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German Pages [267] Year 2023
Super alta perennis Studien zur Wirkung der Klassischen Antike
Band 24
Herausgegeben von Uwe Baumann, Marc Laureys und Winfried Schmitz
Uwe Baumann (Hg.)
Martin Luther und die Reformation Traditionen, Kontexte, Umbrüche
Mit 31 Abbildungen
V&R unipress Bonn University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen bei V&R unipress. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Porträt des Martin Luther aus der Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren (1528). Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6134 ISBN 978-3-7370-1580-6
Inhalt
Uwe Baumann (Bonn) Vorwort: Martin Luther und die Reformation: Traditionen, Kontexte, Umbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michael Herkenhoff (Bonn) Reformation und Buchdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Andreas Pangritz (Bonn / Osnabrück) Martin Luthers Stellung zu Juden und Muslimen . . . . . . . . . . . . . .
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Mathias Schmoeckel (Bonn) Vom Recht der Guten Werke: Ging Luthers Kritik am Ablasswesen fehl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Claudia Wich-Reif (Bonn) »Dem Volk aufs Maul geschaut«? – Die (Nach-)Wirkung von Luthers Bibelübersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Uwe Baumann (Bonn) Martin Luther, Heinrich VIII., Thomas Morus und die ›Reformation‹ in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Guido Braun (Mulhouse) Kulturen des Berichtens im Wandel: Normativität und Individualität der Briefproduktion römisch-kurialer Gesandter über Luther und die Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Stefan Tilg (Freiburg) Luther als Held und Antiheld im neulateinischen Drama: Ein Beispiel für die Vitalität eines klassischen Mediums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
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Inhalt
Bernd Roling (Berlin) Mittelalterpolemik und Lutherjahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Uwe Baumann (Bonn)
Vorwort: Martin Luther und die Reformation: Traditionen, Kontexte, Umbrüche
Die Mehrzahl der in diesem Sammelband veröffentlichten acht Beiträge gründen in einer Ringvorlesung, die im Reformationsjahr 2017/2018 gemeinsam vom CCT: Centre for the Classical Tradition / Centrum Classicorum Traditionis und dem Studium Universale der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn organisiert und ausgerichtet wurde. Ziel der Ringvorlesung war es, sich dem vielschichtigen Phänomen Martin Luther über exemplarische und zugleich repräsentative Schlagwörter anzunähern, wobei Luther nicht – oder nicht nur – als Reformator, Reformer und Neuerer fokussiert, sondern vielmehr vor dem Hintergrund und im Kontext seiner Zeit konzeptualisiert werden sollte. Wie die beinahe überwältigende Fülle von Veröffentlichungen anlässlich des Reformationsjahres insgesamt1 entwarfen die Vortragenden im Rahmen der Ringvorlesung ein kaleidoskopisch vielfältiges Bild Martin Luthers und seines Schaffens oder besser: unterschiedlich konturierte und akzentuierte Bilder Martin Luthers, der sich gleichsam proteusartig einfachen und allzu eindeutigen Zuschreibungen und Deutungen immer wieder entzieht. Mit der Begriffs-Trias »Traditionen, Kontexte, Umbrüche« werden drei heuristische Zugänge zu dem so reichhaltigen und vielfältigen Luther-Kosmos expliziert, die jeweils Einzelnes, Detailliertes in bewusst konzentrierter Perspektive fokussieren, um damit sowohl Luthers reformatorischen Potenzial Rechnung zu 1 Vgl. exemplarisch Bergmann (2016); Bernhard / Hinz / Maier (2017); Hamm (2017); Heckel (2016); Kaufmann (2014, 2015, 2016a, 2016b); Köpf (2015); Leppin (2015, 2017a, 2017b und 2019); Löhmann (2016); Mecklenburg (2016); Pangritz (2013, 2017); Pettegree (2015, 2016); Rehberg (2017); Reinhardt (2017); Roper (2016); Schilling (2016, 2018); Werner (2016) und Winkler (2016). In analoger Vielfalt und unterschiedlich perspektivierter Fokussierung präsentierten mehr als dreißig Ausstellungen Martin Luther, sein Leben und sein Wirken; vgl. z. B. Gossart / Steinkamp / Ziesak (2017) und Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt et al. (Hg.) (2016). Vgl. ebenfalls die (teils) summarischen Verweise auf weitere Ausstellungen in Berlin, Wittenberg, Eisenach, Karlsruhe, Leipzig, Rothenburg ob der Tauber, Braunschweig, Dresden, Magdeburg, Mannheim, im Ruhrmuseum und auf der Wartburg (vgl. Bergmann (2016), 45–53 und Werner (2016), 109; weitere Ausstellungen auf www.luther20 17.de (letzter Zugriff: 17. 11. 2022).
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tragen als auch seine Verankerung in den breiteren Kontexten der europäischen Kulturgeschichte nachzuzeichnen.2 Dabei verdeutlicht die zentrale Kategorie »Traditionen« die Intentionen und zugleich die prinzipiellen Restriktionen der Ringvorlesung wie auch des vorgelegten Sammelbandes, da Traditionen historisch-zeitlich in zwei (unterschiedlich weit ausgezeichnete) Richtungen konzeptualisiert werden können. Zum einen rücken damit allgemeine Fragen nach dem Verhältnis von Mittelalter und Reformation,3 oder konzentriert auf Martin Luther nach dessen Verhältnis zu und Beeinflussung durch den RenaissanceHumanismus, in den Blick4 und zum anderen die Vielfalt der Traditionen, die von Martin Luthers Denken, Werken und Wirken gestiftet wurden, von der Theologie des Protestantismus in ihren unterschiedlichsten Spielarten bis hin zur Fürstenreformation des 16. Jahrhunderts5 oder zu allgemeineren geistes-, sozialund mentalitätsgeschichtlichen Strömungen und Positionierungen, die sich durch reklamierte Rückverweise auf Martin Luther selbst zu nobilitieren suchten.6 Unabhängig davon, ob die einzelnen Beiträge detailliert das Werk und Wirken Martin Luthers als primären Ausgangspunkt ihrer Überlegungen wählen (vgl. z. B. die Beiträge von Andreas Pangritz, Mathias Schmoeckel, Claudia Wich-Reif), oder Phänomene der Martin Luther-Rezeption im engeren und weiteren Sinne fokussieren (vgl. z. B. Guido Braun, Stefan Tilg, Bernd Roling), die heuristische Begriffs-Trias »Traditionen, Kontexte, Umbrüche« konstituiert für alle Beiträge gemeinsame Fluchtpunkte für die jeweiligen Fragen und Analysen. Insgesamt verorten sich alle acht Beiträge und damit auch der gesamte Band innerhalb des aus den drei Eckpunkten Traditionen, Kontexte, und Umbrüche gebildeten mentalen Dreiecks, wobei jeder einzelne Beitrag eine individualisierte Position innerhalb darin einnimmt, im Einzelfall auch einer einzelnen Ecke in besonderer Weise nahekommt, wie z. B. die Beiträge von Michael Herkenhoff und Uwe Baumann der der Kontexte, ohne dabei jedoch die beiden anderen zentralen heuristischen Kategorien Traditionen und Umbrüche zu ignorieren. Selbstverständlich hätte man sich eine Vielzahl weiterer – durch entsprechende Beiträge – repräsentierter Einzelpunkte vorstellen und wünschen können, etwa aus den primären Zuständigkeitsbereichen der Theologien, der Kunstgeschichte und den 2 Vgl. exemplarisch MacCulloch (2010); Marshall (2014); Rublack (2006); Schorn-Schütte (2010). 3 Vgl. allgemein Kristeller (1973–1975); Leppin (2017a); Moeller (1991). 4 Vgl. exemplarisch Junghans (1985) und Leppin (2019). 5 Vgl. Richter / Kohnle (2016). 6 In diesem Kontext werden Reden und Predigten zu Luther-Gedenktagen wiederholt zu wichtigen Seismographen für die religionspolitischen Mentalitäten der Zeiten und Regionen (vgl. z. B. Bernard / Hinz / Maier (2017), Burkhardt (2002), Mecklenburg (2016), Süssmuth (1985) und den Beitrag von Bernd Roling in diesem Band).
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historischen Medienwissenschaften, aber die hier vorgelegten acht Beiträge explizieren bei allen prinzipiellen Restriktionen die heuristische Funktionalität der Begriffs-Trias für Annäherungen an das Werk, das Phänomen und den Mythos Martin Luther. Im Folgenden ein Blick auf die Beiträge des Bandes: Vorwiegend auf der Basis statistischer bibliographischer Daten, die von zwei zentralen Datenbanken vorgehalten werden, dem Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) und dem Universal Short Title Catalogue (USTC) untersucht Michael Herkenhoff (Bonn) die Bedeutung des Buchdrucks für die konfessionellen Auseinandersetzungen nach 1517.7 Die allgemeine Entwicklung des Buchdrucks des Reformationszeitalters und ihre je unterschiedlichen Implikationen für die Reformation werden zunächst historisch kontextualisiert, indem der vorreformatorische Buchdruck mit den charakteristischen Merkmalen des Buchdrucks in den Jahren ab 1517 verglichen wird: Insbesondere der rasante Anstieg der Buchproduktion, fast eine Verdoppelung von 1517 bis 1519 und eine gleichbleibend hohe Produktion in den Jahren 1520 bis 1525 wird zum Indiz für das enorm gestiegene Interesse der Öffentlichkeit an Büchern über die zumeist hoch aktuellen theologisch-politischen Fragen der Zeit.8 Lutherische Bücher, größtenteils von Martin Luther selbst, beherrschten schnell den Markt und versprachen den Druckern und Druckereien ordentliche Gewinne; mit der Veröffentlichung von eher traditionellen Positionen (später: katholischen Positionen) innerhalb der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen war hingegen aufgrund fehlender Nachfrage kaum Geld zu verdienen. Martin Luther selbst, der bis 1517 nur wenig veröffentlicht hatte, wurde ab 1518 zum meistveröffentlichten Autor im deutschsprachigen Raum. Eine bedeutende strukturelle Innovation und ein Charakteristikum der Hochphase des reformatorischen Buchdrucks ist die Flugschrift, ein neuer Medientyp, der einen kaum zu überschätzenden Anteil an den enormen Produktionssteigerungen des Druckgewerbes hat. Mit einer Vielzahl von Schaubildern und einigen exemplarisch ausgewählten Buchbeispielen aus den theologischen Altbeständen der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn dokumentiert Herkenhoff diese Entwicklung, bevor er explizit das Wormser Edikt (1521) thematisiert und dessen Auswirkungen (Buchdruck in Zeiten der Zensur) an vier Beispielen (Köln, Augsburg, Leipzig, Wittenberg) näher analysiert und dabei insbesondere den erstaunlichen Aufstieg Wittenbergs zum führenden Druckort Deutschlands aus buchhistorischer Perspektive als eines der erstaunlichsten Phänomene und zugleich Ergebnisse der Reformation akzentuiert.9 Abschließend diskutiert Herkenhoff die allgemeine Bedeutung, die 7 Vgl. die genauen bibliographischen Angaben im Beitrag von Herkenhoff, Anm. 5 und 6. 8 Vgl. allgemein hierzu auch Roper (2016), bes. 165. 9 Vgl. insgesamt auch Pettigree (2015, 2016).
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dem Buchdruck für die Reformation zuzumessen ist und relativiert dabei die spätestens seit Bernd Moellers Diktum »Ohne Buchdruck keine Reformation«10 wiederholt formulierte Position, indem er anhand des Autors und Predigers Diepold Peringers auch auf die mündliche Verbreitung reformatorischen Gedankenguts in Predigt, Lied und Schauspiel verweist, aber zugleich festhält, dass das gedruckte Buch als zentrales, unverzichtbares Element des reformatorischen Medienverbunds11 zu gelten hat. Die in der Forschung wiederholt thematisierte aggressive Judenfeindschaft Martin Luthers12 stellt Andreas Pangritz (Bonn / Osnabrück) in den Mittelpunkt seines Beitrags, indem er diese Untersuchung mit Überlegungen zur Stellung des Reformators gegenüber dem Islam zusammenführt. Neben dem Papst gilt für Luther, aus der konkreten historischen Situation der 1520er Jahre dem Vorrücken der Türken unter Sultan Süleyman II. auf dem Balkan erwachsen, der Türke als Erzfeind Christi, wie Pangritz durch eine Vielzahl von Textbelegen und die Analyse von Illustrationen zu Luthers Übersetzung der Offenbarung des Johannes aus der Cranach-Werkstatt (1530) zeigen kann. Ein spezielles Interesse Martin Luthers am Islam als Religion ist erst in den frühen 1540er Jahren nachweisbar, insbesondere in seiner Bearbeitung der Confutatio Alcorani des Dominikanermönchs Ricoldus de Montecrucis: Verlegung des Alkoran (Widerlegung des Korans). Der Koran bearbeite die biblische Überlieferung selektiv und verfälschend, verachte die Trinitätslehre ebenso wie die Inkarnation und das Leiden Christi, aber auch die Sakramente und das Evangelium von der Sündenvergebung, kurz: Er entwickele eine häretische Dogmatik, die in eine libertinistische Ethik und entsprechende Vorstellungen vom ewigen Leben münde. In konsequenter Fortführung dieser antiislamischen Polemik setzte Luther sich für die Herausgabe einer Koranübersetzung ein, die – mit Luthers Praefatio – 1543 in Basel erschien, wobei Luther davon ausging, dass die Koranlektüre zur Selbstentlarvung des Islam führen werde.13 Zeugnisse der (teils aggressiven) Judenfeindschaft Martin Luthers lassen sich aus nahezu allen Phasen seiner Biographie und seines Werkes zusammenstellen, von den Dictata super Psalterium (1513–1515) über Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei (1523) bis zu den Schriften des Jahres 1543, die als endgültige Abrechnung mit den Juden gelesen werden können: Von den Juden und ihren Lügen, Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi, und Von den letzen Worten Davids, ja selbst seine allerletzte Predigt am 14. Februar 1546 in Eisleben bricht Luther aufgrund eines Schwächeanfalls ab, verliest aber noch eine Vermahnung wider 10 11 12 13
Vgl. Moeller (1991). Vgl. hierzu auch Burkhardt (2002), 56–60. Vgl. insgesamt auch Pangritz (2017). Vgl. alle Detailbelege im Beitrag von Andreas Pangritz (unten, 53–69).
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die Juden.14 In theologischer Perspektive, so die Bilanz von Pangritz, parallelisiert Martin Luther immer wieder Papisten, Türken und Juden als die drei Feinde Christi, zu denen gelegentlich als vierte Gruppierung radikale Reformatoren (Schwärmer) wie z. B. Thomas Münzer treten.15 Sie konstituieren die Kontrastfolie zur reformatorischen Erkenntnis der Rechtfertigung des Sünders sola gratia, aus Gnade durch den Glauben allein. Die Fülle und interpretatorische Überzeugungskraft der Einzelbefunde führen Pangritz zur abschließenden Wertung, Luthers Schriften gegen Juden und Muslime keineswegs als nur peripher oder historisch nebensächlich zu werten, sondern sie als Bestandteile seiner reformatorischen Theologie ernst zu nehmen. Einen Kernbereich der reformatorischen Theologie Martin Luthers, den Umgang mit Schuld und der Bedeutung der Guten Werke für eine Versöhnung mit Gott, fokussiert Mathias Schmoeckel (Bonn) aus der Perspektive des Rechtshistorikers, indem er speziell der Frage nachgeht, ob es für die verdiente Strafe einen Erlass (remissio) geben kann. Als entscheidendes Konzept rücken damit Indulgentien, Gnadenentscheidungen, die nicht mit der Dispensation als Befreiung vom Recht im Einzelfall oder einer allgemeinen Gnadenentscheidung des Richters zu verwechseln sind, in den Mittelpunkt: Indulgentien, als unmittelbarer Bestandteil christlicher Buß- und Beichtpraxis (poenitentia) sind Zusicherungen einer Strafreduktion, einem Ablass von Schuld und Strafe. Voraussetzung ist dabei der Ausgleich der bösen Tat durch ein gutes Werk, z. B. für die Kirche und die Christenheit. Indulgenz bezieht sich auf den Charakter der Entscheidung, Ablass auf die Rechtsfolgen, wobei Begründung und Wirkung dieses Straferlasses (Ablass)16 lange vor Luther umstritten und fragwürdig waren. Auf breiter Basis analysiert Schmoeckel en détail das kanonische Recht und die Lehren der frühen Reformatoren (Martin Luther, Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon) im Hinblick auf die Frage der Guten Werke, wobei die reich dokumentierten Ergebnisse dieser Vergleiche zeigen, dass sich das Ablasswesen um 1517 zwar gut als Angriffspunkt – da auch nach kanonischem Recht offenkundig und eklatant missbräuchlich – anbot, die dagegen entwickelte Lehre jedoch kaum den Kern der Reformation konstituiert. Erst um 1520 verließ Martin Luther endgültig den argumentativ-theologischen Boden der traditionellen Lehre der Kirche, wobei der Ablass zum Paradigma des Gesetzes und seiner bloß äußerlichen Natur wurde. Die Bestrebungen, eigene Rechtsordnungen zu etablieren, wie auch die historischen Erfahrungen mit Gewalt gegen die Obrigkeit durch den Bauernaufstand veränderte in der Folgezeit das konzeptionelle Gesetzesver14 Detailbelege im Beitrag von Andreas Pangritz (unten, 61–63). 15 Vgl. Details und Belege bei Pangritz (2013), 15–48. 16 Vgl. insgesamt zum Ablassstreit Hamm (2017), Heckel (2016), Kaufmann (2016b), und Rehberg (2017).
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ständnis der Wittenberger Reformatoren, indem sie die positiven Funktionen des Gesetzes und seine Befolgung durch die Bevölkerung zunehmend anerkannten. Gute Werke waren damit im reformatorischen Verständnis nicht mehr länger wertlos, sie dienten als hilfreiche Eingewöhnung, die eventuell sogar zum Glauben führen könnte. Die Bibelübersetzung Martin Luthers und ihre Wirkung(en) rückt Claudia Wich-Reif (Bonn) in den Mittelpunkt ihres Beitrags, der zunächst kurz die Geschichte der Bibelübersetzungen vor Luther im Spannungsfeld unterschiedlicher Übersetzungsprinzipien (sensum de sensu vs. verbum e verbo) und die jeweilige Adressatenbezogenheit skizziert. Ferner reißt sie an, inwieweit der Druck mit beweglichen Lettern zum Erfolgsgeheimnis der Luther-Bibel gehören kann. Die Übersetzung Martin Luthers, die mit der Fertigstellung des deutschen Textes beginnende Revision wie auch das kontinuierliche Feilen am Text, um das Produkt weiter zu optimieren, stellt Wich-Reif en détail insbesondere anhand ausgewählter exempla und ihrer Revisionen (2. Sam. 22 und 23) dar. Ihr ist daran gelegen aufzuzeigen, dass Luther ein Teamworker war, der bei der Bibelrevision Experten bat, ihn bei der Erstellung einer optimalen Textfassung zu unterstützen. So tauschte er sich für Fragen zur Übertragung aus dem Griechischen mit Melanchthon aus, zum Hebräischen mit Matthäus Aurogallus. Dokumentiert ist das Ganze mit einem Korrekturexemplar Georg Rörers (1492–1557). Dieser studierte ab 1522 in Wittenberg, schrieb Luthers Vorlesungen und Predigten mit, publizierte die Mitschriften nach Überarbeitung und sammelte seine Tischreden und Briefe. Schließlich wendet sich Wich-Reif der Rezeption, der Wirkung von Luthers Bibelübersetzung zu, die sie aus sprachgeschichtlicher Perspektive näher beleuchtet. Sie zeigt auf, dass Martin Luther keineswegs als bewusster Brückenbauer zwischen verschiedenen Sprachlandschaften (hochdeutsch und niederdeutsch) agierte: Entscheidungen für oder gegen bestimmte Lexeme und Formulierungen (z. B. zu Mt 6,2–5) erfolgten teils willkürlich bzw. zufällig. Manchmal scheint es so, als ob vor allem rhythmisch-klangliche Aspekte den Ausschlag für die eine und gegen die andere Form gaben. Was aus heutiger Perspektive wie das Selbstbewusstsein eines Mannes wirken mag, der meint, dass die eigene Sprachenlandschaft die beste sei, könnte auch einfach ein Reflex davon sein, dass Luther als wenig Reisender nur diese ganz bewusst wahrnahm. In der weiteren Rezeption wirkt Luthers Stil der Bibelübersetzung, der – ausgestattet mit der Autorität des Wortes Gottes – sich millionenfach verbreitete, wie ein Katalysator zu einem in sozialer und regionaler Breite allgemeinen Durchbruch einer deutschen Sprache, die sich als überregionale deutsche Schriftsprache durchsetzen sollte. Der Luther-Stil war keine Reaktion auf den Sprachgebrauch des gemeinen Mannes und dessen Übernahme in die Bibel, er zeigte aber sicherlich Wirkung auf dessen Sprache – man denke an die zahlreichen Sprichwörter und Redewendungen, die in den allgemeinen Sprachgebrauch
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eingingen. Luther wirkte in einer Zeit, in der immer mehr Menschen einen Bedarf sahen, sich schriftsprachlich auszudrücken und war aufgrund seiner sprachlichen Sensibilität und seiner Wirkmächtigkeit Vorbild nicht nur für Anhänger des Protestantismus. Aus klassisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive untersucht Uwe Baumann (Bonn) die Reformation in England, zunächst konzentriert auf die Frühphase und ihre Protagonisten Martin Luther, Heinrich VIII. und Thomas Morus. Im Unterschied zur Reformation auf dem Kontinent erfolgten Reformation und Trennung der Englischen Kirche von Rom im Jahr 1534 aus anfangs ausschließlich politischen Gründen. Die für Heinrich VIII. und seine Berater entscheidende Argumentation, sich mit der eigenen Interpretation der Heiligen Schrift (insbes. Lev. 18,16 und 20,21) gegen die Tradition und den Papst zu wenden, um die Annullierung der Ehe des Königs mit Katharina von Aragon durchzusetzen (ab 1527/1530), explizierte dabei eine gefährliche Nähe zu reformatorischen Positionen, die weder gewünscht war noch den Glaubensgrundsätzen des Königs entsprach. Begonnen hatte die englische Auseinandersetzung mit den Thesen Martin Luthers mit einer großen (und gelehrten) Gegenschrift durch den König selbst, der Assertio Septem Sacramentorum (adversus M. Lutherum) von 1521 und öffentlichen Verbrennungen der Schriften Luthers. Die Gegenschrift (Assertio) des Königs argumentierte nicht nur auf der Basis breiten theologischen Detailwissens, sondern sparte auch nicht mit persönlichen Angriffen auf Luther. Dieser reagierte darauf mit ähnlich polemisch-groben Beschimpfungen, woraufhin einige Monate später Bischof John Fisher und der bekannte Humanist Thomas Morus ihren König und dessen Person und Positionen in umfangreichen Büchern verteidigten. Insbesondere die Responsio ad Lutherum (1523) des Thomas Morus fährt ganze Arsenale aus der christlichen Polemik der (Spät-)Antike entlehnten groben und gröbsten Schimpfwörtern auf, mit denen Luther geschmäht wird.17 Wird Martin Luther in den 1520er Jahren in England primär als Unruhestifter und Gegner von Kirche und König konzeptualisiert, so ändert sich das in den 1530er Jahren. Er wird zunehmend zum spiritus rector der frühen englischen Reformatoren; die ab 1534 von Rom getrennte Englische Kirche mit dem König als ihrem Oberhaupt bleibt dogmatisch streng traditionell, eine traditionelle (später: katholische) Kirche nur ohne Papst. Die weiteren religionspolitischen Entwicklungen Englands, die immer zugleich auch enorme sozial- und mentalitätsgeschichtliche Veränderungen zeitigen, 17 Der polemische Sprachgebrauch Heinrichs VIII. in seiner Assertio, oder in Thomas Morus’ Responsio ad Lutherum sind bisher nicht en détail untersucht worden, so dass sich der Beitrag auf nur wenige Beispiele beschränken muss. Das Analoge gilt im übrigen auch für Analysen des polemischen Sprachgebrauchs Martin Luthers in der Frühphase der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen und insbesondere seine lateinischen Schriften (vgl. für die spätere Zeit hingegen Hundt (2022)).
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werden knapp analysiert und akzentuieren nachhaltig in ihren Differenzen zu den (religions-)politischen und regional unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Kontinent die Sonderwege der spezifisch englischen Reformation mit ihren bemerkenswert spärlichen direkten Rückverweisen auf Martin Luther und sein Werk. Berichte päpstlicher Gesandter als spezielle Quellengattung rückt Guido Braun (Mulhouse) in das Zentrum seines Beitrags, der drei Schwerpunkte fokussiert: 1. die jeweiligen Gesandten, 2. die Berichte dieser Gesandten, und 3. die Rezeption dieser Gesandtenberichte an der Kurie. Erkenntnis leitendes Interesse ist dabei die Frage nach der spezifischen Rolle der Nuntiaturberichte für den Transport von Informationen über die Reformation, die Reformationsgeschichte sowie die Generierung von Bildern und Vorstellungen über die Reformation und ihre Protagonisten an der päpstlichen Kurie, jeweils vor dem Hintergrund der Normen und Erwartungen, durch welche die Berichtspraxis der Nuntien und Legaten teils implizit reglementiert wurde.18 Einem Nuntius, Pietro (Pier) Paolo Vergerio (1498–1565), der 1535 persönlich mit Luther zusammentraf und der später selbst zum Protestantismus übertrat, widmet Braun besondere Aufmerksamkeit. Insbesondere die stilisierten Berichte Vergerios über dieses Treffen, über das auch Luther mehrfach berichtet, dokumentieren eindrucksvoll einige Facetten gründlich gescheiterter Kommunikation zwischen Wittenberg und Rom, wenn etwa Martin Luther als Verkörperung deutschen Wesens, als impulsiv, rau und provokant gezeichnet wird, als animal irrational, ein nicht vernunftbegabtes Wesen oder Tier. Die Tatsache, dass Vergerio den Empfänger des Schreibens mit diesem drastischen Urteil über Luther, Ambrogio Ricalcati, Geheimsekretär Pauls III., bittet, den Brief an die Kurie geheim zu halten, damit er nicht gegen den Nuntius propagandistisch verwendet werden könne, akzentuiert, dass Vergerio sehr genau wusste, wie dramatisch negativ das kolportierte LutherBild ist, das wohl in seiner überaus düsteren Konturierung der Erwartungshaltung seiner Rezipienten an der Kurie folgt. Dieser Einzelfall verdeutlicht die überragende Bedeutung der Erwartungen der römisch-kurialen Adressaten, die Vergerio augenscheinlich mit Rekurs auf literarische Stereotype bedient und sozusagen empirisch bestätigt; die kulturellen (und sprachlichen) Barrieren, die einer eventuellen Verständigung zwischen Rom und Luther im Wege standen, wurden so nicht abgetragen, sondern weiter verfestigt. Andererseits schloss die Orientierung an römisch-kurialen Darstellungsmustern Berichte über religiöse und konfessionelle Differenzerfahrungen (und etwa auch durchaus positive 18 Vgl. insgesamt die Details und die Einordnung in die größeren Kontexte der Bedeutung der päpstlichen Gesandten bei der Generierung von Wissensbeständen über fremde Länder und Völker, mit denen sie während ihrer Missionen interagierten, im Beitrag von Braun (unten, 181–207).
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Kommentare zu Philipp Melanchthon) keineswegs aus, wobei es insgesamt nicht belegbar ist, was von dem durch die Nuntien Berichteten tatsächlich bis zum Papst selbst (in Briefen oder in Teilen der Berichte der Kardinäle und kurialen Sekretäre) durchdrang. Dies änderte sich erst nachhaltig durch die Einrichtung einer besonderen, ständigen Kongregation für die deutschen Angelegenheiten, die unter Papst Gregor XIII. (1572–1585) zu einer Schaltstelle empirischer Wissensgewinnung über das Deutsche Reich wurde. Martin Luther als Held und Antiheld im neulateinischen Drama steht im Zentrum der Analysen von Stefan Tilg (Freiburg), die sich nach einem knappen Einblick in die allgemeine Geschichte und Aufführungsbedingungen des neulateinischen Dramas – unter Rückgriff auf terminologische Differenzierungen und Distinktionen des Freiburger SFBs 948: »Helden – Heroisierungen – Heroismen« – auf insgesamt fünf Einzeldramen19 und das lateinische Jesuitendrama konzentrieren. Thomas Murners satirische Streitschrift Von dem großen lutherischen Narren (1522) und das allegorische Lehrgedicht von Hans Sachs Die Wittenbergisch Nachtigall (1523) zeigen zwei wichtige und gegenläufige Strategien der Heroisierung und Verteufelung Luthers, die auch für die Luther-Dramen relevant sind: Der apokalyptischen Verkündigung eines neuen Zeitalters auf reformatorischer Seite stehen persönliche Verunglimpfungen Luthers auf katholischer Seite gegenüber.20 In Thomas Naogeorgs Pammachius (1538) wird Luther zum apokalyptischen Heilsbringer eines neuen Zeitalters, in schlichtem Antagonismus zum Gegenspieler des Antichristen stilisiert. Heinrich Hirtzwigs Lutherus (1617) hingegen bilanziert komplexere Heroisierungsprozesse und präsentiert Luther zum 100-Jahr-Jubiläum der Reformation als zentrale Figur einer protestantischen Erinnerungskultur, als auratisch-charismatischen Lehrer, und bringt auch seine Lehre zumindest ansatzweise mit auf die Bühne. Gemeinsames Merkmal der beiden katholischen Luther-Dramen (Johannes Hasenberg, Ludus ludentem Luderum ludens (1530) und Simon Lemnius, Monachopornomachia (1539)) ist die persönliche Verunglimpfung, wobei sich die zu Lebzeiten Luthers verfassten Dramen auf die Darstellung des Reformators als Lüstling konzentrieren, in den Motiven und stilistisch angeregt vom Spiel mit dem Namen Luther (Luder) und der römischen Satire (Horaz, Juvenal). Das katholische Drama nach Luther ist weitgehend das Drama der Jesuiten. Wie einzelne Handschriften, Periochae und Notizen bezeugen, bleibt Luther wie in 19 Berücksichtigt werden dabei einerseits Dramen, die noch zu Lebzeiten Luthers entstanden sind, andererseits auch Dramen aus späteren Epochen, womit die Luther-Dramen exemplarisch die anpassungsfähige Vitalität der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit bezeugen. 20 Die Luther-Dramen lassen sich damit als Spezialfall der Heroisierungsdiskurse um Martin Luther und sein Wirken in der gesamten Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts verstehen (vgl. zu Luther in der Literatur allgemein Mecklenburg (2016)).
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den früheren Dramen der Lüstling, der Bauernfänger und Kriegstreiber, mehrfach wird er explizit zur Teufelsgestalt. Eine Sonderstellung innerhalb der LutherDramen nimmt Nikodemus Frischlins Phasma (1580) ein, da es die klare konfessionell gegründete Dichotomie von Held vs. Antiheld, heroisiert vs. dämonisiert in der Konzeptualisierung Luthers überwindet, indem es zunächst etliche zumeist pro-lutherische konfessionelle Streitereien und ihre sophistischen Spitzfindigkeiten dekonstruiert und einen einfachen Bauern zu seinem eigentlichen Helden macht. Eine Studie von Bernd Roling (Berlin), die Theologie- mit Philosophie- und Philologiegeschichte zusammenführt, beschließt den Band. Ausgangsfrage ist, ob es einen spezifisch protestantischen Blick auf das Mittelalter gibt, was die Jubelfeiern der Vergangenheit zu Reformations- und Lutherjahren nahelegen: Noch das 19. Jahrhundert konzeptualisierte Luther als heroische Gestalt, die das Mittelalter als Zeit der Mönche und korrupten Papstkirche nahezu im Alleingang beendet und durch seine Unbeugsamkeit eine Epoche des wahren, innerlichen Glaubens, kurz: die Neuzeit, eingeläutet hatte. Dieser von Stereotypen geprägte Blick auf das Mittelalter als dunkle Epoche, so irritierend einseitig und verfälschend er ist, indem er geistes- und theologiegeschichtliche Kontinuitäten zwischen Mittelalter und Neuzeit marginalisiert und die Bedeutung der Renaissance ignoriert, gründet als Phänomen in der (Frühen) Neuzeit selbst. An zwei Beispielsträngen dokumentiert der Beitrag, wie sich diese Mittelalter-Stereotypen in der protestantischen Polemik und in der »scheinbar wissenschaftlichen Theologie- und Literaturgeschichtschreibung« (siehe Roling, unten: 233) herausbilden und populär werden konnten: 1. der Vorwurf der Dekadenz, der fortschreitenden Degeneration des Geisteslebens seit dem Frühmittelalter, und 2. die Klassifizierung des Mittelalters und zuvörderst seiner Sprache als barbarisch. Die beiden Schematisierungsstränge (der intellektuellen Degeneration und der sprachlichen Barbarei) werden – wiewohl nur Ausschnitte des Mittelalter-Bildes des 17. und 18. Jahrhunderts – mit einer Fülle von zumeist aus dem Universitätsund Gymnasial-Milieu stammenden Studien nachgezeichnet und breit dokumentiert, von Lambert Daneau, Christoph Binder und Johann Himmelius über Adam Tribbechow und Christoph August Heumann bis zu Jacob Thomasius (Degeneration) und speziell zur vermeintlichen Barbarei des Mittelalters von Johann Zwinger über Adam Rechenberg bis zu Joseph Clauder, dessen lateinische Rede zum Lutherjahr 1617 mit dem programmatischen Titel »Von der grobschlächtigen Latinität der papistischen Epoche und der wiederhergestellten und blühenden Latinität der Zeit Luthers« 1717 erneut aufgelegt wurde.21 Die Fülle der Zeugnisse wie auch die harsche, polemische Kritik an den Studien Polycarp Leysers IV. (1690–1728), des bedeutenden Verteidigers des Mittelalters 21 Vgl. weitere Details, Diskussion und Belege bei Roling, unten, 233–264.
Vorwort: Martin Luther und die Reformation: Traditionen, Kontexte, Umbrüche
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und Begründers der mittellateinischen Philologie22 zeigen, wie sich die skizzierte protestantische Typisierung des Mittelalters bis tief ins 18. Jahrhundert hin erhalten hat: »Man sah, was man sehen wollte, Dekadenz, eine fortschreitende Verheerung, allgemeine Barbarei, die erst Luther als leuchtender Titan, als wahrer Philosoph und als Erneuerer des Bildungssystems hatte beenden können« (Roling, unten: 256). *** Nach der knappen Vorstellung der Beiträge des vorliegenden Bandes und der mit nur wenigen pragmatischen Schlagworten skizzierten Zielsetzungen gilt es abschließend – in bewusster Überwindung aller Reserven, die man gegen die entsprechende gattungsinhärente Topik entwickeln mag – Dank zu sagen. Ein herzlicher Dank gebührt all denjenigen, die zum Erscheinen dieses Bandes beigetragen haben. Da sind an erster Stelle die Beiträgerin und die Beiträger zu nennen, die ihre Aufsätze nicht nur rechtzeitig eingereicht und Änderungswünsche respektiert, sondern auch mehr als geduldig auf das Erscheinen des vorliegenden Bandes gewartet haben, wobei diese Geduld auf härtere Proben als erwartet und geplant gestellt wurde. Beim wiederholten Korrekturlesen haben mich die Mitarbeiterinnen und Hilfskräfte Sarah Fissmer, Marthe-Siobhán Hecke, Nele Neumann, Lea Peters, Sabrina Rauch und Eleanor Thieser tatkräftig unterstützt. Last but not least gebühren jeweils ein sehr herzliches Dankeschön dem Verlag Brill / V&R unipress und dem CCT und damit der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, die durch Druckkostenzuschüsse das Erscheinen dieses Bandes förderten und damit im eigentlichen Sinne erst ermöglichten.
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Uwe Baumann
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Michael Herkenhoff (Bonn)
Reformation und Buchdruck
Dennoch habe ich bislang nichts herausgegeben, da vieles mich daran gehindert hat: der Betrug und die Treulosigkeit der Drucker, das Toben des Volkes, das Geschrei der Lutheraner und die Verachtung des Volkes. Ich weiß nicht, welchem Drucker ich vertrauen kann, so sehr sind alle Dinge vergiftet. Wenn ich einen Drucker hätte, würde ich auf eigene Kosten die Schriften, die herauszubringen wären, drucken lassen, nicht allein meine, sondern auch die der Italiener und Emser; diese Schurken drucken gegen Luther nichts zuverlässig.1
Der katholische Theologe Johannes Cochläus führte diese Klage in einem Schreiben an Papst Leo X. vom 21. Juni 1521. Der Brief ist in der aufgeheizten Atmosphäre kurz nach Ende des Wormser Reichstages und der Veröffentlichung des Wormser Ediktes verfasst worden. Die Äußerung verdeutlicht die Frustration und die Verärgerung, die Cochläus und andere Theologen, die der alten Kirche treu blieben, inzwischen empfanden. Die katholischen Kontroverstheologen waren nicht nur zahlenmäßig in der Minderheit. Sie hatten zugleich mit den Widrigkeiten eines Buchmarktes zu kämpfen, der sich in nur wenigen Jahren massiv gewandelt hatte. Die reformatorische Bewegung hatte auch den Buchdruck erfasst. Lutherische Schriften dominierten den Markt, und deren Druck versprach allen Beteiligten ein lohnendes Geschäft. Mit der Veröffentlichung katholischer Bücher war dagegen kein Geld zu verdienen, eine entsprechende Nachfrage fehlte fast völlig. Das Zitat von Cochläus weist auf die Bedeutung hin, die dem Buchdruck schon in der Wahrnehmung der Zeitgenossen für die reformatorische Bewegung zukam und die in der modernen Forschung spätestens seit Bernd Moellers 1979 getroffenem Diktum »Ohne Buchdruck keine Reformation«2 immer wieder diskutiert worden ist. Zuletzt hat sich der schottische Historiker Andrew Pettegree in seinem 2015 veröffentlichten Buch »Brand Luther. 1517, Printing and the 1 Übersetzt bei Schmitz (1999), 318f. 2 So Moeller (1979), 32. Zur darauf resultierenden Forschungsdiskussion vgl. Mörke (2017), 133–135.
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Making of the Reformation«, deutsch »Die Marke Luther« eingehend mit dem Buchdruck der Reformationszeit befasst.3 Anschaulich und pointiert zeichnet er den Aufstieg Luthers zum Medienstar und der Stadt Wittenberg zu einer Medienmetropole der Frühen Neuzeit nach. Pettegree hat sich in seinen Forschungen sowohl mit der Reformation als auch mit dem frühneuzeitlichen Buchdruck befasst, ist also ein ausgewiesener Experte für beide Forschungsfelder.4 Die folgenden Ausführungen werden sich mit der Entwicklung des Buchdrucks im Reformationszeitalter befassen. Der Fokus gilt den Merkmalen, Veränderungen und Rahmenbedingungen des Buchdrucks dieser Epoche. Implikationen für die Reformation werden sich dabei immer wieder ergeben. Zunächst wird kurz die Entwicklung des vorreformatorischen Buchdrucks geschildert (1), danach die charakteristischen Merkmale des Buchdrucks im Reformationszeitalter dargelegt (2), drittens im Kapitel »Buchdruck in Zeiten der Zensur« das Wormser Edikt thematisiert und dessen Auswirkungen an vier ausgewählten Beispielen problematisiert (3) und abschließend (4) wird unter der Überschrift »Ohne Buchdruck keine Reformation?« noch einmal auf die These von Bernd Moeller eingegangen. Die Ausführungen basieren vor allem auf statistischen Daten. Für den Buchdruck des 16. Jahrhunderts stehen zwei wichtige Datenbanken zur Verfügung. Das »Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts« (VD 16) ist eine retrospektive Nationalbibliographie für Druckwerke des Erscheinungszeitraumes 1501–1600.5 Ursprünglich als gedruckte Bibliographie angelegt, ist es inzwischen als Datenbank verfügbar. Nachgewiesen sind u. a. auch Veröffentlichungen aus der deutschsprachigen Schweiz, nicht aber Einblattdrucke. Leider sind die Suchmöglichkeiten beschränkt, da die aus dem gedruckten Grundwerk übernommenen Altdaten für ein Retrieval nicht entsprechend codiert worden sind. Aufgrund der umfangreichen Digitalisierungsaktivitäten der Bayerischen Staatsbibliothek und anderer deutscher Altbestandsbibliotheken sind mehr als die Hälfte der im VD 16 nachgewiesenen Titel mit Links zu Digitalisaten versehen. Die zweite Datenquelle ist der »Universal Short Title Catalogue« (USTC).6 Es handelt sich um eine Datenbank europäischer Publikationen von 1450 bis 1600 und beruht im Wesentlichen auf Dateneinspielungen aus anderen großen bibliographischen Projekten, etwa dem VD 16. Nach dem Import sind die Titel intellektuell nachbearbeitet worden. Daher sind im USTC differenziertere Su3 Pettegree (2016). 4 Vgl. vor allem Pettegree (2011), ferner Pettegree / Hall (2006) und Pettegree (2015). 5 VD 16 . 6 USTC .
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chen möglich. Die räumliche Zuordnung im USTC erfolgt jedoch nicht nach Sprachgebieten, sondern nach staatlichen Entitäten, etwa dem Heiligen Römischen Reich oder der Schweiz. Für die Reformationsgeschichte ist dies aufgrund der kommunikativen Zusammenhänge zwischen den Orten der Eidgenossenschaft und Oberdeutschland7 von Nachteil. Mit Stand 3. August 2017 weist das VD 16 106.024 Titel für den deutschen Sprachbereich, der USTC 93.415 Treffer für das Deutsche Reich nach. Die Bestände der ULB Bonn dienen als Anschauungsmaterial. Die Bonner Universitätsbibliothek verfügt über einen theologischen Altbestand von mehr als 60.000 Bänden, der noch nicht neu katalogisiert und bis auf weiteres nur über einen digitalisierten alten Zettelkatalog mühsam recherchierbar ist. Dies ist bedauerlich, da er auch zahlreiche Drucke aus der Reformationszeit enthält, darunter acht thematisch angelegte Sammelbände mit ca. 150 kleinen Schriften. Der Bestand enthält auch Titel, die bisher noch nicht im VD 16 bibliographisch nachgewiesen sind.
1.
Der vorreformatorische Buchdruck
1521 lag die Erfindung des Buchdrucks gerade einmal 70 Jahre zurück. Um 1450 hatte der Mainzer Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern erfunden. Seitdem hatte sich der Buchdruck schnell und massiv ausgebreitet und sich um 1480 von der handschriftlichen Buchproduktion gelöst. Titelblätter, Inhaltsverzeichnisse, Blatt- oder Seitenzählung sowie Register erleichterten das Lesen in dem neuen Medium. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erschienen in ganz Europa knapp 30.000 Ausgaben. Geht man für die ersten Jahrzehnte des Buchdrucks von einer durchschnittlichen Auflagenhöhe von 300–500 Exemplaren aus, so dürften in der Inkunabelzeit ca. 9–15 Millionen Bücher gedruckt worden sein, verglichen mit der bisherigen Handschriftenproduktion also eine unvorstellbare Bücherflut. Führendes Druckland des 15. Jahrhunderts war Italien, dicht gefolgt von Deutschland. Frankreich nahm mit einigem Abstand den dritten Rang ein. Der Buchdruck war von Beginn an ein städtisches Phänomen.8 In Deutschland fanden sich bereits im 15. Jahrhundert in fast allen Universitätsstädten Druckerpressen, die zumeist für die Bedürfnisse der eigenen Alma Mater und somit für einen lokalen Markt produzierten. Wichtiger für Buchdruck und Buchhandel waren aber die großen Wirtschaftszentren und Handelsmetropolen. Dort fand sich eine gebildete und wohlhabende Leserschaft, dort war Kapital vorhanden, 7 Mörke (2017), 4. 8 Flood (1998), 22.
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das zur Einrichtung und zum Betrieb der Offizinen benötigt wurde, dort konnte an überregionale Handelsbeziehungen und Vertriebsnetze angeknüpft werden, die den Absatz der Bücher weit über den eigenen lokalen Markt hinaus ermöglichten. Auch wenn für das 15. Jahrhundert europaweit über 260 Druckorte nachzuweisen sind, so konzentrierten sich Buchdruck und Buchhandel nach einigen Jahrzehnten auf nur wenige große Städte im europäischen Zentralraum: Im deutschen Sprachgebiet waren es Augsburg, Basel, Köln, Leipzig, Nürnberg und Straßburg, in Frankreich Paris und Lyon, in Italien Venedig, Mailand, Rom und Florenz. Mindestens zwei Drittel der vorreformatorischen Buchproduktion erschien in diesen 12 Städten. Deren Produktivität war so groß, dass auch die europäische Peripherie – England, Skandinavien, Osteuropa – mit Büchern aus diesen Metropolen versorgt werden konnte.9 Die Internationalität des Buchhandels war Kennzeichen der vorkonfessionellen Welt, charakterisiert durch eine einheitliche Kirche und eine gemeinsame Bildungssprache: Mehr als 70 % aller Titel erschienen auf Latein. In den ersten Jahrzehnten des Buchdrucks kam vor allem Bekanntes und Bewährtes heraus: Bibelausgaben und -kommentare, die Kirchenväter, Liturgica, theologische und juristische Kommentare, in Italien auch klassische und humanistische Texte. Buchdruck und Buchhandel stillten den Grundbedarf von Kloster- und Kirchenbibliotheken, aber auch der europäischen Gelehrtenwelt an Standardwerken, der durch die Skriptorien zuvor nicht ausreichend gedeckt worden war. Dieser Nachholbedarf dauerte gut 50 Jahre an und war ein einträgliches Geschäft für das gesamte Buchgewerbe, zumal der Nachdruck nicht verboten war. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es zu einer Absatzkrise.10 1504 klagte der Nürnberger Verleger Anton Koberger seinem Basler Geschäftsfreund Johann Amerbach über eine unverkäufliche Bibelausgabe: Es ist warlich ein unkewfflich werk. Ich hett mich versehen, er solt anders von statt gangen sein. Aber der handel der bucher ist so gancz nichtz mer, das ich nicht weiß, was man machen möchte … Woll habe ich das gesant allenthalben jn das lantt. Die pleyben do liegen und wirt nichtz domitt geschafft.11
Und wenig später bemerkte er, wiederum in einem Brief an Amerbach: Man hatt die pfaffen So ganncz außgelertt mit den buchern, so vil Gelcsz von in czogen, Das [sie] nit mer dar an wollen.12
9 10 11 12
Pettegree (2016), 23, und ausführlicher Petteegree (2011), 65–90. Zur Absatzkrise vgl. Burkhardt (2002), 25f.; Wittmann (1999), 48. Zitiert bei Wittmann (1999), 48. Zitiert bei Wittmann (1999), 48.
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Der Nachholbedarf war an der Jahrhundertwende gestillt, der Markt gesättigt. Die Buchdrucker sahen sich mit dem Problem bestehender Überkapazitäten konfrontiert, d. h. sie konnten mangels Nachfrage ihre Pressen nicht mehr adäquat auslasten. Zudem mussten sie neue Texte für den Druck und neue Märkte für den Absatz ihrer Bücher suchen. Daraus jedoch eine existentielle Krise des Buchdrucks abzuleiten oder gar zu mutmaßen, die Erfindung des Buchdrucks sei noch reversibel gewesen, wie es Johannes Burkhardt in seiner Darstellung des Reformationsjahrhunderts suggeriert,13 ist allerdings ein Fehlschluss. Dazu waren die offensichtlichen Vorteile des Buchdrucks – die schnellere Herstellung von Büchern, die Verbilligung und damit leichtere Zugänglichkeit der Literatur sowie der nachhaltige Charakter des Gedruckten14 – schon für die Zeitgenossen zu offensichtlich. Auch der eingangs zitierte Johannes Cochläus lobt in seiner 1512 veröffentlichten Brevis Germaniae descriptio die Erfindung des Buchdrucks ausdrücklich: Kein Sterblicher habe etwas Heilsameres erfunden als die Druckkunst.15 Zudem war der Buchdruck schon in seiner Frühzeit offen für neue Texte und neue Medienformen. Bereits 1454, ein Jahr nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels, druckte Gutenberg den sogenannten Türkenkalender, Eyn manung der cristenheit widder die durken, der die christlichen Mächte zum Kampf gegen die Türken aufrufen sollte. Diese kleine Schrift ist das erste Druckerzeugnis, das sich als Flugschrift bzw. Pamphlet charakterisieren lässt, also eine mit wenig Aufwand hergestellte Veröffentlichung, die zur Information, Dokumentation oder Agitation einsetzbar ist.16 Reise- und Entdeckungsberichte fanden im Laufe des 15. Jahrhunderts ebenso ihren Niederschlag in Flugschriften wie politische und religiöse Auseinandersetzungen. Mit Erasmus von Rotterdam wies das beginnende 16. Jahrhundert auch den ersten internationalen Bestsellerautor und Medienstar auf.17 Die auf Latein veröffentlichten Satiren, theologischen und kirchenkritischen Schriften des berühmten und weit verehrten Humanisten wurden in hoher Auflagenhöhe gedruckt, waren in der Regel schnell ausverkauft und erfuhren zahlreiche Nachdrucke. Erasmus war vermutlich der erste Autor, der von den Honoraren seiner Verleger leben konnte. 1514 ließ er sich in Basel nieder und begann eine enge, fruchtbare Zusammenarbeit mit Johann Froben, einem der führenden Drucker und Verleger der Zeit. In dessen Verlag erschien 1516 das von Erasmus herausgegebene Novum Instrumentum omne, eine griechische Ausgabe des Neuen Testaments. Den Text hatte Erasmus aus verschiedenen griechischen Hand13 14 15 16
Burkhardt (2002), 26. Widmann (1973), 38. Cochläus (2010), 42. So Harms (1989), 623. Zur Problematik der Flugschriftendiskussion s.a. Schwitalla (1999), 4–7. 17 Zu Erasmus’ Stellung auf dem frühneuzeitlichen Buchmarkt vgl. Pettegree (2011), 82–86.
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schriften neu ediert und damit die bisher gültige Bibelfassung, die lateinische Vulgata, relativiert. Verbesserte Neuauflagen erschienen 1519, 1522, 1527 und 1535. Mit dem Neuen Testament ist zugleich die Brücke zu Luther und zur Reformation geschlagen, denn die verbesserte zweite Auflage von 1519, nun Novum Testamentum benannt, nutzte Luther, als er 1521/22 auf der Wartburg das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übertrug. Der vorreformatorische Buchdruck befand sich also in einer Absatz- und Wachstumskrise, wies aber zugleich sehr viel Kapazitäten sowie Potenzial für neue Texte und neue Publikationsformen auf. Eine »Informationstechnologie auf der Suche nach einem Medienereignis«,18 so charakterisiert Johannes Burkhardt diese Epoche der Buchgeschichte. Mit der Reformation war dieses Medienereignis gekommen.
2.
Charakteristika des reformatorischen Buchdrucks
Am 31. Oktober 1517 sandte Martin Luther seine 95 Thesen an den Erzbischof Albrecht von Magdeburg. Überliefert sind die Thesen in drei Ausgaben, je einem Nürnberger und Leipziger Einblattdruck sowie einer kleinen Basler Libell-Ausgabe. Dies ist eine für eine auf Latein verfasste und an die akademische Gelehrtenwelt gerichtete Disputationsankündigung schon ungewöhnliche Rezeption. Ab 1518 schlug sich die neue religiöse Bewegung sehr schnell und sehr nachhaltig im deutschen Buchdruck nieder. Dieser zeichnete sich für ca. eine Generation durch charakteristische Merkmale und Schwerpunkte aus, die die Reformationszeit als eigene Epoche der deutschen Buchdruckgeschichte kennzeichnen, die sich deutlich von der vorreformatorischen Zeit als auch von den Jahren nach 1555 abhebt. Aus buchhistorischer Sicht ist das augenfälligste und signifikanteste Merkmal des Reformationszeitalters der dramatische Anstieg der Buchproduktion.19 Erschienen 1517 noch 441 Ausgaben im deutschen Sprachbereich, so waren es 1518 schon 661 und 1519 bereits 804. Möglicherweise war es, wie Lyndal Roper annimmt, die zweiwöchige Leipziger Disputation zwischen Luther, Karlstadt und Johannes Eck im Sommer 1519, die eine breitere Öffentlichkeit für die reformatorische Bewegung mobilisierte und eine Explosion des Buchdrucks herbeiführte.20 Zwischen 1520 und 1525 kamen jährlich über 1.000 Ausgaben heraus. Der Gipfel war 1524 mit fast 1.500 Titeln erreicht. Die Produktion erreichte in diesem Jahr ein Niveau, das erst 1560 übertroffen wurde. 18 Kapitelüberschrift bei Burkhardt (2002), 17. 19 Kaufmann (2015), 26. 20 Roper (2016), 165.
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Nach 1525 fiel die Buchproduktion deutlich ab. Sie lag zwar noch immer signifikant über dem Niveau der vorreformatorischen Zeit, konnte die Spitzenwerte der ersten Hälfte der 1520er Jahre aber nicht mehr erreichen. Nimmt man die Buchproduktion als Maßstab, war spätestens mit dem Jahr 1525, dem Jahr des Deutschen Bauernkriegs, ein Scheitelpunkt der Reformation erreicht, die danach an Breitenwirkung verloren hat.
VD 16 2500 2000 1500 1000 500 0
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Abb. 1: Dt. Buchdruck 16 Jh. (VD 16)21
Die weitere Entwicklung der deutschen Buchproduktion lässt sich bis zum Augsburger Religionsfrieden als eine »Fieberkurve der Reformation« lesen. Wir sehen einen nochmaligen deutlichen Anstieg der Produktion im Jahre 1530, dem Jahr der Veröffentlichung der Confessio Augustana. Die 30er Jahre sind vergleichsweise ruhig. Die zunehmenden Spannungen im Reich zu Beginn der 40er Jahre schlagen sich dann auch in der Buchproduktion nieder. Im Osten war es die 1542 erfolgte Absetzung des katholischen Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel durch die Führer des Schmalkaldischen Bundes, die zu einer sehr heftig geführten publizistischen Fehde führte, in die sich auch Luther vehement einmischte. Im Westen des Reiches bewirkte der gescheiterte Kölner Reformationsversuch eine Steigerung der Buchproduktion am Rhein, auch Bonn trat 1543 erstmals als Druckort in Erscheinung. Theodor Schlüter listet im bibliographischen Teil seiner einschlägigen Studie 265 Drucke auf, die zwischen 1540 und 1553 erschienen, der ganz überwiegende Teil davon zwischen 1542 und 1546.22 1545 und 1546 kamen 21 Stand der Datenerhebung: 3. 8. 2017. 22 Schlüter (2005). Katalog ebd. 159–355.
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jeweils über 1.000 Ausgaben im deutschsprachigen Gebiet heraus. 1547, im Jahr des Schmalkaldischen Krieges, fiel die Buchproduktion auf unter 600 Ausgaben und damit auf ein vorreformatorisches Niveau zurück. Danach stieg sie wieder rapide an und erreichte 1550 nahezu das Level der 20er Jahre. Jetzt war es der Streit um das 1548 von Karl V. auf dem Reichstag von Augsburg verkündete Interim, der Zwischenlösung in der Religionsfrage, die sich auf den Buchdruck auswirkte. Es war diesmal nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten, sondern vor allem auch ein Streit innerhalb des evangelischen Lagers um die Deutungshoheit über die wahre Lehre Luthers. Zentrum des Widerstands gegen das Interim war Magdeburg. Die Stadt stieg zwischen 1548 und 1552 vorübergehend zu einem der wichtigsten deutschen Druckorte auf.23 Deutschland löste im Laufe des 16. Jahrhunderts Italien als führendes Druckland in Europa ab. Die Reformation war dabei sicher ein Faktor. Maßgeblicher dürfte jedoch gewesen sein, dass das 16. Jahrhundert in Deutschland, trotz Bauernkrieg und Schmalkaldischem Krieg, vergleichsweise friedlich verlief und die Buchproduktion deshalb keine nennenswerten Beeinträchtigungen erfuhr. Dagegen litt das italienische Buchgewerbe bis 1559 unter den französischspanischen Kriegen um die Vorherrschaft auf der apenninischen Halbinsel, das französische seit 1562 unter den langjährigen Hugenottenkriegen. 2500
2000
1500 Deutsches Reich Italien
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Frankreich
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Jahre: 1501–1600
Abb. 2: Europäische Buchproduktion 16. Jh. (USTC)24
23 Hierzu grundlegend Kaufmann (2003). Bibliographie der zwischen 1548 und 1552 in Magdeburg erschienen Drucke ebd., 493–554. 24 Stand der Datenerhebung: 20. 9. 2017.
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Die Dominanz Luthers ist ein weiteres Merkmal des reformatorischen Buchdrucks. Der Wittenberger Augustinereremit hatte vor 1517 nur wenig veröffentlicht, stieg aber 1518 im deutschen Sprachbereich schlagartig zum meistveröffentlichten Autor auf und ließ auch Erasmus von Rotterdam weit hinter sich. Sein erster großer Erfolg auf dem Buchmarkt war eine kurze deutsche Zusammenfassung seiner 95 Thesen, der Ende März 1518 veröffentlichte Sermon von Ablaß und Gnade. Dieser erschien bis 1520 in 26 Auflagen, davon mindestens 15 noch im Laufe des Jahres 1518,25 und machte die Ablassthesen Luthers damit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Insgesamt wurden 1518 mindestens 17 Schriften Luthers in 95 Auflagen veröffentlicht. Doch dies war erst der Beginn des Aufstiegs zu einem veritablen Medienstar. Luther war der erste, der brillant und gezielt den Buchdruck zur Verbreitung seiner theologischen Erkenntnisse nutzte.26 Und der Druck von Lutherschriften war ein lohnendes Geschäft für das deutsche Buchgewerbe. Einem Wittenberger Erstdruck folgten in aller Regel zahlreiche Nachdrucke in anderen Städten. Der Zenit von Luthers Popularität war ausweislich des VD 16 1523 erreicht. 451 Ausgaben weisen Luther als Verfasser oder Beiträger aus. Dies entspricht gut 30 % der Jahresproduktion.
Lutherausgaben 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0
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Abb. 3: Lutherausgaben 16. Jh. (VD 16)27
25 Benzing (1966/1994), Nr. 90–114, 91a. Das VD 16 weist bisher 25 Ausgaben nach: VD L 6265– 6268, 6270–6290. 26 Roper (2016), 160. Die dominante Stellung Luthers auf dem deutschen Buchmarkt betonen auch Burkhardt (2002), 29, und Kaufmann (2015), 25. 27 Stand der Datenerhebung: 27. 4. 2017.
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Nach 1523 nimmt die Lutherrezeption ab, nach dem Bauernkrieg sogar deutlich. Luther hat nach 1525 nicht nur deutlich weniger geschrieben, seine Schriften erfuhren auch nicht mehr so viele Nachdrucke. Kamen bis 1525 auf einen Erstdruck sechs Nachdrucke, so war danach die Ratio 1:3, also drei Nachdrucke auf einen Erstdruck.28 Die Lutherrezeption blieb im Folgenden sehr konstant, pendelte in der Regel zwischen 50 und 100 Ausgaben jährlich. Insgesamt erschienen im deutschen Sprachgebiet bis zum Ende des 16. Jahrhunderts über 7.000 Auflagen von Luthers Werken, für einen einzelnen Autor eine bis dahin unvorstellbare Rezeption. Ein weiteres Charakteristikum des reformatorischen Buchdrucks ist die Flugschriftenwelle, die 1518 einsetzte und vor allem die Hochphase der Reformation bis ca. 1525 prägte. Flugschriften wurden im Quartformat gedruckt, umfassten also jeweils 4 Blatt bzw. 8 Seiten pro Lage. Im USTC sind auch die Formate der Bücher codiert und somit recherchierbar. Die Grafik (Abb. 4) veranschaulicht ausweislich des Quartformats die enorme Zunahme des Flugschriftendrucks in den ersten Jahren der Reformation. Die Steigerung der Buchproduktion in der Reformationszeit ist also primär auf eine Flugschriftenwelle zurückzuführen.29 Der Begriff Flugschrift charakterisiert keine literarische Gattung, sondern einen Medientyp.30 Inhaltlich kann eine Flugschrift vieles enthalten: Briefe, Sendbriefe, Predigten, Traktate, Lieder, Gedichte, Dialogschriften etc. Besonders charakteristisch für die Flugschriften der Reformationszeit ist, dass sie überwiegend anonym oder unter einem Pseudonym verfasst worden sind. Die Verfasser der Flugschrifttexte geben sich häufig als Bauern und unwissende Laien aus. In der Regel handelte es sich aber um Kleriker oder Humanisten, also um Angehörige der Bildungsschicht.31 Die Flugschriften der Reformationszeit sind seit Beginn der 1980er Jahre verstärkt untersucht worden, vor allem im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs an der Universität Tübingen unter Leitung von Hans-Joachim Köhler. Die damals angenommene Höhe der Flugschriftenproduktion – Köhler ging von 10.000 Flugschriften für die Zeit von 1501–1530 aus, eine in der Forschung immer wieder zitierte Größenordnung32 – hat sich zumindest bisher nicht verifizieren 28 Vgl. dazu Edwards (2005), 18f. 29 Vgl. zum Folgenden Köhler (1986); Köhler (1987); Mörke (1995); Flood (1999), 43ff.; Schilling (1993); Schmitz (1999), 278ff.; Schwitalla (1999); Edwards (2005); Bagchi (2006); Faulstich (2006), 144ff.; Rosseaux (2010). 30 Schwitalla (1999), 7. 31 Anders Bagchi (2006). Er sieht in den Verfassern der Flugschriften eher ungelernte Schreiber, die ihre Werke mit Bezügen zu Autoritäten anreicherten, als gelernte Schreiber, die sich selber als ungebildet ausgeben würden. 32 Köhler (1986a), 249.
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Reformation und Buchdruck
lassen. Die von ihm herausgegebene Bibliographie der Flugschriften 1501–1530 ist ein Torso geblieben. Der 1996 veröffentlichte dritte Band endet mit dem Buchstaben »S« und der laufenden Nummer »4282«.33 Dies deutet auf eine Gesamtsumme deutlich unterhalb der Zahl 10.000 hin. 1400 1200 1000 800 2° 600
4° 8°
400
0
1 5 9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97
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Jahre: 1501–1600
Abb. 4: Flugschriftenwelle 16. Jh. (USTC)34
Nach den Erkenntnissen des Tübinger Projektes waren Flugschriften in der Regel sehr kurz.35 In 50 % der Fälle umfassten sie nicht mehr als acht Blatt und im Schnitt nur 16. Daraus ergeben sich mehrere Implikationen. Flugschriften waren wegen des geringen Papierbedarfs billig in der Herstellung. Auch eine vierstellige Auflagenhöhe konnte innerhalb weniger Tage gedruckt werden, und aufgrund der Beliebtheit Luthers und anderer Reformatoren war der Verkauf dieser Schriften über lange Zeit garantiert. Der Druck von Flugschriften stellte also ein lohnendes und risikoarmes Geschäft mit überschaubaren Kosten dar, die sich durch den raschen Verkauf der Auflagen schnell wieder amortisierten. Flugschriften waren somit gerade für Berufsanfänger oder für Drucker mit wenig Kapital eine attraktive Publikationsform. Flugschriften waren auch für den Käufer relativ billig. Köhler kalkuliert mit Preisen von 1–2 Pfennig pro Lage, umgerechnet den Kosten für ein Huhn, ein Kilo Fleisch oder einem Drittel des Tageslohns eines reisenden Handwerkers.36 Der Erwerb von Flugschriften war möglich auch für Kreise, die sich bis dahin 33 34 35 36
Köhler (1991–1996). Stand der Datenerhebung: 3. 8. 2017. Köhler (1987), 324f. Köhler (1987), 325.
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Bücher nicht leisten konnten. Der geringe Preis schließt wiederum aus, dass Flugschriften primär für den überregionalen Buchhandel gedruckt wurden. Dazu waren die entsprechenden Gewinnspannen zu klein. Flugschriften wurden eher für einen lokalen, begrenzten Markt hergestellt, so dass sich aus Inhalten und Auflagenzahl auch Rückschlüsse über die Rezipientenerwartungen am jeweiligen Druckort ziehen lassen. Charakteristisch für den Flugschriftendruck ist das Übergewicht der deutschsprachigen Titel. Erschienen 1517 noch fast 72 % aller Veröffentlichungen in Latein, so nahm ab 1518 die Zahl der auf Deutsch erschienenen Flugschriften und Bücher kontinuierlich zu. 1520 kamen erstmals mehr Werke in der Volkssprache heraus. Auf dem Höhepunkt der Flugschriftenwelle in den Jahren 1523–1525 betrug der deutschsprachige Anteil jeweils zwischen 78 und 80 %. Danach nahm er wieder ab, lag aber während der gesamten Reformationszeit kontinuierlich über 50 %. Dieser Effekt war jedoch nicht dauerhaft. In den letzten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts dominierte wieder der lateinisch-sprachige Buchdruck. 1400 1200 1000 800 Latein
600
Deutsch
400
0
1 5 9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97
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Jahre: 1501–1600
Abb. 5: Lateinische und deutsche Drucke im 16. Jh. (USTC)37
Die Wende hin zur deutschen Sprache hatte Luther 1518 mit dem Sermon von Ablaß und Gnade eingeleitet und sich damit bewusst über den Klerus hinweg an die Laien gewandt. Wie gezielt und überlegt er Sprachen zur Adressierung unterschiedlicher Leserkreise einsetzte, zeigen seine drei großen Bekenntnisschriften vom Herbst 1520. Die im August veröffentlichte Schrift An den christ37 Stand der Datenerhebung: 3. 8. 2017.
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lichen Adel deutscher Nation richtete sich an die weltlichen Hoheitsträger im Reich und erschien deshalb auch nur in deutscher Sprache. Die hohe Erstauflage von 4.000 Exemplaren war innerhalb von 14 Tagen ausverkauft.38 Bis Jahresende erschienen 13 weitere Auflagen. Eine lateinische Ausgabe kam nicht heraus.39 De captivitate Babylonica, im September veröffentlicht, war ein fundamentaler Angriff auf die Sakramentenlehre der katholischen Kirche. Adressat war der deutsche bzw. europäische Klerus, die Sprache Latein. Mindestens 10 Auflagen erschienen bis 1524, darunter auch jeweils eine in Leiden und Antwerpen sowie zwei in Paris.40 Ironischerweise übersetzte ein publizistischer Gegner Luthers, der elsässische Franziskaner Thomas Murner, dieses Werk in die deutsche Sprache, möglicherweise weil er dachte, dadurch Luther schaden zu können. Seine Übersetzung erschien in fünf weiteren Ausgaben.41 Die letzte Schrift, Von der Freiheit eines Christenmenschen, erschien am 20. November parallel auf Latein und Deutsch, richtete sich also an die gesamte Christenheit.42 Die deutsche Fassung erfuhr 21 Auflagen, die lateinische 10, darunter auch drei Ausgaben in Antwerpen und eine in Zwolle. Der Begleitbrief an Papst Leo X. war nur der lateinischen Ausgabe beigedruckt.43 Spektakulär war der Erfolg von Luthers Bibelübersetzung, damit bewegen wir uns allerdings schon außerhalb des Bereichs der Flugschriften. Der im September 1522 erfolgten Wittenberger Erstausgabe des Neuen Testaments (Septembertestament) folgten nicht nur im Dezember eine überarbeitete zweite Ausgabe (Dezembertestament), sondern zahlreiche Nachdrucke. Bis Ende 1525 erschienen mindestens 43 Auflagen, darunter auch viele in kleineren Formaten, Quart oder Oktav.44 Die ULB Bonn besitzt u. a. einen seltenen, 1524 in Straßburg veröffentlichten Oktavdruck, der im VD 16 bisher noch nicht nachgewiesen ist (Abb. 6).
38 Pettegree (2016), 142. 39 Benzing (1966/1994), Nr. 683–697, 692a. Eine italienische Übersetzung erschien erst 1533 in Straßburg. Ebd. Nr. 698. 40 Ebd., Nr. 704–711, 706a, 710a. Das VD 16 L 4186 verzeichnet zudem eine lateinische Ausgabe, Straßburg 1520, die bei Benzing nicht nachgewiesen ist. 41 Ebd., Nr. 712–716. 42 Ebd., Nr. 734–754. 43 Ebd., Nr. 755–764. Die lateinische Ausgabe wurde im Laufe des 16. Jhs. wiederum in verschiedene europäische Sprachen übersetzt. S. ebd. Nr. 765–769, 766a, 766b. 44 Edwards (1994), 123.
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Abb. 6: Das gantz neüre Testament recht grüntlich teüscht. Straßburg 152445
45 Signatur ULB Bonn: Ga 289/42, Rara.
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Die Verwendung der deutschen Sprache blieb natürlich nicht auf Luther beschränkt. Viele andere Reformatoren wie etwa der Humanist Ulrich von Hutten wandten sich gleichfalls der Volkssprache zu: Latein ich vor geschrieben hab, das war ein jeden nicht bekannt. Jetzt schrei ich an das Vaterland Teutsch Nation in ihrer Sprach Zu bringen diesen Dingen Rach.46
formulierte Hutten 1520 in seiner Clag und Vermahnung. In der Folgezeit stieg er zu einem der einflussreichsten Parteigänger Luthers auf. Die deutsche Sprache verschaffte den reformatorischen Autoren einen großen Vorteil gegenüber den katholischen Publizisten. Diese veröffentlichen überwiegend auf Latein. Sie sträubten sich dagegen, Glaubensfragen auf Deutsch zu erörtern und konnten dadurch die lesefähigen, aber nicht lateinkundigen Bevölkerungsschichten nicht erreichen.47 Kaum überraschend dominierten im Buchdruck der Reformationszeit die religiösen Inhalte. Umfassten theologische Werke vor der Reformation im Schnitt ein gutes Drittel der jeweiligen Jahresproduktion, so stieg der Anteil laut USTC ab 1518 deutlich an, lag im Spitzenjahr 1524 sogar über 83 %. Danach nahm die Dominanz religiöser Inhalte langsam wieder ab, lag aber auch weiterhin deutlich über dem Level der vorreformatorischen Zeit. Auf Basis einer ausgewählten Testmenge von 356 Flugschriften der Zeit von 1500–1530 hat Hans-Joachim Köhler eine differenziertere Untersuchung vorgenommen.48 Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass die Themen »Theologie und Kirche« die absolute Spitzenposition einnehmen. Bei den 285 untersuchten deutschen Flugschriften behandeln nur sechs keine theologischen Themen, bei den 71 lateinischen nur drei. Das mit Abstand am häufigsten diskutierte Thema ist das Schriftprinzip, mit dem sich zwei Drittel aller Flugschriften auseinandersetzen. Dies gilt sowohl für reformatorische als auch für katholische und täuferische Schriften. Danach folgt die Rechtfertigungslehre, die aber nur in den reformatorischen Schriften prominent vertreten ist, während sie in anderen Flugschriften deutlich zurücktritt.
46 Zitiert bei Bernstein (1988), 100. 47 Vgl. Edwards (2005), 28–37. 48 Köhler (1986), 259.
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Prozent Religiöses 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1
5
9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97 Jahre: 1501–1600
Abb. 7: Anteil religiöser Inhalte im dt. Buchdruck des 16. Jhs. (USTC)49
Das Übergewicht religiöser und reformatorischer Inhalte hatte zugleich einen Verdrängungsprozess zur Folge. In der Reformationszeit bricht die Drucküberlieferung zahlreicher Texte ab, die in den ersten Jahrzehnten des Buchdrucks noch zahlreiche Auflagen erfuhren. Beststeller im 15. Jahrhundert waren etwa die Ars minor des Donat, das Doctrinale des Alexander de Villa oder die Legenda aurea. Diese Titel erschienen ab 1518 kaum noch im Druck. Allerdings ging die Drucklegung dieser Werke im deutschen Buchdruck schon in den Jahren vor 1517 deutlich zurück.50 Insofern hat die Reformation nur eine Entwicklung beschleunigt, die ohnehin schon längst eingetreten war.
3.
Buchdruck in Zeiten der Zensur
Das Wormser Edikt vom Mai 1521 bildete den rechtlichen Rahmen für den Buchdruck der Reformationszeit.51 Es enthält nicht nur die Verhängung der Reichsacht über Luther und ein Verbot seiner Schriften. Untersagt wurde auch das Schreiben, Drucken, Kaufen, Verkaufen und Besitzen aller Schmähschriften, die sich gegen den Papst, Prälaten, Fürsten, Universitäten usw. richteten, also nicht allein der Schriften Luthers. Damit »die hochberühmbte kunst der dru49 Stand der Datenerhebung: 20. 9. 2017. 50 Rechercheergebnisse laut USTC für die drei Titel für das Deutsche Reich (»Holy Roman Empire«): Donat 1450–1500: 163 Ausgaben, 1501–1517: 6, 1518–1555: 1. Alexander de Villa 1450–1500: 153 Ausgaben, 1501–1517: 9, 1518–1555: 3. Legenda aurea 1450–1500: 71 Ausgaben, 1501–1517: 4 Ausgaben, 1518–1555: 0. 51 Vgl. zum Folgenden v. a. Eisenhardt (1970) sowie Schmitz (1999), 302ff.
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ckerei allein in guten und löblichen sachen gepraucht und geübt werde«, ordnete Karl V. zudem eine Vorzensur an, die durch den jeweiligen Ortsbischof bzw. die zuständige Fakultät der nächstgelegenen Universität ausgeübt werden sollte. Folgerichtig trägt der Titel des Wormser Edikts den Zusatz Auch gesatz der Truckerey.52 Die Versendung des Ediktes erfolgte noch von Worms aus. Einzelne Fürsten ließen es nachdrucken, um die Bestimmungen in ihren Territorien besser verbreiten zu können. Die ULB besitzt einen Plakatdruck, der als Makulatur aus mehreren Bänden einer Bibel gelöst worden ist. Er datiert auf den 6. September 1521 und stammt von dem Würzburger Bischof Konrad von Thüngen, der seine Untertanen anweist, den Bestimmungen des Ediktes in allen Punkten nachzukommen (Abb. 8).
Abb. 8: Edikt des Würzburger Bischofs Konrad von Thüngen (1521)53
Der Nürnberger Reichstagsabschied von 1524 nahm auf die Bestimmungen des Wormser Ediktes Bezug, zu dessen genauester Beobachtung aufgerufen wurde. Die Vorzensur blieb. Die Stände wurden zusätzlich beauftragt, die Druckereien in ihren Gebieten regelmäßig zu beaufsichtigen.54 Der Speyrer Reichstagsabschied von 1529 konkretisierte die Vorzensur. Verständige Personen sollten von der jeweils zuständigen örtlichen Obrigkeit mit der Prüfung von Manuskripten betraut werden, bevor diese in den Druck gingen. Die Protestation der evangelischen Stände gegen den Abschied richtete sich nicht gegen die Zensurbestimmungen, mit diesen waren sie einverstanden.55 Der Reichstagsabschied von Augsburg 1530 verschärfte die Bestimmungen nochmals. Alle Schriften, die die Vorzensur passiert hatten, mussten auf dem Titelblatt den Namen des Druckers (Vor- und Zuname) sowie eine Angabe des Druckortes enthalten. Bücher mit beanstandetem Inhalt durften nicht mehr verkauft werden, bei Verstößen wurden allen Beteiligten mit der Einziehung des 52 DRTA JR, Bd. 4, Nr. 92, 640–659. Digitalisat des Wormser Plakatdrucks des Edikts im rheinland-pfälzischen Digitalisierungsportal Dilibri . 53 Signatur ULB Bonn: 1° 162, Rara. 54 Eisenhardt (1970), 28. 55 Ebd., 29.
