst wenn wegen üblicher EP geklagt wird, nicht auf die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts nach Art. 24 Nr. 4 i. V. m. Art. 27 EuGVVO berufen. Letztlich reduziert sich damit das Risiko, dass die Gerichtszuständigkeit bei Verfahren über Cross-border-injunctions durch eine Einwendung der Patentnichtigkeit torpediert wird, auf Null. „Italienische Torpedos“ werden vor dem EPG nicht mehr möglich sein, da die lis pendens Regel des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nach festgestellter Zuständigkeit des 38
Vgl. Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 der Durchsetzungs-Richtlinie: „Für Fälle in denen der Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]
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Kap. 6: Vorteile des EU-Patentsystems
EPG nicht mehr gilt. Sollte allerdings vor Erhebung einer Patentverletzungsklage vor dem EPG eine entsprechende negative Feststellungsklage in einem NichtVertragsmitgliedstaat erhoben worden sein, wäre Art. 29 Abs. 1 EuGVVO weiterhin zu beachten. Das EPG hätte jedoch auch in diesem Fall ein Patentverletzungsverfahren wohl nicht auszusetzen, da die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nicht vorlägen. *
*
Ein – wenn auch geringes – Risiko, dass ein Verletzungsverfahren auf Antrag des Beklagten gem. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 EPGÜ zur Zentralkammer verwiesen wird, besteht für Kläger, wenn das Verfahren vor einer Regionalkammer anhängig ist und Patentverletzungen im Gebiet von mindestens drei Regionalkammern vorliegen. Der Kläger kann einer Verweisung auf Antrag des Beklagten jedoch schon durch Erhebung der Klage bei einer Lokalkammer entgehen. Im EPG-System haben die Richter freies Ermessen, ob sie mit einer Nichtigkeitswiderklage im Sinne des Verbundsystems oder im Sinne des Trennungssystems verfahren. Dies könnte zu einer flexibleren Praxis der Gerichte führen, die das Risiko eines sog. injunction gap, etwa durch gleichmäßigere Auslastung der Kammern, verringern könnte.
Geringere Fortschritte wurden dagegen auf dem Gebiet der weiteren Harmonisierung von nationalem Recht gemacht. *
*
*
Die Regelung der vorprozessualen Beweissicherung im EPGÜ stimmt weitestgehend mit dem Wortlaut der Durchsetzungs-Richtlinie von 2004 überein. Jedoch enthält die Verfahrensordnung wesentlich fortschrittlichere Regelungen, die es erlauben, dass sich die Gerichtspraxis der als „beste Praxis“ der Mitgliedstaaten identifizierten saisie contrefaçon annähert. Wegen des unklaren Wortlauts bleibt die – zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch ausstehende – finale Fassung abzuwarten. Auch in Bezug auf die Schadensersatzhöhe gemessen an einem üblichen Lizenzsatz wurden die Vorgaben aus der Durchsetzungs-Richtlinie in das EPGÜ übernommen. Allerdings konkretisiert die Verfahrensordnung die Praxis hier nicht, obwohl Bedarf für eine weitere Klarstellung der Methode zur Schadensersatzberechnung besteht. Es wird daher eine Entscheidungspraxis durch das Berufungsgericht abgewartet werden müssen. Die Aufnahme einer bloßen „Entschädigung“ für den Fall einer fahrlässigen Patentverletzung könnte zu Abgrenzungsproblemen in Verfahren vor dem EPG führen. Überraschend ist die nun für alle Vertragsmitgliedstaaten verbindliche Regelung von Schutzschriften. Sie ist jedoch zur Wahrung des Grundsatzes auf gerichtliches Gehör in Deutschland, voraussichtlich auch aufgrund der EMRK bzw. der EUGrundrechtecharta in anderen Vertragsmitgliedstaaten, v. a. Frankreich, erforderlich.
