Judaistik im Wandel: Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum in Deutschland 9783110523478, 9783110521030

Few disciplines have been the subject of so much controversy in terms of their impact on university policy and societal

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German Pages 245 [246] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
Perspektiven und Plädoyers
Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015
Die deutsch-jüdische Vergangenheit zwischen Geschichtswissenschaften und Jüdischen Studien. Plädoyer für eine Annäherung „von innen“
Langsamen Schritts in die Selbstverständlichkeit. Entwicklung, Status und Perspektiven der Ju¨dischen Studien in der Schweiz
Jiddisch an deutschen Universitäten
Die Forschung zur sefardischen Sprache, Literatur und Kultur im deutschsprachigen Raum
Judaistik und die historischen Kulturwissenschaften – eine Annäherung
Impulse
Jüdische Theologie – Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum im religiösen Kontext
Science and Politics: On the Presence and Future of Israel Studies in Germany
Brauchen die Jüdischen Studien einen weiteren „turn“?. Ein Plädoyer für die Methoden der Materielle Kulturen in den Judaistik/Jüdischen Studien
„Ein Lachen durch Tränen“: Jüdische Musik im Schaffen von Mieczyslaw Weinberg
Soziologie des Judentums in Deutschland: Markante Felder, Perspektiven und Methoden
Aufstieg und Niedergang eines feministischen Kommentars zum Babylonischen Talmud in Deutschland
Die Erforschung der jüdischen Mystik nach Scholem in Deutschland Eine Momentaufnahme
Agenda 2020 oder Haut/ab! Jüdische Studien nach der Bologna-Reform
Die Erforschung der westeuropäischen Bibeltexttradition als Aufgabe der Jüdischen Studien
Scepticism in Jewish Philosophy and Thought: A Status Quaestionis
Autorenverzeichnis
Autorenregister
Sachregister
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Judaistik im Wandel: Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum in Deutschland
 9783110523478, 9783110521030

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Judaistik im Wandel

Judaistik im Wandel Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum in Deutschland Herausgegeben von Andreas Lehnardt im Auftrag des Verbandes der Judaisten in Deutschland

ISBN 978-3-11-052103-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052347-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052152-8 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Shir ha-yihud we-shir ha-kavod, von Shemuel Zanwel ben Mordechai, 1733; Ms Mainz Jüdische Gemeinde Nr. 9. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Einführung

1

Perspektiven und Plädoyers Shmuel Feiner Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015

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Andreas Brämer Die deutsch-jüdische Vergangenheit zwischen Geschichtswissenschaften und Jüdischen Studien 17 Plädoyer für eine Annäherung „von innen“ Alfred Bodenheimer Langsamen Schritts in die Selbstverständlichkeit Entwicklung, Status und Perspektiven der Jü dischen Studien in der Schweiz 25 Marion Aptroot Jiddisch an deutschen Universitäten

31

Rafael D. Arnold Die Forschung zur sefardischen Sprache, Literatur und Kultur im deutschsprachigen Raum 41 Andreas Lehnardt Judaistik und die historischen Kulturwissenschaften – eine 57 Annäherung

Impulse Walter Homolka Jüdische Theologie – Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum im religiösen Kontext 73

VI

Inhalt

Noam Zadoff Science and Politics: On the Presence and Future of Israel Studies in 81 Germany Nathanael Riemer Brauchen die Jüdischen Studien einen weiteren „turn“? Ein Plädoyer für die Methoden der Materielle Kulturen in den Judaistik/Jüdischen Studien 93 Jascha Nemtsov „Ein Lachen durch Tränen“: Jüdische Musik im Schaffen von Mieczysław Weinberg 111 Silvana Greco Soziologie des Judentums in Deutschland: Markante Felder, Perspektiven und Methoden 131 Tal Ilan Aufstieg und Niedergang eines feministischen Kommentars zum Babylonischen Talmud in Deutschland 149 Elke Morlok Die Erforschung der jüdischen Mystik nach Scholem in Deutschland 161 Eine Momentaufnahme Christoph Schulte Agenda 2020 oder Haut/ab! Jüdische Studien nach der Bologna-Reform

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Hanna Liss und Kay Joe Petzold Die Erforschung der westeuropäischen Bibeltexttradition als Aufgabe der Jüdischen Studien 189 Giuseppe Veltri Scepticism in Jewish Philosophy and Thought: A Status Quaestionis Autorenverzeichnis Autorenregister Sachregister

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Einführung Wenige Disziplinen waren und sind hinsichtlich ihrer universitätspolitischen Bedeutung und gesellschaftlichen Relevanz so umstritten wie die Judaistik oder Jüdischen Studien. Bereits ein Blick in verschiedene Einführungen in die Judaistik bzw. Jüdischen Studien lässt die divergierenden Positionen deutlich werden. Die jüngst erfolgte Einrichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät in Potsdam stellt die jüdischen Studien vor eine neue Herausforderung, auf die auch durch die Dokumentation der unterschiedlichen Ansätze in diesem Band eine Antwort gegeben werden soll – vor allem, indem auf den bestehenden Zusammenhang von verschiedenen akademischen Zugangsweisen zu dem Thema hingewiesen wird. Nach wie vor existieren sehr unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen von Studiengängen und Lehrangeboten, die einen Zugang zu dem kulturell wie geistesgeschichtlich so bedeutsamem Phänomen Judentum vermitteln sollen. In Deutschland stößt die wissenschaftliche, in einen universitären Rahmen eingebundene Beschäftigung mit jüdischer Geschichte, Literatur, Religion und Kultur dabei nach wie vor auf ein breites Interesse, und vor allem die Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Geschichte wird breit gefördert und spielt bis in die aktuellen politischen Debatten hinein eine Rolle. Das Interesse an fundierter Vermittlung und Forschung zu jüdischen Themen ist vor allem im Vergleich mit dem benachbarten europäischen Ausland nach wie vor groß, auch wenn mancherorts auch schon ein Rückgang an Förderung zu beobachten ist, was nicht zuletzt auf die grundsätzliche Infragestellung der so genannten „Kleinen Fächer“ innerhalb größerer Fakultäten verweist. Die Geschichte der Disziplin Judaistik/Jüdische Studien im deutschsprachigen Raum spiegelt seit jeher die unterschiedlichen Interessen wider, die sie bis heute prägen: Von den Anfängen in Berlin bis zum Untergang erster nichtuniversitärer Ausbildungsstätten in der Shoa entwickelte sich eine vielfältige Scene, in der verschiedene Interessen die Wissenschaft des Judentums prägten. Neben den zunächst als missionarische Unternehmungen gegründeten Instituta Judaica an evangelisch-theologischen Fakultäten, konnten sich innerhalb staatlich geförderter Institutionen keine jüdischen Studien entwickeln. Unter noch schwierigeren Bedingungen begannen sich dann erst nach der Shoa auch an philosophischen Fakultäten judaistische Institute zu entwickeln, zunächst ausgehend von Seminaren für Orientalistik. Eine allen Neugründungen vergleichbare Grundlage hatten diese Versuche des Aufbaus einer konfessionell unabhängigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum jedoch nicht.

DOI 10.1515/9783110523478-001

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Einführung

Heute definiert sich Judaistik als geisteswissenschaftliche Disziplin, die weder von jüdischen Interessen noch von christlichen Theologien bestimmt sein sollte.¹ Dieser Ausdruck des Versuches einer Neutralität ist vor dem Hintergrund der Gründergeneration von Judaisten im deutschsprachigen Raum zu sehen. Hierbei sind jedoch weitere Umstände zu bedenken, die vor allem die Positionierungen im Streit um die Judaistik bzw. Jüdischen Studien in der Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts betreffen. Vor wenigen Jahren unversöhnlich erscheinende Positionen sind mittlerweile jedoch von einer neuen Generation von Wissenschaftlern aufgrund eigener Interessen überholt bzw. in ihrer Relevanz für Entwicklung der Disziplin relativiert. Eine neue Phase im Wandel der Jüdischen Studien scheint angebrochen, und der vorliegende Band möchte dazu beitragen, das Verständnis der sich fortentwickelnden Interessen und Perspektiven in den Jüdischen Studien zu fördern und neue Ansichten und Entwicklungen in der Judaistik zu dokumentieren. Im Verlauf der vom 30.06. – 02.07. 2015 am Maimonides Center for Jewish Scepticism an der Universität Hamburg durchgeführten Konferenz wurden 22 Vorträge gehalten, von denen hier 18 in überarbeiteter und um Anmerkungen erweiterter Form veröffentlicht werden. Die Konferenz trug den Titel Orchidee oder Mimose? Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum im deutschsprachigen Raum“. Für den vorliegenden Band wurde ein weniger zuspitzender Titel gewählt, um Inhalt und Anliegen bibliographisch offensichtlicher zu machen. Die in dem ursprünglichen Veranstaltungstitel zum Ausdruck gebrachte Rückfrage an die universitäre Verortung der Jüdischen Studien soll damit allerdings nicht zurückgenommen werden. In einigen Beiträgen in diesem Band wird daher auch explizit auf den Titel der Konferenz Bezug genommen. Die bereits während der Veranstaltung in Hamburg geführten Gespräche bestärkten den Herausgeber (nach Rücksprache mit dem Mitveranstalter), die Beiträge zu sammeln und gebündelt an einem Ort zugänglich zu machen. Die auf der Konferenz behandelten Themen Holocaust Studies und Judaistik in Österreich bleiben in diesem Band unberücksichtigt. Zusätzlich in den Band aufgenommen wurden vier Beiträge (Brämer, Morlok, Lehnardt, Veltri), die im Rahmen der Konferenz nicht vorgetragen und zur Diskussion standen. Nach Form und Inhalt der Beiträge gliedert sich der Band in zwei Abschnitte: Perspektiven und Plädoyers sowie Impluse. Bereits in dieser formalen Vielfalt drückt sich auch die fortschreitende Pluralisierung, Spezialisierung und der Neuansatz in der akademischen Beschäftigung mit jüdischen Themen aus.

 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3 %BCdische_Studien (Zugriff: 01.01. 2017). Nach mehreren Jahren der redaktionellen Bearbeitung ist dieser Artikel freigeschaltet.

Einführung

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An der Vorbereitung und Organisation der Konferenz in Hamburg waren Dr. Patrick Koch und Maria Wazinski M.A. beteiligt. Ihnen wie auch Kollegen Giuseppe Veltri gilt mein Dank für die Durchführung der Konferenz. Dem Verband der Judaisten in Deutschland danke ich für die Beauftragung zur Herausgabe der Beiträge. Frau Sophie Wagenhofer vom de Gruyter Verlag danke ich für die verlegerische Betreuung.

Perspektiven und Plädoyers

Shmuel Feiner

Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015 Meine erste Begegnung mit der Forschung über Juden und Judentum in Deutschland im Jahr 1989 hinterließ gemischte Gefühle bei mir. Einerseits war ich als gebürtiger Israeli, der nur Vorlesungen auf Hebräisch gehört und seine akademische Ausbildung an der Hebräischen Universität in Jerusalem erhalten hatte, sehr überrascht zu erfahren, dass sich auch in Berlin Historiker und Historikerinnen in Forschung und Lehre mit der jüdischen Religion und den Juden beschäftigen, fast ausnahmslos mit den deutschen Juden der Neuzeit. Andererseits konnte ich, als ich Professorin Stefi Jersch-Wenzel von der Freien Universität kennenlernte, kaum verstehen, warum sie den Berliner Senat drängte, uns an der Bar-Ilan Universität einen Lehrstuhl ausgerechnet für die Geschichte der Juden in Preußen aufzunötigen. Mir war unerklärlich, wie man als Historiker des Judentums ganz im Bereich der deutschen Geschichte bleiben, die Rechtsstellung und Wirtschaftstätigkeit der jüdischen Minderheit untersuchen konnte, ohne in die Jüdischen Studien einzudringen. Was mochte diese Professorin motiviert haben, sich den Juden zu widmen, und warum erblickte sie darin eine Art Korrektur? Ihr wiederum fiel es schwer zu verstehen, was an meinem Forschungsgebiet wichtig und interessant sein sollte: Hebräische Texte aus dem 18. Jahrhundert zu lesen – über die dramatische Wende, die die Haskala im jüdischen Kulturleben auslöste. Professorin Jersch-Wenzel empfahl mir ohne Umschweife, zur Wirtschaftsgeschichte überzugehen, und verlangte, unser Lehrstuhl an der Bar-Ilan Universität solle sich den Juden in den preußischen Provinzen widmen. Zurück in Israel meinte ich, die deutsche Forschung sei meilenweit von unserer entfernt, und wir verfolgten völlig verschiedene Fragestellungen. Seither hat sich die Lage natürlich grundlegend geändert. Im letzten Vierteljahrhundert ist Deutschland, neben Israel und den USA, eines der drei größten, dynamischsten und einflussreichsten Zentren für jüdische Studien geworden. Die Zahl der Forschungszentren, Institute, Lehrstühle, Forscher und Studenten ist stark gestiegen. Es gibt kaum ein Gebiet oder Thema, das nicht behandelt würde. Die Kenntnis der jüdischen Sprachen ist Voraussetzung für den Einstieg in das Wissensgebiet, große Projekte werden erfolgreich abgeschlossen und veröffentlicht, und wir alle treffen uns im globalen akademischen Dorf bei Konferenzen und Workshops und unterhalten uns ständig auf elektronischem Weg. Mein Dank für die Einladung zu dieser wichtigen und besonderen Konferenz gilt den Veranstaltern, besonders Dr. Patrick Koch in Hamburg. DOI 10.1515/9783110523478-002

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Shmuel Feiner

Nach Erhalt der Einladung zu dieser Konferenz zögerte ich zunächst und dachte, ich gehörte hier nicht hin. Es sei doch eher ein internes Treffen, die führenden Gelehrten der Jüdischen Studien in Deutschland kämen nach Hamburg, um für sie brennende Fragen zu erörtern, ihre Stellung im deutschen Wissenschaftsbetrieb zu klären, gemeinsam über die Zukunft nachzudenken, und in dieser Hinsicht wäre ich ein auswärtiger Gast. Aber nach genaueren Überlegungen kam ich zu dem Schluss, dass meine Perspektive aus Israel 2015 vielleicht doch etwas zur Diskussion beitragen kann, und deshalb möchte ich einen sehr persönlichen Blick präsentieren, einige Probleme aufzeigen und ein paar Fragen stellen. Die Wissenschaft des Judentums ist ein relativ junges Forschungsgebiet und ihr Auftreten war eine beispiellose Revolution an einem kritischen Punkt der jüdischen Existenz als Gruppe. Und nun jährt sich in nur vier Jahren schon zum zweihundertsten Mal jener historische Augenblick des Jahres 1819 in Berlin, als sieben junge Juden, alle Anfang Dreißig, zusammenkamen, um den später so genannten „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ zu gründen – und damit den Grundstein für die Wissenschaft des Judentums zu legen.Wir alle heute, in Israel, Europa und Amerika, sind Söhne und Töchter jener sieben jungen Studenten und Gelehrten, unter denen Leopold Zunz, Eduard Gans und Markus Jost die bekanntesten sind. Angesichts der extremen Dilemmata und unerträglichen Widersprüche zu einer Zeit, als Emanzipationserwartungen, tiefgreifende Akkulturation, Entfremdung vom traditionellen Judentum und die ersten Ansätze eines neuen Antisemitismus aufeinandertrafen, beschlossen sie, das Projekt der Wissenschaft des Judentums anzugehen. Shneur Zalman Shazar diagnostizierte bei ihnen „eine Entjudung“¹ und erklärte ihr Unternehmen für gescheitert, und Gershom Scholem attackierte bekanntlich in seinem scharfen Stil die unverzeihliche Liquidationsabsicht der Gründer bei ihrem Wunsch, das Joch der jüdischen Identität abzuschütteln.² Und doch sind die Globalisierung der Jüdischen Studien, die Kongresse, die Hunderte von Forschern, die vielen Bücher, Aufsätze, Forschungsinstitute, Projekte und die globale Fachdiskussion der schlagende Beweis für die Dauerhaftigkeit dieses

 Shazar, damals noch Salman Rubashoff, bezeichnete diese Begründer der Wissenschaft des Judentums als „Erstlinge der Entjudung“, siehe Salman Rubashoff, „Erstlinge der Entjudung. Einleitung zu den drei Reden von Eduard Gans im Kulturverein“. In: Der jüdische Wille 1 (1918/19), S. 30 – 35.  Scholem spricht von der Wissenschaft des Judentums als geeignete „Beerdigungszeremonie“, auch wenn er sich als deren Nachfolger erachtet. Gershom Scholem: Judaica 6. Die Wissenschaft vom Judentum. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 23. In den hebräischen Artikeln zum Thema bedient sich Scholem einer noch schärferen Rhetorik.

Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015

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gelungenen Unternehmens und für die Beständigkeit dieser großartigen Republik von Erforschern der jüdischen Vergangenheit. Als ich letztes Jahr meine Mendelssohn-Biografie, die gerade in chinesischer Übersetzung erschienen war, in Taiwan vorstellte, erkannte ich wieder einmal, dass noch immer neue Kulturen darauf warten, die Welt der Juden, ihre Religion und Geschichte, kennenzulernen, und das ist vielleicht eine der wichtigen Aufgaben der Jüdischen Studien im 21. Jahrhundert. Natürlich konnten die Gründerväter die neuen Tendenzen in den heutigen Jüdischen Studien nicht voraussehen, aber wir alle stehen auf dem konzeptionellen Fundament, das sie vor fast zweihundert Jahren legten. Die Wissenschaft des Judentums entstand im Zug der Säkularisierung, der Trennung zwischen Religion und Wissenschaft, unter einem Vorzeichen, das von den religiösen Eliten als religionsfeindlich und gefährlich für den Glauben betrachtet wurde – dem Vorzeichen der Kritik. „Der religiöse Glaube“, schrieb Markus Jost Anfang des 19. Jahrhunderts, „legt dem Historiker Fesseln an.“³ Beeinflusst von der radikalen Aufklärung des 18. Jahrhunderts war er sich schon in diesem revolutionären Frühstadium der Wissenschaft des Judentums bewusst, dass sie von religiösen Erwägungen freibleiben müsse, und erklärte, nur kritische Betrachtung dürfe die Geschichtswissenschaft lenken. Eine dramatische Wende erfolgte also bei der Entstehung der Wissenschaft des Judentums vor zweihundert Jahren: Die neue Elite der Forscher und Gelehrten bildete eine Alternative zu der Elite der Rabbiner und Toragelehrten. Der Historiker stand im Begriff, den Rabbiner als Experten für das Judentum abzulösen, und das auf der Grundlage ganz anderen Wissens als das der Toragelehrten, eines Wissens, das in akademischen Einrichtungen erworben war und nicht in der Jeschiwa. Nathan Rotenstreich hat uns schon vor Jahrzehnten gelehrt, dass das Projekt der Wissenschaft des Judentums einer Zeit entsprang, in der Juden sich von der Tradition entfernten und zwischen Judentum und Juden, zwischen religiösen Pflichten und der distanzierten und abgewogenen Darstellung der jüdischen Kultur unterschieden.⁴ Es war eine Historisierung, um die Welt und die Vergangenheit zu erklären, eine Methode, die das Verhältnis zu den Texten und Inhalten des Judentums säkularisierte. Die moderne Geschichtswissenschaft unterzieht auch heilige Texte und Traditionen der Kritik und stellt sie in ihren zeitlichen und lokalen Zusammenhang, zeichnet ein Geschichtsbild, in dem der Einzelne und die nationale Gruppe autonome Akteure sind, während man die göttliche Vorsehung dem Bereich der Theologie überlässt.

 Isaak Markus Jost: Allgemeine Geschichte des Israelitischen Volkes, Bd. 1. Berlin: Amelang 1832, S. 14.  Nathan Rotenstreich: The ‚Science of Judaism‘ and its Transformation. In: Jewish Studies 32 (1992), S. 9 – 12.

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Shmuel Feiner

Die Zuversicht, die Vergangenheit erforschen, die Wahrheit erkennen, das Verborgene aus den dunklen Tiefen hervorholen zu können und das Vertrauen auf freie Kritik sind der Lebensatem der Jüdischen Studien. Doch die wissenschaftliche Methode, so objektiv und philologisch präzise sie auch sein mag, kann im geisteswissenschaftlichen Bereich nicht unter sterilen Laborbedingungen arbeiten. Man muss bedenken und betonen, dass hinter den Jüdischen Studien stets eine Motivation, wenn nicht sogar eine feste Ideologie stand, dass derjenige, der sich ihr widmete,wusste,warum er es tat, und glaubte, sein Tun sei wichtig und wegweisend für seine Zeit und seinen Ort. Schon die Begründer der Wissenschaft des Judentums benutzten die Vergangenheit, um ihr eigenes Narrativ damit zu unterstützen. Sie benutzten sie, um ihr Bedeutung für ihr Leben zu entlocken und sie für ihre Zukunftshoffnungen fruchtbar zu machen. Mithilfe der Geschichte wollten sie an eine moderne jüdische Identität anknüpfen, um völliger Assimilation und Entfremdung ebenso zu entgehen wie einer unmöglichen Rückkehr zum traditionellen Judentum. Es war seinerzeit ein Projekt des Selbstschutzes, der Rettung, in Reaktion auf den eklatanten Zusammenstoß mit modernen Tendenzen, die die jüdische Identität fast völlig aufrieben. Für die Gründer war die Wissenschaft des Judentums Teil der Emanzipation und Integration in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen. Sie erbrachte den Beweis, dass das Volk Israel lebte, einen würdigen Beitrag zur Zivilisation leistete, und sie war, wie gesagt, ein neuer Weg, an die jüdische Vergangenheit anzuknüpfen, ohne sich den Normen und Praktiken der Synagoge zu verpflichten. Kein Wunder also, dass dieses Forschungsgebiet für die Reformbewegung so wichtig war, da sie historische Grundlagen für radikale Erneuerungen in Theologie und religiöser Praxis suchte. In späteren Generationen flossen die Jüdischen Studien in das nationale Projekt ein und lieferten Forschern, Pädagogen und Politikern die glänzende Vergangenheit ihres Volkes. Der Aufbau einer Nation im eigenen Staat war undenkbar ohne das Fundament der Forschung und ohne die nationalen und zionistischen Narrative, die dieser Vergangenheit Bedeutung verliehen. Genau das wollte Gershom Scholem, als er die Gründerväter angriff – eine nationale Vergangenheit und eine Forschung, die der Wiederbelebung der Nation diente. Man kann demnach sagen: Die Wissenschaftler hatten immer eine Motivation und auch ein Narrativ, das heißt eine historische Geschichte von einem bestimmten Anfang bis zur Gegenwart. Sie hatten eine Geschichte, die Forschungsergebnisse, Ereignisse, und Hauptfiguren in eine Handlung einband, in der jeder Bestandteil seinen Platz und seine Bedeutung hatte. Ich meine, wir befinden uns in den letzten Jahren schon an einer anderen Stelle, nicht zuletzt aufgrund der postmodernen Kritik, die die wechselnden Geistesströmungen nach den Einschnitten der Weltkriege und des Holocaust in der Mitte des 20. Jahrhunderts begleitet. Es ist auch eine methodologische Frage:

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Ist die Geschichtsforschung eine Wissenschaft oder ist sie eine Illusion und die Forschung auf diesem Gebiet nicht weniger Dichtung als das literarische Werk? Und sie stellt auch eine kulturelle Herausforderung dar: Die postmoderne kritische Geisteshaltung steht Wahrheiten, Konventionen und Narrativen eher skeptisch und misstrauisch gegenüber. Die postmoderne Kritik hat den alten Historizismus bis zum Absurdum radikalisiert: Nicht nur ist alles relativ und abhängig von Kontext und Perspektive, sondern der Text verliert seine zentrale Stellung. Er verliert sie auch an den Interpreten des Textes, und die Werke des Menschen in der Geschichte stehen unter Verdacht, von persönlichen Interessen gelenkt oder gar erfunden und erdichtet zu sein. Sogar die Tradition wird nicht mehr als solche anerkannt, sondern gilt als späte Erfindung. Die postmoderne Kritik regt einerseits zu kreativerem Denken an, zum Verständnis der Mechanismen von Macht und Unterdrückung (etwa im Verhältnis zwischen den Geschlechtern) und zu großer Vorsicht im Hinblick auf die kreativen Bestandteile der Kultur und ihrer Entstehung. Andererseits entleert sie die Vergangenheit ihrer Bedeutung und beraubt sie ihrer Handlung, als hätte es niemals menschliche Gesellschaften gegeben, deren dramatisches Leben nacherzählenswert wäre und deren Werke die Zeiten überdauern und der heutigen Kultur Tiefgang verleihen würden. Einer der wichtigsten Historiker des vorigen Jahrhunderts, Jakob Katz (1904 – 1998), hinterließ in seinem letzten Aufsatz einige Warnungen. Er richtete sich gegen dilettantische Historiker und gegen die postmoderne Kritik, die nicht nur die Leistung der historischen Forschung anzweifle, sondern auch die Fähigkeit der Geschichte, dem Leben Bedeutung zu geben. „Als man der Geschichte die Macht absprach, als verlässliche Quelle zu dienen“, schrieb Katz, „wurden auch Bedenken über ihren Wert und ihre Bedeutung laut.“⁵ In den unbehaglichen Leerraum drängten Mythen, Sehnsucht nach einer unkritischen Religion mit allwissenden Geistlichen und eine Neigung zu Mystik und Spiritualismus oder aber zu nihilistischer Skepsis. Nach meiner Ansicht können und müssen wir zwar nicht die Macht der Geschichte als verlässliche Quelle wiederherstellen, aber die zeitgenössischen Jüdischen Studien können ein Gegengewicht zu Randerscheinungen bieten – zu Mystik und religiösem Fundamentalismus auf der einen und entfremdender Skepsis auf der anderen Seite. Katz’ kritischen Bemerkungen möchte ich einen Punkt hinzufügen: In den drei großen Zentren der Jüdischen Studien sind die Motivationen der Wissenschaftler mit einem Fragezeichen versehen und die Narrative erleben tiefgreifende Wandlungen. Wir können zwar zusammenarbeiten und sogar gemeinsame Projekte stemmen, aber beim Thema Motivation und Narrativ zeigen sich die Unterschiede.

 Jacob Katz: Historyah ve-historyonim, hadashim kiyshanim. In: Alpayyim 12,3 (1996), S. 13.

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Shmuel Feiner

Wir haben meiner Meinung nach ein neues Stadium in den Jüdischen Studien erreicht, und die Motivationen der Gründerväter oder unserer Lehrer genügen uns nicht mehr. In den USA ist scheinbar die jüdische Identität die wichtigste Motivation für Forscher und Studierende der Jüdischen Studien. Die große Frage nach der jüdischen Vergangenheit und Gegenwart betrifft die Transformation der jüdischen Identität und ihre Wahrung unter wechselnden historischen Umständen. Das dominante Narrativ ist das Zusammentreffen der Juden mit der nichtjüdischen Umgebung und Kultur, eine Begegnung, die Pluralismus schafft, und das ist zweifellos eine Folge des Lebens in einem Land, das eben diese Weltanschauung vertritt und diese Bestrebung in sich trägt. Als anschauliches Beispiel möchte ich den großen Sammelband anführen, den David Biale 2002 unter dem Titel Cultures of the Jews herausgebracht hat. Die Perspektive der „jüdischen Kulturen“ ist global, diasporabezogen, optimistisch, postideologisch und pluralistisch. Das Buch beansprucht in zweifacher Hinsicht Globalität für sich: „Jewish culture has always evolved on a global stage“,⁶ hat sich in fast alle Ecken und Enden der Welt verbreitet, und „Jewish Studies as a field has become ‚globalized‘“.⁷ Es ist schon ein immenses Unternehmen, dem Leser zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem einzigen, über tausend Seiten starken Band ein Bild der jüdischen Geschichte von der biblischen Landnahme bis zu der Kultur, die in den heutigen jüdischen Zentren in Israel und Nordamerika entstanden ist, geben zu wollen. Das Vorwort zu Cultures of the Jews bietet eine neue Sicht mit zahlreichen Auswirkungen auf die heutige jüdische Historiographie. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts begegnete jeder Historiker, der eine allgemeine Geschichte der Juden schreiben wollte, einer Reihe von Problemen: Gibt es eine einzige Geschichte, die alle jüdischen Gruppen in der Diaspora vereint? Besteht Kontinuität zwischen den Epochen? Ist die Geschichte der Juden die Geschichte einer Religion, einer Nation oder einer ethnischen Minderheit? David Biale stellte sich diesen Problemen mit seiner Entscheidung für die Kulturgeschichte, das heißt dem Bestreben, sämtliche Tätigkeiten der Juden und ihre Auffassung von diesem Tun vorwiegend anhand ihres literarischen und künstlerischen Wirkens zu beleuchten. Dieser kulturelle Ansatz hat gegenüber dem religiösen oder nationalen auch den Vorzug, dass sich mit ihm leichter ein jüdischer Pluralismus konstatieren lässt und man darüber hinaus die Mitwirkung von Juden an der zeitgenössischen Kultur ihres Wohnorts untersuchen kann. Das Judentum ist eine Kultur, behauptet dieses Buch praktisch. Statt zum Beispiel Einflüsse auf die Juden oder Beiträge von den Juden zu suchen, kann man das organische Modell einer Kultur anbieten. Das Buch zeigt die Span-

 David Biale: Cultures of the Jews. A New History. New York: Schocken 2002, S. 1149.  Ebd., S. xxix.

Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015

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nung zwischen dem Gemeinsamen und dem Partikularen, zwischen dem Wirken der Juden innerhalb der Kultur ihrer Umgebung und der Entstehung besonderer jüdischer Subkulturen. Hier trifft sich die Motivation der Identität mit dem Narrativ von der fruchtbaren Begegnung der Juden mit ihrer Umgebung. Der Herausgeber erklärt, sein Buch sei nicht von dem ideologischen Feuer beseelt, das frühere Generationen antrieb.⁸ Trotz dieses Bemühens, der Ideologie zu entkommen, scheint die Cultures of the Jews doch ein alternatives Narrativ zu durchziehen – das Narrativ des Pluralismus, das die ständige positive Interaktion der Juden mit ihrer Umgebung aufzeigen möchte. Daher verwundert es nicht, dass das Schlusskapitel des Buches den US-amerikanischen Juden der letzten Generationen gewidmet ist. Allerdings verrät uns der Herausgeber, dass es unter den Autoren des Bandes eine Diskussion über die Frage gegeben hatte, was das Thema des letzten Kapitels sein sollte – die Juden in den USA oder in Israel. Er spielt die Bedeutung dieser Entscheidung herunter mit der Feststellung: „It may be more fruitful to think about these two largest communities as siblings in the collective family history of the Jews.“⁹ Aber auch wenn dies eine ehrliche Erklärung sein sollte, die keine Prognose für die Entwicklungsrichtung der jüdischen Geschichte stellen möchte, kann man darin doch eine Übereinstimmung mit der allgemeinen Tendenz des Buches oder zumindest mit seiner Perspektive erkennen. Es lässt sich natürlich nicht behaupten, Israel sei aus dem Narrativ verschwunden, aber die Feststellung, nirgends auf der Welt seien die Fragen der Identität und Zugehörigkeit gelöst, das heißt, auch Israel und dem Zionismus sei es nicht gelungen, die Judenfrage erfolgreich zu lösen, zieht die Bedeutung des zionistischen Kapitels in der Geschichte der Juden in Zweifel. Auch in Israel gibt es neue Tendenzen. Die zionistische „Jerusalemer Schule“ hat viel von ihrer Kraft eingebüßt, ist allerdings nicht völlig verschwunden. Israel leidet heutzutage überhaupt an einer sehr tiefen Krise der Geisteswissenschaften. Diese Krise ist weltweit zu beobachten, aber in Israel, wo die Eliten im High-TechSektor glänzen, ist das öffentliche Ansehen der Universitätsprofessoren gewiss im Verhältnis zum vorigen Jahrhundert stark gesunken, und weniger Studierende entscheiden sich für die Geisteswissenschaften. Dieses Phänomen ist schon seit zwei Generationen zu beobachten. Auch meine Lehrer genossen nicht dieselbe öffentliche Stellung und Verehrung wie wiederum ihre Lehrer, darunter herausragende Gelehrte wie Ben Zion Dinur, Shmuel Ettinger und auch Jakob Katz, die bekannte Größen in der israelischen Öffentlichkeit waren. Aber noch etwas verändert Motivationen und Narrative. Säkulare Gelehrte verzichten lieber auf die

 Ebd., S. xxx.  Ebd., S. 1148.

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Shmuel Feiner

Jüdischen Studien, und an ihrer Stelle treten orthodoxe Wissenschaftler in den Fachbereich ein, die zuweilen eine religiöse und nationale Motivation mitbringen. Einige von ihnen tun sich schwer damit, den kritischen Ethos der Jüdischen Studien zu akzeptieren. Für sie sind die Jüdischen Studien eine Möglichkeit, ihre Identität und ihre Ideologie zu bestätigen. Die Geisteswissenschaften im Allgemeinen und das Judentum im Besonderen stehen in einem ständigen Spannungsverhältnis beispielsweise mit der sozialen, religiösen und politischen Tendenz, die Vergangenheit für die Erhaltung einer Tradition einzusetzen, die keine Kritik duldet und auch keinen Pluralismus, der der gewünschten Weltanschauung widerspricht. Dieser Trend läuft dem in den USA genau entgegen. So findet man bereits eine von einer Universität in Israel angenommene Doktorarbeit im Fach Talmud, die den Schlussvermerk des Verfassers trägt: „Alles, was hier geschrieben steht, beruht auf dem, was die Professoren mich an Forschungsmethoden gelehrt haben, aber die Wahrheit ist nur die, die mir meine Rabbiner sagten, und die ist eine andere.“ Dies repräsentiert natürlich nicht das ganze Bild. Die israelische Forschung besitzt immer noch ein hohes Niveau, und in vielen Bereichen ist sie modern und weltweit führend, aber die genannten Tendenzen geben Anlass zur Sorge. Ich glaube, die Judaistik in Israel hat hervorragende Leistungen zu verzeichnen, und sie hat auch eine große Aufgabe. In Israel wird die jüdische Geschichte jeden Tag fortgeschrieben, weil hier die wichtigsten Entwicklungen in allen Lebens- und Kulturbereichen der heutigen Juden ablaufen. Wenn der künftige Historiker die Geschichte der Juden zu Anfang des 21. Jahrhunderts schreibt, wird er fast ausschließlich über Israel berichten. Hier spürt man den Puls des jüdischen Lebens am besten. Und deshalb kann auch die Judaistik nicht davon losgelöst sein. Nicht von ungefähr betone ich beispielsweise in meinem Narrativ vor allem die Auseinandersetzungen, die Konflikte, die Krisensituationen, den Kulturkampf. Das alles ist zugegebenermaßen sehr relevant für mein Leben in Israel. Darin unterscheiden wir uns von unseren Kollegen in den USA, die Pluralismus, Harmonie und Begegnungen suchen. Die historische Debatte über die Juden im deutschsprachigen Raum der Neuzeit beispielsweise finde ich gerade deshalb spannend und bedeutsam für unsere Zeit, weil sie die Möglichkeit eröffnet, eine offene Diskussion zu beginnen. Hier bietet sich ein einmaliges Labor zur Erforschung der Modernisierungsprozesse, der Errungenschaften und nicht weniger auch der Schmerzen, der dramatischen Abläufe und ihrer Preise, ein Labor zur Erforschung der Entstehung des modernen Bewusstseins und zum Verständnis der Teilungsprozesse und Auseinandersetzungen in den letzten dreihundert Jahren. Ich möchte ein interessantes Beispiel anführen. Vor drei Jahren nahm ich an einem Kongress zum 250. Jahrestag der Eheschließung zwischen Moses Mendelssohn und Fromet Gugenheim in Berlin teil. Wäre ein derartiger Kongress in Jerusalem oder New York

Jüdische Studien heute – eine Perspektive aus Israel 2015

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denkbar? Erst dort verstand ich, wie unterschiedlich die Perspektiven und Narrative sein können und wie sehr die Fragen, die wir stellen, von unseren unterschiedlichen Lebenssituationen abhängen. Während die meisten Kongressteilnehmer über den Beitrag dieser berühmten Familie zu Philosophie, Bankwesen, Literatur und Musik Deutschlands referierten, fragte ich nach der Spannung zwischen der jüdischen Identität und der Einbeziehung ins europäische Leben. Das dominante Narrativ war das Erbe Mendelssohns und seiner Nachkommen aus dem Blickwinkel der deutschen Gesellschaft, doch ich versuchte zu erklären, wie der „deutsche Sokrates“ auf zwei Fronten gleichzeitig kämpfte – gegen diejenigen, die ihm zu Religionswechsel und Assimilation rieten, und gegen die, die ihn kritisierten, weil er seine religiösen Wertvorstellungen mit dem Humanismus der Aufklärung verbunden hatte –, und inwiefern seine Dilemmata auch die des heutigen modernen Judentums sind. In Bezug auf Motivation und Narrativ sind mir die Jüdischen Studien in Deutschland zugegebenermaßen ein Rätsel. Dazu kann ich nur einige Fragen aufwerfen: Gehe ich fehl in der Annahme, dass die Forscherinnen und Forscher hierzulande nicht unbedingt meinen, eine Motivation angeben zu müssen? Und was motiviert dann so viele hervorragende Menschen, ihr Leben dem hochrangigen Studium jüdischer Fächer zu widmen, seien es Theologie, Kabbala, Philosophie, Texte, jüdische Pädagogik und viele weitere Bereiche? Ist es nur der Wunsch, die Vergangenheit zu dokumentieren? Der Vergangenheit ein Museum zu errichten? Täusche ich mich, wenn ich meine, es ließe sich nur schwerlich ein Narrativ der jüdischen Vergangenheit entdecken? Sicherlich ist dies vielleicht eine unzulässige Verallgemeinerung. Wie in den USA wollen Wissenschaftler auch das Zusammentreffen zwischen Juden und Christen, Judentum und Christentum, Judentum und Aufklärung verstehen oder das letzte Kapitel der deutschen Juden vor dem Holocaust und das Scheitern der Emanzipation. Trotzdem scheint mir, dass die meiste Forschung hierzulande kein Narrativ erkennen lässt.Vielleicht stimmen Sie mir darin zu, dass die Erforschung des Antisemitismus und des Holocaust in erster Linie in den Bereich der Geschichte Europas fällt. Hier stellt sich also die große Frage: Welche Bedeutung besitzen die Jüdischen Studien in Deutschland für die Gegenwart? Haben Sie das Gefühl, es gäbe Grenzen, die Sie nicht überschreiten dürften, rote Linien, die nur hier und nirgendwo sonst vorhanden seien? Verändert das andersgeartete Publikum der Studierenden und Leser auch Richtung und Tendenzen der Jüdischen Studien? Ist es ein Unterschied, ob man Hebräisch, Englisch oder Deutsch schreibt? Abschließend möchte ich ein Zitat anführen: „Der moderne Versuch, die jüdische Vergangenheit zu rekonstruieren“, schrieb Yosef Hayim Yerushalmi in seinem klassischen Buch Zachor: Erinnere dich!, „beginnt zu einer Zeit, in der die Kontinuität jüdischen Lebens einen scharfen Bruch erfährt, was auch einen immer

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stärkeren Verfall jüdischen Gruppengedächtnisses bewirkt.“¹⁰ Meines Erachtens hat der moderne Historiker gar keinen Einfluss auf seine Zeit und selbst das historische Gedächtnis der Juden entsteht ohne sein Zutun. Aber im Jahr 2015 und von Israel aus gesehen rate ich gerade zum Mitmachen auf der heutigen Bühne, wo die jüdische Welt andere, neue Formen annimmt, denn unsere Stimme, die der Judaisten, die dem Ethos der Kritik treu sind, darf nicht geschwächt oder gar zum Schweigen gebracht werden. Wir werden uns nicht anmaßen, die Wächter der wahren Erinnerung gegen alle anderen Angebote auf dem Markt der Erinnerung zu sein, werden kein Monopol darauf erheben, aber letzten Endes glauben wir, dass die Forschung Tiefenwirkung entfaltet. Zumindest in Israel zehren die Jüdischen Studien von der besonderen Situation jüdischer Existenz in einem souveränen Staat und deshalb sind sie dem Leben verbunden, dokumentieren nicht nur etwas Vergangenes. Wir sind tatsächlich ein Ergebnis der Säkularisierung und der Zwiespälte in der modernen Lebenslage, aber wir dokumentieren auch diese Krisen und Brüche, lassen Kultur und Lebensweisen früherer Zeiten auferstehen. Wir sind kritische Intellektuelle, keine Hüter der Tradition. Die Frage, die wir stellen, ist existentiell wichtig für uns: Wie die Geschichte des Lebens und Wirkens der Juden unser heutiges Leben anregt und bereichert.

 Yosef Hayim Yerushalim: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Berlin: Wagenbach 1996, S. 94.

Andreas Brämer

Die deutsch-jüdische Vergangenheit zwischen Geschichtswissenschaften und Jüdischen Studien Plädoyer für eine Annäherung „von innen“ Seit ihren Neuanfängen in den 1960er und 1970er Jahren präsentiert sich die deutschsprachige Historiografie zur neuzeitlichen deutsch-jüdischen Geschichte als ein Forschungsfeld, das überwiegend, aber durchaus nicht ausschließlich, von nichtjüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bearbeitet wird.¹ Vor allem in der jüngeren Vergangenheit nimmt diese Forschung eine Vielzahl von Impulsen aus anderen Disziplinen auf und diversifiziert sich sowohl in thematischer als auch in methodischer und theoretischer Hinsicht immer weiter.² In-

Dieser Essay fußt auf meinem Text „Was ist „deutsch-jüdische Geschichte von innen“? Einführende Bemerkungen“, ursprünglich veröffentlicht in: Aschkenas 18/19 (2008/2009), S. 1 – 8.  Zur Entwicklung bis zum Ende des letzten Jahrhunderts: Stefan Rohrbacher: Jüdische Geschichte. In: ders. / Michael Brenner (Hrsg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 164– 176.  Hier seien, stellvertretend für eine kaum mehr überschaubare Vielzahl von Titeln, nur einige innovative Monographien und Sammelbände der letzten Jahre genannt: Arndt Engelhardt: Arsenale jüdischen Wissens. Zur Entstehungsgeschichte der „Encyclopaedia Judaica“. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014; Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919 – 1939. Göttingen: Wallstein Verlag 2014; Tobias Grill: Der Westen im Osten. Deutsches Judentum und jüdische Bildungsreform in Osteuropa (1783 – 1939). Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 2013; Hannah Lotte Lund: Der Berliner „Jüdische Salon“ um 1800. Emanzipation in der Debatte. Berlin, Boston: De Gruyter 2012; Lorenz Peiffer / Moshe Zimmermann (Hrsg.): Sport als Element des Kulturtransfers. Jüdische Sportler zwischen NSDeutschland und Palästina. Göttingen:Wallstein Verlag 2013; Eberhard Wolff: Medizin und Ärzte im deutschen Judentum der Reformära. Die Architektur einer modernen jüdischen Identität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. Den aktuellen Stand der Forschung reflektiert die seit 2012 von der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in der Bundesrepublik Deutschland herausgegebene Reihe ‚Perspektiven deutsch-jüdischer Geschichte‘. Sie umfasst insgesamt sieben Bände mit Überblicksdarstellungen zu den Themen: Kultur und Gedächtnis (Klaus Hödl, Paderborn 2012), Religion und Identität (Steven Lowenstein, 2012), Migration und Transnationalität (Tobias Brinkmann, 2012), Geschlecht und Differenz (Stefanie Schüler-Springorum, 2014), Politik und Recht (Uffa Jensen, 2014), Wirtschaft und Ungleichheit (Rainer Liedtke) sowie Alltag und Gesellschaft (Miriam Rürup). DOI 10.1515/9783110523478-003

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wieweit sich die Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte inzwischen zu einem integralen Bestandteil der deutschen Fachwissenschaft entwickelt hat oder ihren Platz noch immer in einer historiografischen Nische findet, wird immer wieder diskutiert, soll aber an dieser Stelle nicht entschieden werden.³ Ausgangspunkt der in diesem kurzen Aufsatz präsentierten Überlegungen ist vielmehr die Perspektivität der Forschung. Unbeschadet einer Vielfalt von unterschiedlichen Lesarten scheint die Geschichtsforschung im Grunde stets zwei Zugangswege zu beschreiten, um die Vergangenheit der deutschen Juden im langen 19. Jahrhundert zu deuten, in deren Verlauf die vormals relativ stabile traditionelle Gesellschaft einen dynamischen Wandlungs- und Anpassungsprozess durchläuft: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt, grob gefasst, entweder von „außen“ oder von „innen“. Was aber genau ist mit „jüdischer Geschichte von außen“ und „jüdischer Geschichte von innen“ gemeint? Wenn der Begriff „außen“ die nichtjüdische Umwelt bzw. die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen jüdischer Existenz umfasst, dann bezieht sich „innen“ auf die jüdische Gemeinschaft selbst sowie auf die unterschiedlichen Manifestationen jüdischer Religion, Kultur, Zivilisation und Identität. Hier soll zunächst der Versuch gemacht werden, „außen“ und „innen“ jeweils eigene Themenkreise zuzuordnen. Eine solche Systematik ist hilfreich, auch wenn sie nicht ohne eine Vereinfachung auskommt und die klare Trennung der Kategorien in der Zuordnung fließende Übergänge notwendig vernachlässigen muss. Eine klassische Blickrichtung von außen nimmt die Historiografie ein, sofern sie sich für ein Narrativ entscheidet, bei der Jüdinnen und Juden im geschichtlichen Wandel nur als passive Objekte und Opfer eine Rolle spielen. Diese Geschichte ist überhaupt nur mit Vorbehalt eine jüdische zu nennen, befasst sie sich doch vielmehr mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Antijudaismus und Antisemitismus, mit der Verhandlung der ‚jüdischen Frage‘ bei nichtjüdischen Denkern und in unterschiedlichen Öffentlichkeiten wie auch mit der obrigkeitlichen Judenpolitik vor, während und nach der Emanzipation. Sie interessiert sich also vornehmlich für die Wahrnehmung und Behandlung der Juden in der und durch die Mehrheitsgesellschaft, nimmt sie aber nicht als Akteure der Geschichte wahr, die Lebenswelten gestalteten und mitgestalteten. Im Fokus ihrer Darstellung stehen Nichtjuden, die der Minderheit gleiche Rechte verweigerten oder gewährten, die für oder gegen die Integration ihrer jüdischen ‚Mitbürger‘

 Dazu kritisch Oded Heilbronner: Das (bürgerliche) deutsche Judentum im Spiegel der deutschen Fachwissenschaft. Ein Forschungsbereich zwischen In- und Exklusion. In: Historische Zeitschrift 278, 1 (2004), S. 101– 123.

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sprachen, schrieben, handelten. Immerhin scheint sich aktuell eine interessante Verschiebung dieser Perspektive zu vollziehen, indem jüngere Historikerinnen und Historiker ‚revisionistische‘ Arbeiten etwa zum Emanzipationsprozess vorlegen, in denen sie auch die jüdische Partizipation an den Verhandlungen, die Implementation der Gesetzgebung vor Ort oder auch die sich unter deren Einfluss verändernden jüdischen Lebenswelten thematisieren.⁴ Ein ebenfalls eher traditioneller Ansatz der allgemeinen Geschichtsschreibung nimmt von den Jüdinnen und Juden zwar durchaus als handelnde Subjekte Kenntnis, er wendet seine Aufmerksamkeit jüdischen Personen (oder Personen jüdischer Herkunft) aber vornehmlich dann zu, wenn und soweit diese ihr Handeln aus ihrem bürgerlichen bzw. staatsbürgerlichen Selbstverständnis herleiteten. Beachtung finden also Menschen dort, wo sie sich in der allgemeinen Sphäre des öffentlichen Lebens einen Namen gemacht haben, aber nicht da, wo sie als Angehörige oder Repräsentanten einer religiös-ethnischen Gruppe auftraten und als solche Sonderinteressen verfolgten.⁵ Auch in der deutsch-jüdischen Historiografie hat dieser Ansatz als ‚contribution paradigm‘⁶ bis in die Gegenwart Spuren hinterlassen, indem das Narrativ vor allem die Verdienste betont, die sich (deutsche) Juden um Politik, Wirtschaft und Kultur erworben haben. Die allgemeine Historiografie ist in der Regel zurückhaltend, sich auf die Forschungsstränge der inneren jüdischen Geschichte zu beziehen, d. h. der jüdischen Vergangenheit sowohl eine gewisse Besonderheit zuzumessen als auch sie in den größeren Bezugsrahmen der deutschen Geschichte einzuordnen. Hier kann die deutsch-jüdische Geschichtsschreibung wichtige Anstöße geben. Hat sie doch z. B. das Verhältnis, das Mit-, Neben- und Gegeneinander von Juden und anderen Deutschen im historischen Verlauf zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht. Neben beziehungsgeschichtlichen Gesichtspunkten stehen die nach außen gerichteten Bemühungen der jüdischen Deutschen um gesellschaftlichen Zutritt zum Bürgertum und die Aneignung von Besitz und Bildung im Zentrum der Be-

 Siehe etwa Tobias Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763 – 1812). Berlin: Duncker & Humblot 2010; Stephanie Schlesier: Bürger zweiter Klasse? Juden auf dem Land in Preußen, Lothringen und Luxemburg. Köln, Weimar,Wien: Böhlau Verlag 2014; Marion Schulte: Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preußen. Ziele und Motive der Reformzeit (1787 – 1812). Berlin: De Gruyter 2014; Michał Szulc: Emanzipation in Stadt und Staat. Die Judenpolitik in Danzig 1807 – 1847. Göttingen: Wallstein Verlag 2016.  Vgl. Michael A. Meyer: Jews as Jews versus Jews as Germans. Two Historical Perspectives. In: Leo Baeck Institute Year Book 37 (1991), S. XV – XXII.  Steven E. Aschheim: German History and German Jewry. Junctions, Boundaries, and Interdependencies. In: ders., In Times of Crisis. Essays on European Culture, Germans and Jews. Madison, London: University of Wisconsin Press 2001, S. 88.

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trachtung. Zentrale Analysekategorien sind demnach etwa Assimilation, Akkulturation, In- und Exklusion oder Verbürgerlichung.⁷ Auch Studien zur Demografie oder zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Juden verweisen notwendigerweise sowohl auf den Rahmen allgemeiner Konstellationen als auch auf die besondere Minderheitensituation sowie auf kollektive Prägungen aufgrund von Herkunft und Traditionen, die sich auch auf die Wahrnehmung der Umwelt auswirken. Aushandlungsprozesse des Selbstverständnisses erfolgten demnach in einem Spannungsfeld zwischen religiösem Judentum, das tendenziell eher an Bedeutung verlor, und säkularen Anforderungen der Moderne, die sich ständig erhöhten. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die jüdische Geschichtsschreibung kulturhistorische Anregungen aufnimmt (z. B. Konzepte wie ‚Hybridität‘ oder ‚Kulturtransfer‘), die zwar durch ihre Hintertür auch dem Beitragsparadigma zu einem Comeback verhelfen können, aber eben auch der Persistenz jüdischer Eigenheit Rechnung tragen.⁸ Der gesellschaftliche, ökonomische, politische und kulturelle Eingliederungsprozess der deutschen Jüdinnen und Juden im 19. Jahrhundert wirft zugleich Fragen auf, die sich nach innen, auf die Sozialgruppe selbst richten, etwa auf die Fortsetzung, Entwicklung und Veränderung jüdischer Vergemeinschaftung. Zweifelsohne hat sich der Eintritt großer Teile der jüdischen Bevölkerung in die bürgerliche Gesellschaft auch auf die sozialen Verkehrskreise, die Beziehungsund Kommunikationsnetze ausgewirkt, ohne dass aber innerjüdische Soziabilität und Solidarität grundsätzlich in Frage standen. Trotz zunehmender Uneinigkeit in Angelegenheiten des Glaubens und im scheinbaren Widerspruch zu ihren vielfältigen Kontakten zur umgebenden Mehrheitsgesellschaft wollten die deutschen Juden ihre auf einem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit fußenden Gruppenbindungen untereinander nicht völlig aufgeben. Shulamit Volkov etwa gelangte bereits 1992 zu der Feststellung, dass die deutschen Juden in der Neuzeit weder Teil der alten jüdischen Welt waren noch völlig mit ihrer neuen Umgebung verschmolzen. Manche Merkmale traditioneller jüdischer Lebensart wurden schwächer, aber nicht komplett durch Deutschtum ersetzt; viele Juden entwickelten eine besondere sozio-kulturelle Existenz, die modern, aber trotzdem jüdisch war: „Sie lebten in ihrem eigenen deutsch-jüdischen Kultursystem: Sie

 Vgl. die Einleitungen bei: Uffa Jensen: Gebildete Doppelgänger. Bürgerliche Juden und Protestanten im 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, S. 13 – 41; Till van Rahden: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 13 – 36.  Vgl. etwa Wolfgang Schmale / Martina Steer (Hrsg.): Kulturtransfer in der jüdischen Geschichte. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2006.

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hatten eine komplexe Struktur von öffentlichen und privaten Vereinen geschaffen und ein Netzwerk von Erziehungseinrichtungen.“⁹ „Deutsch-jüdische Geschichte von innen“ vollzieht sich also im Grunde dort, wo Jüdinnen und Juden ihrer jüdischen Eigenheit – im Kollektiv oder individuell – Ausdruck verliehen. Sie befasst sich deshalb zunächst mit der Kerninstitution Synagogengemeinde, deren Mitgliedern und Funktionsträgern. Überdies setzt sie sich mit den unterschiedlichen Einrichtungen, Vereinen und Organisationen auseinander, die sich einer religiösen, kulturellen, edukativen, karitativen, geselligen oder politischen jüdischen Agenda verschrieben, bzw. in denen die jüdischen Deutschen – auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene – ihre jüdische Identität in Taten umsetzten. Jüdisches Selbstverständnis unterlag aber zugleich einem Wandel, der sich in Wort und Schrift abbildete. Einblick in die „jüdische Geschichte von innen“ gewähren deshalb auch religions-, kultur-, geistes- und ideengeschichtliche Forschungen. Inzwischen ist die Geschichte der neuzeitlichen jüdischen Philosophie und Theologie, der Wissenschaft des Judentums sowie der modernen politischen Ideologien zwischen Centralverein und Zionismus durchaus keine terra incognita mehr. Eine mögliche Annäherung der Forschung an diese Themen erfolgt über die biografische Methode. Nicht wenige Arbeiten rekonstruieren Leben, Werk und Wirkung von solchen ‚Meisterdenkern‘, deren intellektuelle Konfrontation mit der eigenen Herkunft und Religion in und von einem jüdischen Publikum rezipiert sowie kommentiert wurde. Mit internen Bereichen des jüdischen Lebens beschäftigen sich außerdem alltagsgeschichtliche Untersuchungen zum jüdischen Lebensumfeld, zu Soziabilität, Brauchtum und Frömmigkeitspraxis sowie Forschungen, die sich den verschiedenen religiösen Milieus oder konkreten Kultusund Erziehungsreformen widmen.¹⁰ Äußere Perspektiven haben die deutsch-jüdische Historiografie lange Zeit dominiert, und zwar zumindest in den Darstellungen, die aus der Feder von deutschen, nichtjüdischen Wissenschaftlern stammen. Ihnen gebührt das Verdienst, eine Bresche geschlagen und zahlreiche wichtige Facetten der Geschichte der deutschen Juden ausgeleuchtet zu haben. Innerhalb der deutsch-jüdischen Historiografie waren es anfänglich vor allem israelische und amerikanische Kollegen, die auch von einem

 Shulamit Volkov: Die Erfindung einer Tradition. Zur Entstehung des modernen Judentums in Deutschland. In: dies.: Das jüdische Projekt der Moderne. München: C.H. Beck 2001, S. 123; zu unterschiedlichen theoretischen Konzepten wie ‚Subkultur‘ oder ‚situative Ethnizität‘ siehe David Sorkin:The Transformation of German Jewry 1780 – 1840. New York, Oxford: Wayne State University Press 1987; van Rahden: Juden und andere Breslauer.  Vgl. auch Michael A. Meyer: The Study of Judaism in Modern Germany. Some Desiderata. In: Leo Baeck Institute Year Book 45 (2000), S. 218 f.

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anderen, gewissermaßen transnationalen Standpunkt aus argumentierten und sich wichtigen Aspekten der „jüdischen Geschichte von innen“ zuwandten.¹¹ Doch das Interesse an solchen Fragestellungen zeigt sich inzwischen auch längst im deutschsprachigen Raum. Die neuere Geschichtsschreibung zu den in Deutschland beheimateten Juden hat die Zurückhaltung gegenüber solchen Themen, bei denen Aspekte der jüdischen Innenwelt zum Tragen kommen, mehr und mehr aufgegeben. Häufig zielt sie auf eine Synthese, bei der die Frage nach dem Handeln der deutschen Juden aufgrund ihres Glaubens an eine gemeinsame Abstammung und Kultur insbesondere dazu dient, deren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg in der Mehrheitsgesellschaft zu deuten und zu erklären.¹² Im neuen Jahrtausend ist zudem eine Reihe von Untersuchungen erschienen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der innerjüdischen Vergesellschaftung sowie mit dem Themenkomplex sozio-kultureller Selbstbehauptung auseinandersetzen.¹³  Herausragende Beispiele: Jacob Katz:Tradition und Krise. Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne. München: C.H. Beck 2002 (ursprünglich 1958 in Jerusalem in hebräischer Sprache veröffentlicht); Azriel Schochat: Der Ursprung der jüdischen Aufklärung in Deutschland. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2000 (die hebräische Originalausgabe erschien 1960 in Jerusalem); Michael A. Meyer: Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2000 (englischsprachige Originalausgabe 1988).  Maßstäbe setzt Simone Lässigs Monographie zur Verbürgerlichung des deutschen Judentums, in der sie rechtlich-politische und sozial-ökonomische Betrachtungen mit kulturell religiösen Fragestellungen verknüpft; dies.: Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 2004; vgl. auch die Überlegungen bei Shmuel Ettinger: Einführung. In: Haim Hillel Ben-Sasson (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 3. München: C.H. Beck 1980, S. 7; Evyatar Friesel: Jewish and German-Jewish Historical Views. Problems of a New Synthesis. In: Leo Baeck Institute Year Book 43 (1998), S. 331– 336.  Es ist bemerkenswert, dass in den letzten Jahren zahlreiche wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten erschienen sind, u. a.: Kerstin von der Krone: Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften. Berlin, Boston: De Gruyter 2012; Thomas Meyer / Andreas Kilcher (Hrsg.): Die „Wissenschaft des Judentums“. Eine Bestandsaufnahme. Paderborn: Wilhelm Fink 2015; Reimund Leicht / Gad Freudenthal (Hrsg.): Studies on Steinschneider. Moritz Steinschneider and the Emergence of the Science of Judaism in Nineteenth-Century Germany. Leiden, Boston: Brill 2012; Johannes Sabel: Die Geburt der Literatur aus der Aggada. Formationen eines deutsch-jüdischen Literaturparadigmas. Tübingen: Mohr Siebeck 2010; Henry C. Soussan: The Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums in Its Historical Context. Tübingen: Mohr Siebeck 2013; Roland Tasch: Samson Raphael Hirsch. Jüdische Erfahrungswelten im historischen Kontext. Berlin, Boston: De Gruyter 2011; Mirjam Thulin: Kaufmanns Nachrichtendienst. Ein jüdisches Gelehrtennetzwerk im 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012; dies. / Christian Wiese (Hrsg.): Wissenschaft des Judentums in Europe. Comparative and Transnational Perspectives. Berlin, Boston: De Gruyter 2018 (angekündigt); Christian Wiese (Hrsg.): Redefining Judaism in an Age of Emancipation. Comparative Perspectives on Samuel Holdheim (1806 – 1860). Leiden, Boston: Brill 2007; ders. / Walter Homolka / Thomas Brechenmacher (Hrsg.): Jüdische Existenz in der Moderne. Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums. Berlin, Boston: De Gruyter 2013.

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Gute Gründe sprechen dafür, diese Forschungsanstrengungen beharrlich und intensiv fortzusetzen. Solche Arbeiten tragen nämlich dazu bei, das Phänomen einer kontinuierlichen Binnenkohäsion auszuloten, indem sie diese nicht nur als Reaktion auf gesamtgesellschaftliche In- oder Exklusionsmechanismen bzw. jüdische Zugehörigkeits- oder Ausgrenzungserfahrungen begreifen. Die Historiografie tut gut daran, diesen Perspektiven Platz einzuräumen und die innerjüdischen Ereignisse, Prozesse und Strukturen auch als wichtigen Teil der nationalen Historie zu begreifen. Fallstricke solcher Art, dass die Juden historiografisch ‚reghettoisiert‘ werden, wenn man sie lediglich für sich untersucht¹⁴, lassen sich umgehen, solange die Forschung sowohl den lebensweltlichen Kontext als auch die jüdischen Integrationsbemühungen in die Umwelt mitdenkt – freilich ohne dass diese Bezüge zum Dreh- und Angelpunkt der Analyse erhoben werden.¹⁵ Es geht aber weder darum, einer jüdischen Nationalgeschichtsschreibung das Wort zu reden noch darum, dass der Konstruktionscharakter der jüdischen Sozialgruppe außer Acht gelassen wird. Ziel soll es aber sein, dem Anspruch der in Deutschland beheimateten Juden auf kulturelle Differenz als immanente, formative Kraft der jüdischen Geschichte gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist kein Zufall, dass mittlerweile so viele Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der deutsch-jüdischen Geschichte Qualifikationen aus der Judaistik und den Jüdischen Studien nachweisen können. Die Historiografie kann von dieser interdisziplinären Öffnung nur profitieren.

Siehe außerdem George Kohler (Hrsg.): Der jüdische Messianismus im Zeitalter der Emanzipation. Reinterpretationen zwischen davidischem Königtum und endzeitlichem Sozialismus. Berlin, Boston: De Gruyter 2014; Stefan Litt: Jüdische Gemeindestatuten aus dem aschkenasischen Kulturraum: 1650 – 1850. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 2014; Ingrid Lohmann (Hrsg.): Naphtali Herz Wessely, „Worte des Friedens und der Wahrheit“. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Münster, New York: Waxmann 2014; Uta Lohmann: Reformpolitik im Zeichen von Aufklärung und Emanzipation. Kontexte des preußischen Judenedikts vom 11. März 1812. Hannover: Wehrhahn 2013; vgl. außerdem die Sektion: The Future of German-Jewish Studies. In: Leo Baeck Institute Year Book 54 (2009), S. 3 – 56.  Siehe dazu die Überlegungen bei Manfred Hettling / Andreas Reinke: Handlungslogiken und Sinnkonstruktionen. Juden im Breslau der Neuzeit. In: dies. / Norbert Conrads (Hrsg.): In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit. Hamburg: Dölling & Galitz 2003, S. 8.  Vgl. Shulamit Volkov: Reflections on German-Jewish Historiography. A Dead End or a New Beginning? In: Leo Baeck Institute Year Book 41 (1996), S. 320.

Alfred Bodenheimer

Langsamen Schritts in die Selbstverständlichkeit Entwicklung, Status und Perspektiven der Jü dischen Studien in der Schweiz Wie anderswo auch, hat die Beschäftigung mit dem Judentum in der Schweiz über die Theologie begonnen. In einem kürzlich erschienenen Aufsatz am Beispiel der Universität Bern, an der er heute selber als Professor für Judaistik lehrt, hat René Bloch den Weg dieses Themenbereichs vom Gründungsjahr der Universität 1834/ 35 bis in die Gegenwart skizziert und dabei eine Linie gezeichnet, die sich von etlichen anderen deutschsprachigen Universitäten nicht markant unterscheiden dürfte: Über die interessierte, wenn auch reservierte theologische Beschäftigung mit dem Judentum als Vorstufe zum Christentum, im 20. Jahrhundert als „Spätjudentum“ bezeichnet und insbesondere während der Zwischenkriegszeit (teils durch deutsche Professoren) extrem abwertend behandelt hin zu einer reuevollen, auf Dialog ausgerichteten Haltung in der Zeit nach der Shoa, wo nun auch begonnen wird, das Judentum der Gegenwart in den Blick zu nehmen und nicht zuletzt durch den Einbezug jüdischer Dozierender mit einem neuen Blick zu betrachten.¹ In der Schweiz dauerte es indes länger als in Deutschland, bis die Jüdischen Studien (und ich benütze sie, wo nicht von einer spezifischen Universität die Rede ist, hier als Sammelbegriff, der auch die Judaistik mit einschließt) institutionell Fuss fassten. Begonnen hat diese Geschichte mit der Berufung des Schweizer Kurt-Schubert-Schülers Clemens Thoma 1971 von der Universität Wien an die Theologische Fakultät Luzern (Grundlage der erst 2000 formell gegründeten Universität Luzern). Thoma, ein dem Dialog mit dem Judentum verpflichteter katholischer Theologe, gründete 1981 das Institut für jüdisch-christliche Forschung, das, unter anderem durch die Anstellung eines jüdischen Lehr- und Forschungsbeauftragten wie auch durch die regelmäßige Einladung prominenter jüdischer Gastprofessoren, aber auch durch die Prominenz der Publikationen, die unter Thomas Leitung entstanden, hohe Glaubwürdigkeit und Anerkennung im universitären, aber auch im jüdischen Umfeld genoss. Dieses Institut existiert immer noch und wird seit 2001 von Verena Lenzen

 René Bloch, Ein langer Weg. Die Geschichte der Judaistik an der Universität Bern. In: ders. und Jacques Picard (Hrsg.): Wie über Wolken. Jüdische Lebens- und Denkwelten in Stadt und Region Bern, 1200 – 2000. Zürich: Chronos 2014, S. 487– 498. DOI 10.1515/9783110523478-004

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geleitet. Es konzentriert sich aber, nicht zuletzt dem Schwerpunkt der Leiterin folgend, heute stärker auf Aspekte der Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts. An bedeutenden jüdischen Dozierenden mit einem Schwerpunkt Jüdische Studien in Schweizer Universitäten hat es in den letzten Dezennien des 20. Jahrhunderts nicht gefehlt, insbesondere an den Universitäten der Westschweiz Genf, Fribourg und Lausanne, die ich hier wie auch in der Folge trotz der Sprachgrenze einbeziehe, weil die Schweiz nur als mehrsprachiges Ganzes verstanden und behandelt werden kann: Namen wie David Banon, Jean Halpérin, Emmanuel Lévinas, Esther StarobinskySafran oder auch, für die deutsche Schweiz, Ernst-Ludwig Ehrlich stehen für höchstes wissenschaftliches Niveau, oft mit einem Schwerpunkt des interreligiösen Dialogs. Doch Professuren für Jüdische Studien wurden außerhalb Luzerns lange nicht begründet. Erst nach der Jahrtausendwende wurden in Basel zwei Professuren, eine für Jüdische Geschichte, die andere für jüdische Religions- und Literaturgeschichte, besetzt (2001 und 2003, wobei der Historiker sich später einem anderen Fach zugewandt hat und nicht mehr Jüdische Studien unterrichtet, jedoch durch einen vollamtlichen habilitierten Mitarbeiter ersetzt werden konnte), in Lausanne eine Professur für moderne und eine für antike jüdische Geschichte (2005 und 2011), in Bern ein Extraordinariat für Judaistik mit Schwerpunkt antikem Judentum eingerichtet (2007, gefolgt von der Gründung eines Instituts für Judaistik 2008). Dieses Extraordinariat wurde 2016 in ein Ordinariat umgewandelt und damit der Basler und der Luzerner Professur gleichrangig. In Basel und Luzern kann man vom Bachelor über Master und Doktorat bis zur Habilitation restlos alle Abschlüsse in Jüdischen Studien erwerben, in Bern nebst Schwerpunkten in den Studiendiplomen der Theologie ein Doktorat und eine Habilitation sowie einen Master für antikes Judentum als Joint degree mit der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. In Lausanne können Jüdische Studien als Schwerpunkt im Bereich der Religionsgeschichte gewählt werden. Für die nach 2000 eingerichteten Professuren muss angemerkt werden, dass zumindest die Mehrzahl (über die Professuren in Lausanne bin ich darüber nicht restlos informiert) ohne massiven Anschub, z.T. sogar eine längerfristige Vollfinanzierung aus privaten (jüdischen) Quellen nicht entstanden wäre. Zugleich darf gesagt werden, dass die Professuren in der Zeit ihrer Existenz, soweit ich es überblicke, es geschafft haben, dass zumindest die eigenen Stellen, allenfalls noch weitere Stellenanteile in der Ausstattung der Stelle oder des Fachs, von den Universitäten finanziell übernommen worden sind. Interessant ist, dass die größte kantonale Universität des Landes, die Universität Zürich, keine Professur für Jüdische Studien eingerichtet hat. Es gibt in Zürich zwar jährlich eine einsemestrige Gastprofessur für das Fach und an der Eidgenössisch Technischen Hochschule mit Andreas Kilcher auch einen im Bereich des Jüdischen hoch kompetenten und forschungsmäßig aktiven Literatur-

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wissenschaftler, doch kein mit den genannten anderen Universitäten vergleichbares Angebot. Es gäbe noch einiges über Strukturen, existente oder mangelnde Zusammenarbeit sowie innere und äußere Vernetzung der Jüdischen Studien in der Schweiz zu sagen, auch zur Frage, weshalb gerade die Verbindung zu den Jüdischen Studien in Deutschland sehr schwach ist (jedenfalls für Basel schwächer als etwa nach Österreich) doch ich möchte, nun stärker von eigenen Erfahrungen ausgehend, einige Punkte zu jüdischen Studien in der Schweiz betonen. Als Professor für Jüdische Studien in der Schweiz ist man notgedrungen ein Generalist – das gilt für den Berner Kollegen hinsichtlich des gesamten Bereichs des Judentums in der Antike und im Mittelalter nicht weniger als etwa für mich im Bereich der Moderne und Neuzeit. Erinnere ich mich schon nur an einige der letzten medialen Anfragen und Auftritte, so reichen diese von einer Einschätzung der Philosophie Franz Rosenzweigs über Dämonenglauben im Judentum und Fragen zur Beschneidungsdebatte bis hin zu einer Einschätzung der Auswirkungen der armeekritischen Ausstellung von Breaking the Silence aus Israel. Ob es fachlich richtig ist, zu fast allem etwas zu sagen, was man gefragt wird, mag zur Debatte gestellt werden – entscheidend scheint mir, dass die Existenz einer wissenschaftlich abgestützten Stimme allgemein geschätzt und gesucht wird. Auf wissenschaftlicher Augenhöhe argumentieren zu können bedeutet ja nicht nur und nicht einmal immer zwingend, in allem Fachmann zu sein, sondern es bedeutet einen Zugang zu Fragen, der von der Öffentlichkeit als nicht schon religiös oder ideologisch überformt und zugleich als von analytischen Konzepten getragen wahrgenommen wird. Ich denke, dass dies für die Schweiz eine ganz wesentliche und wichtige Entwicklung ist. Anders als in Deutschland und vielleicht auch in Österreich ist der Umgang mit allem Jüdischen in der Schweiz weniger belastet, aber deshalb ist das Publikum teilweise auch weniger sensibilisiert. Das erhöht in gewisser Weise den Zwang zur Konkurrenzfähigkeit. Aus unterschiedlichen Gründen sind sowohl die Öffentlichkeit wie auch die Universitäten darauf angewiesen zu sehen, dass die Jüdischen Studien den öffentlichen Diskurs mit bestreiten, um zu erkennen, dass gewisse Denkraster über das Judentum auf der Basis wissenschaftlicher geschulter Analyse aufgebrochen werden können und müssen. Hier liegt aber meiner Ansicht nach auch die große Chance und womöglich der praktisch konkurrenzlose Mehrwert der Jüdischen Studien, von denen ich nicht sicher bin, dass sie in Deutschland immer ausreichend wahrgenommen werden. In der Schweiz können wir uns einen positivistischen, selbsterklärenden Ansatz in den Jüdischen Studien („wir machen Jüdische Studien, weil wir Jüdische Studien machen“) nicht erlauben, wir sind letztlich denselben harten Kriterien unterworfen wie alle anderen Fächer. Nehmen wir das Beispiel Basel, das ich aus eigener Erfahrung schildern kann: In Basel wird das Studium der Geisteswis-

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senschaften im Bachelor nach Fächern organisiert, wobei eine Kombination aus zwei Studienfächern zu wählen ist – im Master gibt es ebenfalls die Möglichkeit, zwei Studienfächer zu wählen, es gibt aber auch Studiengänge, die fächerübergreifend organisiert sind, etwa Literaturwissenschaft, Europäische Geschichte oder African Studies. Die Jüdischen Studien existieren sowohl im Bachelor wie auch im Master als Studienfach. Dass es etwa in Basel in den vergangenen sieben Jahren den Jüdischen Studien gelungen ist, allein an kompetitiven Mitteln rund 1,5 Millionen Schweizer Franken einzuwerben (und an projektbezogenen nichtkompetitiven Mitteln ebenfalls gut 1,7 Millionen), abgesehen von regelmäßig uns zufließenden, aber nie auf mehrere Jahre hin gesicherten Stiftungsmitteln, ist an sich erfreulich – es ist aber auch notwendig, um das Fach von der Leistungsfähigkeit und der Anzahl und Qualität der geleisteten Projekte her sichtbar zu halten. Denn in Basel ist nur die Professur selbst dauerhaft von der Universität aus strukturellen Mitteln finanziert. Pläne zum Ausbau der Finanzierung (die etwa mit der Übernahme der HebräischTeilzeitstelle einen ersten Ausdruck gewonnen hatten) mussten wieder zurückgenommen werden, weil einer der beiden Trägerkantone in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist und nur mit Mühe und Not überhaupt zur Weiterführung seiner Trägerschaft gebracht werden konnte. Ausbau ist in einer solchen Situation nicht angesagt und auch keine besondere Sensibilität gegenüber den Jüdischen Studien. Entsprechend ist die Legitimität des Fachs wie diejenige anderer Fächer auch großenteils von scheinbar zählbarem Erfolg abhängig.Vor einiger Zeit fragte mich mein Hauptansprechpartner in der Basler Rektoratsleitung, ein Vizerektor, ob es Jüdische Studien an einer Universität tatsächlich brauche, ob nicht das Einspeisen jüdischer Themen etwa innerhalb der Literaturwissenschaft oder der Geschichte ausreichen würde. Er fragte das notabene nicht deshalb, weil er meint, dass wir wissenschaftlich unnützes Zeug machen, sondern weil die Jüdischen Studien wie alle anderen Fächer auch einem gewissen bolognaschen Quantifizierungswahn unterstellt sind. Und da wir zwar sehr viele Studierende gerade aus der Literaturwissenschaft und der Geschichte als Kursteilnehmende, aber eben nur wenige Fachstudierende haben, also so etwas wie „Exportweltmeister“ mit schwacher eigener Studierendenbasis sind, lag diese Frage aus seiner Sicht nahe. Ich habe dem Vizerektor unserer im Jahr 1460 gegründeten Universität geantwortet, dass fast 550 Jahre lang der christlich grundierte Masterdiskurs als der wissenschaftlich alleine gültige bei allen Betrachtungen der globalen Geschichte und Kultur galt und dass mit der Existenz des Fachs Jüdische Studien (anders als im Fall einer bloßen Einspeisung dieser Thematik in bestehende Traditionsfächer) erstmals dieselbe Geschichte aus einem völlig neuen, minoritären und zugleich immer präsenten Blickwinkel beleuchtet würde. Der Mehrwert eines solchen Faches kann

Langsamen Schritts in die Selbstverständlichkeit

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so gesehen aus der Sicht einer Universität im 21. Jahrhundert gar nicht überschätzt werden. Das Argument stieß nicht auf taube Ohren – doch an der Realität führt es nicht vorbei. Das Desiderat eines Fachs „Jüdische Studien“ wischt nicht weg, dass die Jüdischen Studien in Basel nur Masterstudierende im Bereich einstelliger Zahlen hat und dass,wer angesichts eines solchen Lehrangebots ehrlich ist, seinen besten Bachelor-Studierenden empfiehlt, sich für den Master an einer Universität im Ausland mit mehr und spezifischeren Vertiefungsmöglichkeiten einzuschreiben, um den Horizont zu erweitern. Die Jüdischen Studien sind heute in der Schweiz, wie im Titel angegeben, eine Selbstverständlichkeit – aber wir wissen alle, dass in unserer universitären und politischen Welt auch Selbstverständlichkeiten keine Bestandsgarantie besitzen. Deshalb sind Vorwärtsstrategien gefordert – etwa die stärker sichtbare und explizite Einbeziehung des Faches in literaturwissenschaftliche und historische Masterstudiengänge, aber nicht als Ersatz für das Studienfach, sondern um mit der im Windschatten erwiesener „Brauchbarkeit“ für diese großen Bereiche auch das mit keinen weiteren Unkosten verbundene Aufrechterhalten des Fachs an sich zu ermöglichen. Ob diese Strategie sich bewährt, muss abgewartet werden, doch immerhin kann in der heutigen volatilen Situation im universitären Bereich gesagt werden, dass Strategien gerade für kleinere Fächer an sich unsicher sind, so dass man sich meist überflüssige Sorgen macht, wenn man glaubt, die falsche gewählt zu haben. Immerhin hege ich die Einschätzung, dass nach dem Basler Modell der Bachelor in Jüdischen Studien sicher weniger Diskussionsbedarf liefert als der Master. Auch das Doktorat in Jüdischen Studien dürfte ironischerweise weniger in Fokus möglicher Reformen stehen – doch wie sinnvoll ein Weiterführen eines Doktorats ohne vorbereitenden Master überhaupt wäre, musste bisher zum Glück noch nie konkreter geprüft werden. So wertvoll deshalb die Errungenschaft der Existenz eines Faches Jüdische Studien in der Schweiz war und ist (und sie ist, im wahrsten Sinne des Wortes, teuer erkauft), so umsichtig müssen die Vertreterinnen und Vertreter dieses Faches bleiben, um im künftigen Universitätssystem zu überleben, ohne marginalisiert zu werden. Interessant ist, wie sich die Kollegen aus anderen Universitäten auf meine Nachfrage hin dazu geäußert haben, wie sie die Aussichten der Jüdischen Studien an ihren Universitäten, in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum beurteilen. Der Kollege René Bloch aus Bern meinte dazu: Die Judaistik ist in Bern ‚angekommen‘ und fest etabliert. Mit ihrem hauptsächlichen Schwerpunkt auf Antike und Mittelalter ergänzt sie Forschung und Lehre an anderen Orten in der

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Schweiz (und darüber hinaus). Die Judaistik hat strukturell im deutschsprachigen Raum in den letzten 20 Jahren viel nachzuholen gehabt. Es ist wohl eine gewisse Sättigung erreicht.

Die Luzerner Kollegin Verena Lenzen sieht die Stellung der Jüdischen Studien an ihrer Universität als „stabil und unbestritten“ an und erwartet im deutschsprachigen Raum mittelfristig ein Wachstum des Faches, was allerdings nach meinen nicht empirisch erhobenen Informationen eher einen Gegentrend zur heutigen Situation bedeuten würde und auch nicht der vom Berner Kollegen vermuteten „Sättigung“ entspräche. Ohne irgendjemandem Zweckoptimismus unterstellen zu wollen, bin ich selber etwas skeptischer nicht nur als die Luzerner Kollegin, sondern auch als der Berner Kollege – nicht gegenüber der Gegenwart, aber gegenüber der Zukunft. Ich glaube, dass kleinere Fächer generell in Zukunft einen viel höheren Selbstlegitimierungsbedarf haben werden (oder sonst, wie Alte Sprachen oder die Alte Geschichte in den „Classical Studies“ in überwölbende Kategorien integriert werden). Zugleich erachte ich, angesichts der Stimmungslage in Europa, die, wenn auch etwas schwächer, auch die Schweiz erfasst hat, die Jüdischen Studien in der Schweiz, gerade weil sie nicht politisch, religiös oder ideologisch vorgeprägt sind, als einen wichtigen, ja unverzichtbaren Player, weit über die zahlenmäßige Bedeutung seiner Lehrenden und Lernenden hinaus. Von uns Dozierenden ist es gerade deshalb gefordert, universitär gesehen innovativ, kooperativ und originell zu sein.

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Jiddisch an deutschen Universitäten Dass es Jiddistik als Fach an deutschen Universitäten gibt, ist eine relativ neue Entwicklung. Vor 25 Jahren gab es zwar Universitäten, an denen Jiddisch unterrichtet und über jiddische Sprache und Kultur geforscht wurde, aber es gab keine Stellen, die für jiddische Sprache, Literatur oder Kultur vorgesehen waren, und sicherlich keine Professuren. Im Folgenden möchte ich die Entwicklungen der letzten 25 Jahre – an denen ich selber Teil habe – skizzieren.

1 Jiddisch in der akademischen Lehre Innerhalb der Jiddistik wird manchmal darauf hingewiesen, dass es im 18. Jh. schon Jiddischkurse in Halle gab, aber die Kurse von Johann Heinrich Callenberg und Wilhelm Christian Justus Chrysander waren spezielle Kurse am Institutum Judaicum et Mohammedicum für angehende Missionare unter den Juden.¹ Es war die Universität Hamburg, an der die ersten akademischen Jiddischkurse angeboten wurden, und zwar von Salomo Birnbaum in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Birnbaum war damals schon über ein jiddistisches Thema promoviert worden² und war als Habilitand an der Universität Hamburg Lehrbeauftragter, bis er NaziDeutschland entfloh. Er setzte seine akademische Laufbahn an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London fort und zählt bis heute zu den einflussreichsten judaistischen Paläographen und Jiddisten des 20. Jh.s.³ Auch nach dem 2. Weltkrieg gab es immer wieder Personen an deutschen Universitäten, die sich für jiddische Sprache und Literatur interessierten und Kurse anboten. Dabei handelte es sich mal um Kurse, die von Muttersprachlern

 Hans Peter Althaus: Johann Heinrich Callenberg, Wilhelm Christian Just Chrysander. Schriften zur jiddischen Sprache. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1733, 1736 und 1750. Marburg an der Lahn: N.W. Elwert Verlag 1966; Aya Elyada: A Goy who Speaks Yiddish. Christians and the Jewish Language in Early Modern Germany. Stanford, CA: Stanford University Press 2012, Kapitel 7 und 8.  Salomo Birnbaum: Das hebräische und aramäische Element in der jiddischen Sprache. Inauguraldissertation verfaßt und der philosophischen Fakultät der bayer. Julius-Maximilians-Universität Würzburg zur Erlangung der philosoph. Doktorwürde vorgelegt am 10. Juni 1921 von Salomo Birnbaum aus Wien. Hirchhain N.-L.: Zahn & Baendel 1922.  Erika Timm: Salomo Birnbaums Leben und Werk. In: dies. (Hrsg.): Salomo/Solomon A. Birnbaum. Ein Leben für die Wissenschaft / A Lifetime of Achievement, Bd. I. Berlin, Boston: De Gruyter 2011, S. xi – xxvii. DOI 10.1515/9783110523478-005

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ohne einschlägiger oder wenigstens philologisch-akademischer Ausbildung gelehrt wurden, mal um Kurse, die von Germanisten angeboten wurden, die kaum Jiddisch konnten. Nur wenige Lehrveranstaltungen wurden von Personen durchgeführt, die formale Kompetenzen nachweisen konnten.⁴ Diese Kurse waren, bis ein Lehrstuhl für Jiddistik an der Universität Trier eingerichtet wurde, nicht Teil eines fachspezifischen Studiengangs. Die Studienordnungen in den – jetzt abgeschafften – deutschen Magister-Studiengängen ließen Studierenden bis in die 1990er Jahre relativ viel Freiraum, in welchen Teilnahmebescheinigungen vor der Anmeldung zur Zwischen- oder Magisterprüfung vorgelegt wurden. Dies änderte sich in im Laufe der 90er Jahren, als die Kultusministerien Reformen im Studienangebot forderten, damit das Angebot besser auf die Anforderungen der Studiengänge einging. Trotzdem blieb etwas Freiraum. Seit der Einführung des 1999 von den Bildungsministern der EU-Ländern beschlossenen Bologna-Prozesses, der als Ziel hatte, die Qualität der Bildung zu steigern und den Wechsel zwischen Hochschulen im eigenen Land und Hochschulen in den unterschiedlichen europäischen Staaten während des Studiums zu vereinfachen, sind Studiengänge kleinteiliger definiert worden. Es ist immer noch möglich, Kurse anzubieten, die nicht wirklich Teil eines bestimmten Studiengangs sind, und so werden an verschiedenen Universitäten noch Kurse in jiddischer Sprache und Literatur angeboten. Die Zahl solcher Kurse schrumpft auch deshalb, weil Kapazitätsberechnungen und die Finanzierung einzelner Kurse solche ad-hoc Angebote gefährden. Manche der Kurse, die „nebenbei liefen“, meistens als Lehraufträge, zielten nicht auf das Erreichen eines bestimmten Niveaus, sondern konnten jahrelang von denselben Teilnehmern besucht werden. Diese Kurse wurden als Lesekurse angeboten und die Gruppe nahm sich zu Beginn eines neuen Semesters einen neuen Text oder neue Texte vor. Eine wissenschaftliche Ausbildung mit fachlich-jiddistisch einschlägigem Abschluss oder das Erreichen eines vorher definierten Niveaus stand meistens nicht im Vordergrund. Tatjana Soldat-Jaffe, die 2009 die Motivation der Teilnehmer in Jiddischkursen in Berlin und Potsdam erforscht hat, beschreibt die Studenten solcher Kurse wie folgt:⁵ „In many ways resembling fans more than scholars, German students follow a course where Yiddish is an object of affection rather than significance.“

 Marion Aptroot: Jiddischforschung – eine deutsche Tradition. In: Uwe Baumann (Hrsg.): Jahrbuch der Heinrich-Heine-Universität 1994 – 97. Düsseldorf: Heinrich-Heine-Universität 2001, S. 215 – 220.  Tatjana Soldat-Jaffe: Twenty-first Century Yiddishism. Brighton u. a.: Sussex Academic Press 2012, S. 120.

