Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess: Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch 9783666562396, 352556239X, 9783525562390


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German Pages [400] Year 2004

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Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess: Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch
 9783666562396, 352556239X, 9783525562390

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von

Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz

Band 101

Vandenhoeck & Ruprecht

Claus Schwambach

Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-56239-X

© 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. – Printed in Germany. Druck- und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Vorwort ......................................................................................................... 7 Einführung .................................................................................................. 11 I. Christliche Eschatologie bei Martin Luther 1. Hintergrundperspektiven ........................................................................ 19 1.1 Methodologische Einführung .................................................... 19 1.2 Thematische Einführung ............................................................ 22 2. Ursprung und Fall- bleibende Bezugspunkte der Eschatologie ........... 30 2.1 Die protologische Bestimmung der Menschheit ....................... 30 2.2 Hamartiologie und Eschatologie ................................................ 36 3. Gottes neue Schöpfung - Grundzüge der Eschatologie bei Luther ........ 41 3.1 Das Kommen Gottes Heilsgegenwart und Heilsverborgenheit ................................... 41 3.2 Gottes Kommen zu uns in seiner Offenbarung Futurische Eschatologie ............................................................ 114

11. Christliche Eschatologie bei Leonardo Boff 1. Hintergrundperspektiven ...................................................................... 169 1.1 Einige Merkmale der Theologie Leonardo Boffs .................... 169 1.2 Grundzüge des Eschatologieverständnisses von Leonardo Boff .................................................................. 175 2. Eschatologie in systematischer Entfaltung ........................................... 190 2.1 Eschatologie im Rahmen der Heilsgeschichte ......................... 190 2.2 Grundzüge sich prozesshaft realisierender präsentischer Eschatologie ...................................................... 221 2.3 Futurische Eschatologie bei Leonardo Boff ............................ 259 5

III. Kritisches Gespräch über die christliche Hoffnung 1. Kritisches Gespräch über hermeneutische und wissenschaftstheoretische Grundsatzfragen ......................................... 287 1.1 Neuzeit und Zweidrittelwelt als Herausforderung an das Christentum .................................................................. 288 1.2 Kritische Würdigung des Theologieverständnisses von Leonardo Boff ......................................................................... 289 1.3 Zur Verhältnisbestimmung von Theologie und Kontext.. ........ 304 2. Kritisches Gespräch über Themen der Eschatologie ............................ 316 2.1 Das Verhältnis von Christologie und Eschatologie ................. 316 2.2 Eschatologie im präsentischen Vollzug ................................... 325 Schlussbemerkung .................................................................................... 359 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................ 361 Personemegister ....................................................................................... 395

Exkurse: Exkurs 1: Theologische und philosophische Erkenntnis des Schöpjungsziels ................................................................... 34 Exkurs 2: Theologia crucis als Merkmal von Luthers Eschatologie ......... 48 Exkurs 3: Eschatologie und Ethik in der Scholastik und bei Luther .......... 82 Exkurs 4: Luthers Kritik am scholastischen Verständnis von spes ............ 97 Exkurs 5: Apokalyptik und Naherwartung bei Luther ............................. 100 Exkurs 6: Unsterblichkeit bei Luther ....................................................... 122 Exkurs 7: Zur Methode der Bejreiungstheologie ..................................... 170 Exkurs 8: Die Bedeutung des sakramentalen Denkens bei Leonardo Boff ................................................................... 194 Exkurs 9: Maria als Antizipation der Zukunft des Weiblichen ................ 220

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Vorwort

In Situationen von Leid und Unterdrückung fragen Menschen nach Hoffnung und Befreiung. Sie wollen wissen, ob sie fur sich und ihre Kinder noch Zukunft und Freiheit erhoffen können. Mit diesen Fragen treten Menschen an die christliche Kirche heran. Dies ist umso naheliegender, als das Evangelium von Jesus Christus nicht weniger als die Botschaft der Hoffnung schlechthin ansagt. Doch was besagt diese Hoffuung? Wie greift sie in das Leben der Betroffenen ein? Welche Veränderungen sind in Kirche und Gesellschaft zu erwarten? Solche und ähnliche Fragen sind gewiss nicht nur in Lateinamerika relevant. Doch dort ist ihre Bedeutung mit Händen zu greifen. Aus diesem Grunde lag es nahe, am Beispiel eines prominenten brasilianischen Theologen den Themenkomplex "Hoffnung und Zukunft" zu veranschaulichen. Dies geschieht vor dem Hintergrund und im Gegenüber zur reformatorischen Theologie, genauer: der aus der Perspektive der Eschatologie heraus dargestellten Theologie Martin Luthers. Damit ergibt sich ein vielfaltiges wie auch aufschlussreiches Beziehungsgeflecht, das grundlegende Einsichten erschließt. Im Bild der Ellipse gesprochen lässt sich dieses Geflecht durch die beiden Brennpunkte "Rechtfertigungsgeschehen" und "Befreiungsprozess" markieren. Dadurch soll die Gabe und Aufgabe der christlichen Kirche in ihrer jeweiligen Zeit und an ihrem konkreten Ort benannt werden. Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 200112002 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde angenommen. Sie wurde an vielen Stellen überarbeitet und vielfach stilistisch verbessert. Wenn eine Dissertation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, so ist dies der Ort, um all denen Dank auszusprechen, die die Arbeit auf ihrem Weg begleitet und diesen erst ermöglicht haben. Allen voran danke ich meiner Frau Cristiane fur die Freistellung und die ungezählten Ermutigungen, die ich durch sie erfahren habe. Meinen Kindern Matias, Rafael und Andreas danke ich fur das fröhliche und unkomplizierte Mitmachen der vielen Strapazen, die mit der Durchfuhrung unseres Deutschlandsaufenthalts verbunden waren. Meinen Eltern und Schwiegereltern danke ich fur die ständige begleitende Ermutigung.