Kapitel 7
Gesamtergebnis Nach einer mehr als 45 Jahre andauernden Entstehungsgeschichte befindet sich das EU-Patentsystem, dessen Wurzeln in den 1960er Jahren liegen, derzeit in seiner Einführungsphase. Nachdem die Verordnungen über das Einheitspatent verabschiedet wurden und das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht unterzeichnet wurde, steht das neue EU-Patentsystem Nutzern in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Verfügung sobald mindestens 13 Vertragsmitgliedstaaten das EPGÜ ratifiziert (und die jeweilige Ratifizierungsurkunde in Brüssel hinterlegt) haben. Die EU-Reform läutet eine neue Ära der Internationalisierung des Patentrechts in den Mitgliedstaaten ein. Das neue System erlaubt Nutzern – frühestens ab Mitte 2016 – erstmals auf Antrag ein Europäisches Patent mit einer einheitlichen Wirkung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu versehen und Rechte aus EP und EPeW vor dem Einheitlichen Patentgericht durchzusetzen. Das Gesetzeswerk des neuen EU-Patentsystems ist unübersichtlich: Das Einheitspatent wird durch zwei EU-Verordnungen (EPatVO und EPatÜbersVO) geregelt und knüpft an nach den Vorschriften des bisherigen EPÜ zustande gekommene Europäische Patente an. Nur ein Bruchteil der EPÜ-Vertragsstaaten sind jedoch teilnehmende Mitgliedstaaten, sodass es künftig möglich sein wird, dass aus einer zentralen Anmeldung nach dem EPÜ sowohl ein EP mit einheitlicher Wirkung, als auch ein übliches EP in den sonstigen Vertragsstaaten des EPÜ, hervorgeht. Außerdem ist die einheitliche Wirkung des EP in einem jeweiligen EU-Mitgliedstaat von der Ratifikation des EPGÜ abhängig. Letztlich ist diese ungewöhnliche und komplexe Struktur das Ergebnis eines politischen Kompromisses: Beteiligte Interessengruppen wollten gerade kein System, das – wie bspw. die Gemeinschaftsmarke – den vorgezeichneten EU-Rechtsweg über EuG und EuGH nutzt. Dies führte dazu, dass der Gedanke eines gemeinsamen Gerichts der Mitgliedstaaten, ähnlich dem Benelux-Gerichtshof, verfolgt wurde, das weniger streng in EU-Gerichtsstrukturen eingebunden ist. Das so entstandene EP mit einheitlicher Wirkung adressiert den überwiegenden Teil, der in dieser Arbeit festgestellten Schwächen des EP: Einheitspatente bieten im Gegensatz zu EP einen einheitlichen Schutzbereich, der in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten gleich und dabei zugleich kostengünstiger ist, da Übersetzungserfordernisse zum Großteil wegfallen. Obwohl noch keine konkreten Anmeldekosten und Jahresgebühren für ein Einheitspatent bekannt sind, ist bei realistischer Betrachtung davon auszugehen, dass schon ein durchschnittlicher
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Patentanmelder, der ein EP normalerweise nur in einzelnen Mitgliedstaaten anmeldet, künftig für denselben Geldbetrag Schutz in 24 Mitgliedstaaten erhalten wird, wenn er – entsprechend der neuen Regelungen – eine einheitliche Wirkung beantragt. Das Einheitspatent greift teilweise auf nationale Regelungen (z. B. bei Übertragungen und Formerfordernissen für Lizenzverträge) zurück, jedoch ist nicht zu erwarten, dass sich daraus ein Nachteil für Nutzer ergibt, da diese weitestgehend mehr Gestaltungsfreiheit erhalten. Auch in Bezug auf das Gerichtssystem beschreitet das EU-Patentsystem neue Wege: Bislang sind die für EP zuständigen Gerichte meist auf eine Überprüfung eines nationalen Teils eines EP beschränkt. Diese Situation wird den Besonderheiten des Patentrechts im einheitlichen Binnenmarkt der EU jedoch nicht gerecht: Dritte sind gegenüber Patentinhabern regelmäßig im Vorteil, da sie aufgrund der Warenverkehrsfreiheit in jedem EU-Mitgliedstaat ungehindert auch patentverletzende Güter anbieten können. Handeln mehrere Patentverletzer gemeinsam in einem internationalen Netz, können sie nicht gemeinsam vor dem Gericht eines Mitgliedstaats in Anspruch genommen werden. Selbst wo internationale Patentverletzungsklagen, in seltenen Fällen, möglich sind, können Beklagte ein Verfahren durch Ausnutzung des internationalen Zivilprozessrechts verzögern bzw. faktisch die internationale Zuständigkeit durch Klageerhebung in einem anderen Mitgliedstaat auflösen. Außerdem führt das in