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Seit den 1990er sind es aber nicht mehr vor allem solche ad-hoc angebotenen Lehrveranstaltungen, in denen jiddische Sprache und Literatur vermittelt werden. Der erste jiddistische Studiengang, Jiddistik als Nebenfach im Magister-Studium Germanistik, wurde in Trier initiiert. An dieser Universität fanden sich mehrere Wissenschaftler zusammen, die sich ernsthaft mit jiddistischer Forschung beschäftigt hatten. Der Altgermanist Walter Röll hatte sich schon als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg in den 1960er Jahren für das Jiddische interessiert und eingesetzt. Er wurde 1970 auf den Lehrstuhl für deutsche Mediävistik an der jungen Universität Trier berufen. Ein Jahr später wurde auch Hans Peter Althaus, der in Marburg über die Löwenfabel aus dem Cambridge Codex (1382) promoviert worden war,⁶ an die junge Universität berufen und zwar als Professor für germanistische Sprachwissenschaft.Walter Röll hatte Erika Timm als Mitarbeiterin aus Hamburg mitgenommen. Sie wurde über ein rein germanistisches Thema promoviert,⁷ würde sich aber vor allem in der älteren jiddischen Philologie spezialisieren. Als sie sich 1985 mit einer herausragenden Arbeit über die Geschichte der jiddischen Sprache habilitierte,⁸ benutzte Walter Röll, der damals Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Trier war, die Gelegenheit eine Professur für Jiddistik einzurichten. Mit der finanziellen Unterstützung der Volkswagenstiftung konnte eine C4-Professur mit Sekretariat, einer Stelle für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, einem Lektorat und dem Grundstock einer jiddistischen Bibliothekssammlung eingerichtet werden. Auf diese Professur wurde Erika Timm berufen. Mit dem Lehrstuhl für Jiddistik, ausreichendem Personal und Kollegen mit jiddistischen Kompetenzen, konnte ein Studiengang für Jiddistik eröffnet werden. Fast gleichzeitig mit Erika Timm in der Bundesrepublik Deutschland, habilitierte sich Bettina Simon 1987 an der Berliner Humboldt-Universität in der Deutschen Demokratischen Republik mit einer Arbeit über jiddische Sprachgeschichte.⁹ Sie starb nicht lang danach und ich weiß nicht, ob es damals Pläne gegeben hat, die Jiddistik auch an einer ostdeutschen Universität zu etablieren. Falls es geplant war, die Jiddistik in Ostdeutschland zu etablieren, wurde die Idee wahrscheinlich mit dem Tode der Kandidatin und der Entlassung vieler bis dahin

 Hans Peter Althaus Die Cambridger Löwenfabel von 1382. Untersuchung und Edition eines defektiven Textes. Berlin: De Gruyter 1971 (zugleich Dissertation Marburg 1966).  Erika Timm: Die Überlieferung der Lieder Oswalds von Wolkenstein. Lübeck u. a.: Matthiesen 1972.  Erika Timm: Graphische und phonische Struktur des Westjiddischen unter besonderer Berücksichtigung der Zeit um 1600. Tübingen: Max Niemeyer 1987.  Bettina Simon: Jiddische Sprachgeschichte: Versuch einer neuen Grundlegung. Frankfurt am Main: Athenäum Verlag 1988; 2., überarbeitete Aufl., Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1993.

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einflussreicher Akademiker an vormalig ostdeutschen Universitäten nach der Wiedervereinigung Deutschlands zu den Akten gelegt. Es gab zu der Zeit aber noch eine Initiative, einen Lehrstuhl für Jiddistik einzurichten. Dieter Küchenhoff, Beamter im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium, der es dort im Laufe einer langen Karriere bis zum Amt des Staatssekretärs gebracht hatte, wollte vor dem Eintritt in den Ruhestand ein Zeichen setzen.¹⁰ Es gelang ihm, andere davon zu überzeugen, dass NordrheinWestfalen einen Lehrstuhl für Jiddistik brauchte und die Mittel dafür zu sichern. Er wollte den ersten, vielleicht einzigen, Lehrstuhl für Jiddistik in Deutschland schaffen. Die Trierer Initiative war im Düsseldorfer Ministerium nicht bekannt. Wäre das der Fall gewesen, hätte Küchenhoff wahrscheinlich keinen Erfolg gehabt oder er hätte vielleicht selber sogar ein anderes, einmaliges Projekt gewählt. Nachdem Küchenhoff schon in den Ruhestand getreten war, wurde der Lehrstuhl eingerichtet. Gert Kaiser, Rektor der Heinrich-Heine-Universität, die sich wie das Wissenschaftsministerium in der Landeshauptstadt Düsseldorf befindet, war einer der ersten, der von dem neuen, vom Land finanzierten Lehrstuhl erfuhr, und wusste die Professur für seine Universität zu sichern. Kaiser soll erfolgreich argumentiert haben, dass die Jiddistik besonders gut an eine Universität, die nach einem Juden benannt ist, passen würde. Ernste Überlegungen, die Jiddistik an einer Universität anzusiedeln, an der Judaistik oder Jüdische Studien gelehrt wurden, sollen nicht stattgefunden haben. Die Stelle wurde 1994 ausgeschrieben und im Jahr 1996 besetzt. Mit der Einrichtung von jiddistischen Lehrstühlen wurde die Jiddistik auch als Studienfach anerkannt. Während die Jiddistik in Trier im Magisterstudium eines der germanistischen Nebenfächer war, galt Jiddische Kultur, Sprache und Literatur in Düsseldorf als unabhängiges Nebenfach, das u. a. im Vorlesungsverzeichnis der Germanistik aufgenommen wurde. (Ursprünglich war geplant, den Lehrstuhl in einem noch zu gründenden Osteuropa-Institut anzusiedeln, diese Gründung kam aber nicht zustande.) Die Möglichkeit, im Fach Jiddistik zu promovieren, war selbstverständlich auch in Düsseldorf gegeben. Die Lage änderte sich mit der Umsetzung der Bologna-Reformen. Die Trierer Jiddistik verlor die Anerkennung als Nebenfach und bietet heute noch Module und die Möglichkeit zur Promotion an. Die Neustrukturierung wurde in Trier als Anlass genommen, das Lehrpersonal zu kürzen, um Fächer mit höheren Studierendenzahlen zu stärken: Das Lektorat wurde gestrichen. In Düsseldorf ist es seit der Einführung der gestuften Studiengänge möglich, Jiddische Kultur, Sprache und Literatur als Ergänzungsfach im Bachelor zu studieren und es wird ein eigen-

 Mündliche Kommunikation, Mai 1997.

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ständiger Masterstudiengang angeboten. Im Masterstudiengang werden verschiedene Gebiete der Jiddistik abgedeckt: Jiddistische Sprachwissenschaft, Ältere Jiddische Kultur und Literatur und Moderne Jiddische Kultur und Literatur. Die Möglichkeit der Promotion blieb erhalten. Seit den 1990ern sind keine neuen jiddistischen Professuren mit dafür festgelegten Planstellen mehr geschaffen worden, aber die Jiddistik ist trotzdem in den letzten zwanzig Jahren etwas besser an deutschen Universitäten verankert. Als Michael Brenner im Jahr 1997 zum Lehrstuhlinhaber für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilian-Universität in München berufen wurde, hat er erfolgreich verhandelt, und es wurden Lektorate für Modernes Hebräisch und Jiddisch geschaffen. An der Universität Potsdam wurde auch ein Lektorat für jiddische Sprache eingerichtet. Dieses Lektorat wurde für die Studiengänge in den Jüdischen Studien geschaffen und ist am Lehrstuhl für Religionswissenschaft angesiedelt. In Frankfurt werden Jiddisch-Sprachkurse schon sehr lange angeboten und mit der Berufung von Rebekka Voss, einer Kulturhistorikerin mit Schwerpunkt in der jüdischen Geschichte der Frühen Neuzeit, als W2-Professorin, sind die Kurse gesichert, da die jiddische Sprache in Lehre und Forschung gebraucht wird. Auch in Heidelberg hat es in der Nachkriegszeit immer wieder Jiddischkurse gegeben. Mit der Berufung des Jiddisten Roland Gruschka auf die Junior-Professur für Jüdische Literaturen an der Hochschule für Jüdische Studien im Jahr 2005, nimmt die Jiddistik dort vorerst auch eine festere Stellung ein. Nach der Pensionierung von Erika Timm wurde Simon Neuberg, ursprünglich aus Frankreich, aber in Jiddistik an der Universität Trier promoviert und habilitiert,¹¹ auf den dortigen Lehrstuhl berufen. Cornelia Martyn, die Jiddisch-Lektorin in Potsdam, Michael Brenner, Rebekka Voß und Roland Gruschka haben alle während ihres Studiums akademische Kurse in der Jiddistik im In- und Ausland belegt: Cornelia Martyn an der Columbia University in New York, Michael Brenner an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und an der Columbia University, Rebekka Voß in Düsseldorf (Magister-Nebenfach) und an der Columbia University, Roland Gruschka in Düsseldorf (Grundstudium und Promotion)¹² und an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London (MA).¹³ Ich selbst

 Simon Neuberg: Pragmatische Aspekte der jiddischen Sprachgeschichte am Beispiel der „Zenerene“. Hamburg: Helmut Buske Verlag 1999; ders.: Autor – Setzer – Text: Wege zur Geschichte des jiddischen Wortschatzes. Habilitationsschrift Universität Trier 1999.  Roland Gruschka: Übersetzungswissenschaftliche Aspekte von Mendel Lefin Satanowers Bibelübersetzungen. Hamburg: Helmut Buske Verlag 2007.  Das – ausgezeichnete – Master-Studium Jiddistik wurde nur wenige Jahren an SOAS angeboten.

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wurde in Oxford über ein jiddistisches Thema promoviert.¹⁴ An der Universität Halle-Wittenberg wird Jiddisch im Rahmen der Judaistik von Diana Matut gelehrt, die ein Master-Studium in Oxford absolviert hat und in Halle über ein jiddistisches Thema promoviert wurde.¹⁵ Auch an anderen Universitäten werden Jiddischkurse angeboten, die nicht in einen jiddistischen Studiengang eingebunden sind, von Personen, die sich über ein formales Jiddistik-Studium oder zumindest über den Besuch von Sommerkursen qualifiziert haben. Zu den neuesten Entwicklungen gehört die Einrichtung einer W2-Professur auf Zeit in der älteren Germanistik mit dem Schwerpunkt jiddische Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit an der Freien Universität in Berlin. Im Wintersemester 2015/16 wurde Astrid Lembke, die in Frankfurt über eine judaistischgermanistische Dissertation mit großen jiddistischen Anteilen promoviert wurde,¹⁶ auf diese Professur berufen. Eines der ersten Lehrbücher für den Erwerb der jiddischen Sprache wurde von Salomo Birnbaum verfasst.¹⁷ In der Nachkriegszeit wurde im Unterricht vor allem das Lehrbuch College Yiddish von Uriel Weinreich benutzt.¹⁸ Als die Lehre zum Wintersemester 1996/97 in Düsseldorf anfing, beschloss ich, dass es besser wäre, Lehrmaterialien speziell für deutschsprachige Studierende zu benutzen. Holger Nath, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Düsseldorfer Lehrstuhl, und ich verfassten in den ersten drei Semestern die Erstfassung eines Lehrbuchs, das, nachdem es in unseren Kursen und an anderen Universitäten erprobt worden war, 2002 in Buchform erschien.¹⁹ Es ist schon seit Jahren vergriffen, aber 2016 erscheint eine überarbeitete Ausgabe. Viele Lehrmaterialien sind nicht an die Muttersprache der Lernenden gebunden, aber ein Basislehrbuch mit Grundwortschatz und Grammatik und ein Wörterbuch

 Marion Aptroot: Bible Translation as Cultural Reform: The Amsterdam Yiddish Bibles (1678 – 1679). PhD Thesis University of Oxford 1989.  Diana Matut: Dichtung und Musik im frühneuzeitlichen Aschkenas: Ms. opp. add. 4° 136 der Bodlein Library, Oxford (das so genannte Wallich-Manuskript) und Ms. hebr. oct. 219 der Stadt- und Universitätsbibliothek, Frankfurt a.M., 2 Bde. Leiden: Brill 2011.  Astrid Lembke: Dämonische Allianzen: Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne. Tübingen u. a.: Francke 2013.  Salomo Birnbaum Praktische Grammatik der jiddischen Sprache für den Selbstunterricht mit Lesestücken und einem Wörterbuch (Die Kunst der Polyglottie, 128). Wien u. a.: Hartleben 1919; ders.: Grammatik der jiddischen Sprache mit Lesestücken und einem Wörterbuch. Hamburg: Helmut Buske Verlag 1966 (2., überarbeitete Aufl. von Birnbaum [1919]).  Uriel Weinreich: College Yiddish. An Introduction to the Jewish Language and to Jewish Life and Culture. New York: Yiddish Scientific Institute (YIVO) 1946, und viele Nachdrucke.  Marion Aptroot / Holger Nath: Einführung in die jiddische Sprache und Kultur. Hamburg: Helmut Buske Verlag 2002.

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erleichtern den Spracherwerb und die Arbeit mit Quellentexten auf akademischem Niveau. Ein ausführliches jiddisch-deutsches Wörterbuch wird unter Redaktion von Simon Neuberg in Trier erstellt und soll in naher Zukunft erscheinen.

2 Ein wissenschaftliches Forum: Das Symposium für Jiddische Studien in Deutschland Nachdem zwei jiddistische Lehrstühle in Deutschland geschaffen und besetzt waren, nahmen die beiden Lehrstuhlinhaberinnen, Erika Timm und ich, uns vor, ein Forum für die Jiddistik in Deutschland zu organisieren. Ein schriftliches Organ gab es schon. Seit 1988 erscheint in Trier die Zeitschrift Jiddistik Mitteilungen. Jiddistik in deutschsprachigen Ländern. ²⁰ Dieses unscheinbare Heftchen – eine Lage mit Heftklammern in einem grünen Papierumschlag – veröffentlicht eine Auflistung von jiddistischen Kursen, Tagungen und Neuerscheinungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, enthält aber auch wissenschaftliche Artikel und Rezensionen. Die Gelegenheit, sich einmal im Jahr zu treffen und auszutauschen, fehlte aber. Ich glaubte, dass wir schon zwischen 15 und 20 Teilnehmer finden könnten, Erika Timm dachte, dass eine Zahl zwischen fünf und zehn (eher fünf) realistischer sei. Wir wählten zwei Tage vor Anfang des Wintersemesters 1998 aus, so dass alle für ein Treffen am Vorabend beisammen kommen könnten, wir am nächsten Morgen ein paar Vorträge hören könnten, und genug Zeit für An- und Abreise bei einer Übernachtung bleiben würden. Um zu zeigen, dass wir mehr als zehn Teilnehmer anziehen könnten, veröffentlichte ich einen Call for Papers im Internet-Forum Mendele.²¹ Der überraschende Respons auf diesen Aufruf hatte zur Folge, dass das Symposium schon im ersten Jahr einen anderen Charakter bekam. Es gab insgesamt 18 Referate und ungefähr 75 Teilnehmer. Rückblickend kann man sagen, dass das Symposium seit den Anfängen ein interdisziplinäres, internationales Forum ist. Offensichtlich gab es ein Bedürfnis, sich in Europa zu treffen um über aktuelle Forschung mit jiddistischem Bezug zu reden. Mittlerweile gibt es mehrere, spezifisch für jiddistische Themen ausgerichtete internationale Tagungen im akademischen Jahr, aber das Interesse, sich auf dem von Trier und Düsseldorf veranstaltete Symposium auszutauschen, ist geblieben. Im Oktober 2015 fand das 18. Symposium für Jiddische Studien in Deutschland statt mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen, Studierenden, Doktoranden und Akademikern aller Ränge sowie unabhängigen For https://www.uni-trier.de/index.php?id=19804 (Zugriff: 29.02. 2016).  http://mendele.commons.yale.edu/category/volume-08/volume-08-023/ (Zugriff: 29.02. 2016).

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schern. Sie kamen, um wie jedes Jahr über laufende Forschung und Forschungsvorhaben zu reden. Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Jiddisch: Deutsch,weil das Symposium eine Veranstaltung in Deutschland ist, Jiddisch,weil es eine jiddistische Tagung ist. Simon Neuberg, Professor für Jiddistik in Trier, und ich diskutieren jedes Jahr, ob Englisch auch zugelassen werden soll. Bisher ist das nicht geschehen. Einerseits gab es bisher trotz dieser Einschränkung doch mehr Vortragsangebote, als wir aufnehmen können, und andererseits droht das Jiddische als Konferenzsprache zu verschwinden, wenn überall Englisch eingeführt wird. Es ist kein Versuch, die deutsche Jiddistik von dem Rest der Welt abzuschotten. Die Veranstalter glauben, dass es selbstverständlich ist, die Forschung aus dem Ausland zu rezipieren, selber auch international zu veröffentlichen, und Kontakte zu Wissenschaftlern im In- und Ausland zu unterhalten.

3 Skizze einer akademischen Landschaft Heutzutage besteht die jiddistische akademische Landschaft in Deutschland aus einigen Stellen, die für die Jiddistik geschaffen wurden – zwei in Trier, zwei in Düsseldorf, eine in München, eine in Potsdam, eine (auf Zeit) in Berlin – und vielen Initiativen einzelner Wissenschaftler, die formal in Fächern wie Germanistik, Slavistik, Amerikanistik, Judaistik, Geschichte, Kunstgeschichte oder Anthropologie angesiedelt sind. Ich möchte hier nur einige Personen als Beispiele nennen für Wissenschaftler, die in einem dieser Fächer tätig sind und deren Forschung auch für die Jiddistik von großer Bedeutung ist. Gertrud Pickhan, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Freien Universität in Berlin, hat sich 1999 in Hamburg mit einer Arbeit über den jiddischsprachigen Arbeiterbund in Polen habilitiert²² und später ein Forschungsprojekt über osteuropäische Immigranten in Berlin geleitet, in dem das Jiddische auch eine wichtige Rolle spielte.²³ Jürg Fleischer ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Marburg. Er wurde mit einer dialektologischen Arbeit über die Reste des Jiddischen in der Schweiz und Süd-

 Gertrud Pickhan: „Gegen den Strom“: Der allgemeine jüdische Arbeiterbund „Bund“ in Polen 1918 – 1939 (Schriften des Simon-Dubnow-Instituts Leipzig, 1). Stuttgart, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2001.  Z. B. Verena Dohrn / Gertrud Pickhan (Hrsg.): Transit und Transformation. Osteuropäisch-jüdische Migranten in Berlin 1918 – 1939 (Charlottengrad und Scheunenviertel, 1). Göttingen: Wallstein-Verlag 2010.

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deutschland in germanistischer Sprachwissenschaft promoviert²⁴ und leitet ein Projekt zum Westjiddischen auf deutschem Sprachgebiet im langen 19. Jh.²⁵ Sabine Koller, Professorin für Slavistik an der Universität Regensburg, forscht an der Schnittstelle der slavistischen und jiddistischen Literatur und Kultur und der Kunstgeschichte. In ihrer Habilitationsschrift befasste sie sich mit dem Maler und Schriftsteller Marc Chagall und seiner persönlichen und künstlerischen Verbindungen zur jiddischen literarischen Welt.²⁶ Zurzeit hat Sabine Koller u. a. ein Forschungsprojekt über den Philologen Nokhem Shtif und dessen Wirken in der frühen Sowjetunion.²⁷ Während die deutsche Jiddistik vor zwanzig Jahren vor allem bekannt war wegen der Forschung in der älteren Jiddistik und Linguistik, ist sie jetzt reich gefächert und es erscheinen auch herausragende Arbeiten über moderne jiddischer Kultur und Literatur.²⁸ Die Gelegenheit, Möglichkeiten für die Lehre und Forschung in jiddischer Sprache und Kultur zu schaffen, ist trotz Bologna-Prozess immer noch im deutschen Universitätssystem vorhanden, auch dort, wo es keine spezifisch für Jiddistik designierte Stellen und Strukturen gibt. Oben habe ich hierfür positive Beispiele erwähnt. Die Freiheit in Lehre und Forschung ist aber ein zweischneidiges Schwert. So ist es möglich, in der Jiddistik promoviert zu werden, auch an Universitäten, an denen keine Jiddistik gelehrt wird, es dort also keine Fachleute gibt und fachkundige Wissenschaftler nicht involviert sind. Bei sorgfältiger wissenschaftlicher Forschung und Kontakten mit Fachspezialisten können so gute Arbeiten entstehen. Leider können ohne Grundlagen und einschlägiger Methoden und Quellen auch Texte entstehen, die den allgemeinen Maßstäben für gute wissenschaftliche Praxis nicht entsprechen. Da kann man sich auch bei einem Plagiat nicht darauf berufen, dass die Arbeit doch neu ist für den deutschen Sprachraum.²⁹ Trotz aller Fortschritte werden jiddische Sprache, Kultur und Li-

 Jürg Fleischer: Westjiddisch in der Schweiz und Südwestdeutschland: Tonaufnahmen und Texte zum Surbtaler und Hegauer Jiddisch (Beihefte zum Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry, 4). Tübingen: Niemeyer 2005.  http://www.online.uni-marburg.de/westjiddisch/index.php (Zugriff: 29.02. 2016).  Sabine Koller: Marc Chagall: Grenzgänge zwischen Literatur und Malerei. Köln u. a.: Böhlau 2012.  „Nokhem Shtif and the Quest for Yiddishland: The Revival of Yiddish Culture in the Early Soviet Union“, http://www.uni-regensburg.de/sprache-literatur-kultur/slavistik/institut/slavischjuedische-studien/prof-dr-sabine-koller/ (Zugriff: 29.02. 2016).  Z. B. Efrat Gal-Ed: Niemandssprache. Itzik Manger – ein europäischer Dichter. Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2016.  Persönliche Kommunikation eines Betreuers, nachdem ich als Zweitgutachterin auf auffällige Ähnlichkeiten zwischen Teile einer Dissertation und Veröffentlichungen des Kritikers Shmuel Niger hingewiesen hatte, 1998.

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teratur punktuell noch mit demselben Mangel an Seriosität behandelt wie in Zeiten, als die Sprache noch verachtet wurde als korrumpiertes Deutsch – obwohl dies oft „gut gemeint“ war. Im Mai 2013 bekam ich plötzlich mehrere Mails von BA-Studierenden an der Universität Bochum. Sie waren alle Teilnehmer in einem Seminar über moderne jiddischer Literatur, das im Fach Germanistische Literaturwissenschaft angeboten wurde. Laut Kursbeschreibung sollten Studierende im Seminar nach einer kurzen Einführung selbständig Werke der modernen jiddischen Literatur, die noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, identifizieren und übersetzen. Die Dozentin selber würde dann eine Anthologie dieser Texte veröffentlichen. Die Beschreibung der Lehrveranstaltung endete mit dem Satz: „Vorkenntnisse der jiddischen Sprache sind nicht erforderlich.“³⁰ Im Allgemeinen aber ist die Jiddistik an deutschen Universitäten nicht isoliert und solipsistisch, sondern ein lebendiger und aktiver Teil der internationalen Forschungslandschaft. Die beiden Lehrstühle in Trier und Düsseldorf garantieren eine feste Verankerung, sie lebt aber auch von der fachlichen und interdisziplinären Forschung und Lehre mit jiddistischen Bezügen an mehreren anderen deutschen Universitäten.

 Die Kursbeschreibung ist für Außenstehenden leider nicht mehr im Online-Lehrveranstaltungsverzeichnis der Universität Bochum aufrufbar. Ich habe die Internetseite für Lehrveranstaltungsnummer 050513 im Mai 2013 kopiert.

Rafael D. Arnold

Die Forschung zur sefardischen Sprache, Literatur und Kultur im deutschsprachigen Raum In den letzten vier Jahrzehnten lässt sich international ein stark wachsendes Forschungsinteresse an der Sprache und Kultur der Sefarden (‫ְסָפ ַר ִּדים‬, Sfaradim) beobachten, das sich unter anderem in Kongressen, Tagungen und zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen niederschlägt. Die Verleihung des „Príncipe de Asturias de la Concordia“-Preises an die sefardischen Gemeinden in der ganzen Welt¹ im Vorfeld der vielen offiziellen Gedenkveranstaltungen, die 1992 aus Anlass des 500sten Jahrestages des Vertreibungsediktes stattgefunden haben, hat dazu gewissermaßen den Auftakt gegeben. Selbstverständlich lässt sich das Forschungsinteresse auch mit dem Gegenstand selbst und seinen vielen Facetten begründen, die für ganz unterschiedliche Disziplinen Fakten und Aufschlüsse bieten. Dabei fällt die Zunahme an Forschungsaktivität ausgerechnet in die historische Phase des Judenspanischen, in der es aufgrund verschiedener konträrer Entwicklungen aufhört, eine gesprochene Sprache zu sein und sein Status von Spezialisten als „severely endangered“ (vgl. Red Book of endangered languages der Unesco)² bezeichnet wird. Der anschwellende, vielstimmige Chor aus Wissenschaftlern und auch aus Amateuren, die sich etwa durch das Angebot von Sprachkursen, das Einrichten von Internet-Blogs und andere Aktivitäten für eine Wiederbelebung engagieren, stellt auf paradoxe Weise zugleich den Abgesang auf

Es handelt sich hier um eine überarbeitete und aktualisierte Version eines Beitrags, der in der Zeitschrift ParDeS (Heft 19 [2013], S. 17 – 33) erschienen ist. Für nützliche Anregungen und bibliografische Tipps möchte ich besonders Amor Ayala und Stefanie von Schmädel herzlich danken.  Der prestigeträchtige Preis wurde 1990 verliehen. In der Begründung ist vom „kulturellen und sprachlichen Erbe“ die Rede und davon, dass man eine Wiederannäherung der Sefarden an das Mutterland fördern möchte („Lejos de su tierra, los sefardíes se convirtieron en una España itinerante, que ha conservado con inigualable celo el legado cultural y lingüístico de sus antepasados. Después de cinco siglos de alejamiento, este Premio quiere contribuir al proceso de concordia ya iniciado, que convoca a esas comunidades al reencuentro con sus orígenes, abriéndoles para siempre las puertas de su antiguo país“.) Quelle: www.fpa.es/es/premios-principede-asturias/premiados/1990-comunidades-sefardies.html (Zugriff: 01.02. 2016).  Siehe http://www.unesco.org/culture/languages-atlas/index.php?hl=en&page=atlasmap (Zugriff: 01.02. 2016). DOI 10.1515/9783110523478-006

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diese sprachliche Varietät dar, die sich nach einem halben Jahrtausend im Exil nun nicht länger behaupten kann. Wenn im Folgenden die Forschungen zur Sprache, Literatur und Kultur der Sefarden im deutschsprachigen Raum vorgestellt werden soll, so ist angesichts der neuesten Tendenzen besonders hervorzuheben, dass sie auf eine über einhundertjährige Tradition zurückblicken können. Bereits im 19. Jahrhundert begannen Wissenschaftler deutscher Zunge damit, die Kultur und die Sprache der Sephardim zu untersuchen. Es lässt sich sogar behaupten, dass sie den Grundstein für die moderne Forschung auf diesem Gebiet legten. Für die Mehrheit der Forscher in Spanien schien in der Vergangenheit ausgemacht, dass das Judenspanische nur eine „Abart“³ oder altertümliche Form des Spanischen darstellte, und ihr Interesse, auch das des berühmten Philologen Don Ramón Menéndez Pidal⁴ oder das Don José Amador de los Rios’,⁵ an der sefardischen Kultur im 19. Jahrhundert bezog sich in erster Linie auf die Überreste mittelalterlicher Lieder (romances), Sprichwörter und Redewendungen, die teilweise unter den außerhalb Spaniens lebenden Sefarden noch lebendig waren. Verkürzt lässt sich daher sagen, dass die Neugier der Spanier dem verlorenen Eigenen galt. Bei den national Gesinnten unter ihnen erstreckte sich dabei der Wunsch der Wiederaneignung verlorengegangener Kultur sogar auf die physische Heimholung der „vaterlandslosen Spanier“ („Españoles sin patria“)⁶ oder doch wenigstens auf eine Kastilianisierung von deren Sprache, also eine Anpassung an die Sprachnorm des Kastilischen auf der Iberischen Halbinsel.⁷

 Hier sei nur kurz daran erinnert, dass das Jiddische dasselbe Schicksal teilte und oftmals als „Jargon“ (z. B.von Franz Kafka) oder „Kauderwelsch“ (von Moses Mendelssohn) bezeichnet wurde. Zur linguistischen Debatte um das Jiddische siehe bspw. Mogens Dyhr / Ingeborg Zint: Lubliner Jiddisch. Ein Beitrag zur Sprache und Kultur des Ostjiddischen im 20. Jahrhundert anhand eines Idiolekts. Tübingen: Niemeyer 1988, spez. S. 14– 18 und 28 f.  Über seine vielfältigen Aktivitäten auf diesem Gebiet siehe die sehr informativen Seiten http:// cuestadelzarzal.blogia.com/2010/102801-7.–menendez-pidal-en-israel-y-el-romancero-sefardi1964.php (letzter Zugriff: 01.12. 2016).  José Amador de los Ríos: Estudios históricos, políticos y literarios sobre los judíos en España. Madrid: D. M. Diaz 1848 und ders.: Historia social, política y religiosa de los judíos de España y Portugal, 3 vols., Madrid: T. Fortanet 1876. – Eine kritische Auseinandersetzung mit dem einflussreichen Historiker bietet: Roberto López Vela: Judíos, fanatismo y decadencia. Amador de los Rios y la interpretación de la Historia Nacional en 1848. In: Manuscrits 17 (1999), S. 69 – 95.  So der Titel eines einflussreichen Buches von Ángel Pulido Fernández: Españoles sin patria y la raza sefardí. Madrid: E. Teodoro 1905.  Siehe dazu auch Bibliografie Amor Ayala / Stefanie von Schmädel: Identitätsdiskurse und Politisierung der Sepharden in Wien am Beispiel des Studentenvereins ‚Esperanza‘ 1896 – 1924. In: Transversal 11 (2010), S. 83 – 102.

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Ganz anders bei den Forschern im deutschsprachigen Gebiet, denen ein solcher Gedanke naturgemäß fernlag und deren Interesse entweder durch den direkten Kontakt mit Sprechern des Judenspanischen in Hamburg, Wien, auf dem Balkan oder im Osmanischen Reich erweckt worden war oder – in einigen Fällen – durch verwandtschaftliche Beziehungen begründet werden kann. Hier fallen besonders die in Wien lebenden und aus verschiedenen Ländern der Habsburger Monarchie stammenden frühen Forscher zum Sefardischen auf, von denen im Weiteren noch die Rede sein wird. Es liegt nahe, diesen Überblick mit einer chronologischen Darstellung zu beginnen.⁸ Im Anschluss daran soll der Fokus auf zwei geografische Gebiete gelenkt werden, nämlich auf Wien und Hamburg, wo bedeutende sefardische Gemeinden existierten, die selbst zum Gegenstand der Forschung geworden sind. Daran schließt sich eine Sortierung nach Forschungsthemen der letzten Jahrzehnte an, was allerdings nicht einfach ist, da das Spektrum der erforschten Themen und untersuchten Aspekte sehr vielfältig und disparat ist. So lässt sich keine Forschungsrichtung oder Methode ausmachen, die man etwa als „deutsche Schule“ bezeichnen könnte. Dennoch sollen wenigstens einige wichtige Arbeiten und ihre Verfasser erwähnt werden.

1 Die erste wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judenspanischen Den doch eher kuriosen Auftakt zur sefardischen Forschungstradition im deutschsprachigen Raum machte ein hebräisch-judenspanisches Wörterbuch, das der aus Stuttgart gebürtige Wilhelm Gottlieb Schauffler im Jahr 1855 zu missionarischen Zwecken veröffentlichte.⁹ Es kann damit ungeachtet der Motive seines Verfassers, zu den Pionierwerken auf dem Gebiet der sefardischen Lexikographie gezählt werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befasste sich dann Meyer Kayserling zunächst mit der Poesie der Sefarden (1859), anschließend mit deren Geschichte (1867) und legte schließlich im Jahr 1890 eine umfassende Bibliografie zu ju-

 Um die Darstellung übersichtlich zu halten, werden in vielen Fällen nur die Namen der Wissenschaftler oder ein Kurztitel ihrer Publikationen genannt. Genaue bibliografische Angaben finden sich in der Literaturliste im Anschluss.  Wilhelm (William) Gottlieb Schauffler: ’Oṣar Divrej leshon ha-qodesh, o, Diksionario de la lingua santa: kon la deklarasion de kada verbo en la lingua sefardit. Konstantinopla: A. Churchil 1855.

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denspanischen Werken vor.¹⁰ Die erste linguistische Monographie mit dem Titel Über den Jüdisch-spanischen Dialekt wurde von Moritz Grünwald verfasst und erschien 1882/83.¹¹ Kurz vor der Jahrhundertwende stellte Max Grünbaum eine Auswahl judenspanischer Texte verschiedener Gattungen und Epochen, worunter sich auch Transkriptionen von mündlichen Unterhaltungen befinden, zu Lernzwecken zusammen.¹² Auf dem Gebiet der Morphologie arbeitete Julius Subak, der mit einer Darstellung zum judenspanischen Verb zuerst 1905 in Erscheinung getreten ist und 1906 auch in der renommierten Zeitschrift für Romanische Philologie dazu veröffentlichte.¹³ Einen relativ knappen Vergleich des Jüdisch-Deutschen (Jiddischen) und Judenspanischen stellte 1925 Felix Perles an.¹⁴ Noch kurz vor der Jahrhundertwende hatte Leo Wiener – allerdings in englischer Sprache – eine Untersuchung zur Biblia de Ferrara (1553) mitsamt einer Wortliste veröffentlicht.¹⁵ Samuel Wiener dagegen widmete sich den Haggadot (1500 – 1900), darunter auch denjenigen, die in judenspanischer Sprache (oder Übersetzung) erschienen waren.¹⁶ Auf historischem Gebiet ist Fritz (Yitzhak) Baer zu erwähnen, der 1913 an der Universität Freiburg i. Br. mit seiner Arbeit über die mittelalterliche Geschichte der Juden im Königreich Aragonien promoviert worden war.¹⁷ Mit dieser Studie legte er

 Meyer Kayserling: Sephardim. Die romanischen Poesien der Juden in Spanien. Leipzig: Hermann Mendelssohn 1859; ders., Geschichte der Juden in Spanien und Portugal, 2 Bde. Berlin: Springer 1867 [Neudruck Hildesheim / New York: Gerstenberg 1978]; ders.: Biblioteca Española-PortuguezaJudaica. Dictionnaire bibliographique des auteurs juifs, de leurs ouvrages espagnols et portugais et des œuvres sur et contre les Juifs et le judaïsme. Avec un aperçu sur la littérature des Juifs espagnols et une collection des proverbes espagnols. Strasbourg: C. J. Trübner 1890. [Nachträge und Verbesserungen in: Central-Anzeiger für jüdische Litteratur 1 (1891), S. 123 – 124 und in: Zeitschrift für hebräische Bibliographie 7 (1903), S. 122 – 123; S. 155 – 160].  Moritz Grünwald: Zur romanischen Dialektologie. Über den Jüdisch-spanischen Dialekt als Beitrag zur Aufhellung der Aussprache im Altspanischen. Belovar: Fleischmann 1882/83.  Max Grünbaum: Jüdisch-Spanische Chrestomathie. Frankfurt a.M.: J. Kauffmann 1896.  Julius Subak: Das Verbum im Judenspanischen. In: Adolfo Mussafia (Hrsg.): Bausteine zur romanischen Philologie. Festgabe für Adolfo Mussafia. Halle a. d. S.: Niemeyer 1905, S. 321– 331; ders.: Zum Judenspanischen. In: Zeitschrift für Romanische Philologie 30 (1906), S. 129 – 185. [Ergänzungen zu Subak 1905].  Felix Perles: Deutsch-Jüdisch und Jüdisch-Spanisch. In: Der Morgen 3 (August) (1925), S. 370 – 388.  Leo Wiener: The Ferrara Bible. In: Modern Language Notes X (1895), col. 81– 85; XI (1896), col. 24– 42; 84– 105 [mit alphabetischer Vokabelliste].  Samuel Wiener: Bibliographie der Oster-Haggadah 1500 – 1900. St. Pétersbourg: Glasounof, Eggers & Cie 1902.  Fritz Baer: Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien: während des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin: E. Ebering 1913.

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den Grundstein für sein Standardwerk Die Juden im christlichen Spanien, für das er im Auftrag der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in spanischen Bibliotheken und Archiven anhand Archivmaterials forschte, und das noch 1929 bzw. 1936 in Berlin erscheinen konnte.¹⁸ Zu den herausragenden Sefarden-Forschern zählt der Romanist Max Leopold Wagner, der über Jahrzehnte hinweg zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze zur Sprache der Sefarden, zur Lexik, Etymologie, Morphologie etc. sowie zum sefardischen Brauchtum veröffentlichte, die im Umfang stark variieren und das ganze Spektrum von der Miszelle bis zu regelrechten Dissertationen umfassen. Fasziniert von der Variation der gesprochenen romanischen Sprachen allgemein und des Judenspanischen im Speziellen untersuchte Wagner insbesondere die gesprochene Sprache der breiten Bevölkerungsschicht. Von seinen Aufsätzen sollen nur zwei an dieser Stelle herausgehoben werden: Zum einen die 1914 in Wien veröffentlichten Beiträge zur Kenntnis des Judenspanischen von Konstantinopel,wo er im Auftrag der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften linguistische Explorationen unternahm,¹⁹ und zum anderen seine auf drei Vorträgen beruhende Abhandlung Caracteres generales del judeo-español de Oriente, die 1930 in Madrid erschien.²⁰ In beiden Werken untersuchte er ausdrücklich die „vom Volke“ gesprochene Sprache. Wagner, der auch auf anderen Gebieten der romanischen Sprachwissenschaft, speziell zur sardischen Sprache, Großes geleistet hat, widmete der Erforschung des Sefardischen so viel intellektuelle Aufmerksamkeit und philologische Akribie wie kaum ein anderer.²¹ Es ist daher sehr zu begrüßen, dass seine verstreut publizierten Schriften 1990 von Heinz Kröll in einem beeindruckend umfangreichen Band gesammelt wiederaufgelegt worden sind.²² Ein weiterer weltberühmter Romanist, Leo Spitzer, soll hier nicht unerwähnt bleiben, der ebenfalls, wenngleich nur mit einem sehr knappen Aufsatz über die

 Fritz Baer: Die Juden im christlichen Spanien. Erster Teil: Urkunden und Regesten, 2 Bde. Berlin: Akademie-Verlag 1929/1936 [Nachdruck London: Gregg International Publishers 1970].  Max Leopold Wagner: Beiträge zur Kenntnis des Judenspanischen von Konstantinopel, (Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, Schriften der Balkankommission, 11). Wien: Hölder 1914.  Max Leopold Wagner: Caracteres generales del judeo-español de Oriente (Revista de filológia española 12). Madrid: Impr. de la Libreri´a y casa editorial Hernando 1930.  Eine sehr kritische Einschätzung findet sich dagegen bei Kohring, der bei Wagner besonders Kenntnisse in judaicis vermisst.Vgl. Heinrich Kohring: Anotaciones críticas a caracteres generales de M. L. W. In: Judenspanisch 11 / Neue Romania 37 (2007), S. 49 – 74, speziell S. 72.  Max Leopold Wagner: Sondersprachen der Romania. Das Judenspanische [Bd. 3 und 4]. Stuttgart: Franz Steiner [Reprint diverser Aufsätze] 1990.

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Entwicklung des Judenspanischen, zur wissenschaftlichen Erforschung der Sefarden beigetragen hat.²³

2 Sefarden (Spaniolen) und Sefardisches in Wien Mit dem letztgenannten Forscher sind wir geografisch an der Donau angekommen. Die Wiener Universität zog in jenen Jahrzehnten zahlreiche berühmte Sprach- und Literaturwissenschaftler an. So begründete Adolfo Mussafia, der Sohn einer dalmatinischen Rabbinerfamilie, die dortige Romanistik, und der später weltbekannte Romanist Wilhelm Meyer-Lübke lehrte seit 1890 an der dortigen Alma Mater. Sein Schüler Leo Spitzer, der sich später vor allem durch seine Untersuchungen zur Stilistik einen Namen machen sollte, unterrichtete dort ebenfalls. Bemerkenswert sind aber vor allem jene Studenten sefardischer Herkunft, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein philologisches Studium in Wien aufnahmen. Dass in Wien, das inzwischen zu einer sefardischen Metropole geworden war, die Entwicklung der moderner Sprachwissenschaft und die Präsenz von Studenten aus judenspanischen Familien zusammentrafen, stellte einen wahren Glücksfall für die Erforschung der sefardischen Sprache und Kultur dar.²⁴ Der Zuzug sefardischer Juden in die Donaustadt hatte bereits im 17. Jahrhundert seinen Anfang genommen und erlebte im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die legendäre Gründung der türkisch-spanischen Gemeinde (1736) ist mit dem Namen Diego de Aguilar, der mit jüdischem Namen Mosche Lopez Pereira hieß und in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts vermutlich über Amsterdam nach Wien gekommen war, auf das engste verknüpft. Um die Wende zum 20. Jahrhundert lebten immerhin etwa 1000 sefardische Juden in Wien, die sich mehrheitlich im „Verband türkischer Israeliten“ zusammenschlossen.²⁵ Eine

 Spitzer veröffentlichte diesen Artikel 1939 in jiddischer Sprache, was die meisten romanistischen Fachkollegen überraschen dürfte. Vgl. Leo Spitzer: Der oifkum fon der jidisch-romanische Sprochn [jidd.; Die Entstehung der jüd.-roman. Sprache]. In: Der Morgen X, S. 193 – 210. Vgl. dazu Arnold, Spracharkaden, S. 16.  Michael Studemund-Halévy / Gaëlle Collin: Sefarad sur les Rives du Danube. Vienne et la littérature judéo-espagnole. In: MEAH (sección Hebreo) 57 (2008), S. 149 – 211; Michael Studemund-Halévy / Gaëlle Collin: Sefarad an der Donau. Die Sefarden und die deutschsprachige Romanistik. In: Romanistik in Geschichte und Gegenwart 15,2 (2009), S. 227– 244.  Die sefardische Gemeinde wurde später in die der aschkenasischen Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts schon ca. 170.000 Mitglieder zählte, inkorporiert. Zur Geschichte der sefardischen Gemeinde in Wien siehe Ruth Burstyn: Die Geschichte der türkisch-spaniolischen Juden im Habsburgerreich. In: Peter Bettelheim / Michael Ley (Hrsg.): Ist jetzt hier die „wahre“ Heimat? Ostjüdische Einwanderung nach Wien.Wien: Picus 1993, S. 17– 61 und Studemund-Halévy / Collin:

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ganze Reihe sefardischer Studenten vor allem aus den Balkanländern ließ sich damals an verschiedenen Fakultäten der Universität immatrikulieren, viele von ihnen sollten später Funktionen in jüdischen Gemeinden übernehmen, wie Manfred Papo als Rabbiner in Wien, oder Solomon J. Alkalay als Arzt und engagiertes Gemeindemitglied in Belgrad, um nur zwei Beispiele zu nennen. Im Zusammenhang der sefardischen Studien sind es aber vor allem Studenten der philologischen Fächer, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. So Moritz oder Moric Levi, der seine Forschungen zu den sefardischen Juden in Bosnien 1911 als Dissertationsschrift vorlegte.²⁶ Eine phonetische Untersuchung des Judenspanischen in Bosnien reichte 1923 der spätere Schriftsteller Kalmi Baruch ebenfalls als Doktorarbeit ein.²⁷ Isaac Altarac hingegen stellte eine linguistische Untersuchung einer judenspanischen Übersetzung der Bibel aus dem Jahr 1813 zur Erlangung der Doktorwürde an.²⁸ Über die sprachlichen Verhältnisse der österreichischen Juden informiert ein gewisser Theodor Hass in der Ausgabe des Jahres 1915 der Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden. ²⁹ Im selben Jahr veröffentlichte Matthias Mieses in Wien seine Studie zur Entstehungsursache der jüdischen Dialekte, in der er das Judenspanische allerdings nicht besonders ausführlich behandelte.³⁰ Daneben wurden in dieser Zeit aber auch bereits historische Darstellungen der Sefarden an der Donau verfasst: So veröffentlichte A. Hebräus 1910 in der Zeitschrift Ost und West einen Überblicksartikel über die Geschichte der „spaniolischen Juden“, in dem er sowohl die Geschichte als auch die Verbreitung der sefardischen Kultur – kontrastierend mit der aschkenazischen – thematisiert und auch das Sprachliche kurz streift, um dann zur Feststellung zu gelangen: „Diese spanische Mundart verdient, sprachwissenschaftlich noch erforscht zu werden.“³¹ Zwei Jahrzehnte später sollte Mordche S. Schleicher eine unveröffentlicht gebliebene Dissertation mit dem Titel Geschichte der spaniolischen Juden (Sephar-

Sefarad (2008 und 2009). Speziell zum akademischen Leben in der Donaumetropole siehe Ludwig Rosenhek: Festschrift zur Feier des 100. Semesters der akademischen Verbindung Kadimah 1883 – 1933. Wien: Mödling 1933.  Moritz Levi: Die Sephardim in Bosnien. Sarajevo: Daniel A. Kajon; 1911 [serbokroati. Übers.:] Moric Levi: Sefardi u Bosni. Beograd: Savez jevrejskih ops̆ tina Jugoslavije 1969.  Kalmi Baruch: Der Lautstand des Judenspanischen in Bosnien. Wien: Dissertation 1923.  Isaac Altarac: Die Spracheigentümlichkeiten der Judenspanischen Bibelübersetzung (Wien 1813) (= Diss.; [nicht auffindbar]). Wien 1932.  Theodor Hass: Die sprachlichen Verhältnisse der Juden in Österreich. In: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden 11,1 (1915), S. 1– 12.  Matthias Mieses: Die Entstehungsursache der jüdischen Dialekte. Wien: Löwit 1915 [2. Aufl., Hamburg: Helmut Buske 1979].  A. Hebräus: Die spaniolischen Juden. In: Ost und West 10,6 (1910), S. 351– 368, hier S. 368.

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dim) in Wien (1932) verfassen.³² Zu den in Wien tätigen Forschern gehörte außerdem der bereits erwähnte Julius Subak, der für das 1899 gegründete Phonogramm Archiv der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zahlreiche Tonaufnahmen von Muttersprachlern des Judenspanischen sammelte – was beweist, wie fortschrittlich die damalige Forschung auf diesem Gebiet schon war.³³

3 Sefardische Juden an der Elbe Auch hoch im Norden Deutschlands fanden sefardische Flüchtlinge und ihre Nachkommen Zuflucht. So gab es seit Ende des 16. Jahrhunderts in Hamburg sefardische Juden, die zunächst aber noch keine eigene Gemeinde gründeten. Es handelte sich vor allem um Kaufmannsfamilien, wie die des Gewürzimporteurs Ferdinand Dias, des Maklers Adrian Gonzalves, des Zuckerhändlers Diego Gomes oder die des Kaufmanns Emanuel Alvares, der seine Waren aus Brasilien bezog. Die Mehrheit von ihnen sprach Portugiesisch (oftmals neben Spanisch, das Judenspanische spielte hingegen bei diesen Sefarden keine große Rolle). Im 17. Jahrhundert vereinigte man die drei inzwischen entstandenen Gemeinden zu einer einzigen, der man den Namen Beith Israel gegeben hat. Die sefardische Gemeinde sollte ihre Selbstständigkeit dann im Juli 1939 durch die Zwangseingliederung in den Jüdischen Religionsverband in Hamburg verlieren. Auch in dem benachbarten, damals aber unter dänischer Herrschaft stehenden Altona, hatten sich einige sefardische Familien niedergelassen. Neben Hamburg und Altona wären noch weitere sefardische Niederlassungen wie Glückstadt – wo beispielsweise der bekannte Arzt, Philosoph, Naturwissenschaftler und Rabbiner Joseph Salomo Delmedigo zwischen 1625 und 1628 ein paar Jahre seines bewegten Lebens verbrachte – und schließlich Friedrichstadt und Stade zu nennen. Nur so viel zum historischen Hintergrund der Sefarden in Deutschland. Zu den wissenschaftlichen Publikationen, welche die Hamburger Gemeinde zum Gegenstand haben, zählt Max Grunwalds Untersuchung von Grabsteinen portugiesischer, d. h. sefardischer Personen in Hamburg aus dem Jahr 1902, in der er unter anderem zeigt, inwiefern Grabinschriften Erkenntnisse für die Sozialge-

 Mordche S. Schleicher: Geschichte der spaniolischen Juden (Sephardim) in Wien (= Diss.; unveröffentl.). Wien 1933.  Siehe dazu Christian Liebl: Early Recordings of Judeo-Spanish in the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences. In: Judenspanisch XI / Neue Romania 37 (2008), S. 7– 26. Für das gleiche Archiv sammelte übrigens auch der Musikforscher Abraham Z. Idelsohn (1882– 1938) in den Jahren zwischen 1911 und 1913 in Jerusalem verschiedene Bibel-Rezitationsstile der jüdischen Diaspora.

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schichte bieten können.³⁴ Zu den über 400 Jahre alten sefardischen Friedhöfen in Hamburg liegen inzwischen einige weitere Publikationen vor.³⁵ Außerdem bemüht sich eine Initiatorengruppe um Michael Studemund-Halévy³⁶ um die Aufnahme derselben in das Unesco Weltkulturerbe. Im Zusammenhang mit den Sefarden in Norddeutschland ist noch die grundlegende Arbeit von Hermann Kellenbenz zu nennen, der die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Sefardim an der unteren Elbe untersuchte.³⁷ Ein höchst informatives und sehr umfangreiches biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden legte wiederum Michael Studemund-Halévy im Jahr 2000 vor.³⁸ Obwohl also inzwischen zahlreiche Forschungsarbeiten zu den Sefarden in Wien und in Hamburg veröffentlicht worden sind, gehört die Präsenz sefardischer Individuen oder gar ganzer Gemeinden im deutschsprachigen Raum noch immer nicht zum Allgemeinwissen.

4 Die Sefardenforschung der letzten Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum Zunächst muss festgestellt werden, dass die Naziherrschaft und die Shoa eine tiefgreifende Zäsur auch für die wissenschaftliche Beschäftigung mit den sefardischen Juden und ihrer Kultur bedeuteten. Forscher wie etwa Max Leopold Wagner, Leo Spitzer, Fritz Baer und andere hatten Deutschland verlassen. Der Massenmord der Nationalsozialisten auf dem Balkan hat die sefardischen Gemeinden, besonders die von Salonika (Thessaloniki) fast vollkommen ausgelöscht und damit, nicht zuletzt, der judenspanischen Sprache einen weiteren Todesstoß versetzt.  Max Grunwald: Portugiesengräber auf deutscher Erde. Beiträge zur Kultur- und Kunstgeschichte. Hamburg: Janssen 1902.  Siehe beispielsweise Michael Studemund-Halévy / Jürgen Faust: Betahaim. Sefardische Gräber in Schleswig Holstein. Glückstadt: Augustin 1997; Oliver Breitfeld / Michael Studemund-Halévy / Almut Weinland: Archiv aus Stein. 400 Jahre Jüdischer Friedhof Königstraße. Hamburg: ConferencePoint 2007. – Leider steht eine Digitalisierung des sefardischen Teils des Friedhofes an der Königsstraße (analog zu den 6001 Inschriften des aschkenasischen Teils) durch das Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte (epidat) bislang aus. Siehe http:// www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=hha-0 (Zugriff: 01.02. 2016).  Dazu zählen das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ) und das Denkmalschutzamt Hamburg.  Hermann Kellenbenz: Sephardim an der unteren Elbe. Ihre wirtschaftliche und politische Bedeutung vom Ende des 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Wiesbaden: Steiner 1958.  Michael Studemund-Halévy: Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden. Hamburg: Christians 2000.

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In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind keine intensiveren Forschungsarbeiten im deutschsprachigen Gebiet zu verzeichnen. Eine breitere wissenschaftliche Auseinandersetzung auf den Gebieten der sefardischen Sprache, Literatur und Kultur setzte in der Tat erst in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder ein. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Themen, denen sich Forscherinnen und Forscher heute im deutschsprachigen Raum widmen, sehr vielfältig sind. Wenn im Folgenden einige Themen herausgegriffen werden, so verbindet sich damit keinesfalls der Anspruch auf Vollständigkeit. Stattdessen soll ein Querschnitt durch die Forschungslandschaft gezogen werden, die sich von Hamburg bis Zürich, von Bielefeld bis Wien, von Berlin nach Bern spannt. Wobei betont werden muss, dass die sefardischen Studien bislang an keiner Universität institutionalisiert betrieben werden, sondern an einzelne Forscherpersönlichkeiten geknüpft sind, die sich auf diesem Gebiet engagieren und im folgenden Abschnitt gewissermaßen als Orientierungspunkte dienen. Es ist in diesem Zusammenhang sehr erfreulich, dass es an der Universität Basel einen „Forschungsschwerpunkt Judenspanisch“³⁹ unter der Ägide der Sprachwissenschaftlerin Beatrice Schmid⁴⁰ gibt, wo seit 1999 die Sprache der östlichen Sefarden linguistisch und philologisch untersucht wird und bereits mehrere Forschungsarbeiten zu diesem Thema verfasst und einige mittlerweile veröffentlichte Dissertationen abgeschlossen worden sind.⁴¹ Der Romanist Georg Bossong, der bis 2013 einen Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft in Zürich innehatte, publizierte auch einiges auf dem Gebiet des Judenspanischen. Von seinen Publikationen sei hier ein Aufsatz erwähnt, der  Über die zahlreichen Forschungsprojekte, die dort realisiert werden informiert die Homepage (http://pages.unibas.ch/sefaradi; Zugriff: 02.02. 2016). Einer der Forschungsgegenstände der Basler Forschungsgruppe ist die Sprache der judenspanischen Presse, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den sefardischen Gemeinden im östlichen Mittelmeerraum eine Blüte erlebte.  Beatrice Schmidt: De Salónica a Ladinokomunita. El judeoespañol desde los umbrales del siglo XX hasta la actualidad. In: Germán Colón / Lluís Gimeno Betí (Hrsg.): Ecologia lingüística i desaparició de llengües. Castelló de la Plana: Universitat Jaume I. 2007, S. 9 – 33; dies.: La lengua sefardí en su plenitude. In: Elena Romero (Hrsg.): Sefardíes: Literatura y lengua de una nación dispersa. Cuenca: Universidad de Castilla-La Mancha 2008, S. 325 – 354.  Elena Rieder-Zelenkos: Novedades de Esmirna. Edición de noticias publicadas en el periódico judeoespañol ‘La Buena Esperanza’ en 1905. Barcelona: Tirocinio 2013; Rosa Sánchez: Los ge´neros dialogales judeoespan˜oles: oralidad fingida y variacio´n lingü i´stica (Fuente Clara, Bd. 33). Barcelona: Tirocinio 2015; Manuela Cimeli: Encuentros literarios entre Asquenaz y Sefarad: la recepción en la literatura judeoespañola de la obra narrativa de los hermanos Philippson y de Marcus Lehmann, Dissertation. Universität Basel 2009 (edoc.unibas.ch [Zugriff: 01.11. 2016]). – Zu den Berner Mitarbeiterinnen zählen außerdem Yvette Bürki, Ángel Berenguer Amador und Sandra Schlumpf. Siehe auch Yvette Bürki / Carsten Sinner (Hrsg.): Tiempo, espacio y relaciones espacio-temporales en judeoespañol. München: Peniope 2012.

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als eine Apologie des Judenspanischen gelten kann, weil er darin beweist, dass die im Zusammenhang mit dem Judenspanischen abwertend gebrauchte Bezeichnung „Mischsprache“ (vgl. dazu oben Anm. 3) auf die meisten Sprachen zutrifft, die ihren Wortschatz aus anderen Sprachen entlehnen, mit denen sie im kulturellen Austausch stehen⁴², und an zweiter Stelle seine historische Darstellung der Sefarden in der Reihe „Wissen“ des Beck Verlags, die 2008 erschienen ist.⁴³ In Tübingen unterrichtet Heinrich Kohring, der nicht nur als Verfasser von profunden wissenschaftlichen Aufsätzen, auskunftsfreudiger Ratgeber und kritischer Rezensent hervortritt, sondern auch als unermüdlicher Lehrer des Judenspanischen. Und da diese Varietät des Spanischen natürlich auch dort kein eigenes Universitätsfach darstellt, finden seine Seminare und Kurse wie andernorts fakultativ statt. Wie Sabine Kowallik⁴⁴ befasste sich auch Heinrich Kohring⁴⁵ intensiv mit der Orthographie judenspanischer Texte, die er systematisch dargestellt hat. Des Weiteren seien noch seine Studien zu judenspanischen Glossaren und Wörterbüchern erwähnt, die in jüngster Vergangenheit erschienen sind.⁴⁶ Michael Studemund-Halévy, der bereits im Zusammenhang mit den Hamburger Sefarden erwähnt wurde, gehört zu den engagiertesten Forschern auf dem Gebiet des Sefardischen, wofür er 2013 mit dem Alberto-Benveniste Forschungspreis ausgezeichnet wurde. Bereits 1975 legte er eine Bibliographie zum Judenspanischen vor.⁴⁷ Seitdem publiziert er stetig zu diesem Thema und organisiert internationale Tagungen und seit ein paar Jahren auch Summer Schools in Bulgarien, dessen sefardischer Kultur seit einigen Jahren seine besondere Aufmerksamkeit gehört. Der Sammelband zur judenspanischen Lexikographie, der auf eine Tagung in Hamburg im Jahr zuvor zurückgeht und Aufsätze internationaler

 Georg Bossong: Sprachmischung und Sprachausbau im Judenspanischen. In: Iberoromania 25 (1987), S. 1– 22. Siehe auch Georg Bossong: Die traditionelle Orthographie des Judenspanischen (g’udezmo). In: Wolfgang Dahmen et al. (Hrsg.): Zum Stand der Kodifizierung romanischer Kleinsprachen (Romanisches Kolloquium, Bd. 5). Tübingen: Gunter Narr 1991, S. 285 – 309.  Georg Bossong: Die Sepharden. Geschichte und Kultur der spanischen Juden. München: C. H. Beck 2008.  Sabine Kowallik: Beiträge zum Ladino und seiner Orthographiegeschichte. Hamburg: Helmut Buske 1989.  Heinrich Kohring: Judenspanisch in hebräischer Schrift. In: Neue Romania 12 / Judenspanisch 1 (1991), S. 95 – 170.  Heinrich Kohring: Lexicographica judaeohispanica. Florilegium. In: Winfried Busse / Michael Studemund-Halévy (Hrsg.): Lexicología y lexicografía judeoespañolas. Bern et al.: Peter Lang 2011, S. 301– 351.  Michael Studemund: Bibliographie zum Judenspanischen. Hamburg: Helmut Buske 1975. Siehe auch Michael Studemund-Halévy: Bibliographie zur Geschichte der Sefarden in Rumänien, in Österreich und in Berlin. In: Neue Romania 28 / Judenspanisch 7 (2003), S. 69 – 76.

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Forscherinnen und Forscher enthält und den er gemeinsam mit Winfried Busse herausgegeben hat, kann als Grundlagenwerk auf diesem Gebiet gelten.⁴⁸ Winfried Busse (Prof. em. an der FU Berlin) gab in Zusammenarbeit mit Ronald Daus (FU Berlin) in der von 1982– 2008 von Daus herausgegebenen Reihe Neue Romania seit 1991 die Zeitschrift Judenspanisch heraus.⁴⁹ Gemeinsam mit Heinrich Kohring (Tübingen) und Moshe Shaul (Jerusalem) veröffentlichte er die prestigeträchtige Reihe Sephardica im Peter Lang Verlag (Bern).⁵⁰ Außerdem ist er Herausgeber der neu gegründeten Reihe Sefardische Forschungen, deren erster Band 2011 erschienen ist und die eingestellte Zeitschrift Judenspanisch / Neue Romania fortsetzt.⁵¹ Gerade auf einem so speziellen Gebiet wie dem der Sefarden-Forschung ist es unerlässlich, dass die wissenschaftlichen Initiativen, die an verschiedenen Orten der Welt stattfinden, miteinander vernetzt werden. Diesem Zweck diente auch die Sektion „Judenspanisch – Sephardische Studien“, die auf dem XXV. Deutschen Romanistentag in Jena im Herbst 1997 stattfand. Organisiert hatten sie Christine Bierbach⁵² und der oben erwähnte Georg Bossong zusammen mit dem Historiker Bernd Rother.⁵³ Damals waren auch Forscherinnen und Forscher aus Bulgarien, Frankreich, Israel, Russland und Portugal nach Jena gekommen und – nicht zu vergessen – einige spanische Kollegen und Kollegen, darunter der Doyen der spanischen Sefarden-Forschung Iacob M. Hassán (sel.A.). Zum ersten Mal war damit das Judenspanische ausdrückliches Thema einer Sektion des Romanistentages, und zugleich der Versuch unternommen worden, die deutschsprachigen Forscherinnen und Forscher auf diesem Gebiet nicht nur miteinander, sondern zugleich mit internationalen Forschern ins Gespräch zu bringen. Auch der Verfasser dieses Beitrages, zur Sprache der sefardischen Juden in Italien forschend, hat an der damaligen Sektion teilgenommen und sein Dissertationsprojekt vorgestellt, wozu er ermutigende und anspornende Kommentare

 Michael Studemund-Halévy / Winfried Busse (Hrsg.): Lexicología y lexicografía judeo-españolas, Bern: Peter Lang 2011.  Winfried Busse (Hrsg.): Judenspanisch (Neue Romania, Bd. 12 ff.). Berlin: Institut für romanische Philologie 1991– 2011.  Winfried Busse / Marie-Christine Varol-Bornes (Hrsg.): Hommage à Haïm Vidal Sephiha (Sephardica, Bd. 1). Bern: Peter Lang 1996.  Als erstes Buch der Reihe erschien ein Überblickswerk zur sefardischen Sprache von Mark A. Gabinskij: Die sefardische Sprache. Übersetzt von Heinrich Kohring. Bearbeitet von Winfried Busse und Heinrich Kohring. Tübingen: Stauffenburg 2011.  Siehe von ihr auch Christine Bierbach / Christine Lochow: Judenspanisch: Zur Sprache der Sepharden. In: Grenzgänge 4 (1997), S. 85 – 119.  Siehe von ihm u. a. Bernd Rother: Spanien und der Holocaust. Tübingen: Niemeyer 2001.

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erhalten hat. An diese Forschungsarbeit⁵⁴ schlossen sich andere zu den LadinoÜbersetzungen und zur judenspanischen Lexikographie an.⁵⁵ Neben der linguistischen Forschung, bei der unbedingt auch noch Christa Wiesners⁵⁶ Glossar zum Bibelkommentar „Me’am Lo’ez“ des Iacob Kuli zu nennen ist, das die Lektüre dieses klassischen enzyklopädischen Werks der sefardischen Literatur aus dem 18. Jahrhundert erleichtert, sind es in geringerem Umfang auch Studien auf historischem Gebiet, vor allem aber Untersuchungen zu unterschiedlichen Aspekten, wie Identität, Intertextualität und Transkulturation in der sefardischen und auch marranischen Literatur, die in den letzten Jahren vermehrt vorgenommen worden sind. Dazu zählen auch Studien zu Übersetzungen – beispielsweise aus dem Französischen – ins Judenspanische, die besonders im 19. Jahrhundert im ehemaligen Osmanischen Reich eine große Rolle gespielt haben. Auf diesem Gebiet haben in den vergangenen Jahren André Stoll⁵⁷, Prof. em. Universität Bielefeld, und der früh verstorbene Norbert Rehrmann von der TU Dresden⁵⁸ – und derselbe gemeinsam mit Andreas Koechert⁵⁹ – wichtige Beiträge zur Erforschung der Sefarden veröffentlicht. In

 Rafael Arnold: Spracharkaden. Die Sprache der sephardischen Juden in Italien im 16. und 17. Jahrhundert. Heidelberg: Winter 2006.  Rafael Arnold: Judenspanisch. In: Joachim Born / Robert Folger / Christopher Laferl (Hrsg.): Handbuch Spanisch. Sprache, Literatur, Kultur, Geschichte in Spanien und Hispanoamerika für Studium, Lehre, Praxis. Berlin: Erich Schmidt 2011, S. 126 – 131; ders.: Panorama de lexicografía judeo-española y nuevas perspectivas. In: Dolores Corbella / Josefa Dorta / Alejandro Fajardo et al. (Hrsg.): Lexicografía Hispánica del Siglo XXI: Nuevos Proyectos y Perspectivas. Homenaje al Profesor Cristóbal Corrales Zumbado. Madrid: Arco Libros 2012, S. 97– 123; ders.: Postumer Kulturkontakt – Aschkenasische und sephardische Sepulkraltraditionen auf dem Jüdischen Friedhof in Venedig. In: Adnrzej Kątny / Izabela Olszewska / Aleksandra Twardowska (Hrsg.): Ashkenazim and Sephardim: A European Perspective. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2013, S. 73 – 93; ders.: Una lengua en busca de su diccionario: La lexicografía judeo-española. In: Zuzanna Bułat Silva / Monika Głowicka / Justyna Wesoła (Hrsg.): Variación, Contraste, Circulación. Perspectivas en el hispanismo actual. Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2014, S. 281– 288; ders.: Aus eins mach drei: Die Pessach-Haggada (Venedig, 1609) in Ladino, Italienisch und Jiddisch. In: Melanie Lange / Martin Rösel (Hrsg.): Der übersetzte Gott. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015, S. 108 – 132.  Christa Wiesner: Jüdisch-spanisches Glossar zum ME’AM LO’EZ des Iacob Kuli. Genesis und Exodus bis Teruma. Hamburg: Helmut Buske 1981.  André Stoll: Sepharads Widerstand. Zur poetischen Produktivität der jüdischen Kultur Spaniens nach dem Vertreibungsedikt. In: Ders. (Hrsg.): Sepharden, Morisken, Indianerinnen und ihresgleichen: die andere Seite der hispanischen Kulturen. Bielefeld: Aisthesis 1995, S. 15 – 46.  Norbert Rehrmann: Das schwierige Erbe von Sefarad. Juden und Mauren in der spanischen Literatur. Von der Romantik bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Vervuert 2002.  Norbert Rehrmann / Andreas Koechert (Hrsg.): Spanien und die Sepharden. Geschichte, Kultur, Literatur. Tübingen: Niemeyer 1999.

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neuester Zeit sind außerdem die Arbeiten von Corry Guttstadt,⁶⁰ Susanne Zepp⁶¹ an der FU Berlin und Sina Rauschenbach an der Universität Potsdam,⁶² Carsten Sinner⁶³ und Christina Liebl⁶⁴ zu erwähnen. Auf internationale Forscher, die ebenfalls zu besonderen Aspekten der Sefarden im deutschsprachigen Raum publiziert haben (wie beispielsweise der herausragende Linguist David Bunis, Aitor García Moreno, Aldina Quintana, Katja Smid, Ivana Vucina u. a.) kann im Rahmen dieser Darstellung aus begreiflichen Gründen nicht tiefer eingegangen werden, aber sie sollen wenigstens nicht unerwähnt bleiben. Nicht zuletzt soll noch auf ein empfehlenswertes Lehrbuch für das Judenspanische von Armin Hetzer⁶⁵ hingewiesen werden, das ein nützliches Hilfsmittel für interessierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ebenso wie für interessierte Laien darstellt. Diese Übersicht, die auf Vollständigkeit keinen Anspruch erheben will und im Rahmen eines solchen Aufsatzes auch nicht kann, soll immerhin aufzeigen, dass es im deutschsprachigen Bereich eine intensive Forschungstätigkeit auf dem Gebiet des Sefardischen gibt, die nicht nur auf eine lange Tradition zurückblicken kann, sondern die sich auch in der Gegenwart lebendig und vielfältig erweist und die durchaus selbstbewusst neben derjenigen in Israel und den USA stehen kann. Als Zeichen dieser erfreulichen Vitalität kann auch der Schwerpunkt „Sephardische Studien“ in der 19. Ausgabe Zeitschrift PaRDeS (2013)⁶⁶, den Amor Ayala⁶⁷ und Stephanie von Schmädel verantwortet haben, angesehen werden.

 Corry Guttstadt: Die Türkei, die Juden und der Holocaust. Berlin: Assoziation A. 2008.  Susanne Zepp: Kanon und Diskurs. Über Literarisierung jüdischer Erfahrungswelten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009.  Sina Rauschenbach (Hrsg.): Salomo Ibn Verga, Schevet Jehuda. Ein Buch über das Leiden des jüdischen Volkes im Exil, in der Übersetzung von Me’ir Wiener. Herausgegeben, eingeleitet und mit einem Nachwort zur Geschichtsdeutung Salomo Ibn Vergas versehen von Sina Rauschenbach. Berlin: Parerga 2006; Sina Rauschenbach: Judentum für Christen. Vermittlung und Selbstbehauptung Menasseh ben Israels in den gelehrten Debatten des 17. Jahrhunderts. Berlin: De Gruyter 2012.  Bürki / Sinner (Hrsg.): Tiempo (2012).  Christina Liebl: Jüdisch-Spanische Identität in narrativen Texten sephardischer Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts. Bamberg: University of Bamberg Press 2011. Siehe auch: Dies., Marokkanischsephardische Identitätskonstruktion in Déjalo, ya volveremos von Esther Bendahan und En las puertas de Tánger von Mois Benarroch. In: Iris Hermann / Ada Raev / Margarete Wagner-Braun (Hrsg.): Kolloquium 2011. Beiträge Bamberger Nachwuchswissenschaftlerinnen. (Forschende Frauen in Bamberg, Bd. 4). Bamberg: University of Bamberg Press 2011, 113 – 142.  Armin Hetzer: Sephardisch. Judeo-español, Djudezmo. Einführung in die Umgangssprache der südosteuropäischen Juden. Wiesbaden: Harrassowitz 2001.  Die Zeitschrift PaRDeS wird im Auftrag der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. herausgegeben. Die beiden Themenschwerpunkte in dem erwähnten Band hießen „Galut Sepharad in

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5 Ausblick In den kommenden Jahren wird es insbesondere darauf ankommen, die Forschungsaktivitäten innerhalb des deutschsprachigen Raumes noch enger zu verknüpfen und international zu vernetzen. Dazu ist die Ausbildung von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unerlässlich, die sich mit Begeisterung und Beharrlichkeit der Mühe unterziehen, sich die Voraussetzungen für eine sinnvolle Beschäftigung auf diesem Gebiet anzueignen, zu denen an erster Stelle die Kenntnis zahlreicher Sprachen (etwa Spanisch, Hebräisch, Französisch, Türkisch und weiterer) und der jüdischen Kultur und Religion gehören. Initiativen wie die von Studemund-Halévy, der Sprachaufnahmen der letzten Generation von Muttersprachlern des Judenspanischen in Bulgarien sammelt und archiviert, sind ebenso zu unterstützen wie jegliche Unternehmung, sämtliche schriftlichen Sprachzeugnisse des Judenspanischen zu dokumentieren und zu digitalisieren. Gerade weil die einzelnen Forscherinnen und Forscher an weit auseinander liegenden Orten tätig sind, scheinen Summer Schools nach amerikanischem Vorbild, wie sie von Michael Studemund-Halévy seit einigen Jahren veranstaltet werden, ein besonders geeignetes Mittel zur Erreichung der oben definierten Ziele zu sein. Nur so können vorhandene Kenntnisse und verschiedene Kompetenzen nachhaltig an die kommende Generation weitergegeben und zugleich eingeübt und optimiert werden. Meine Forderung, die ich aus der aktuellen Situation ableiten würde, lautet aber schlicht: Es muss mittelfristig gelingen, wenigstens eine Vollprofessur für sefardische Forschung an einer Hochschule im deutschsprachigen Raum einzurichten und dort zugleich einen bibliothekarischen Sammelschwerpunkt zu etablieren. Dort sollten dann Sprache, Literatur und Kultur der Sefarden erforscht werden. Höchste Priorität wird dabei haben, die Forschungsaktivitäten zu bündeln, aber auch die Neugier der nächsten Generation von Akademikern zu wecken und solide Ausbildungsmöglichkeiten für sie zu schaffen. Darin liegt die Zukunft der sefardischen Studien.

Aschkenas“ und „Sepharden im deutschsprachigen Kulturraum“. Siehe https://publishup.unipotsdam.de/frontdoor/index/index/docId/6473 (Zugriff: 08.02. 2016).  Siehe auch Amor Ayala: Los sefardíes de Bulgaria. Estudio y edición crítica de ’Notas istorikas’ de Avraam Moshe Tadjer (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie, Bd. 404). Berlin: De Gruyter 2016.

Andreas Lehnardt

Judaistik und die historischen Kulturwissenschaften – eine Annäherung Judaistik und/oder Jüdische Studien sind eine junge Disziplin unter den universitären Fächern.¹ Nach wie vor existieren sehr unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen von Studiengängen und Lehrangeboten, die einen Zugang zu dem kulturell wie geistesgeschichtlich so bedeutsamem Phänomen Judentum vermitteln wollen. In Deutschland stößt die wissenschaftliche, in einen universitären Rahmen eingebundene Beschäftigung mit dem jüdischer Geschichte, Literatur, Religion und Kultur immer noch auf ein breites gesellschaftliches Interesse, und die Notwendigkeit der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte wird finanziell unterstützt und gefördert, und, wie die Gründungen mehrerer judaistischer Institute, von An-Instituten und die Schaffung von Lehrstühlen und Studiengängen an verschiedenen Universitäten belegen, die Nachfrage nach fundierter Vermittlung und Forschung zu jüdischen Themen ist nach wie vor groß. Zwar ist mancherorts auch schon ein Rückgang an Förderung und Kritik an bestehenden und bewährten Konzepten zu beobachten, zumal nach der großen Studienreform, die als Bologna-Prozess bezeichnet wird, und dem allgemeinen Rückgang der Studierendenzahlen aufgrund geburtenschwächerer Jahrgänge. Dennoch kann man vielerorts noch immer eine Art Aufbruchsstimmung spüren, die neue Lehrstuhlinhaber beflügeln das Fach weiter auszubauen, neue Stellen zu schaffen und Projekte umzusetzen. Doch vor welchen Voraussetzungen und mit welchen Interessen wird die wissenschaftliche, universitär verankerte Erforschung und Lehre des Judentums verbunden? Welche Konzepte sollen welchen Zielen dienen? Wie verortet sich Judaistik

Überarbeitete Fassung eines Vortrags, der auf der Tagung Historische Kulturwissenschaften – Konzepte und Methoden, vom 29.–30. 11. 2007 an der Johannes Gutenberg Universität gehalten wurde.  Für einen Überblick über die verschiedenen Ansätze vgl. Günter Stemberger, Art. Judaistik, in: Theologische Realenzyklopädie 17 (1988), S. 290 – 296; Michael Brenner / Stefan Rohrbacher (Hrsg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen an den Holocaust. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. Siehe auch Michael Brocke, ‚Judaistik‘ between ‚Wissenschaft‘ and Jüdische Studien‘. Jewish Studies in post-WW II-Germany. In: Albert van der Heide / Irene E. Zwiep (Hrsg.): Jewish Studies and the European Academic World. Plenary Lectures Read at the VIIth Congress of the European Association for Jewish Studies (EAJS), Amsterdam, July 2002. Paris, Louvain, Dudley MA: Peeters 2005, S. 77– 96. DOI 10.1515/9783110523478-007

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als die umfassende Disziplin von der Geschichte, Literatur, Religion und Kultur des Judentums etwa gegenüber der Theologie, insbesondere der protestantischen?² Wie ist das Verhältnis zu einer umfassenderen Kulturwissenschaft zu bestimmen?

1 Vorüberlegungen Judaistik als universitär unabhängige Disziplin ist eine relativ junge Disziplin an deutschsprachigen Universitäten. Die kritische Beschäftigung mit dem Judentum reicht zwar bereits in das Mittelalter zurück, wurde auch von christlichen Hebraisten wie Raymund Martini und Johannes Reuchlin gefördert. Doch lässt man die jüdischen Studien im heutigen Sinn gewöhnlich mit Moses Mendelssohn beginnen, d. h. mit einem jüdischen Vordenker, der zwar ein Reformator, aber kein Reformer war.³ Er gab durch seine Hauptwerke die philosophischen Impulse, die zunächst innerjüdisch zu einer systematischen Erforschung der gesamten Geschichte und Kultur der Juden anregten, wenn auch noch nicht unter universitären Voraussetzungen und innerhalb einer Universität. Die daneben auch von christlichen Forschern, insbesondere von Protestanten, durchgeführten Forschungen zum Judentum standen dagegen zunächst fast ausschließlich im Interesse einer Missionierung von Juden, ohne dass dies zu wirklich nennenswerten Erfolgen geführt hätte.⁴ Vor dem Krieg zeichnete sich dabei das Verhältnis christlicher Forscher des Judentums in der Regel durch eine eigenartige Distanz aus. Nur in Ausnahmen kam es zu einer unvoreingenommen wissenschaftlichen Zusammenarbeit „ohne Hintergedanken.⁵

 Im Folgenden beschränke ich mich auf das Verhältnis zur Judaistik an evangelisch-theologischen Fakultäten, obgleich auch in katholischen Institutionen judaistische Themen in Lehre und Forschung behandelt werden. Judaistik im institutionalisierten Rahmen ist bislang nur an evangelisch-theologischen Fakultäten zu finden. Eine Ausnahme bildete bis zu seiner Emeritierung der Lehrstuhl für Judaistik von Peter Kuhn an der Philosophisch-theologischen Hochschule der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuren. Unberücksichtigt bleibt hier auch die Entwicklung von „Israelogie“ an Freien theologischen Hochschulen.  Vgl. zu den historischen Hintergründen Günter Stemberger: Einführung in die Judaistik. München: C. H. Beck 2002, S. 10 – 15.  Siehe hierzu etwa Hans-Jürgen Becker: Judaistik und Theologie – eine Standortbestimmung. In: Georgia Agusta 69 (1998), S. 29 – 40.  Vgl. zum Ganzen Christian Wiese: Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland: ein Schrei ins Leere?, (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck-Instituts, Bd. 61). Tübingen: Mohr Siebeck 1999. – Siehe hierzu als Beispiel für die Fragen eines Umgangs mit diesem schwierigen „judaistischen“ Erbe, Roland Deines: Wissenschaft des Judentums und protestantische Universitätstheologie im wilhelminischen

Judaistik und die historischen Kulturwissenschaften – eine Annäherung

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Doch bereits die Frage, ob die Judaistik auf den Fundamenten der „christlichen Hebraistik“ (und Kabbala) entstanden ist oder auf den Vorgängern, die die Wissenschaft des Judentums hervorgebracht haben, scheint bis heute eine Art Schibbolet des Faches zu sein. Es bedarf auch deswegen zunächst einer kurzen historisch orientierten Klärung, wo die Wurzeln der Disziplin liegen. Erst in einem weiteren Schritt kann ich Überlegungen zur heutigen Positionierung der Judaistik bzw. Jüdischen Studien im Hinblick auf die Kulturwissenschaften anstellen.

2 Voraussetzungen Auch wenn man einige Ansätze für ein wissenschaftliches Interesse am Judentum auch bei frühen Vertretern der christlichen Hebraistik erkennen mag⁶ – ein erster, ernst zu nehmender Versuch der Begründung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum in all seinen Facetten im deutschen Sprachraum bestand unbestreitbar in dem von einer kleinen Gruppe von Juden in Berlin gegründeten „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ (1819).⁷ Einige Mitglieder dieses Vereins,wie Eduard Gans und Heinrich Heine, ließen sich später jedoch taufen, um so ihre beruflichen Chancen zu verbessern. Die Berliner Ansätze blieben auch daher eine kurze Episode, ohne dass sie unmittelbare Folgen gehabt hätten. Die Forderungen nach Einrichtung eines Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Literatur an der Berliner Universität, wie sie dann von Leopold Zunz erhoben wurden, sind jedoch aus diesen ersten Ansätzen heraus motiviert worden, auch wenn sie ohne Erfolg blieben. Zahlreiche jüdische Forscher, die sich mit Jüdischem in einem geregelten institutionellen Rahmen betätigen wollten, führten lange Zeit ein Randdasein. Andere schlossen sich traditionellen Ausbildungszentren an, in denen die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum anderen Einschränkungen unterlag und keinen wissenschaftlichen universitären Rahmen bot. Einher gingen die ersten Ansätze einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum oft mit Bestrebungen um eine Reform des Judentums. Vor allem Abraham Geiger, der als eigentlicher Gründungsvater des Reformjudentums in Deutschland gelten kann, verfasste zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, die auf größere Beachtung auch in christlich gelehrten

Deutschland: Anfragen zu einem wichtigen neuen Buch von Christian Wiese. In: Judaica 57 (2001), S. 137– 148.  Vgl. hierzu bereits Gershom Scholem: Die Erforschung der Kabbala von Reuchlin bis zur Gegenwart. In: Ders.: Judaica 3. Studien zur jüdischen Mystik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 247– 262, hier S. 247.  Vgl. zu der folgenden Skizze Stemberger: Einleitung, S. 11– 12.

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Kreisen stießen. Sie standen häufig noch im Interesse einer Reform der Tradition, waren also nicht allein von fachlichen Fragestellungen geleitet. Daneben entwickelten sich jüdische Studien in einem institutionalisierten Rahmen auch in Rabbinerseminaren wie dem Collegio Rabbinico in Padua, Italien, und schließlich auch in dem Breslauer Jüdisch-theologischen Seminar und in der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch die osteuropäische Entwicklung innerhalb des Judentums im 19. bis 20. Jahrhundert, die anders verlief als in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum. In Polen und der Ukraine hatten etwa Vordenker der Haskala, der hebräischen Aufklärung, wie Nachman Krochmal (1785 – 1840), Shlomo Yehuda Rapoport (1786 – 1867) und in Italien Shlomo David Luzzato (1800 – 1865) eigene Wege einer wissenschaftlichen, dabei traditionell ausgerichteten Beschäftigung mit dem Judentum entwickelt. Krochmal verfolgte das Anliegen, die die Geschichte des Judentums prägende geistige Kraft in einem zyklischen Geschichtsentwurf gegen die protestantisch gefärbten, idealistischen Denkmodelle seiner Zeit zu verteidigen. Damit legte er den Grund für die Ḥokhmat Yisra’el genannte Richtung der Wissenschaft des Judentums, die vor allem in Osteuropa viele Generationen von Forschern prägte.⁸ Neben Rappoport sind hier Eisik Hirsch Weiss (1815 – 1905) und Meir Friedmann (1831– 1908), der Begründer der modernen Midrasch-Forschung, zu nennen. Samuel Krauss (1846 – 1948), der durch sein Wörterbuch der griechischen und lateinischen Lehnwörter in der Rabbinischen Literatur⁹ Grundlagen für die wissenschaftliche Erforschung der traditionellen jüdischen Literaturen legte, nimmt dagegen bereits eine eigene Stellung ein. Zu dieser traditionelleren Schule der Wissenschaft vom Judentum zählen aber auch einige ungarische Gelehrte, wie vor allem Wilhelm Bacher (1815 – 1913) und David Kaufmann (1852– 1899) oder auch der Orientalist Ignaz Goldziher (1850 – 1921).¹⁰ Daneben darf auch die so genannte Wissenschaft vom Ostjudentum nicht vergessen werden, die etwa in dem 1925 gegründeten Yidisher visnshaftlekher institut (YIVO) ihren institutionellen Höhepunkt gefunden hat. Die Idee zu diesem in jiddischer Sprache, d. h. der Sprache der Ostjuden, forschenden Institution ging u. a. auf den Sprachwissenschaftler und Literaturkritiker Nokhem Shtif (1879 – 1933) zurück. Auch er stand unter dem Einfluss osteuropäischer Maskilim und

 Vgl. dazu etwa Andreas Lehnardt: Einleitung. In: Nachman Krochmal, Führer der Verwirrten der Zeit. Hamburg: Meiner 2012, S. VII–LI.  Samuel Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter in Talmud, Midrasch und Targum, mit Bemerkungen von Immanuel Löw, Bd. 1– 2. Berlin: S. Calvary 1899.  Vgl. zu ihnen Stemberger: Einleitung, S. 14. Zu Goldziher vgl. Peter Haber: Zwischen Tradition und Wissenschaft. Der ungarische Orientalist Ignác Goldziher (1850 – 1921). Köln: Böhlau 2006.

