Martin Luther - Band 3: Die Erhaltung der Kirche 9783766843579

Der dritte Band der Luther-Biografie als PDF zum Thema "Die Erhaltung der Kirche 1532-1546"

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German Pages 471 [490] Year 2014

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Ruhige Anfange unter Kurfiirst Johann Friedrichabermit den meisten der alten Probleme(1532-1536)
II. Luthers Anteil am Fortgang der Reformationin anderen deutschen Territorien, die Einigungtiber das Abendmahl und die Beziehungenzu Frankreich und England (1532-1536)
III. Erneuter Streit mit alten Gegnern
IV. Die Vollendung der Bibeliibersetzung
V. Der Professor
VI. Theologische Streitigkeiten in Wittenberg
VII. Luther und das Konzil (1533-1539)
Anmerkungen
Personen- und Ortsregister
Sachregister zu Band 1 bis 3
Nachweis der Abbildungen
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Martin Luther - Band 3: Die Erhaltung der Kirche
 9783766843579

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Der abschließende Band dieser großen wissenschaftlichen Lutherbibliographie beschäftigt sich umfassend mit dem letzten Lebensabschnitt des Reformators, der in früheren Darstellungen mangels genauer Kenntnis meist nur knapp behandelt wird. Viele Klischeevorstellungen über den alten Luther erweisen sich als unhaltbar, und sein großer Anteil am Fortgang der Reformation wird deutlich. Ein ausführliches Sachregister für alle drei Bände erschließt die Biographie.

Martin Brecht

Martin Luther

Band 3 Die Erhaltung der Kirche 1532–1546

Martin Brecht

Martin Luther

Die Schwerpunkte des Bandes: – Luthers Anteil am Fortgang der Reformation – Vollendung der Bibelübersetzung – Theologische Streitigkeiten in Wittenberg – Erörterung über das Widerstandsrecht – Luthers Gemeinde – Wittenberg – Auseinandersetzung mit den Juden – Tod und Begräbnis.

Band 3 Die Erhaltung der Kirche 1532–1546 ISBN 978-3-7668-4272-5 www.calwer.com

9

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Martin Brecht

Martin Luther Dritter Band Die Erhaltung der Kirche 1532-1546

Calwer Verlag Stuttgart

Umschlagbild: Martin Luther Holzschnitt von Lukas Cranach d.J., 1546

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7668-4357-9

© 1987 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Unveränderte Sonderausgabe 2013 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Satz: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart Umschlaggestaltung: Otfried Kegel Druck und Verarbeitung: Beltz Druckpartner GmbH & Co. KG, Hemsbach Internet: www.calwer.com E-mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I.

Ruhige Anfange unter Kurftirst Johann Friedrich - aber mit den meisten der alten Probleme (1532-1536)

13

1. Kurfiirst Johann Friedrich . .

13

2. Kursachsen und seine Kirche. . . . . . .

17 23 28

3. Wittenberg. . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haus, Familie undpersonliches Befinden .

II.

Luthers Anteil am Fortgang der Reformation in anderen deutschen Territorien, die Einigung tiber das Abendmahl und die Beziehungen zu Frankreich und England (1532-1536) 1. Die Reformation im Fiirstentum Anhalt. . . . . . . . . . . 2. Beziehungen zu anderen Territorien und deren Reformation

III.

9

35 35

3. Die Abwehr des miinsterischen Tiiufertums. . . . . . . . .

38 43

4. Die Verstiindigung der Oberdeutschen mit Luther iiber das Abendmahl in der Wittenberger Konkordie .

48

Irritationen und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . NeueImpulsefiir eine Konkordie . . . . . . . . . . . . . Die Verhandlungen in Wittenberg und die Fixierung der Konkordie Die Bemiihungen urn die Annahme der Konkordie

48 51 57 60

5. Frankreich und England. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

67

Erneuter Streit mit alten Gegnern.

73

1. Herzog Georg und die Unterdriickung der Reformation im Herzogtum Sachsen (1532-1539). . . . . . . . . . . . . .

73

Trost und Protest wegen Verfolgung . . . . . . . . . . . . Herzog Georgs Niederlage im Kampf gegen die Reformation.

73 78

2. Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe.

81

3. Erasmus und Witzel . . . . .

86

5

4. Das Unrecht Erzbischof Albrechts von Mainz . . . . . Die Affiire Schonitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Skandal wegen der Epigramme des Simon Lemnius Der Brieftriiger des hohen Richters. . . . . . . . . . .

IV.

Die Vollendung der Bibeliibersetzung 1. Die Obersetzung der Propheten und Apokryphen . 2. Revisionen . . . . . . . . . . . . . . . .

V.

101 101 108

3. Die Auseinandersetzung mit den Kritikern

113

4. Lob und Empfehlung der Bibel. . . . . .

116

Der Professor. . . . . . . . . . 2. Die Ordinationen . . . . . . .

119 119 127

3. Promotionen und Disputationen

130

4. Die letzten Vorlesungen. 5. Die Gesamtausgabe . . . . . .

137 144

1. Die Universitiit, ihre Organisation und Ordnung

VI.

91 92 95 97

Theologische Streitigkeiten in Wittenberg .

149

1. Ober die Bedeutung der Buj3e bei der Rechtfertigung der sog. Cordatus'sche Streit . . . . . . . . . .

150

2. Die A version gegen Jakob Schenk . . . . . . .

154

3. Johann Agricola und der antinomistische Streit .

158

Der Ausbruch des Konflikts . . . Disputationen und Versohnungen »Wider die Antinomer« .. Die endgultige Entzweiung. . . .