einigen Mitgliedstaaten herrschende Trennungssystem, in dem die Verletzungs- und die Gültigkeitsfrage eines Patents von unterschiedlichen Gerichten beurteilt wird, dazu, dass der Rechtsbestand von Urteilen im Patentverletzungsverfahren ggf. lange Zeit ungewiss ist (sog. injunction gap). Problematisch ist zudem, dass die Anforderungen, die an Patentinhaber zur vorprozessualen Sicherung von Beweisen gestellt werden, unterschiedlich hoch sind. Außerdem unterscheidet sich die Berechnung von Schadensersatz teilweise erheblich. Das EPG-System adressiert einen Großteil dieser Kritikpunkte durch einen angemessenen Ausgleich beteiligter Interessen. Die internen Zuständigkeitsregelungen des EPG werden nun der besonderen Situation bei Patentstreitverfahren gerecht: Vor den Kammern des EPG gilt der Grundsatz, dass nationale und internationale Patentverletzungen gemeinsam verhandelt werden. Auch eine gemeinsame Verhandlung mehrerer Beklagter ist möglich. Eine Verhandlung grenzüberschreitender Patentverletzungen kann im EPG-System weder durch einen sog. Torpedo verzögert werden, noch kann die Zuständigkeit des Gerichts durch den Beklagten zerstört werden. Allenfalls kann ein Beklagter in Verfahren vor einer Regionalkammer unter bestimmten Voraussetzungen die Verweisung zur Zentralkammer beantragen. Diese Möglichkeit ließe sich jedoch durch Erhebung der Klage vor einer Lokalkammer ausschließen. Die Vorteile des EPG werden aber nicht nur für EPeW gelten. Das EPG wird auch für die Verhandlung von Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen bezüglich EP ausschließlich zuständig sein, sofern Patentnutzer in einer Übergangszeit keinen Ge-
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brauch von ihrer Möglichkeit machen, das System zu verlassen (sog. Opt out). Damit werden die oben beschriebenen Zuständigkeitsregeln in allen Vertragsmitgliedstaaten auch Inhabern von EP zugutekommen und damit praktisch eine einheitliche Auslegung auch von EP mit Wirkung über Landesgrenzen hinaus gewährleisten. Richter des EPG haben zudem freies Ermessen, ob sie die Nichtigkeitsfrage von der Verletzungsfrage abtrennen und an die Zentralkammer des Gerichts verweisen, oder aber beide Fragen gemeinsam verhandeln, sodass injunction gaps ggf. durch angemessene Entscheidungen im Einzelfall vermieden werden können. Das Patentpaket bringt zudem weitere Neuerungen in Patentstreitverfahren: Die zuvor unzureichend vereinheitlichte vorprozessuale Beweissicherung, wird durch Regelungen in der Verfahrensordnung des EPG weitgehend der französischen saisie contrefaçon angeglichen, die sich in der obigen Untersuchung als beste Praxis der Mitgliedstaaten herausgestellt hat. Des Weiteren ist vor dem EPG die Einreichung von Schutzschriften zugelassen. Diese – für einige Mitgliedstaaten neue – Regelung ist sehr zu begrüßen, da sie unerlässlich ist, um Antragsgegnern, die in ex parte Verfahren grundsätzlich nicht gehört werden, eine Möglichkeit rechtlichen Gehörs einzuräumen. Indes ist bedauerlich, dass keine einheitlichen Vorgaben für die Berechnung von Schadensersatz (v. a. bei der Berechnungsmethode der Lizenzanalogie) gemacht wurden, obwohl hierfür wegen erheblicher Unterschiede in der Entscheidungspraxis der nationalen Gerichte ein Bedürfnis besteht. Das gemeinsame Berufungsgericht des EPG kann hier jedoch für Klärung sorgen, wobei die Grundsätze der Rechtsprechung des LG München I wegweisend sein könnten. Das EU-Patentsystem mag dem im EU- und Patentrecht geschulten Betrachter auf den ersten Blick unübersichtlich, ungewohnt und unnötig kompliziert erscheinen. Bei näherer Untersuchung offenbart sich jedoch ein System, das – trotz zahlreicher Kompromisse – insgesamt geeignet ist, die beteiligen Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen und dabei erstmals erlaubt, von der Feststellung der Gerichtszuständigkeit bis hin zu den Einzelheiten des Verfahrens, die individuelle Situation bei Patentverletzungsstreitigkeiten zu berücksichtigen. Es bleibt daher zu hoffen, dass das EPG von seinen Nutzern angenommen wird, damit sich so schnell wie möglich eine gesicherte Praxis entwickelt, die einer weiteren Akzeptanz durch die Nutzer zuträglich sein wird.