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konnte daher sein wissenschaftliches Interesse für das Judentum unter anderen Voraussetzungen als die im protestantischen Kulturkreis wirkenden deutschen Wissenschaftler entwickeln.¹¹

3 Protestantische Judaistik Nach dem Untergang der meisten europäischen jüdischen Ausbildungsstätten und Institutionen in der Shoa konnte in Deutschland an die Tradition der Wissenschaft des Judentums nicht angeknüpft werden. Bemühungen um ihre Wiederbelebung finden sich zwar bereits recht bald nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. In Tübingen, Münster und Berlin etablierten sich an evangelisch-theologischen Fakultäten nach dem Zweiten Weltkrieg etwa auch wieder so genannte Instituta Judaica. Doch fehlten diesen Instituten zunächst fachlich adäquat ausgebildete Lehrer, die z. B. Rabbinica hätten unterrichten können. Aus heutiger Sicht erstaunlich bald nach der Shoa fanden sich jüdische Gelehrte bereit, an einigen theologischen Fakultäten in Deutschland zu unterrichten. So wurde Rabbiner Baruch Graubard (1900 – 1976) aus München schon 1951 zum außerordentlichen Professor für Judaistik in Marburg ernannt.¹² 1957 kehrte mit Rabbiner Bernhard Brilling (1906 – 1987) ein hervorragender Vertreter der Wissenschaft des Judentums aus Israel nach Deutschland zurück, wo er am Münsteraner Institutum Judaicum Delitzschianum, einem ursprünglich der Judenmission verschriebenen Institut, von Karl Heinrich Rengstorf promoviert wurde und dort eine Abteilung zur „Geschichte der Juden in Deutschland“ begründete.¹³ In Mainz (und Marburg) wurde nach 1958

 Vgl. hierzu Stefan Schreiner: „Wissenschaft auf Jiddisch“. Eine Erinnerung an die Gründung des Yidisher Visnshaftlekher Institut (YIVO) vor 75 Jahren. In: Wissenschaft des Ostjudentums. Eine Ausstellung zum 75. Geburtstag des Yidisher Visnshaftlekher Institut (YIVO). Tübingen, Vilnius: Universitätsbibliothek Tübingen 2000, S. 5 – 34. Zu Jiddisch in den Jüdischen Studien vgl. auch den Beitrag von Marion Aptroot in diesem Band.  Siehe dazu Enthüllung des Grabsteins von Professor Baruch Graubard, s. A. In: Neue Jüdische Nachrichten, 4. 2.1977. Vgl. auch Anthony D. Kauders / Tamar Lewinsky: Neuanfang mit Zweifeln (1945 – 1970). In: Richard Bauer / Michael Brenner (Hrsg.): Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 2006, S. 185 – 223, hier S.187.  Vgl. zu im Hans Galen (Hrsg.): Jüdische Porträts. Graphische Bildnisse prominenter Juden Mitteleuropas. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Münster, 22. Oktober 1993 bis 9. Januar 1994. Hamm 1993, S. 70; Peter Honigmann: Das Projekt von Rabbiner Dr. Bernhard Brilling zur Errichtung eines jüdischen Zentralarchivs im Nachkriegsdeutschland. In: Klaus Hödl (Hrsg.): Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 6). Innsbruck u. a. 2004, S. 223 – 241.

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von dem aus Budapest nach Deutschland emigrierten Rabbiner Professor Ernst Róth (1908 – 1991) ein Lehrauftrag am Orientalistischen Seminar wahrgenommen.¹⁴ Von welchen Überlegungen solche Lehrveranstaltungen an der Johannes Gutenberg-Universität begleitet wurden, belegt ein bemerkenswerter Plan aus den 50er Jahren, eine jüdisch-theologische Fakultät einzurichten. Dieser im Auftrag der französischen Militärbehörden von dem Gründungssenator der Universität Michel Oppenheim (1885 – 1963) entworfene Plan stieß jedoch auf Vorbehalte – von jüdischer Seite. Über Vorüberlegungen kam diese gleichberechtigt neben den christlich-theologischen Fakultäten positionierte „jüdisch-theologische Fakultät“ daher nicht hinaus. Erst in Potsdam konnte dann vor wenigen Jahren eine solche Fakultät erstmals eröffnet werden.¹⁵ Die meisten Instituta Judaica und Lehrstühle an den theologischen Fakultäten, die sich mit jüdischen Themen befassten, entwickelten sich daher noch lange Zeit im Geiste der Judenmission – teilweise noch von solchen Gelehrten gefördert, die mit den Nationalsozialisten kooperiert oder sympathisiert hatten.¹⁶ Eine von Bekenntnissen unabhängige Judaistik wurde nicht für notwendig erachtet, zumal die Aufarbeitung der eigenen Rolle im Nationalsozialismus bis in die 70er Jahre ausblieb und auch danach nur zögerlich erfolgte.¹⁷ Jüdische Studierende, die ihre Kultur unabhängig hätten studieren wollen, gab es zunächst so gut wie nicht. Die

 Diese Ansätze wurden in Mainz durch den Missionswissenschaftler Eugen L. Rapp gefördert. Vgl. Otto Böcher: Eugen Ludwig Rapp 1904– 1977. In: Eugen Ludwig Rapp 1904 – 1977. Eine Ausstellung der Stadtbücherei Pirmasens, 19. Mai bis 3. Juli 1992, S. 4– 8. Zu Róth siehe Andreas Lehnardt, Art. Róth, Ernst, in: Biographisches-Bibliographisches Kirchenlexikon 38 (2017) [http:// www.bbkl.de/lexikon/bbkl-artikel.php?art=./R/Ro/roth_e.art. (Zugriff: 27.02.2017)].  Siehe dazu den Beitrag von Walter Homolka in diesem Band.  Siehe hierzu etwa Karl-Heinrich Rengstorf: 85 Jahre Institutum Judaicum Delitzschianum: 1886 – 1971. In: R. Do(b)bert (Hrsg.): Zeugnis für Zion. Erlangen [o.V.] 1971, S. 30 – 64, hier S. 52, in der Rengstorf hinsichtlich der Neugründung des Institutum Delitzschianums in Münster von einem Neuanfang „aus dem Nichts“ spricht, seine Verstrickung in die NS-Politik aber vollkommen verschweigt. Zur schwierigen Neuorientierung des Münsteraner Instituts vgl. Hermann Lichtenberger: Christlich-jüdische Beziehungen. In: Brücke zwischen Kulturen und Völkern. Hrsg. von der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster: Coppenrath 1993, S. 25 – 36. Zur Beziehung Rengstorfs zu Gerhard Kittel vgl. Henry Wassermann: False Start. Jewish Studies at German Universities during the Weimar Republic. New York: Humanity Books 2003, S. 183; Matthias Morgenstern / Reinhold Rieger (Hrsg.): Das Tübinger Institutum Judaicum. Beiträge zu seiner Geschichte und Vorgeschichte seit Adolf Schlatter ( = Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 83). Stuttgart: Steiner 2015.  Erinnert sei in diesem Zusammenhang noch an den Fall des Neutestamentlers Grundmann in der DDR. Siehe dazu u.a. Bernd Schaller, Programm „Entjudung“. Walter Grundmann. NSTheologe und Mann der Kirche. 1922– 1945 und 1945 – 1976. In: Leqach. Mitteilungen und Beiträge der Forschungsstelle Judentum 11 (2013), 31– 66.

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ältere Forschung, die sich häufig durch einen latenten und offenen Antisemitismus auszeichnete, wurde dabei lange Zeit nicht kritisch hinterfragt.¹⁸ Strukturen, die bereits vor der Shoa bestanden, wurden beibehalten und vereinzelte Bemühungen um die Etablierung einer eigenständigen akademischen Beschäftigung mit dem Judentum im universitären Rahmen nicht gefördert. Das Seminar für Judaistik in der evangelisch-theologischen Fakultät Mainz hieß etwa noch lange „Seminar für Spätjudentum“, worin sich – obgleich vielleicht von einzelnen Vertretern gut gemeint und obgleich für ihre Zeit bemerkenswerte wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt wurden¹⁹ – deutlich die theologisch begründete Abwertung des Gegenstandes der eigenen Forschungen spiegelte.²⁰ Obgleich dann 1983 für Rabbiner Leo Trepp (1913– 2010), einen gebürtigen Mainzer, eine Gastprofessur für Judaistik an der Gutenberg-Universität eingerichtet wurde, blieb die Beschäftigung mit dem Judentum in den theologischen Lehrplänen fakultativ und mit der Religions- und Missionswissenschaft zusammengefasst.²¹ Man kann sich eingedenk der geschilderten Entwicklungen noch gut in die sehr schwierigen Bedingungen versetzen, unter denen sich nach 1945 an anderen Orten und Fakultäten im deutschsprachigen Raum, judaistische Institute zu entwickeln begannen. Ausgehend vom Seminar für Orientalistik an der Universität Wien unter Leitung von Kurt Schubert (1923 – 2007) entstanden ab 1964 Institute für Judaistik an der Freien Universität in Berlin (1964), in Köln (1966) und in Frankfurt am Main (1970).²² Diese Neugründungen entwickeln sich nach wie vor

 Vgl. dazu etwa Yaacov Shavit / Mordechai Eran: The Hebrew Bible Reborn: From Holy Scripture to the Book of Books. A History of Biblical Culture and the Battles over the Bible in Modern Judaism (Studia Judaica, Bd. 38). Berlin, New York: De Gruyter 2007, bes. S. 247.  Hervorzuheben ist hier die Arbeit von Eugen L. Rapp. Seine Heidelberger theologische Dissertation behandelte den Mischna-Traktat Moed Qatan (1929; gedruckt 1931). Auch sein Nachfolger, Günter Mayer, promovierte am Institutum Judaicum Deliztschianum in Münster mit einer Arbeit über ein Mischna-Traktat.  Die Umbenennung des Mainzer Seminars in „Seminar für Wissenschaft vom Judentum“ erfolgte erst zum Wintersemester 1953/54 (!). Vgl. dazu Karl Dienst: Die Anfänge der evangelischtheologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. In: Kurt Schuster u. a. (Hrsg.): Festgabe Wilhelm Jannasch zum fünfundsiebzigsten Geburtstag, Erweiterter Sonderdruck aus Band 15 des Jahrbuchs der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung. Darmstadt 1964, S. 143 Anm. 19.  D. h., die Studierenden konnten zwischen Kursen in Religions-, Missionswissenschaft und Judaistik wählen. – Zu Trepps Ansatz einer Beschäftigung mit dem Judentum vgl. Leo Trepp: Die Wissenschaft des Judentums und die deutsche Universität. Vortrag gehalten anlässlich der Verleihung der Würde eines Honorarprofessors am 5. Juli 1988. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität 1989.  Zur Geschichte dieser Institute vgl. Johann Maier, Ein neues Studienfach an der phil. Fakultät, in: Blätter des Dt. Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (1966), S. 83 – 90 [vgl. ders., Judaic Studies in the Federal Republic of Germany. The Case of the

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sehr unterschiedlich und sind auch nicht vor Kürzungen oder Streichungen gefeit.²³ Die oft beteuerten Einsichten in die Notwendigkeit einer fundierten Erforschung des Judentums kombiniert mit sinnvoller Unterweisung in den unterschiedlichen Teilbereichen der Disziplin sind nach wie vor nicht so selbstverständlich, als das nicht auch in Zukunft mit Streichungen oder Umwidmungen zu rechnen wäre, zumal angesichts rückläufiger Studierendenzahlen. Inzwischen entwickeln sich jedoch auch neue Strukturen, deren Verstetigung allerdings noch abzuwarten ist.²⁴ Heute definiert sich Judaistik im deutschsprachigen Raum auch wegen der mittlerweile international nicht mehr wegzudenkenden wissenschaftlichen Leistungen²⁵ als geisteswissenschaftliche Disziplin, die weder von jüdischen Interessen noch von den christlichen Theologien bestimmt sein sollte. Die Nähe zu Fragestellungen anderer Fächer und Disziplinen, insbesondere der Kulturwissenschaft, ist daher groß, zumal die viel geforderte Interdisziplinarität für judaistische Wissenschaft selbstverständlich erscheint. Für Judaistik innerhalb der Theologie stellt sich dabei die im Grunde sehr alte Frage, ob Judentum allein als Religion oder auch als Kultur in einem die Religion zwar einschließenden, jedoch nicht alleinigen Sinne zu verstehen ist und welche Konsequenzen die Beantwortung dieser Frage für die akademische Verankerung der Disziplin hat. Das Konzept von „Judaism as Civilization“ hat insbesondere in den USA zu unterschiedlichen Ausprägungen jüdischen Selbstverständnisses und

Martin Buber Institut, in: Jewish Book Annual 44 (1986) 70 – 79]; Peter Schäfer, Die Entwicklung der Judaistik in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945. In: W. Prinz / P. Weingart (Hrsg.), Die sog. Geisteswissenschaften. Innenansichten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990, S. 350 – 365; Margarete Schlüter: Judaistik an deutschen Universitäten heute. In: Brenner / Rohrbacher (Hrsg.): Wissenschaft vom Judentum, S. 85 – 96, hier S. 89.  Erinnert sei etwa daran, dass das Institut für Judaistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt 2005 nach Marburg verlegt und damit aus seiner inzwischen engen Kooperation mit dem Jüdischen Museum in Frankfurt und der Universitätsbibliothek Frankfurt mit seinem DFG-Sondersammelschwerpunkt Judaica und Israel herausgelöst werden sollte.  So etwa das Institut für Jüdische Studien in Münster, welches im Sommer 2015 am Fachbereich Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität eingerichtet wurde, und u. a. mit einer Juniorprofessur und einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingerichteten Alexander von Humboldt Professur ausgestattet ist. Vgl. http://www.uni-muenster.de/JuedischeStudi en/studium/index.html (Zugriff: 12.12. 2016).  Verwiesen sei auf die Neueditionen klassischer rabbinischer Schriften, etwa von Hans-Jürgen Becker (Hrsg.): Geniza-Fragmente zu Avot de-Rabbi Natan ( = Texte und Studien zum Antiken Judentum, Bd. 103). Tübingen: Mohr Siebeck 2004 und ders. (Hrsg.): Avot de-Rabbi Natan. Synoptische Edition beider Versionen (Texte und Studien zum Antiken Judentum, Bd. 116). Tübingen: Mohr Siebeck 2006; ders.: Avot de-Rabbi Natan B. Aus dem Hebräischen übersetzt und herausgegeben (Texts and Studies in Ancient Judaism, Bd. 162). Tübingen: Mohr Siebeck 2016.

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der damit verbundenen pädagogischen und wissenschaftlichen Programme geführt.²⁶ Um solche Entwürfe von „Judentümern“ in irgendeiner Form in der Diskussion um eine wissenschaftliche Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und Kultur zu berücksichtigen, bedarf es historischer, philologischer und gegenwartsbezogener Reflektion, die über die Grenzen einer Konfession hinausgehen kann. Eine Judaistik, die sich nur auf die antiken Erscheinungsformen spezialisierte, stünde schnell vor dem Problem, zahlreiche moderne Gesamtdarstellungen des Antiken Judentums, die explizit auf Entwicklungen des Judentums in der Moderne Bezug nehmen, nicht mehr nachvollziehen zu können.²⁷ Ebenso ist eine Judaistik, die sich nur mit den modernen literarischen Erzeugnissen von Juden befasst, nicht vor Missverständnissen der Vergangenheit gefeit. Im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland ist dabei zu bedenken, dass die Gründergeneration von Judaisten nach der Shoa stark durch die israelischen Mada’e ha-Yahadut, d. h. der Wissenschaft des Judentums in Israel, geprägt wurden. Die Anfänge der universitären Judaistik in der BRD sind daher vor einem humanistisch orientierten Bildungshorizont zumeist deutschstämmiger Auswanderer gelegt worden. Diesen Bildungshorizont gibt es so jedoch nicht mehr, zumal die wenigsten Studierenden heute noch mit den Qualifikationen in Sprachen der Antike an die Universitäten gelangen, wie es die erste Generation von Judaisten tat. Dies trifft auch auf die Situation an israelischen Universitäten zu, an denen etwa Lateinkenntnisse, ein wichtiges Bindeglied zur europäischen Kultur von der Antike bis zum Mittelalter, kaum vorausgesetzt werden können. Zwar beginnt sich auch dies inzwischen wieder zu ändern, doch die grundlegende Wandlung der Studienbedingungen insgesamt hat zu einer veränderten Ausgangslage für die fachliche Ausgestaltung der Judaistik beigetragen. Latein, Griechisch und Hebräisch sind von den meisten Studierenden erst zu erlernen, bevor sie sich Josephus Flavius, Philo von Alexandrien oder dem Neuen Testament als wichtigen Quellen für das Verständnis des Antiken Judentums nähern können.

 Vgl. dazu etwa Leo Trepp: Jüdisches Denken im 20. Jahrhundert. In: Günter Mayer (Hrsg.): Das Judentum (Die Religionen der Menschheit, Bd. 27). Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1994, S. 290 (zu Mordecai Menahem Kaplans Definition von Judentum als „sich entfaltende[r] religiöse[r] Kultur“).  Verwiesen sei hier etwa auf die Darstellung der Makkabäer als einer gegen hellenisierende Reformjuden entstandenen Gegenbewegung durch Elias Bickermann. Er verglich den Kampf der Makkabäer mit dem Kampf zwischen Orthodoxen und Reformisten im Deutschland des 19. Jahrhunderts.Vgl. Elias Bickermann: Der Gott der Makkabäer. Untersuchungen über Sinn und Ursprung der makkabäischen Erhebung. Berlin: Schocken 1937, S. 137. Dieser Ansatz wurde, unter christlichpietistischen Vorzeichen, von Martin Hengel: Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jhs. v. Chr. (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Bd. 10). Tübingen: J. C. B. Mohr (Siebeck) 31988, aufgenommen und fortgeführt.

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In Israel lassen sich dabei in den vergangenen Jahren zusätzlich andere Entwicklungen beobachten, die die Überlegungen zur Durchführung jüdischer Studien in Europa betreffen und sie beeinflussen. Neben einem zunehmenden Einfluss orthodoxer Kreise auf das Studium klassischer rabbinischer Literatur(en) und Geistesströmungen²⁸ lässt sich seit den 90er Jahren auch die Forderung nach einer „orientalischen Judaistik“ vernehmen, in der die Interessen und kulturellen Voraussetzungen der orientalischen (bzw. sefardischen) Juden stärker einbezogen werden sollten. Parallel zu innerisraelischen Entwicklungen, die eine Gleichbehandlung der sog. ʽEdot ha-mizraḥ in allen gesellschaftlichen Bereichen fordern, solle auch in der Wissenschaft einem scheinbar greifbaren „Eurozentrismus“ entgegen getreten werden.²⁹ Auf vergleichbare Weise wird aus ganz anderen Motiven heraus die Berücksichtigung feministischer Anliegen gefordert – eine Judaistik aus weiblicher Perspektive, zumal Frauenforschung in der historischen Arbeit am Judentum lange Zeit viel zu kurz gekommen sei.³⁰ Beachtenswert ist bei all diesen neuen Ansätzen die sich ebenfalls abzeichnende Tendenz, dass an einigen israelischen Institutionen jüdische Studien wieder in die allgemeinen Disziplinen überführt werden, anscheinend also das spezifische Anliegen der Gründerväter der Wissenschaft des Judentums aufgegeben wird. Diese Entwicklung lässt sich mittlerweile auch in Deutschland beobachten,³¹ wo sich Angebote zu Jüdischen Studien immer häufiger in den historischen Seminaren finden. Ein spezifisches Anliegen an der Behandlung jüdischer Themen wird mit der Zielsetzung einer gesellschaftlichen Integration in den Hintergrund gedrängt.³²

 Vgl. dazu etwa Josef Dan, Die Hegemonie der „Schwarzen Hüte“. Zur Rolle der Judentumswissenschaft in Israel. In: Babylon 8 (1991), S. 72– 84.  Vgl. hierzu etwa Eran Kaplan: Israeli Jewry. In: Nicholas de Lange / Miri Freud-Kandel (Hrsg.): Modern Judaism. An Oxford Guide. Oxford: Oxford University Press 2005, S. 150 – 151.  Vgl. hierzu etwa Tal Ilan: Jewish Women’s Studies. In: Martin Goodman (Hrsg.): The Oxford Handbook of Jewish Studies. Oxford: Oxford University Press 2002, S. 770 – 796. – Siehe auch Ilans Beitrag in diesem Band.  Zur Einrichtung eines Lehrstuhls für jüdische Geschichte in München 1997, einem seinerzeitigen Novum in der deutschen Universitätslandschaft, und dem damit verbundenen Konzept Jüdischer Studien vgl. Michael Brenner: Orchideenfach, Modeerscheinung oder ein ganz normales Thema? Zur Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur an deutschen Universitäten. In: Eli BarChen / Anthony D. Kauders (Hrsg.): Jüdische Geschichte. Alte Herausforderungen, neue Ansätze (Münchener Kontaktstudium Geschichte, Bd. 6). München 2003, S. 13 – 24.  So werden gelegentlich etwa an historischen Seminaren Lehrveranstaltungen zu mittelalterlichen jüdischen Quellen angeboten, ohne relevante Quellen (Inschriften, hebräische Dokumente, traditionelle rabbinische Literatur) in Originalsprache lesen oder erklären zu können.

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Judaistik oder Jüdische Studien an deutschsprachigen Universitäten sind auch deswegen und vor dem Hintergrund sich rasch wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse zunehmend ein vielschichtiges Konglomerat von Forschungsund Lehrinteressen, die sich in disparaten Strukturen realisieren. Der Wechsel von Studienorten ist damit für Studierende – trotz Bologna-Reform – auch deswegen oftmals mit Hürden verbunden, die durch die Reform eigentlich verringert werden sollten. Soweit die Disziplin in den philosophischen Fakultäten in Deutschland angesiedelt ist, werden zwar relativ einheitliche Standards vertreten. Bereits bei der Realisierung von BA-Studiengängen bestehen jedoch Unterschiede, so dass die Vergleichbarkeit der Abschlüsse oftmals erst geprüft werden muss. Für die judaistisch Lehrenden an den theologischen Fakultäten scheint diese Entwicklung von geringerem Belang zu sein, da die kirchlichen und staatlichen Prüfungsordnungen ohnehin sehr unterschiedlich gestaltet sind.³³ In Tübingen wurde nach über zehn jähriger Anlaufphase immerhin erstmals auch ein interfakultärer Studiengang Judaistik eingerichtet, in den ausgehend von der Evangelisch-theologischen Fakultät auch die Kulturwissenschaft einbezogen ist.³⁴ An der Universität Göttingen ist ebenfalls ein „Modulpaket Judaistik“ an der philosophischen Fakultät eingeführt worden; für diese Initiative zeichnete ebenfalls ein Theologe verantwortlich.³⁵ Ansätze wie diese stoßen allerdings auf Vorbehalte und werden gelegentlich als mit der Judaistik an den philosophischen Fakultäten nicht gleichwertig erachtet. In der Praxis zeigt sich, dass diese neuen Wege wohl nur geringen Einfluss auf den Ausbau und die Fortführung der Disziplin haben werden, zumal inzwischen jüdische Institutionen mit ihren eigenen Angeboten breiteren Zuspruch finden und zusätzlich das neue Fach Israelstudien an einigen Universitäten eingerichtet wird bzw. werden soll.³⁶

 Dies gilt bzw. galt auch für die Lehrstühle im Alten und Neuen Testament, die einen Schwerpunkt im Judentum vertreten sollten, wie am Institut für Evangelische Theologie in Osnabrück oder an der Evangelisch Theologischen Fakultät Kiel. Vergleichbar ist dies auch mit den Anliegen des Instituts für Kirche und Judentum an der theologischen Fakultät der HumboldtUniversität Berlin. Im Zentrum dieses 1960 gegründeten Instituts, ein Werk der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, stehen die Grundfragen des christlichjüdischen Verhältnisses und eine angemessene Judentumskunde.Vgl. http://www.ikj-berlin.de/% FCberuns/%FCberuns.htm (Zugriff: 11.11. 2016).  Vgl. die Studienordnung vom 8.10. 2004: http://www.uni-tuebingen.de/uni/v01/downloads/ BAMA_Judaistik_Pruefungsordnung.pdf (Zugriff: 11.11. 2016).  Vgl. http://www.uni-goettingen.de/de/63969.html (Zugriff: 11.11. 2016).  Vgl. dazu den Beitrag von Zadoff in diesem Band. Siehe auch die Broschüre: Zentrum für IsraelStudien an der LMU München. Israel: Geschichte und Gesellschaft, mit Beiträgen von Shlomo Avineri, Shlomo Ben-Ami, Michael Brenner und Natan Sznaider. München: Zentrum für Israelstudien 2016.

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Bemerkenswert bleibt an den neuen, von theologischen Fakultäten ausgehenden, aber im Verbund mit kulturwissenschaftlichen Fakultäten entwickelten Angeboten, dass auf die Unterscheidung von Judaistik und Theologie großer Wert gelegt wird. Die Einsicht, dass Judaistik nicht Theologie treiben kann, d. h. nicht Lehre oder Rede von Gott sein sollte, wie es die wissenschaftliche Theologie versucht, hat sich mittlerweile durchgesetzt. Judaistik kann, so wird anerkannt, nicht mehr die Magd, ancilla der Theologie sein. Allein an einer theologischen Fakultät, so hat Peter Schäfer daher bei der Einrichtung des Tübinger Studienganges festgehalten³⁷, wäre Judaistik insofern „fatal“³⁸, zumal jüdische Studierende ausgeschlossen blieben. Zwar haben Theologie und Judaistik gemeinsame Fragestellungen verfolgt und dabei in der Vergangenheit auch beachtliche Ergebnisse vorgelegt. Doch sollte sich Judaistik, so mittlerweile übereinstimmende Meinung vieler Fachkolleginnen und -kollegen, keiner Weltanschauung verpflichtet wissen, sondern allein seinem Gegenstand: Dem Judentum, d. h. seiner Sprache, Kultur, Geschichte und Religion in ihren verschiedenen Ausprägungen.

4 Ausblick: Kulturwissenschaft und Judaistik Gershom Scholem hat in der ersten seiner 95 Thesen über Judentum und Zionismus im Jahre 1918 programmatisch erfasst, worauf sich jüdische Kultur und Religion stets beziehen sollte, auf seine Sprache.³⁹ Als Zionist, der die Gründung eines eigenen jüdischen Staates zu fördern suchte, stand für Scholem das Hebräische selbstverständlich an erster Stelle. Dies ist eine aus heutiger Perspektive vielleicht zu kritisierende, einschränkende Sicht der Bedeutung des Hebräischen – Jiddish und Ladino, Jüdäo-Arabisch und Griechisch wären wohl ebenso zu berücksichtigen, zumal aus einer judaistischen „Diaspora-Perspektive“. Dennoch hat Hebräisch über Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart als wichtiger Kulturvermittler gewirkt und das Judentum zweifellos über Jahrhunderte so stark geprägt, dass man heute ohne Hebräisch viele aktuelle Diskussionen in und um

 Peter Schäfer: Judaistik und ihr Ort in der universitas litterarum heute. In: Mauro Perani (Hrsg.): „The Words of a Wise Man’s Mouth are Gracious“ (Qoh 10,12). Festschrift for Günter Stemberger on the Occasion of his 65th Birthday (Studia Judaica, Bd. 32). Berlin, New York 2005, S. 475 – 491.  Ebd. S. 484.  Vgl. Gershom Scholem: 95 Thesen über Judentum und Zionismus. In: Peter Schäfer / Gary Smith (Hrsg.): Zwischen den Disziplinen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 289. Wieder veröffentlicht in: Gershom Scholem: Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923, 2. Halbband 1917 – 1923. Hrsg. von Karlfried Gründer / Herbert Kopp-Oberstebrink / Friedrich Niewöhner unter Mitwirkung von Karl E. Grözinger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 300 – 306, hier S. 300.

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Israel kaum verstehen kann. Im Lauf der Geschichte haben Juden und jüdische Gemeinden zweifellos immer auch Sprachen ihrer Heimatländer aufgenommen und mitgeprägt. Das Griechisch der Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung, ist ein eindrucksvolles Beispiel für diese Akkulturationsleistungen. Doch trotz Adaption und Verarbeitung fremder Kulturen, zu der seit dem Mittelalter noch die arabische einzubeziehen ist, blieb Hebräisch und in geringerem Umfang auch Aramäisch, stets die jüdische Primärsprache, der Modus, in dem sich die jüdische Kultur ausprägte und tradierte. Eine Judaistik (oder Jüdische Studien), die im Kontext einer Kulturwissenschaft ihren eigenen Beitrag leisten soll, wäre demnach vor allem im Hinblick auf die Bedeutung der Sprache für das Judentum relevant. Gewiss ist dabei auch an die Vermittlung von Grundwissen etwa in Geschichte, Religion und Brauchtum sowie ein Förderung der Einsicht in die jüdischen Wurzeln des Christentums von Bedeutung. Eine solche Vermittlung kann jedoch nicht ohne Hebräisch in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstufen erfolgen, zumal wenn Judaistik über bloße Judentumskunde wie an theologischen Fakultäten hinaus gehen soll. Judaistik wäre dann zunächst Studium zur Sprachbefähigung, das gleichzeitig ein diachrones Kulturstudium implizieren würde und so durch die Vermittlung literaturwissenschaftlicher und religionsgeschichtlicher Kenntnisse über das Judentum erweitert und ergänzt würde. Jüdische Liturgie z. B., die während der jüdischen Feiertage immer noch im Zentrum steht, lässt sich ohne Kenntnisse der hebräischen Sprache ebenso wenig verstehen wie ohne eine erweiterte Perspektive auf die rabbinische Kultur, aus der sie erwachsen sind. Gleiches gilt von der Mehrzahl der traditionellen hebräischen Literaturgattungen, die das Judentum über Jahrhunderte geprägt haben und bis in die Gegenwart beschäftigen. Medium des vielschichtigen und facettenreichen Phänomens Judentum bleibt seine Sprache. Eine vor diesem kulturwissenschaftlichen Horizont betriebene Disziplin Judaistik bzw. Jüdische Studien könnte somit sowohl in historischer als auch soziologischer Perspektive zur vertieften Erforschung ihres Gegenstandes beitragen und zu kompetentem Wissenserwerb ermutigen.

Impulse

Walter Homolka

Jüdische Theologie – Wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum im religiösen Kontext Der Wissenschaftsrat ist in seinen Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften vom Januar 2010 zu der Überzeugung gelangt, dass der zentrale Ort der christlichen und nichtchristlichen Theologien das staatliche Hochschulsystem darstellt. Der Wissenschaftsrat empfahl die weitere Entwicklung der Theologien im Kontext der anderen Wissenschaften in den staatlichen Hochschulen und plädierte nachdrücklich für den bedarfsgerechten Umbau christlicher Theologien und die bedarfsgerechte Etablierung nichtchristlicher Theologien an deutschen Hochschulen. In der Folge sind nicht nur mehrere Zentren für Islamische Theologie entstanden. Im Wintersemester 2013/14 nahm mit der School of Jewish Theology der Universität Potsdam auch der erste Fachbereich Jüdische Theologie in der Geschichte der deutschen Wissenschaftslandschaft seine Arbeit auf. Wie schon bei der Diskussion zur Abgrenzung von Islamwissenschaften und Islamische Theologie war abzusehen, dass die Jüdische Theologie mit der Judaistik und den Jüdischen Studien ein Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede würde führen müssen. Dieser Diskurs erhielt eine erste Plattform auf der diesem schriftlich ausgearbeiteten Vortrag vorangegangenen Tagung mit dem Titel „Orchidee oder Mimose? Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum im deutschsprachigen Raum“. Ich danke Giuseppe Veltri und Andreas Lehnardt für die Zielsetzung,Vertretern aller ‚jüdischen‘ Disziplinen die Gelegenheit zu bieten, sich über das Thema Judentum in der akademischen Lehre und Forschung auszutauschen, über die Entwicklung der Nachkriegszeit, aber auch über ihre gegenwärtige Situation und Zukunftsperspektiven zu diskutieren. Als geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam möchte ich an dieser Stelle zur Standortbestimmung des Fachs Jüdische Theologie in seinem judaistischen wie theologischen Kontext gerne etwas beitragen.¹

 Zur Etablierung der Jüdischen Theologie an der deutschen Universität siehe: Walter Homolka: Der lange Weg zur Errichtung des Fachs Jüdische Theologie an einer deutschen Universität, S. 53 – 78. Und: Johann Ev. Hafner und Gordon Grill: Zur Integration von Jüdischer Theologie in der Philosophischen Fakultät, S. 79 – 100. Beide in: Walter Homolka / Hans-Gert Pöttering (Hrsg.): DOI 10.1515/9783110523478-008

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1 Jüdische Theologie als Tochter der Wissenschaft des Judentums Die Judaistik versteht sich – ähnlich wie die Islamwissenschaft – als eine philologisch und historisch arbeitende Disziplin, die kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze integriert und zugleich (religions‐)vergleichend arbeitet. Sie ist ein säkular ausgerichtetes Fach, das in Deutschland in zwei Berufsverbänden organisiert ist: dem 1974 gegründeten Verband der Judaisten in Deutschland und der 1996 gegründeten Vereinigung für Jüdische Studien. Judaistik und Jüdische Studien sollten jedoch nicht als Gegenüber, sondern als Miteinander begriffen werden.² Dies gilt nun auch für die Jüdische Theologie, die sich davon insofern abhebt, als sie konfessionell gebunden ist, von jüdischen Hochschullehrern unterrichtet wird und somit auch das Berufsziel des geistlichen Amtes als Rabbiner(‐in) oder Kantor(‐in) ermöglicht. Die School of Jewish Theology an der Universität Potsdam trägt damit seit 2013 eine dritte Perspektive bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum bei. Ihr geht es um die Reflexion der jüdischen Glaubens- und Traditionsinhalte in einem lebendigen religiösen Kontext. Rabbiner Louis Jacobs (1920 – 2006) hat den Unterschied zwischen der bekenntnisbezogenen Jüdischen Theologie und den säkularen Jüdischen Studien am Beispiel der jüdischen Geschichte anschaulich gemacht: „Die jüdische Theologie unterscheidet sich von anderen Gebieten jüdischer Gelehrsamkeit dadurch, dass, wer sie betreibt, innerlich der Wahrheit, die er zu ergründen sucht, verpflichtet ist. Es ist zum Beispiel möglich, jüdische Geschichte völlig unbeteiligt zu studieren. Der Historiker, der über jüdisches Gedankengut, über das jüdische Volk oder jüdische Institutionen arbeitet, muss nicht unbedingt den Wunsch verspüren, mit seiner Lebensführung die Ideale des Judentums auszudrücken. Er muss nicht einmal Jude sein. […] Während der Historiker aber danach fragt, was sich in der Vergangenheit des jüdischen Volkes ereignet hat, stellt der Theologe die persönliche Frage, welche Elemente der überlieferten jüdischen Religion hier und

Theologie(n) an der Universität – Akademische Herausforderung im säkularen Umfeld. Berlin, Boston: De Gruyter 2013.  Vgl. Peter Schäfer / Klaus Herrmann: Judaistik an der Freien Universität Berlin. In: Karol Kubicki / Siegward Lönnendonker (Hrsg.): Religionswissenschaft, Judaistik, Islamwissenschaft und Neuere Philologien an der Freien Universität Berlin. Göttingen:V&R unipress 2012, S. 53 – 74, 53 – 54, Anm. 2. Hier kommt auch zum Ausdruck, dass die Judaistik wie die Jüdischen Studien sich auf die „Wissenschaft des Judentums“ zurückführen, die aber auch theologische Komponenten umfasse, siehe S. 55.

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heute sein Leben als Jude noch bestimmen. Der Historiker benutzt sein Fachwissen, um nachzuweisen, was die Juden früher geglaubt haben. Der Theologe lässt sich auf die schwierige, für den, der sie erkannt hat, aber auch gewichtigere Aufgabe ein, herauszufinden, was ein Jude in der heutigen Welt zum Inhalt seines Glaubens machen kann.“³ Als solches hat es die Fragestellungen der Jüdischen Theologie immer gegeben. Der Begriff „Jüdische Theologie“ im Sinne eines Universitätsfachs wird aber erst in der Neuzeit durch Rabbiner Abraham Geiger (1810−1874) programmatisch geprägt und verwendet. Den Hintergrund für sein Bestreben bildete die „Wissenschaft des Judentums“, die sich als eine historische Disziplin auf der Basis der philosophisch orientierten Haskala (d. h. der jüdischen Aufklärung) gebildet hatte.⁴ Als von 1815 an für mehr und mehr Juden der Zugang zu Universitäten in deutschen Ländern möglich wurde, erlaubte die akademische Ausbildung ihnen den Eintritt in das deutsche Bildungsbürgertum. Am 7. September 1819 gründete sich in Berlin ein „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“, dem unter anderen Eduard Gans (1797/98 – 1839), Heinrich Heine (1797– 1856) und Leopold Zunz (1794– 1886) angehörten. 1822 erschien mit dem Aufsatz von Immanuel Wohlwill/Wolf (1799 – 1847) „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums“ die Grundsatzerklärung dieses Vereins, die in dem Fazit endete: „Das Judenthum […] ist an und für sich der wissenschaftlichen Behandlung fähig und bedürftig.“ Die Wissenschaft des Judentums muss „ihr Objekt an und für sich, um seiner selbst willen, nicht zu einem besonderen Zweck, aber aus einer bestimmten Absicht“ behandeln. Kurz zuvor, 1818, hatte Zunz seinen wegweisenden Artikel „Etwas über die rabbinische Litteratur“ vorgelegt, eine Programmschrift für die umfassende historische Betrachtung jüdischer Kultur anhand ihrer literarischen Zeugnisse.⁵ Die hochstrebenden Pläne der gut fünfzig Vereinsmitglieder lassen sich jedoch nicht umsetzen, und 1824 löst sich der Kulturverein wieder auf. Der Funke springt aber auf Abraham Geiger (1810−1874) über.

 Louis Jacobs: A Jewish Theology. New York: Behrman House 1973, S. 1. Dies deckt sich mit einer Maxime Schleiermachers, nach der sämtliche Gegenstände und Themen der Theologie eigentlich Stoffe anderer Wissenschaftensein könnten, Theologie also im Grunde im Haus der Wissenschaften über kein eigenes Objekt der Forschung verfüge (vgl. Friedrich-Wilhelm Marquardt: Evangelische Theologie. In: Kubicki / Lönnendonker (Hrsg.): Religionswissenschaft, S. 38).  Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland. München: Beck 2002, S. 146 – 152, S. 158 – 164.  Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Litteratur – Nebst Nachrichten über ein altes bis jetzt ungedrucktes hebräisches Werk (Berlin 1818). In: Leopold Zunz: Gesammelte Schriften. Bd. I–III, hrsg. vom Curatorium der Zunzstiftung. Berlin 1875 – 1876, Nachdruck Hildesheim: Olms 1976, Bd., I. S. 1– 31.

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Zusammen mit einem sechzehn Mitglieder zählenden Verein jüdischer Gelehrter legte Geiger 1835 den ersten Band seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift für jüdische Theologie vor. Er fragte dabei unter anderem nach der Rolle des Theologen und entwickelte aus seiner Bestandaufnahme heraus Anforderungen an die künftigen Vertreter einer jüdischen Theologie: „Wir bedürfen der Männer, die da nachweisen, wie allmählich das Judentum zu dem geworden, was es ist, die sich nicht scheuen, gegen den befangenen Glauben mit Gründen darzutun, dass gar vieles nicht Überlieferung, nicht durch richtige Exegese Eruiertes ist, sondern in der Zeit Entstandenes, was auch die Zeit wieder aufzuheben vermag.“ Aufgabe sei es, „das Überkommene mit den Anforderungen der Gegenwart“ zu vereinen.⁶ Im Jahr darauf forderte er als Erster die Gründung einer jüdischen theologischen Fakultät an einer deutschen Universität. Geiger schrieb: „Das innerste Lebensmoment, der tiefste Gehalt aller wahrhaft geistigen Bewegung ist die Wissenschaft; wo sie mit ihrer eindringenden Kraft sich hinwendet, da wird es licht und helle; und aus der rohen Masse wird eine übersichtlich klare Zusammenfügung verschiedener Teile, die sie uns wiederum als ein wohl geordnetes Ganzes überliefert.“⁷ Der Ruf nach einer jüdisch-theologischen Fakultät wurde im Kontext der Emanzipationsbestrebungen der Juden in den deutschen Ländern zu Beginn des 19. Jahrhunderts laut, zum Beispiel durch Rabbiner wie Ludwig Philippson (1811– 1889). Unabhängig von Abraham Geiger hatte dieser 1835 in seinem Predigt- und Schulmagazin den Wunsch nach einem jüdischen Seminar geäußert; 1837 veröffentlichte er in der Allgemeinen Zeitung des Judentums seine „Aufforderung an alle Israeliten Deutschlands“, die Mittel für eine jüdisch-theologische Fakultät und ein Seminar aufzubringen. Sein älterer Bruder Phöbus Philippson (1807– 1870) machte dazu den strukturellen Vorschlag, die Jüdische Theologie in vier Hauptbereiche zu unterteilen: „in eine exegetische, dogmatische, historische und praktische Theologie –, wobei er den drei erstgenannten Gebieten jeweils die Philologie, die Philosophie und die Geschichte als Muster und Hilfswissenschaft zur Seite stellte. Dabei betonte er mehrfach die Wichtigkeit einer Anbindung an die allgemeinen historischen Wissenschaften. Die wissenschaftliche Ausbildung von ‚Geistlichen‘ an Universitäten, denen die Erziehung der jüdischen Bevölkerung im Sinne der religiösen und bürgerlichen Emanzipation als Aufgabe übertragen werden konnte, war ihm ein besonderes Anliegen. […] Die Universität sei die herausragende und angemessene Ausbildungsstätte‚ weil hier Freiheit des Stu-

 Abraham Geiger: Das Judenthum unserer Zeit und die Bestrebungen in ihm. In: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 1 (1835), S. 10 – 11.  Abraham Geiger: Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit. In: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 2 (1836), S. 1.

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diums, das nothwendigste Element aller geistigen Bildung, waltet‘“⁸ Damit unterstützten die Philippsons nachdrücklich die Intentionen Abraham Geigers. Zunz und Geiger setzten indessen zwei ganz unterschiedliche Akzente bei der Ausgestaltung der Wissenschaft des Judentums. „Ein weiterer programmatischer Aufsatz zur Funktion und Aufgabe der Wissenschaft des Judentums, den Zunz 1845, also 27 Jahre nach seinem ersten Entwurf veröffentlicht hat, zeigt verstärkt eine antitheologische und antireligiöse Zielsetzung […], die Befreiung von der Bevormundung durch die Theologie“⁹ Der Judaist Giuseppe Veltri hat diesen Unterschied kürzlich so bezeichnet: „Zunz ging es darum, die jüdische Literatur und Geschichte an der Universität vertreten zu lassen, denn, wie er formulierte: ‚Groß ist die Unwissenheit, das Vorurtheil, die Ungerechtigkeit in allem, was der Juden soziales und historisches Sein betrifft: Wissenschaft, Wohlergehen, Eintracht, Sittlichkeit gewinnen nicht dabei, daß man den unterrichteten Juden und seine Leistungen so verachtungsvoll, so lieblos und echt patrizisch zurückstößt‘.“¹⁰ Das Ziel für den Vater der Wissenschaft des Judentums ist es, „Beamte und Gesetzgeber“ über jüdische Geschichte und Literatur wissenschaftlich zu belehren.¹¹ Geiger ging es um die Veränderbarkeit der zeitlichen Ansprüche an die Theologie, oder wie er schreibt: „mit dem Umschwunge der Idee, mit der Veränderung der ganzen Anschauungsweise änderten sie auch die Ansprüche an die jüdische Theologie als an eine Wissenschaft“.¹² Arndt Engelhardt fasst das so zusammen: „Hatte Zunz die Wissenschaft des Judentums an die Philologie gebunden und damit gleichsam säkularisiert, so widmen sich die reformorientierten Juden der Begründung einer ‚jüdischen Theologie‘.“¹³

 Phöbus Philippson (Pseudonym Dr. Uri): Ideen zu einer Encyclopädie und Methodologie der jüdischen Theologie. Zitiert nach Arndt Engelhardt: Arsenale jüdischen Wissens – Zur Entstehungsgeschichte der „Encyclopaedia Judaica“. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, S. 126 f.  Schäfer / Herrmann: Judaistik, S. 56 f.  Vgl.Tochter der Zeit: Zur Geschichte der Jüdischen Theologie. – Festrede im Centrum Judaicum Berlin anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam. 25. November 2014 (unveröffentlicht).  Ludwig Geiger: Zunz im Verkehr mit Behörden und Hochgestellten. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 60 (1916), S. 324.  Vgl. Giuseppe Veltri: Ausgrenzung durch Einbeziehung? Unzeitgemäßes zur Geschichte eines „ordentlichen Lehrstuhles für Geschichte und Literatur der Juden“ an der Berliner Universität (1848). In: Wilhelm Schmidt-Biggemann / Georg Tamer / Catherine Newmark (Hrsg.): Kritische Religionsphilosophie. Eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner. Berlin, New York: De Gruyter 2010, S. 345 – 356.  Engelhardt: Arsenale jüdischen Wissens, S. 124.

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2 Die Verortung an der deutschen Universität Es ist hier nicht Gelegenheit, den langen Weg der Jüdischen Theologie in die deutsche Universität nachzuzeichnen. Der Wissenschaftsrat beschrieb die Vorgeschichte der Jüdischen Theologie als neue Disziplin an einer deutschen Universität 2010 so: „Faktisch behaupteten [die christlichen Theologien] bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ihren Monopolanspruch auf die Auslegung von Religion und Christentum in der Universität. Die deutschen Juden haben im 19. Jahrhundert im Zuge des Emanzipationsprozesses eine universitäre Verankerung ihrer Ausbildungsgänge von kultischem Personal angestrebt, ohne dass sie damit Erfolg hatten.“¹⁴ Die generelle Ablehnung der Jüdischen Theologie als ebenbürtige Wissenschaft durch den Staat und die evangelische Kirche führten schließlich zur ihrer Institutionalisierung außerhalb der Universitäten: 1854 wurde das Breslauer Jüdisch-Theologische Seminar gegründet, 1872 die Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Die Hochschule sollte die „wissenschaftliche Forschung und Lehre zur Grundlage haben, das Gesamtgebiet der Wissenschaft des Judentums behandeln und allen Studierenden ohne Unterschied des Glaubens und der Fakultät zugänglich“ sein.¹⁵ Die wissenschaftliche Leistung beider Einrichtungen wird von Peter Schäfer und Klaus Herrmann als beeindruckend eingestuft: „Zu ihren Dozenten gehörten zahlreiche namhafte Wissenschaftler, die auf verschiedenen Gebieten der Judaistik bahnbrechende und auch heute noch gültige Arbeiten verfaßt haben.“¹⁶ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die wissenschaftliche Ausbildung von Rabbinern und Religionslehrern ein Schwerpunkt der Hochschulen in Berlin und Breslau (1931 war dem Jüdisch-Theologischen Seminar durch die preußische Regierung der Titel einer Hochschule für Jüdische Theologie verliehen worden¹⁷), doch bestand ebenso die Möglichkeit, eine „rein wissenschaftliche Abschlussprüfung ohne praktisches Ziel“ abzulegen.¹⁸ Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurde das Breslauer Jüdisch-Theologische Seminar geschlossen; die von den Nationalsozialisten zur Lehranstalt degradierte Berliner Hochschule konnte noch

 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen. 29. Januar 2010, Berlin, S. 31.  Vgl. „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“. In: Encyclopaedia Judaica 8 (1978), Sp. 801.  Schäfer / Herrmann: Judaistik, S. 60.  Vgl. [Editorial Staff]: „Juedisch-Theologisches Seminar, Breslau“. In: Encyclopaedia Judaica 10 (1978), Sp. 466.  Vgl. [Hrsg.]: „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“. In: Encyclopaedia Judaica 8 (1928), Sp. 160.

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bis zum Sommer 1942 bestehen. In ihrer Tradition stehen heute die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (eröffnet 1979) und das Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam (gegründet 1999), das 2013 zur Keimzelle der School of Jewish Theology der Universität Potsdam geworden ist, der ersten jüdisch-theologischen Einrichtung mit Fakultätscharakter im Haus der deutschen Wissenschaft. Der Einstieg der Wissenschaft des Judentums in der Bundesrepublik Deutschland gelang erstmals an der Freien Universität Berlin. Seit Mitte der fünfziger Jahre hatten Ernst Ludwig Ehrlich (1921– 2007; einer der letzten Schüler an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums), Hermann Levin Goldschmidt (1914– 1998), Johann Maier (*1933) und Jacob Taubes (1923 – 1987) zu unterschiedlichen Themen der Wissenschaft des Judentums Lehrveranstaltungen angeboten. 1963 mündete dies in die Gründung eines Seminars für Judaistik. Der Berliner Lehrstuhl war ursprünglich als „Weltanschauungslehrstuhl“ neben den Seminaren für katholische und evangelische Theologie konzipiert und wurde erstmals mit Jacob Taubes besetzt. Der evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt (1928 – 2002) resümiert: „Daß zugleich mit den beiden Theologien endlich auch ein Judaistisches Institut gegründet wurde, war schon lange eine Forderung aus dem Geist politscher Bewußtheit und Verantwortung gerade der Freien Universität.“¹⁹ Man wird also mit Fug und Recht behaupten können, dass die Wissenschaft des Judentums in Deutschland letztlich bis in die Gegenwart hinein weltanschaulich gebundene und ungebundene Ausprägungen erfahren hat. Theologische wie philologisch-historische Zweige gehören zu ihrem Spektrum. Deshalb hat Giuseppe Veltri 2014 anlässlich des 15. Gründungsjubiläums des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam – und ein Jahr nach Eröffnung ihrer School of Jewish Theology – davon gesprochen, dass aus diesem Unterschied heraus folgerichtig die Judaistik und die Jüdische Theologie „ungleiche Geschwister“ seien, vereint durch die Mutter der Wissenschaft des Judentums.²⁰ Louis Jacobs hat uns die Einsicht vermittelt: „Jews have thought profoundly about God and there is a Jewish theology even if some prefer to call it by some other name.“²¹ Was aber kann, was muss Jüdische Theologie heute leisten? Arthur Green (*1941) formuliert es so: „Each Jewish theology is a religious attempt to help the Jewish people understand the meaning of Jewish life and Jewish existence out of the store of texts, symbols, and historical experiences that are the shared inhe-

 Marquardt: Evangelische Theologie, S. 36.  Giuseppe Veltri: „Tochter der Zeit“ – Zur Geschichte der Jüdischen Theologie in Deutschland. In: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 30.11. 2014 (http://www.pnn.de/potsdam/913674, Zugriff: 30.11. 2014).  Louis Jacobs: Theology. In: Encyclopedia Judaica, Bd. 15. Jerusalem 1971 ff, Sp. 1104.

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ritance of all Jews.“²² Gleichzeitig spiegelt jüdische Theologie in ihrer Vielstimmigkeit die Vielfalt von Positionen und Kontexten wider, die das Judentum heute ausmacht und eigentlich stets ausgemacht hat.²³ Die Orientierung bleibt: jüdische Kontinuität zu sichern mit dem Willen zur Auseinandersetzung und Kooperation mit anderen Religionen, denen das Judentum in einer pluralen Gesellschaft auf Augenhöhe begegnen möchte.

 Arthur Green: New Directions in Jewish Theology in America. David W. Belin Lecture in American Jewish Affairs 3. Ann Arbor: University of Michigan, Jean and Samuel Frankel Center for Judaic Studies 1994, S. 5.  Gilbert S. Rosenthal / Walter Homolka: Das Judentum hat viele Gesichter – Eine Einführung in die religiösen Strömungen der Gegenwart. Berlin: Hentrich & Hentrich 2014.

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Science and Politics: On the Presence and Future of Israel Studies in Germany 1 Introduction Any analysis of Israel Studies in Germany must take into account that at the moment this field is almost non-existent in this country. On the one hand this means that the field has all its future ahead and there are reasons to be optimistic. On the other hand though there are factors rooted in the local academic system that might become an obstacle in the development of Israel Studies in Germany, especially in comparison to its development in the USA and in Israel. Israel Studies is probably the most rapidly growing and most dynamic part among the branches of Jewish Studies worldwide. It is an interdisciplinary academic field dedicated to the study and teaching of Zionism, pre-1948 Palestine and to the State of Israel.¹ The research in this field “aims to inform, raise awareness, and increase the knowledge and understanding of students, academics, decision makers, and other individuals with particular interest in the subject”.² By definition it should be non-political,³ yet it deals with one of the most political topics in today’s world. This is, to my mind, the most central tension within Israel Studies, a tension that nurtures it and poses challenges for its development at the one and the same time.

The author wishes to thank Dominik Peters for his comments to earlier versions of the article.  Miriam Shenkar: The Politicization of Israel Studies. Beer-Sheva: Ben Gurion University of the Negev Press 2012, p. 11.  Michael Kotzin / Elie Rekhess: The State of Israel Studies. An Emerging Academic Field. In: Dean Philipp Bell (Ed.): The Bloomsbury Companion to Jewish Studies. London: Bloomsburry 2013, p. 323.  Both the AIS and the EAIS – the two roof organizations of the field which will be discussed below – define themselves as “scholarly” associations, devoted to the “academic study” of modern Israel. See also: Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, p. 322. DOI 10.1515/9783110523478-009

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2 The Current Situation around the World In order to better understand the situation of Israel Studies in Germany it is essential to locate it on the world map, in the context of the development of the two largest geographical centers of the field: USA and Israel.

USA The roof organization for the international field, the Association for Israel Studies (AIS), was founded already in 1985 in the USA. Yet the major growth of the field took place in North America during the mid-1990s, with the founding of an Institute for Israel Studies at Brandeis University. This initiative was followed by the establishment of many other institutions and positions during the following decade.⁴ According to the AIS in 2016 there are 17 institutes, centers and programs for Israel Studies in the USA and Canada, and about 24 professorships and chairs.⁵ The Israel Institute founded in 2012 and based in Washington DC is another prominent institution, and its aim is to enhance the knowledge of and study about Israel in the US and worldwide. Initiated and supported by the private Charls and Lynn Schusterman Family Foundation, the Israel Institute finances and encourages activities that broaden the spectrum of teaching and research about Israel. Michael Kotzin and Elie Rekhess point out several reasons for the growing interest in Israel Studies in the USA since the 1990s, among them the end of the Cold War, and the growing academic interest in the Middle East. Already since the late 1970s, but especially after the terror attacks on New York in September 2001, considerable amounts of money were donated by Arab countries and individuals in order to develop Middle Eastern and Islamic Studies in the USA, with the aim to “advance the positive image of Islam”.⁶ In many ways the growth of Israel Studies in the USA was a reaction to these tendencies and circumstances. Researching and teaching Israel became difficult within the framework of Middle Eastern Studies, and a gap in the curriculum was  Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, p. 322.  http://www.aisisraelstudies.org/ais/centers.ehtml. All web sites mentioned in this article were accessed on February 16, 2016. In 2005 the AIS counted 10 centers and 5 permanent chairs. See: Israel Studies Centers and Chairs. A Tentative List. In: Israel Studies Forum 20,1 (2005), pp. 100 – 102. There is also a large number of visiting positions, of which the AIS does not keep record. According to Rekhess / Kotzin their number was about 34 in 2012. See: Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, p. 319.  Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, pp. 329 – 330.

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created since: “[…] when Israel was taught, it was most often within the framework of the Israeli-Palestinian conflict – with the likelihood of the approach being sympathetic to the Palestinian side. […] when the subject of Israel was treated, it was not necessarily done according to strict academic standards”.⁷ As a response to that and with the help of private – for the most part Jewish – donors, Israel Studies grew as a field of its own in the American university landscape. Strong financial support played a crucial role in the development of Israel Studies, and brought with it also different interests. Often the goal of donors is to enhance Jewish identity among Jewish students by strengthening their connection with the State of Israel. This was one of the reasons for Israel Studies to find a home within Jewish Studies. Another motivation for donors to invest in the study of Israel is Israel’s deteriorating international image since the Second Intifada and the collapse of the Oslo Peace Process, which both took place in the year 2000.⁸ Lately intensifying loud voices of individuals and organizations that plead for boycotting Israel as means of political pressure, seek also to delegitimize the State of Israel’s right to exist.⁹ The hostile atmosphere on several American campuses towards Israel has a polarizing effect in which often reasonable critique is being vehemently rejected out of fear of delegitimization. Related to that is the fact that the motivation of donors to support Israel Studies often comes as part of an effort to correct the one-sided picture transmitted by its critics and therefore has a political aim of its own.

 Ibid., p. 329.  Ibid., p. 238.  The main organization to propagate this tendency is BDS (Boycott Divestment Sanctions), which was founded in 2005 and is very popular in American campuses. On January 9, 2016 the American Historical Association rejected with a vast majority (111 against and 51 in favor) a proposed resolution related to BDS, endorsing an academic boycott on Israeli institutions (http://artsbeat.blogs.nytimes.com/2016/01/09/historian-group-rejects-a-resolution-condemning-israel/?_r=0). While the rejection of the resolution is encouraging, the fact that it was brought to debate in the meeting of the roof organization of American historians reflect the actual tendencies in the USA. For an opposing response to the calls for academic boycott on Israel see: Cary Nelson / Gabriel Noah Brahm, (Eds.): The Case against Academic Boycotts of Israel. Detroit: Wayne University Press 2014. Probably the most extreme anti-Israel-Studies event so far took place in November 2015 in Austin, Texas, when a young Palestinian law student interrupted a colloquium of Ami Pedahzur, Professor for Israel Studies at Texas University. Together with several other students they shouted anti-Israel and pro-Palestinian slogans forcing Pedahzur to end the class. After the event, the Palestinian student launched a campaign against Pedahzur, which consisted of false accusations and personal threats. Texas University did not officially condemn the event, nor took measures against the student. For a detailed account on the incident and its aftermath; see: http://legalinsurrection.com/2015/11/why-hasnt-unedited-video-ofut-austin-israel-studies-disruption-been-released/.

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Since Israel Studies is an emotionally laden field, the debates in the USA have also a positive effect, by making it relevant and therefore interesting for many students. In a time when enrolments in the Humanities constantly decline in American campuses, courses dealing with Israel and the Israeli-Arab conflict attract a large number of students. Consequently in recent years the course offerings about Israel here steadily grow, securing the position of Israel Studies as a discipline among other fields and contributing to its “normalization” in the curricula of the different institutions: “As Israel takes its place among the nations of the world, Israel Studies is taking its place in the realm of academia”.¹⁰

Israel In Israel the growth of Israel Studies is strongly connected to the country’s cultural and social developments. A major contribution towards a reflective look upon the own past, its meaning and contribution to the creation of a new Jewish Society in Israel, has been made during late 1980s by the “New Historians”. By revisiting the actions of the Israeli army during its war of independence in 1948, the “New Historians” questioned the Zionist narrative regarding Israel’s role and behavior during the war. By claiming that previous views on Israeli history were apologetic and tendentious, they launched a fierce debate about some of the most essential Israeli national narratives and changed its historiography.¹¹ The “New Historians” debate revealed how much the study of Israeli history in Israel is political and – in most cases – reflect the position of the historian towards Zionism and Zionist ideology. In that sense the tendencies from the late 1980s and on that called for a revision of the Zionist narrative were also referred to as “post-Zionism”. This group consists of scholars such as Benny Morris, Avi Shlaim, Ilan Pappe and Tom Segev, and more recently also Yehouda Shenhav and Shlomo Sand, all of them tend to be critical of Israeli politics towards the Palestinians.¹²

 Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, p. 336. See also: Janet Aronson / Janet Krasner et al.: Teaching Israel at American Universities. Growth, Placement, and Future Prospects. In: Israel Studies 18,3 (2013), especially p. 105.  On the “New Hisorians” and post-Zionism see: Derek Penslar: Israel’s “New History”. From Innovation to Revisionism. In: Id.: Israel in History. The Jewish State in Comparative Perspective. London / New York: Routledge 2007, pp. 13 – 24; Eran Kaplan: Beyond Post-Zionism. Albany: State University of New York Press 2015, pp. 37– 58.  In the past years Benny Morris changed his position and adopted a more hawkish point of view. See: Benny Morris: One State, Two States. Resolving the Israel / Palestine Conflict. New Haven: Yale University Press 2010. In that sense Morris serves as an exception in this group.

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In the past fifteen years a new paradigm appeared among Israeli scholars, termed “post-post-Zionist Historiography” by Assaf Likhovski.¹³ The paradigm came to define a shift in which scholars turned from the “interest in political and economic history”, which defined the “post-Zionist” historians, “to an interest in the history of culture”.¹⁴ According to Likhovski writing history of culture in that sense seeks to “study the daily, automatic, unconscious aspect of human existence, analyzing meanings, values, practices, manners, and representations that individuals in a given social group share with other members of their group”.¹⁵ Therefore it deals with emotions rather than ideologies, concentrates on individuals rather than collectives, and prefers the private realm over the political sphere. Likhovski compares the situation of the “post-post-Zionist” scholars with the “post-Zionist” historians, and suggests many possible reasons to this turn. Among the reasons he gives are: generational change – which stands at the backdrop of historians and derives also from the different experiences the younger generation had made; changes within Israeli society, which as a society has become more individualistic; influences of international historiographical trends; the wish to be cautious and not to fall out of the consensus, and to pay a professional price for unconventional political opinions (as it was the case with the “post-Zionist” historians); and finally as a sort of escapism which reflects tiredness from politics in Israel.¹⁶ Eran Kaplan sharpened Likhovski’s observations stressing out that in the background of the works of “post-post-Zionist” historians stands “a keen interest in how modern Israeli society came to be and what the mechanisms and ideological forces were that allowed individuals to live together and develop social bonds”, and to become one society creating a functioning state. For Kaplan the new Israeli research is actually “a search for a human desire for concrete social and political entities”.¹⁷ Therefore unlike Likhovski for him also the “postpost-Zionist” historiography is political, since at its center stand the interactions and reciprocal relations between the individual and collective in Israeli society.¹⁸

 Assaf Likhovski: Post-Post-Zionist Historiography. In: Israel Studies 15,2 (2010), pp. 1– 23. Likhovski (ibid., p. 2) also called this phase “the third wave in Israeli historiography” and “the post-revisionist phase”.  Ibid., p. 2.  Ibid., p. 6.  Ibid, pp. 14– 16.  Eran Kaplan: Post-Post-Zionism. A Paradigm Shift in Israel Studies?. In: Israel Studies Review 28,1 (2013), p. 148.  Ibid., p. 151.

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Scholars such as Arieh Saposnik, Anat Helman, Orit Rozin, Avi Bareli and Nir Kedar represent this tendency. In a natural way Israel is a central place for the study of the land, and Israeli academics play a central role in the development of the field. Yet, in the Israeli academic system positions are scarce and young scholars are expected to acquire experience in the English speaking realms in order to be promoted. This brings about a close contact between Israel and the USA, which is achieved through publishing in the four main Journals dealing with Israel Studies,¹⁹ and through filling temporary positions in Israel Studies – some of them designated explicitly for Israeli scholars. This bond between Israeli academy and the USA is reflected in the structure of the AIS and its annual conferences, which alternate between North America and Israel, leaping over Europe.

Europe In order to fill the gap created by the Israeli-American cooperation of the AIS, the European Association of Israel Studies (EAIS) was founded in 2011. Based at the School of Oriental and African Studies (SOAS) at the University of London the EAIS aims to provide one roof to scholars who are dealing with Israel and are scattered within the geographical range, if to quote the organization’s first chair Colin Shindler, “from Iberia to Siberia”.²⁰ Like the AIS, the much younger EAIS holds annual conferences, which take place every summer in different places in Europe. For the German perspective it is important to mention that the first annual conference of the EAIS took place at the Ludwig Maximilian’s University in Munich in 2012. With more than 130 participants, which presented their research in 27 sessions it is so far the largest Israel Studies conference, which ever took place in Europe. Another difference between the Israeli-American organization and the European one is its disciplinary emphasis. The AIS board of directors represents the fields of Middle Eastern Studies and Political science, with a strong presence of Jewish Studies scholars. Many members of the AIS regard Jewish Studies as the natural larger framework for Israel Studies (just like Judaism is regarded by

 These are: Israel Studies; Israel Studies Review (appeared until 2011 under the name Israel Studies Forum); Journal of Israeli History; and Israel Affairs. At the moment there are three book series for Israel Studies at American University Presses: The Schusterman Series in Israel Studies at Brandeis University Press; SUNY Series in Israel Studies; and at Indiana University Press.  Colin Shindler: Israel Studies in Europe. In: Israel and Europe (Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur) 7,1 (2013), p. 11.

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many as the historic context for the State of Israel).²¹ In contrast to that there is today no representative of the field of Jewish Studies on the Executive Committee of the EAIS. Moreover, almost all of the seven members of the EAIS Executive Committee are experts for different aspects of the Israeli Palestinian conflict, or for foreign policy of Israel or towards it.²² At the same time the EAIS is supported by the British, clearly Jewish, Pears Foundation and has to deal with a relatively hostile attitude towards Israel among students and faculty at the SOAS.²³ In any case it is safe to say that the UK is the leading country in Europe in regard to Israel Studies, and therefore it is a natural choice for the EAIS to be based there.

3 The Situation in Germany A close look on the place granted to Israel Studies in Germany reflects a complex picture. At first glance it becomes obvious, that although thriving in the USA and the UK (and of course in Israel), Israel Studies has had so far a minor impact on the German academic world. Having said that, it is important to note that efforts are being made to cope with the latest trends and to develop the field in this country. The most discernable fact about Israel Studies in Germany is that there is until now no permanent position dedicated for research and teaching about Israel. There is a growing amount of individuals investing time and intellectual efforts to better understand Israeli history, politics and society, yet no organization is binding the scattered scholars to one network. From an institutional level there are in Germany only few positions officially dedicated to Israel Studies: 1. A non-tenure track Juniorprofessur in Heidelberg (Ben Gurion Chair for Israel and Near Eastern Studies) initiated as a guest professorship five years ago and funded by the Baden-Württemberg government. This is a joint position at the Hochschule für Jüdische Studien and Heidelberg University; 2. Potsdam University has a visiting professorship in Israel Studies, announced on an annual base; 3. In Munich a new Center for Israel Studies was founded at the Ludwig-Maximilian-University in summer 2015. Although

 The different methodological approaches to Israel Studies will be discussed below. For the AIS boards of directors over the past years see: http://www.aisisraelstudies.org/ais/dirc.ehtml.  See: http://www.israelstudies.eu/about/executive-committee.  For example, during the second yearly conference of the association in September 2013, most the student help that was hired in order to assist with the logistic aspects of the event did not appear for work as an act of protest against the EAIS.

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this institution might have the potential to be a leading force in establishing Israel Studies as a field, it is at the moment based upon the work of temporary faculty members and docoral students. Without the commitment that can be expected from a person holding a permanent position, and without the continuity that such a position implies, it will be difficult to turn this young institute into a nation-wide center. Possibly the most serious initiative to institutionally establish teaching and research about Israel happens most recently at the Johannes Gutenberg University of Mainz, where the Rheinland-Pfalz government endowed a W2-level professorship for Israel and Near Eastern Studies in 2015.²⁴ The position was announced during a conference commemorating the 50th anniversary of the establishment of German-Israeli diplomatic relations and it is yet to be filled. Creating a regional work group about Israel at the German Institute for International and Security Affairs (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP) in Berlin is another evidence for the growing need for experts dealing with Israel. As a think tank, the SWP plays a key role in German policy making. Based on independent research, this work group seeks to influence Israel’s image in Germany and draw attention to the relevance of obtaining new insights on the region. One of the difficulties Israel Studies is facing in Germany is the fact that universities are most frequently financed through governmental funds. As mentioned above, in the USA and in Israel large amounts of university budgets come from student tuition and even more important – private donors, who wish to develop the field and broaden the knowledge about Israel. German universities do not have such financial fluidity and have to pass mostly governmental institutions. Beside the bureaucratic difficulty of raising funds in such a system, Israel Studies has to compete with other fields in order to secure funds for projects, scholarships and temporary positions. Securing funds in Germany very often depends on the actual political needs.

4 Researching and teaching Israel Studies in Germany The situation of Israel Studies in Germany mainly reflects the tendencies across Europe. Although many people research and teach the subject all over the country,

 See the announcement from April 28, 2015: https://www.rlp.de/fr/aktuelles/einzelansicht/ news/detail/News/neue-professur-angekuendigt/.

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there is no institution or organization gathering them into a network.²⁵ This, to my mind, should be one of the first steps towards establishing the field in Germany. The importance of Israel Studies for the German academic landscape is both on the institutional level, and through direct contact with students and the community. On the institutional level Israel Studies will enlarge enrolments especially in the humanities. Throughout the years I have taught in Germany my courses have always been extremely well visited. This is discernible in comparison to courses dealing with other subjects of Jewish Studies (excluding Holocaust Studies). In times when the enrolments in the Humanities are declining worldwide courses that have the ability to fill classrooms are an asset to every department. Moreover, Israel Studies is a very relevant field for everyday life in Germany. This is due to the prominent place Israel receives in the news, and the public attention that the Israeli-Arab conflict attracts. In that sense, Israel Studies is one of the most applicable fields in the Humanities. Consulting journalists, educating High School teachers (for example in Bavarian high schools the topics “Israel” and “the Israeli Palestinian Conflict” are obligatory subjects in the 11th grade) and lecturing to any kind of educated public about actual topics – these are just a few aspects of the contribution Israel Studies will make. Outside university an emphasis on adult education and seminars as well as public lectures could help individuals to acquire more complex views on Israel than those which are usually transmitted through the media. This opens a real opportunity for universities to take part in shaping the public opinion outside the “ivory tower”. The group mentioned that SWP is seeking to establish is a proof for the need in such knowledge outside the academic world. Among the challenges awaiting Israel Studies scholars in this sphere is the mitigation of extreme attitudes within German society towards Israel by emphasizing the complexities, problems and paradoxes of its existence – topics which are not always connected to the Israeli-Palestinian conflict. One of the central tensions within Israel Studies research worldwide, which was already mentioned above, is that it can be performed from the perspective of Political science and Middle Eastern Studies on the one hand and as part of Jewish Studies on the other hand. Each one of these poles offers an indispensable way of understanding Israel within a broader context, and only together they can cover the many complexities of its existence. The tendency of Political Scientist and Middle Eastern Studies scholars is to understand Israel within its regional context, as a nation among the other nations of the Middle East. The risk in this view lies in concentrating almost exclusively on topics related to the Isra-

 This is also the aim of the EAIS on the continent level. See: Shindler: Israel Studies in Europe.

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eli-Arab conflict or foreign policy, ignoring “inner Israeli” themes dealing with its society and inner political structure – and, as Kotzin and Rekhess noted, this tendency “often include faculty members with political leaning sympathetic to Palestinian positions on the conflict”.²⁶ Placing Israel Studies within the thematic and institutional framework of Jewish Studies has been in many ways a reaction to these attitudes. According to this tendency the geographical location of Israel should be seen in the context of the place of the Land of Israel in Jewish history, with an emphasis on its definition as a Jewish State. Moreover it regards Israel as a consequence of Zionist ideologies, and as a state created in connection to the Holocaust as well as other aspects of Jewish experience, which influence its history down to the present. In the USA the risk in this attitude is in a “treatment of Israel not as a country of the world but merely as a manifestation of Jewish life”, which could lead to “ghettoization” of Israel Studies and drive away potential students.²⁷ Here the situation in Germany differs and has to be observed through the lens of German Jewish history and the special, emotionally laden, interest in Germany with Israel. Therefore it is crucial that in Germany Israel Studies will be researched and taught also in the context of Jewish Studies. This attitude will broaden the perspectives, including in the discourse, beside topics related to the Israeli-Arab conflict, also insights on Israeli history, society and culture. Moreover, analyzing Israel through actual theoretical approaches, such as Regional Studies, History of Emotions, and Environmental Studies, will help to integrate Israel Studies as one among many academic disciplines and “normalize” it. As the recent celebrations of the golden jubilee of Israeli-German diplomatic relations show, Israel is an important country for German diplomacy, and Israel Studies could serve as another bridge for German institutions and individuals to reach Israel. Teaching about Israel at German universities means bringing political and emotionally laden topics into the classroom. Students often look for a place to position themselves in relation to Judaism and to Israel as the Jewish State. One of the main questions they repeatedly ask is: “How can I develop a sensibility to evaluate and criticize Israeli politics without being regarded as an antiSemite?”. This is a highly relevant and actual political question since it demands a deep knowledge of the past and present. There, I think, Israel Studies in Germany should invest much of its energies and resources since today’s anti-semi-

 Kotzin / Rekhess: The State of Israel Studies, p. 334.  Ibid.

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tism is being articulated often as anti-Zionism.²⁸ Answering this question requires the teacher to walk on the thin line between an “objective” scientific approach and provoking students to develop their own political consciousness. One of the most effective forms of transmitting to students the complexities of Israel’s reality is through trips to Israel. Throughout the years I taught in Germany I organized 5 excursions. On each of those trips it was fascinating to see the changes occurring among students upon encountering Israel, when concern (sometimes even fear) and suspicion are being replaced with enthusiasm and with a wish to know more. For many these trips were a highlight in their course of studies, as one of the students stated: “The impressive places we visited, the fascinating people we met, and the great discussions we had on this trip will doubtless remain one of our most rewarding experiences as students of history”.²⁹ About one third of the students that participated in the trips to Israel returned to the country in the following years, some for study or internships, some as tourists and some for love. Many of the students who took part in the trips will be holding soon key positions in shaping the future of Germany, as high school teachers, journalists, policy makers or as part of the public service. The impressions they take with them will help them transmit a more balanced view of the Jewish State in the future.

5 Conclusion: Future Perspectives Germany still carries in many ways the burden of the Holocaust, among other things through its political commitment to Israel. Understanding Israel better means understanding better the present relationship towards Judaism in general. For this reason the existence of Israel Studies within Jewish Studies is crucially important in Germany. Israel Studies should be present here as a highly actual and active field, represented at major and minor universities, furthering excellence in academic expertise as well as contributing to education of future high school teachers, journalists and other professionals. On the academic level Israel Studies in Germany should cope with actual tendencies in the USA and seek for an integration of Israel Studies within the German academic world, as a legitimate field of scholarship among other disci On anti-Israel tendencies in Germany as related to antisemitism, see: Monika Schwartz-Friesel / Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, Boston: De Gruyter 2013, pp. 194– 250.  Julia Treindl: Immigration and Emigration. A Student Trip to Israel. In: Israel and Europe (Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur) 7,1 (2013), p. 74.

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plines. An international exchange for Israel Studies scholars and doctoral students can be achieved through the existing networks of the AIS and the EAIS. From the “post-post-Zionist” turn in Israel during the past decades Israel Studies in Germany should strive to exist beyond antagonism or apologetics, and to conduct research that seeks to understand the human stories – collective or individual – beyond ideologies. The political developments in Israel and around the world indicate that antiIsrael tendencies – and with them also anti-Semitic voices – will become more dominant in the future, and the discourse will aggravate. Israel Studies as an established discipline in Germany will play a crucial role in mitigating the extreme voices from both sides by providing a balanced picture both within the academic world and in the different communities.

Nathanael Riemer

Brauchen die Jüdischen Studien einen weiteren „turn“? Ein Plädoyer für die Methoden der Materielle Kulturen in den Judaistik/Jüdischen Studien

1 Desiderate in den „Kellern“ der jüdischen Kulturen In den folgenden Ausführungen möchte ich, ausgehend vom Curriculum der Wissenschaft des Judentums, der Frage nachgehen: Brauchen die Judaistik/Jüdische Studien als Geisteswissenschaft einen neuen „turn“ – und wenn ja, in welche Richtung? Es sei betont, dass ich hiermit einen essayistisch-assoziativen Diskussionsbeitrag leisten, jedoch keine abgerundete, wissenschaftliche Studie vorlegen möchte.¹ Ich beginne mit einem Zitat aus einer bekannten Schrift: Wenn von einer Wissenschaft des Judentums die Rede ist, so versteht es sich von selbst, daß hier das Wort Judenthum in seiner umfassendsten Bedeutung genommen wird, als Inbegriff der gesammten Verhältnisse, Eigenthümlichkeiten und Leistungen der Juden, in Beziehung auf Religion, Philosophie, Geschichte, Rechtswesen, Litteratur überhaupt, Bürgerleben und alle menschlichen Angelegenheiten […].²

Dies sind die ersten Sätze der Schrift „Ueber den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums“ von Immanuel Wolf aus dem Jahre 1823, in dem ihr Autor die ganze Brandbreite unserer Fachdisziplinen skizziert. Bereits fünf Jahre zuvor hatte Leopold Zunz ein ähnliches Panorama der Wissenschaft des Judentums ausge-

 Einige Aspekte des Beitrages finden sich in differenzierter Form in meinen Artikeln des Bandes Nathanael Riemer (Hrsg.): Einführungen in die Materiellen Kulturen des Judentums. Wiesbaden: Harrassowitz 2016.  Immanuel Wolf: Ueber den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums. In: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums 1 (1823), S. 1– 24, hier S. 1. DOI 10.1515/9783110523478-010

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breitet, das von der „Mythologie“ über die „Gewerbskunde“ und „Kunst“ bis hin zur „Philosophie“ fast alle Wissenschaftsdisziplinen umfasste.³ Eigentlich hätte sich damit unsere heutige Nabelschau über die verschiedenen Teildisziplinen unseres Faches erübrigt. Dass dem nicht so ist, hängt mit einem Geburtsfehler der Wissenschaft des Judentums zusammen, der dem Geist des 19. Jahrhunderts verhaftet ist, und unserem Fach zunehmend zum Verhängnis wird. Denn bei der genaueren Betrachtung der Beiträge von den Gründungsvätern der Wissenschaft des Judentums fällt ins Auge, dass die Teildisziplinen einer ideengeschichtlich-apologetisch geprägten Taxonomie unterworfen und nicht – wie es sinnvoller gewesen wäre – schlichtweg sachlich egalitär nebeneinander gestellt wurden. Schnell wurde das Denken und Meinen einer verschwindend geringen Geisteselite zum allein lohnenswerten Gegenstand der Beschäftigung erklärt und nicht die Kultur und religiösen Vorstellungen der jüdischen Mehrheit. Auch wenn die „Heiligsprechung“ Gershom Scholems durch die Judaistik/ Jüdischen Studien kritisch zu betrachten ist, so muss ihm dennoch mit seiner grundlegenden Kritik am oben präsentierten Konzept beigepflichtet werden. Er schreibt, dass die Wissenschaft vom Judentum „unter dem Einfluß antiquarischer, idealer und romantischer Vorstellungen entstanden und wirksam geworden“⁴ ist und die nun arbeitenden Wissenschaftler von zwei gegensätzlichen Tendenzen beseelt waren: Steinschneider und Co. versuchten „den Überresten des Judentums ein Begräbnis zu bereiten“⁵ – wenngleich – ein „ehrenvolles“. Die anderen bemühten sich, das Judentum in apologetischer Weise zu verklären. Scholem kritisiert nun, dass in der sich etablierenden Wissenschaft des Judentums alle Aspekte, „die unter den Gesichtspunkten eines aufklärerisch gesonnenen, eines geläutert rationalen Judentums des 19. Jahrhunderts nicht recht verwertbar schienen“,⁶ aus dem Curriculum der Wissenschaft des Judentums herausgeworfen oder an den Rand gedrückt wurden. Als ein Beispiel hierfür führt er das Verhältnis der jüdischen Diebesbanden zur christlichen Umwelt im 18. und 19. Jahrhundert an. Wie relevant dieser Hinweis ist, geht unter anderem aus den Forschungen von Mordechai Breuer und Joachim Eibach hervor, denen zufolge im 18. Jahrhundert die besitzlose, prekär sesshafte jüdische Landbevölkerung zwischen 70 – 90 % der

 Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Literatur (1818). In: Gesammelte Schriften von Dr. Zunz, herausgegeben vom Curatorium der „Zunzstiftung“, Band 1. Berlin: Louis Gerschel 1875, S. 1– 31, hier S. 7– 28.  Gershom Scholem: Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt. In: ders., Judaica 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1963, S. 147– 164, hier S. 148.  Scholem: Wissenschaft, S. 153.  Scholem: Wissenschaft, S. 156.

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jüdischen Gesamtbevölkerung in Deutschland betrug.⁷ Scholem bemerkt zur einseitigen Wahrnehmung der jüdischen Elitenkultur mit der ihm eigenen Ironie: „Man behandelte grundsätzlich nicht, was im Keller vorging; man betrachtete nur, worum es sich im Salon, zwischen Bibel und Luther, zwischen Hermann Cohen und Kant, zwischen Steinthal und Wilhelm von Humboldt handelte.“⁸ Dabei hatte Zunz „am direkten Ursprung der Wissenschaft des Judentums, ein ungeheuer großartiges, jugendliches Programm für eine wahre Volkskunde der Juden entworfen, die in seinem Sinne alles umfaßte, was ein lebendiger Organismus darstellt.“⁹ Dieses Programm der systematischen Untersuchung der Unterwelten und Keller des jüdischen Hauses wurde erst verstärkt um 1880 von einigen wenigen Wissenschaftlern aufgegriffen. Das scholemsche Stichwort des heute als problematisch empfundenen Begriffes „Volkskunde“ führt uns direkt an unseren Tagungsort – und zwar gleich mehrfach: Hier in Hamburg gründete Max Grunwald im Jahre 1898 die „Gesellschaft für jüdische Volkskunde“. Im Jahre 1922 vertrat Salomon Birnbaum als erster die Jiddistik, die Erforschung der Mutter- und Kultursprache des aschkenasischen Judentums, an einer westeuropäischen Universität – und zwar am hiesigen Ort. Was sollte nun die „jüdische Volkskunde“ sein? In einem der ersten Hefte der „Mitteilungen der Gesellschaft“ finden sich neben programmatischen Schriften auch die Vereinsstatuten. Gleich zu Beginn wird versucht, auf die Desiderate hinzuweisen: §2. Ihren Zweck sucht die Gesellschaft zu erreichen: 1.) durch eine möglichst vollständige Sammlung aller in Wort und Schrift lebenden jüdischen Sagen, Märchen, Volkslieder, Sitten, Gebräuche, mundartlichen Eigentümlichkeiten u.s.w., 2.) durch eine Sammlung von in einer Bibliothek bezw. einem Museum zu vereinigenden Kunstzeugnissen jeder Gattung, die auf das jüdische Volksleben bezug [sic!] haben.¹⁰

 Joachim Eibach: Stigma Betrug. Delinquenz und Ökonomie im jüdischen Ghettto. In: Helmut Berding / Diethelm Klippel / Günther Lottes (Hrsg.): Kriminalität und abweichendes Verhalten. Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 26; Mordechai Breuer: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1: Tradition und Aufklärung. 1600 – 1780. München: C.H. Beck 1996, S. 85 – 247, hier S. 183; Friedrich Battenberg: Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München: Oldenbourg 2001, S. 114.  Scholem: Wissenschaft, S. 157.  Scholem: Wissenschaft, S. 151.  [Gesellschaft für jüdische Volkskunde], Anzeigen [Satzung!]. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde [hrsg. von M. Grunwald] 2 (1899), S. 1– 2.

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Das, was in den Vereinsstatuten und in anderen Publikationen der Gesellschaft umschrieben wird, ist das Konzept einer globalen „Ethnologie des Judentums“. Im Unterschied zur Disziplin der „Vergleichenden Ethnologie“ wird der Gegenstand nicht von außen als etwas „Fremdes“, „Nichtentwickeltes“ oder „Geschichtsloses“ verstanden, vielmehr sollte die Untersuchung des Eigenen aus einer nach innen gerichteten Perspektive erfolgen, in der alle anthropologischen Äußerungen des jüdischen Menschen zu verstehen und zu erklären sind. Es ging den Mitgliedern nicht um eine beerdigende Musealisierung des Judentums, sondern um die Aufdeckung der gemeinsamen Tiefenstrukturen der verschiedenen jüdischen Ethnien und den Rückfluss verdrängter, innerer Schätze in eine lebende jüdische Kultur – also um nachhaltige Selbsterneuerung. Wenn wir heute nach einer „jüdischen Volkskunde“ beziehungsweise „jüdischen Ethnologie“ fragen, ernten wir vermutlich verwunderte oder verneinende Blicke. Bei der genaueren Betrachtung der unter Paragraph 1.) genannten Sammlungsbereiche „Sagen, Märchen, Volkslieder, Sitten, Gebräuche, mundartlichen Eigentümlichkeiten“ fällt jedoch auf, dass die Judaistik/Jüdischen Studien sich durchaus mit diesen Aspekten beschäftigen. Die „Sagen und Märchen“ werden zurzeit überwiegend in Israel gesammelt und untersucht. Die älteren Projekte von Dov Noy, Eli Yassif¹¹ und anderen sind bekannt. Der vierte Band des jüngsten Projektes, die von Avidov Lipsker herausgegebene „Encyclopedia of the Jewish Story“¹², wird 2018 erscheinen. Für den Bereich der „Volkslieder“ darf ich auf die Arbeiten von Jascha Nemtsov¹³ und Diana Matut¹⁴ verweisen. Die „Sitten und Gebräuche“ werden u. a. sehr kompetent durch die Minhagim-Forschung von Lucia Raspe¹⁵ betrieben, während wir für die „mundartlichen Eigentümlichkeiten“ die Arbeiten von Marion Aptroot¹⁶ und Simon Neuberg¹⁷ konsultieren.