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Dem Betreuer, meinem verehrten akademischen Lehrer, Professor Dr. Reinhard Slenczka, schulde ich fur vielfache Anregung und verständnisvolle Begleitung großen Dank. Ihm und Herrn Professor Dr. Hermann Brandt ist fur die Erstellung der Gutachten mit Denkanstößen und weiterfuhrenden Hinweisen zu danken. Herrn Professor Dr. Reinhard Slenczka und Herrn Professor Dr. Gunther Wenz bin ich fur die Aufuahme dieser Arbeit in die Reihe "Forschungen zur Systematischen und ökumenischen Theologie" verbunden. Für die langjährige Wegbegleitung, beginnend in meiner Heimat Brasilien mit der Anregung zu diesem großen Projekt und fortgefuhrt in Deutschland durch unermüdliche theologische und praktische Begleitung des gesamten Unternehmens in allen seinen Phasen, möchte ich in besonderer Weise Herrn Dr. habil. Eberhard Hahn und seiner Frau Irene danken. Sie haben sich intensiv fur die mühevollen Korrekturarbeiten, wie auch fur die endgültige Drucklegung der Dissertation eingesetzt. Für eingehende Korrekturarbeiten und stilistische Verbesserungen - ist doch das Deutsche nicht die Muttersprache des Verfassers! - sei an dieser Stelle auch Herrn Pfr. Martin Abraham und Herrn Dr. Christian Herrmann gedankt. Herrn Professor Dr. Oswald Bayer danke ich fur vielfache Anregungen und Gespräche, wie auch fur die Aufnahme in seinen Doktorandenkreis. Das Albrecht-Bengel-Haus (Tübingen) hat mit der siebenjährigen Gewährung eines Stipendiums einschließlich subventionierten Wohnens in guter geistlicher Atmosphäre sowohl das Theologiestudium in Tübingen und Erlangen als auch das Promotionsstudium in Erlangen ermöglicht. Unser Dank gilt dem ehemaligen und dem jetzigen Rektor des Hauses, Herrn Bischof Dr. Gerhard Maier mit seiner Frau Gudrun und Herrn Dr. Rolf Hille mit seiner Frau Dorothea, mit denen wir herzlich verbunden bleiben. Außerdem danken wir den Studienleitern Herrn Pfr. Volker Gäckle, Herrn Pfr. Hartmut Schmid, Herrn Pfr. Wolfgang Becker und Herrn Pfr. Joachim Kummer mitsamt ihren Familien fur viele Anregungen und Begegnungen im Verlauf des Studiums. Auch den Hauseltern des Albrecht-Bengel-Hauses, Waltraut und Erhard Rath, und der Sekretärin, Frau Ursula Hoffmann, danke ich fur das vielfache Entgegenkommen in allen möglichen praktischen Angelegenheiten. Dank schulde ich auch den Leitern und Mitarbeitern des Martin-LutherBundes, die mir während zwei Semestern ein subventioniertes Wohnen im Theologenhaus in Erlangen ermöglicht haben. Für die langjährige finanzielle Unterstützung und persönliche Ermutigung, wie auch fur die Ermöglichung vieler Verkündigungsdienste, Begegnungen, Teilnahme an christlichen Veranstaltungen und nicht zuletzt fur die Gewährung eines Druckkostenzuschusses danke ich der Leitung der Gnadauer Brasilien-Mission. In besonderer Weise denke ich dabei an Herrn Karlheinz Schabel mit seiner Frau Annemarie, Herrn Reinhold Abraham mit