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Stichwortverzeichnis Abmahnung 90, 124, 127, 140 Abschreckungswirkung 150 accelerated proceeding 115 acquis communautaire 37 acte clair Doktrin 234 f., 239 f. aggravated damages 145 AIPPI 37, 144, 153, 232 Allzuständigkeit (Beklagtenwohnsitz) 64 Amtssprachen 36, 43, 171 f., 179, 207 f., 211, 220 Anmeldegebühren 44 f., 213, 219 – 221 Anmeldekosten 213 f., 216 f., 224, 273 Anmeldeverfahren 169 Anscheinsbeweis 127 Anspornungstheorie 31 Anton Piller Order 125 f., 130 AOEPÜ 41, 43, 171 Association Internationale pour la Protection de la Propriété Intellectuelle (AIPPI) 37, 144, 153, 232 Aufrechterhaltungsrate 222 Ausführungsordnung 41 Ausführungsordnung zum EPÜ 41, 43, 171 Auskunftsanspruch 117 Auslegungsprotokoll (Art. 69 EPÜ) 74 ausschließliche Zuständigkeit 82, 85, 88, 182, 185 f., 188, 204, 242, 258, 271 Bekanntmachung (Patenterteilung) 43 f., 46, 169 Beklagtenwohnsitz 62 – 64 Belohnungstheorie 31 Benelux-Gerichtshof 192, 273 Berechnungsarten (Schadensersatz) 132, 136 – 138, 141, 143 – 145, 147, 149 f., 156 Berufungsgericht 57, 102, 160, 177 f., 180, 234, 241, 243, 272, 275 Beschlagnahme 127 Beschwerdekammer 42 Besichtigungsanspruch 122 – 129, 265 besonderer Gerichtsstand 73
Beweisverwertungsverbot 128 Binnenkontrollen 30 Binnenmarkt 61, 90, 120, 130, 149, 185, 187 f., 193, 208 f., 216, 228, 274 Bündelpatent 33 f., 65, 67 f., 74, 80, 92 Catnic 144 Chancery Division 64 Cholesterin-Test 98, 101 CLIP 85, 88 f. Common Approach 36 Conflict of Laws in Intellectual Property 88 copy out approach 148 COREPER 170, 201 cost per claim per capita 223 Cross-border-injunctions 51, 55, 62, 81, 88, 107, 253, 257, 271 DAV 111 Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) e.V. 115 Deutscher Anwaltverein 111 Deutsches Patent- und Markenamt 262 DIHK 213 DIS 115 Diskriminierung 185, 187, 212, 221 Durchsetzungs-Richtlinie 120, 122 f., 129 f., 132 – 138, 140 – 150, 152, 154 – 157, 159, 264 – 267, 269 – 272 Düsseldorfer Praxis (Besichtigungsanspruch) 122, 124 f., 128 Ehrverletzung 52 f. Eingangsstufe 43 Einspruchsabteilung 42 Einspruchsverfahren 44, 46 einstweilige Verfügungen 76, 88, 103, 180 EMRK 55, 93, 103, 197 f., 268, 272 Enforcement Directive 143 f., 120 entgangener Gewinn 150 – Herausgabe 147
Stichwortverzeichnis EPA 33, 35, 37, 41 – 46, 169, 171 f., 179 – 181, 196 – 198, 204, 206, 208 – 211, 213 – 216, 218, 220 f., 231, 239 EPeW 30, 161 f., 164, 168 – 171, 202 – 206, 211, 213 f., 217 – 219, 221, 223 – 225, 228, 248, 251 f., 255 – 258, 260, 273 f. EPGÜ-Entwurf 190 – 192, 265, 269 f. EPLA 36 f., 39, 80, 230 EPO 33, 36, 40 – 43, 45, 179, 196 – 198, 205 f., 213, 215 – 220, 248 Erfolgsort 50, 52 f., 56 f., 