 Eli Yassif: The Hebrew Folktale: History, Genre, Meaning. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press 1999.  Vgl. bisher Yoav Elstein / Avidov Lipsker / Rella Kushelevsky (Hrsg.): Encyclopedia of the Jewish History. Sippur okev Sippur. Ramat Gan: Bar-Ilan University Press 2006 – 2013 (Hebräisch).  Vgl. etwa: Jascha Nemtsov: Der Zionismus in der Musik – jüdische Musik und nationale Idee. Wiesbaden: Harrassowitz 2009; ders.: Deutsch-jüdische Identität und Überlebenskampf. Jüdische Komponisten im Berlin der NS-Zeit. Wiesbaden: Harrassowitz 2010; ders.: Doppelt vertrieben. Deutsch-jüdische Komponisten aus dem östlichen Europa in Palästina/Israel. Wiesbaden: Harrassowitz 2013.  Vgl. u. a. Diana Matut: Dichtung und Musik im frühneuzeitlichen Aschkenas. Ms. opp. add. 4° 136 der Bodleian Library, Oxford (das so genannte Wallich-Manuskript) und Ms. hebr. oct. 219 der Stadtund Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Bd. 1– 2: Edition und Kommentar. Leiden: Brill 2011.  Vgl. etwa Lucia Raspe: Jüdische Hagiographie im mittelalterlichen Aschkenas. Tübingen: Mohr Siebeck 2006; dies.:Yuzpa Shammes and the Narrative Tradition of Medieval Worms. In: Karl Erich

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Die unter dem zweiten Paragraphen angeführte zweite Zielsetzung bezieht sich unter anderem auf die Einrichtung eines jüdischen Museums – ein Vorhaben, dem nur an einigen Orten ein kurzlebiger Erfolg gegönnt war.¹⁸ Unter „Kunstzeugnisse“ wird „Kunst“ im engeren Sinne subsumiert, bestenfalls noch Handwerkskunst. Dieser Blickwinkel erscheint freilich etwas eingeschränkt zu sein. Und wie verhält es sich bei Dingen, die definitiv eine materiell-kunstfertige Erscheinung haben, aber zugleich auch Text sind und umgekehrt:Texte, die in einem bedeutungsvollen materiell-kunstfertigen Kontext stehen? Was machen wir mit Objekten, die keine Kunst, sondern schlichtweg Alltagsgegenstände sind? Wie geht man mit Dingen um, die künstlerische, historische und textuelle Aspekte in sich vereinen, wie dies beispielsweise bei den von Annette Weber untersuchten Torawickelbändern¹⁹ und den verzierten hebräischen Hausinschriften der Fall ist, die sich heute noch in Hessen und Nordrhein-Westfalen erhalten haben?²⁰

2 Ansätze für die Materiellen Kulturen des Judentums Ich möchte behaupten, dass die Judaistik/Jüdischen Studien von den Ansätzen der Material Culture Studies profitieren könnten, die in den letzten Dekaden zu einem Boom in den verschiedenen Ethnologien, Geschichtswissenschaften und den Archäologien geführt haben.Was versteht man unter den Materiellen Kulturen und

Grözinger (Hrsg.): Jüdische Kultur in den SchUM-Städten. Literatur – Musik – Theater. Wiesbaden: Harrassowitz 2014, S. 261– 274.  Vgl. u. a. Marion Aptroot: Isaac Euchel: Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hannover:Wehrhahn 2010; dies. et al. (Hrsg.): Leket. Yidishe shtudies haynt: Jiddistik heute. Yiddish Studies Today. Düsseldorf: Düsseldorf University Press 2012.  Vgl. u. a. Simon Neuberg: Pragmatische Aspekte der jiddischen Sprachgeschichte am Beispiel der „Zenerene“. Hamburg: Helmut Buske 1999; ders. (Hrsg.): Das Schwedesch lid. Ein westjiddischer Bericht über Ereignisse in Prag im Jahre 1648. Hamburg: Helmut Buske 2000.  Sabine Offe: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich. Berlin, Wien: Philo Verlagsgesellschaft 2000; Jens Hoppe: Jüdische Geschichte und Kultur in Museen. Zur nichtjüdischen Museologie des Jüdischen in Deutschland. Münster, New York, Berlin, München: Waxmann 2002.  Vgl. etwa Annette Weber: Vom Löwen zur Jungfrau – Die Wimpel der Synagoge Ichenhausen. In: dies. / Evelyn Friedlander / Fritz Armbruster (Hrsg.): Mappot . . . gesegnet, der da kommt. Das Band der jüdischen Tradition. Osnabrück: secolo Verlag 1997, S. 92– 98.  Vgl. dazu Punkt 4.3 meines Artikels: Das jüdische Haus in seiner Materialität. In: Nathanael Riemer (Hrsg.): Materielle Kulturen des Judentums. Wiesbaden: Harrassowitz 2016.

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welche Intention verfolgen sie? Wie grenzt sich dieser Ansatz von der Sachkulturforschung ab? Wie Gudrun König zusammenfasst, bezeichnet der theoretische Ansatz der Materiellen Kultur eine analytische Sichtweise auf die Dinge der menschlichen Kultur. Im Fokus der Materialität der Kultur steht nicht ein fest definierter Bestand von Gegenständen, „sondern eine spezifische Art und Weise der Kulturanalyse, die Gegenstände, Objekte, Dinge als Primärquellen ebenso nutzt wie ihre symbolischen Bedeutungsfelder“.²¹ Dieser Ansatz „nutzt die Dinge als Türöffner“²² – als unmittelbaren, primären Ausgangspunkt für die „Dechiffrierung historischen wie gegenwärtigen Alltagslebens.“ Anders als bei der klassischen Museologie und der Sachkulturforschung geht dieser Ansatz über das „Identifizieren und Inventarisieren von dreidimensionalen Spuren und Relikten hinaus.“²³ Im Gegensatz zur Sachkulturforschung wird nicht nur nach Sachen beziehungsweise Artefakten gefragt, die von Menschenhand hergestellt werden, sondern nach Dingen, also sowohl hergestellten als auch der Natur entnommenen und bedeutungsaufgeladenen „Exofakten“.²⁴ Beispielsweise ist ein kostbar gestalteter Etrogbehälter als „Sache“ zu bezeichnen, während als „Ding“ sowohl der Behälter als auch der natürlich gewachsene Etrog zu benennen sind.Wie König betont, fragt die Materielle Kultur nicht nur nach dem Ding, seiner stofflichen Zusammensetzung, sondern auch nach seiner in anderen Quellen bezeugten Formen und Funktionen sowie seinen tieferen Bedeutungen für die Gesellschaft. Karl-Sigismund Kramer versuchte diese „Dreiheit von Stoff, Gestalt und Funktion“²⁵ durch den Begriff der „Dingbedeutsamkeit“ zu fassen. Diese Dingbedeutsamkeit kann natürlich auch starken Veränderungen unterworfen sein. Dies konnte Felicitas Heimann anhand der Objektbiographie von Porzellantellern mit sechs Mulden in Muschelform zeigen (Abb. 1).²⁶ Diese Porzellanteller wurden zunächst in einer Karlsbader Massenproduktion als neutrale Austernteller hergestellt. Austern galten als Delikatesse und libidoförderndes Lebensexilier der Adeligen und Reichen, deren Konsum zum Ende des 19. Jahr-

 Gudrun M. König: Auf dem Rücken der Dinge. Materielle Kultur und Kulturwissenschaft. In: Kaspar Maase / Bernd Jürgen Warneken (Hrsg.): Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissenschaft. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003, S. 95 – 118, hier S. 116.  König: Auf dem Rücken der Dinge, S. 97.  König: Auf dem Rücken der Dinge, S. 97.  Vgl. zur Differenzierung und den Begrifflichkeiten Hans Peter Hahn: Materielle Kultur. Eine Einführung. Berlin: Reimer Dietrich 2005, S. 19 und die hier angegebene Literatur.  König: Auf dem Rücken der Dinge, S. 101; Karl-Sigismund Kramer: Zum Verhältnis zwischen Mensch und Ding. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 58 (1962), S. 91– 101.  Felicitas Heimann-Jelinek: Zu Geschichte und Geschichten jüdischer Kultobjekte. In: Nathanael Riemer (Hrsg.): Einführungen in die Materiellen Kulturen des Judentums. Wiesbaden: Harrassowitz 2016, S. 95 – 118.

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Abb. 1: Sederteller, Karlsbad, um 1900 (© Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Nr. 87 – 241)

hunderts nun durch das Bürgertum imitiert wurde. Die Karlsbadener Porzellanindustrie regierte recht schnell auf diese Entwicklung und bot diese Austernteller nun als Souvenir des Kuraufenthaltes an. Diese Dinge verfügten zu Beginn also über eine nichtjüdische Objektbiographie und dienten dem allgemeinen Bürgertum als materieller Beweis für den gesellschaftlichen Aufstieg. Doch wie bringt man eine sehr hohe Zahl jüdischer Kurgäste dazu, gerade Austernteller als Souvenir zu kaufen? Auch wenn sich einige von ihnen an den unkoscheren Muscheln versucht haben werden, hätten die wenigsten von ihnen deren Konsum in materieller Form nach außen hin manifestiert. Man beschriftet die muschelförmigen Mulden des Porzellans mit den entsprechenden hebräischen Termini – und schon hat man wunderbare Sederteller: Für die jüdischen Kurgäste vervielfacht sich nun die Dingbedeutsamkeit der Objekte: Sie sind a.) touristische Souvenirs an eine erholsame Zeit, b.) jüdisch-religiöse Erinnerungsträger an den Auszug aus Ägypten, c.) Beweise der gesellschaftlichen Etablierung, die einen Kuraufenthalt ermöglicht, d.) Beweise einer ästhetischen Assimilation, die die zunehmende Tendenz einer Säkularisierung andeutet. Nach 1933 und der Enteignung und Vernichtung der Besitzer verändert sich die Dingbedeutsamkeit erneut: e.) Von einem Raubgut wird es nun als f.) Sammlungs- und Museumsobjekt eingesetzt. Gleiches gilt auch für die jüdischen Grabsteine von mittelalterlichen Friedhöfen, die beispielsweise im thüringischen Nordhausen und im Berliner Spandau in

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Stadtbefestigungen, in Krems und Ulm in Kirchen, und in Regensburg und Umgebung sichtbar in Privathäuser verbaut wurden. Während sie zunächst ihre vielfältigen Bedeutungen als Mazewot erfüllten, wurden sie nach der Vernichtung beziehungsweise Vertreibung der mittelalterlichen Gemeinden sowohl als Baumaterial als auch als Zeichen eines religiösen Sieges über das Judentum in christliche Bauwerke oder als stolzes „Ich war dabei“-Souvenir in die eigene Hauswand implementiert. In Abhängigkeit vom Betrachter und dem „Zeitgeist“ kann sich die Dingbedeutsamkeit ein und derselben Objekte gravierend ändern: Während der NS-Zeit glaubten Parteigänger in den verbauten mittelalterlichen Grabsteinen eine Bestätigung der NSIdeologie zu erkennen, während die jüdischen Heimatforscher, die sie zuvor nur als historische Quelle einer überwundenen Verfolgungszeit wahrnahmen, sie nun als Mahnsteine für einen intellektuellen Widerstand oder eine beschleunigte Auswanderung lesen konnten. Beim Abriss des Würzburger Dominikanerinnenklosters St. Marcus beziehungsweise „Landelektra“ waren die großen Steine zunächst nur Schutt und wiederverwertbares Baumaterial; den Bauherren, der Stadt und dem Land Bayern solange Steine des Anstoßes, bis man für sie eine Lösung im Jüdischen Museum fand; der Bürgerschaft teils Dokumente einer öffentlich sichtbaren, städtischen Schande, teils „fremdartig“ erscheinende „Judensteine“. Selbst wenn materielle Dinge eigentlich keine Identität zu haben scheinen, gehen die meisten Menschen wohl anders damit um – auch wenn sie die Inschriften nicht lesen können – oder vielleicht gerade deswegen. „Häufig basiert die falsche Bewertung materieller Kultur auf der Vorstellung von höheren und niederen Dingen in der Kultur. Höher sind demnach die geistigen, immateriellen Ausdrucksformen: Sprache und Text. Niedere Dinge wären dann die materiellen Formen des Ausdrucks einer Gesellschaft: Handwerk […], Wirtschaft“ und Alltag.²⁷ Diese Hierarchisierung ist laut Hans Peter Hahn schlichtweg falsch, da die Entstehung von Texten ohne Materialität und Technik undenkbar ist – zumindest sobald Texte den Bereich der Mündlichkeit verlassen und schriftlich fixiert werden. Ohne koschere Schreibfeder, Tinte und Pergamentsorte sind zahlreiche Texte passul. Umgekehrt wird – und das gilt beispielsweise auch für die von Hanna Liss untersuchten Mikrographien²⁸ – kaum ein „Ding“ ohne eine geistige Idee produziert und eingesetzt werden. Unter anderem haben sich Daniel Miller und Karl Popper energisch gegen eine isolierte Be-

 Hahn: Materielle Kultur, S. 9.  Vgl. etwa Hanna Liss: Gelehrtenwissen. Drôlerie oder Esoterik? Erste Überlegungen zur Masora der Hebräischen Bibel in ihren unterschiedlichen materialen Gestaltungen im Hochmittelalter. In: Nathanael Riemer (Hrsg.): Jewish Lifeworlds and Jewish Thought. Festschrift presented to Karl E. Grözinger on the Occasion of his 70th Birthday. Wiesbaden: Harrassowitz 2012, S. 27– 40.

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trachtung von inhaltlich-textuellen und materiellen Aspekten ausgesprochen und plädieren für eine Gesamtschau des Forschungsgegenstandes.²⁹

3 Warum die Judaistik/Jüdische Studien die Materiellen Kulturen als Ansatz benötigen a) Im Zuge der Bologna-Reform haben wir selbst, eigenhändig und unabhängig vom Studienort in den meisten BA- und MA-Studienordnungen erklärt, dass wir unsere Studierenden unter anderem für die Arbeit in Museen, den Medien und Bildungseinrichtungen befähigen. Tun wir das wirklich? Wir verweisen auf unsere Praxisanteile und Berufsrelevanz – die wir aber in Lehre und Forschung nicht immer berücksichtigen. Und so verwundert es nicht, dass beispielsweise die Jüdischen Museen im deutschsprachigen Raum eher in den benachbarten Disziplinen nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen: In den Geschichtswissenschaften, der allgemeinen Museologie und natürlich der Ethnologie, die allesamt höchst interessante Methoden entwickelt haben und zahlreiche exzellente Wissenschaftler hervorbringen. Studenten, die sich aus vielfältigen Gründen von der Judaistik/Jüdischen Studien ab- und anderen Fächern und Berufen zuwenden, gab es schon immer. Die entsprechende Äußerung von Zunz in seiner programmatischen Schrift „Etwas über die rabbinische Literatur“ habe ich – die Leser mögen diesen Humor tolerieren – geringfügig in eckigen Klammern auf die heutige Situation in der akademischen Welt angepasst: Wenn aber in unsern Tagen viele [Studenten für die Judaistik/Jüdische Studien] verloren sind, so ist es ganz schlichte Unwissenheit, erzeugt aus dem immer sich verringernden Unterricht in den [jüdischen] Sprache[n]. Theils bewirkt dies die schlechte Aussicht auf einstige Beförderung, der erleichterte Weg zu anderartigen Wissenschaften, und die sehr lobenswürdige Ergreifung der Künste und Handwerke [der Irgendwas-mit-Medien-Disziplinen], des Ackerbaues [BWL und Medizin] und des Militärdienstes [Jura]; theils aber auch Kälte gegen Religion überhaupt und gegen der Vorfahren Litteratur insbesondere, der Wahn sich mit der Beschäftigung derselben zu entehren [zunehmende Säkularisierung], und eine liebenswürdige moderne Ungründlichkeit [klassisch: Yeridat ha-Dorot].³⁰

 Vgl. hierzu genauer Hahn: Materielle Kultur, S. 11.  Textstelle mit markierten Veränderungen des Autors des vorliegenden Beitrages nach Zunz: Etwas über die rabbinische Literatur, S. 25.

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Unsere Welt ist großen Veränderungen unterworfen, die man in Abhängigkeit zur eigenen Sichtweise immer bedauern, kritisieren oder auch begrüßen kann – dies gilt auch für die Wissenschaften. Jedoch werden sich die Judaistik/Jüdischen Studien – wie alle anderen Fächer auch – der Frage stellen müssen, wie man mit den jeweiligen Veränderungen angemessen umgeht, ohne diese unabkömmliche Schrägstrich-Disziplin zugunsten anderer Fächer aufzulösen oder auf unabdingbare Kenntnisse im Jiddischen und Hebräischen zu verzichten. b) In Bezug auf die jüdische Dingkultur macht sich eine neue Sprachlosigkeit breit, die unser Fach langfristig massiv behindern könnte. In zunehmendem Maße lässt sich bei Veranstaltungen im Kontext der Judaistik/Jüdischen Studien die Erfahrung machen, dass häufig nicht mehr analysiert und wissenschaftlich gearbeitet wird, sondern man in einen schweigenden Betroffenheitsmodus fällt oder sich zwischen Werturteilen „das ist gut/ethisch richtig“ beziehungsweise „schlecht/falsch“ bewegt. Beispielsweise ist es schwierig, eine simple, systematische Beschreibung, Analyse und historische Kontextualisierung von Dingen zu erhalten, die sich mit der jüdischen Kulturgeschichte auseinandersetzen. Offensichtlich haben die mit dem Judentum thematisch verbundenen Objekte irritierenderweise in einem überwiegend atheistischen (sic!) Umfeld schon das Stadium des Sakralen erhalten und sind an die Stelle eines sakrosankten Gottes gerutscht. So wird eine seriöse Wissenschaft entweder verhindert oder als „problematisch“ an den Rand gedrängt. Dass dies kein Einzelfall ist, sondern davon in höchstem Maße unsere wissenschaftlichen Einrichtungen selbst betroffen sind, lässt sich anhand der Ausstellung „Last Folio – Spuren jüdischen Lebens in der Slowakei“ der Staatsbibliothek Berlin veranschaulichen. Gezeigt werden im Foyer des Hauses am Kulturforum 33 Kunstfotografien des renommierten Fotografen Yuri Dojc, der von 1997 an zunächst allein und ab 2005 dann gemeinsam mit der Filmemacherin Katya Krausova wiederholt in die Slowakei reiste, um mit Überlebenden des Holocaust zu sprechen und Zeugnisse historischer jüdischer Kultur in dem Land zu dokumentieren. Yuri Dojc und Katya Krausova fanden dabei Orte, in denen die Zeit stehen geblieben ist und in denen alles noch genauso dort lag, wie 1942 zur Zeit der Deportationen. Die Bilder zeigen vielfach verfallene Bücher und Dokumente, die quasi stellvertretend für die Menschen stehen, die verschleppt wurden und nie mehr zurückkamen. Die in ihrer Authentizität, Ästhetik und Intensität einzigartigen Fotografien vermitteln eine Vorstellung von der zerstörten jüdischen Welt in der Slowakei und mahnen damit 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Lehren aus dem Geschehenen zu ziehen.³¹

 Bertelsmann SE & Co. KGaA, „Außergewöhnliche Foto-Ausstellung ‚Last Folio‘ wird verlängert,“ Pressestelle Bertelsmann SE & Co. KGaA. Mitteilung vom 28.05. 2015, http://www.pressepor tal.de/pm/7842/3032971 (Zugriff: 07.01. 2016).

Brauchen die Jüdischen Studien einen weiteren „turn“?

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Um Missverständnisse zu vermeiden: Die künstlerische Qualität der Fotos und der ergreifenden Dokumentationsfilme ist außerordentlich, und das Schicksal ihrer Vorbesitzer zu würdigen! Zugestanden sei auch, dass es für die Staatsbibliothek Berlin pragmatisch gewesen sein mag, die von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte Ausstellung zu zeigen, statt bei knappen Etats und ausgelasteten Mitarbeitern selbst eine anzufertigen.

Abb. 2: Schoolroom / Klassenzimmer, Bardejov, 2006 (© Yuri Dojc/ © Bertelsmann)

Bedenklich ist hier, dass diese Dinge – überwiegend Objekte, die auch Textträger sind – seitens einer wissenschaftlichen Einrichtung ohne Erklärung ihrer Inhalte, ihrer Funktionen und ohne ihre jeweiligen Bedeutungshorizonte gezeigt werden (Abb. 2– 4). Es ist bezeichnenderweise eine Bibliothek, die sich lediglich darauf beschränkt, Bilder von Büchern einer anderen Bibliothek zu zeigen, ohne dass man Antwort auf folgende Fragen erhält: Wie viele Bände umfasste die Bibliothek, lassen sich thematische Schwerpunkte ausmachen, welche Art von Literatur ist vorhanden oder fehlt? Was kann aus den zahlreichen Gebrauchsspuren der Vorbesitzer geschlossen werden? Und nun noch grundsätzlicher: Was wird mit den Objekten und Orten in Zukunft passieren? Verbleiben sie an ihrem Ort und werden sie hier von Wissenschaftlern systematisch untersucht, kommen sie in die israelische Nationalbibliothek oder werden sie an private Sammler in den USA verkauft? Nichts dergleichen.

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Abb. 3: Schoolroom / Klassenzimmer, Bardejov, 2006 (© Yuri Dojc/ © Bertelsmann)

Abb. 4: Bardejov, 2007 (© Yuri Dojc/ © Bertelsmann)

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Wenn bezeichnenderweise auf den ausgestellten Fotos kaum ein einziger Buchtitel lesbar und nur bei guter Sachkenntnis Texte ansatzweise identifiziert werden können, lässt dies Rückschlüsse auf das Verständnis beziehungsweise die Unkenntnis der jüdischen Kultur zu. Die abgebildeten Dinge sind einzig und allein dazu geschrieben und produziert worden, um studiert und benutzt zu werden.Wir könnten an dieser Stelle nun selbst die Ansätze der Materiellen Kultur anwenden und zeigen, dass sich die Dingbedeutsamkeit der Bücher, Schallplatten, Grabsteine, etc. mehrfach verschoben hat.Waren sie vor den 1940er Jahren – abhängig vom einzelnen Individuum – Gegenstand eines geliebten oder traditionell befolgten oder „langweilig“ empfundenen Unterrichtes (Abb. 5), sind sie nun „morbide Zeichen“, „Hüllen einer Vergangenheit“, die sich lediglich in Form und Materialität unterscheiden, deren ursprüngliche Funktion und Bedeutung durch die Nicht- beziehungsweise Falschkommentierung negiert werden. Als Beleg zeige ich ein Bild von einem Objekt (Abb. 5), das dem Zuschauer mit der Unterschrift „Gebetsbuch“ präsentiert wird. Die inhaltlich falsche Bildunterschrift muss ich aus rechtlichen Gründen abdrucken.

Abb. 5: Prayer book / Gebetsbuch, Michalovce, 2009 (© Yuri Dojc/ © Bertelsmann)

Ebenfalls unter der vielsagenden Rubrik „Gebetsbücher“ (Abb. 6) wird ein Packen zerfledderter Bände gezeigt, die von einer Schnur so fest zusammengezurrt wurden, dass der Akteur dadurch die ursprüngliche Funktion dieser Dinge und

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Abb. 6: Prayer books / Gebetsbücher, Michalovce, 2009 (© Yuri Dojc/ © Bertelsmann)

ihre Bedeutung verändert hat: Wir sehen, dass der Fotograph aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Genisa einer Synagoge gestoßen ist. Auch diese Abbildung ist mit „Gebetsbücher“ unterschrieben. Identifizieren konnte ich, mit einer Lupe ausgestattet, oben links im Bündel ein jiddisches Mussarwerk vor 1900, unten im Bündel drei Zeilen einer ungarischen Bibelübersetzung, nämlich die Textstelle

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Gen. 26,24, und unter dem Bündel einige zerfledderte Bögen des Traktates bBaba Meṣi’a 16a, und zwar hier Raschi und Massoret ha-Sha”S.³² Ich kürze hier ab und komme zum Kern des Problems: Wie wirken diese unkommentierten Fotos auf den betrachtenden Laien? Welche Botschaften werden transportiert? Wenn die Künstler erklären, dass „dieser Verfall visuell faszinierend“³³ ist und die „Schönheit des Verfalls“³⁴ hervorheben, liegt darin genau eines der entscheidenden Probleme für die Zukunft der Judaistik/Jüdische Studien, nämlich die nachlassende Bereitschaft, sich mit der jüdischen Kultur und seinen Sprachen inhaltlich auseinanderzusetzen: Der Laie – und dazu gehört bei dieser Thematik gerade der aufgeschlossene Bildungsbürger – wird das Judentum verstärkt mit etwas „Morbidem“ assoziieren und seine Erforschung als „gesellschaftlich nicht relevant“ etikettieren. Wenn Menschen und ihre Dinge nicht vernichtet wurden, wird ihnen in diesen künstlerisch-hochwertigen und ästhetischen Bildern mit wissenschaftlich unkommentierter Betroffenheit „ein ehrenhaftes Begräbnis bereitet“. Anstelle einer tiefgehenden, inhaltlichen Auseinandersetzung mit den religiösen Strömungen und Kulturen des Judentums tritt zunehmend das für den 9. November eingeübte Schweigen. Bei dem Dargestellten handelt es sich ausnahmslos um religiöse Dinge. Der nächste Paradigmenwechsel von der morbiden Ästhetik der Religion im Allgemeinen zum „Uncoolen“ beziehungsweise „Gefährlichen“ ist nicht weit und schon in den Medien und dem „hippen“ Berlin deutlich messbar. Religiöse Aspekte, wie zum Beispiel die Beschneidung, die verschiedenen Aufgaben von Menschen innerhalb der Gemeinde etc. rufen nicht nur in Hinblick auf das Judentum zunehmend Irritierung hervor. Ich denke, dass hier die Judaistik/Jüdische Studien verstärkt gefordert sind, materielle Kulturen des Judentums zu erklären und in ihrer Dingbedeutsamkeit zu kontextualisieren – wenigstens aus egoistischem Interesse, da nicht nur der Inhalt, sondern auch unser Fach zunehmend als morbide-antiquiert bei Seite geschoben werden. Dies sind einige Gründe dafür, dass beispielsweise die Talmud-Projekte von Tal Ilan sowie die verschiedenen Unternehmungen von Caspar Battegay³⁵ und

 Sämtliche Fehler finden sich auch im künstlerisch-ästhetisch sehr gut aufbereiteten Ausstellungsband: Yuri Dojc / Katya Krausova: Last Folio. A Photographic Memory. Ein fotografisches Gedächtnis. München, London: Prestel 2015.  Last Folio aus einem Dokumentarfilm von Yuri Dojc / Katya Krausova. Portobello Media & Yuri Dojc Studio & Trigon Production 2015: http://www.bertelsmann.de/news-und-media/specials/ last-folio/ (Zugriff: 07.01. 2016), hier Min. 4.46.  Film zur Fotoausstellung von Yuri Dojc / Katya Krausova: Last Folio. Spuren Jüdischen Lebens in der Slowakei. (o.A.): http://www.bertelsmann.de/news-und-media/specials/last-folio/ (Zugriff: 07.01. 2016), hier Min. 3.14 und 4.20.  Caspar Battegay: Judentum und Popkultur. Ein Essay. Bielefeld: transcript 2012.

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Klaus Hödl³⁶ zur Etablierung einer judaistischen Erforschung der jüdischen Populärkultur von größter Wichtigkeit sind: Sowohl beim feministischen Talmudkommentar³⁷ als auch bei Comics der Ḥaredim und jüdischen Comedykünstlern wird deutlich, dass das Judentum ein lebendes und inspirierendes Phänomen ist. Über die Definition und Abgrenzung dieser Teildisziplinen können wir uns an anderer Stelle Gedanken machen.

4 Schlussbetrachtungen: Benötigen die Judaistik/Jüdischen Studien einen neuen „turn“? Wie eingangs gezeigt, ist die Vielfalt der verschiedenen Teildisziplinen, Methoden und „turns“ – einschließlich der eingangs erwähnten sozialgeschichtlichen Aspekte der Keller des jüdischen Hauses – eigentlich schon in den theoretischen Konzepten der Wissenschaft des Judentums angelegt. Dennoch – „Ja“, die Judaistik/Jüdische Studien benötigen neue „turns“. Wir müssen unser Fach immer wieder neu erfinden und grundsätzlich mit großen Freuden und viel kollegialer Unterstützung neue hinzukommende Teildisziplinen und „turns“ aufnehmen, ohne dass etablierte Bereiche und unabdingbare Kenntnisse in den Muttersprachen des Judentums aufgegeben werden. Insofern ist es notwendig, beispielsweise Sefardische Studien, Populäre Kulturen, Ethnologien des Judentums etc. wieder verstärkt einzubinden. „Ja“, wir benötigen einen „turn“, indem wir uns von der längst hinfälligen Vorstellung einer Hierarchie der judaistischen Teildisziplinen verabschieden und alle als in gleicher Weise wertvolle Wissensbereiche bzw. Ansätze nebeneinanderstellen. Wenn man nicht darüber streiten muss, was wichtig oder weniger wichtig ist, bleibt mehr Freude an und Energie für die Arbeit. „Ja“, wir benötigen noch einen viel wichtigeren turn. Es heißt immer, dass die Judaistik/Jüdischen Studien ein „cooles Fach“, „ein Modefach“ der 90er Jahre waren. Unter anderen Gründen waren sie das, weil es einige Orte gab, an denen jeder mit seinen Interessen wohlwollend unterstützt wurde, so dass das Lernen und Arbeiten eine Herzenslust war. Letzteres muss wieder erreicht werden. Hier sind konkrete Diskussionsfragen hilfreich: Wie können wir unsere Studierenden

 Klaus Hödl (Hrsg.): Nicht nur Bildung, nicht nur Bürger. Juden in der Populärkultur. Innsbruck: StudienVerlag 2013.  Siehe dazu den Beitrag von Tal Ilan in diesem Band.

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und Doktoranden besser begleiten? Wie können wir weggebrochene Arbeitsmarktfelder, wie zum Beispiel Museen und Kultureinrichtungen, wieder zurückerobern oder gar neue erschließen? Müssen wir mit veränderten Strategien auf die Zeit reagieren und überlegen, wie wir die Leute da abholen, wo sie sich befinden und dann dazu bringen, sich Jiddisch und Hebräisch anzueignen? Wie können wir uns von dem Eindruck befreien, eine Mimose zu sein? Die Relevanz der Judaistik/ Jüdischen Studien wird auch dadurch bestimmt werden, wie wir uns den Interessen der nächsten Wissenschaftlergenerationen und den aktuellen Tendenzen der gegenwärtigen Strömungen des Judentums unvoreingenommen-kritisch öffnen werden, ohne uns von ideologischen Strömungen wegschwemmen zu lassen. Wenn sich an der Hebräischen Universität Jerusalem ein einziger Student eines Semesters für Maḥshevet Yisra’el immatrikuliert, weist dies nicht nur auf veränderte Interessen und Situationen, sondern auch auf Fehlstellungen in der akademischen Umgebung hin.

Jascha Nemtsov

„Ein Lachen durch Tränen“: Jüdische Musik im Schaffen von Mieczysław Weinberg 1 „Das Judentum in der Musik“ „Was der Vornahme der Juden, Kunst zu machen, entsprießt, muss notwendig die Eigenschaft der Kälte, der Gleichgültigkeit, bis zur Trivialität und Lächerlichkeit an sich haben,“ diese Worte von Richard Wagner aus seinem berüchtigten Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“¹ (1850) können als symptomatisch für die jahrhundertelange Wahrnehmung des jüdischen Beitrags zur europäischen Kultur gelten. Auch heute noch werden Judentum und jüdische Kultur als etwas Besonderes empfunden. Ist es vorstellbar, dass sie eines Tages völlig losgelöst von jeglichen ideologischen und politischen Implikationen wahrgenommen werden? Zurzeit erscheint es kaum möglich. In welchem Kontext auch immer davon die Rede ist – angefangen mit der bloßen Benutzung des Wortes „Jude“, das allein schon nicht selten zum Grund für eine geistige Verkrampfung wird, und bis zu den komplizierten wissenschaftlichen Debatten – diverse anti- und philosemitische Vorurteile drängen zugleich in den Themenkreis hinein. Die lange, im Holocaust gipfelnde Verfolgungsgeschichte der Juden schwingt kräftig mit. Und natürlich mischt sich die jeweilige Haltung zum Zionismus und zum Staat Israel dazu. Die musikalische Kunst, die scheinbar am weitesten von Ideologie und Politik entfernt sein sollte, ist keine Ausnahme davon. In den heutigen Diskussionen über jüdische Musik spielen die Ideologien eine nach wie vor markante Rolle. Sind die Juden eine Nation mit einem gemeinsamen Kulturleben oder nur eine durch ähnliche Rituale und Bräuche verbundene Religionsgemeinschaft? Ist das Judentum vielleicht gar lediglich ein Faktor der Selbstidentifikation, der beliebige Merkmale tragen und daher kaum objektiv erfasst werden kann? Die Antworten auf diese Fragen hängen nicht zuletzt mit der jeweiligen ideologischen Einstellung zusammen. Die jüdische Musik wie auch Musik jüdischer Komponisten (zwei Bereiche, die häufig vermischt werden) sind in der europäischen Kultur seit dem 19. Jh. ein Diskussionsthema. Der ursprüngliche Anstoß dazu war damals nicht etwa ein tatsächliches Interesse für diesen Teil der jüdischen Kultur, sondern die zunehmende Beteiligung von Musikern jüdischer Abstammung am europäischen Musikleben, die von vielen als Bedrohung empfunden wurde. Eine rein musikalische Angelegenheit

 Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik. Leipzig: J. J. Weber 1869, S. 24. DOI 10.1515/9783110523478-011

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wurde also von Anfang an durch das Prisma von pseudowissenschaftlichen Theorien, politischen Einstellungen und Vorurteilen unterschiedlicher Art behandelt. Die Frage der jüdischen Musik – oder dessen, was darunter verstanden wurde, – war daher schon immer auch die Frage der eigenen Gesinnung. „[Felix Mendelssohn Bartholdy] hat uns gezeigt, dass ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste und mannigfaltigste Bildung […] besitzen kann, ohne durch die Hilfe aller dieser Vorzüge es je ermöglichen zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten,“² urteilte Wagner über seinen berühmten Kollegen und früheren Förderer wenige Jahre nach dessen Tod – und prägte damit für viele Jahrzehnte nicht nur die Rezeption von Mendelssohns Musik, sondern auch die von vielen anderen jüdischen Komponisten. Ein kurioses Beispiel dafür ist in den Schriften des bekannten deutschen Journalisten und Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl (1823 – 1897) zu finden. 1847 nahm er den gerade verstorbenen Felix Mendelssohn gegen die Kritiker in Schutz, die behaupteten, Mendelssohn hätte „jüdische Elemente“ in seinen Werken benutzt und somit einen schädlichen Einfluss auf die deutsche Musik ausgeübt. „Mendelssohn hat nie seine Nationalität verraten, wie gar wenige deutsche Meister gibt es, die ihm hierin zur Seite zu stellen sind!“ so Riehls Plädoyer. „Mendelssohn hatte sich mit Bewusstsein den Standpunkt einer nationalen Wirksamkeit erkoren.“ Riehl zufolge wäre Mendelssohn sogar eher „deutsch“ als seine deutschstämmigen Kollegen, er wäre „ein Tondichter jüdischer Abstammung, der nicht jüdelte in seiner Schreibart, während fast alle christlichen Lieblingskomponisten des Tages jüdelten“.³ Einige Jahre später änderte Riehl jedoch unter dem Druck der zunehmend antisemitischen Stimmung in deutschen musikalischen Kreisen – die sich nicht zuletzt durch Richard Wagners Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“ manifestierte – seine Meinung. In einer Publikation erwähnte Riehl Mendelssohn nun als einen explizit jüdischen Komponisten, der neben den anderen jüdischen Musikern für die angebliche Dominanz des „jüdischen Stammes“ in der deutschen Musik sorgte. In beiden Fällen gab sich Riehl allerdings nicht die Mühe, nachzuweisen, was denn in Mendelssohns Werken tatsächlich „jüdisch“ oder „deutsch“ wäre. Beide Begriffe wurden lediglich als ideologische Kategorien benutzt. Während es dann fast hundert Jahre lang eine ganze Flut von Publikationen gab, die sich mit der angeblich jüdischen Musik von  Ebd., S. 25.  Zitiert nach: Rainer Hauptmann: „Diese Musik wurde ermordet!“ Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine Geschichte kulturellen Antisemitismus im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts. S. 51: http://www.cavallerotti.de/assets/texte/projekte/mendelssohn/pdf/mendelssohn_essay.pdf (Zugriff: 11.11. 2015).

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Mendelssohn, Meyerbeer oder später Arnold Schönberg beschäftigten, interessierte die echte jüdische Musik kaum jemanden. Die Behandlung jüdischer Musik im 19. Jh. gehört zu vielen Paradoxien im Umgang mit den Juden. Einerseits galt jüdische Musik als etwas der europäischen Kultur und dem europäischen Menschen absolut Fremdes und dazu noch Minderwertiges: „Wer hat nicht Gelegenheit gehabt, von der Fratze des gottesdienstlichen Gesanges in einer eigentlichen Volks-Synagoge sich zu überzeugen? Wer ist nicht von der widerwärtigsten Empfindung, gemischt von Grauenhaftigkeit und Lächerlichkeit, ergriffen worden beim Anhören jenes Sinn und Geist verwirrenden Gegurgels, Gejodels und Geplappers […]?“⁴ Auf der anderen Seite wurde der jüdischen Musik pauschal jegliche Originalität abgesprochen; bis ins 20. Jh. hinein galt zum Beispiel die jüdische Folklore allgemein als Flickenteppich aus musikalischen Bruchstücken der Lieder anderer Völker. Es ist selbstverständlich, dass beide Vorurteile eine ernsthafte Beschäftigung mit der jüdischen traditionellen Musik nicht gerade beförderten. Es waren russische Komponisten, die Mitte des 19. Jh. das erste Kapitel einer klassischen musikalischen Judaica schrieben. Modest Mussorgski, Nikolai RimskiKorsakov und andere russische Komponisten des 19. Jh. studierten authentische jüdische Musik und bezogen als erste in Europa deren Elemente in ihre eigenen Werke ein. Damit bereiteten sie den Boden für die Entstehung einer eigenen jüdischen nationalen Schule in der Musik – der Neuen Jüdischen Schule, die ab 1908 zunächst hauptsächlich in Russland wirkte. Während jüdische traditionelle Musik in Osteuropa ansatzweise bereits im 19. Jh. und insbesondere zu Beginn des 20. Jh.s zu einem beachtlichen Bestandteil des klassischen Musiklebens wurde, fand sie im Westen lange Zeit kaum Eingang auf die Konzertbühne. Im Laufe des 20. Jh.s und zum Teil unter dem Einfluss der Tätigkeit und der Ideen der russisch-jüdischen Komponistengruppe begannen dann auch westeuropäische – jüdische und nicht-jüdische – Komponisten, sich mehr für die jüdische Musiktradition zu interessieren. 1910 komponierte etwa Maurice Ravel auf Anregung der herausragenden russischen Sängerin und Leiterin des Moskauer „Hauses des Liedes“, Marie Olenine d’Alheim (1869 – 1970), vier Bearbeitungen von Volksliedern verschiedener Völker, darunter auch ein „Chanson hébraïque“.⁵ Das Original war das jiddische (mit hebräischen und aramäischen Einfügungen) Volkslied „Majerke main suhn“ [Meierke, mein Sohn]. Die Tatsache, dass sich ein westeuropäischer Komponist mit jüdischer Musik

 Wagner: Das Judenthum in der Musik, S. 22.  Vgl. Arbie Orenstein: Ravel: Man and Musician. New York: Dover Publications 1995, S. 63.

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beschäftigte, war damals allerdings so ungewöhnlich, dass Ravel später irrtümlicherweise oft für einen Juden gehalten wurde. Nach der Oktoberrevolution wurden die neue jüdische Musik und ihre Schöpfer in Sowjetrussland zunehmend unterdrückt und so ist der deutschsprachige Kulturraum in den 1920er–30er Jahren ihr wichtigstes Wirkungsgebiet geworden. Bereits 1922 sind einige St. Petersburger Protagonisten der Neuen Jüdischen Schule nach Berlin gekommen. Sie gründeten dort zwei jüdische Musikverlage – „Jibneh“ und „Juwal“. In diesen Berliner Verlagen sind nicht nur zahlreiche Kompositionen publiziert worden, sie organisierten außerdem in Deutschland und im Ausland erfolgreiche Konzerte dieser Musik; darüber hinaus wurden sie zu einer Art Anlaufstelle für junge jüdische Komponisten, die auf der Suche nach einem authentisch jüdischen musikalischen Ausdruck waren. 1928 wurde in Wien ein weiteres bedeutendes Zentrum jüdischer Kunstmusik gegründet: der Verein zur Förderung jüdischer Musik. Er existierte 10 Jahre lang und wurde nach der Machtübernahme durch die Nazis in Deutschland 1933 zur bedeutendsten Institution der neuen jüdischen Musik. Es ist nicht möglich, alle Komponisten auch nur aufzuzählen, die sich in den 1930er Jahren zur jüdischen Musiktradition hingezogen fühlten. Darunter waren auch Namen, die heutzutage durchaus bekannt sind, die aber nicht unbedingt mit jüdischer Musik assoziiert werden, wie z. B. Paul Dessau, Darius Milhaud, Stefan Wolpe oder Arnold Schönberg. Speziell die „jüdischen“ Kompositionen Arnold Schönbergs sind aber bezeichnend für die weitere Entwicklung. Schönberg, der 1933 Deutschland verlassen musste und sich im Pariser Exil durch eine Art Rückkonversion demonstrativ zum Judentum bekannte, engagierte sich danach einige Jahre lang in der zionistischen Bewegung und wollte sogar eine „Jüdische Einheitspartei“ gründen. Während die Komponisten der Neuen Jüdischen Schule versuchten, mit Elementen jüdischer traditioneller Musik einen jüdischen Stil in der Kunstmusik zu schaffen, waren diese Elemente für Schönberg stilistisch völlig irrelevant. Er wollte keinen jüdischen Stil, sondern ein moralisch-politisches Zeichen. Eingefügt in seine eigene Musiksprache, werden Elemente einer jüdischen Melodie wie „Kol nidre“ im gleichnamigen Chor-Stück oder ein Gebetstext wie „Schma Israel“ in der Kantate „Ein Überlebender aus Warschau“ als symbolträchtige Zitate behandelt, die eine unverkennbare, im Konzept des jeweiligen Werks bedeutsame Botschaft vermitteln. Zu erwähnen ist ferner der deutsche Komponist Karl Amadeus Hartmann, der in der Nazi-Zeit als einer der wenigen den Weg einer konsequenten „inneren Emigration“ wählte. Seine Werke wurden nicht aufgeführt, er komponierte ausschließlich „für die Schublade“ und lebte vor allem von der Unterstützung seiner Schwiegereltern. Gleich 1933 schuf er sein 1. Streichquartett, dessen wichtigstes Thema ein leicht verändertes Zitat des jüdischen Sabbat-Liedes „Elijahu ha-navi“

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[Elias der Prophet] darstellt. Diese Melodie verwendete er später noch einmal in der Oper „Des Simplicius Simplicissimus Jugend“ (1934/35).⁶ In Osteuropa war es damals vor allem Dmitri Schostakowitsch, der das Symbolische in jüdischer Musik erblickte und dann in einer ganzen Reihe von Werken umsetzte. Über Schostakowitschs Verhältnis zu jüdischer Folkmusik gibt eine ausgedehnte Passage in den von Solomon Volkow zusammengestellten Memoiren Auskunft: „Ich glaube, wenn man von musikalischen Einflüssen spricht, so hat die jüdische Volksmusik mich am stärksten beeindruckt. Ich werde nicht müde, mich an ihr zu begeistern. Sie ist so facettenreich. Sie kann fröhlich erscheinen und in Wirklichkeit tief tragisch sein. Fast immer ist es ein Lachen durch Tränen.⁷ Diese Eigenschaft der jüdischen Volksmusik kommt meiner Vorstellung, wie Musik sein soll, sehr nah. Die Musik muss immer zwei Schichten enthalten. Die Juden wurden so lange gequält, dass sie es gelernt haben, ihre Verzweiflung zu verbergen. Ihre Verzweiflung drücken sie in Tanzmusik aus. Jede echte Volksmusik ist schön, aber von der jüdischen muss ich sagen, sie ist einzigartig. Viele Komponisten, auch russische, haben jüdischer Musik intensiv zugehört. Mussorgski zum Beispiel setzte sehr sorgsam jüdische Lieder in seinen Kompositionen um. „Viele meiner Stücke spiegeln den Eindruck jüdischer Musik. Das ist keine rein musikalische Frage, es ist auch eine moralische. Oft prüfe ich einen Menschen an seiner Einstellung zu den Juden. Heutzutage kann kein Mensch, der den Anspruch auf Anständigkeit erhebt, Antisemit sein.“⁸

Die Liebe zur jüdischen Musik allein würde nicht erklären können, warum Schostakowitsch sich in einer bestimmten Phase seines Schaffens derart extensiv ihrer Elemente bediente und warum er überhaupt diese Elemente verwendete – denn er war in seinem kompositorischen Prozess überhaupt nicht auf folkloristisches Material angewiesen, es ist gerade völlig untypisch für seine persönliche Musiksprache.⁹ Jüdische Musik war aber für ihn eben keine „rein musikalische Frage“, sondern vor allem „eine moralische“.

 Vgl. Hanns-Werner Heister: Das Fremde und das Eigene. Elemente jüdischer Musik bei Karl Amadeus Hartmann. In: Die Musik des osteuropäischen Judentums – totalitäre Systeme – Nachklänge. Hrsg. vom Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik. Dresden: UniMedia 1997, S. 100 ff.  „Ein Lachen durch Tränen“ ist eine in Russland häufig benutzte Redewendung, die ursprünglich vom Literaturkritiker Wissarion Belinskij (1811– 1848) in einer Besprechung von Werken Gogols geprägt wurde. Laughter Through Tears war der Name eines 2003 erschienenen Albums der englischen experimentierfreudigen Band „Oi Va Voi“, die Elemente jüdischer Musiktradition mit osteuropäischer Folklore verschiedener Provenienz verbindet.  Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch. Hrsg. von Solomon Volkow. Berlin, München: Propyläen-Verlag 2000, S. 248 – 249.  Dezidiert folkloristische Elemente werden bei Schostakowitsch meist in einem ironischen, ja sogar sarkastischen Kontext eingesetzt.

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Die Komponisten der jüdischen nationalen Schule waren noch in den 1930er Jahren bemüht, eine jüdische Musik zu schaffen, die eine gleichberechtigte Stimme im „Konzert der Nationen“ bilden würde, „die aus eigenem Wesen und Gestalten einen Widerhall bei den übrigen Völkern, einen Platz in der Musikliteratur in der ganzen Welt finden wird.“¹⁰ Dieses Ziel wurde eindeutig nicht erreicht, nicht nur weil die Schöpfer dieser Musik und deren Zuhörer zum größten Teil im Holocaust ermordet oder entwurzelt und in alle Winde zerstreut wurden. Eine aus jüdischer Tradition heraus komponierte Musik hätte im kosmopolitischen Musikbetrieb der Nachkriegszeit sowieso kaum eine Chance. Vor allem aber verlor das Jüdische nach dem Holocaust jegliche Unbefangenheit, jüdische Musik ist nicht mehr einfach eine folkloristische Richtung wie alle anderen. Sie wird mit vielen zusätzlichen Konnotationen beladen, die weit über ihre ursprüngliche Semantik hinaus gehen. Das Jüdische in der Musik ist nach dem Holocaust nicht nur in erster Linie ein Symbol für das unbeschreibliche Leid und das tragische Schicksal der Juden, es ist auch ein Symbol für Opfer der Gewalt und für das Leiden schlechthin. Das konkret Folkloristische wurde durch das Moralische und das Politische verdrängt. Das Jüdische in der Musik, sei es charakteristische Elemente in Werken von Komponisten ernster Musik oder das moderne Klezmer-Revival, hat also nicht mehr nur mit Juden zu tun, sondern ist offen für breiteste Identifikationsmöglichkeiten. Genauso wie es noch nicht abzusehen ist, wann in Europa eine „Normalität“ im Umgang zwischen Juden und Nicht-Juden einkehren würde, so ist es noch kaum vorstellbar, dass Elemente jüdischer traditioneller Musik in Werken zeitgenössischer Komponisten je wieder unbefangen – wie zu Ravels Zeiten – verwendet werden können.

2 Eine Brücke Polen im September 1939. Zweieinhalb Wochen nach dem Überfall der deutschen Truppen zieht ein Flüchtlingstreck Richtung Osten. Der Weg liegt über eine Brücke. Als die Flüchtlinge schon vor der Brücke stehen, erstarren sie plötzlich – denn sie erblicken auf der anderen Seite der Brücke andere Flüchtlinge, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegen. Nach einigen Sekunden treffen sich die beiden Gruppen, und es wird klar, dass diese Menschen vor der anrückenden Roten Armee fliehen, die inzwischen ebenfalls in Polen einmarschierte. Die verzweifelten Flüchtlinge müssen nun innerhalb von Sekunden entscheiden, welcher Feind das kleinere Übel wäre, – Entscheidungen, von denen ihr Leben abhängen

 Joachim Stutschewsky: Mein Weg zur jüdischen Musik. Wien: Verlag Jibneh 1935, S. 34.

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wird. Mit dieser ergreifenden Szene wird der Film „Katyń“ des genialen polnischen Regisseurs Andrzej Wajda eröffnet. Diese Szene, die wahrheitsgetreu die Ereignisse und Atmosphäre jener Tage wiedergibt, ist gleichzeitig symbolisch für das Land Polen, das von zwei Diktaturen zerschlagen und aufgeteilt wurde, aber auch für seine Bürger, die Opfer der beiden Diktaturen wurden. Auch der junge Mieczysław Weinberg befand sich in jenen September-Tagen 1939 auf der Flucht. Für ihn gab es allerdings keine Wahl: als Jude hatte er unter den deutschen Besatzern keine Überlebenschancen. Unter diesen Umständen war seine Rettung die Sowjetunion.¹¹ Weinberg wurde 1919 in Warschau geboren, der Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung Europas. In Weinbergs Geburtsjahr lebten dort etwa 320 000 Juden, die 42 Prozent der Bevölkerung Warschaus stellten.Weinbergs Vater Samuil war ein begabter jüdischer Musiker, der sich als musikalischer Leiter eines jiddischen Theaters und als Geiger einen Namen machte, die Mutter war Pianistin. Mieczysław trat bereits mit 10 Jahren als klavierspielendes Wunderkind auf, mit 12 wurde er ans Konservatorium aufgenommen, mit 16 schrieb er Musik zu einem Film. Kein geringerer als Józef Hofmann (1876 – 1957; einer der bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts) prophezeite ihm eine Weltkarriere als Klaviervirtuose. Im Sommer 1939 legte Weinberg seine pianistische Abschlussprüfung ab. Nach dem Beginn des Krieges versuchte die Familie aus Warschau zu fliehen, dies gelang jedoch nur Mieczysław allein. Seine Eltern und seine Schwester, ebenfalls eine Musikerin, wurden später aus dem Warschauer Ghetto ins Zwangsarbeiterlager Trawniki deportiert, wo sie Wehrmachtsuniformen herstellten. Sie wurden 1943 bei der Liquidation des Lagers ermordet. Weinberg hatte ein enormes Glück, denn im Unterschied zu vielen jüdischen Flüchtlingen, die von den sowjetischen Behörden zurück auf das von Deutschen besetzte Territorium abgeschoben oder gleich in den Gulag deportiert wurden, wurde er aufgenommen. Er gelangte zunächst nach Minsk, wo er sogar schon im selben Jahr seine Ausbildung in der Kompositionsklasse von Wassili Solotarjow am dortigen Konservatorium fortsetzen durfte. Als die deutschen Truppen im Juni 1941 (einen Tag nach seinem Abschlussexamen) die Sowjetunion überfielen, flüchtete Weinberg nach Mittelasien. Dort lernte er Natalia Wowsi-Michoëls kennen, die Tochter des bedeutenden jiddischen Schauspielers und Vorsitzenden des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (damals der einzigen zugelassenen jüdischen Repräsentanz) Solomon Michoëls. Die jungen Leute heirateten bald und

 Biografische Angaben nach: Manfred Sapper / Volker Weichsel (Hrsg.): Mieczysław Weinberg: Eine Chronik in Tönen (Zeitschrift Osteuropa, 60. Jg., Nr. 7 [2010]); David Fanning: Mieczysław Weinberg. Auf der Suche nach Freiheit. Hofheim: Verlag Wolke 2010.

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zogen 1943 nach Moskau. Einer der ersten Menschen, die Weinberg in Moskau traf, war Dmitri Schostakowitsch. Diese Begegnung wurde zum Beginn einer Freundschaft und eines intensiven künstlerischen Austauschs, Weinberg gehörte zu Schostakowitschs engstem Freundeskreis. Dieser zählte Weinberg zu den besten Komponisten jener Zeit. Eine Zeitgenossin beschrieb den jungen Weinberg, der unter Freunden den Spitznamen Metek hatte: „Ich hatte das Glück, Metek Weinberg seit 1942 zu kennen. Er war damals 22 Jahre alt. Großgewachsen und schlank, mit einer riesigen Mähne von rotbraunen welligen Haaren. Sein Gesicht, immer lächelnd, strahlte gleichsam Licht aus. Er war sehr freundlich und auf eine nicht-unsere, nicht-sowjetische Art höflich. Er galt schon damals als interessanter Komponist. Als ich später erfuhr, dass Weinberg festgenommen worden war, konnte ich nicht glauben, dass dieser milde, bescheidene Mensch in einem Gefängnis überleben würde.“¹² In der Tat verbrachte Weinberg 1953 dreieinhalb Monate im gefürchteten Gefängnis „Lubjanka“ (dessen Name in Russland immer noch für Folter und Tod steht). „Wir sind gerade zu den Weinbergs nach einem Konzert im TschaikowskySaal gekommen,“ erinnerte sich eine Zeugin. „Weinbergs Moldawische Rhapsodie für Violine und Orchester war in diesem Konzert mit einem kolossalen Erfolg uraufgeführt worden. Solist war David Oistrach. Um zwei Uhr nachts klopfte es an der Tür. Weinberg saß gerade am Klavier und improvisierte. ‚Hände hoch! Waffen abgeben!‘, schrien die Eindringlinge, sie führten Weinberg schnell ab.“¹³ Bei seinen Vernehmungen gab Weinberg zu Protokoll – unter Folterandrohung und gequält durch systematischen Schlafentzug (die Verhöre fanden zwischen 11 Uhr nachts und 6 Uhr morgens statt) –, dass er die Gründung einer jüdischen Republik auf der Krim propagiert hätte und dass ihm dabei die Komponisten Michail Gnesin, Alexander Weprik (der bereits 1950 in den Gulag gekommen war) und die Musikwissenschaftler Rabinowitsch und Schlifstein geholfen hätten. Diese „konspirative Gruppe“ habe außerdem die Schaffung eines jüdischen Konservatoriums in der neuen Republik geplant, für das Weprik sogar schon zwei Bände mit synagogaler Musik zur Verfügung gestellt habe.¹⁴ Diese „jüdisch-nationalistische“ Musiker-Verschwörung konnte allerdings nicht weiter gesponnen werden. Im Unterschied zu den Millionen von Opfern des Gulags hatte Weinberg ein besseres Los. Der Tod Stalins im März 1953 rettete ihn, bald danach wurde er befreit.  Ada Zodikova: Moisej (Mieczysław) Weinberg. In: http://zhurnal.lib.ru/c/codikowa_a/codikowa852.shtml (Zugriff: 11.11. 2015) (Russisch).  Ebd.  Gennadij Kostyrčenko: Tajnaja politika Stalina [Die Geheimpolitik Stalins]. Moskau: Meždunarodnye otnošenija 2001, S. 551.

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In seinen letzten Lebensjahrzehnten führte Weinberg in der Sowjetunion eine Art Schattendasein. Seine Stellung im Musikleben war gewissermaßen paradox: In der Moskauer Musikszene von den Komponisten-Kollegen und von einigen herausragenden Interpreten wie Mstislav Rostropowitsch, Emil Gilels, David Oistrach oder Kirill Kondraschin außerordentlich hoch geschätzt, blieb er breiteren Musikkreisen und der musikinteressierten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Seine Musik wurde nur wenig gespielt, und über siebzig Prozent seiner Werke wurden zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt. Weinberg komponierte Musik zu einigen der bekanntesten sowjetischen Filme, aber sogar diese Tatsache trug nicht zu seiner Popularität bei. Er war ein ausgesprochener Außenseiter, obwohl er Mitglied des sowjetischen Komponistenverbandes war und immerhin einige offizielle Ehrungen entgegennehmen durfte. Über 50 Jahre lang lebte Weinberg in Moskau, dennoch befand er sich quasi in einer Parallelwelt: er beteiligte sich nicht an dem gängigen Musikbetrieb, dem Verteilungskampf um Aufträge und Privilegien, Auslandsreisen und Publikationen. Er war jüdisch, trat nicht der Kommunistischen Partei bei und sprach Russisch mit einem ausgeprägten ausländischen Akzent. Wenn man schließlich bedenkt, dass Weinberg ein ungewöhnlich bescheidener und zurückhaltender Mensch war, erklärt es vielleicht zumindest zum Teil, warum ein Komponist, dessen Werk gegenwärtig eine schnell wachsende Anerkennung und Bewunderung rund um die Welt genießt, zu seinen Lebzeiten derart vernachlässigt wurde. Er kümmerte sich selbst nicht um die Verbreitung seiner Werke – er bekannte einmal, dass das Schicksal seiner Werke ihn nach deren Vollendung kaum mehr interessiere. Stattdessen arbeitete er konzentriert, Hunderte von Kompositionen in allen Gattungen aus seiner Feder sind der beste Beweis dafür. Weinbergs Lebensabend war durch eine schwere, unheilbare Krankheit geprägt, die letzten drei Jahre konnte er sein Haus nicht mehr verlassen. Als er im Februar 1996 starb, wurde sein Tod in Russland wie auch im Ausland kaum wahrgenommen. Zwei Tage vor seinem Tod hatte Weinberg in einem Gespräch besonders bedauert, dass er seine Oper „Die Passagierin“, deren Handlung in Auschwitz spielt, nie auf der Bühne sehen konnte. Diese Oper war 1968 entstanden und wurde – wie so viele andere Werke Weinbergs – zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt. Dies hatte aber noch einen besonderen Hintergrund. Obwohl die Oper kurz nach ihrer Vollendung am Bolschoi-Theater angenommen worden war und sogar die Proben schon begonnen hatten, wurde die geplante Aufführung verboten: in der Sowjetunion durfte der Holocaust in keiner Weise öffentlich thematisiert werden. Erst 2006 fand in Moskau eine erste konzertante Darbietung der „Passagierin“ statt. Ihre szenische Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen 2010 markierte einen vorläufigen Höhepunkt der internationalen Wiederentdeckung von Mieczysław Weinberg, die wenige Jahre nach dessen Tod einsetzte.

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3 Sonate op. 28 für Klarinette und Klavier Für Weinberg, der im jüdischen Milieu Warschaus und in jiddischer Sprachatmosphäre aufgewachsen war, wurden Elemente jüdischer traditioneller Musik zum organischen Teil seiner eigenen musikalischen Sprache. Jüdische Motive und Rhythmen sind in vielen seiner Kompositionen zu finden. Sie erscheinen jedoch fast nie im unmittelbar folkloristischen Kontext. Vielmehr werden sie bei Weinberg – übrigens genauso wie bei Schostakowitsch – eher als musikalische Symbole verwendet. Die Assoziationen, die mit solchen symbolhaften Elementen verknüpft sind, haben also keinen eindeutigen und allgemein festgelegten Charakter (wie etwa die heutige Klezmer-Musik, die mit dem in die Vergangenheit projizierten Bild des „Ostjuden“ verknüpft wird), sondern basieren vielmehr auf subjektiven Eindrücken und vermitteln vielschichtige Konnotationen. Meistens wird das Jüdische bei Weinberg vor allem mit tragischen Assoziationen verbunden.Viele seiner Werke sind mit der Geschichte der Juden und mit dem Andenken an seine im Holocaust ermordete Familie verbunden. Das Jüdische ist in Weinbergs Musik auf verschiedenen Ebenen vertreten. Es sind zum einen melodische und rhythmische Elemente, die einen direkten Zusammenhang mit der jüdischen traditionellen Musik aufweisen. Des Weiteren sind es Strukturen, die auf die polnisch-jüdische Musikkultur im breiteren Sinne Bezug nehmen. Dazu gehören charakteristische Gattungen und Formen der polnischen populären Musik zwischen den Weltkriegen – einer musikalischen Kultur, die überwiegend von Juden gestaltet wurde und eine Art polnisch-jüdische musikalische Symbiose darstellte. Schließlich können bestimmte – hauptsächlich düstere und dramatische – musikalische Bilder und Assoziationen als jüdisch definiert werden, die sich auf das jüdische Erlebnis des Krieges und der Katastrophe des Holocaust beziehen. Eines der interessantesten Beispiele für Weinbergs Auseinandersetzung mit jüdischen musikalischen Elementen ist seine Sonate op. 28 für Klarinette und Klavier. Bereits das erste Thema des ersten Satzes Allegro im Klavier, das der Einleitungskadenz der Klarinette folgt, verbindet einige charakteristische Eigenschaften des jüdischen Melos, ohne allerdings zunächst explizit jüdisch zu klingen: die melodische Linie entwickelt sich aus einem simplen Kern (der in diesem Fall eine kleine Terz umfasst), einzelne Motive werden mehrmals wiederholt, wobei sie durch kleinste Veränderungen variiert werden, der Satz ist grundsätzlich einstimmig mit minimalen Untermalungen und die dramatische Steigerung wird durch die Änderung des Modus begleitet. Gerade auf dem Höhepunkt des melodischen Bogens wird der jüdische Klang durch die erniedrigten Stufen des Modus, vor allem aber durch das schmerzhafte Motiv mit mehrfachen Wiederholungen des

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Tones a (genetisch mit psalmodischen Formen in der jüdischen liturgischen Musik verbunden) plötzlich deutlich erkennbar. Ähnliche Eigenschaften zeichnen auch das Hauptthema des zweiten Satzes Allegretto aus. Dieses Thema ist ein Marsch, der zunächst harmlos wie ein Kindermarsch erscheint. Lediglich im Klavier irritieren die leicht betonten Dissonanzen. Erst allmählich wird die Musik aggressiver und offenbart das Maschinenhafte, Unmenschliche. Die Struktur der Melodie ist paradox: sie beinhaltet sowohl die Bedrohung als auch die Reaktion darauf – Klage und ängstliches Flehen. Genauso wie im ersten Satz bildet das Thema einen Bogen. Der Anfang wirkt wie eine Fanfare, daran schließt sich aber ein unverkennbar jüdisches Motiv mit seinen erniedrigten Stufen und mehrfachen Wiederholungen der gleichen kurzen Intonation an. Auf dem ersten Höhepunkt der dramatischen Entwicklung des Allegretto wird dieses jüdische Motiv herausgelöst und bildet die Grundlage eines verzweifelten Monologs der Klarinette. Der Mittelteil des Satzes beginnt mit einem ausgedehnten und nur sehr sparsam begleiteten Solo der Klarinette, das fast improvisationsartig wirkt und in der Tat von Klezmer-Improvisationen mit dem charakteristischen „Krächzen“ (ein jiddisches Wort, das die schluchzartigen Glissandi bezeichnet) inspiriert zu sein scheint. Die Klarinette singt sich das ganze Leid von der Seele, während das Klavier quasi unbeteiligt und mechanisch bleibt und stur gegen den die Taktzwänge erfolglos zu überwinden versuchenden Solisten agiert. Nach einem Moment der Erstarrung steigt die Spannung fast ins Unerträgliche, und an dieser Stelle erscheint im Klavier das Fanfaren-Motiv des Hauptthemas, das aber hier plötzlich „jüdisch“ umgedeutet wird. Die Tonart dieses Motivs ändert sich vom hellen Dur zum harmonischen Moll mit der typischen übermäßigenden Sekunde, der punktierte Rhythmus verschwindet, und so wird aus dem Marsch ein jüdischer Tanz Frejlachs oder eher ein kurzer Gedanke an einen Frejlachs inmitten der Barbarei und Zerstörung. Denn die Melodie leuchtet nur für vier Takte durch, um dann schnell von laut polternden und rhythmisch konträren Klängen in der linken Hand erdrückt zu werden. Sehr ungewöhnlich ist die Struktur des letzten Satzes der Sonate Adagio. Er besteht hauptsächlich aus sich abwechselnden Kadenz-Stellen beider Instrumente, die hier nur selten zueinander finden. Nach einer schwermütigen Einleitung führt das Klavier eine rezitativische, fast unbegleitete Melodie von ungeheuerlicher Dramatik aus. Diese Melodie wirkt von Anfang an jüdisch nicht nur durch strukturelle Merkmale, sondern auch durch die verwendeten Motive. Obwohl der Klaviersatz praktisch nur aus der Melodie besteht und somit eher dünn ist, ist die Spannung so stark, dass eine weitere Steigerung zunächst undenkbar erscheint. Dennoch setzt die Klarinette mit ihren Solo-Improvisationen noch einen drauf. Der Abschluss des knappen Satzes ist ein konsequenter Ausklang. Es ist erneut ein für Weinberg typischer Schluss: der Konflikt wird nicht gelöst, kann

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nicht gelöst werden, alles löst sich nur in einer herbeigesehnten Stille auf. Es ist der Hauch der Zeit oder der Zeitlosigkeit, der endlich den ersehnten Frieden bringt.

4 Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 op. 67 Diesen friedvollen Abschluss würde man in der Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 op. 67 allerdings vergeblich suchen. Die Sonate wurde 1958 komponiert und drei Jahre später von Mstislaw Rostropowitsch uraufgeführt. Die späten 1950er und die 1960er Jahre waren die Zeit der intensivsten öffentlichen Rezeption von Weinbergs Musik zu seinen Lebzeiten. Er selbst bezeichnete diese Zeit als seine „Star-Jahre“. In jedem Fall waren es einige Star-Musiker, die seine Kompositionen damals verbreiteten. Rostropowitsch hatte die Premiere von Weinbergs Konzert für Violoncello und Orchester 1957 gespielt: dieses 1948 vollendete Werk musste wegen der politischen Umstände – der „antiformalistischen“ Kampagne von 1948 sowie Weinbergs späterer Inhaftierung – neun Jahre darauf warten. Es war auch Rostropowitsch, der die ihm gewidmete 1. Sonate für Violoncello solo als erster spielte. Das gute Verhältnis der beiden Musiker wurde Mitte 1970er Jahre im Zusammenhang mit der Solschenizyn-Affäre zerrüttet: im Gegensatz zu Rostropowitsch lehnte Weinberg eine politische Konfrontation mit der Sowjetmacht ab. Die Sonate Nr. 2 für Violoncello und Klavier gehört wohl zu den bedeutendsten Werken dieser Gattung im 20. Jahrhundert. Sie besteht aus drei Sätzen, von denen der letzte der gewichtigste ist. Der erste Satz Moderato wirkt zunächst fast episch. Das erste Thema im erzählerischen Tonfall wird durch das zweite düstere Thema abgelöst, das mit seinem rezitativischen Charakter und charakteristischen Motiven vom synagogalen Melos inspiriert sein mag. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung, die zunehmend dramatische Züge annimmt, erklingt eine dissonante Akkordfolge, die fast schmerzhaft wirkt. Der zweite Satz Andante ist im Barkarole-Rhythmus komponiert, jedoch will sich keine passende gelöste Stimmung einstellen. Im Gegenteil: schon die erste Durchführung des Themas klingt eher beklemmend. Ein großer Teil des Satzes wird äußerst verhalten, zum Teil pianissimo intoniert, die Musik kreist quasi um sich selbst. Die pizzicato-Stelle im Violoncello und die entsprechende Passage im Klavier machen endlich deutlich, worum es hier geht: es ist die Angst der Menschen, sich laut zu artikulieren, eine alles paralysierende Furcht. Doch plötzlich bricht das angestaute Leid heraus: dieselben Themen, die gerade noch pianissimo gespielt wurden, werden nun auf eine polyphone Weise verknüpft und von beiden Instrumenten mit aller Kraft vorgetragen. Dieser Ausbruch, der wie ein Akt der Verzweiflung anmutet, dauert aber nicht lange und die bedrückende Stimmung des Anfangs kehrt am Ende des Satzes wieder zurück.

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Im dritten Satz Allegro wird das Hauptthema zunächst im Klavier vorgestellt, es ist ein fröhlicher, augenzwinkernder Tanz in der Art der jüdischen KlezmerMusik. Man kann sich dabei eine aus zwei Musikanten – einem Fiedler und einem Bass-Spieler – bestehende Klezmer-Kapelle lebendig vorstellen. Das Nebenthema ist ebenfalls tänzerisch, dieses Mal ist es aber eher ein schlichter Bauerntanz. In der weiteren Entwicklung kommt die Musik von diesen folkloristischen Bezügen immer weiter ab, die Stimmung wird immer dramatischer. Schließlich werden die volkstümlichen Melodien von einem gewaltigen Wirbelsturm erfasst, der alles zu zerstören droht. Der Satz und somit die ganze Sonate enden – oder besser gesagt: brechen ab – auf dem Gipfel dieser rasenden Bewegung, die zuletzt noch von den dissonanten Akkorden aus dem ersten Satz begleitet und angepeitscht wird.

5 Klavierquintett op. 18 Das Klavierquintett op. 18 entstand 1944 als eines der ersten Werke Weinbergs nach seiner Übersiedlung nach Moskau. Es wurde am 18. März 1945 in Moskau von herausragenden Interpreten uraufgeführt: dem Pianisten Emil Gilels und dem Bolschoi-Theater-Quartett – eine große Ehre für den jungen Komponisten und Neuling in der Moskauer Musikszene. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Weinbergs Hinwendung zu dieser Kammermusikgattung unmittelbar durch den Beginn der Freundschaft mit Dmitri Schostakowitsch inspiriert wurde, dessen Klavierquintett von 1940 in der sowjetischen Musik verständlicherweise Maßstäbe setzte. In der Tat fällt auf, dass beide Klavierquintette fünf Sätze haben und somit das klassische viersätzige Schema verlassen. Diese Ähnlichkeit ist allerdings rein äußerlich, denn Weinbergs Konzept hat mit dem von Schostakowitsch ansonsten nichts zu tun. Der erste Satz Moderato con moto ist durch das gesangliche Eingangsthema in breiten Intervallen geprägt. Das kontrastierende Element ist ein marschartiges Thema auf wiederholten Tönen, das zunächst harmlos wie ein Marsch der Zinnsoldaten wirkt, jedoch sehr bald sein aggressives Potential offenbart. Diese beiden Elemente – das gesangliche und das auf einem wiederholten Ton stockende – bestimmen die motivische Dramaturgie auch in den folgenden Sätzen des Klavierquintetts. Das Thema des zweiten Satzes Allegretto – eines Scherzos – vereinigt von Anfang an diese beiden Elemente: ein beschwingt daherfliegendes Motiv gerät schon im zweiten Takt ins Stocken auf einem wiederholten Ton. Die rastlose Musik dieses Satzes nimmt im weiteren Verlauf zunehmend bedrohliche Züge an, es kommen einem Bilder aus Dantes „Inferno“ in den Sinn – die vom Höllensturm umhergejagten Seelen der Sünder.

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Dem Scherzo folgt mit dem dritten Satz Presto ein weiteres. Hier stehen zwei Walzerthemen im Mittelpunkt: ein ausgelassener, fast vulgärer Walzer und ein seltsam gebrochener, in einem unregelmäßigen Takt zerquetschter walzerähnlicher Tanz. Der langsame vierte Satz Largo ist der dramatische Höhepunkt der ganzen Komposition. Er beginnt mit einem unerbittlichen Unisono-Thema, das von allen fünf Instrumenten in mächtigen Oktaven intoniert wird. Dieses Thema erinnert in seinem Aufbau an das Lied „Brief des Waisen“ aus Weinbergs ein Jahr zuvor entstandenem Vokalzyklus „Sieben jiddische Lieder“ op.13 (in diesem Lied schreibt ein Waisenkind einen Brief an seine verstorbene Mutter, in dem es sich bitterlich über sein Los beschwert). Dieses Thema wird durch ein klagendes Rezitativ der ersten Violine abgelöst, dem wiederum ein ausgedehntes Klavier-Solo folgt – an dieser Stelle sind Einflüsse jüdischer Musik (speziell der synagogalen Rezitative) deutlich erkennbar. Der fünfte Satz Allegro agitato, das Finale, beginnt mit einem energiegeladenen Thema, das in seiner Verbindung von insistierenden Tonrepetitionen und kurzen wiederholten Motiven Assoziationen mit einer unheimlichen Zugfahrt hervorruft. Das zweite Thema wirkt dagegen zunächst unbeschwert und volkstümlich wie auf einer Fiedel gespielt. Bei der zweiten Durchführung der beiden Themen wird es jedoch entstellt und gerät sozusagen „unter die Räder“ des ersten Themas. Als die Musik fast schon unerträglich brutal wird, setzt plötzlich eine Reminiszenz aus dem ersten Satz des Quintetts ein – die Stimmung beruhigt sich allmählich und auch das erneut wiederkehrendes „Eisenbahn“-Thema erscheint wie erstarrt – eine Zugfahrt ins Nichts…

6 Klaviertrio op. 24 Das Klaviertrio op. 24 wurde 1945 komponiert und ist Weinbergs jungen Frau Natalia gewidmet. Auch dieses Werk ist möglicherweise durch Schostakowitschs nur ein Jahr zuvor entstandenes Klaviertrio (zum Andenken an Iwan Sollertinski) inspiriert. Derartige Parallelen sind zahlreich im Schaffen der beiden Komponisten und die Einflüsse sind gegenseitig. In diesem Fall haben aber beide genannten Werke außer der viersätzigen Anlage wiederum kaum etwas gemeinsam. Der erste Satz des Trios von Weinberg besteht seinerseits aus zwei Teilen: Präludium und Arie. Der Beginn des „Präludiums“ und somit der ganzen Komposition ist bezeichnend: das Klavier versucht sich gegen den endlos wiederholten und mit ganzer Kraft von den Streichern intonierten A-Dur-Akkord durchzusetzen. Dieser Akkord klingt trotz der hellen Tonart alles andere als heiter, sondern wirkt wie ein Symbol der sturen Gewalt. Die folgende „Arie“ – ein Solo der Violine, nur

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sehr spärlich von Klavier unterstützt, – ist ein wunderbares Zeugnis von Weinbergs melodischer Begabung. Der zweite Satz Toccata erfüllt die Funktion eines Scherzos und ist von der jüdischen instrumentalen Musik beeinflusst. Zumindest erinnert das von Streichern abwechselnd vorgetragene tänzerische Thema mit charakteristischen Vorschlägen und aufstampfenden Motiven an traditionelle Klezmer-Musik aus Osteuropa. Dieser Tanz ist allerdings weder fröhlich noch unbekümmert, er mutet wie ein verzweifeltes Aufbäumen gegen die wuchtigen Akzente und das wilde Drängen der Quintolen im Klavier an. Der dritte langsame Satz Poem beginnt mit einer dramatischen improvisationsartigen Solo-Kadenz im Klavier. Ihr folgt eine wundersam schöne Melodie, die zunächst vom Cello vorgetragen wird – wie ein trauriger Monolog, eine Erzählung über das Vergangene. Diese Melodie bildet jedoch dann die Grundlage einer dramatischen Steigerung, die von schluchzenden „jüdischen“ Motiven begleitet wird. Der letzte Satz Finale wird mit einem einstimmigen Thema im Klavier eröffnet, das in seiner Unbekümmertheit die folgenden Abgründe und dramatischen Kollisionen kaum erahnen lässt. Auch in diesem Satz kommen tänzerische Motive im Klezmer-Stil vor, die jedoch verfremdet und entstellt sind. Am Ende des Satzes wird eine Reminiszenz aus dem Anfangssatz (dem „Präludium“) eingeflochten – ähnlich wie in Weinbergs Klavierquintett oder dem 2. Klaviertrio von Schostakowitsch bildet sie gleichzeitig den formalen Bogen der ganzen Komposition. Das Klaviertrio endet dann in einer aufgehellten und beruhigten Stimmung mit einem Choral-Thema aus dem dritten Satz (dem „Poem“) – ein für Weinberg typischer „versöhnlicher“ Abschluss: trotz allem wird der innere Frieden wiederhergestellt.

7 Sonate Nr. 3 op. 135 für Viola solo Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, dass die späten Werke Weinberg bei Musikwissenschaftlern eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen: „Die Strukturen sind komplexer und schwieriger zu durchhören, da die thematische und formale Prägnanz erheblich reduziert ist,“ schreibt etwa Friedrich Geiger in einem Artikel über die späten Streichquartette.¹⁵ Die Musiksprache Weinbergs ist in jedem Fall seit den späten 1970er Jahren weniger kommunikativ geworden – sie hat sich gewissermaßen parallel zu seiner persönlichen Situation verändert: in seinen letzten Lebensjahren hatte er eben-

 Friedrich Geiger: Ideologie und Autonomie. Mieczysław Weinbergs Streichquartette. In: Sapper / Weichsel (Hrsg.): Mieczysław Weinberg: Eine Chronik in Tönen, S. 107.

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falls immer weniger Kommunikation mit der Außenwelt. Die Behauptung, seine Musik sei weniger prägnant geworden, ist dagegen kaum nachvollziehbar. Die Klangwelt des späten Weinberg ist nicht weniger plastisch und ergreifend, sie packt den Zuhörer aber weniger direkt – sie ist eher verschlossen, in sich gekehrt, man muss sich mehr anstrengen, um in diese Welt einzudringen und sie zu begreifen. Doch dann öffnen sich Bilder, die genauso ausdrucksvoll und berührend sind, wie in seinen früheren Werken. Das gilt auch für die 1982 komponierte Sonate Nr. 3 op. 135 für Viola solo – eine von vielen Kompositionen für Solo-Instrumente, die Weinberg in den 1970er und 1980er Jahren schuf. Die gewaltige, über eine halbe Stunde lange Komposition besteht aus fünf Sätzen, die ebenso wenig wie das 15. Streichquartett etwas mit dem klassischen Sonatenschema zu tun hat. Der erste Satz ist eine Toccata, die in ihrem Gestus an barocke Formen anknüpft. Der zweite Satz ist von mehreren unterschiedlichen Themen geprägt, die alle einen eindeutig jüdischen Charakter haben. Die jüdischen Motive werden hier allerdings noch mehr als etwa in Weinbergs Klaviertrio abstrahiert und in eine eigentümlich entrückte Atmosphäre eingehüllt. Diese Klänge sind kein Anlass für dramatische Ausbrüche mehr, sondern muten wie eine ferne liebevolle Erinnerung an. Der dritte Satz ist ein perpetuum mobile, das immer wieder durch hässliche Dissonanzen, mühsame Akkorde und Intervallsprünge unterbrochen wird. Die Musik wirkt, als ob der Komponist sich selbst damit etwa fragen würde: „Das ist das irdische Leben mit allen seinen Mühen, der lächerlichen Eitelkeit und Unrast – ist es denn wert, sich daran zu beteiligen?“ Der vierte Satz ist ein langer, introvertierter,verhaltener Monolog, der auf einem in unzähligen Variationen immer wieder zurückkehrenden liedhaften Motiv basiert, – als ob erfolglos versucht wird, sich an ein altes, aus früheren Zeiten bekanntes Lied zu erinnern. Einzelne Phasen dieser „Suche“ werden durch das eingangs präsentierte Motto aus vier weit voneinander entfernten Tönen gegliedert. Der kapriziöse letzte, fünfte Satz basiert zunächst auf zwei tänzerischen Motiven jüdischen Charakters. Später gesellt sich ein anderes, ebenfalls jüdisches Motiv mit den charakteristischen „schluchzenden“ Vorschlägen und Glissandi dazu. Ein weiteres Tanzmotiv wirkt mit seinen schwer stampfenden dissonanzreichen Akkorden und Sprüngen eher ungelenk bäuerlich. Es erinnert in der Tat an Bartók. Nach der Rückkehr der ersten „jüdischen“ Themen erscheint noch ein neues Tanzmotiv, das dieses Mal Assoziationen mit synkopierten polnischen Tänzen hervorruft (wie etwa dem Krakowiak). Alle diese Bilder passieren gleichsam Revue vor dem inneren Auge des Komponisten, ohne dass sie dabei Anlass für eine konsequente dramatische Entwicklung werden würden. Dennoch

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lässt die Spannung dieses verhältnismäßig sehr langen (über 10 Minuten) und kaleidoskopartigen Satzes nie nach. Erst gegen Ende wird die Stimmung plötzlich aufgeregt – die tänzerischen Motive verschwinden allesamt bzw. sie werden durch eine ganz und gar fremde, mechanische Musik verdrängt, mit der die Sonate schließlich beendet wird.

8 Eine jüdische Oper? Die jüdischen Bezüge von „Wir gratulieren“ „Masel tov“ – so lautet ein jiddischer Ausdruck, der in etwa dem deutschen „Glückwunsch“ entspricht. Er ist in manche andere Sprachen eingegangen und ist auch vielen Nicht-Juden bekannt. „Masel tov“ nannte Scholem Aleichem eines seiner Bühnenstücke, das in Russland insbesondere durch die Aufführung im Staatlichen Jüdischen Theater in Moskau populär wurde. Das Schauspiel wurde dort 1921 mit Bühnenbildern von Marc Chagall und mit dem legendären Schauspieler Solomon Michoëls als Reb Alter erstmals präsentiert und blieb bis in die 1930er Jahre hinein im Repertoire. Sehr wahrscheinlich wurde das Stück auch in jiddischen Theatern im Warschau der 1930er Jahre gespielt, so dass Weinberg es schon damals kennenlernen konnte. Als Weinberg seine Kammeroper in den 1970er Jahren schrieb,¹⁶ war die jiddische Sprache in der Sowjetunion allerdings schon längst kein Kulturfaktor mehr. Die Werke von Scholem Aleichem waren zwar – im Unterschied zu vielen anderen jiddischen Dichtern – nicht verboten, sie waren aber nur noch in russischer Sprache zugänglich. An eine Oper in Jiddisch, Weinbergs Muttersprache und der Originalsprache der literarischen Vorlage,war nicht zu denken; eine jiddische Oper hätte sogar im liberalen Moskauer Kammermusiktheater,wo die Oper 1983 uraufgeführt wurde, keine Chance. So musste Weinberg auch den Titel seines Werks auf Russisch wenig passend mit „Pozdravljaem“ ([Wir] gratulieren) übersetzen, da es im Russischen keinen Ausdruck gibt, der dem „Glückwunsch“ gleichkäme. Nach der zweimaligen Übersetzung – aus dem Jiddischen ins Russischen und aus dem Russischen ins Deutsche – kann im Text der Oper von Scholem Aleichems Sprache leider nicht mehr viel übrig bleiben. Am ehesten bleibt das Jiddische in den vielen kreativen Flüchen erkennbar, die heftig klingen und doch nicht ganz ernst genommen werden können, weil sie so unterhaltsam sind. Jüdische Flüche („Sollen Dir alle Zähne ausfallen – bis auf einen – für Zahnweh!“) sind bekanntlich eine der Gattungen des jüdischen Humors. Ein Folklore-Fachmann schreibt dazu:  Die Oper wurde 1975 begonnen und 1983 in Moskau uraufgeführt.