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gesamten oder teilweisen Vermögens gedroht.56 Spätere Reichstagsabschiede und Polizeiordnungen verschärften im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Bestimmungen noch weiter. Seit 1521 war also der Druck, Verkauf und Handel sowie der Besitz lutherischer und anderer kirchen- und papstkritischer Schriften streng verboten. Die Durchsetzung der gesetzlichen Bestimmungen in dem territorial stark zergliederten Reich mit seinen zahlreichen großen und kleinen Druckorten war jedoch schwierig. Viele Stände sympathisierten heimlich oder offen mit Luther und seinen Lehren und waren deshalb nicht gewillt, den einträglichen Druck und Handel reformatorischer Schriften zu unterbinden. In einer prekären Situation befanden sich die Reichsstädte.57 Einerseits mussten sie Rücksicht auf den Kaiser als unmittelbare Obrigkeit nehmen. Andererseits war in vielen Reichsstädten die reformatorische Bewegung besonders stark ausgeprägt. Damit standen die Magistrate unter dem Druck ihrer eigenen Bevölkerung, sich der Reformation zuzuwenden. Die Umsetzung des Wormser Ediktes verlief deshalb unterschiedlich, häufig jedoch nur sehr schleppend und ohne großen Nachdruck. Fallbetrachtungen einzelner Druckorte ergeben deshalb ein jeweils sehr differenziertes Bild, das sich von der allgemeinen Entwicklung des deutschen Buchdrucks teilweise deutlich unterscheidet. Köln war im 15. Jahrhundert der größte deutsche Druckort.58 Ulrich Zell, ein Geselle Gutenbergs, kam bereits 1464 in die Domstadt und ließ sich dort als erster Drucker nieder. Ca. 20 weitere Drucker lassen sich für das 15. Jahrhundert nachweisen. Der Schwerpunkt der Buchproduktion lag auf der theologischen und lateinischen Literatur. Der Anteil der deutschsprachigen Titel war gering. Wichtig für den Kölner Buchdruck war die einflussreiche Universität. Diese hatte wohl schon 1475 ein Zensurrecht inne. 1479 verlieh Papst Sixtus IV. ihr die Befugnis, gegen die Drucker, Käufer und Leser verwerflicher Schriften vorzugehen. Nach Ausbruch der Reformation positionierten sich Stadt und Universität schnell gegen Luther und dessen Lehre. Eine Universitätskommission verurteilte am 30. August 1519 eine Ausgabe früher Lutherschriften als häretisch. Die Bannbulle Papst Leos X. wurde im Herbst 1520 in Köln gedruckt und am 12. November öffentlich verlesen. Der Rat versuchte, durch konkrete und ausführliche Vorschriften eine strenge Kontrolle des Buchgewerbes vorzunehmen. Er erließ zahlreiche Verbote lutherischer Bücher, auch unter Verweis auf das kaiserliche Mandat. In den Ratsprotokollen finden sich viele Hinweise auf 56 Ebd., 29f. 57 Pettegree (2016), 211–213. 58 Zum Kölner Buchdruck des 16. Jhs. vgl. zahlreiche Arbeiten von Wolfgang Schmitz: Schmitz (1984), Schmitz (1990), Schmitz (1999), 321–325, Schmitz (2016).
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Vorladungen und Hausdurchsuchungen bei Bürgern sowie Druckern und Buchhändlern. Die 1518 einsetzende reformatorische Flugschriftenwelle erfasste Köln nicht. Die Buchproduktion blieb über lange Jahre stabil und stieg erst in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts signifikant an. Gedruckt wurden sowohl die Schriften Kölner Gegner Luthers, etwa des Dominikaners Jacobus van Hoogstraten, wie auch die Werke auswärtiger katholischer Kontroverstheologen. Ab 1523 erschienen in Köln bei Peter Quentell auch zahlreiche Ausgaben von Werken des Johannes Cochläus. In den 40er Jahren kamen in den Kölner Offizinen viele Schriften heraus, die gegen den Reformationsversuch Hermann von Wieds Stellung bezogen. 250
Köln
200 150 100
0
1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 97 100
50
Jahre: 1501–1600
Abb. 9: Kölner Buchdruck im 16. Jh. (VD 16)59
Dennoch, der Kölner Buchdruck blieb von der Reformation nicht unbeeinflusst. Auch in der Domstadt erschienen Schriften Luthers und andere protestantische Drucke. Sogar drei Ausgaben von Luthers Neuem Testament lassen sich für Köln bis 1530 nachweisen. Einige Verleger wie Hiero Fuchs, Eucharius Hirtzhorn und Arnt von Aich scheinen Anhänger der Reformation gewesen zu sein. Wolfgang Schmitz, der beste Kenner des Kölner Buchdrucks dieser Zeit, spricht von einem nicht zu vernachlässigendem evangelischen Element im Kölner Buchwesen und vermutet, dass die evangelische Buchproduktion höher war als heute bekannt.60 Schmitz hat zudem beobachtet, dass wie in Städten der Reformation auch in Köln die Drucküberlieferung von traditionellen Erbauungsbüchern wie Passien und Legenden in den 20er Jahren abbricht und konstatiert bei deutschsprachigen
59 Stand der Datenerhebung: 27. 4. 2017. 60 Schmitz (1984), 144. Vgl. dazu vor allem Schmitz (2016).
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Drucken einen steigenden Anteil des Hochdeutschen gegenüber dem bisher vorherrschenden Ripuarischen.61 Trotz dieser Einschränkungen, Köln blieb eine Bastion des katholischen Schrifttums und entwickelte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte neben Antwerpen und Paris zu einem der Zentren der katholischen Konfessionskultur. Ein völlig anderes Bild ergibt eine Betrachtung der Augsburger Produktion.62 In der schwäbischen Reichsstadt setzte der Buchdruck 1468 ein. Die Stadt entwickelte sich im 15. Jahrhundert noch vor Nürnberg und Straßburg zu dem Zentrum für den Druck deutschsprachiger Titel. Verleger wie Anton Sorg, Hans Bämler, vor allem aber dessen Schwiegersohn Johann Schönsperger dominierten den Markt volkssprachlicher illustrierter Literatur. Um die Jahrhundertwende wurde diese Generation wohlhabender Inkunabeldrucker abgelöst durch eine neue Druckergeneration, die weniger reich und finanzkräftig war. Unmittelbar vor Ausbruch der Reformation durchschritt der Augsburger Buchdruck eine ausgesprochene Talsohle. Zwischen 1501 und 1517 wurden jährlich im Mittel nur 40 Ausgaben gedruckt. Ab 1518 schnellten die Produktionszahlen dramatisch nach oben. Augsburg war in der Hochphase der Reformation bis ca. 1525 der wichtigste Druckort für Flugschriften im Reich, ohne dass sich die Gründe für diese Spitzenstellung genau fassen lassen. Die hohen Augsburger Produktionszahlen lagen sicher auch an der nur vorsichtig und halbherzig ausgeübten städtischen Zensur.63 Zwar veröffentlichte der Rat 1521 das Wormser Edikt, doch dessen Bestimmungen ließen sich gegen den Widerstand der Stadtbevölkerung nicht umsetzen. Der Rat selbst behelligte die Drucker in der Regel nicht, entließ diese sogar 1523 aus der Verpflichtung, ihre Veröffentlichungen mit ihrem Namen zu firmieren. Eine juristische Verfolgung fand nur statt, wenn Klagen benachbarter Mächte die Stadt erreichten, die der Rat nicht verärgern wollte. Die liberale Haltung des Magistrats hatte zur Folge, dass in Augsburg Schriften jeglichen Spektrums erscheinen konnten: katholische, lutherische, zwinglianische, zeitweise auch täuferische. 1537, mit Einführung der Reformation, kam es zur Etablierung einer fest institutionalisierten Zensurbehörde, die insbesondere die katholische Literatur stärker kontrollierte. 1540 verließ der letzte katholische Drucker die Stadt, katholische Titel wurden danach in Augsburg nicht mehr gedruckt. 1541 veröffentlichte der Rat eine neue Zensurordnung, die die Herrschaft der neuen Glaubensrichtung festschrieb. Verboten wurden alle Bücher, die sich gegen die reine Lehre des Evangeliums, das Augsburger Bekenntnis und den Schmalkaldischen Bund richteten. Der Rat instrumentalisierte also die Zensurbestimmungen gegen die katholische Lehre. 61 Schmitz (1999), 322. 62 Grundlegend zum Augsburger Buchdruck Künast (1997). 63 Vgl. ebd., 197–216.
41
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Diese Situation drehte sich 1548 mit der Einsetzung eines neuen katholisch dominierten Rats durch Karl V., der nun das protestantische Schrifttum scharf kontrollierte. Letztlich kam es erst nach dem Augsburger Religionsfrieden zu einem innerstädtischen Ausgleich. 350 300
Augsburg
250 200 150 100
0
1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 97 100
50
Jahre: 1501–1600
Abb. 10: Augsburger Buchdruck im 16. Jh. (VD 16)64
Scharfe Brüche kennzeichnen den Leipziger Buchdruck.65 Vor der Reformation waren die Verlagsprogramme durch die Anforderungen der einheimischen Universität bestimmt. In den Druck gelangten vor allem Textausgaben antiker Autoren. Ein abweichendes Profil wies nur die größte Leipziger Offizin, die von Konrad Kachelofen bzw. seinem Schwiegersohn Melchior Lotter d.Ä. geleitet wurde, auf. Charakteristikum dieser Werkstatt waren liturgische Drucke für auswärtige Diözesen sowie lateinische und deutsche Erbauungsbücher.66 Die Leipziger Drucker profitierten früh vom Ausbruch der Reformation. Schon im Herbst 1517 druckte Jakob Thanner eine der drei überlieferten Ausgaben der 95 Thesen. Da der Wittenberger Buchdruck zu der Zeit relativ schwach war, gab Luther zahlreiche Schriften zum Druck in die Pleißestadt und unterhielt auch gute Beziehungen zu den dortigen Druckern. Als er im Juni 1519 mit einer großen Wittenberger Delegation zur Disputation nach Leipzig kam, quartierte er sich mit seinem Gefolge bei Melchior Lotter d.Ä. ein. Die zweiwöchige Debatte regte die Leipziger Buchproduktion zusätzlich an. 1519 und 1520 erschienen jeweils knapp 200 Ausgaben in der Stadt, ein im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts nicht mehr erreichter Wert. Der Einbruch kam mit dem Wormser Edikt. 64 Stand der Datenerhebung: 27. 4. 2017. 65 Vgl. Schmitz (1999), 311–314, Döring (2006), Fuchs (2016), Pettegree (2016), 234–239. 66 Vgl. zum vorreformatorischen Leipziger Buchdruck Döring (2006).
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Leipzig war eine Landstadt im albertinischen Herzogtum Sachsen, unterstand also der Obrigkeit des strikt katholischen Herzogs Georg des Bärtigen. Dieser setzte das Wormser Edikt rigoros um, auch das Verbot, Luthers Schriften zu drucken, zu kaufen und zu verkaufen. Nach Erscheinen des Septembertestamentes ordnete der Herzog sogar an, dass alle Käufer ihre Exemplare gegen Erstattung des Kaufpreises abzuliefern hatten.67
Leipzig 250 200 150 100 50 0
1
5
9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97 Jahre: 1501–1600
Abb. 11: Leipziger Buchdruck im 16. Jh. (VD 16)68
Als Folge dieser Maßnahmen brach das Buchgewerbe in Leipzig dramatisch ein.69 Von 1522 auf 1523 schrumpfte die Produktion auf ein gutes Drittel und verharrte lange Zeit auf diesem Niveau. Die Leipziger Drucker versuchten, das Verbot auf verschiedene Weise zu umgehen. Einige errichteten Druckereien in Kleinstädten im ernestinischen Umland, etwa in Grimma, Altenburg oder Eilenburg, die nicht dem albertinischen Herzog unterstanden. Doch die Filialen mussten nach und nach mangels Rentabilität wieder aufgegeben werden.70 Andere druckten in Leipzig heimlich lutherische Schriften, gingen dafür aber auch in Haft. Fatal für die Leipziger Buchdrucker war auch der zeitgleiche Zusammenbruch des universitären und liturgischen Buchmarktes. Im Frühjahr 1524 richtete der Leipzig Stadtrat deshalb eine Petition an den Herzog, die auf eine Beschwerde der Leipzig Drucker zurückging: Es haben sich auch die buchdrucker itzund und zuvorn oftmals kegen uns heftig beclagt, das yne yre nahrunge ganz darnyderlige … indeme das sie nichts neues, das zu 67 Schmitz (1999), 311. 68 Stand der Datenerhebung: 27. 4. 2017. 69 Anders Fuchs (2016), 110. Er führt die Probleme des Leipziger Buchdrucks in der Reformationszeit vor allem auf den Zusammenbruch des universitären und liturgischen Buchmarkts zurück, »der nur für wenige Jahre durch die Produktion reformatorischer Flugschriften verschleiert werden konnte.« 70 Fuchs (2016), 108.
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Wittenberg ader sust gemacht, alhir drugken und vorkaufen dörfen. Dann welchs man gerne kouft, und darnach die frage ist, mussen sie nit haben noch vorkaufen; was sie aber mit großen houfen bey sich liegen haben, dasselbig begert nymands und wenn sie es auch umbsust geben wolten.71
Der Herzog ließ sich nicht erweichen. Das Verbot lutherischer Schriften blieb bestehen. Dies tangierte neben dem Buchdruck auch den Buchhandel und führte u. a. zu einem Bedeutungsverlust der Leipziger Messe, weil auf dieser keine lutherischen Schriften verkauft werden durften. Das albertinische Herzogtum blieb eine Bastion des katholischen Schrifttums. Nach dem Tod des Herzogs 1539 kam es zu einer nochmaligen Kehrtwende. Sein Nachfolger, Herzog Heinrich, führte die Reformation ein und verordnete, dass zwei Ratsherren alle acht Tage zu den Buchdruckern gehen und zusehen sollten, dass nichts dan dem Evangelio gemessen gedruckt werde72, jetzt wurde also der katholische Buchdruck unterdrückt. Der Drucker Nikolaus Wolrab, der noch im Auftrag des verstorbenen Herzogs Georg und des Leipziger Rates das Werk eines katholischen Autors druckte, ging dafür in Haft und kam erst wieder frei, als er sich der Zensur unterwarf.73 Im Laufe des 16. Jahrhunderts erholte sich der Leipziger Buchdruck allmählich, konnte jedoch die in der Reformationszeit erlittenen Einbußen nicht wettmachen. Zudem hatte eine neue mächtige Druckmetropole in unmittelbarer Nachbarschaft, Wittenberg, Leipzig inzwischen überflügelt. Der Aufstieg Wittenbergs zum führenden deutschen Druckort des 16. Jahrhunderts ist aus buchhistorischer Sicht eines der erstaunlichsten Phänomene bzw. Ergebnisse der Reformation.74 Eigentlich brachte die Stadt dafür keine Voraussetzungen mit. Wittenberg war um 1500 eine unbedeutende Kleinstadt, abseits der großen Handelswege. Die Stadt zählte um die 2.000 Einwohner, war also deutlich kleiner als große Druckmetropolen wie Köln, Nürnberg oder Augsburg. Einen ersten Wachstumsimpuls verdankte die Stadt dem ernestinischen Herzog Friedrich dem Weisen, der 1502 eine kursächsische Landesuniversität, die Leucorea, in der Stadt errichtete. Im gleichen Jahr etablierte sich auch die erste Druckerpresse in der Elbestadt. Mehrere Drucker kamen und gingen, bis sich schließlich 1508 mit Johann Rhau-Grunenberg ein Drucker dauerhaft in Wittenberg niederließ, dessen Verlagsprogramm auf Kleindrucke für den Universitätsbetrieb ausgerichtet war. Seine Werkstatt befand sich im Augustinerkloster (apud Augustinianos), also in unmittelbarer Nachbarschaft Luthers.75 71 72 73 74 75
Zitiert bei Pettegree (2016), S. 236. Zitiert bei Schmitz (1999), 313. Schmitz (1999), 313f. Dazu ausgiebig Pettegree (2016). Zum vorreformatorischen Wittenberger Buchdruck vgl. Gössner (2006) und Reske (2015).
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Wi!enberg 250 200 150 100 50 0
1
5
9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97 Jahre: 1501–1600
Abb. 12: Wittenberger Buchdruck im 16. Jh. (VD 16) 76
Der Aufschwung des Wittenbergers Buchdrucks ist natürlich untrennbar mit Luther verbunden. Zu Beginn der Reformation waren aber die Kapazitäten RhauGrunenbergs zu gering, um den umfangreichen publizistischen Aktivitäten Luthers zu genügen. Wie bereits geschildert, wich Luther deshalb zunächst auf Leipziger Drucker aus. 1519 nahm er Verhandlungen mit Melchior Lotter dem Älteren auf und konnte diesen bewegen, eine Zweigstelle in Wittenberg unter Leitung seines gleichnamigen Sohnes einzurichten. Die neue Druckerpresse sollte nicht nur mit Typen aus der Leipziger Werkstatt, sondern auch mit Lettern Johann Frobens aus Basel ausgestattet werden, also mit hochwertigem Material. Anfang 1520 nahm Melchior Lotter der Jüngere seine Tätigkeit in Wittenberg auf. Da seine Produktion dreimal so groß war wie diejenige Rhau-Grunenbergs, machte sich die Initiative Luthers schon bald bezahlt. Weitere Drucker gesellten sich in den nächsten Jahren hinzu, die zunächst vor allem Flugschriften veröffentlichten. Das erste umfangreiche Wittenberger Buchprojekt war die 1522 von Melchior Lotter gedruckte Folioausgabe des Neuen Testamentes, das von Mai bis September parallel an drei Pressen in seiner Werkstatt gedruckt wurde. Der hektische Druck war erforderlich, weil das Werk noch rechtzeitig zur Frankfurter Messe im September herauskommen sollte, von daher der Name Septembertestament. Eine große Leistung war auch die überarbeitete Neuauflage, das Dezembertestament, das nur drei Monate später gedruckt vorlag. Beide Ausgaben kennzeichnen den Leistungsstand, den das Wittenberger Buchgewerbe inzwischen erreicht hatte.
76 Stand der Datenerhebung: 27. 4. 2017.
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Abb. 13: Martin Luther: Vom Kriege wider die Türcken. Wittenberg 152977
Melchior Lotter d.J. verließ 1525 Wittenberg im Streit. Zum wichtigsten Drucker entwickelte sich in der Folgezeit Hans Luft, der von 1523 bis zu seinem Tod 1584,
77 Signatur ULB Bonn: 12 an Gf 165, Rara.
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also 61 Jahre, in Wittenberg wirkte.78 Hans Luft war es auch, den Luther mit dem Druck seiner Bibelausgaben, u. a. auch der ersten Vollbibelausgabe von 1534, betraute. Charakteristisch für die Bücher Lufts wie auch anderer Wittenberger Drucker ist die enge Zusammenarbeit mit Lukas Cranach. Der seit 1505 in Wittenberg tätige Künstler hatte zu Beginn der 20er Jahre selbst eine Druckerei unterhalten, diese aber bald aufgegeben. Die in seiner Werkstatt entstandenen Holzschnitte prägten aber den Wittenberger Buchdruck. Dies gilt für die Bibelausgaben wie auch für die Titelblätter der Wittenberger Flugschriften. Diese erhielten dank Cranach ein typisches Erscheinungsbild: einen Rahmen, der aus einem einzigen Holzschnitt gesetzt war und dekorative Elemente enthielt, sowie in der Mitte ein freies Feld, in das der Titel des Werkes, sowie die Namen des Autors und der Stadt Wittenberg eingedruckt wurden. Genau dies hat Pettegree als »Marke Luther« charakterisiert.79 Auch in Wittenberg gab es die Zensur, doch deren Umsetzung stimmte natürlich nicht mit den Intentionen Karls V. überein. In den ersten Jahren der Reformation hatte Luther die politischen Interessen des Kurfürsten zu berücksichtigen, die ihm in der Regel durch seinen Freund, den kursächsischen Kanzleisekretär und Hofkaplan, Georg Spalatin, mitgeteilt wurden. Empfindlich reagierte der Kurfürst insbesondere dann, wenn Luther geistliche oder weltliche Fürsten angriff. Luther scheute sich aber nicht, Friedrich den Weisen und Spalatin vor vollendete Tatsachen zu stellen, so schon 1518, als er seine Darstellung des Augsburger Gespräches mit dem Kardinal Cajetan, die Acta Augustana, gegen den Willen des Kurfürsten veröffentlichte. Andererseits hielt Spalatin Ende 1521 den Druck mehrerer Schriften zurück, die u. a. auch gegen den Erzbischof von Mainz gerichtet waren. Nach Erlass des Wormser Ediktes setzte die Wittenberger Universität 1522 eine Zensurkommission ein. Mitglieder dieser Behörde waren die Professoren der Universität, also Luthers Kollegen. Luther war mit der Vorzensur durchaus einverstanden, sofern sich diese nicht gegen die reformatorische Lehre richtete. Er versuchte sogar die Zensur zu nutzen, um unliebsame Kollegen wie etwa Andreas Bodenstein zu Karlstadt mundtot zu machen. Von 1535 bis zu seinem Tod 1546 war Luther Dekan der Theologischen Fakultät und damit auch für die Zensur zuständig. Diese setzte er für seine reformatorischen Vorstellungen ein. Wie in Leipzig und zwischenzeitlich in Augsburg wurden also auch in Wittenberg die Zensurbestimmungen letztlich für die Reformation instrumentalisiert. 1543 gab es in Wittenberg sechs Druckereien, die insgesamt gut 80 Ausgaben herausgaben. Das Buchgewerbe war einer der größten Wirtschaftszweige der Stadt. Dies blieb so, auch nach dem Tod Luthers und dem Ende der Reformation. 78 Zu Hans Luft vgl. Pettegree (2016), 285–293. 79 S. Pettegree (2016), 158–178.
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Wittenberg war das Zentrum der lutherischen Konfessionskultur und damit auch deren Druckzentrum. Insgesamt erschienen in Wittenberg im 16. Jahrhundert über 9.500 Ausgaben, deutlich mehr als in den bisher führenden Druckmetropolen Nürnberg, Köln, Straßburg oder Leipzig.
4.
»Ohne Buchdruck keine Reformation?«
Die Reformation stellt für die Geschichte des deutschen Buchdrucks den zweiten wichtigen Einschnitt dar. Während sich um 1480 Form und Erscheinungsbild des gedruckten Buches wandelten, änderten sich seit 1517/1518 für ungefähr eine Generation dessen Inhalte, vor allem aber dessen Funktion. Das gedruckte Buch, hier inbegriffen auch die Flugschrift, entwickelte sich in der Reformation zu einem Kampf- und Propagandainstrument, dessen publizistisches Potential für theologische wie auch politische Auseinandersetzungen erstmals überdeutlich hervortrat und mit den geschilderten Zensurbestimmungen auch entsprechende Gegenmaßnahmen hervorrief. Doch welchen Einfluss hatte der Buchdruck auf die Reformation? Hätte ohne den Buchdruck die Reformation überhaupt stattgefunden? Ohne Buchdruck keine Reformation? Diese Frage ist schon insofern nicht leicht zu beantworten, weil über Leser und Nutzer des gedruckten Buches im 16. Jahrhundert nur wenig bekannt ist. Die mit Beginn der Reformation einsetzende Flugschriftenwelle, der millionenfache Druck billiger deutschsprachiger Pamphlete deutet zwar darauf hin, dass in der Reformationszeit neue Leserkreise außerhalb der bisherigen Bildungsschichten erschlossen wurden, die sich vor allem aus lesekundigen, städtischen Laien zusammensetzen. Gemessen an dem geringen prozentualen Anteil der Lesefähigen – man kalkuliert mit ca. 5 % der Gesamtbevölkerung und bis zu 30 % der männlichen Bevölkerung in den Städten80, wobei die jüngere Forschung aber inzwischen von starken regionalen Differenzen ausgeht81 – sind aber auch diese Zuwächse zu gering, um die Reformation als eine allein durch den Buchdruck ausgelöste Massenbewegung zu erklären. Die medialen und kommunikativen Zusammenhänge der Reformationszeit sind komplexer und vielschichtiger und letztlich aus buchwissenschaftlicher Sicht allein auch nicht zu beantworten. Dennoch abschließend ein Erklärungsversuch. Der abgebildete kleine Druck aus dem Bestand der ULB Bonn ist möglicherweise von Diepold Peringer, dem Bauern von Wöhrd, verfasst worden, so zumindest die Zuschreibung im VD 16 (Abb. 14).
80 Engelsing (1973), 32; Schmitz (1999), 255. 81 Siehe Würgler (2009), 93–99.
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Abb. 14: Diepold Peringer, Ein schöne außlegung über das göttlich gebet Vatter vnser … o.O. o.J82
Peringer gibt sich als armer Bauer aus, der weder lesen noch schreiben kann. Tatsächlich war er ein schwäbischer Mönch oder Kleriker, der Latein, möglicherweise sogar Hebräisch beherrschte. Er predigte von Dezember 1523 bis Mai 1524 im Nürnberger Umland, anschließend in Kitzingen, dann in Rothenburg, bis sich Anfang 1525 seine Spur verliert. Das VD 16 verzeichnet 16 verschiedene 82 Signatur ULB Bonn: Gf 234/50, Rara.
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Ausgaben der Auslegung des Vaterunsers.83 Das Bonner Exemplar ist nicht verzeichnet. Es ist zumindest nach den bisherigen Erkenntnissen ein bibliographisches Unikat. Am Beispiel Diepold Peringers lässt sich gut illustrieren, dass die Verbreitung reformatorischer Gedanken nicht nur über das gedruckte Buch erfolgte. Zwar erschien eine im Nürnberger Umland gehaltene Predigt über den freien Willen in 13 Ausgaben84, eine Kitzinger Predigt in einer weiteren.85 Doch wir wissen aus den Quellen zugleich, wie begeisternd und mitreißend er als Prediger war. In Nürnberg und im Umland der Stadt hat er innerhalb von sechs Monaten zahlreiche Predigten gehalten, für einen Sermon geben die Quellen 300 Zuhörer an. Sogar Spalatin zeigte sich von Peringer beeindruckt.86 In Kitzingen predigte er dreimal auf öffentlichen Plätzen. Die Predigt am Tag der Kirchweihe sollen 8.000 Menschen gehört haben, eine Zahl, die man wohl eher mit einer sehr großen Menge übersetzen darf.87 Peringer hat durch das gesprochene Wort zweifelsohne viele Analphabeten mit reformatorischen Ideen vertraut gemacht. Die Wechselbeziehung zwischen Predigt und Buch, zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit gilt natürlich auch für Luther und andere Reformatoren. Predigten erschienen als Flugschriften, der Inhalt von Flugschriften wiederum diente als Vorlage und Inspiration für weitere Predigten, die andernorts gehalten wurden. Doch nicht nur die Predigt ergänzte die Schrift. Auch andere traditionelle Medienformen wie das Bild, das Lied oder das Schauspiel trugen zur Verbreitung reformatorischer Gedanken bei.88 Das gedruckte Buch war nur eines von mehreren wirkungsmächtigen Medien. Der Buchdruck allein konnte den Durchbruch der Reformation nicht bewirken. Doch das Buch war zweifellos ein zentrales, unverzichtbares Element des reformatorischen Medienverbundes89, und in diesem Sinne ist die These von Bernd Moeller richtig: »Ohne Buchdruck keine Reformation!«
Bibliographie Bagchi, D.: Poets, peasants and pamphlets: Who wrote and who read Reformation Flugschriften? In: K. Cooper (Hg.): Elite and popular religion, Woodbridge 2006, 189– 196.
83 84 85 86 87 88 89
VD 16 P 1390–1403, ZV 12274, ZV 23046. VD 16 P 1404–1413, ZV 12275, ZV 22828, ZV 31611. VD 16 P 1415. Roper (2016), 316f. Demandt / Rublack (1978), 58. Dazu grundlegend Scribner (1981/1994). Siehe dazu Burkhardt (2002), 56–60.
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Andreas Pangritz (Bonn / Osnabrück)
Martin Luthers Stellung zu Juden und Muslimen
Man plaudert heute kein Geheimnis mehr aus, wenn man auf Martin Luthers aggressive Judenfeindschaft hinweist. Umstritten ist jedoch weiterhin, wie man diese Schattenseite des Reformators gewichten soll und ob man dafür den Ausdruck Antisemitismus verwenden darf.1 Weniger bekannt dürfte die Stellung des Reformators zum Islam sein. Um so mehr scheint sie unbewusst die in evangelischen Kirchen verbreitete »Angst vor dem Islam« zu prägen.2 Ich will mich dem komplexen Doppelthema annähern, indem ich – in Umkehrung der Reihenfolge des Vortragstitels – zunächst einige Hinweise zu Luthers Auseinandersetzung mit den Türken und dem Islam geben werde, um in einem zweiten Teil Luthers Stellung zu den Juden und dem Judentum zu behandeln. In einem dritten Teil will ich dann versuchen, beide Aspekte in einer vergleichenden Perspektive zusammenzuführen.
1.
Luthers Auseinandersetzung mit den Türken und dem Islam
Bei zahlreichen Reformationsfeiern dürfte in diesem Jahr Luthers Lied »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord«3 gesungen worden sein – neben der »Festen Burg«4 eine der bekanntesten Hymnen des Luthertums. Abgesehen davon, dass heute kaum mehr jemand versteht, dass »steuern« hier nicht etwa lenken, sondern »bremsen, Einhalt gebieten« meint, dürfte auch wenig bekannt sein, dass der ursprüngliche Wortlaut die Feinde Christi deutlich identifizierte: »Erhalt uns, HErr, bei deinem Wort / Und steur’ des Papsts und Türken Mord, / Die Jesum Christum, deinen Sohn, / Wollten stürzen von deinem 1 Vgl. dazu Pangritz (2017), insbes. 225–253. 2 Vgl. Colpe (1989). 3 Evangelisches Gesangbuch, Nr. 193: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (Text und Melodie: Martin Luther 1543). 4 Evangelisches Gesangbuch, Nr. 362: Ein feste Burg ist unser Gott (nach Pslam 46; Text und Melodie: Martin Luther 1529).
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Andreas Pangritz
Thron.« Verfasst worden ist das Lied wohl im Winter 1541/42, und zwar als »Ein Kinderlied, zu singen wider die zwei Erzfeinde Christi und seiner heiligen Kirche, den Papst und Türken, etc.« (WA 35, 467).5 Fragt man, warum neben dem Papst gerade »der Türke« von Luther als »Erzfeind« Christi bezeichnet wird, dann ist der zeitgeschichtliche Hintergrund zu beachten: Nachdem Sultan Süleyman II. (1494–1566) nach einem Sieg über die Reichstruppen 1541 in Ofen (Budapest) eingerückt war, äußerte der sächsische Kurfürst Johann Friedrich gegenüber Luther die Befürchtung, es werde demnächst wie bereits 1529 erneut zu einer Belagerung Wiens kommen. Luther verfasste daraufhin eine Vermahnung zum Gebet wider den Türken, in der in apokalyptischer Perspektive »die zwei Reiche des Papsts und Türken« als »die letzten zwei Gräuel« und Gestalten von »Gottes Zorn« erscheinen, gegen die letztlich nur das Gebet und ein guter Katechismusunterricht helfen könnten (WA 51, 620). Bezeichnend ist die Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit den Türken bereits im Streit um den Ablass eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Nachdem Papst Leo X. im März 1518 das christliche Abendland zu einem Kreuzzug gegen die Türken aufgerufen hatte, der mit einem entsprechenden Ablass belohnt werde, betonte Luther im Mai 1518 in den Resolutiones zu seinen Ablass-Thesen, dass von Gott verhängte Strafen wie etwa »die Bedrohung durch Türken, Tataren und andere Ungläubige« bußfertig als »Gottes Zuchtrute« (flagella et virga Dei) anzunehmen seien. Darüber habe der Papst keine Verfügungsgewalt, könne dafür also auch keinen Ablass gewähren (vgl. WA 1, 535). Nur in der demütigen Annahme der Strafe könne Gottes gnädige Verschonung errungen werden. Darauf bezog sich dann die päpstliche Bulle Exsurge Domine vom 15. Juni 1520, wenn sie Luther zum Vorwurf macht, er habe gesagt: »Gegen die Türken zu kämpfen heißt, sich Gott zu widersetzen, der durch jene unsere Missetaten heimsucht.«6 Aus päpstlicher Sicht musste dies als Verrat am Christentum durch politische Parteinahme für die Türken erscheinen. Von seinen bußtheologischen Voraussetzungen her konnte Luther hier jedoch nicht nachgeben. Zwar wollte er den Abwehrkampf gegen die Türken nicht vereiteln; er betonte jedoch, dieser könne nur erfolgreich sein, wenn er nicht vom betrügerischen Ablasswesen, sondern von »wahrer Buße« getragen sei. Die Ausrufung des Kreuzzugs hingegen übereigne die Christen »dem zeitlichen und ewigen Tod«.7 In seiner Erwiderung auf die päpstliche Bulle bezeichnete Luther die Türken als das kleinere Übel im 5 Martin Luthers Schriften werden in Klammern nach der Kritischen Gesamtausgabe, Weimar 1883ff., mit dem Kürzel WA (= Weimarer Ausgabe) mit Band- und Seitenangabe zitiert. Dem Stil eines mündlichen Vortrags entsprechend wurden die Lutherzitate sprachlich behutsam modernisiert. 6 Leo X., Bulle Exsurge Domine (15. 6. 1520), in: Denzinger (1991), 1520 (Nr. 1484). 7 Ehmann (2008), 215.
Martin Luthers Stellung zu Juden und Muslimen
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Vergleich zum Papst, »denn der Türke lässet doch glauben wer da will, der Papst will niemanden lassen glauben« (Wider die Bulle des Endchrists, November 1520; WA 6, 627).8 Angesichts des Vorrückens türkischer Heere auf dem Balkan im Jahr 1529 veröffentlichte Luther dann die Philipp von Hessen gewidmete Schrift Vom Kriege wider die Türken, die noch vor der Belagerung Wiens abgeschlossen wurde. Hier verteidigt er die umstrittene Folgerung aus seinen Thesen gegen den Ablass, wonach »gegen die Türken kämpfen bedeutet, sich Gott zu widersetzen« (WA 30/2, 108ff.). Er begründet dies mit einer Darlegung von Kriterien für einen gerechten Krieg. Dieser dürfe kein Angriffskrieg und kein »christlicher« Krieg sein (WA 30/2, 111). Aus der notwendigen Unterscheidung des geistlichen vom weltlichen Amt (WA 30/2, 112) ergebe sich die Unzulässigkeit eines Kreuzzugs: »Wenn ich ein Kriegsmann wäre und sähe zu Felde ein Pfaffen- oder Kreuzpanier, wenn’s gleich ein Kruzifix selber wäre, so wollte ich davonlaufen, als jagte mich der Teufel« (WA 30/2, 115). Die tatsächlich bestehende ›Türkengefahr‹ wird von Luther nicht geleugnet, sie diene aber dem Papst lediglich als Vorwand zur Bereicherung.9 Im übrigen setzt sich Luther in dieser Schrift nicht nur mit der militärischen Gefahr, sondern auch mit dem Islam als Religion auseinander. Dieser sei »ein Glaube, zusammengeflickt aus der Juden, Christen und Heiden Glauben« (WA 30/2, 122), wegen der Bestreitung der Gottheit Christi dem Arianismus vergleichbar.10 Zwar ist Luther bekannt, dass die Muslime Jesus als einen Propheten verehren; dies nütze ihnen aber nichts, da sie – wie die Juden – die Gottessohnschaft Christi leugnen (vgl. WA 30/2, 140f.). Noch im Lauf des Jahres 1529 dramatisiert Luther seine Sicht angesichts der Belagerung Wiens durch Süleyman II. in der Heerpredigt wider den Türken zu einer ausgeprägt apokalyptischen Deutung der Geschichte. Jetzt wird »der Türke« neben dem Papst als einer »von zweien grausamen Tyrannen« der Endzeit interpretiert (WA 30/2, 161f.). Die religiöse Überhöhung des Krieges 8 Vgl. auch Luther, Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind (1521): »[…] der Papst, der weidet nun die Schafe Christi mit Eisen, Büchsen, Feuer, und ist ärger denn der Türke, wirret Könige, Fürsten, Land und Städte ineinander, ist dennoch darum kein Ketzer noch Türke noch Mörder noch Tyrann, sondern Christi Statthalter und gibt Ablass, sendet aus Botschaft und Kardinal um Krieg wider den Türken« (WA 7, 440f.). 9 So sind Papst und Türke die eschatologischen Feinde Christi: »[…] wie der Papst der Antichrist, so ist der Türke der leibhaftige Teufel« (WA 30/2, 126); dagegen hilft letztlich nur der geistliche Kampf, d. h. das Gebet. 10 Dreierlei hat Luther am Islam auszusetzen: Einerseits sei der Islam als »Lüge« zu entlarven; er zerstöre den »geistlichen Stand«, indem er Jesus zwar als Propheten anerkenne, aber die Gottessohnschaft Christi leugne; dies laufe auf Gotteslästerung hinaus (WA 30/2, 121f.). Andererseits sei der Islam »Mord«; denn er zerstöre die Autorität des »weltlichen Regiments« (WA 30/2, 123). Schließlich sei der Islam »Unehe«, indem er den »Ehestand« durch die Praxis der Polygamie zerstöre (WA 30/2, 126).
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erfolgt zwar nicht in Form des Kreuzzugs, wohl aber des apokalpytischen Endkampfs. Der christliche Kriegsmann soll darüber »keinen Zweifel« haben: Wer wider den Türken (wenn er Krieg anfängt) streitet, dass er wider Gottes Feind und Lästerer Christi, ja wider den Teufel selbst streitet, also dass er sich nicht besorgen darf, ob er etwa einen Türken erwürgt, dass er unschuldig Blut vergieße […].
Sie »sind alle des Teufels eigen und mit dem Teufel besessen wie ihr Herr Mahomet und der türkische Kaiser selbst« (WA 30/2, 173). Die apokalyptische Perspektive auf den Islam lässt sich auch in den Illustrationen des Jahres 1530 zu Luthers Übersetzung der Offenbarung des Johannes aus der Cranach-Werkstatt nachweisen.
Abb. 1: Das ander Wehe (Apok 9,13–21)
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In der Illustration »Das ander Wehe« zur Stelle Apok 9,13–21 wird eine Schlachtszene dargestellt, in der der auf einer Wolke sitzende Posaunenengel mit einem Helm bewehrt ist, während die auf Löwen reitende feindliche Heerschar durch ihre Turbane und Krummsäbel deutlich als Türken gezeichnet ist.11
Abb. 2: Belagerung der geliebten Stadt (Apok 20,7–10)
In der Illustration »Belagerung der geliebten Stadt« zur Stelle Apok 20,7–10 wird die von Gog und Magog belagerte »geliebte Stadt« durch den Schriftzug »Wien« 11 In Luthers Vorrede auf die Offenbarung des Johannes von 1530 werden die »drei Wehe« nach Apok 9 als eine aufsteigende Reihe von Häresien gedeutet, die von Arius über Mohammed zum Papsttum verläuft (vgl. WA DB 7, 412). Im Druck der Übersetzung selbst wird das zweite »Wehe« (Apok 9,13–21), wonach die vier Engel vom Euphrat mithilfe von gewaltigen Kriegsheeren zu Ross ein Drittel der Menschheit töten sollen, durch die Randglosse »Das ist der Mahometh mit den Saracenen« zeitgeschichtlich gedeutet.
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auf der Stadtmauer unmissverständlich zeitgeschichtlich gedeutet, während die Belagerer durch die Zeltform als Türken erkennbar sind.12 Es ist nun interessant zu sehen, dass Luther gegen Ende seines Lebens ein gesteigertes Interesse für den Islam als Religion entwickelt. So gab er im Jahr 1542 unter dem Titel Verlegung des Alkoran (Widerlegung des Koran) eine Bearbeitung der Confutatio Alcorani des italienischen Dominikanermönches Ricoldus de Montecrucis (ca. 1243–1320) heraus, die ihm als einschlägige Widerlegung des Islam erschien. Nach Luther geht der Koran selektiv und daher verfälschend mit der biblischen Tradition um; er verachtet die Trinitätslehre ebenso wie die Inkarnation und das Leiden Christi, aber auch die Sakramente und das Evangelium von der Sündenvergebung. Aus seiner häretischen Dogmatik folge aber auch eine libertinistische Ethik und eine entsprechende Vorstellung vom ewigen Leben. Vom Propheten Mohammed meint Luther zu wissen, dass er »ein Abgöttischer, ein Mörder, ein Frauenschänder, Räuber und aller Laster voll gewesen« sei (WA 53, 376).13 Trotz dieser scharfen antiislamischen Polemik befürwortete Luther die Herausgabe einer Koranübersetzung, die 1543 – mit seiner Praefatio (Vorrede) versehen (vgl. WA 53, 561–572) – in Basel zustande kam. Mit Toleranz hat das jedoch nichts zu tun. Vielmehr ging Luther davon aus, dass die Lektüre des Koran wegen dessen lügnerischen Charakters zur Selbstentlarvung des Islam führen werde. Daher empfahl er dem Rat der Stadt Basel die Freigabe des Drucks – »den Christen zu gut, den Türken zu schaden, dem Teufel zum Verdruss […]« (27. Oktober 1542; WA Br 10, 162).
2.
Anmerkungen zu Luthers Judenfeindschaft
Wir wenden uns nun der Judenfeindschaft des Reformators zu. An der Außenwand des Chores der Stadtkirche St. Marien zu Wittenberg befindet sich ein Relief mit der Darstellung einer sog. ›Judensau‹. Ein Mann, der durch seinen spitzen Hut als Jude zu erkennen ist, macht sich am Schwanz und Hinterteil des für Juden unreinen Tieres zu schaffen. Es kann kein Zweifel an der 12 Luther deutet in seiner Vorrede von 1530 die apokalyptischen Heere von Gog und Magog (Apok 20,8) als »Türke, die roten Juden, welche der Satan, so vor tausend Jahren gefangen gewesen ist, und nach tausend Jahren wieder los worden, bringet« (WA DB 7, 417). 13 Vgl. auch eine Tischrede Luthers aus dem April 1542 über die türkischen Sitten: »Nimmt ein Weib, wenn es ihm gefällt; wenn es ihm nicht gefällt, stößt er’s wieder von sich. Was soll das für ein coniugium [= Ehe] sein? Drum sind eitel Hurenkinder in der Türkei. Der Türke sagt, es werde post resurrectionem [= nach der Auferstehung] also zugehen: da werde ein schöner gedeckter Tisch stehn mit schönen Kredenzen und von gutem Getränk, das Essen werden sein Aalraupen, Lampreten [= Speisefische]; um den Tisch werden stehen schöne Weiber nackt, so dass einer wird seine Lust sehen« (WA Tr 5, 120 [Nr. 5386: Turca]).
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Abb. 3: Die Wittenberger ›Judensau‹
»verhöhnenden Absicht« dieser Darstellung bestehen. Wahrscheinlich wurde das Relief im Zusammenhang mit einer spätmittelalterlichen Vertreibung der Juden aus Wittenberg dort angebracht.14 Die Inschrift Rabini Schem HaMphoras (der von einem Rabbiner ausgelegte Gottesname), mindestens zweihundert Jahre später als das Relief, ist durch Luthers Ausführungen in seiner Schrift Vom Schem Hamphoras (1543) inspiriert, die den obszönen Charakter der Darstellung theologisch zu antisemitischen Zwecken ausbeutet: »Es ist hier zu Wittenberg an unserer Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen,« schreibt Luther, da liegen junge Ferkel und Juden drunter, die saugen. Hinter der Sau stehet ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zeucht er den Bürzel über sich, bückt und guckt mit großem Fleiß der Sau unter dem Bürzel in den Talmud hinein, als wollt er etwas Scharfes und Sonderliches lesen und ersehen. Daselbsther haben sie gewisslich ihr Schem Hamphoras (WA 53, 600f.).15
Gelegentlich kann man auch heute noch lesen, die Judenfeindschaft sei erst im Alter des Reformators zum Ausbruch gekommen, während der junge Luther 14 Vgl. Shachar (1974), 31. 15 Es muss betont werden, dass andere Reformatoren wie Heinrich Bullinger in Zürich sich von Luthers Pamphlet angewidert zeigten. Das Wahrhafte Bekenntnis der Diener der Kirchen zu Zürich von 1545 stellt fest: »So ist vorhanden Luthers schweinekotiges Schemhamphoras, welches, so es geschrieben wäre von einem Schweinhirten, nicht von einem berühmten Seelhirten, etwas, doch auch wenig Entschuldigung hätte« (zit. nach Detmers [2001], 163, Anm. 8 [sprachlich modernisiert]).
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»judenfreundlich« gewesen sei. Als Beleg für diese These muss dann in der Regel die Schrift Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei aus dem Jahr 1523 herhalten, in der Luther in der Tat eine erstaunliche Milde des sprachlichen Ausdrucks erkennen lässt. So will er den Juden zunächst nur Milch zu trinken geben, da sie noch keinen Wein vertrügen, soll heißen: Sie sollen zunächst nur die Messianität Jesu von Nazaret anerkennen; das Bekenntnis, dass »dieser Mensch wahrhaftiger Gott sei« (WA 11, 336), will er ihnen erst zu einem späteren Zeitpunkt abverlangen. Zu diesem Bild eines ›judenfreundlichen‹ jungen Luther ist zweierlei zu sagen: Zum einen war Luther zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schrift nicht mehr jung, sondern ein reifer Mann von 39 Jahren. Der junge Luther, der 1511 als Professor für Bibelwissenschaften nach Wittenberg berufen worden war, lässt in seinen Vorlesungen eine massive Verachtung der Juden in der Tradition der adversus-Iudaeos-Schriften erkennen. So muss der Psalter gemäß Luthers Auslegung in den Dictata super Psalterium (1513–1515) als ein einziges »christliches Lehrbuch der Judenfeindschaft« gelesen werden.16 Wenn sich Luther in einem Brief an seinen Freund Georg Spalatin in der Auseinandersetzung mit den Kölnern Dominikanern um den Talmud im Jahr 1514 gegen die Konfiszierung rabbinischer Schriften ausspricht, dann nur, weil er eine Besserung der verstockten Juden ohnehin für ausgeschlossen hält; nur Gott selbst könne die innere Bekehrung der Juden bewirken und ihren Lästerungen ein Ende bereiten (vgl. WA Br 1, 23f.). Zum andern lässt Luther auch in der Schrift von 1523 keinen Raum für eine Tolerierung der Juden als Minderheit innerhalb des christlichen Abendlands. Die Erkenntnis, dass Jesus Christus ein geborener Jude sei, dient vielmehr dazu, das jüdische Nein zur Messianität Jesu als Verrat der Juden an ihrem eigenen Fleisch und Blut zu diffamieren.17 Dass die Juden Christusmörder sind und dass die Zerstörung Jerusalems und die Zerstreuung Israels unter die Völker als gerechte Strafe Gottes für sein treuloses Volk interpretiert werden müssen, steht für Luther auch in dieser angeblich judenfreundlichen Schrift fest: Weil denn Schrift und Geschichte so gewaltiglich miteinander übereintreffen, haben ja die Juden nichts, das sie dawider mögen sagen. Denn ihre Zerstörung fühlen sie ja wohl, die unermesslich größer ist denn sie noch je erlitten haben. […] Und unmöglich wäre, dass sie sollte Gott so lange ohne Propheten gelassen haben, wo es nicht mit ihnen aus sollte sein und alle Schriften erfüllet wären (WA 11, 335f.). 16 Von der Osten-Sacken (2002), 69. 17 Vgl. M. Luther, Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei, WA 11, 331: »Und ist wunder, dass die Juden das nicht bewegt, an diesen Jesum ihr eigen Blut und Fleisch zu glauben, auf welchen die Sprüche der Schrift sich mit der Tat so mächtig und eben reimen, weil sie doch sehen, dass wir Heiden so hart, so fest an ihm halten, dass viel tausend um seinetwillen ihr Blut vergossen haben.«
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Der jüdische Gelehrte Reinhold Lewin, mit dessen Breslauer Dissertation Luthers Stellung zu den Juden aus dem Jahr 1911 die wissenschaftliche Erforschung unseres Themas beginnt, charakterisiert die Schrift Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei wie folgt: Man hat den Charakter der Schrift […] zu wiederholten Malen gröblich verkannt. Man beschränkte sich darauf, die Sätze der Einleitung und des Schlusses, in denen Luther für eine humane Behandlung der Juden eintritt, aus ihrem Zusammenhang herauszureißen, und auf Grund der willkürlich gewählten Zitate die vorurteilsfreie Toleranz des Reformators zu rühmen. Wer so handelt […], verkennt Luther von Grund aus, unterschiebt ihm Tendenzen, an die er niemals gedacht hat. Ihn interessieren die Juden bloß als Bekehrungsobjekt: das ist der Gesichtswinkel, unter dem er die Judenfrage behandelt.18 Die Bekehrung der Juden […] bildet den Schlußstein in dem herrlichen Gebäude, das er aufgerichtet hat. Das Papsttum ist an der Aufgabe gescheitert nicht nur, weil es falsche Mittel anwandte, sondern vor allem, weil sein Fundament auf Fälschungen und Irrlehren ruht. Hat Luther das wahre Christentum entdeckt […], so ist der endgültige Sieg der Kirche über die Synagoge die glänzendste Bestätigung.19
Ich mache einen Sprung ins Jahr 1543, in dem Luther eine ganze Kaskade von antisemitischen Pamphleten veröffentlichte: zunächst die berüchtigte Schrift Von den Juden und ihren Lügen, dann Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi, und schließlich Von den letzten Worten Davids. Es handelt sich in diesen Schriften offensichtlich um den Versuch einer endgültigen Abrechnung mit den Juden. Dabei redet Luther in Von den Juden und ihren Lügen die Juden nur in der Einleitung direkt an: »Hörst Du, Jude, weißt Du, dass Jerusalem und Euer Königtum mit dem Tempel und den Priestern vor 1460 Jahren zerstört worden ist?« Dieser »grausame Zorn Gottes« sollte ihnen doch »klar genug« zeigen, »dass sie sicherlich unrecht haben und auf dem falschen Weg sind«. Aber dann macht er klar: »Es ist nicht unsere Absicht, jetzt zu den Juden zu reden, sondern über die Juden und ihre Taten, die die Deutschen kennen sollten« (WA 53, 418f.). Die Schrift Von den Juden und ihren Lügen, die man als ein Hauptwerk des gealterten Reformators interpretieren muss, offenbart einen engen inneren Zusammenhang zwischen reformatorischer Theologie, insbesondere Christologie und Rechtfertigungslehre, und Judenfeindschaft. Dabei wird Jesus Christus, der wahre Messias, der angeblich von den Juden gekreuzigt worden ist (vgl. WA 53, 494), ausdrücklich mit dem falschen, politischen Messianismus der Juden, insbesondere mit Bar Kochba, dem revolutionären Messias, konfrontiert, der angeblich – wie Thomas Münzer in Luthers Tagen – »sehr viele Christen ge18 Lewin (1911), 30. 19 Lewin (1911), 36.
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schlachtet hat, die sich geweigert hatten, Christus zu verleugnen«, bis er und sein Prophet Rabbi Akiva von den Römern getötet wurden (WA 53, 496). Diese Katastrophe hätte die Juden eigentlich demütigen müssen, wären sie in ihrer Selbstgerechtigkeit nicht so verblendet. Sie hätten erkennen müssen, dass ihre weltliche Messiaserwartung ein Irrtum war und dass Jesus der wahre, geistliche Messias ist (WA 53, 498). Die jüdische Weigerung, Jesus als eingeborenen Sohn Gottes anzuerkennen, wird jetzt als Gotteslästerung verdammt: »Weil sie aber uns verfluchen, so verfluchen sie unsern HErrn auch; verfluchen sie unsern HErrn, so verfluchen sie auch Gott den Vater, Schöpfer Himmels und der Erden« (WA 53, 539). Denn: »Wer uns in diesem Artikel abgöttisch verleugnet und lästert, der verleugnet und lästert Christum, das ist: Gott selbst, als einen Abgott« (WA 53, 540).20 Das ist der Grund, warum die Juden nicht länger geduldet werden dürfen, wollen die Christen sich nicht »teilhaftig machen aller ihrer Lügen, Flüche und Lästerung« (WA 53, 522). Nachsicht gegenüber den Juden würde eine Entehrung Gottes bedeuten, während die Verehrung Jesu Christi die Verfolgung der Juden einschließen muss. Daher plädiert Luther für eine »scharfe Barmherzigkeit« (WA 53, 541; vgl. 522), die in ihrer Schärfe jegliche Barmherzigkeit vermissen lässt: Dass man ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. […] Dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. […] Dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten […]. Dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren […] (WA 53, 523).
Schließlich, mit »aller Unbarmherzigkeit« gesagt: »Will das nicht helfen, müssen wir sie wie die tollen Hunde ausjagen« (WA 53, 541f.). Antisemitisch sind nicht nur diese Handlungsanweisungen, sondern auch zahlreiche Formulierungen in den theologischen Abschnitten der Abhandlung, etwa: Pfui euch hie, pfui euch dort, und wo ihr seid, ihr verdammten Juden, dass ihr die ernsten, herrlichen, tröstlichen Worte Gottes so schändlich auf euern sterblichen, madigen Geizwanst [zu] ziehen düret [= wagt] und schämet euch nicht, euern Geiz so gröblich an den Tag zu geben! Seid ihr doch nicht wert, dass ihr die Biblia von außen sollet ansehen, [ge]schweige dass ihr drinnen lesen sollet! Ihr solltet allein die Biblia lesen, die der Sau unter dem Schwanz stehet, und die Buchstaben, die daselbst herausfallen, fressen und saufen (WA 53, 478).
20 Vgl. auch WA 53, 531: »Alles, was zu Ehren oder Unehren dem Sohn geschieht, das geschieht gewisslich Gott dem Vater selbst. […] Wer nun den Jesum von Nazaret, Marien der Jungfrauen Sohn, leugnet, lästert, flucht, der leugnet, lästert, flucht auch Gott den Vater selbst, der Himmel und Erde geschaffen hat.« Schließlich: »Wir Christen aber wissen’s, dass sie öffentlich Gott den Vater lästern und fluchen, wenn sie diesen Jesum lästern und fluchen.«
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Ende Januar 1546 reiste Luther, obwohl er gesundheitlich angeschlagen war, in seine Geburtsstadt Eisleben, um einen Erbstreit unter den Grafen von Mansfeld zu schlichten. Über die beschwerliche Reise berichtet er seiner Frau Käthe am 1. Februar: Ich bin ja schwach gewesen auf dem Weg hart vor Eisleben, das war meine Schuld. Aber wenn du wärest da gewesen, so hättest du gesagt, es wäre der Juden oder ihres Gottes Schuld gewesen. Denn wir mussten durch ein Dorf hart vor Eisleben, da viel Juden innen wohnen; vielleicht haben sie mich so hart angeblasen. So sind hier in der Stadt Eisleben jetzt diese Stunde über fünfzig Juden wohnhaft. Und wahr ist’s, da ich bei dem Dorf fuhr, ging mir ein solch kalter Wind hinten zum Wagen ein auf meinen Kopf, durchs Barret, als wollte mir’s das Hirn zu Eis machen. Solches mag mir zum Schwindel etwas geholfen haben. […] Wenn die Hauptsachen geschlichtet wären, so muss ich mich dran legen, die Juden zu vertreiben. Graf Albrecht ist ihnen feind und hat sie schon preis[ge]geben. Aber niemand tut ihnen noch etwas. Will’s Gott, ich will auf der Kanzel Graf Albrecht helfen und sie auch preisgeben (WA Br. 11, 275f.).
Am 14. Februar 1546, wenige Tage vor seinem Tod, hielt Luther in Eisleben seine letzte Predigt. Offenbar aufgrund eines Schwächeanfalls brach er die Predigt vorzeitig ab, um nur noch eine Vermahnung wider die Juden zu verlesen. Die Kanzelabkündigung, die durch die Umstände ihrer Verlesung testamentarischen Charakter erhielt, endet mit den Worten: »Wollen sich die Juden zu uns bekehren und von ihrer Lästerung und, was sie sonst getan haben, ablassen, so wollen wir es ihnen gerne vergeben: wo aber nicht, so wollen wir sie auch bei uns nicht dulden noch leiden« (WA 51, 196).
3.
Vergleichende Perspektive und Fazit
In Luthers Stellung zu Juden und Muslimen fallen zunächst einige Gemeinsamkeiten auf: In theologischer Hinsicht parallelisiert Luther immer wieder ›Papisten‹, Türken und Juden als die drei Feinde Christi, zu denen häufig als vierte Gruppe noch die ›Schwärmer‹, also radikale Reformatoren wie Thomas Münzer, treten.21 Gemeinsam sei ihnen allen die Verkehrung der Freiheit des Evangeliums in Gesetzlichkeit und entsprechende Werkgerechtigkeit. Damit bilden sie die Negativfolie zur zentralen reformatorischen Erkenntnis der Rechtfertigung des Sünders sola gratia. Als Beispiel der Argumentationsfigur mag Luthers Auslegung von Gal 4,9 in der Galatervorlesung des Jahres 1531 dienen: »Wer von der Gnade ins Gesetz zurückfällt, der fällt in Götzendienst, weil es außerhalb Christi nur Götzendienst gibt, ob er nun Papst, Gesetz des Moses
21 Vgl. zum Folgenden Pangritz (2013), 15–48.
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oder Türke genannt wird – es läuft auf ein Götzenbild und falsche Vorstellung von Gott hinaus.«22 Die zentrale reformatorische Entdeckung von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade durch Glaube allein ohne Werke des Gesetzes hat zur Kehrseite, dass jedes Vertrauen auf ›gute Werke‹ als Zerstörung des rechten Glaubens gilt: Aufgrund ihrer angeblichen ›Werkgerechtigkeit‹ glauben Juden und Muslime auf falsche Weise – nämlich: gesetzlich – an den Gott Abrahams. Wer aber falsch an den ›wahren Gott‹ glaubt, der glaubt in Wahrheit an einen falschen Gott, an einen Abgott. Neben dieser zentralen theologischen Perspektive, die an der reformatorischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hängt und Juden wie Muslime in gleicher Weise trifft, fallen aber auch Differenzen auf: Muslime kennt Luther nur in Gestalt des Osmanischen Reichs. Sie erscheinen angesichts der Schlacht von Mohács (1526), der Belagerung Wiens durch die Türken (1529) und des Einzugs Süleymans II. in Ofen (1541) als eine äußere Gefahr: die ›Türkengefahr‹. »Luthers Furcht vor den Türken, den fernen Fremden, ging nicht über das in seiner Zeit übliche Niveau hinaus […]«, so Thomas Kaufmann, der kontrastierend fortfährt: »Luthers Angst vor den Juden, den nahen Fremden an den Rändern der eigenen Lebenswelt, war hingegen obsessiv.«23 Juden stellen als abweichende Minorität ein innergesellschaftliches Problem dar; ihr falscher Glaube gefährdet primär die geistliche Dimension des Lebens der Christen – was sie aus Luthers Sicht ungleich gefährlicher macht. Aufgrund seiner Zwei-Reiche-Lehre kann Luther dem politischen System der Türken sogar einiges abgewinnen. So heißt es in der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation (August 1520): »Man sagt, dass kein feiner weltlich Regiment irgendwo sei denn bei dem Türken«, während umgekehrt zu bedenken sei, »dass nicht schändlicher Regiment ist denn bei uns« (WA 6, 459). Gute weltliche Herrschaft hängt also nicht vom rechten Glauben ab, sondern folgt eigenen Gesetzen. Dieses Zugeständnis kann Luther im Blick auf die Juden nicht machen: Ihr falscher Glaube verdirbt auch ihr Gesetz, macht es für Christen unbrauchbar. So heißt es in der Unterrichtung, wie sich die Christen in Mosen sollen schicken (1525): »Mose ist tot, sein Regiment ist aus gewesen, da Christus kam, er dienet weiter hierher nicht« (WA 16, 373). Es sei »hell genug, dass Mose der Juden Gesetzgeber ist und nicht der Heiden« (WA 16, 374). Daher: »Lass mich unverworren mit Mose« (WA 16, 375). »Die Gesetze sind tot und ab« (WA 16, 376). Das mosaische Gesetz sei nicht mehr als »der Juden Sachsenspiegel« (WA
22 Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius, WA 40/1, 611 [im Original lateinisch]; vgl. auch die Druckfassung von 1535, a. a. O., 609. 23 Kaufmann (2014), 82.
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16, 378).24 Fazit: »Es ist aus mit ihnen« – nämlich mit Mose und seinem Volk (WA 16, 386). Es ist insofern kein Zufall, sondern überaus bezeichnend, dass Luther im Jahr 1526 Maria, die Königin von Ungarn, über den Tod ihres Gatten Ludwig in der Schlacht bei Mohács gegen die Türken mit Rachephantasien gegen die Juden hinwegzutrösten versucht. So heißt es in den Vier tröstlichen Psalmen, David habe den 109. Psalm »im Geist gemacht von Christus, welcher redet den ganzen Psalm in seiner eigenen Person wider Judas, den Verräter, und wider das ganze Judentum und verkündigt, wie es denselben gehen werde« (WA 19, 595). Hier werde darum gebetet, dass der Teufel die Juden »verstocke und verblende« (WA 19, 599). Der im Psalm angegriffene Unglaube wird zwar auf Juden, Papisten und Muslime zugleich bezogen: »[…] gleich wie bei den Juden der Talmud, bei uns Christen das geistliche Recht, bei den Türken der Alkoran, und ist doch alles verdammt teuflisches Ding« (WA 19, 600). Der Fortgang des Psalms beschreibt dann aber nach Luther genau das Schicksal der Juden bis dahin, dass »ihr Gedächtnis und Name gar aus« ist. All dies sei geschehen, weil »sie und ihre Kinder nicht wollen Christus annehmen« (WA 19, 602). Aufgrund ihrer Verstockung, die ihnen »zur Natur worden« ist, sind sie schlechterdings »nicht […] zu bekehren«, sondern sie müssen »in der Hölle zerschmolzen […] werden« (WA 19, 606f.).
Abb. 4: Gedenkplatte unterhalb der Wittenberger ›Judensau‹
Am 11. November 1988, anlässlich des 50-jährigen Gedenkens an die Pogromnacht vom 9./10. November 1938, wurde – noch während des Bestehens der DDR – in den Boden
24 Zur Rede vom mosaischen Gesetz als »der Juden Sachsenspiegel« vgl. auch die Schrift Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525) gegen Karlstadt: »Drum lasse man Mose der Juden Sachsenspiegel sein und uns Heiden damit unverworren« (WA 18,81).
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unterhalb der »Judensau« eine Gedenkplatte eingelassen, die auf das Relief, seine später zugefügte Beschriftung und auf den Mord an den Juden 1933–1945 bezogen war und deren von dem Schriftsteller Jürgen Rennert verfasster Text lautet: »Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem-Ha-Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.« Der Text bildet die zweizeilige Schriftumrandung einer Bronzeplatte, die durch ein sie unterteilendes, leicht erhabenes Kreuzeszeichen geprägt wird.25
Gerade auch kritische Historiker neigen heute dazu, das Problem insofern zu relativieren, als sie glauben, sich seiner durch »konsequente Historisierung« (Thomas Kaufmann) entledigen zu können. Aber nach wie vor werden evangelische Geistliche auf die Bekenntnisse der Reformation ordiniert, d. h. nicht nur der Bibel, sondern auch Luthers Lehre wird eine gewisse Verbindlichkeit zuerkannt. Luther-Apologeten legen Wert darauf, dass Luthers Schriften gegen Juden und Muslime nur eine periphere Bedeutung hätten, so dass man seine reformatorische Theologie unter Absehung von diesem Problem rezipieren könne. Man macht es sich jedoch zu bequem, wenn man unser Thema, da es eine Belastung des interreligiösen Dialogs darstellen könnte, als peripher oder historisch abständig beiseite lässt. Vielmehr ist anzuerkennen, dass »Luthers Beiträge zu Judentum und Islam« im »Zentrum seiner Theologie« verankert sind.26 Eine Kritik an Luthers Polemik gegen Juden und Muslime muss daher zugleich Auswirkungen auf die Rezeption der reformatorischen Theologie selber haben.
4.
Bibliographie
1.
Quellen, Editionen
Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Karl Knaake u. a., Weimar 1883ff. (Weimarer Ausgabe = WA) Resolutiones disputationum de indulgentiarium virtute (1518), in: WA, Bd. 1, hg. v. Karl Knaake, Weimar 1883, 522–628. An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520), in: WA, Bd. 6, hg. v. Karl Knaake, Weimar 1888, 381–469.
25 Von der Osten-Sacken (2002), 140. 26 Kaufmann (2014), 55. Vgl. ebd.: »Im Spiegel der gleißenden Heiligkeit der Religion Mohammeds führte er vor, wie eine Form der Werkgerechtigkeit aussieht, die vollkommener ist als die römisch-katholische; an den Juden demonstrierte er die Folgen eines irregeleiteten Bibelverständnisses und des Zornes Gottes.« Schon Oberman (1981, 125) hat betont, dass das Thema »Juden« »keine schwarze Sonderseite« in Luthers Werk sei, sondern »zentrales Thema seiner Theologie«. Und im Blick auf »Luthers Stellung zum Islam« bemerkt Ehmann (2008, 191), sie sei »nicht zu trennen von den Errungenschaften (und gelegentlich auch Hypotheken) seiner reformatorischen Theologie«.
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Wider die Bulle des Endchrists (1520), in: WA, Bd. 6, hg. v. Karl Knaake, Weimar 1888, 613– 629. Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind (1521), in: WA, Bd. 7, hg. v. Paul Pietsch, Weimar 1897, 299–457. Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei (1523), in: WA, Bd. 11, hg. v. Paul Pietsch, Weimar 1900, 307–336. Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mosen sollen schicken (27. August 1525), in: WA, Bd. 16, hg. v. Paul Pietsch, Weimar 1899, 363–393. Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525), in: WA, Bd. 18, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1908, 37–214. Vier tröstliche Psalmen, an die Königin zu Ungarn (1526), WA, Bd. 19, hg. v. Wilhelm Walther, Weimar 1897, 542–615. Vom Kriege wider die Türken (1529), in: WA, Bd. 30/2, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1909, 81–148. Heerpredigt wider den Türken (1529), in: WA, Bd. 30/2, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1909, 149–197. Ein Kinderlied, zu singen, wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken (1542), etc., in: WA, Bd. 35, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1923, 467–468. Commentarius in Epistolam ad Galatas (Galatervorlesung [1531] 1535), WA 40/1, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1911. Eine Vermahnung wider die Juden (1546), in: WA, Bd. 51, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1914, 195–196. Vermahnung zum Gebet wider den Türken (1541), in: WA, Bd. 51, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1914, 577–625. Verlegung des Alcoran Bruder Richardi, Prediger Ordens (1542), in: WA, Bd. 53, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1920, 261–396. Von den Juden und ihren Lügen (1543), in: WA, Bd. 53, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1920, 412–552. Vorrede zu Theodor Biblianders Koranausgabe (1543), in: WA, Bd. 53, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1920, 561–572. Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi (1543), in: WA, Bd. 53, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1920, 573–648. Von den letzten Worten Davids (1543), in: WA, Bd. 54, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1928, 16–100. Tischreden, WA Tr, Bd. 5: Tischreden aus den Jahren 1540–1544, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1919. Die Deutsche Bibel, WA DB, Bd. 7: Das Neue Testament. Zweite Hälfte (Episteln und Offenbarung), hg. v. G. Bebermeyer, Weimar 1931. Brief an Georg Spalatin (Februar 1514?), in: WA, Briefwechsel, Bd. 1: 1501–1520, hg. v. G. Bebermeyer, Weimar 1930, 23–24. Brief an den Rat zu Basel (27. Oktober 1542), in: WA, Briefwechsel, Bd. 10: 1542–1544, hg. v. Otto Clemen, Weimar 1947, 161–163. Brief an seine Frau (1. Februar 1546), in: WA, Briefwechsel, Bd. 11: 1545–1546, hg. v. Otto Clemen, Weimar 1948, 275–276.
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Andreas Pangritz
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: »Das ander Wehe« (Apok 9,13–21). Holzschnitt zu Luthers Bibelübersetzung im revidierten Neuen Testament, Wittenberg: Hans Lufft, 1530. Bildzitat: Vgl. Peter Martin, Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse. Die Ikonographie der Illustrationen zur Offenbarung des Johannes in der Lutherbibel von 1522 bis 1546 (Vestigia Bibliae 5), Hamburg 1983, 155.
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Abb. 2: Die »Belagerung der geliebten Stadt« (Apok 20,7–10). Holzschnitt zu Luthers Bibelübersetzung im revidierten Neuen Testament von 1530. Bildzitat: Vgl. Peter Martin, Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse, 173. Abb. 3: Die Wittenberger »Judensau«. https://de.wikipedia.org/wiki/Judensau#/media/D atei:Judensau_Wittenberg.jpg (zuletzt aufgerufen 01. 03. 2022). Abb. 4: Gedenkplatte unterhalb der Wittenberger »Judensau« (1988). https://de.wikipe dia.org/wiki/Judensau#/media/Datei:Judenmahnmal-Wittenberg.jpg (zuletzt aufgerufen 01. 03. 2022).
Mathias Schmoeckel (Bonn)
Vom Recht der Guten Werke: Ging Luthers Kritik am Ablasswesen fehl?
I.
Einleitung
Der reiche Jüngling, der Christus folgen wollte, wurde über die grundlegenden Gebote besonders der caritas informiert. Dennoch ging Jesus davon aus, dass jener dieses Recht nicht einhalten könne (Mt 19,16+22; M 10,17–30; Lk 18,18). Die Fehlbarkeit des Menschen ist mindestens seither eine Grundannahme: Wir kennen das Gesetz und können es dennoch nicht einhalten. Uns bleibt nur die Hoffnung auf Verzeihung. Die christliche Religion hilft, trotz unserer Fehlbarkeit die Hoffnung auf unsere Rechtfertigung zu nähren. Wie kann man mit der Last der Schuld umgehen? Kann man sich nach der begangenen Schuld wieder mit Gott versöhnen? Können gute Werke nach der bösen Tat einen Ausgleich schaffen? Kann es für die verdiente Strafe einen Erlass (remissio) geben? Die »Indulgenz«, von indulgere – gewogen sein / begünstigen, ist nichts anderes als die huldvolle Entscheidung über die Strafe. Indulgentien sind also im Kern Gnadenentscheidungen. Sie sind jedoch nicht mit der Dispensation – als Befreiung vom Recht im Einzelfall – sowie einer allgemeinen Gnadenentscheidung des Richters zu verwechseln, sondern gehören unmittelbar zur Buß- und Beichtpraxis (poenitentia). Inhaltlich handelt es sich um die Zusicherung einer Strafreduktion, einem »Ablass von Schuld und Strafe«.1 Voraussetzung ist dabei der Ausgleich der bösen Tat durch ein gutes Werk, z. B. Engagement für die Kirche und die Christenheit. »Indulgenz« bezieht sich also auf die Art der Entscheidung, »Ablass« auf die Rechtsfolge. Begründung und Wirkungsweise dieses Straferlasses waren jedoch strittig und die Zulässigkeit dieses Mittels fragwürdig, längst bevor Luther damit die Refor1 Zur Entstehung des Ausdrucks im 13. Jahrhundert bereits Paulus (2000), 80 ff und 277. Dieser 2017 entstandene Vortrag wurde vor der Drucklegung in den Literaturhinweisen nicht noch einmal aktualisiert. Für die jüngere Literatur, die zu ergänzen gewesen wäre, vgl. insbes. Dieter / Thönissen (2021). Vieles wird dadurch leichter greifbar und erschließt weit über das Recht hinausgehende Literatur, ändert aber wohl nicht die hier entwickelte Sicht.
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mation auslöste. Besonders die Geldzahlung anstelle körperlichen Einsatzes wirkte wie ein Freikauf von Sünde. Kein anderes Institut des kanonischen Rechts, das später von Luther so deutlich verdammt wurde, kann daher Aufschluss darüber geben, was den Auslöser der Kircheneinheit in Westeuropa bildete und wie gut Luther seine Thesen begründen konnte. Der Streit um die Zulässigkeit der Reformation muss sich also mit der »Indulgenz« beschäftigen. Wenn man im »Lutherjahr« 2017 den Epochenwandel so ostentativ feiert, sollte man sich der Ursache und der Begründung der Trennung gegenwärtig sein. Immer wieder wird kolportiert, wie die skandalöse Ablasskampagne durch Johann Tetzel Anlass für Luthers Einschreiten bot. Dieser versprach nicht nur den automatischen Strafnachlass, sondern vollständigen Strafnachlass: »Sobald der Groschen in den Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt«. Diesen vollständigen Strafnachlass konnte man sogar für andere, selbst für Tote erwerben.2 Aber handelte es sich dabei doch nicht nur um einen Missbrauch? Doch ein fehlgeleiteter Gebrauch einer Lehre delegitimiert diese nicht. Die Widerlegung der Ablässe aufgrund eines Missverständnisses wäre dann ein von vornherein müßiges Unterfangen gewesen. Fragen der Beichte und Buße sind zunächst Fragen der Theologie. Es war daher die Kirchengeschichte, die im Hinblick auf das Ablasswesen und die Reformation diese Dimension aus allen konfessionellen Perspektiven immer wieder behandelte.3 Doch mit dem Versuch der römischen Kirche, die Gesellschaftsordnung Europas mit Hilfe des kanonischen Rechts dem Glauben anzupassen, wuchs um diese Fragen die Doktrin des kanonischen Rechts. Die Zulässigkeit des Ablasses war damit von vornherein auch ein juristischer Streit. Als solchen begann ihn auch Luther 1517. Diese Frage wurde bisher noch nie historisch untersucht.4 Doch auch im Protestantismus hatte der Ablassstreit eine Wirkung für die Bedeutung der Rechtsordnung, zumal Luther in den folgenden Jahren die Bedeutung des Gesetzes und der davon abgeleiteten guten Werke immer weiter hinterfragte. Die Bedeutung des Gesetzes blieb in Wittenberg strittig und flammte immer wieder auf, z. B. im »Antinomer-Streit« der 1530er Jahre5. Um die rechtshistorische Wirkung des Ablassstreits in der Wittenberger Lehre zu verstehen, muss man also die Entwicklung bis zu dieser Zeit verfolgen. Es ist daher legitim, dass sich auch einmal ein Rechtshistoriker dieser Dimension des Ablassstreits für die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts annimmt.
2 Beschreibung von Tetzels Vorgehen bei Kaufmann (2009), 200–202. 3 Vgl. aber Paulus (2000), 80ff. 4 Immerhin zuletzt Izbicki (2017), 79–104 und Quaglioni (2017), 105–125, wobei beide jedoch die Kanonistik nur ausschnittweise – wie die Titel ausweisen – analysieren. Die folgenden Bemerkungen sollen diese Beobachtungen und eigene weitere vor allem zusammenführen. 5 Dingel (2016).