59 f. erga omnes-Wirkung 85 Ermessensmissbrauch 198 Erstklage 90 f., 93, 98, 101 f. Erstverfahren 90, 103 Erteilungskosten 45, 209 Erteilungsverfahren 33, 43 EuGVÜ 47 f., 54, 58, 62, 67, 71 – 73, 82, 84 f., 95, 100, 104, 128 EuGVVO-Änderung 174 – 177, 253, 256, 260 EU-Patent 30, 40, 45, 161, 162 f., 167, 170, 184, 186, 188, 201, 212, 215 f., 223, 234, 248 f. EU-Primärrecht 190 f. Europäische Kommission 35, 37 – 39, 81, 105, 118, 149, 153, 162, 164 f., 167, 174 f., 185, 188, 190, 192 – 194, 199, 205, 209, 212 – 214, 217 f., 228, 267 Europäisches Patentamt 33, 35, 37, 41 – 46, 169, 171 f., 179 – 181, 196 – 198, 204, 206, 208 – 211, 213 – 216, 218, 220 f., 231, 239 Europarat 33 European Patent Litigation Agreement 36 Export 29, 59, 62 fair-trial-Grundsatz 103 Faxkarte 123, 125, 130 f. Fiona Shevill/Presse Alliance SA 50, 52 – 54 fishing expeditions 126, 131, 264 Formstein-Einwand 109 forum shopping 55, 61, 68, 72, 79 GAT/LuK 72, 82 f., 84, 86 – 89, 253 Gefahr widersprechender Entscheidungen 71, 75, 83, 87, 159 GEMA 152 – 154
289
Gemeinkosten 132, 139, 146 f. gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten 172, 184, 190, 205, 233, 254 Gemeinschaftsmarke 92, 161, 197, 202, 232, 273 Gemeinschaftspatent 34 – 36, 38, 54, 216, 220, 231, 236, 239 Gemeinschaftspatentübereinkommen 35, 54, 92, 235 f., 237 f., 239, 242 Generaldirektion für Binnenmarkt und Dienstleistungen 81, 118, 212, 217, 226, 228 – 230 Gericht erster Instanz 178 – 180, 191 Gerichtsgebühren 226 f., 229 – 231, 252 Gerichtskosten 29, 225 – 227, 229 f. Gerichtsstand 47, 49 – 51, 55, 57, 60 f., 73, 80 f., 86 f., 92 f., 96 – 98, 105 GeschmMG 138 Gewinnherausgabeanspruch 144 f., 155, 157 gezielte Unterstützungsmaßnahmen 227 GGV 202 GMV 202 GPÜ 35, 54, 92, 235 f., 237 f., 239, 242 GPÜ-1975 34 f., 38 GPÜ-2000 36, 38, 162, 193 Grundsatz der Nichtdiskriminierung 207 Gülleausbringungsvorrichtung 140 f., 158 Gutachten 1/09 165, 173 f., 189 – 193, 197, 200, 204 f., 234 HABM 193, 208 Handlungsort 50, 53, 56, 59, 94, 181 Harhoff-Studie 118, 228, 245 Harmonisierung 46, 119, 129, 132 f., 149 f., 159 f., 202, 232, 239, 242, 246 f., 251, 253, 272 Harmonisierungsmaßnahmen 119 – 121, 133, 159, 263 HIV-Immunoassay 104 Hoechst-Urteil 199 ICC 232 Immaterielle Schäden, Ersatz 146, 148 Impfstoff 48, 59 f., 91, 104 Impfstoff II 48, 59 f., 91 Impfstoff III 91
136, 143,
290
Stichwortverzeichnis