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„Von den vielen Völkern und Gruppen, die ich in den letzten 45 Jahren untersucht habe, sind die osteuropäischen Juden Weltmeister im Fluchen. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens wurden sie jahrtausendelang verfolgt und hatten im Gegensatz zu den heutigen Israelis keine Waffen, um sich zu verteidigen, deshalb haben sie Wörter als Waffe benutzt. Zweitens kann Jiddisch seine verbale Munition aus drei Sprachgruppen schöpfen: aus dem Deutschen, den slawischen Sprachen und dem Hebräisch-Aramäischen. Dazu kommt Intelligenz und Scharfsinn.“¹⁷ Dennoch ist die jiddische Sprache für die Oper „Wir gratulieren“ ungemein wichtig geblieben. Die jiddische Sprachmelodie prägt einen großen Teil ihres musikalischen Materials. Das Jiddische ist eine Sprache mit vielen Diphthongen und trotz ihrer Nähe zum Deutschen sehr vokalbetont. Das Herabgleiten der Intonation auf Vokalen ist letztlich ein Grund für die charakteristischen herabfallenden Sekunden in den Melodien von vielen jiddischen Volksliedern, die oft einen melancholischen Ausdruck vermitteln. Das osteuropäische jüdische Melos war vom Jiddischen geprägt, dessen trochäischer „Grundrhythmus“ mit der stark betonten ersten Silbe sich von den jambischen Strukturen der hebräischen Sprache wesentlich unterscheidet. Die Oper „Wir gratulieren“ ist eines der wenigen Beispiele für das Humoristische in Weinbergs „jüdischen“ Kompositionen. Es ist allerdings – wie generell im jüdischen Humor üblich – kein unbeschwertes Lachen, sondern eher das berühmte „Lachen durch Tränen“. Das Lustige und das Traurige stehen in der Oper nah beieinander. So wird der erste Akt – ziemlich unvermittelt – mit einem Epitaph beendet, dessen Text Weinberg der „Inschrift für mein Grabdenkmal“ von Scholem Aleichem entnommen hat: „Hier wurde ein einfacher Jude begraben, der ein Dichter aus dem Volke war. Er schrieb sein Leben lang für einfache Leute. Die Welt der Großen lachte er aus und verhöhnte sie. Diese Welt hat sich allerdings nichts daraus gemacht, der Dichter blieb aber stets unglücklich. Und wenn alle Menschen von Herzen lachten und ihren Kummer vergaßen, musste er insgeheim weinen.“ Dieses Epitaph bildet seinerseits eine Art Präludium für die ausgelassene Verlobungsfeier der Dienstleute im zweiten Akt. Im Zentrum dieser Feier steht das populäre jiddische Volkslied „Zehn brider sajnen mir gewesen“ [Zehn Brüder waren wir]. Der Text des Liedes ist eine Geschichte von zehn Brüdern, die verschiedenen Handel treiben, wobei jedes Mal einer der Brüder stirbt. Letztlich bleibt nur ein Bruder übrig, der nun mit Kerzen handelt und dabei „jeden Tag vor Hunger stirbt“. Diese zutiefst pessimistische Geschichte mit der sich stetig vermindernden Zahl der Brüder ist zugleich eine Art Verballhornung von manchen,

 Max Fellmann: „Kruzifix Sakrament Hallelujah!“. Interview mit Reinhold Aman. In: SZ-Magazin 49 (2011), S. 13.

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insbesondere chassidischen Liedern, die mit jeweils ansteigender Zahl religiöse Symbole besingen. Das Lied von Elend und Tod, „Zehn brider sajnen mir gewesen“, wird in der Oper aber als „lustiges Liedchen“ bezeichnet und mit großer Begeisterung von den beiden Verlobungspaaren intoniert. Nachdem fast alle Brüder schon tot sind, geraten die handelnden Personen geradezu in Verzückung und schreien: „Weiter! Das wird lustig! Weiter!“ Der Text des Volksliedes wird in der Oper fast genau wiedergegeben, am Schluss wird der letzte noch am Leben gebliebene Bruder allerdings zum Bücherkolporteur – ganz offensichtlich ist damit Reb Alter gemeint. Das Singen endet mit einem ausgelassenen Tanz, einer Mischung aus dem jüdischen Frejlachs und einem Galopp, dem unmittelbar die Katastrophe folgt: die plötzlich erscheinende „Madame“ wirft die frisch Verlobten aus ihrem Haus heraus. Dieses Nebeneinander von Lebensfreude und Todesangst, von Humor und Verzweiflung, diese Art von (Selbst)ironie und Galgenhumor gehörte zu den wesentlichen Eigenschaften der ostjüdischen Kultur. Die Welt dieser Kammeroper von Weinberg hat nicht viel mit dem berühmten „Milchmann Tewje“ zu tun. Weder finden wir uns hier in einem „authentischen“ jüdischen Schtetl wieder, noch können die Protagonisten der Oper mit Tewjes Weisheit, seinem Humor oder Geistesreichtum mithalten. Die handelnden Personen erscheinen eher beschränkt und parodistisch. Es sind Dienstleute, die ihre Herrschaften und deren Lebensweise verachten und doch gern genauso wie diese leben würden. Arme Leute, die „einmal reich werden“ möchten, um dann den ganzen Tag „Karten zu kloppen“ und „sommers ins Ausland“ zu fahren. Die geistige Enge findet ihr symbolisches Äquivalent im Ort der Handlung, die von Anfang bis zu Ende in einer Küche verläuft. Aus dieser Küche eröffnen sich aber Perspektiven auf ganz andere, fremde Welten – und so kann die Küche zum Beispiel plötzlich mit dem „Palast des Grafen Salim, im Land, wo die Zitronen blühen“ korrespondieren. Diese Parallelen sind so unpassend, dass sie nicht mehr nur lustig, sondern fast grotesk wirken. Kaum ein anderer musikalischer Stil könnte sich besser für eine solche Groteske eignen als die jüdische Klezmer-Musik. Ein anderer Moskauer jüdischer Komponist, Michael Gnesin, der 50 Jahre vor Weinberg seine Bühnenmusik für Vsevolod Meyerholds Aufführung von Gogols „Revisor“ schuf (mit der bekannten Suite „Das jüdische Orchester auf dem Ball bei dem Bürgermeister“), schrieb in diesem Zusammenhang über die bemerkenswerte Fähigkeit der Klezmer-Musikanten, fremdartige Melodien und Tanz-Rhythmen an die Besonderheiten jüdischer Musik anzupassen: „Motive, die dem volkstümlichen jüdischen Geist fremd waren, wurden nach einer ‚Bearbeitung‘ durch Klezmer-Kapellen sowohl in ihrer klanglichen Struktur, als auch hinsichtlich ihrer Expressivität beträchtlich verändert. […] Wenn das Material für eine solche Transformation gar nicht geeignet

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war, entstand ein humoristischer Effekt. Manchmal schien dieser witzige Effekt sogar beabsichtigt zu sein. Das ist gerade ‚ein Lachen durch Tränen‘.“¹⁸ In Weinbergs Musik scheint das ebenfalls wohl beabsichtigt zu sein. So werden die Tanzrhythmen, die der jüdischen Musik denkbar fremd sind – wie etwa Walzer, Polka oder Galopp – mit jüdischen Intonationen durchdrungen. An einigen Stellen wird sogar ein „quasi-Zitat“ von Bach mit jüdischen modalen Wendungen in den Gesangsstimmen kombiniert. Parodistisch erklingt auch das einzige wirkliche musikalische Zitat der Oper – das Motiv des russischen Liedes „Oči čërnye“ (Schwarze Augen). Natürlich beschränkt sich das „Jüdische“ in Weinbergs Kammeroper nicht auf das Parodieren von fremdartigen Elementen. Insbesondere in der Partie von Reb Alter werden zum Beispiel Motive benutzt, die an biblische Kantillationen erinnern. In der Regel aber weist Weinbergs Melodik charakteristische Eigenschaften des jüdischen Melos auf, ohne dabei sogar stets explizit jüdisch zu klingen, wie zum Beispiel die Entwicklung der Phrase aus einem einfachen melodischen Kern, die mehrmalige leicht variierte Wiederholung einzelner Motive und so weiter. Besonders bezeichnend ist in dieser Hinsicht das Lied über die „Zehn Brüder“, das den ganzen 2. Akt dominiert: zu dem folkloristischen Text schuf der Komponist eine eigene Melodie, die mit der Volksliedmelodie nichts zu tun hat und dennoch absolut stilgetreu und authentisch wirkt. Die russische Musikwissenschaftlerin Ljudmila Nikitina schrieb in ihrem Buch „Weinbergs Symphonien“: „Im emotionalen Aufbau der Musik Weinbergs gibt es viel Gemeinsames mit der Welt der einfachen und anrührenden Personen von Scholem Aleichem. Das ist die Welt der geistigen Güte, der Begeisterung und des Mitgefühls mit dem Kummer der Verfolgten, die Welt der weisen Menschenliebe.“¹⁹

 Michail Gnesin: O jumore v muzyke [Über den Humor in der Musik]. In: Ders., Stat’i, vospominanija, materialy [Aufsätze, Erinnerungen, Materialien]. Moskau: Sovetskij kompozitor 1961, S. 201.  Lyudmila Nikitina: Simfonii M. Vajnberga [Symphonien M. Weinbergs]. Moskau: Muzïka 1972, S. 153 – 154.

Silvana Greco

Soziologie des Judentums in Deutschland: Markante Felder, Perspektiven und Methoden 1 Gründung der Soziologie des Judentums in Deutschland (1900 – 1933) In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jh.s etabliert sich im deutschsprachigen Raum eine institutionalisierte „Soziologie des Judentums“. Unter Soziologie des Judentums versteht man hier das theoretische sowie empirische Studium aus soziologischer Perspektive, das sich mit der jüdischen Bevölkerung, ihrer Kultur, Religion, Identität, Lebensweise und den sozialen Verhältnissen, sowie der Interaktionen mit der nicht-jüdischen Bevölkerung (die Mehrheitsgruppe für die Juden, die in der Diaspora lebten und leben) beschäftigt. Soziologische Forschung und Reflektion über das Judentum fanden sowohl innerhalb wie außerhalb der akademischen Welt statt. Auch politische Aktivisten leisteten einen Beitrag.

2 Beschreibende Studien und quantitative Forschungsmethoden Das erste Forschungsinstitut für derartige Studien war das Bureau für Statistik der Juden. Es befand sich in Berlin und wurde vom Soziologen und Ökonomen Arthur Ruppin (1876 – 1943) gegründet.¹ Arthur Ruppin, in Rawitsch bei Posen geboren, wuchs in einer kleinbürgerlichen, jüdischen Handelsfamilie auf. Nachdem er seine Kindheit und Jugend in Magdeburg verbracht hatte, studierte er Volkswirtschaft und Jura in Halle. 1904 erschien sein erstes Werk mit dem Titel Die Juden der Gegenwart. Eine sozialwissenschaftliche Studie.² Es sollte eine Lücke in der wissenschaftlichen Forschung schließen. In seiner Vorrede erläutert Arthur Ruppin das Ziel des Werkes: „Die

 Arthur Ruppin: Briefe, Tagebücher, Erinnerungen. Königstein, Taunus: Jüdischer Verlag Athenäum 1985.  Arthur Ruppin: Die Juden der Gegenwart: eine sozialwissenschaftliche Studie. Berlin: Calvary 1904. DOI 10.1515/9783110523478-012

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zahlreichen Schriften, die über Juden und Judentum jahrein jahraus erscheinen, bemühen sich mehr zu prophezeien und zu predigen, als darzustellen, mehr zu zeigen was sein soll, als was ist. Demgegenüber war mein hauptsächliches Bestreben, auf Grund der Statistik und eigener Beobachtungen Tatsachen sicherzustellen und auf diese Weise erst einen festen Boden für die Erörterung der vielen Probleme des Judentums zu schaffen“.³ In der Tat beschrieb Ruppins quantitative Forschung mit zahlreichen statistischen Erhebungen viele Facetten der jüdischen Lebensweise: die jüdische Bevölkerung (Wohnsitz, Ehen, Sterbequoten), die Berufe, das geistige Leben (Sprache, Religion, Erziehung und Studiengänge) und die politische Einstellung, insbesondere gegenüber dem Zionismus. Ruppin engagierte sich in der zionistischen Bewegung und hatte die Vision, dass die Soziologie dabei eine wichtige Rolle spielt – sowohl für das deutsche Judentum als auch für den Aufbau der ersten Siedlungen in Palästina. Denn mittels quantitativer Forschungsmethoden und repräsentativer Stichproben wollte die Soziologie des Judentums ein „wahrhaftiges“ Abbild der jüdischen Bevölkerung erstellen – nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch weltweit. Das jüdische Leben in all seiner Vielfältigkeit zu beschreiben, war eine Voraussetzung, um den Traum einer Siedlung in Palästina zu realisieren. Genauso wichtig aber war es auch als Schutz vor Diskriminierung und ein Mittel,Vorurteile gegen Juden zu widerlegen, welche durch den Sozialdarwinismus und Nationalsozialismus in Deutschland (und nicht nur dort) verbreitet wurden. Aus all diesen Gründen etablierte Ruppin gemeinsam mit anderen Gelehrten in Berlin-Halensee das Bureau für Statistik der Juden. Ab Januar 1905 bis 1931 wurde dort unter Ruppins Leitung die monatlich erscheinende Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden herausgegeben. Sie veröffentlichte neben Statistiken auch Abhandlungen über die Anthropologie der Juden von so bekannten Anthropologen wie Felix von Luschan, Maurice Fishberg, Arkadius Elkind und Samuel Weißenberg. Die Zeitschrift enthielt soziologische Beiträge über das Familienleben, das kollektive Leben der Juden im Deutschen Reich und in der Welt, so zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, Kanada und Afrika. Themen waren meist komparative Forschungen über das Familienleben, über jüdische Hochzeiten, Mischehen mit Nichtjuden, die Rolle der Frauen in der jüdischen Gemeinschaft, die Arbeitswelt, die Gesundheit, die Kriminalität, die verschiedenen Institutionen und die jüdischen Gemeinschaften. Um diese intensive wissenschaftliche Tätigkeit zu krönen, veröffentlichte Ruppin zu Beginn der 1930er Jahre sein berühmtes, zweibändiges Werk Soziologie

 Ebd., Vorwort zur ersten Auflage, S. [vi].

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der Juden. Im ersten Band wird die soziale Struktur der Juden behandelt⁴ und im zweiten Band der Kampf der Juden für ihre Zukunft.⁵ Der erste Band beschreibt die Herkunft der Juden, ihre „Rasse“, sowie halbjüdische Sekten. Danach werden im Detail demographische Statistiken über die jüdische Bevölkerung vom 18. Jh. bis in die damalige Zeit erläutert: Wohnorte, Wanderungen, Geburten, Eheschließungen, Mischehen, Ehescheidungen, Sterblichkeit, Altersgliederung und Kriminalität – und schließlich noch die Verteilung der jüdischen Bevölkerung auf die wirtschaftlichen Sektoren Landwirtschaft, Großindustrie, Handel und öffentlichen Dienst. Der zweite Band fokussiert sich auf die zivilen und politischen Kämpfe und Bewegungen, die die Juden seit der Französischen Revolution ausgetragen haben, um eine Integration in die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft, sowie eine entsprechende Staatsbürgerschaft zu erreichen. Es handelte sich dabei um politische, soziale und wirtschaftliche Kämpfe: für bürgerliche Gleichberechtigung, gegen Antisemitismus, um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, und die bessere Stellung am Arbeitsmarkt sowie um eigene Schulen, Theater etc., um die jüdische Kultur und Bildung zu garantieren. Der letzte Teil des Buches war dem Zionismus und der Zukunft der Juden (neue spezielle Kulturaufgaben) gewidmet.

3 Die Frauenfrage Ein wichtiger Beitrag – obwohl nicht immer wissenschaftlich stringent – wurde von der jüdischen Frauenbewegung geleistet, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s entstand. Die Frauen engagierten sich politisch, um die Rolle der jüdischen Frau in der deutschen Gesellschaft zu verbessern.⁶ Eine zentrale Rolle spielte die Gründerin des jüdischen Frauenbunds Bertha Pappenheim (1859 – 1936). Ihr Werk Zur Judenfrage in Galizien erschien im Jahr 1900.⁷ Darin beschreibt sie die schwierigen Lebensbedingungen und die Armut der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Sie unterstreicht, dass der Mangel an intellektueller Ausbildung der jüdischen Mädchen im Vergleich zu den Jungen und die prekären Lebensverhältnisse in Galizien einer der Hauptgründe dafür seien, dass

 Arthur Ruppin: Soziologie der Juden. Erster Band: Die soziale Struktur der Juden. Berlin: Jüdischer Verlag Berlin 1930.  Arthur Ruppin: Soziologie der Juden. Zweiter Band: Der Kampf der Juden um ihre Zukunft. Berlin: Jüdischer Verlag Berlin 1931.  Julius Carlebach (Hrsg.): Zur Geschichte der jüdischen Frau in Deutschland. Berlin: Metropol Verlag 1993.  Bertha Pappenheim: Zur Judenfrage in Galizien. Frankfurt a. M.: Verlag von Gebrüder Knauer 1900.

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jüdische Mädchen sich zur Emigration in deutsche Städte gezwungen sahen, um sich dort zu prostituieren. Laut Bertha Pappenheim sind es soziale, kulturelle und ökonomische Prozesse, vor allem auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Sozialisation und Ausbildung, sowie die erbärmlichen Lebensbedingungen, die zur Prostitution führen – und nicht eine schwache individuelle Moralität. Diese Sichtweise forderte die damalige (aber auch die heutige) Debatte über den Mädchenhandel heraus. In den Jahren darauf reiste Bertha Pappenheim durch Europa und interviewte Prostituierte und Bordellbetreiber, und verschaffte sich weitere Forschungsresultate, um das Übel der Prostitution zu bekämpfen. Kritische Beiträge zur Rolle der jüdischen Frauen in der deutschen Gesellschaft, sowie anderer Ländern, die meist von Mitgliedern des JFV (Sozialarbeiterinnen oder Sozialpädagoginnen wie Hannah Karminski) geschrieben wurden, erschienen auch in der Zeitschrift Blätter des jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit u. Frauenbewegung, die von 1924 bis 1938 das Organ des jüdischen Frauenbundes war.

4 Religionssoziologie und Kultursoziologie Während Ruppin und sein Bureau für Statistik der Juden, sowie einige Exponenten der Frauenbewegung sich auf die Analyse des zeitgenössischen jüdischen Lebens konzentrierten, betrachteten verschiedene akademische Wissenschaftler die jüdische Kultur- und Religionssoziologie aus einer historischen Perspektive. So zum Beispiel Max Weber (1864 – 1920), der große Meister, der die Bibel sozialwissenschaftlich unter die Lupe genommen hat. Die Studie über das Antike Judentum Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Das antike Judentum (Teil 3)⁸ wurde ein Jahr nach seinem Tod abgeschlossen.Webers Werk ist nicht nur deswegen relevant, weil es den Einfluss der biblischen Ethik auf die moderne kapitalistische Mentalität erläutert, sondern auch weil seine Studien das Forschungsfeld der Religionssoziologie vorbereitet haben. Die Religion wirkt nie nur synchron, sondern immer auch diachron: sie lebt von der ständigen Aktualisierung der Vergangenheit, und wir könnten und sollten diese Vergangenheit auch soziologisch betrachten. Zum selben Forschungsgebiet erschien ein Jahr später, 1922, die Doktorarbeit von Erich Fromm (1900 – 1980), der in einer streng religiösen Familie in Frankfurt aufgewachsen war. Titel der Arbeit war Das jüdische Gesetz. Zur Soziologie des

 Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie: III Das antike Judentum. Tü bingen: Mohr Siebeck 1921.

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Diaspora-Judentums. ⁹ Als Doktorvater fungierte Alfred Weber (1868 – 1958), der jüngere Bruder von Max Weber. Ziel von Fromms Dissertation war es, die sozialen Faktoren, insbesondere die Rolle der jüdischen Religion (das jüdische Gesetz) – vom liberalen Judentum bis zum Chassidismus – zu analysieren, die das Zusammenleben und die Solidarität im jüdischen Volk ermöglichten. Eine weitere soziologische Reflektion fokussierte sich auf die Rolle des Judentums und der Juden während der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus. Werner Sombart (1863 – 1941), seit 1906 in Berlin Hochschullehrer und ab 1918 an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin, publizierte im Jahre 1911 sein umstrittenes Werk Die Juden und das Wirtschaftsleben. ¹⁰ Angeregt wurde es von der berühmten „Protestantismus These“ Max Webers, die 1905 erschienen war. Gegen sie polemisiert Sombart.¹¹ Mehrere kulturelle, soziale und wirtschaftliche Faktoren können laut Sombart die besondere Verknüpfung von Kapitalismus und Judentum erklären: die Urbanisierung, die Wanderung der Juden, die Konzentration der Juden im Handel, die Bindung an den Wert des Geldes. Sombart findet aber auch andere Argumentationen für die „jüdische“ Gründung des Kapitalismus: nämlich, dass Juden „ein Wüstenvolk,Wandervolk und heißes Volk“ seien.¹² Karl-Siegbert Rehberg hat betont, dass einige dieser Argumentationen auf Vorurteile verweisen, durchmischt mit „rassentheoretischen Erklärungsmustern“,¹³ obwohl das Werk Sombarts sonst als wissenschaftlich gilt.

5 Soziologie der verschiedenen Formen der sozialen Interaktion zwischen Juden und Nichtjuden Ein wichtiges Forschungsinteresse der Soziologie des Judentums gilt den Wechselwirkungen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, die die Juden als „Fremde“

 Erich Fromm: Das jüdische Gesetz. Zur Soziologie des Diaspora-Judentums. München: Wilhelm Heyne Verlag 1922.  Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben. Leipzig: Duncker & Humblot 1911.  Ebd., S. 132.  Ebd.  Karl-Siegbert Rehberg: Das Bild des Judentums in der frühen deutschen Soziologie. In: Eduard R. Wiehn (Hrsg.): Juden in der Soziologie. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 1989, S. 127– 173, hier S. 132.

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kategorisiert. Georg Simmel hatte den konzeptuellen Rahmen dafür schon in seinem Exkurs über den Fremden geliefert.¹⁴ „Allein hier hat ‚der Fremde‘“, schrieb Simmel 1908, „ keinen positiven Sinn, die Beziehung zu ihm ist Nicht-Beziehung, er ist nicht das, als was er hier in Frage steht: ein Glied der Gruppe selbst. Als solches vielmehr ist er zugleich nah und fern …“.¹⁵ Simmel hat damit eine Außenseiter-Soziologie begründet, die sich sehr früh in eine Soziologie der Diskriminierung, des Judenhasses und des Antisemitismus umwandelte. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch das Buch des Berliner Arztes, Ökonomen und Sozialwissenschaftlers Franz Oppenheimer (1864 – 1943) Der Antisemitismus im Licht der Soziologie (1925).¹⁶ Obwohl Franz Oppenheimer weder ein gläubiger Jude noch Zionist war, hatte er schon während seines Studiums in Berlin Erfahrungen mit dem Antisemitismus gemacht.¹⁷ Für Oppenheimer sind die Ursachen des Antisemitismus nicht auf eine sozialdarwinistische Rassentheorie zurückzuführen, vielmehr zeigen sie zwei soziale und ökonomische Prozesse. Auf der einen Seite gibt es das Bedürfnis, eine Identität aufgrund der Angehörigkeit zu einer spezifischen sozialen Gruppe aufzubauen. Auf der anderen Seite sind es genuin sozialökonomische Faktoren, die Juden seit dem Mittelalter ausgeschlossen haben. Franz Oppenheimer schreibt: Eine der besten Errungenschaften der modernen Soziologie ist die Erkenntnis, in wie ungeheurem Maße der Einzelne von der Lagerung seiner Gruppe abhängig ist: die Lehre vom sozialpsychologischen Determinismus. Jede besondere Gruppe hat zu jeder Zeit je ihr besonderes „Interesse“; sie steht unter dem Druck ihrer Umwelt; dieser Druck bringt sie zum Strömen „vom Ort des höheren sozialen und wirtschaftlichen Drucks zum Ort des geringeren sozialen und wirtschaftlichen Drucks auf der Linie des geringsten Widerstandes.“ Alles was diese Strömung fördert, erscheint den Gruppenmitgliedern kraft eines in der Regel unwiderstehlichen sozialpsychologischen Zwanges als gut, gerecht und vernünftig; und alles, was sich dieser Strömung entgegenstellt, als schlecht, ungerecht und unverständig.¹⁸ In diesem Zusammenhang soll die Antisemitismus-Studie des politischen Aktivisten und Politikers Shlomo Fritz Bernstein (1890 – 1971), in Meinigen geboren, mit

 Georg Simmel: Exkurs über den Fremden. In: Ders.: Soziologie Untersuchungen über die Formen von Vergesellschaftung. Berlin: Duncker & Humblot 1908, S. 685 – 691.  Ebd., S. 690.  Franz Oppenheimer: Der Antisemitismus im Licht der Soziologie. In: Der Morgen. Monatsschrift der deutschen Juden 1,2 (1925), S. 148 – 161.  Klaus Lichtblau (Hrsg.): Franz Oppenheimer. Schriften zur Soziologie. Wiesbaden: Springer 2015, S. 21.  Oppenheimer: Antisemitismus im Licht der Soziologie, S. 148.

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dem Titel Der Antisemitismus als Gruppenerscheinung, Versuch einer Soziologie des Judenhasses¹⁹ zitiert werden. Das Werk wurde im April 1926 in Rotterdam vollendet und in Berlin vom Jüdischen Verlag publiziert. In der damaligen Weimarer Republik, die schon stark von antisemitischen Strömungen geprägt war,²⁰ konnte Bernsteins Forschung kein kommerzieller Erfolg werden. Sie wurde aber in der Nachkriegszeit wiederendeckt – dank ihrer originellen, symbolisch-konstruktivistischen Perspektive, deren Schwerpunkt die emotionale Dimension ist. Bernsteins Erklärung für Ursachen und Entwicklung des Antisemitismus basiert auf drei Hauptthesen. Der Antisemitismus bezieht sich auf die „minderwertige Rasse der Juden“ und nicht auf das gesamte semitische Volk. Sozialkonstruierte Emotionen wie Hass spielen im Antisemitismus eine bedeutende Rolle. Die Hassgefühle würden, so Bernstein, in der Regel nicht individuell den objektiven Erzeugern gegenüber geäußert – sofern es überhaupt welche gibt –, sondern kollektiv, über soziale Gruppen – deren wesentliche Funktion Bernstein in der Distribution von Liebe und Hass sah. Diese Hasssentiments, die der „Antisemit“ gegenüber den minderwertigen Juden hegt, müssen, um aufrichtig zu bleiben, eine Rechtfertigung finden. Diese fußt nicht auf Wahrheit, sondern auf ex ante definierten Theorien – dazu gehören eine Menschenrassentheorie (das Angehören zu einer bestimmten Rasse), die Sprache als Verwandtschaft mit der eigenen „Rassengruppe“, die Bewertung einer Rasse als edel in Vergleich zu einer anderen etc.²¹ Eine wirklich umfassende Soziologie des Antisemitismus hat aber erst die sogenannte Frankfurter Schule entwickelt. 1924 wurde das Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main gegründet. Erich Fromm (1900 – 1980), Theodor Wiesengrund Adorno (1903 – 1969) und Max Horkheimer (1895 – 1973) sind die großen, weltberühmten Namen der freudianisch und marxistisch orientierten kritischen Theorie. Eine genaue Analyse der Haupthemen der Frankfurter Soziologie des Antisemitismus würde die Grenzen dieses Beitrags sprengen. Ich werde mich hier auf die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno beschränken (1944, erst 1947 veröffentlicht),²² welche die spätere Forschung stark beeinflusst hat. Der Antisemitismus wird hier als Re-mythisierung der Gesellschaft nach dem Scheitern der Aufklärung gesehen. „Der Antisemitismus heute gilt den einen als Schicksalsfrage der Menschheit, den anderen als bloßer Vorwand. Für die Faschisten sind die Juden nicht eine

 Fritz Bernstein: Der Antisemitismus als Gruppenerscheinung. Versuch einer Soziologie des Judenhasses. Berlin: Jüdischer Verlag Berlin 1926.  Die erste Auflage von Adolf Hitlers Mein Kampf erschien im Juli 1925.  Bernstein: Antisemitismus als Gruppenerscheinung, S. 16  Max Horkheimer / Theodor Wiesengrund Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Berlin: Suhrkamp 2015 (erste Auflage 1947).

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Minorität, sondern die Gegenrasse, das negative Prinzip als solches; von ihrer Ausrottung soll das Glück der Welt abhängen.“²³

6 1933 – 1945 Liquidierung der Soziologie des Judentums und Entstehung von „pseudo-Forschungsinstituten“ Noch bevor der Nationalsozialismus die Macht übernahm, wanderte der erste Direktor des Bureau für Statistik der Juden, Arthur Ruppin, nach Palästina aus und übernahm 1926 den Lehrstuhl für „Soziologie des Jahrhunderts“ an der Hebräischen Universität Jerusalem. Der zweite Direktor des Bureaus, der jüdische Arzt und Sozialpolitiker Jakob Segall (1883 – 1959), leitete das Bureau noch bis 1933, danach verließ auch er Berlin und ging nach Palästina, wo er erst als Arzt arbeitete und später wieder als Statistiker tätig war. Die letzten Ausgaben der Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden stammen von 1931. Das Bureau für Statistik der Juden wurde von den Nationalsozialisten 1933 geschlossen. Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen flohen aus Deutschland. Andere wurden erst inhaftiert, ehe ihnen die Flucht gelang, wie Jakob Lestschinsky. Wieder andere wurden in die Konzentrationslager deportiert, wie Alexander Gutfeld, der nach Theresienstadt verschleppt wurde.²⁴ Damit endete nicht nur diese erste Phase der soziologischen Forschung über das Judentum außerhalb des akademischen Bereiches, sondern auch die der akademischen Wissenschaftler. Am 13. März 1933 wurde das Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main von der Polizei durchsucht, danach geschlossen und nach vier Monaten von der Gestapo „wegen staatsfeindlicher Bestrebung“ aufgelöst. Die meisten Mitarbeiter flohen nach Genf und von dort nach New York. Von 1934 bis Kriegsende existierte das Institut an der Columbia Universität weiter. Parallel zur Schließung der Forschungszentren, die sich mit dem Judentum beschäftigt hatten, wurden verschiedene „Pseudo-Forschungsinstitute“ gegründet. Ihr Ziel war es, rassenideologisch fundierte „Gegnerforschung“ zu entwickeln, die die nationalsozialistische Propaganda brauchte, um die jüdische Bevölkerung Deutschlands, sowie Europas zu demütigen, zu verfolgen und zu vernichten. Hier seien das Institut zum Studium der Judenfrage, 1934/1935 gegründet, das Institut zur

 Ebd., S. 177.  Hans G. Adler: Theresienstadt 1941 – 1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Göttingen: Wallstein 1961 (erste Auflage 1958).

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Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben und das Institut zur Erforschung der Judenfrage erwähnt. Nicht nur Soziologen jüdischer Abstammung verließen in dieser Zeit Deutschland, sondern auch fast zwei Drittel der akademischen Soziologen (die meisten von ihnen wurden von den Universitäten entlassen).²⁵ Das bedeutet aber nicht, wie ein Mythos noch bis vor kurzem verbreitete, dass kaum ein deutscher Soziologe am Nationalsozialismus beteiligt war. Einige waren doch involviert,²⁶ wie zum Beispiel Leopold von Wiese (1876 – 1969), Karl Valentin Müller (1896 – 1963),²⁷ Wilhelm Brephol (1893 – 1975),²⁸ Helmut Schelsky (1912– 1984),²⁹ Elisabeth Noelle-Neuman (1916 – 2010).³⁰ Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hat also einen Bruch in der Entwicklung der Soziologie des Judentums verursacht. Die Forschung über das gesellschaftliche Leben der Juden in deutschsprachigen Ländern wurde abgebrochen und durch eine Pseudo-Soziologie im Dienst des Judenhasses, des Antisemitismus und des Holocaust ersetzt.

7 Soziologie des Judentums nach Kriegsende. Schweigen, Verdrängung und neuer Beginn Eine Soziologie des Judentums, wie sie vor 1933 existierte, war im Deutschland der Nachkriegszeit aus mehreren Gründen undenkbar. Obwohl Deutschland den Krieg verloren hatte und die Verbrechen der Massenmörder ans Licht kamen, bedeutete

 M. Rainer Lepsius: Soziale Ungleichheiten und Klassenstrukturen in der Bundesrepublik. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Klassen in der europäischen Sozialgeschichte. Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, S. 166 – 209; Silke Van Dyk / Alexandra Schauer: „…daß die offizielle Soziologie versagt hat“. Zur Soziologie im Nationalsozialismus, der Geschichte ihrer Aufarbeitung und der Rolle der DGS. Wiesbaden: Springer 2015 (erste Auflage 2010).  Van Dyk / Schauer: Zur Soziologie im Nationalsozialismus; Karl-Siegbert Rehberg:Verdrängung und Neuanfang: Die Soziologie nach 1945 als „Normalfall“ westdeutscher Geschichtserledigung. In: Wilfried Loth / Bernd-A. Rusineck (Hrsg.): Verwandlungspolitik: NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Frankfurt am Main / New York: Campus Verlag 1998, S. 259 – 284, hier S. 263, 267; Stefan Kühl: Im Prinzip ganz einfach. Zur Klärung des Verhältnisses der Soziologie zum Nationalsozialismus. Working Paper 6/2013; online http://www.uni-bielefeld.de/soz/forschung/ orgsoz/Stefan_Kuehl/pdf/Working-Paper-6_2013-Stefan-Kuehl-Im-Prinzip-ganz-einfach-Version4-31052013-CitaviDefaultCitationStyle-10062013.pdf (Zugriff: 11.11. 2015).  Van Dyk / Schauer: Zur Soziologie im Nationalsozialismus, S. 124.  Ebd., S. 125.  Ebd., S. 127.  Ebd., S. 130.

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das noch lange keinen radikalen Bruch mit der Nazivergangenheit. Eine gewisse Kontinuität blieb erhalten. Eine ganze Generation von Deutschen war für fast zwei Jahrzehnte im Nationalsozialismus sozialisiert worden, diese konnte sich nicht (und wollte zum Teil auch nicht) von heute auf morgen vom Antisemitismus lösen. Außerdem wurde die Entnazifizierung der politischen und kulturellen Elite, inklusive die der Soziologen, nur langsam oder kaum vorgenommen. Ungefähr die Hälfte aller Soziologen in Westdeutschland waren auf irgendeine Form im und mit dem Nationalsozialismus involviert.³¹ Das Bureau für Statistik der Juden wurde nie wieder eröffnet, auch weil ihre Gründer und Mitarbeiter nicht mehr in Deutschland weilten oder weil sie von den brutalen Ereignissen traumatisiert waren. Ihre Direktoren (Arthur Ruppin und Jakob Segall) flohen nach Palästina. Viele Mitarbeiter des Bureaus emigrierten in andere Länder (wie Jakob Lestschinsky, der in die USA und danach nach Israel emigrierte), andere retteten sich aus Konzentrationslagern (wie Alexander Gutfeld aus Theresienstadt), andere hingegen wurden ermordet. Der Jüdische Frauenbund, der 1938 aufgelöst wurde, blieb erstmal geschlossen, da ihre letzten Leiterinnen, Hannah Karminski (1897– 1942)³² und Cora Berliner (1890 – 1942), die bis zuletzt in der Reichsvertretung der deutschen Juden gewesen waren, in Konzentrationslagern ermordet wurden. Erst in den 1950er Jahren wurde der Jüdische Frauenbund neu gegründet. Dennoch kehrten einige der emigrierten Soziologen jüdischer Herkunft, darunter Max Horkheimer (1949), wieder nach Deutschland zurück. Nach einem langen Entscheidungsprozess wurde auch das Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität neu gegründet und 1950 wieder eröffnet.

8 Soziologie des Judentums seit den 1970er bis in die heutige Zeit Nach den ersten schwierigen Jahrzehnten nach Kriegsende fing für die Soziologie des Judentums eine neue Phase an. Ende der 1970er Jahre wurde auf Beschluss des Zentralrats der Juden in Deutschland in Heidelberg zum ersten Mal in Deutschland eine Hochschule für Jüdische Studien gegründet (Institute für Judaistik wurden schon in den 1960er Jahren in verschiedenen Fachbereichen gegründet, das erste 1963 an der Freien Universität Berlin). Die Hochschule für Jüdische Studien wurde

 Kühl: Im Prinzip ganz einfach.  Gudrun Maierhof: Hannah Karminski (1897– 1942). In: Jewish Women’s Archive: Encyclopedia, online http://jwa.org/encyclopedia/article/karminski-hannah (Zugriff: 11.11. 2015).

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und wird durch Bund und Länder finanziert. Der aus Hamburg stammende Soziologe und Rabbiner Julius Carlebach (1922– 1938), der sich 1938 mit seiner Schwester Judith durch den ersten Kindertransport nach England retten konnte, war nach einer akademischen Karriere in England Mitgründer der Hochschule für Jüdische Studien. Er wurde als Hochschullehrer berufen und war von 1989 bis 1997 sogar Rektor – dennoch wurde bis heute kein Lehrstuhl für Soziologie der Juden oder des Judentums etabliert.

9 Wissenschaftssoziologie: Affinität zwischen jüdischer Herkunft und soziologischem Diskurs Eine Soziologie des Judentums in Deutschland zu rekonstruieren, bedeutet auch über die Verbindung zwischen Soziologie und jüdischer Identität zu reflektieren. Es sind vor allem zwei wichtige Werke, die sich mit Juden in der Sozialwissenschaft oder Sozialwissenschaftlern mit jüdischer Herkunft befassen. Das erste Werk, das 1989 mit dem Titel Juden in der Soziologie von Erhard R. Wiehn herausgegen wurde,³³ setzte sich mit der Frage auseinander, warum die Anzahl der Juden in den Sozialwissenschaften so bemerkenswert hoch ist und ob ein Zusammenhang zwischen „jüdischer Abstammung“ und Soziologie oder Sozialphilosophie besteht. Mehrere jüdische Soziologen – die Exponenten der früheren Soziologie (Durkheim, Simmel, Sombart), der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno) bis zu den damaligen Soziologen (Norbert Elias, Sigfried Krakauer), sowie Sozialphilosophen (Martin Buber, Edmund Husserl, Simone Weil) – wurden von verschiedenen deutschen Soziologen analysiert. Wir können hier einige Elemente kurz erwähnen, mit denen die Autoren einen engen Zusammenhang zwischen jüdischer Identität, Kultur und Lebensstil und soziologischem Diskurs herstellen. Das Jahrtausende währende Leben in der Diaspora ließ die Juden eine starke Solidarität in der Familie und in der religiösen Gemeinschaft suchen, um überleben zu können. Deswegen war die Sensibilität für die soziale Dimension des Lebens und der Identitätskonstruktion bei den Juden immer sehr präsent.³⁴ Das jüdische Leben musste sich immer (bis zur Gründung des Staates Israels) in einem nicht-jüdischen Kontext entfalten, was auf der einen Seite den ständigen Vergleich

 Erhard R. Wiehn (Hrsg.): Juden in der Soziologie. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 1989.  Ebd., S. 342.

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mit anderen kulturellen Lebensarten mit sich brachte.³⁵ Auf der anderen Seite wurde dieses „Anders sein“ im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung oft nicht akzeptiert, wurde diskriminiert, wenn nicht verfolgt. Laut Erhard R. Wiehn gilt: „Jüdische Erfahrung ist Ungleichheitserfahrung“.³⁶ Dank der hohen Bildung der Juden und ihrer Fähigkeit zur Distanzierung wurde die eigene Diskriminierung Objekt der Reflektion. Distanzierung und Reflektion führten über die schmerzhaften Ereignisse zum „Streben nach sozialer Gerechtigkeit“.³⁷ Die Soziologie wurde somit eine Heimat für den „Fremden“.³⁸ Die Affinität zwischen Judentum und Soziologie liegt darin, dass „keine Wissenschaft ohne Distanzierung möglich ist“, so König.³⁹ Die Distanzierung bedeutet, so Luciano Gallino, „sich wie ein Ausländer in der Gesellschaft zu bewegen, sie anzuschauen als ob man von weither gekommen sei, ihre kleinen alltäglichen Riten sowie die institutionalisierten Praktiken so anzuschauen, als würde man sie nicht verstehen“.⁴⁰ Ein guter Soziologe muss, ähnlich wie der Fremde, mit anderen Gesellschaften vergleichen, um die sozialen Prozesse zu verstehen. Seit der Frühsoziologie, man denke an Weber, Durkheim etc., haben die soziologischen Forschungen immer Vergleiche mit Gesellschaften anderer Länder vorgenommen.⁴¹ Das zweite Werk (2006 publiziert) Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale ⁴² von Amalia Barboza und Christoph Henning herausgegeben, fokussiert sich auf die Verbindung zwischen Lebenslauf und Werk deutschsprachiger Sozialtheoretiker (Albert Salomon, Gottfried Salomon, Sigmund Freud, Hannah Arendt, Marie Jahoda, Paul Lazersfeld, Bruno Bettelheim und Karl Mannheim), die ihre Wurzeln im ersten Drittel des Jahrhunderts haben (1900 – 1933). Die Autoren fragen sich, welche Rolle die jüdische Herkunft für die einzelnen Autorinnen und Autoren eigentlich gespielt hat. Bei aller Verschiedenheit der Individuen haben die jüdi-

 Ebd.  Ebd.  Ebd., S. 343.  Dirk Käsler: Das ‚Judentum‘ als zentrales Entstehungsmilieu der frühen deutschen Soziologie. In: Wiehn: Juden in der Soziologie, S. 97– 126, hier S. 121.  René König: Die Juden und die Soziologie. In: Ders.: Studien zur Soziologie. Frankfurt am Main: Fischer-Bücherei 1971, S. 123 – 136, hier S. 132.  Luciano Gallino: Funzioni sociali e culturali della sociologia. In: Paolo Ceri / Luciano Gallino / Franco Garelli / Alfredo Milanaccio / Sergio Scamuzzi: Manuale di sociologia. Turin: Utet 1994, S. 2– 23, hier S. 11.  Ebd., S. 12.  Amalia Barboza / Christoph Henning (Hrsg.): Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale. Studien über Identitätskonstruktionen in der Sozialwissenschaft. Bielefeld: Transcript 2006.

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schen Hintergründe bei allen zu einer Ausgrenzung aus der regulären Wissenschaft geführt.⁴³

10 Soziologische Reflexionen über die Shoa In einem Klima des Schweigens und der Verdrängung hatte die hohe Präsenz der in der NSDAP involvierten Soziologen in Westdeutschland an Universitäten und Forschungsinstituten (man förderte die empirische Forschung), bemerkenswerte Konsequenzen – zumal sie meist auch noch wichtige Positionen besetzten.⁴⁴ Weder die ältere noch die jüngere Generation deutscher Soziologen setzte sich (mit sehr wenigen Ausnahmen wie Adorno und Horkheimer) mit dem Thema des Nationalsozialismus und des Holocaust auseinander. Erst seit den 1990er Jahren wurden die ersten Werke zu diesem schwierigen Thema publiziert. Wir werden hier nur einige zitieren, die sich aus verschiedenen theoretischen Ansatzpunkten mit der Shoa beschäftigt haben. Die erste Studie von Norbert Elias, der nach England emigriert war und zu jener Zeit dort lebte, passt in die große Debatte, wie und ob der Holocaust eng mit der Moderne verknüpft sei oder sich von ihr distanziere. Aus einer soziologischhistorischen Perspektive interpretiert Norbert Elias den Holocaust in seiner Studie über die Deutschen ⁴⁵ als Zivilisationsbruch der modernen Gesellschaft. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen „Endlösung“ sind gerade das Gegenteil einer Verminderung der individuellen Willkür. Hinter den tragischen Ereignissen sieht Norbert Elias die Reaktion eines immer stärkeren Entgleitens und Verlustes an Macht und Erfolg bestimmter Sozialformationen: Dass die Angehörigen mächtiger Sozialformationen, wenn ihnen die Macht entgleitet, zum Kampf bereit sind, und dass ihnen dann kein Mittel zu grob und zu barbarisch ist, liegt daran, dass ihre Macht und ihr Bild von sich selbst als einer großen und großartigen Formation einen höheren Wert für sie hat als nahezu alles andere; es wiegt für sie oft schwerer als das eigene Leben. Und je schwächer, je unsicherer und verzweifelter sie auf ihrem Abstiegsweg werden, je schärfer sie zu spüren bekommen, dass sie um ihren Vorrang mit dem Rücken zur Wand kämpfen, desto roher wird zumeist ihr Verhalten, desto akuter ist die Gefahr, dass sie die zi-

 Amalia Barboza / Christoph Henning: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale, S. 7– 22, hier S. 8.  Rehberg: Verdrängung und Neuanfang.  Norbert Elias: Studien über die Deutschen: Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Schröter. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992.

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vilisierten Verhaltensstandards, auf die sie stolz sind, selbst missachten und zerstören.⁴⁶ Detlev Claussens Reflektion in seinem Werk Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus ⁴⁷ hingegen wurde stark von Adorno und Horkheimer beeinflusst. Claussen erklärt den modernen Antisemitismus aus den gesellschaftlichen Bedingungen, die Emanzipation versprachen, aber mit der Judenemanzipation auch den Antisemitismus hervorbrachten. Claussen spürt dem Fortleben des Antisemitismus nach Auschwitz und dem veränderten Blick auf die Vergangenheit nach, der durch massenmediale Ausbeutung des Grauens und neue Erinnerungspraktiken verzerrt wird. Nur die jüngste soziologische Forschung über die Shoa hat die philosophische Orientierung der Frankfurter Schule revidiert und teilweise in Frage gestellt. Mit seinem Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust ⁴⁸ hat Stefan Kühl von der Universität Bielefeld einen großen Beitrag geleistet. Kühl behauptet, es war die Einbindung in Organisationen des NS-Staats, die [„ganz normale“] Menschen dazu gebracht hat, sich an Deportationen und Massenerschießungen zu beteiligen – und zwar unabhängig von den ganz unterschiedlichen Motiven, die sie ursprünglich zum Eintritt in diese Organisationen bewogen haben. Ein letzter bemerkenswerter Beitrag aus einer kultursoziologischen und historischen Perspektive zu den Holocaust-Studien in Deutschland ist das vor drei Jahren erschienene Werk Die Shoah in Geschichte und Erinnerung, herausgegeben von Claudia Müller, Patrick Ostermann und Karl-Siegbert Rehberg.⁴⁹ Sie analysieren das schmerzvolle Erlebnis der überlebenden Shoa-Opfer mittels verschiedener medialer Formen der Erinnerung – bildkünstlerische, literarische und neue mediale Formen. Nicht alle Opfer sind jüdischer Abstammung aus Deutschland, sie stammen auch aus Italien, wo die Verarbeitung des Holocaust nur in sehr geringen Maß stattgefunden hat. So wird das traumatische Leben der Malerin und Regisseurin Lorenza Mazzetti aus Florenz analysiert,⁵⁰ auch das des Malers Bruno Canova (1925 – 2012), der als Partisan das Arbeitslager Brüx (Floßenberg) über-

 Ebd., S. 463.  Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt am Main: Fischer 2005.  Stefan Kühl: Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust. Berlin: Suhrkamp 2014.  Claudia Müller / Patrick Ostermann / Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.): Die Shoah in Geschichte und Erinnerung. Perspektiven medialer Vermittlung in Italien und Deutschland. Bielefeld: Transcript 2014.  Karl-Siegbert Rehberg: Ein traumatisches Ereignis als Katalysator des Erinnerns. Lorenza Mazzetti und die Auslöschung einer Familie. In: Müller / Ostermann / Rehberg: Shoah in Geschichte und Erinnerung, S. 297– 306.

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lebte, und des surrealistischen Malers Felix Nussbaum, der mit 39 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Die Soziologin Gabriele Rosenthal⁵¹ und ihre Forschungsgruppe (darunter Bettina Völter) haben sich auf das Leben der Familien von Shoa-Überlebenden und von Nazi-Tätern aus einer Drei-Generationen- Perspektive fokussiert. Das erste Ziel der vier Jahre langen qualitativen Studie war es sowohl den Einfluss der Vergangenheit der Großeltern auf das Leben ihrer Kinder und Enkel als auch den familialen Dialog zwischen den Generationen zu erforschen.

11 Komplexität der jüdischen Biographien und Identitäten: Von der post-modernen Gegenwart bis in die frühmoderne Vergangenheit Ein anderer Forschungsbereich kam mit der Wende zustande und zwar mit der großen Welle der jüdischen Auswanderung aus der früheren Sowjetunion. Seit Mitte der 1990er Jahre sind etwa 250.000 Juden nach Deutschland zugewandert, und seit ungefähr derselben Zeit haben sich die soziologischen Studien über die neuen jüdischen Gemeinden vermehrt. Als Beispiel dafür seien die Arbeiten von Miriam Gillis-Carlebach und von Barbara Vogel Becoming visible. Jüdisches Leben in Deutschland genannt.⁵² Karen Körber hat die russischen Juden und ihren Identitätsaufbau zwischen sowjetischem Materialismus und säkularisierter jüdischer Kultur erforscht.⁵³ Christine Müller hingegen hat sich 2007 auf den Identitätsaufbau der jüngeren jüdischen Generation fokussiert.⁵⁴

 Gabriele Rosenthal (Hrsg.): Der Holocaust im Leben von Drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und von Nazi-Tätern. Gießen: Psychosozial-Verlag 1999 (erste Auflage 1997).  Miriam Gillis-Carlebach / Barbara Vogel (Hrsg.): „Mein Täubchen aus dem Felsenspalt“. Becoming visible. Jüdisches Leben in Deutschland seit 1990. Hamburg: Dölling & Galitz 2011.  Karen Körber: Juden, Russen, Emigranten. Identitätskonflikte jüdischer Einwanderer in einer ostdeutschen Stadt. Frankfurt am Main / New York: Campus Verlag 2005; dies.: Puschkin oder Thora? Der Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland. In: José Brunner / Shai Lavi (Hrsg.): Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37). Göttingen: Wallstein 2009, S. 233 – 254; Karen Körber: Synagoge, Samowarverein, Veteranenclub? Jüdische Gemeinden in Deutschland heute. In: Gillis-Carlebach / Vogel (Hrsg.): Becoming visible, S. 124, 142.  Christine Müller: Zur Bedeutung von Religion für jüdische Jugendliche in Deutschland. Münster: Waxmann 2007.

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Andere Gelehrte konzentrieren ihre Studien auf komplexe jüdische „Grenzidentitäten“, die ihre Wurzeln in der Frühmoderne haben. Auf der einen Seite geht es um das soziale und religiöse Phänomen der Marranen. Mit der Vertreibung der Juden aus Spanien durch das Alhambra-Edikt der katholischen Könige von 1492 (Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón) wurden viele Juden gezwungen, sich zum Katholizismus zu bekehren, um sich vor der Inquisition zu retten. Obwohl sie in der öffentlichen Sphäre dem katholischen Glauben folgten, praktizierten sie in ihrem Haus die jüdischen Rituale (von der Bekehrung bis zur Hochzeit). Einige kleine Gemeinschaften von Marranen leben heute noch in Portugal, in der kleinen Stadt Belmonte, auf den Balearen und in Süditalien (Kalabrien), um nur einige Orte zu nennen. Die Identität von Marranen, auch Conversos genannt, ist eine doppelte, eine gespaltene Identität, eine öffentliche und eine heimliche im Privaten⁵⁵ – die sich immer in einem dynamischen Prozess mit der Mehrheitsgruppe entwickelt hat. Auf der anderen Seite interessierte sich die Sozialforschung für den Sabbatianismus und die Sabbatianer, Anhänger des Messias Sabbatai Zwi (1626 – 1676), sowie die Sekten, die sich aus dieser religiösen Bewegung entwickelt haben – Frankisten und Dönme. Schon Gershom Scholem (1897– 1982) deutete 1957 in seinem berühmten Werk über Sabbatai Zwi. Der mystische Messias ⁵⁶ an, dass eine soziologische Untersuchung des Sabbatianismus nötig sei – was er aber selbst nicht getan hat. Gershom Scholem beobachtet: „Die Frage der sozialen Binnenverhältnisse ist bei weitem heikler und unklarer und bedarf sehr sorgfältiger Prüfung. Wie legitim es auch sein mag, die Haltung von bestimmten Gemeinden dem Sabbatianismus gegenüber zu verallgemeinern, wir sollten doch nach den persönlichen und sozialen Unterschieden in der Haltung von Reichen und Armen, von herrschenden Klassen und von Massen fragen. Anhänger und Gegner des Sabbatianismus haben das Problem in den später folgenden Auseinandersetzungen sehr unklar werden lassen. In den Jahren der großen Desillusionierung nach Sabbatais Apostasie erhoben sich die Gegner wieder und behaupteten, der „Pöbel“ hätte die widerstrebenden Rabbiner und Gelehrten gezwungen mitzumachen oder doch zumindest stillzuhalten. Umgekehrt kennen wir den Vorwurf von Sabbatianern gegen Rabbiner und Reiche, also die gesellschaftliche Elite, sie wiedersetzten sich der Bewegung. Der Verdacht, die Reaktion auf die sabbatianische Bewegung sei durch soziale Faktoren bedingt, scheint also von beiden Seiten bestätigt zu

 Yirmiyahu Yovel: The Other Within: The Marranos, Split Identity and Emerging Modernity. Princeton: Princeton UP 2009; Stephen Sharot: Comparative Perspectives on Judaisms and Jewish Identities. Detroit: Wayne State University Press 2010.  Gershom Scholem: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag 1992 (erste Auflage 1957).

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werden und Unterstützung von so verschiedenen Zeugen wie Jakob Sasportas und Joseph haLevi auf der einen Seite und Abraham Michael Cardoso auf der anderen Seite zu erfahren.“⁵⁷

Scholem selbst hat aber leider seine Prämisse nicht eingehalten. Sein Werk über den Sabbatianismus – sicher ein Meisterwerk – ist nur im Rahmen einer mystischtheologischen und historischen Auffassung zu verstehen. Die soziologischen Analysen des Sabbatianismus sind an den Fingern abzuzählen. Man kann hier Jakob Barnais Werke über den Sabbatianismus erwähnen⁵⁸ oder das Buch über die Dönme von Marc David Baer,⁵⁹ Dozent an der London School of Economics. Baer hat eine qualitative Analyse durchgeführt, die auf Interviews, Autobiografien, Briefen, historischen Texten basiert und die die splitidentity, die polyzentrische soziale Dynamik der Dönme als Gruppe und nicht nur als Häresie à la Scholem schildert. Im deutschsprachigen Raum finde ich die Arbeiten von Ekaterina Emeliantseva bemerkenswert, insbesondere ihre „Situative Religiosität – situative Identität: Die Prager Frankisten auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft (1760 – 1849)“, 2009 erschienen.⁶⁰ Dort hat Emeliantseva gezeigt, wie die Frankistische Bewegung, wie jede religiöse Bewegung nur situativ, d. h. entsprechend den konkreten gesellschaftlichen Koordinaten ihrer Zeit zu verstehen ist.

12 Moses Dobruska: Der vergessene Gründer der Soziologie Innerhalb dieses letzten Bereichs der Wissenschaftssoziologie möchte ich ein Thema erwähnen, worüber ich im Moment forsche: Moses Dobruska, Frankist, getaufter Jude, Freimauer, Jakobiner und Begründer der Soziologie.⁶¹

 Ebd., S. 26.  Jakob Barnai: Christian Messianism and the Portuguese Marranos: The Emergence of Sabbateanism in Smyrna. In: Jewish History 7,2 (1993), S. 119 – 126; ders.: Shabtaʼut: Hebeṭim Ḥevratiyim (Sabbateanism. Social Perspectives). Jerusalem: Zalman Shazar 2000.  Marc David Baer: The Dönme. Jewish Converts, Muslim Revolutionaries, and Secular Turks. Stanford: Stanford University Press 2009.  Ekaterina Emeliantseva: Situative Religiosität – situative Identität: Die Prager Frankisten auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft (1760 – 1849). In: Petra Ernst / Gerald Lamprecht (Hrsg.): Konzeption des Jüdischen. Kollektive Entwürfe im Wandel. Innsbruck: Studien Verlag 2009, S. 38– 62.  Silvana Greco: Heresy, Apostasy, and the Beginnings of Social Philosophy. In: Materia giudaica 20 – 21 (2015 – 2016), S. 439 – 464.

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Moses Dobruska wurde 1753 in einer sabbatianischen Familie geboren. 1775 wurde er in Prag getauft, 1778 von Marie Theresia nobilitiert. Unter Joseph II. wurde Moses Dobruska alias Franz Thomas Edler von Schönfeld zu einem der reichsten Unternehmer Wiens. Er trat der Freimaurer-Bruderschaft bei, nur um sie 1785 zu verlassen. 1792 reiste er nach Straßburg, dann nach Paris und wurde ein prominenter Jakobiner. 1793 als österreichischer Agent denunziert, wurde er am 5. April 1794 guillotiniert.⁶² Gewiss hat Scholem ein exzellentes Buch über das abenteuerliche Leben von Moses Dobruska geschrieben.⁶³ Ein wichtiges Detail aber hat der große Kabbala-Forscher übersehen – etwas, das in der Tat kein Detail ist. 1793 hat Moses Dobruska, der sich in Frankreich in Junius Frey unbenannt hatte, ein bahnbrechendes Werk veröffentlicht: die Philosophie sociale. ⁶⁴ Es ist kein Zufall, dass die Philosophie sociale, die übrigens auf Deutsch geschrieben wurde, sich als ein Grundstein des früheren soziologischen Denkens entpuppt. Wie schon von Helmut Plessner unterstrichen, war „… Soziologie ursprünglich eine Heilslehre, ein Mittel, die durch die Französische Revolution desorganisierte Gesellschaft zu reorganisieren, und zwar in einem progressiven und nicht in einem restaurativen Sinne“.⁶⁵ Die Philosophie sociale von Dobruska zeigt, wie eine komplexe jüdische Biographie in die Theorisierung einer neuen sozialen Ordnung mündet. Moses Dobruska wurde also vom Häretiker zum Jakobiner. Die Tatsache, dass er auch wie ein vergessener Vater der Soziologie wirkt, fügt dem Thema, das wir hier umrissen haben, eine neue historische Dimension hinzu. Wenn es einen Avatar der Soziologie des Judentums gibt, dann ist er unser Dobruska.

 Susanne Wölfle-Fischer: Junius Frey (1735 – 1794). Jude, Aristokrat und Revolutionär. Frankfurt am Main et al.: Peter Lang 1997.  Gershom Scholem: Le tre vite di Moses Dobrushka. Hrsg. von Saverio Campanini. Mailand: Adelphi 2014.  Lucien-Junius Frey: Philosophie sociale. Dédiée au peuple françois. Paris: Froullé 1793.  Helmut Plessner: Diesseits der Utopie: Ausgewählte Beiträge zur Kultursoziologie. Frankfurt am Main: Diederichs 1966, S. 14.

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Aufstieg und Niedergang eines feministischen Kommentars zum Babylonischen Talmud in Deutschland Im Jahr 2005 wurde ein DFG-Antrag vom Institut für Judaistik an der Freien Universität Berlin für ein genderbezogenes Projekt gestellt – meines Erachtens ein Desideratum in den Jüdischen Studien. Bei dem Projekt handelte es sich um einen feministischen Kommentar zum Babylonischen Talmud. Bis dahin gab es nur für die Hebräische Bibel und das Neue Testament feministische Kommentare.¹ Daher war es nun an der Zeit sich in diesem Zusammenhang mit dem zweiten jüdischen Kanon auseinanderzusetzen – der Mischna und dem Babylonischen Talmud. Es dürfte somit an dieser Stelle nicht überraschen, dass diesem Antrag stattgegeben bzw. die dazugehörigen Fördergelder bereitgestellt wurden. In den Stattgabe des Antrages wurde der Anstellung von zwei Wissenschaftlern aus Berlin zugestimmt, die Kommentare zu zwei Traktaten schreiben sollten. Die übrigen Traktate sollten von anderen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt bearbeitet werden, die sich bereits zuvor mit Feminismus und Gender befasst hatten. Es handelte sich um ein Langzeitprojekt, da der Babylonischen Talmud bekanntermaßen aus 37 und die Mischna nochmals aus 26 Traktaten (die keine Gemara haben) besteht. Letztere sollten ebenfalls kommentiert werden – jeweils drei oder vier zusammen – also noch zusätzliche 8 Bände. Darüber hinaus war es offensichtlich, dass für den Seder Nashim ein Band für jeweils ein Traktat nicht ausreichen würde. Die Traktate Nazir und Nedarim wurden außer Acht gelassen, da in ihnen Frauen nicht wirklich thematisiert werden. Dennoch benötigte jedes Kapitel in dieser Ordnung einen eigenen Band und wir mussten somit weitere 46 Wissenschaftler gewinnen, die sich mit der Thematik auskannten. Letztendlich kommt man bei einem solchen feministischen Kommentar theoretisch auf 91 Bände. Wie viel Zeit man dafür benötigt, kann bestenfalls geschätzt werden. Momentan schreiben 29 Forscher an

 Elizabeth Stanton Cady et al. (Hrsg.): The Woman’s Bible. New York: The European Publishing Company, 1895 – 8; Carol A. Newsom / Sharon H. Ringe (Hrsg.): Women’s Bible Commentary. Louisville, Ky.: Westminster John Knox Press, 1992 (3rd edition 2012); Athalya Brenner / Carole Fontaine (Hrsg.): A Feminist Companion to the Bible. Sheffield UK: Sheffield Academic Press, 1993 – 2013; Elisabeth Schüssler Fiorenza: Searching the Scriptures. New York: Crossroad, 1995, 1993; Cathrine Clark Kroeger / Mary J. Evans (Hrsg.): The InterVarsity Press Women’s Bible Commentary. Downers Grove: InterVarsity Press, 2002; Tamara Cohn Eskenazi (Hrsg.): The Torah: A Women’s Commentary. New York NY: Urj Press 2007. DOI 10.1515/9783110523478-013

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den Kommentaren oder haben sie schon verfasst.² Im Jahr 2011, nach sechs Jahren der Förderung und als wir uns mit der Veröffentlichung von drei Kommentaren und zwei einleitenden Bänden brüsten konnten,³ änderte die DFG plötzlich ihre Meinung und ging jetzt davon aus, dass die strengen Kriterien eines Projektes nicht mehr erfüllt seien und ein solches Unternehmen daher nie hätte finanziert werden dürfen. Ein anonymer Gutachter, dessen Bericht für das Schicksal des Projektes von entscheidender Bedeutung war, bemerkte in seinem zweiten Punkt, dass das Projekt doch grundsätzliche Fragen aufwerfe, da im Vorfeld nie geklärt worden sei, was eigentlich ein feministischer Kommentar sei und historische Überlegungen zum Geschlechterbegriff fehlten. Auch war keine Eingrenzung der Texte vorgenommen worden, was im Grunde auch nicht möglich sei. Aufgrund dieser Kritik und der Beurteilung als „nicht förderwürdig“ wurde das Projekt in Deutschland eingestellt und für beendet erklärt. Auch wenn man dies als eine persönliche Niederlage werten könnte, so erschien mir die Entscheidung doch eher das Resultat einer längeren Entwicklung, die mit den deutschen Universitäten und ihrem ambivalenten Verhältnis zur Genderforschung (in den Jüdischen Studien) zusammenhängt. Wir feiern heute 50 Jahre Jüdische Studien in Deutschland. Natürlich handelt es sich dabei um ein freudiges Ereignis – 50 Jahre sind schließlich eine lange Zeit. Doch existieren Jüdische Geschichte, die Religionswissenschaften oder die deutsche ‚Wissenschaft des Judentums’ schon wesentlich länger. 1995 hörte ich zum ersten Mal auf einer Konferenz über Jüdische Studien von den Hintergründen, wie es dazu gekommen ist. Peter Schäfer hielt dort einen Vortrag zu diesem Thema.⁴ Man hört auch heute immer wieder dieselbe Erzählung: Leopold Zunz hatte in der Mitte des 19. Jh. versucht, eine Professur für Jüdische Studien in Berlin einzurichten und war damit gescheitert. Stattdessen eröffnete man alternativ dazu Schulen für die Rabbinerausbildung – in Berlin, in Breslau und an anderen Orten. Alle diese

 http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/judaistik/Forschung/talmudbavli/index.html.  Tal Ilan / Tamara Or / Dorothea M. Salzer / Christiane Steuer / Irina Wandrey (Hrsg.): A Feminist Commentary on the Babylonian Talmud: Introduction and Studies. Tübingen: Mohr Siebeck 2007; Tal Ilan: Massekhet Ta’anit: Text, Translation, and Commentary (FCBT II/9), Tübingen: Mohr Siebeck 2008; Shulamit Valler: Massekhet Sukkah. Text, Translation, and Commentary (FBCT II/6). Tübingen: Mohr Siebeck 2009; Tamara Or: Massekhet Betsa: Text, Translation, and Commentary (FBCT II/7). Tübingen: Mohr Siebeck 2010. Die folgenden Bände sind nach der Ablehnung erschienen: Tal Ilan / Monika Brockhaus / Tanja Hidde (Hrsg.): Introduction to Seder Qodashim: A Fe minist Commentary on the Babylonian Talmud. Tübingen: Mohr Siebeck 2012; Frederico Dal Bo: Massekhet Keritot (FCBT V/7). Tübingen: Mohr Siebeck 2013; Dalia Marx: Tractates Tamid, Middot, and Qinnim (FCBT V/9). Tübingen: Mohr Siebeck 2013; Tal Ilan, Massekhet Hullin (FCBT V/3), Tübingen: Mohr Siebeck 2017.  Peter Schäfer: Jewish Studies in Germany. In: JSQ 3 (1996), S. 146 – 161.

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Bemühungen fanden mit dem Holocaust ihr Ende. Als man die Jüdischen Studien in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg endlich anerkannte, gab es dort keine Juden mehr. Bis zum Ende des Krieges hatte man sich in Deutschland gegen die Einführung des Faches Jüdische Studien gesträubt, da auch die universitären Einrichtungen vom Antisemitismus durchdrungen waren. Erst als die verheerenden Folgen dieser Geisteshaltung zu Tage traten, wurden neue Stimmen laut, die sich für eine solche Disziplin [d. h. Judaistik/Jüdische Studien] einsetzten. Die feministische Bewegung hat eine ähnlich lange Tradition. Sie begann in der Mitte des 19. Jh. mit dem Ziel Gleichberechtigung für Frauen zu erlangen – ein weiterer Teil der Gesellschaft, der ähnlich unterprivilegiert wie die Juden und zeitweise Repressalien ausgesetzt war. Jüdische Feministinnen gab es von Beginn an. Als exzellentes Beispiel sei hier die deutsche Jüdin Berta Pappenheim (1856 – 1936) erwähnt, die die Gründerin des Jüdischen Frauenbundes (1904) war. Sie genoss großes öffentliches Ansehen, was ihre Teilnahme am ersten Zionistenkongress beweist. Dort setzte sie sich für das Frauenwahlrecht ein. Dies wurde ihr dann auch beim zweiten Zionistenkongress gewährt; und zwar Jahre bevor dieses Recht in den demokratischsten aller Staaten eingeführt wurde.⁵ Der akademische Feminismus begann mit der zweiten Welle des Feminismus, die 1949 mit Simone de-Beauvoirs The Second Sex ins Rollen kam, und war somit den Jüdischen Studien in Deutschland 16 Jahre voraus. Im Gegensatz zu den Jüdischen Studien, die nur in Deutschland etwas Neues und der restlichen Welt bereits bekannt waren, war der Feminismus eine absolute Neuheit und sorgte überall für Aufsehen (und rief unangenehme Gefühle hervor). Hierfür gab es auch gute Gründe. Feministinnen waren bereit zu streiten, unbequeme Fragen zu stellen oder das gesamte System in Frage zu stellen, auf dem die damals bekannte Welt ruhte – Familien, Stämme, Staaten, Regierungen und alle dazugehörigen Institutionen. Diese Frauen waren (und sind es an bestimmten Orten noch bis heute) nicht willkommen. Religiöse Institutionen sind dem Feminismus aus verschiedenen Gründen am wenigsten freundlich gesinnt. Der erste Grund ist auch an anderen Institutionen zu finden – Feminismus stellt die existierenden Machtstrukturen in Frage, dass Frauen außen vor gelassen und seit Jahrhunderten unterdrückt werden. Religiöse Institutionen (egal ob christlich, jüdisch oder muslimisch) haben einen hohen Anteil an der Erhaltung solcher Machtstrukturen. Die zweite Ursache für das abwehrende Verhalten gegenüber der (Frauen‐)Bewegung ist nur in den Religionen anzutreffen: Für sie [d. h. die Religionen] als die Träger der Offenbarung, ist die Unterdrückung der Frauen Teil des göttlichen Plans und damit gerecht-

 Tamara Or: Vorkämpferinnen und Mütter des Zionismus: Die deutsch-zionistischen Frauenorganisationen (1897– 1938). Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 23 – 34.

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fertigt. Diese religiöse Grundlage wird nicht weiter hinterfragt. Judentum und Christentum sind sich in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Die Jüdischen Studien weisen hier eine völlig andere Perspektive auf. Das konnte auch der Antisemitismus in vielerlei Hinsicht nicht verhindern. Jüdische Texte (religiöse und andere) konnten meisterhaft mit den traditionellen Forschungswerkzeugen der Akademiker untersucht werden – linguistisch, philologisch, literarisch, philosophisch, soziologisch, psychologisch etc. Die meisten Forscher (mich eingeschlossen) wüssten mit Stolz davon berichten, wie diese Werkzeuge bei ihren Forschungen zur Anwendung kamen. Man bezeichnete diese Werkzeuge als objektiv, bevor die Postmoderne einsetzte. Diejenigen, die damit arbeiteten und die wesentlichen Texte bzw. Narrative der Zivilisation untersuchten, bezeichnete man als „objektive“ Wissenschaftler. Betrachtet man jedoch den Antisemitismus als eine Linse, die verzerrt und jüdische Traditionen und Texte absichtlich missversteht, obwohl sie die o.g. Werkzeuge benutzt, dann wird das Argument der Objektivität schwankend. Objektivität war kein Kriterium, das bei der Gründung der Jüdischen Studien in den 60er Jahren eine Rolle gespielt hat. Man beabsichtigte damit eher ein historisches Übel zu korrigieren und eine neue deutsche Gesellschaft fernab vom Antisemitismus zu erziehen. Dahinter verbargen sich tiefe Scham- und Schuldgefühle. Man wollte die Religion und die Kultur der Menschen studieren, die zuvor von der Elterngeneration ermordet worden waren. Das Ziel war es, den Antisemitismus und die eigene Gesellschaft zu kritisieren. Eine Gesellschaft, die mit ihrem Hass den Holocaust ermöglicht hatte. Auch die feministische Bewegung wollte in ihren Anfängen eine interne Kritik an der Gesellschaft, in der die überwiegend weiblichen Wissenschaftler lebten, üben. Dabei wurden die jüdischen Feministinnen jedoch in ein internes Paradoxon verstrickt. Wenn sie das patriarchale Judentum kritisieren wollten, wurden sie zwangsläufig zu Verbündeten der Antisemiten. Diese konnten die feministischen Studien missbrauchen, um das Judentum mit seiner unmenschlichen Behandlung des weiblichen Geschlechts zu verunglimpfen. Ein Dilemma mit einer sehr langen Geschichte. Die britische Romanautorin Grace Aguilar schrieb im Jahr 1844 einen historischen Abriss über das Leben jüdischer Frauen im Lauf der Jahrhunderte.⁶ Sie tat dies, um das Judentum und sein Verhältnis zu Frauen zu unterstützen, das sogar schon zu diesem Zeitpunkt von Christen mit ihren antisemitischen Vorurteilen angegriffen wurde. Sie schrieb:

 Für das Buch und Publikationdatum siehe Michael Galschinsky: Grace Aguilar 1816 – 1847. In: Jewish Women’s Archive; Encyclopedia; http://jwa.org/encyclopedia/article/aguilar-grace.

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Christian [women] […] write for the Christian world. Education and nationality compel them to believe that “Christianity is the sole source of female excellence;” – that to Christianity alone they owe their present station in the world, their influence, their equality with man, their spiritual provision in this life, and hopes of immortality in the next; – nay more, that the value and dignity of woman’s character would never be recognised, but for the religion of Jesus, that pure, loving, self-denying doctrines were unknown to women; she knew not even her relation to the Eternal; dared not look upon him as a Father, Consoler, and Savior till the advent of Christianity […] Yet we cannot pass such assertions unanswered, lest from the very worth and popularity of these works in which it is promulgated, the young and thoughtless daughter of Israel may believe it really has foundation, and look no further than the page she reads. How or whence originated the charge that the law of Moses sunk the Hebrew female to the lowest state of degradation, placed her on a level with slaves or heathens, and denied her all mental and spiritual enjoyment we know not; yet certain it is that the most extraordinary and unfounded idea obtains credence even in this enlightened age. […] We see no proofs of the humanising and elevating influence of Christianity either on man or woman until the Reformation opened the BIBLE, the whole BIBLE to the nations at large […]⁷

Dieser Text ist ein Meisterwerk der Apologetik. Aguilar äußert sich zu einem antisemitischen Argument, das in der Mitte des 19. Jh. überall wucherte: Demnach verachte und unterdrücke das Judentum die Frauen viel mehr, als es das Christentum täte. Laut Aguilar habe aber das Christentum selbst erst eine positive Einstellung zur Frau gewonnen, als es zu seinem Ursprung zurückkehrte – der Hebräischen Bibel. Als sie sich mit einem frauenfeindlichen Text wie dem Morgengebet auseinandersetzte, in dem ein Mann dem Herrn dafür danken soll, dass er keine Frau geworden ist, schreibt Aguilar: […] it is impossible to read the Mosaic law without the true touching conviction, that the female Hebrew was even more the object of the tender and soothing care of the Eternal than the male. The thanksgiving in the Israelite morning prayer, on which much stress is laid, as a proof how little woman is regarded, is but a false and foolish reasoning on the subject; almost, in truth, too trivial to regard.⁸

Dennoch wollten die Forscher der zweiten Feminismus-Welle nichts von solchen Argumenten wissen. Es ging ihnen nicht darum, die Angriffe der Antisemiten abzuwehren. Ihnen war vielmehr daran gelegen, die dunkle Seite des Judentums aufzuzeigen. Die bereits von Grace Aguilar in der damaligen Literatur entdeckten Anschuldigungen wurden während der zweiten Feminismus-Welle wiederholt. Christliche Feministinnen studierten die christlichen Texte, um deren negative  Grace Aguilar: The Women of Israel. New York: D. Appleton & Company, 1851, S. 8.  Ebd., S. 9.

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Haltung gegenüber Frauen herauszuarbeiten. Dabei unterlief ihnen häufig der Fehler, dass sie viele der negativen christlichen Verhaltensweisen dem ursprünglichen Judentum zuschrieben, aus dem ihre Religion hervorgegangen war. 1980 reagierte Judith Plaskow auf derartige Anschuldigungen und schrieb: There is a new myth developing in Christian feminist circles. It is a myth which tells us that the ancient Hebrews invented patriarchy: that before them the goddess reigned in matriarchal glory, and that after them Jesus tried to restore egalitarism … Writers exploring the Jewish background of Jesus’ attitude toward women frequently exaggerate the plight of women in Judaism in order to make Jesus’ position stand out more positively in contrast. If Jewish women are unclean chattels, then Jesus’ treatment of them must be revolutionary. ‘Jesus was a feminist’ as Leonard Swidler put it.⁹

Im Anschluss erklärte sie folgendes: Christian feminist anti-Judaism (so nennt sie Antisemitismus) … represents precisely the continuation of a patriarchal ethos of projection. Feminist research projects onto Judaism the backsliding of Christian tradition … it allows the Christian feminist to avoid the failures of her own tradition.¹⁰

Sie beendete ihren Beitrag schließlich mit der Behauptung: The purpose of these criticisms is not to suggest that traditional Jewish attitudes towards women are praiseworthy. Of course they are not. But Christian attitudes are in no way essentially different.¹¹

Und genau dieser Aufforderung sind die feministischen Studien seit ihrer Gründung nachgekommen: sie haben den androzentrischen Charakter der Texte freigelegt, die mit ihren Vorurteilen, ihrem Aberglauben und ihren logischen Fehlschlüssen über die Jahrhunderte zu uns gelangt sind. Wir können an ihnen erkennen, welche Folgen diese Denkweisen für das Leben der Frauen in der ganzen Welt hatten (und immer noch haben). In gewisser Weise ähnelt dies der Kritik am Antisemitismus in Deutschland: all die Vorurteile, den Aberglauben, die Irrtümer und die Rhetorik des Hasses freizulegen. Trotzdem behandeln Jüdische Studien in Deutschland nicht nur (oder nicht ausschließlich) die Erforschung des Antisemitismus. Es sollte uns also nicht überraschen, wenn es da noch eine andere Ursache für die Existenz dieser gerade

 Judith Plaskow: Blaming the Jews for Inventing Patriarchy. In: Lilith 7 (1980), Sp. 7– 8, 11.  Ebd., 12.  Ebd.

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erst in Deutschland etablierten Disziplin geben sollte – als Antithese zu dem antisemitischen Ansatz, der das Judentum als etwas grundsätzlich Böses betrachtete. Man könnte es Philosemitismus nennen, weil es das Judentum als etwas grundsätzlich Gutes betrachtete. Die Gründer dieser Disziplin waren wie die meisten Forscher in ihre Disziplin verliebt – sie liebten die jüdische Tradition, die sie studierten. Wir wissen alle, dass Liebe blind macht und die meisten der Forscher des Judentums in Deutschland sind immer noch verliebt … und vielleicht auch ein bisschen blind. Der Feminismus gestattet es uns aber nicht, mit einem blinden Auge auf die dunklen Seiten des Judentums zu schauen. Seine Aufgabe besteht darin, das Judentum zu kritisieren, so wie er alle patriarchalen Religionen kritisiert (und das Judentum ist zweifelsohne eine, wenn nicht sogar die patriarchale Religion). Angesichts neuer Konzepte und Ideen, die in den letzten 150 Jahren entwickelt wurden, wird uns vor Augen geführt, dass Frauen über Jahrtausende hinweg von Männern unterworfen, versklavt, unterdrückt und missbraucht worden sind. Das Judentum bildete da keine Ausnahme – und genau das wollten die feministischen Erforscher des Judentums ans Licht bringen. Aus diesem Grund haben wir auf diesem Gebiet keine wirklichen feministischen (oder Gender‐) Studien in Deutschland. Ich persönlich kenne nicht einen Wissenschaftler unter den Judaisten, der sich bei seinen Nachforschungen hauptsächlich mit Genderfragen beschäftigt. Im Jahr 1999 wurde ich zu einer Mühlheimer Konferenz eingeladen, die die jüdischen Frauen in Aschkenas thematisierte.¹² Auf dieser Konferenz sprach ich über ein mir sehr vertrautes Thema: Raschis Verhältnis zu Frauen. Damit hatte ich das mit Abstand früheste Thema dieser Veranstaltung zu behandeln, obwohl für mich Raschi vielleicht der späteste jüdische Autor ist, über den ich je geschrieben habe.¹³ Aus Deutschland ist mir kein einziges Buch bekannt, das sich mit Gender und jüdischen Frauen außerhalb der deutsch-jüdischen Umwelt befasst. Natürlich kann ich mich irren oder schlecht informiert sein. Demgegenüber wurden die Jüdischen Frauen der Berliner Salons, der deutschen Arbeiterbewegung oder des deutschen Bürgertums umfassend erforscht.¹⁴ Man hat mich jedoch seit 1999 nie wieder auf eine deutsche Konferenz eingeladen, die den jüdischen Genderaspekt

 Christine Müller / Andrea Schatz (Hrsg.): Der Differenz auf der Spur: Frauen und Gender in Ashkenas. Berlin: Metropol 2004.  Ebd., S. 21– 49.  Z. B. Luise Hirsch: Vom Schtetl in den Hörsaal: Jüdische Frauen und Kulturtransfer. Berlin: Metropol 2010; Kirsten Heinsohn / Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte als Geschlechtergeschichte: Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein Verlag 2006.

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aus jüdischer Perspektive zum Thema hatte. Dagegen haben meine Kollegen aus Deutschland mich in den letzten Jahren und in diesem des Öfteren zu Genderkonferenzen eingeladen.¹⁵ Es handelte sich allerdings um christliche Theologen, denn in ihren Kreisen ist das Kritisieren von Texten, in denen man patriarchale Strukturen oder Misogynie vorfindet, eine anerkannte Disziplin.Vielleicht sind die Sätze, die Plaskow vor 35 Jahren über Amerika schrieb, heute wieder in Deutschland aktuell: The Christian feminists are ten years ahead of us in the questions they are asking. They’re raising the fundamental questions about sexism in the tradition that we have not begun to ask.¹⁶

Mein Artikel in dem erwähnten Tagungsband von Mühlheim geht im Grunde sehr kritisch mit Raschis Haltung zu seinen talmudischen Frauen um, obwohl die meisten Artikel dieses Buches die jüdischen Frauen feiern: eine Frau, die einen moralischen Midrasch schreibt (Meneket Rivka),¹⁷ Glikl von Hameln – die erste jüdische Autorin,¹⁸ jüdische Frauen leiten Salons in Berlin,¹⁹ jüdische Frauen schreiben Tagebücher.²⁰ Natürlich kann man auch bei ihnen Diskriminierung finden, dennoch wollte man mit diesem Buch in erster Linie nicht das System kritisieren, sondern vielmehr den Frauen Gehör verschaffen. Der Unterschied zwischen deutschen und nicht-deutschen Forschern tritt hier deutlich hervor. Zweifelsohne waren in diesem Fall alle deutschen Forscher in das Judentum verliebt. Wir sind bei dem von uns veröffentlichten, einführenden Band des feministischen Kommentars auf etwas sehr ähnliches gestoßen. Dort werden in den Beiträgen die geschlechtsspezifischen Unterschiede unter jedem Aspekt disku-

 13.-15. 2. 2015, „Frauen im antiken Judentum und frühen Christentum“ in Schwerte; 5.-7.6. 2015, „Early Jewish Writings in Context: Perspectives on Gender and Reception History“ in Münster; und 18.-20. 2. 2016, „Geschlecht und soziale Normen im antiken Judentum und Christentum – Texte und materiale Kultur / Gender and Social Norms in Early Judaism and Christianity: Texts and Material Culture“, in Koblenz im Februar 2016.  Plaskow, ebd., S. 15.  Ruth Berger: Jiddische ethische Literatur zu Autorität und Macht in Familie und Haushalt. In: Müller / Schatz (Hrsg.): Differenz auf der Spur, S. 101– 120.  Chava Turniansky: Die Erzählungen in Glikl Hamelns Werk und ihre Quellen. In: Müller / Schatz (Hrsg.): Differenz auf der Spur, S. 121– 148.  Deborah Hertz: Amalie Beer als Schirmherrin bürgerlicher Kultur und religiöser Reform. In: Müller / Schatz (Hrsg.): Differenz auf der Spur, S. 149 – 176.  Desanka Schwara: Zwischen traditioneller Norm und Akkulturation: Junge Tagesbuchschreiberinnen und –schreiber in 19 Jahrhundert. In: Müller / Schatz (Hrsg.): Differenz auf der Spur, S. 201– 230.

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tiert. Die meisten dieser Unterschiede sind natürlich zum Nachteil der Frauen.²¹ Eine Ausnahme bilden jedoch die beiden Beiträge meiner deutschen Assistenten, die positive Genderaspekte hervorhoben (die hohe Qualität ihrer Arbeit steht dabei außer Frage). Einer der Beiträge endet mit den Worten: I have argued here that the kitchen was the site where women could participate in developing and influencing halakhah. It is not a “halakhah of women,” but halakhah made by women.²²

Der andere schloss folgendermaßen: Because of the formal pattern of our sugya, conception and birth are both parts of salvation. As has been shown, the sugya stresses the importance of feminine participation in the process leading to redemption by connecting motherhood not only to creation but to the final salvation as well.²³

Einer der nicht-deutschen Teilnehmer der Konferenz sagte mir, dass meine Studentinnen eine sehr optimistische Haltung gegenüber den Frauen im Judentum zeigen würden. Der feministische Kommentar zum Babylonischen Talmud war aber nicht dazu gedacht, das einflussreichste postbiblische Werk (d. h. den Talmud), der auch heute noch das Leben von Millionen von Frauen bestimmt, zu feiern, sondern ihn so ehrlich wie möglich zu kritisieren. Ich vermute, dass dies der Grund dafür war, warum das Projekt letztendlich von der DFG abgelehnt wurde. Der Gutachter, der aus unseren Reihen stammt, konnte sich einfach nicht vorstellen ein Projekt zu unterstützen, das das Judentum als eine mittelmäßige, bigotte, abergläubische und manchmal geradezu misogynistische Kultur bzw. Religion darzustellen unternimmt. Die Menschen können so etwas in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Israel tun, aber nicht hier in Deutschland. Tatsächlich gibt es einen großen Unterschied zwischen den Jüdischen Studien in den USA/Israel und in

 Z. B. Shaye J. D. Cohen: Are Women in the Covenant?. In: Ilan et al. (Hrsg.): Feminist Commentary: Introduction, S. 25 – 42; Elizabeth S. Alexander: How Tefillin Became a Non-Timebound, Positive Commandment: The Yerushalmi and Bavli on mEruvin 10:1, in ebd., S. 61, 89; Tirza Meacham: Misconstrued Mitsvot: The Case of the Menstruant Levirate Wife, in ebd., S. 127– 149; Judith R. Baskin: Erotic Subversion: Undermining Female Agency in bMegillah 10b–17a, in ebd., S. 227– 244; Adiel Schremer: For Whom is Marriage a Happiness? mMo‘ed Qatan 1:7 and a Roman Parallel, in ebd., S. 289 – 305.  Tamara Or: “Why Don’t We Say Anything to Them?” (bBes 30a) Women in Massekhet Betsah, in ebd., S. 195.  Dorothea M. Salzer: Women’s World in Massekhet Rosh ha-Shanah: Women and Creation in bRosh ha-Shanah 10b–11b, in ebd., S. 209 – 210.