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Der Blick über die Konfessionsgrenze erfüllt ein modernes Desiderat, die bisher immer noch konfessionell geprägte Forschung zu überwinden. Da es kaum Forschungen gibt, die diesen Graben zwischen den Konfessionen überwinden, erscheint er immer noch unüberwindlich; doch dies ist vorwiegend mit der fehlenden Kenntnis der Argumente der jeweils anderen Seite zu erklären. Hier soll daher der Versuch unternommen werden, im Hinblick auf die Frage der guten Werke sowohl das kanonische Recht als auch die Lehre der ersten Reformatoren hin zu befragen. Dabei wird sich zeigen, dass sich das Ablasswesen zwar gut als Zielscheibe anbot, die dagegen entwickelte Lehre jedoch kaum den Kern der Reformation ausmacht.
II.
Beichte und Ablass
1.
Gute Werke als Problem der Theologie
Das Mönchswesen verbreitete seit dem Ende der Antike mit der Idee der Privatbeichte auch die Praxis der Bußleistungen. Reue und Gebete wurden als Mittel zur individuellen Versöhnung mit Gott eingesetzt. Eine solche innere Buße konnte offenbar begangenes Unrecht ausgleichen. Erst mit dem 4. Laterankonzil von 1215 wurde die jährliche Beichte zur Rechtspflicht.6 Deren Ableistung wurde bald mit einem Beichtbrief attestiert. Indulgentien waren jedoch noch bis zum Ende des 11. Jahrhunderts unbekannt. Erst mit den Kreuzzügen wurde diese Idee von den Päpsten herangezogen, um Kämpfer anzuwerben.7 Urban II. verkündete dafür 1095 seine berühmte Indulgenz für den ersten Kreuzzug. Meistens handelte es sich um Papstbriefe, also Dekretalen, in denen der Ablass gewährt wurde.8 Der Ablass der Schuld, die insbesondere Soldaten mit sich tragen können, wurde mit Hilfe verschiedener Vorstellungen begründet. Zunächst bezog sich der Ablass auf die vom Beichtvater bestimmte Schuld. Auch die ersten Ablässe für die Kreuzzüge hatten also noch keine transzendentale Wirkung in dem Sinn, dass sich ihre Wirkung erst im Jenseits entfalten sollte.9 Jedenfalls mit den Kreuzzügen entstand nämlich die Auffassung, dass der Ablass sich nicht auf die Bußstrafe, sondern auf die Zeit des Fegefeuers beziehe, die jede Seele für die Verbüßung ihrer Sünden zu durchlaufen hatte. Es ist dabei wiederum strittig, ob die Vorstellung des Fegefeuers im 12. oder – wahrscheinlicher – noch zur Zeit der Karolinger entstand.10 Nach dieser Auffassung mischte sich die Indulgenz weder in 6 7 8 9 10
Immer noch grundlegend Lea (1896 / 2005). Klassisch die Darstellung von Paulus (2000), 134f m. w. N. Paulus (2000), mit den Nachweisen 372f. Strittig, vgl. Bysted (2015), 24ff. Brandt (2008), 123.
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die Kompetenz der weltlichen noch des ewigen Richters direkt ein. Doch natürlich hatte auch die vom Beichtvater verhängte Buße ihrer Intention nach eine Wirkung auf die Errettung und damit eine soteriologische Funktion. Im 13. Jahrhundert wurde die Entscheidung auch mit der Macht der Kirche begründet, die Christus durch den Sieg über den Tod erworben habe.11 So wie er hätten die Märtyrer und Heiligen einen Schatz an guten Werken begründet, über den der Papst bestimmen dürfe. Wie eine Bank Geld einnimmt und davon wieder Kredite gewährt, so sollte der Papst berechtigt sein, vom Kirchenschatz Jahre der Indulgenz abzuheben und reuigen Sündern zu verleihen.12 Damit war es vor allem der Papst, der aufgrund seines Rechts der beiden Schlüssel, die Seelen zu binden und zu entbinden, berechtigt war, Strafen zu bestimmen und davon loszusprechen. Erst im 14. Jahrhundert entwickelte sich die Praxis, auch für Verstorbene Indulgentien erwerben zu können.13 Was als Reservatrecht des Papstes entwickelt wurde, wurde sehr bald im Wege von Privilegien etc. auf Bischöfe und Pfarrer übertragen. Bei den Rom-Führern, die den Rom-Pilgern den Parcours der Kirchenbesuche mit den dadurch erworbenen Ablässen erläuterten, wurde diese allein durch die Tat erworben, wobei die deutsche Fassung sogar mehr versprach als die lateinische: Hier wurde offenbar damit gerechnet, dass die deutschen Besucher noch viel weniger überprüfen konnten, ob es je eine solche Indulgenz gegeben hatte.14 Der innerhalb der Kirche schwelende Streit um die theologische Möglichkeit der Indulgentien15 wurde mit der jedenfalls gebotenen Schlüsselbefugnis des Papstes in Grenzen gehalten, schwelte aber weiter. Die Praxis in den Territorien wich oft frech davon ab. Auch in Tetzels Ablassbriefen wurde – sozusagen im Kleingedruckten – auf die notwendige Reue und die rechte Lehre verwiesen; aber offensichtlich rechnete man damit, dass dies nicht zur Kenntnis genommen wurde. Indulgentien waren damit ein alter theologischer Schwachpunkt und der Missbrauch an der Tagesordnung.16 Es lohnt sich daher, auf die Kanonisten zu schauen und ihre Einschätzung der Indulgenz zu erfahren.
11 12 13 14 15 16
Cordez (2017), 45–62. Jombart (1957), 1331–1351, 1332. Brandt (2008), 126. Miedema (2017), 459–481. Felmberg (1998), 83. So bereits Paulus (2000), 395ff.
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2.
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Ablass in der Kanonistik
Das vor 1140 entstandene Decretum Gratiani kannte das Institut der indulgentia. In Gratians Abschnitt »de poenitentia« wird die Buße wie eine Medizin gegenüber der Straffälligkeit behandelt.17 Die Indulgenz wird dabei mehrfach erwähnt, ohne jedoch erläutert oder problematisiert zu werden. Einige Präzisierungen durch Gratian sind immerhin aussagekräftig: Zum einen betonte er, dass die Buße bis zum Tod möglich sei.18 Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass der Ablass nicht mehr für Tote erworben werden konnte. Sowohl hinsichtlich des Verfahrens (D.4 c.127 § 3) als auch der Missbrauchsmöglichkeit zeigte sich Gratian besorgt: In solchen zweifelhaften Fällen dürfe es keine Indulgenz geben.19 Mit der Aufnahme der Indulgenz in den ersten Teil der Sammlung des kanonischen Rechts stellte sich die Frage, ob die Indulgenz eine Frage des Rechts oder der Theologie sei. Die Glossa ordinaria zum Dekret (um 1215 bis nach 1234 fertiggestellt) zitierte hierzu unterschiedliche Auffassungen und verwies dabei auf einen alten Streit hierzu. Da die Indulgentien jedoch letztlich durch ein Gesetz (statutum) begründet würden, müssten sie als Recht anerkannt werden.20 Der Dekretalistik gelang es noch nicht, zu einer Dogmatisierung des Stoffes zu gelangen.21 Es waren jedoch erst spätere Dekretalen, die sich mit dem Recht der Indulgentien näher beschäftigten. Überwiegend entstammen sie dem Vierten Laterankonzil von 1215. Teilweise ging es um die päpstliche Kontrolle der Reliquienverehrung,22 teilweise um die rechtmäßige Gewährung von Indulgentien durch die Päpste im Kampf gegen Ketzer23 oder die notwendige Präzision bei der Gewährung einer Indulgenz.24 Da die Geldeintreiber, die Quaestoren, häufig ihr 17 Decretum Gratiani, de poenitentia, d.1 c.62. 18 Decretum Gratiani, de poenitentia d.7 Einleitung: »Tempus vero poenitentiae est usque ad ultrimum articulum vitae«. 19 Decretum Gratiani, de poenitentia, d.3 c.39: IX. Pars. [Gratian.]: »His auctoritatibus, que sit uera, que falsa penitencia ostenditur, et falsae nulla indulgentia dari probatur«. 20 Glossa ordinaria zu C.33 q.2 c.5, 1083: Gl. Indulgentia. In der Ausgabe des Decretum Gratiani, Venedig 1572, Glossarum Decreti medulla, findet sich zu ›Indulgentia‹ die Aussage: »indulgentias vendere simul vel immediate post sacramenti eucharistiae, horrenda est in ipsum paramentum blasphemia«, mit Verweis auf S.718 col.2. Diese Aussage ist dort nicht zu finden; andere Ausgaben kennen diesen Eintrag nicht. Es ist daher wahrscheinlich, dass es sich um einen Zusatz mit der Auffassung des – protestantischen – Setzers in Venedig handelt. 21 Guido a Baisio (Archidiaconus) (1559 / 2008), zu C.2 q.3 c.8 DG § 8, fol.137 n.1: der Begriff indulgeo sei vieldeutig und wurde u. a. mit Dispensation gleichgesetzt. Immerhin (n.3) sollte dies nur für vorher begangenes Unrecht gelten. 22 X 3.45.2 »Cum ex eo« = 4ConcLat c.62, a.1215; 4Comp 3.17.2. 23 X 5.7.13 »Excommunicamus« = 4ConcLat c.3, a.1215; 4Comp 5.5.2, in »de haereticis«, hier §§ 4 und 5. 24 X 5.38.4 »Quod autem consuluisti« = Alexander III an Erzbischof von Canterbury, 1Comp 5.33.3 und 1Comp 2.20,36, JL n.12411 (weitere Teile in 13831).
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Amt missbrauchen und lügen würden, müssten sie zunächst ihre Autorisierung durch den Papst oder den Diözesanbischof vorweisen. Alles sei zu unterlassen, was wie falsche Lehre wirke, z. B. am falschen Platz zu wirken. Doch auch einige Prälaten würden sich nicht scheuen, überflüssige Indulgentien (indiscretas et superfluas indulgentias) zu verleihen, womit sie die Schlüsselgewalt der Kirche letztlich verachten würden. Daher dürfe keine Indulgenz mehr als 40 Tage oder allenfalls ein Jahr Strafaufhebung gewähren.25 Übermäßige Indulgentien der Bischöfe sollten automatisch unwirksam sein.26 Die Glossa ordinaria27 zum Liber Extra, dem Gesetzbuch von 1234 mit den genannten Dekretalen, präzisierte die Bestimmung, dass Ablässe z. B. nicht am falschen Ort wie z. B. in Kneipen verteilt werden sollten, nicht zu weiträumig und in der Wirkung nicht zu lang erteilt werden dürften. Nur der Papst habe eine Vollmacht, die ihn davon abweichen lassen dürfe. Eine Indulgenz, die mehr als ein Jahr Strafnachlass gewähre, sei daher im Zweifel ungültig.28 Papst Innozenz IV. (vor 1200–1245) bemühte sich in seinem Kommentar in gleicher Weise um Vorsicht und maßvolle Anwendung. Die Buße, die durch eine Leistung, einen zurückgelegten Weg oder einen Kampf erbracht werde, könne gelegentlich auch mit einer Geldzahlung erbracht werden.29 In der Bestimmung der Bußleistung habe der Beichtvater eine große Ermessensfreiheit ebenso wie Gott als letzter Richter. Auf der Erde sei es vor allem die Schlüsselgewalt des Papstes, welche diese Freiheit begründe; zu diesem Bereich sei die Indulgenz zu rechnen.30 Aus diesem Grunde könne man die Geldzahlung akzeptieren. Sie wirke durch einen Ablass von der im Purgatorium zu verbringenden Zeit.31 Für die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Indulgenz stützte sich Innozenz IV. auf Guilelmus Altissidoriensis (Wilhelm von Auxerre)32 und dessen sieben Kriterien:33 1. Die Begründung der Indulgenz letztlich durch die Schlüsselgewalt Petri, 2. Die Notwendigkeit des Orts, 3. Das Vorhandensein einer devotio fidei seitens des Empfängers, 4. Der status poenitentis des Beichtenden habe zur Reue geführt (contritus), 25 So X 5.38.14 »Cum ex eo« (Fn. 22). 26 VI 5.10.3 »indulgentiae«, Bonifacius VIII, als bis dahin noch nicht zitierter Teil der Dekretale »Cum ex eo« (s. Fn. 22). 27 Glossa ordinaria (1595), Casus, 1324. 28 Glossa ordinaria (1595), Glosse »a pluribus«, 1324. 29 Innocentius IV, Commentaria super libros quinque Decretalium, zu X 5.38.4 »Quod autem consuluisti«, fol.543v, n.1. 30 Innocentius IV, Commentaria (Fn. 28), zu X 5.38.4 »Quod autem consuluisti«, fol.543v, n.5, 8. 31 Innocentius IV, Commentaria (Fn. 28), zu X 5.38.4 (Fn. 29), n.2f. 32 Wilhelm / Guillaume von Auxerre (1145–1231), seine Hauptwerke sind die Summa aurea und Summa de officiis ecclesiasticis. 33 Innocentius IV, Commentaria (Fn. 29), n.6.
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5. Die Entscheidung müsse der Gewalt des Entscheidenden entsprechen (discretio), 6. Es müsse geboten sein, als Bußleistung die Geldzahlung zu verlangen anstelle von z. B. Fasten, 7. Die Bußleistung müsse angemessen sein (iusta aestimatio). Für Tote wollte Innozenz den Ablass immerhin nicht gestatten: Diese unterstünden nicht mehr einem weltlichen Richter. Allerdings könnten die Lebenden – wie sonst immer auch – Gott für ihre Toten bitten. Offensichtlich entsprach die Indulgenz in der Wirkung also durchaus einem Gebet, wenn sie auch etwas stärker als ein Gebet sein sollte.34 Ganz konkret fragte Henricus de Segusia (um 1200–1271), Bischof von Ostia und daher meist Hostiensis genannt, in seiner Summa, ob gute Werke dem einzelnen nützen könnten.35 Hostiensis entschied, dass der Teufel dadurch weniger Macht über den Menschen habe. Gute Werke könnten sogar eine Todsünde in ihrer Wirkung mindern oder gar auslöschen. Wenn jemand wieder im Glauben lebe, dann würde auch all das erneut lebendig werden, was ihn vorher bereits als guten Menschen ausgezeichnet habe. Nach Augustin sollten wir auf Vergebung hoffen, und Hieronymus sei der Auffassung gewesen, dass Gott die guten Werke zwischen den schlechten nicht vergessen würde. Gott würde verzeihen, jedoch müssten die Sünder die Wurzel der Sünde entfernen. Doch nicht das Ableisten des guten Werks, sondern erst die neue Einstellung würde dies bewirken: »semper sibi caueat ne se oneret ipsum simpliciter absoluendo.« Etwas konkreter wurde er noch in seinen Kommentaren zu den Dekretalen. Zur Wirksamkeit der guten Werke gebe es alte Zweifel und viele Fragen.36 – Wirksam könnten sie nur sein, wenn Gott selbst verzeihe. – Notwendig sei jedenfalls die Reue (contritio) und die Genugtuung (satisfactio). – Niemand könne sich einfach von der Strafe freikaufen.37 – Der Strafablass wirke nicht auf die weltliche, sondern die geistliche Strafe. Der Mensch müsse immer in der Unsicherheit leben und leiden. Niemand könne wissen, wie viel Strafe ihm zugerechnet würde und wie viel Ablass er daher
34 Nach der Bulle von Sixtus IV. vom 17. 12. 1475, sollte die Indulgenz für Tote nicht als geistlichrichterliche Lossprechung, sondern per modum suffragii, also als Gebet wirken; vgl. Müller (1830), 13. 35 Henricus de Segusio / Hostiensis, Summa Aurea (1537 / 1962), V. »De penitentiis et remissionibus«, n.58, fol.282r. 36 Hostiensis, Commentaria zu X 5.38.4 »quod autem«, fol.99v. 37 Hostiensis, Commentaria zu X 5.38.4, fol.100r, n.3.
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benötige.38 Hostiensis betonte dabei wieder, dass Ablässe höchstens für ein Jahr Erlass gewähren könnten, egal wer der Aussteller sei. Die Indulgenz könne nicht die im Leben erforderliche Buße reduzieren.39 Für die Voraussetzungen einer wirksamen Indulgenz verwies Hostiensis wie sein Freund und Papst Innozenz IV. auf Guillelmus Altissiodorensis:40 1. Wer eine Indulgenz erteile, müsse über eine »potestas ligandi atque soluendi« verfügen, die nur bei Prälaten gegeben sei. 2. Für die Indulgenz müsse es eine »necessitas loci« geben. 3. Der Sünder müsse an die Kraft der Indulgenz glauben (devotio fidei). 4. Der Empfangene müsse den »status poenitentis« haben, also Reue empfinden (contritus). 5. Der Entscheider müsse entscheiden können, wie viel zur Lösung (redimat) von den Sünden erforderlich sei. 6. Zwischen der Indulgenz und der vorhandenen Schuld müsse es ein angemessenes Verhältnis geben (iusta aestimatio). 7. Der Empfangene müsse dem, der die Indulgenz erteile, untergeben sein. Johannes Andreae (1270–1348) fasste am Anfang des 14. Jahrhunderts noch einmal die Skepsis der Kanonistik in der knappen Formulierung zusammen: Das Königreich Gottes könne man nicht mit Geld erwerben.41 Auch durch das Zusammenwirken mehrerer Bischöfe könne kein Ablass mehr als ein Jahr Strafe erlassen. Als argumentum ad absurdum erklärte er, dass sonst zwei Bischöfe ja sonst leicht zwei Jahre Straferlass bewirken könnten.42 Der Vergleich zu den vielen Jahren, die von den Romführern oder Tetzel versprochen wurden, macht deutlich, wie unterschiedlich hier Theorie und Praxis dachten. Wohl auch im Hinblick darauf erklärte Johannes Andreae, dass Missbrauch zur Aberkennung des Rechts zur Erteilung von Indulgentien führen könne.43 Die Lehre der späteren Kanonistik wurde schon verschiedentlich dargestellt44 und soll hier nicht wiederholt werden. Als repräsentativ wird hier nur auf den bekanntesten Kanonisten hingewiesen, Nicolaus de Tudeschis, Erzbischof von Palermo (»Panormitanus«). Auch er betonte, dass Indulgentien nur moderat und
38 39 40 41
Hostiensis, Commentaria zu X 5.38.4, fol.100r.n.3. Hostiensis, Commentaria zu X 5.38.4, »quod autem«, fol.104r n.3. Hostiensis, Commentaria zu X 5.38.4, »quod autem«, fol.104r n.5. Johannes Andreae (1581 / 1997), zu X 5.38.14, fol.129r, n.7 (in summario) »Regnum Dei non potest emi pecunia«. 42 Johannes Andreae (1581 / 1997), Commentaria zu X 5.38.14, fol. 129v n.15. 43 Johannes Andreae (1581 / 1997), Commentaria zu VI 5.10.3, fol.157r n.3. 44 Izbicki (2017); Qualglioni (2017); Paulus (2000), 80ff.; einen weiteren Bericht durch Andrea Massironi werden demnächst David v. Mayenburg und Silvia di Paolo in einem der »Kirche in der Krise« gewidmeten Band publizieren.
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diskret angewandt werden dürften.45 Der Ablass wirke auf das Fegefeuer und ersetze weltliche Bußleistungen, doch dürfe der Ablass in der Regel nicht mehr als 40 Tage ersetzen.46 Im übrigen folgte er der Lehre von Innozenz IV.47
3.
Ergebnis
Die Lehre der Theologie war um 1500 wegen der deutlichen Streitigkeiten zwischen Befürwortern und Kritikern der Ablässe noch nicht völlig dogmatisiert.48 In der Kanonistik gab es dagegen eine deutlich überwiegende Meinung, welche die Indulgentien mit Misstrauen betrachteten, auf eine extreme Einschränkung des Mittels und alle Missbrauchsmöglichkeiten achteten. Den automatischen Strafnachlass ohne Sünde gab es nicht, ebensowenig die Sicherheit, dass die erworbene Indulgenz ausreichen würde. Allmacht Gottes und die Freiheit seiner Entscheidung blieben damit erhalten. Die zulässige Höhe der Indulgentien betrug ein Bruchteil von dem, was die täglich in den Straßen verkauften Ablassbriefe versprachen. Die Wirkung des Ablasses für Tote wurde abgelehnt. Vor dem Hintergrund dieser Lehren erscheint das, was sich in den Romführern, den Praktiken von Tetzel u. ä. manifestierte, eindeutig als Bauernfängerei und Missbrauch.49 Luther griff damit eine Praxis an, die nach dem zeitgenössischen Kirchenrecht rechtswidrig war. Luther hatte gute Gründe, sich gegen die Ablässe zu wenden. Natürlich versuchte die römische Kirche, Luther zu widerlegen. Luthers Argument, dass es wohl vor Papst Gregor I. im 7. Jahrhundert keine Indulgentien gegeben habe, vermochte sie mangels verfügbarer historischer Kenntnisse nicht zu widerlegen. Auch die Verteidigung von Tetzel mit der Autorität der Kirchenväter blieb darum schwach. Umso forscher bestand Silvester Mazzolini »Prieras« OP, »Magister sacri Palatii« – also Haustheologe des Vatikans, daher darauf, die Schlüsselkompetenz und die darauf gegründete Praxis der vergangenen Jahrhunderte reiche aus, um das Institut zu legitimieren. Daran Zweifel zu hegen, sei bereits Häresie.50 Rechtlich war damit das Institut selbst tatsächlich begründet.
45 46 47 48 49
Panormitanus (1588 / 2008), Commentaria zu X 5.38.14, 348v n.3. Ebd. n.4f. Panormitanus, Commentaria zu X 5.38.4 »Quod autem«, 338v n.7. Felmberg (1998), 83. Zugestanden durch den Kanonisten des 18. Jahrhundert in Zegner Bernard van Espen (1769), II.1.7 De Indulgentiis c.3, 95 n.31; Band X (Index), 182 sub v.o Indulgentiae: »Horribiles excessus Quaestorum eleemoysynarum«. 50 Izbicki (2017), bes. 98–101; Walter (2017), 642–654.
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Mathias Schmoeckel
III.
Luthers Kritik und lutherische Besinnung bis 1525
1.
Martin Luther
Luther ging 1517 zunächst vorsichtig vor. Legitim könnten Ablässe nur sein, sofern sie vom Papst oder nach dem kanonischen Recht gestattet worden seien.51 Durchaus im Einklang mit alten Lehren präzisierte er: Gottes Entscheidung könne der Papst allenfalls verkünden. Es gehe hier auch nicht um die Vergebung von Schuld (n.76), sondern um Strafnachlass. Die Indulgentien gälten allenfalls für die Lebenden, jedoch nicht für die Sterbenden – erst recht also nicht für die Toten. Jeder Christ hätte auch ohne Ablassbriefe Anteil an dem Schatz der Kirche (n.37). Vor allem ging es ihm darum, die Bedeutung der Reue zu betonen, die nicht durch den Kauf von Ablassbriefen ersetzt werden dürfe. Gott würde Ablass bei echter Reue gewähren, auf den Ablassbrief käme es hierbei ebenfalls nicht an (n.36). Wer echte Reue verspüre, liebe sogar die Strafen (n.40) und würde nicht versuchen, diese durch Ablässe zu umgehen. Wer sich dem Werk der charitas gegenüber dem Nächsten hingebe, bei dem wachse die Liebe. Durch den Ablass würden die Menschen dagegen nicht besser, sondern allenfalls frei von Strafe (n.44). Wenn man durch den Ablass die Furcht vor Gott verliere, sei der Ablass sogar schädlich (n.49). Der Papst müsse also nicht nur gegen den Missbrauch vorgehen (n.50), sondern sogar den durch das Ablasswesen entstehenden Schaden ersetzen, notfalls durch den Verkauf der Peterskirche (n.51). Aufgabe sei es vor allem, allen Christen die Nachfolge Christi zu lehren, anstatt einen Scheinfrieden vorzugaukeln (n.94f). Der Weg zu Luthers neuer Theologie, allein der Glaube, allein Christus und seine Gnade (sola fide, solus Christus, sola gratia) könne die Rechtfertigung begründen, war damit noch nicht beschritten. Doch kann man erkennen, wie in den Auseinandersetzungen mit Rom in den Folgejahren der Weg zu diesen drei Grundentscheidungen gegangen wurde. Mit der entschlossenen ausschließlichen Rückbindung auf die Autorität der Bibel allein (sola scriptura) konnte Luther 1520 in seiner Schrift Von den guten Wercken nur das als »gutes Werk« anerkennen, was Gott selbst als solches bezeichnet habe.52.Doch nicht die Werke bewirkten Luther zufolge eine Entscheidung Gottes, sondern allein der dahinter wirkende Glaube.53 Die Gerechtigkeit werde daher durch den Glauben bewirkt, so wie das erste Gebot – Gott zu ehren – nicht durch Gottesdienste, sondern 51 Martin Luther, Disputation zur Erläuterung der Kraft des Ablasses (95 Thesen) [1517], in: Ausgewählte Schriften, I, 26–37, 28 = WA 1, 233–238. 52 Martin Luther, Von den guten Wercken [1520], (WA 6), 202–276, 204f [= Ausgewählte Schriften, I:, 38–149, 42]. 53 Martin Luther, Von den guten Wercken (Fn. 52), 216 »Czum sechtzehenden« [45].
Vom Recht der Guten Werke: Ging Luthers Kritik am Ablasswesen fehl?
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Glauben erfüllt werde.54 Indulgentien konnten danach kaum eine Wirkung entfalten. Damit stellte sich jedoch die Frage, ob gute Werke irrelevant, die Beachtung des Gesetzes sogar selbst irrelevant geworden sei. Wer im Glauben lebe, bedurfte nach Luther in der Tat der Gesetze nicht, weil er diese ohnehin erfüllen würde.55 Nur die Bösen bräuchten das Gesetz, um durch die Strafe von ihren Verbrechen abgebracht zu werden. Allenfalls für Kinder und aufgeschlossene Menschen könne man durch äußerliche Zeremonie ein Verhalten unterrichten, bis diese den Glauben zu erkennen lernten. Das Gebet solle daher nicht im Abzählen von Körnern, also der Häufung von Gebeten nach Maßgabe des Rosenkranzes, bestehen. Durch das innere Gebet, im Gegensatz zu dem bloß äußerlichen, solle man Gott seine Anliegen vorbringen, also ein unmittelbares Gespräch über die eigenen Sorgen beginnen. Man müsse sich dafür den Nöten des eigenen Lebens stellen und auf Gottes Hilfe bauen.56 Luther selbst entwickelte seine Lehre im gleichen Jahr in Von der Freiheit eines Christenmenschen derart weiter, dass sie ihn immer mehr zur Verachtung des Gesetzes führte, das mit dem äußeren Werk meist gleichgesetzt wurde. Mit der Unterscheidung des leiblichen und geistigen Menschen in seiner Freiheitsschrift kam es nur noch auf den Glauben an; einziges Werk sollte die Übung sein, Gottes Wort zu hören.57 Die Gesetze zeigten zwar den Weg, gäben jedoch keine Stärke dazu; ohne den Glauben könne man sie nicht einhalten.58 So gelangte Luther zur Differenzierung der zwei Weisen, in denen das Gesetz wirke: es schärfe sämtliche Gebote unter Strafvorbehalt ein (usus civilis) und zeige uns damit zugleich, dass wir sie allein, also ohne die Unterstützung des Glaubens, nicht einhalten könnten (usus theologicus). Das Gesetz zeige uns also unsere notwendige Verdammnis.59 Luthers Dichotomien drängten ihn dazu, das Gesetz immer mehr zu betrachten als äußere Einrichtung gegen die Bösen, während die wahren Christen das Evangelium hätten.60 In diesem Zug wurde aus Erfahrung erschlossen, dass ein guter Fürst ein seltener Vogel sei, doch ohnehin die Einrichtung des Fürsten nur dem Bösen wehren solle. Es ging also nur um Bestrafung der Bösen; wie ein Storch die lauten Frösche fresse, so liege das Wesen des Fürsten darin, das
54 Martin Luther, Von den guten Wercken (Fn. 52), 211f »zum elften / zum zwölften« [51, 53]. 55 Martin Luther, Von den guten Wercken (Fn.52), 213 »zum vierzehnten« [55]. 56 Martin Luther, Von den guten Wercken (Fn. 52), 239 »Von dem dritten gebot – Czum Neunden« [252]. 57 Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen [1520], WA 7, 20–38, 20/ 23 = Ausgewählte Schriften, I, 238–263, 239, 242. 58 Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (Fn. 56), 243. 59 Näher dazu Witte (2002), 102ff. 60 Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (Fn. 56), 22f zum 6./26f zum 13. (241/ 246); in dieser Hinsicht die Erklärungen bei Heckel (2016), 406ff.
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Schwert gegen die Ungerechten zu gebrauchen.61 Das Gesetz hatte selbst also keine ethische Aufgabe mehr. Allerdings wollte Luther nie die Notwendigkeit des Rechts in Frage stellen, ohne Gesetz könne kein Reich und Regiment bestehen.62 Mit seinem Optimismus, dass die Heilige Schrift nicht nur dem Einzelnen verständlich ist, sondern sogar verstanden werden will, konnte man auf die ausreichende Mitwirkung des Einzelnen und die gnädige Allmacht Christi über den Tod hoffen.
2.
Johannes Bugenhagen
Es kann also nicht wirklich überraschen, dass auch Luther sich bereit erklärte, an der Entwicklung der ersten kirchlichen Ordnungen in Sachsen mitzuwirken. Der erste Versuch für Wittenberg, vor allem aber der zweite für die Einrichtung einer Verwaltung in der Stadt Leisnig fand auch seine schriftstellerische Unterstützung. Noch viel mehr war damit allerdings Dr. Pomeranus beschäftigt, Johannes Bugenhagen (1485–1558),63 der ab 1523 Stadtpfarrer war und ab 1525 immer mehr von neuen reformwilligen Städten und Staaten gebeten wurde, mit Kirchenordnungen zu helfen. Bugenhagen blieb dabei in seiner Lehre Luther besonders treu. Wie dieser war er bereit, die Buße als reine Äußerlichkeit abzuwerten.64 1524 fasste Bugenhagen den Irrglauben an das Gesetz erneut aus seiner Sicht zusammen.65 Doch insbesondere die Ereignisse des Bauernkrieges ließen ihn umdenken.66 Noch immer betonte Bugenhagen dann, dass es nicht auf äußerliche Praktiken, sondern die Reinheit des Herzens ankomme.67 Es käme daher nicht auf das Werk, sondern den Glauben an Christus an. Doch es sei ein Missverständnis, den Lutheranern vorzuwerfen, sie würden alle guten Werke ablehnen. Gute Werke könnten insbesondere dazu dienen, den Körper zu unterwerfen. Fasten, Wachen, Arbeit und Gebet könnten dabei helfen, das Gebot der Nächstenliebe umzusetzen.68 Leibliche Übungen könnten hilfreich sein, um den inneren Adam abzutöten und sich auf die Werke zugunsten der Nächsten zu konzentrieren. Trost, 61 Martin Luther, Von welltlicher Uberkeytt, wie weyt man yhr gehorsam schuldig sey [1523] (WA 11, 245–280), 254, 268. 62 Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (Fn. 59), 259. 63 Leder (2008), 709–711. 64 Bieber (1992), 261, 299ff; 164f. 65 Johannes Bugenhagen, Aus der Pauluskommentierung. Ain schöne Offenbarung, Reformatorische Schriften (1515/16–1524), I,1, 740–742, n.5–7. 66 Olli-Pekka Vainio (1580 / 2008), 54. Zum Aufbau des Sendbriefs vgl. Holfelder (1981), 86ff; vgl. ferner schon Schmoeckel (2022), 84–138. 67 Kötter (1994), 157f. 68 Lorentzen (2008), 135f.
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Lehre und Strafen könnten gleichermaßen helfen, die Menschen auf den rechten Weg zu setzen.69 Gute Werke zählten jedoch nur dann, wenn sie aus freiem Willen, nicht als Mittel der Sündenvergebung erfolgten.70 Dann könnten sie vor dem Jüngsten Gericht von Gott belohnt werden. Nicht der Mensch wirke hier, sondern Gott, der nicht als Richter, sondern durch seinen Sohn als Retter wirke und ein solches Versprechen zur Rettung gegeben habe.71 Jegliche Berechnung dabei sei Heuchelei, das Werk von Pharisäern. Trotz der Freiheit der Christen sei es falsch, das Gesetz zu verwerfen und durch das Evangelium ganz zu ersetzen. Wie die Pfarrer sei die untere Obrigkeit erforderlich, um Ruhe und Sicherheit zu bewahren.72 Mit dieser Schrift entdeckte Bugenhagen die Bedeutung der rechten Lehre. Der Staat wurde in die Pflicht genommen, für die Einsetzung eines kompetenten Pfarrers zu sorgen, der die Unterweisung des Volks in der christlichen Lehre vornehmen könne. Dafür brauche man den Staat, der die entsprechenden Strukturen nicht nur der Kirche, sondern auch der Schule einrichte. Im Kern ging es also um eine neue Bedeutung der christlichen Erziehung.73 Aus der Bedeutung der rechten Lehre des Pfarrers flossen die Notwendigkeit der Erziehung, kirchlicher und staatlicher Institutionen, die darüber wachten, sowie die rechte Verwendung der öffentlichen Mittel für den Unterhalt dieser Einrichtungen, des Pfarrers und der Armenfürsorge, wozu gleichermaßen Ausbildung gehöre. Letztlich erhielt der weltliche Herr damit die Aufgabe des defensor fidei.74 Die weltliche Ordnung erhielt eine soteriologische Aufgabe,75 die weit über die Abwehr des Bösen hinausging. Diese Grundüberzeugung findet man dann immer wieder in Bugenhagens Kirchenordnungen.76 Die Ordnung wurde gut und sogar notwendig, um die Reinheit der Predigt, die gute christliche Unterweisung und die Armenbetreuung zu garantieren. Ein solches Gesetz, das geistliche Dinge befördere, etwa die Liebe Gottes, sei letztlich ein geistliches Gesetz. Das Kirchenrecht stehe letztlich im Dienst der Ordnung Gottes.77 Durch
69 Johannes Bugenhagen, Von dem christlichen Glauben, in: Leben und ausgewählte Schriften, 101–267, 166f. 70 Johannes Bugenhagen, Von dem christlichen Glauben (Fn. 68), 111. 71 Lorentzen (2008), 138. 72 Darauf wies schon hin Schorn-Schütter (2014), 251–280, 275 zu Bugenhagens Sendbrief von 1526. 73 Olesen (2007), 93–110, 95. 74 Olesen (2007), 100, 106. 75 Olesen (2007), 100. 76 Lück (2007), 171–189; Sprengler-Ruppenthal (1971), 196–233, 203f; klassisch Richter (1851 / 1970), 19ff. 77 Sprengler-Ruppenthal (1971), 207.
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die Erklärung des rechten Lebens half es den Kindern Gottes, sich in die guten Werke und damit den Glauben einzugewöhnen.78
3.
Philipp Melanchthon
Philipp Melanchthon (1497–1560) wagte es, sich einen Schritt weiter von Luther zu entfernen. Durch die Rezeption von Aristoteles ab 1525 lernte er, dass die Jugend in Athen in den Gesetzen Athens unterrichtet wurde, um gute Bürger der Stadt zu werden.79 Noch in seinen Loci communes von 1521 hatte er ganz im Sinne Luthers die Obrigkeit als Rächerin der verletzten Gesetze angesehen, die vor allem Straftäter verfolgen solle.80 Nach dem Bauernaufstand entwickelte er mehr Verständnis für die Rolle der Obrigkeit. Sie solle Gericht und Gesetz schaffen, dass damit die leiblichen Güter in Frieden geteilt werden könnten.81 Liebe und Barmherzigkeit sollten ihre Regierung prägen, damit Frieden wieder einkehren könne und jeder in seinem Stand ruhig dienen könne.82 Der Fürst werde belohnt wie Ezechiel, wenn er die Reform seines Reiches unternehme. Dazu gehöre die Einrichtung des Pfarramts, um das Evangelium im Land richtig zu predigen.83 Die Anstellung von Pfarrern und die rechte Lehre des Evangeliums wurden zu einem Kennzeichen der gottgemäßen Ordnung. Voraussetzung waren Schulen und stabile soziale Verhältnisse. Ab 1525 beschäftigte sich Melanchthon stärker mit Aristoteles und über Cicero mit der Stoa. Noch immer bildete der Gegensatz von Evangelium und Gesetz für ihn den Ausgangspunkt. Doch nun sollten die Gesetze helfen, die Ethik zur wahren Praxis zu machen.84 Zwar sei das Naturrecht in das Herz aller Menschen eingeschrieben, doch nicht allen werde das Gesetz unmittelbar deutlich. Gute menschliche Gesetze dienten daher dazu, die Tugenden zu bestimmen und vorzuschreiben.85 Durch Gesetzgebung erweiterten die Menschen daher ihr Wissen um das richtige Verhalten über das Naturrecht hinaus. Für den richtigen Christen würden Gerechtigkeit und die Einhaltung der Gesetze miteinander
78 79 80 81 82 83 84 85
Kötter (1994), 199. So schon Schmoeckel (2012), 179–202; nicht bei Scheible (2016). Philipp Melanchthon, Loci Communes, X.2, 366. Philipp Melanchthon, Eyn schrifft widder die artickel der Bawrschafft, CR 20, 642–662 (»Confutatio articulorum Rusticanorum«), 646. Philipp Melanchthon, Eyn schrifft widder die artickel (Fn. 80), 662. Philipp Melanchthon, Eyn schrifft widder die artickel (Fn. 80), 651. Philipp Melanchthon, Enarrationes librorum Ethicorum Aristotelis [1529], CR 16, 277–416, 277f, 285. Philipp Melanchthon, Enarrationes librorum Ethicorum Aristotelis (Fn. 83), 319, 342.
Vom Recht der Guten Werke: Ging Luthers Kritik am Ablasswesen fehl?
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verschmelzen. Letztlich müssten sich alle von einer Interpretation des Gesetzes leiten lassen.86 Die Menschen seien vernunftbegabt, wenn auch fehlbar. Man müsse ihnen helfen, die Tugend zu lernen. Das weltliche Gesetz könne sowohl die Wiedergeborenen als auch alle anderen an die richtige Ordnung erinnern und dabei helfen, sich das richtige Verhalten anzugewöhnen. Die zweite Überarbeitung der Loci theologici von 1535 lehrte daher den Gebrauch des Gesetzes durchaus neu.87 Der »usus civilis« listet v. a. für die Ungerechten auf, was geboten sei. Das zweite »officium« des Gesetzes liege darin, die Sünde zu zeigen, anzuklagen und zu verdammen (usus theologicus). Der dritte Gebrauch liege darin, diejenigen, die im Glauben gerecht seien, in den guten Werken zu unterweisen. Selbst die im Glauben Wiedergeborenen könnten sich durch die Lektüre des Gesetzes daran erinnern, was von ihnen verlangt werde (tertius usus legis: usus in renati).88 Gesetze wurden damit immer mehr zum Lehrbuch des Volkes.89 Die Entwicklung der Gesetze konnte man als Versuch begreifen, Gottes Willen zu bestimmen und das Ergebnis zu publizieren. Nach dem Sonntagsgottesdienst mussten die Bürger daher in der Kenntnis der Gesetze unterwiesen werden. Art. 16 der Confessio Augustana von 1530 hielt daher noch einmal knapp fest, dass zu einer guten Ordnung auch weltliche Gesetze und Rechtsprechung notwendig seien.
4.
Ergebnis bis 1530
Luther entwickelte also nicht nur Argumente gegen den Missbrauch der Indulgentien, sondern entwickelte dann ab 1520 vor allem jene Theologie, die dem Papsttum das Recht nahm, maßgeblich den Glauben zu definieren. Es war dabei nicht nur die Schlüsselgewalt, die geleugnet wurde. Eine viel größere Rolle spielte dabei die persönliche Beziehung zwischen Gott und dem Gläubigen. Indem der Christ im Gebet seine Fragen und Probleme direkt Gott vorhalten solle, entwickele sich eine unmittelbare Beziehung zwischen beiden, die Glaube genannt werde. Bugenhagen bemerkte dazu einmal spöttisch, man nenne die Gläubigen ja auch Christen, nicht Rosenkränzler.90 86 Philipp Melanchthon, Enarrationes librorum Ethicorum Aristotelis (Fn. 83), 409: »Spectandam esse rationem legis, quam vocant animam legis, et iuxta hanc dicunt extendi vel restringi legem. Disputant de defintione iuris, cur dicatur hic ars boni et aequi, cum tamen bonum et aequm sit correctio legum, ut hic dicitur.« 87 Philipp Melanchthon, Loci theologici – secunda aetas [1535], CR 21, 348–560, 405. 88 Philipp Melanchthon, Loci theologici – secunda aetas (Fn. 86), 406. 89 Schmoeckel (2009), 397–436; englische Fassung Schmoeckel (2013), 252–272. 90 Johannes Bugenhagen, Von dem christlichen Glauben (Fn. 68), 101–267, 108f.
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Mathias Schmoeckel
Luthers Dichotomie zwischen Gesetz und Evangelium führte ihn dazu, im Jahr 1520 den Wert des Gesetzes immer stärker in Frage zu stellen, obgleich er aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen diesen nie ganz leugnen wollte. In dieser Spannungslage fiel es leicht, Luther unterschiedlich auszulegen. Bugenhagen blieb besonders den Lehren Luthers treu, betonte aber mehr die Aufgabe der staatlichen Verwaltung für die rechte Lehre innerhalb der Kirche, die dafür notwendigen Einrichtungen der Kirche, des Staates und der Schulen zu sorgen, wofür wiederum ein gerechter, planmäßiger Umgang mit den Staatsfinanzen Voraussetzung war. Rechte Bildung, christliche Lehre, gute Ordnung und gerechte Verteilung der Güter gehörten nunmehr zusammen und gaben der Obrigkeit eine neue Dignität. Davon ließ sich unmittelbar ableiten, dass das richtige Verhalten gelernt und gute Werke zur Orientierung aller und des Einzelnen notwendig seien. Melanchthon stärkte diese Entwicklung, indem er Disziplin, die Eingewöhnung in den Glauben als tägliche Herausforderung und das tägliche Lernen, nicht zuletzt auch anhand der Gesetze, als Pflicht aller Christen ansah. Im Widerspruch besonders zu Melanchthon entwickelten einige frühe Lutheraner ab 1529, v. a. Melanchthons bedeutender Schüler Mathias Flacius Illyrius (1520–1570)91 die Auffassung, Melanchthon habe die Bedeutung des Gesetzes übertrieben und damit Luthers wahre Lehre aufgegeben. Es entstand der Streit der »Antinomer« um die Bedeutung des Gesetzes, der zur Ausbildung verschiedener Gruppierungen innerhalb der ersten Generation von Lutheranern führte. Gegen diese neue Auffassung der »Antinomer« wandte sich jedoch selbst Luther. Nach seiner Auffassung war es ein furchtbarer Irrtum (crassissimus error) zu glauben, man könne das Gesetz verwerfen.92 1539 argumentierte er mit dem argumentum ad absurdum, dass Obrigkeit und Henker kaum ohne Gesetze richtig agieren könnten.93 In diesem Sinne wurde dann auch der Großteil des Luthertums nicht zuletzt durch die Konkordienformel von 1577 (Art. 4) geprägt, wonach zwar alle Christen schuldig seien, gute Werke zu tun, daraus allein jedoch keine Rechtfertigung zu erwarten sei.
IV.
Ergebnis
1517 entbrannte ein Sturm um die Frage des Missbrauchs der Indulgentien. Die Theologie der Zeit mochte unterschiedliche Positionen vertreten, doch nach dem Kirchenrecht war die Rechtswidrigkeit der Praxis dieser Zeit eindeutig. Wofür 91 Moldaenke (1961), 220–222. 92 Eisenhuth (1963), 18–44, 37. 93 Martin Luther, Tischrede vom 16. 1. 1539, WA Tischreden 4, 4724, 4790.
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Tetzel in Sachsen stand, fand sich fast überall in Europa. Der Missbrauch war derart eklatant, dass sogar schon auf Kundenseite ein rückgängiges Interesse zu beobachten war. Durch Luther kam der Ablasshandel Anfang der 1520er Jahre ganz zum Erliegen.94 Luthers Argumentation gegen das Ablasswesen stand 1517 noch in Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht, das er – wie das öfter zu sehen ist – gut kannte; noch wandte er sich allein gegen den Missbrauch. Erst 1520 verließ Luther den Boden der römisch-katholischen Lehre. Der Ablass wurde nun zum Paradigma des Gesetzes, das bloß äußerlicher Natur sei. Luthers Zuspitzung der Gesetzeslehre auf das Strafrecht und als Mittel zur Abwehr des Bösen war nicht unproblematisch. Das mag zum Teil eine Überinterpretation seiner Schriften gewesen sein, zumal Luther selbst nie die Notwendigkeit des Gesetzes ganz leugnete. Doch sowohl die neue Aufgabe, eine eigene Rechtsordnung zu etablieren, als auch die Erfahrungen mit Gewalt gegen die Obrigkeit durch den Bauernaufstand, half den Wittenberger Reformatoren, die Funktion des Gesetzes und seine Befolgung durch die Bevölkerung stärker wertzuschätzen. Gute Werke waren auch im protestantischen Bereich nicht länger wertlos, sondern eine hilfreiche Eingewöhnung, die eventuell sogar zum Glauben führen kann. Blickt man isoliert auf das Ablasswesen, waren die Positionen allmählich nicht mehr weit voneinander entfernt: – Das Konzil von Trient sah die Probleme als derart heikel an, dass die Reform des Ablasswesens nicht in Angriff genommen wurde. Im Ergebnis blieben sie für die Volksfrömmigkeit wichtig. Allerdings wird in der römisch-katholischen Lehre die Notwendigkeit der Reue betont und der Strafnachlass als Entscheidung des Schöpfers verstanden, der durch die Kirche verkündet wird. Kardinal Koch bezeichnete Luthers Tauflehre als »wichtigen Anknüpfungspunkt« für das Verständnis des Ablasses.95 – Die guten Werke wurden auf protestantischer Seite bis 1530 rehabilitiert. Die Beachtung des Gesetzes wurde zum Kennzeichen auch eines guten Protestanten, und gute Werke zum Ausdruck eines notwendigen Bemühens, den Glauben zu finden. Keine Seite lehnte die Nützlichkeit guter Werke ab, niemand versprach mehr automatische Wirkungen unabhängig vom Glauben. Sicherlich bilden Akte der Frömmigkeit nach außen immer noch charakteristische Unterschiede der Frömmigkeit beider Konfessionen ab, nicht nur wenn man nach Altötting oder Kevelaer schaut. Doch auch Protestanten haben die Wallfahrt etwa nach Santiago di Compostella wieder entdeckt. 94 Rehberg (2017), 217–270, 267. 95 Koch (2017), 19–29, 23.
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Der Streit um den Ablass hatte sich jedoch schon 1520 zu einem nachrangigen Problem entwickelt, indem beide Seiten immer grundsätzlichere Argumente für ihre Position schufen. Die römische Kirche verurteilte zu diesem Zeitpunkt Luther als Ketzer, während dieser durch die Verbrennung der Exkommunikationsbulle die römische Zentralgewalt, letztlich sogar die Autorität der Kirche leugnete. In vielen einzelnen Aspekten mögen sich Kontinuitäten zwischen der vorreformatorischen Theologie und Luthers Auffassungen finden lassen,96 der grundsätzliche Bruch ist jedoch in folgenden Hinsichten nicht zu leugnen. Aus dem Kampf gegenüber einem offenkundigen rechtswidrigen Missbrauch entstand jene bis heute nachwirkende Spaltung der westeuropäischen Christenheit. Der Gegensatz zwischen Rom und den Barbaren nördlich der Alpen97 verstärkte den Bruch mit der Weltkirche. Ganze Wirtschaftsräume, die durch die Erhebung, Weiterleitung und Verteilung der Indulgentien-Gelder erst seit dem 13. Jahrhundert entstanden waren98, wurden dadurch in Mitleidenschaft gezogen und zerbrachen. Schon seit 1550 waren die Einkünfte aus den Ablässen rückläufig,99 doch nun wurden bis 1520 die von der Erhebung und Weiterleitung der Ablässe geprägten Räume und Strukturen beseitigt. Der Ablassstreit war eher nur der Anlass als der Grund der Reformation. In dessen Zentrum stand dabei nicht einmal die Missachtung der päpstlichen Schlüsselkompetenz. Diese Perspektive ergibt sich nur, wenn man fälschlich vom Ablassstreit her denkt.100 Die Aberkennung der kirchlichen Autorität ergab sich zentral für Luther aus dem unmittelbaren Eingreifen Christi zur Errettung der Menschen bzw. aus der persönlichen, durch den Glauben begründeten Beziehung zwischen Mensch und seinem Schöpfer. Daraus resultierte die Annahme der allgemeinen Freiheit eines Christenmenschen und die individuelle Verantwortung des Fürsten und aller Christen für eine gottgemäße Ordnung. Die Suche nach der richtigen christlichen Obrigkeit mit einer dem Gebot der charitas folgenden Finanz- und Sozialpolitik schuf eine Dynamik, welche den initialen Spalt zwischen den Konfessionen immer weiter vergrößerte. Man kann es durchaus kritisieren, 2017 als das Jahr der Reformation zu feiern. Der Ablassstreit von 1517 war nur der Anlass, aber nicht der Kern der Reformation. Die Lutherdekade und die öffentliche Aufmerksamkeit haben sicherlich viel gebracht, um sich der grundlegenden Bedeutung der Reformation für die Gegenwart zu vergewissern, und sei es auch nur zu erkennen, dass gerade diese Anknüpfungspunkte letztlich nur Äußerlichkeiten und im Ergebnis Sekundäres nutzen. Viel angemessener wäre es, die theologischen Neuerungen besonders der 96 97 98 99 100
Hamm (2017). Zuletzt besonders betont bei Reinhardt (2015). Bünz (2017), 337–359, bes. 353. Winterhager (1999), 6–71, bes. 64. So noch Koch (2017), 29.
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theologischen Schriften Luthers von 1520 zu betonen und die Reformation auf diese Leistungen hin zu würdigen. Doch es wäre wiederum falsch, 2020 als das echte Lutherjahr zu bezeichnen. Vielmehr wurde bereits deutlich, dass die Reformation eher ein Prozess war, der immer neue Fragen und Ergebnisse schuf. Mit der Abschaffung der leicht erwerbbaren Sicherheit für das eigene Seelenheil wuchs die individuelle Verantwortung jedes einzelnen. Keinem war mehr Sicherheit gestattet, dafür wuchsen die Anforderungen an jeden einzelnen. Jeder musste seinen Glauben finden und dabei zeigen, der eigenen Verantwortung innerhalb seiner Gesellschaft gerecht zu werden. Damit wuchs die Bedeutung der Bildung jedes einzelnen, auch der sozial Schwachen, um diesen neuen Aufgaben gerecht zu werden. Wissenschaft und Kreativität wurden wichtig, um diese neuen Aufgaben zu entdecken und zu lösen. Ohnehin zeigt der Überblick zum Ablassstreit, dass beide Konfessionen in der Zeit seit 1517 aus dem Streit lernten. Beide verstanden, das Recht als Mittel einer stabilen Ordnung einzusetzen, ohne damit die Allmacht Gottes einzuschränken. In beiden Konfessionen gibt es keine Sicherheit mehr für die Entscheidungen über die Rechtfertigung. Die Fehlbarkeit des Menschen ist im Ergebnis die Last, mit der man in beiden Lagern leben muss. Wir werden insofern nicht von guten Werken geschützt, sondern von guten Mächten.
V.
Bibliographie
1.
Quellen/Editionen
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2.
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Vom Recht der Guten Werke: Ging Luthers Kritik am Ablasswesen fehl?
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Claudia Wich-Reif (Bonn)
»Dem Volk aufs Maul geschaut«? – Die (Nach-)Wirkung von Luthers Bibelübersetzung
1.
Luther: Warum schon wieder eine Bibelübersetzung?
Schon weit vor Luther war es ein Anliegen, die biblischen Schriften in die Volkssprache zu übertragen, um sie nicht nur besser, sondern überhaupt und in jeder Hinsicht verstehen und auslegen zu können. Das zeigt sich schon am Anfang der deutschsprachigen Überlieferung: Dort steht ein Wörterbuch, der sogenannte Abrogans, aus der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts (zw. 750 und 770). Und dieses dient dazu, das Verständnis des Bibeltextes zu erleichtern. Aus dem zweiten Viertel des neunten Jahrhunderts ist der lateinisch-deutsche Tatian überliefert, eine Evangelienharmonie, deren deutsche Übersetzung dem Verständnis des Lateinischen dient und mehr oder weniger eine verbum de verboÜbertragung ist. Noch einige Jahrhunderte später ist Ähnliches dokumentiert: Im 14. Jahrhundert, das als das Jahrhundert der »Laienbibel« gilt, wirkt der sogenannte Österreichische Bibelübersetzer. Norbert Richard Wolf klassifiziert sein Werk als Evangelienharmonie (also wie den Tatian) bzw. als Bibelkommentare.1 Es ist bekannt, dass sich der Österreichische Bibelübersetzer bei seiner Übersetzung wie später auch Luther an gelerten orientiert. Zur Erklärung der Psalmen beispielsweise greift er auf das lateinische Werk des Franziskaners Nikolaus von Lyra (gest. 1349) zurück und so könnte man auch schon ihm nachsagen, was für Luther formuliert wurde: Si Lyra non lyrasset, interpres – in der Originalwendung Lutherus – non saltasset. ›Hätte Lyra nicht auf der Leier gespielt, hätte der Österreichische Übersetzer bzw. Luther nicht tanzen können.‹ Dass sowohl der Österreichische Bibelübersetzer als auch Luther auf Vorbilder und Vorlagen zurückgreifen konnten, ist ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Beurteilung der Leistung Luthers. Es wird im Folgenden noch ausführlicher darauf eingegangen. 1 Wolf (2017), 190. Zu weiteren Bibelübersetzungen und Ausführungen zu ›freien‹ und ›treuen‹ Übersetzungen vgl. z. B. Gardt (1992).
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Wie Luthers Übersetzung ist die des Österreichischen Bibelübersetzers eine Prosaübertragung, auch sein Text ist explizit für Laien gemacht, das heißt, es geht nicht nur um sensum de sensu, also ›Sinn für Sinn‹ anstelle von verbum e verbo ›Wort für Wort‹,2 sondern zunächst darum, beide Prinzipien gegeneinander abzuwägen und je nach Inhalt anzuwenden, aber auch darum, die Inhalte und Botschaften einem ganz spezifischen Publikum nahezubringen.3 Wie Luther schaut der Österreichische Bibelübersetzer – vielleicht weniger scharf – »den Leuten aufs Maul« – es ist noch zu prüfen, was damit gemeint sein kann. Eine massenhafte Verbreitung des Werkes des Österreichischen Bibelübersetzers verhindert das Medium. Wir bewegen uns immer noch im Zeitalter der Handschriften. Ist der Druck mit beweglichen Lettern dann Luthers Erfolgsgeheimnis? – Die Antwort auf diese Frage kann kein klares Ja sein, sie kann aber auch nicht klar mit Nein beantwortet werden: Bibeldrucke gab es auch vor Luther. Schon 1466 erschien aus der Straßburger Druckerei des Johann Mentel eine gedruckte deutsche Vollbibel, die wie die nachfolgenden Bibeln unter dem Druckernamen in die Geschichte einging. Sie war kein Erfolg und fällt übersetzungstechnisch deutlich hinter ihre Zeit zurück, da sie sich eng an der lateinischen Vulgata4 orientiert. Die Übersetzung war rund 100 Jahre vor dem Druck angefertigt worden, und zwar in der Nürnberger Gegend.5 Sie ist als reine verbum de verbo-Übertragung zu kategorisieren; sie diente eher noch dem Verständnis der Vulgata, als dass sie als eigenständiger Text hätte rezipiert werden können. Sie war, wie auch weitere frühe gedruckte Bibeln, für Geistliche und Gelehrte, nicht aber auch für das Volk übersetzt. Dazu kommt, dass Luther seine Bibel an einem für ihn besonders günstigen Ort hat drucken lassen: In Wittenberg weisen neben den Setzern Korrektoren die einheitlichste und variantenfreieste Orthographie innerhalb ihrer Gruppe auf und die Korrektoren bilden innerhalb der Wittenberger Schreibüberlieferung eine der am stärksten in Richtung auf das Nhd. hin fortgeschrittenen Gruppen, die im Verein mit anderen progressiven Kräften die für die Zukunft gültigen Maßstäbe setzt,
so Gerhard Kettmann.6 Es ist bekannt, dass sich beispielsweise der Straßburger Drucker Wendel Ri(c)hel bei seinen angestammten Kunden vor Ort entschuldigte, dass er 1535 eine Bibel mit Luthers besunder wörter / und orthographey, so 2 Nach Luther, WA, Bd. 5, 73: nostra translatio ad verbum nihil est, ad sensum autem propriissima. 3 Nach den Tischreden, TR, Bd. 2, 73: vere transferre est per aliam linguam dictum applicare suae linguae. 4 »Das gegenreformatorische Konzil von Trient erklärt die Vulgata 1546 zum allein gültigen Bibeltext.« (Beutel (2016), 63). 5 Volz (1972), 35*. 6 Kettmann (1967), 110f.
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»Dem Volk aufs Maul geschaut«?
meer auf Sachsisch / denn unser hochteutsch gepraucht druckte.7 Das zeigt sich etwa darin, dass in den im Alemannischen liegenden Orten Basel und Straßburg (Niederalemannisch bzw. Elsässisch) die neuen Diphthonge eingeführt wurden, obwohl sie nicht dem Gebrauch der Autoren und dem des Publikums entsprachen. Üblich waren regelmäßig huus statt Haus und ziit statt Zeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Im Allgemeinen gab es im 16. Jahrhundert sogar zwischen den Druckersprachen in ein und derselben Stadt noch Unterschiede,8 während die Kanzleien einen einheitlicheren Sprachgebrauch zeigten. Über willkürliches Handeln von Druckern und auch Korrektoren sind wir durch Beschwerden und Klagen von Autoren informiert. Luther äußert sich entsprechend in der Einleitung der Ausgabe des Alten Testaments von 1545: e
Vnd ist mir offt widerfaren, daß ich der Nachdrucker druck gelesen, also verfelscht gefunden, das ich meine eigene Erbeit, an vielen Ort nicht gekennet.
Auch nachdem sich Luther in Zusammenarbeit mit dem Drucker Hans Lufft um mehr Kohärenz bemüht hat, zeigen sich in der großen Zahl der Nachdrucke des Septembertestaments in einzelnen Druckorten und sogar in einzelnen Offizinen deutliche Unterschiede in der Textgestaltung. Der Frankfurter Drucker Sigmund Feyerabend, einer der bedeutendsten Drucker im 16. Jahrhundert, hat in seiner Auseinandersetzung mit den Wittenberger Lutherkorrektoren den Standpunkt des zeitgenössischen Lesers folgendermaßen charakterisiert: wenn mans zu der Zeit nur läsen können, vnd verstanden hat, ist man zufrieden gewesen.9
2.
Die Bibelübersetzung von Martin Luther
Georg Wilhelm Friedrich Hegel hält in seiner Vorlesung zur Geschichte der Philosophie fest: Erst in der Muttersprache ausgesprochen ist etwas mein Eigentum.10 An einer anderen Stelle wird dieser Gedanke weitergedacht: In der Sprache ist der Mensch produzierend: es ist die erste Äußerlichkeit, die der Mensch sich gibt durch die Sprache; es ist die erste, einfachste Form der Produktion, des Daseins, zu der er kommt im Bewußtsein; was der Mensch sich vorstellt, stellt er sich auch innerlich vor als gesprochen. Diese erste Form ist ein Gebrochenes, Fremdartiges, wenn der Mensch in einer fremden Sprache sich ausdrücken oder empfinden soll, was sein höchstes Interesse berührt.11
7 8 9 10 11
Hartweg (2000), 1689. Ebd. Kirchhoff (1881), 262. Hegel, TWA, 16f. – Zu Luther und der deutschen Sprache vgl. z. B. Besch (2014). Hegel, TWA, 52f.
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Schon Luther wusste, dass es nicht genug sein kann, die Bibel, sei es aus dem Hebräischen, dem Griechischen oder dem Lateinischen in seine Muttersprache zu übersetzen.12 Mit der Übersetzung musste der Text zu einem deutschen Text werden, dem man den Übersetzungsprozess nicht mehr »ansah«.13 Das gelang – wie schon in Bezug auf den Österreichischen Bibelübersetzer formuliert –, indem Luther gut überlegte, wann er am Wort der Vorlage festhalten musste und wann er angehalten war, freier zu übertragen. Leitendes Prinzip des Übersetzens ist nicht ›die‹ Wiedergabe ›des‹ Ausgangstextes, sondern die Herstellung eines Zieltextes, der deutliche vnd yderman verstendliche rede ist, mit vnuerfelschtem synn vnd verstand, so Andreas Gardt, unter Einbezug eines Luther-Zitats.14 In seiner Übersetzung von Joh 13,23 beispielsweise lässt Luther die Anwesenden am Tisch sitzen und den Wein in einer Flasche tragen (wo im Ausgangstext eine Form von e Liegen bzw. Schlauch steht), und das wörtlich übersetzte Gegrusset seistu, Maria vol gnaden, der Herr mit dir in Lk 1,28 ist in der Ausgabe letzter Hand Gegrüsset seistu holdselige / der HERR ist mit dir/.15 Luther erklärt im Sendbrief vom Dolmetschen16 anhand dieser Stelle, dass er für einen deutschen Text eigentlich noch e weiter hätte gehen und Gott grusse dich du liebe Maria (denn so viel wil der Engel sagen/).17 Man gewinnt den Eindruck, dass Luther im Sendbrief, der erst nach der Übersetzung des Septembertestaments verfasst wurde,18 die Übersetzungsprozesse Revue passieren lässt. Das folgende Zitat zeigt exemplarisch, wann dem freien Übersetzen insofern Grenzen gesetzt sind, als dass Luther der Überzeugung ist, dass bestimmte Texte bzw. Textstellen vom Leser selbst interpretiert werden müssen: Doch hab ich widerumb nicht allzu frey die buchstaben lassen faren, Sondern mit grossen sorgen sampt meinen gehülffen drauff gesehen, das, wo etwa an einem ort gelegenn ist, hab ichs nach den buchstaben behalten, und [marg. Joh. 6,27] bin nicht so frey davon gegangen, als Johannes 6, da Christus spricht: ›Disen hat Got der vatter versiegelt‹, da were wol besser deutsch gewest: Disen hat Got der Vater gezeichnet, odder: disen meinet Gott der Vater. Aber ich habe ehe wöllen der deutschen sprache abbrechen, denn von dem wort weichen. Ah es ist dolmetzschen ja nicht eines iglichen
12 Unbenommen davon, dass das Deutsche damit gewissermaßen den drei heiligen Sprachen gleichgestellt wurde. 13 Martin Luthers theoretische Überlegungen zum Phänomen der Übersetzung schrieb er 1530 im Sendbrief vom Dolmetschen (›Übersetzen‹ und ›Dolmetschen‹ waren für ihn dasselbe) nieder. Danach wurden Fragen des Übersetzens bis zur Aufklärung im 17. Jahrhundert im Prinzip nicht mehr in diesem Maße als theoretische Problemstellung behandelt. 14 Gardt (1992), 94f. 15 https://www.biblegateway.com/ (letztes Zugriffsdatum 29. 03. 2019). 16 Zur Schrift Summarien Uber Die Psalmen / Und Ursachen des Dolmetschens (1533) und den inhaltlichen Bezügen zum Sendbrief vom Dolmetschen vgl. Jakob (2017), 23f. 17 WA, Bd. 30,2, 639. Vgl. auch Gardt (1992), 97. 18 Vgl. Anm. 14.
»Dem Volk aufs Maul geschaut«?
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kunst, wie die tollen Heiligen meinen, Es gehöret dazu ein recht, frum, trew, vleissig, forchtsam, Christlich, geleret, erfarn geübet hertz.19
Diese Stelle ist in vielerlei Hinsicht sehr erhellend: Luther zeigt das Abwägen an, er nennt mehrere Alternativen und er nennt seine Übersetzungsprinzipien.20 Diese werden nicht wissenschaftlich-metasprachlich formuliert, sondern gemäß einem Laien (oder Praktiker). Die Komplexität der Übersetzungsprozesse wird mit neun Adjektiven angezeigt, das Gespür für die Qualität mit dem Substantiv hertz. Die Adjektive sind einmal mit dem Glauben verbunden – frum, forchtsam, Christlich –, einmal mit den Aufgaben des Übersetzers – recht, vleissig, geleret, dazu kommt die Erfahrung – erfarn, geübet. Mit dem Adjektiv trew wird dann gewissermaßen eine Brücke geschlagen zwischen dem Glauben – der Treue gegenüber dem göttlichen Wort – und der Übersetzungsvorlage. Anhand des Adjektivs forchtsam lässt sich übrigens sehr gut zeigen, wie im Deutschen Wörterbuch (DWB) der Brüder Grimm mit Wortschatz umgegangen ist, der bibelspezifisch und auch lutherspezifisch ist: forchtsam, pavidus: o die kinder singen oft, wie einer durch ein finsteren wald, mit forchtsamer freud und freudiger forcht, das eine innerlich, das ander euszerlich. Garg. 73b.21
Zum Adjektiv forchtsam wird keine Bedeutungserklärung gegeben, sondern nur das lat. pavidus genannt, es folgt eine Belegstelle. Solche sehr kurzen Artikel erscheinen im DWB häufiger, wenn es um Fremd- bzw. Lehnwortschatz geht. Pavidus ist ein Bibelwort, es geht um die (Ehr-)Furcht vor Gott, es erscheint beispielsweise im Buch der Sprüche: beatus homo qui semper est pavidus qui vero mentis est durae corruet in malum.22
Luther übersetzt: Wol dem der sich allwege fürcht / Wer aber Halstarrig ist / wird in vnglück fallen.
In der Einheitsübersetzung von 1980 wird präzisierend formuliert: Wohl dem Menschen, der stets Gott fürchtet; / wer aber sein Herz verhärtet, fällt ins Unglück.
Wie bereits angedeutet, begann mit dem Fertigstellen der deutschen Texte die Revision, die kontinuierliche Spracharbeit, das Feilen am Text, um das Produkt 19 WA, Bd. 30,2, 640. 20 Zur Relation zwischen der je einzelnen Textstelle im Gesamtkontext der Bibel und der daraus folgenden christologischen Interpretation und Übersetzung des Alten Testaments vgl. Gardt (1992), 107. 21 DWB, Bd. 3, 1889. 22 Prv. 28,14.
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weiter zu optimieren. Eine maßgebliche Unterstützung in der Dokumentation fand Luther mit Georg Rörer, der 1522 nach Wittenberg gekommen war.23 Der Luther-Biograph Johann Mathesius hält fest: Als nun erstlich die gantze Deutsche Bibel außgegangen war, unnd ein tag leret immer neben der anfechtung den anderen, nimmet D. Martin Luther die Biblien von anfang wider für sich, mit grossem ernst, fleiß und gebete, und ubersihet sie durchauß, unnd weil sich der Sone Gottes versprochen hatte, er wölle darbey sein, wo ir etliche inn seinem namen zusammen kommen und seinen Geist bitten, verordnet D. M. Luther gleich ein eygen Sanhedrin von den besten leuten, so deßmals verhanden, welche wöchentlich etliche stunden vor dem Abendessen in Doctors Kloster zusammen kamen, Nemlich D. Johann Bugenhagen, D. Justum Jonam, D. Creutziger, M. Philippum, Matthauem Aurogallum, Darbey M. Georg Rörer, der Corrector, auch war, offtmals kamen frembde Doctorn und Gelerte zu disem hohen Werck, als D. Bernhard Ziegler, D. Forstemius. […] Kam D. Martin Luther inn das Consistorium mit seiner alten Lateinischen und neuen Deutschen Biblien; darbey er auch stettigs den Hebreischen Text hatte. Herr Philippus bracht mit sich den Greckischen Text, D. Creutziger neben dem Hebreischen die Chaldeische Bibel, Die Professores hatten bey sich ihre Rabinen […]; D. Pommer hatte auch ein Lateinischen Text für sich, darin er sehr wol bekanndt war.24
Die zwei folgenden Buchseiten aus dem Bibelexemplar, das Luther und seine Arbeitsgruppe intensiv bearbeitet haben, sind – wie im Kolumnentitel mit Das Ander Buch auf der Verso- und Samuel auf der Rectoseite angezeigt ist – aus dem zweiten Buch des Alten Testaments, dem 2. Buch Samuel 22 und 23:25 Auf der linken Seite (fol. LXXVIIIv) werden vergleichsweise wenige Veränderungen vorgenommen: Beispielsweise wird in Zeile 25 meine Leuchte durch mein Liecht ersetzt, in Zeile 33 ist spehet […] aus durch weißet ersetzt. Die signifikanteste Änderung zeigt sich auf der rechten Seite (fol. LXXIXr), im zweiten Absatz von 2. Samuel 23: Hier ist der Drucktext durchgestrichen; er soll durch den handschriftlichen Eintrag marginal rechts substituiert werden (s. u.). In die Ausgabe letzter Hand von 1545 sind die Veränderungen aufgenommen (zur besseren Orientierung mit der modernen Versnummerierung):26 2. Sam 22,29 Denn du HERR bist mein Liecht / der HERR macht meine finsternis liechte. 2. Sam 22,33 Gott sterckt mich mit krafft / Vnd weißet mir einen weg on wandel.
Die umfangreich korrigierte Stelle 2. Sam 23,1–7 in der Luther-Bibel von 1534 und in der von 1545 werden in einer Vers-für-Vers-Gegenüberstellung gezeigt: 23 Rörer zeichnete alles Mögliche auf, er verlieh und lieh (z. B. an bzw. von Johann Schlaginhaufen, Stephan Roth oder Caspar Cruciger), sammelte und ordnete. Rörers Sammlung erhielt eine ganz besondere Bedeutung, als 1537 der Plan gefasst wurde, eine Gesamtausgabe der Werke Luthers zu veranstalten. 24 WA, Bd. 3, XV. 25 Georg Rörer-Projekt (http://roerer.reformationsportal.de/index.php?id=485, 29. 03. 2019). 26 Luther-Bibel 1545.
»Dem Volk aufs Maul geschaut«?
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Abb. 1: Ausschnitt aus 2. Sam mit handschriftlichen Korrekturen von Luther und seinem Team
2. Sam 23,1 DJS sind die letzten wort Dauids. Es sprach Dauid der son Jsai / Es sprach der Man der zum gesalbeten Gottes Jacob auffgericht ist / vnd ein lieblicher Tichter Jsrael. 2. Sam 23,1 DJS sind die letzten wort Dauids. Es sprach Dauid der son Jsai / Es sprach der Man der von dem Messia des Gottes Jacob versichert ist / lieblich mit Psalmen Jsrael. 2. Sam 23,2 Der Geist des HERRN hat durch mich geredt /vnd sein wort ist durch meine zungen geschehen. 2. Sam 23,2 DEr Geist des HERRN hat durch mich geredt /vnd seine Rede ist durch meine Zungen geschehen. 2. Sam 23,3 Der Gott Jsrael mir geredt / Der Hort Jsrael hat mir zugesagt / der Herrscher vnter den Menschen / der gerechte Herrscher jnn der furcht Gottes. 2. Sam 23,3 Es hat der Gott Jsrael zu mir gesprochen / Der Hort Jsrael hat geredt / der gerechte Herrscher vnter den Menschen / Der Herrscher in der furcht Gottes. 2. Sam 23,4 Wie das liecht ist am morgen / wenn die Sonne auffgehet / frue on wolcken / vnd vom glantz / nach dem regen / das gras aus der erden wechst. 2. Sam 23,4 Vnd wie das Liecht des morgens / wenn die Sonne auffgehet / des morgens on wolcken / da vom Glantz / nach dem Regen / das Gras aus der erden wechst. 2. Sam 23,5 Denn es ist nichts fur Gott als mein Haus / Denn er hat mir einen ewigen Bund gemacht / gantz gewis vnd fest / Denn das ist alle mein Heil / vnd alle luft / das *nichts so wachsen wird. 2. Sam 23,5 Denn mein Haus ist nicht also bey Gotte / Denn er hat mir einen Bund gesetzt / der ewig vnd alles wol geordent vnd gehalten wird / Denn alle mein Heil vnd Thun ist / das nichts wechst.
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2. Sam 23,6 Aber die losen Buben werden gantz vnd gar ausgerottet werden / wie Dornen / das man nichts davon behelt. 2. Sam 23,6 ABer Belial sind alle sampt / wie die ausgeworffen Disteln / die man nicht mit henden fassen kan / 2. Sam 23,7 Und die so sie werden antasten / werden sie mit eisen vnd spiessen gantz verderben / vnd man wird sie mit feur verbrennen an jrem ort. 2. Sam 23,7 Sondern wer sie angreiffen sol / muß Eisen vnd Spiesstangen in der hand haben / Vnd werden mit Fewr verbrand werden in der wonunge.
Der Text wird an manchen Stellen hinsichtlich syntaktischer Strukturen optimiert (z. B. Der Gott Jsrael mir geredt > Es hat der Gott Jsrael zu mir gesprochen), an anderen Stellen werden Adjektivattribute entfernt (z. B. einen ewigen Bund > einen Bund) oder hinzugefügt (z. B. wie Dornen > wie die ausgeworffen Disteln), bei weiteren Stellen werden Syntagmen gegeneinander ausgetauscht (z. B. der Herrscher vnter den Menschen / der gerechte Herrscher jnn der furcht Gottes > der gerechte Herrscher vnter den Menschen / Der Herrscher in der furcht Gottes), zum Teil wird der Text rhythmischer, etwas durch den Austausch eines Substantivs (z. B. hat […] geredet […] sein wort > hat […] geredet […] seine Rede). Zu den Aufgaben Rörers gehörte es, den Druck zu überwachen und Sorge dafür zu tragen, dass die Ergebnisse der Bibelrevision in die Neuauflage übernommen wurden. Die Einträge zur Korrektur der Bibelübersetzung entstanden wahrscheinlich mehrheitlich während der Revision zwischen 1539 und 1541. Am häufigsten trug Martin Luther selbst Verbesserungen an der Übersetzung nach, es finden sich aber auch die Hände von Georg Rörer, Caspar Cruciger und Georg Schnell. – Noch einmal wenige Jahre zurück: Luther fasst 1521 nach dem Reichstag zu Worms als ›Gefangener‹ auf der Wartburg den Entschluss, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Im März 1522 ist er damit fertig, und schon im September kann das 444 Seiten starke Werk in den Druck gehen. Die etwa 3.000 Exemplare verkaufen sich trotz des nicht geringen Preises so schnell, dass im Dezember eine an vielen Stellen verbesserte Neuauflage erscheint.
3.