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seiner Frau Elisabeth, Herrn Wilhelm Kunz mit seiner Frau Martha und Herrn Arnold Stahlfeld mit seiner Frau Lydia. Den Freunden Barbara und Karl-Heinz Bauer danken wir für das große Interesse und die ständige Ermutigung, mit denen sie unsere Familie in der Deutschlandzeit begleitet haben. Der Leitung der brasilianischen evangelischen Missionsgesellschaft "Missao Evangelica Uniao Crista" wie auch der Leitung ihrer theologischen Fakultät "Faculdade Luterana de Teologia - CETEOL" danke ich für Ermutigung und Unterstützung während des Studiums. Für die Gewährung großzügiger Druckkostenzuschüsse danke ich der Otto-Michel-Stiftung in Tübingen wie auch dem Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT). Über alle und durch alle Einzelpersonen und Einrichtungen hindurch sehen wir aber Gottes gute Hand, die uns gnädig geführt hat - ihm gebührt Ehre und Dank für das gute Gelingen dieses Dissertationsprojektes!

Sao Bento do Sul - Brasilien, im Juli 2003

Claus Schwambach

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Einführung

Wie lässt sich christliche Hoffnung heute im Kontext von Armut, sozialer Ungerechtigkeit und ausgebeuteter Zweidrittelwelt verkündigen? Wie kann in der Gegenwart, die von der Problematik der Modeme bzw. der sog. Postmoderne, wie auch des spannungsgeladenen Verhältnisses zwischen armen und reichen Ländern gekennzeichnet ist, von der Hoffnung auf ein ewiges Leben geredet werden? Wie sollen die Inhalte der christlichen Hoffnung in den Gemeinden verkündigt und in den Ausbildungsstätten theologisch aufgearbeitet werden? Die Frage nach der Verkündigung des Glaubens in einer sich ständig verändernden Welt, im Zusammenhang eines sich rasch verändernden Weltverständnisses und in unterschiedlich geprägten soziokulturellen Kontexten ist ohne Zweifel eine der weltweit am häufigsten gestellten Fragen der christlichen Theologie in den letzten Jahrzehnten. Sie wurde und wird mit besonderer Dringlichkeit auch im Raum evangelischer und römisch-katholischer Theologie und Kirche gestellt. Am deutlichsten lässt sich dies an Hand von zwei rur die jeweiligen Konfessionen kirchenund theologiegeschichtlich bedeutsamen Ereignissen der jüngeren Vergangenheit aufzeigen: der IV. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1963 in Helsinki und dem 11. Vatikanischen Konzil 1962-1965 in Rom. In bei den Versammlungen trat die anthropologische Problematik der Gegenwart in den Vordergrund. Das 11. Vatikanum wollte nicht so sehr über scholastische Definitionen von Kirche, sondern viel mehr über die Stellung der Kirche in der Welt nachdenken. Es wurde versucht, "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art'" wahrzunehmen und eine zeitgemäße Antwort darauf zu geben. In Lateinamerika fand das Konzil darin einen Niederschlag, dass in den zwei Bischofskonferenzen in Medellin (1968) und Puebla (1979) die Fragen und Probleme des lateinamerikanischen Menschen besonders berücksichtigt wurden. Viele Bereiche der lateinamerikanischen Kirche trafen angesichts der damaligen Situation in Lateinamerika eine politische, ethische und evangelische Option rur die Armen und gegen die strukturelle Armut. Denn die Fragen, Hoffnungen und Ängste des lateinamerikanischen Menschen sind - so wurde dort festgestellt - andere als die des modemen westlichen Menschen. Dort stehen vor allem die Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Vgl. GS 1 (DH 4301).