Import 59, 61 Industrialisierung 32 injunction gap 110, 113, 117 – 119, 261, 263, 272, 274 f. inter partes-Wirkung 51, 86, 88 Interessenabwägung 80, 123 f., 130 International Chamber of Commerce 232 International Searching Authority 43 internationale Zuständigkeit 46, 51, 54, 57, 62, 64 f., 82, 86, 175, 274 Internationales Zivilprozessrecht 46, 66 Inverkehrbringen 52, 56, 68, 76 Jahresgebühren 29, 45, 169, 172, 195, 205, 215, 218 – 225, 252, 273 Jenard-Bericht 85 JURI 174, 201, 233 Kalfelis/Schröder 49, 52, 67 f., 70 f., 73, 92, 94 f. Kerneuropa-Modell 163 Kik-II-Entscheidung 208 Klagebündelung 66 f., 69, 72, 79, 81, 89 KMU 172, 207, 209 f., 212, 220, 222, 226 – 228, 231, 252 Kompensationssystem 169, 172, 206, 215, 221 Kondensatorspeicherzellen 104 Konnexität 69, 71, 75 – 77 Konnexitätserfordernis 67 f. Konzernmutter 65 – 68, 78 f., 255 f. kort geding-Verfahren 57, 115 Kosten-Nutzen-Analyse 222 f. lis pendens Regel 101, 105 f., 160, 259 – 261, 271 Lizenzanalogie 132, 134, 136 f., 139 – 142, 144, 147 f., 150 – 153, 155 – 157, 159, 269, 271, 275 Lokalkammer 181, 245, 272, 274 Londoner Übereinkommen 209, 215 – 217 Lugano Übereinkommen 47 f., 50, 97 lump sum damages 148 maintenance rate 222 Marinari 53 maschinelle Übersetzungen 171, 217 Mindestharmonisierung 129, 146
Mindestschadensersatz 150 Moçambique-Rechtsprechung 64 Mosaik-Prinzip 53, 61 Multinationalität, Prinzip der 177 f., 231, 244 – 246, 251, 263 negative Feststellungsklage 89 – 94, 96 f., 99, 101 f., 105, 259 f., 266, 272 Neufassung der EuGVVO 48, 87, 106, 165, 167, 174, 177 Nichtigkeitseinrede 84, 86, 256 Nichtigkeitseinwand 85, 257 f., 262 Nichtigkeitsklage 81, 88, 90, 100, 113, 206, 229, 241, 257, 261 f. Nichtigkeitstorpedo 88 f. Nichtigkeitswiderklage 84 f., 229, 256, 261 f., 272 Niederlande 34, 40, 57 f., 65, 67, 114 – 116, 120, 216 f., 223 NMR-Kontrastmittel 104 Offenbarung 31 Offenbarungstheorie 31 Opt out 173, 182 f., 225, 231, 241 f., 244, 246, 252, 256, 275 Patentfähigkeit 121 Patentierungsvoraussetzungen 44, 120 Patentnichtigkeitsverfahren 81, 117, 119, 261 Patentrechtsmodernisierungsgesetz 111 f., 119 Patentrechtstheorien 31 Patentschrift 31, 45, 171 f., 210, 216 f. Patentzusammenarbeitsvertrag 33 PatRModG 111 f., 119 PatRModG-Entwurf 111, 113 PCT 33, 41, 43, 70 perpetuatio fori 84 Persönlichkeitsrecht 54 f. Pflanzenschutzmittel 121 Preparatory Committee (EPG) 244 Prioritätsprinzip 90 Produktpiraterie-Verordnung 121 PVÜ 32 f., 41 Ratifikation 170, 176, 204 f., 273 Ratifikationsurkunde 176
Stichwortverzeichnis Recherchebericht 44 Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments 201, 233 Rechtsbestand 47, 88, 108 f., 231, 274 Rechtskraft 84, 86, 102 Rechtssicherheit 72, 74, 83 f., 86, 110, 117, 205 f., 210, 231, 245, 251, 261 f. Rechtsstaatsprinzip 196 Rechtsvereinheitlichung 32, 38, 159, 236, 243, 251, 269 regionale Liste 178 Regionalkammer 179, 181 f., 229, 257, 259 f., 272, 274 Restitutionsklage 110, 116 Richterpool 177 – 180, 245 Richtlinie für computerimplementierte Erfindungen 