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Deutschland. In den ersten beiden Ländern werden die Jüdischen Studien von Juden dominiert; in Deutschland werden sie das (noch) nicht. Natürlich lieben auch Juden ihre Tradition, ihre Nation und ihre Religion, aber es ist eine andere Art der Liebe. Man könnte sie in etwa mit der Liebe zwischen Familienmitgliedern vergleichen, bei der ein Familienmitglied die Schwächen und Nachteile des anderen erkennt; kommentiert und kritisiert diese Schwächen, liebt den Anderen aber trotzdem. Ein Liebender (in einer Liebesbeziehung) hingegen kann so etwas nicht ertragen. Ich werde dieser kurzen Erklärung noch zwei Beispiele zur Illustration folgen lassen: 1. Wer hat bis zum heutigen Tag einen feministischen Kommentar geschrieben? Bis heute wurden in unsere Reihe fünf Kommentare veröffentlicht. Drei der Kommentatoren (mich eingeschlossen) stammen aus Israel (Ilan, Valler, Marx), einer aus Italien (zudem ein nicht-jüdischer Mann Federico Dal Bo). Der einzige Kommentar einer deutschen Forscherin, der bis zum heutigen Tag abgeschlossen wurde, stammt von einer Jüdin (Tamara Or). Alle anderen deutschen Kommentatoren, die sich dazu bereit erklärt hatten, haben bis heute keinen einzigen Band eingereicht – trotz großzügiger finanzieller Unterstützung. 2. Wie kommentieren deutsche Forscher einen misogynistischen Text? Vor kurzem bin ich Zeugin eines Ereignisses geworden, bei dem sieben deutsche Forscher eine Präsentation über die ersten fünf Mishnayot des ersten Kapitels in Massekhet Avot geben sollten. Die letzte dieser Mishnayot ist eine vernichtende Aussage von Rabbi Yosi ben Yoḥanan aus Jerusalem: „Sprich nicht viel mit einer Frau. Sie sagten dies in Bezug auf seine Frau.Wie viel wahrer ist diese Aussage dann in Bezug auf die Frau seines Gefährten.“ (mAvot 1,5).Wenn man eine Frau ist, dann dürfte es schwer nachvollziehbar sein, wie man diese einfache Aussage nicht als eklatant frauenfeindlich interpretieren kann. Nicht einer der sieben Redner wagte das zu sagen. Stattdessen wurden alle möglichen Formen apologetischer Strategien übernommen. 1. Der beste Weg das Problem zu umgehen war, es zu ignorieren. Einige der Forscher entschieden sich dazu, den Kontext des Kapitels zu erörtern, seinen Inhalt ließen sie außer Acht. Auf diese Weise konnten sie das Minenfeld unbeschadet räumen. 2. Eine zweite Strategie zur Lösung des Problems würde ich als philologische Variante bezeichnen. Findet man in einem Manuskript eine andere Variante der Textstelle, die das Gesagte etwas anders widergibt und dazu noch besser erklärt, hat man das Problem ganz einfach gelöst. Im genannten Fall war eine solche Variante ohne Weiteres verfügbar: das wichtige Kaufmann-Manuskript der Mischna liest anstelle von ‫ באשתו‬die Wörter ‫באשתו נדה‬, die sich auf „seine men-

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struierende Frau“ beziehen. Wenn es das ist, was der Originaltext ausdrücken wollte (so der Apologet), dann bezieht sich das Redeverbot mit Frauen nicht auf dieses im Allgemeinen, sondern nur auf ein Redeverbot mit unreinen Frauen, um nicht selbst unrein zu werden. Es gäbe selbst in diesem Fall sehr viel, was man dazu sagen könnte. Die Idee, dass Frauen dermaßen häufig unrein seien, ist an sich schon misogynisitsch, aber das sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt. 3. Die letzte apologetische Strategie geht auf solche Kommentatoren zurück, die sich von Anfang an sehr unwohl mit diesem misogynen Manifest fühlten. Bereits Ovadiah aus Bertinoro empfahl (auf eine für die Talmudisten typische Art) dem Leser, er solle zur nächsten Zeile der Mischna gehen: Wenn man die Worte „Sprich nicht viel mit einer Frau“ mit den folgenden Worten verbindet „wer auch immer mit einer Frau spricht, schadet sich selbst – hört mit dem Tora-Studium auf und erbt am Ende die Hölle“ versteht man, warum es nicht ratsam ist, sich mit Frauen zu unterhalten. Nicht weil es Frauen per se sind, sondern weil sie die Männer von ihrem eigentlichen Lebensziel abhielten – dem Tora-Studium. An dieser Stelle soll auch nicht auf die darin enthaltene misogynistische Unterstellung eingegangen werden, Frauen seien am Tora-Studium nicht interessiert oder dessen nicht fähig. Auf jeden Fall hatte keiner der sieben Vortragenden den Mut vorzutreten und zu sagen, dass wir es beim talmudischen Judentum mit einem patriarchalen, androzentrischen, diskriminierenden und geradezu frauenfeindlichen Judentum zu tun haben. Aber so verhält es sich tatsächlich! Als Jüdin und Israelin kann ich dies behaupten. Deutsche Forscher können das nicht, weil sie ihr geliebtes Forschungsobjekt nicht diskreditieren wollen. Man könnte ihnen ja, Gott bewahre, Antisemitismus vorwerfen. Genau aus diesem Grund haben wir in Deutschland keine jüdische Genderforschung und genau aus diesem Grund kam der feministische Kommentar zu einem frühzeitigen Ende.

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Die Erforschung der jüdischen Mystik nach Scholem in Deutschland Eine Momentaufnahme Wie in den meisten Wissenschaftsfeldern verbreitet befand sich auch Gershom Scholem, die Gründerfigur der Erforschung der jüdischen Mystik in allen ihren Facetten und Ausprägungen, in einer stetigen Auseinandersetzung mit den Vorgängern innerhalb des Forschungsbereichs. Auch er sah sich im Zusammenhang mit den Vätern der „Wissenschaft des Judentums“ mit dem Dilemma konfrontiert, ob er selbst und seine Forschung sich als „Rebellen oder Nachfolger“ derselben widerfanden und beklagte in einem öffentlichen Artikel 1944 seine Zerrissenheit zwischen diesen beiden Möglichkeiten, welche sich ihm nicht immer zur freien Entscheidung boten.¹ In seiner Neubewertung der Kabbala als maßgebliche Kraft der jüdischen Geistes- und Kulturgeschichte beschränkte sich seine Rekonstruktionsarbeit nicht nur auf Textüberlieferung, motivgeschichtliche Entfaltung und historische Entwicklung kabbalistischer Symbolik, sondern er eröffnete mit seinem dialektischen Ansatz neue Zusammenhänge zwischen Tradition und Offenbarung, Sprache und Schöpfung, Symbolfunktion und Mythos sowie inhärente Spannungen in der messianischen Idee vom rabbinischen Judentum bis zum Zionismus. Anhand Scholems unermüdlicher Pionierarbeit auf dem Gebiet der jüdischen Mystik² werden heute weltweit seine religionswissenschaftlichen An-

Es soll in diesem Beitrag nur ein kurzer Überblick über die derzeitige Forschungslage skizziert werden ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit.  Siehe den Satz aus seinem Brief an Shalom Spiegel vom 8. Mai 1945, in Gershom Scholem: Briefe. Band 1. 1914 – 1947. Hrsg. von Itta Shedletzky. München: C. H. Beck 1994, S. 297 (Brief 126) (Hebräisch, ebd., S. 442– 443): „Und ich bin wirklich zerrieben zwischen den zwei Möglichkeiten: das Joch ‚der Rebellen, die sich als Nachfolger entpuppten‘, auf mich zu nehmen oder mich dagegen aufzulehnen.“ Das Zitat stammt ursprünglich aus einem Artikel, welcher im Jahr davor in Luaḥ Haʼareṣ 5705 (1944/45) zum 20jährigen Bestehen der Hebräischen Universität unter dem Titel „Überlegungen zur Wissenschaft vom Judentum (Vorwort für eine Jubiläumsrede, die nicht gehalten wird)“, S. 111 veröffentlicht wurde und auf Deutsch in Judaica 6. Die Wissenschaft vom Judentum. Hrsg. und übers. von Peter Schäfer in Zusammenarbeit mit Gerold Necker und Ulrike Hirschfelder. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 49: „Wir traten als Rebellen an, als Nachfolger finden wir uns wieder“ – erscheint (Hervorhebungen im Original).  Zur Diskussion über die adäquate Verwendung des Begriffes siehe Boaz Huss: The Theologies of Kabbalah Research. In: Modern Judaism 34,1 (2014), S. 3 – 26. DOI 10.1515/9783110523478-014

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regungen, die er durch Mircea Eliade und Henry Corbin anhand seiner Teilnahme am Eranos-Kreis (1949 – 1979) erhalten hatte, in zahlreichen Fachbereichen weitergeführt und neu interpretiert. Bis jetzt dominiert Scholems Werk die von ihm begründete Disziplin, sein Verständnis des Judentums wird interdisziplinär diskutiert und die Ausstrahlung seiner Darstellung der Kabbala erreichte bereits zu Lebzeiten die bildende Kunst und die Belletristik. Da die Beschäftigung mit der jüdischen Mystik meist auch zugleich eine Rezeptionsgeschichte der Person und der Forschung Scholems impliziert, finden sich hier häufig divergierende Meinungen und zahlreiche Debatten darüber, ob und inwieweit sich dieser Bereich anderen Fächern gegenüber öffnen sollte, und es wird spekuliert, wie die Position Scholems hierzu gewesen sein mag. In den letzten Jahren hat sich eine teilweise sehr engagiert geführte wissenschaftliche Diskussion entwickelt: zum einen ob eine Beschäftigung mit der jüdischen Mystik außerhalb der Jüdischen Studien legitim sei, sprich die Erforschung der jüdischen Mystik auch unter andere Fächer subsumiert werden sollte, und zum anderen wie Scholems Forschung in seinen persönlichen Kontext einzuordnen sei, sprich ob er aus seiner eigenen kulturellen Befindlichkeit „von Berlin nach Jerusalem“ heraus zu verstehen sei, oder eher „von Berlin nach Jerusalem und zurück“ oder gar „nie aus Berlin weg“, sondern seinem ursprünglichen Milieu stets verhaftet blieb, also der Weimarer Kultur und deren Idealen. Dazu gesellt sich in jüngster Zeit eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, wer denn nun die „autorisierten Wächter“³ der Kabbala bzw. deren Erforschung seien, welche sich ebenfalls an der Person und Forschung Scholems und seinen Nachfolgern entzündet. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und inwieweit Scholems Leben und Werk ohne tiefgreifende Kenntnis der Quellentexte angemessen interpretiert werden können. Solche und ähnliche Diskussionen müssen als exemplarisch für den gesamten Bereich der Jüdischen Studien gelten und implizieren die Fragestellung nach den philologischen Grundlagen des Faches und seine Ausweitung auf andere Forschungsfelder. Scholem selbst hat anlässlich der Entgegennahme des Reuchlin-Preises der Stadt Pforzheim am 10. September 1969 einen Überblick über Die Erforschung der Kabbala von Reuchlin bis zur Gegenwart unternommen. Es soll hier kurz skizziert werden, wie solches wissenschaftliche Arbeiten zur jüdischen Mystik in Deutschland bzw. in der deutschsprachigen Forschung fortgesetzt und ob Scholems programmatische Überlegungen in den letzten drei Jahrzehnten umgesetzt oder verworfen wurden. Unbe-

 So der Titel eines Aufsatzes von Boaz Huss: ‚Authorized Guardians‘: The Polemics of Academic Scholars of Jewish Mysticism Against Kabbalah Practioners. In: Olav Hammer / Kocku von Stuckrad (Hrsg.): Polemical Encounters. Esoteric Discourse and Its Others. Leiden, Boston: Brill 2007, S. 81– 106.

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wusst mag man sich fragen, ob sich auch heute noch die Alternative zwischen Rebellion und Nachfolge stellt oder überhaupt stellen sollte.⁴ Auch wenn Scholem sich in seinem Pforzheimer Vortrag auf die deutschsprachige Forschung zur kabbalistischen Literatur seit Reuchlin konzentrierte, so verschwinden doch heute im Zuge der Internationalisierung des Fachs zunehmend diese sprachlichen Grenzen, was einerseits an den bereits früh in Deutschland und Israel stattfindenden international ausgerichteten Konferenzen zu Scholem liegen mag, andererseits an den zahlreichen Übersetzungen der Forschungsliteratur in verschiedene Sprachen abzulesen ist.⁵ Auch wenn der erste Lehrstuhl für Judaistik nach 1945 in Berlin an Jacob Taubes 1963 vergeben wurde und der zweite, der Martin-Buber Lehrstuhl 1966 in Köln, und nach drei weiteren Jahren 1969 in Frankfurt am Main ein dritter gegründet wurde, soll hier zunächst die Mystikforschung von Johann Maier in Köln erwähnt werden. Der Gründer und Direktor des dortigen Instituts setzte sich bereits zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere mit den Themen der spätantiken Magie und frühjüdischen Mystik auseinander, wie z. B. in seiner Monographie Vom Kultus zur Gnosis ⁶. Ganz im Sinne Scholems werden hier die Texte mit Bezug auf nichtjüdische, gnostische Vorstellungen vorgestellt, welche die jüdische Mystik entscheidend verändert haben. Laut Scholem traten solche Vorstellungen „im Herzen des Judentums“ erneut auf und verliehen der Mystik einen neuen Stellenwert (im Herzen) innerhalb des Judentums.⁷ Durch Maiers Übersetzungen zentraler Texte der mittelalterlichen Kabbala, vor allem von Joseph Gikatilla, mit erläuternden Anmerkungen, welche als Anthologie 1995 unter dem Titel Die Kabbalah ⁸ veröffentlicht wurden, konnten diese Haupttexte der kabbalistischen Traditionen auch den deutschsprachigen Lesern zugänglich gemacht und eine erste Einführung gegeben werden.

 Zum künftigen Programm des Fachs Jüdische Mystik siehe Scholems Brief an Chayyim Bialik vom 12. Juli 1925, abgedruckt mit Anmerkungen in Scholem: Judaica 6, S. 55 – 67.  In diesem Kontext sei die Verleihung des Humboldt Research Awards an David Ruderman im letzten Jahr erwähnt, welcher sich ebenfalls mit kabbalistischer Literatur auseinandersetzt und eine langjährige Zusammenarbeit mit der Universität Frankfurt pflegt.  Johann Maier: Vom Kultus zur Gnosis: Studien zur Vor- und Frühgeschichte der „jüdischen Gnosis.“ Bundeslade, Gottesthron und Märkābāh (Kairos. Religionswissenschaftliche Studien, Bd. 1). Salzburg: Otto Müller 1964.  Gershom Scholem: Ursprung und Anfänge der Kabbala. Berlin: De Gruyter 1962, S. 42. Scholem wollte hier keineswegs das Judentum auf die Mystik reduzieren, wie ihm dies nach seinem Tod von Eliezer Schweid: Judaism and Mysticism according to Gershom Scholem. Atlanta: Scholars Press 1985 zum Vorwurf gemacht wurde.  Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – klassische Texte – Erläuterungen. München: C. H. Beck 1995.

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1978 wurde in Köln ein groß angelegtes Projekt zur Frühen Jüdischen Mystik von Peter Schäfer initiiert, welches 1983 mit dessen Übernahme des Lehrstuhls an der FU nach Berlin wechselte und bis 1990 dort mit finanzieller Unterstützung der DFG fortgesetzt wurde. Es sollen hier besonders die editorischen und übersetzerischen Leistungen des „Berliners“ Peter Schäfer und des Berliner Instituts zur frühen jüdischen Mystik seit der Antike angeführt werden.⁹ Die wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb des Projekts folgen dem ersten Punkt in Scholems geplantem Programm zur Erforschung der jüdischen Mystik,¹⁰ und haben zunächst vornehmlich die Erforschung der Hekhalot-Literatur vor Augen. Aufgrund neuer technischer Möglichkeiten im Bereich der wissenschaftlichen Bearbeitung von Textdaten (Tustep)¹¹ kann 1981 die Synopse der Hekhalot-Literatur (mit Margarete Schlüter und Hans-Georg von Mutius) publiziert werden, worauf dann 1984 die Geniza-Fragmente und 1986/88 die zweibändige Konkordanz (mit Gottfried Reeg, Klaus Herrmann, Claudia Rohrbacher-Sticker, Guido Weyer und Rina Otterbach) folgen. 1987 bis 1991 liegen die Übersetzungsbände II–IV in Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Becker, Klaus Herrmann, Claudia Rohrbacher-Sticker und Stefan Siebers vor, worauf dann 1995 noch Bd. I zu Henoch von Peter Schäfer gemeinsam mit Klaus Herrmann veröffentlicht wird. In den Jahren 1990 bis 1997 wird ein weiteres Projekt zu „Jewish Magic Literature in Late Antiquity“ aufgenommen, aus welchem in Zusammenarbeit mit Shaul Shaked die Reihe Magische Texte aus der Kairoer Geniza (Bd. 1– 3: 1994– 1999) hervorgeht. 1999 – 2007 folgt ein neues DFGProjekt zu Sefer ha-Razim, das in die beiden mit Bill Rebiger publizierten Bände desselben mit Edition, Übersetzung und Kommentar im Jahr 2009 mündet. 2003 – 2007 schließt sich das Projekt zur Erforschung des Sefer Ḥasidim (12./13. Jh.) an.¹² Diese Arbeiten stehen in der Nachfolge Scholems und geben weitere Impulse für die deutschsprachige Forschung. Berlin weist bei diesen Projekten und Publikationen eine enge Zusammenarbeit mit israelischen, englischen und auch ameri-

 Schäfer wurde in Hückeswagen geboren und in Freiburg bei Arnold Goldberg promoviert, prägte aber wie kein zweiter das Institut für Judaistik in Berlin, welches er ab 1983 als Direktor leitete, nach Stationen in Tübingen, Frankfurt am Main und Köln.  Siehe Judaica 6, S. 60 – 61. Peter Schäfer ist zudem seit 1993 Mitherausgeber der Jewish Studies Quarterly, der beiden Reihen bei Mohr Siebeck Texts and Studies in Ancient Judaism (seit 1981) und Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism (seit 1986) als auch Kommissionsmitglied im Verlag der Weltreligionen, die alle wichtige Editions- und Übersetzungsarbeit auf dem Gebiet der jüdischen Mystik leisten und sich zum Ziel gesetzt haben, zentrale Quellentexte nicht nur einem kleinen Fachpublikum, sondern auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen.  http://www.tustep.uni-tuebingen.de/ (Zugriff: 14.01.2016).  Siehe https://etc.princeton.edu/sefer_hasidim/ (Zugriff: 22.01. 2016). Das gemeinsam von P. Schäfer und A. Haverkamp initiierte Projekt wurde seit 2008 von der German Israeli Foundation weiter finanziert.

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kanischen Forschungseinrichtungen wie der Hebräischen Universität Jerusalem und der Universität Tel Aviv, dem Oxford Centre for Postgraduate Hebrew Studies und dem Jewish Theological Seminary in New York auf. Mit dem Wechsel Schäfers 1997 nach Princeton wird die deutsch-amerikanische Kooperation in diesem Bereich weiter intensiviert. Im Zusammenhang der genannten Forschungsprojekte sind auch die daraus hervorgegangenen Monographien Schäfers Der verborgene und der offenbare Gott (dt. 1991, engl. 1992), Mirror of His Beauty (engl. 2002, dt. Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum, 2008) und die Aufsatzsammlungen Origins of Jewish Mysticism (engl. 2009, dt. 2011) und Hekhalot-Literature in Context (mit Ra‘anan Boustan/Martha Himmelfarb, 2013) zu nennen, welche seit ihrem Erscheinen nicht nur die deutsche, sondern auch die englischsprachige und israelische Mystikforschung in großem Maße prägen. Die für die Erforschung der jüdischen Mystik seit der Antike so wichtige und von Scholem selbst propagierte Editions- und Übersetzungsarbeit wurde von Schäfers Schülern wie Klaus Herrmann durch Ausgaben von Massekhet Hekhalot (1994) und Sefer Jeẓira (2008),¹³ Bill Rebigers Arbeiten zur frühjüdischen Magie Sefer ha-Razim (Edition, Einleitung, Übersetzung und Kommentar 2008 und 2009), Sefer Shimmush Tehillim (2010) sowie dessen Beiträge zu Leben und Werk Gershom Scholems,¹⁴ Irina Wandreys Buch des Gewandes als auch Gottfried Reegs Band zur Geschichte von den zehn Märtyrern (1985) fortgesetzt.¹⁵ Schäfers Forschungen zur frühjüdischen Mystik, besonders zur Hekhalot-Literatur, wurden in Frankfurt am Main von Annelies Kuyt, einer weiteren Schäfer Schülerin, erneut aufgenommen. Sie widmete ihre Dissertation dem Motiv des „Abstiegs“ in der Hekhalot-Literatur und hat mittlerweile auch Beiträge zur Traumdeutung und den Ḥaside Aschkenas vor Auch Klaus Herrmann beschäftigt sich in seiner Forschung wie fast alle deutschen Forscher der jüdischen Mystik mit Scholem und dessen Rezeption, siehe seine Veröffentlichungen unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/judaistik/Forschung/publikationen/pubherrmann.html (Zugriff: 30.01. 2016).  Siehe seine Veröffentlichungen in der erwähnten Reihe von Mohr Siebeck Texts and Studies in Ancient Judaism, in welcher auch Wandreys Band „Das Buch des Gewandes“ und „Das Buch der Aufrechten“ und Gottfried Reegs Band erschienen. Zu einer kompletten Publikationsliste Bill Rebigers siehe https://www.gwiss.uni-hamburg.de/en/jewish-philosophy/mitarbeiterverzeichnis/ rebiger/publikationen.htm (Zugriff: 30.01. 2016).  Einen Überblick über die Geschichte des Instituts in Berlin und die dortige Forschung bietet Peter Schäfer / Klaus Herrmann: Judaistik an der Freien Universität Berlin. In: Karol Kubicki / Siegward Lönnendonker (Hrsg.): Religionswissenschaft, Judaistik, Islamwissenschaft und Neuere Philologien an der Freien Universität Berlin. Göttingen: V&R unipress 2012, S. 53 – 74; sowie ein persönlicher Gesamtüberblick zur Judaistik / Jüdische Studien in Deutschland bei Peter Schäfer: Judaistik – jüdische Wissenschaften in Deutschland heute. Historische Identität und Nationalität. In: Saeculum 42 (1991), S. 199 – 216; ders.: Jewish Studies in Germany Today. In: Jewish Studies Quarterly 3 (1996), S. 146 – 161.

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gelegt.¹⁶ Von Hanna Liss wurde mit einer weiteren Schäfer-Schülerin 1997 ebenfalls ein Editionsband zu El‘azar von Worms’ Hilkhot ha-Kavod veröffentlicht und Gerold Necker legte 2001 eine Edition und Übersetzung des Sefer ha-Ḥayyim vor.¹⁷ Während sich die Forschung Schäfers und seiner Nachfolger auf die biblischen, spätantiken, hellenistischen und rabbinischen Wurzeln und die frühkabbalistischen Phasen der jüdischen Mystik konzentrierten, so dass in den meisten Arbeiten die mittelalterlichen Autoren oftmals den Abschluss bilden, wandte man sich in Berlin am zweiten Lehrstuhl für Judaistik, der 1987 gegründet und von Michael Brocke bis 1996 besetzt wurde, mit der Übernahme des Lehrstuhls durch Giulio Busi nun auch einer späteren Phase der jüdischen Mystik, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit zu, unter anderem der christlichen Interpretation wie in der Bibliothek Pico della Mirandolas in den Übersetzungen Flavius Mithridates, sowie Francesco Zorzi und Johannes Reuchlin.¹⁸ Auch in dieser neuen Phase der Forschungsgeschichte wurde und wird wieder wertvolle Editionsarbeit geleistet: Zu nennen sind etwa die lateinisch-hebräischen Ausgaben des Sefer Bahir mit einer Übersetzung von Saverio Campanini (2005), Gikatillas Sefer ha-Niqqud durch Annett Martini (2010), Recanatis Kommentar zu den Gebeten von Giacomo Corazzol (2008), dem Großen Pergament (ha-Yeriʻa ha-Gedola) durch Giulio Busi, Simonetta Bondini und Saverio Campanini (2004) sowie Flavius’ Übersetzung des Shaʻar ha-Shamayim von Susanne Jurgan und Saverio Campanini (2012). Von Giulio Busi wurden zudem zahlreiche Beiträge auf Italienisch, Englisch und Deutsch zu den unterschiedlichen Epochen der mystischen Literaturen vorgelegt und laufende Projekte zum Zohar sowie zu Johanan Alemanno sind in Berlin angesiedelt. Die internationale Zusammenarbeit mit Italien wurde und wird in diesem Kontext weiter ausgebaut. Saverio Campanini hat durch seine „Übersetzungs- und Editionsarbeit“ viele Texte von Reuchlin, Mithridates, Zorzi, Ebreo

 Annelies Kuyt: The „Descent“ to the Chariot. Towards a Description of the Terminology, Place, Function and Nature of the Yeridah in Hekhalot Literature (Texts and Studies in Ancient Judaism, Bd. 45). Tübingen: Mohr Siebeck 1995. Ihre angekündigte Arbeit zur Traumdeutung bei Shlomo Amoli wird gewiss auch einen zentralen Beitrag zur Mystikforschung in Deutschland leisten.  Hanna Liss: Elʻazar ben Yehuda von Worms: Hilkhot ha-Kavod. Die Lehrsätze von der Herrlichkeit Gottes. Edition, Übersetzung, Kommentar (Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, Bd. 12). Tübingen: Mohr Siebeck 1997.  Zum Programm des Projekts sowie den abgeschlossenen und geplanten Veröffentlichungen siehe http://www.pico-kabbalah.eu/first_page.html (Zugriff: 22.01. 2016). Zu erwähnen sind hier auch die weiteren Veröffentlichungen zu kabbalistischen Topoi von Giulio Busi: Zohar: Il libro dello splendore. Turin: Einaudi 2016; ders.: L’enigma dell’ebraico nel Rinascimento. Turin 2007; ders.: Mistica Ebraica. Test della tradizione segreta del giudaismo dal III al XVIII secolo. Turin: Einaudi 2006; ders.: Qabbalah visiva. Turin: Einaudi 2005; ders.: La Qabbalah. Rom: Laterza 1998; ders. / Raphael Egbi (Hrsg.): Giovanni Pico della Mirandola: mito, magia, qabbalah. Turin: Einaudi: 2014.

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erstmals einem breiteren Publikum erschlossen und gleichzeitig eine Brücke zur Scholem-Forschung geschlagen bzw. ihrer Relevanz für die Beschäftigung mit kabbalistischen Quellen vergegenwärtigt.¹⁹ In Berlin wurde neben den beiden Lehrstühlen für Judaistik zudem seit 1993 eine ständige Gastprofessur eingerichtet, die über viele Jahre hinweg von dem Jerusalemer Inhaber des Gershom Scholem Lehrstuhls, Joseph Dan, besetzt wurde. In diesem Zusammenhang sind auch einige seiner Schriften ins Deutsche übersetzt worden, wie z. B. Die Kabbala. Eine kleine Einführung oder die deutsche Neuausgabe von Scholems Ursprung und Anfänge der Kabbala erschien 2001 mit einem Nachwort von Joseph Dan. Auf die stetig zunehmende Internationalisierung der deutschen KabbalaForschung nach Scholem verweisen die zahlreichen Konferenzbände über und Festschriften für Scholem, welche die Bandbreite der Mystik-Forschung und die vielfältigen deutschen Kooperation mit ausländischen Forschungseinrichtungen damals und heute vor Augen führen. Zum Andenken an Scholem wurde bereits 1984, zwei Jahre nach seinem Tod, eine Reihe von Konferenzen zur Geschichte der Jüdischen Mystik (History of Jewish Mysticism) ins Leben gerufen, von welchen die erste im Februar 1984 zum Thema „Ancient Jewish Mysticism, Hekhalot and Merkavah Literature“, die zweite 1986 mit dem Titel „The Beginnings of Jewish Mysticism in Medieval Europe“, im Jahr 1988 die dritte zu „The Age of the Zohar“ und die vierte im Februar 1991 über „Isaac Luria and Safed in the 16th Century“ in Jerusalem stattfanden.²⁰ Im Dezember 1991 führte man diese Tradition in Deutschland fort und es wurde eine internationale Konferenz zur jüdischen Mystik im deutschsprachigen Raum in Frankfurt organisiert, deren Beiträge durch namhafte Mystik- und Kabbala-Forscher von Joseph Dan und Karl-Erich Grözinger in einem Sammelband publiziert wurden.²¹ Im zehnten Todesjahr Scholems, 1992, folgte zum 50jährigen Erscheinen von Scholems Major Trends eine weitere Tagung in Berlin, die sechste in dieser Reihe, welche von Peter Schäfer und Joseph Dan ausgerichtet und deren Vorträge 1993 veröffentlicht wurden.²² Bereits im gleichen Jahr im Februar hatte auf Schloss Glienicke unter Anwesenheit von Fania Scholem ein internationales Symposium im Rahmen der Ausstellung Jüdische Lebenswelten

 Zu Campaninis vielfältigen Veröffentlichungen in verschiedenen Sprachen siehe https://www. unibo.it/sitoweb/saverio.campanini/publications (Zugriff: 31.01. 2016).  Die Bände der ersten drei Konferenzen wurden von Joseph Dan in der Reihe Jerusalem Studies in Jewish Thought publiziert, der vierte von Rachel Elior und Jehuda Liebes in derselben Reihe.  Karl Erich Grözinger / Joseph Dan (Hrsg.): Mysticism, Magic and Kabbalah in Ashkenazi Judaism. International Symposium Held in Frankfurt a. M. 1991. Berlin, New York: De Gruyter 1995.  Joseph Dan / Peter Schäfer (Hrsg.): Gershom Scholem’s Major Trends in Jewish Mysticism. 50 Years After. Tübingen: Mohr Siebeck 1993.

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im Martin-Gropius-Bau in Berlin unter dem Titel „Gershom Scholem. Zwischen den Disziplinen“ stattgefunden, dessen Beiträge von international renommierten Forschern ebenfalls das große Interesse an jüdischer Mystik und die zunehmende internationale Vernetzung der deutschen Mystik-Forschung erkennen lassen.²³ Dieser Prozess der Vernetzung wird durch die neueren Festschriften für Joseph Dan und Peter Schäfer weitergeführt und untermauert.²⁴ In den Jahren 1991, 1992 und 1995 fanden zudem internationale Kolloquien in Kassel, Jerusalem und erneut auf Schloss Glienicke in Berlin-Wannsee zur Rolle der Kabbala in der deutschen Romantik bzw. der Literatur der Romantik statt, welche implizit Scholems Thesen in seinem Aufsatz „Die letzten Kabbalisten in Deutschland“²⁵ aufnahmen und deren Beiträge von Eveline Goodman-Thau, Christoph Schulte und Gert Mattenklott 1994 und 1999 in zwei Bänden veröffentlicht wurden, die gleichfalls eine hohe internationale Beteiligung aufweisen. Ein weiterer Berliner, Wilhelm Schmidt-Biggemann, widmet sich der Erschließung der Quellen der christlichen Kabbala und hat in diesem Zusammenhang bisher vier Bände zur Geschichte der christlichen Kabbala veröffentlicht. In diesem opus magnum werden die christlichen Adaptionen und Transformationen kabbalistischer Konzeptionen und Motive, wie sie bei den wichtigsten Vertretern dieses Genre von Pico della Mirandola bis Franz Molitor und vor allem in Rosenroths Kabbala Denudata zu finden sind, einem breiteren Publikum erschlossen, und die Texte werden mit Anmerkungen und zahlreichen Abbildungen vorgestellt. Der vierte Band bildet zugleich den Abschluss der gemeinsam mit Charles Lohr ins Leben gerufenen Reihe Clavis Pansophiae: Eine Bibliothek der Universalwissenschaften in Renaissance und Barock, die seit 1994 herausgegeben wird

 Peter Schäfer / Gary Smith (Hrsg.): Gershom Scholem. Zwischen den Disziplinen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995.  Von den Festschriften für Peter Schäfer seien hier nur Envisioning Judaism: Studies in Honor of Peter Schäfer. Hrsg. von Ra‘anan Boustan et al. Tübingen: Mohr Siebeck 2013, mit Beiträgen von Annelies Kuyt, Klaus Herrmann, Ulrike Hirschfelder, Bill Rebiger, Gerold Necker und Reimund Leicht zu magisch-mystischen Themen genannt, als auch Saskia Dönitz’ Beitrag: Jüdische Buchstabenspekulationen vom Sefer Yetzira bis zu den Haside Aschkenas. Das Alphabet des Rabbi Aqiva und sein literarisches Umfeld. In: Judaistik zwischen den Disziplinen. Jewish Studies between the Disciplines, Festschrift P. Schäfer. Hrsg. von Klaus Herrmann / Giuseppe Veltri. Leiden, Boston: Brill 2003, S. 149 – 179 sei in diesem Kontext angeführt. Siehe auch die Festschrift für Joseph Dan zum 75. Geburtstag von Rachel Elior / Peter Schäfer (Hrsg.): Creation and Re-Creation in Jewish Thought. Tübingen: Mohr Siebeck 2005; sowie den Konferenzband von Gerold Necker / Elke Morlok / Matthias Morgenstern (Hrsg.): Gershom Scholem in Deutschland. Tübingen: Mohr Siebeck 2014, zum 30jährigen Todestag Scholems im Jahr 2012.  Gershom Scholem: Die letzten Kabbalisten in Deutschland. In: ders.: Judaica 3. Studien zur Jüdischen Mystik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 218 – 246.

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und mit Wolf Peters Nachdruck von Guillaume Postels Pariser Ausgabe des Sefer Yeṣira ihren Anfang nahm. Auch am Institut für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt jüdische Religionsgeschichte in Potsdam wurden zentrale wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der jüdischen Mystik und dem Chassidismus in Angriff genommen. Karl-Erich Grözinger, der Lehrstuhlinhaber von 1994 bis 2007, hat nicht nur ein Standardwerk zu Kafka und die Kabbala (1992) verfasst, sondern auch eine Edition und Übersetzung der Shivḥe ha-Beshṭ, den Legenden des Gründers der chassidischen Bewegung (1997) in zwei Bänden herausgegeben und eine Monographie zum Baal Shem Tov von Michelstadt (2010) sowie zahlreiche Beiträge zu diesen Themenbereichen publiziert. In seinem vierbändigen Überblickswerk zum Jüdischen Denken (2004– 2009)²⁶ nehmen die Ausführungen zur frühen und mittelalterlichen jüdischen Mystik sowie zum Chassidismus eine zentrale Stellung ein. Vor allem Grözingers chronologische, geographische und thematische Zusammenstellungen erweisen sich als adäquat, da so zentrale Konzeptionen bei unterschiedlichen Autoren und in verschiedenen Epochen vergleichend besprochen und divergierende Entwicklungen aufgezeigt werden können. Ein weiterer Forscher am Potsdamer Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft befasst sich ebenfalls mit der Erforschung zur jüdischen Mystik – Christoph Schulte, Inhaber der Professur für Jüdische Studien und Philosophie. Nachdem 1994 und 1999 die beiden Bände zu Kabbala und Romantik veröffentlicht wurden, hat er inzwischen auch eine Monographie zu einem zentralen Themenbereich der Kabbala-Forschung, der lurianischen Vorstellung vom Zimzum und ihren weiteren, vor allem rezeptionsgeschichtlichen Entwicklungen vorgelegt.²⁷ In seinen zahlreichen Veröffentlichen zur Haskala, der jüdischen Aufklärung, werden zudem kabbalistische Themen wie z. B. bei Salomon Maimon, Franz Molitor, das Verhältnis von Haskala und Kabbala oder die Kabbala-Rezeption in der deutschen Romantik behandelt. Zu nennen ist hier auch Ausgabe des Buches Jezira in der

 Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Band I. Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles. Frankfurt am Main: Campus 2004; ders.: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Band II. Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus. Frankfurt am Main: Campus 2005; ders.: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Band III. Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Campus 2009; ders.: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Band IV. Zionismus und Shoah, Frankfurt am Main: Campus 2015; siehe auch ders. (Hrsg.): Judentum im deutschen Sprachraum. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, welches auf ein internationales Symposium anlässlich der Eröffnung des Jüdischen Museums in Frankfurt 1988 zurückgeht und Beiträge zur Mystik von Ithamar Gruenwald, Joseph Dan, Israel Yuval und Karl Erich Grözinger beinhaltet.  Christoph Schulte: Zimzum. Gott und Weltursprung. Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2014.

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Übersetzung von Johann Friedrich Meyer (Berlin 1993, mit Eveline GoodmanThau). Susanne Talabardon, eine Schülerin Grözingers, legte in ihrer Habilitationsschrift zur osteuropäisch-jüdischen Hagiographie aus dem Umfeld des Chassidismus (2003) eine Arbeit zur Spätphase der jüdischen Mystik, dem Chassidismus, vor und veröffentlichte weitere Aufsätze und Essays zum Thema.²⁸ In Halle hat sich ein weiterer Schäfer-Schüler, Gerold Necker, mit seiner Edition des Buch des Lebens,²⁹ welches in Scholems Liste der desiderata für die Kabbala-Forschung an zweiter Stelle der geplanten Editionen nach der HekhalotLiteratur stand,³⁰ der Veröffentlichung zentraler Quellentexte gewidmet.Vor allem mit seinen Arbeiten zu Abraham Herreras Lebensgeschichte sowie der Analyse und Einordnung von dessen Schriften als „humanistische Kabbala“ (2011) und seiner Übersetzung aus dem Zohar mit Kommentar unter Berücksichtigung der Auslegungen Moshe Cordoveros zu demselben (2012) hat er einen Beitrag zur Kabbala-Forschung vorgelegt, der in diesem Feld sowohl Einleitungsfragen bespricht, den aktuellen internationalen Forschungsstand präsentiert als auch die Thematik und Texte für ein Laienpublikum öffnet. Hierbei sind auch seine Neuedition von Scholems Davidsschild (2010) sowie seine Einführung in die lurianische Kabbala (2008) hervorzuheben. Da Neckers Studien sich immer zugleich mit der Forschung Scholems und deren Rezeption auseinandersetzen, sind seine Arbeiten auch auf diesem Gebiet relevant. Seine Aufsätze reflektieren ein breites Themenspektrum der jüdischen Mystik von der Antike bis zur Moderne wie auch an seinen neuesten Veröffentlichungen über Hans Blumenbergs Metaphorik und zu Böhmes Auffassung der Kabbala deutlich wird.³¹ In Tübingen ist seit 1957 das Institutum Judaicum der Evanglisch-Theologischen Fakultät etabliert.³² Im Hinblick auf die jüdische Mystik ist mit Tübingen der Band von

 Susanne Talabardon: Der Gerechte ist das Fundament der Welt. Jüdische Heiligenlegenden aus dem Umfeld des Chassidismus (Jüdische Kultur. Studien zur Geistesgeschichte, Religion und Literatur, Bd. 11). Wiesbaden: Harrassowitz 2003.  Gerold Necker: Das Buch des Lebens (Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, Bd. 16). Tübingen: Mohr Siebeck 2001.  So bereits in einem Brief Scholems an Bialik vom 12. Juli 1925: „Unbedingt veröffentlich werden müssen folgende Schriften: 1. Das Sefer ha-Chajjim, von einem Vertreter der deutschen Frommen verfaßt (viele Handschriften).“, in: Judaica 6, S. 61.  Gerold Necker: Hans Blumenberg’s Metaphorology and the Historical Perspective of Mystical Terminology. In: Jewish Studies Quarterly 22,2 (2015), S. 184– 203; ders.: ‚Out of Himself, to Himself‘: The Kabbalah of Jacob Böhme. In: Bo Andersson / Leigh Pennman / Andrew Weeks (Hrsg.): The World of Jacob Böhme. Leiden, Boston: Brill (im Druck).  Zur wechselhaften Geschichte dieser Einrichtung siehe Matthias Morgenstern / Reinhold Rieger (Hrsg.): Das Tübinger Institutum Judaicum. Beiträge zu seiner Geschichte und Vorgeschichte seit Adolf Schlatter. Stuttgart: Franz Steiner 2015.

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Otto Betz Licht vom unerschaffnen Lichte³³ zum Altarbild (Kabbalistische Lehrtafel) der Prinzessin Antonia in Bad Teinach zu erwähnen, welcher die abgebildeten jüdischen und christlichen kabbalistischen Traditionen erläutert. Als weiteres Beispiel für Beiträge in Sammelbänden zu übergreifenden Themen, die ebenfalls kabbalistische Themen und deren Rezeption bei Scholem und seinen Zeitgenossen aufnehmen, sei hier der Beitrag von Matthias Morgenstern, einem weiteren Promovenden von Peter Schäfer, genannt, welcher sich mit den Interpretationen zur mystischen Shekhina-Vorstellung bei Scholem und Bialik auseinandersetzt.³⁴ Fachübergreifende Forschungsergebnisse zur jüdischen und christlichen Kabbala sind auch in der Reihe des Pforzheimer Reuchlin Preises, den Scholem 1969 für seine wissenschaftlichen Leistungen in Empfang nahm, zu finden. Die Bände der Pforzheimer Reuchlin Schriften, wie z. B. der Band von Peter Schäfer (hrsg. mit Irina Wandrey), Reuchlin und seine Erben: Forscher, Denker, Ideologen und Spinner (2005) oder von Wilhelm Schmidt-Biggemann Christliche Kabbala (2003) sind hier mit aktuellen Beiträge zur Erforschung der Kabbala,³⁵ mit Schwerpunkt auf der christlichen Interpretation, aber auch mit wertvollen Hinweisen auf die jüdischen Quellen anzuführen. Eine ähnliche Thematik wie die Pforzheimer Reihe diskutieren die Bände des Morgen-Glantzes der Knorr von Rosenroth Gesellschaft, von denen bisher zwei mystisch-kabbalistischen Themen gewidmet sind.³⁶ Nur der Vollständigkeit halber sei ein Blick ins benachbarte Österreich gewagt. In Wien hat an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät Klaus

 Otto Betz: Licht vom unerschaffnen Lichte. Die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia in Bad Teinach. Metzingen: Sternberg 1996.  Morgenstern: Die Schechina zwischen Halacha und Aggada. Versuch über ein Gedicht Ch. N. Bialiks im Gespräch mit Gershom Scholem. In: Bernd Janowski / Enno Edzard Popkes (Hrsg.): Das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Zur Traditionsgeschichte der Schechina-Vorstellung im Judentum und Christentum. Tübingen: Mohr Siebeck 2013, S. 157– 174. Auch der Beitrag zur Korrespondenz zwischen Scholem und Otto Michel darf nicht unerwähnt bleiben, da hier ein wichtiger Forschungsbeitrag zum Verhältnis zwischen deutschen Gelehrten und Scholem nach dessen Auswanderung nach Israel geleistet wird. Siehe Matthias Morgenstern: ‚Eine bleibende Arbeitsgemeinschaft zwischen mir und Jerusalem‘. Die Korrespondenz zwischen Otto Michel und Gershom Scholem. In: Necker / Morlok / Morgenstern (Hrsg.): Gershom Scholem in Deutschland, S. 167– 200.  Siehe auch Charles Zicka (Hrsg.): Reuchlin und die okkulte Tradition der Renaissance. Ostfildern: Thorbecke 1998; Arno Herzig / Julius Schoeps (Hrsg.): Reuchlin und die Juden. Ostfildern: Thorbecke 1993; Wolfgang von Abel / Reimund Leicht (Hrsg.): Verzeichnis der Hebraica in der Bibliothek Johannes Reuchlins. Ostfildern: Thorbecke 2005.  Band 16 (2006) beinhaltet verschiedene Beiträge zum Thema „Die Kabbala Denudata.Text und Kontext“ und Band 24 (2014) zur Thematik der Seele und der Seelenwanderung bei Knorr und van Helmont samt ihren jüdischen Quellen. Auch im letzten Jahr fand die Jahrestagung wieder zu einem kabbalistischen Topos statt: „Vater und Sohn Helmont: Alchemie, Kabbala und Seelenwanderung“ (1.–2. Juli 2016).

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Dawidowicz einen der Lehrstühle für Judaistik inne. Seine Habilitation verfasste Dawidowicz zu Jakob Frank, dem Messias aus dem Ghetto, welche im Jahr 1998 erschien, und fügt dieser 2004 ein weiteres Buch zur Thematik mit dem Titel Zwischen Tradition und Häresie. Jakob Franks Leben und Lehren hinzu. Zuvor hatte er bereits eine Monographie zu Buber und Scholem 1995 publiziert, bevor er eine Einführung in die Kabbala (2009) veröffentlichte.³⁷ Wie bereits erwähnt hat sich die deutschsprachige Kabbala-Forschung in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend durch Übersetzungen und zahlreiche Kooperationsprojekte, Kolloquien und Konferenzen international vernetzt.³⁸ Die aktuelle israelische Forschung zur jüdischen Mystik ist dem deutschen Leser vor allem durch die Übertragungen der Forschungsarbeiten Moshe Idels ins Deutsche bekannt. Im Suhrkamp Verlag wurden in den letzten Jahren mit Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung (1994), Der Golem. Jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden (2007), Kabbala und Eros (2009) und Alte Welten. Neue Bilder. Jüdische Mystik und die jüdische Gedankenwelt des 20. Jahrhunderts (2012)³⁹ eine Reihe der wichtigsten Schriften zur jüdischen Mystik zugänglich gemacht und vor allem der letzte Band zeigt, dass auch die Forschungsarbeit in Israel sich in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem Werk und dem intellektuellen Erbe ihrer Gründerfigur befindet, wobei in

 Dawidowicz: Die Kabbala. Eine Einführung in die Welt der jüdischen Mystik und Magie. Wien: Böhlau 2009. Bereits 1999 hat er mit dem Ausstellungsband Kabbala. Geheime Traditionen im Judentum. Eisenstadt: Österreichisches Jüdisches Museum 1999 diese Thematik aufgenommen.  Hier seien als Beispiel für solche Transferpositionen die an der Hebräischen Universität vorgelegten Dissertationen zu kabbalistischen Themen von Patrick Koch und Elke Morlok sowie deren weitere Aufsätze zur jüdischen Mystik genannt. Patrick Koch: Human Self-Perfection: A ReAssessment of Kabbalistic Musar-Literature of Sixteenth-Century Safed. Los Angeles: Cherub Press 2015; Elke Morlok: Rabbi Joseph Gikatilla’s Hermeneutics (Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, Bd. 25). Tübingen: Mohr Siebeck 2011.  Es wurden auch einzelne Aufsätze übersetzt wie z. B. Moshe Idel: Der Begriff der Überlieferung in der Kabbala des 13. Jahrhunderts. In: Ulrich Raulff / Gary Smith (Hrsg.):Wissensbilder. Strategien der Überlieferung. Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 61– 93; ders.: Jacques Derrida und die Kabbala. In: Joseph Cohen / Rapahel Zagury-Orly (Hrsg.): „Judentümer“. Fragen für Jacques Derrida. Hamburg: Philo 2006, S. 161– 193; ders.: Sabbat: Zeitkonzepte in der jüdischen Mystik. In: Tilo Schabert / Matthias Riedl (Hrsg.): Das Ordnen der Zeit.Würzburg: Königshausen & Neumann 2003, S. 49 – 73; ders.: Eros in der Kabbala: Zwischen gegenwärtiger physischer Realität und idealen metaphysischen Konstrukten. In: Detlev Clemens / Tilo Schabert (Hrsg.): Kulturen des Eros. München: Fink 2001, S. 59 – 102.

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Israel weitere Aspekte wie z. B. Scholems Haltung zum Zionismus eine zentrale Rolle einnehmen.⁴⁰ Aus dem Bereich der Literaturwissenschaft und der Germanistik sollten an dieser Stelle Andreas Kilcher, Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma ⁴¹ und Daniel Weidners Gershom Scholem ⁴² sowie der Sammelband von Stéphane Mosès und Siegrid Weigel zu Gershom Scholem. Literatur und Rhetorik ⁴³ nicht unerwähnt bleiben. Kilcher geht davon aus, dass das Erbe Scholems die Transformation des ästhetischen Paradigmas in der Sprache der Kabbala in moderne und postmoderne Theorien der Ästhetik innerhalb der Kategorien von Text, Interpretation, Sprache und Hermeneutik ermöglichte und so auch im Poststrukturalismus wirksam werden konnte. Die mangelnde Präsenz jüdischer Autoren zur Mystik und Kabbala, deren Schriften und die dazugehörige Forschung innerhalb der blühenden Esoterik- und Hermetismus-Forschung in Deutschland fällt an dieser Stelle auf,⁴⁴ zumal der derzeitige Inhaber des Gershom-Scholem Lehrstuhls an der Hebräischen Universität Jerusalem, Yonathan Garb, einen seiner Forschungsschwerpunkte auf „Kabbala und Moderne“ legt und hierzu zahlreiche Arbeiten veröffentlichte. Scholems Entwurf jüdischer Mystik wurde entweder als wissenschaftlich recherchierte „Gegen-Geschichte“⁴⁵ gefeiert oder zugespitzt als nihilistische Ersatzkonstruktion des halachischen Judentums verdammt. Doch liegt dies nicht zuletzt an der Bandbreite von Scholems deutscher und hebräischer Rhetorik, die er zeitweise so rigoros zum Einsatz brachte, dass sie ambivalente Deutungen provozierte. Sein Neuansatz schließt dabei auch die kompromisslose Abtrennung

 Im Zusammenhang des Paradigmenwechsels in der Historiografie bzw. dem Historismus und der Forschung zur Wissenschaft des Judentums spielt diese Perspektive auch in der deutschen Forschung eine wichtige Rolle.  Andreas Kilcher: Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma. Die Konstruktion einer ästhetischen Kabbala seit der Frühen Neuzeit. Stuttgart: Metzler 1998.  Daniel Weidner: Gershom Scholem. Politisches, esoterisches und historiographisches Schreiben. München: Fink 2003.  Stéphane Mosès / Siegrid Weigel (Hrsg.): Gershom Scholem. Literatur und Rhetorik. Köln u. a.: Böhlau 2000.  Ausnahmen bilden Allison Couderts Beitrag im Band Monika Neugebauer-Wölk (Hrsg.): Aufklärung und Esoterik – Rezeption – Integration – Konfrontation. Tübingen: Niemeyer 2008 und Christoph Schulte: Haskala und Kabbala. Haltungen und Strategien der jüdischen Aufklärer beim Umgang mit der Kabbala. In: Monika Neugebauer-Wölk (Hrsg.): Aufklärung und Esoterik. Hamburg: F. Meiner 1999, S. 335 – 354.  David Biale: Gershom Scholem. Kabbalah and Counter-History. Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press 1979.

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von „pseudo-kabbalistischen“ Ansätzen vom Strom authentischer Kabbala ein, was er aber für immerhin philologisch nachweisbar hält: Die sogenannte kabbalistische Richtung des Ordens⁴⁶ ist im wesentlichen Pseudo-Kabbala, und was die Beobachter so nennen, ist in Wirklichkeit ein Amalgam verschiedener Elemente. […] [Diese] Elemente sind an nicht wenigen Stellen mit weiteren, in der Tat jüdischen und kabbalistischen Glanzlichtern versehen.⁴⁷

Die „Philologie der Kabbala“ wird zum „Eckstein“ einer „neuen Wissenschaft des Judentums“⁴⁸ und hat bisher die Rolle als die einzig angemessene wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand inne. Scholem setzt sich in seiner Forschung oftmals mit der Frage auseinander, was die Philologie über die eigentlichen Triebkräfte der jüdischen Existenz und Gedankenwelt zu enthüllen vermag. Auch wenn Scholems Werk bis heute interdisziplinär diskutiert wird, so scheint doch die Forderung der „Sprachwerdung“ anhand der Forscher, die sich zunächst den kabbalistischen Symbolen in der gleichen Sprachlosigkeit wie einst die Kabbalisten gegenüber sehen und ihnen nur durch die symbolische Lesart der jüdischen Geschichte und Tradition bzw. die sakrale Bedeutung auf die Spur kommen können, gültig zu bleiben. Laut Scholem wird erst dann das verborgene Wort Gottes in der mystischen bzw. akademischen „Sprachwerdung“ für weitere Kreise kommunizierbar. Scholem veranschaulicht diese These der Korrelation zwischen Symbol und Tradition anhand der lurianischen Kabbala, wo die biblischen Kategorien von Schöpfung, Exil und Erlösung auf Begriffe gebracht werden, die nach Scholem implizit im Zusammenhang mit der historischen Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung sowie einer inneren Abhängigkeit von Heiligkeit und Sünde stehen. Aufgrund dieser Aufgabe des Forschers innerhalb des Prozesses der „Sprachwerdung“ der jüdischen Mystik ist Scholems Verwunderung über die Anstellung von Taubes Assistenten Rolf Tiedemann in einem Brief an Adorno vom 20. Juni 1965 (aufgrund dessen mangelnder Hebräischkenntnisse) leicht ver-

 Scholem spricht hier von Hirschfelds Orden der Asiatischen Brüder.  Gershom Scholem: Ein verschollener jüdischer Mystiker der Aufklärungszeit: E. J. Hirschfeld. In: Leo Baeck Institute Year Book 7 (1962), S. 247– 278, hier S. 266. So bezeichnete er auch Gustav Meyrink als Scharlatan und dessen Bücher zum Golem und „Das grüne Gesicht“ als „Pseudokabbala“ und „historisches Luftschloss“, ders.: Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 169 – 172.  Peter Schäfer: Gershom Scholem und die ‚Wissenschaft des Judentums‘. In: ders. / Gary Smith (Hrsg.): Gershom Scholem. Zwischen den Disziplinen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 122 – 156.

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ständlich: „Wie kann übrigens Tiedemann bei Taubes assistieren, der eine Professur für Judaistik hat? Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich.“⁴⁹ Dass auch die Arbeiten christlicher Gelehrter und Forscher in dieser philologischen Hinsicht für die weitere Erforschung jüdischer Mystik in höchstem Maße wertvoll sind, hatte Scholem bereits in seiner Pforzheimer Rede zu Reuchlin ausgeführt: Um aber auf den Stand der Quellenforschung zurückzukommen, so waren es vor allem drei christliche Gelehrte, die nach Reuchlin Wichtiges für die tiefere Bekanntschaft mit kabbalistischen Ideen geleistet haben […]. Dies waren der Franzose Guillaume Postel (1510 – 1581) vor allem zwischen 1540 und 1560 sowie die beiden deutschen Mystiker, besser gesagt Theosophen, zugleich aber Männer von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit: Christian Knorr von Rosenroth (1636 – 1689) in Sulzbach und Franz Joseph Molitor (1779 – 1860) in Frankfurt. Gewiß, alle drei haben noch immer die Kabbala aus letztlich christologischer Perspektive gesehen, aber dennoch haben sie sich um ein Eindringen in vorher unbekannte Texte, die oft schwer zugänglich waren, bemüht.⁵⁰

Wurden die Arbeit des Eindringens in und der „Sprachwerdung“ von vorher unbekannten Texten, wie Scholem sie einstmals formulierte, „aufgenommen“ oder hat man sich doch „die Freiheit genommen, sich ihr zu entziehen?“⁵¹ Letzteres ist sicherlich anhand der oben gezeigten vielfältigen Forschung in diesem Bereich nicht der Fall. Auch wenn das anvisierte Programm Scholems überaus ambitioniert war und nicht in erster Linie der deutschen Forschung als Vorgabe dienen sollte und konnte, so wurden inzwischen doch sehr viele Aufgaben in Angriff genommen,vor allem im Editionsbereich und bei der Übersetzung von Quellentexte. Auf dem Feld der kabbalistischen Literatur gibt es hier sicherlich noch zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen und das erwähnte Projekte zum Sefer Ḥasidim oder auch das umfangreiche Zohar-Übersetzungsprojekt von Daniel Matt in Berkeley stehen gewiss in dieser von Scholem intendierten Tradition. Vielleicht findet sich heute erneut die Alternative zwischen Nachfolge und Rebellion – oder auch die Kombination von beidem, die aber dennoch der philologisch-philosophischen Forderung verpflichtet bleibt und letzten Endes philosophische Schlüsse zu ziehen vermag, wie Scholem zum „Wert der Kabbala“ in seinem Brief an Bialik schreibt:

 Gershom Scholem: Briefe. Band 2. 1948 – 1970. Hrsg. von Thomas Sparr. München: C. H. Beck 1995, S. 139.  Scholem: Juaica 6, S. 256 – 257.  So Scholem in seinem Brief an Bialik, Judaica 6, S. 55 in Anlehnung an Mishnayot 2,16: „Du wirst die Arbeit nicht vollenden, aber es steht dir auch nicht frei, dich ihr zu entziehen.“

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Als Abschluss dieser Arbeiten hoffe ich das zu tun, was mich seinerzeit zu all diesen Forschungen gebracht hat, mich, der ich nicht vorhatte, sich philologischen Studien hinzugeben, da ich mir ihrer Grenzen wohl bewußt bin: die Beantwortung der Frage: Ist die Kabbala etwas wert oder nicht?⁵² Natürlich ist diese Frage außerhalb des Bereichs der Philologie, aber ein Mann von Geist kann sie unmöglich außer acht lassen oder sich ihr entziehen, und ich gestehe Ihnen, ohne mich zu schämen, daß es dieses philosophische Interesse ist, das mir auch während der historisch-philologischen Forschung zur Seite stehen wird.⁵³

Man ist bisher weder zum Abschluss der Forschungsarbeiten zur jüdischen Mystik noch zu Scholem selbst gekommen. Anhand der posthum veröffentlichten Briefe und Tagebücher Scholems – welche noch lange nicht vollständig publiziert wurden – verändert sich zunehmend auch die philosophische Wahrnehmung seines Gesamtwerkes, da diese sein Profil und seinen geistigen Werdegang besser nachzeichnen als seine autobiographischen Schriften und Forschungsarbeiten. Auch wenn Scholem sich selbst eher als Religionshistoriker verstand, so artikulierte er dennoch Merkmale einer zeitgemäßen jüdischen Theologie, die aus einer dezidiert nicht-orthodoxen und ebenso wenig atheistischen Perspektive religiöse Grundfragen reflektiert. Auch ohne den „archimedischen Punkt“ eines Glaubens an den göttlichen Charakter der Tora hält Scholem mystische Formulierungen für offen und möglich. Dabei ist nicht das „Nichts der Offenbarung“ die Antwort auf das Ringen zwischen Religion und Säkularisation, sondern die Offenbarung beruht vielmehr nach dem rabbinischen Wortspiel von „eingegraben“ (ḥarut, auf den beiden Bundestafeln) und „Freiheit“ (ḥerut) auf der letzteren und ermutigt zu neuen Interpretationen.⁵⁴ Wenn man Scholem beim Wort nehmen darf, dann sollten sich in der Folge solch einer angestrebten Freiheit der Interpretationen und der religiösen Überzeugung „sowohl Nachfolger als auch Rebellen“ innerhalb der deutschen Forschung zur jüdischen Mystik finden lassen.

 Der Beantwortung dieser Frage widmet sich Scholem in seinem Brief an Salman Schocken vom 29. Oktober 1937. Briefe 1, S. 471– 472.  Judaica 6, S. 67.  Vgl. Pirqe de-Rabbi Eliʻezer 45. Gershom Scholem: Einige Betrachtungen zur jüdischen Theologie in dieser Zeit. In: Itta Shedletzky (Hrsg.): „Es gibt ein Geheimnis in der Welt“. Tradition und Säkularisation. Ein Vortrag und ein Gespräch. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2002, S. 7– 48, hier S. 46 – 47. Vgl. Gerold Necker: Scholem, Gershom. In: Thomas Bedorf / Andreas Gelhard (Hrsg.): Die deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 259 – 262.

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Agenda 2020 oder Haut/ab! Jüdische Studien nach der Bologna-Reform Vor wenigen Wochen erhielt ich in meiner Funktion als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Jüdische Studien und Religionswissenschaft von meinem Dekanat die Aufforderung, ein Dauerstellenkonzept für sämtliche Stellen des Fachs Jüdische Studien zu erstellen: Professuren, Mitarbeiter, Sprachlektorate. Ohne solch ein Dauerstellenkonzept können an keinem Institut meiner Universität Stellen entfristet bzw. entfristete Stellen erhalten werden. Dauerstellen können nur durch ein Dauerstellenkonzept gerechtfertigt und damit erhalten werden; ohne Konzept werden sie aus der Stellenstruktur der Fakultät gestrichen. Unter diesen von mir zu rechtfertigenden Dauerstellen der Jüdischen Studien befindet sich natürlich auch meine Stelle, die ich, wenn der Himmel will, bis 2024 bekleiden werde. Die Universität verlangt hier also vom Institutsdirektor eine Begründung, warum das Institut seine Stelle heute und evtl. auch nach 2024 noch braucht. Man kann dieses Ansinnen absurd finden, oder würdelos. Denn vor einigen Jahren hat man mich ja in Potsdam eingestellt, weil man eben so jemanden wie mich mit eben diesen meinen Qualifikationen brauchte. Reicht zur Rechtfertigung meiner Stelle nicht, dass ich meine Arbeit gut mache? Und muss ich mich jetzt schon dafür rechtfertigen, dass es mich (noch) gibt? Dass der Rotstift nicht schon vor 2024 angesetzt werden kann? Einige Kollegen würden inzwischen zynisch auf ein solches Anliegen reagieren und begründen, warum es ihre Stelle ab 2024 nicht mehr braucht. Schließlich sind wir doch alle ersetzbar, nicht wahr? Viele Kollegen reagieren auch gar nicht mehr. Schließlich kann man sich auf dem Plumeau des staatlich garantierten Professoreneinkommens bei grundgesetzlich garantierter Lehr- und Forschungsfreiheit ausruhen: Nach mir die Sintflut! Sollen sie die Stellen doch streichen, meine innere Kündigung und Loslösung von der Universität als Wirkungsstätte ist unter den Bedingungen der Bologna-Reform ohnehin längst vollzogen! Diese und ähnliche Reaktionen kennen wir doch alle von Kolleginnen und Kollegen in den Philosophischen Fakultäten. Nach 10 Jahren der Bologna-Reform ist die Lust auf immer neue Studien- und Prüfungsordnungen, auf Evaluationen und andere Maßnahmen des „Qualitätsmanagements“, auf endlose Sitzungen und Kommissionen, weit über den vormals normalen Einsatz in Forschung, Lehre und Fakultät hinaus, unter Null gefallen. Abwehr, Abwesenheit, Abtauchen und privatistische Regression sind darauf die Reaktionen, aber auch Herzinfarkte, Magengeschwüre und das Rauschen des Tinnitus. Es ist schon erstaunlich und DOI 10.1515/9783110523478-015

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erschütternd zu beobachten, wie die Wissenschaftspolitik und die Hochschulleitungen es schaffen, einer vormals intrinsisch hoch motivierten Berufsgruppe wie den Hochschullehrern die Lust an ihrem Beruf auszutreiben. Ich habe die Anfrage meines Dekanats als Indiz wahrgenommen: Ja, auch die Jüdischen Studien und die Judaistik sind nach der Bologna-Reform unter Rechtfertigungsdruck geraten; ja, auch im Fall der Jüdischen Studien sitzen in den Universitätsverwaltungen eifrige Verwaltungsangestellte, die unsere Studierendenzahlen, unsere Kapazitäten, unsere Auslastung, unseren dementsprechenden Personal- und Ausstattungsbedarf Semester für Semester akribisch neu berechnen; ja, auch der politische Bestandsschutz für Jüdische Studien aufgrund der deutschen Vergangenheit erodiert Jahr für Jahr; die ersten erfolgreichen Versuche, Professuren für Jüdische Studien einzusparen oder an andere Universitäten zu verlegen, liegen in Deutschland schon hinter uns. Abzusehen ist: Als sog. kleines Fach sind Judaistik und Jüdische Studien, wie alle kleinen Fächer mit geringen Studierendenzahlen und fehlendem berufsbezogenen Arbeitsmarkt, durch die Bologna-Reform unter Legitimationsdruck geraten. Was tun? Es gibt ja nun schon eine ganze Bibliothek von Aufsätzen und Büchern darüber, welches Übel die Bologna-Reform ist, dass sie den Untergang der abendländischen Bildung besiegelt, dass sie die Universitäten völliger Ökonomisierung preisgibt, die Freiheit der Wissenschaft und der Wissenschaftler verrät, intellektuellen Analphabetismus fördere, Immobilität statt Mobilität der Studierenden erzeuge, den Professorenberuf zerstöre, etc. etc. O tempora, o mores! Wenn ich das lese, bin ich richtig erschrocken, wie richtig viele dieser Analysen sind. Aber irgendwann wiederholen sich die Argumente auch, selbst wenn die Analysen und die kultivierte Kulturkritik der neueren Universitäts-Unkultur nach Bologna so pointiert und geistreich geschrieben sind wie die Kolumnen von Jürgen Kaube in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Denn das immer wiederholte Klagen löst kein Problem. Man kann hundertmal Recht haben, und wird trotzdem irgendwann irrelevant. Die Bologna-Reform ist irreversibel, und die Frage ist, wie wir mit ihr umgehen. Statt also unsere Phantasie zu nutzen, uns immer neue resignative oder indolente oder zynische oder komische oder wellness-kompatible Formen der Verweigerung auszudenken, uns in Berufskrankheiten oder Immobilienerwerb zurückzuziehen oder uns im Elfenbeinturm zu verbarrikadieren, können wir uns ja auch einmal überlegen, wie wir dennoch unser Fach für neue Generationen von Studierenden interessant, gar attraktiv gestalten können, wie wir sie für ein Studium der Jüdischen Studien gewinnen können. Denn wir sind in und nach der Bologna-Reform nicht nur Leidende und Opfer, wir sind, ob wir das wollen oder nicht, Akteure. Akteure, die ihr Umfeld, ihr Fach, ihr Institut und ihre Universität nolens volens mitgestalten. Deswegen mein Titel: Agenda 2020 oder Haut/ab! Wir sollten eine Agenda 2020 entwickeln, um dem „Haut ab!“ zu begegnen, das al-

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lenthalben den kleinen Fächern, die keine Berufsausbildung anbieten, seit Jahren entgegenschallt. Übrigens nicht nur seitens der Universitätsleitungen oder der Wissenschaftsministerien. „Haut ab!“ sagen uns auch Studierende, die sich nicht für Jüdische Studien oder Judaistik einschreiben, weil wir ihr Interesse und ihre Faszination nicht mehr zu wecken vermögen. Denn seien wir ehrlich: Gäbe es eine riesige studentische Nachfrage und gäbe es riesige Einschreibzahlen, wären Judaistik und Jüdische Studien nicht gefährdet und würden nicht in Frage gestellt. Ich gehe bei meinen Überlegungen von meinen Erfahrungen an der Universität Potsdam aus, wo seit 1994, also seit mehr als 20 Jahren, ein Studiengang, seit 2007 ein Institut für Jüdische Studien existiert. Dessen Studiengänge waren studentisch vor und nach der Bologna-Reform stark nachgefragt und scheinen also für Studierende attraktiv zu sein. Dabei war das Studium der Jüdischen Studien in Potsdam auch fachlich so anerkannt, dass wir seit dem Jahr 2000 in Zusammenarbeit mit dem Abraham Geiger Kolleg in Potsdam zukünftige liberale Rabbinerinnen und Rabbiner wissenschaftlich ausbilden, deren Ordination dann durch das Abraham Geiger Kolleg vorgenommen und von der Allgemeinen Deutschen Rabbinerkonferenz und liberalen Rabbinerorganisationen weltweit anerkannt wird. 2013 wurde sogar eine School of Jewish Theology in Potsdam gegründet, die die Rabbiner- und Kantorenausbildung selbständig durchführt und mit der die Jüdischen Studien heute eng kooperieren. Und von 2000 – 2007 entstand in Potsdam das erste Graduiertenkolleg für Jüdische Studien in Deutschland überhaupt: Makom. Ort und Orte im Judentum. Ein Graduiertenkolleg, das gut kulturwissenschaftlich den „spatial turn“ in den Jüdischen Studien propagierte und voranbrachte, denn es entstanden einige wichtige Dissertationen und Sammelwerke im Lauf dieser Jahre. Wie in Graduiertenkollegs üblich sind einige der Dissertationsprojekte gescheitert, andere wurden mit „summa cum laude“ abgeschlossen. Etwa die Hälfte der Graduierten hat hinterher im akademischen Bereich Arbeit gefunden, an Universitäten, in Drittmittelprojekten, in Akademien und Gedenkstätten. Allerdings nicht im engeren Bereich der Judaistik oder Hebraistik, sondern in Architektur, Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Europäischer Ethnologie und anderen Fächern, jeweils mit dem Schwerpunkt auf Judentum. Eine Graduierte ist inzwischen selbst Professorin geworden. Das ist, alles zusammengenommen, eine Erfolgsgeschichte, die fortzusetzen durch die Bologna-Reform erschwert wird. Als wir 1994, vor über 20 Jahren, den ersten Magisterstudiengang für Jüdische Studien an der Universität Potsdam gegründet haben, war das für die beteiligten Wissenschaftler ein Experiment. Aber es war in ihrem wissenschaftlichen Leben, das wussten wir damals schon, auch ein ziemlich einzigartiges Experiment. Warum? Wir hatten an der 1991 neu gegründeten Universität Potsdam die erstmalige und lebensgeschichtlich ebenfalls einmalige Situation, in völliger wissenschaft-

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licher Freiheit das Fach Jüdische Studien neu einzurichten.Wir konnten das eigene Fach nach unseren eigenen Vorstellungen völlig neu definieren und neu erfinden. Natürlich hatte jeder seinen eigenen akademischen Bildungsgang und seine eigenen Erfahrungen an anderen Universitäten mitgebracht, aber es gab in Potsdam keine Vorgängerinstitution, keine Ortstradition, nicht ein Blatt Papier mit irgendwelchen inhaltlichen Vorgaben. Es gab in Westdeutschland an mehreren Universitäten Institute für Judaistik, die wir großenteils aus unserem eigenen Studium und akademischen Werdegang kannten.¹ Aber es bestand ein Konsens, dass wir das dort praktizierte Modell der Judaistik nicht übernehmen wollten. Denn faktisch hatte sich die Judaistik seit der Gründung des ersten Instituts für Judaistik 1963 an der Freien Universität Berlin das Fach zu einer wissenschaftlichen Monodisziplin mit philologischem Schwerpunkt auf der Edition und Exegese hebräischer und aramäischer rabbinisch-religiöser Texte entwickelt, eine „Sackgasse“, wie der Judaist Nico Oswald schon 1991 konstatiert hatte.² Denn die philologisch-hebraistische Spezialisierung auf Kosten anderer geschichts- und kulturwissenschaftlicher Ansätze erschien methodisch, institutionell und inhaltlich zu eng, um das Phänomen Judentum und seine über 3000 Jahre alte und bis in die Gegenwart reichende Geschichte, Religion, Sprachen- und Kulturvielfalt in der Wechselbeziehung zu anderen Kulturen und Religionen angemessen wissenschaftlich zu erforschen. Darüber hinaus gab es für diese philologische Spezialisierung unter den Studierenden wenig Nachfrage, und so gut wie keine außeruniversitären Berufsperspektiven. Es wäre eine verpasste Chance gewesen, hier beim Aufbau einer neuen Universität in den neuen Bundesländern keinen radikalen Neuanfang zu wagen.³ Inhaltlich und methodisch war diese Gründung wirklich eine Stunde Null, ein Moment größter akademischer Freiheit. Es war möglich, das Fach Jüdische Studien völlig neu zu gestalten und dementsprechend die Studienordnung und die Prüfungsordnung gemäß unseren eigenen methodischen und inhaltlichen Vorstellungen neu zu entwerfen. Wir hatten die Chance eines radikalen Neuanfangs, weil wir an einem neuen Ort, an einer neuen Universität personell, fachlich, methodisch und inhaltlich völlig neu beginnen konnten. So viel Anfang war nie. Das hatte keiner von uns noch je erlebt: ohne Vorgänger und ohne Vorgaben das Fach Jüdische Studien nach eigenen Vorstellungen einzurichten und so einzu-

 Zur Geschichte der Judaistik vgl. Michael Brenner / Stefan Rohrbacher (Hrsg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000.  Niko Oswald: Judentum als Gegenstand von Wissenschaft. Eine Kritik des Faches Judaistik in Deutschland. In: Babylon 8 (1991), S. 45 – 71.  Vgl. Christoph Schulte: Judaistik or Jewish Studies? The New Construction of Jewish Studies at the Universities in the Former German Democratic Republic. In: Shofar 15,4 (1997), S. 32– 40.

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richten, dass es attraktiv ist, bunt und vielseitig, so dass die Jüdischen Studien gleichzeitig ein großes Dach für die heterogenen Arbeitsweisen, Forschungsinhalte und Interessen vieler Wissenschaftler bieten können und zugleich viele Studenten anziehen, weil der neue Studiengang deren Interessen entspricht und diese bedient. Der Studiengang sollte in der Mitte der Philosophischen Fakultät angesiedelt und verwurzelt sein. Nicht am Rand oder in einer Nische. Lieber Leuchtturm als Elfenbeinturm. Weder Orchidee noch Mimose, um bei der pflanzlichen Metaphorik zu bleiben, lieber eine Kreuzung aus märkischer Kiefer und der Zeder des Libanon, aus der immerhin Teile des Jerusalemer Tempels gebaut worden sein sollen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür war es, das Judentum, wie schon die Väter der Wissenschaft des Judentums 1822 programmatisch formuliert haben, nicht nur als „Religion der Juden“, sondern als „Inbegriff der gesammten Verhältnisse, Eigenthümlichkeiten und Leistungen der Juden“ zu begreifen.⁴ Bewährt hat sich, neben der Befassung mit dem Judentum als Religion, die ganze profane Geschichte, die diversen Kulturen und das Alltagsleben von Juden in über 3000 Jahren in den Jüdischen Studien in Potsdam prononciert zu berücksichtigen. Schon in jenem programmatischen Gründungstext werden drei wissenschaftliche Kerndisziplinen der Wissenschaft des Judentums genannt: Philologie, Geschichte und Philosophie des Judentums.⁵ Das fand seinen Niederschlag darin, dass, schon 1994 und bis heute nach der Bologna-Reform, wir unsere zahlreichen Lehrveranstaltungen sowohl im BA als auch im MA Jüdische Studien grob in drei Säulen aufteilen: a) Jüdische Religion und Philosophie b) Jüdische Geschichte c) Jüdische Kulturen und Literaturen Das bedeutete insgesamt eine kulturwissenschaftliche Öffnung des Faches Jüdische Studien, und inhaltlich wie methodisch eine bewusste und selbstbewusste Entwicklung weg von einer tendenziell monodisziplinären Befassung mit rabbinischer Religion und ihren Texten hin zu einer multidisziplinären religions- und kulturwissenschaftlichen Öffnung der Jüdischen Studien. Diese Entwicklung fand

 Immanuel Wolf: Ueber den Begriff einer Wissenschaft des Judentums. In: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums 1,1 (1822), S. 1. Der Aufsatz von Wolf ist der erste und programmatische Eingangstext im ersten Heft des ersten Jahrgangs der Zeitschrift und wurde mit Sicherheit vom Redakteur Leopold Zunz approbiert. Er ist insofern ein Konsensprodukt der Gründergeneration der Wissenschaft des Judentums. Vgl. Céline Trautmann-Waller: Philologie allemande et tradition juive. Le parcours intellectuel de Leopold Zunz. Paris: Ed. du Cerf 1998, S. 76.  Wolf: Ueber den Begriff, S. 19 f.

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Anklang und großes Interesse bei den Kollegen in der Philosophischen Fakultät, vor allem aber bei den Studierenden. Bewährt hat sich dabei neben der Multidisziplinarität auch die interdisziplinäre Arbeitsweise der Jüdischen Studien in Potsdam. Die Wissenschaft des Judentums, auf deren Schultern wir nach immerhin fast 200 Jahren immer noch stehen, war und verstand sich von Anfang an als ein multidisziplinäres Unternehmen mit den drei Kerndisziplinen Philologie, Geschichte und Philosophie. Dieser Kanon wissenschaftlicher Disziplinen hat sich im Verlauf des 19. und besonders des 20. Jh.s durch weitere Disziplinen wie jüdische Volkskunde, Soziologie, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte oder Politikwissenschaft, seit drei Jahrzehnten auch kultur- und medienwissenschaftliche Ansätze erweitert.⁶ Und die Wissenschaft des Judentums verbreitete sich von Deutschland aus in Europa, nach Nordamerika und mit der Gründung der Hebräischen Universität in Jerusalem 1925 auch im Jischuv und später in Israel.⁷ Alle diese wissenschaftlichen Disziplinen (im Plural) haben unterschiedliche Methoden und Arbeitsweisen (auch im Plural). Jüdische Studien, auch ein hier völlig stimmiger Plural, sind ein multidisziplinäres Unternehmen, das immer dann besonders gut gelingt, wenn man in Forschung und Lehre zumindest einige dieser Disziplinen und ihre Methoden interdisziplinär in ein Gespräch und in eine Interaktion bringen kann. Das bedeutete auch, dass wir das Leitbild des Universal-Judaisten, des Professors oder der Professorin, der alle diese Disziplinen überschaut und beherrscht, und der jüdische Religion und jüdische Geschichte aller Zeiten von der Hebräischen Bibel bis Woody Allen gleich gut abdeckt, verabschieden mussten. Die Zeiten von Zunz, Steinschneider und Graetz sind vergangen. In unserem Jahrhundert und in Zeiten immer wachsender wissenschaftlicher Spezialisierung macht diese auch vor der Judaistik und den Jüdischen Studien nicht halt, und die innerfachliche inhaltliche wie methodische Ausdifferenzierung ist nicht aufzuhalten. Das heißt auch, dass wir uns zur Multidisziplinarität und Interdisziplinarität im eigenen Fach, und oft auch im eigenen Institut, bekennen müssen. Und auch zu unseren eigenen Schwächen: Nicht jeder kann alles allein und womöglich gleich gut abdecken. Seit den 1990er Jahren hat sich auch die Judaistik im Sinne des cultural turn so grundsätzlich gewandelt, dass die Idee des Universaljudaisten, der als Philologe die gesamte rabbinische Literatur überblickt, weitgehend verschwunden ist: Die Profile der Institute für Judaistik und Jüdische Studien haben sich inhaltlich und methodisch stark angenähert, und auch in der Namensgebung  Christoph Schulte: Religion in der Wissenschaft des Judentums. Ein historischer Abriß in methodologischer Absicht. In: Revue des études juives 161,3 – 4 (2002), S. 411– 429.  Vgl. Julius Carlebach (Hrsg.): Chochmat Jisrael. Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992.

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der Professuren, Institute und Institutionen haben sich Judaistik und Jüdische Studien in den vergangenen zwei Jahrzehnten beinahe zu Synonymen entwickelt.⁸ Großen Anklang unter Studierenden und Kollegen fand die Gründung und Besetzung von eigenen Lehrstühlen für jüdische Geschichte seit den 1990er Jahren, die die traditionell hebraistische philologische Fokussierung der judaistischen Institute in der Bundesrepublik aufbrach. In Potsdam, Duisburg und Düsseldorf, und auch an der Hochschule in Heidelberg geschah das innerhalb der Jüdischen Studien, an der LMU in München außerhalb. Gleichviel, die neue, stärkere Hinwendung zur jüdischen Geschichte gehört integral zur kulturwissenschaftlichen Öffnung und Disziplinenvielfalt der Jüdischen Studien. Auch im Bereich der jüdischen Literaturen hat sich seit den 1990er Jahren einiges getan: neben Professuren mit dem Fokus auf deutsch-jüdischer Literatur entstanden zwei neue Professuren für Jiddisch, institutionell teilweise innerhalb, teilweise außerhalb von Institutionen für Jüdische Studien. Damit sind profane jüdische Literaturen im Forschungs- und Lehrbereich der Jüdischen Studien endlich gleichberechtigt an die Seite der religiösen rabbinischen Literatur gerückt. Schon Martin Buber hat im Jahr 1900 richtig festgestellt, dass Jüdische Studien, anders als etwa die Anorganische Chemie, keine eigenständige wissenschaftliche Monodisziplin samt einer spezifischen Anzahl von definierten Methoden sind. Vielmehr werden die Jüdischen Studien als Wissenschaft bei einer Vielzahl unterschiedlicher Disziplinen und Methoden allein durch ihren Gegenstand, das Judentum, zusammengehalten.⁹ In Potsdam hat sich bewährt, dass sich die Jüdischen Studien ihre Multidisziplinarität eingestanden haben und die Kolleginnen und Kollegen systematisch den Kontakt zu den anderen Fächern der Philosophischen Fakultät und der Universität gesucht haben. Die Jüdischen Studien haben von ihrer eigenen historischen und kulturwissenschaftlichen Öffnung ungeheuer profitiert. Zunächst haben die Jüdischen Studien da aus der Not eine Tugend gemacht: Weil es anfangs keine eigenen Professuren für Jüdische Studien gab, sondern lediglich eine Professur für deutsch-jüdische Geschichte und eine Professur für Religionswissenschaft mit Schwerpunkt Judentum, waren die Professoren und ihre Mitarbeiter Doppelmitglieder in den Jüdischen Studien und jeweils anderen Instituten der Phi-

 Vgl. Eva Lezzi / Dorothea Salzer (Hrsg.): Dialog der Disziplinen: Jüdische Studien und Literaturwissenschaft. Berlin: Metropol Verlag 2009; Einleitung, S. 11– 19.  Martin Buber: Jüdische Wissenschaft. In: Ders.: Die Jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen 1900 – 1915. Berlin: Jüdischer Verlag 1916, S. 45 – 57; hinsichtlich der inhaltlichen und methodischen Vielfalt der Wissenschaft des Judentums schon im 19. Jh. vgl. Kurt Wilhelm (Hrsg.): Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich. Ein Querschnitt, 2 Bde. Tübingen: Mohr Siebeck 1967.