Die Wirkung von Luthers Bibelübersetzung
Schon von Zeitgenossen werden Luthers Übersetzungsleistungen gerühmt und er wird als sprachliches Vorbild dargestellt, so z. B. von Fabian Frangk in der Orthographia Deutsch: Wer aber […] missbreuch meidenn / vnd rechtförmig deutsch schreiben / odder reden will / der muß deutscher sprachen auff eins lannds art vnd brauch allenthalben / nicht nachuolgen. […] das fürnemlichst / […] föderlich vnd dienstlich / ist / das man gutter
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Exemplar warnehme / […] Unnder welchen mir ettwan / des tewern (hochlöblicher gedechtnus) Keiser Maximilians Cantzlej / vnd dieser zeit / D. Luthers schreiben […]27
Auch der Grammatiker Johannes Clajus weist in seiner lateinischen Grammatica Germanicae Linguae von 1578 im Vorwort auf die Vorbildwirkung von Luthers deutschen Schriften hin.28 Und auch er überhöht ihn, indem er schreibt: Ich halte seine [Luthers] Bücher nicht für die Schriften eines Menschen sondern des Heiligen Geistes selbst, der hier durch den Mund eines Menschen gesprochen hat.29
Von altgläubigen Kollegen und damit auch Gegnern erfährt Luther sehr heftige Kritik, z. B. von Johannes Cochlaeus. Der anfangs lutherfreundlich gesinnte Theologe versuchte auf dem Reichstag zu Worms 1521 vergeblich, Luther zur Umkehr zu bewegen. Ab da war er »Luthers erbittertster persönlicher Gegner bis zu dessen Tode«:30 Wer kann genugsamlich aussprechen, was Luthers Dolmetschung des Neuen Testaments für eine gewünschte Gelegenheit und Zunder zu allerlei Spaltung, Betrübung und Abfall gewesen sei? In welcher diese Haderkatze wider den alten bewährten Text der Kirche viele Dinge vorsätzlich verkehrt, ausgelassen, hinzugetan, einen andern Verstand aufgedrungen, viele ärgerliche falsche Glossen am Rande hinzugeflickt und in Summa kein Bubenstück, vor allem in den Vorreden, unterlassen hat, damit er den Leser auf seinen Part ziehen möge.31
Kritisiert wird die Wiedergabe spezifischer Glaubensinhalte in der Bibel – die Sprache ist nur Mittel zum Zweck –, dazu die Verbreitung durch den Buchdruck,32 wobei natürlich auch die Kritik der Reformationsgegner über den Buchdruck verbreitet wird. Johannes Dietenberger schreibt in der Widmung der ersten altkirchlichen Gesamtbibel in der Luther-Zeit mit der größten Wirkung und Verbreitung in der frühen Neuzeit (bis 1776 erscheinen 46 Auflagen) zur Auslegung des biblischen Wortes durch die Reformatoren: verwüstet / verunreiniget / verderbt vnd vntüchtig […] nit allein vbel verteutschet […] auch dick [›fest, wüst‹] vnd felschlich außgelegt / gemartert / geradbrecht / zerrissen / zerschlissen / verruckt / zerstuckt / verkeret / verendt / gemeret / gekürzet durch zu˚satz vnd absatz / mit vnchristlichen glosen vnd annotationen besudelt / verwirret / verwicklet / vertunckelt.33
27 28 29 30 31 32 33
Frangk (1531/1979), Aiij. Zu Clajus und weiteren Stationen der Luther-Rezeption vgl. auch Besch (2017), 463–465. Claius, Vorwort, Übersetzung Gelhaus (1989). Grimm, H. (1957). Cochlaeus (1594/1917), 308f. Ebd., 309. Dietenberger-Bibel 1540, Widmung.
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Gleichzeitig erkennt Dietenberger die Qualitäten der Übersetzung und nimmt Vorstellungen Luthers in seine Bibelübersetzung auf. Er übt gemäßigte Kritik an der Vulgata und übersetzt nach dem hebräischen Text,34 er möchte eine Übersetzung vorlegen, die dem gemainen layenn entgegenkommt.35 Einschätzungen darüber, welche Sprache(n) Luther nun eigentlich sprach, und welche Wahrnehmung er von den Sprachlandschaften, von den Varietäten im Raum hatte, sind nur in den Tischreden überliefert, in Texten also, die andere – nicht Luther selbst – aus ihrer eigenen Wahrnehmung und Erinnerung heraus aufgezeichnet haben. Luther war kein Philologe, sondern Theologe, und so ist es auch folgerichtig, dass es von ihm keine einzige programmatische Schrift zur deutschen Sprache gibt. (Zu anderen, wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Themen hat er sich sehr wohl geäußert.) Der Sendbrief vom Dolmetschen (1530) ist keine solche Schrift; er ist eine Streitschrift. Luthers »Vorstellung von dem, was Sprache ist oder sein soll, ist letztendlich religiös-biblisch geprägt.«36 Die Sprache wird wertgeschätzt, weil sich Gott in der Sprache und durch die Sprache dem Menschen offenbart und weil er durch das gesprochene Wort Taten vollbringt und Glauben bewirkt.37 Die Sprachen sind schöne, große, herrliche Gaben Gottes,38 können wir in einer der Tischreden lesen. Durch diese Gaben seien die Menschen vor allen anderen Lebewesen ausgezeichnet.39 Die drei heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein sind die scheyden, darynn dis messer des geystes stickt.40 Mit der Verabsolutierung des ursprünglichen Wortes greift Luther das humanistische Prinzip ad fontes, zu den Quellen zurückzugehen, auf: Das humanistische Spezifikum bestand darin, den sprachlichen und intellektuellen Standard der Antike als Diskursnorm zu akzeptieren, durch Studium aufzuarbeiten und literarisch zu imitieren bzw. kreativ fortschreibend anzueignen.41
Im Jahrhundert der Reformation hat man sich über die sprachliche Vielfalt im deutschsprachigen Raum nur recht allgemein Gedanken gemacht. Luther kennt die beiden Großlandschaften Sächsisch/Niederdeutsch und Oberländisch/Oberdeutsch und kontrastiert diese:42 Danica et Anglica linguae sunt Saxonicae, quae vere est Germanica; die Oberlendische sprache ist nicht die rechte Teutsche sprache, habet enim maximos hiatus et sonitus, sed 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Dietenberger, ebd. Dietenberger, ebd. Debus (2014), 427. Lenk (1984). WA TR, Bd. 3, 3271b. WA TR, Bd. 1, 1148. WA, Bd. 15, 28. Knape (2000), 1673f.; vgl. insgesamt auch Leppin (2019), bes. 31–43. Zur Zweisprachigkeit in den Tischreden vgl. Stolt (1964).
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Saxonica lingua est facillima, fere pressis labiis pronuntiatur. […] die oberländische Sprache ist nicht die rechte deutsche Sprache, nimmt den Mund voll und weit und lautet hart. Aber die sächsische Sprache geht fein und leise ab.43
Luther hat den Vorteil, dass er den Gegensatz zwischen der hochdeutschen und der niederdeutschen Sprachlandschaft aus eigener Erfahrung kennt. Seine Kindheit, seine Ausbildung und seine beruflichen Tätigkeiten fanden im ostmitteldeutschen-thüringischen und im niederdeutschen Sprachraum statt. Der nördlichste Ort, an dem er länger lebte, ist Magdeburg. Ansonsten sind die dominanten Städte seines Werdegangs Erfurt und natürlich Wittenberg. Die praktische Erfahrung als Pendler zwischen zwei großen Sprachlandschaften führt jedenfalls nicht dazu, dass er deren linguistische Unterschiede genauer beschreibt. Die allgemeine stereotype Kennzeichnung des Oberdeutschen als ›schwere‹, ›raue‹ und des Niederdeutschen als ›feine‹ Sprache entspricht der gängigen Einschätzungen der Zeit und ist ähnlich auch in anderen Quellen belegt.44
Luther verfügt über ein Standardwissen, das allerdings nicht dafür genügen könnte, als Vermittler und Brückenbauer zwischen den Landschaften zu fungieren, der einen Ausgleichsprozess zwischen verschiedenen Sprachlandschaften bewusst steuert, wie es ihm in der philologischen Diskussion zugesprochen bzw. angedichtet wird. Luther kam bis auf wenige Ausnahmen nie aus dem Städtedreieck Erfurt – Magdeburg – Leipzig heraus. Zu nennen sind nur eine Romreise, kurze Aufenthalte in Heidelberg, Augsburg, Worms und Coburg. Wenn Luther auswählte, so tat er dies nicht vermittelnd, sondern willkürlich und im besten Wissen darum, dass die Sprachlandschaft, in der er lebte, die beste sei. Dazu ein Beispiel:45 In allen vorreformatorischen Bibelübersetzungen wie auch in allen altkirchlichen des 16. Jahrhunderts ist in Mt 6,2–5 von einem Trügner (trugner, trugener) oder einem Gleissner (glysener, glisener, gleißner, gleychsner) die Rede. Nur in einem relativ kleinen Teilgebiet im Ostmitteldeutschen verwendete man das Wort Heuchler. Luther wählt genau dieses Wort für seine Bibelübersetzung aus: Wenn du nu Almosen gibst / soltu nicht lassen fur dir posaunen / wie die Heuchler thun / in den Schulen vnd auff den gassen / Auff das sie von den Leuten gepreiset werden / Warlich ich sage euch / sie haben jren Lohn dahin. (Luther-Bibel)
Im Vergleich dazu ein willkürlich gewähltes Bibel-Beispiel, von Joseph Fleischütz aus dem Jahr 1781, mit dem gängigeren, weiter verbreiteten Lexem:
43 WA TR, Bd. 5, 6146. 44 Jakob (2017), 30. 45 Nach Jakob (2017), 31f.
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Willst du also Almosen geben, laß es nicht vor dir her austrompeten, wie es die Gleißner in der Synagoge und auf der Straße machen, um so von den Menschen Lob und Ehre zu erhalten: gewiß, ich sage es euch: sie haben ihren Lohn empfangen.
Dass das relativ unbedeutende Regionalwort zu einem Wort der deutschen Standardsprache wird, ist reiner Zufall. Luther hat sich weder bewusst für noch gegen die großlandschaftlichen Varianten entschieden; er benutzte sie nicht.46
4.
Die Nachwirkung von Luthers Bibelübersetzung
Das 17. und 18. Jahrhundert sind in der Rezeption von Luthers Schriften Fortsetzer des 16. Jahrhunderts. Luther wird in Grammatiken und Sprachlehren als Vorbild genannt. Dabei wird nicht immer generalisiert, sondern teilweise auch ganz klar differenziert, wenn etwa Georg Philipp Harsdörffer betont, dass er Luther nicht als Instanz für Fragen der Grammatik und der Orthographie, so wie Varro, sondern in den Fußstapfen Ciceros, als rhetorisch-praktischen Förderer der deutschen Sprache sieht: Cicero fuit Lutherus et Eloquentiae | Germanicae Parens, non Varro, Grammaticus vel Criticus.47 Auffällig ist, dass die Hinweise auf die Vorbildfunktion von Luthers Texten mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer allgemeiner werden, konkrete Belege ausbleiben, von den Texten auf die Person übergehen. Auf Anpassungen von Verlegern, Druckern und Korrektoren im Laufe der Zeit geht man gar nicht ein. Diese finden insbesondere in den Bereichen Graphematik und Interpunktion, also Orthographie, und Morphologie statt. Sehr stabil bleiben die Texte in der Lexik und im Satzbau, und gerade in diesen Domänen finden sich auch heute noch deutliche Nachwirkungen. Lexik und Syntax machen den »Lutherton« aus. Im 19. Jahrhundert wird die Wirkmacht Luthers als Person besonders überhöht. Der Mitherausgeber der Weimarer Ausgabe (WA) von Luthers Schriften, Paul Pietsch, bezeichnet ihn als »Heroen«48 der Nation, Konrad Burdach spricht 1894 vom »Vermächtnis eines Helden und eines Dichters.«49 Der protestantische Theologe Adolf von Harnack schreibt wenige Jahre später »im Brustton der Überzeugung«:50
46 47 48 49 50
Zur Regionalität als Übersetzungsproblem vgl. Besch (2008), 9–23. Harsdörffer (1646), 211. Pietsch (1883), 1. Burdach (1894), 38. Debus (2014), 425.
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Die Neuzeit hat mit der Reformation Luthers ihren Anfang genommen, und zwar am 31. Oktober 1517; die Hammerschläge an der Türe der Schloßkirche zu Wittenberg haben sie eingeleitet.51
Auch Jacob Grimm äußert sich. Zitiert findet man häufig die folgende Stelle: Man darf das neuhochdeutsche in der that als den protestantischen dialect bezeichnen, dessen freiheitsathmende natur längst schon, ihnen unbewuszt, dichter und schriftsteller des katholischen glaubens überwältigte.52
Norbert Richard Wolf macht in einer im Jahr 2017 erschienenen Publikation darauf aufmerksam, dass das Zitat aus dem Kontext gerissen ist und deshalb auch missinterpretiert wurde. Es ist sowohl am Anfang als auch am Ende zu erweitern: Luthers sprache, deren grammatik gleichwohl eigentlich dargestellt zu werden verdiente, […] ihrer edleren, fast wunderbaren reinheit, auch ihres gewaltigen einflußes halber, für kern und grundlage der neuhochdeutschen sprachniedersetzung gehalten werden, wovon bis auf den heutigen tag nur sehr unbedeutend, meistens zum schaden der kraft und des ausdrucks abgewichen worden ist. Man darf das neuhochdeutsche in der that als den protestantischen dialect bezeichnen, dessen freiheitsathmende natur längst schon, ihnen unbewuszt, dichter und schriftsteller des katholischen glaubens überwältigte. Unsere sprache ist, nach dem unaufhaltbaren laufe aller dinge, in lautverhältnissen und formen gesunken, meine schilderung neuhochdeutscher buchstaben und flexionen dürfte es nicht verhehlen sondern hervorheben; was aber ihren geist und leib genährt, verjüngt, was endlich blüthen neuer poesie getrieben hat, verdanken wir keinem mehr, als Luthern.53
Auch Jacob Grimm sah, »dass es vor allem der Stil ist, der Luthers Bedeutung und Wirkung ausmacht.«54 Es ist dennoch nicht wegzudeuten, dass Grimm Luther erhöhte, wenn nicht überhöhte, schließlich ließ er auch die althochdeutsche Sprachperiode, die ihm von besonderer Relevanz für seine historisch-vergleichenden Forschungen ist, erst um 1500 zu Ende gehen und die neuhochdeutsche Periode mit Luther beginnen. Die hohe Wertschätzung der Person zeigt sich auch darin, dass unzählige Belegbeispiele von Luther, insbesondere aus der Bibel, in das Deutsche Wörterbuch eingegangen sind. Die Kunst tut ihr Übriges. So bildet etwa der Historienmaler Paul Thumann auf einem Gemälde mit dem Titel »Luther übersetzt die Bibel« aus dem Jahr 1872 einen in der Einsamkeit der Studierstube übersetzenden Luther ab. Mit einer Feder in der rechten Hand, den Arm auf dem rechts neben ihm stehenden Schreibtisch abgestützt, darauf ein Schreibpult, ein Tintenfass und Bücher. Der Bibeldruck, in den Luther hinein51 52 53 54
Von Harnack (1923), 110. Grimm (1822), XI. Grimm (1922), XIf. Wolf (2017), 8.
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korrigiert, liegt auf seinem linken Bein, vom linken Arm fixiert. Links vor sich hat der Reformator einen Schemel mit weiteren Büchern stehen.
Abb. 2: Paul Thumann, »Luther übersetzt die Bibel«, 1872
Neben den lobenden gibt es über die Jahrhunderte hinweg weiterhin kritische Stimmen. So war etwa der Germanist Arno Schirokauer sehr negativ gegenüber Luther eingestellt, was sich in nicht haltbaren Äußerungen wie der folgenden zeigt: Das nun muß als Luthers Tat gelten, daß er dem Jargon der gärenden Unterschichten, dem anonym geprägten, im anonym wurzelnden Sprichwort, der sub-literarischen Volkssprache mit ihren drastischen und gefühlsseligen Kernsprüchen die Tore in die Bibel öffnet. Die Jünger Christi reden wie Bauern […] Luther hat dem niederen Volk zu gut ›auf das maul gesehen, wie sie reden.‹55
Das Zitat kann eine Überleitung zu der Frage sein, in welcher Relation die Sprache der Bibel und die des gemeinen Mannes stehen.
55 Schirokauer (1957) 900.
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5.
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Luther hat »dem Volk aufs Maul geschaut« … und seine Bibel nicht nach dem Volk, sondern für das Volk übersetzt
Die Bibel war schon vor Luther der zentrale Text eines christianisierten Volkes. Wie es Udo Di Fabio in seinem Geleitwort zu dem 2016 erschienenen Band Folgenreich: Reformation und Kulturgeschichte formuliert, ist die Einschätzung von Luthers Sprachmächtigkeit und -wirksamkeit perfekt getroffen: Er hat die Sprache als Volkssprache vorangetrieben und Impulse für die kulturelle Identitätsbildung gegeben – mit seiner schöpferischen Kraft und seiner Glaubensgewissheit.56 Luther hat auf der Basis der im Jahr 1519 von Erasmus von Rotterdam herausgegebenen griechischen Version des Neuen Testaments,57 einer hebräischen Version des Alten Testaments aus dem Jahr 149458 und der Vulgata in Zusammenarbeit mit weiteren Gelehrten die Bibel auf exzellente Weise ins Deutsche übersetzt, und zwar so, dass man bei Revisionen sogar einmal vollzogene Veränderungen wieder rückgängig macht, mit dem Ziel, den sogenannten Bibelton zu erhalten. Die Luther-Bibel ist nicht nur für linguistische Fragestellungen und den Sprachgebrauch zur Lutherzeit und darüber hinaus von großer Bedeutung. Sie gehört zur kulturellen Identität des großen Bevölkerungsteils, der auch heute noch nach christlichen Wertvorstellungen lebt. Luthers schöpferische Kraft prägt bei Weitem nicht nur, aber auch die Sprache. Was Di Fabio hervorhebt, ist ganz wesentlich und soll hier noch einmal betont werden: Luther ist kein Philologe, er ist ein Theologe, und so spielt Glaubensgewissheit eine ganz andere, zentrale Rolle für sein Leben und Wirken. Er hat Schriften zu allem Möglichen, nicht aber zum Gebrauch der deutschen Sprache verfasst. Dass er die neuhochdeutsche Sprache »schafft«, war nie seine Absicht. Dass er sie geschaffen hätte, haben ihm andere zugeschrieben, und sie tun es bis heute. So kann man im Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit noch im Jahr 2004 im Artikel zu Martin Luther lesen: Für die dt. Kultur liegt seine [Luthers, CWR] Leistung neben den theol.-religiös-kirchlichen Ergebnissen in der Durchsetzung einer dt. Gemeinsprache […].59 Hätte der Verfasser noch einmal innegehalten, hätte er merken müssen, dass das schlicht nicht realistisch ist: Niemand kann eine Sprache alleine »durchsetzen«. Die Gesellschaft prägt die Sprache. Nur wenn Veränderungen akzeptiert und angenommen werden, kann sich Sprache verändern. Und der Sprachgebrauch ist in unterschiedlichen Domänen ein ganz verschiedener: In der 56 Di Fabio (2016), 11. 57 Mit lateinischer Übersetzung. Diese ist als Novum Testamentum (1519) die sorgfältig – unter Einbeziehung weiterer Handschriften – überarbeitete Fassung des Novum Instrumentum von 1516 (vgl. insgesamt Elliott (2016) und De Jonge (2016)). 58 Vgl. auch Debus (2014), 428. 59 Jaumann (2004), 422.
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einen wandelt er sich eher/schneller, in der anderen ist er – durchaus begründet – konservativer. Luther wird in seiner Wirkmächtigkeit weiter überhöht, offenbar weil diese Legende, dieser Mythos gefällt, nicht zuletzt wohl auch, weil das werbewirksam ist. So ist auf der Webseite www.luther.de, die anlässlich des Jubiläumsjahres angelegt wurde, unter der Überschrift Martin Luther und die deutsche Sprache zu lesen: Während des eher unfreiwilligen Aufenthalts auf der Wartburg fand Luther trotz »vielfacher Belästigungen durch den Teufel« die Zeit, sich einer großen Aufgabe zu widmen: er übersetzte in nur elf Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Das Werk wird später noch von Melanchthon und anderen Spezialisten (z. B. Caspar Cruciger) bearbeitet, es erscheint 1522 als sogenannte »Septemberbibel« im Druck. Dadurch wird Luther zum Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache.
Und später: Weiterhin sind Luthers Tischreden beachtenswert. Sie stellen neben der Bibelübersetzung ein weiteres Beispiel dafür dar, wie Luther »dem Volk auf ’s Maul geschaut« hat.60 Wie bereits erwähnt, sind aber die Tischreden – die erst nach dem Tod Luthers publiziert wurden – nicht von ihm selbst aufgeschrieben worden, sondern von Tischgenossen. Die Zuverlässigkeit der Tischreden muß im Einzelfall sorgfältig erwogen werden, da nicht alle Dinge Luther gleich gut im Gedächtnis waren und da die Mitschreiber das Gehörte nicht immer genau notierten und ihre Notizen großenteils nur in Abschriften erhalten sind.61 Es geht jeweils um spontane Äußerungen aus gegebenem Anlass; die Tischreden können nicht die Grundlage einer Sprachtheorie sein. Manche Ungereimtheiten in Publikationen rühren daher, dass auch Nicht-Linguisten über die Sprache Luthers schreiben,62 und zwar ohne linguistische Literatur zu konsultieren, so etwa zu beobachten in einem im Jahr 2016 erschienenen Buch mit dem Titel Als unser Deutsch erfunden wurde.63 Die Bibel ist aus allen Texten Luthers hervorzuheben. Sie ist kein Text wie jeder andere. Die Übersetzung erhält bald den Status eines sakrosankten Textes wie das Original. Das spiegelt sich auch in den Revisionen wider: Unverständliche Wörter werden nicht ohne Weiteres durch zeitgemäße ersetzt. Zur Verständnissicherung gibt man den frühen Neuausgaben mit einem regional zum Teil sehr differierenden Sprachstand Glossare bei oder verfasst Wörterbücher, wobei eine graduelle Anpassung durch alle Zeiten hindurch bemerkbar ist. Dass der sogenannte Bibelton auch heute noch relevant gesetzt wird, zeigt ein Beispiel aus dem
60 61 62 63
http://www.luther.de/kontext/sprache.html, 29. 03. 2019; Hervorhebungen im Original. Schwarz (2014), 177. So Krauß (2016). Preisendörfer (2016).
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1. Korinther-Brief: Seit der Luther-Revision von 1984 und bis 2016 gab es drei Stellen mit Liebe als Akkusativ-Objekt: 1
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2
Und wenn ich prophetische reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.64
Im Revisionstext von 2017 lautet die Passage wie folgt: 1
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2
Und wenn ich prophetische reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
Der Akkusativ wird durch den Genitiv ersetzt, aber der Akkusativ war als Objektkasus für das Verb ›geben‹ nicht falsch, wie auch die Grammatiken der deutschen Gegenwartssprache zeigen; die Änderungen, die 2017 in der zitierten Passage der Luther-Bibel vorgenommen wurden, bilden nicht den aktuellen Stand der Grammatik ab. Eine Erklärung für die Änderung findet man mit dem Blick in die Luther-Bibel von 1545. Und damit ist diese Passage ein gutes Beispiel für das, was unter dem Luther-Ton oder Bibelton verstanden wird. Da lautet die Textstelle so: 1
WEnn ich mit Menschen vnd mit Engel zungen redet / vnd hette der Liebe nicht / So were ich ein donend Ertz oder eine klingende Schelle. 2
Vnd wenn ich weissagen kündte / vnd wüste alle Geheimnis / vnd alle Erkenntnis / vnd hette allen Glauben / also / das ich Berge versetzte / vnd hette der Liebe nicht / So were ich nichts. 3
Vnd wenn ich alle meine Habe den Armen gebe / vnd liesse meinen Leib brennen vnd hette der Liebe nicht / So were mirs nichts nütze.
Zum sogenannten Luther-Ton gehört also offenbar, dass an bestimmten Stellen ganz bewusst ältere Sprache gewählt wird, die als ›feierlich‹ bzw. ›gehoben‹, als besonders gut im Ausdruck gelten mag.
64 Luther (1984), 1 Kor 13,1–3.
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Besonders geeignet dafür, Luthers Sprachgefühl zu zeigen, sind sicherlich die Psalmen. 1531 wurde der Psalter noch einmal von einem Team überarbeitet, neben Luther Philipp Melanchthon, Caspar Cruciger, Matthäus Aurogallus und Justus Jonas, eventuell auch der Hebraist Johann Forster. Melanchthon war durch seine historischen und philologischen Kenntnisse »gewissermaßen das wandelnde Lexikon der Revision«.65 Die Übersetzungsprozesse münden nicht selten darin, dass Stilmittel höchst kunstfertig eingesetzt werden und damit der Sprache einen ganz spezifischen Rhythmus und Klang verleihen. Der Beginn von Psalm 2366 lautet: Der Herr ist mein Hirte. Bis zum Hause des Herrn wendet er das Stilmittel der Alliteration in nur sechs Versen siebenmal an. Und das klingt gut. Vers 2 übersetzt er zunächst so: Er hat mich lassen weyden in der wonung des grases (handschriftlich)
Im Druck von 1524 kann man lesen: Er lesst mich weyden da viel gras steht
1531 wird daraus endgültig: e
Er weidet mich auff einer grunen awen.
Aus dem Perfekt wird ein Präsens mit allgemeingültiger Bedeutung, aus der Nominalphrase mit Genitivattribut in der wonung des grases wird der Relativsatz e da viel gras steht und schließlich das Bild der grunen awen. Damit zeigt sich im Endprodukt eine perfekte Ausdrucksweise und mit den drei Übersetzungsetappen der Prozess der Spracharbeit, der über viele Jahre andauerte. Der scharfe Kritiker und Zeitgenosse Luthers Johannes Cochlaeus wusste Luther richtig zu deuten, wenn er schrieb: Luthers Neues Testament [war] durch die Buchdrucker dermaßen gemehrt und in so großer Anzahl ausgesprengt, also daß auch Schneider und Schuster, ja auch Weiber und andere einfältige Idioten [›Privatmänner, einfache Menschen‹], soviel deren dies neue lutherische Evangelium angenommen, wenn sie auch nur ein wenig Deutsch auf einem Pfefferkuchen lesen gelernt hatten, dieselbe gleich als einen Bronnen aller Wahrheit mit höchster Begierde lasen.67
Der Bezug zum Sendbrief vom Dolmetschen, mit der ebenso häufig zitierten wie missverstandenen Stelle ist offenkundig:
65 Michel (2016), 42. 66 Eine ausführliche Analyse mit Gegenüberstellung des hebräischen Urtextes in Übersetzung, der Vulgata, Luther 1531 und Eck als altkirchlichem Bibelübersetzer 1537 bei Besch (2017), 458f. 67 Cochlaeus (1549/1917), 309.
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[…] den man muß nicht die buchstaben inn der lateinischen Sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man muß die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, daß man Deutsch mit jn redet.68
Luthers Sprachvorbilder stehen hier nicht für stilistische, lexikalische oder gar soziolektale Qualitäten der Bibelsprache.69 Sie sind für ihn nicht Sprachvorbilder, sondern Zielpersonen, denen er eine angemessene Sprache anbieten muss.70 Der Kontext zeigt, dass sich die Angemessenheit nur auf die Syntax und auf nichts weiter bezieht. Zu Luthers Lebzeiten werden für die Gesamtauflage aller seiner Schriften etwa vier Millionen Exemplare angenommen – mit zu berücksichtigen ist bei dieser Angabe, dass nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung lesen konnte –, und die Bibelausgaben haben neben Katechismen und Liederbüchern einen hohen Anteil daran. Wenn Thomas Kaufmann71 schreibt, dass Luther der erste ›Medienstar‹ der neuen Schrift-, Druck- und Medienkultur gewesen sei, so mag das etwas salopp klingen, aber er hat recht. Sein Bestseller war keine Reaktion auf den Sprachgebrauch des gemeinen Mannes, er zeigte aber möglicherweise Wirkung auf dessen Sprache, gerade wenn sich dieser angemessen schriftsprachlich ausdrücken wollte. Abschließend ein etwas längeres Zitat von Werner Besch zu Luther, seiner Sprache und deren Wahrnehmung, Beschs Resümee zum Thema »500 Jahre Reformation und zugleich die Beschreibung des langen Weges zur gesamtdeutschen Schriftsprache«:72 Ein einzelner kann keine Sprache schaffen, nicht Sprachschöpfer sein, auch Luther nicht. Trotz aller Sprachmächtigkeit wären seine Schriften, ohne die Bibel, eher eine Episode geblieben in der deutschen Sprachgeschichte. Die Langzeitwirkung in sozialer und regionaler Breite hatte die Bibel, ausgestattet mit der Autorität des Wortes Gottes. Diese göttliche Autorität der Bibel bewirkt den Durchbruch zum neuen Deutsch – nicht weltliche Macht.
Könnte man also sagen, dass die Bibel und nicht Luther als Agens zu betrachten ist? Man könnte ihn, Luther, nicht einfach ersetzen durch einen anderen guten Übersetzer seiner Zeit. Dann fehlte etwas Entscheidendes, nämlich Luthers (Wieder-)Entdeckung der Kernbotschaft des Neuen Testaments und seine Ver-
68 69 70 71 72
WA, Bd. 30,2, 637. Jakob (2017), 19. Ebd. Kaufmann (2010), 8. Besch (2017), 466.
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kündigungsmächtigkeit in geeigneter Sprache. Luther ist nicht wegzudenken und dennoch nicht im Mittelpunkt. Er selbst kann frei sagen: e
Gern hette ichs gesehen, das meine Bucher allesampt werden dahinden [›im verborgenen‹] blieben und untergangen, [damit allein die Bibel wirke].73
6.
Literatur
1.
Primärliteratur
Cochlaeus, Johannes: Commentaria de actis et scriptis. M. Lutheri Saxonis. Mainz 1549. Übersetzung nach Karl Kaulfuss-Diesch: Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden. 5. Aufl. Leipzig 1917. Das Newe Testament.|| D.Mart.Luth.|| Wittemberg VD16 [VD 16 B 4429] Signatur Ms. App. 25 Bestand »Sammlung Rörer« (http://dfg-viewer.de/show, 29. 03. 2019). Dietenberger-Bibel 1540 = Biblia, beider Allt vnnd Newen Testamenten. Von Johannes Dietenberger. 2. Aufl. Köln 1540. Fleischütz, Joseph: Die Heilige Schrift. Nach der uralten / gemeinen / nach der katholischen Kirche bewährten Uebersetzung deutsch herausgegeben, Fuld 1781 (Passau, Staatliche Bibliothek – S nv/Ri (b) 86). Frangk, Fabian: Orthographia Deutsch / Lernt recht buchstäbig deutsch schreiben. Durch M. Fabian Frangken. Wittemberg. Nachdruck der Ausg. Wittenberg 1531 (1531/1979. Hildesheim u. a. Harsdörffer, Georg Philipp: Specimen Philologiae Germanicae. […] Nürnberg 1646. Luther-Bibel 1545 = Zeno.org. MEINE BIBLIOTHEK (http://www.zeno.org/Literatur/M/Lu ther,+Martin/Luther-Bibel+1545, 29. 03. 2019). TR = Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Weimar 1883ff. (Abteilung Tischreden). WA = Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Weimar 1883ff. (Abteilung Schriften).
2.
Sekundärliteratur
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Uwe Baumann (Bonn)
Martin Luther, Heinrich VIII., Thomas Morus und die ›Reformation‹ in England1
I.
Heinrich VIII. und die Annullierung seiner Ehe
Spätestens im Winter 1526/27 traf König Heinrich VIII. die folgenreichste Entscheidung seines Lebens: Er beschloss, sich von seiner Ehefrau Katharina zu trennen und die Ehe annullieren zu lassen. Diese Entscheidung gründete in drei Motiven, 1. echten Gewissensskrupeln, in einer wider göttliches Gebot geschlossenen Ehe zu leben, 2. dem Wunsch nach einem männlichen Nachfolger und 3. der Liebe zu Anne Boleyn. Welches Motiv das ausschlaggebende war, wissen wir nicht; vielleicht wusste dies der König selbst nicht einmal.2 Mit dem Entschluss allein, die Annullierung seiner Ehe mit Königin Katharina einzuleiten, war es nicht getan. Mit welchen Argumenten ließ sich die Ungültigkeit der 1509 geschlossenen Ehe rechtfertigen? Über diese Frage diskutierte der König wohl immer wieder mit seinem Freund und Lordkanzler Kardinal Thomas Wolsey; bald stellte sich heraus, dass nur zwei Möglichkeiten in Betracht kamen. Die erste Möglichkeit, für die Wolsey optierte und die er Heinrich mehrfach vorschlug, war verblüffend einfach; sie setzte allerdings auf ein ausgesprochen kasuistisches Argument. Wenn Katharina, was sie im Übrigen auch tat, weiter darauf beharren sollte, dass ihre erste Ehe mit Arthur (1502) zwar geschlossen, aber nicht vollzogen worden sei, so entfiele juristisch die Schwägerschaft ersten 1 Der Beitrag versucht im Kontext der gesamten Ringvorlesung zum Jubiläumsjahr 2017 die Bedeutung der Person und des reformatorischen Werkes Martin Luthers für die Entwicklung der Englischen (Reformations-)Geschichte zu skizzieren. Wie es diese Zielsetzung erfordert, mischt sich dabei Bekanntes mit weniger Geläufigem (vgl. Appel (2016); Baumann (2008a, 2008b); Flood (1996) und Doernberg (1961)). Insgesamt wurde der Vortrags-Duktus beibehalten, für die Drucklegung wurden jedoch die wichtigsten Belege ergänzt und in Einzelfällen auch einige der zentralen Argumente der Diskussion detaillierter expliziert. 2 Vgl. im Folgenden Baumann (2006), bes. 58ff. (mit Quellen und weiterführender Literatur). Selbstverständlich akzentuieren auch andere primär biographische Studien zu Heinrich VIII. die intrikaten Fragen der Motivation(en) des Königs für seinen Annullierungswunsch; vgl. z. B. Appel (2012); Berg (2013); Guy (2014); Loades (2007); Matusiak (2014); Ridley (1990); Scarisbrick (1968); Wilson (2009).
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Uwe Baumann
Grades zwischen Heinrich und Katharina: Die erteilte päpstliche Dispens vom Ehehindernis der Schwägerschaft wäre damit formal wertlos gewesen. Für die Eheschließung zwischen Heinrich und Katharina wäre stattdessen eine Dispens vom Ehehindernis der öffentlichen Ehrbarkeit erforderlich gewesen, eine solche war jedoch nie erteilt worden, ergo wäre die Ehe zwischen Heinrich und Katharina nach kanonischem Recht von Beginn an ungültig gewesen. Diese Argumentation bot den Vorteil, dass alle Beteiligten, einschließlich des Papstes, ihr Gesicht hätten wahren können, da die frühere Dispens ja nur auf Grund irrtümlicher Angaben erteilt worden war und ihre Gültigkeit nicht prinzipiell in Zweifel gezogen werden brauchte. Juristisch und formal gedacht wäre es nur die falsche Dispens gewesen.3 Auf die zweite Möglichkeit war der König offenbar selbst gestoßen. Gottes Worte an Moses verboten, wie Lev. 20,21 scheinbar unzweideutig formulierte, die Ehe mit der Frau des Bruders: »Nimmt einer die Frau seines Bruders, so ist das Befleckung. Er hat die Scham seines Bruders entblößt; sie sollen kinderlos bleiben.«4 Wenn also die Ehe mit der Frau des Bruders durch göttliches Recht explizit verboten, ja selbst Kinderlosigkeit als göttliche Strafe angedroht war, dann konnte keine Autorität, auch kein Papst von diesem eindeutigen Verbot dispensieren. Auch dies klingt zunächst überzeugend – aber es gab eine zweite alttestamentarische Passage, die in deutlichem Widerspruch zu Lev. 20,21 stand und die bis in alle Details hinein dem konkreten Fall des englischen Königs zu entsprechen schien (Deut. 25,5): »Wenn zwei Brüder zusammen wohnen und der eine von ihnen stirbt und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes außerhalb der Familie werden. Ihr Schwager soll
3 Dieser Weg, die Ehe Heinrichs mit Katharina annullieren zu lassen, gilt einigen modernen Interpreten als echte, als verschenkte historische Möglichkeit des Königs, deren Erfolgsaussichten von vornherein sehr viel besser gewesen wären als bei der Variante, für die der König sich dann schließlich entschied. Für J. J. Scarisbrick (1968), insbes. 194ff, war es ein entscheidender Fehler Heinrichs VIII., diesem Rat Wolseys nicht zu folgen, und noch schärfer urteilt G. R. Elton, Heinrich habe den einen Vorschlag Wolseys nicht verstanden, der ihm unmittelbaren Erfolg garantiert hätte (vgl. Elton (1974–1983), Bd. I, 104). So schwierig (und prinzipiell problematisch) es ist, über nicht realisierte historische Alternativen zu urteilen, so darf man in diesem Fall drei Aspekte nicht übersehen: Erstens hätte ein solches Vorgehen den juristischen casus in jedem Fall im Rahmen des geltenden kanonischen Rechts mit dem Papst als höchster Appellationsinstanz belassen; ein für Heinrich positiver Bescheid hätte also vorausgesetzt, dass der Papst das Argument akzeptierte. Zweitens kam der Vorschlag vom falschen Mann, denn der König vertraute Wolsey gerade in seiner ›Scheidungsaffäre‹ nicht mehr rückhaltlos (vgl. insbes. Scarisbrick (1968), 194f und 228ff; vgl. ebenfalls Ridley (1990), 196ff). Und drittens kam der Vorschlag wohl zu spät, Heinrich hatte sich nämlich bereits für einen anderen Weg entschieden. 4 Die Bibel. Einheitsübersetzung (1999); im Folgenden alle Zitate im Text nach dieser Ausgabe. Vgl. jeweils auch die Version der Vulgata (Biblia Sacra (1975)): »qui duxerit uxorem fratris sui rem facit inlicitam / turpitudinem fratris sui revelavit absque filiis erunt.«
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Abb. 1: Krönung von Heinrich VIII. und Katharina, über ihnen Tudor-Rose und Granatapfel (Titelseite von Stephen Hawes’ A ioyfull medytacyon, 1509).
sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwagerehe mit ihr vollziehen.«5 Nun konnte man argumentieren, dass diese Passage nur für Juden gelte, wie insbesondere die Verurteilung der Ehe des Herodes mit seines Bruders Weib durch Johannes den Täufer zeigte (vgl. Mk. 6,18), jedenfalls war der christlichen Kirche diese vom mosaischen Gesetz her geforderte Ehe mit der kinderlosen Witwe des Bruders, die sogenannte Leviratsehe, durchaus fremd. Vielmehr galt nach kanonischem Recht »von alters her das Ehehindernis der Schwägerschaft ersten Grades, das impedimentum affinitatis primi generis, auch in solchem Falle.«6 Konnte solcherart Deut. 25,5 hinweg disputiert werden, so galt es andererseits zu berücksichtigen, dass die für Heinrichs Argumentation zentralen Bibelstellen Lev. 18,167 und 20,21 in der Vergangenheit immer so ausgelegt worden waren, als seien sie nur auf vollzogene Ehen anzuwenden. Damit wurde es für Heinrich 5 Vgl. auch den Text der Vulgata (Biblia Sacra (1975)), Deut. 25,5: »quando habitaverint fratres simul et unus ex eis absque liberis mortuus fuerit / uxor defuncti non nubet alteri sed accipiet eam frater eius et suscitabit semen fratris sui.« 6 Thieme (1986), Zitat: 87. 7 Vgl. Lev. 18,16: »Die Scham der Frau deines Bruders darfst du nicht entblößen; denn sie ist die Scham deines Bruders«; Vulgata (Biblia Sacra (1975)): »turpitudinem uxoris fratris tui non revelabis quia turpitudo fratris tui est.«
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geradezu zur Vorbedingung, wenn er versuchen wollte, auf Grund der beiden Leviticus-Passagen die Ehe mit Katharina annullieren zu lassen, dass die Ehe zwischen Katharina und Heinrichs Bruder Arthur tatsächlich als matrimonium consummatum, also als vollzogen zu gelten hatte. Als sich der König einmal für diesen Weg entschieden und behauptet hatte, die Ehe zwischen Katharina und Arthur sei vollzogen worden, gab es keine Umkehr mehr. Die Möglichkeit, die ihm Wolsey vorschlug, hatte ja gerade den Nichtvollzug dieser ersten Ehe Katharinas zur Voraussetzung, und dies konnte Heinrich nicht mehr behaupten, ohne gleichzeitig einzuräumen, dass er zuvor gelogen hatte. Die Möglichkeit, für die sich Heinrich letztlich entschieden hatte, verlangte viel vom Papst: nämlich das zumindest implizite Eingeständnis, dass einer seiner Vorgänger seine Kompetenzen überschritten hatte. Andererseits eröffneten sich mit dem auf Lev. 18,16 und 20,21 gründenden Argument noch sehr viel weiter reichende Möglichkeiten, wobei es fraglich ist, ob Heinrich VIII. diese zu Beginn seiner Überlegungen bereits bewusst einkalkuliert hatte. Wenn nämlich die Ehe mit der Witwe des Bruders durch göttliches Recht untersagt war und dementsprechend kein Papst davon dispensieren konnte, so würde dies auch unabhängig vom Urteil des jetzigen Papstes gelten. Mit dem Leviticus-Argument hatte sich Heinrich – ob kalkuliert oder zunächst unbewusst – für die Möglichkeit entschieden, die es ihm erlaubte, sich mit der Autorität des göttlichen Wortes gegen die Kirche und den Papst zu stellen und die Annullierung schließlich auch unabhängig von der römischen Kurie durchzusetzen. Zugleich rückte diese Argumentation den König und seine Berater in die Nähe reformerischer Ansätze, die eigene Interpretation der Heiligen Schrift gegen die Tradition auszuspielen, wie statt vieler ein in seiner Bedeutsamkeit kaum zu überschätzendes, weiteres Beispiel zeigen mag. Im siebten Kapitel der Censurae,8 der zentralen Propaganda-Schrift, in der die positiven Stellungnahmen italienischer und französischer Universitäten (S. 1–27) zum Annullierungsbegehren Heinrichs die sehr viel detailliertere argumentative Absicherung (S. 29–278) der Position des Königs einleitete, führen die Ratgeber des Königs zunächst eine Fülle von Belegen aus den Schriften der Kirchenväter und der Kirchengeschichte an (S. 236–273), die den König geradezu verpflichteten, die ›inzestuöse‹ Ehe mit Katharina aufzugeben. Wie auch gute und fromme Bischöfe verpflichtet wären, dem Papst Widerstand zu leisten, wenn dieser gegen göttliches Gebot verstoße, so müsse auch der Privatmann in dem Falle, wo ihm sein durch den Heiligen Geist instruiertes Gewissen (266/11–12: »instinctu spiritus sancti«) sage, dass er in einer ›inzestuösen‹, ›widernatürlichen‹ Ehe lebe, auf jeden Fall diesem Gewissen
8 Vgl. The Divorce Tracts (1988). Im Folgenden Textverweise und Zitate nach dieser Ausgabe im Text. Vgl. insgesamt auch V. M. Murphy (1984); Nicholson (1977); Warner (1998).
Martin Luther, Heinrich VIII., Thomas Morus und die ›Reformation‹ in England
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folgen.9 Eine solche ›gefährliche‹ Nähe zu reformatorischen Positionen war weder gewünscht, noch entsprach sie den Glaubensgrundsätzen des Königs.
II.
Martin Luther: Reaktionen in England
Begonnen hatte die englische Auseinandersetzung mit den Thesen Martin Luthers mit einer großen Gegenschrift durch den König selbst: mit der Assertio Septem Sacramentorum (adversus M. Lutherum) von 152110 und einer öffentlichen Verbrennung der Schriften Luthers am 12. Mai 1521 an St. Paul’s Cross. Die dort gehaltene, in den folgenden Wochen mehrfach gedruckte und auch ins Lateinische übersetzte Predigt John Fishers ist ein Musterbeispiel volkssprachlicher Polemik.11 Nachdem Fisher den Reformator in die lange, konventionelle Reihe der Häretiker eingeordnet hat, die selbst vor dem Mord an Andersdenkenden nicht zurückscheuten, stellt er die Frage, wie Luther und seine Anhänger wohl mit dem Papst und seinen Getreuen verführen, wenn sie in ihre Hände fielen: »I fere me that he wolde use no more curtesy with them, than he hath done with theyr bookes / that is to say with the decretalles whiche he hath brent.«12 Wer die Bücher seiner Gegner verbrennt, so also Fisher, der gerade dabei ist, gemeinsam mit Wolsey die Bücher Luthers zu verbrennen, der ist auch bereit, diese Gegner selbst zu verbrennen – eine polemische Zuspitzung der Argumentation, die einerseits die verleumderische Wahrheitsferne der Auseinandersetzung offen legt, und andererseits für die Zukunft eben dieses, die Verbrennung der Gegner, ankündigt. Dabei markiert diese Schrift erst den Anfang einer Auseinandersetzung, die die religiöse und politische Geschichte in England für fast zwei Jahrhunderte prägen sollte. Noch, und die Schriften des Thomas 9 Es ist – neben den theologischen Implikationen einer solchen Aussage für die Konzeption des Gewissens und seiner Entscheidungsreichweite (vgl. dazu grundlegend Hein (1999)) – historisch sicherlich der Erwähnung wert, dass nur knapp vier Jahre später etliche Kartäusermönche, John Fisher und Thomas More durch die Scharfrichter Heinrichs VIII. hingerichtet wurden, weil sie sich auf eben dieses Recht, auch gegenüber dem Gesetz des Parlaments ihrem Gewissen zu folgen, beriefen und den ihnen vorgelegten Eid verweigerten; vgl. dazu zuletzt Turchetti (2013). 10 Vgl. das Präsentationsexemplar Heinrichs VIII. für den Papst, Leo X.: Assertio septem Sacramentorum adversus Martin. Lutherum, aedita ab invictissimo Angliae & Franciae rege, & domino Hyberniae Henrico eius nominis octavo, Manuscript on vellum, 1521, Biblioteca Apostolica Vaticana (MS Vat. Lat. 3731); vgl. insgesamt Trapp / Schulte Herbrüggen (1978), 84f. (No. 117); vgl. insgesamt auch Henry VIII (2008); vgl. unsere Abb. 2, 3 und 4. 11 Vgl. Grabes (1990); im Folgenden nutze ich eine der wenigen Detailanalysen, deren Ergebnisse einer genauen Überprüfung standhalten. 12 The sermon of John the bysshop of Rochester made agayn the pnicious doctryn of Martin luther …, (1521), STC 10894, Fol. E. ii.v. Im Folgenden Zitate in leicht modernisierter Fassung, mit aufgelösten Kürzeln, im Text.
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Abb. 2: Heinrich VIII., Assertio Septem Sacramentorum adversus Martinum Lutherum, 1521, Titelseite.
More stehen gleichsam paradigmatisch für die allgemeine Entwicklung,13 wurden die reformatorischen Schriften nicht in England gedruckt, noch hofften Krone 13 Vgl. insbesondere die (kontrovers-)theologischen Schriften des Thomas Morus in CW (More (1969): CW 5: Responsio ad Lutherum; More (1973): CW 8: The Confutation of Tyndale’s Answer; More (1976): CW 12: A Dialogue of Comfort against Tribulation; More (1979): CW 9: The Apology; More (1981): CW 6: A Dialogue Concerning Heresies; More (1985): CW 11: The Answer to a Poisoned Book; More (1986): CW 15: Letters to Dorp, Oxford, Lee and a Monk;
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Abb. 3: Präsentationsexemplar der Assertio für Papst Leo X., 1521, Titelseite.
Historia Richardi Tertii; More (1988): CW 10: The Debellation of Salem and Bizance; More (1990): CW 7: Letter to Bugenhagen, Supplication of Souls, Letter against Frith); vgl. hierzu allgemein Barnett (2009); Baumann (2015a, 2015b); Bradshaw (1985); Dillon (1976); Duffy (2011); Fury (2005); Gilman (2003); Gogan (1982); Gregory (2003); Hansen (1997); Holeczek (1975); Human (2008); Lakowski (1993); R. R. McCutcheon (1993); Marius (1962); Rex (2011); Schoell (2004); Schulte Herbrüggen (1985); Taylor (2011); Walker (1991).
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Abb. 4: Präsentationsexemplar der Assertio für Papst Leo X., 1521, Titelverso.
und Kirche, durch Einschüchterung der Buchhändler und wiederholte Bücherverbrennungen14 ihre Verbreitung in England einzudämmen. Da Fisher seine Sache wohl nicht schlecht gemacht hatte, betraute man ihn wiederum mit der Aufgabe, bei der zweiten, sorgfältig inszenierten Verbrennung 14 Vgl. hierzu allgemein Clebsch (1964), bes. 12ff und Bennett (1970), 32ff.
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lutherischer Schriften und der Bibelübersetzungen William Tyndales an St. Paul’s Cross am 11. Februar 1525, die Predigt zu halten, eine Predigt, die anschließend von Thomas Berthelet, dem königlichen Drucker, dreimal gedruckt wurde.15 Wie schon in der früheren Predigt suchte Fisher Luther auch mit theologischen Argumenten zu widerlegen, jedoch fokussiert bereits das Vorwort den so unheiligen Lebenswandel des »Häretikers« und kündigt jene andere, polemische Art der Argumentation an, mit der er ihn später zu verleumden trachtet. Auch die vordergründig theologische Auseinandersetzung ist durchsetzt von offenen Schmähungen (Fol. D.iii.r.): »O cursed Luther / O mischeuous Apostata / O moste execrable hereticke that denyest and dispisest all the fathers that euer were before us […].« Detaillierter und signifikant gröber ist die Polemik, derer sich Thomas More in seiner Responsio ad Lutherum (1523), mit der er wiederum auf die Antwort Luthers an Heinrich VIII. antwortete, befleißigt, wie einige wenige Beispiele zeigen sollen.16 Die für Jahrzehnte kanonische Deutung, dass Luther in seiner Antwort an König Heinrich VIII. diesen derartig grob beschimpfte, dass es die königliche Würde nicht erlaubte, darauf selbst zu antworten, verkennt, dass Heinrich VIII. selbst in seiner Assertio die polemische Auseinandersetzung mit wüsten Beschimpfungen eröffnet hatte. Ich konzentriere die weiteren Überlegungen zur Responsio ad Lutherum auf nur zwei Aspekte, die – neben dem Rückgriff auf anerkannte Autoritäten, etwa Kirchenväter und Sprichwörter, und dem extensiven Gebrauch klassischer Rhetorik – den polemischen Stil der Auseinandersetzungen17 insgesamt besonders prägten, die Argumente ad hominem und den Gebrauch der klassischen Logik.18 Neben den üblichen und erwartbaren Vorwürfen, die Ausführungen Luthers seien töricht, dumm, intellektuell unredlich, dem Delirium eines Trunkenen oder Wahnsinnigen geschuldet, einem saufenden Mönchlein, das darüber hinaus sich auch noch an die Fleischeslust verloren habe, liefern bereits die ersten Kapitel der Responsio eine schöne Reihe von erlesenen, aus der christlichen Polemik
15 Vgl. A sermon had at Paulis by the commandment of the most reuerend father in god my lorde legate / and sayd by John the bysshop of Rochester …, (1526 ?), STC 10892. Im Folgenden Zitate in leicht modernisierter Form im Text. Vgl. insgesamt Surtz (1967), bes. 12ff. 16 Vgl. More (1969: CW 5: Responsio ad Lutherum). Im Folgenden alle Zitate nach dieser Ausgabe im Text; zitiert als »CW 5«. Alle deutschen Übersetzungen aus der Responsio ad Lutherum stammen vom Verfasser. 17 Vgl. allgemein Pineas (1968) und Baumann (2015a und 2015b). 18 Vgl. dazu bereits Baumann (1988, 2008a und 2008b), Untersuchungen, auf deren Ergebnisse und Formulierungen ich für zentrale Details zurückgreife. Obwohl Heinrich VIII. die Auseinandersetzung mit wüsten persönlichen Beschimpfungen gegen Martin Luther in seiner Assertio eröffnet hatte, sollte natürlich für das Folgende nicht vergessen werden, dass Martin Luther selbst in seinen religiös-polemischen Auseinandersetzungen immer wieder mit überaus deftigen persönlichen Attacken und Beschimpfungen aufzuwarten wusste; vgl. dazu Braungart (1992); Brecht (1981, 1996); Hundt (2022); Schwitalla (1986) und Zschoch (2010).
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der (Spät-)Antike gut belegten »Schimpfwörtern«19, mit denen Luther geschmäht wird (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und auch nur für die ersten Kapitel): »scurra sycophanticus« [ränkeschmiedender Possenreißer] (CW 5, 16/27), »immodestus nebulo« [zügelloser Taugenichts] (CW 5, 20/12), »stolidus haeresiarchus« [dummer Häretikerführer] (CW 5, 46/7), »furiosus fraterculus« [rasendes Brüderchen] (CW 5, 56/9), »caput stulticiarum« [Haupt der Törichten] (CW 5, 56/21–22), »veneficus« [Giftmischer] (CW 5, 62/11), »improbus mendax« [ruchloser Lügner] (CW 5, 66/30), »inferorum deus« [Gott der Unterweltlichen] (CW 5, 74/5), »pediculosus fraterculus« [elendes Brüderchen] (CW 5, 78/4), »frater, pater, potator« [Bruder, Vater, Säufer] (CW 5, 108/9), »asinus« [Esel] (passim), »flagellum dei« [Geißel Gottes] (CW 5, 142/7), »haereticus et antichristus« [Häretiker und Antichrist] (CW 5, 148/34), »sedes Sathanae« [Stuhl Satans] (CW 5, 154/22), »stolidissimus nebulo« [dümmster Taugenichts] (CW 5, 212/16), »fulminator ac tonitor« [Blitzeschleuderer und Donnerer] (CW 5, 240/ 25), »nebulo et mendax« [Taugenichts und Lügenbold] (CW 5, 340/31–32), »homo nugacissimus« [kurzweiliger Possenreißer] (CW 5, 352/6). Dass Luther als Bruder des Judas (CW 5, 160/17), als widerwärtiges Tier der Apokalypse bezeichnet (CW 5, 146/31), die lutherische Kirche zum »conciliabulum Sathanae« [Versammlungsort Satans] (CW 5, 192/9) stilisiert, die Anrede »reuerende pater potator« [verehrter Vater Säufer] (CW 5, 218/26 und passim) wiederholt erscheint, alles fügt sich immer wieder zu Gesamtbildern der Person und Kirche Luthers mit klar erkennbaren Konturen, wie der folgende Beleg exemplarisch dokumentieren mag (CW 5, 158/20–24): […] sed Lutheristarum opera mala ebrietas, adulterium, rapina, blasphemia, et denique totus huiuscemodi malorum catalogus propter eorum fidem firmam qua confidunt firmiter solam fidem sufficere, et bonis operibus nihil opus esse, nihil sunt aliud: quam uirtutes merae. [[…] aber die üblen Werke der Lutheraner, Trunkenheit, Ehebruch, Diebstahl, Gotteslästerung und ein ganzer Katalog weiterer dieser Laster werden aufgrund ihres starken Glaubens, der sie darauf fest vertrauen lässt, dass der Glaube allein ausreicht und dass es guter Werke nicht bedarf, zu nichts anderem als ungemischten Tugenden.]
Wenden wir uns der Funktionalisierung der Logik zu: Ausgangspunkt auf einer noch weitgehend sachlichen Auseinandersetzung mit Luthers Lehren ist es dabei häufig, Luthers Aussagen auf innere Konsistenz hin zu befragen, ist doch der Nachweis von Inkonsistenz – in Mores Worten – das stärkste Argument sowohl im Beweis wie auch bei der Widerlegung.20 Im Rahmen solcher Konsistenz19 Vgl. dazu als über Indices sehr gut erschlossene Quellensammlung die drei monographischen Studien von Ilona Opelt (1965, 1975 und 1980). 20 Vgl. CW 5, 122/28–29: »quum deductio ad inconueniens fortissimum sit, et probandi genus, et confutandi.«
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überprüfungen entwickelt More ein Instrumentarium, das über die Überprüfung der formalen Gültigkeit von Aussagen, die Konstruktion analoger Sätze, die dann ihrerseits die Unsinnigkeit der gegnerischen Aussagen betonen, bis zu der Entwicklung von sich gegenseitig ausschließenden Schlussfolgerungen, die sich logisch zwangsläufig aus Luthers Aussagen ergeben, womit diese selbst ad absurdum geführt werden, reicht, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen mögen. Luthers Argument gegen das Sakrament der Ehe (CW 5, 662/22–28): Neque enim scriptura patitur, ut matrimonium sacramentum dicatur, quum sacramentum usu totius scripturae significet, rem secretam et absconditam, quam sola fide consequi possis. Matrimonium autem adeo non est res abscondita, aut fide percepta, ut nisi palam ob oculos fiat, matrimonium esse non posit, cum sit copula maris et foemina externa, et publica professione et conuersatione confirmata. / [Denn die Schrift gestattet nicht, die Ehe als Sakrament zu bezeichnen, da nach dem allgemeinen Gebrauch [des Terminus] ein Sakrament etwas bezeichnet, das verborgen und versteckt ist und durch den Glauben allein erlangt werden kann. Aber die Ehe ist so weit davon entfernt, eine verborgene Angelegenheit zu sein oder nur durch Glauben allein erlangt werden zu können, dass – wenn sie nicht öffentlich vor unser aller Augen geschlossen wurde – es gar keine Ehe sein kann, ist sie doch das äußerliche Band von Mann und Frau, gefestigt durch öffentliches Versprechen und Bund]
wird von Thomas More allein formal schon dadurch widerlegt, dass er ironisch fragt (CW 5, 664/5–9): Domine doctor, per uestram fidem, imo per infidelitatem uestram, per quam regulam tenet ista consequential: quum in praemissis mutatur copula a signifare ad esse, nisi uocabularij uestri uobis dicunt, quod haec duo uerba, Sum et Significo, idem significant. [Verehrter Herr Doktor, bei Deinem Glauben oder besser bei Deinem Unglauben, nach welcher Regel gewinnt diese Konklusion Gültigkeit, da doch in den Prämissen die Kopula von ›bezeichnen‹ zu ›sein‹ verändert wurde, wenn nicht Deine Wortdeuter Dir sagen, dass ›ich bin‹ und ›ich bedeute‹ das gleiche bedeuten.]
Im Kontext der Widerlegung der Aussage Luthers, dass allein im Geiste Christi der Mensch gut sein könne und es dementsprechend keinen Unterschied ausmache, ein guter Mensch oder ein guter Princeps zu sein, knüpft More zunächst an ein Beispiel aus Luthers Argumentation an. Der Satz »At Saul, ut desijt esse bonus uir, simul desijt esse bonus princeps« [Als aber Saulus begann, ein guter Mensch zu werden, begann er zugleich, ein guter Princeps zu werden] könne nicht als Beweis für Luthers Darlegungen gewertet werden, da diese partikuläre Aussage nicht mit Notwendigkeit zu einer allgemeingültigen Aussage gemacht werden könne. Luthers Schluss [bei Luther war es kein Schluss, sondern lediglich ein Beispiel] zieht More mit einem analog konstruierten vollends ins Lächerliche
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(CW 5, 336/21): »iste homo stultus est: ergo omnis homo stultus est« [Dieser Mensch ist dumm, also ist jeder Mensch dumm]. Diesen Abschnitt beschließend möchte ich noch darauf verweisen, dass die so schöne, primär heuristisch sinnvolle Differenzierung von Rückgriff auf Argumente ad hominem und Rückgriff auf die klassische Logik (und ihre Funktionalisierung) durchaus amüsante Schnittmengen ausbildet, wie die folgenden zwei Beispiele explizieren können: Luthers Äußerung, dass auch heilige Männer sich irren könnten und geirrt haben, wird von More zunächst als Anspruch Luthers umgedeutet, der einzige unfehlbare Interpret der Heiligen Schrift zu sein und sodann mit einem schönen Vergleich logisch stringent ad absurdum geführt (CW 5, 252/26–29): tanquam caecus aliquis diceret: Nemo est fere uidentium: qui non erret aliquando in rerum coloribus: ego errare non possum. Si quis ergo nolit falli, de coloribus: diffidat caeteris mortalibus uniuersis: atque uni credit mihi. [Als ob irgendein Blinder sagen würde: Kaum jemanden der Sehenden gibt es, der sich nicht manchmal bei den Farben von Dingen irrte; ich aber kann mich nicht irren; ergo, wenn irgendeiner also nicht über die Farben getäuscht werden möchte, so mag er allen übrigen Sterblichen misstrauen und nur mir allein glauben.]
Ist hier zumindest noch die syllogistische Grundstruktur der Argumentation erkennbar, wenngleich natürlich polemisch funktionalisiert, so erscheinen im folgenden Zitat logische Fachtermini im Kontext bloßer Verbalinjurien und werden – da gedanklich ihrer eigentlichen Sprachebene und Funktion enthoben – selbst zu »Schimpfwörtern«. Anknüpfend an Luthers Aussagen, insbesondere seine syllogistischen, bewertet More auch insgesamt die Grobheit in Luthers Sprache und fasst seine Verurteilung abschließend prägnant zusammen (CW 5, 180/7–15): Atque haec est domini doctoris posterioristice qui, quum sibi iam prius fas esse scripserit, coronam regiam conspergere et conspurcare stercoribus: an non nobis fas erit posterius, huius posterioristicae linguam stercoratam, pronunciare dignissimam: ut uel meientis mulae posteriora lingat suis prioribus: donec rectius ex prioribus, didicerit posteriors concludere, propositionibus. [Und dies ist die Prämisse a posteriori des geehrten Doktors. Da er geschrieben hat, dass er a priori ein Recht habe, die königliche Krone mit Scheiße zu bespritzen und zu beschmieren, haben wir da nicht im Nachhinein das Recht zu erklären, die vollgeschissene Zunge dieses Logikers a posteriori sei höchst geeignet, mit ihrem Vordersten das wahre Hinterste eines pissenden Maultiers zu küssen, bis er es besser gelernt haben wird, korrekte Konklusionen aus vorgegebenen Prämissen abzuleiten.]
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III.
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Heinrich VIII.: Trennung der Englischen Kirche von Rom
Kehren wir zum Wunsch Heinrichs VIII. zurück, seine Ehe mit Katharina annullieren zu lassen (spätestens seit dem Winter 1526/27). Die Fehl- und Totgeburten Katharinas, waren sie nicht allesamt Fingerzeige Gottes, so mag der König gegrübelt haben, dass er mit dieser Ehe gegen Gottes Gebot gehandelt hatte (Lev. 18,16 und 20,21). Ein männlicher Nachkomme, der von Katharina nicht mehr zu erwarten war, wäre in jedem Falle die am schwierigsten anzufechtende Nachfolgeregelung gewesen, die den Fortbestand der Dynastie gesichert hätte; dass eine Frau so lange und überaus erfolgreich regieren konnte wie dann später seine Tochter Elizabeth I. (1558–1603), lag für Heinrich jenseits aller Vorstellungskraft. Die Erfahrungen der Vergangenheit, in erster Linie die als Nachfolgerin ihres Vaters designierte Mathilde (1139–1153) und die daraus resultierenden desaströsen Unruhen und Bürgerkriege ließen Heinrich das Schlimmste befürchten. Siebzehn eigenhändig geschriebene Liebesbriefe Heinrichs an Anne Boleyn, wohl auch nur ein Bruchteil der tatsächlich geschriebenen Briefe, dokumentieren die Gefühle des Königs nachdrücklich. Alle drei Motive für Heinrichs Entschluss, die Ehe mit Katharina annullieren zu lassen, sind in sich stimmig und überzeugend.21 Seit dem Winter 1526/27 steht »the King’s great matter«, die Annullierung der Ehe im Zentrum nahezu aller politischen Aktivitäten. Was als durchaus geheimes Verfahren 1527 begonnen hatte, so geheim, dass Katharina selbst über Monate hinweg nichts davon ahnte, war Ende 1529 eine höchst brisante Angelegenheit von europäischen Dimensionen geworden; in England führte zunächst das Scheitern aller Versuche, die Annullierung durchzusetzen zum Sturz des Lordkanzlers, Kardinal Wolseys, der den in mehrere Gruppen gespaltenen Staatsrat nahezu vollständig gegen sich hatte.22 Nachfolger Wolseys als Lordkanzler wurde als Kompromisskandidat Sir Thomas More (1477/78–1535), ein untadeliger Berufsjurist und ein europaweit geschätzter und bewunderter humanistischer Gelehrter und Schriftsteller.23 Seit 21 Vgl. die Quellen, die wichtigsten Details, Argumente und weiterführende Literatur bei Baumann (2006), bes. 58ff. 22 Vgl. zu Wolsey insgesamt Gunn / Lindley (1991); Gwyn (1990); Ridley (1982) und Jack (2004/ 2008); vgl. insgesamt auch Baumann (2008a), bes. 235ff. 23 Vgl. die humanistischen Schriften des Thomas Morus: More (1963): CW 2: The History of King Richard III; More (1965): CW 4: Utopia; More (1974): CW 3, Teil 1: Translations of Lucian; More (1984): CW 3, Teil 2: Latin Poems; More (1997): CW 1: English Poems, Life of Pico, The Last Things. Vgl. insgesamt auch Allen (1963); Anderson (1984); Aretoulakis (2014); Baker-Smith (2011); Ball (1979); Baumann (1982, 1984, 1985, 1986a, 1986b, 1997, 2003, 2012, 2013, 2019); Baumann / Heinrich (1986a, 1986b); Beier (2010, 2012); Bejczy (1995); Berkvall (1993/94); Bishop (2005); Bore (2013); Burlinson (2008); Cameron (1987); Carlson (1992); Cave (2008); Chomarat (1985); Cook (2009); Corral (2012); Corrigan (1990); Cousins (2004); D’Alton (1997); DeCook (2008); Donno (1982); Dorsch (1967); Doyle (1971); Duncan (2012);
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mehr als einem Jahrzehnt hatte er sich als treuer Diener seines Königs auf vielen diplomatischen Missionen bewährt, noch vor kurzem hatte er England bei den Friedensverhandlungen von Cambrai vertreten, die mit dem sogenannten Damenfrieden (5. August 1529) die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Franz I. und Karl V. vorläufig beendeten.24 Mehr noch, er hatte mit seiner Responsio ad Lutherum Heinrich VIII. und dessen Schrift Assertio Septem Sacramentorum gegen Luthers unflätige Angriffe eindrucksvoll verteidigt; eine weitere umfangreiche und überaus gelehrte Schrift gegen die Häresien der Lutheraner aus seiner Feder war gerade erschienen, der Dialogue Concerning Heresies.25 Einen solchen Mann zum Lordkanzler zu bestellen, bot dem König viele Vorteile. Zum einen wirkte More nach außen geradezu als Symbol der Orthodoxie Heinrichs, zum anderen begrüßten sowohl die Antiklerikalen als auch die eher reformatorisch Orientierten die Ernennung eines Laien für dieses wichtige Amt. Der alte Freund More hatte in den Augen Heinrichs nur einen Fehler: Er war ein Esmonde (1971); Freeman (2007); Fox (1989); Gerard / Sterling (2005); Ghita (2006); D. Gilman (2003, 2005); E. B. Gilman (2012); Gordon (1978); Grace (1981, 1985); Gregg (2012); Harris (1972); Heinrich (1986, 1987); Karlin (2010); Kinney (1981a, 1981b); Lacombe (1993); Lakowski (1993, 1996); Lehman (2013); G. M. Logan (1983, 2011a, 2011b); Lüsse (1992, 1998); McConica (2011); E. McCutcheon (1985, 2011); R. R. McCutcheon (1991, 1993); Maczelka (2014); Marius (1984); Meyer (2010); Miller (2009); Mitsi (2008); Mölk (1964); Morgan-Russell (2002); Nelson (2001, 2006); Neumann (1966); Nink (1993); Perlette (1987); Petersen (1988); Phelippeau (2012); Phillips (2001); Prescott (2010); Raitiere (1973); Ransom (2013); Rebhorn (1976); Romm (1991); Rubio (1971); Rundle (1995); Schaeffer (1981); G. Schmidt (2007, 2009a, 2009b, 2013); M. T. Schmidt (1943); Schoeck (1956, 1986); Schön (2019); Schulte Herbrüggen (1983b, 1988, 1997); Scott-Craig (1948); Sivefors (2014); Sowards (1989); Starnes (1990); Steintrager (1969); Sullivan (1967); Surtz (1957a, 1957b); van der Stock (2016); Wegemer (1986, 1990, 1992, 2000, 2011, 2012); Weiner (1975); White (1974, 1976, 1982, 1987); Wojciehowski (2011); Wooden (1971, 1972); Yates (2007); Yoran (2001, 2005). Thomas Mores Korrespondenz (vgl. dazu More (1947, 1961, 1966, 1985, 1994, 1997) zeigt ihn durchgängig als hoch angesehenes Mitglied der großen europäischen res publica litterarum der Humanisten, wobei die kleinen Dinge des Alltags in seinen Briefen genauso engagiert problematisiert werden wie politisch-literarische Kontroversen (etwa mit Germanus Brixius, vgl. dazu Baumann (1984); Day (1977); Gilman (2005); Kinney (1981b); Laureys (2013); Lavoie (1976); G. Schmidt (2007, 2009a); Stone (1980)), oder die eloquente und argumentativ weit ausgreifende Verteidigung der Grundsätze der Bibelphilologie seines Freundes Erasmus von Rotterdam (vgl. dazu Amos (2003); Coogan (1986); Cooper (1965); Crawford (1968–1970); Holeczek (1975); Kinney (1981a); Mann-Phillips (1980); Mansfield (2009); Marc’hadour (1980, 1988); Mesnard (1963); C. M. Murphy (1980); Schrenck (1983); und zuletzt Baumann (2020)). 24 Vgl. insgesamt die Details und Belege bei Scarisbrick (1968), bes. 198ff; Guy (1980), bes. 128ff; Guy (1977) und Guy (2000), bes. 126ff. Vgl. insgesamt auch Curtis (2011) und Curtright (2009). 25 Vgl. die wichtigsten Details, Argumente und weiterführende Literatur E. H. L. Baumann (1993); Baumann (1988, 2008a, 2008b, 2013, 2015a, 2015b); Bradshaw (1985); Cummings (2008); Curbet (2003); Dillon (1976); Duffy (2011); Ferguson (2012); Fury (2005); Gilman (2003); Gregory (2003); Hansen (1997); Holeczek (1975); Jenkins / Preston (2007); Marc’hadour (1969, 1969–1972, 1972, 1990, 1992); Pineas (1960); Rex (2011); Rockett (1999); Schoell (2004); Trevor (2001); Young (2003).
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Gegner des Annullierungswunsches des Königs und ließ sich auch durch Argumente nicht umstimmen. Damit war von Anfang an klar, dass die entscheidende Frage der nächsten Jahre, die Annullierung der Ehe, weitgehend unabhängig vom Amt des Lordkanzlers vorangetrieben werden musste. Zeitgleich zur Etablierung einer inneren Beratergruppe im Staatsrat versuchten Heinrichs Gesandte – überaus erfolgreich – den nach Rom überwiesenen eigentlichen Annullierungsprozess zu verzögern, und Heinrich VIII. selbst wandte sich in seinem Annullierungsbegehren erstmals an eine größere Öffentlichkeit. Waren es zuvor im Wesentlichen seine Berater, die geistlichen Würdenträger, die Kirchengerichte und die Versammlung des Adels (The Great Council)26 gewesen, die sich intensiv mit der Annullierung auseinandergesetzt hatten, so wandte er sich im Frühjahr 1530, einem Rat des jungen Cambridger Theologen Thomas Cranmer27 folgend, an die Universitäten und bat sie um ein theologisches Gutachten über die Rechtmäßigkeit der Ehe des Königs.28 Im eigentlichen Annullierungsprozess in Rom geschah über viele Monate hinweg nichts. Im englischen Staatsrat wurde zwar immer wieder erregt und engagiert diskutiert, von einer, vielleicht sogar noch einvernehmlichen Lösung in der Annullierungsfrage war man weit entfernt. Im Unterhaus des Parlaments artikulierten sich in mehreren Sitzungen antiklerikale Beschwerden, die im Ton abgemildert als ›bills‹ im Frühjahr 1530 Gesetzeskraft erlangten.29 Bedeutsam war die erste Sitzungsperiode des Parlaments, weil ein Mann das Interesse des Königs weckte, der ihm in den nächsten Jahren ein unentbehrlicher, wenngleich auch ungeliebter Helfer werden sollte: Thomas Cromwell.30 Dieser war ein Mann niederer Herkunft, Sohn eines Schafscherers aus Putney. Mit etwa 45 Jahren hatte er schon ein bewegtes Leben hinter sich. In seiner Jugend hatte er einige Zeit, teils wohl als Söldner, in Italien verbracht und dort, wie später auch in den Niederlanden, wichtige Erfahrungen im Bank- und Rechtswesen erworben. Er war ein geborener Organisator und glänzender Stratege, der diese Fähigkeiten im Dienste Wolseys weiter vervollkommnet hatte. Cromwell war genau der Mann, 26 Am 12. Juni 1530 unterzeichnete ein großer Teil des Great Council einen Brief an Papst Clemens VII., der die ›Scheidung‹ Heinrichs als im Interesse der englischen Nation unabdingbar notwendig bezeichnete und mit einer unverhohlenen Drohgebärde schloss: Um eine Katastrophe für England zu verhindern, könnte man sich sonst gezwungen sehen, unabhängig vom Papst eigene Schritte zu unternehmen (vgl. die Belege bei Scarisbrick (1968), 259f). 27 Vgl. zu Thomas Cranmer insgesamt Ayris / Selwyn (1993); MacCulloch (1996, 2004/2008). 28 Vgl. Belege und weitere Einzelheiten bei Surtz / Murphy: Divorce Tracts (1988), bes. 1ff; vgl. auch Elton (1972), bes. 175ff; Nicholson (1977); Murphy (1984); Fox / Guy (1986), bes. 151ff; Warner (1998). Vgl. insgesamt auch Baumann (2008b), bes. 237f. 29 Vgl. Belege und Details bei Lehmberg (1970), bes. 76ff und Haigh (1983). 30 Vgl. zu Thomas Cromwell: Baumann (2006), bes. 79f; Coleman / Starkey (1986); Dickens (1959); Elton (1951, 1954, 1977); Guy (1990), bes. 154ff; Hutchinson (2008); Rex (2006); L. Stone (1951); Ward (1999); vgl. auch Leithead (2004/2008).