121 Roche/Primus 69 – 80, 82 f., 86, 253, 255 Sachliche Prüfung 44 saisie contrefaçon 127 – 131, 264, 266 f., 271 f., 275 Schadensersatzberechnung 132 f., 142, 145 – 148, 151, 159 f., 269 – 272 Schlussanträge des Generalanwalts 54 f., 77, 80, 96 f. Schussfadengreifer 56, 58 – 60 Schutzbereich 41, 74, 102, 120, 169, 240, 260, 273 Search Order 126 – 130, 267 Selbstfinanzierung 219, 227, 229, 231 Shevill/Press Alliance 92 Solvay/Honeywell 76 – 78, 80, 87 f. Sonderverband (PVÜ) 41 Souveränität 47, 64, 85, 88, 233, 258 SPC 110, 121, 173, 180 f. special contributions 230 spider in the web Doktrin 65 – 80 Strafschadensersatz 136, 139, 146, 151 – 153, 155, 157, 269 streamlined procedure 115 Streitgenossen 66, 80 Supplementary Protection Certificates 121, 173 Tatry 71, 83, 93, 95 Teilhandlungen 56 f. Territorialitätsprinzip 32, 47, 55 f., 59
291
Torpedo 88 – 91, 98 f., 101 f., 106, 260, 274 Torpedoklagen 90 f., 96 – 98, 100, 103, 105 f., 259 – 261 Trennungssystem 81, 107 – 112, 116 – 119, 229 f., 258, 261, 274 TRIPS 78, 133, 266 two speeds 163 Übergangszeitraum 172, 182, 205, 242 f., 262 Übersetzungskosten 35, 45, 169, 171 f., 207, 209 f., 213 – 217, 224 Übersetzungsregelungen 30, 161 – 164, 166, 168, 211 Übertragung von Patenten 246 f., 250 f. Ubiquitätsprinzip 50 ultima ratio Erfordernis 186, 188 f. unerlaubte Handlung 49, 56, 58 f., 89, 93 – 95 unfair profits 145 Verbundsystem 107 – 110, 112, 114, 116, 118, 229, 257, 261, 263 Vereinbarung über Gemeinschaftspatente 35, 38 Verfahrensdauer 72, 90, 93, 95, 99, 103, 105, 110 – 112, 114, 116, 118, 259, 261 f. Verfahrensgrundsätze 183 Verfahrensordnung zum EPGÜ 183, 227, 265 f., 269 f. Verfahrenssprache 171 f., 179 f., 210 VerfO EPGÜ 183, 227, 265 f., 269 f. Verletzergewinn 136, 138, 142 f., 145 – 148, 150 f., 155, 159 – Herausgabe 136, 138, 142 f., 145 – 148, 150 f., 155, 159 Vermengungsverbot 137, 145, 155 Verpackungsmaschine 94 verstärkte Zusammenarbeit 162 – 165, 185 – 189, 194, 199 f. Verwaltungsrat 41 – 43, 215 Verweisung 200, 228, 257, 261 f., 265, 272, 274 Verwertungsgesellschaften 152, 154 VGP 35, 38 Vistaprint 117 Vorabentscheidungsverfahren 51, 69, 76, 91, 191, 232 – 234
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Stichwortverzeichnis
vorprozessuale Beweissicherung 129 – 131, 264, 267, 271, 275
Wirtschaftsraum WTO 78, 133
Wahlrecht (Schadensersatzberechnung) 59, 92, 137 Wettbewerbsfähigkeit 164, 166, 209, 212, 219 Widerklage 72, 257, 262 WIPO 33
Zentrales Schutzschriften Register 124 Zentralkammer 177 – 182, 197, 228, 254, 257 – 263, 272, 274 f. ZSR 124 Zwangslizenz 249 f. Zweitklage 90, 93, 98, 100, 102, 260 Zweitverfahren 90, 101 f.
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