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losophischen Fakultät. Sie waren gezwungen, ihre Lehrveranstaltungen gleichzeitig in den Jüdischen Studien und in einem anderen Fach anzubieten: in Geschichte, in Religionswissenschaft, später in Philosophie und in den Philologien. Dabei haben sich die Jüdischen Studien erfolgreich bemüht, Lehrveranstaltungen von Kollegen aus der Germanistik, dem Historischen Institut, der Romanistik oder der Slavistik, außerhalb der Fakultät auch aus der Pädagogik und der Soziologie, die sich signifikant mit einer jüdischen Thematik oder einem jüdischen Autor befassten, in die Jüdischen Studien zu importieren, um das Lehrprogramm breiter und reicher zu gestalten. Bis heute haben viele Professoren der Jüdischen Studien doppelte Institutsmitgliedschaften und bieten häufig ihre Lehrveranstaltungen in unterschiedlichen Instituten der Philosophischen Fakultät an; überdies können die Jüdischen Studien Professoren anderer Fächer kooptieren, die ein manifestes Interesse und einen Forschungsschwerpunkt zum Judentum haben. Dieses System haben wir über die Bologna-Reform hinaus beibehalten und profitieren dabei sogar von der Modularisierung: Die Module, die in den Jüdischen Studien generiert werden, können in andere Studiengänge exportiert werden, die Jüdischen Studien können umgekehrt und ohne technische Probleme relevante Module anderer Fächer importieren. Seit 2013 organisieren und tragen die Jüdischen Studien sogar gemeinsam mit dem Institut für Slavistik einen gemeinsamen Master-Studiengang Osteuropäische Kulturstudien, in dem ein Schwerpunkt des Masterstudiums die Beschäftigung mit dem osteuropäischen Judentum sein kann. Solche fruchtbare interdisziplinäre und interinstitutionelle Zusammenarbeit und gemeinsame Trägerschaft von Masterprogrammen wird durch die Bologna-Reform sogar erst ermöglicht. Hier ist die Bologna-Reform auch ein Chance, die nicht nur in Potsdam, sondern auch vom Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin oder von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg zur Etablierung neuer, spezifischer und fachübergreifender Masterprogramme genutzt wird. Aus der Not des Anfangs, in der Lehre fächerübergreifend zu unterrichten, und auch aus der doppelten Institutszugehörigkeit, wurde später eine Tugend: Die Inhalte der Jüdischen Studien erreichten auf diesem Wege auch Studierende anderer Fächer und Institute, und wir erzielten in der Universität selber tatsächlich eine große Breitenwirkung: Hunderte, wenn nicht Tausende von Studierenden anderer Fächer haben in ihrem Fachstudium in Potsdam auch einmal eine Lehrveranstaltung aus den Jüdischen Studien besucht, manche haben sich sogar ‚ansteckenʻ lassen und sind ganz in die Jüdischen Studien gewechselt. Dieser enge Austausch von Lehrveranstaltungen zwischen den Fächern und Instituten hat zwei weitere Vorteile: a) den Jüdischen Studien wird ihr exotischer Sonderstatus genommen. Sie werden ein Fach wie jedes andere, und das Judentum ist weder ein Fall für Außenseiter noch ein Tabuthema noch ein Sonderfall exkulpatorischer Vergangenheitsbewältigung. Judentum ist vielmehr integraler

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Teil deutscher, europäischer und außereuropäischer Kultur und Geschichte, wie sie auch sonst an einer Philosophischen Fakultät erforscht und gelehrt wird. b) Der andere Vorteil ist, dass die Studierenden der Jüdischen Studien in den anderen Fächern deren Arbeitsweise und methodisches Handwerkszeug erlernen, z. B. historische Quellen- und Archivarbeit, literaturwissenschaftliche Methoden, Methoden der Vergleichenden Religionswissenschaft etc. Diese Kurse und das in ihnen vermittelte wissenschaftliche Handwerkszeug müssen die Jüdischen Studien als vergleichsweise kleines Fach dann nicht aus eigener Kraft generieren. Insofern ist das kombinierte Studium von Jüdischen Studien und einem anderen Fach für uns eine gute Option: Ein Studierender kann, je nach Neigung, Jüdische Studien mit Geschichte kombinieren, mit Philosophie, Religionswissenschaft oder einer Literaturwissenschaft. Er lernt in dieser Kombination wissenschaftlich arbeiten, setzt sehr klar seine eigenen Prioritäten und befriedigt seine Vorlieben. Das Eigene der Jüdischen Studien und die Standardvoraussetzung für die Studierenden bleibt dabei das Erlernen des Hebräischen (insbesondere Biblisches Hebräisch und modernes Hebräisch), optional des Jiddischen, sowie der Besuch von Pflichtkursen zur Hebräischen Bibel und zur rabbinischen Literatur. Von dieser Basis aus können die Studierenden dann ihre eigene Agenda entwickeln und ihren speziellen Interessen z. B. an rabbinischer Literatur, deutsch-jüdischer Kulturgeschichte, polnisch-jüdischer oder jiddischer Literatur, frühneuzeitlich-sefardischer Geschichte, Kabbala, jüdischer Religionsphilosophie o. ä. nachgehen. So weit das Potsdamer Modell der Jüdischen Studien. Es hat sich bewährt. Mir scheint dennoch, dass in den vergangenen 20 Jahren die Jüdischen Studien ihren Platz an der Universität und in der deutschen Gesellschaft stark verändert haben. Da ist es, wenn wir uns nach unserer Rolle und nach unserer Zukunft fragen, sinnvoll, sich an den jungen Leuten zu orientieren, die das Fach studieren möchten und studieren. Im Jahr 1994, am Anfang, waren vier unterschiedliche Interessengruppen signifikant unter den Studierenden vertreten: 1) Solche, die sich für deutsch-jüdische Geschichte und Kultur interessieren als Teil ihrer eigenen deutschen Kultur und Geschichte; 2) solche, die sich für Judentum als Religion interessieren; 3) solche, die sich für den Staat Israel, seine Gesellschaft und Kultur interessieren; und 4) solche, die sich mit der dunklen deutschen Vergangenheit, mit Nationalsozialismus und Antisemitismus auseinandersetzen möchten und die mehr über die Gründe und Umstände der Shoa wissen wollen.¹⁰ Alle diese vier Interessengruppen gibt es heute unter den Studierenden noch, allerdings unter anderen Vorzeichen und in anderer Gewichtung: Die deutsch-jüdische Geschichte muss nicht mehr der Verleugnung und Vergessenheit entrissen

 Schulte: Judaistik or Jewish Studies?, S. 36.

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werden. Jüdische Wissenschaftler, Politiker, Künstler und AutorInnen, aber auch Arbeiter und Angestellte, haben nicht einen braven, minoritären „Beitrag“ zur deutschen ‚Leitkulturʻ geleistet, sie haben diese vielmehr mitgestaltet, z.T. das wissenschaftliche und kulturelle Leben Deutschlands allererst mitkonstitutiert. Dies historisch zu rekonstruieren, ist nach dem Bruch der Shoa immer noch Trauerarbeit. Aber Achtung vor Kitsch und treudeutscher Kanonisierung: Paul Celan aus Czernowitz, die Ikone jüdisch-deutscher Lyrik, wäre heute ukrainischer Staatsbürger. Wer sich für das Judentum als Religion interessiert, und diese Studierenden gibt es, kommt in Potsdam gleich doppelt auf seine Kosten: Jüdische Theologie und Jüdische Studien bieten ca. 30 Lehrveranstaltungen pro Semester zu Religion und rabbinischen Texten, nur in Potsdam studieren Rabbiner und Kantoren. Näher dran am religiös gelebten Judentum geht nicht. Das Interesse an Israel erlahmt nie; nicht nur,weil die Bundeskanzlerin Israels Existenz und Sicherheit zur deutschen Staatsraison erklärt hat, sondern auch,weil die Regierung Netanyahu durch die Fortsetzung der unsinnigen und völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik genauso wie der Fanatismus der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen schon dafür sorgen, dass vorläufig keine friedliche Lösung des Nahostkonflikts ansteht. Aber wir konstatieren ein starkes Interesse an Israel Studies jenseits des Nahost-Konfliktes, ein profundes Interesse an israelischer Kultur, Musik, Film, Literatur und Lebenswelt, das Jüdische Studien durch einschlägige Lehrveranstaltungen bedienen können und sollten. Antisemitismus und Shoa stehen heute weniger im Zentrum als noch 1994. Das hat zu tun mit der Historisierung der Shoa in der spezialisierten Geschichtswissenschaft einerseits und mit der Eröffnung neuer, spezialisierter Masterstudiengänge für Holocaust Studies (Touro College Berlin) oder für Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (TU Berlin) andererseits. Diese spezialisierten Studiengänge bieten in der Breite und in der Spezialisierung einschlägig mehr als Jüdische Studien dies tun können. Aber wir haben Juden und Judentum im Fokus der Jüdischen Studien, nicht die Judenfeinde. Antisemitismus und Shoa sind ein notwendiger Gegenstand unserer Forschung und Lehre, aber kein hinreichender. Zwei studentische Interessengruppen indessen sind gegenüber den 1990er Jahren völlig neu, als wir fast ausschließlich deutsche, nichtjüdische Studenten hatten: Wir haben in den letzten Jahren eine steigende Anzahl von ausländischen Studierenden bei uns, aus Polen, aus Russland, aus den baltischen Staaten, aus Italien, aus den USA und neuerdings etliche aus Israel. Und wir haben zunehmend jüdische Studenten in den Jüdischen Studien, darunter die genannten Israelis, aber auch aus den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Sicher hat das mit dem Aufblühen jüdischen Lebens und jüdischer Kultur, aber auch offen gelebter jüdischer Religiosität in Deutschland zu tun. Das jüdische Berlin hat sich in den letzten 25 Jahren phänomenal entwickelt, Berlin war 20 Jahre lang die am

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schnellsten wachsende jüdische Gemeinde der Welt. Da sind viele junge Jüdinnen und Juden unterwegs, die sich ihres Judeseins nicht sicher sind, ihren Platz suchen, eine Identität zwischen religiös und säkular. Jüdische Studien spielen, das ist neu, hier anscheinend eine Rolle als Informations- und Identifikationsort jenseits des Elternhauses. Und das hat dann gar nichts mehr mit deutscher Vergangenheitsbewältigung zu tun, sondern ist ganz auf Zukunft, auf Probieren, auf Sich-Finden, ich glaube auch: auf Bleiben eingestellt. Ich hoffe, ich habe mit diesem Werkstattbericht aus Potsdam jetzt nicht zuviel pro domo gesprochen. Ich wollte die Jüdischen Studien in Potsdam hier nur als ein mögliches und inzwischen bewährtes Modell vorstellen, wie sich Jüdische Studien im Fächerkanon der Philosophischen Fakultät auch nach der Bologna-Reform erfolgreich behaupten und wie sie fruchtbar auf den cultural turn in dieser Fakultät reagieren können. Ich denke, dass auf der Agenda 2020 die kulturwissenschaftliche Öffnung der Judaistik und der Jüdischen Studien stehen muss, die ich an einigen Instituten auch schon verwirklicht sehe, etwa durch die Einführung gemeinsamer, spezialisierter Masterprogramme. Völlig unverzichtbar ist zukünftig auch die Berücksichtigung von Gender und Gender-Perspektiven in Forschung und Lehre. Bibel und rabbinisches Judentum als Religion bleiben trotz dieser kulturwissenschaftlichen Öffnung ein Anker der Jüdischen Studien, der auch institutionell gar nicht bedroht ist. Schon heute sind in Deutschland mehr als die Hälfte der Professuren im Bereich der Jüdischen Studien und Judaistik an Christlich-Theologischen Fakultäten, an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und an der School of Jewish Theology in Potsdam angesiedelt und damit institutionell und politisch durch die sie tragenden Religionsgemeinschaften abgesichert. Aber auch dort weht der Wind des cultural turn, und die Frage, wie rabbinische Religion die jüdische Kultur- und Literaturgeschichte selbst prägte und auch in säkularen Kulturen weiterwirkt hat, das monodisziplinäre Modell einer auf philologisch-historische Exegese und Edition rabbinischer Texte spezialisierten Judaistik seit den 1990er Jahren abgelöst. Ob es gelingt, den Fortbestand meiner eigenen Stelle nach 2024 zu rechtfertigen, hängt maßgeblich vom Erfolg der Agenda 2020 ab, und davon, ob die kulturwissenschaftliche Öffnung von Judaistik und Jüdischen Studien erfolgreich neue Generationen von Studierenden anzieht. Wir arbeiten dran.

Hanna Liss und Kay Joe Petzold

Die Erforschung der westeuropäischen Bibeltexttradition als Aufgabe der Jüdischen Studien 1 Der masoretische Text und der Begriff der Masora Das Punktations-, Akzent- und Annotationssystem der Hebräischen Bibel, für das die sog. Masoreten und ihre Vorgänger verantwortlich zeichnen, wurde sukzessive ab dem 4./5. Jh. entwickelt und findet seine vollumfängliche Ausprägung zunächst in den großen – noch erhaltenen – orientalischen Bibelkodizes:¹ a) Kodex Or. Ms. 4445 (= MB, British Library, Nissi ben Daniel ha-Kohen, 925 u.Z., 186 Folio-Seiten, Pentateuch, unvollständig), b) Kodex ML17 (St. Petersburg, Firkovich Evr. II B17; Shelomo ben Buya’a, 929 u.Z., 242 Folio-Seiten, Pentateuch, unvollständig), c) Aleppo-Kodex (‫ כתר ארם צובא‬bzw. ‫כתר חלב‬, Jerusalem Crown;² Shelomo ben Buya’a, 930 u.Z., 295 Folio-Seiten extant, Vollbibel, unvollständig), d) Kodex ML34 (St. Petersburg, Firkovich Evr. II B34 = L13, Cairo um 975 u.Z., 201 Folio-Seiten, Ketuvim, unvollständig). e) Kodex Sassoon 1053 (= Codex MS1, um 1000 u.Z., 396 Folio-Seiten, Vollbibel, unvollständig),

 Nachfolgend sortiert nach Entstehungsdatum; zu den orientalischen Kodizes vgl. insgesamt u. a.: Adrian Schenker u. a. (Hrsg.): Biblia Hebraica quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato (Biblica Hebraica Quinta). Fascicle 18: General Introduction and Megilloth. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2004, S. XVIII–XXV; Aron Dotan: Masora. In: Encyclopedia Judaica, Vol. 13. Second Edition. Detroit / New York u. a. 2007: Macmilan Reference, S. 603 – 656; Israel Yeivin: Introduction to the Tiberian Masorah (The Society of Biblical Literature Masoretic Studies 5). Missoula, Mo.: Scholars Press 1980; ders.: The Biblical Masorah. 2. Aufl. Jerusalem: Academy of the Hebrew Language 2003 (Hebräisch); Emanuel Tov: Textual Criticism of the Hebrew Bible. 2., überarb. Aufl. Minneapolis: Fortress Press u. a. 2001; Mordechai Breuer: Aleppo Codex and the Accepted Text of the Bible. Jerusalem: Mossad HaRav Kook 1976 (Hebräisch); Malachi Beit-Arie / Colette Sirat / Mordecai Glatzer (Hrsg.): Codices hebraicis litteris exarati quo tempore scripti fuerint exhibentes, Bd. 1: Jusqu’à 1020, Turnhout u. a.: CNRS u. a. 1997; Paul Kahle: The Kairo Geniza. Second Edition. New York: Frederick A. Praeger 1959.  Nachfolgend abgekürzt als A. DOI 10.1515/9783110523478-016

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Kodex Sassoon 507 (= Ms Heb. 24° 5702, Codex MS5, Damascus Pentateuch, um 1000 u.Z., 229 Folio-Seiten, Pentateuch, unvollständig), g) Kodex Leningradensis (St. Petersburg, Firkovich Evr. I B 19a;³ Shmuel ben Ya’aqov, um 1008 u.Z., 491 Folio-Seiten, Vollbibel, vollständig). h) Kairoer Prophetenkodex (Gottheil 34, Moshe ben Asher?, um 895? u.Z., C14Datierung um 1000 u.Z., 296 Folio-Seiten, vordere und hintere Propheten)⁴ f)

Entsprechend den damaligen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit, Babylonien und Palästina, entwickelten sich mindestens zwei masoretische Schulen unabhängig voneinander, die nach den späteren masoretischen Listen als ‚westliche‘ (ma’arba’e) und als ‚östliche‘ (madinḥa’e) Tradition unterschieden wurden.⁵ Die östliche babylonische Schule unterschied sich von der westlichen vor allem in ihrem supralinearen Vokalisationssystem, weil sich – obwohl es auch ein westliches supralineares Vokalisierungssystem gab – die infralineare Vokalisation des so genannten tiberiensischen Bibeltextes unter historisch bisher nicht vollständig geklärten Umständen durchsetzte. Der geographische wie auch religionssoziologische Kontext der (arabischsprachigen!) Masoreten (unabhängig von der Frage, ob sie Karäer waren oder nicht),⁶ lässt dabei darauf schließen, dass die artefaktische Ausgestaltung des masoretischen Kodex wie auch die Integration metatextueller Elemente, angefangen bei der Vokalisation, ohne die Textgeschichte und die Kanonisierung des Qur’ān und der frühen syrisch-arabischen vokalisierten Bibelausgaben nicht zu denken ist.⁷ Nachhaltig wirkten vor allem die ti-

 Nachfolgend abgekürzt als L.  Vgl. u. a. Schenker: Biblia Hebraica quinta editione, S. XVIII–XXV;Yeivin: Introduction, S. 20 – 21; Richard J.H. Gottheil: Some Hebrew Manuscripts in Cairo. Philadelphia: Dropsie College for Hebrew and Cognate Learning 1905, S. 609 – 655; Kahle: Karo Geniza, S. 92– 97; Beit-Arie / Sirat / Glatzer: Codices hebraicis, S. 25 – 39; Frederico Pérez Castro u. a.: El Codice de Profetas de El Cairo, 9 Bde. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1979 – 1992.  Paul Kahle: Masoreten des Westens, Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1930; ders.: Die Hebräischen Bibelhandschriften aus Babylonien (Mit Faksimiles von 70 Handschriften). Gießen: Alfred Töpelmann 1928; ders.: Masoreten des Westens, Bd. 1. Stuttgart: Kohlhammer 1927 ders.: Masoreten des Ostens: Die ältesten punktierten Handschriften des Alten Testaments und der Targume. Leipzig: J.C. Hinrichs 1913.  Aron Dotan: Ben Asher’s Creed: A Study of the History of the Controversy. Missoula, Mo.: University of Montana 1977; Raphael Isaac Zer: Was the Masorete of the Aleppo Codex of Rabbanite or of Karaite Origin? In: Textus 24 (2009), S. 39 – 262.  Vgl. dazu bes. Hanna Liss: Ein Pentateuch wie andere auch? Die Lese-Geheimnisse des Regensburg Pentateuch. In: Friedrich-Emanuel Focken / Michael R. Ott (Hrsg.): Metatexte. Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur (Materiale Textkulturen 15). Berlin / Boston: DeGruyter 2016, S. 297– 330 (open access: http://www. degruyter.com/view/product/455285).

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beriensischen Masoreten Moshe ben Ascher (2. Hälfte 9. Jh.; Kairoer ProphetenKodex), und Aharon ben Moshe ben Asher (1. Hälfte 10. Jh.; er vokalisierte, akzentuierte und annotierte die Masora von A).⁸ Der Begriff ‚Masora‘ (‫ )מסורה‬bezeichnet heute im weitesten Sinne alle Informationen (Grapheme, Notizen, mise-en-page, Referenzen, Akzent- und Vokalisationszeichen), die in erster Linie den Muster-Kodex (Muṣḥaf / Maḥzor)⁹ aber auch den Sefer Tora in seiner (ritual-dynamisch relevanten) Gestalt bestimmen, und in einem engeren Sinne all jene meta-textuellen Elemente umfassen, die eine der Tradition entsprechende Weitergabe des masoretischen Textes gewährleisten. Die meta-textuellen Elemente der Masora in den mittelalterlichen hebräischen Bibel-Manuskripten verteilen sich auf die masoretischen Noten in den vertikalen Marginalien (Masora parva [mp]), die Erläuterungen, Merkverse und Stellenverweise (simanim) in den oberen und unteren Marginalien (Masora magna [mm]) und die separaten masoretischen Noten und Listen zwischen den Büchern oder am Ende des Manuskripts (Masora finalis), und etablieren damit summarisch die Bedeutungszuschreibung des modernen Begriffs Masora. Die etymologische Herkunft des Begriffs Masora (‫ )מסורה‬ist nicht endgültig geklärt. Unabhängig davon, ob er mit der aramäischen Form ‫‚ מסוֹרת‬Tradition‘ von der hebräischen

 Hayim Tawil / Bernd Schneider: The Crown of Aleppo: The Mystery of the Oldest Hebrew Bible Codex. Philadelphia: Jewish Publication Society 2010; Mordechai Breuer: Jerusalem Crown. The Bible of the Hebrew University of Jerusalem. 2. Aufl. Jerusalem: N. Ben-Zvi Enterprises & The Karger Family Fund 2004; ders.: The Biblical Text in the Jerusalem Crown Edition and its Sources in the Masora and Manuscripts. Jerusalem: Keren ha-Masora / The Masora Foundation 2003; ders.: The Masora Magna to the Pentateuch by Shmuel ben Ya’aqov (Ms. ‫)מ ל‬. Jerusalem: Keren ha-Masora / The Masora Foundatio 2002; Yosef Ofer: The Aleppo Codex – the History and Authority of the Manuscript: The Present Edition and the Principles of its Text. In: Mordechai Glatzer (Hrsg.): Jerusalem Crown – the Bible of the Hebrew University: Companion Volume. Jerusalem: Hebrew University Press 2002, S. 25 – 50 (Hebräisch); Moshe Goshen-Gottstein: The Aleppo Codex (Faksimile-Edition). Jerusalem: Magnes 1976; Israel Yeivin: The Aleppo Codex of the Bible: A Study of Its Vocalization and Accentuation. Jerusalem: Magnes 1968 (Hebräisch).  Interessanterweise existiert kein hebräischer Begriff für Bibeln in Kodex-Form, sondern die Kolophone der frühen orientalischen Bibelhandschriften benutzen vice versa das arabische Lehnwort Muṣḥaf (vgl. zu Muṣḥaf als Begriff für Kodex u.a die Definition von Ameur Ghédira: Ṣaḥīfa. In: Encyclopaedia of Islam, Bd. 8. Second Edition. Leiden: Brill 1995, S. 834– 835, hier S. 835: „The muṣḥaf is a collection of written leaves placed between two covers [ṣuḥuf bayn daffatayi/ lawḥayi ’l-muṣḥaf], or a collection of a complete assemblage of leaves, each leaf being called a ṣaḥīfa […].“) oder das hebräische Maḥzor (‫ מחזור‬als maqtāl von ‫‚ חזר‬zurückkehren, zirkulieren‘ als Bezeichnung für Bibel-Kodizes für den kalendarischen Lesezyklus, und erst später im Raum Aschkenas ausschließlich Begriff für die speziellen Feiertags-Siddurim) für die Bezeichnung der Kodizes. Beide Begriffe bezeichnen dabei jeweils nur einen materiellen bzw. ritual-dynamischen Aspekt des Kodex als Artefakt.

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Wurzel ‫‚ מסר‬weitergeben, tradieren‘ oder über die Nominalbildung ‫מסרת > מאסרת‬ von hebräisch ‫( אסר‬akkadisch asâru) ‚binden‘ gebildet wird, bezieht er sich im wesentlichen und ursprünglich auf die zu beachtenden Unterschiede zwischen der autorisierten Defektiv- und Plene-Schreibung (‫ )אם למסורת‬und der korrekten Aussprache des hebräischen Konsonantentextes (‫ )אם למקרא‬und den zu tradierenden metatextlichen Besonderheiten des hebräischen Bibeltextes.¹⁰

2 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Masora seit der Frühen Neuzeit In der mittelalterlichen jüdischen Bibel-Auslegung waren vollumfänglich masorierte Bibeln wie auch isolierte masoretische Listen (z. B. Okhla we-Okhla; Sefer ha-Ḥilufim) im Umlauf, die seit dem 11. Jh. kontinuierlich in den Kommentaren der spanisch-provençalischen und der nordfranzösisch-aschkenasischen Exegeten berücksichtigt wurden und somit einen festen Platz in der Bibelauslegung der jüdischen Wissenschaftstradition des Hochmittelalters hatten. Allerdings lässt sich eigentlich erst seit dem italienischen Gelehrten Yedidyah Salomone Norzi (1560 – 1626)¹¹ von der Verwendung der Masora als einem Instrument für kritische Textforschung sprechen, sieht man von der erstmalig systematischen Erfassung masoretischen Materials hebräischer Bibelhandschriften für den Druck der Rabbiner-Bibel des Jakob Ben Ḥayyim (Daniel Bomberg, Venedig 1524/25) und der damit einhergehenden Renaissance (Elijahu Levita) der Beschäftigung der christlichen Hebraisten (Gebr. Buxtorff) mit den metatextuellen Elementen des masoretischen Textes einmal ab. Unter dem Einfluss des wahrscheinlich ebenfalls aus Italien stammenden Gelehrten Menaḥem ben Yehuda de Lonzano (1555 – 1624)¹² bestand Norzis Interesse darin, den Bibeltext textkritisch aufzuarbeiten: Insbesondere die Masora des Ms Parma de Rossi 782, einer sefardischen Bibel-Handschrift aus Toledo (1277), stellte dabei sein grundlegendes Arbeitsinstrument dar. Mit Hilfe dieses Manuskriptes erarbeitete Norzi 1626 den Apparat und die autoritativen Lesarten für das für die neuzeitliche jüdische Textwissenschaft grundlegende Werk ‚Goder  Zum Begriff ‚Masorah‘ vgl. Aron Dotan: Masorah. In: Encyclopedia Judaica, Bd. 16, 4. Aufl. Jerusalem: Keter 1978 , S. 1401– 1482, bes. S. 1418 – 1419.  Bekannt auch unter dem Namen seines masoretischen Hauptwerkes Minḥat Shay, gedruckt in Mantua 1742; vgl. auch Zvi Betser: Jedidiah Solomo Raphael Norzi: Minḥ at Shay on the Torah, Critical Edition, Introduction and Notes. Jerusalem: Magnes 2005, bes. S. 3 – 9 (Hebräisch).  Vgl. Jordan Penkower: Masorah and Text Criticism in the Early Modern Mediterranean: Moses Ibn Zabara and Menahem de Lonzano. Jerusalem: Magnes 2014.

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Pereẓ‘ (‫‚ גדר פרץ‬Breschenschließer‘), das 1742 von Rafael Ḥayyim Basile unter dem Titel ‚Minḥat Shay‘ in Mantua gedruckt wurde. Bei Norzi war also die Masora eines ausgewählten und für authentisch erachteten Manuskriptes so etwas wie die ancilla des (‚besten‘) Bibeltextes. Im 18. Jh. hatten sich die jüdischen Gelehrten vor allem mit der protestantischen Bibelwissenschaft auseinander zu setzen, die sich vornehmlich der sog. ‚höheren Kritik‘ verschrieben hatte.¹³ Die Textkritik, die sog. ‚niedere Kritik‘, diente ausschließlich der Erarbeitung des ‚besten Textes‘ im Sinne der Annäherung an einen ‚Urtext‘. In dieser Linie stehen sowohl die Bibel von Johann Heinrich Michaelis (1720), die sog. Kennicott-Bibel¹⁴ sowie die Bibel von Giovanni Bernardo de Rossi.¹⁵ Demgegenüber suchte der Mitstreiter Moses Mendelssohns, Naftali Herz Wessely (1725– 1805), die sog. ‚höhere Kritik‘, d. h. die Frage nach der Religions- und der Überlieferungsgeschichte, zugunsten der Beschäftigung mit der ‚niederen Kritik‘ als der Frage nach dem Text und seiner textkritischen Überlieferung zu harmonisieren. Herz Wessely wollte die traditionelle Überlieferung als mit der Erklärung des Textes nach dem Peshaṭ in Übereinstimmung stehend auszeichnen, weil die mittelalterlichen Kommentatoren den Peshaṭ beachtet, die Grammatik studiert und die Akzentsetzung, m.a.W. die masoretische Kommentierung, ernst genommen hätten. In deutlicher Konkurrenz zur christlichen Exegese suchte also Herz Wessely den masoretischen Text, d. h. den hebräischen Bibeltext einschließlich seiner Vokalisierung und Akzentsetzung, philologisch gründlich zu kommentieren.¹⁶ Hebräische Philologie und

 Vgl. Hanna Liss: ‚Das Erbe ihrer Väter‘: Die deutsch-jüdische Bibelwissenschaft im 19. und 20. Jh. und der Streit um die Hebräische Bibel. In: Daniel Krochmalnik / Magdalena Schultz (Hrsg.): Wie gut ist unser Anteil? ‫ מה טוב חלקנו‬Gedenkschrift für Yehuda T. Radday (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 6). Heidelberg: Winter 2004, S. 21– 36.  Vetus Testamentum hebraicum cum variis lectionibus (1776 – 1780).  Giovanni Bernardo De Rossi:Variae lectiones Veteris Testamenti: Repr. of the ed. Parma, Bodoni 1784 – 98. Vol. 7 und Suppl. Bibliotheca Rossiana. Amsterdam: Philo Pr 1969 – 1970; zum Ganzen auch Kay-Joe Petzold: Raschi und die Masorah. Untersuchung der Rezeptionspraxis der Masorah in der Kommentarliteratur des Rav Salomo ben Isaaq (Raschi). Unpubl. Diss. Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (in Druckvorbereitung); Alexander A. Fischer / Ernst Würthwein: Der Text des Alten Testaments: Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2009.  An dieser Neigung, vor allem den Konsonantentext zum Auslegungsgegenstand werden zu lassen, hat sich bis heute in der alttestamentlichen Exegese nicht viel geändert; dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass man bei Textkorruption oftmals der Septuaginta den Vorzug gibt und gleichzeitig auch viel leichter emendieren kann, wenn lediglich der Konsonantenbestand eines Wortes zu berücksichtigen ist.

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Auslegungstradition werden hier zusammengebunden und die Masora auch um ihrer exegetischen Qualität willen konsultiert.¹⁷ In der Folge von Herz Wessely stand Abraham Geiger. Er wollte mit seinem bibelkritischen Hauptwerk Urschrift und Übersetzungen der Bibel (1857) einen Beitrag zur Aufhellung der inneren Entwicklung des Judentums („Entwickelung … aus dem biblischen Judenthum zum Thalmudismus“) leisten. Dabei suchte er nachzuweisen, dass die Entwicklungsgeschichte des Bibeltextes in enger Beziehung zu den Auseinandersetzungen unter den verschiedenen jüdischen Gruppierungen während der zweiten Tempelperiode (bes. der Pharisäer und Sadduzäer) stand. Das Verdienst von Geigers Untersuchungen liegt vor allem in dem Versuch, die Entwicklung des Textes und die (textkritisch zu evaluierende) Textgeschichte miteinander zu relationieren. Neben der Rezeptionsgeschichte des biblischen Textes seit der rabbinischen Zeit setzt sich Geiger auch intensiv mit der masoretischen Textgeschichte auseinander und kann dabei zeigen, dass der Text der Hebräischen Bibel und die Auslegungstradition nicht als zwei voneinander völlig zu trennende Bearbeitungsfelder verstanden werden dürfe.¹⁸ Geigers Untersuchung hat nie die ihr gebührende Aufmerksamkeit erfahren − zum Schaden jeder späteren Bibelwissenschaft, weil die von Geiger angemahnte Zusammenbindung von biblischer Überlieferung und Auslegung verloren ging. In der Folge stand, dass der masoretische Bibeltext zu einem hybriden Gebilde wurde, dergestalt, dass der Konsonantentext in die Antike (und damit auch in die antike Religionsgeschichte), der vokalisierte masoretische Text als ‚Endtext‘ einer innerjüdischen Auslegungs-Geschichte demgegenüber jedoch ins Mittelalter gehört. Beide sind deshalb auch hermeneutisch nicht mehr so einfach zusammen zu bringen, wie dies die jüngsten Diskussionen um die These des Berliner Theologen Notger Slenczka einerseits und die Renaissance der Septuaginta im Kontext der christlichen Bibelwissenschaft andererseits belegen.¹⁹ Diese Tatsache führte dazu, dass der masoretische Text, d. h. die Masora als exegetischer Text zum Bibeltext, zwischen die akademischen Fronten geriet, denn die christlich-protestantische Bibelforschung mit ihrem Fokus auf die antike Re-

 Vgl. dazu auch Hanna Liss: Hebraica Veritas? Jüdische Bibelauslegung, wissenschaftliche Bibelforschung und die alt-neue Frage nach ihrer Kommunikation. In: Karl Kardinal Lehmann / Ralf Rothenbusch (Hrsg.): Gottes Wort in Menschenwort. Die eine Bibel als Fundament der Theologie (Quaestiones Disputatae 266). Freiburg u. a.: Herder 2014, S. 337– 356.  Vgl. Abraham Geiger: Urschrift und Uebersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwickelung des Judenthum. Breslau: Hainauer 1857, bes. S. 159 – 170, 308 – 345.  Vgl. Hanna Liss: An der Sache vorbei. Eine jüdische Sichtweise zum Streit um Notger Slenczka und das Alte Testament. In: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft 9 (2015), S. 42– 44.

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ligionsgeschichte interessierte sich nicht für hochmittelalterliche hebräischaramäische Hypertexte zum biblischen Konsonantentext, und die Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums interessierten sich für die religionsgeschichtlichen Forschungen der Protestanten und Altertumswissenschaftler zum israelitischen Altertum ebenso wenig wie für die ägyptischen oder babylonischen Quellen, die in dieser Zeit aufkamen, denn sie wussten, dass dies nicht die Texte waren, die ihr Judentum, i. e. die halachische Praxis und das intellektuelle und kulturelle jüdische Leben seit der rabbinischen Zeit, bestimmten. Da aber die Masora nicht unabhängig vom Bibeltext wahrgenommen wurde, wurde sie de facto und unhinterfragt als Teil der antiken Bibel wahrgenommen und ignoriert.²⁰ Einzig Abraham Berliner²¹ suchte in seinen Arbeiten die Felder Bibeltext, Targum, Masora und Auslegung zu verbinden, aber seine Arbeiten zur Masora blieben vereinzelt, und er wurde von anderen vor allem als Historiker und Raschi-Forscher rezipiert. Auch die Arbeiten des Kahle-Schülers Lazar Lipschütz²² konnten nichts daran ändern, dass sich im Deutschland des ausgehenden 19. und frühen 20. Jh.s die kritische Arbeit am masoretischen Bibeltext und der Masora als einer weiteren Quelle der Auslegungsliteraturen nicht nur allgemein vom jüdischen Auslegungskontext, sondern auch von der Wissenschaft des Judentums losgelöst hatte, weil die jüdischen Forscher keine Möglichkeit hatten, als Gelehrte an der Universität zu forschen, und die akademische Bibelforschung ausschließlich im Kontext der protestantischen Theologie betrieben wurde (einzige Ausnahme bildete die Göttinger Universität bis 1914). So gerieten auch die frühen Mahnungen des Spiritus rector der deutschen Masora-Forschung, Paul Kahle, innerhalb der protestantischen Bibelforschung wieder in Vergessenheit, der bereits 1913 die Erforschung der verschiedenen masoretischen Schulen innerhalb der heterogenen westlichen Überlieferung des

 Vgl. dazu Liss: Hebraica Veritas?  Abraham Berliner: Eine wiederaufgefundene Handschrift. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 6 (1864), S. 217– 224; ders.: Die Massorah zum Targum Onkelos. Enthaltend Massorah magna und Massorah parva. Nach Andschriften und unter Benutzung von seltenen Ausgaben zum ersten Male edirt und commentirt. Leipzig: Hinrichs 1877; ders.: Raschi: der Kommentar des Salomo ben Isak über den Pentateuch: nach Handschriften, seltenen Ausgaben und dem Talmud-Kommentar des Verfassers mit besonderer Rücksicht auf die nachgewiesenen Quellen. Frankfurt a.M.: J. Kauffmann 1905; ders.: Targum Onkelos, 1. Text, nach Editio Sabioneta v.J. 1557. Nachdruck der Ausgabe Berlin: Gorzelanczyk u. a. 1884, Jerusalem 1969.  Lazar Lipschütz: Ben Ašer – Ben Naftali: Der Bibeltext der tiberischen Masoreten. Eine Abhandlung des Mischael ben ’Uzziel, erö ffentlicht und untersucht (Inaugural-Dissertation). Bonn: Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universitä t 1935; ders.: Kitā b Al-Khilaf: The Book of Ḥillufim – Mishael ben Uzziel’s Treatise on the Differences Between Ben Asher and Ben Naphtali. In: Textus 4 (1964), S. 1– 29.

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masoretischen Materials dringend anmahnt und seine detaillierten Hinweise auf in diesem Zusammenhang unbedingt mit zu kollationierende Mss (BM Add 21161; Add 9404; und Reuchlinianus = Durlach 55) mit den Worten schließt: „Eine systematische Untersuchung [der Masora; A. d. R.] dieser Gruppe wäre sehr zu wünschen.“²³ Paul Kahle erreichte immerhin, dass die Württembergische Bibelanstalt bei der 3. Neuauflage der Biblia Hebraica die Petersburger Handschrift Firkovich B19a zugrunde legte und die Masora parva mit abgedruckt wurde. Dass der Umgang mit der Masora in der christlichen Bibelwissenschaft faktisch das Ergebnis einer hermeneutischen Unvereinbarkeit von antikem (protorabbinischen) Konsonantentext und hochmittelalterlichem (jüdischen) masoretischen Text darstellt, zeigt beispielhaft die durch Ronald Hendel (als main editor) initiierte Edition der Hebräischen Bibel, die zunächst unter dem Namen Oxford Hebrew Bible und mittlerweile als The Hebrew Bible: A Critical Edition (HBCE) firmiert.²⁴ Das Besondere an der HBCE ist der Anspruch, keine diplomatische, d. h. auf einer biblischen Handschrift basierende Textausgabe zu bieten, sondern eine kritische eklektische Ausgabe herauszubringen,²⁵ die den Anspruch erhebt, „as close as possible to the original [constitutio textus]“²⁶ zu sein: gemeint ist hier also der Konsonantentext! Da aber die handschriftliche Überlieferungslage vor Qumran eigentlich eine Nullstelle darstellt, und sich daher die Rekonstruktion eines vor-masoretischen Textes (proto-M) oder vor-septuagintischen Konsonantentextes (proto-G) als außerordentlich schwierig erweist, sollen in HBCE sogenannte ‚corrected hyparchetypes‘ ediert und präsentiert werden. Wie allerdings auch Hendel zugeben muss, ist die Edition des masoretischen Textes, d. h. des Textes einschließlich seiner Vokalisation, Akzentsetzung und Masora nicht so ohne weiteres mit der Eruierung eines „corrected hyparchetypes“ zu vereinbaren. Aus

 Paul Kahle: Masoreten des Ostens: Die ältesten punktierten Handschriften des Alten Testaments und der Targume. Leipzig: J.C. Hinrichs 1913, S. XVI; vgl. auch ebd. S. XVIIf.: „Je mehr der Text des Ben Ascher durchdrang, um so mehr wurde die eigentliche Masora überflüßig. Man begann sie den Handschriften mehr zum Ausputz beizusetzen, als in dem Bestreben, den Text wirklich festzustellen; sie wird immer mehr bedeutungslos.Will man die verschiedenen Typen des östlichen und westlichen Textes möglichst exakt erkennen − und das ist die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Ausgabe des masoretischen Textes des AT, − so kann das nur geschehen durch systematische Untersuchung der ältesten Hss, die uns erhalten sind, ihres Textes und ihrer Masora.“  Vgl. http://ohb.berkeley.edu (Zugriff: 10.10. 2015). Im Februar 2015 erschien das erste Faszikel der HBCE, Proverbs von Marvin V. Fox; vgl. Marvin Fox: Proverbs: An Eclectic Edition with Introduction and Textual Commentary (The Hebrew Bible: A Critical Edition). Atlanta: SBL Press 2015.  Vgl. Ronald Hendel: The Oxford Hebrew Bible: Prologue to a New Critical Edition. In: Vetus Testamentum 58 (2008), S. 324– 351; ders.: The Oxford Hebrew Bible: Its Aims and a Response to Criticisms. In: Hebrew Bible and Ancient Israel 2 (2013), S. 63 – 99.  Vgl. Hendel: Oxford Hebrew Bible: Aims, S. 64.

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diesem Grund schließt die HBCE die Masora grundsätzlich aus; bei Hendel, der die Masora nicht einmal erwähnt, impliziert der ‚masoretic text‘ stillschweigend einen reinen Konsonantentext, weil Vokale (babylonische wie auch tiberiensische Vokalisierung), Akzente und der gesamte masoretische Apparat als „accidentals“ – im Gegensatz zu den „substantives“ – vorgestellt werden.²⁷ Und hier erweist sich die Frage nach der Masora tatsächlich als hermeneutisches Schibbolet, insofern der biblische Text und seine Edition auf einen rekonstruierten Urtext reduziert werden, und weder die Rezeptions- noch die Artefaktgeschichte eine Rolle spielen. Dass der Text schlussendlich nicht als reiner Konsonantentext ediert wird, sondern auf der als ‚copy-text‘ utilarisierten elektronischen Ausgabe der BHS²⁸ und damit auf dem tiberiensischen Text von L beruht, ist aus unserer Sicht hochgradig inkonsequent, aber an dieser Stelle zunächst nicht weiter zu kommentieren. Grundsätzlich spricht jedoch gegen diese Ausgabe die Tatsache, dass spätestens seit den Kodizes der Masoreten die Vokale, Akzente und eine in jeder Handschrift eigens konstituierte Masora konstitutiv zum biblischen Text dazugehören: Es gibt keinen hebräischen Bibeltext außerhalb des masoretischen, und dieser unterscheidet nicht zwischen ‚accidentals‘ und ‚substantives‘. Die Marginalität der Masora-Forschung hat sich auch mit der Gründung des Staates Israel und der dort etablierten Bibelwissenschaft kaum geändert: Die israelische Forschung konzentriert sich auf die Masora der großen orientalischen Kodizes und verbindet dies stets mit der theoretischen Frage nach dem ‚akkuratesten‘ masoretischen Text. Die Masora der westeuropäischen (aschkenasischen) Bibelkodizes wird jedoch bis heute nicht wahrgenommen, weder als ein den Bibeltext konstituierendes Element noch als Quelle der gesamten jüdischen (und christlichen) europäisch-mittelalterlichen Literatur- und Auslegungsgeschichte der Hebräischen Bibel und ihrer besonderen Überlieferungsgeschichte vom Mittelalter bis in die Epoche der frühen Drucke und der Etablierung eines textus receptus. Ihre wissenschaftliche Erforschung muss deshalb in besonderem Maße im Blick der europäischen Masora-Forschung des 21. Jh.s sein, die selbstverständlich nicht der christlichen Bibelwissenschaft vorbehalten sein darf (und kann!), sondern einen Teilbereich der judaistischen Mediävistik darstellen muss.

 Vgl. Hendel: Oxford Hebrew Bible: Prologue, S. 343, 345.  Die HBCE basiert auf einem erstmals 1983 auf Grundlage der gedruckten BHS transkribierten, und durch Kraft (UPenn), Tov (Hebrew University) und Groves 1987 als ‚Michigan-ClaremontWestminster Electronic Hebrew Bible‘ veröffentlichten Text, der in Oxford (OTA) archiviert wurde.

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3 Der editorische Stand des masoretischen Korpus Die Masora liegt uns in unterschiedlich realisierten Artefakten vor, die bis heute nur annähernd den jüdischen Textproduzenten wie -rezipienten praxeologisch zugeordnet werden können und bislang nur in Ansätzen kritisch oder diplomatisch ediert wurden: So finden wir neben dem masoretischen Material, das in die bereits erwähnten frühen orientalischen Voll- und Teilbibeln der tiberiensisch-benascherianischen Tradition integriert wurde, die Überlieferungen der babylonischen Masora, die man stets in einem separaten Band und unabhängig von der eigentlichen Bibelhandschriften zusammengestellt hatte. Darüber hinaus sind weitere masoretische Listen und Zusammenstellungen wie Okhla we-Okhla oder Sefer haḤilufim (‚Buch der Varianten‘)²⁹ auf uns gekommen, die sich in unterschiedlichem Umfang wiederum als Masora magna in späteren westeuropäischen Bibeln (z. B. Ms Berlin or. fol. 1213 ‚Erfurt 3‘) integriert finden. Der geringste Teil des masoretischen Materials wurde bislang erschlossen oder kritisch ediert: so stellen noch immer die Editionen der Pariser Okhla we-Okhla Liste³⁰ und der Masora magna I ³¹ durch Salomon Frensdorff im 19. Jh. sowie die 1975 und 1995 durch Fernando Diaz Esteban und Bruno Ognibeni³² erstellte Edition der Hallenser Okhla we-Okhla Handschrift³³ die Grundlage für die Arbeit mit den Listen-Masora dar. Daneben veröffentlichte 1880 – 1885 der Konvertit Christian David Ginsburg sein Opus Magnum The Massorah Compiled from Manuscripts (4 Bde, London / Wien: Georges Brög 1880 – 1905) und seine umfangreiche Introduction to the Massoretico-Critical Edition of the Hebrew Bible (London: Trinitarian Bible Society 1897). Von den Masora-Korpora der masoretischen Bibel-Kodizes wurden bis heute lediglich die Masora parva des Kodex Leningradensis (L) in die dritte Biblia Hebraica (BHK3, Kittel 1929 – 1937) und

 Aron Dotan:The Diqduqé Hatte’amim of Aharon Ben Mose Ben Asér: with a Critical Edition of the Original Text from New Manuscripts. Jerusalem: Academy of the Hebrew Language 1967; Jordan Penkower: The Tosaphist R. Menahem of Joigny and the Masoretic Work ‚Okhlah ve-Okhlah‘: The Halle Manuscript Recension. In: Uriel Simon u. a. (Hrsg.): Studies in Bible And Exegesis – M. Goshen-Gottstein in Memoriam. Ramat-Gan: Tel Aviv University 1993, S. 287– 315 (Hebräisch).  Ms BN. heb. 56; vgl. dazu Salomon Frensdorff: Das Buch Ochlah W’Ochlah. Hannover: Hahn 1864.  Vgl. Salomon Frensdorff: Die Massora Magna. Erster Teil: Massoritisches Wörterbuch, oder die Massora in alphabetischer Ordnung. Hannover / Leipzig: Cohen & Risch 1876.  Vgl. Fernando Diaz-Esteban: Sefer ’Okhlah Wĕ-’Okhlah. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1975; Bruno Ognibeni (Hrsg.): La seconda parte del ‚Sefer ’oklah we’oklah‘. Edizione del ms. Halle Yb4 °10, ff. 68 – 124 (Textos y estudios Cardenal Cisneros 57). Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1995.  Universitätsbibliothek und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Ms Y b 4° 10.

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in die Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS, Rüger 1975) integriert.³⁴ Allerdings handelt es sich bei der BHS, die bis heute die wissenschaftliche Standard-Textausgabe der Biblia Hebraica darstellt, gerade nicht um eine diplomatische Ausgabe des Kodex Leningradensis; vielmehr sollte mittels einer Reihe von Emendationen, Konjekturen und Ergänzungen von vermeintlich fehlerhaften oder fehlenden Masora parva-Notationen ein idealtypischer Ben-Ascher-Text rekonstruiert werden. Denn während Rudolph Kittel die Masora parva von L nur behutsam korrigiert und in Klammern ergänzt, also im wesentlichen diplomatisch abgedruckt hatte,³⁵ gehen sowohl ihre Gestalt als auch ihr tatsächlicher Inhalt durch den Versuch der sog. ‚Normalisation‘ durch Gérard E.Weil in der BHS teilweise verloren.³⁶ Gérard E.Weils Idee der Masora offenbart die aus heutiger Sicht wissenschaftspositivistisch-naive Annahme einer einzigen wahren Masora, die sich in L aber nicht auffinden ließ, und deshalb in jahrelanger Arbeit mühsam rekonstruiert (‚normalisiert‘) werden musste. Das bedeutete für die editorische Praxis der Edition der Masora in der BHS, dass Weil einen erheblichen Teil der mp-Notation aus anderen Handschriften ergänzte und undokumentiert in die BHS übernahm, die Mm-Noten ergänzt und die entsprechenden Simanim je und je vereinheitlicht hat. Damit repräsentiert die Masora der BHS gerade nicht die Masora von L, sondern Gérard E. Weils Vorstellung einer korrekten tiberiensisch-ben-ascherianischen Masora.³⁷ Diese Masora der BHS ist weder für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der tiberiensisch-ben-ascherianischen Masora geeignet (besonders an den Stellen wo Weil der Ausgabe Bomberg 1524/5 und/oder aschkenasischem Sondergut folgt), noch für eine seriöse Rekonstruktion der Masora im Allgemeinen. Erst die Biblia Hebraica Quinta (BHQ) kann für sich beanspruchen, eine diplomatische Edition von Text und Masora von L zu bieten.³⁸ Die BHQ setzt damit einen Standard für Ausgaben des tiberiensischen MT

 Zur gedruckten Textgeschichte seit 1525 vgl. zuletzt ausführlich Petzold: Raschi und die Masora.  Laut G. Weil ist die Masora parva der BHK3 „eine unkritische Wiedergabe (…) gleichsam als Photographie abgedruckt“; vgl. dazu BHS Prolegomena, S. IV.  Zum Begriff der ‚Normalisationʻ i.S.v. Vervollständigung und v.a. Vereinheitlichung vgl. die Einleitung zur Masora von Gérard E.Weil in den Prolegomena zur BHS in Karl Elliger / Wilhelm Rudolph (Hrsg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1967, S. VI – VII.  Der von G. E. Weil besorgte Randapparat der Masora Parva der BHS unterscheidet nicht zwischen tatsächlichen Mp-Noten in MS Leningrad, Evr. I B 19a und den Weil‘schen Ergänzungen, beides erscheint promiscue nebeneinander. Ein Blick in die diplomatische Edition der BHQ oder in die Faksimile-Ausgabe belehrt schnell über den tatsächlichen Bestand an masoretischen Noten in den jeweiligen Textabschnitten von L.  Die Biblia Hebraica Quinta ist eine Handausgabe (editio minor) in der Tradition der Biblia Hebraica Serie. Als Textgrundlage dient MS Leningrad, Evr. I B 19a (Codex Leningradensis). Neben der diplomatischen Textausgabe mit textkritischem Apparat werden auch die Masora Parva und Masora Magna ‚essentially diplomatic‘ dargeboten, übersetzt und kommentiert. Für jedes bibli-

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und erfüllt nach über 100 Jahren den Wunsch Paul Kahles nach einer Biblia Hebraica mit diplomatischer Abbildung einer (nicht: der!) Masora. Erst im Lichte der BHQ wird auch der masoretische Irrweg der BHS mit Weils Normalisation der Masora so recht sichtbar.Wie aber noch zu zeigen sein wird, trägt die BHQ nichts zur Erforschung jener Hebräischen Bibel bei, wie sie von jüdischen und christlichen Auslegern im europäischen Mittelalter, der Renaissance und der Neuzeit rezipiert wurde. Neben BHS und BHQ haben sich das Miqra’ot Gedolot ‚Haketer‘-Project (MGK) von Menaḥem Cohen an der Bar-Ilan University, Ramat Gan,³⁹ und das Hebrew University Bible Project (HUBP)⁴⁰ zur Aufgabe gemacht, eine Bibelausgabe auf der Basis des sog. Aleppo-Kodex (A)⁴¹ herauszubringen. Cohens MGK-Textausgabe vereint die besten Eigenschaften der klassischen jüdischen Rabbinerbibel-Ausgaben (Bibeltext, Targum, Masora, mittelalterliche Kommentare) mit dem textkritischen Ansatz der Moderne,⁴² während HUBP mit bisher drei erschienen Faszikeln und dem in Arbeit befindlichen Tere-Asar-Faszikel eine Editio Major vorlegen möchte.⁴³ Die masoretischen Noten sind aber auch hier nicht durch-

sche Buch werden in BHQ mindestens zwei weitere tiberiensische Codices kollationiert. Im Megilloth-Faszikel sind das z. B. Codex Aleppo (soweit erhalten) und die MSS Evr. II B34 und Cambridge Add. Ms 1753; dazu werden auch die Texte und Fragmente aus Qumran vollständig kollationiert. Vgl. zur Ausgabe insgesamt Megilloth (Faszikel 18) Biblia Hebraica Quinta, A. Schenker (Hrsg.), Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2004; eine Übersicht zur Edition BHQ findet sich online: http://www.bibelwissenschaft.de/startseite/editionsprojekte/biblia-hebraicaquinta-bhq/ (Zugriff Februar 2017).  Menaḥem Cohen: Miqra‘ot Gedolot HaKeter. Ramat Gan: Bar-Ilan University Press 1992– 2012.  Moshe Goshen-Gottstein: The Hebrew University Bible Project. Jerusalem: Magnes 1956 – 2004; zum Stand der Edition vgl. zuletzt Michael Segal: The Hebrew University Bible Project. In: Hebrew Bible and Ancient Israel, Sonderdruck IOSOT. Tübingen: Mohr-Siebeck 2013.  Genannt „ha-Keter“ / Ms Jerusalem, Keter Aram Tsova: www.aleppocodex.org (Zugriff: 10.10. 2015).  Vgl. Menaḥem Cohen: Introduction to the Haketer Edition. In: Mikra’ot Gedolot Haketer: A Revised and Augmented Sientific Edition of ‚Mikra’ot Gedolot‘ Based on the Aleppo Codex and Early Medieval MSS. Ramat Gan: Bar-Ilan University Press 1992.  „… utilizing the Aleppo Codex as the base text, and tracing the history of textual transmission of the Hebrew Bible from the earliest textual witnesses, discovered in the Judean Desert, all the way until the end of the medieval period“ (Segal: Hebrew University Bible Project, S. 40). − Als Editio Major kollationiert HUBP für den Apparat III = Medieval Biblical Manuscripts eine eigenwillige Auswahl von mittelalterlichen europäischen Handschriften: Kennicott 30 = Oxford Bodl. 105 (Tanner Or. 173), Propheten und Hagiographen Frankreich 13. Jh. (vgl. Adolf Neubauer: Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library and in the College Libraries of Oxford. Including Mss. in other languages, which are written with Hebrew Characters, or relating to the Hebrew Language or Literature; and a few Samaritan Mss. Oxford: Clarendon Press 1886, #72); Kennicott 89 = Cambridge University Libr. Mm 5.27, Vollbibel Spanien 14. Jh. (vgl. Stefan Reif u. a.

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gängig diplomatisch, sondern in mise-en-page, Layout und philologischem Bestand je und je korrigiert und an den Haupttext adaptiert. Über diese modernen Bibelausgaben (BHS, BHQ, MGK, HUBP) hinaus wurden bislang die Masora magna des Pentateuch Ms Gottheil 14 (Breuer Ms. ‫ )למ‬durch Mordechai Breuer publiziert.⁴⁴ In Madrid (CSIC) wird die Masora des Ms Madrid 1 (Toledo 1280) einschließlich der masoretischen Appendices ediert.⁴⁵ Die Masora der Ben-Ascher-Schule für das Buch Genesis hat Aron Dotan zusammengestellt.⁴⁶

(Hrsg.): Hebrew Manuscripts at Cambridge University Library: A Description and Introduction. Cambridge: Cambridge University Press 1997); Kennicott 93 = Cambridge Gonville & Caius Coll. 404/625, Propheten; Aschkenas 12. Jh. (vgl. Montague R. James: A Descriptive Catalogue of the Manuscripts in the Library of Gonville and Caius College Cambridge, 2 vols. Cambridge: Cambridge University Press 1907– 1908); Kennicott 96 = Cambridge St. Johns Coll. A2, Propheten Frankreich 14. Jh. (vgl. Montague R. James: A Descriptive Catalogue of the Manuscripts in the Library of St. John’s College Cambridge. Cambridge: Cambridge University Press 1913, #2); Kennicott 150 = Berlin Or. fol. 1– 4, Vollbibel Aschkenas 14. Jh., (vgl. Moritz Steinschneider: Catalog der hebraeischen Handschriften in der Stadtbibliothek zu Hamburg und der sich anschliessenden in anderen Sprachen. Hamburg: Meissner 1878, #1). Goshen-Gottsteins Begründung der Handschriften-Auswahl blieb dabei stets vage (vgl. Moshe Goshen-Gottstein: The Authenticity of the Aleppo Codex. In: Textus 1 [1960], S. 17– 58 [Hebräisch]; ders.: The Hebrew University Bible Project, The Book of Isaiah – Sample Edition with Introduction. Jerusalem: Magnes 1965; ders.: Hebrew Biblical Manuscripts – Their History and Their Place in the HUBP Edition. In: Biblica 48 [1967], S. 243 – 290). Er hielt in jedem Fall die späteren europäischen Manuskripte für textkritisch wertlos („The medieval readings illuminate the processes of textual dynamics and the continuous new creation of variants, but that for the reconstruction of the Biblical Urtext their value is practically nil“; GoschenGottstein: Hebrew University Bible Project. Isaiah, S. 39).  Vgl. Mordechai Breuer: The Masora Magna to the Pentateuch by Shmuel ben Ya’aqov (Ms. ‫)למ‬. Jerusalem: Keren ha-Masora / The Masora Foundation 2002; dieses Ms wurde bereits 1905 von Richard Gottheil als Nr. 14 der von ihm in Kairo gesichteten Handschriften beschrieben und bildet einen tiberiensischen Text ab, der an vielen Stellen eine babylonische(!) Masora bietet.  Die Masora wird in Einzelfaszikeln ediert; vgl. z. B. Emilia Fernández Tejero: Las masoras del libro de Génesis: Códice M1 de la Universidad Complutense de Madrid (Textos y estudios Cardenal Cisneros de la Biblia Políglota Matritense 73). Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 2004. Die Edition der masoretischen Anhänge ist Teil des masoretischen Projekts von Natalio Fernadez Marcos zu Ms Madrid 1 Universidad Complutense; vgl. Elvira Martin Contreras: Apéndices masoréticos: Códice M1 de la Universidad Complutense de Madrid (Textos y estudios Cardenal Cisneros de la Biblia Políglota Matritense 72). Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Instituto de Filología 2004.  Vgl. Aron Dotan: Ben Asher’s Creed: A Study of the History of the Controversy. Missoula, Mo.: University of Montana 1977; ders.: Thesaurus of the Tiberian Massora. A Comprehensive Alphabetical Collection of Masoretic Notes of the Tiberian Bible Text of the Aaron Ben Asher School. Sample Volume. The Masora to the Book of Genesis in the Leningrad Codex.Tel-Aviv: Tel-Aviv University 1977.

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2013 publizierte David Marcus die in der Masora magna verwendeten aramäischen Merksprüche aus L.⁴⁷ Alle hier genannten Masora-(Teil‐)Editionen konzentrieren sich ausschließlich auf den tiberiensischen Text der Ben-Ascher-Schule. Dieser Texttypus mit Textrepräsentanten aus dem 9.–11. Jh. bildet die standardisierte Textfassung des heutigen wissenschaftlichen Bibeltextes (v. a. BHS; BHQ; MGK) und aller modernen wissenschaftlichen Kommentare zur Hebräischen Bibel. Die moderne Bibelwissenschaft sucht auf der Basis dieses Textes nicht nur die literar-historische Entstehung des biblischen Textes zu erarbeiten, sondern hat diesen Texttypus (Konsonantentext, Akzentuierung und Masora) bislang auch unhinterfragt herangezogen, um ihre eigene europäische (lateinisch-griechische) Auslegungstradition mit diesem speziellen (tiberiensischen) hebräischen Text zu relationieren. Die (west‐)europäischen Bibelmanuskripte und ihre Masora-Überlieferungen⁴⁸ blieben in der bisherigen textkritischen Bibeltext-und Masoraforschung praktisch unberücksichtigt.⁴⁹ Das heißt, dass ein sehr großes Textkorpus − darunter ca. 36 Mss vor 1300 u.Z. und insgesamt 76 datierte und undatierte aschkenasisch-nordfranzösische (Teil-oder Voll‐)Bibel-Manuskripte zwischen 1189 (Valmadonna 1) bis zum Ende des 13. Jh.s, die in unterschiedlichem Umfang neben dem Bibeltext Targum, Masora, Kommentare, Mikrographie sowie weitere spezifische Textelemente enthalten − bislang philologisch-editorisch vollkommen unbearbeitet sind. Die moderne Masora-Forschung spricht den Punktatoren und Masoreten des Hochmittelalters jede ernsthafte Beschäftigung mit der Masora ab oder betrachtet die aschkenasische Masora gar als ‚Verhunzung‘ philologischer Arbeit. So widmet beispielsweise Aron Dotan in seinem achtzig Seiten umfassenden Artikel zur Masora den ornamentalen Mikrographien der mittelalterlichen Mss ganze zehn Zeilen und qualifiziert diese als philologisch wertlos ab.⁵⁰ Ohne dass dies jemals explizit so formuliert oder den

 Vgl. David Marcus: Scribal Wit: Aramaic Mnemonics in the Leningrad Codex (Texts and Studies 10). Piscataway, NJ: Gorgias Press 2013.  Vgl. das Manuskript-Portal Sfar-Data http://sfardata.nli.org.il/sfardatanew/Home.aspx (Zugriff: 10.10. 2015).  Mit Ausnahme der oben Anm. 44 erwähnten fünf Mss in der Ausgabe HUBP.  Vgl. Dotan: Masora. − Wie wenig die philologische Rezeptionspotenz erkannt wurde, zeigt auch das Lehrbuch des amerikanischen Masora-Forschers Page H. Kelley, das sich ausgerechnet auf die problematische Masora der BHS von Gérard Weil bezieht, der im Abschnitt vom Ende der masoretischen Zeit konstatiert: „Später hatten dann viele Abschreiber kein Verständnis für die Masora mehr, so dass ihr eigentlicher Sinn, die Erhaltung des Textes, hinfällig wurde … Solche Manuskripte belegen, wie sehr am Ende des Mittelalters die ernsthafte Beschäftigung mit der Masora und der Textüberlieferung zurückgegangen war.“ (Page H. Kelley / Daniel S. Mynatt / Timothy G. Crawford: Die Masora der Biblia Hebraica Stuttgartensia: Einführung und kommentiertes Glossar. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2003, S. 29).

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christlichen Forscher bewusst gewesen wäre, hat man sich auf den Standpunkt des Maimonides zurückgezogen,⁵¹ wonach die ben-ascherianische Texttradition und ihre Masora als die autoritative, akkurate und wahre Tradition galt, und dies, obwohl gerade diese Tradition in Mitteleuropa nie rezipiert wurde.

4 Das westeuropäische Masora-Material und seine Relevanz für die jüdische Kultur- und Theologiegeschichte Masoramaterial innerhalb von Bibelkodizes Wie aber die neuesten Forschungen zeigen, die an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg vor einigen Jahren initiiert wurden, stellt der Ben-Ascher-Text als biblische Grundlage des ‚christlich-jüdischen Abendlandes‘ eine Chimäre dar, denn dieser Texttypus war bis ins 19. Jh. für die europäisch-jüdische Auslegungsund Kulturgeschichte seit dem Mittelalter in Nordfrankreich (Ṣarfat) und Deutschland (Aschkenas) nicht relevant und darin auch nur sehr eingeschränkt Teil des christlich-lateinischen Deutungshorizontes. Es lässt sich nämlich zeigen, dass sich in Westeuropa unter historisch bislang nicht geklärten Umständen ein eigenständiger Sub-Text des tiberiensischen Texttypus herausbildete, der sogenannte (nordfranzösisch‐)aschkenasische Texttypus. Dieser aschkenasische Bibeltext, der seiner Akzentuierung nach ein tiberiensischer MT ist,⁵² der jedoch wegen seiner Lesarten, seiner masoretischen Besonderheiten und seiner Rezeption im mittelalterlichen Aschkenas als eigenständiger Texttypus anerkannt werden muss, ist in einer Reihe von Manuskripten noch auffindbar und an einzelnen masoretisch relevanten Stellen als derjenige Texttypus auszumachen, der bereits Raschi und seinen Tradenten vorlegen haben muss (z. B. Mss Wrocław M 1106; Vat. ebr. 14; Mailand B30 – 32 inf. u. a.). Philologische Untersuchungen zu diesem Texttypus sind erstmals durch Elodie Attia⁵³ im Rahmen des SFB 933 Materiale Textkulturen ⁵⁴ unternommen

 Vgl. Moshe ben Maimons in Mishne Tora, Hilkhot Tefillin, u-Mezuza we-Sefer Tora VIII, 1– 2 und 4: .‫וספר שסמכנו עליו … הוא הספר הידוע במצרים … ועליו היו הכל סומכין לפי שהגיהו בן אשר ודקדק בו‬  Vgl. jedoch Ms Karlsruhe Reuchlin 3.  Elodie Attia: Editing Medieval Ashkenazi Masorah and ‚Masora Figurata‘: Observations on the Functions of the Micrography in Hebrew Manuscripts. In: Sefarad 75 (2015), S. 7– 33; dies.: The Masorah of Elijah ha-Naqdan, an Edition of Ashkenazi Micrographical Notes (Ms. Vat. Ebr. 14, Book of Exodus) (Materiale Textkulturen 11). Berlin u. a.: DeGruyter 2015.

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worden. Anhand der figurativen masoretischen Notationen zweier Bibelmanuskripte (Ms Vatican Ebr. 14, kopiert 1239 in Nordfrankreich von Eliyah ben Berakhya ha-Naqdan) und Ms Berlin Or. Qu. 9 (kopiert vom selben Schreiber 1233 in Rouen/Normandie) sollte erarbeitet werden, ob es in der ersten Hälfte des 13. Jh.s eine eigene nordfranzösisch-aschkenasische masoretische Tradition gab, und ob die Verwendung eines ästhetischen Mittels (die Technik der buchstabenbasierten figurativen Zeichnung, der sog. Masora figurata) den masoretischen und philologischen Inhalt verändert. Attias Ergebnisse, die u. a. in einer Teil-Edition der Masora von Ms Vatican Ebr. 14 gebündelt sind,⁵⁵ weisen zum einen nach, dass entgegen der bisherigen kunsthistorischen Ansicht die Masora figurata mehr als einen bloß dekorativen Zweck erfüllt und philologisch sowie exegetisch wichtige Ergebnisse zeitigt. Die editorische Arbeit brachte wichtige philologische Ergebnisse hinsichtlich des biblischen Haupttextes und der Masora ans Licht, insofern beide Manuskripte (und überdies in unterschiedlichem Umfang) zwar deutlichen Einfluss tiberiensischer Quellen zeigen; im textkritischen Vergleich konnte jedoch gleichzeitig ein weiterer Strang gewichtiger und nicht-konventioneller masoretischer Traditionen definiert werden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass jenes für die Masora-Traditionen bislang als konstitutiv ausgemachtes Moment der Masora als philologisches Hilfsmittel zur Text- und damit indirekt auch zur Inhalts-Stabilisierung in manchen westeuropäischen Bibelmanuskripten konterkariert zu werden scheint, weil sich hier masoretische Annotationen finden, die exegetisch motiviert auf eine MidraschErklärung verweisen, um eine bestimmte und oftmals eben auch abweichende, manchmal sogar philologisch unkorrekte konsonantische Lesart zu unterstützen. Die Verbindung von Midrasch und Masora, die sich indirekt durchaus bereits in den orientalischen ben-ascherianischen Bibelkodizes nachweisen lässt, ist auch erst in neuerer Zeit überhaupt in den Blick geraten.⁵⁶ Die massive Zunahme masoretischer Noten in einigen westeuropäischen Bibelhandschriften verweist doch

 Vgl. http://www.materiale-textkulturen.de/teilprojekt.php?tp=B04&up=&fp=2 (Zugriff: 15.01. 2016).  Vgl. Attia: The Masorah (MTK Reihe im open access: http://www.degruyter.com/viewbooktoc/ product/455282).  Vgl. Hanna Liss: Ein Pentateuch wie andere auch? (open access: http://www.degruyter.com/ view/product/455285); dies.: ‚Like a Camel Carrying Silk‘: Initial Considerations on the Use of the Masorah in Medieval Hebrew Commentaries. In: Klaus Herrmann u. a. (Hrsg.): Envisioning Judaism: Studies in Honor of Peter Schäfer on the Occasion of his Seventieth Birthday. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 1121– 1137, bes. S. 1127– 1130; Elvira Martin Contreras:The Text of the Hebrew Bible: From the Rabbis to Masoretes (Journal of Ancient Judaism: Supplements 13). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014; dies.: Continuity of the Tradition: Masorah with Midrashic Explanations. In: Journal of Semitic Studies 50 (2005), S. 329 – 339.

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mit einiger Deutlichkeit darauf, dass die masoretischen Annotationen hier weniger mit Blick auf den zugrunde liegenden biblischen Haupttext als vielmehr vor dem Hintergrund der Anbindung einer bestimmten Auslegung an einen Bibelvers bzw. ein einzelnes Wort eingetragen wurden. Die Masora wird zur Trägerin exegetischer Polyphonie. So zeigt beispielsweise der sog. Regensburg Pentateuch (Ms Jerusalem IM 180 – 52), eine Handschrift, die wohl um 1300 in Regensburg von zwei Schreibern und insgesamt vier Masoreten angefertigt wurde,⁵⁷ mp-Notationen, die teilweise bis zu neun (!) Spalten umfassen können. Diese mp-Notationen verlaufen senkrecht von oben nach unten, lassen dabei aber oftmals keine saubere Trennung zwischen mp und mm erkennen, weil die Randmasora weitaus mehr Anmerkungen enthält, als wir dies aus den orientalischen Kodizes kennen, und viele Text-Elemente deutlich über eine mp-Notiz hinausgehen. In fol. 58r wurde beispielsweise in die masoretische Kommentierung ein Midrasch-Auszug hinein ‚gemogelt‘: Im Ausdruck ‫‚ מקשה תיעשה המנורה‬in getriebener Arbeit soll (der Leuchter) gemacht werden‘ aus Ex 25,31 ist die Nif’al-Form ‫ ֵּתיָעֶׂ֤שה‬plene geschrieben. Die orientalischen Kodizes weisen hier zumeist defektive Schreibung auf und bieten unterschiedlich kurze und die Statistik der Nif’al-Form betreffende mp-Anmerkungen.⁵⁸ Der Regensburg Pentateuch nennt den gesamten Auslegungskontext (vertikal zu lesen): ‫ז‘ ו‘ חס‘ ודין‬ ‫ מל‘ ורמז שעתיד שלמה י‘ מנורו‬,die Nif’al-Form ‫ ת)י(עשה‬kommt sieben Mal vor, sechs Mal defektiv geschrieben, und an dieser Stelle plene als Hinweis auf die zehn Menorot, die Shlomo im Tempel aufstellen würde.‘ Formal wurde also eine mp-Note notiert, und dies auch mit dem Ziel der Textstabilisierung (Plene-Schreibung). Aber das Beispiel zeigt gleichzeitig, dass der Schreiber (oder der lesende Auftraggeber) dieses Pentateuch-Manuskriptes daran interessiert war, in die schriftliche Tora die sog. mündliche Tora mittels statistischer Anmerkungen und ihrer (einer?) expliziten Auflösung zu integrieren. Umgekehrt zeigt sich, dass auch der Konsonantentext deshalb immer wieder an den jüdischen Auslegungskontext, sowohl den religionsgesetzlichen (halachischen) als auch den erzählerischen (aggadischen), angepasst wurde. So transportieren die masoretischen Noten verschiedene Lesarten, die einmal mehr unter Beweis stellen, dass die Suche nach einem akkuraten Text (verstanden als Annäherung an den rekonstruierten ‚Urtext‘) ein bestenfalls verkürzter, schlimmstenfalls aber falscher Anspruch ist: Nicht nur hat es den Bibeltext nicht gegeben, die hypothetisch erzeugten ‚besten‘ Texte der heutigen kritischen Bibelausgaben

 Liss: Pentateuch wie andere auch?; Michael Sternthal: The Regensburg Pentateuch. An Illuminated Ashkenazi Pentateuch. Unpubl. MA Thesis Hebrew University Jerusalem 2008 (Hebräisch).  Dazu ausführlich Liss: Like a Camel.

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auf der Basis einzelner Kodizes (BHS; BHQ; HUBP) verschleiern die wichtige Tatsache, dass der masoretische Text zumindest mit dem Eintritt ins europäische Mittelalter,wahrscheinlich aber auch schon davor, niemals den Anspruch erhoben hatte, der beste (akkurateste) Text zu sein: Im Lernbetrieb wie auch im Kontext ritueller und liturgischer Performanz sollte er aktualisierbar und dehnbar sein und als Text-Träger für die Bedürfnisse einer je eigens akzentuierten religiösen und gelehrten Gruppe zur Verfügung stehen, und dies mit genauso so vielen (manchmal sogar unbegrenzten) Deutemöglichkeiten, wie die Gruppe dies verlangte: Der Bibeltext als Träger der Varietates Hebraicae und nicht als Träger der (einen!) veritas hebraica. Darüber hinaus weisen die aschkenasischen Bibelhandschriften in großem Umfang Listenmaterial wie beispielsweise Okhla-we-Okhla auf. Umfangreiche Listen zeigen sich beispielsweise in Ms Berlin or. fol. 1213 (Erfurt 3)⁵⁹ und Paris BN heb. 5 u. a. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die schulmäßige Einteilung in Masora parva, magna und finalis auf viele aschkenasische Bibelhandschriften nicht mehr anwenden lässt. Darüber hinaus zeigt dieses masoretische Material, dass wir nicht nur die mittelalterlichen Bibeltexte nicht mehr wirklich kennen, sondern auch ihre Funktion im konfessionellen Schul- und Kultusbetrieb differenzierter bestimmen müssen, als dies bislang der Fall war.

Masoramaterial außerhalb der Bibelkodizes Komplementär zu den Untersuchungen an den Bibel-Kodizes begannen Hanna Liss und Kay Joe Petzold damit, die Vielzahl der (bis heute zumeist nicht kritisch edierten) masoretischen Überlieferungen und Meta-Kommentierungen zur Masora und Masora parva-Notationen in hochmittelalterlichen hebräischen Bibelkommentaren aus dem Raum Nordfrankreich und Aschkenas zu bearbeiten, vor allem jene des R. Shlomo ben Yiṣḥaq (Raschi; 1040 – 1105), R. Avraham ibn Ezra (1089 – 1167), R. Yehuda he-Ḥasid (1150 – 1217), R. David Qimḥi (1160 – 1235), R. Meʼir ben Barukh von Rothenburg (der sog. ‚MaHaRaM‘; 1215 – 1293) oder R. Yaʽaqov ben Asher (1269 – 1340). Die Kommentatoren nehmen Bezug entweder auf ein Sefer haMasoret (‚Buch der Masora) oder auf die Masoret ha-Gedola (‚Große Masora‘); manchmal verweist man auch einfach auf die Arbeiten der sog. ba’ale/anshe ha-

 Allein im Buch Exodus finden sich weit über 25 Listen; eine Edition dieses Materials wird derzeit von meinem Doktoranden Sebastian Seemann, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, vorbereitet.

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Masoret (‚Männer der Masora‘). Dieses umfangreiche Material ist bislang nur sehr spärlich und eklektisch untersucht worden⁶⁰ und hat erstmals in der Dissertation von Kay Joe Petzold zu dem Masora-Material in den Manuskripten der RaschiKommentare eine systematische Untersuchung erfahren.⁶¹ Dabei sollte vor allem geklärt werden, welche Rezension(en) der Hebräischen Bibel und welches außerbiblische masoretische Material Raschi verwendet hatte, um seine Kommentare anzufertigen, und wie sich dieses Material zur tiberiensischen/tiberiensischben-ascherianischen Tradition verhält. Petzold konnte zeigen, dass die RaschiKommentare sich offenbar seit ihren frühesten erhaltenen Überlieferungen (seit Anfang des 13. Jh.s) in parallelen strata entwickelt hatten, und somit weit von irgendeiner Form der Standardisierung entfernt waren. Dies gilt für den Kommentartext wie auch für den zitierten Bibeltext. Auch das zeitgenössische masoretische Material der Ära Raschi wie beispielsweise Okhla-we-Okhla entstand erst im 11. Jh. Hatte man bislang keine klare Vorstellung davon, welche Bibeln Raschi zur Verfügung standen, so konnte Petzold erstmals nachweisen, dass es im Raum Aschkenas (Nordfrankreich; Deutschland) zum ersten Mal im 12. und frühen 13. Jh. zu einem Einsickern der tiberiensischen Masora im Schlepptau der orientalischen Kodizes und damit zu einer sukzessiven ‚Kontamination‘ aschkenasischer Texte mit ben-ascherianisch-tiberiensischer Masora⁶² kam. Dieses Eindringen der tiberiensischen Masora zog Konflikte hinsichtlich der Plene- und Defektiv-Schreibung, der Akzentuierung sowie sogar der konsonantischen Lesarten nach sich, wie Raschis Kommentare sowie eine Reihe von Responsen zei-

 Vgl. Leah Himmelfarb: On One Masorah in Rashi’s Commentary. In: Sefarad 64 (2004), S. 75 – 94; dies.: The Masoretic Notes Rashi’s Commentary on the Bible and Their Relation to His Commentary. In: Shmuel Vargon / Jordan S. Penkower (Hrsg.): Studies in Bible and Exegesis VII Presented to Menahem Cohen. Ramat Gan: Bar Ilan University Press 2005, S. 41– 60 (Hebräisch); dies.: On Rashi’s Use of the Masorah Notes in his Commentary on the Bible. In: Shnaton. An Annual for Biblical and Ancient Near Eastern Studies 15 (2005), S. 167– 184 (Hebräisch); Hanna Liss: Gelehrtenwissen, Drôlerie oder Esoterik? Erste Überlegungen zur Masora der Hebräischen Bibel in ihren unterschiedlichen materialen Gestaltungen im Hochmittelalter. In: Nathanael Riemer (Hrsg.): Jewish Lifeworlds and Jewish Thought. Festschrift Presented to Karl E. Grözinger on the Occasion of his 70th Birthday. Wiesbaden: Harrassowitz 2012, S. 27– 40; dies.: Like a Camel; dies.: Hebraica Veritas?; dies.: Vom Sefer Tora zum Sefer: Die Bedeutung von Büchern im ‚Buch der Frommen‘ des R. Yehuda ben Shemu’el he-Ḥasid. In: Joachim Friedrich Quack / Daniela Christina Luft (Hrsg.): Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften (Materiale Textkulturen 5). Berlin / Boston: DeGruyter 2014, S. 179 – 199; dies.: Pentateuch wie andere auch?.  Petzold: Raschi und die Masora.  Dies lässt sich gut an den Mss BM Harley 5710; München 2; BM Add. 15451; Wrocław 1106; Madrid 1; München 392 und Jerusalem IM 180 – 52 ‚Regensburg Pentateuch‘ erkennen.

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Hanna Liss und Kay Joe Petzold

gen.⁶³ Virulent und augenfällig wurden diese Konflikte vor allem im Kontext der halakhischen Regeln zur Erstellung eines rituell brauchbaren Sefer Tora. Hinsichtlich der Frage nach einer (jüdisch-christlichen) europäischen Bibeltradition ist hervorzuheben, dass einige der Bibel-Manuskripte, auf die manche Raschi-Kommentare zurückgehen, Lesarten bewahren, die sich in den antiken griechisch-jüdischen Rezensionen (Theodotion / Aquila / Symmachus) finden, wie sich umgekehrt bei Raschi Auslegungen entdecken lassen, die auf den Liber Psalterium iuxta Hebraeos des Hieronymus zurückzugehen scheinen. Hier rücken bisher vernachlässigte Aspekte der mittelalterlichen jüdischen Bibel-Überlieferung in ein ganz neues Licht. Darüber hinaus konnte Liss nachweisen, dass dem ursprünglich aus Spanien stammenden R. Avraham ibn Ezra offenbar beide Texttypen vorgelegen haben, da Ibn Ezra das Problem unterschiedlicher BibelÜberlieferungen in seinen Kommentaren intensiv diskutiert und dabei auch explizit auf die für den Raum Sefarad geltende Autorität der tiberiensischen Masora verweist.⁶⁴ Weitere Untersuchungen an den masoretischen Zitationen in der exegetischen Kommentarliteratur werden daher nicht nur die Art der vom 11.–13. Jh. in Aschkenas bekannten und benutzten Masora näher bestimmen, sondern auch Aufschluss über die Lesarten in den aschkenasischen Bibelausgaben und über die Masora als exegetisches und philologisches Werkzeug geben. Eine weitere, wichtige Quelle für die Rezeption der Masora stellen die hebräisch-altfranzösischen Glossarien (Sifre Pitronot) dar, die masoretisches Material bieten, von dem wir bis heute nur in Ansätzen wissen, ob es aus der Auslegungsliteratur oder aus unabhängigen masoretischen Listen stammt.⁶⁵

Indirekte Rezeption des westeuropäischen Bibeltexttypus in mittelalterlichen lateinischen Quellen Die über den engen Kultur-Kontakt in Nordfrankreich und Deutschland vermittelte jüdische Exegese fand Eingang auch in die christliche Bibeltextüberlieferung und -auslegung, wie beispielsweise in die Schule von Auxerre, die Schule der Viktoriner und zu Herbert von Bosham. Dies hat in neuerer Zeit (allerdings ausgehend vom Konsonantentext und auf der Grundlage der BHS) Hans-Georg von Mutius in einer

 Petzold: Raschi und die Masora, S. 256 – 262 behandelt ausführlich das Responsum des Shlomo Ben Adret, Ms Paris 411, das sich mit Widersprüchen im masoretischen Text zwischen den für den Gottesdienst zu verwendenden Tora-Rollen und verschiedenen Kodizes beschäftigt.  Vgl. zum Ganzen Liss: Like a Camel.  Beispiele dafür bei Liss: Pentateuch wie andere auch?

Die Erforschung der westeuropäischen Bibeltexttradition

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Reihe von Publikationen dargelegt.⁶⁶ Als wichtiges Beispiel zum Komplex der christlichen Rezeption kann dabei die Arbeit des englischen Scholastikers Odo gelten,⁶⁷ der zwischen 1140 und 1148 in seiner dreiteiligen Dogmatik Ysagoge in theologiam in den sog. Adversus-Judaeos Passagen aramäische und hebräische Bibelzitate dokumentiert, die von MT deutlich abweichen und eine hebräische Textform bezeugen, die nur in den Bibelhandschriften des aschkenasischen Typus auffindbar sind.

5 Fazit Bereits in diesem forschungsgeschichtlich frühen Stadium zeigen die Untersuchungen an den westeuropäischen Bibel- und Kommentarhandschriften von ihren frühesten Textzeugen bis zur Mitte des 14. Jh.s, dass die wissenschaftlichen Fragestellungen zur mittelalterlichen Bibel-Rezeption, d. h. zur Textforschung der Hebräischen Bibel, zur jüdischen Kommentarliteratur und insgesamt zur abendländischen Bibeltexttradition und Wissenskultur nicht am ben-ascherianisch-tiberiensischen Texttypus, sondern nur am Text und der Masora der westeuropäischen Bibelhand Vgl. Hans-Georg Mutius: Die Bezeugung einer aussertiberiensischen Punktationsform in Ps 2,12 durch mittelalterliche jüdische Gelehrte. In: Biblische Notizen 15 (1981), S. 44– 45, ders.: Die Masoreten als Textverfälscher. Neue Überlegungen zu einem bekannten Problem in Genesis 1,20. In: Biblische Notizen 81 (1996), S. 15 – 20; ders. (1999). Eine nichtmasoretische Vokalisierung im masoretischen Konsonantentext von Jeremia 9,18 bei Abraham Ben David von Posquie`res (12. Jrh.). In: Biblische Notizen 100 (1999), S. 22– 26; ders.: ): Neues zur Textkritik von Genesis 6,17 und 7,6 aus judaistischer Sicht. In: Biblische Notizen 104 (2000), S. 38 – 41; ders.: Eine nichtmasoretische Lesung in Jona 1,5 bei Abrahaam Bar Chijja von Barcelona (11./12. Jrh.). In: Biblische Notizen 105 (2000), S. 12– 15; ders.: Eine beachtenswerte masoretische Lesevariante zu Genesis 2,15 Ende. In: Biblische Notizen 118 (2003), S. 43 – 45; ders.: Die hebräischen Bibelzitate beim englischen Scholastiker Odo:Versuch einer Revaluation (Judentum und Umwelt 78). Frankfurt am Main: Lang 2006; ders.: Die Zitierung von Psalm 78,51 im Midrasch ha-Gadol des David ben Amram aus Aden (13./14. Jrh.) und in der alt-irischen Vetus Latina (Ps. 77,51). In: Biblische Notizen 140 (2009), S. 31– 34; ders.: Eine talmudische Textvariante zu Kohelet 5,9 und ihr Verhältnis zur LXX. In: Biblische Notizen 144 (2010), S. 87– 93; ders.: Drei nichtmasoretische Textzitate aus dem Midrasch ha-Gadol zu den Büchern Ijob (38,35), Sprüche (29,12) und Kohelet (3,14). In: Biblische Notizen 149 (2011), S. 59 – 64; ders.: Der hebräische Text von Psalm 71,15 im Sefer ha-Kuzari von Jehuda ha-Levi und die Peschitta zur Stelle. In: Biblische Notizen 158 (2013), S. 51– 54.  Vgl. bereits Johann Fischer: Die hebrä ischen Bibelzitate des Scholastikers Odo – Ein bedeutsamer Fund fü r die Geschichte des hebrä ischen Bibeltextes. Roma: Pont. Istituto Biblico 1934; vgl. auch Anna Sapir Abulafia: Jewish Carnality in Twelfth-Century Renaissance Thought. In: Studies in Church History 29 (1992), S. 59 – 75; Avrom Saltman: Gilbert Crispin as a Source of the Anti-Jewish Polemic of the Ysagoge in Theologiam. In: Pinchas Artzi (Hrsg.): Confrontation and Coexistence (Bar-llan Studies in History 2). Ramat Gan: Bar-Ilan University 1984, S. 89 – 99; Mutius: Hebräischen Bibelzitate.

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Hanna Liss und Kay Joe Petzold

schriften gelöst werden können. Die Bibel- und Talmudkommentierungen sowie die biblischen Referenzen in halachischen Schriften des Raschi und seiner Schule sind nur in den Manuskripten vom nordfranzösischen und aschkenasischen Texttypus auffindbar. Damit stellt gerade der bisher weitgehend unerforschte bzw. ignorierte aschkenasische Bibeltext – anders als der tiberiensische – einen elementaren Bestandteil des kulturellen Erbes des jüdischen (und christlichen!) Mittelalters dar, den es in zukünftigen Forschungen aufzuhellen gilt. Wir sehen heute, dass die variantenreiche Textualisierung der Masora vor allem vom soziokulturellen Kontext abhängt und in diesen hinein gestaltet wurde. Die Erforschung der biblischen Textgeschichte sollte künftig und mehr als bisher die sog. ‚Rezeptionsgeschichte‘ des biblischen Textes als ‚Text-Geschichte‘ wahrnehmen. Für die rezente Qur’ān-Forschung ist dies mittlerweile erkannt worden⁶⁸ – die Bibelwissenschaft hat hier noch einiges nachzuholen. Auch deshalb ist der philologischen judaistischen Forschung dringend geraten, die Bibeltextforschung nicht allein den Theologen zu überlassen.⁶⁹

 Dies wurde exemplarisch bei Angelika Neuwirth: Koranforschung – eine politische Philologie? Bibel, Koran und Islamentstehung im Spiegel spä tantiker Textpolitik und moderner Philologie (Litterae et Theologia 4). Berlin: De Gruyter 2014, S. XVII im Vorwort durch Martin Wallraff zum Ausdruck gebracht: „Wir lernen in exegetischen Proseminaren Arbeitsschritte wie ‚Textkritik‘ und ‚Wirkungsgeschichte‘, fein säuberlich getrennt. Das zugrunde liegende Denkmodell ist also dies: Zunächst entsteht ein ‚Urtext‘ (den wir mit unseren Methoden so getreu wie möglich rekonstruieren), dann wird dieser ‚rezipiert‘, entfaltet also eine Wirkungsgeschichte durch die Jahrhunderte. Wie wenig diese fein säuberliche Trennung funktioniert, wird in der Textgeschichte des Koran deutlich (…)“.  Dieser Beitrag wurde im Rahmen der Forschungen des SFB 933 Materiale Textkulturen verfasst. Ich danke meinem Assistenten Jonas Leipziger für die umsichtige Betreuung des Manuskriptes.