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Ausbeutung und Unterdrückung anner durch reiche Länder und der sich daraus ergebenden Verelendung der Bevölkerung im Vordergrund. Dem H. Vatikanum wurde vorgeworfen, sich einseitig auf die Fragen des modemen und westlichen Menschen konzentriert zu haben. Im Vorfeld und im Zuge der Diskussionen bei der Bischofskonferenz von Medellin enstand 1968 in Lateinamerika die sog. Theologie der Befreiung. Sie will vom Phänomen der Annut ausgehen und von dort her, sozusagen von der Rückseite der Geschichte her, die Aufgaben und Themen der Theologie neu bedenken. Sie geht zwar vom Geist und von den verschiedenen Erneuerungsimpulsen des H. Vatikanums aus, will sich aber als dessen kritische und kreative Ergänzung verstanden wissen. Nicht primär der Kontext der Modeme, sondern der für die Völker Lateinamerikas zentrale soziopolitische und ökonomische Kontext soll Ausgangspunkt einer neuen Weise, Theologie zu treiben, sein. Theologie der Befreiung stellt sich somit der Aufgabe, einen konkreten Beitrag zur Kontextualität und Inkulturation katholischen Glaubens zu leisten, sowie die ökumenische Theologie durch ihren an der Praxis orientierten Ansatz neu anzuregen. Analoge Sorgen bestimmten die Überlegungen evangelisch-lutherischer Theologen bei der IV. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1963 in Helsinki. Auch dort stand der Mensch von heute im Vordergrund. Die Fragen nach der Vennittlung des Glaubens, nach einer angemessenen Zeitanalyse und nach einer adäquaten Sprache für die Gegenwart wurden behandelt. Vor allem das für die refonnatorische Theologie so zentrale Thema der Rechfertigung des Menschen wurde in jener Vollversammlung neu bedacht. Ähnlich wie im H. Vatikanum wurde dort insbesondere der neuzeitliche Horizont ins Auge gefasst, indem nach Vennittlungsmöglichkeiten für den Kontext der Modeme Ausschau gehalten wurde, da die Fragen, die Luther und die Menschen damaliger Zeit hatten, nicht mehr den aktuellen Fragen entsprechen würden. 2 Die Entstehung der Befreiungstheologie auf römisch-katholischem Boden, wie auch die Entwicklungen in der europäischen protestantischen Theologie bedeuteten vor allem seit den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ohne Zweifel eine der größten Herausforderungen für die lateinamerikanischen lutherischen Diasporakirchen, deren Situation im Rahmen dieser Studie in paradigmatischer Weise für die theologische Aufarbeitung der Frage nach der Kontextualität der Theologie im Blick auf die konkrete Verantwortung christlicher Eschatologie behandelt werden soll. Seit der Entstehung der Befreiungstheologie ist die ökumenische Gesprächslage in Lateinamerika entscheidend von deren Impulsen geprägt. Sie wurde in Lateinamerika rasch zu einer ökumenischen Theologie. Auch die Eine eingehende Darstellung der Ansätze zur Behandlung des Themas "Rechtfertiung" in den theologischen Gesprächen und Dokumenten vor und auf dieser IV. Vollversammlung des LWB ist bei G. MARTENS, Rechtfertigung, 121-176 zu fmden.

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Kirchen der Reformation standen nun vor vielen Fragen, vor allem hinsichtlich der Kontextualisierung der biblischen Botschaft bzw. der von der Befreiungstheologie geforderten konstitutiven Einbeziehung der sozialen und politischen Lage in die theologische Reflexion: 3 Was bedeutet es für eine Theologie und Kirche der Reformation, das Evangelium in reformatorischer Perspektive in der sog. Zweidrittelwelt zu verkündigen? Wie kann sie zur Überwindung des Problems ungerechter und strukturell bzw. wirtschaftspolitisch bedingter Verarmung beitragen? Inwiefern ist die biblischreformatorische Theologie Luthers in diesem Kontext noch relevant? Muss nach dem Vorbild Helsinkis nach einer lateinamerikanischen Rezeption Luthers im Blick auf die soziale Problematik gerungen werden? Kann oder muss die evangelische Theologie dem Vorbild der lateinamerikanischen, besonders der römisch-katholischen Befreiungstheologie folgen? M.a.W.: Bedarf auch sie einer neuen - kontextuell bedingten - Weise der biblischreformatorischen Theologie, in der nicht primär die Fragen der Modeme oder gar des Mittelalters, sondern die der sozialen Ungerechtigkeit, der Armut und sonstiger lateinamerikanischer Probleme bearbeitet werden? Ist die - weitgehend römisch-katholisch geprägte - lateinamerikanische Befreiungstheologie auch von der evangelisch-lutherischen Konfession her vertretbar?4 Wenn ja, unter welchen theologischen Prämissen und Kriterien? Es handelt sich bei alledem ohne Zweifel um ernste Anfragen an die reformatorische Identität einer evangelisch-lutherischen Diasporakirche. Wenn man bedenkt, dass es ungeachtet der unterschiedlichen Ausprägung der Fragestellung in Lateinamerika und in Europa im Grunde dort und hier um die gleiche Frage geht - die der Inkulturation und Kontextualisation der biblischen Botschaft für den Menschen von heute - dann gewinnt die Problematik, die in dieser Studie dogmatisch behandelt werden soll, eine gewisse Brisanz. So erweist sich die konkrete Problematik Lateinamerikas von geradezu paradigmatischer ökumenischer und weltweiter Bedeutung. Die herausfordernde Bedeutung der Befreiungstheologie für die evangelisch-lutherische Theologie lässt sich am Beispiel Brasiliens etwa an folgenden Beiträgen wahrnehmen: H.-J. PRlEN, Identität; R. SCHÜNEMANN, Participa