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wie ihn Heinrich brauchte, ein praktischer, strategisch versierter Kopf, der das Parlament zu lenken verstand, ein skrupelloser Pragmatiker der Macht – aber Cromwell war kein Mann nach Heinrichs Herzen. Im Spätsommer/Herbst 1530 las Heinrich VIII. mit großem Enthusiasmus, wie 46 handschriftliche Kommentare, Anstreichungen, Randbemerkungen und Fragen zeigen, ein ihm im Wesentlichen von Thomas Cranmer zusammengestelltes Schriftenkonvolut, die Collectanea satis copiosa, eine Sammlung unterschiedlichster Materialen zur ›Scheidung‹ des Königs.31 Heinrich war fasziniert, vor allem von der Formel der Suprematie des Königs, der als gesalbter Herrscher vom Richtspruch des Papstes unabhängig sei. Heinrich VIII. hatte zwar schon im Jahr 1515 vor einer Versammlung von Richtern und Bischöfen ausgeführt, dass die englischen Könige der Vergangenheit nur Gott als über ihnen stehend anerkannt hätten,32 aber nun erst, im Herbst 1530, nahm der Gedanke der königlichen Suprematie konkrete Gestalt an. Zugleich formulierte Heinrich einen historisch begründeten Grundsatz: Weder er selbst noch irgendeiner seiner Landsleute könnte vor einen römischen Gerichtshof zitiert werden, da nach altem Brauch und gemäß der Privilegien des Reiches (des Imperiums) sich kein Engländer einer fremden Rechtsprechung unterwerfen müsse.33 Damit war die Strategie für die Verhandlungen in Rom festgelegt. Die englischen Gesandten versuchten, den Papst zu bewegen, den Fall wieder nach England zurück zu überweisen.34 Am 30. März 1531 erstattete Thomas More als Lordkanzler dem Parlament offiziell Bericht über die Entscheide der europäischen Universitäten, sicherlich eine der undankbarsten Aufgaben, die er während seiner Kanzlerschaft übernehmen musste. Zugleich signalisierten seine Eröffnungsworte, mit denen er sich an das Unterhaus wandte, dass zumindest More den Machtkampf im Staatsrat
31 Vgl. Guy (1990), bes. 128ff. 32 Vgl. Henry E. Huntington Library, Ellesmere MS 6109, Letters and Papers II, 1, no. 1313. Im November 1515 hatte Heinrich VIII. in Baynard’s Castle erklärt: »By the ordinance and sufferance of God we are king of England, and the kings of England in time past have never had any superior but God alone. Wherefore know you well that we shall maintain the right of our Crown and of our temporal jurisdiction as well in this point as in all others.« Vgl. hierzu Guy (1982), bes. 495ff. 33 Vgl. Quellen und weitere Details bei Guy (1990), bes. 127ff; Koebner (1953); Nicholson (1977); Scarisbrick (1968), 261ff und Ullmann (1979). Als weiteres, in der politischen Zielrichtung analoges Argument behauptete Heinrich, dass die altehrwürdigen Gesetze der Kirche untersagten, einen Streitfall außerhalb der Kirchenprovinz zu verhandeln, in der er entstanden war. Für diese Behauptung konnte der englische König tatsächlich auf einige frühe Zeugnisse der Kirchenväter verweisen, was er und seine erstaunlich modern wirkende Propagandamaschinerie in den nächsten Monaten auch nicht müde wurden, immer und immer wieder zu tun (vgl. allgemein Warner (1998)). 34 Vgl. zu den Machtkämpfen innerhalb des Staatsrats Guy (1990), bes. 124ff.
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um die Annullierung noch nicht als entschieden betrachtete.35 Nahezu zeitgleich hatten sich die südliche Konvokation und die nördliche für insgesamt £ 118.840 von der Strafverfolgung wegen Praemunire – die Geistlichkeit habe Wolsey als Legat gehorcht und damit mitgeholfen, die Autorität des Königs zu untergraben, so die Anklage – freigekauft und den König als Schutzherrn und Oberhaupt der Englischen Kirche anerkannt, ›soweit dies das Gesetz Christi erlaube‹.36 Selbst nach den Beschlüssen der Konvokationen war für More der Kampf für Katharina und gegen die Annullierung noch nicht verloren. Für den Rest des Jahres 1531 tobte wohl hinter den verschlossenen Türen der Sitzungen des Staatsrates ein erbitterter Machtkampf, unternommen wurde jedoch nichts Konkretes; das Parlament wurde mehrmals vertagt.37 Dennoch – so muss man vermuten – gewann die Gruppe der Radikalen immer mehr an Boden, hatten sie doch mit Anne Boleyn eine engagierte Fürsprecherin, der der König jederzeit Gehör schenkte,38 der König, der zugleich immer klarer erkannte, welche weitreichenden Möglichkeiten das Konzept der Suprematie bot.39 Im Frühjahr 1532 war der Machtkampf dann endgültig entschieden. Wohl auf Betreiben Cromwells wandte sich das Parlament gegen juristische Unregelmäßigkeiten und Unbilligkeiten in den Häretiker-Prozessen, setzte – wie in weltlichen Strafprozessen – die Regelung durch, dass es immer zweier Zeugen bedurfte, und verabschiedete Mitte März das Annatengesetz (Act in Conditional Restraint of Annates), das untersagte, die ersten Jahreseinkünfte eines neuen kirchlichen Würdenträgers nach Rom zu überweisen, freilich mit zwei Vorbehalten: Es sollte erst in einem Jahr und auch dann nur mit der Unterschrift des Königs Rechtskraft erhalten.40 Mit dem Annatengesetz hatte das Parlament dem 35 Die Tatsache, dass Thomas More mit seinen – von Edward Hall überlieferten – Eröffnungsworten der Königin öffentlich widersprach (»You of this worshipful House, I am sure, be not so ignorant but you know well that the king our sovereign lord hath married his brother’s wife, for she was both wedded and bedded with his brother Arthur«) und auch Mores dezidierte Weigerung, den Gesandten Karls V., Chapuys, in seinem Haus in Chelsea zu empfangen, zeigen klar, dass zumindest der Lordkanzler die Machtkämpfe im Staatsrat noch nicht als definitiv entschieden betrachtete (vgl. Guy (1990), bes. 128ff und Baumann (2008b), bes. 240f). 36 Vgl. weitere Einzelheiten und die Belege bei Lehmberg (1970), bes. 109ff. Vgl. auch Scarisbrick (1956) und Guy (1982). 37 Vgl. Lehmberg (1970), bes. 109ff und Guy (1980), bes. 159ff. 38 Vgl. insgesamt zur Bedeutung Anne Boleyns für die ›radikalen Reformer‹: Bernard (1993); Bernard (2011), bes. 37ff und 92ff; Dowling (1984); Guy (1990), 136f; Ives (1986), 259ff; Ives (1994); Norton (2009), 57ff; Warnicke (1989), 151ff. 39 Vgl. die Details und die Belege, u. a. auch zu den Interpretations- und Meinungsdifferenzen zwischen Thomas Cromwell und dem König bei Guy (1990), bes. 133f. 40 Vgl. Guy (1990), 131.Vgl. ebenfalls noch die in der Sache weitergehende Petition des Parlaments mit insgesamt drei zentralen Forderungen: 1. Der Klerus sollte anerkennen, dass der König als Oberhaupt der Kirche Englands auch die höchste richterliche Gewalt in kirchlichen Gerichtsverfahren habe, 2. dürften die Konvokationen ohne Zustimmung des Königs keinen
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König eine wirksame Waffe in die Hand gegeben, Rom politisch unter Druck zu setzen. Die Reaktion der Konvokation auf eine weitere Petition des Parlaments erzürnte den König so sehr, dass er am 30. April den Sprecher des Unterhauses, Thomas Audley, und zwölf ausgewählte Parlamentsmitglieder zu sich beschied: »Geliebte Untertanen, Wir haben geglaubt, dass die Kleriker unseres Reiches ganz und gar Unsere Untertanen seien, aber jetzt haben wir wohl gemerkt, dass sie nur zur Hälfte Unsere Untertanen sind – ja überhaupt kaum Unsere Untertanen. Denn alle Prälaten legen bei ihrer Weihe einen Eid auf den Papst ab, der dem Eid, den sie auf Uns ablegen, durchaus widerspricht, so dass sie seine und nicht Unsere Untertanen zu sein scheinen.«41 Vom Zorn des Königs völlig überrascht, verharrte der Klerus die ganze erste Maiwoche in Untätigkeit, dann fügte er sich nach langwierigen Verhandlungen den von Heinrich nun zum eigenen Programm erhobenen Forderungen des Parlaments: Am Montag, dem 15. Mai 1532, unterwarf sich der englische Klerus dem König.42 Am Dienstag, dem 16. Mai, trat Thomas More als Lordkanzler zurück: Gegen drei Uhr am Nachmittag übergab er im Beisein des Herzogs von Norfolk Heinrich VIII. den weißen Lederbeutel, der das große Staatssiegel Englands enthielt, sichtbares Zeichen, dass der Machtkampf endgültig entschieden war.43 Und wiederum geschah Merkwürdiges. Heinrich wartete ab und unternahm zunächst nichts, obwohl er die Instrumentarien beisammen hatte, den Bruch mit Rom zu vollziehen; und auch der Papst tat nichts. Den endgültigen Bruch mit Rom bewirkten dann scheinbare Kleinigkeiten. Anne Boleyn, seit dem 1. September offiziell Marquis von Pembroke, hatte wohl im Spätsommer/Herbst 1532 erstmals ihre Zurückhaltung gegenüber Heinrich aufgegeben, und sie bemerkte um die Weihnachtszeit, dass sie schwanger war. Am 24. August 1532 war William Warham, der greise Erzbischof von Canterbury, verstorben und zur allgemeinen Überraschung ernannte der König sofort Thomas Cranmer zu Warhams Nachfolger. Dann überstürzten sich die Ereignisse, da das Kind, das Anne erwartete, auf jeden Fall ehelich geboren werden sollte. Am 25. Januar 1533 heirateten Anne Boleyn und Heinrich heimlich, am 21. Februar erließ der Papst, Clemens VII., Fall erörtern und 3. sollte den Bischöfen das Recht entzogen werden, Fälle von Ketzerei vor ihren geistlichen Gerichten zu verhandeln. Zukünftig sollten Ketzer nur noch von eigens dazu vom König eingesetzten Bevollmächtigten abgeurteilt werden (vgl. insgesamt Haigh (1983) und Baumann (2008b), bes. 241ff). 41 Jacobs / de Vitray (1980),. 129. Vgl. Baumann (2008b), 242f; Lehmberg (1970), bes. 145ff und Guy (2000), 159f: »The remark that the clergy were but half the King’s subjects was one of Cromwell’s favourite phrases: transcripts of the conflicting oaths had been prepared by him in advance. Cromwell next exploited the King’s mood to engineer the Submission of the Clergy to the Crown (15 May 1532).« 42 Vgl. Elton (1960/1972), 339–341 (No. 175); vgl. ebenfalls Kelly (1965); Lehmberg (1970), 149ff und Guy (2000), 158ff. 43 Vgl. mit den Belegen und weiteren Details Guy (1980), 175ff und Guy (2000), 160ff.
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nachdem Heinrich wohl mit der Inkraftsetzung des Annatengesetzes gedroht hatte, die Bulle für Cranmers Bischofsweihe, wenig später, Anfang April verabschiedete das Parlament ein seit langem vorbereitetes Gesetz, das explizit verbot, in kirchlichen Streitfragen an Rom zu appellieren (Act in Restraint of Appeals), am 11. April bat Cranmer Heinrich ›demütig‹ um die Erlaubnis, seinen Annullierungsprozess führen zu dürfen, und am 23. Mai erklärte er nach einem formal ordnungsgemäß abgelaufenen Prozess die Ehe von Heinrich und Katharina für nichtig und als von Beginn an ungültig. Fünf Tage später verkündete der Erzbischof in seinem Palast in Lambeth die heimlich vor vier Monaten geschlossene Ehe des Königs mit Anne Boleyn sei gültig und rechtmäßig.44 Die zentrale Frage der letzten Jahre war damit gelöst; aber Heinrich hatte, um sein Ziel zu erreichen, die Englische Kirche von Rom getrennt und sich selbst zum Oberhaupt der Englischen Kirche gemacht,45 einer Englischen Kirche, die in Glaubensfragen so traditionell wie zuvor war, wie etwa die Kontinuität in den Ketzerverfolgungen zeigt. Allerdings wurden gemäß der neuen Bestimmungen die Prozesse von eigens eingesetzten königlichen Beauftragten geführt: So wurden etwa am 4. Juli 1533 der gelehrte John Frith und Andrew Huett, ein Londoner Schneider, nach ergangenem Urteil in Smithfield Seite an Seite öffentlich verbrannt; beide hatten die reale Präsenz von Leib und Blut Christi im Altarssakrament standhaft geleugnet.46 Erste Schatten auf das Glück des Königs warf der nur verhaltene Jubel der Londoner Bevölkerung bei der feierlichen Krönung Anne Boleyns am Pfingstsonntag, dem 1. Juni,47 und der 7. September erschütterte Heinrichs Hochstimmung endgültig: Anne wurde – entgegen allen Voraussagen der Astrologen – von einem gesunden, zarten Mädchen entbunden, der späteren Königin Elizabeth I. (1558–1603).48 Von den Anhängern Katharinas wurde die Geburt Elizabeths als Gottesurteil gegen Heinrich interpretiert, aber auch Heinrich selbst muss die Geburt einer Tochter als moralische und politische Niederlage empfunden haben. Einer gesicherten Nachfolgeregelung war er damit keinen Schritt näher gekommen. So enttäuschend wie die Geburt Elizabeths, so unübersichtlich war 44 Vgl. weitere Einzelheiten und die Belege bei Scarisbrick (1968), bes. 308ff und Guy (1990), bes. 134ff. 45 Heinrich VIII. hatte sich damit nach Jahren des vorsichtigen Taktierens und der Unentschlossenheit auf einen Weg begeben, der, wie es Jasper Ridley formuliert (Ridley (1990), 239) »wahrscheinlich zwangsläufig dazu führte, dass England ein protestantischer Staat mit einer offiziellen Religion wurde, die 1533 von allen Autoritäten einschließlich Heinrichs als ketzerisch angesehen wurde.« Vgl. insgesamt auch Bernard (2000); Gregory (2012); Haigh (1987); Newcombe (1995). 46 Vgl. Baumann (2006), 91. Die Prozesse waren gemäß der neuen Rechtslage von eigens eingesetzten königlichen Beauftragten geführt worden. 47 Vgl. Quellen und weitere Einzelheiten bei Ives (1986), 215ff und Warnicke (1989), 122ff. 48 Vgl. Ives (1986), 230f und Warnicke (1989), 168ff.
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Abb. 5: Titelseite der Coverdale-Bible (1535), der ersten vollständigen Bibel in englischer Sprache, Titelbordüren von Hans Holbein.
die politische, insbesondere die religionspolitische Lage.49 Heinrich VIII., das Oberhaupt der Englischen Kirche, der ›Defensor Fidei‹, war in Glaubensdingen 49 Vgl. die Analyse der Stimmung der Londoner Bevölkerung durch den kaiserlichen Gesandten
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so traditionell wie vor dem Bruch mit Rom. Thomas Cranmer, der neue Erzbischof von Canterbury, zeigte immer offener seine Neigung zu einem gemäßigten Reformkurs im Sinne einer lutherischen Erneuerung,50 und Anne Boleyn, die Königin, galt als entschiedene Anhängerin der neuen lutherischen Lehren.51 Der religiöse Dissens barg eine Menge neuer Konfliktstoffe, obwohl zunächst einmal die Ketzerverfolgungen wie gehabt weitergingen. Auch für das Parlament blieb noch viel zu tun. Nachdem die Annullierung der Ehe und der Bruch mit Rom vollzogen waren, bedurfte es einer Fülle weiterer Gesetze, diese Grundsatzentscheidungen in konkrete Detailregelungen umzusetzen. Obwohl in London Gerüchte kursierten, der König würde unverzügliche und drastische Maßnahmen gegen die Kirche ergreifen, begann die 5. Parlamentssession am 15. Januar 1534 mit einer langen Reihe von straf- und wirtschaftsrechtlichen Routinegesetzen. Nur weniges betraf die Kirche direkt. Da der Bruch mit Rom vollzogen war, wurden auch die beiden italienischen Bischöfe von Salisbury, Campeggio, und Worcester, Ghinucci, ihrer Ämter und Pfründen enthoben.52 Ende Februar/Anfang März wurde ein zweites Annatengesetz beraten und schließlich am 12. März auch verabschiedet. Es verbot endgültig alle Zahlungen an Rom und ermächtigte den Erzbischof von Canterbury, die bisher vom Papst erteilten Dispense zu geben. Die Präambel dieses Gesetzes ist einer der frühesten Belege für die Behauptung, der Papst beschneide widerrechtlich die Autorität des englischen Königs.53 Die Act of Supremacy (Frühjahr 1534) definierte klar und in unmissverständlichen Worten den als gegeben angenommenen Cäsaro-Papismus des Königs:54 Be it enacted by authority of this present Parliament that the King our sovereign lord, his heirs and successors kings of this realm, shall be taken, accepted and reputed the only supreme head in earth of the Church of England called Anglicana Ecclesia, and shall have and enjoy annexed and united to the imperial crown of this realm as well the
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Chapuys, die freilich zum Teil auch seinem ›Wunschdenken‹ entspringt (vgl. Jacobs / de Vitray (1980), 138f), bei Baumann (2008b), 244f, bes. Anm. 42. Vgl. zu Thomas Cranmer Ayris / Selwyn (1993); MacCulloch (1996, 2004/2008). Vgl. die ausgewogene Analyse bei Guy (1990), 116ff. Sie wurden nach der üblichen einjährigen Vakanz durch die Reformer Nicholas Shaxton (Salisbury) und Hugh Latimer (Worcester) ersetzt, die beide nach der Verabschiedung der Six Articles von 1539 ihre Bischofssitze jedoch wieder aufgeben mussten, ein weiterer signifikanter Beleg für die rasante Geschwindigkeit des Wandels der dogmatischen ›Orthodoxie‹ in England der Jahre nach 1533/35 (vgl. Guy (1990), 137). Vgl. insgesamt Elton (1960/1972), bes. 329ff. Elton (1960/1972), 355f (Document No. 180). Vgl. ebenfalls Guy (1990), 135f. Die öffentliche Selbstinszenierung des Herrschers unter beständigem Rückgriff auf klassisch-antike und/ oder mittelalterlich-ritterliche Motive gehört ebenfalls in diesen Kontext, ist sie doch – zumindest für Heinrich VIII. und Elizabeth I. – ein insgesamt stabilisierendes Element der ansonsten in vielen (zumeist religiösen) Detailfragen gespaltenen Gesellschaft (vgl. dazu zuletzt Baumann (1999, 2006)).
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title and style thereof, as all honours, dignities, preeminences, jurisdictions, privileges, authorities, immunities, profits and commodities, to the said dignity of supreme head of the same Church belonging and appertaining. And that our sovereign lord, his heirs and successors kings of this realm, shall have full power and authority from time to time to visit, repress, redress, reform, order, correct, restrain and amend all such errors, heresies, abuses, offences, contempts and enormities, whatsoever they be, which by any manner spiritual authority or jurisdiction ought or may lawfully be reformed, repressed, ordered, redressed, corrected, restrained or amended, most to the pleasure of Almighty God, the increase of virtue in Christ’s religion, and for the conservation of the peace, unity and tranquillity of this realm: any usage, custom, foreign laws, foreign authority, prescription or any other thing or things to the contrary hereof notwithstanding.
Zwei Gesetze regelten explizit die Thronfolge: Nachdem am 7. März Katharina auch vom Parlament offiziell zur Prinzessin-Witwe erklärt worden war, wurde am Tag nach Palmsonntag, dem 30. März 1534, das Nachfolgegesetz (Act of Succession) verabschiedet. Die Präambel erinnerte an die Bürgerkriegswirren der Vergangenheit, zitierte Cranmers Annullierungsurteil der Ehe Heinrichs mit Katharina und die Rechtmäßigkeitserklärung der Ehe mit Anne Boleyn. Die eigentliche Thronfolge ergab sich aus diesen Prämissen: Erste Thronfolger wären männliche Nachkommen aus der Ehe mit Anne, oder, sollte es solche nicht geben, aus einer möglichen weiteren Ehe des Königs; sollten keine männlichen Erben geboren werden, so würde die Herrschaft an Annes Tochter, Prinzessin Elizabeth, und an deren Nachkommen fallen. Des Königs ältere Tochter, Maria, wurde genauso wenig genannt wie die Nachkommen von Heinrichs Schwester Margarete. Dies war politisch klug, war doch damit das weitere Schicksal Marias nicht definitiv entschieden. Die Sukzessionsakte war ein außergewöhnliches Dokument, indem sie bereits genaue Strafen für Verstöße gegen dieses Gesetz vorschrieb: Handlungen oder Schriften gegen den König, seinen Titel und seine Heirat würden als Hochverrat (high treason), das Sprechen im gleichen Sinne als Verrat (misprision of treason) verfolgt werden. Und alle Untertanen konnten verpflichtet werden, einen Eid zu leisten, der den Inhalt und die Konsequenzen dieses Gesetzes anerkannte.55 Wir wissen nicht, von wem die Idee stammte, nicht nur die Thronfolge, sondern implizit die gesamten Neuerungen seit 1529 durch einen allgemeinen Eid der Untertanen bekräftigen zu lassen, die Entscheidung jedoch, diese Idee zu realisieren, traf der König selbst. Thomas Cranmer, Thomas Audley, der Nachfolger Mores als Lordkanzler, und die Herzöge von Norfolk und Suffolk wurden mit der Durchführung des Gesetzes beauftragt. Der Londoner Klerus sollte den Anfang machen. Am 13. April wurde er in den Palast von Lambeth gebeten, um 55 Vgl. weitere Details und die Quellen bei Elton (1960/1972), 1ff (bes. Document No. 4) und 329ff; vgl. ebenfalls Scarisbrick (1968), 323ff; Lehmberg (1970), 182ff und Ridley (1990), 258ff.
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dort den Eid zu leisten. Ebenso wurden Bischof Fisher und Thomas More geladen; Fisher und More waren neben dem Archidiakon von Oxford, Dr. Wilson, die einzigen, die den Eid verweigerten. Sie wurden – entsprechend den Bestimmungen der Sukzessionsakte – in den Tower verbracht, wo Wilson nach einigen Monaten den Eid dann doch ablegte. Die übrigen Londoner Geistlichen legten den Eid ab, und ihnen folgte nach und nach der gesamte Klerus. Nur einige wenige Kartäuser und Franziskaner verweigerten neben Fisher und More den Eid, und auch sie wurden eingekerkert.56 Die 6. Parlamentssession, am 3. November 1534 eröffnet, schrieb den eingeschlagenen politischen Kurs konsequent weiter fort und verabschiedete u. a. eine Verschärfung der Hochverratsgesetze. Mit dem neuen Gesetz hatten Heinrich und Thomas Cromwell, der langsam das durch den Sturz Wolseys entstandene Machtvakuum auszufüllen begann, die Mittel in der Hand, die im Tower wegen der Verweigerung des Sukzessionseids Eingekerkerten wegen Hochverrats unter Anklage zu stellen: Es ging nicht mehr um eine möglicherweise lebenslange Haft, auf Hochverrat stand die Todesstrafe.57 Am 29. April 1535 wurden vier Kartäusermönche und zwei Priester wegen Hochverrats vor das Oberhofgericht in Westminster gebracht. Alle hatten bestritten, dass dem König der Titel ›Oberhaupt der Kirche‹ gebühre. Sie blieben fest in ihrer Überzeugung, wurden für schuldig befunden und zum Tod des Hochverräters durch Erhängen, Schleifen, Enthaupten und Vierteilen verurteilt. Das Urteil wurde ordnungsgemäß am 4. Mai in Tyburn vollstreckt.58 Am 17. Juni fand, nachdem am 11. Juni drei weitere Kartäuser zum Tod durch Erhängen, Schleifen, Enthaupten und Vierteilen verurteilt worden waren, der Prozess gegen John Fisher statt, der am 20. Mai in Rom von Paul III., dem Nachfolger des im September 1534 verstorbenen Papstes Clemens VII., zum Kardinal erhoben
56 Vgl. insgesamt Baumann (2008b), bes. 247f. Obwohl sich das gesamte Procedere (Vorladung, Eid, Befragung, Verweigerung des Eides, Einkerkerung) im Rahmen der Bestimmungen der Sukzessionsakte bewegte, wies diese selbst jedoch eine fundamentale juristische Lücke auf: Sie schrieb den genauen Wortlaut des Eides nicht vor und eröffnete damit der politischen Willkür Tür und Tor (vgl. Lehmberg (1970), 203). 57 Vgl. Quellen und weitere Einzelheiten bei Baumann (2008b), bes. 248f. 58 Vgl. Knowles (1959), Bd. 3, 229ff und App. III, 471f; vgl. ebenfalls Trapp / Schulte Herbrüggen (1977), 129 (no. 252). Während die Prozesse gegen drei weitere Kartäuser, Bischof Fisher und Thomas More vorbereitet wurden, setzte Heinrich VIII. seinen Kampf gegen die ›Ketzer‹ unbeirrt fort: Im Mai 1535 wurden 23 niederländische Wiedertäufer der Ketzerei angeklagt. John Stokesley, der Bischof von London, und Robert Barnes, ein Reformer, der selbst vor neun Jahren wegen Ketzerei angeklagt worden war, wurden vom König als Richter bestellt. Alle Angeklagten wurden für schuldig befunden, neun widerriefen und wurden in die Niederlande abgeschoben, die übrigen 14 zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt (vgl. Baumann (2008b), 250).
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Abb. 6: Prozess und Hinrichtung englischer Kartäuser als Hochverräter (1535), anonyme Kupferstiche 1555.
worden war, was Heinrich als bewusste Provokation verstand.59 Fisher räumte ein, dem König den Titel des Oberhaupts der Kirche bestritten zu haben, führte jedoch weiter aus, dies nicht – wie vom neuen Hochverratsgesetz gefordert – in böser Absicht (maliciously) getan zu haben. Dennoch wurde er für schuldig befunden und wie die Kartäuser zum Tod durch Erhängen, Schleifen, Enthaupten und Vierteilen verurteilt. Die Kartäuser mussten am 19. Juni in Tyburn die volle Strafe erleiden, Fisher wurde, vom König begnadigt, drei Tage später, am 22. Juni, auf dem Platz vor dem Tower enthauptet.60 Als zunächst letzter kam der ehemalige Lordkanzler und einzige Laie unter den Eingekerkerten, Sir Thomas More, am 1. Juli 1535 an die Reihe. Er hatte zwar den Sukzessionseid nicht abgelegt, aber er hatte – im Unterschied zu Fisher und den übrigen bereits Verurteilten – die Suprematie des Königs weder mit Worten noch mit Taten bestritten: Er hatte geschwiegen. Schweigen allein konnte jedoch ein Todesurteil nicht rechtfertigen. So behalf man, konkret wohl Thomas Cromwell, sich mit einem Zeugen, Richard Rich, der einen Meineid schwor und damit zugleich den Grundstein für eine steile politische Karriere legte, die ihn 59 Vgl. ein Schreiben des wie stets gut informierten kaiserlichen Gesandten Chapuys an Karl V.: »Sire, sowie der König hörte, dass der Bischof von Rochester zum Kardinal ernannt worden ist, war er sehr verdrossen und verärgert und sagte und versicherte mehrere Male, dass er diesem Bischof einen anderen Hut geben werde und dass er dann seinen Kopf nach Rom schicken werde, um den Kardinalshut zu empfangen« (Jacobs / de Vitray (1980), 165f). 60 Vgl. zu John Fisher Bradshaw / Duffy (1989); Dowling (1999); Hatt (2008, 2012); Rex (1991, 2004/2008); Surtz (1967). Vgl. insgesamt auch Guy (1990), 138ff.
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unter Edward VI. bis ins Amt des Lordkanzlers führen sollte.61 Auf Grund dieses meineidigen Zeugnisses wurde Sir Thomas More schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Wie bei Fisher wandelte der König das Urteil in Tod durch Enthaupten um. Am 6. Juli, dem Vorabend des Festes des heiligen Thomas von Canterbury, starb er unter dem Beil des Henkers.62 Ungeachtet harscher Kritik aus dem Ausland blieb es in England ruhig. Man hatte zwar jetzt erst richtig begriffen, was die Formel von der Suprematie des Königs über die Kirche in letzter Konsequenz bedeutete, aber es blieb ruhig. Die öffentliche Inszenierung in Schauprozessen und die Hinrichtungen zeigten mit zynischer Brutalität, was derjenige zu gewärtigen hatte, der sich dem Willen des Königs widersetzte. Wie schon bei seinem Regierungsantritt der Prozess gegen und die Hinrichtung der beiden meistgehassten Steuereintreiber seines Vaters, so waren auch die über die Kartäuser, John Fisher und Thomas More verhängten Todesurteile Akte kalkulierter Grausamkeit, die freilich machiavellistisch politisch den gewünschten Erfolg zeitigten, wobei der König sich über die moralische Fragwürdigkeit seiner Politik wohl keinerlei Illusionen hingegeben hat.63 Im Oktober 1536 wurde William Tyndale, Bibelübersetzer und zentrale Gestalt der englischen Reformation,64 nachdem er durch Verrat in die Hände des Kaisers gefallen, fast 16 Monate in der Festung Vilvorde, nördlich von Brüssel, gefangen gehalten worden war, öffentlich als Ketzer verbrannt. Auf dem Scheiterhaufen
61 Vgl. Trapp / Schulte Herbrüggen (1977), 124f (no. 243); vgl. insgesamt auch Carter (2004/ 2008); Coyle (1967); Guy (1990), 139ff; Reynolds (1964), 166f. 62 Vgl. zum Prozess gegen Thomas More mit vielen Details und allen Belegen Baumann (2012), bes. 47ff; Carter (2004/2008); Coyle (1967); Derrett (1960, 1969); Gangale (2010); Genet (2013); Hatt (2008, 2012); Haussy (1997); Kelly / Karlin / Wegemer (2011); Marshall (2011); Panza (2009); Schulte Herbrüggen (1983a); Turchetti (2013); Young (2003). Vgl. insgesamt die ausgewogene Analyse von Guy (1990), 139ff. 63 Vgl. Baumann (2006), 96ff; Baumann (2008b), bes. 252f; Baumann (2012, 2019); vgl. auch die knappe Würdigung von Guy (1990), 140f: »Finally, More was indicted under the Acts of Supremacy and Treason. He argued that his indictment was invalid because it was drawn upon parliamentary statutes repugnant to the common law of Christendom: he meant that Parliament had no power to enact laws that the rest of Catholic Europe rejected, if these were to bind men’s consciences. […] More’s stand was thus conservative and radical at once. It was a Catholic act of resistance to defend the church’s liberty from the king-in-Parliament; a radical protest to claim freedom of conscience against what More had come to think was a totalitarian state. And he thwarted Henry VIII by mounting the scaffold under the spotlight of Europe. Moral authority was on his side; in Fisher’s case less so, since he had urged Charles V to invade England«. Vgl. auch Bowker (1975). 64 Vgl. dazu allgemein Bowker (1975); Chibi (2003); Clebsch (1964); Cummings (2008); Duffy (1993, 2011); Elton (1954, 1972, 1973, 1977, 1991); Ferguson (2012); Fox / Guy (1986); Fury (2005); B. S. Gregory (1999, 2003, 2012); Haigh (1983, 1985, 1987, 1993); Hughes (1950–1954); Knowles (1959); Lehmberg (1970); MacCulloch (2010); Marshall (2003, 2014); Maynard Smith (1948); Newcombe (1995); Nicholson (1977); Rex (2006); Scarisbrick (1984); Shagan (2003); Walsham (2006); Wilson (2009).
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soll er mit lauter Stimme geschrien haben: ›Lord, open the King of England’s eyes‹.65
Abb. 7: Hinrichtung von William Tyndale, Oktober 1536, anonymer Holzschnitt, 1563.
Nachdem Anne Boleyn, wahrscheinlich im Sinne der Anklage genauso unschuldig wie die Kartäusermönche, John Fisher und Thomas More in ihren Hochverratsprozessen, am 15. Mai 1536 als Hochverräterin zum Tode verurteilt worden war66 – der König hatte das Urteil in Tod durch Enthaupten abgemildert, mit Jane Seymour seine dritte Frau geheiratet und als Königin gekrönt – verabschiedete das neue Parlament ein zweites Sukzessionsgesetz, das die Nachfolge auf die Nachkommen aus der Ehe Heinrichs mit Jane festschrieb. Bis dahin war der König ermächtigt, allein einen Nachfolger zu bestimmen. Allgemein war man überzeugt, Heinrich würde seinen unehelichen Sohn, Henry Fitzroy, den Herzog
65 Vgl. Trapp / Schulte Herbrüggen (1977), 77 (No. 149). Vgl. auch Baumann (2008b), bes. 254 mit der Abbildung eines anonymen Holzschnitts aus John Foxe, Actes and Monuments of the English Church, London 1563 (vgl. unsere Abb. 8). 66 Vgl. insbes. Bernard (1992, 1993, 1998, 2000); Bernard (2011), bes. 135ff; Ives (1972); Ives (1986), 335ff; Ives (1994, 2004); Norton (2009); Warnicke (1985, 1987, 1993); Warnicke (1989), 191ff. Vgl. insgesamt auch die ausgewogene Analyse von Guy (1990), bes. 141ff.
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von Richmond,67 zum Nachfolger designieren, dieser aber starb am 22. Juli 1536, wenige Tage nachdem das Gesetz verabschiedet worden war. Gleichzeitig schloss das Parlament eine Lücke des Hochverratsgesetzes von 1534, indem für die Zukunft auch unter Strafe gestellt wurde, das Primat des Papstes in Wort oder Schrift zu verteidigen.68 Im Dezember 1534 oder im Januar 1535 hatte Heinrich VIII. Thomas Cromwell zu seinem Generalvikar und Stellvertreter in allen kirchlichen Angelegenheiten ernannt und ihm damit den Vorrang vor den Erzbischöfen und allen Bischöfen eingeräumt.69 Einen Laien, der dazu noch des Königs Sekretär und sein mächtigster ›Minister‹ war, mit diesem neuen Amt zu betrauen, betonte augenfällig die Unterordnung der Kirche unter den König. Und Cromwell ging, neben der Vorbereitung der Prozesse gegen die Kartäuser, Fisher und More gleich entschlossen ans Werk und ordnete eine Erhebung der Jahreswerte und der moralischen Verfassung aller Klöster und Pfarreien an.70 Wie übertrieben die Berichte der Kommissare Cromwells auch waren,71 sie verfehlten ihre politische Wirkung nicht: Im Ergebnis führten sie zur Auflösung aller englischen Klöster (1536 und 1538–1540) und als weitere langfristige Folge zu Besitzumverteilungen größten Ausmaßes, was den neuen ›religionspolitischen‹ Kurs im Grunde sozialgeschichtlich unumkehrbar machte.72 Und erst jetzt, im Zuge der Klosterauflösungen, erhob sich Widerstand, der im Norden Englands schnell zu einer ernsthaften Gefahr wurde, die aus drei Gründen bemerkenswert ist: Erstens richtete sich der Aufstand zu keinem Zeitpunkt gegen den König selbst, die Aufständischen sahen in den Ratgebern des Königs die eigentlich Schuldigen. Zweitens überließ der König wie schon so oft in der Vergangenheit anderen die schmutzige Arbeit, die Niederwerfung des Aufstandes, bestimmte jedoch in Einzelfällen selbst die Anzahl der brutal inszenierten Hinrichtungen, und drittens entstand wohl während dieses Aufstandes (der sog. ›Pilgrimage of Grace‹, der ›Gnadenwallfahrt‹) der Mythos von Thomas Cromwell als dem Erzbösewicht,
67 Vgl. zu Henry Fitzroy Quellen, weiterführende Literatur und weitausgreifende politischprosopographische Analysen bei B. A. Murphy (2001). 68 Vgl. weitere Einzelheiten bei Baumann (2006), bes. 104ff. 69 Vgl. insgesamt Bernard (1998); Dickens (1959); Elton (1954, 1972, 1973, 1977, 1991); F. D. Logan (1988) und Stone (1951). 70 Vgl. die Belege und weitere Details bei Scarisbrick (1968), 337ff und Ridley (1990), 277ff. 71 Vgl. die eindrucksvollen Listen von Verfehlungen aus den Berichten der Agenten Thomas Cromwells, insbesondere über – zumeist sexuelle – Unmoral, verschiedenste Pflichtversäumnisse, groteskes Unwissen in Glaubensangelegenheiten und Betrug mit vorgeblich Wunder wirkenden Reliquien bei Jacobs / de Vitray (1980), bes. 176ff. 72 Vgl. Elton (1960/1972), bes. 374–378 (No. 186), 380–382 (No. 188); vgl. insgesamt auch Guy (1990), 143ff; vgl. ebenfalls Gregory (2012), bes. 160ff; Moorhouse (2009); Woodward (1966) und Youings (1971).
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dem »Hammer der Mönche«, der Personifikation des Bösen als dem Kopf der henrizianischen Reformation.73 Aber auch die Tage der politischen Macht Thomas Cromwells waren gezählt. Die von Cromwell propagierte und so fatale Hochzeit mit Anna von Kleve hatte das ohnehin nie innige Verhältnis zum König nachhaltig belastet, so dass er durch einen geschickt eingefädelten Putsch der alten Adelsfraktion und der Traditionalisten 1540 gestürzt werden konnte. Hauptvorwurf war, dass er ein verabscheuungswürdiger Häretiker sei, der ketzerische Literatur verbreitet und Ketzern Predigtlizenz erteilt hätte, mit einem Wort: Hochverrat.74 Mit seinem letzten politischen Dienst, einem Schreiben aus der Towerhaft heraus (30. Juni 1540), erleichterte er mit der Bestätigung persönlicher Aussagen des Königs diesem die Annullierung der Ehe mit Anna von Kleve.75 Am 28. Juli 1540 wurde er auf dem Platz vor dem Tower enthauptet. Der König hatte auch ihm den traditionellen Tod des Hochverräters erspart und dennoch zum wiederholten Mal seine zutiefst machiavellistische Herrschaftsauffassung dokumentiert:76 Like Empson, Dudley, and Wolsey, Henry VIII’s second chief minister had been thrown to the wolves. He had steered the Reformation beyond the point the king decided was expedient; had married Henry to the wrong wife; and when the Franco-imperial accord dissolved, his pro-Lutheran foreign policy became more a liability than an asset. Also in his later diplomacy and in the matter of the Calais sacramentarians, Cromwell had allowed personal religious commitment to cloud his political judgement. In this sense, he was as much a martyr to his faith as More and Fisher were to theirs. Yet he died unmourned.
Ob sich Heinrich VIII. hinsichtlich seiner eigenen Glaubensüberzeugungen dem Luthertum annäherte, muss offen bleiben. Fest steht lediglich, dass er die Erlaubnis zur Veröffentlichung einer englischen Bibelübersetzung gab, im Wesentlichen in der Fassung William Tyndales, jedoch ohne die lutherischen Randglossen,77 und dass er von seinen Bischöfen verabschiedete Glaubensartikel zuließ, in denen implizit die Lehre der Augsburgischen Konfession anerkannt wurde.78 73 Vgl. weitere Details, Quellen und Analysen bei Guy (1990), bes. 149ff; Guy (2014), bes. 61ff; Hutchinson (2008), bes. 115ff; Loades (2007), bes. 149ff; Matusiak (2014), bes. 231ff; Wilson (2009), bes. 268ff. 74 Vgl. Quellen und die Details bei Hutchinson (2008), bes. 221ff. Vgl. ebenfalls Brigden (1981); Elton (1991); Leithead (2004/2008). 75 Vgl. Hutchinson (2008), 251ff, eine Analyse, die verdeutlicht, wie der König selbst mit der Formulierung von fünf entscheidenden Fragen an Cromwell den für den Annullierungsprozess so wichtigen Antwortbrief (30. 06. 1540) seines ehemaligen wichtigsten ›Ministers‹ bis in die Details hinein orchestrierte. 76 Guy (1990), 188; vgl. insgesamt jedoch auch Guy (1990), 184ff und Hutchinson (2008), 238ff. 77 Vgl. insgesamt die Deutung bei Guy (1990), bes. 136f. 78 Vgl. dazu allgemein in der Folge für die elisabethanische Zeit Kaufmann (2010).
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Abb. 8: The Ten Articles, 1536.
Wie sich im Episkopat Reformer und Traditionalisten gegenüberstanden,79 so waren auch diese ›Zehn Artikel‹ (Ten Articles) von 1536 ein Kompromiss, und ein kurzlebiger dazu.80 Schon im Jahr darauf wurden sie durch das ›Buch der Bischöfe‹ (The Bishops’ Book) modifiziert81 und 1539 durch die wiederum sehr viel traditionelleren ›Sechs Artikel‹ (Six Articles)82 ganz ersetzt, wie die ausgewogene Analyse von John Guy zusammenfasst:83 Cromwell next launched a sponsored propaganda and preaching campaign that recognized pulpit and press as the mass media of Tudor England. Latin treatises were addressed to learned and European audiences; vernacular tracts began the battle for the hearts and minds of English parishioners. Often elegant, witty, and persuasive, these books injected reforming ideas into society but their main object was to encourage unity, conformity, and obedience to royal and parliamentary authority. […] Government control of pulpits was attempted through a licensing system: sermons were ordered against papal authority and in defence of the Boleyn marriage and the supremacy, but preachers were warned against denying the mass, the cult of saints, purgatory, 79 Vgl. allgemein Bowker (1975); Brigden (1981); Chibi (2003); Duffy (1993); Gregory (2012), bes. 129ff; Haigh (1985); Ridley (1990), bes. 383ff; Scarisbrick (1984); Shagan (2005). 80 Vgl. mit vielen Details Elton (1972), bes. 171ff. Vgl. unsere Abb. 9. 81 Vgl. hierzu Hughes (1950–1954), bes. I, 355f und II, 30ff; Smith (1948), bes. 158ff. 82 Vgl. insgesamt Elton (1960/1972); Redworth (1986); Guy (1990), 137f. 83 Guy (1990), 136f.
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pilgrimages, miracles, or clerical celibacy. Both in London and the country at large the ultimate control of preaching was contested between Cromwell and Cranmer on one side and the conservative bishops on the other. […] But the ›reformed‹ cause had gone too far for Henry VIII’s taste by 1538; Cromwell had to silence his pulpits, and in 1539 the Act of the Six Articles forced Latimer and Shaxton to resign their sees. Barnes, Garrett, and Jerome were burned as heretics two days after Cromwell’s execution, which shows how fine was the line between advancement and persecution.
Mit kritischen Anmerkungen zu Formulierungen im ›Buch der Bischöfe‹, in Briefen und in vielen Diskussionen mit Cranmer hatte der König selbst eifrig an den Glaubensrichtlinien, die fortan die Grundlage für die Ketzerverfolgungen konstituieren sollten,84 mitgearbeitet. Die Six Articles von 1539 schrieben explizit fest, 1. dass in dem Allerheiligsten Sakrament des Altars, durch die Kraft und Wirksamkeit des mächtigen Wortes Christi, das durch den Priester ausgesprochen wird, wirklich gegenwärtig sind unter der Form des Brotes und des Weines der wirkliche Leib und das wirkliche Blut Jesu Christi und dass nach der Konsekration keine Substanz von Wein und Brot mehr bleibt, noch irgendeine andere als die Substanz Christi, 2. dass die Kommunion unter den zwei Formen nicht für das Heil wesentlich ist, dass unter der Form des Brotes das Blut ebenso gegenwärtig ist wie der Leib und dass unter der Form des Weines das Fleisch ebenso gegenwärtig ist wie das Blut, 3. dass es nach ihrer Ordination den Priestern nicht erlaubt sein soll, sich zu verheiraten und Gattinnen zu haben, 4. dass die Gelübde der Keuschheit, welche nach Belehrung Gott gegenüber abgelegt worden sind, beachtet werden müssen und eine ewige Verpflichtung sind, 5. dass die privaten Messen fortbestehen sollen als geziemend und notwendig, um göttlichen Trost und Wohltat zu erlangen, 6. dass die Ohrenbeichte einem Priester gegenüber beizubehalten ist und weiterhin in der Kirche geübt werden soll. Wer den ersten Artikel leugnete, wurde automatisch als Ketzer verbrannt. Wer gegen die fünf anderen verstieß, hatte mit langen Haftstrafen und im Wiederholungsfall mit dem Tod zu rechnen.85 Was diese Regelungen im Verbund mit den Hochverratsgesetzen im politischen Alltag bedeuten konnten, zeigte der 30. Juli 1540: Der König ließ (in einer makabren Inszenierung) drei protestantische Ketzer, Barnes, Garrett und Jero84 Die praktischen Auswirkungen der Six Articles dokumentiert höchst eindringlich ein kleines, autobiographisches Buch: The Examinations of Anne Askew (vgl. Beilin (1996)). Dieses Büchlein von Anne Askew, einer knapp 25 Jahre alten, jungen gentlewoman aus Lincolnshire, die zum ›häretischen‹ protestantischen Glauben konvertierte, ihren – wie man modern sagen würde – katholischen Mann verließ, eine Scheidung anstrebte und sich in Londoner Protestantenkreisen an religiösen Diskussionen beteiligte, schildert minutiös und ergreifend zugleich ihre Gefangenschaft, ihre Verhöre durch die Repräsentanten von Staat und Kirche und ist ein einzigartiges Zeugnis aus der Perspektive eines Opfers der Ketzerverfolgungen (vgl. insgesamt Baumann (2008b), bes. 257ff). 85 Vgl. Elton (1960/1972), 389–392 (No. 190).
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me, zusammen mit drei papistischen Verrätern, die die königliche Suprematie geleugnet hatten, Abel, Powell und Featherstone, hinrichten. Jeweils ein Ketzer und ein Verräter wurden zuvor auf einer Schleife durch die Stadt gezogen; auf ein Gitter waren Barnes und Powell gebunden. Während sie durch die gaffende Menge der Schaulustigen geschleift wurden, hörte man sie erbittert miteinander streiten. Beide beanspruchten für sich, ein Märtyrer für den Glauben zu sein, und erklärten im gleichen Atemzug, der andere werde völlig zu Recht bestraft.86
IV.
Thomas Morus und der Kampf gegen die Reformation
Die grausig-makabre Inszenierung des 30. Juli 1540 zeigt anschaulich, in welchem Maße sich die Reformation in England von der auf dem Kontinent unterscheidet. Die aus persönlich-machtpolitischen Motiven und pragmatischem Kalkül vollzogene Trennung der Englischen Kirche von Rom in England, die dabei mit dem König als ihrem Oberhaupt dogmatisch – wie insbesondere die Six Articles dokumentieren – durchaus traditionell (modern würde man sagen: ›katholisch‹) bleibt, auf der einen Seite eine hoch komplexe religionspolitische Lage auf dem Kontinent, die ungeachtet eines von breiten Bevölkerungsschichten getragenen echten Reform- und Reformationswillens in verschiedene regional wie dogmatisch ausdifferenzierte Strömungen aufgespalten (z. B. Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin) erscheint.87 Darüber hinaus war das Verhältnis von Reformation und Herrschaft auf dem Kontinent, wie die Vielfalt der regionalen Unterschiede und Einzelentwicklungen (und vor allem auch Entwicklungsbrüche) verdeutlicht,88 wenigstens so komplex wie in England, wo um die dogmatisch-exegetische Ausrichtung im Detail zwar beständig gerungen wurde, die
86 Vgl. Quellen, weitere Einzelheiten und Analyse bei Ridley (1990), 384. Vgl. ebenfalls Ridley (1990), 384ff, eine Analyse, die en détail verdeutlicht, wie der König selbst – unter bewusster Instrumentalisierung der potentiell ›tyrannischen‹ Allmacht seiner Suprematie und des latenten Opportunismus’ seiner privilegierten Untertanen – hinter allen Entscheidungen steht (vgl. bes. 386): »Die Bischöfe und Höflinge änderten ihre religiösen Ansichten, wie es ihnen opportun erschien, billigten eine Heirat und erklärten sie hernach wieder für ungültig, machten sich bei Heinrichs Ministern lieb Kind, um sie später als Verräter zu diffamieren, und ließen ihre engsten Freunde und Verwandte hinrichten, bis sie selbst in den Tower geworfen und zum Richtplatz geführt wurden. Und wenn sie dann auf dem Schafott oder Scheiterhaufen auf den Tod warteten, galten ihre letzten Worte dem König, den sie über alle Maßen priesen.« 87 Vgl. dazu Bendikowski (2016); Kaufmann (2016a, 2016b); Köhler (2016); Köpf (2015); Leppin (2015, 2016a); McKim (2003); Pettegree (2016); Reinhardt (2017); Roper (2016); Schilling (2016); Winkler (2016). 88 Vgl. insbes. Kaplan (2007); Leppin (2016b); Richter / Kohnle (2016); Rublack (2006); Schilling (2016); Schorn-Schütte (2010).
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institutionelle und dogmatische Einheit der Englischen Kirche jedoch nicht in Gefahr war. Da die Trennung der Englischen Kirche von Rom primär aus machtpolitischem Kalkül und bürokratisch-administrativ vollzogen worden war, spielt Martin Luther in den Diskussionen um die dogmatische Ausrichtung der Englischen Kirche unter Heinrich VIII. kaum eine Rolle, wiewohl seine Lehren mittelbar auf die englischen Reformatoren der ersten Jahrzehnte (z. B. William Tyndale, Jerome Barlowe, John Rycke, William Roye, Robert Barnes, John Frith, George Joye, Simon Fish, Christopher St. German)89 gewirkt und so auch die Positionen der Reformer innerhalb des englischen Klerus und des Episkopats konturiert und mitgeprägt haben. Aus offizieller englischer Perspektive galt Martin Luther als ein verabscheuungswürdiger, unverbesserlicher Häretiker, wie dies der König selbst in seiner Assertio septem Sacramentorum, John Fisher90 und Thomas Morus (Responsio ad Lutherum) zur Genüge vor den Augen der gelehrten Öffentlichkeit mit einer Vielzahl von Argumenten dargelegt hatten. Für John Fisher wie insbesondere für Thomas Morus war die Verteidigung ihres Königs gegen die Attacken Luthers wie auch der Kampf gegen die Häretiker mehr als Verpflichtung. Es war beiden ein tief empfundenes persönliches Anliegen. Konzentriert auf Thomas Morus spricht die lange Reihe seiner kontroverstheologischen Schriften für sich selbst.91 Was als gelehrte, wenngleich dezidiert polemische Auseinandersetzung in lateinischer Sprache begonnen hatte (Responsio ad Lutherum (1523), Brief an Johann Bugenhagen (1526)), war in knapp einem Jahrzehnt zu einem englischsprachigen Gesamtwerk von knapp 2000 Seiten gegen die Häresien und Häretiker angewachsen. Am 7. März 1528 hatte Morus von seinem Bischof, Cuthbert Tunstall, ein Bündel mit häretischen Büchern, die Lizenz, diese zu lesen, und den Auftrag erhalten, die ›aufdringlichen und degenerierten Opuscula dieser Häretiker in unserer Sprache und auch einige der Bücher Luthers, mit der die ganze Häresie ihren Anfang nahm‹92 zu widerlegen, sei doch niemand dazu besser geeignet als er, der sich für dieses Unter89 Vgl. Trapp / Schulte Herbrüggen (1977), 73–83 (No. 140–168); vgl. auch Schulte Herbrüggen (1985), bes. 69ff; Baumann (2015a, 2015b). 90 Vgl. in Ergänzung der beiden Predigten gegen Martin Luther und dessen Schrift (Fisher 1521, 1526) auch (Fisher 1523), die Assertionis Lutheranae Confutatio per Reverendum Patrem Ioannem Roffensem Episcopum …, Antwerpen: Michael Hillen. 91 Vgl. More (1973), CW 8: The Confutation of Tyndale’s Answer, 3 Bde.; More (1979), CW 9: The Apology; More (1981), CW 6: Dialogue Concerning Heresies, 2 Bde.; More (1985), CW 11: The Answer to a Poisoned Book; More (1988), CW 10: The Debellation of Salem and Bizance; More (1990), CW 7: Letter to Bugenhagen, Supplication of Souls, Letter against Frith. Vgl. insgesamt Appel (2016); Barnett (2009); Baumann (2015a, 2015b); Clebsch (1964); Dillon (1976); Duffy (1993, 2011); Gilman (2003); Hall (1978); Hansen (1997); Human (2008); Lakowski (2000); R. R. McCutcheon (1991, 1993); Marius (1962, 1984); Schoell (2004); Schulte Herbrüggen (1985). 92 Vgl. zu dieser Inhaltsparaphrase More (1947), 386ff, Nr. 160.
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fangen den König selbst zum Vorbild nehmen könne.93 Um Schriften der Häretiker und ihre verderblichen Häresien zu widerlegen, widmete Thomas Morus einen großen Teil seiner – den übrigen familiären und beruflichen Verpflichtungen unter großen Mühen abgerungenen – Arbeits- und wohl auch Schlafenszeit dieser Aufgabe. Er sah sich in die Pflicht genommen, eine Pflicht jedoch, die getreulich zu erfüllen, ihm ein zentrales inneres Anliegen war, wusste er sich doch in jedem dogmatisch-exegetischen Detail im Einklang mit der Kirche und seinem König. Darüber hinaus betrachtete er die Häresien und die Häretiker schon sehr früh auch als immense politische Gefährdung Englands und Europas von gewaltiger sozialpolitischer Sprengkraft. In der von ihm selbst verfassten Grabinschrift, die er einem Brief an den Freund Erasmus von Rotterdam anfügte,94 hielt er in einem knappen pointierten autobiographischen Porträt fest, wie er sein Leben und Wirken selbst überliefert sehen wollte.95 Bezeichnend ist ein knapper Nebensatz als Resümee seines öffentlichen Wirkens: »furibus autem, homicidis haereticisque molestus« [doch war er eine Plage den Dieben, Mördern und Häretikern], wobei die Reihenfolge Diebe, Mörder, Häretiker eine klare Rangfolge in der Verabscheuungswürdigkeit der Verbrechen signalisiert, eine Reihung, die genauso auch in der Apology erscheint: »And yet by all the theuys, murderers, and heretyques, that euer came in my handes, […].«96 Die Apology (1533, vor Ostern) ist insgesamt eine höchst interessante Schrift, da sie zum einen erstmals belegt, dass sich Thomas More – wenn auch äußerst vorsichtig – über die kirchen- und machtpolitischen Positionen Cromwells und des Königs hinwegsetzt,97 zum anderen, weil sie eine dezidierte Verteidigung gegen persönliche Vorwürfe, er habe während seiner Kanzlerschaft Häretiker mit übergroßer Härte verfolgt und sie in seinem eigenen Haus in Chelsea widerrechtlich gefangen
93 Vgl. hierzu J. B. Trapp im Vorwort zu More (1979), S. xxvif: »No doubt this letter was only a formal expression of an agreement previously reached. There were obvious advantages in confiding the task to More. He had already had great experience in the examination of heretics, both face-to-face and through their writings and he was well-known for his able advocacy of the church’s cause when it came under public attack. Moreover, he was a layman. The disaffected could call him a friend to priests, but never accuse him of actually being one of their number – and later More was to take care, by refusing monetary reward from the spirituality, to preserve his position. He must also have had the reputation of a man who, once he had accepted an obligation to his church, would carry it through to his utmost.« 94 Vgl. zur Datierung des Briefes (zwischen 30.03. und 26. 06. 1533) die Anm. des Herausgebers in Allen X, Nr. 2831 und Baumann (2013), 135, Anm. 23. 95 Erasmus (Allen X, Nr. 2831, Z. 73ff); vgl. insgesamt Baumann (2013). 96 More (1979), CW 9: The Apology, S. 120/8–9; vgl. hierzu auch J. B. Trapp in seinem Vorwort (More (1979), xxxi): »It was part of his duty to hunt down and correct heresy and if, in the end, correction meant destruction, so be it.« 97 Vgl. insgesamt weitere Einzelheiten bei Baumann (2013); vgl. zur Vorsicht insbes. More (1979), CW 9, 50/27–51/35.
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gehalten und gefoltert, enthält.98 Wie immer man im Rückblick diese Vorwürfe und seine rhetorisch brillante Verteidigung en détail bewerten mag,99 in unserem Kontext bleibt als ungleich bedeutsamer zu registrieren, dass damit einmal mehr ein zentraler Beleg für das enorme persönliche Engagement des Thomas Morus in seinem Kampf gegen die Häretiker und ihre verderblichen Häresien vorliegt. Die rhetorisch-theologische Energie und bissig-polemische Brillanz dieses Kampfes gegen die englischen Häretiker und ihre Häresien gründet für Thomas Morus in dem Eingeständnis, dass die ursprünglich (von der englischen Obrigkeit, dem König und der Kirche) verfolgte Strategie, reformatorische Schriften und ihre Lehren von England fernzuhalten, gescheitert war. Dabei hatte Thomas Morus (wie auch sein Lebensfreund Erasmus von Rotterdam) nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die Kirche wie alles Irdische in vielerlei Hinsicht als reform(ations)bedürftig betrachtete, wie u. a. seine satirisch-parodistischen Porträts fauler, fetter, törichter, unmoralischer, unchristlicher und arroganter Kirchenvertreter in seinen Epigrammen100 und seine explizite Verteidigung der entlarvenden Kleriker-/Theologen-Porträts des Erasmus (Laus Stultitiae) explizieren. Auch hat sich Thomas More wiederholt für eine volkssprachliche Bibel eingesetzt und in seinen kontroverstheologischen Werken wie auch in seinen Tower-Schriften,101 die immer wieder auf eigene Übersetzungen der Bibel rekurrieren, dazu selbst Respektables geleistet.102 Vielleicht noch entscheidender für eine angemessene Beurteilung des Thomas Morus in Fragen der humanistischen Bibelphilologie allgemein ist, dass er sich wiederholt klar und unmissverständlich zur kritischen Bibelphilologie des Erasmus bekannt und deren Prinzipien und Resultate detailliert, pointiert und engagiert verteidigt hat.103 98 Vgl. More (1979), CW 9, 116/27–128/9. 99 Vgl. ein modernes Urteil (Marius (1984), 405): »Modern scholars have taken More solidly at his word. Yet in their zeal to absolve him of these old canards, they have forgotten that he must have been a terrifying antagonist to helpless men submitted to an inquisition before him, since he had the power to send them to the stakes.« Vgl. ebenfalls die Gesamtwürdigung (Marius (1984), 438: »His defense of the clergy and the canon law was to no avail, and the most effective passages in the Apology are those where More defends himself. He shows how vulnerable he was to criticism, how jealously he guarded his reputation even while he espoused the extirpation of heresy from England by blood and fire. The rest of the book is a failure, and More must have known as much almost as soon as it appeared.« 100 Vgl. More (1984), CW 3, II: Latin Poems, 138ff (No. 71); 210ff (No. 175, 176, 178, 202, 203, 204, 247, 260, 277); vgl. insgesamt auch Baumann (1984), 78ff. 101 Vgl. u. a. More (1976), CW 12: A Dialogue of Comfort against Tribulation, More (1976), CW 13: Treatise on the Passion, Treatise on the Blessed Body, Instructions and Prayers; More (1976), CW 14: De Tristitia Christi, 2 Bde.; vgl. dazu insgesamt auch Taylor (2011) und Rodgers (2011). 102 Vgl. Holeczek (1975), bes. 31ff und 310ff; Ferguson (2012); C. F. E. Hutchinson (1941); Marc’hadour (1969, 1969–1972); O’Donnell (2008); Rockett (1999). 103 Vgl. insbes. More (1986), CW 15: Letters to Dorp, Oxford, Lee and a Monk; More (1984), CW. 3, II: Latin Poems, 268ff (No. 256 & 257; Widmungsepigramme für Thomas Wolsey,
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Diese eindeutige, philologisch fokussiert begründete Positionierung in den Diskussionen und Streitigkeiten um die erasmische Bibelphilologie (u. a. Novum Instrumentum (1516), Novum Testamentum (1519))104 in den Jahren 1515 bis 1519/20 gründete möglicherweise in ausführlichen Diskussionen, die die Freunde seit Jahren im Kontext der Arbeiten des Erasmus an der Edition und der Übersetzung des Neuen Testaments geführt hatten. Die philologische Methodik des Erasmus wie auch die überzeugenden Resultate dieser Methode sah Thomas Morus (wie auch Erasmus selbst) primär durch das Vorbild und die Autorität der Classical Tradition, der Kirchenväter und des Hieronymus im Besonderen als vollauf gerechtfertigt an, wie er nicht müde wurde, den konservativen (und teils auch törichten) Gegnern des Erasmus zu entgegnen.105 Mit der Reformation, insbesondere mit »Luthers Angriffen gegen die Kirche, gegen Papst, Priester und Sakramente, gegen Tradition und Willensfreiheit«106, war für Thomas Morus – bei aller Akzeptanz notwendiger Reformen – die noch vor wenigen Jahren als selbstverständlich konzeptualisierte Einheit der universalen Kirche zur Disposition gestellt, mit den schon sehr früh von ihm antizipierten Folgewirkungen: Aufruhr und Anarchie. Rebellion, Aufruhr und Anarchie von England fernzuhalten und in England die Einheit der universalen Kirche (um jeden Preis) zu wahren, wurde für Thomas Morus ab 1521/22 zur zentralen Aufgabe, zu seinem sehr persönlichen religiösen wie sozialpolitischen Anliegen.
Kardinal und Erzbischof von York bzw. William Warham, Erzbischof von Canterbury); Vgl. insbes. Holeczek (1975), bes. 138ff und zuletzt Baumann (2015a, 2015b und 2020). 104 Vgl. Erasmus (1516, 1519, 1527, 1967, 2001, 2004 und 2013); vgl. weitere Details und Analysen bei Adkin (1997); Amos (2003); Barral-Baron (2013); Baumann (2020); Bentley (1976, 1977); Bludau (1902); Botley (2004); Brandt (1998); Brown (1984); Coogan (1986); Cooper (1965); De Jonge (1984a, 1984b, 1987, 1988a, 1988b, 2016); Elliott (2016); Enenkel (2013); Finkelberg (2014); Hoffmann (1991); Holeczek (1975); Jarrott (1964, 1970); Joseph (1995); Krans (2006); Lloyd-Jones (2001); McDonald (2016); Marc’hadour (1988); Marsalek (2004); Mesnard (1963); C. M. Murphy (1980); Pabel (2002a); Payne (1990); Phillips (1988, 2014); Rummel (1986a, 1986b, 1988, 1991); P. G. Schmidt (2003); Schoeck (1987, 1990, 1993); Schwarz (1955); Sider (1986); Summers (1991); Thomson (1988); Weiland / Frijhoff (1988); Whitford (2015); 105 Vgl. die Belege und weitere Details zuletzt bei Baumann (2020); vgl. allgemein zur Bedeutung des Vorbilds der Kirchenväter für die humanistische Bibelphilologie Backus (1995, 1998); Baker-Smith (2014); Barral-Baron (2013); Botley (2004); Den Boeft (1988, 1997); Holeczek (1975); Jarrott (1970); Jenkins / Preston (2007); Marc’hadour (1972, 1990, 1992); Olin (1986, 1988); Pabel (2002b); Phillips (1988, 2014); Rice (1985); Rummel (1985, 1991, 2006); Schwarz (1955); Thomson (1988). 106 Schulte Herbrüggen (1985), 68.
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V.
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Kampf um den wahren Glauben: Edward VI., Mary Tudor und Elizabeth I.
Kehren wir abschließend zu den Six Articles von 1539 zurück. So wie es Heinrich VIII. gelungen war, die im Grunde traditionellen (›katholischen‹) Six Articles durchzusetzen, so gelang es ihm mit dem Charisma seiner Persönlichkeit wie auch mit der autoritär-tyrannischen Macht als König und Oberhaupt der Kirche, die widerstreitenden religionspolitischen Strömungen innerhalb des Episkopats und des Staatsrats weitgehend im Zaum zu halten,107 wiewohl am Hof die reformerisch ausgerichtete Fraktion in der sechsten Ehefrau Heinrichs, Catherine Parr (Heirat am 12. Juli 1543), eine wichtige Stütze erhielt. Sie machte ihren Einfluss geltend, in einigen Fällen die Strafbestimmungen der Six Articles abzumildern und installierte reformerisch gesinnte Humanisten wie John Cheke, Richard Cox und Anthony Cooks als Lehrer und Tutoren für Prinz Edward und Prinzessin Elizabeth.108 Ohne die sich verschärfenden religionspolitischen Differenzen (am Hof, in Staatsrat, Parlament und Episkopat), die von den immer drängenderen Problemen der Nachfolgeregelung,109 der personellen Zusammensetzung des zukünftigen Regentschaftsrats110 und der gesamteuropäischen Entwicklung genährt wurden,111 hier en détail resümieren zu können, änderte sich mit dem Tod Heinrichs VIII. am 28. Januar 1547 die Religionspolitik grundlegend.112 107 Heinrich VIII. inszenierte sich – im Grunde seit seiner Assertio Septem Sacramentorum, 1521 – immer wieder als Bücher liebender und überaus sachkundiger ›Theologe‹, wie unter anderem die Illustrationen in Jean Mallards Psalter für Heinrich von 1540 bezeugen, vgl. die Abb. 10 und 11. 108 Vgl. Details, Quellen und Analyse bei Guy (1990), 194ff. Vgl. Guy (1990), 196: »If an explanation of Edward VI’s Protestant credo is sought, it may lie in the influence of Catherine’s circle.« 109 Vgl. weitere Einzelheiten bei Guy (1990), bes. 196: »A Third Act of Succession was obtained in Parliament, which restored Mary and Elizabeth to the succession after Edward (thereby tacitly recognizing their legitimacy), and vested power during Edward’s minority in a regency Council to be nominated by Henry in his last will and testament.« 110 Vgl. die Details bei Guy (1990), bes. 196ff. 111 Von entscheidender Bedeutung ist das vom im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) siegreichen Kaiser Karl V. erlassene ›Augsburger Interim‹, das alle reformatorischen Änderungen (mit Ausnahme der Priesterehe und des Abendmahls unter beiderlei Gestalt) aufhob. »Das Interim führte dazu, dass zahlreiche Theologen vom Kontinent nach England flohen; der prominenteste unter ihnen war Martin Bucer. Die Flüchtlinge trugen dazu bei, dass die Church of England nun theologisch das Denken der europäischen Reformation aufnahm, nachdem sie sich zunächst vor allem durch die Lösung von der päpstlichen Oberhoheit auf einen eigenen Weg gemacht hatte« (Leppin (2016), S. 20). 112 Eine Illustration für die 2. Auflage von John Foxes Actes and Monuments (1570) wurde (vgl. unsere Abb. 12), ungeachtet der keineswegs durchgehend panegyrischen Würdigung Heinrichs VIII. durch John Foxe, zur geradezu ikonisch-emblematischen Darstellung der Henrizianischen Reformation, wie Susan Doran in aller Knappheit festhält (Doran (2009),
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Abb. 9: Illustration aus Jean Mallard, Psalter für Heinrich VIII., 1540, Fol. 3r.
Edward VI., geboren am 12. Oktober 1537 als legitimer Sohn Heinrichs VIII. und seiner dritten Frau Jane Seymour, bestieg nach dem Tod seines Vaters als Neunjähriger den englischen Thron. Er war der erste englische König, der eine reformerisch-protestantische Erziehung erhalten hatte. Unter seiner Herrschaft, oder genauer: der Herrschaft seines Regentschaftsrats, der zunächst von seinem Onkel, Edward Seymour, Herzog von Somerset (1547–1549), und nach dessen 271): »[…], the picture of Henry VIII trampling on Pope Clement VII has become the iconic representation of the Henrician Reformation. Also depicted and named in the illustration are: ›B. fisher‹ leaning over the body of the Pope; ›Cromwel‹ standing behind; and ›Cranmer‹, who receives a book from King Henry. The picture is the inversion of the story told in Foxe of Pope Alexander treading on the neck of the Emperor Frederick Barbarossa.«
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Abb. 10: Illustration aus Jean Mallard, Psalter für Heinrich VIII., 1540, Fol. 63v.
Sturz und Hinrichtung von John Dudley, Herzog von Northumberland (1550– 1553) dominiert wurde, wurde die Kirche Englands zu einer dezidiert reformatorisch-protestantischen.113 Traditionelle ›katholische‹ Riten wurden durch ›protestantische‹ ersetzt, ›reformatorisch-protestantische‹ Bücher wurden in Massen lizensiert und gedruckt,114 die Regelungen der Six Articles zurückge113 Vgl. insgesamt Alford (2004); Hoak (2004/2008); MacCulloch (1999); Schütte (2016); Skidmore (2007). 114 Vgl. das ausgewogene Resümee von Guy (1990), 203: »[…] Somerset […] took Protestants such as John Hooper, Thomas Becon, and William Turner into his household: they had fled to Strasburg and Zurich to escape the Act. All were prolific writers whose books Somerset sanctioned along with others by Luther, Tyndale, Wyclif, Barnes, Bullinger, and Frith – reformers proscribed by Henry VIII. No fewer than 159 out of 394 new books printed during the Protectorate were by Protestant reformers.«
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Abb. 11: Illustration aus John Foxe, Actes and Monuments, 1570, II, 1201: Heinrich VIII. unterwirft Papst Clemens VII.
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nommen, stattdessen wurden eine ›anglikanische Liturgie‹ (Common Prayer Book (1549)) und ein ›reformatorisch-protestantisches‹ Mischbekenntnis (42 Articles), das lutherische und calvinistische mit katholischen Kultformen verband, verbindlich.115 Spiritus rector der neuen Ausrichtung der Religionspolitik war der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer.116 Nachdem nach dem Tod Edwards VI. am 6. Juli 1553 der Versuch Northumberlands, mit Lady Jane Grey als Königin sich die Macht und zugleich religionspolitisch-reformatorische Kontinuität zu sichern, nur eine kurze Episode von knapp mehr als einer Woche geblieben war, wurde Mary I. Tudor (geboren am 18. Februar 1516 als Tochter Heinrichs VIII. mit Katharina von Aragon) am 20. Juli 1553 – entsprechend den Regelungen der 3. Act of Succession117 – endgültig zur Königin proklamiert. Wie angesichts ihres bisherigen Lebenswegs118 und ihrer Glaubensüberzeugungen nicht anders zu erwarten, versuchte sie in der Religionspolitik das Rad energisch zurückdrehen, den ›Katholizismus‹ wieder als verbindliche Staatsreligion zu etablieren und die englische Kirche mit Rom zu verbinden. Auch diese energische, uninspirierte Gegenreformation blieb in der Religions- und Reformationsgeschichte Englands eine kurze, wenngleich blutige Episode: Unter Mary I. Tudor wurden fast 300 protestantische ›Ketzer‹ hingerichtet, der wohl prominenteste war Thomas Cranmer (1556).119 Nach dem Tod Marys am 17. November 1558 kehrte England religionspolitisch unter ihrer Halbschwester Elizabeth I. zunächst wieder auf einen moderat reformatorischprotestantischen Kurs zurück. 1559 führte Elizabeth mittels der Act of Uniformity120 den verpflichtenden Gebrauch des Book of Common Prayer in den Gottesdiensten ein und sie erneuerte die Suprematsakte Heinrichs VIII., wobei der vollständige Titel für sich selbst spricht: An Act restoring to the Crown the ancient jurisdiction over the state ecclesiastical and spiritual, and abolishing all foreign
115 Vgl. weitere Einzelheiten bei Guy (1990), insbes. 203ff. Vgl. die Acts of Uniformity von 1549 und 1552 bei Elton (1960/1972), 392ff (No. 191 & 192). 116 Vgl. insbes. Ayris / Selwyn (1993) und MacCulloch (1996, 2004/2008). 117 Vgl. oben S. 150, Anm. 109. 118 Vgl. die in jedem Detail zutreffende und sehr ausgewogene Kurzcharakterisierung von Guy (1990), 227: »By the summer of 1553 she was thirty-seven; tested and toughened by her experiences, pious, yet amiable and generous, she was politically self-deceived. Her piety and unmarried state gave her the intensity of a nun. Early betrothals were diplomatic pledges, not serious intentions of matrimony; later she had been bastardized, which had slimmed her prospects of marriage. She had contemplated taking the veil during the 1530s; remote not from politics but from the art of the possible, she had a highly developed sense of her royal standing but lacked the resources to take a firm line. She therefore seemed limited, conventional, and stubborn.« 119 Vgl. insgesamt Bireley (1999); Duffy (2009); Guy (1990), bes. 212ff; Prescott (2003); Whitelock (2010). 120 Vgl. Elton (1960/1972), 401ff (No. 195).
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power repugnant to the same.121 Im Jahr 1563 folgten die 39 Artikel, ein neues, stärker calvinistisch geprägtes Bekenntnis, das zur dogmatischen Grundlage der Staatskirche wurde.122 Entgegen ihren eigenen, politisch pragmatischen Wünschen,123 die man nicht als Toleranz missverstehen sollte, sah sich Elizabeth I. aufgrund wiederholter ›katholischer‹ Verschwörungen, des ›katholischen‹ Aufstands von 1569,124 den wachsenden Schwierigkeiten in Sachen Maria Stuart, der päpstlichen Bulle von 1570, die sie zum Bastard erklärte, und des blutigen Gemetzels der Bartholomäusnacht (23./24. August 1572), das der spätere Vertraute und ›Chef‹ von Elizabeths Geheimdienst, Sir Francis Walsingham, als englischer Botschafter in Paris als Augenzeuge miterlebt hatte, gezwungen, die Gesetze zur Durchsetzung der Uniformität zu verschärfen, der Besuch ›katholischer‹ Messen wurde z. B. unter Strafe gestellt und Versuche, jemanden für den ›Katholizismus‹ zu gewinnen, konnten seit März 1581 als Verrat verfolgt werden:125 The Act to Retain the Queen’s Majesty’s Subjects in their Due Obedience therefore attacked those who were or became Catholics. Finally approved in March 1581, it extended the treason law to cover anyone who withdrew subjects from their obedience either to the queen or to the Church of England, or who converted them ›for that intent‹ to Roman Catholicism. Those who willingly allowed themselves to be so withdrawn or converted were to be adjudged traitors. Anyone saying mass was to be fined 200 marks (Ⱡ 133) and imprisoned for a year, while anyone hearing it was to pay half that fine but suffer the same detention. Fines for non-attendance at church were raised to Ⱡ 20 per month; anyone absent for a year was to be bound over in the sum of Ⱡ 200; and any person or corporation employing a recusant schoolmaster was to pay Ⱡ 10 per month.
Mit diesen legislativen Vorgaben und Elizabeths persönlich insgesamt undogmatischen Einstellung zu Fragen theologischer Dogmatik und Exegese endeten 50 Jahre des teils erbitterten Ringens um den wahren Glauben; die Geschichte dieses Streitens und der englischen Reformation ist damit jedoch noch nicht zu Ende erzählt. Die nächsten 100 Jahre des Ringens um den wahren Glauben, die Konflikte zwischen Katholizismus und Protestantismus unter den Stuartherrschern nachzuzeichnen, verdiente einen eigenen, weit ausgreifenden Beitrag, 121 Elton (1960/1972), 363ff (No. 184). 122 Vgl. insgesamt Appel (2003); Doran (1994); Guy (1990), bes. 250ff; Kaplan (2007); Kaufmann (2010); Kielinger (2019); Lottes (1981); Natour (2016); Walsham (2006). 123 Vgl. dazu Natour (2016), 447f: »[…] scheint die Erfahrung, unter drei Herrschern drei Religionspolitiken erlebt und überlebt zu haben, an Elisabeth nicht spurlos vorbeigegangen zu sein. Die zentrale Rolle, welche sie Suprematie und Gesetzesgehorsam bei der Durchsetzung der elisabethanischen Reformation zuwies, scheint ihre eigene Haltung unter Eduard und Maria zu spiegeln. Die Überzeugung, durch strikte äußerliche Konformität die Einheit der Staatskirche zu erreichen, korrespondierte mit ihrer persönlichen Abneigung gegen jedweden religiösen Übereifer.« 124 Vgl. dazu zuletzt Busse (2005). 125 Guy (1990), 299.