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Scepticism in Jewish Philosophy and Thought: A Status Quaestionis Scepticism is a concept and a practice of numerous facets.¹ In its historical development the two branches of Academic and Pyrrhonian philosophy are still highly relevant to the enquiry of the reliability of secular and sacred knowledge.² Scepticism as a general term denotes putting every belief and all knowledge into question. Since the Early Modern period, it has also been used to designate atheism, agnosticism and criticism. In the context of following contribution, scepticism is used in its general meaning as enquiry into (secular and sacred) belief and knowledge, the expression of doubts about any kind of authority – comprising the question of the criterion of truth³ and including implicit and explicit sceptical paradoxes – and the purposefully evoked suspension of judgement to avoid dogmatism.⁴ Many authors researching scepticism follow two very different objectives; firstly, the study of the (critical) reception of ancient sceptical philosophy as

 The study of Jewish scepticism addressed here is mainly concerned with historical developments of sceptical concepts, modes of learning and social manifestations of a refusal or acceptance, as well as their integration into philosophical, literary, and social aspects of Jewish culture. In that particular sense, research on Jewish scepticism is at the interface between philosophy, the history of ideas and cultural history. Regarding the concept, extension, and field of research on scepticism, see for example Michael Albrecht: Skepsis, Skeptizismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie 9 (1995), pp. 950 – 974; Julia Annas / Jonathan Barnes: The Modes of Scepticism. Ancient Texts and Modern Interpretations. Cambridge: Cambridge University Press 1997. A good introduction to the problem of definition is Robert J. Hankinson / Ted Honderich: The Sceptics. London / New York: Routledge 1995, pp.12–27; for new insights into the definition of idealistic elements in ancient scepticism see Markus Gabriel: Skeptizismus und Idealismus in der Antike. Universität Heidelberg, Habilitations-Schrift. Frankfurt am Main 2009.  Enquiring into belief and/or knowledge is, of course, relevant for ancient scepticism. Here, however, I am referring to the entire phenomenon of sceptical philosophy and to cultural expressions of scepticism.  The question on the ‘criterion of truth’ is used in this contribution as part of the question of authority; see Mordecai Roshwald: Authority, Skepticism and Dissent in Judaism. In: Jewish Social Studies 40,3 – 4 (1978), pp. 189 – 230. Authority is also synonymous with dogmatism, see Cicero: Academica, 2:8 – 9 according to the edition of Harris Rackham: De natura deorum. Academica. Reprint. London: Heinemann 1961.  As it is well known, the aim of ancient scepticism was the ataraxia (a tranquil and untroubled state of mind). DOI 10.1515/9783110523478-017

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“sceptical tradition”⁵ (Academic scepticism and Pyrrhonism), where techniques and concepts were translated into other models and patterns of discourse. This entails an examination of the presence or absence of ancient scepticism during the Middle Ages, research into the Early Modern reception and further developments, as well as the emergence of modern and contemporary scepticism since Descartes (that is, scepticism in a narrow sense). The second crucial objective of sceptical enquiry is in a more metaphorical and performative sense: it relates to sceptical strategies, concepts and attitudes, in areas that are not clearly defined as ‘philosophical’; where doubts, criticism and questions are expressed to effect the suspension of judgement. It is the educational and social reverberations of these strategies that one could call sceptical in a wider sense.⁶ While the first concept is clearly and narrowly defined within the research community, the latter is considered as rather diffuse,⁷ and hence of particular interest for this research focus. From the 20th century until today, the study of scepticism has enjoyed a lively academic interest with wide popularity. Ancient Eastern and Western schools of sceptical thought and philosophy have been the subjects of tractates, books, articles and comments; both historical Pyrrhonian philosophy and the classical academies have already been explored, analysed and elaborated upon. Likewise, there is no lack of studies on the development of sceptical methods and the sceptical tradition,⁸ however, only when not taking into account Judaism and Jewish philosophy. To understand and situate Jewish scepticism within a wider context, a few examples regarding the state of current research on general scepticism will fol-

 The term ‘tradition’ (see Myles Burnyeat: The Skeptical Tradition. Berkeley: University of California 1983) is essential to the reception of ancient and modern philosophical scepticism.  The term “cultural scepticism” is to be avoided (see Sante De Sanctis: Religious Conversion, a Bio-Psychological Study. With assistance of trans. Helen Augur. London: Harcourt, Brace & Company 1927, p. 112), because of the general question of what is culture and how to distinguish it from philosophy.  To clarify the difference between the two areas of research, it will be enough to refer to the short comment of the editor of the blog Aporia in the book by Michelle Zerba: Doubt and Skepticism in Antiquity and the Renaissance. Cambridge, UK: Cambridge University Press 2012: “It doesn’t seem to be a philosophy book in the proper sense of the word”, see http://blogaporia.blogspot.de/2013/02/skepticism-in-antiquity-and-renaissance.html (access: June 10, 2013). The book is in fact an essay on forms and uses of doubt in works by Homer, Sophocles, Aristophanes, Cicero, Machiavelli, Shakespeare, and Montaigne.  The vivid interest in the topic can also be inferred from numerous recent publications like the International Journal for the Study of Skepticism (Brill, first number 2011), websites, online fora and blogs like Aporia at http://blogaporia.blogspot.de/ (access: June 10, 2013).

Scepticism in Jewish Philosophy and Thought: A Status Quaestionis

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low. Considering the amount of publications and numerous complex debates on various related topics, the outline below is far from comprehensive.

1 Research on Scepticism(s) As already mentioned above, two significant research fields can be distinguished: a philosophical approach based on an analytical and diachronic-historical perspective and an approach of elements of sceptical strategies, contents, and attitudes (here called ‘cultural expressions of scepticism’). Both fields relate to ancient scepticism and its transformation and reception during the Renaissance. There are several studies that are concerned with the Academies, the Platonic, the Middle and the New Academy.⁹ Some scholars have examined different forms of sceptical knowledge dissemination such as medical tracts.¹⁰ Furthermore, a number of monographs, surveys and editions of key texts, especially relating to Pyrrhonism (Outlines of Pyrrhonism by Sextus Empiricus,¹¹ or Diogenes Laertius’ Lives of Eminent Philosophers),¹² have recently been re-published.¹³ Other studies have focused on Cicero and his ‘disciple’ Augustine, examining their sceptical and anti-sceptical positions. Augustine’s critique of sceptical philosophy is especially relevant for the study of ancient Jewish scepticism.¹⁴

 James Allen: Academic Probabilism and Stoic Epistemology. In: Classical Quarterly 44 (1994), pp. 85 – 113; Charles Brittain: Philo of Larissa: The Last of the Academic Sceptics. Oxford: Oxford University Press 2001.  See e. g. James Allen: Pyrrhonism and Medicine. In: Richard Bett (Ed.): The Cambridge Companion to Ancient Scepticism. Cambridge: Cambridge University Press 2010, pp. 232– 248.  See Julia Annas / Jonathan Barnes (Eds. / Trans.): Sextus Empiricus. Outlines of Scepticism. Second Edition. Cambridge: Cambridge University Press 2000.  Miroslav Marcovich (Ed.): Diogenis Laertii Vitae philosophorum. Stutgardiae: Teubner 1999; Robert Drew Hicks (Ed.): Diogenes Laertius. Lives of Eminent Philosophers, 2 vols. Reprint. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1979.  For a bibliography see Diego E. Machuca, in https://sites.google.com/site/diegomachuca/ bibliography-on-skepticism (access: July 7, 2013); see also the articles of Katja Vogt: Ancient Skepticism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2011 Edition). Edited by Edward N. Zalta (http://plato.stanford.edu/archives/win2011/entries/skepticism-ancient/) (access: November 11, 2015); Peter Klein: Skepticism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2013 Edition). Edited by Edward N. Zalta (http://plato.stanford.edu/archives/sum2013/entries/ skepticism/) (access: November 11, 2015); and Charles Bolyard: Medieval Skepticism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2013 Edition). Edited by Edward N. Zalta (http://plato.stanford.edu/archives/spr2013/entries/skepticism-medieval/) (access: November 11, 2015).  To name but a few examples: Therese Fuhrer: Das Kriterium der Wahrheit in Augustins Contra Academicos. In: Vigiliae Christianae 46 (1992), pp. 257– 275; Gonzalo Soto Posada: La muerte

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The bishop of Hippo offered a topical and typological description that prevailed through the 4th and 5th centuries CE. He particularly elaborated on (anti‐)sceptical thoughts and strategies using the (classical) literary dialogic system.¹⁵ He also argued against the principle of authority and truth. Doubt and methods of enquiry (the truth)¹⁶ or silence and suspension of judgement, are obviously highly relevant for rabbinic literature. Augustine’s strong arguments against scepticism turned out to be substantial for medieval anti-scepticism.¹⁷ Currently, the status of medieval (anti‐)sceptical philosophers receives much more scholarly attention after having been largely ignored for decades.¹⁸ Traces of ancient scepticism are evident during a period when strong anti-sceptical currents prevailed. Adherents of the latter are well known authors, such as John Buridan or Thomas Aquinas. Similarly established, sceptical learning is prevalent in the works of Henry of Ghent, Duns Scotus, William of Ockham, or Nicholas of Autrecourt.¹⁹ Contrary to these well-researched texts, the field of (Arabic‐)Islamic philosophy and theology has only been partially studied and examined with respect to scepticism, for example al-Ghazālī (1058 – 1111)²⁰ who is often regarded as the

del escepticismo o san Augustín y los académicos. In: Estudios de Filosofía 26 (2002), pp. 277– 292; Brian Harding: Skepticism, Illumination and Christianity in Augustine’s Contra Academicos. In: Augustinian Studies 34,2 (2003), pp. 197– 212; Giovanni Catapano: Quale scetticismo viene criticato da Agostino nel Contra Academicos? In: Quaestio 6 (2006), pp. 1– 13; Luca Castagnoli: Ancient Self-Refutation. The Logic and History of the Self-Refutation Argument from Democritus to Augustine. New York: Cambridge University Press 2010.  Theme and bibliography in Daniel Boyarin: Socrates and the Fat Rabbis. Chicago / London: University of Chicago Press 2009; see also Jacob Howland: Plato and the Talmud. Cambridge: Cambridge University Press 2011 (http://www.loc.gov/catdir/enhancements/fy1011/2010030597d.html) (access: November 11, 2015).  See for example Malcolm Schofield (Ed.): Plato and the Talmud. Reprint. Cambridge: Cambridge University Press 1989 (http://www.loc.gov/catdir/enhancements/fy1011/2010030597-d. html) (access: November 11, 2015).  See Henrik Lagerlund: Rethinking the History of Skepticism. The Missing Medieval Background. Leiden / Boston: Brill 2010.  See the ‘turning point’ in Richard H. Popkin: Amos Funkenstein and the History of Scepticism. In: Robert S. Westman / David Biale (Eds.): Thinking Impossibilities. The Intellectual Legacy of Amos Funkenstein. Toronto: Toronto University Press 2008, pp. 281– 288.  Ibid.; there is a good outline with an updated bibliography in an article of the Stanford Encyclopedia of Philosophy, contributed by Bolyard: Medieval Scepticism. Again, there is no mention of Horovitz’ contribution (see below).  Leor Halevi: The Theologian’s Doubts: Natural Philosophy and the Skeptical Games of Ghazali. In: Journal of the History of Ideas 63,1 (2002), pp. 19 – 39.

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precursor of Cartesian doubt.²¹ Furthermore, Ibn Al-Haytham’s (965 – 1039), Kitāb al-Manāẓir (Book of Optics) and Al-Shukūk ʿalā Batlamyūs (“Doubts concerning Ptolemy”) should be mentioned in this context. Nevertheless, there are still vast areas of uncharted territory, such as the influence of scepticism on the schools of Mu’tazila and Ash’ariyya.²² The sceptical outlook of ar-Rāzī (c. 865 – 925), Ibn Ḥazm (994– 1064) and of the Jewish philosopher Sa’adya Gaon are also underresearched and the influence of Pyrrhonism on Arabic writers “is still to be fully explored.”²³ One of the most popular research areas is the development of sceptical philosophy and cultural history during the Renaissance.²⁴ Henri Estienne’s Latin translation of Sextus Empiricus’ Outlines of Pyrrhonism from 1562 was certainly one of the corner stones of Renaissance scepticism that strongly influenced the dissemination of humanism throughout Europe. Richard Popkin²⁵ and Charles Schmitt²⁶ have foregrounded this period in the history of scepticism by analysing numerous (including lesser known) authors and introducing their developments and contributions to present academia. Additionally, modern studies include an entire range of philosophical, political and social theories

 Sami M. Najm: The Place and Function of Doubt in the Philosophies of Descartes and AlGhazali. In: Philosophy East and West 16,3 – 4 (1966), S. 133 – 141.  See the relevant article of Josef van Ess: Skepticism in Islamic Religious Thought. In: Al-Abhath 21 (1968), pp. 1– 17.  See Luciano Floridi: The Rediscovery and Posthumous Influence of Scepticism. In: Richard Bett (Ed.): Cambridge Companion to Ancient Scepticism. Cambridge University Press: Cambridge 2010, pp. 264– 287 (Preprint: http://uhra.herts.ac.uk/bitstream/handle/2299/6995/903253.pdf?sequence=1) (access: November 11, 2015), p. 274: “A final remark must concern the coeval influence of Pyrrhonism on Arabic writers. The field is still to be fully explored however, in this case too, there seems to have been a wider availability of original texts than in Western countries. A philosopher like al-Ghazzali (ca.1058 – 1111), with his The Incoherence of the Philosophers, exercised a direct influence on the work of the Hebrew philosopher Judah Halevi (ca. 1085 – 1141) – a key figure in twelfth century Jewish thought, whose Kusari displays an interesting use of sceptical arguments against Aristotelian philosophy and in favour of religious faith – and some conjecture that he might have acted as a cultural bridge between Greek scepticism and the later critical philosophy of Nicholas of Autrecourt, especially as far as the analysis of the notion of causality is concerned”.  See Gianni Paganini / José R. Maia Neto (Eds.): Renaissance Scepticisms. Dordrecht: Springer 2009.  I quote here only Richard H. Popkin: The History of Scepticism. From Savonarola to Bayle. Revised and expanded. Oxford: Oxford University Press 2003.  Richard H. Popkin / Charles B. Schmitt: Scepticism from the Renaissance to the Enlightenment. Wiesbaden: Harrassowitz 1987.

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emerging from scholars such as Machiavelli in Italy,²⁷ Montaigne in France,²⁸ and Pedro de Valencia in Spain,²⁹ Francisco Sánchez in Portugal and later in France,³⁰ Sir Francis Bacon in England, Baruch Spinoza in the Netherlands and back to the sceptical turning point of Descartes,³¹ just to chart a few stages in the development of scepticism in Europe. Whereas the humanist influence on this development originated in Italy, the religious impetus was provided by Humanism and Reformation in Germany. Not only did newly founded academies show traces of stoic and sceptical thinking, but they also played a crucial role in the development and conceptualisation of literature³² and drama during that time.³³ The notion of ‘scepticism’ in a general and rather diffuse meaning, as we know it today, certainly derived from the debates and developments in the arts and literature so prevalent during the Renaissance and Early Modern period. However, what freshly emerged during the 15th and 16th century was sceptical contentions against the rapidly developing sciences.³⁴ It would certainly be too bold and in fact compromise the aims of this contribution, to assert the comprehensiveness of an overview about the developments of sceptical philosophy since Descartes. After all, strategies of methodological doubts and critique for and against the reconstruction of dogmatic philosophical systems as well as the (im)possibilities of metaphysical theories

 Aryeh Botwinick: Participation and Tacit Knowledge in Plato, Machiavelli and Hobbes. Lanham: University Press of America 1986; id.: Skepticism and Political Participation. Philadelphia: Temple University Press 1990; id.: Skepticism. Philadelphia, Pa.: Temple University Press 2010; Zerba: Doubt and Scepticism.  See e. g. the contribution in Nicola Panichi in Paganini / Maia Neto: Renaissance Scepticisms, pp. 183 – 212.  See John Christian Laursen’s contribution in Paganini / Maia Neto: Renaissance Scepticisms, pp. 111– 124.  See e. g. Kaspar Howald (Ed.): Francisco Sánchez. Quod Nihil Scitur. Dass nichts gewusst wird. Hamburg: Felix Meiner 2007.  See Popkin: History of Scepticism.  See e. g. Graham Bradshaw: Shakespeare’s Scepticism. Brighton: Harvester Press 1987.  See e. g. the doctrine of the characters by Theophrastus and the ethical teachings by Seneca in their humanist reception; see Giuseppe Veltri: ‘Dannare l’universale per il particolare’? Colpa individuale e pena collettiva nel pensiero di Rabbi Simone Luzzatto. In: Rassegna Mensile d’Israele 77,1– 2 (2012), pp. 65 – 81.  See Giuseppe Veltri: Principles of Jewish Skeptical Thought. The Case of Judah Moscato and Simone Luzzatto. In: id. / Gianfranco Miletto (Eds.): Rabbi Judah Moscato and the Jewish Intellectual World of Mantua in 16th–17th century. Leiden / Boston: Brill 2012, pp. 15 – 36.

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(see David Hume)³⁵ are always at the core – and at stake – in those areas of philosophy where metaphysical notions and epistemology have to be negotiated. This certainly involves a balance between the world of ideas and the methods of securing historical approaches that verify or falsify ‘truths’ and ‘beliefs’. The Enlightenment is a very complex phenomenon based on freedom of thought and political emancipation, ³⁶ because or perhaps in spite of the insight that Socrates did not offer a solution to the problematic issue of authority.³⁷ In contrast to Enlightenment ideas prevalent in Christian Europe, thinkers such as Moses Mendelssohn,³⁸ were much less likely to receive recognition for their endeavours. Likewise, Salomon Maimon, the harshest and most sceptic critic of Kant, was largely ignored by his contemporaries.³⁹ In this context, the sceptical perspective can be viewed as a reaction to attempts of universalising ‘reason’ and knowledge. The responses to conflict in issues such as assimilation, acculturation, or preservation of identity in many circles of eighteenth century society, as well as within the Jewish communities themselves, were highly ambiguous, but always vehement. The emergence of a critical scientific philology during the 19th and 20th centuries was crucial for keeping alive the sceptical method of doubt towards dogmatic systems.⁴⁰ Between the end of the 20th and the beginning of the 21st century, the emergence of Postcolonial studies have inspired ongoing debates on whether ‘West-

 David Frade Norton: David Hume: Common-Sense Moralist, Sceptical Metaphysician. Princeton, NJ: Princeton University Press 1982; Paul Stanistreet: Hume’s Scepticism and the Science of Human Nature. Aldershot: Ashgate 2002.  See Jonathan I. Israel: Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650 – 1750. Oxford: Oxford University Press 2001.  See Richard H. Popkin: Scepticism in the Enlightenment. Dordrecht: Kluwer 1997; Petr Lom: Scepticism, Eclecticism and the Enlightenment. An Inquiry into the Political Philosophy of Denis Diderot. San Domenico, FI: European University Institute 1998; Sébastien Charles / Plínio J. Smith (Eds.): Scepticism in the Eighteenth Century: Enlightenment, Lumières, Aufklärung. Dordrecht: Springer 2013.  Mendelssohn’s theory of probability is very important in this context; see the contribution of Edith Dudley Sylla in: Reinier Munk (Ed.) (2011): Moses Mendelssohn’s Metaphysics and Aesthetics. Dordrecht: Springer 2011, pp. 41– 64.  See Gideon Freudenthal: Salomon Maimon. Rational Dogmatist, Empirical Skeptic; Critical Assessments. Dordrecht: Kluwer 2003 (http://www.loc.gov/catdir/enhancements/fy0814/2003056509-d. html) (access: November 11, 2015); id.: Maimon’s Subversion of Kant’s Critique of Pure Reason. There are no Synthetic a priori Judgements in Physics (Preprint / Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, 170). Berlin: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 2001.  See Giuseppe Veltri: Language of Dissent & Conformity. The Imaginative Grammar of Jewish Intellectuals in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Boston: Academic Studies Press 2013. .

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ern’ philosophy and academic science, with their Eurocentric notions of knowledge production, are in a position to apply a just and appropriate stance towards the research of non-Western cultures. Doubt about the concept of ‘reason’ per se generated doubt about the transferability of this concept between cultures and continually challenged the question of whether the so-called postcolonial systems of knowledge did or did not obscure their use of methods generated by colonialist views.⁴¹ This also applied and still applies to the notable absence of Jewish thought and thinkers in the study of philosophy. Yet, if the Jewish tradition has hardly been considered in the general field of philosophy or within the history of philosophy, it remains to be examined whether Jewish scepticism features at least in the area of ‘Jewish’ philosophy?

2 Research on Jewish Scepticism The sceptic is always viewed with suspicion, as a kind of ‘malicious genius,’⁴² because he/she doubts and mistrusts every belief. The sceptic asks questions, and these questions may upset and disconcert firm opinions and alleged insights, especially if there are no ready-made responses and if there is much resistance against losing the certainty of knowledge about the world. This mistrust and suspicion is frequently applied to Judaism, which can be highly disconcerting, because one of its essential features is to critically interrogate every aspect of life. This is manifest already in the Talmud: The Talmudic art of teaching is primarily aimed at invoking pleasure in closely studying objects and situations, and to find gratification in the acquisition and use of knowledge. In Judaism, the art of learning entails a continual raising of doubts about what the teacher thinks and says. Thus, there is no doctrinal theology at the core of studying the Torah. It is not a question of learning something by heart or endlessly repeating what the teacher says. The rabbinical school was vehement in opposing such commonplace views, which is manifest in didactical anecdotes, where the rabbi is making fun of the ig-

 I will omit a detailed bibliography on the topic and instead refer to Sandra G. Harding: Is Science Multicultural? Postcolonialisms, Feminisms, and Epistemologies. Bloomington: Indiana University Press 1998.  As Markus Gabriel: The Art of Skepticism and the Skepticism of Art. In: Philosophy Today 53/1 (2009) (http://www.questia.com/read/1P3-1655856661) (access: November 11, 2015), s.p., calls him/ her.

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norant pupil. According to tractate Sota 22a of the Babylonian Talmud, a tanna⁴³ was hardly different from a magician (magush), because both repeated and learned by heart words in which they had not properly understood. Teaching in this sense also means understanding, instead of merely repeating. Accordingly, the Midrash Mekhilta de-Rabbi Yishma’el (Bo’, pisḥa 18) states: “There are four types of pupils: the wise, the wicked, the simple, and the one who doesn’t know how to ask.”⁴⁴ In Talmudic and also subsequent periods, the goal of learning was to ask the rabbi the (right) question, to force him to find the weak point in his argumentation.⁴⁵ Although scepticism is essential to the Jewish epistemological understanding of reality, as well as sources and systems of knowledge, it is rather surprising to note that it is still largely excluded from, or at least underrepresented in international research debates on scepticism and Jewish philosophy.⁴⁶ As an example, the entry of Alvin J. Reines in the old and new editions of the Encyclopaedia Judaica, only refers to the question of the unreliability of reason by quoting Judah Halevy and Chasday Crescas on the inadequacy of neo-Platonic and Aristotelian physics and metaphysics as naturally acquired knowledge⁴⁷ – a standpoint only recently and uncritically adopted by the Stanford Encyclopedia of Philosophy.⁴⁸ Significantly, Reines’ article mentions some important studies of the Breslau scholar Saul Horovitz without integrating them into his outline of Jewish scepticism. Horovitz addressed the study of Jewish scepticism as an important objective of medieval philosophy in 1912; in 1915 he returned to the topic and published an essay on the familiarity of medieval Muslim and Jewish authors with scepticism.⁴⁹ The neglect of Horovitz’s contribution to Jewish philosophy⁵⁰ is all the  Tanna means ‘repeater’, ‘transmitter’ of the entire Tannaitic tradition. As a rule, the term is translated as ‘teacher’, but it can also include the pupil who is a transmitter of the teaching of the transmitter.  See Giuseppe Veltri: Freche Schüler vs. gescheite Rabbinen. Die Kunst des Lernens im antiken Judentum. In: Almut-Barbara Renger (Ed.): Meister und Schüler in Geschichte und Gegenwart. Von Religionen der Antike bis zur modernen Esoterik. Göttingen: V&R unipress 2012, pp. 135 – 145.  This paragraph is taken from Giuseppe Veltri: Do/Did the Jews Believe in God? The Skeptical Ambivalence of Jewish Philosophy of Religion. In: Ra‘anan Boustan / Klaus Hermann / Reimund Leicht / Annette Yoshiko Reed / id. (Eds.): Envisioning Judaism. Studies in Honor of Peter Schäfer on the Occasion of his Seventieth Birthday, Vol. 2. Tübingen: Mohr Siebeck 2013, pp. 717– 733.  See J. Goody: A Kernel of Doubt. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute 2,4 (1996), pp. 667– 681 (http://www.jstor.org/stable/3034302) (access: November 11, 2015); Veltri: Principles of Jewish Skeptical Thought.  Alvin J. Reines: Skepsis and Skepticism. In: Encyclopaedia Judaica, vol. 18. Edited by Michael Berenbaum / Fred Skolnik. Second Edition. Detroit, Mich.: Macmillan 2010, pp. 657– 658.  Bolyard: Medieval Scepticism.  Saul Horovitz (1909): Über den Einfluss der griechischen Philosophie auf die Entwicklung des Kalam. Breslau: Th. Schatzky 1909; id.: Über die Bekanntschaft Saadias mit der griechischen

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more regrettable as he introduced the concept of a ‘sceptical (under)current’ (“skeptische Geistesströmung”),⁵¹ referring to ideas and tropes that survive as fragments in various authors’ texts and within movements of sceptical interests. There are some rare examples of studies on Jewish scepticism from a later period, that are concerned with Jewish converts, ⁵² Uriel da Costa,⁵³ Salomon Maimon⁵⁴ or with the eternal question of whether or not, and if so, how the biblical book of Kohelet should be included in the history of scepticism.⁵⁵ Furthermore, studies on expressions of religious (or rational) and linguistic doubts,⁵⁶

Skepsis. In: Ismar Elbogen / Benzion Kellermann / Eugen Mittwoch (Eds.): Judaica. Festschrift zu Hermann Cohens siebzigstem Geburtstage. Berlin: Bruno Cassirer 1912, pp. 235 – 252; id.: Der Einfluss der griechischen Skepsis auf die Entwicklung der Philosophie bei den Arabern. Breslau: Th. Schatzky 1915.  For the impact of Horovitz in recent studies of Arabic philosophy see Carmela Baffioni: Per l’ipotesi di un influsso della scepsi sulla filosofia islamica. In: Gabriele Giannantoni (Ed.): Lo scetticismo antico, Atti del Convegno organizzato dal Centro di Studi del pensiero antico del CNR, Roma 5 – 8 nov. 1980, Vol. 1. Napoli: Bibliopolis 1981, pp. 417– 434; Josef van Ess: Die Erkenntnislehre des ʿAḍudaddīn Al-Īcī. Übersetzung und Kommentar des ersten Buches seiner Mawāqif. Universität Frankfurt Habilitations-Schrift 1964. Wiesbaden: Steiner 1966, passim; Horovitz: Über den Einfluss; and id.: Der Einfluss der griechischen Skepsis (1915), reprinted in Sezgin (2000), pp. 21– 112 and pp. 113 – 161.  Horovitz: Über die Bekanntschaft, p. 239.  On Francisco Sánchez and whether he converted from Judaism to Christianity see Elaine Limbrick’s introduction to Sánchez: That nothing is known. Edited by Elaine Limbrick. Cambridge: Cambridge University Press 1988, p. 6 ff. See also José Faur: Sánchez’ Critique of Authoritas: Converso Skepticism and the Emergence of Radical Hermeneutics. In: Peter Ochs (Ed.): The Return to Scripture in Judaism and Christianity. Essays in Postcritical Scriptural Interpretation. New York: Paulist Press 1993, pp. 256 – 276, pp. 256 – 276; see also Martin Mulsow: Skepticism and Conversion to Judaism. The Case of Aaron d’Antan. In: Id. / Richard H. Popkin (Eds.): Secret Conversions to Judaism in Early Modern Europe. Leiden / Boston: Brill 2004, pp. 123 – 182.  Sanford Shepard: The Background of Uriel Da Costa’s Heresy: Marranism, Skepticism, Karaism. In: Judaism 20 (1971), pp. 341– 350.  Nathan Rotenstreich: The Problem of the ‘Critique of Judgment’ and Solomon Maimon’s Scepticism. In: Saul Lieberman (Ed.): Harry A. Wolfson Jubilee Volume on the Occasion of His Seventy-Fifth Birthday, Vol. 2. Jerusalem: American Academy for Jewish Research 1965, pp. 677– 702.  See for example James L. Crenshaw: The Birth of Skepticism in Ancient Israel. In: Id. / Samuel Sandmel (Eds.): The Divine Helmsman. Studies on God’s Control of Human Events. Presented to Lou H. Silberman. New York: KTAV Publishing House 1980, pp. 1– 19; Bernon Lee: Towards a Rhetoric of Contradiction in the Book of Ecclesiastes. Ph.D. University of Calgary 1997; William H.U. Anderson: What is Skepticism and Can it Be Found in the Hebrew Bible? In: Scandinavian Journal of the Old Testament 13,2 (1999), pp. 225 – 257.  Gideon Freudenthal: The Remedy to Linguistic Skepticism. Judaism as a Language of Action. In: Naharaim – Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte 4,1 (2011), pp. 67– 76.

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and on literary genres and different social configurations (conversion strategies)⁵⁷ should not go unmentioned. The important contribution of David Ruderman in Simone Luzzatto’s Socrate⁵⁸ is particularly worth mentioning here.⁵⁹ Ruderman devoted a detailed chapter of his Jewish Thought and Scientific Discovery in Early Modern Europe ⁶⁰ to Luzzatto’s work, summarising its contents and focusing on the problem of Luzzatto’s use of sources and his position within Early Modern and Jewish scholarship and sceptical tradition.⁶¹ Two years later in 1997, Richard Popkin edited an insightful book Skepticism and Irreligion without a single contribution on Jewish thinking.⁶² Relying on publications such as these, it might seem as if the question of sceptical thinking had seldom been dealt with in the Jewish academies or amongst Jewish scholars.⁶³ Aryeh Botwinick is one of the few scholars who attended to the topic of Jewish scepticism in a monograph,⁶⁴ where he overemphasized the role of negative theology on the development of sceptical thought.⁶⁵ In his book, Botwinick draws a connection between the negative theology of Maimonides and the negative vision of the godhead in Nietzsche. He interprets monotheism as criticism and as sceptical attitude to knowledge based on the attempts to describe God by negation (via negativa).

 See Mulsow: Skepticism and Conversion.  See, for example, Jehuda Bergmann: Sokrates in der jüdischen Literatur. In: Monatsschrift zur Geschichte und Wissenschaft des Judentums 80 (1936), pp. 6 – 10.  For the very scarce impact of Luzzatto’s Socrate see Giuseppe Veltri (Ed.): Simone Luzzatto. Scritti politici e filosofici di un ebreo scettico nella Venezia del Seicento. In cooperation with Anna Lissa / Paola Ferruta. Milan: Bompiani 2013, pp. LXXVI–LXXXV.  David Ruderman: Science and Skepticism. Simone Luzzatto on Perceiving the Natural World. In: Id.: Jewish Thought and Scientific Discovery in Early Modern Europe. Detroit, Mich.: Wayne State University Press 1995, pp.153 – 184.  The dissertation of Ariel Viterbo at the Hebrew University of Jerusalem is worth mentioning. In his book, which was partly published in Italian, Viterbo describes the content of Socrate; Ariel Viterbo: La mitzwàh di studiare le scienze nell’opera di Rav Simchah (Simone) Luzzatto. In: Studi Veneziani 38 (1999), pp. 79 – 128.  Richard H. Popkin / Arie Johan Vanderjagt (Eds.): Scepticism and Irreligion in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Leiden: Brill 1993; but see Popkin: History of Scepticism, passim, where he refers to some Jewish sceptical thinkers like Halevy and Crescas without mentioning the question of Jewish scepticism.  On this aspect see Veltri: Principles of Jewish Skeptical Thought; id.: Do/Did the Jews Believe.  Aryeh Botwinick: Skepticism, Belief, and the Modern. Maimonides to Nietzsche. Ithaca, NY: Cornell University Press 1997 (Contestations) (http://www.gbv.de/dms/bowker/toc/9780801432088.pdf) (access: November 11, 2015).  He is also the author of numerous contributions on scepticism.

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It becomes apparent from the previous paragraphs that the research on Jewish philosophical scepticism is still at its very beginnings. This also holds true for cultural expressions of scepticism, i.e. the modes of sceptical strategies present in Jewish literature, culture, history, societies, and education. The lack of interest in the intricacies of Jewish scepticism in Jewish studies may be rooted in the modality of Jewish philosophy as such, a concept that is notoriously in-between, and that subsumes and affects traditional wisdom, philosophy, theology, Jewish and general Weltanschauung, as well as cultural history, being a hazardous bridge between orthopraxy and orthodoxy.⁶⁶ The ‘invisibility’ of the particular (i.e. Judaism) due to its immersion into general philosophy could be one reason for the lack of interest. The focus on enquiry and doubt as a kind of Platonic motor mobilis will thus be a solution (and the paradox reason) of the aporia. Here, the need for ‘imaginative grammar’⁶⁷ in the language of scepticism in the history of Jewish philosophy and cultural history, as well as the adjacent cultures becomes apparent, this issue is certainly addressed by researchers at the cancel and substitute: “Maimonides Centre for Advanced Studies” at the university of Hamburg. To put it boldly, Jewish scepticism can be considered as a ‘question mark’ on the ‘Eurocentric’ dimension of critical reason.⁶⁸ Paradoxically, philosophies of Judaism – as the translator of Julius Guttmann called them⁶⁹ – are an expression of alternative Weltanschauungen, because they do not fit seamlessly into the worldview suggested by universal reason.

 The relation of Jewish scepticism to Jewish philosophy is the topic to be dealt with at the Maimonides Centre for Advanced Studies in Hamburg. See: https://www.maimonides-centre. uni-hamburg.de/ (13.12.2016).  On the concept see Giuseppe Veltri: Language of Dissent & Conformity. The Imaginative Grammar of Jewish Intellectuals in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Boston: Academic Studies Press 2013.  On the Eurocentric’ dimension of critical reason, see Aamir R. Mufti: Enlightenment in the Colony: The Jewish Question and the Crisis of Postcolonial Culture. Princeton: Princeton University Press 2008.  Julius Guttmann: Philosophies of Judaism. The History of Jewish Philosophy from Biblical Times to Franz Rosenzweig. Introduction by Zwi R. J. Werblowski, trans. by David W. Silverman. London: Routledge & Kegan Paul 1964.

Autorenverzeichnis Marion Aptroot (PhD 1990, Oxford) ist Professorin für Jiddische Kultur, Sprache und Literatur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zu ihren Veröffentlichungen zählen: mit Jozeph Michman (Hrsg.): Storm in the Community. Yiddish Polemical Pamphlets of Amsterdam Jewry, 1797 – 1798. Cincinnati: Hebrew Union College Press 2002; mit Holger Nath: Einführung in die jiddische Sprache und Kultur. Hamburg: Helmut Buske 2002, 2. durchgesehene Aufl. 2016; mit Roland Gruschka (Hrsg.): Isaak Euchel. Reb Henoch, oder: Woß tut me damit. Eine jüdische Komödie der Aufklärungszeit. Hamburg: Helmut Buske 2004; mit Roland Gruschka: Jidddisch: Geschichte und Kultur einer Weltsprache. München: C.H. Beck 2010; mit Andreas Kennecke und Christoph Schulte (Hrsg.): Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hannover: Wehrhahn 2010; mit Efrat Gal-Ed, Roland Gruschka und Simon Neuberg (Hrsg.): Leket: yidishe shtudyes haynt / Jiddistik heute / Yiddish Studies Today. Düsseldorf: Düsseldorf University Press 2012; mit Björn Hansen (Hrsg.): Yiddish Language Structures. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton 2014. Rafael D. Arnold (Dr. phil. 2002, Heidelberg) studierte Romanistik und Judaistik in Heidelberg, Rom und Madrid. 2002 schloss er seine Dissertation zum Judenspanischen in Italien ab, die 2006 im Universitätsverlag Winter erschien. Zwischen 2004 und 2010 war er Juniorprofessor an der Universität Paderborn. Seit Wintersemester 2010 hat er den Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Rostock inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Lexikologie und Lexikographie, Judezmo/Judeoespañol, Sprachgeschichte und Übersetzungswissenschaft. Seit 2013 ist er erster Vorsitzender der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. (VjS). Veröffentlichungen: Spracharkaden. Die Sprache der sephardischen Juden in Italien im 16. und 17. Jahrhundert. Heidelberg: Winter 2006; (Hrsg.): Leon Modena. Jüdische Riten, Sitten und Gebräuche. Wiesbaden: Matrix 2007; sowie zahlreiche Aufsätze z. B.: Posthumer Kulturkontakt: Aschkenasischer und sephardische Sepulkraltraditionen auf dem Jüdischen Friedhof in Venedig. In: Adnrzej Kątny / Izabela Olszewska / Aleksandra Twardowska (Hrsg.): Ashkenasim and Sepharadim – A European Perspective. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2013, S. 73 – 93. Alfred Bodenheimer (Dr. phil. 1993, Basel; Habilitation 2002, Genf) erhielt eine traditionelle jüdische Ausbildung und betrieb Talmudstudien in Israel und den USA. In Basel studierte er Germanistik und Geschichte und promovierte 1993 mit einer Arbeit über die Emigration von Else LaskerSchüler nach Palästina. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Israel, an der Universität Luzern und einer Habilitation an der Universität Genf kam er 2003 als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an die Universität Basel zurück. Von November 2005 bis August 2008 war er Rektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. 2010 bis 2012 fungierte er als Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Basel und ist seit 2010 Leiter des dortigen Zentrums für Jüdische Studien. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: Die auferlegte Heimat. Else Lasker-Schülers Emigration in Palästina. Tübingen: Niemeyer 1995; Wandernde Schatten. Ahasver, Moses und die Authentizität der jüdischen Moderne. Göttingen: Wallstein 2002; Haut ab! Die Juden in der Beschneidungsdebatte. Göttingen: Wallstein 2012; Ungebrochen gebrochen. Über jüdische Narrative und Traditionsbildung. Göttingen: Wallstein 2012.

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Andreas Brämer (Dr. phil. 1997, Berlin; Habilitation 2004, Hamburg) hat in den Jahren 1987 bis 1993 an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg sowie an der Hebräischen Universität in Jerusalem studiert. Promoviert wurde er 1997 im Fach Judaistik an der Freien Universität Berlin. Seine Dissertation Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert wurde im Jahr 2000 bei Olms verlegt. Seit seiner Habilitation 2004, die 2006 beim Wallstein Verlag unter dem Titel Leistung und Gegenleistung. Zur Geschichte jüdischer Religions- und Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872 erschien, unterrichtet er als Privatdozent im Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg. Zu seinen aktuellen Veröffentlichungen gehören: (Hrsg.): Ludwig Philippson. Ausgewählte Werke. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2015; zusammen mit Arno Herzig und Krzysztof Ruchniewicz (Hrsg.): Jüdisches Leben zwischen Ost und West. Neue Beiträge zur jüdischen Geschichte in Schlesien. Göttingen: Wallstein 2014; Judentum: Die 101 wichtigsten Fragen. 2. Aufl., München: C. H. Beck 2015. Shmuel Feiner (PhD 1990, Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel) ist Professor für moderne jüdische Geschichte und hat mit einer Vielzahl von Werken zur Geschichte der jüdischen Aufklärung einen herausragenden Beitrag zur Interpretation der jüdischen Geistes-, Kultur- und Sozialgeschichte der Frühen Neuzeit und der Moderne geleistet. Seit 2007 ist er zudem akademischer Direktor des Jerusalemer Leo Baeck Instituts. In deutscher Sprache erschienen sind: Haskala – Die jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim: Olms 2007, und seine Biographie Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Silvana Greco (PhD 2005, Mailand) ist Professorin für Soziologie an der Amerikanischen Universität IES Abroad in Mailand, Vizepräsidentin der Stiftung „Fondazione Palazzo Bondoni Pastorio“ in Castiglione delle Stiviere und Lehrbeauftragte am Institut für Judaistik an der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt auf der Soziologie des Judentums. Zu ihren Forschungsinteressen gehören u. a. Kultur-und Religionssoziologie, Emotionssoziologie, Gesundheitssoziologie sowie Migrationsforschung. Publikationen: mit Maurizio Ghisleni und Paola Rebughini (Hrsg.): L’amicizia nell’età adulta. Legami d’intimità e traiettorie di vita. Mailand: FrancoAngeli, 2012: mit Giulio Busi (Hrsg.): Emilio Isgrò: L’Oro della Mirandola. Cancellature per Giovanni Pico. Castiglione delle Stiviere: Fondazione Palazzo Bondoni Pastorio, 2014; Heresy, Apostasy, and the Beginnings of Social Philosophy. Moses Dobruska reconsidered, in: Materia giudaica 20 – 21/1 – 2 (2015 – 2016), S. 439 – 464; mit Giulio Busi u. a. (Hrsg.): Cibo e identità culturale e religione tra antico e contemporaneo. Ebraismo, tradizione classica, Islam e India. Mailand: Comune di Milano-Civico Museo Archeologico, 2016. Walter Homolka (PhD 1992, King’s College London) wurde 1997 zum Rabbiner ordiniert und lehrt als Univ.-Prof. PhD (Trinity Saint David Wales), DHL (HUC New York) „Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit mit Schwerpunkt Denominationen und interreligiöser Dialog“ an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam. Er ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger Kollegs und Direktor des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks. Zu seinen zahlreichen Publikationen gehören: Das Jüdische Eherecht. Berlin: De Gruyter 2009; mit Andreas Nachama und Hartmut Bomhoff: Basiswissen Judentum. Freiburg im Breisgau: Herder 2015; Jewish Jesus Research and its Challenge for Christology Today. Leiden: Brill 2017. Tal Ilan (PhD 1991, Hebrew University Jerusalem) ist Professorin für Judaistik an der FU Berlin und Expertin für die Geschichte der Juden in der Zeit des Zweiten Tempels sowie Spezialistin

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im Bereich jüdische Frauen in der Antike. Sie initiierte das DFG-Projekt zur Erfassung jüdischer Namen in der Antike und leitet derzeit ein von der Einstein-Stiftung finanziertes Projekt in Kooperation mit der Hebräischen Universität Jerusalem zur Erstellung einer wissenschaftlichen Textsammlung über Juden und Judentum 330 v.u.Z. – 700 n.u.Z. mit dem Titel „The New Corpus Papyrorum Judaicarum“. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen: Mine and Yours are Hers. Retrieving Women’s History from Rabbinic Literature. Leiden: Brill 1997; Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity, 4 Bde. Tübingen: Mohr Siebeck 2002 – 2012; Silencing the Queen. The Literary Histories of Shelamzion and other Jewish Women. Tübingen: Mohr Siebeck 2006; Massekhet Ta’anit. Text, Translation, and Commentary. Tübingen: Mohr Siebeck 2008 und Massekhet Hullin. Text, Translation, and Commentary. Tübingen: Mohr Siebeck 2017. Andreas Lehnardt (Dr. phil. 1999, FU Berlin) ist Professor für Judaistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er leitet mehrere wissenschaftliche Projekte, unter anderem ein Projekt zur Erschließung hebräischer Einbandfragmente und eines zu mittelalterlichen Zitaten aus dem Talmud Yerushalmi, beide gefördert durch die DFG. Er ist Verfasser von Qaddish. Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes. Tübingen: Mohr Siebeck 2002; und Herausgeber von ‚Genizat Germania‘. Hebrew and Aramaic Binding Fragments from Germany in Context. (‚European Genizah‘: Texts and Studies, Bd. 1). Leiden, Boston: Brill 2011; (Hrsg.): Eine Krone für Magenza. Die Judaica-Sammlung im Landesmuseum Mainz. Petersberg: Imhoff 2015. Hanna Liss (Dr. phil. 1995, FU Berlin; Habilitation 2002, Halle an der Saale) ist Professorin für Bibel und Jüdische Bibelauslegung an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der mittelalterlichen jüdischen Bibel- und Kommentarliteratur. Sie leitet mehrere wissenschaftliche Projekte, unter anderem ein Projekt zur westeuropäischen Masora-Tradition. Sie veröffentlichte vor allem auf dem Gebiet der mittelalterlichen Kultur- und Literaturgeschichte, z. B. die Studie El’asar ben Yehuda von Worms, Hilkhot haKavod. Die Lehrsätze von der Herrlichkeit Gottes. Edition. Übersetzung. Kommentar, Tübingen: Mohr Siebeck 1997; Raschi und sein Erbe. Hg. zus.m. D. Krochmalnik. R. Reichmann. Heideberg: Winter 2007 sowie zuletzt Creating Fictional Worlds: Peshat Exegesis and Narrativity in Rashbam’s Commentary on the Torah, Leiden / Boston: Brill 2011. Elke Morlok (PhD 2008, Hebrew University Jerusalem) studierte Evangelische Theologie und Judaistik in Tübingen, Heidelberg und Jerusalem und schloss 2008 ihre Promotion bei Moshe Idel zum Thema Rabbi Joseph Gikatillaʼs Hermeneutics ab, die 2011 im Verlag Mohr Siebeck Tübingen veröffentlicht wurde. Von 2007 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und seit 2013 am Lehrstuhl für Judaistik in Mainz. Sie arbeitet an einem Habilitationsprojekt zu Isaak Satanow. Jascha Nemtsov (Dr. phil. 2004, Universität Potsdam) Pianist und Musikwissenschaftler, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und Akademischer Studienleiter des Kantorenseminars des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam. Herausgeber der Schriftenreihe „Jüdische Musik. Studien und Quellen zur jüdischen Musikkultur“ im Harrassowitz Verlag Wiesbaden. Seine wissenschaftliche Arbeiten konzentrieren sich auf jüdische Musik und jüdische Komponisten im 20. Jahrhundert. Weltweite Konzerttätigkeit mit Solo-Programmen sowie mit Kammermusikpartnern wie David Geringas,

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Tabea Zimmermann, Kolja Blacher, Ingolf Turban, Dmitri Sitkovetsky, Chen Halevi, das Vogler Quartett, das Klenke Quartett oder das Atrium Quartett. Mehr als 30 CDs, darunter zahlreiche Ersteinspielungen von Werken jüdischer Komponisten. 2007 Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Künstlerischer Leiter der ACHAVA Festspiele Thüringen. Zu seinen jüngsten Publikationen zählen ; mit Hermann Simon: Louis Lewandowski. „Liebe macht das Lied unsterblich!“. Berlin: Hentrich & Hentrich 2011; Doppelt vertrieben. Jüdische Komponisten aus dem östlichen Europa in Palästina/Israel. Wiesbaden: Harrassowitz 2013; mit Antonia Klokova (Hrsg.): Einbahnstraße oder „die heilige Brücke“? Jüdische Musik und die europäische Musikkultur. Wiesbaden: Harrassowitz 2016. Kay Joe Petzold (Dr. des., Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 2015) ist seit 2011 wiss. Mitarbeiter im Projekt B04 des SFB 933 ‚Materiale Textkulturen – Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften‘ an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Seine Dissertation „Raschi und die Masorah. Untersuchungen der Rezeptionspraxis in der Kommentarliteratur des Rav Salomo Ben lsaaq (Rasch“i)“ untersucht die Schnittstellen zwischen Hebräischer Bibel und Zitations- und Rezeptionspraxis in den zeitgenössischen Kommentaren. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der mittelalterlichen und neuzeitlichen Textgeschichte der Hebräischen Bibel, der Masora und der mittelalterlichen jüdischen Kommentarliteratur (Raschi). Im Rahmen des TP B04 im SFB 933 untersucht er Text und Layout der Mikrographien in der Masora figurata der Handschrift Vat. ebr. 14 und bereitet eine digitale Edition der Masorah vor. Nathanael Riemer (Dr. phil. 1991, Universität Potsdam) studierte Judaistik/Jüdische Studien, Germanistik, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Tübingen, Köln, Jerusalem, Potsdam und Tel Aviv. Seit 2013 ist er Juniorprofessor für Interreligiöse Begegnungen am Institut für Religionswissenschaft und Jüdische Studien der Universität Potsdam. Weitere Forschungsschwerpunkte von ihm sind Populäre Kulturen und Materielle Kulturen im religiösen Kontext von Vergangenheit und Gegenwart. Publikationen: Past is Future. Gadi Pollack‘s Haredi Comics. In: European Journal of Jewish Studies 10,1 (2016), S. 108 – 147; Religiös inspirierte und religiöse Comics in islamischen Kulturen. In: ders. / Jörn Ahrens / Frank T. Brinkmann (Hrsg.): Graphic Novels und Comics als Medien religiöser Kulturen. Berlin: Springer 2015, S. 165 – 199; Zwischen Tradition und Häresie. ‚Beer Sheva‘ – eine Enzyklopädie des jüdischen Wissens der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz 2010; (Hrsg.): Einführungen in die Materiellen Kulturen des Judentums. Wiesbaden: Harrassowitz 2016. Christoph Schulte (Dr. phil. 1987, Berlin; Habilitation 1996, Potsdam) ist seit 2001 apl. Professor für Philosophie und Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Er war Fellow und Gastprofessor in Jerusalem (1989 – 1991), Montreal (1991), Paris (EHESS 1992), Chicago (1995), Aixen-Provence (1997/98), Paris (EPHE 2003), Center for Advanced Judaic Studies Philadelphia (2009/10), ETH Zürich (2014) und in Basel (2016). Ausgewählte Buchpublikationen: radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche. München: Fink 1988, 2. Aufl. 1991; Psychopathologie des Fin de siècle. Der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau. Frankfurt am Main: Fischer 1997; Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte. München: C. H. Beck 2002 (Gleim-Literaturpreis 2003); mit Marion Aptroot und Andreas Kennecke (Hrsg.): Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hannover: Wehrhahn 2010; Zimzum. Gott und Weltursprung. Berlin: Jüdischer Verlag 2014.

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Giuseppe Veltri (Dr. phil. 1991, FU Berlin; Habilitation 1996, Berlin) war Professor für Judaistik / Jüdische Studien an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale. 2014 nahm er einen Ruf auf die Professur für Jüdische Philosophie und Religion an der Universität Hamburg an. Dort leitet er das Maimonides Centre for Advanced Studies. Er ist Vorsitzender des Verbandes der Judaisten in Deutschland. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören: Magie und Halakha. Ansätze zu einem empirischen Wissenschaftsbegriff im spätantiken und frühmittelalterlichen Judentum. Tübingen: Mohr Siebeck 1997; Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Kulturgeschichte. Leiden: Brill 2002; und mit Annette Winkelmann (Hrsg.): An der Schwelle zur Moderne: Juden in der Renaissance. Leiden, Boston: Brill 2003. Seit 2016 gibt er das Yearbook of the Maimonides Centre for Advanced Studies im De Gruyter Verlag heraus. Noam Zadoff (PhD 2011, Hebrew University Jerusalem) ist derzeit Assistant Professor im Fachbereich Israel Studies an der Indiana University Bloomington. Zuvor war er Dozent für Israel Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2012 – 2013 hatte er die Ben-Gurion Gastprofessor für Israel- und Nahoststudien an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg inne. Zu seinen Publikationen zählen: Gershom Shalom we-Yosef Weiss: Ḥalifat Mikhtavim 1948–1964. Jerusalem: Carmel 2012; Von Berlin nach Jerusalem und zurück: Gershom Scholem zwischen Israel und Deutschland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (angekündigt).

Autorenregister Abel, Wolfgang von 171 Adorno, Theodor Wiesengrund 137, 141, 143 f., 174 Aguilar, Grace 46, 152 f. Aguilar, Diego de, siehe Peirera, Mosche Lopez Aharon ben Moshe ben Asher 191 Al-Ghazālī, Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad 215 Albrecht, Michael 211 Aleichem, Scholem 127 f., 130 Alexander, Elizabeth S. 157 Allen, James 213 Altarac, Isaac 47 Althaus, Hans Peter 31, 33 Alvares, Emanuel 48 Aman, Reinhold 128 Anderson, William H.U. 220 Annas, Julia 211, 213 Aptroot, Marion 31 f., 36, 61, 96 f. Ar-Rāzī, Abū Bakr Muhammad ibn Zakarīyā 215 Arendt, Hannah 142 Arnold, Rafael 41, 46, 53, 113 f. Aronson, Janet Krasner 84 Artzi, Pinchas 209 Aschheim, Steven E. 19 Avraham ibn Ezra 206, 208 Ayala, Amor 41 f., 54 f. Bacher, Wilhelm 60 Bacon, Francis 216 Baer, Fritz (Yitzhak) 44 f., 49 Baer, Marc David 147 Baffioni, Carmela 220 Banon, David 26 Bar-Chen, Eli 66 Barboza, Amalia 142 f. Barnai, Jakob 147 Barnes, Jonathan 211, 213 Baruch, Kalmi 47 Basile, Rafael Ḥayyim 4 f., 166 Baskin, Judith R. 157 Battegay, Caspar 107

Battenberg, Friedrich 95 Bauer, Richard 61 Becker, Hans-Jürgen 58, 64, 164 Beit-Arie, Malachi 189 f. Belinskij, Wissarion 115 Bell, Dean Phillip 81 Ben-Sasson, Haim Hillel 22 Berding, Helmut 95 Berenbaum, Michael 219 Berger, Ruth 156 Bergmann, Jehuda 221 Berliner, Abraham 195 Berliner, Cora 140 Bernstein, Fritz 136 f. Betser, Zvi 192 Bett, Richard 213, 215 Bettelheim, Bruno 46, 142 Betz, Otto 171 Biale, David 12, 173, 214 Bialik, Haim Nahman 163, 170, 171, 175 Bickermann, Elias 65 Bierbach, Christine 52 Birnbaum, Salomo 31, 36, 95 Bloch, René 25, 29 Böcher, Otto 62 Bolyard, Charles 213 f., 219 Bondini, Simonetta 166 Bossong, Georg 50 – 52 Botwinick, Aryeh 216, 221 Boustan, Raʽanan 165, 168, 219 Boyarin, Daniel 214 Bradshaw, Graham 216 Brahm, Gabriel Noah 83 Brämer, Andreas 2, 17 Brechenmacher, Thomas 22 Breitfeld, Oliver 49 Brenner, Athalya 149 Brenner, Michael 17, 35, 57, 61, 64, 66 f., 180 Brephol, Wilhelm 139 Breuer, Mordechai 94 f., 189, 191, 201 Brilling, Bernard 61 Brinkmann, Tobias 17 Brittain, Charles 213

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Autorenregister

Brocke, Michael 57, 166 Brockhaus, Monika 150 Brunner, José 145 Buber, Martin 63 f., 141, 163, 172, 183 Burnyeat, Myles 212 Burstyn, Ruth 46 Busi, Giulio 166 Busse, Winfried 51 f. Cady, Elizabeth Stanton 149 Campanini, Saverio 148, 166 f. Canova, Bruno 144 Cardoso, Abraham Michael 147 Carlebach, Julius 133, 141, 182 Castagnoli, Luca 214 Catapano, Giovanni 214 Ceri, Paolo 142 Chagall, Marc 39, 127 Charles, Sébastien 217 Claussen, Detlev 144 Cohen, Hermann 95 Cohen, Menaḥem 200, 207, 220 Cohen, Shaye J. D. 157 Collin, Gaëlle 46 Conrads, Norbert 23 Contreras, Elvira Martin 201, 204 Coudert, Allison 173 Crawford, Timothy G. 202 Crenshaw, James L. 220 Dal Bo, Frederico 150, 158 Dan, Joseph 66, 167 – 169 Dawidowicz, Klaus 172 de Rossi, Giovanni Bernardo 193 De Sanctis, Sante 212 Deines, Roland 58 Delmedigo, Joseph Salomo 48 Descartes, René 212, 215 f. Diaz Esteban, Fernando 198 Diego de Aguilar, siehe Peireira, Mosche Lopez Dienst, Karl 63, 133, 139 Dobruska, Moses 147 f. Dohrn, Verena 38 Dojc, Yuri 102 – 107 Dotan, Aron 189 f., 192, 198, 201 f.

Ehrlich, Ernst-Ludwig 26, 79 Eibach, Joachim 94 f. Elbogen, Ismar 220 Elias, Norbert 141, 143 Elior, Rachel 167 f. Elkind, Arkadius 132 Elliger, Karl 199 Elyada, Aya 31 Emeliantseva, Ekaterina 147 Engelhardt, Arndt 17, 77 Eran, Mordechai 63 Eskenazi Cohn, Tamara 149 Ess, Josef van 215, 220 Ettinger, Shmuel 13, 22 Evans, Mary J. 149 Fanning, David 117 Faur, José 220 Faust, Jürgen 49 Fellmann, Max 128 Ferdinand II. von Aragón 146 Fernández Tejero, Emilia 201 Ferruta, Paola 221 Fischer, Alexander A. 193 Fischer, Johann 209 Fischer, Stefanie 17 Fishberg, Maurice 132 Fleischer, Jürg 38 f. Floridi, Luciano 215 Focken, Friedrich-Emanuel 190 Fontaine, Carole 149 Fox, Marvin 196 Frensdorff, Salomon 198 Freud, Sigmund 142 Freud-Kandel, Miri 66 Freudenthal, Gad 22 Freudenthal, Gideon 217, 220 Frey, Junius 148 Frey, Lucien-Junius 148 Friedmann, Meir 60 Friesel, Evyatar 22 Fromm, Erich 134 f., 137 Fuhrer, Therese 213 Funkenstein, Amos 214 Gabinskij, Mark A. 52 Gabriel, Markus 211, 218

Autorenregister

Gal-Ed, Efrat 39 Galen, Hans 61 Gallino, Luciano 142 Galschinsky, Michael 152 Gans, Eduard 8, 59, 75 Garb, Yonathan 173 Garelli, Franco 142 Geiger, Abraham 59, 75 – 77, 79, 179, 194 Geiger, Friedrich 125 Ghédira, Ameur 191 Gillis-Carlebach, Miriam 145 Ginsburg, Christian David 198 Glatzer, Mordec(h)ai 189, 190 f. Glikl von Hameln 156 Gnesin, Michail 118, 129 f. Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 115, 129 Goldberg, Arnold 164 Goldschmidt, Hermann Levin 79 Gomes, Diego 48 Gonzalves, Adrian 48 Goodman-Thau, Eveline 168, 170 Goody, J. 219 Goshen-Gottstein, Moshe 191, 198, 200 f. Gottheil, Richard J.H. 190, 201 Graubard, Baruch 61 Green, Arthur 79 f. Grill, Gordon 73 Grill, Tobias 17 Grözinger, Karl-Erich 68, 97, 100, 167, 169 f. Grünbaum, Max 44 Gründer, Karlfried 68 Grundmann, Walter 62 Grunwald, Max 48 f., 95 Grünwald, Moritz 44 Gruschka, Roland 35 Gutfeld, Alexander 138, 140 Guttmann, Julius 222 Guttstadt, Corry 54 Haber, Peter 60 Hafner, Johann Ev. 73 Hahn, Hans Peter 98, 100 f. Halevi, Leor 214 f. Halpérin, Jean 26 Hankinson, Robert J. 211 Harding, Brian 214 Harding, Sandra G. 218

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Hartmann, Karl Amadeus 114 f. Hass, T. 47, 137, 152, 154 Hassán, Iacob M. 52 Hauptmann, Rainer 112 Haverkamp, Alfred 164 Hebräus, A. 47 Heide, Albert van der 57 Heilbronner, Oded 18 Heimann-Jelinek, Felicitas 98 Heine, Heinrich 59, 75 Heinsohn, Kirsten 155 Heister, Hanns-Werner 115 Hendel, Ronald 196 f. Hengel, Martin 65 Henning, Christoph 142 f. Hermann, Iris 54 Herreras, Abraham 170 Herrmann, Klaus 74, 77 f., 164 f., 168, 204 Hertz, Deborah 156 Hettling, Manfred 23 Hetzer, Armin 54 Hicks, Robert Drew 213 Hidde, Tanja 150 Himmelfarb, Leah 207 Himmelfarb, Martha 165 Hirsch, Luise 155 Hirschfelder, Ulrike 161, 168 Hitler, Adolf 137 Hödl, Klaus 17, 61, 108 Hofmann, Józef 117 Homolka Walter 22, 62, 73 ff., 80 Honderich, Ted 211 Honigmann, Peter 61 Hoppe, Jens 97 Horkheimer, Max 137, 140 f., 143 f. Horovitz, Saul 214, 219 f. Howald, Kaspar 216 Howland, Jacob 214 Humboldt, Wilhelm von 95, 163 Hume, David 217 Huss, Boaz 161 f. Husserl, Edmund 141 Ibn Al-Haytham 215 Ibn Ḥazm 215 Idel, Moshe 172 Idelsohn, Abraham Z.

48

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Autorenregister

Ilan, Tal 66, 107 f., 149 f. Isabella von Kastilien 146 Israel, Jonathan I. 217 Jacobs, Louis 74 f., 79 Jahoda, Marie 142 Jensen, Uffa 17, 20 Jersch-Wenzel, Stefi 7 Joseph ha-Levi 147 Josephus, Flavius 65 Jost, Isaak Markus 9 f. Jurgan, Susanne 166 Kahle, Paul 195, 196, 198 f., 200 Kaplan, Eran 66, 84 f. Kaplan, Mordecai Menahem 65 Karminski, Hannah 134, 140 Käsler, Dirk 142 Katz, Jacob 11, 13, 22 Kauders, Anthony D. 61, 66 Kaufmann, David 22, 60, 159 Kayserling, Meyer 43 f. Kellenbenz, Hermann 49 Kellermann, Benzion 220 Kelley, Page H. 202 Kilcher, Andreas 22, 26, 173 Klippel, Diethelm 95 Koch, Patrick 3, 7, 172 Koechert, Andreas 53 Kohler, George 23 Kohring, Heinrich 45, 51 f. Koller, Sabine 39 König, Gudrun M. 98, 142, 146 König, René 142 Kopp-Oberstebrink Herbert 68 Körber, Karen 145 Kostyrčenko, Gennadij 118 Kotzin, Michael 81 f., 84, 90 Kowallik, Sabine 51 Krakauer, Sigfried 141 Kramer, Karl-Sigismund 98 Krausova, Katya 102, 107 Krauss, Samuel 60 Krochmal, Nachman 60 Krochmalnik, Daniel 5 Krone, Kerstin von der 22 Kubicki, Karol 74 f., 165

Kühl, Stefan 139 f., 144 Küchenhoff, Dieter 34 Kuhn, Peter 58 Kuyt, Annelies 165 f., 168 Lagerlund, Henrik 214 Lange, Melannie 53 Lange, Nicholas de 66 Lässig, Simone 22 Lavi, Shai 145 Lazersfeld, Paul 142 Lee, Bernon 220 Lehmann, Karl 194 Lehnardt, Andreas 2, 57, 60, 62, 73 Leicht, Reimund 22, 168, 171, 219 Lembke, Astrid 36 Lenzen, Verena 25, 30 Lepsius, M. Rainer 139 Lestschinski, Jakob 138, 140 Levi, Moritz (Moric) 21, 47 Lévinas, Emmanuel 26 Levita, Elijahu 192 Lewinsky, Tamar 61 Lichtblau, Klaus 136 Lichtenberger, Hermann 62 Lieberman, Saul 220 Liebes, Jehuda 167 Liebl, Christian 48, 54 Liedtke, Rainer 17 Likhovski, Assaf 85 Limbrick, Elaine 220 Lipschütz, Lazar 195 Lipsker, Avidov 96 Liss, Hanna 100, 166, 189, 190, 193, 194, 204 – 208, 225 Lissa, Anna 221 Litt, Stefan 23 Lochow, Christine 52 Lohmann, Ingrid 23 Lohmann, Uta 23 Lönnendonker, Siegward 74 f., 165 Loth, Wilfried 139 Lottes, Günther 95 Lowenstein, Steven 17 Luft, Daniela Christina 207 Luther, Martin 95 Lund, Hannah Lotte 17

Autorenregister

Luschan, Felix von 132 Luzzato, Shlomo David 60 Machiavelli, Niccolò di Bernardo dei 212, 216 Machuca, Diego E. 213 Maier, Johann 63, 79, 163 Maierhof, Gudrun 140 Mannheim, Karl 142 Marcovich, Miroslav 213 Marcus, David 202 Marquardt, Friedrich-Wilhelm 75, 79 Martini, Annett 166 Martini, Raymund 58 Marx, Dalia 150, 158 Mattenklott, Gert 168 Matut, Diana 36, 96 Mayer, Günter 63, 65 Mazzetti, Lorenza 144 Meacham, Tirza 157 Meʼir ben Barukh 206 Menaḥem ben Yehuda de Lonzano 192 Mendelssohn, Moses 9, 14 f., 42, 44, 58, 112 f., 217 Mendelssohn Bartholdy, Felix 112 Meyer, Michael A. 19, 21 f. Meyer, Thomas 22 Meyerbeer, Giacomo 113 Michaelis, Johann Heinrich 193 Mieses, Matthias 47 Milanaccio, Alfredo 142 Miletto, Gianfranco 216 Mittwoch, Eugen 220 Molitor, Franz Joseph 168 f., 175 Montague, R. James 201 Montaigne, Michel de 212, 216 Morgenstern, Matthias 62, 168, 171 Morlok, Elke 2, 161, 168, 171 f. Morris, Benny 84 Mosès, Stéphane 173 Moshe ben Asher 190 Moshe ben Maimon (Maimonides) 203 Mufti, Aamir R. 222 Müller, Christine 145, 155 Müller, Claudia 144 Müller, Karl Valentin 139 Mulsow, Martin 220 f.

Munk, Reinier 217 Mutius, Hans-Georg von Mynatt, Daniel S. 14

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164, 208 f.

Najm, Sami M. 215 Nath, Holger 36 Necker, Gerold 161, 166, 168, 170 f., 176 Nelson, Cary 83 Nemtsov, Jascha 96, 111 Neto, José R. Maia 215 f. Neuberg, Simon 35, 37 f., 96 f. Neuwirth, Angelika 210 Newmark, Catherine 77 Newsom, Carol A. 149 Niewöhner, Friedrich 68, 77 Nikitina, Lyudmila 130 Noelle-Neuman, Elisabeth 139 Norton, David Frade 217 Noy, Dov 96 Nussbaum, Felix 145 Ochs, Peter 220 Odo (Scholastiker) 209 Ofer, Yosef 191 Offe, Sabine 97 Ognibeni, Bruno 198 Oppenheim, Michel 62 Oppenheimer, Franz 136 Or, Tamara 150 f., 157 f. Orenstein, Arbie 113 Ostermann, Patrick 144 Oswald, Niko 180 Ott, Michael R. 190 Paganini, Gianni 215 f. Panichi, Nicola 216 Pappe, Ilan 84 Pappenheim, Bertha 133 f., 151 Pedahzur, Ami 83 Pedro, de Valencia 216 Peiffer, Lorenz 17 Penkower, Jordan 192 Penslar, Derek 84 Perani, Mauro 68 Pereira, Mosche Lopez 46 Perles, Felix 44 Peters, Dominik 81

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Autorenregister

Petzold, Kay-Joe 189, 193, 199, 206 – 208 Philippson, Ludwig 76 Philippson, Phöbus 76 f. Philo von Alexandrien 65 Picard, Jacques 25 Pickhan, Gertrud 38 Plaskow, Judith 154, 156 Plessner, Helmut 148 Popkin, Richard H. 214 – 217, 220 f. Posada, Gonzalo Soto 213 Postel, Guillaume 169, 175 Pöttering Hans-Gert 73 Qimḥi, David 206 Quack, Joachim Friedrich

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Rackham, Harris 211 Raev, Ada 54 Rahden, Till van 20 f. Rapoport, Shlomo Yehuda 60 Rapp, Eugen Ludwig 62 f. Raschi, siehe Shlomo ben Yiṣḥaq Raspe, Lucia 96 Rauschenbach, Sina 54 Rebiger, Bill 164 f., 168 Reeg, Gottfried 164 f. Rehberg, Karl-Siegbert 135, 139, 143 f. Rehrmann, Norbert 53 Reif, Stefan 200 Reines, Alvin J. 219 Reinharz, Jehuda 91 Reinke, Andreas 23 Rekhess, Elie 81 f., 84, 90 Renger, Almut-Barbara 219 Rengstorf, Karl Heinrich 61 – 62 Reuchlin, Johannes 15, 58 f., 162 f., 166 f., 171, 175 Rieder-Zelenkos, Elena 50 Riehl, Wilhelm Heinrich 112 Ringe, Sharon H. 149 Rohrbacher, Stefan 17, 57, 64, 180 Rohrbacher-Sticker, Claudia 164 Rosenhek, Ludwig 47 Rosenroth, Christian Knorr von 168, 171, 175 Rosenthal, Gabriele 145 Rosenthal, Gilbert S. 80

Roshwald, Mordecai 211 Rotenstreich, Nathan 9, 220 Róth, Ernst 62 Rothenbusch, Ralf 194 Rother, Bernd 52 Rubashoff, Salman, siehe Shazar Ruderman, David 163, 221 Rudolph, Wilhelm 199 Ruppin, Arthur 131 – 134, 138, 140 Rürup, Miriam 17 Rusineck, Bernd-A. 139 Sabel, Johannes 22 Salomon, Albert 142 Salomon, Gottfried 142 Saltman, Avrom 209 Salzer, Dorothea M. 150, 157, 183 Sánchez, Francisco 216, 220 Sand, Shlomo 84 Sandmel, Samuel 220 Sapper, Manfred 117, 125 Sasportas, Jakob 147 Scamuzzi, Sergio 142 Schäfer, Peter 64, 68, 74, 77 f., 150, 161, 164 – 168, 170 f., 174, 219 Schaller, Bernd 62 Schauer, Alexandra 139 Schauffler, Wilhelm (William) Gottlieb 43 Schelsky, Helmut 139 Schenk, Tobias 19 Schenker, Adrian 189 f, 200 Schleicher, Mordche S. 47 f. Schlesier, Stephanie 19 Schlüter, Margarete 64, 164 Schmädel, Stefanie von 41 f., 54 Schmale, Wolfgang 20 Schmid, Beatrice 50 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 77, 168, 171 Schmitt, Charles 215 Schneider, Bernd 191 Schochat, Azriel 22 Schönberg, Arnold 113 Schoeps, Julius 171 Schofield, Malcolm 214 Scholem, Gershom 8, 10, 59, 68, 94 f., 146 – 148, 161 – 165, 167 f., 170 – 176

Autorenregister

Schostakowitsch, Dmitri 115, 118, 120, 123 – 125 Schreiner, Stefan 61 Schremer, Adiel 157 Schröter, Michael 143 Schubert, Kurt 25, 63 Schüler-Springorum, Stefanie 17, 155 Schulte, Christoph 168 f., 173, 177, 180, 182 Schulte, Marion 19 Schultz, Magdalena 193 Schüssler-Fiorenza, Elisabeth 149 Schwara, Desanka 156 Schwartz-Friesel, Monika 91 Schweid, Eliezer 163 Segal, Michael 200 Segall, Jakob 138, 140 Segev, Tom 84 Seneca, Lucius Annaeus 216 Shaked, Shaul 164 Sharot, Stephen 146 Shaul, Moshe 52 Shavit, Yaacov 63 Shazar, Shneur Zalman 8, 147 Shenhav, Yehouda 84 Shepard, Sanford 220 Shindler, Colin 86, 89 Shlaim, Avi 84 Shlomo ben Adret 20 Shlomo ben Yiṣḥaq (Raschi) 107, 155 f., 195, 203, 206 – 208, 210 Shtif, Nokhem 39, 60 Silverman, David W. 222 Simmel, Georg 136, 141 Simon, Bettina 33 Sinner, Carsten 50, 54 Sirat, Colette 189 Skolnik, Fred 219 Slenczka, Notger 194 Smith, Gary 68, 168, 172, 174 Smith, Plínio J. 217 Soldat-Jaffe, Tatjana 32 Sombart, Werner 135, 141 Sorkin, David 21 Soussan, Henry C. 22 Spiegel, Shalom 161 Spinoza, Baruch 216 Spitzer, Leo 45 f., 49

235

Steer, Martina 20 Steinschneider, Moritz 94, 182, 201 Stemberger, Günter 57 – 60, 68 Sternthal, Michael 207 Steuer, Christiane 150 Stoll, André 53 Studemund-Halévy, Michael 46, 49, 51 f., 55 Stutschewsky, Joachim 116 Subak, Julius 44, 48 Sylla, Edith Dudley 217 Szulc, Michał 19 Talabardon, Susanne 170 Tamer, Georg 77 Tasch, Roland 22 Taubes, Jacob 79, 163, 174 f. Tawil, Hayim 191 Theophrastus 216 Thoma, Clemens 25, 148 Thulin, Mirjam 22 Timm, Erika 31, 33, 35, 37 Tov, Emanuel 189, 197 Trautmann-Waller, Céline 181 Treindl, Julia 91 Trepp, Leo 63, 65 Turniansky, Chava 156 Valler, Shulamit 150, 158 Van Dyk, Silke 139 Vanderjagt, Arie Johan 221 Vargon, Shmuel 207 Varol-Bornes, Marie-Christine 52 Veltri, Giuseppe 211, 216 f., 219, 221 f. Viterbo, Ariel 221 Vogel, Barbara 145 Vogt, Katja 213 Volkow, Salomon 115 Volkov, Shulamit 20 f., 23 von Schönfeld, Franz Thomas Edler, siehe Dobruska, Moses Wagner, Max Leopold 45, 49 Wagner, Richard 111 f. Wagner-Braun, Margarete 54 Wallraff, Martin 22 Wandrey, Irina 150, 165, 171 Wassermann, Henry 62

236

Autorenregister

Weber, Alfred 135 Weber, Annette 97 Weber, Max 134 f. Wehler, Hans-Ulrich 139 Weichsel, Volker 117, 125 Weidner, Daniel 173 Weigel, Siegrid 173 Weil, Gérard, E. 11, 14 Weil, Simone 141 Weinberg, Mieczysław 111, 117 – 130 Weinland, Almut 49 Weinreich, Uriel 36 Weiss, Eizik Hirsch 60 Weißenberg, Samuel 132 Weprik, Alexander 118 Werblowski, Zwi R. J. 222 Wessely, Naftali Herz 193 f. Westman, Robert S. 214 Wiehn, Eduard R. 135, 141 f. Wiener, Leo 44 Wiener, Samuel 44 Wiese, Christian 22, 58 Wiese, Leopold von 139 Wiesner, Christa 53 Wilhelm, Kurt 183

Wohlwill, Immanuel 75 Wolf, Immanuel, siehe Wohlwill Wolff, Eberhard 181 Wolkow, Salomon, siehe Volkow Wölfle-Fischer, Susanne 148 Würthwein, Ernst 193 Yaʽaqov ben Asher 206 Yassif, Eli 96 Yehuda he-Ḥasid 206 Yeivin, Israel 189 Yerushalmi, Yosef Hayim 15, 157 Yosi ben Yoḥanan 158 Yovel, Yirmiyahu 146 Zalta, Edward N. 213 Zepp, Susanne 54 Zer, Isaac, Raphael 190 Zerba, Michelle 212 Zicka, Charles 171 Zimmermann, Moshe 17 Zodikova, Ada 118 Zunz, Leopold 8, 59, 75, 77, 93 – 95, 101, 150, 181 f. Zwiep, Irene E. 57

Sachregister Allgemeinwissen 49 Altona 48 Androzentrismus 154 Antisemitismus 8, 15, 18, 63, 112, 133, 136 f., 139 f., 144, 151 f., 154, 159, 185 f. Antisemitismusforschung 186 Association for Israel Studies (AIS) 82 Auschwitz 119, 144 f. Austin, Texas University 83 Bachelor 26, 28 f., 34 Baden-Württemberg 87 Basel 26 – 29, 50 Benediktbeuren 58 Ben Gurion Chair for Israel and Near Eastern Studies 87 Berlin 1 f., 7 – 8, 14, 32, 33, 36, 38, 45 f., 50, 59 – 61, 75, 77 – 80, 88, 99, 102 f., 107, 114 f., 131 f., 135 – 138, 150, 155 f., 162 – 170, 180, 186, 194 Berlin, Freie Universität 38, 52, 54, 63, 140, 149, 184 Berlin, Hochschule für die Wissenschaft des Judentums 60, 78 f. Berlin, Humboldt Universität 33, 67 f. Berlin, Technische Universität (TU) 186 Bibelforschung, christlich-protestantische 194 Bibel (Hebräische) 47 f., 95, 100, 134, 149, 153, 182, 185, 187, 189, 194 – 210 Bibelwissenschaft, israelische 5 f., 8 f., 14, 22 Biblia Hebraica Quinta 189 f., 199 f. Bielefeld, Universität 50, 53, 144 Bologna-Prozess/Reform 28, 32, 34, 39, 67, 177 f., 179, 181, 184, 187 Bolschoi-Theater 119, 123 Boycott Divestment Sanctions 83 Brandeis University 82 Breslau 23, 60, 78, 150, 219 f. Breslau, Jüdisch-Theologische Seminar 78 Bulgarien 51 f., 55 Bureau für Statistik der Juden 131 f., 134, 138, 140

Centrum Judaicum Berlin 77 Chassidismus 129, 135, 169 f. Christen/Christentum 15, 25, 69, 78, 152, 153, 165, 171 Christliche Feministinnen 153 Comics 108 Doktorat 26, 29 Dönme 146 f. Entjudung 8, 62 Esoterik 100, 173, 219 European Association of Israel Studies (EAIS) 86 Eurozentrismus 66, 218, 222 Feminismus 149, 151, 153, 155 Frankisten 146 f. Frankreich 35, 52, 148 Frauen 132 – 134, 149, 151 – 157, 158 f. Frauenbund, jüdischer 133 f., 140, 151 Frauenforschung 66 Fribourg 26 Gender 149, 150, 155 f., 157, 159, 187 Genf 138 Germanistik 33 f., 36, 38, 173, 184 Habilitation 26, 39, 170, 172, 211, 220 Haketer-Project 200 Hamburg 2 f., 7 f., 31, 33, 38, 43, 48, 50 f., 53, 60, 95, 141, 222 Ḥaredim 108 Haṣide Aschkenas 166 Haskala 7, 60, 75, 169 Hebräisch 1 – 10, 12 – 15, 17 – 22, 28, 35, 43 f., 55, 60, 65, 68 f., 99 f., 102, 109, 128, 185 Hebraistik 59, 179 Hebrew University Bible Project 200 Heidelberg 35, 63, 79, 87, 140, 183 f., 187 Heidelberg, Hochschule für Jüdische Studien 5, 15, 18, 35, 79, 87, 140 f., 184, 187 Hekhalot (Thronhallen) 164 – 167, 170

238

Sachregister

Hessen 97 Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, siehe Berlin Hochschule für Jüdische Studien, siehe Heidelberg Holocaust 10, 15, 90 f., 102, 111, 116, 119 f., 139, 143 – 145, 150, 152 Holocaust Studies 2, 89, 144, 186 Institut zum Studium der Judenfrage 138 Intifada, Second 83 Islam 82 Islamwissenschaften 73 f., 82 Islamische Theologie 73 Israel 7 – 10, 12 – 14, 16, 27, 48, 52, 54, 61, 64 – 67, 69, 81 – 92, 96, 111, 114, 140 f., 153, 157 f., 163, 169, 171 – 173, 182, 185 f., 216, 220 Israel Institute Washington DC 82 Israelogie 58 Israel Studies 81 – 92, 186 Jerusalem 1, 3 f., 7, 10, 12 – 14, 17, 19, 22, 48, 52, 79, 109, 138, 147, 158, 162, 165, 167 f., 171, 173 f., 181 f., 220 f. Jiddisch / Jiddistik 31 ff., 102, 106, 109, 113, 117, 120 f., 124, 127 f., 156, 183, 185 Joint degree 26 Jude 7 – 9, 12 – 16, 18 – 23, 31, 34, 44 – 49, 51 – 54, 58 f., 61, 65 f., 69, 74 – 78, 93, 95, 108, 111 – 117, 120, 127 f., 131 – 133, 135 – 137, 139 – 142, 145 – 148, 151, 158, 171, 181, 186 f. Judenfrage 13, 133, 139 Judenspanisch 43 – 55 Judentumskunde 67, 69 Jüdische Theologie, Fachbereich 73 – 80, 176, 186 Jüdisch-Theologische Seminar, siehe Breslau 78 Kabbala 15, 59, 148, 161 – 163, 167 – 176, 185 Katyń (Film) 117 Kiel 67 Klezmer 116, 120 f., 123, 125, 129

Kulturwissenschaft 57 – 59, 64, 67 – 69, 98, 183, 187 Kunst 36, 94, 97, 111 f., 162, 219 Kunstgeschichte 38 f., 182 Last Folio (Ausstellung) Lausanne 26 Lehrmaterialien 36 Leo Baeck Institut 17 London 86 Luzern 25 f., 30

102, 107

Mada‛e ha-Yahadut 65 Magie 163, 165 Mainz, Johannes Gutenberg-Universität 61 – 63, 88 Marburg 33, 38, 61, 64 Märchen 95 f. Marranen 146 Maḥshevet Yisraʽel 109 Masora 189 ff. Masora-Forschung 195, 197, 202 Master 26, 28 f., 35 f. Master-Studiengang 184 Materielle Kulturen 93, 97 f., 107 Mediävistik 33, 197 Merkava (Thronwagen) 167 Messias 146, 172 Miqraʼot Gedolot 200 Modularisierung 184 Moskau 113, 118 f., 123, 127, 129 f. München 61 München, Ludwig-Maximilian-University 35, 38, 58, 66 f., 75, 135 Münster 23, 61 – 64, 97, 145, 156 Musik 15, 36, 96 f., 111 – 127, 129 f., 186 Musikwissenschaft 182 Mystik 11, 59, 161 – 176 Nationalsozialismus 61 f., 132, 138 – 140, 143, 185 Neues Testament 65 New Historians 84 Nordrhein-Westfalen 97 Oper 115, 119, 127 – 130 Oslo Peace Process 83

Sachregister

Osnabrück 67 Osteuropäische Kulturstudien Ostjuden 60, 120

184

Palästina/Palästinenser 81, 82 – 84, 132, 138, 140, 190 Patriarchiat 152, 154 – 156, 159 Philologie 33, 44, 64, 77, 174, 176, 181 f., 184, 193, 217 Popkultur 107 Portugal 52, 146, 216 Posen 131 Post-Zionism 84 f. Potsdam 1, 32, 35, 38, 54, 62, 73 f., 77, 79, 87, 169, 177, 179 – 187 Prag 147 f. Preußen 7 Rabbinica 61 Rasse, Rassentheorie 136 – 138 Regensburg 2, 17, 19, 39, 100 Religionswissenschaft 35, 74 f., 150, 165, 169, 175, 177, 183 – 185 Russland 52, 113, 115, 118 f., 127, 186 Sabbatianismus, Sabbatai Zvi 146 f. Sagen 95 f. Scepticism 211 – 222 School of Oriental and African Studies (SOAS) 31, 35, 86 Schrägstrich-Disziplin 102 Sefar(a)dim 49 Sefardenforschung 49 Sefardische Studien 47, 50, 55, 108 Sexismus 156 Shoa 1, 25, 49, 61, 63, 65, 143 f., 185 f. Slavistik 38 f., 184 Sozialdarwinismus 132, 136

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Soziologie 131 – 142, 144, 147 f., 182, 184 Sprachgeschichte 33, 35, 97 Sprachtheorie 173 Stiftung Wissenschaft und Politik 88 Taiwan 9 Talmudkommentar, feministischer 108, 149 ff. Tanakh, siehe Bibel (hebräische) Taufe 59 Theater, jiddisches 117, 119, 123, 127, 133 Theater, Staatlich Jüdisches, Moskau 127 Theresienstadt 138, 140 Touro College, Berlin 186 Tübingen 51 f., 67, 171, 183, 219 Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden 8, 59, 75 Vorurteile 111 – 113, 132, 135, 152, 154 Warschau 114, 117, 120, 127 Wien 25, 45 – 50, 114 Wissenschaft des Judentums 1, 8 – 10, 21 f., 45, 58 – 61, 63, 65 f., 74 f., 77 – 79, 93 – 95, 108, 150, 161, 173 f., 181 – 183, 195, 221 Wissenschaftsministerium 34 Wissenschaft vom Ostjudentum 60 Würzburg, Dominikanerinnenkloster St. Marcus 100 YIVO

36, 60 f.

Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden 47, 132, 138 Zionismus 13, 21, 68, 96, 111, 132 f., 161, 173 Zürich 25 f., 50