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zumal sich spätestens seit Mary I. die Religionsfrage in England untrennbar mit der Herausbildung eines nationalen (Selbst-)Bewusstseins verband und die Elizabeth-Memoria, die ›Bilder‹ Elizabeths I. in der frühen Stuartzeit Normen und politische Leitbilder für die Beurteilung der Stuartherrscher konstituierten.126
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Uwe Baumann
Abbildungsverzeichnis Abb. 1:
Krönung von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon, Titelseite von Stephen Hawes’ A ioyfull medytacyon to all Englonde of the coronacyon of our moost naturall souerayne lorde kynge Henry the eyght, 1509. (Bildzitat aus: Doran (2009), 61, No. 47) Abb. 2: Titelseite Henry VIII, Assertio Septem Sacramentorum adversus Martinum Lutherum, 1521. (Bildzitat aus: Doran (2009), 105, No. 96) Abb. 3: Präsentationsexemplar der Assertio Septem Sacramentorum adversus Martinum Lutherum für Papst Leo X., Titel. (Bildzitat aus: Trapp / Schulte Herbrüggen (1978), 64, No. 117) Abb. 4: Präsentationsexemplar der Assertio Septem Sacramentorum adversus Martinum Lutherum für Papst Leo X., Titelverso. (Bildzitat aus: Doran (2009), 104, No. 95) Abb. 5: Titelseite der Coverdale-Bible (1535), der ersten vollständigen Bibel in englischer Sprache, Titelbordüren von Hans Holbein. (Bildzitat aus: Doran (2009), 202, No. 198) Abb. 6: Prozess und Hinrichtung englischer Kartäuser als Hochverräter (1535), anonyme Kupferstiche 1555. (Bildzitat aus: Trapp / Schulte Herbrüggen (1978), 129, No. 252) Abb. 7: Hinrichtung von William Tyndale, Oktober 1536, anonymer Holzschnitt, 1563. (Bildzitat aus: Trapp / Schulte Herbrüggen (1978), 77, No. 149) Abb. 8: The Ten Articles, 1536. (Bildzitat aus: Doran (2009), 193, No. 188) Abb. 9: Illustration aus Jean Mallard, Psalter für Heinrich VIII., 1540, Fol. 3r. (Bildzitat aus: Doran (2009), 198, No. 194) Abb. 10: Illustration aus Jean Mallard, Psalter für Heinrich VIII., 1540, Fol. 63v. (Bildzitat aus: Doran (2009), 199, No. 194) Abb. 11: Illustration aus John Foxe, Actes and Monuments, 1570, Bd. II, 1201: Heinrich VIII. unterwirft Papst Clemens VII. (Bildzitat aus: Doran (2009), 271, No. 275)
Guido Braun (Mulhouse)
Kulturen des Berichtens im Wandel: Normativität und Individualität der Briefproduktion römisch-kurialer Gesandter über Luther und die Reformation
Die jüngere Forschung stellte überzeugend die grundlegende Bedeutung von Gesandtenberichten in Prozessen von Wissensproduktion und -zirkulation heraus.1 Berichten päpstlicher Gesandter und ihrer Funktion bei der Generierung von Wissensbeständen über fremde Länder und Menschen, mit denen sie während ihrer Missionen interagierten, wurde dabei zu Recht eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.2 Daher erscheint ein Blick auf die Briefproduktion und die Berichtskultur der Nuntien und Legaten aus dem Land der Reformation vielversprechend. Der Papst war in der Frühen Neuzeit nicht nur das Oberhaupt der katholischen Kirche mit einem Anspruch auf die geistliche Universalgewalt, den Luther und die Reformbewegungen des 16. Jahrhunderts vor neue Herausforderungen stellten, sondern als Herrscher über den Kirchenstaat auch ein weltlicher Fürst, der als »Gemeinsamer Vater« (padre comune) eine herausragende Sonderstellung unter den katholischen Fürsten beanspruchte.3 Sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Ansprüche und Interessen des Heiligen Stuhls führten dazu, dass er zu den ersten europäischen Mächten gehörte, die ständige Außenbeziehungen in Form permanenter ordentlicher Gesandtschaften an führenden auswärtigen Höfen in Italien und außerhalb der Apenninenhalbinsel unterhielten.4 1 Vgl. etwa Freyer / Westphal (2020). Der vorliegende Beitrag stellt eine aktualisierte und in Teilen überarbeitete Fassung meines Aufsatzes dar, der unter dem Titel »Aus Luthers Land an den ›Heiligen Vater‹ berichten: Normative Rahmenbedingungen und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten deutscher Nuntiaturberichte im Reformationsjahrhundert am Beispiel Pier Paolo Vergerios« erscheint in dem von A. Strohmeyer herausgegebenen Sammelband: Die Medialität des Briefes. Diplomatische Korrespondenz im Kontext frühneuzeitlicher Briefkultur, Münster [2023] (Schriftenreihe für Neuere Geschichte). 2 Im Hinblick auf die Schweiz dazu jüngst Galgano (2021). 3 Zu Konzeption und Wirklichkeit des frühneuzeitlichen Papsttums vgl. die grundlegende Studie von Prodi (1982). 4 Zu Entstehung und Entwicklung des päpstlichen Gesandtschaftswesens vgl. aus der Fülle der Literatur etwa Walf (1966); Blet (1982); Feldkamp (1998); Koller (2009). Ein umfangreiches Verzeichnis der bis in die 1990er Jahre erschienenen Quelleneditionen und Forschungsbeiträge bietet Koller (1998).
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Die ausführlichsten Dokumente zu diesen Außenbeziehungen liegen uns vonseiten der päpstlichen Gesandten vor. Am Beginn der Reformation bestanden jedoch noch keine festen Nuntiaturen in Deutschland.5 Eine erste derartige ständige Nuntiatur beim römisch-deutschen Herrscher entstand erst im Pontifikat Clemens’ VII. (1523–1534),6 die späteren »Reformnuntiaturen« in Deutschland und seinen Nachbarregionen, die von einer Zunahme geistlicher bzw. kirchlicher Amtsaufgaben der Nuntien geprägt waren, stellen Gründungen Gregors XIII. (1572–1585) dar.7 Für die römische Kurie waren ihre Nuntien »Auge und Ohr« im Reich. Diese päpstlichen Gesandtschaften in Deutschland werden im vorliegenden Beitrag aus drei Blickwinkeln betrachtet: erstens auf die Akteure, zweitens auf ihre Berichte und drittens auf deren Rezeption an der römischen Kurie gerichtet. Zentral ist dabei die Frage nach der Rolle der Nuntiaturberichte für den Transport von Informationen über die Reformationsgeschichte sowie die Generierung von Bildern und Vorstellungen über die Reformation an der päpstlichen Kurie vor dem Hintergrund der Normen und Erwartungshaltungen, durch welche die Berichtspraxis der Nuntien und Legaten reglementiert wurde. Das Fazit stellt Beobachtungen und Thesen zur Bedeutung der Nuntiaturberichte für das Themenfeld »Kurie und Reformation« vor. Dabei wird ein Nuntius besonders berücksichtigt: Pier Paolo Vergerio, der zum einen in den 1530er Jahren persönlich mit Martin Luther zusammengetroffen war und dessen Nuntiaturberichte zum anderen der protestantisch dominierte preußisch-deutsche Staat im 19. Jahrhundert an den Beginn der entsprechenden Editionsreihe der Preußischen Historischen Station (Vorläufer des Deutschen Historischen Instituts in Rom) stellte. Gleichwohl darf keineswegs als unstrittig gelten, dass der Beginn der Reihe tatsächlich mit Vergerio anzusetzen war, abgesehen von Vincenzo Pimpinella, Erzbischof von Rossano, der 1529– 1532 in Wien residierte und die ordentliche Nuntiatur am römisch-deutschen Königshof des im Januar 1531 gewählten Kaiserbruders Ferdinand I. eröffnete, aber keine Nuntiaturdepeschen hinterlässt. Mangels eines Gründungsdokuments für die deutsche Nuntiatur eröffnete das Institut die neu eingerichtete Reihe mit einem später zum Protestantismus übergetretenen Nuntius (und mit Walter Friedensburg, dem späteren Begründer des »Archivs für Reformations5 Mit dem Verhältnis Roms zur Reformation befassen sich zwei jüngere Monographien, an erster Stelle zu nennen ist Reinhardt (2017); vgl. ferner Braun (2014), darin auch zu den Nuntiaturen auf dem Boden des Reiches im 16. Jahrhundert, mit der früheren einschlägigen Literatur; unter den älteren Arbeiten verdient Erwähnung Pieper (1894). 6 Zum Pontifikat Prosperi (2000); zum Verhältnis dieses Papstes zu Reich und Reformation Müller (1969). 7 Zum Pontifikat Borromeo (2002); Borromeo (2000); hinsichtlich seines Verhältnisses zu Deutschland Koller (2004).
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geschichte« als Editor), während Korrespondenzen anderer, 1531–1532 im Reich weilender päpstlicher Gesandter im 20. Jahrhundert in Ergänzungsbände dieser Reihe aufgenommen wurden.
I.
Die Akteure: Päpstliche Nuntien und Legaten im Reich
Am Beginn muss ein Blick auf die für die Päpste im Reich wirkenden Akteure gerichtet werden, denn deren soziale und kulturelle Prägungen blieben für ihre Berichtspraxis nicht folgenlos. Für das 16. wie für das frühe 17. Jahrhundert ist festzuhalten, dass sowohl die Nuntien und Legaten als auch die kurialen Amtsträger, die sich mit dem Reich befassten, in der Regel Italiener waren. Nur selten griff die römische Kurie in ihren Kontakten zu Deutschland auf gebürtige Deutsche zurück.8 Eine um 1624 entstandene Denkschrift begründet eingehend den kurialen Verzicht auf den Einsatz deutscher Nuntien und Legaten. Im Kern handelte es sich um eine bewusste Distanzierung: Der Emissär durfte im Lande keine eigenen, eventuell konkurrierenden Interessen haben.9 Bei der Auswahl der Gesandten hat die Forschung zu Recht die Wichtigkeit mikropolitischer Faktoren und die Vernetzungen an der Kurie herausgearbeitet.10 Ein zuvor erworbenes Fach- oder Erfahrungswissen wurde in der Regel nicht vorausgesetzt. Allerdings konnte eine bei fast allen potentiellen Kandidaten vorhandene, gemeinsame humanistische, theologische und juristische Ausbildung vorausgesetzt werden. Ferner lässt sich in den Nuntiaturhaushalten einschlägig landeskundlich geschultes oder erfahrenes Fachpersonal vermuten, in einigen Fällen auch nachweisen. Darüber hinaus wurde vom Nuntius eine eingehende Vorbereitung und Einarbeitung erwartet.11 Zur Ausführung seiner Amtsaufgaben, zu denen insbesondere die Informationsakquise für Rom gehörte, bedurfte der Nuntius selbstverständlich über seine eigene famiglia hinaus auch der Helfer aus den geistlichen Orden, dem Klerus allgemein sowie weltlicher Personen. Nicht zuletzt musste er sich ein Informanten-Netz aufbauen, wobei ein neuer Nuntius in der Regel an die Kontakte und Verbindungen seines jeweiligen Amtsvorgängers anknüpfen konnte.12 8 Zum Profil der päpstlichen Gesandten im Reich des Reformationsjahrhunderts und den an sie gestellten Anforderungen Braun (2014), 126–138 und 168–179. 9 Zur Denkschrift von 1624 ausführlich ebd., 96–108. 10 Zur Einführung in das Konzept vgl. Reinhard (1996); zu wichtigen Ergebnissen ferner Reinhard (2004); Reinhard (2008); sowie programmatisch Reinhard (2011). 11 Zum Haushalt (famiglia) des Gesandten und zu seiner ersten Unterweisung, die Aufträge zu selbständiger Einarbeitung und Vorbereitung einschloss, Braun (2014), 138–168. 12 Zur Geschichte der Spionage und den noch weitgehend personenbezogenen InformantenNetzwerken in der Frühen Neuzeit vgl. Braun / Lachenicht (2021). Zum Nuntiaturnetz und dem zugrunde liegenden Informationssystem Braun (2014), 114–126, 147–151. Da in der
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Sprachkenntnisse über das Italienische und das Lateinische hinaus wären nicht nur für den Kontakt zur Bevölkerung und zu den weltlichen Eliten (teilweise auch an den Höfen) hilfreich gewesen, aber sie fehlten den kurialen Vertretern in Deutschland von vereinzelten Ausnahmen abgesehen.13 Wahrnehmungsgeschichtlich ist auf die Bedeutung der Sprache als »Filter« hinzuweisen: Ein deutsches Aktenstück hatte kaum eine Chance, an der (weitgehend italianisierten) Kurie rezipiert zu werden. In Rom beherrschte nämlich außer den an der Kurie weilenden Deutschen fast niemand die deutsche Sprache. Man war dort also fast völlig auf Übersetzungen angewiesen. Daher bildeten die Auswahl der Schriftsätze, die in den Nuntiaturhaushalten übersetzt wurden, und die Verzögerung durch den Übersetzungsvorgang entscheidende Faktoren, die determinierend und retardierend auf Wahrnehmungsprozesse in Rom einwirkten. Bisweilen attestieren die Nuntiaturquellen jedoch durchaus die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Wahrnehmung der Spezifizität einer fremden Lebenswelt. Auf einer praxeologischen Ebene resultiert daraus die Offenheit für eine Anpassung des eigenen Verhaltens im fremden Land und für eine Adaption der Verhandlungsstrategie an die örtlichen Gegebenheiten. Damit verbunden war die Einsicht in die Notwendigkeit, für bestimmte Tätigkeiten Deutsch zu beherrschen. Ein Auswahlkriterium für Nuntien und Legaten, die in Deutschland im Auftrag der Kurie eingesetzt werden sollten, wurde die Sprachkompetenz aber nicht; dieses Kriterium galt allenfalls für bestimmte Familiaren des Nuntiaturhaushalts.14 Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass gerade bei Verhandlungen zwischen den Konfessionsparteien im Reich die Sprachbarriere für die päpstlichen Gesandten und auch für die Kurie selbst erheblich war, denn sowohl die Nuntien (und Legaten) als auch die römische Zentrale bedurften dafür der Übersetzung, die oftmals nur mit erheblicher Verzögerung zu erlangen war. Ein Bericht des Kardinallegaten Hieronymus Aleander und Kardinal Fabio Mignanellis von Dezember 1538 verrät, dass schlicht ein Mangel (»carestia«) an geeignetem,
Regel von den Nuntien kaum inoffizielle Briefwechsel mit ihren Informanten überliefert sind, ist Wolfgang Reinhard darin beizupflichten, dass es sich als unmöglich erweisen dürfte, »diesen gewiß hochinteressanten Personenkreis näher zu untersuchen«, Reinhard (1972), XXVII. Desungeachtet wäre es sicherlich aller Ehren wert, die verfügbaren Quellenhinweise hierzu zusammenzutragen und systematisch auszuwerten. 13 Ein Forschungsüberblick zum Thema Verhandlungssprachen und Übersetzungen bei Braun (2020). Zu den Sprachkenntnissen der kurialen Vertreter und ihrer Begleiter im Reich des Reformationszeitalters und des Konfessionellen Zeitalters sowie der daraus resultierenden Kommunikationsprobleme Braun (2014), 199–218. Wegweisend für die Zusammenhänge zwischen Hürden sprachlicher und kultureller Kommunikation McClung Hallman (1980). 14 Zur Diskussion über die erforderlichen Sprachkompetenzen von Nuntien und Mitarbeitern Braun (2014), 250–259.
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vertrauenswürdigem Personal bestand. Dieses Defizit führte damals zu einer Verzögerung beim Versand von Übersetzungen von bis zu fünf Wochen.15 Ist daraus zu schließen, dass sowohl die päpstlichen Gesandten als auch die Kurie die Schriftproduktion zu den deutschen Religionsverhältnissen und insbesondere die Akten der Konfessionsrechtsverhandlungen prinzipiell gering achteten? Gerade eine der soeben angeführten Depeschen beweist das Gegenteil. Auf das Nachdrücklichste schärfte nämlich Aleander mit seinem Brief vom 22. November 1538 Kardinal Alessandro Farnese die Bedeutung des kaiserlichen Mandats über den Nürnberger Religionsfrieden von 1532 ein. Daher müssten diese Bestimmungen in Rom gelesen, zur Kenntnis genommen und stets griffbereit aufbewahrt werden. Auch Paul III. selbst solle das übersandte Mandat mit den Marginalien Aleanders lesen.16 Es existiert kaum ein einprägsameres Zeugnis für eine derart nachdrückliche Lektüreempfehlung seitens eines päpstlichen Vertreters für den Papst. Die gewählten eindringlichen Formulierungen lassen allerdings vermuten, dass den Nuntien und Legaten bewusst war, wie gering die Chancen standen, dass die von ihnen übermittelten Akten tatsächlich bis zum Papst selbst vordrangen. Die Reformation hatte die Zuwendung zur deutschen Sprache an der Kurie sogar noch erschwert. Im November 1535 war der päpstliche Nuntius Pier Paolo Vergerio in Wittenberg mit Martin Luther zusammengetroffen. Mit der ab15 Im Hinblick auf das pfälzische Religionsedikt von 1538, das die Zulassung von lutherischen Predigern, die communio sub utraque und weltliche Jurisdiktionsgewalt über den Klerus verfügte, entschuldigten sich die beiden Gesandten mit dem Mangel an Übersetzern. Nachdem die Kurie bereits bei einigen früheren Aktenstücken auf die Übersendung späterer Übersetzungen hatte vertröstet werden müssen, war ein regelrechter »Stau« an Dokumenten zu den deutschen Religionsverhältnissen entstanden, die der Translation und Transferierung nach Rom harrten; vgl. Aleander und Mignanelli an Farnese, Wien 1538 Dezember 10; NBD I/ 3 (1893), Nr. 85, 290–294, hier 294: »Sua Maestà oggi ci ha mandato li capitoli del Palatino in todesco, et perchè haviamo carestia di persona secreta et fidata, non si possano così presto haver tradutti. come prima si potrà, li mandaremo insieme con alcune altre scritture, delle quali nelle nostre lettere passate ne habbiamo fatta mentione«. Zum pfälzischen Religionsedikt vgl. ferner Aleander und Mignanelli an Farnese, Wien 1538 Dezember 3; ebd., Nr. 79, 278–282. Bei den am Ende des Zitats erwähnten weiteren Schriftstücken handelte es sich namentlich um zwei Briefe Ferdinands I. an den Kurfürsten von Brandenburg sowie einen Auszug der Religionsrechtsbestimmungen des Friedens von Kadan, zu denen Aleander in seinem Schreiben an Farnese, Wien 1538 November 22, bemerkt hatte: »perchè dette copie sono in tedesco, farrole tradur et mandarannose per il primo«; ebd., Nr. 71, 255–261, hier 261. 16 »Similmente per buon mezzo ho havuto il decreto di Ratisbona trattato in Norimberga, quale mando a V. S. Rma per esser quasi sempre allegato dalli adversarii, li quali cum tanto studio cercano da queste Maestà Cesarea et Regia la confirmation cum alcuna sua ampla declaration di alcuni dubbii di detto decreto. sono cose da saperle et leggerle et tennerle ben custodite per esser pertinenti alli manneggi che hora habbiamo nelle mani. ben supplico reverentemente Sua Santità se degni legger detto decreto et quello che ho notato in margine, per pigliar buona instruttion di questa materia tanto importante«; Aleander an Farnese, Wien 1538 November 22; ebd., 257.
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schätzigen Beschreibung seiner Person entwarf dieser Nuntius in seinem anschließenden Bericht das im negativen Sinne wohl eindrücklichste »Lebensbild« von Luther, das aus kurialer Feder von einem Augenzeugen, der den Kirchenreformer persönlich erlebt hatte, überliefert ist. Darin fällte Vergerio ein vernichtendes Urteil über Luthers Latinität und kolportierte ein folgenschweres Diktum des Reformators über die deutsche Sprache.17 Damit erhielt das Deutsche in Rom neben dem Ruf, eine »Barbarensprache« zu sein, auch das Stigma des Idioms des »Häresiarchen« und seiner »Sektierer«. Es war grundsätzlich ein Ergebnis der Reformation, dass die deutsche Sprache am Papsthof eine konfessionelle Note erhielt. In seltenen Fällen ging das Interesse von kurialen Beobachtern am Deutschen soweit, dass sprachliche Varianz im deutschen Sprachraum beobachtet wurde, was von einer näheren Einlassung auf die dortigen linguistischen Verhältnisse zeugt.18 Dass aber sogar ihre im lutherischen Heimatlande der Reformation gepflegte Variante mit dem Toskanischen verglichen wurde, war ein ganz ungewöhnlicher, wohl einmaliger Fall: Als das schönste Deutsch galt Fulvio Ruggieri, der zu Beginn der 1560er Jahre als Begleiter Giovanni Commendones das Reich (auch protestantische Territorien) bereiste, nämlich die bei Meißen gesprochene Sprache. Daher verglich er deren Schönheit und Vorbildlichkeit mit dem Toskanischen in Italien.19 Dieses Urteil fällte er trotz der konfessionellen Zugehörigkeit Meißens. Trotz der juristisch-theologischen Schulung, dem römisch-kurialen mentalen Background und oftmals mangelnden Deutschkenntnissen erwiesen sich die päpstlichen Gesandten jedoch als prinzipiell durchaus zur Interaktion mit ihren Kommunikationspartnern sowie zur kulturellen Anpassung der Berichte an die Denkhorizonte der Empfänger fähig. Darauf ist im Folgenden näher einzugehen.
17 Vergerio an Ambrogio Ricalcati, Geheimsekretär Pauls III., Dresden 1535 November 13; NBD I/1 (1892), Nr. 218, 538–547, hier 541: »pronuntiatione mediocremente spedita et non molto aspera per Todesco; in lingua latina parla tanto male che mi pare di esser chiaro che alcuni libri, che vanno atorno sotto el suo nome et par che habbino pur qualche odor di latinità et di eloquentia, non sono suoi; e lo confessava egli medesimo che non suol scriver in latino, ma che fa professione di saper ben dire nel suo volgar; così dicea di se medesimo«. Zur Auffassung des Deutschen als »Barbarensprache« im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts vgl. Heitmann (2003), 139–141. 18 Eine Reihe einschlägiger Fälle trägt zusammen Braun (2014), 239–249. 19 Vgl. Ruggieris Reisebericht: »La lingua di Misnia è la più bella di tutta Alemagna, si come la Toscana di tutta Italia«; NBD II/2 (1953), Anhang, 57–170, hier 72.
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II.
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Das Quellenkorpus: Die »Nuntiaturberichte«
Die Nuntiaturberichte gehören zum »Quellentyp des periodischen Gesandtenberichts, der aus laufender Beobachtung des gastgebenden Hofes vertiefte Einblicke in Denken und Handeln der Akteure zu geben« verspricht, wie Rudolf Schieffer 2008 aus mediävistischer Sicht formulierte.20 Beim Terminus »Nuntiaturberichte« handelt es sich nach Wolfgang Reinhards Definition von 1998 um einen nicht durch die Quellen belegten »Kunstbegriff«, mit dem seit dem 19. Jahrhundert zunächst »die Berichte päpstlicher Diplomaten zur Reformation« bezeichnet wurden, darüber hinausgehend dann aber der »gesamte Schriftverkehr zwischen ordentlichen Nuntien sowie außerordentlichen Gesandten (unter anderem Legaten) und dem Staatssekretariat sowie anderen römischen Behörden (besonders Kongregationen), einschließlich der anfangs erteilten Hauptinstruktion und Jurisdiktionsvollmacht sowie gegebenenfalls des Abschlussberichts (Finalrelation)«.21 Das Reformationsjahrhundert war die Epoche, der sich anfangs die Edition der »Nuntiaturberichte aus Deutschland« im 19. Jahrhundert zuwandte.22 Bezeichnend ist dabei auch die ursprüngliche Begriffsbedeutung: Der Schwerpunkt lag eindeutig auf den Berichten der Nuntien, nicht auf den Weisungen der römischen Zentrale und deren Sicht der deutschen Verhältnisse. Es ging den Editoren (und ihren Geldgebern, das heißt zunächst dem preußisch-deutschen Staat) in allererster Linie darum, aus den Nuntiaturberichten über Deutschland und besonders die Reformationsgeschichte zu lernen. Als aussagekräftige Quelle über Rom selbst, was sie in noch viel höherem Maße sind, wurden sie damals (noch) nicht gesehen. Erst ein vor allem seit den 1990er Jahren eingeleiteter Perspektivenwechsel hat diese Dimension eröffnet und den historisch-anthropologischen Bedeutungsgehalt der Nuntiaturberichte herausgestellt.23 Dabei zeichnet sich gerade die Geschichte der »deutschen« Nuntiatur, wie die päpstliche Vertretung am Kaiserhof in den römischen Quellen aus dem 16./ 17. Jahrhundert selbst genannt wurde, in Verbindung mit den weiteren Nuntiaturen, die es nur im Reich seit dem 16. Jahrhundert in größerer Zahl gab, durch eine besonders dichte Überlieferung aus. Kein europäisches Land hat die Nuntiaturberichts-Edition so weit vorangetrieben, wie es der deutschsprachigen 20 Schieffer (2008), 38. 21 Reinhard (1998a), 948. Die Abkürzungen wurden stillschweigend aufgelöst. 22 Zur Quellengattung der »Nuntiaturberichte«, ihren Erkenntnispotentialen und Ansätzen zu einer entsprechenden Hermeneutik vgl. insbesondere Braun (2018b); Reinhard (1998b); G. Lutz (1990); H. Lutz (1983); G. Lutz (1973); H. Lutz (1973); Goetz (1973); H. Lutz (1965); zu Denk- und Wahrnehmungsmustern auch Braun (2019). 23 Zu ihrer Relevanz für die Historische Anthropologie vgl. Burschel (1998); Reinhardt (1998); Reinhard (2007).
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Geschichtswissenschaft gelungen ist. Allein der Umfang der edierten »Nuntiaturberichte aus Deutschland« aus dem 16. Jahrhundert von der Begründung der »deutschen Nuntiatur« durch Clemens VII. bis zu Gregor XIII. beträgt mit den 37 bis zum Jahr 2012 erschienenen Bänden der Abteilungen I bis III inklusive Rahmenwerk insgesamt 22 109 Seiten, davon 18 067 Seiten Quellenedition, die über knapp ein halbes Jahrhundert hin die Tätigkeit und die Erfahrungen päpstlicher Gesandtschaften in Deutschland widerspiegeln.24 Darin integriert sind die Süddeutsche Nuntiatur und »Der Kampf um Köln«.25 Hinzu treten die eigentliche Kölner sowie die Grazer Nuntiatur, die gesondert ediert wurden.26 Die vierte Abteilung, fast 4 500 Seiten, eröffnet ein Panorama europäischer politischer und konfessioneller Kernprobleme.27 Die Normen, denen die Berichterstatter zu folgen hatten, wurden bei Beginn der jeweiligen Missionen nur zum Teil explizit thematisiert, denn zum einen handelte es sich bei den päpstlichen Emissären in der Regel um Personen, die über Erfahrungen im administrativen Apparat der römischen Kurie verfügten und daher mit dem Schriftverkehr vertraut waren, und zum anderen wurde in der Regel eine (oftmals mündliche) Abstimmung mit dem jeweiligen Amtsvorgänger erwartet, an dessen Arbeit sich der Nachfolger zu orientieren hatte. Die expliziten normativen Vorgaben, die etwa in den Hauptinstruktionen formuliert wurden, erstreckten sich beispielsweise auf die Berichtshäufigkeit, anzufügende Beilagen, den Informationsaustausch und die Abstimmung mit anderen päpstlichen Gesandten, bestimmte Materien, über die regelmäßig oder in besonderen Fällen zu berichten war, etc.28 Erst sukzessive bildeten sich weitere Spezifika wie die Trennung der Berichte nach Sachbetreffen aus, durch welche die Nuntiaturberichte dann um 1600 zum Ausdruck einer »hoch entwickelte[n] bürokratische[n] Kultur« avancierten, wie Wolfgang Reinhard 2007 formulierte.29 Neben den politischen Problemen, die in den Nuntiaturquellen thematisiert werden, sowie weiteren landes- und kirchengeschichtlichen Problemen, über welche die päpstlichen Gesandten ihren Aufgaben und Aufträgen gemäß nach Rom berichteten, lässt sich aus diesen Quelleneditionen in vielerlei Hinsicht 24 Vgl. dazu die Nuntiaturberichte der ersten drei Abteilungen: NBD I/1 (1892) bis NBD III/10 (2012) nebst den betreffenden Ergänzungsbänden (NBD I/Erg. Bd. 1, anfangs der Einleitung, XIX–XXII, über die Gründe, die zum Beginn der Reihe mit Vergerios erster Nuntiatur 1533 geführt hatten). 25 Zu Köln: NBD III/1 (1892); die Akten der Süddeutschen Nuntiatur in NBD III/3 (1896) bis NBD III/5 (1909). 26 Köln: NBK 1 (1895) bis NBK 9,1 (2009). – Graz: NBG 1 (1973) bis NBG 5 (2012). 27 NBD IV/1 (1895) bis NBD IV/7 (2004). Die letzte Lücke innerhalb der (nun vollständig vorliegenden) Abteilung wurde jüngst geschlossen durch NBD IV/6 (2016). 28 Systematisch ediert liegen sie für die Zeit um 1600 vor, vgl. Clemens VIII (1984); Gregor XV. (1997); Paul V. (2003). 29 Reinhard (1998b), 63.
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Weiteres lernen, etwa im Hinblick auf die Funktion des päpstlichen Gesandtschaftswesens, über Akteure der Außenbeziehungen, ihre Profile, Vernetzungen und Wahrnehmungen, über europäische Verflechtungen sowie frühneuzeitliche Lebens- und Erfahrungswelten.30 Allerdings sind sie als durch normative Vorgaben und durch (unterstellte) Erwartungshaltungen des Empfängers geprägte Texte zu lesen; sie sagen daher über diese Normen und Erwartungshaltungen oftmals mehr aus als über das Berichtete selbst. Ein Fallbeispiel vermag die Diskrepanz zwischen Interaktion und Berichtspraxis zu illustrieren. Immer seltener wurde im Verlaufe des Reformationsjahrhunderts durch die Entstehung der Konfessionen und die damit verbundene römische Abschottung das Zusammentreffen päpstlicher Gesandter mit Protestanten. Zu einem Treffen Vergerios mit Luther sowie mit Johannes Bugenhagen kam es jedoch noch am 7. November 1535 auf dem Wittenberger Schloss. Darüber berichten sowohl Vergerio als auch Luther.31 Wie unter einem Brennglas verdeutlicht Vergerios gefärbter Bericht über diese Begebenheit die Problematik nicht nur der rein sprachlichen, sondern auch der interkulturellen Kommunikation zwischen dem Italiener und dem Deutschen.32 Schon die Eingangsdarstellung ist offensichtlich stilisiert. Vergerio berichtet, von Luther und Bugenhagen aufgesucht worden zu sein, während er zu Tisch saß, und dass er ihnen daher gar nicht aus dem Wege gehen konnte. Hingegen wissen wir nicht zuletzt aus Luthers Berichten, dass höchst wahrscheinlich Vergerio die Begegnung einleitete. Wenn der päpstliche Emissär dies anders darstellte, war dies eine Adaption an das in Rom vom Nuntius erwartete Verhalten. Summa summarum war Luther, der seinerseits bewusst deutsche Eigenheiten hervorkehrte, impulsiv, rau und provokant auftrat, für ihn ein »animal irrational«, ein nicht vernunftbegabtes Wesen oder Tier.33 In deutlichere Worte lässt sich eine gescheiterte Kommunikation zwischen Wittenberg und Rom kaum fassen, und dem Nuntius war offenbar auch selbst bewusst, wie drastisch er sich über Luther geäußert hatte, denn er bat den Empfänger Ricalcati, den Brief an der 30 Dazu, unter besonderer Berücksichtigung der Quellen der vierten Abteilung aus dem 17. Jahrhundert, Braun (2018b). 31 Vonseiten Luthers v. a. in den Tischreden, vgl. Luther (1919), Nr. 6384, 633–635 (Wiedergabe der Zusammenkunft am 7. November 1535 mit Vergerio), Nr. 6388, 636–638 (Rückblick auf seine Antwort an Vergerio bezüglich der Teilnahme am Konzil). Ferner Erwähnungen im Briefwechsel: Luther (1937), Luther an Justus Jonas, [Wittenberg] 1535 Oktober 28, Nr. 2267, 316–318; Luther an Justus Jonas, [Wittenberg] 1535 November 10, Nr. 2270, 321–323; Luther an Melanchthon in Jena, [Wittenberg ca. 1535 Dezember 3], Nr. 2276, 330–332; Luther an den Mansfeldischen Kanzler Kaspar Müller, [Wittenberg] 1536 Januar 19, Nr. 2287, 348–350. 32 Vergerio an Ambrogio Ricalcati, Geheimsekretär Pauls III., Dresden 1535 November 13; NBD I/1 (1892), Nr. 218, 538–547. In einer doppelten Perspektivierung mit Blick auf Vergerios Begegnung mit Luther bzw. Luthers Begegnung mit Vergerio geht auf dieses Treffen ausführlich, aber mit kleineren Ungenauigkeiten, ein Reinhardt (2017), 282–294. 33 NBD I/1 (1892), Nr. 218, hier 542. Zum Verhalten Luthers vgl. Brecht (1987) 175–177.
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Kurie geheim zu halten, damit er nicht übel gesinnten Deutschen in die Hände fiele und gegen den Nuntius im Reich propagandistisch ausgenützt würde. Allerdings ist zu betonen, dass es sich um einen stilisierten Bericht handelt, den der Nuntius hinsichtlich der sehr negativen Färbung seiner Darstellung Luthers zweifellos der Erwartungshaltung seiner Rezipienten an der Kurie angepasst hat. Ob sich bei seiner Begegnung mit dem Reformator vielleicht doch schon seine spätere persönliche Hinwendung zum Protestantismus innerlich vorsichtig anbahnte, muss insofern offenbleiben. Ohne die spätere Entwicklung vorwegzunehmen, deuten andere zeitgenössische Indizien jedenfalls ebenso auf eine gewisse Offenheit gegenüber Akteuren und Schriften der Reformation.34 In welchem Maße Vergerios Bericht wiedergibt, wie der Nuntius Luther sah, wie er die Begegnung mit ihm erlebte und wie die Interaktion zwischen beiden im Einzelnen verlief, wissen wir mithin nicht. Nur begrenzt aussagekräftig ist der Bericht sowohl für den Ablauf der Ereignisse, die sich jedoch immerhin durch den Abgleich mit Luthers Schriften ermitteln lassen, als auch für die Sicht Vergerios, für die keine komplementäre Quelle vorliegt. Von höherer Aussagekraft ist sein Bericht hinsichtlich der Erwartungen, welche die römisch-kurialen Adressaten offenbar an einen solchen Text knüpften. Entscheidend für das Verhältnis zwischen der römischen Kurie und dem Luthertum waren diese Erwartungshaltung und die Tatsache, dass sie unter Rekurs auf die literarischen Stereotype bedient und damit scheinbar empirisch verifiziert wurde. Die kulturellen Barrieren, die einer Verständigung zwischen Rom und Luther im Wege standen, wurden durch den Bericht des Nuntius nicht einmal ansatzweise überwunden, sondern im Gegenteil gefestigt. Nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell lagen jedenfalls Rom und Wittenberg im Zeitalter der Reformation in getrennten Welten.35 34 Zur Biographie Vergerios und zur kritischen Diskussion der Positionen in der Forschungsliteratur bezüglich einer »Vorwegnahme« von Abweichungen von der katholischen Lehre vor seiner Konversion vgl. Jacobson Schutte (1977). Ebd., 94f. zur Bewertung der Unterredung mit Luther, in Anm. 74 führt die Verfasserin in Anlehnung an Ludwig von Pastor aus, Vergerios Bericht »may not be wholly reliable«, lässt aber die Frage offen, ob bezüglich der Einleitung der Konversation Vergerios oder Luthers Darstellung zutrifft. Brecht (1987), 175 bzw. 177, nennt klar Vergerio als Urheber und urteilt: »In dem etwas diplomatisch-saloppen Bericht [Vergerios] ist noch nichts davon zu erkennen, daß der spätere Bischof von Capodistria in Illyrien 1549 sein Amt aufgab, nachdem er sich der Reformation zugewandt hatte«. Dieser Schlussfolgerung ist im Kern zuzustimmen, wenngleich Vergerios Darstellung nicht diplomatisch und noch viel weniger salopp, sondern vielmehr mit literarischen Stilmitteln und Topoi durchstilisiert erscheint. 35 Allerdings hätte Vergerio kurioserweise um ein Haar nicht in Padua, sondern in Wittenberg sein Studium abgeschlossen, denn Burckhard Schenk von Simau, ein seit 1515 in Venedig weilender deutscher Ordensgeistlicher, der für Friedrich den Weisen Buch- und Reliquieneinkäufe tätigte, empfahl in einem Brief an Georg Spalatin vom Oktober 1521, den begabten Vergerio zur Abrundung seines Studiums nach Wittenberg einzuladen. Berichte über Pest-
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Die unerlässliche Orientierung an römischen Wahrnehmungsmustern schloss jedoch die Hinterfragung von Vorannahmen keineswegs grundsätzlich aus und die Sensibilisierung römischer Adressaten für die von diesen Erwartungshaltungen abweichenden Befunde bildete eine der wichtigen kulturellen Übersetzungsleistungen der kurialen Berichterstatter des Reformationsjahrhunderts. Religiöse und konfessionelle Differenzerfahrungen, die dabei verarbeitet wurden, waren im 16. Jahrhundert für kuriale Reisende in Deutschland prägend.36 Allerdings bedeutete eine prononcierte konfessionelle Differenzerfahrung bei der Konfrontation der römischen Orthodoxie mit dem Protestantismus im Reich keineswegs, dass alle Protestanten durchgängig unter negativen Vorzeichen charakterisiert wurden. Philipp Melanchthon machten seine Differenzen zu Luther, die Vergerio für unüberbrückbar hielt, dem Nuntius sogar durchaus sympathisch. Er lobte dessen Bildung und Beredsamkeit, an der die humanistisch-rhetorisch geschulten Italiener bei den Deutschen selten ein gutes Haar ließen.37 Immerhin brachte Vergerio auch so viel Interesse für den Protestantismus auf, dass er schon in den 1530er Jahren in der kurfürstlichen Schlosskapelle zu Wittenberg einem lutherischen Gottesdienst beiwohnte, was jedoch nicht als Zeichen der Sympathie für das Luthertum (über-)bewertet werden sollte.38 fälle entlang der Reiseroute verzögerten jedoch die Abreise, und 1522 antwortete Spalatin Schenk, dass die religiöse Entwicklung Friedrich den Weisen von weiteren Reliquienerwerbungen Abstand nehmen lasse, und mit der sich verfestigenden Reformation zerschlug sich offensichtlich auch das Projekt einer Übersiedlung Vergerios in deren Wiege, vgl. Jacobson Schutte (1977), 30f. Zum Konzept »Scheinempirie« vgl. Reinhardt (1998), 287f.; Reinhard (1998b), 58. 36 Mit der Reformation schlug den päpstlichen Gesandten schon wenige Jahre nach Luthers »Thesenanschlag« in Deutschland teilweise eine offene Feindseligkeit entgegen, die sich bereits in den Nuntiaturberichten der 1520er Jahre greifen lässt. So berichten es 1524 Girolamo Rorario und Lorenzo Campeggio aus Nürnberg bzw. Augsburg, vgl. Müller (1969), 19–21. 37 »Philippo Melanton, huomo di molta erudition et eloquentia, il cui nome è ben noto a Nostro Signore, ha hora irreconciliabile odio con Luthero«, berichtet Vergerio an (den 1567 seinerseits von der Inquisition verurteilten) Pietro Carnesecchi, [Wien 1533] November 18; NBD I/1 (1892), Nr. 42, 139–141, hier 140. Diese Einschätzung ist keineswegs ungewöhnlich, denn mit zahlreichen deutschen Theologen und Fürsten, besonders mit Ferdinand I., pflegte Vergerio ein gutes Verhältnis und über viele ihm persönlich bekannte Deutsche fällte er auch ein positives Urteil, selbst wenn es sich um Protestanten handelte, so Jacobson Schutte (1977), 18, 59f. und 96, Anm. 81. Im Dezember 1535 berichtete der venezianische Botschafter in Wien an die Markusrepublik sogar, dass Vergerio von den Lutheranern besser aufgenommen worden sei als von den Katholiken, ebd., 95f., Anm. 80. 38 Dazu auch Vergerios oben genannter Bericht, NBD I/1 (1892), Nr. 218, hier 545; diesem Bericht zufolge nahm er dabei Anstoß an der Verwendung der Volkssprache auch bei der Wandlungsformel, wodurch diese Worte von Kindern, Schwachsinnigen und Trunkenen im Munde geführt würden – wiederum findet hier das Trunkenheitsstereotyp Verwendung. Auf diesen Gottesdienstbesuch hingewiesen haben bereits Pastor (1923), 49; Jacobson Schutte (1977), 95. Brecht (1987), 176 urteilt: »Für den Wittenberger Gottesdienst mit seiner deutschsprachigen Liturgie und den Liedern hatte Vergerio keinerlei Verständnis.« Gleichwohl ist ein kontinuierliches Interesse Vergerios für protestantische Positionen unverkenn-
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Trotz der stereotypen Wahrnehmung Luthers blieb Vergerio im Übrigen keineswegs verborgen, welch enorme Fortschritte die Reformation in Deutschland in den frühen 1530er Jahren machte. Sein Wissen bezog der Nuntius seinen Berichten zufolge sowohl aus der Konversation mit den Einheimischen als auch durch fleißige Lektüre, selbst ›häretischer‹ Schriften: Aufgrund der desolaten Situation des deutschen Katholizismus mahnte er die Hilfe Clemens’ VII. in einer nachdrücklichen Formulierung an, die sich als inständiger Hilferuf bezeichnen lässt.39 Diese ungeschminkte, auf »unorthodoxen« Quellen basierende Denunzierung unhaltbarer Missstände, deren Mitverantwortung auch dem Papsttum indirekt zugeschrieben wurde, weisen auf eine insgesamt ergebnisoffenere Interaktion und eine eingehendere intellektuelle Auseinandersetzung hin, als sie einschränkende Vorprägungen vermuten lassen.
III.
Die Rezeption der Berichte an der römischen Kurie
Was geschah nun mit den von den Nuntien übersandten Berichten und Empfehlungen an der römischen Kurie, wer empfing und beantwortete sie? Der Begriff »Kurie« bezeichnet im engeren Sinne den römisch-päpstlichen Hof und seine Behörden.40 Die aus der Sicht unseres Themas wichtigste institutionelle Innovation des 16. Jahrhunderts an der römischen Kurie ist die Einrichtung spezieller Kongregationen, die sich mit deutschen Fragen (zum Beispiel Reichstagen) befassten, und dann die Gründung einer »Deutschen Kongregation« durch Gregor XIII., die für die Beratung der deutschen Angelegenheiten im Allgemeinen zuständig war.41 Hauptkorrespondenz-Partner der frühneuzeitlichen Nuntien waren jedoch nicht die einzelnen Kongregationen, sondern das bar (und sei es anfangs nur, um sie besser widerlegen zu können), jedenfalls ersuchte er schon im Juli 1533 um Dispens zur Lektüre »häretischer« Schriften, nachdem er eigenem Bekunden zufolge bereits drei Monate lang nichts Anderes mehr gelesen hatte, Vergerio an Jacomo Salviati, [Wien 1533 Juli 21], NBD I/1 (1892), Nr. 21, 108f., hier 109. 39 »[…] signor mio, essendo ogni giorno più informato et dalla conversation de paesani et dalla assidua lettion de mali libri, come in tanto di mondo, come è la Germania, tutta la dottrina orthodoxa sia concultata et oppressa et in suo loco succedano tante pravità et perdition di tante anime: son astretto dal debito mio supplicar a Nostro Signore che per amor di Christo soccorra a tanta miseria, soccorra [sic] che patisce la povera nostra fede. io per me non saperia dir come si potesse far tanto bene o non ardisco di dir tanto et ingerirmi hora tanto avanti; ma parmi di exonerar la conscientia mia a scriver così, et di gratia sia tolta tutta la ferventia mia in buona parte«; Vergerio an Pietro Carnesecchi, Prag 1534 Februar 3; NBD I/1 (1892), Nr. 59, 171–173, hier 172f. 40 Prägnant Schwarz / Gatz (1990); May (1999) ( jeweils mit weiterer Literatur). Ferner Del Re (1970); Pasztor (1971); Menniti Ippolito (1999). Vgl. zur politischen Bedeutung ferner Signorotto / Visceglia (1998). 41 Krasenbrink (1972).
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römische Staatssekretariat (bzw. formal gegebenenfalls der Kardinalnepot).42 Im Einzelnen ist nicht leicht feststellbar, was von dem durch die Nuntien Beobachteten und Berichteten an der römischen Kurie tatsächlich bis zum Papst selbst durchdrang. Zwar las selbstverständlich der Papst keineswegs alle Depeschen, die von den Nuntien nach Rom übersandt wurden, jedoch belegen einige Formulierungen immerhin, dass ihm Berichte der Nuntien oder doch Teile davon vorgetragen wurden. So erfahren wir aus der Antwort von Tolomeo Gallio (Bischof von Como, durch Gregor XIII. zum Kardinalstaatssekretär erkoren) an den süddeutschen Nuntius Bartolomeo Portia, dass die Briefe, die der Nuntius zwischen dem 28. Oktober und dem 18. November 1575 an die Kurie gesandt hatte, vom Papst gehört (dass sie ihm also mündlich vorgetragen) worden waren.43 Für die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich wurde im Pontifikat Gregors XIII. die Deutsche Kongregation maßgebend. Nicht mehr die Gesamtheit der im Konsistorium versammelten Kardinäle sollte Fragen beraten und entscheiden, die großer Detailkenntnis bedurften und eine Kontinuität in der Informationsbeschaffung und -verarbeitung voraussetzten. Der Gedanke, eine besondere, ständige Kongregation für die deutschen Angelegenheiten einzurichten, wurde an der Kurie bereits unter Pius IV., zu Ende der 1550er Jahre, gefasst, zunächst aber nicht in die Tat umgesetzt.44 Unter Gregor XIII. avancierte die Deutsche Kongregation zu einer Schaltstelle empirischer Wissensgewinnung über das Reich. Verantwortlich für diesen Paradigmenwechsel war ein Wandel bei den Interessen des herrschenden Papstes, der in einem augenfälligen Gegensatz zu 42 Schmitz (2000). Einigermaßen (wenn auch nicht systematisch) erforscht ist das Staatssekretariat für den Zeitraum von 1605 bis 1644, während einschlägige Untersuchungen für das 16. Jahrhundert weitgehend fehlen. Vgl. Kraus (1964); Semmler (1969), dort jeweils weiterführende Literatur. Vgl. ferner Kraus (1960); Kraus (1969); Kraus (1989); Hammermayer (1960); sowie zu Clemens VIII. Jaschke (1970). 43 Auf die Berichte Portias im oben genannten Zeitraum hin: »il che tutto N. Signore ha udito con satisfattione, et, dopo che si sarà fatta la debita consideratione sopra alcuni particolari scritti da lei, se li darà risposta«; Gallio an Portia, Rom 1575 Dezember 10; NBD III/5 (1909), Nr. 70, 285–287, hier 285. Eine eingehendere Instruktion des Nuntius erfolgte erst im folgenden Jahr, denn Gallio an Portia, Rom 1575 Dezember 31, musste den Nuntius nochmals vertrösten; ebd., Nr. 74, 298–300, hier 299f. 44 Erste temporäre Kongregationen wurden in den 1560er Jahren eingerichtet: So berief Pius V. bereits fünf Tage nach Pontifikatsbeginn, das heißt am 12. Januar 1566, eine eigene Kardinalskongregation, die sich mit den Angelegenheiten des Augsburger Reichstages befassen sollte. Vorausgegangen war 1565 eine Kongregation zur Priesterehe; vgl. Krasenbrink (1972), 20–29. Es lässt sich ferner daran erinnern, dass schon Clemens VII. einmal eine Kardinalskommission für deutsche Angelegenheiten eingesetzt hatte, kurz nach seinem Pontifikatsbeginn; das anfänglich bekundete große Interesse dieses Papstes für die Religionsproblematik in Deutschland sowie in der Schweiz hatte sich dann jedoch binnen Kurzem in eine weitgehende Beschränkung auf die Italienpolitik gewandelt, dazu sehr überzeugend Müller (1969).
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seinen Vorgängern aus der früheren Zeit der Reformation steht: Nicht die Konfessionsproblematik stand in den 1520/1530er Jahren für Clemens VII. in seinem Verhältnis zu Kaiser und Reich im Vordergrund, sondern vor allem seine geopolitischen Interessen in Italien, die denen Karls V. diametral zuwiderliefen.45 An differenzierten Informationen über reformatorische Bewegungen und über ihre politischen Implikationen bestand an der römischen Kurie so gut wie kein Interesse. Auf diese Entwicklungen und Herausforderungen antworteten die führenden kurialen Akteure in der Regel mit Ablehnung und Repressionsbereitschaft, womit eine intellektuelle Verweigerungshaltung gegenüber dem Verständnis dieser Prozesse einherging, sodass die Kurie ihren Gesandten am Hofe Ferdinands I., Vergerio, sogar tadelte, sobald er die Gefährlichkeit der sich unablässig ausbreitenden Reformation für die römische Kirche darlegte.46 Selbst der katholische Papstgeschichtsschreiber Ludwig von Pastor spricht daher vom »Unglückspontifikat Klemens’ VII.«47 Keineswegs grundsätzlich besser stand es unter Clemens’ Nachfolger Paul III. 1535 hielt Vergerio, der sich damals am römischen Hof aufhielt, in einem Brief an Ferdinand I. seine Eindrücke vom neuen Papst und seiner Kurie fest und gestand dabei unumwunden ein, die dort herrschenden großen Herren seien derart mit ihren persönlichen Vergnügungen und Ambitionen okkupiert, dass sie von dem entlegenen Deutschland wirklich nichts wüssten.48 Pier Paolo Vergerio selbst machte eine grundlegende Wandlung mit: Vom Unverständnis gegenüber dem Luthertum in den 1530er Jahren wandte der aus Venedig stammende, 1498 in Capodistria (Koper) geborene, 1524 in Padua promovierte Jurist, der 1536 zunächst Bischof von Modrusˇ, dann noch im selben Jahr von seinem Heimatort Capodistria wurde, sich später reformatorischen Ideen zu und trat 1548 sogar selbst zum Protestantismus über.49 In päpstliche 45 Clemens VII. war bereits spätestens 1526 davon überzeugt, der Kaiser sei »sein wichtigster Gegner« (ebd., 60). Zu Politik und Religion in Italien im Zeitalter Karls V. vgl. ferner Cantù / Visceglia (2003). Zur Italienpolitik Karls V. des Weiteren Czernin (1993). 46 Vgl. Müller (1969), passim, besonders 67–69. 47 Pastor (1923), 5. 48 Vergerio an Ferdinand I., [Rom 1535 Januar 27]: »et in summa, Serme rex, isti magni domini ita sunt occupati in deliciis eorum et in ambitionibus ut nihil sciant eorum quae fiant in Germania illa remota«; NBD I/1 (1892), Nr. 124, 324–328, hier 327. 49 Sehr überzeugende Untersuchung: Jacobson Schutte (1977), die sich auf die Zeit vor dem Exil konzentriert (dieses Werk liegt im Wesentlichen auch den folgenden biographischen Ausführungen zugrunde). Kurz zu seinen für den Heiligen Stuhl erledigten Aufträgen Müller (1966), mit mehreren Korrekturen falscher Forschungsmeinungen, etwa zu einer angeblich nachweisbaren kurialen Indienstnahme oder gar einer Deutschlandreise Vergerios 1530. Vgl. ferner, besonders für die Zeit nach 1549: Hubert (1893); Hauser (1980); Cavazza (1991); Rozzo (2000); Pierce (2003). Eine detaillierte Übersicht über Werke und Literatur bietet Wenneker (1997), allerdings enthält der Artikel sachliche Fehler und entgeht dem Verfasser mit der Monographie von Jacobson Schutte (1977) ausgerechnet eine der wichtigsten Publikationen.
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Dienste getreten war er im Juli 1532 als Chiffrensekretär, nach kurzer Verweildauer an der Kurie aber schon im Herbst des Jahres zu einer außerordentlichen Mission nach Venedig gesandt worden. Als er darüber Clemens VII. in Bologna Bericht erstattete, wurde gerade ein Kandidat für eine Gesandtschaft ins Reich gesucht, und seine sofortige Verfügbarkeit gab vermutlich (neben dem hohen Ansehen seines Bruders Aurelio an der Kurie) den Ausschlag, nicht etwa eine frühere Deutschlanderfahrung, über die Vergerio damals nicht verfügte. Allerdings hatten Reisen nach Dalmatien und in die Levante sicherlich den Anlass für erste interkulturelle Begegnungen geboten. Neben zwei, 1533 bzw. 1535 begonnenen, Missionen ins Reich wirkte Vergerio in Deutschland betreffenden Fragen 1536 als Gesandter bei Karl V. in Neapel und als Fachmann in Rom. Der Kirchendienst stellte dem Nuntius in den 1530er Jahren vielfältige Aufstiegsmöglichkeiten und er nutzte Patronagenetzwerke für sich selbst und für seine Freunde (zumindest bis sein Dienst für die Kurie 1536 endete und er sich fortan auf sein Amt als Bischof beschränkt sah). Dies trug ihm in der älteren Forschung den Ruf des heuchlerischen Karrieristen ein, dahinter stand jedoch – so lässt sich aus heutiger Sicht schließen – nichts Anderes als zeittypisches mikropolitisches Handeln. Anfeindungen gab es gegen Vergerio jedoch durchaus auch bereits im 16. Jahrhundert, was nicht erstaunlich ist, bildete doch der Glaubensübertritt eines Bischofs (zumal des ersten Italieners, der diesen Schritt wagte) aus römischer Sicht ein höchst ärgerliches Ereignis und wirkte Vergerio seinerseits als Verfasser polemischer Schriften. Dass schon die Nuntiaturen in Deutschland den Ausgangspunkt für seine spätere, ausgeprägte Sympathie gegenüber den Protestanten, ja seine Identifikation mit ihren Anliegen, gebildet hätten, wurde bereits zu seinen Lebzeiten behauptet. Dies lässt sich jedoch weder belegen noch ist es überhaupt wahrscheinlich, und Vergerio selbst widersprach dieser Behauptung 1563 im Übrigen selbst.50 Gleichwohl wäre es sehr erstaunlich, sollte das tiefergehende Verständnis Vergerios für die Reformation nicht in der Zeit seiner Nuntiaturen wurzeln, denn trotz aller in der Berichtspraxis unvermeidlichen Distanzierung ergeben sich daraus hinreichende Indizien für eine intensive Interaktion und Auseinandersetzung mit Akteuren und intellektuellen Positionen der Reformation. Allerdings existieren für die Zeit vor seinem Eintritt in kirchliche Dienste 1532 kaum Quellen, sodass eine Einschätzung seiner persönlichen Entwicklung sehr schwer fällt. 1540/1541 nahm Vergerio im Auftrag König Franz’ I. von Frankreich an den Religionsgesprächen in Worms und Regensburg teil, was seine Rolle umso undurchsichtiger werden ließ, und führte seit 1541 durchgreifende Reformen in seinem Bistum durch. Dies führte zu lokalen Widerständen und trug ihm seitens seiner Gegner den Vorwurf der Häresie ein. So geriet er auch seit 1545 ins Visier 50 Vgl. Müller (1966), 342, Anm. 12.
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der Inquisition. 1549 ließ er sich in Graubünden nieder, während in Rom die Verurteilung durch die Inquisition erfolgte, entwickelte eine bedeutende publizistische Tätigkeit, trat 1553 in die Dienste Herzog Christophs von Württemberg und siedelte dazu nach Tübingen über, wo er 1565 (nach mehreren Reisen durch Mitteleuropa zur Verbreitung protestantischer Positionen) verstarb. Die offene Kritik der Zustände an der Kurie in dem oben angeführten Brief gehört zu den Zeugnissen, die bereits in den 1530er Jahren eine gewisse Distanz gegenüber seinem Dienstherrn andeuten und den Verfasser jedenfalls unter den Reformströmungen verorten, die nach einer inneren Erneuerung von Kirche und Kurie strebten. Allerdings stehen von Vergerio seinerzeit empfohlene Konzessionen an die Lutheraner ganz im Zeichen seiner Konzilshoffnungen. Von einem Konfessionswechsel dürfte Vergerio in den 1530er Jahren allein schon deshalb weit entfernt gewesen sein, weil er im Zeichen des erwarteten Konzils gar nicht ernsthaft von der dauerhaften Fortexistenz mehrerer Konfessionen ausging. Im Geiste des Humanismus sah er in Studium und intellektueller Auseinandersetzung die Antwort auf die religiösen Krisenphänomene seines Zeitalters. In seinen Nuntiaturberichten aus dieser Zeit erscheinen Zugeständnisse an die Protestanten insoweit als Mittel zum Zweck ihrer Rückführung in den Schoss der Papstkirche und neben Konzessionen fasst er verhandlungsstrategisch durchaus auch Zwangsmaßnahmen ins Auge, das Konzil deutet er eher als ein Gericht über die Protestanten denn als ein Forum zur Verständigung. Oder waren seine Berichte etwa nur so schroff gegenüber den Protestanten formuliert, weil sich anders nach Rom gar nicht berichten ließ? Einiges spricht immerhin für eine Interpretation, die darauf hindeutet, dass diese Texte zumindest in einem gewissen Maße auf ihre möglichst wohlwollende Rezeption an der Kurie hin »gebürstet« waren. Vergerio, der damals als Nuntius am römisch-deutschen Königshofe Ferdinands I. weilte, pflegte im Übrigen in den 1530er Jahren einen sehr freimütigen Briefwechsel mit dem für seine spitze Feder bekannten Dichter und Satiriker Pietro Aretino.51 Allerdings ist zu betonen, dass diese Korrespondenz anderen Normen folgte als die Nuntiaturkorrespondenz, denn es handelte sich um einen privaten, gewollt satirischen Briefwechsel, für den einschlägige Topoi (wie die 51 Für den unverblümten gesellschafts-, insbesondere kleruskritischen Ton dieser Korrespondenz charakteristisch ist beispielsweise die Bemerkung Vergerios, ein von ihm zu Aretino entsandter Familiare sei kein Heuchler, obwohl es sich um einen Mönch handele. Doch solle sich Aretino von ihm nur den Rocksaum küssen lassen, nicht die Hand, denn dessen sei der Mönch nicht wert. Aretino seinerseits bewunderte Vergerio, weil er trotz seiner Funktion als päpstlicher Nuntius ein guter Mensch geblieben sei, während der nähere Umgang mit Klerikern selbst für einen hl. Franziskus verderblich gewesen wäre (wobei die Paraphrase den Originalton schon deutlich abmildert). Vgl. Jacobson Schutte (1977), besonders 65–67 (mit Zitaten aus den Schreiben von Ende 1533/Anfang 1534 in englischer Übersetzung).
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verrufene Mönchskultur) gerne herangezogen wurden. Hinter der Berichtspraxis der Nuntien standen, wie dieses Beispiel zeigt, nicht selten auch konkurrierende Normen.52 In der satirischen Korrespondenz mit Aretino zieht Vergerio, der auch mit anderen italienischen Geistesgrößen wie Pietro Bembo eine humanistische Freundschaft pflegte, nicht nur sprachlich und stilistisch, sondern auch thematisch ganz andere Register als in seinen Nuntiaturberichten. Wenngleich es problematisch erscheint, Vergerio frühzeitig zu einem Protestanten zu erklären, bildete er doch schon in den 1530er Jahren durch eine Eigenschaft eine gewisse Ausnahme unter den Nuntien: seine ausgeprägte, vielleicht etwas übertriebene Neugierde, die er selbst als Makel eingestand, durch die er schließlich aber, mehr als andere Nuntien, zur Infragestellung eigener Positionen befähigt wurde.53 Im Vergleich zu den Pontifikaten Clemens’ VII. und auch Pauls III. völlig unterschiedlich stellt sich die Haltung von Papst und Kurie zu Kaiser und Reich im Pontifikat Gregors XIII. dar: Nie ist die römische Kurie bei der Transformation von Einzelinformationen zu einem Wissen über das Reich im 16. Jahrhundert weiter gekommen. 1576 bezeichnete der Trienter Fürstbischof Ludovico Madruzzo in einem Memorial für Kardinal Giovanni Morone »das Wissen« (»il conoscer«) um die Situation im Reich als zentrales Anliegen, denn Missstände, von denen man nicht wisse, könnten nicht behoben werden.54 Begründen lässt sich dieser Wandel mit dem posttridentinischen Reformelan, der das Handeln der führenden Akteure bestimmte und eine besondere Sensibilität und Offenheit für die Anliegen Deutschlands schuf. Er basiert auf der Infragestellung von Traditionen, Wahrnehmungsmustern und Stereotypen. Aber auch andere Kongregationen interessierten sich für die deutschen Verhältnisse, nicht zuletzt die 1542 eingeführte Inquisition. So informierte etwa der Augsburger Fürstbischof und Kardinal Otto Truchsess von Waldburg die Inquisition schriftlich über den Regensburger Reichstag von 1557.55 Die Wahr52 Den hilfreichen Begriff der »Normenkonkurrenz« hat Hillard von Thiessen in die Frühneuzeitforschung eingeführt, nicht zuletzt auch im Bereich der Außenbeziehungen, vgl. etwa Thiessen (2009); Thiessen (2010). 53 »[…] son stato un poco troppo curioso«, daher habe er ohne päpstliche Erlaubnis »häretische« Schriften gelesen, so Vergerio an Salviati vom 21. Juli 1533 (vgl. Anm. 36), hier NBD I/1 (1892), Nr. 21, 109. Zu offenen kritischen Äußerungen Vergerios in den Nuntiaturberichten, der hierbei immerhin deutlich weiter ging, als es bei Nuntien die Regel war, vgl. Friedensburg (1892), 32f. Ferner Reinhardt (2017), 270–272. 54 Memorial Madruzzos für Morone von 1576: »Il più è il conoscer che ignota curari non possunt«; Gutachten des Cardinals Ludwig Madruzzo über die auf dem Regensburger Reichstag zu unternehmenden Schritte zur Wiedererwerbung verlorener Bisthümer und zur Wiedergewinnung protestantischer Fürsten Deutschlands, Rom ca. 1576 April 23; NBD III/2 (1896), Nr. 1b, 17–20, Zitat 20. 55 Vatikanstadt, Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Santo Officio, Stanza Storica (ACDF, S. O., St. St.) TT 1-a fol. 7: Kardinal von Augsburg an den Papst [Paul IV.], Augsburg 1557 April 3, Ausfertigung, mit Dorsal fol. 15’; dort zum Regensburger Reichstag:
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scheinlichkeit spricht dafür, dass Nuntien damit rechnen mussten, die Akten ihrer Mission würden bei der Inquisition landen und ihr Verhalten dort auf den Prüfstand gestellt werden. So geschah es auch im Fall von Giovanni Morone, der nach dem Reichstag von 1555 tatsächlich einen Inquisitionsprozess über sich ergehen zu lassen hatte, bei dem auch die Vorgänge bei seinen Missionen im Reich im Hinblick auf Indizien für Häresie untersucht wurden.56 Dieser Vorgang verdeutlicht, wie vorsichtig ein päpstlicher Gesandter bei seiner Berichterstattung agieren musste, um nicht selbst in den Verdacht der Häresie zu geraten. Verständnis für Protestanten und den Protestantismus zu entwickeln, und sei es auch nur, um römische Adressaten für die Geschehnisse im Reich und ihre Ursachen zu sensibilisieren, war also eine höchst brisante Gratwanderung. Dabei gab es im 16. Jahrhundert, gerade vor dem Abschluss des Tridentinums (1545–1563), durchaus bisweilen erstaunliche individuelle Gestaltungsfreiheiten bei der Abfassung von Nuntiaturberichten. Der junge deutsche Landwein bescherte Aleander etwa im September 1531 während seines Aufenthaltes in »In questa Dieta passata di Ratisbona essendosi trattato di religione in varii et diversi modi, per il debito mio, mi è parso dimandarne alla S.tà V. un breve e succinto estratto, che è questo, qual m. Ant.° Lorenzini mio agente le presenterà da mia parte, con animo di mandarle poi anco il recesso quando sarà finito, che fò adesso trasferire. La sup.co con ogni riverentia et sommissione a credere che per servitio suo e di [co]testa Santa Sede non si è pretermesso cosa che sia stata possibile per far vani i conati degl’avversarii, ma le male qualità di tempi han violentato le buone voluntà d’alcuni in acconsentire in un colloquio, come più commodamente la potrà vedere per detto estratto [welcher in diesem Aktenzusammenhang nicht überliefert ist], benché io non vi habbi acconsentito mai. Et con avvisar la Beat.ne V. di quanto saria necessario et utile di havere hora in Germania suo Nuntio o Legato, massime appresso la M.tà del Re de Romani, per le importanti cose che si trattaranno, et raccomandarle q.ta afflitta povera provintia, le bacio con ogni riverentia et humilità i santissimi piedi, […]«. 56 Vgl. Firpo (1992). Die Prozessakten sind ediert: Firpo (1981–1995). Nicht zugänglich war den Editoren die Überlieferung ACDF, S. O., St. St. N 4-d vol. I–II, die ich selbst nach der Öffnung des Inquisitionsarchivs für die wissenschaftliche Öffentlichkeit konsultieren konnte. Im Übrigen bot auch das Zeremoniell Potential für Konflikte mit der Inquisition: 1625 fragte der Kaiserhof-Nuntius Carlo Carafa an, ob er sich beim bevorstehenden Deputationstag in Ulm an der Seite Kaiser Ferdinands II. zeigen könne, wenn er dabei protestantischen Kurfürsten die Präzedenz einräumen müsse. Rom erteilte hierauf eine klare Absage; vgl. Carlo Carafa an Kardinal S. Onofrio [Antonio Barberini], Ödenburg 1625 Oktober 29; Ausfertigung: ACDF, S. O., St. St. TT 1-b unfol. Der Vorgang, dass der Nuntius bei der Inquisition anfragte, ob er bei einer öffentlichen Reichsversammlung Protestanten die Präzedenz überlassen dürfe, zeigt, dass es sich dabei nicht nur um ein Politikum ersten Ranges, sondern in letzter Instanz um eine Glaubensfrage handelte. Zu diesem Schreiben ist nebst der römischen Antwort auch ein Protokoll der betreffenden Kongregationssitzung überliefert. Die Antwort aus Rom an Carafa, [1625] November 22, lautet, mit Zustimmung des Papstes sei entschieden worden, »che V. S. si debba astenere dall’intervenire nelle publiche fontioni et accompagnamenti dell’Imperatore, mentre ella habbi a cedere il luogo, o caminar al pari degl’Elettori heretici«; Reinkonzept: ebd. Dazu das Protokoll zur Sitzung vom 22. November einschließlich der Voten der abwesenden Mitglieder und der päpstlichen Weisung; Kopie mit wenigen Verbesserungen: ebd.
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Innsbruck nächtliche Gesundheitsbeschwerden, obwohl er davon nur wenig genossen hatte. So berichtete er es dem päpstlichen Geheimsekretär Giovanni Battista Sanga in einer als »amtlich« zu qualifizierenden Depesche,57 die belegt, dass diese Dokumente doch keineswegs immer so lebensfern und auf politische oder kirchliche Fragen konzentriert waren, wie es in der Forschungsliteratur suggeriert wird. Die Korrespondenz zwischen Aleander und Sanga folgt weniger amtlich-bürokratischen Vorstellungen, als vielmehr den Normen humanistischer Freundschaft, die den Austausch über solche persönlichen Erfahrungen eben miteinschloss. Diese Korrespondenz zeugt von der narrativen Verwobenheit der sozialen Rollen des Verfassers als Gesandter, Freund und Gelehrter. Gerade im Hinblick auf die Infragestellung der römischen Orthodoxie war die Grenze des Sagbaren jedoch rasch erreicht. Hierbei gab es nur geringe individuelle Gestaltungsfreiheiten, um sich dem Protestantismus im Bemühen um Verständnis anzunähern.
IV.
Fazit
Den Nuntien und Legaten im Reich, so lässt sich folgern, kam bei der römischkurialen Informationsakquise im Reformationsjahrhundert eine zentrale Rolle zu. Ergänzt wurden die durch die Nuntiaturberichte übermittelten Informationen durch weitere Informationskanäle, etwa über die in Rom weilenden Deutschen oder über die geistlichen Orden.58 Die Nuntiaturberichte waren grundlegend für die Entstehung von Bildern und letztlich auch bei der Entscheidungsvorbereitung an der römischen Kurie. Dies gilt besonders hinsichtlich der Reformation und des Verhältnisses zu (entstehender) konfessioneller Alterität. Hierbei lässt sich eine enge Orientierung an römischen Erwartungshaltungen konstatieren, die zur Verfestigung vorgefertigter und damit scheinbar empirisch bestätigter Vorstellungen beitrug. Eine größere intellektuelle Offenheit und damit verbunden eine Durchbrechung dieses Zirkels aus Vorannahmen und deren Bestätigung war prinzipiell jedoch durchaus möglich. Sie wurde zweifellos von Akteuren wie Vergerio in einem besonderen Maß vollzogen und vor allem im Pontifikat Gregors XIII. erreicht.59 57 »Questa notte ho havuto molto male per la crudità di questi agresti et novi vini, ancorchè parcissime ex iis bibam«; Aleander an Sanga, Innsbruck 1531 September 21/22; NBD I/Erg. Bd. 1 (1963), Nr. 90, 308f., hier 309. 58 Zur Wissensproduktion durch den mit der päpstlichen Kurie vielfältig verflochtenen römischen Jesuitenorden Friedrich (2011). 59 Vgl. Braun (2014), 302–340. Von bedeutender intellektueller Offenheit war ferner der Pontifikat von Innozenz XI. geprägt, der von 1676 bis 1689 regierte, vgl. Bösel / Menniti Ippolito / Spiriti (2014). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts konnte Domenico Passionei als päpstlicher
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Die Berichtspraxis der Nuntien und Legaten wurde durch explizite normative Vorgaben sowie implizite Erwartungshaltungen seitens der Kurie geprägt, deren Konsequenzen vermutlich sogar noch wichtiger waren. Gerade Letztere übten auf die Gestaltung der Nuntiaturberichte einen sehr wahrscheinlich großen Einfluss aus, mit wesentlichen Folgen für deren Interpretation. Eine erhebliche Leistung der Nuntien und Legaten bestand darin, den existenten römischen Normen und Erwartungen widersprechende Befunde sprachlich und kulturell so zu transformieren, dass sie an kuriale Akteure berichtet werden und in Rom verstanden werden konnten. Dies galt insbesondere für die causa Lutheri. Unter diesen Rahmenbedingungen existierten durchaus gewisse individuelle Gestaltungsmöglichkeiten, die je nach Pontifikat, Verfasser und Adressat variierten. Gerade die Berichte über konfessionelle Differenz eröffnen insofern einen aufschlussreichen Einblick in die sich wandelnden kulturellen Parameter kurialer Berichtspraxis, die weniger homogen ist, als oftmals angenommen. Für die Entstehung von vernetzter Information an der römischen Kurie und mithin für Prozesse von Wissensgenerierung waren die Reformmaßnahmen des späteren 16. Jahrhunderts (mit Gregor XIII.) und des frühen 17. Jahrhunderts (mit Paul V. und seiner Institutionalisierung des Vatikanischen Geheimarchivs sowie mit Gregor XV.) entscheidend. Allerdings stellten auch nach Paul V. die vatikanischen Aktenmengen keinen ständig verfügbaren Wissensfundus dar, wenngleich diese Überlieferung im Laufe der folgenden Jahrzehnte zunehmend zu einem Ort des gespeicherten und operationalisierten Wissens der römischen Kurie wurde, auf dessen Erfahrungsschatz Amtsträger und Gesandte rekurrieren konnten. Zu diesem Erfahrungsschatz gehörte allerdings keineswegs die vollständige Nuntiaturkorrespondenz aus dem Reformationszeitalter, denn diese war vor den Reformmaßnahmen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts in vielen Fällen gar nicht bei der Zentrale des Kirchenstaats gesammelt worden. So findet sich zwar der Bericht über Luthers Begegnung mit Vergerio heute im Besitz der Apostolischen Vatikanischen Bibliothek in einer zeitgenössischen Kopie, die vom Humanisten Aleander seiner Gewohnheit gemäß mit einem griechischen Rubrum versehen worden war und die unter anderem der Edition der »Nuntiaturberichte aus Deutschland« als Druckvorlage diente. Aber der eigentliche Nachlass Vergerios zum Zeitraum seiner Nuntiatur fand Eingang in die Markusbibliothek in Venedig, sodass die aus Anlass der Öffnung des Vatikanischen Geheimarchivs gegründete Preußische Historische Station bemerkenswerterweise die Nuntiaturberichtsedition mit einem Band initiierte, der im WesentliVertreter beim Friedenskongress in Baden 1714 recht ungezwungen mit Protestanten verkehren, vgl. Braun (2016). Zur Rolle Roms und der römischen Kurie in Prozessen von Wissensproduktion der Frühen Neuzeit vgl. Braun (2018a).
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chen nicht-vatikanisches Material darbot. Gerade die Vergerio-Korrespondenz verdeutlicht, dass in den 1530er Jahren individuellen Gestaltungsmöglichkeiten bei Nuntiaturberichten in Glaubensfragen (seien sie nun direkt oder auch nur mittelbar betroffen) sehr enge Grenzen gezogen worden waren und dass diese Berichte unter dem Eindruck vornehmlich unausgesprochener Erwartungshaltungen der Empfänger an der römischen Kurie verfasst und hierdurch normiert wurden.60 Die Deutung der Ergebnisse dieser kulturellen Transformationen bedarf einer dem zugrunde liegenden intellektuellen Verarbeitungsprozesses und den dahinterstehenden narrativen Strategien entsprechenden Hermeneutik.
V.
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60 Während Vergerios Nuntiaturberichte aus den 1530er Jahren einer vertieften Verständigung zwischen dem Reich der Reformation und seiner italienischen Heimat noch entgegenwirkten, liegt eines seiner späteren, bleibenden Verdienste interessanterweise auf dem Gebiet der Übersetzung, durch die er reformatorische Ideen im italienischsprachigen Raum bekannt machte, so zumindest nach dem Urteil von Wenneker (1997).
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Stefan Tilg (Freiburg)
Luther als Held und Antiheld im neulateinischen Drama: Ein Beispiel für die Vitalität eines klassischen Mediums
1.
Einleitung: »Neulatein«, »Neulateinisches Drama« und »Luther im Drama«
Latein war bekanntlich nicht nur die Sprache der antiken Römer, sondern auch eine in ganz Europa gesprochene und geschriebene Sprache der Gebildeten bis ans Ende der Frühen Neuzeit. Der in der Fachwissenschaft geläufige Begriff »Neulatein« für die lateinische Sprache und Literatur der Neuzeit ist wegen seiner Kürze praktisch, aber etwas unglücklich, weil er Laien in Analogie zu »Neuhochdeutsch« suggerieren könnte, dass es sich hier um eine neue Sprachstufe des Lateins handle oder dass am Neulatein sonst etwas ganz neu sei. Tatsächlich ist Neulatein aber im Grunde nichts anderes als das klassische Latein und sollte als chronologischer Corpusbegriff verstanden werden: Neulateiner beschäftigen sich mit den lateinischen Texten der Neuzeit, vorwiegend in der Periode vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Ein besonders erfolgreiches Genre der neulateinischen Literatur war das Drama. Das lässt sich schon quantitativ an einigen Zahlen ablesen: Leicester Bradner fügte 1957 seinem Beitrag über das lateinische Drama der Renaissance eine »list of original Neo-Latin plays printed before 1650« an, in der er auf ca. 450 erhaltene Drucke kommt.1 Dazu kommen zahlreiche handschriftliche Stücke. Gerade im katholischen Schultheater war der Druck von Dramen eher unüblich, weil die Spieltexte vorwiegend nur als Hilfsmittel zum Einstudieren der Aufführung verstanden wurden. Die Zahl der bezeugten Aufführungen ist riesig. Jean-Marie Valentin etwa verzeichnet in seinem Repertorium des Jesuitendramas im deutschen Sprachraum 7650 Titel.2 Von den meisten Titeln wissen wir hier allerdings nur durch Notizen in diversen Chroniken oder durch die sog. »Periochen«, gedruckte Programmhefte, die im Vorfeld der Aufführungen zur Einladung und Orientierung des Publikums verteilt wurden und die – meist 1 Bradner (1957), 55–70. 2 Valentin (1983–1984).
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zweisprachig lateinisch-deutsch – eine Zusammenfassung des Stücks Akt für Akt und Szene für Szene boten. Die Erschließung des neulateinischen Dramas ist insgesamt bescheiden. Nur ein kleiner Teil des handschriftlichen Materials ist ediert, und auch für die meisten Drucke fehlen moderne Editionen, Übersetzungen, Kommentare und eingehende Studien. Natürlich wurde auch im Mittelalter Theater gespielt, doch unterschied sich das mittelalterliche Drama in Struktur und Inszenierungsform stark vom antiken, an das das Renaissancetheater wieder anschloss und das die ganze Frühe Neuzeit über vorbildlich blieb. Das Wissen über die Struktur und Aufführungspraxis des antiken Theaters ging in der Spätantike verloren, sodass Texte des Komödienautors Terenz z. B. zwar bekannt waren, aber als prosaische Lesetexte rezipiert wurden. Aufgeführt wurden dagegen, typischerweise auf einer flächigen Simultanbühne (z. B. in Kirchen oder am Marktplatz), biblische geistliche Spiele wie etwa Passionsspiele. Es waren zunächst die in vieler Hinsicht pionierhaften italienischen Humanisten, die im 15. Jahrhundert die antiken Dramatiker wieder neu entdeckten, zur Aufführung brachten und eigene von diesen inspirierte Stücke schrieben. Als Bühnenform entwickelten sie auf Basis der antiken Dramen und als Vorläufer späterer moderner Bühnenformen die sog. »Terenzbühne«, ein erhobenes Podium, an dessen Rückwand Türen den Eingang zu diversen Häusern signalisierten. Das Podium stand in diesem Setting für eine Straße in der Stadt, auf der sich das ganze Drama abspielte und das damit in klassizistischer Manier die Einheit von Ort, Zeit und Handlung veranschaulichte. Auch wenn spätere Entwicklungen der Kulissenbühne von dieser Einheit wieder wegführten, blieb doch das Prinzip des Podiums und der davor sitzenden Zuschauer erhalten. Der Wandel der Bühnenform war aber nur der äußerlich sichtbarste Bruch mit dem mittelalterlichen Theater. Im Zeichen einer Erneuerung der Antike folgte man allenthalben wieder antiken Mustern: Autoren wie die Komödiendichter Plautus und Terenz wurden vorbildlich, Stoffe und Figuren wurden Typen der antiken Bühne nachgebildet oder der antiken Mythologie und Geschichte entlehnt, antike Genres wie »Tragödie« und »Komödie« bürgerten sich wieder ein, Dramaturgie, sprachlicher Stil und Versform wurden nachgeahmt, formale Gliederungen in Akte und Szenen, Sprech- und Chorpartien u. Ä. wieder eingeführt. Ich fasse diese Tendenzen hier schlagwortartig als ›Klassizismus‹ zusammen. Gleichzeitig fanden aber auch viele nicht-klassizistische Elemente Eingang in die neulateinische Dramenproduktion, entweder weil man die Antike missverstand (z. B. in der Angleichung des in der römischen Komödie benutzten jambischen Senars an den einfacheren, in der Tragödie benutzen jambischen Trimeter; in der Gliederung von Komödien in Akte, was in der römischen Komödie ursprünglich nicht zu finden war) oder – und das ist das Wichtigere – weil man die antiken Vorbilder nur als flexible Schablone, als grundsätzlich verän-
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derbares Hilfsmittel zum Ausdruck eigener formaler und inhaltlicher Absichten betrachtete. Ich fasse diese Tendenzen unter dem Begriff ›Hybridisierung‹ bzw. ›Hybridität‹ zusammen. Tatsächlich wäre der Erfolg des neulateinischen Dramas nicht erklärbar, wenn die Imitation und Variation der antiken Klassiker nicht aus zeitgenössischen Kontexten heraus motiviert gewesen wäre. Diese Kontexte waren einerseits individueller Natur ( jeder Autor hat seine eigene ›Agenda‹), wurden andererseits aber auch von zwei großen, im weitesten Sinn kulturellen Strömungen bestimmt: der humanistischen Bildungsbewegung und der religiösen Frömmigkeit bzw. konfessionellen Kontroverse. Die ältere Triebkraft ist dabei die humanistische Bildung. Gerade die frühen neulateinischen Dramen des späten 14. und 15. Jahrhunderts verfolgen in der Regel keine religiösen Anliegen, sondern verstehen sich als gelehrte Übung und als Thematisierung zeitgenössischer Bildungs- und Erziehungsfragen wie in Pier Paolo Vergerios Ende des 14. Jahrhunderts entstandener Studentenkomödie Paulus. Die eigentliche (wirkmächtige) ›Entdeckung‹ der Religion für das neulateinische Drama lässt sich auf das Schuldrama Acolastus (1529) des Niederländers Wilhelm Gnapheus zurückführen. Gnapheus kreuzte in diesem Stück ein biblisches Sujet, die Geschichte vom Verlorenen Sohn (der »ungezügelte« ἀκόλαστος des Titels) mit der Struktur, Sprache, Motivik und Figurenzeichnung der terenzischen Komödie: Wie in Letzterer treten z. B. neben dem besorgten Vater und seinem undisziplinierten Sohn hungrige Parasiten, lustige Diener, Kuppler und Prostituierte auf. Mit dieser Hybridisierung hatte Gnapheus eine immens erfolgreiche Formel gefunden: Über 30 Editionen des Acolastus allein im 16. Jahrhundert zeugen davon. Er markiert im Rückblick die Geburtsstunde des neuzeitlichen christlichen Dramas nach antikem Muster. Immer wieder wurde darüber hinaus auch diskutiert, ob der Acolastus des Protestanten Gnapheus nicht auch ein konfessionelles, lutherisches Stück sei, das Luthers Positionen zum ›servum arbitrium‹ und zur Erlösung allein durch die Gnade reflektiere (der verlorene Sohn verdient die Gnade seines Vaters ja eigentlich nicht). Explizit findet sich dazu im Text aber nichts. Es wird bloß die biblische Vorlage in Lukas 15 nacherzählt und terenzisch ausgestaltet. Überhaupt ist der Großteil des neulateinischen Dramas seit dem 16. Jahrhundert als Schuldrama zwar institutionell in der konfessionell geprägten Sekundärbildung (v. a. den protestantischen Lateinschulen und dem jesuitischen Gymnasium) verankert, offen konfessionspolemische Stücke sind aber eher selten. Die Luther-Dramen, worunter ich hier solche Texte verstehe, in denen Luther als Figur auftritt, sind in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme. Gerade durch ihre emphatisch konfessionelle Ausrichtung und ihre dadurch gewonnene zeitgenössische Aktualität sind sie aber ein gutes Beispiel für die auch sonst immer wieder zu beobachtende Innovationskraft und Relevanz des neulateinischen Dramas. Ich komme darauf in meinem Fazit zurück.
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2.
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Die Dramen (Auswahl)
Was ich über die mangelhafte Erschließung des neulateinischen Dramas gesagt habe, gilt auch für die Luther-Dramen. Moderne Editionen und anderweitige Erschließungen fehlen fast völlig. Insofern kann auch der folgende Überblick nur sehr skizzenhaft sein. Als besonders einschlägiger und nützlicher Sekundärtitel ist das Kapitel »Die Gestalt Martin Luthers in protestantischen Dramen des konfessionellen Zeitalters« in Detlev Metz’ großer Studie zum protestantischen Drama der Frühen Neuzeit hervorzuheben.3 Metz kennt zwölf – im Zeitraum von 1580–1624 entstandene – protestantische Luther-Dramen. Nur drei davon sind lateinisch, die anderen deutsch. Das protestantische Drama setzte im Anschluss an Luthers Propagierung des Deutschen als Sprache der Evangelisierung früher und stärker auf die Volkssprache als das katholische, obwohl auch die lateinische Tradition bis ins 17. Jahrhundert fortgeführt wurde. Eine systematische Suche nach nicht-protestantischen LutherDramen gab es bisher nicht und kann auch hier nicht geleistet werden. Es ist allerdings auch nicht zu erwarten, dass sie wesentlich andere Tendenzen repräsentieren als die hier berücksichtigten Beispiele. Grundsätzlich zeigt sich in den lateinischen Luther-Dramen je nach konfessioneller Ausrichtung eine klare Polarisierung: protestantische Dramen feiern Luther als Held und ›Heiligen‹ (eine spezifisch christliche Ausprägung des Helden); katholische feinden ihn als Antiheld und Teufelsgestalt an. Luther taugt damit, um die Perspektive des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948 Helden–Heroisierungen–Heroismen anzulegen, als eine identitätsstiftende Figur in deren Bild die Selbstverständigung verschiedener Wertegemeinschaften ausgetragen wird. Helden in diesem Sinn sind immer auch ›Kippfiguren‹: des einen Held ist des andern Antiheld.4 Sie werden besonders in konflikthaften Situationen beschworen und reduzieren Komplexität, um ideologischen Disputen ein einfaches und verständliches Gesicht zu geben. All das trifft auf die LutherDramen und ihren gesellschaftlich-konfessionellen Hintergrund in der Frühen Neuzeit in hohem Maß zu. Sie beteiligen sich damit an einem größeren, polarisierenden Diskurs der Heroisierung und Verteufelung Luthers, der seit der Frühzeit der Reformation auch in der sonstigen Literatur mit großer Härte geführt wurde. Prominente Beispiele dafür wären etwa auf katholischer Seite Thomas Murners satirische Streitschrift Von dem großen Lutherischen Narren (1522), in der Luther schon auf dem Titelblatt vom Autor gewürgt und am Ende in die Toilette gespült wird; und auf protestantischer Seite Hans Sachs’ allegorisches Lehrgedicht Die Wittenbergisch Nachtigall (1523), das von der nächtli3 Metz (2013), 633–709. 4 Bolay / Schlüter (2015).
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chen Verführung der Schafherde durch wilde Tiere und ihrer Rettung durch die lutherische Nachtigall mit ihrem einen neuen Tag ankündigenden Gesang erzählt. An diesen zwei Beispielen zeigen sich schon zwei wichtige Strategien der Heroisierung und Verteufelung Luthers in den späteren Dramen: der apokalyptischen Verkündigung eines neuen Zeitalters auf protestantischer Seite stehen persönliche Verunglimpfungen Luthers auf katholischer Seite gegenüber. Insofern lassen sich die Luther-Dramen auch als ein Spezialfall der Heroisierungsdiskurse um Luther in der ganzen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts verstehen.5 Im Folgenden werde ich je einige Beispiele für Luther als Held und ›Heiligem‹ einerseits, für Luther als Antiheld und Teufelsgestalt bzw. Teufelsbündner andererseits geben und dabei jeweils Stücke berücksichtigen, die zu Lebzeiten Luthers entstanden und die die aus einer späteren Epoche stammen. Als eine als ›Deheroisierung‹6 beschreibbare Ausnahme behandle ich schließlich noch einen ›dritten Weg‹ zwischen Heroisierung und Verteufelung, der vielleicht in Nikodemus Frischlins Drama Phasma von 1580 beschritten wird.
2.1.
Luther als Held und Heiliger
Thomas Naogeorg: Pammachius (1538) Der Pammachius des lutheranischen Pfarrers und produktiven Dramaturgen Thomas Naogeorg (1508–1563) ist eines der berühmtesten und erfolgreichsten protestantischen Reformationsdramen. Gleichzeitig ist es in dem von mir untersuchten Corpus eine Ausnahme, weil Luther hier als handelnde Figur zwar genannt wird und sozusagen den Fluchtpunkt der Handlung bildet, in der erzählten Welt selbst aber nicht auftritt. Ich berücksichtige dieses Stück trotzdem, weil es ein eindrucksvolles Beispiel für die apokalyptische Tendenz der protestantischen Luther-Bilder zu Lebzeiten des Reformators darstellt. Der Pammachius ist ein weitgehend allegorisches Stück, das die ganze christliche Weltgeschichte thematisiert. Am Beginn der Handlung stellt Christus die Menschheit auf die Probe und lässt Satan frei. Die Hauptfigur Pammachius (»der alles Bekämpfende«) steht für den Papst bzw. das Papsttum. Pammachius schließt einen Pakt mit dem Teufel und kann so den Kaiser bzw. das Kaisertum, hier epitomisiert in der Figur eines – keiner historischen Person entsprechenden – »Julianus« besiegen. An sechs Tagen (eine offensichtliche Verkehrung der 5 Allgemein zu Luther in der Literatur siehe bes. Mecklenburg (2016); vgl. Luserke-Jaqui (2016). 6 ›Deheroisierung‹ in dem hier gemeinten Sinn meint nicht dasselbe wie ›Dämonisierung‹ und führt nicht zu ›Antiheldentum‹. ›Deheroisiertes‹ Heldentum wird problematisiert und / oder auf ein gewöhnliches Maß zurechtgestutzt.
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Schöpfungserzählung im Buch Genesis) schafft sich Pammachius als Komplizen Kardinäle, Mönchsorden, Domherren, Klöster, Heiligenreliquien und Heiligenbilder. Dann tritt aber Veritas, die Personifikation der Wahrheit, als Gegenspielerin auf. Sie geht zu Christus im Himmel und bittet ihn, ihr einen neuen Wohnort zu geben, weil auf der Welt für sie kein Platz mehr sei. Da verweist sie Christus auf Wittenberg, wo Luther (»Theophilus«, der »Gott-Liebende«) und seine Mitstreiter sie aufnehmen und schlussendlich ein neues Zeitalter einleiten werden. Dorthin soll sie sich in Begleitung des Apostels Paulus begeben (Pammachius IV, 3136–71): CH(ristus). Vides Germaniam? VE(ritas). Video. CH. Ad boream vide. / VE. Heu, num me etiam vis macerare frigore? / CH. Confide, calesces plus satis. Albis ubi fluit? […] VE. Quid postea? In angulum / Illum me divertere iubes? CH. Scilicet. Abi. / VE. Ad quem? CH. Ad Theophilum. Illum tuas doce vias. / Ut Papatus cuncta patefaciat hulcera, / Ut somnolentos Germanos excitet […] CH. Ite. Sed heus, Theophilum armatote fortiter / Verbo et scripturis, ne formidet congredi / Cum Pammachio. [CH(ristus): Siehst du Deutschland? VE(ritas): Ich seh’s. CH: Schau auf den Norden! VE: Ach, willst du mich etwa durch die Kälte entkräften? CH: Trau mir nur, du wirst dich mehr als genug erwärmen. Siehst du, wo die Elbe fließt […] VE: Und dann? Soll ich mich in diesem Winkel unterhalten? CH: Natürlich, geh! VE: Zu wem? CH: Zu Theophilus. Den lehre deinen Weg, dass er alle Geschwüre des Papsttums offenlegt, dass er die schläfrigen Deutschen erweckt […] CH: Geht, aber he, bewaffnet Theophilus tüchtig mit dem Wort und der Schrift, damit er den Konflikt mit Pammachius nicht scheut!]
Deutlich zeigt sich an dieser Stelle u. a. auch die mit Gnapheus begonnene Tradition, Komik und die Sprache der römischen Komödie für ernste christliche Themen zu adaptieren, so z. B. in Veritas’ anfänglichem Entsetzen über eine Verbannung in einen ›kalten Winkel‹ Norddeutschlands oder in dem für die römische Komödie typischen Wort heus (»he«, »holla« o. ä.). Das Stück endet nach dem 4. Akt mit einem Schwenk auf die Anhänger Satans, die ihr weiteres Vorgehen gegen die Wittenberger ›Ketzer‹ beraten. Dass ein 5. Akt fehlt, ist volle Absicht: Der 5. Akt ist in der Konzeption des Stücks die Auseinandersetzung Luthers mit dem teuflischen Papsttum, die nach wie vor andauert und erst mit dem Jüngsten Gericht beendet werden wird. Der 5. Akt ist also das, was die Zuschauer selbst noch in der Hand haben und was deshalb noch nicht als abgeschlossenes Ereignis auf der Bühne dargestellt werden kann. Sein Fehlen im Stück ist eine Handlungsaufforderung, die durch das bedrohliche, auf die Feinde Luthers fokussierende Schlussbild des 4. Akts noch verstärkt wird. Durch die Aktualität und Dringlichkeit dieser Handlungsaufforderung wirkt die in der (post-)modernen Literatur häufig rein spielerisch praktizierte metaleptische Überkreuzung der Ebenen von Erzählung und erzählter Welt umso überzeugender. Möglich wird sie nur dadurch dass eine klassische 5-Akt-Struktur einerseits vorausgesetzt, andererseits bewusst zugunsten eigener Zwecke gebro-
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chen wird. Was die Figur Luthers anbetrifft, können wir hier festhalten, dass sie in einem typischen Heroisierungsprozess das Gesicht einer größeren Bewegung darstellt und zum apokalyptischen Heilsbringer eines neuen Zeitalters stilisiert wird. In einem einfachen Antagonismus wird Luther zum Gegenspieler des Antichristen. Heinrich Hirtzwig: Lutherus (1617) Etwas komplexere Heroisierungsprozesse greifen dann nach Luthers Tod und in den Zeiten innerprotestantischer Zersplitterung. Hier wird Luther oft als sakralisierte, einigende Führungsfigur und als Hüter der reinen Lehre beschworen. Er verdankt seinen Heldenstatus weniger einem apokalyptischen Kampf gegen einen monströsen Gegner, sondern wird als zentrale Gestalt einer protestantischen Erinnerungskultur zum auratischen Lehrer, dessen Lehre zumindest ansatzweise auch auf die Bühne kommt. Das 100-Jahr-Jubiläum der Reformation 1617 bot sich zur Arbeit an diesem neuen Luther-Bild ganz besonders an, und es ist dieser Kontext, in dem der Lutherus des Frankfurter Gymnasialrektors Heinrich Hirtzwig (1587–1635) entstand. Das Stück wurde nicht nur im Frankfurter Gymnasium, sondern auch im Straßburger Akademietheater und vor der Wittenberger Schlosskirche aufgeführt. Drucke in Wittenberg 1617 und Frankfurt 1617 sowie eine deutsche Adaptation7 des Wittenberger Konrektors Johann Seger 1618 zeugen von seinem Erfolg. Die große Zahl von 110 Rollen im personarum catalogus deutet schon auf eine aufwändige Inszenierung hin. Tatsächlich stellt das Stück das ganze Leben Luthers von seiner Berufung nach Wittenberg bis zu seinem Tod dar. Diverse theologisch-literarische Auseinandersetzungen werden dabei insofern ›biographisiert‹ als sie als reale, persönlich ausgetragene Dispute auf die Bühne kommen. Der Inhalt lässt sich im Wesentlichen so kurz zusammenfassen: Akt 1 zeigt den Ruf nach Wittenberg und den Ablassstreit bis zum Thesenanschlag 1517; Akt 2 ›biographisiert‹ die Kontroversen von 1517/18, u. a. mit Johannes Eck, Jakob von Hoogstraten und Papst Leo X.; Akt 3 stellt den Augsburger Reichstag 1518 mit dem Verhör vor Thomas Cajetan dar; Akt 4 bringt den Wormser Reichstag 1521, die Schutzhaft auf der Wartburg und die Radikalisierung der Reformation (u. a. mittels ›biographisierter‹ Dialoge mit Karlstadt, Kurfürst Friedrich dem Weisen, Thomas Müntzer und König Heinrich VIII.). Akt 5 fasst die späteren Jahre zusammen: den Abendmahlsstreit mit dem Marburger Religionsgespräch 1529 und der Wittenberger Konkordie 1536; den 7 Lutherus. Drama, Daß ist / Warhafftiger / Historischer / gründtlicher unnd Außfhürlicher bericht / von dem grossen Werck der reformation, wie dasselbe […] durch […] Martinum Lutherum, nunmehr vor hundert Jahren / einen glücklichen / Anfang / fortgang und Außgang genommen, Wittenberg 1618.
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Augsburger Reichstag 1530 mit der Confessio Augustana; schließlich Luthers Tod 1546 und eine anschließende Episode, die seine Wirkung über den Tod hinaus andeutet. Es lohnt sich, eine kurze Besprechung des Stücks mit dieser Schlussepisode zu beginnen, weil sie schön eine Tendenz zur Sakralisierung und Hagiographisierung Luthers nach seinem Tod zeigt, die sich durch das ganze Stück zieht. Die Episode dramatisiert eine Legende, die sich nach dem Sieg Kaiser Karls V. gegen die protestantischen Fürsten und Städte im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) bzw. seinem triumphierenden Einzug in Wittenberg herausgebildet hat. Demnach habe sich der Kaiser in Wittenberg zum Grab Luthers in der Schlosskirche begeben und sei von seinen Soldaten dazu aufgerufen worden, die Überreste dieses ›Ketzers‹ noch nachträglich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Karl V. habe das aber unter Hinweis auf die Totenruhe versagt. Im Stück bleibt seinen Soldaten dann nichts anderes übrig, als zähneknirschend anzuerkennen, dass Luther auch als Toter noch lebendig herrsche (Dominatur vivus mortuus) bzw., wie es in den allerletzten Zeilen heißt, nicht nur im Leben, sondern auch im Tod noch triumphiere (Lutherus triumphat vivus, triumphat mortuus). Wie ein griechischer Heros oder ein christlicher Heiliger scheint Luther hier aus seinem Grab heraus weiterzuwirken. Zu dieser Sakralisierung passt auch, dass in der vorausgehenden Szene (V,9) Melanchthons geflügelter Vergleich Luthers mit dem ›Wagen Israels‹ effektvoll in Szene gesetzt wird. Der biblische Hintergrund in 2 Könige 2,1–18 berichtet von der Entrückung des Propheten Elija durch einen »feurigem Wagen mit feurigen Pferden« (11), worauf Elijas Schüler Elischa seinen geistigen »Vater« als »Wagen Israels und seine Reiter« tituliert (12). Melanchthon übernimmt im Stück nun stellvertretend für alle Lutheraner die Rolle des Schülers, die zu ihrem in den Himmel entrückten Lehrer aufblicken. Die Größe des Lehrers wird durch die Intensität seiner Klage (man beachte die hämmernden Wiederholungen) deutlich: Phil(ippus) Mel(anchthon). Reverendus Pater Lutherus occidit, occidit. / Cecidit auriga et currus Israelidum. / Eheu Pater Lutherus occidit, occidit. / Cecidit auriga et currus Israelidum. / Deus nostri misereatur, occidit, occidit / Reverendus Pater Lutherus occidit, occidit. / Cecidit auriga et currus Israelidum. / Misereatur nostri, misereatur Deus. [Phil(ipp) Mel(anchthon): Der verehrenswerte Vater Luther ist gestorben, ist gestorben. Der Lenker und der Wagen der Israeliten ist gefallen. Ach, der Vater Luther ist gestorben, ist gestorben. Der Lenker und der Wagen der Israeliten ist gefallen. Gott möge sich unsrer erbarmen, er ist gestorben, ist gestorben. Der verehrenswerte Vater Luther ist gestorben, ist gestorben. Der Lenker und der Wagen der Israeliten ist gefallen. Es erbarme sich unsrer, es erbarme sich unsrer Gott!]
Zu dieser Stilisierung Luthers als geistlichem Führer gesellt sich die Diskussion zentraler theologischer Lehren (Abendmahlslehre, sola scriptura-Prinzip, Hal-
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tung zu Obrigkeit), für deren Reinheit und Richtigkeit er gerade durch seine Auratisierung bürgen kann. So mahnt Luther etwas in V,7 Melanchthon, die Confessio Augustana nicht eigenmächtig zu verändern: Luth(erus). Melanchthon mi cedo / Contentione quod tam magna opus facis? / Phil(ippus) Mel(anchthon). Istuc – in Augustana Confessione sum / Augenda formandaque melius nonnihil. Luth. Quis vero genius Philippe te malus citat / Id ut emendendum tu tibi ausis sumere, / Quod Electorum et principum est? audaciam / In Philippum tantam cadere? de tabula manum! / Egon’ ut deinde Wittembergae commorer? / Quae quid e Sione fit? sentina bilinguium. [Luth(er): Melanchthon, sag, womit gibst du dir solche Mühe? Phil(ipp) Mel(anchthon): Da schau, in bin gerade dabei die Confessio Augustana zu erweitern und beträchtlich besser einzurichten. Luth: Aber was für ein böser Geist treibt dich an, Philipp, dass du dir anmaßt, das zu verbessern, was Sache der Kurfürsten und Fürsten ist. Hat den Philipp eine so große Dreistigkeit befallen? Rühr nichts an! Könnt ich denn sonst in Wittenberg bleiben? Wenn es von einem Jerusalem zu einer Kloake von Doppelzüngigen wird?]
Luther pocht darauf, dass sein Erbe in der von ihm entworfenen Gestalt weitergeführt und nicht verändert wird, ein Anliegen, das eben gerade im Rückblick auf die innerprotestantischen Streitigkeiten nach seinem Tod und noch zur Aufführung des Stücks 1617 relevant war. Unterstützt wird Luther bei der Vermittlung seiner Lehre – auch das ist eine Besonderheit dieses Stücks – durch eine Timotheus (der »Gottesfürchtige«) genannte Figur, die gleichzeitig die Rollen eines Erzählers bzw. Kommentators und die eines Spieler-Zuschauers übernimmt. Timotheus führt durch die Handlung und reagiert auf die dargestellten Ereignisse so, wie das intendierte Publikum darauf reagieren sollte. Nach dem Tod Luthers beschreibt er in V,9 z. B. ausführlich (über vier Druckseiten hinweg) und mit Bewunderung den illustren Leichenzug, was in seine Sorge um »Standhaftigkeit« und »Eintracht« mündet: Hic in Constantia[e] et Concordia[e] obit diem. / Metuo ne simul Constantia et Concordia (»Dieser [Luther) starb in Standhaftigkeit und Eintracht. Hoffentlich starben Standhaftigkeit und Eintracht nicht mit ihm zugleich!«). Ein kurzes und ein längeres Beispiel mögen schließlich noch das veranschaulichen, was ich ›Biographisierung‹ genannt habe, die unrealistische, aber dramatisch effektive Verwendung von Luther-Literatur zur Inszenierung der Luther-Vita. In Szene IV,5 kann gemäß einer im Text stehenden Regieanweisung am Ende einer Rede Luthers beim Reichstag von Worms (1521) sein Lied »Ein feste Burg« (belegt erst 1529) gesungen werden. Chronologisch ist das schwierig, auch ist das deutsche Kirchenlied im lateinischen Spieltext offenbar ein Fremdkörper, aber dem dramaturgischen Effekt zur Unterstreichung von Luthers Standhaftigkeit auf dem Reichstag tut das keinen Abbruch. Mein zweites Beispiel betrifft eine an sich unmögliche Figurenkonstellation, die sich nur da-
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durch erklären lässt, dass schriftlich ausgetragene Dispute hier in ihren Autoren personifiziert und dramaturgisch verdichtet werden. In II,5 trifft Luther auf eine ganze Reihe diverser Gegner, die er komisch-phantastisch mit der Nieswurz wieder zur Vernunft bringen will. Die Nieswurz (elleborus) kannte man schon in der Antike als Abführmittel und als Heilmittel gegen Wahnsinn. In diesem Sinn wird sie z. B. bei Plautus (Menaechmi 913 und 950; Pseudolus 1185) zur Heilung scheinbar verrückter Figuren empfohlen. Die dem deutschen Namen verdankte Verbindung mit dem Niesen und die plastische Ausgestaltung der Idee scheint aber Hirtzwigs Zutat zu sein. Historischer Hintergrund ist die Zitierung Luthers als Häresie-Verdächtigen nach Rom am 7. August 1518, die ihm eine 60-tätige Frist einräumte. Schon am 23. August 1518 wurde die Zitierung aber wieder aufgehoben und stattdessen der Dominikaner Cajetan damit beauftragt, den nunmehr als Häretiker behandelten Luther (von daher damnare in unserem Text) beim Reichstag zu Augsburg zu verhören. Ausgearbeitet wurde die Zitation vom päpstlichen Beamten Silvester Mazzolini, genannt Prierias, und dem Bischof von Ascoli, Girolamo Ghinucci (Hieronymus Asculanus). In der Realität ist Luther mit ihnen wohl genauso wenig zusammengetroffen wie mit Papst Leo X., der am Ende der Szene als letztlich Verantwortlicher auftritt. Weitere sprechende Figuren im folgenden Ausschnitt sind Johannes Eck (Eccius) und Jakob von Hoogstraten (Hostratius): Ecc. Hic Asculanus ipsus. Luth. ipsus? Ecc. occidis? / Luth. Non. bibet. Hier. Elleborum naribus subolet. rei / Quid hoc? Ecc. psi! Tec. psi! Host. Psi! Hier. hic mundus hominum sternuit! / Luth. Tute Lutherum citasti? Hier. Factum. Luth. libello? Hier. id ipsum. / Luth. Et spacio duorum mensium? Hier. Factum. Luth. Bene. / Sorbe hoc ut cum illis sternuas. cerebrum cie. / Quando citasti? Hier. septimo Augusti. Luth. cie. / Hier. psi! psi! Luth. quando damnasti? Hier. psi! eiusdem tertio / Et vicesimo. Luth. bibe. Hier. psi! psi! psi! Papa author est. / Luth. Rei malae? Hier. psi! huius. Luth. bibe. Papa id autor est? / Dehortaremini. Hier. Video Leonem? is est. / Quo jûsti me citare Lutherum die? / Leo. septimo Augusti. Ecc. quid ad te hominem? Hier. Iam os comprime. / Luth. Quo damnasti? Leo. tertio eiusdem et vicesimo. / Hier. Quot itineri dies? Leo. Sexaginta. Luth. tot? hem! / Factumne id juste? Leo. Sic visum. Luth. visum? quia / Visum, igitur collaudo. Leo. mi quod libet licet. / Nemo Papae, Quid facis? psi! Luth. Hic pastor est bonus. [Ecc. Da ist der Bischof von Ascoli selbst. Luth. Er selbst? Ecc. Wirst du jetzt schwach? Luth. Nein. Er wird trinken. Hier. Es riecht nach Nieswurz. Was ist denn das? Ecc. Hatschi! Tec. Hatschi! Host. Hatschi! Hier. Hier niest die ganze Welt! Luth. Hast du Luther zitiert? Hier. Richtig. Luth. Mit einer Schrift? Hier. Dieser hier. Luth. Mit einer Frist von zwei Monaten? Hier. Richtig. Luth. Gut. Schluck das, damit du mit den andern niest. Streng dein Hirn an! Wann hast du mich zitiert? Hier. Am 7. August. Luth. Streng dich an! Hier. Hatschi! Hatschi! Luth. Wann hast du mich verurteilt? Hier. Hatschi! Am 23. desselben Monats. Luth. Trink! Hier. Hatschi! Hatschi! Hatschi! Der Papst ist der Urheber – Luth. Einer schlechten Sache? Hier. Hatschi! – davon. Luth. Trink! Der Papst ist der Urheber? Ihr hättet ihn davon abbringen sollen! Hier. Sehe ich da Leo? Er ist’s! An
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welchem Tag hast du mir befohlen, Luther zu zitieren? Leo. Am 7. August. Ecc. Was willst du den Mensch –? Hier. Jetzt halt deinen Mund! Luth. An welchem hast du mich verurteilt? Leo. Am 23. Hier. Wie viele Tage waren für die Reise vorgesehen? Leo. 60. Luth. So viele? Ach! Ist das gerecht? Leo. So scheint es mir. Luth. Scheint? Wenn dir das scheint, dann lob ich mir’s. Leo. Mir ist erlaubt, was mir beliebt. Den Papst fragt niemand »Was tust du?« Hatschi! Luth. Ein guter Hirte ist das!]
Die freie Zusammenstellung der Personen und die physiologische Komik entbehren nicht einer gewissen Phantastik, die z. B. an Farcenhaftes, Aristophanes und Frischlin erinnert – man denke bei Letzterem etwa an den Priscianus vapulans (aufgeführt 1578, gedruckt 1580), in dem der Grammatiker Priscian von seiner scholastischen ›Verstopfung‹ durch die ›Abführmittel‹ humanistischer Schriften ›purgiert‹ wird.
2.2.
Luther als Anti-Held und Teufelsgestalt
Johannes Hasenberg, Ludus ludentem Luderum ludens (1530) und Simon Lemnius, Monachopornomachia (1539) Ein gemeinsames Merkmal der katholischen Luther-Stücke ist die persönliche Verunglimpfung Luthers, wobei sich die zu Luthers Lebzeiten entstandenen Beispiele auf die Verspottung des Reformators als Lüstling konzentrieren. Das erste meiner Beispiele stammt von dem Böhmen Johannes Hasenberg (Jan Horák, ca. 1500–1551),8 der nach seinem Studium in Leipzig 1518–1523 bis 1534 ebendort an Universität und Schule tätig war. Als Mitglied des Kreises um den prominenten Luther-Gegner Johannes Cochlaeus beteiligte er sich an dessen publizistischem Feldzug gegen den Reformator und schrieb 1530 eine Cochlaeus gewidmete und in Leipzig gedruckte Luther-Komödie, den Ludus ludentem Luderum ludens (Spiel, das den spielenden / täuschenden Luther ausspielt). Eine weitere, leicht veränderte, Ausgabe erschien 1531 in Landshut. Das Spiel mit dem Namen Luthers ist wohl nicht Hasenbergs Erfindung (nach Udolph (2016) legte Luther seinen ursprünglichen Familiennamen ›Luder‹ u. a. ab, um Spott zu entgehen), wir finden es in seinem Titel und an vielen Stellen des Spieltexts aber besonders intensiv durchgeführt. Der satirische Ludus war für den Karneval gedacht, entsprechend frei ist auch die in vier Akten entwickelte Dramaturgie (wobei die Vieraktigkeit hier nicht den tieferen Sinn erhält, den sie später bei Naogeorg hat). Im 1. Akt umschmeichelt der Spiel und Frauen zugetane Luderus Catharina. Diese hatte im Traum aber ein Bekehrungserlebnis: Sie möchte wieder
8 Er wurde »Hasenberg(er)« genannt, weil er nahe der Burg Hazmburk in einem Dorf des böhmischen Kreises Litomeˇrˇice geboren wurde.
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ins Kloster zurück, weil sie Luderus’ Zudringlichkeiten nicht aushält. Die weiteren Akte werden weitgehend von allegorischen Figuren getragen. Im 2. Akt klagt die einstige Königin Europas, Religio Christiana, begleitet nur von Spes, über ihr Exil und wird vom Christianus Orator getröstet. In Akt 3 schildert Haeresis mit ihren Gehilfinnen Seditio und Corruptio scripturae ihr neues Reich. Akt 4 zeigt eine abschließende Disputation des Christianus Orator und Luderus vor dem Richter Philochristus, der Luderus zum Scheiterhaufen verurteilt. Im letzten Satz spotten die Liktoren zynisch, während sie Luderus abführen: Move te ocyus, celebrabibmus missam Luderanam deo Vulcano (»Marsch, beweg dich, wir werden dem Gott Vulkan eine luderische Messe feiern!«). Im Prolog weist Hasenberg auf das Vorbild der römischen Komödie hin, das auch in Vokabular und Phraseologie offensichtlich ist. Gleichzeit bemerkt er aber auch, dass ihn die Zeitumstände dazu zwingen, von dem für Plautus und Terenz typischen flos und lepos, also ihrer »Blüte / Zierde« und »Anmut« Abstand zu nehmen und härtere Bandagen aufzuziehen. Diese findet er offenbar u. a. in der Satire, wie das HorazZitat am Ende der Erstausgabe von 1530 nahelegt: Ridentem dicere verum / Quid vetat? (»Was spricht dagegen, lachend das Wahre zu sagen?«, Satiren 1,24–25). Die Vehemenz und ins Groteske gesteigerte Übertreibung der Angriffe ist dabei freilich eher mit Juvenal als mit Horaz zu vergleichen. Ein weiteres unklassisches Element kann man in der Prosaform finden, die gerade in neulateinischen Komödien (viel seltener in Tragödien) immer wieder gelegentlich auftaucht. Einen Anschluss an die Satire – und diesmal direkt an den aggressiven Juvenal – finden wir auch in der Monachopornomachia (1539) des Schweizers Simon Lemnius, der sich auf dem Titelblatt des Stücks als Lutius Pisaeus Iuvenalis bezeichnet.9 Lemnius’ Lesedrama (aufgeführt wurde es wegen seiner Obszönität sicher nicht) wird vielfach als ›Höhepunkt‹ der persönlichen Verunglimpfung Luthers als Lüstling angesehen.10 Die Schärfe der Polemik ist nur verständlich, wenn man sich den damals generell wenig zimperlichen konfessionell-literarischen Diskurs (z. B. Murners oben zitierte Streitschrift Von dem großen Lutherischen Narren) und die spezielle Vorgeschichte des Stücks vergegenwärtigt. Der Katholik Lemnius (ca. 1511–1550) kam 1534 mit eher humanistischen als konfessionellen Interessen nach Wittenberg, um bei Melanchthon zu studieren. Durch eine Kontroverse um sein poetisches Erstlingswerk wurde er aber – nicht 9 Die anderen Bestandteile des Pseudonyms erklärt Mundt (1983), Bd. 1, 285 mit Anspielungen auf Lucius Annaeus Seneca d.J. (als Autor der satirischen Apocolocyntosis) und auf Lemnius’ Herkunft aus dem Münstertal bzw. einem (nach einem Wasserfall) ›Pischa‹ genannten Talabschnitt. 10 »[D]as unübertroffene Gipfelprodukt polemischer Verunglimpfung der Person Luthers« (Mecklenburg (2016), 35); »Lemnius reagierte 1539 mit einem heute in seiner Aggressivität und Obszönität kaum mehr begreiflichen Pamphlet auf Martin Luther« (Luserke-Jaqui (2016), 53). Allgemein zu Luther und Lemnius siehe bes. Mundt (1983).
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ganz unverschuldet – in einen bitteren konfessionellen Disput hineingezogen, an dessen Ende seine Verbannung aus Wittenberg auf Luthers Betreiben stand. 1538 brachte Lemnius nämlich zwei Bücher Epigramme heraus, die er ausgerechnet Luthers großem Feind, Erzbischof Albrecht von Brandenburg widmete. Im damaligen Patronagesystem muss das keine konfessionelle Kampfansage gewesen sein, es war im Wittenberger Kontext aber zumindest fahrlässig und wurde von Luther als unmöglich empfunden. Als publizistische Antwort auf diverse Anfeindungen veröffentlichte Lemnius ein 3. Buch Epigramme, das polemischpersönliche Angriffe auf Luther enthielt. Unter anderem verspottete er Luther in Epigramm 3,63 wegen einer im Sommer 1538 tatsächlich erlittenen Dysenterie. Luther rächte sich mit folgendem Gedicht, das einen Eindruck vom dem schon vor der Monachopornomachia zwischen den beiden Kontrahenten herrschenden Tonfall geben mag:11 Dysenteria Lutheri in merdipoetam Lemchen Quam bene conveniunt tibi res et carmina, Lemchen! Merda tibi res est, carmina merda tibi. Dignus erat Lemchen merdosus carmine merdae. Nam vatem merdae nil nisi merda decet. Infelix princeps, quem laudas carmine merdae! Merdosum merda quem facis ipse tua. Ventre urges merdam vellesque cacare libenter Ingentem, facis at, merdipoeta, nihil. At meritis si digna tuis te poena sequatur, Tu miserum corvis merda cadaver eris. [Luthers Dysenterie auf den Scheißpoeten Lemchen Wie gut passen dein Thema und dein Gedicht zu dir, Lemchen! Scheiße ist dein Thema, Scheiße ist dein Gedicht. Der beschissene Lemchen war eines Scheißgedichts würdig, denn einem Scheißpoeten steht nur Scheiße wohl an. Unglücklich der Fürst, den du mit einem Scheißgedicht lobst, den du mit deiner Scheiße anscheißt! Mit deinem Bauch presst du die Scheiße, gern würdest du einen gewaltigen Haufen kacken, doch, Scheißpoet, – du schaffst gar nichts! Wenn dich aber einmal die deinem Verbrechen angemessene Strafe ereilen sollte, wirst du, Scheiße, ein elender Kadaver für die Raben sein.]
Schließlich rächte sich Lemnius ultimativ mit seiner Monachopornomachia (1539). Wieder folgt das Stück keiner klassischen Dramaturgie: In einer losen Szenenfolge wird das Privatleben, vor allem das Sexualleben Luthers und seiner reformatorischen Kollegen Justus Jonas und Georg Spalatin bzw. ihrer jeweiligen Frauen satirisiert. Diese Grundidee hat Lemnius Johannes Cochlaeus’ deutschem 11 Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. Tischreden, Bd 4. Weimar 1916, Nr. 4032, Ende September 1538 (im Übrigen eines der ganz wenigen Zeugnisse lateinischer Dichtung aus Luthers Feder).
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Stück Ein heimlich gsprech von 1538 entnommen, dessen Akte 4 und 5 das Eheleben Luthers und seiner Kollegen thematisieren.12 So werden hier wie bei Lemnius intime Unterhaltungen der Frauen über Eifersucht und Impotenz ihrer Männer gezeigt. Vielleicht wurde Cochlaeus bei seiner Darstellung des unerfüllten Sexuallebens Luthers seinerseits wieder von Hasenbergs Ludus inspiriert, was dann eine lateinisch (Hasenberg)–deutsch (Cochlaeus)–lateinische (Lemnius) Rezeptionskette bedeuten würde. Im Gegensatz zu Hasenberg und Cochlaeus hat Lemnius gar keine Aktstruktur. Die zentralen Szenen um die Reformatoren und ihre Frauen sind in einem mythologisch-allegorischen Liebes-Rahmen eingespannt: Am Beginn kommt Venus mit den Liebesgöttern und einem Chor von ›babylonischen‹ und ›zyprischen‹ Mädchen zu Luther und führt für ihn ein Schauspiel auf, in dem er sich selbst sehen kann (das Folgende ist also eigentlich ein Spiel im Spiel). Darauf folgt ein metatheatralisches Gespräch von Cupido und Hymenaeus, die das Geschehen kommentieren. Im ersten Hauptteil fordert die Nonne Catta (Käthe) von Luther die Ehe, die er ihr früher in einem unbedachten Moment versprach, um sie zu verführen. Dazu gleich ein Textbeispiel, um die Obszönität des Stücks zu veranschaulichen (V. 186–195):13 Lutherus: Quaedam Vestalis me cogit nupta puella Sollicitatque thorum sollicitatque fidem. Saepe mihi fuerat Vestali veste fututa Incestuque prius cognita saepe fuit. Coniugiumque simul temerarius ipse fututae Polliceor toties, hanc quoties futui. Nunc miser experior multos futuisse, sed ipse Solus dona dedi coniugiique fidem. Vult mihi Vestalis monacho iam nubere cunnus, Mille fututores passus ut ille fuit. [Luther: Eine gewisse Nonne übt – als meine Braut – Zwang auf mich aus. Sie bringt Unruhe in mein Bett und erschüttert meinen Glauben. Oft habe ich sie in ihrer Nonnentracht gefickt. Oft habe ich sie früher in Unzucht erkannt. Zugleich habe ich meiner Bettgenossin unbesonnen die Ehe versprochen, so oft ich sie fickte. Jetzt erfahre ich Elender, dass sie mit vielen gefickt hat; aber ich allein habe ihr Geschenke gemacht und ihr eheliche Treue versprochen. Diese Klostermöse will mich, den Mönch, jetzt heiraten, nachdem sie sich tausend Fickern hingegeben hat!]
Schließlich heiratet Luther Käthe aber doch, um einen Skandal zu vermeiden. Nach einem Zwischenspiel mit Ratschlägen von Cupido und Hymenaeus Ad lectorem und Ad matronas beginnt der zweite Hauptteil, eine Revue des Ehele12 Zum Vorbild von Cochlaeus siehe ausführlich Mundt (1983), Bd. 1, 112–121. 13 Text und Übersetzung (mit kleinen Änderungen) nach Mundt (1983), Bd. 2, 268–269.
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bens Luthers und seiner Freunde Jonas und Spalatin. Der Fokus liegt dabei allerdings mehr auf den Gattinnen und ihren Gesprächen untereinander, u. a. über das sexuelle Versagen ihrer Männer und neue Liebhaber. Literarisch standen hier offensichtlich auch Lukians Hetärengespräche Pate. Ein Schlussteil fiktionalisiert den damals aktuellen Justizfall von Schönitz und Rabe, in dem Käthe den Beschuldigten hilft, indem sie ihren Mann Luther bezirzt. Am Ende verabschiedet sich der Chor der Babylonierinnen mit einer Barrage von obszönem Scherz und Schimpf von Luther. Das Stück ist nicht nur in seiner Dramaturgie unklassisch. Es hat weder ein argumentum noch einen Prolog, dafür aber ein satirisches Widmungsgedicht an Luther, den propheta Germaniae, der in Wahrheit aber ein Kriegstreiber und Volksverführer sei. Das Metrum im Widmungsgedicht, aber auch im gesamten Spieltext ist nicht der übliche jambische Trimeter bzw. Senar, sondern das elegische Distichon, das im Anschluss an die römische Liebeselegie wohl Erotik evozieren soll. Trotzdem war das Stück wohl als (Lese)-Komödie gedacht, was die in den Überschriften der Szenen jeweils genannten Sprecher und nicht zuletzt die Orientierung an Cochlaeus’ Drama nahelegen. Das Jesuitendrama (16.–18. Jahrhundert) Wie im Fall des protestantischen Dramas lässt sich auch im katholischen LutherDrama nach Luthers Lebzeiten eine gewisse Abmilderung des extremen polemischen Stils beobachten. Allerdings gibt es im katholischen Drama keinen regelrechten Paradigmenwechsel im Luther-Bild wie bei Hirtzwig, bei dem Luther nicht mehr primär als apokalyptischer Papstbezwinger, sondern als Identifikationsfigur einer zersplitterten protestantischen Welt auftritt. In den späteren katholischen Dramen bleibt Luther der Lüstling, der Bauernfänger und der Kriegstreiber, wobei verstärkt noch die Nuance der Teufelsgestalt hinzutritt. Das katholische lateinische Drama nach Luthers Tod ist weitgehend Jesuitendrama, was sich mit der dominanten Stellung der Gesellschaft Jesu im mittleren und höheren Unterrichtswesen seit ca. 1550 erklären lässt. Wie in der Einleitung bemerkt, war der Druck von Dramen bei den Jesuiten allerdings eine Seltenheit, und auch die tendenziell als bloße Gebrauchstexte zum Einstudieren der Aufführungen angesehenen Handschriften gingen meist verloren. So haben wir von den acht bei Valentin verzeichneten einschlägigen Stücken14 gar keine 14 1563 Köln: Comoedia dubitantis Lutherani, Calvinistae et doctoris catholici (Valentin, Nr. 25); 1565 Köln: Dialogus de Luthero, Calvino et Anabaptistis (Valentin, Nr. 35); 1584 Fribourg: Lazarus resuscitatus, mit Parodia in Calvinum und Parodia in Lutherum (Valentin, Nr. 209; Spieltext nach Valentin in Dillingen, Studienbibliothek, Hs. 223, Bl. 1–64); 1602 München: Lutheri Betlermandl (Valentin, Nr. 487; nach der deutschen Flugschrift Der Lutherische Bettler Mantel, Wien 1588); 1640 Neuss: ein Stück über Luther und Ignatius von Loyola
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Drucke und nur zwei Handschriften überliefert. Von zwei weiteren Stücken haben wir Periochen, von den übrigen nur Notizen in diversen Chroniken. Im Rahmen dieses Überblicks konnte ich die bisher unedierten Handschriften in Dillingen und Köln nicht berücksichtigen. Stattdessen werde ich mich auf die Periochen konzentrieren, die von den Innsbrucker Stücken 1641 und 1759 erhalten sind und die auch einen passablen Eindruck vom Inhalt (wenn auch weniger von Sprache und Stil) geben. Ich ergänze diese Textgrundlage durch ein bei Valentin (zu Recht) nicht verzeichnetes, fiktives Molsheimer Jesuitendrama von 1614, das von protestantischer Seite zu Propagandazwecken erfunden wurde. Gerade wegen seiner offensichtlich publizistisch-polemischen Funktion stellt dieses erfundene Stück ein reizvolles Beispiel für die konfessionelle Indienstnahme der Figur Luthers auf der Bühne dar. Unsere Quelle für dieses Stück ist eine ca. 1614 entstandene deutsche Flugschrift, in der mit faktualem Wahrheitsanspruch drei antijesuitische Anekdoten (»Zeitungen«) erzählt werden. Nur die erste davon hat mit Luther zu tun. Ihr Titel gibt den Inhalt im Wesentlichen wieder: Wie die Jesuiten eine Comoedi zu Molßheim agirt und gehalten / und Herrn Doctorem Lutherum durch einen Teuffel zerreissen wollen: aber der rechte erschreckliche Teuffel ist kommen / und hat einen Jesuiten in Stücken zerrissen. Die Anekdote führt dann die Handlung des Stücks noch etwas genauer aus: Zunächst sät Luther auf Erden nichts als Zwietracht und wird deshalb zur ewigen Verdammnis in der Hölle verurteilt. Dort eifert er aber weiter und stiftet »Uneinigkeiten und Aufruhren« unter der Teufeln, sodass sie über ihn zu Gericht sitzen und ihn verurteilen. Schon macht sich ein Teufel daran, ihn bzw. den mit Theatereingeweiden und Theaterblut ausstaffierten Luther-Schauspieler in Stücke zu reißen, als »mit grossem Geschrey« der wahre, leibhaftige Teufel erscheint und den Angreifer seinerseits und diesmal mit richtigem Blut »in Angesicht des Volcks zu stücken« zerreißt, »daß ihm das Hertz und die Ingeweid vor die Füß gefallen«. Der Schrecken bei den Zuschauern sei tief gesessen und die Obrigkeiten hätten bei Strafe verboten, über den Vorfall zu sprechen. Dennoch sei diese »Histori« nun aber ans Licht gekommen. Wenn diese Geschichte auch nicht wahr ist, passt sie doch zu der auf katholischer Seite verbreiteten »Verteufelung« Luthers auf der Bühne, seiner Darstellung als Verdammter in der Hölle, als Teufel (Luther tritt in der Unterwelt im Teufelskostüm unter anderen Teufeln auf) oder als Teufelsbündner. Die Jesuiten griffen damit auf ein schon zu Lebzeiten Luthers populäres Motiv gegenreformatorischer Propaganda zurück. Das Titelbild von Petrus Sylvius’ Abhandlung Luthers und Luzifers einträchtige Vereinigung (Valentin, Nr. 1282; Titel unbekannt); 1641 Innsbruck: Lutherus ex Orco in Theatrum productus (Valentin, Nr. 1293); 1741 Köln: Glorwürdige Himmelfarth Lutheri aus diesem Leben zu seiner ewigen Unsterblichkeit (Valentin, Nr. 5430; lateinisch mit deutschen Passagen; Titel wohl satirisch; handschriftlicher Spieltext laut Valentin in Köln, Stadtarchiv 1062, Nr. 14); 1759 Innsbruck: Mundus ludens in tarockorum lusu adumbratus (Valentin, Nr. 6853).
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(Leipzig 1535) z. B. zeigt Luther beim Handschlag mit dem Teufel. Der protestantische Autor unserer Flugschrift dreht den Spieß einmal um und spielt den wahren Teufel gegen die katholischen Schein- bzw. Theaterteufel aus. Das Innsbrucker Stück von 1641 schließt an das Unterweltsmotiv an. Sein voller Titel lautet: Lutherus ex Orco in Theatrum productus sive actio scenica in qua vita et mors capitalis nostrorum temporum haeresiarchae Martini Lutheri publice spectanda (Luther von der Hölle aufs Theater gebracht, oder Drama, in dem Leben und Tod des Erzketzers unserer Zeit, Martin Luther, öffentlich zur Schau gestellt wird). Es ist eine Art Anti-Vita, die allegorisch beginnt, dann einige Stationen aus dem Leben Luthers und der Reformatoren auf die Bühne bringt und am Ende in den gymnasialen Aufführungskontext übergeht. Im Prolog wird Haeresis gemeldet, dass in Luzifers Vogelhaus ein Hahn ein neues Ei gelegt habe. Dieses wird mithilfe von Ignorantia, Gula, Temulentia und Luxuria ausgebrütet. In Akt 1 schlüpft dann Luther aus dem Ei. Eck prophezeit Böses. Die Genii tutelares Deutschlands gehen ins Exil. An ihre Stelle treten Error, Furor, Ira, Discordia, Bellum. Ein Chor beweint Deutschland. Akt 2 zeigt Luthers Wirken in Wittenberg. Er will den Ruhm der Reformation für sich beanspruchen und streitet mit anderen Reformatoren (u. a. Karlstadt und Müntzer). Am Ende steht ein Chor der Lutheraner. In Akt 3 kämpft Luther mit dem Teufel in sich und versucht vergeblich, ihn auszutreiben. Ein Chor der Teufel singt. In Akt 4 wird Luther nach Worms zitiert. Der lutheranische Astrologe Michael Stifel verkündet den Bauern den Weltuntergang und treibt sie so in die Besitzlosigkeit.15 Im aktschließenden Chor klagen (in Abwandlung von Matthaeus 25) die fünf weisen Jungfrauen bei ihrem Bräutigam Jesus über den Erfolg der fünf dummen Jungfrauen. Im 5. und letzten Akt schließlich tut Luther seine Gewissensbisse leichtfertig ab, stirbt und wird von Engeln in den »lutherischen Himmel« (Lutheranum caelum, wohl ein Euphemismus für die Hölle) getragen, »vor welchem uns alle rechtglaubige Gott behüten wölle«. In einem Epilog verspricht Christus der katholischen Kirche Schutz. Die klugen Jungfrauen kommen zu ihrem Bräutigam und teilen den Schülern Öl aus. Das »Öl« steht hier metaphorisch für Preise. Am Ende wird also, nicht untypisch für Jesuitendramen, die theatralische Illusion durchbrochen und zur realen Institution der praemiorum distributio übergeleitet, der mit der jährlichen Abschlussaufführung verbundenen Verleihung von Preisen (üblicherweise Buchpreisen) an die besten Schüler. Das ›Öl der Weisheit‹, das sie nach diesem mit beträchtlichem Aufwand und knapp 70 ausgewiesenen Rollen inszenierten Stück überreicht bekamen, war ein dezidiert antilutheranisches. Luther selbst wird als Kriegstreiber, Bauernfänger, als ein vom Teufel Besessener und zur Hölle Verdammter dargestellt. Auch das auf 15 Die Geschichte von Stifels Irreführung der Bauern durch die Prophezeiung des nahen Weltuntergangs ist grundsätzlich historisch, siehe auch sein Werk Vom End der Welt (1532).
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Luthers problematische Rolle im Bauernkrieg zurückgehende, hier über Luthers Anhänger Michael Stifel realisierte Bauernfängermotiv ist im Übrigen ein alter Topos antilutheranischer Propaganda. Man vergleiche z. B. Johannes Nas’ Flugschrift Da stehet ein armer verderbter Bauersmann [Ingolstadt 1570], in der ein Bauer Luther in einer Disputation besiegt und ihn am Ende als »Teufelssohn« bezeichnet: »Drumb heb dich weck vnd back dich fer / Du loser Münch Sun Lucifer.« Beim Teufel endet Luther auch im Innsbrucker Stück von 1759, das in dramaturgischer und überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht einen außergewöhnlichen Fall darstellt. Wie öfter im 18. Jahrhundert handelt es sich hier um das Spiel einer einzelnen Klasse (der Syntax minor) des Jesuitengymnasiums. Der vergleichsweise familiäre Rahmen solcher ›kleiner‹ Aufführungen inspirierte die Autoren gern zu besonderen und experimentellen Dramaturgien, was auch für unseren Fall zutrifft. Die Grundidee des in drei Teile (Partes) gegliederten allegorischen Stücks ist im Titel benannt: Mundus ludens in tarockorum lusu adumbratus (Die spielende Welt im Tarockspiel entworfen). Die Hinfälligkeit der irdischen Welt wird mit Figuren aus dem damals in ganz Europa populären Tarockspiel dargestellt.16 Darüber hinaus gibt die sehr rudimentäre Perioche nur die Rahmensituation der drei Teile an, in der drei Tarock-Figuren auftreten: Bateleur (Tarock 1: auch Gaukler oder Sküs, im Stück lat. Schisius genannt); Mat (Tarock 0: auch Narr oder Pagat, lat. Pagatius); und Monde (Tarock 21, Welt, lat. Mundus). Gaukler und Narr spielen unter der Aufsicht der Welt eine Partie Tarock – die Allegorie beschwört hier offensichtlich den Topos von der Welt als trügerischem und närrischem Spiel. Offenbar treten in den einzelnen Teilen dann als Inhalt des Kartenspiels bzw. als Spiel im Spiel weitere Tarockfiguren auf, die die getäuschten / enttäuschten Begehrlichkeiten (delusas hominum cupiditates, wie es im argumentum heißt) der Menschen inszenieren. Jedenfalls werden im Verzeichnis der Personae agentes die Figuren aller 22 Tarockkarten als Rollen ausgewiesen. Der genaue Inhalt des Spiels im Spiel bleibt aber unklar. Die Perioche sagt zu den einzelnen Teilen lediglich, dass Gaukler und Narr unter Aufsicht der Welt in Teil 1 die Karten mischen (folia miscent), dass sie in Teil 2 die Figuren ausspielen / betrügen (cunctos ludunt) und dass sie in Teil 3 von der Welt hineingelegt und selbst ausgespielt / betrogen werden (Mundo judicante ipsi luduntur). Das ganze soll den moralischen Satz illustrieren, mit dem das argumentum beginnt: Mundus hic Theatrum magnum est, in quo mortales mira invicem ludunt vicissitudine, pauci tamen agnoscunt, se ipsos ludi, non raro etiam perdi (»Diese Welt ist ein großes Theater, in dem die Menschen sich gegenseitig
16 Zum Verständnis der Perioche im Kontext des zeitgenössischen Tarock-Blatts und Regelwerks siehe Feil (2013).
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in wunderlichem Wechsel betrügen, wenige aber erkennen, das sie selbst betrogen und nicht selten sogar zugrunde gerichtet werden«). Mit Luther hat das an sich noch nichts zu tun. Hier kommt aber die erwähnte überlieferungsgeschichtliche Besonderheit ins Spiel: In dem im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum erhaltenen Exemplar der Perioche17 ist ein mit Vita Lutheri in Taroccis betiteltes handschriftliches Blatt eingebunden. Es stellt die Vita Luthers satirisch als eine Abfolge von Tarockfiguren dar, denen jeweils auch die übliche Nummerierung der Tarockfiguren gegeben wird: Martin Luther (1: Gaukler), wird ein Mönch (9), verliebt sich (6: Liebhaber), springt aus dem Kloster (16), gehet flüchtig (0: Narr), nimmt ein Weib (2), Kayser (4), König (3), Kührfürst (7), Sonn (19), Mond (18), Stern (17), Himmel (5), und Erde (21) verwundern sich; wird citiert für Gericht (20), die Gerechtigkeit (8) verdammt ihn vom Leben (11) zum Todt (13), zum Galgen (12), zum Rad (10). Der Engel (14) mag ihn nicht, der Teufel (15) hohlet ihn.
Die Beziehung dieser handschriftlichen Luther Vita zur gedruckten Perioche bleibt unklar. Feil (2013) geht von keinem Theaterkontext der Vita Lutheri aus, kann dann aber auch nicht schlüssig erklären, warum das Blatt in der Perioche gelandet ist. Außerdem berücksichtig er nicht, dass es eine größere Tradition bühnenartiger Luther-Inszenierungen gab, deren Grundidee auf Spielen der Volkskultur beruhte.18 In der Flugschrift Kegelspiel (1522) z. B. treten Luther, Hutten, Erasmus, Melanchthon und Zwingli zum Kegeln an, was auf dem damals geläufigen eidgenössischen Volkssport des Wasenkegelns beruht. Die Lutherische Strebkatz (1524) zeigt Luther bei einer Art Tauziehen mit seinen Gegnern – »Strebkatz« nannte man ein Seil, an dessen mit Stäben versehenen Enden sich die beiden Spielpartner mit den Zähnen festhielten. Das Bockspiel Martini Luthers (1531) macht ähnlich wie unser Tarockspiel das Deck eines Kartenspiels (»Bocken«) zum allegorischen Rahmen von Auftritten Luthers, seiner Kontrahenten und Vertretern der von der Reformation betroffenen Stände. Letztlich muss zwar offen bleiben, ob die Innsbrucker Vita Lutheri ein undramatischer literarischer Einfall, ein selbständiges Lesedrama oder eine Ergänzung der Aufführung des Mundus ludens war. Die Einbindung in die Perioche zur Aufführung des Mundus ludens scheint mir aber am ehesten Letzteres nahezulegen. Allemal beweist unserer Tarock-Vita die andauernde Relevanz Luthers in der jesuitischen Polemik auch des 18. Jahrhunderts, wohl aber auch eine Abmilderung des Tons nach dem Erfolg der Gegenreformation. Luther wird zwar grundsätzlich wieder als Lüstling und Teufelsgestalt inszeniert, hier aber – wenn der Kontext des Mundus ludens 17 Signatur Dip. 451/5/7, wahrscheinlich ein eng mit der Aufführung in Verbindung stehendes Exemplar, da die jesuitischen Spieltexte und Periochen des Ferdinandeums oft direkt von der Innsbrucker Gesellschaft Jesu stammen. 18 Siehe dazu Mecklenburg (2016), 29–33.
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relevant ist – zum Exempel einer allgemeinen vanitas der Welt und ihres alle ausspielenden Spiels gemacht.
2.3.
Gelebtes Luthertum statt Luther? Deheroisierung Luthers in Nikodemus Frischlins Phasma (1580)
In den bisherigen Beispielen erschien Luther jeweils klar als Held oder als Antiheld, je nach konfessionellem Milieu wurde er entweder heroisiert oder dämonisiert. Nicht ganz so klar ist das – zumindest in einigen neueren Interpretationen19 – im Drama Phasma des protestantischen Tübinger Professors Nikodemus Frischlin (1547–1590). Das Stück wurde 1580 in Tübingen aufgeführt, postum 1592 erstmals publiziert und erlebte dann bis 1671 zahlreiche Auflagen sowie Übersetzungen ins Deutsche und Italienische. Der Titel (»Gespenst«, »Erscheinung«) vergleicht die in Deutschland herrschende konfessionelle Verwirrung mit dem Wirken eines üblen Phantoms. Es behandelt die Konfessionalisierung Deutschlands von den 1520ern bis zur dritten Periode des Konzils von Trient 1562/63. Luther ist dabei weder Mittelpunkt (wie bei Hirtzwig) noch Fluchtpunkt (wie bei Naogeorg) des Geschehens. Er tritt ›nur‹ in den drei mittleren von fünf Akten auf, und zwar in fünf der insgesamt achtzehn Szenen. Weder gelingt ihm alles noch ist er der große Sympathieträger – tatsächlich gilt Frischlins Sympathie am ehesten dem ›einfachen Mann‹ (der damals in der Regel noch ein einfacher Bauer war), der mit den spitzfindigen konfessionellen Disputen überfordert ist. So könnte man zumindest die ersten vier Akte als Problematisierung der Konfessionalisierung generell und damit auch Luthers verstehen. Der 1. Akt zeigt die Verwirrung der Bauern angesichts des konfessionellen Chaos. In Akt 2 versucht Luther erfolglos, einen Bauern vom Überlaufen zu den Täufern abzuhalten. Akt 3 bringt das Marburger Religionsgespräch auf die Bühne, wobei sich beide Seiten durch aggressiven Streit auszeichnen. In Akt 4 berichtet Brenz Luther vom Beginn des Tridentinums, nachdem sich Luther bitter über die Illoyalität Zwinglis ausgelassen hat. Luther wird insgesamt eher streitend und verbittert denn als Lichtgestalt präsentiert. Trotzdem nimmt das Stück klar und sogar drastisch Position für das Luthertum, was im phantastischeschatologischen 5. Akt offenkundig wird: Es kommt zum Jüngsten Gericht. Christus kündigt dem Papst, den Katholiken und allen nicht-lutherischen Konfessionen die Verurteilung zur Hölle an. Luther und Brenz sollen auf Christus warten, um zum Vater geführt zu werden. Zur pro-lutherischen Tendenz passt der Aufführungsanlass zum 50-Jahr-Jubiläum der Confessio Augustana und die ungebrochen orthodox-lutherische 19 Siehe z. B. Kaminski (2008) mit weiterer Literatur.
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Rezeption bis ins 20. Jahrhundert. Im Text findet man eine klar lutherischpropagandistische Ausrichtung aber nicht durchgehend: Sie ist auf den grotesken und aufgesetzt wirkenden 5. Akt und einige Passagen in deutscher Sprache beschränkt (die argumenta, eine Szene im 5. Akt, zwei schließende Chöre und ein Epilog) – man könnte sagen, auf einige leicht zugängliche, offensichtliche Teile. Der lateinische Text in den Akten 1–4 mit seiner Sympathie für die einfachen Bauern, den vielen Streitereien zwischen den Kontrahenten und ihren oft sophistischen Argumentationen kann man dagegen als Dekonstruktion jeglicher konfessionellen Zuspitzung, selbst der lutherischen, empfinden.In diesem Sinn ist Frischlins ›Held‹ auch nicht Luther, sondern die einfache Bauernschaft, verkörpert u. a. im Bauern Corydon, der ein grundständiges, frommes und evangelisches Christentum jenseits theologischer Dispute vertritt (IV,2, Vers 1582– 1587 und 1630–1632): Co(rydon). Nihil ad me istae controversiae, / Nam patres mei docuerunt me, Patrem, / Qui in caelis est, invocare: et credere in Deum / Patrem, qui me creavit: Filium, qui me morte sua / A peccatis meis redemit: et spiritum sanctum, qui me / Sanctificat, et verbo suo recte illuminat. […] In his / Terris nullos ego novi sanctissimos, nullos conscientiae / Meae dominos, nullos in negotio fidei patres. [Co(rydon): Diese Streitigkeiten gehen mich nichts an, denn meine Vorfahren lehrten mich, den Vater im Himmel anzurufen und an Gottvater zu glaube, der mich geschaffen hat, an den Sohn, der mich mit seinem Tod von meinen Sünden erlöst hat, und an den Heiligen Geist, der mich heiligt und mit seinem Licht recht erleuchtet. […] Ich kenne auf dieser Erde keine allerheiligsten Herren meines Gewissens, keine Väter in Sachen des Glaubens.]
Diese Haltung, die Frischlin zu unterstützen scheint, entspricht wohl einem gelebten Luthertum, hat mit dem auf der Bühne gezeigten und problematisierten Kontroverstheologen Luther aber nicht viel zu tun.
3.
Fazit
Das lateinische Drama der Frühen Neuzeit nimmt sich der Person Luthers an, um auf besonders direkte Weise in aktuelle konfessionelle Dispute einzugreifen und Stellung zu beziehen. Wie für das Medium Theater nicht überraschend, geschieht dies insgesamt weniger durch eine elaborierte Ausbreitung theologischer Argumente (obwohl der Grad solcher Argumentationen in den Luther-Dramen vergleichsweise hoch ist), sondern eher durch eine Zuspitzung auf das Individuum Luther und – je nach Standpunkt – seine heroische Bewährung oder sein dämonisches Treiben. Als Held bzw. Antiheld polarisiert Luther und spaltet sein ›Publikum‹ in Verehrer und Verdammer. Einzig Frischlings Phasma mag unter
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der lutherisch-propagandistischen Oberfläche eine gewisse Ausnahme sein, die ich als deheroisierenden Ansatz beschrieben habe. Wie einleitend bemerkt, hätte es lateinische Dramen wie die hier behandelten ohne einen gewissen Rückgriff auf antike Muster und einen damit verbunden ›Klassizismus‹ nicht gegeben. Gleichzeitig provoziert gerade die hohe zeitgenössische Aktualität der Luther-Dramen auch zahlreiche unklassische Elemente, die zu hybriden Formen führen. Abgesehen vom offensichtlich modernen Stoff und dem Anliegen könnte man hier z. B. die auf der Hagiographie basierende Dramatisierung einer Vita wie bei Hirtzwig nennen, die Kreuzung von Elementen aus der Römischen Komödie und der Satire wie bei Hasenberg und Lemnius, die 4-Akt-Strukturen wie bei Naogeorg und Hasenberg, komplett neue Dramaturgien wie das Kartenspiel im Mundus ludens, neue Figuren wie der ZuschauerErzähler-Kommentator bei Hirtzwig, die volkssprachlichen Einsprengsel wie bei Hirtzwig und Frischlin, die Prosaform bei Hasenberg oder das elegische Distichon bei Lemnius. Diese inhaltliche und formale Flexibilität sicherte den Luther-Dramen kontinuierliches Interesse und Relevanz. Für mich sind sie damit auch ein schönes Beispiel dafür, wie das neulateinische Drama – gerade wegen seiner Kreativität und Hybridität – gesellschaftlich relevanter als der Großteil des (überlieferten) antiken Dramas sein konnte. Das ist eine These, die ich hier am Ende gegen klischeehafte Vorstellungen von der neulateinischen Literatur als rückwärtsgewandt und wenig innovativ etwas provokant in den Raum stelle, ohne sie im Detail zu beweisen. Einzig die am besten durch Aristophanes repräsentierte griechische Alte Komödie mit ihrer direkten und bissigen Behandlung zeitgenössischer athenischer Themen scheint mir in puncto Aktualität und unverhüllter Relevanz vergleichbar zu sein (direkter Aristophanes-Einfluss ist dabei aber nur bei Frischlin wahrscheinlich, der u. a. auch als Aristophanes-Übersetzer hervorgetreten ist). Weit von der gängigen Vorstellung von einer ›toten‹ Sprache und kanonisch fixierten Themen und Formen entfernt, sind die die LutherDramen ein Beispiel für die anpassungsfähige Vitalität der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit.
4.
Bibliographie
Bloemendal, J. / Norland, H. B. (Hgg.): Neo-Latin Drama. Contexts, Contents and Currents, Leiden 2013. Bolay, A.-C. / Schlüter, A. (Hgg.): Faszinosum Antiheld (= helden. heroes. héros. EJournal zu Kulturen des Heroischen 3.1 [2015], DOI 10.6094/helden.heroes.heros/2015/ 01).
Luther als Held und Antiheld im neulateinischen Drama
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Bernd Roling (Berlin)
Mittelalterpolemik und Lutherjahr
I.
Einleitung
Gibt es einen spezifisch protestantischen Blick auf das Mittelalter? Wer sich die vielen Jubelfeiern der Vergangenheit, die Luther als Überwinder der Epoche des Mittelalters gefeiert hatten, ins Gedächtnis ruft, muß zu dieser Auffassung gelangen. Noch für das 19. Jahrhundert war Luther nicht der Student aus Erfurt gewesen, der Reformanliegen artikuliert hatte, die schon die Laienbewegungen des Spätmittelalters umgetrieben hatten, sondern vor allem die Gestalt, die das Mittelalter gleichsam im Alleingang beendet hatte, unterstützt allenfalls noch vom nur zufällig katholischen Christopher Columbus. Luther war es, mit dem die weihrauchgeschwängerte Zeit der Mönche und der korrupten Papstkirche zu Ende gegangen war; Luther war es auch gewesen, durch dessen Unbeugsamkeit ein auf Äußerlichkeiten und leere Riten bedachtes Zeitalter endlich von einer Epoche des wahren, innerlichen Glaubens abgelöst wurde, eben die Neuzeit. Uns erscheint dieser Blick heute von Stereotypen geprägt; er vergißt, wie sehr gerade die lutherische Kirche in ihrer Dogmatik von den großen Summen des Mittelalters profitiert hatte, wie sehr, um nur ein Beispiel zu nennen, noch die ›Confessio augustana‹ Melanchthons als Versöhnungsangebot an eben diese katholische Kirche gerichtet war. Das Verdikt, das über das Mittelalter als dunkle Epoche ausgesprochen wurde, ist jedoch nicht allein Produkt des wilhelminischen Kulturkampfes oder Historikern wie Jules Michelet zu verdanken. Es verdankt sich nicht allein der Vergegenwärtigungsrhetorik der Moderne, sondern war zuvorderst schon ein Phänomen der Frühen Neuzeit selbst. Wie sich Mittelalterstereotypen in der protestantischen Polemik, aber vor allem auch in der scheinbar wissenschaftlichen Theologie- und Literaturgeschichtsschreibung der frühen Neuzeit herausbilden konnten, wie sie instrumentalisiert und popularisiert wurden, soll hier im Folgenden an zwei Beispielen gezeigt werden. Beide Exempel sind dem frühneuzeitlichen Universitätssystem entnommen, das zumindest in Mittel- und Ostdeutschland entscheidend vom Luthertum geprägt war. Die Rede ist zunächst vom allfälligen Vorwurf der De-
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kadenz, der fortschreitenden Degeneration, die, wie man glaubte, das mittelalterliche Geistesleben seit dem Frühmittelalter ausgezeichnet hatte. War die Philosophie und Theologie des Mittelalters eine gewaltige Verfallsgeschichte, die erst von Luther beendet worden war? Wann war dieser Vorwurf aufgekommen und welche Reichweite hatte er in der Philosophie- und Theologiegeschichtsschreibung der Frühen Neuzeit? Der zweite Topos reichte noch weiter. Das Mittelalter war barbarisch, sein Latein war, wie man glaubte, von geringer Qualität, seine Kultur daher minderwertig und dem Humanismus von Anfang an unterlegen. Erst die Reformation hatte diesen Zustand überwunden. Beide Schematisierungen, intellektuelle Degeneneration und sprachliche Barbarei, bilden nur einen Ausschnitt des Mittelalterbildes, wie es dem 17. und 18. Jahrhundert vorlag, doch waren sie Vorbedingungen, die das Selbstverständnis des Protestantismus mitbegründen konnten. Am Ende soll eine Figur vorgestellt werden, die es im 17. Jahrhundert auf sich genommen hatte, diese Klischees zu widerlegen. Es handelt sich nicht zufällig um den Begründer der mittellateinischen Philologie, um den heute fast vergessenen Polycarp Leyser IV.
II.
Das Mittelalter als Verfallsgeschichte
Wir finden die wirkungsreichste und für die Genese von Vorurteilen vielleicht verhängnisvollste Epochisierung der Scholastik bei einem Schweizer Humanisten,1 dem Genfer Lambert Daneau, der selbst im Jahre 1580 noch einmal die Sentenzen des Petrus Lombardus kommentiert und damit an eine vierhundertjährige Tradition anschließt.2 In seinem langen Prolog, der fast ein Drittel des Werkes einnimmt, nähert sich Daneau dem Phänomen der Scholastik, damit aber der mittelalterlichen Theologie als ganzer.3 Die große Epochengrenze, damit aber auch die Wegscheide zwischen Mittelalter, oder besser Vergangenheit, und Neuzeit, war das Erscheinen Martin Luthers; die Zeit davor eine Epoche des Papismus und der Barbarei, die mit dem Jahre 1517 zum Segen des Christentums ihr Ende gefunden hatte. Licht und Schatten, Bildung und Barbarei, die Erneuerung des Glaubens und seine Dekadenz mußten entlang dieser Wegmarke verteilt werden. Daneau unterscheidet sich kaum von seinen protestantisch1 Die Ausführungen des ersten Abschnitts folgen in verkürzter und aktualisierter Form in weiten Teilen Roling (2015a), 275–297. 2 Zu Daneaus Auseinandersetzung mit dem Mittelalter Fatio (1976), 116–130, und Zahnd (2016), 263–282. Allgemein zur Gestalt Lambert Daneaus darüber hinaus z. B. Strohm (1996), passim, dort kurz zum Umgang mit mittelalterlichen Traditionen, 490–493, 521–524, oder kurz Strohm (2005), hier 141–149. Zum Leben Daneaus ist noch immer maßgebend Félice (1882), dort bes. 1–23. 3 Daneau (1580), dort ohne Seitenzählung die Prolegomena fol.*jr–fol.****iiijr.
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humanistischen Zeitgenossen, doch blickt er genauer auf das vorangegangene Mittelalter und versucht auch dessen Historie in seine Argumentation miteinzubeziehen. Das Mittelalter war, wie Daneau zu wissen meint, eine lange Geschichte der Degeneration, deren Merkmale eine zunehmende Verwilderung des Glaubens, eine Emanzipation der Philosophie auf Kosten der Theologie und eine fortschreitende Vernachlässigung des Bibelstudiums waren. Es war ein Prozeß, der mit fortschreitender Reichweite das ganze Mittelalter durchdringen mußte.4 Folge dieser Festschreibung bei Daneau war ein erstaunlich klar gegliedertes Epochenschema, dessen Echo in der protestantischen Geschichtsschreibung des Mittelalters sich kaum überschätzen läßt. Der entscheidende Schritt zur Scholastik, damit aber zur Erscheinung, die im Zentrum der ganzen Epoche stehen mußte, ließ sich für Daneau genau bestimmen. Es war die Zeit um 1020. Die Epochenschwelle verband sich mit zwei Phänomenen, mit dem Sakramentenstreit und der Gestalt des Lanfranc, und mit der Genese des kanonischen Rechtes.5 Die Kontroverse um die Reichweite des Sakramentes in der Mitte des elften Jahrhunderts wurde, wie Daneau glaubte, zum Ausgangspunkt jenes Desasters, das sich mit der Scholastik und ihrer Depravation des Glaubens verbinden mußte. Sie etablierte die scholastische Methode und das Prinzip der dialektischen Abwägung von Auffassungen; zugleich wurde diese Methode, die teils syllogistische, teils diskursive Aufarbeitung von Fragestellungen – Lambert Daneau differenziert hier kaum – auf Glaubensinhalte angewendet. Sie formte das Instrument einer Dogmatik, die sich von der wahren Orthodoxie distanzierte und im Fall des Sakramentenstreites zuvorderst die Lehren Augustins pervertieren und der Philosophie ausliefern mußte.6 Es begann, wie Daneau festhält, die verhängnisvolle Karriere der Transsubstantiationslehre, ein Skandalon des Protestantismus. Die vorangegangenen Theologen, Isidor, Tajo von Saragossa, Beda Venerabilis und auch die ganze Generation eines Alkuin und seiner karolingischen Zeitgenossen hatten noch am Wort Gottes festgehalten.7 Das kanonische Recht, Figuren wie Gratian, Ivo von Chartres oder Burchard von Worms antworteten auf die in der Mitte des 11. Jahrhunderts entstehende Glossatorenschule von Bologna um Irnerius von Bologna, deren Existenz Daneau der Chronik Caspar Peucers entnimmt.8 Ergebnis ihrer Arbeit war die juristische 4 Daneau (1580), Prolegomena, c. 1, fol.*ijrf. 5 Lanfrancs wichtigste Schrift war im Gefolge der reformatorischen Streitigkeiten gedruckt worden, dazu Lanfranc (1540), in einem Band mit den Schriften des Paschasius Radbertus. 6 Zur Dialektik der Karolingerzeit unter vielen noch immer z. B. Marenbon (1981), passim. Grundlegend zum Sakramentenstreit im achten und neunten Jahrhundert ist noch immer Geiselmann (1926), und ergänzend z. B. Holopainen (1997), 44–118. 7 Daneau (1580), Prolegomena, c. 1, fol.*iijr–fol.*iiijv. 8 Allgemein zur Bedeutung des Irnerius von Bologna z. B. Padovani (2021), 25–40, oder Ascheri (2013), 9–28.
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Selbstermächtigung der Kirche gewesen, die sich auf diese Weise vor den Kaiser, also die gottgewollte protestantische Obrigkeit, gedrängt hatte. Alle späteren Konfrontationen, die in der Zweischwerterlehre und dem Streit zwischen Papst Gregor und Kaiser Heinrich ihren Gipfel fanden, waren hier grundgelegt worden.9 An diesen deutlich faßbaren Anfang der ›Scholastik‹, deren klischeehafte Definition Daneau auf diese Weise selbst besorgt, koppeln sich für den Schweizer Calvinisten drei Phasen der mittelalterlichen Philosophie. Ihre erste nimmt etwa zweihundert Jahre in Anspruch und dauert von 1020 bis 1220. Ihre maßgebenden Figuren sind neben Lanfranc Petrus Lombardus, der berühmte Verfasser der Sentenzen, und Petrus Comestor, aber auch Wilhelm von Auxerre, Rupert von Deutz, Hugo von Sankt Viktor, Vinzenz von Beauvais oder Alexander von Hales. Noch stehen in dieser Phase, wie Daneau betont, die Väter gleichberechtigt neben Aristoteles; gleichzeitig beginnt die Philosophie, sich mit Hilfe der dialektischen Methode der Theologie zu bemächtigen. Es war kein Zufall, so Daneau, daß ein Autor wie Bernhard von Clairvaux, der den Dialektikern vorgeworfen hatte, ein neues Evangelium zu predigen, selbst bei Petrus Lombardus keine Erwähnung finden konnte. Diesen ersten Scholastikern gegenüber fand sich als Widerpart, so Daneau, ein gerechter Mann wie Petrus Valdes aus Lyon, Gründer der Waldenser, ein gottgesandter Verkünder der Wahrheit, der das Wort Gottes auch in der französischen Volksprache predigen wollte10 Die zweite Phase reicht für Daneau von 1220 bis 1330, von Albertus Magnus bis zu Durandus von San Porciano, dem Daneau eine Schlüsselrolle einräumt. Stand Aristoteles vorher nur an der Schwelle zur Theologie, okkupiert er sie nun zur Gänze, sein Werk beginnt die Auseinandersetzung mit der Dogmatik zu dominieren. Die sich anschließenden Dekaden waren wie die Stadien einer Verfallserzählung zu begreifen. Die noch bei Albert zu beobachtende Fülle naturkundlicher Realien, die der Kölner aus dem Leben gegriffen hatte, verengte sich zu dürren und zugleich schwer durchschaubaren Formulierungen, die in Quaestionen und Distinktionen gebündelt wurden und schon das Werk des Aquinaten ausgezeichnet hatten. Es folgten Richard von Middleton, Johannes Duns Scotus, Aegidius und Bonaventura, die die Theoretisierung der Theologie noch weiter vorantrieben. In der dritten Periode, die von Durandus bis zu Reformation reichte, hatte Aristoteles die Offenbarung vollends verdrängt. Johannes Capreolus, Gabriel Biel oder Pierre d’Ailly, drei Namen, die Daneau nennt, und mit ihnen die anderen Vertreter der scholastischen Philosophie, eine namenlose Armee der intellektuellen Verheerung, treiben die Distinktionswut auf die Spitze, oktroyieren der Theologie ein Korsett philosophischer Spekulation und sorgen 9 Daneau (1580), c. 1, fol.*iiijv–fol.*iiij3v, dazu Peucer (1562), Liber IV, fol. 211r–212v. 10 Daneau (1580), c. 2, fol.*iiij4r –fol.**jv.
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zum Ende für ihren Zusammenbruch, um schließlich Luther als ihren Erlöser in Erscheinung treten zu lassen. Die ganze Geistesgeschichte des Mittelalters war als Dekadenzgeschichte zu lesen, eine fortschreitende Verstrickung, die erst durch die Explosion, die der Mann aus Wittenberg herbeigeführt hatte, beendet wurde.11 Daneaus systematischer Zugriff, sein Modell einer Dreiteilung des Mittelalters, das sich an der zunehmenden Vorherrschaft des Aristoteles und dem Erfolg der dialektischen Methode maß, war eher von Vorurteilen geprägt als von Wissen. Es galt, Geistesgeschichte als Vorgeschichte der Reformation zu schildern, in entsprechend dunklen Farben. Daneaus Kenntnisse in der Philosophie des Spätmittelalters waren dürftig und orientierten sich, wenn überhaupt, am Material, das ein Apologet wie Flacius Illyricus einige Jahre vorher zusammengestellt hatte und das über die Magdeburger Centurien verbreitet worden war.12 Es brauchte nur wenige Jahrzehnte, bis neue protestantische Philosophiehistoriker in Erscheinung traten, die das noch dürre Gerüst Daneaus mit weiteren Realien füllen konnten. Bemerkenswert sind dabei zwei Begleiterscheinungen. Zum einen wurde das Dreierschema, das Daneau entworfen hatte, beibehalten, das auch weiterhin einer Verfallsgeschichte als Rahmen dienen mußte. Zum zweiten blieb der Blick auf das Mittelalter, trotz fortschreitender Sachkenntnisse der Verfasser, stark konfessionell geprägt, bewahrte damit aber auch den entsprechenden polemischen Tonfall; im Miteinander der Bekenntnisse war in der Chiffre der Scholastik ein Kampfbegriff gefunden worden, der vor allem den mitteldeutschen Lutheranern zur Selbstvergewisserung diente. Traktate, die die Scholastik als Phänomen des Mittelalters klassifizierten und zugleich als Degeneration der Theologie abqualifizierten, waren seit dem beginnenden 17. Jahrhundert an verschiedenen protestantischen Universitäten geschrieben worden. Genannt werden sollte nur Christoph Binders Arbeit ›Scholastica theologia‹ aus dem Jahre 1614, im Wesentlichen als Kampfschrift angelegt,13 oder die vom Jenenser Professor Johann Himmelius verantwortete gleichlautende Abhandlung aus dem Jahre 1632, die sich auch dem kanonischen Recht als dem zweiten Symptom des Mittelalters gewidmet hatte und vor allem der Jesuitenkritik verpflichtet ist.14 Im Jahre 1655 erscheint der ›De doctoribus scholasticis liber singularis‹ des Kieler Theologen Adam Tribbechow, die viel11 Ebd., Prolegomena, c. 2, fol.**iijr–fol.**iiijr. 12 Zur Aufarbeitung der mittellateinischen Dichtung allgemein und Satire im Besonderen bei Matthias Flacius Illyricus Haye (1992), 31–47, oder Orth (2008), 95–128, Grundlegend zu den ›Magdeburger Zenturien‹, dem begleitenden Geschichtswerk, ist Bollbuck (2014), dort zum Dekadenzmodell im Besonderen 370–383, zu Matthias Flacius Illyricus und seinem Echo als Historiker außerdem Pohlig (2007), 301–338. 13 Binder (1614), dort bes. c. 5–6, 56–126. 14 Himmelius (1632), dort Sectio III, 669–757, das Gliederungsschema aus Daneau dort 702–712.
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leicht erste wirkliche Geschichte der scholastischen Philosophie, die doch im Wesen ein Pamphlet war.15 Den Begriff der Scholastik hat auch Tribbechow für Dekaden mit all seinen Klischees entscheidend mitgeprägt, ja man kann sagen, wenn ein lutherischer Protestant im 17. Jahrhundert von Scholastik sprach, hatte er im Wesentlichen die Lesart des Mannes und seine Werturteile aus Kiel vor Augen.16 Die mittelalterliche Philosophie, die sich für Tribbechow in der Scholastik erschöpft, zeichnete sich, wie Tribbechow betont, durch eine kontinuierliche Mehrung der Termini aus, durch Sprachpanscherei, eine destruktive Disputationsstrategie und eine fehlgeleitete Glorifizierung des Stagiriten. Sie vermengte, wie auch Tribbechows Gewährsleute Agrippa von Nettesheim, Johannes Aventinus oder Francis Bacon unterstrichen hatten,17 die sapientia rationalis und die sapientia revelata, und hatte dabei letztere auf dem Altar der Dialektik geopfert.18 Auch die Ursachen dieser verhängnisvollen Verquickung kann der Kieler Professor benennen, zum ersten die Kurie, die sich ein Übermaß an weltlicher Macht angemaßt hatte, gleichzeitig aber mit dem beginnenden Mittelalter, präsent vor allem in der Gestalt Gregors des Großen, die Wahrheiten des Glaubens und die Dogmatik mit Bilderverehrung, Ablaßhandel, abseitigen Lehren wie dem Fegefeuer und einer allgemeinen kulturellen Verwahrlosung pervertiert hatte.19 Das Mönchtum, frei von wahrer Bildung und zugleich unfähig, gutes Latein zu schreiben, war, wie Tribbechow mit den ›Antibarbari‹ des Erasmus im Rücken festhält, als zweite Ursache zum entscheidenden Machtfaktor der Kirche geworden und mußte die Genese der Scholastik schon aus Eigeninteresse weiter vorantreiben.20 Tribbechow macht hier reichen Gebrauch von mittelalterlicher Mönchskritik und kann auch Honorius Augustodunensis und Bernhard von Clairvaux mit ihrem Argwohn gegenüber philosophierenden Mönchen zu Wort kommen lassen.21 Die Mönche waren, wie schon Waltramus in seiner ›Apologia de unitate ecclesiae‹ festgestellt hatte, einer der Hauptursachen der fortschreitenden Parzellierung der Kirche gewesen.22 Als dritter Faktor kam, wie Tribbechow glaubte, die arabische Philosophie hinzu, die in ihrem naiven und 15 Tribbechow (1655). Einen anderen Aspekt der mittelalterlichen Philosophie behandelt Tribbechow z. B. in Tribbechow – Heider (1667), c. 3, fol. B3r–C2v. 16 Eine allgemeine Einschätzung des Werkes geben Garin (1972), 195–205, und Santinello / Micheli (1993), hier 398–409. 17 Als Autoritäten einer allgemeinen Kritik an Dialektik und Sophistik für Tribbechow Agrippa von Nettesheim (1531), c. 8, fol. c7r–dr, deutsch als Agrippa von Nettesheim (1993), c. 8, 43– 46, oder Juan Luis Vives (1636), Liber III, 165–232, deutsch als Juan Luis Vives (1990), Buch III, 328–411. 18 Tribbechow (1655), c. 2, 19–32. 19 Ebd., c. 3, 33–48. 20 Ebd. c. 3, 48–54, dazu Erasmus von Rotterdam (1969), dort zur Scholastikkritik bes. 79–82. 21 Honorius Augustodunensis (1895), hier Sp. 1220, B–C, Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica, Nr. 33, in: ders. (1957–98), Bd. 1, 233–245, hier § 5, 239–241. 22 In der zeitgenössischen Ausgabe Waltram von Nauheim (1624), dort z. B. 232f.
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unkritischen Aristotelismus von den westlichen Autoritäten unhinterfragt übernommen wurde und die Dominanz der Dialektik und des Aristoteles noch verstärken mußte.23 Die Triade aus Ordenswesen, Kurie und arabischer Überlieferung mußte die Scholastik zu einem Motor einer fortschreitenden Barbarisierung der Philosophie werden lassen, einer Barbarisierung, die nur Luther hatte beheben können. Die Konsequenzen liegen für Tribbechow, der sich weitaus mehr in die Materie eingearbeitet hatte als viele seiner Kollegen, auf der Hand: die wahre Theologie verstrickte sich in einem Netz von hypostasierten Begriffen, die keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit hatten, und verschwand; eine allgegenwärtige curiositas sorgte für das Infragestellen selbst der wichtigsten Glaubenswahrheiten und verdrängte die apostolischen Autoritäten. Alle Lehrinhalte wurden dem Sperrfeuer philosophischer Quaestionen und damit dem Ehrgeiz einer philosophierenden Elite unterworfen, die den Bezug zur wahren Theologie längst verloren hatte.24 Musterbeispiel einer bis ins Lächerliche ziselierten Debatte abseitiger Fragen war für Tribbechow, wie zu erwarten, die Transsubstantiationslehre. Tribbechow läßt sich, ganz dem Zeitgeist folgend, lange über die mangelhafte Latinität der mittelalterlichen Philosophen aus, die vor Neologismen strotzte, wie er glaubt,25 und die scheinbare Übermacht des Aristoteles, die nachgeradehin bis zur Kanonisation des Stagiriten geführt hatte, dazu behandelt er die zahlreichen Zersplitterungen, die zwischen Orden und Schulen entstanden waren, und die intellektuellen Irrwege, wie sie in seinen Augen die Debatten über die Freiheit und Gnadenlehre und das Erstarken der pelagianischen Häresie darstellten.26 Im Zentrum der ›Philosophiegeschichte‹ Tribbechows, so sie denn den Namen verdient, steht das dreistufige Raster, wie es Daneau entwickelt hatte. Mochte das Mittelalter auch mit Gregor, seiner Unkenntnis des Griechischen und der Etablierung der Benediktiner den Anfang genommen haben,27 die eigentliche Philosophiegeschichte begann, wie Tribbechow unterstreicht, mit Lanfranc in der Mitte des 11. Jahrhunderts. Natürlich hatte es schon vorher groteske Irrwege wie die philosophische Verteidigung der Bilderverehrung gegeben haben, mit ihm und Petrus Lombardus jedoch war die Dialektik aufgekommen, die, wie Tribbechow es formuliert, auch den Tritheista Petrus Abelardus dazu ermuntert hatte, zum ersten Stichwortgeber der philosophischen Konfusion zu werden.28 Das zweite Zeitalter nahm mit Albert dem Großen seinen Anfang, in dessen 23 Tribbechow (1655), c. 3, 55–59. Zum gleichen Thema auch Tribbechow – Tribbechow (1700), c. 7, 35–39. 24 Tribbechow (1655), c. 4, 60–90. 25 Ebd., c. 5, 95–109. 26 Ebd., c. 5, 103–109. 27 Ebd., c. 6, 114–142. 28 Ebd., c. 6, 142–149.
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Gefolge auch bis in die eigene Zeit spürbare Großscholastiker wie Thomas und Bonaventura standen. Schon Zeitgenossen wie Matthew Paris hatten, wie Tribbechow behauptet, für die Jahre einen Epochenwechsel konstatiert. Mönche übernahmen die Herrschaft in der Philosophie; Quaestionen, Distinktionen, Postillen etablierten sich als Darstellungsformen der philosophischen Debatte und überwucherten die Auseinandersetzung mit der Offenbarung.29 Das dritte Zeitalter, in dem die Barbarei kulminieren mußte, leitete die Gestalt des Durandus ein. Mit ihm explodierte die Distinktionswut, deren Akribie schon die Zeitgenossen, wie man an Kritikern wie Johannes Gerson sehen konnte, nicht mehr zu überschauen in der Lage waren. Daß erst die Reformatoren und zuvorderst Martin Luther diesem Spuk ein Ende bereitet hatten, hatte, so Tribbechow, selbst ein Benediktiner wie Paul Lang in seiner Chronik zugeben müssen.30 Fast siebzig Jahre später konnte Tribbechows Traktat völlig unverändert neugedruckt werden, nun mit einer Einleitung des aufgeklärten Göttinger Theologen Christoph August Heumann, der Tribbechow mit Nachdruck allen Philosophiehistorikern zur Lektüre empfiehlt.31 Hinzufügen mußte Heumann ihm nur eine aktuelle Vorrede, die seine Stoßrichtung jedoch nicht veränderte.32 Die Scholastik war eine Asophia gewesen, so der Göttinger Gelehrte, die allein dem Papsttum gedient hatte. Als Heumann in seiner berühmten ›Einleitung zur Historia philosophica‹ ein langes Kapitel den »Kennzeichen der falschen und unächten Philosophie« widmet, liegt für ihn auf der Hand, daß nicht die Völkerwanderung für den Niedergang des Bildungswesens verantwortlich war, sondern die Mönche des Mittelalters; restauriert wurde dieses über Jahrhunderte depravierte Bildungssystem dagegen allein von den Protestanten und von Luther.33 Tribbechow, Heumann und die Verfasser anderer antikatholischer Invektiven, die sich als historische Abhandlungen tarnten, hatten ein markantes Beispiel der scheinbaren Spintisiererei des Mittelalters vor Augen, Wilhelm Holders Schrift ›Mus exenteratus‹, die sich gegen den Konvertiten Johannes Pistorius gerichtet hatte, und wie man glaubte, ein authentisches Bild der scholastischen Argumentationsweise enthielt.34 Wenn eine Maus die verwandelte und konsekrierte Hostie gefressen hatte, wie sollte der Kleriker mit ihr umgehen? War der Leib Christi als das verdaute Brot in den Organismus des Nagetiers übergangen? 29 Ebd., c. 6, 149–151, dazu für Tribbechow Matthew Paris (1872–83), Bd. 4, 280. 30 Tribbechow (1655), c. 6, 151–155, dazu Lang (1613), hier 805. 31 Zu Heumanns Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie Longo (2011), hier 399–432, und mit Blick auf die Kirchengeschichte auch Schmidt (2017), 237–259. 32 Tribbechow (1719), dort die Vorrede von Christoph August Heumann VI–XXXII. 33 Heumann (1715–26), Bd. 2, c. 4, §§ 26–27, 218–221. 34 Holder (1593), passim, neuaufgelegt ohne Veränderungen als Holder (1677) und noch einmal im Jahre 1688. Holder hatte daneben auch Traktate gegen das Ablaßwesen geschrieben.
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Gebührte dem Tierkadaver womöglich eine besondere Form der Verehrung und mußte er vom unerschrockenen Zelebranten mitverzehrt werden? Holder hatte diese Debatte nicht völlig frei von Talent von Alexander von Hales bis zu den späten Ockhamisten rekonstruiert, doch den Traktat wie eine faktenreiche Satire angelegt. Sein Panorama der Scholastik war schon Ende des 16. Jahrhunderts entstanden, doch ebenfalls 1688 noch einmal aufgelegt worden. Seine Wirkung reicht bis hin zu den Romanen Samuel Becketts.35 Es läßt sich unschwer erkennen, daß Tribbechows bei Protestanten außerordentlich oft zitierte Abhandlung jede sachliche Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand vermissen läßt. Auch bei den schon genannten Apologeten Binder oder Himmelius liegt der Fall nicht anders; auch sie übernehmen das Raster der dreistufigen Dekadenz, wie Daneau vorgeschlagen hatte, mehr oder weniger. Ihre Reihe ließe sich durch etliche andere ähnlich ausgerichtete protestantische Apologeten erweitern. Noch einmal stellt sich der berühmte Leipziger Professor Jacob Thomasius, der immerhin Leibniz unter seinen Schülern hatte, in einem eigenen Traktat, das von einer ganzen Galerie von Disputationen flankiert wird,36 um 1680 die Frage, wann die scholastische Philosophie eigentlich als solche in Erscheinung getreten war und welche Einteilung ihr angemessen sein konnte.37 Thomasius kann mit gutem Grund als einer der Mitbegründer der Philosophiegeschichtsschreibung apostrophiert werden.38 Dem Leipziger Gelehrten fehlt die abschätzige Haltung eines Tribbechow, doch kommt er zu einem ähnlichen Ergebnis. Sein Bild der Scholastik unterscheidet sich kaum von den Einlassungen seiner Vorgänger, auch wenn Thomasius behutsamer differenziert. Tugenden und Laster der Scholastik mußten, wie Thomasius zu Beginn deutlich macht, in ihrem Eigenwert beurteilt werden.39 Die methodische Aufbereitung theologischer Glaubenssätze durfte als Tugend der mittelalterlichen Philosophie gelten; sie wäre es geblieben, wenn ihre Dispute einen Konsens hätten erzielen wollen und man nicht, wie es im Regelfall geschah, zur systematischen De-
35 Becketts bisweilen von starker Ironie getragenen Umgang mit der Philosophie des Mittelalter untersucht z. B. Wels (2008), 59–74. 36 Als weitere Arbeiten zur Lebenswelt des Mittelalters von Thomasius z. B. Thomasius – Busse (1676), dort zur Epochengliederung §§ 7–16, fol. A3v–B3, und mit Blick auf die mittelalterliche Philosophiesatire Thomasius –Weber (1679), dort bes. § 84, fol. E3v–E4v, §§ 86–88, fol. E4v–Fv, und Thomasius / Mayer (1714), bes. §§ 34–41, fol. B2v–B3v. 37 Thomasius (1693), 225–243. 38 Die philosophiehistorischen Disputationen Thomasius’ sichtet Jaumann (2012), 587–603. Aufgearbeitet wurde bisher besonders Thomasius’ Auseinandersetzung mit den gnostischen und platonischen Traditionen, dazu Häfner (1997), 141–164, und Eusterschulte (2011), 603– 625, zu Thomasius’ Beschäftigung mit dem Aristotelismus außerdem Radeva (2017), 427–463, zu seiner Beschäftigung mit mittellateinischer Literatur auch kurz Roling (2015), hier 29f. 39 Thomasius (1693), §§ 11–12, 227f.
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struktion von Glaubenswahrheiten und zur Abwicklung der Dogmatik übergegangen wäre.40 Auch für Thomasius liegt der Grund für die Degeneration des scholastischen Denkens in zwei Charakteristika der mittelalterlichen Philosophie, der starken Rolle des Papstes, der für falsche Dogmen wie dem Fegefeuer, der Bilderverehrung oder der pelagianischen Gnadenlehre die Verantwortung trug, und dem Erstarken des Aristotelismus, der keinen philosophischen Pluralismus mehr zuließ, sondern mit der Dialektik auch den Stagiriten zur überragenden Leitfigur jeder Form von Philosophie erheben mußte. Schritt für Schritt, so Thomasius, hatte diese doppelte Dominanz, die Herrschaft der Kurie und die Herrschaft des Aristoteles, zur Folge gehabt, daß die eigentlich allein der Theologie gebührenden Syllogismen sich mit Mittelbegriffen der Philosophie anreichern mußten. Zum Ende waren die Argumentationsformen der Theologie und der Philosophie nicht mehr voneinander zu unterscheiden gewesen. Die Glaubenswahrheiten waren von der Disputierwut überrannt worden und hatten die Offenbarung marginalisiert.41 Die Frage war auch für Thomasius, wann diese fatale Entwicklung ihren Anfang genommen hatte. Lanfranc war nicht der systematische Theologe gewesen, zu dem ihn Daneau hatte erklären wollen.42 Seine Auseinandersetzung mit der Eucharistie hatte den nachfolgenden Denkern Anlaß geboten, die Dialektik auf die Transsubstantiationslehre anzuwenden. Sie hatte Berengar die Möglichkeit gegeben, die augustinische Position ins Gedächtnis zu rufen, sie zugleich jedoch durch die dialektische Unterscheidungswut wieder fragwürdig erscheinen lassen.43 Angemessener war es daher, wie Thomasius glaubt, den Ursprung der Scholastik in der Person Abaelards zu suchen, den ja auch Tribbechow argwöhnisch betrachtet hatte.44 Hatte Bernhard von Clairvaux als Sachverwalter des wahren Glaubens Abaelard nicht zu recht, wie Thomasius noch einmal erinnert, vorgeworfen, ein neues Evangelium zu predigen? Hatte er die Offenbarung nicht auf diese Weise durch die Philosophie ersetzen wollen?45 Noch ein weiteres historisches Argument lag vor, um diese These zu stützen. Walter von Sankt-Viktor, ein leidenschaftlicher Gegner der Philosophie seiner Zeit, hatte zu Beginn des 40 41 42 43 44
Ebd., § 19, 229. Ebd., §§ 23–26, 230f. Ebd., §§ 34–36, 233. Ebd., §§ 37–43, 234–236. Eine ähnliche Funktion hatte Petrus Abaelardus auch schon Trithemius (1546), 161, zugeschrieben. 45 Thomasius (1693), §§ 57–60, 239f., dazu Bernhard von Clairvaux, Epistola 190, in: ders. (1957–98), Bd. 8, 17–40, bes. § 12, 27. Deckungsgleich diskutiert Thomasius diese Frage kurz auch in einem Traktat, der die Geschichte der mystischen Theologie im Gefolge des PseudoDionysios über Eriugena und Meister Eckhard bis hin zu seinen schwärmerischen Zeitgenossen schreiben will, dazu Thomasius (1665), hier 61–63.
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12. Jahrhunderts einen Traktat verfaßt, der vier Denker zu Feinden der Offenbarung erklärt hatte, Peter von Poitiers, Gilbertus Porretanus, Abaelard und Petrus Lombardus.46 In diesem Quartett und damit wohl in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, mußte also auch die Genese der scholastischen Philosophie und mit ihr der geistigen Erosion des Mittelalters verortet werden. Eine dreistufige Eskalation kennzeichnet auch für Thomasius die weiteren Episoden dieses Narrativs, das von der Reformation abgelöst wurde. Zur weiteren Konturierung liefert Thomasius kaum neue Details; nur den Nominalismus hebt er noch deutlicher als entscheidende Strömung der dritten Phase hervor.47 Wichtiger war zum Ende dann wiederum festzuhalten, wer sich diesem freien Fall, dem die geistige Welt des Mittelalters ausgesetzt war, entgegengestellt hatte, die Reformation in Gestalt von Martin Luther.
III.
Die vermeintliche Barbarei des Mittelalters
Man kann nicht behaupten, das Mittelalter, das medium aevum als Epoche, und seine Philosophen und Theologen hätten zu Beginn des 18. Jahrhunderts in protestantischen Kreisen und Universitäten eine besonders gute Presse besessen. Es dominierte das Klischee. Zum Vorwurf der Dekadenz und philosophischem Spintisieren, zur Dominanz der Scholastik, die nur vom Erlöser aus Wittenberg endlich beendet wurde, kam ein zweites Schlagwort, das vielleicht noch wirkmächtiger war als das benannte Dreierschema, der Vorwurf der Barbarei. Zwischen Antike und Neuzeit verortete sich ein Zivilisationsbruch, der aus protestantischer Perspektive nur von einem behoben werden konnte, von Martin Luther. Schon lange vorher hatte sich das Schlagwort der Barbarei, wenn die Rede auf das Mittelalter kam, als festes Etikett etabliert. Daß bei vergleichbaren Epochenklassifikationen auch die christlich-römische Zeit ab 350, die noch Christoph Cellarius in seiner berühmten ›Geschichte des Mittelalters‹ miteingeschlossen hatte,48 theoretisch noch zur Debatte gestanden hätte, ließen die meisten der Gelehrten dabei außer Acht.49 Der große Historiograph und Jurist in Helmstedt Hermann Conring, der sich selbst zu den Philosophiehistorikern zählen läßt,50 hatte in seinem ›Commentarius de scriptoribus‹ für das siebte und 46 47 48 49
Thomasius (1693), § 54, 238, dazu Walter von Sankt-Victor (1855), Liber IV, c. 7, Sp. 1159. Thomasius (1693), §§ 61–63, 240f. Cellarius (1688), dort 1–38. Zur Geschichtseinteilung des Cellarius Klempt (1960), 75–80, zu Cellarius’ Leben und Werk allgemein die Übersicht von Roling (2020a), Sp. 192–212. Cellarius war vom Barbarismus des mittelalterlichen Lateins überzeugt, dazu Cellarius – Dornmeyer (1701), §§ 22–23, 22f. 50 Grundlegend als Bio-Bibliographie Conrings ist der exzellente Artikel von Nahrendorf (2020), Sp. 334−363, dazu z. B. die Beiträge Hammerstein (1983), 217–236; und Fasolt (2014) 313–463;
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achte Jahrhundert lapidar feststellen können, es seien die Zeitalter des allgemeinen Barbarismus gewesen, eine Zeit der infelicitas, in der kein nennenswerter Denker oder Autor in Erscheinung getreten wäre.51 Auch die anschließenden Jahrhunderte hatten, wenn man Conring Glauben schenkt, keine Figuren vorzuweisen, die einer Literaturgeschichte würdig gewesen wären.52 Johann Zwinger, Professor für Griechisch in Basel, hält 1661 eine oft nachgedruckte programmatische Rede, die das Jahrtausend vor der Reformation kategorisch als Epoche der barbaries abtun konnte. Das gesamte Zeitalter hatte die Pflege der heiligen Sprachen grotesk vernachlässigt und stattdessen den voces monstrosae einer entarteten Latinität den Vorzug gegeben.53 Viele andere Zeitgenossen Zwingers hatten seine Meinung geteilt. Noch 1690 hatte der Leipziger Philosophieprofessor Adam Rechenberg in einer Arbeit mit dem sprechenden Titel ›De ineptiis clericorum Romanorum literariis‹ im Detail nachweisen wollen, daß die römische Kurie im Verbund mit den Mönchen des Mittelalters Grammatik, Philosophie und Theologie gleichermaßen und fast planmäßig im Stile einer großen Verschwörung korrumpiert hatten, begonnen bei der Einführung neuer Deklinationen und hanebüchener Etymologien und gipfelnd in einem allgemeinen Wunder- und Aberglauben.54 Die Anzahl von Traktaten mit vergleichbarer Stoßrichtung ließe sich leicht vermehren.55 Als leuchtende Alternative stand diesem Amalgam aus Barbarei und Distinktionswut, wie man glaubte, die Reformation gegenüber, deren Heroen sich dem Wildwuchs des Mittelalters in den Weg gestellt hatten. Hier betreten wir nun das Territorium, das zu Beginn angekündigt worden war, die Feiern zum Lutherjahr. Nicht nur in der jüngeren Zeit sind zum Jahrestag der Reformation Reden gehalten worden, sondern auch schon im 17. Jahrhundert. Damals jedoch waren es Reden, die der Selbstbestätigung des Protestantismus dienten, damit aber auch der Vergewisserung der eigenen Überlegenheit und des Sieges über die Vergangenheit. Zum hundertjährigen Jubiläum Luthers im Jahre 1617 hatte der Altenburger Schulrektor Joseph Clauder eine lateinische Rede gehalten, mit dem sprechenden Titel ›Von der grobschlächtigen Latinität der papistischen Epoche und der wiederhergestellten und blühenden Latinität der Zeit Luthers‹.56 Luther und seinen Getreuen, allen voran Philipp Melanchthon war es im Kampf mit dem
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zu Conring als Rechthistoriker unter vielen z. B. Stolleis (2011), hier 175–184, zu Conring als Philosophiehistoriker jetzt in Kürze Radeva (2023), passim. Conring (1703), Seculum VII, 81f. Ebd., Seculum X, c. 1, 87. Zwinger (1661), dort 24–53, eine Liste von nach Disziplinen geordneten sprachlichen Fehlgriffen. Zwingers Rede konnte 1704 neuaufgelegt werden, in: Götze (1704), 83–134. Rechenberg – Juncker (1690), dort bes. §§ 20–25, fol. Dv–D4v. Unter diversen weiteren Titeln zum Thema z. B. Nolte (1715), Budde (1714), oder vorher Eschenbach (1705), und Calvisius – Gumprecht (1698). Clauder (1618), passim.
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römischen Antichristen gelungen, die Sophistereien der Scholastik auszurotten und zugleich die so lange depravierte reine Latinität wiederherzustellen. Clauder kann seine Rede mit zahllosen Kostproben aus dem Küchenlatein garnieren. Oft legt der bildungsstolze Philister und Studienrat aus der Provinz, der seine Rede mit dem berufsbedingten Dünkel vorträgt, dabei mehr Unwissen an den Tag, als daß er wirklich Einblick in die Lebenswelt des Mittelalters besessen hätte.57 Dennoch kann auch Clauders Rede genau hundert Jahre später zum Lutherjahr des Jahres 1717 im thüringischen Altenburg neu aufgelegt werden, begleitet von einer zweiten Rede des neuen Rektors und späteren Superintendenten Christian Friedrich Wilisch, der vom Gymnasium zu Annaberg nach Altenburg gekommen war.58 Auch die Stoßrichtung dieses alten Pamphlets, das Teil einer ganzen Serie von Festakten zum Reformationsjubiläum in Altenburg war,59 mußte auf fast symptomatische Weise nicht weiter ergänzt oder verändert werden. Ganz offensichtlich hatte der Phrasenkatalog seine Plausibilität auch nach hundert Jahren nicht verloren.60 Wilisch selbst apostrophiert in seiner Festrede, wie man es vielleicht erwarten konnte, Martin Luther, als Retter der antiken Gelehrsamkeit, der gemeinsam mit den Sächsischen Fürsten als Werkzeug der Vorsehung Theologie, Schulsystem und lateinische Bildung gleichermaßen erneuern konnte und den Teufelsdreck der Scholastik erbittert in seine Schranken gewiesen hatte.61 Über die italienische Renaissance, die katholischen Humanisten, von Erasmus und Reuchlin abgesehen, verlieren weder Clauder noch Wilisch ein Wort, geschweige denn, daß die Repräsentanten des gymnasialen Herrschaftswissens sich über die kaum weniger scholastisch geprägte Schulphilosophie der lutherischen Orthodoxie des frühen 17. Jahrhunderts geäußert hätten. Etwa zur gleichen Zeit tritt auch der schon genannte Christoph August Heumann, damals noch Schulinspektor in Göttingen, mit vergleichbaren Arbeiten in
57 Ebd., 14–28. Ähnlich, wenn auch weniger konfessionspolemisch z. B. Perizonius (1708), 11– 16, Franckenstein (1714), passim, oder noch Oberlin – Schuch (1773), passim. 58 In seiner Funktion als Rektor hatte Wilisch in Annaberg und Altenburg eine dreistellige Menge von Reden und Predigten gehalten und drucken lassen. 59 Als weitere Texte z. B. Wilisch (1717a), der die standhaften Bekenner der wahren evangelischlutherischen Religion mit biblischem Verve feiert und, 31–36, das Leben Luthers in dramatischen Farben schildert, und mit entsprechender Panegyrik für die lokalen sächsischen Potentaten Wilisch (1717b), und als weiteres annoncierendes Schulprogramm, ohne Inhalt, Wilisch (1717c). 60 Wilisch (1718), dort 1–38. 61 Wilisch (1718), dort die »Oratio saecularis de amore et meritis principum Saxonicorum in Catechismum Martini Lutheri, in: Jubila Altenburgensia« (mit getrennter Seitenzählung), 19– 68. Vorher findet sich, 1–18, unter dem Titel »Martinum Lutherum restauratorem rei scholasticae sollertissimum orationibus saecularibus inter jubila publica peractis sacris celebrabunt Musae Altenburgenses« ein Singspiel, das den Reformator in deutscher Sprache verherrlicht: Gottes Wort und Luthers Lehr / vergehet nun und nimmermehr!.
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Erscheinung,62 Hermann von Hardt, Heumanns sehr exzentrischer Kollege in Helmstedt, veröffentlicht seine Quellensammlung zur Reformationsgeschichte zur gleichen Zeit.63
IV.
Polycarp Leyser IV. als Verteidiger des Mittelalters
Die Frage ist nun berechtigt: Gab es in der lutherischen Welt des 17. Jahrhunderts nicht auch Gegenstimmen, die ein solches, polemisches Szenario vielleicht relativiert hätten? Gab es Figuren, die sich vielleicht um ein differenzierteres Bild des Mittelalters bemühten? Es gab sie durchaus, doch waren sie rar. Eine Gestalt, der Begründer der mittellateinischen Philologie, Polycarp Leyser IV., soll hier ins Gedächtnis gerufen werden. Leysers Arbeiten zum Mittelalter zeigen im 17. Jahrhundert, daß der Chor der lutherischen Verachtung des Mittelalters nicht einstimmig war. Die Reaktionen auf Leysers Arbeiten dokumentieren aber auch, daß derjenige, der den Klischeebildern einer dekadenten Scholastik, einer Verfallsgeschichte des Mittelalters und einer allgemeinen Barbarei entgegentreten wollte, einen schweren Stand hatte. Leyser IV. stammte aus der Theologendynastie der Leysers, war in Wunstorf bei Hannover im Jahre 1690 geboren worden und in Göttingen zur Schule gegangen und der vierte seines Namens. Sein Studium hatte er an einer ganzen Kette der einschlägigen Universitäten, zuerst in Rinteln, dann in Rostock, Helmstedt und Wittenberg. 1718 wurde er im Alter von 28 Jahren Professor für Philosophie und Poetik in Helmstedt. In Helmstedt heiratete er die Tochter des ansässigen Großgelehrten Johannes Andreas Schmidt, eines Exzentrikers, mit dem er die meisten seiner Interessen teilen sollte und der sich auch als Mediävist verstand.64 Ebenfalls in Helmstedt erhielt Leyser im Jahre 1726 auch die Professur für Geschichte. Im Jahre 1728 starb er im Alter von 37 Jahren.65 Im Jahre 1719 veröffentlicht Leyser die Schrift, die ihm so wenige Freunde einträgt, die ›Dissertatio de ficta medii aevi barbarie‹,66 mit dem wichtigen Untertitel ›Circa poesin latinam‹.67 Die Barbarei des Mittelalters war eine Fiktion.68 62 Heumann (1716), zeitgleich auch Heumann (1717a) und als ganze Kollektion von reformationseuphorischen Schriften Heumann (1717b). 63 Hardt (1717). 64 Zur Gestalt Johann Andreas Schmidts Roling (2014), 211–246, außerdem Bruning (2012), 119–122. 65 Zu Leben und Werk Polycarp Leysers IV. in Helmstedt Henze (1990), 163f., Bruning (2012), 128–131, und auch schon Koldewey (1895), 130f., 132f. Basis aller Biographie ist das Elogium Polycarpi Leyseri (1800), 3–20. 66 Leyser (1719). 67 Die sich hier anschließenden Ausführungen folgen im Wesentlichen in verkürzter Form Roling (2016), 303–326, ergänzend dazu noch Roling (2020b), hier 807–818.
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Sie entsprach vor allem in keiner Weise der Realität, wenn man einen Blick auf die zahllosen Poeten warf, die im Mittelalter den Ton angegeben hatten und diese Fiktion leicht falsifizieren konnten. Ausdrücklich war Leysers Traktat einer noch folgenden ›Historia poetarum et poematum medii aevii‹ vorangestellt, einer umfassenden Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, als deren Vorarbeit sie verstanden werden sollte.69 Wer von der Barbarei des Mittelalters überzeugt war, so beginnt Leyser, hatte seine Literatur noch nicht kennengelernt. Die Zeit von 500 bis 1500 galt es daher wieder neu ins Blickfeld der Zeitgenossen zu rücken und, wie Leyser mit Nachdruck feststellt, vom Schutt der Vorurteile zu befreien.70 Es folgt auf mehr als fünfzig Seiten eine Liste von weit über 200 Autoren, die das Bild des dunklen Mittelalters konterkarieren und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen sollte.71 Poesie formte, wie Leyser an anderer Stelle deutlich macht, den Zenit und vielleicht auch den letzten Zweck der Wissenschaften.72 War das so oft unterschätzte Mittelalter also imstande, so die logische Konsequenz, ausreichend geschulte Dichter vorzuweisen, so mußten seine Gelehrten auch in der Theologie, Philosophie, der Geschichtsschreibung oder im Trivium und anderen Hilfsdisziplinen ausreichend geschult gewesen sein. Daß auch die zeitgenössische Gottesgelehrtheit noch immer in der Schuld der großen mittelalterlichen, von der Philosophie getragenen Theologen stand, war nur ein Aspekt der Fehleinschätzung des Mittelalters, dem Leyser Abhilfe schaffen wollte. Leyser beginnt seinen Poetenkatalog mit einem allgemeineren, über die Poesie hinausgreifenden Panorama, das sich in seiner Bedeutung leicht erklärt, wenn man sich erinnert, daß der schon erwähnte Tribbechow in seiner Geschichte der Scholastik, wie auch andere das Jahr 500 als Wendepunkt der Wissenschaften hin zu ihrem tausendjährigen Niedergang hatten bestimmen wollen und damit auch als eigentlichen Beginn des Mittelalters. Das fünfte Jahrhundert konnte in allen Zweigen der Gelehrsamkeit, so Leyser, mit gewichtigen Figuren aufwarten, in der Theologie mit Hilarius von Poitiers oder Johannes Climacus, Cassiodor, Boethius oder Fulgentius, in der Philosophie auf Johannes Philoponus, Simplicius oder Olympiodor, in der Geschichtsschreibung auf Jordanes, Gregor von Tours oder Prokop.73 Mitverantwortlich für diese Bewahrung und Weiterentwicklung der 68 Zu Leysers Aufarbeitung des Mittellateinischen und der damit verbundenen BarbarismusDebatte in Teilen schon Zimmermann (1978), 650–669, und auch kurz Meier-Staubach (2001), 1–21, dort kurz zu Leyser 4f. 69 Leyser (1721). Eine unveränderte Neuausgabe erschien in Halle 1741. Der Erstdruck erschien als Reprint (2 Bde.) Bologna 1969. 70 Leyser (1719), 1f. 71 Ebd., 3–62. 72 Leyser (1720), 5–12, und auch in der Vorlesungsankündigung als Leyser (1718a), passim. Der Poesie zur Seite stand die Philologie, so Leyser (1718b), fol. 2vf. 73 Leyser (1719), 3–11.
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spätantiken Literatur war, wie Leyser offenbart, zu einem großen Teil die Kurie, der Papst und die frühmittelalterliche Kirche, deren Klerikern es, wie Leyser ebenfalls unterstreicht, gelungen war, die praktische Askese im Ordensleben für alle fruchtbar zu machen. Auch der Primat des Papstes war, eine bemerkenswerte Aussage für einen Protestanten dieser Zeit, für sich genommen nicht zu verurteilen.74 Es konnte nicht paradoxer sein, wie Leyser einwendet, einem geistlichen Führer das Recht zu geben, in weltliche Dinge einzugreifen, wenn es um seinen eigenen Besitz ging, als einem weltlichen Landes-Fürsten, wie es der Protestantismus in seiner Geschichte nur zu oft getan hatte, Mitsprache in geistlichen Dingen einzuräumen. Statt den Papst anzuklagen und mit ungleichem Maße zu messen, wäre es angebrachter gewesen, so Leyser, die Leistungen der Kurie als Kulturträger zu würdigen.75 Auf den sich anschließenden Seiten gelangt Leyser zu seinem eigentlichen Anliegen, der Poesiegeschichte. Ein Großteil der genannten Autoren und Werke spezifiziert er in einem breiten Anmerkungsapparat; viele Ausführungen werden durch Auszüge aus den Werken unterfüttert, die Leyser selbst ediert oder zumindest aus Wolfenbütteler Handschriften emendiert. Unschwer erkennt man, daß die ausgreifende ›Geschichte der mittellateinischen Dichtung‹, das Nachfolgewerk, bereits in Arbeit war und Leyser auf reichlich Material zurückgreifen konnte. Im sechsten Jahrhundert sind es unter anderem Avitus von Vienne, Dracontius, Venantius Fortunatus, aber auch, weniger souverän datiert, die Eklogen des Theodul, deren sublime Verse das Kulturniveau des Frühmittelalters dokumentieren können, im 7. Jahrhundert Eugenius von Toledo oder Columba der Jüngere.76 Im achten Jahrhundert nehmen christliche Poeten wie Aldhelm von Malmesbury, Paulus Diaconus oder Beda Venerabilis den Faden wieder auf, im neunten Jahrhundert Theodulf von Orléans, Paschasius Radbertus, Walafrid Strabo oder Hinkmar von Reims, die Dichter der Karolingerzeit.77 Das zehnte Jahrhundert kennt Roswitha von Gandersheim oder die Figurengedichte des Abbo von Fleury, das elfte Wilhelm von Apulien, Thietmar von Merseburg, Fulbert von Chartres, Marbod von Rennes, Metellus von Tegernsee oder die in Versen brillierende Schule von Salerno.78 Kaiser Otto II. müht sich persönlich um den Stand der ›Meistersinger‹, die phonasci, die in dieser Zeit längst zum Ge74 Daß mit Blick auf den päpstlichen Primat die Auffassungen der Konfessionen von Anfang an miteinander kollidieren mußten, liegt auf der Hand, als Ausgangspunkte hier z. B. Melanchthon (1997), c. 3, 142–145 und 150f., und als Replik z. B. Cajetan (1587), c. 13, 83f., oder Prierias (1988), c. 15–16, 172–175. 75 Leyser (1719), 5f. 76 Ebd., 12–17. 77 Ebd., 19–28. Daß in dieser Zeit die Dekadenz der lateinischen Sprache zeitweilig aussetzt, betont z. B. auch gönnerhaft ein anderer Schulmeister in seiner Programmschrift, nämlich Doppert (1730), passim. 78 Leyser (1719), 24–31.
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genstand eigener Traktate geworden waren.79 Dem sprachlichen Reichtum eines Bernhard von Clairvaux antworten im frühen 12. Jahrhundert Abraham Ibn Esra, Averroes, Maimonides oder Al-Ghazali oder lateinische Dichter wie Hildebert von Lavardin, Petrus Riga, Sigebert von Gembloux, Johannes von Salisbury mit seinem ›Entheticus‹ oder Heinrich von Settimello, dessen Elegien Leyser in seinen Wolfenbütteler Manuskripten entdeckt und herausgibt.80 Die oft kontingente Mischung Leysers nennt für das 12. Jahrhundert außerdem Hildegard von Bingen und Anselm von Canterbury, die beide auch Hymnen geschrieben hatten,81 Geoffrey von Monmouth, dessen Merlin-Vita in Hexametern verfaßt war, Heinrich von Huntington, der Gedichte in seine ›Historia Anglorum‹ eingestreut hatte,82 aber auch bedeutende Dichter des Jahrhunderts wie Johannes de Hauvilla, Walter von Châtillon, Joseph von Exeter oder Alain de Lille.83 Im 14. Jahrhundert werden Petrarca und Albertino Mussato zu den letzten Autoren, in denen sich der mittelalterliche Antibarbarismus manifestieren darf.84 Auch wenn Leyser die Mehrzahl seiner Autoritäten und ihre Werke nur noch aneinanderreiht und die Gedichte, die ihm als Waffe gegen die Apologeten der Kulturlosigkeit dienen, nicht weiter interpretiert oder in ihren Zeitkontext einordnet, gelingt ihm doch schon in seinem Traktat ein beeindruckendes Bild eines bunten und äußert produktiven Jahrtausends. Die mittelalterlichen Dichter meistern die klassischen Formen, die Epik, die Elegie oder Lehrdichtung ebenso wie sie durch ihre poetische Alterität bestechen, durch verspielte Figurengedichte, Akrosticha aller Art, durch die in der Antike nicht bekannte rhythmische Dichtung, durch Hymnen und Vagantenstrophen. Woher aber rührte der Vorwurf der Barbarei, den Leyser durch die bloße Materialfülle, seinen apparatus librorum, widerlegt hatte?85 Leyser wagt eine Hypothese und gibt zwei Antworten: Der Mensch des Mittelalters, zuvorderst der schriftstellerisch tätige Mönch, war bescheiden gewesen. Nur zu oft gab er sich mit der bloßen Lektüre der alten Autoritäten und ihrer Reproduktion zufrieden, anstatt ihnen neue Texte zur Seite zur stellen. Wer diese Haltung kritisierte, dem entging, daß sich den klösterlichen Schreibstuben die Überlieferung der gesamten antiken Literatur verdankte, die ohne ihre unermüdliche Kopistentätigkeit für immer verlorengegangen wäre. Die protestantischen Kritiker machten es sich zu leicht, wenn sie von den wenigen untätigen Klerikern der Vergangenheit auf den von Demut getragenen Geist 79 Ebd., 29. Zur Aufarbeitung der Meistersängertradition in der Zeit Leysers Roling (2019), 335– 365. 80 Leyser (1719), 31–50. 81 Ebd., 49. 82 Ebd., 41f., 48. 83 Ebd., 52f. 84 Ebd., 56–59. 85 Ebd., 63.
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einer ganzen Epoche schließen wollten.86 Selbst wenn der mittelalterliche Mönch seine Gelehrsamkeit zu Papier brachte, geschah es, wie Leyser fortfährt, nicht selten im Gewande der Anonymität, so daß die Nachwelt den Verfassern den gebührenden Ruhm verweigern mußte. Die eigene Zeit verfügte nicht nur über den Buchdruck, der auch mediokre Werke multiplizieren konnte, sondern neigte darüber hinaus dazu, die Verbreitung des eigenen Namens auch dann für wichtig zu halten, wenn dem Verfasser eigene Ideen zur Gänze abgingen.87 Der zweite Grund für den Vorwurf war prekärer und traf das Luthertum, das sich gerade noch so intensiv gefeiert hatte, und seine Invektivenkultur selbst. Systematisch hatte die protestantische Theologie aus Liebe zum Glauben und zu sich selbst die Wahrheit vernachlässigt und sich, wie Leyser es formuliert, bemüht, das eigene Licht heller strahlen zu lassen, indem sie das Licht der Vergangenheit verdunkelte. Das Mittelalter war nie so depraviert gewesen, wie es die selbstgerechten Rhetoriker der neuen postreformatorischen Zeit gezeichnet hatten. Sein Barbarismus entsprang einer Dialektik der Abgrenzung, für die sich die Anhänger des neuen Bekenntnisses verantwortlich zeigten. Daß die Wahrheit des Christentums auch vor dem Erscheinen Luthers geläufig war, gepflegt und vertieft wurde, selbst wenn die Mönche des Mittelalters die Bibel vielleicht weniger intensiv studiert hatten als die Vorreiter des Protestantismus, so Leyser, hatte auch ein Flacius Illyricus nicht leugnen können. Wenn die im Vergleich zu Luther in Teilen schwache Theologie der Vergangenheit ein ausreichender Grund war, um dem Mittelalter die Größe abzusprechen, hätten auch die Griechen und Römer der Antike das Prädikat der Barbarei verdient. Und worin bestand die wahre Gelehrsamkeit? Allein im wohlfeilen Geklingel der korrekten Latinität? Konnten die captatores verborum, jene humanistischen Schönschwätzer, die außer der korrekten lateinischen Sprache keine Werte hatten, bereits das Etikett der Bildung für sich in Anspruch nehmen? Hatte das Mittelalter nicht gerade hier der Gegenwart einiges voraus?88 Seine Grundthese kann Leyser zu Beginn seiner mehr als tausendseitigen Geschichte der mittellateinischen Dichtung wiederholen, dem Kompagnon seiner Programmschrift. Man hatte die Dichter des Mittelalters beschuldigt, so Leyser, in den Rhythmen der Vagantenstrophe zu dichten, zu exotische Worte zu verwenden, und einen mediokren Stil zu pflegen. War die Durchdringung der mittelalterlichen Latinität mit Elementen der Volkssprache nicht eher Ausdruck ihrer Lebendigkeit?89 Wer das Mittelalter barbarisch nannte, kannte es also nicht und hatte sich von seinen Vorurteilen noch nicht lösen können. Leysers ganze 86 87 88 89
Ebd., 64f. Ebd., 65–68. Ebd. 68f. Leyser (1721), Praefatio, fol. 2r–3r.
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tausend Seiten starke Literaturgeschichte präsentiert sich im Anschluß in ihren referierenden Teilen wie die elaborierte, ja monumentale Fassung der Abhandlung aus dem Jahre 1719. Leyser schöpft aus den zahlreichen Bibliographien und Literaturgeschichten der Vergangenheit, aus Sigebert von Gembloux, Johannes Trithemius, Johannes Albert Fabricius, der ›Bibliotheca ecclesiastica‹ Aubert Le Mires, Jean Mabillon, und den ›Libri commentarii‹ des Leipziger Universalgelehrten Caspar von Barth, doch vor allem legt er Zeugnis ab von seiner eigenen schier unglaublichen Belesenheit, die sich seinem unmittelbaren Handschriftenstudium verdankte.90
V.
Barbarismus und lutherisches Klischee
Vergegenwärtigt man sich die Grundhaltung, die im Kollegenkreis Leysers gegenüber dem Mittelalter im Schwange war, so verwundern die Reaktionen, die Leysers mediävistische Arbeiten erhielten, nicht. Über die interkonfessionelle Dialogbereitschaft der ersten Dekaden des 18. Jahrhunderts legen sie ein mehr als aussagekräftiges Zeugnis ab. Schon 1719 fragt sich Johann Christoph Franck in seiner Hallenser ›Bibliotheca academica‹, als er auf die erste Neuerscheinung zu sprechen kommt, wer die begleitenden Thesen Leysers eigentlich goutieren sollte. Fraglich war, ob Leysers Autoritäten die Barbarei des Mittelalters nicht eher bewiesen als widerlegten. Völlig untragbar war, daß der Helmstedter, wie Franck unterstreicht, die Kurie als Urheber des kulturellen Notstandes exkulpieren wollte, ja sogar bereit war, ihr als Institution eine eigene Dignität zuzugestehen.91 Welcher Protestant sollte das tolerieren? In die gleiche Kerbe wie Franck schlägt die Rezension, die Johann Gottlieb Kraus im selben Jahr in den Leipziger ›Nova litteraria‹ veröffentlicht. Auch Kraus ist der festen Überzeugung, daß die von Leyser aufgehäuften immerhin 700 Autoren nicht ausreichen konnten, um das Mittelalter aus jenem Dunkel zu reißen, in das die Humanisten es verbannt hatten. Nicht alle Gedichte zwischen 500 und 1500 waren schlecht, doch sprach aus ihnen die Mittelmäßigkeit. Womit hatten die Mönche ihre Zeit verlebt? Mit der Ausgestaltung von Kuriositäten, mit Bildgedichten und anderen Raffinessen, die ihre ganze Energie gefordert hatten. Warum sollte man dem Luthertum zum Vorwurf machen, diese Tändeleien, diese nugae, mit Verachtung gestraft zu haben? Auch vor Luther hatten die Humanisten vergleichbare Ergüsse abgelehnt, warum sollte der Protestantismus also, wie Leyser behauptet hatte, 90 Als Referenzwerke Leysers z. B. Le Mire (1639), oder Trithemius (1546), Mabillon (1675–85), Bale (1549), und Pitseus (1619), oder Fabricius (1734–46). 91 Franck (1719), 34–38. Als erste, eher zusammenfassende Rezensionen z. B. noch die Acta eruditorum (1721) (Juni), 253–257, und die Annales Academiae Juliae (1722), Semestris 1, § 19, 66–74.
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darauf angewiesen sein, sich über Zeugnisse der Barbarei zu erheben, wenn sich Dichter wie Petrus Riga oder Heinrich von Settimello selbst diskreditieren konnten?92 Christoph August Heumann schließlich, den Leyser sicher als Mitadressaten vor Augen hatte, bemerkt in seinem ›Conspectus rei publicae litterariae‹ lediglich trocken, daß Leysers ganzes Werk versuche, einen Äthiopier weiß zu färben.93 Schon die unmittelbaren Reaktionen zeigen, daß Leyser, in den Augen seiner Umwelt, um in der Sprache moderner Rezensionen zu sprechen, »eine exklusive Meinung« vertreten hatte. Die Invektivenindustrie der Epoche sollte sich jedoch noch deutlicher Gehör verschaffen. Ihre Träger waren jene Schulhumanisten, die sich durch Leyser scheinbar fast persönlich in ihrer Ehre verletzt sahen. Ein ganzes Kapitel erhält Leyser in der ›Geschichte der lateinischen Sprache‹, die Jacob Burckhard im Jahre 1721 beendet hatte, einer Bestandsaufnahme der deutschen Latinität. Ihr Autor war zunächst Gymnasialprofessor in Hildburghausen gewesen, um dann als Bibliothekar in Wolfenbüttel seine Karriere zu beenden.94 Burckhard war schon vorher durch eine Kampfrede in Erscheinung getreten, in der er den nachlässigen Umgang mit der lateinischen Sprache beklagt hatte.95 Der Ton seiner Replik auf Leyser entspricht den Traktaten, die hier oben bereits erwähnt wurden, und dem Geist der Lutherfestreden. Das Mittelalter war eine Zeit der Dunkelheit, deren Ungeist, so Burckhard, außer Leyser bisher kein ernsthafter Gelehrter in Zweifel gezogen hatte. Leyser hatte sich zu der Behauptung hinreißen lassen, jenseits der Sprachbeherrschung gäbe es auch andere Wege, um Gelehrsamkeit an den Tag zu legen. Doch welche? Wenn das mangelhafte Latein des Mittelalters, das in der Kirche ebenso zum Tragen gekommen war wie in der Verwaltung, nicht das aussagekräftige Zeugnis seiner Entartung war, welcher Belege bedurfte es noch?96 Leyser hatte insistiert, nur wenige Mönche des Mittelalters hätten dem Klischee des faulen und gefräßigen Klerikers entsprochen, das die Humanisten-Satiren gezeichnet hatten. Die einschlägigen aktuellen Streitschriften des Luthertums jedoch hatten, so erwidert Burckhard, das Gegenteil bewiesen.97 Leyser hatte behauptet, das Luthertum würde das Mittelalter herabsetzen, um selbst in seinem Schatten heller strahlen zu können. Wem aber hatte man, wie 92 Kraus (1719), 90–92. 93 Heumann (1750), c. 4, § 38, 114f. 94 Zu Jacob Burckhard im Allgemeinen und seiner Geschichte der lateinischen Sprache im besonderen Arnold (2009), 53–69, und Ludwig (2008), 17–50, dort auch kurz zu Leyser 22. 95 Burckhard (1714), passim. In die gleiche Richtung gehen auch weitere Programmschriften, z. B. Burckhard (1715a), Burckhard (1716), oder Burkchard (1717). In der Geschichte der Rhetorik ließ sich für Burckhard das Mittelalter komplett überspringen, dazu auch Burckhard (1715b), passim. 96 Burckhard (1721), 63–65. 97 Ebd., 66f., dazu für Burckhard z. B. Cyprian (1721), dort die Schutzschrift, c. 1–2, 709–766.
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Burckhard unterstreicht, die Erneuerung der Bildung und der lateinischen Sprache zu verdanken, wenn nicht der Reformation, dem Morgenstern des neuen Zeitalters? Hatten die Reformatoren nicht den Dreck der Vergangenheit abgewaschen? Hatten sie die Kirche nicht ebenso vom dogmatischen Unrat befreit, wie die Latinität von ihrer Verderbtheit? Hatten die Dichter des Mittelalters, diese skythischen Barbaren, nicht ebenso die Quantitäten vernachlässigt, wie sie durch tolldreiste Etymologien und Neologismen hervorgetreten waren?98 An die Stelle der Griechisch- und Hebräischkenntnisse war das gotische Gestammel eines Albertus Magnus getreten, die wilde Plünderei eines Petrus Lombardus, das dreiste thomasische Amalgam aus Theologie und Philosophie oder das undurchdringlich dornige Quästionengestrüpp eines Duns Scotus.99 Unschwer ließ sich also erkennen, so Burckhard, welchem grotesken Irrtum Leyser aufgesessen war, als er das Mittelalter vom Barbarismus freispreche wollte. In einer Epoche, in der die Bildungsmacht vergleichbaren adulteratores sapientiae überlassen war, konnte sich keine sinnvolle Literatur entfalten. Die gleiche Epoche, in der die wenigen Anhänger wahrer Gelehrsamkeit in den Fetzen, die ihnen die Geschichte zurückgelassen hatte, nach der Wahrheit der suchten, waren die Vertreter des wahren Glaubens als Ketzer verbrannt oder wie Luther mit dem Tode bedroht worden. Erst die Reformatoren hatten den Augiasstall der Theologie gereinigt und zugleich die Latinität von ihren Grammatikfehlern, falschen Flektionen, Etymologien und von Depravationen wie dem leoninischen Hexameter befreien können. Ein kurzer Blick in die ›Legenda aurea‹ des Jacobus von Voragine hätte Leyser überzeugen müssen, wie weit die lateinische Sprache des Mittelalters degeneriert war; eine vorago der Barbarei, die besser ›Legenda plumbea‹ oder ›stercorea‹ geheißen hätte.100 Burckhard hatte sich in einen regelrechten Furor hineingesteigert, eine lächerliche Wut, in der sich altphilologisches Silbenzählertum und lutherische Selbstgefälligkeit die Hand gereicht hatten, um die vermeintliche Reinheit der Latinität gegen die Barbarei des Mittelalters zu verteidigen.101 Es blieb nicht dabei. Ein Jahr nach Burckhard erscheint die ›Dissertatio antileyseriana‹ des friesischen Schulrektors und Hofpredigers Johann Friedrich Bertram. Bertrams Berufsweg war ähnlich wie die Karriere Burckhards verlaufen; nach einer Studienzeit in Halle war er Schulleiter in Aurich geworden und dort vor allem durch bildungsgeschichtliche Arbeiten, seine Widerlegungsversuche Wolffs und Leib98 Burckhard (1721), 77–85. 99 Ebd., 85–88. Zeitgenossen Burckhards sprangen ihm hier in diesem Urteil bei, als Beispiel der Weimarer Schulrektor Lorenz (1722), § 18, 19f. 100 Burckhard (1721), 88–98. 101 Als weitere Texte dieser Art z. B. der Burckhard-Freund Reinhard (1728), dort zum ›Barbarismus‹ bes. c. 1, Sectio 1, §§ 10–11, 16f., Günther (1701), c. 15. 161–168, und als Klassiker unter vielen Auflagen Cellarius (1709), mit den Prolegomena 46–52.
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nizs und durch Schriften zur friesischen Regionalgeschichte hervorgetreten.102 Bertrams Arbeit hat den mehr als sprechenden Titel ›De vera medii aevi barbarie‹. Er selbst sorgte für eine zweite Ausgabe, die den Text noch einmal um 20 Seiten erweitert.103 Die Sicht des friesischen Gymnasialprofessors auf das Mittelalter läßt keine Unschärfen zu: die Zeit von 500 bis 1500 war eine Epoche des Unglaubens, der Ignoranz und der Pedanterie, mit anderen Worten, es regierte die Barbarei. Daß Leyser diese evidente Beobachtung in Frage zu stellen wagte, war ein Skandal. Bertram setzt sich Punkt für Punkt mit den Thesen des Helmstedter Professors auseinander; auch er argumentiert vor dem Hintergrund der Polemiken des frühen 18. Jahrhunderts. Die wenigen Ähren, die Leyser auf dem trockenen Feld des Mittelalters gesammelt hatte, konnten den Gesamteindruck des Mittelalters nicht verändern, wie Bertram unterstreicht. Mit dem fünften Jahrhundert hatten die Goten, Hunnen und Skythen das römische Imperium überflutet, hatte der Aberglaube in der Theologie Einzug gehalten und war die Sprachpanscherei in der Latinität zum Maßstab geworden.104 Das Zentrum fand dieser Wundbrand in Rom, in Gestalt der Kurie, in der sich, so Bertram, die obscuratio doctrinae mit den rücksichtlosesten Machtansprüchen vereinigt hatte. Gerade für die Vernachlässigung der Bibelstudien und das Desinteresse am Griechischen mußte das Papsttum die Verantwortung tragen.105 Leyser hatte sich zu der Behauptung verstiegen, der Klerus des Mittelalters habe den Weg der Demut und Anonymität gewählt. Doch war Schweigen, so Bertram, gleichbedeutend mit Gelehrsamkeit? Warum waren die Werke, die durchaus entstanden waren, denn von so minderwertiger Qualität? Wo hatten sich vor 1500, so Bertram, die Phalanxen der anonymen Heroen versteckt, die doch ihre Geniestreiche hätten fabrizieren können?106 Leyser hatte außerdem die Klöster für die Transmission der alten Klassiker gepriesen. Doch hatte der Helmstedter vergessen, so Bertram, wie viele Güter der Vergangenheit gerade die monastische Nachlässigkeit der Fäulnis und den Motten überlassen hatte? Hatte er vergessen, daß die Schreiber des Mittelalters ihre Manuskripte zwar mit bizarren Drolerien verzieren konnten, doch sonst nur Wunden in die abgeschriebenen Texte geschlagen hatten? War Leyser entgangen, daß die Mönche es vorgezogen hatten, obskure Chroniken und Heiligenviten zu kopieren, anstatt sich um die Transmission der antiken Literatur zu bemühen?107 Besonders erbost 102 Zu Johann Friedrich Bertram mit einer kurzen Bibliographie Friedländer (1875), 551. 103 Bertram (1731), dort 179–228. Laut Bertram, ebd., 180, war die erste Auflage 1722 in Halle im Anschluß an eine andere Dissertation Bertrams gedruckt worden. Im Folgenden wird nach der zweiten Auflage zitiert. 104 Bertram (1731), §§ 1–4, 181–185. 105 Ebd. § 5, 186–188, dazu für Burckhard Jan – Winckler (1721), passim. 106 Bertram (1731), § 7, 190f. 107 Ebd., § 8, 191–194.
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Bertram wie Burckhard vor ihm der explizite und mehr als nachvollziehbare Vorwurf Leysers, die Protestanten hätten mit Blick auf das Mittelalter aus Eigennutz Geschichtsklitterung betrieben.108 Vor allem in der Appendix seiner ›Dissertatio‹ fühlt sich der friesische Theologe daher noch einmal genötigt, zu einem Generalangriff gegen die Scholastik auszuholen. Die Kirche des Mittelalters hatte die wenigen Gerechten, die den Mut gefunden hatten, den wahren Glauben zu predigen, auf den Scheiterhaufen geworfen, gerade auch weil ihre Theologie zur Gänze korrumpiert war. Was Bertram auch im Jahre 1722 anschließt, entspricht der Topik der humanistischen Kritik an der mittelalterlichen Philosophie zur Gänze und repetiert das Narrativ des allgemeinen Verfalls: Statt der Perikopen des Evangeliums hatte man die nugamenta aristotelica studiert und dem einfachen Volk die Lektüre der Offenbarung verboten. An die Stelle der Väter waren die Mönche getreten, die das theologische Wissen der Philosophie geopfert hatten und sich als blaterones in hypertrophen Subtilitäten ergingen.109 Schon Francis Bacon oder Agrippa von Nettesheim, so Bertram, hatten den Scholastikern vorgeworfen, ihren Intellekt ebenso in der Philosophie des Stagiriten zu beerdigen, wie zuvor schon ihren Körper in der Klosterzelle.110 Hatten nicht schon Gelehrte des Mittelalters von Verstand wie Walter von Sankt-Viktor die Philosophen des 12. Jahrhunderts für ihren rigiden Aristotelismus gebrandmarkt?111 War die Theologie des Mittelalters nicht zum Ende aufgrund ihrer eigenen Verstiegenheit in sich zusammengebrochen? Hatte sie nicht unter anderem wissen wollen, ob Gott-Vater und GottSohn sich auch hätten hassen können, oder ob der Heiland auch in Gestalt eines Verdammten oder als Kürbis hätte zur Welt kommen können? Um seine These zu illustrieren, greift Bertram noch einmal zu Holders notorischer, oben bereits erwähnter ›Mus extenteratus‹, einen Text, der, wie Bertram glaubt, den Schwachsinn der scholastischen Theologasterei systematisch zuendegedacht hatte. Mit vollem Recht hatten sich Waldenser, Wycliffiten oder Hussiten daher gegen diese Verbildungen gewandt und dafür mit dem Tode bezahlen müssen.112
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Ebd., § 9, 194–197. Ebd., Appendix, ad § 9, 218–223. Agrippa von Nettesheim (1993), c. 98, 239–243. Bertram (1731), Appendix, ad § 10, 223, dazu Walter von Sankt-Victor (1855), Liber IV, c. 7, Sp. 1159. 112 Bertram (1731), Appendix, ad §§ 11–13, 223–228.
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Fazit
Einige Worte zum Schluß. Vergegenwärtigt man sich die Flut an Kritik, der sich der erste bedauernswerte Mittellateinische Philologe ausgesetzt sah,113 sieht man, wie sich Typisierungen des Mittelalters und seiner Geistesgeschichte durch alle Säkularisierungsschübe hindurch bis ins 18. Jahrhundert halten können, ruft man sich vor allem in Erinnerung, daß Kampfpamphlete, die das erste Lutherjubiläum 1617 zelebrieren sollten, hundert Jahre später unverändert neu gedruckt werden konnten, so hat man den Eindruck: der interkonfessionelle Dialog war zu dieser Zeit noch ausbaufähig. Aus heutiger Perspektive überrascht doch, wie leicht es den Lutheranern noch im 18. Jahrhundert gefallen war, alle Errungenschaften der Renaissance rhetorisch einzugemeinden und als Leistungen der Reformation mitabzubuchen. Durchgehend galt es, das Projekt einer evangelischen Moderne von ihren katholischen Gegnern abzugrenzen. Ebenso erstaunlich ist auch, daß viele der hier genannten Autoren offensichtlich nicht auf die Idee gekommen waren, die großen Aufarbeitungen der Bollandisten, die quellenorientierte und nüchterne katholische Mediävistik der Mauriner, wie sie vor allem Bernhard de Montfaucon, Luc d’Achery oder Jean Mabillon betrieben hatten, zur Kenntnis zu nehmen. Jesuitisch geprägte, doch vergleichsweise ausgewogene Philosophie- und Theologiegeschichten, wie sie ein Dionysius Petavius vorgelegt hatte, waren an den protestantischen Universitäten des 17. Jahrhunderts kaum gelesen worden. Man sah, was man sehen wollte, Dekadenz, eine fortschreitende Verheerung, allgemeine Barbarei, die erst Luther als leuchtender Titan, als wahrer Philosoph und als Erneuerer des Bildungssystems hatte beenden können.
VII.
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113 Als weitere gegen Leyser gerichtete Texte z. B. Schmidt (1748), dort bes. 7, oder z. B. Funck (1750), der c. 1, § 4, 5, festhält, alle wichtigen Argumente gegen Leyser seien schon von Bertram vorgebracht worden. Daß Leyser sich nicht irrt, konzediert immerhin Fabricius (1752–54), Bd. 2, Hauptstück 20, § 248, 391–396.
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Beiträgerinnen und Beiträger
Uwe Baumann, Dr. phil., war Professor für Anglistik: Literatur- und Kulturwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Guido Braun, Dr. phil., ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Université de Haute-Alsace Mulhouse und Direktor des Centre de Recherches sur les Économies, les Sociétés, les Arts et les Techniques (CRÉSAT). Michael Herkenhoff, Dr. phil., ist Leiter der Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Andreas Pangritz, Dr. phil., war Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Bernd Roling, Dr. phil., ist Professor für Mittel- und Neulatein an der Freien Universität Berlin. Mathias Schmoeckel, Dr. jur., ist Professor für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Stefan Tilg, Dr. phil., ist Professor für Klassische Philologie (Latein) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Claudia Wich-Reif, Dr. phil., ist Professorin für Geschichte der Deutschen Sprache und Sprachliche Variation an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität in Bonn.