VII. Luther und das Konzil (1533-1539).

160

162 166

169

1. Erste katholische Sondierungen und evangelische Reaktionen. .

174 174

2. Die Ausschreibung des Konzils nach Mantua, Luthers Artikel und der Bundestag in Schmalkalden 1537 .

179

3. Die Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

4. Papstkritische Publizistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

5. Die endgiiltige Stellungnahme: » Von den Konziliis und Kirchen«

194

VIII. Widerstandsrecht, Friedensbemiihungen, Verfehlung des Landgrafen und Religionsgespriiche (1538-1541) .

199

1. Neue Erorterungen iiber das Widerstandsrecht

199

2. Die Friedensverhandlungen in Frankfurt 1539

203

6

3. Die Misere der Doppelehe Landgraf Philipps. Der Beichtrat . . . . . . . . . . . . . . . . Melanchthons Krankheit. . . . . . . . . . . Die erfolgreiche Ablehnung der Ver6ffentlichung des Beichtrates 4. Die Religionsgespriiche und ihr erwarteter Mif3erfolg Die vergebliche Veranstaltung in Hagenau . Worms - eine triigerische Hoffnung . »WiderHansWorst«. . . . . . . . . Regensburg - Chance oder Flickwerk

IX.

Der personliche Bereich (1537-1546). 1. 2. 3. 4.

X.

XI.

Krank, alt und lebensmiide. . . . . Ehe, Kinder, Familie und Giiste .. Haus, Haushalt, Garten und Besitz . Geselligkeit, Feste und Musik. . . .

Luthers Gemeinde - Wittenberg (1537-1546)

205 205 209 210 215 215 216 219 222

229 229 234 240 244

1. Der Prediger und Pfarrer. . . . . . . . 2. Die Gemeinde . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Sittenkritik und Sittenzucht Das Hauptiibel: Geiz und Wucher Die Krise . . . . . . . . . . . . . . . .

248 248 252 252 257 261

Luthers Kirche - Kursachsen (1537-1546)

264

1. Das Verhiiltnis zur kursachsischen Gesellschaft . 2. Pfarrer und Gemeinden . . . . . . . 3. Kirchenleitung und Kirchenordnung . . . . . .

264 269 275

XII. Der Fortgang der lutherischen Reformation im deutschen Reich und in Europa . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Die Reformation im Herzogtum Sachsen . . . . . . Die Reformation im Kurfiirstentum Brandenburg. . Halle zwischen Albrecht von Mainz und Kursachsen Das Experiment der Reformation der Bistiimer Naumburg und Merseburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beziehungen zu den kleineren benachbarten Territorien . Die iibrigen deutschen und angrenzende Territorien. . . Die Reformation in den europiiischen Liindern . . . . . Das Vorgehen gegen Herzog Heinrich von BraunschweigWolfenbiittel und die Reformation in Braunschweig-Wolfenbiittel Erneuter Streit um das Abendmahl .

7

283 283 291 293 296 303 306 313 315

319

XIII. Die Feinde Christi und seiner Kirche: Juden, Turken und derPapst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. DieJuden (1525-1546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Exegetische Gegensatze und gelegentliche Enttauschungen . Die Abwehr der judaisierenden Sabbater bei unveranderter Grundhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Forderung der Vertreibung der Juden aus verletztem Glauben 2. Die Tiirken . . . . . . . 3. DerPapst(1542-1546).

XIV. Die letzte Reise. . . . . 1. Die Einigungsverhandlungen in Eisleben . 2. »lchfahrdahin ... « . . . . . . . . . . . 3. »Gestorben ist der Wagenlenker Israels« - Begriibnis und Nachhall

328 329 329 332 335 346 351 362 362 368 370

Verzeichnis der abgekurzt zitierten Quellen und Literatur .

376

Anmerkungen. . . . . . . .

377

Personen- und Ortsregister .

429

Sachregister zu Band 1- 3. .

445

Nachweis der Abbildungen .

470

8

Vorwort

1903 erschien in funfter Auflage die von Julius Kostlin und Gustav Kawerau verfaBte zweibiindige Biographie »Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften«. Sie blieb bis in die Gegenwart die einzige groBe wissenschaftliche Gesamtdarstellung des Gegenstandes und wurde wegen ihrer soliden Kenntnis des Stoffes mit Recht geschiitzt. 1m Lauf der Jahrzehnte wurde allerdings eine neue umfassende Lutherbiographie, die der fortgeschrittenen ErschlieBung der Quellen und den veriinderten Blickpunkten Rechnung tragen sollte, verstiindlicherweise zu einem der dringendsten Desiderate der Luther- und dariiber hinaus auch der Reformationsforschung. Weil es an der umfassenden Beherrschung der Quellen fehlte und iiberdies der alte Luther lange Zeit weniger interessierte als der junge, behandelten die neueren Darstellungen vor allem seine beiden letzten Lebensjahrzehnte nur noch mehr oder weniger kursorisch. Bis heute gelang es jedoch nur teilweise, das alte Standardwerk zu ersetzen. 1925 erschien »Der junge Luther« von Heinrich Boehmer. Trotz des groBen zeitlichen Abstandes wollte dann Heinrich Bornkamm an Boehmer anschlieBen. Sein Buch »Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag« muBte jedoch 1979 postum als Fragment erscheinen. Ende 1986 kam die von Reinhard Schwarz verfaBte Lieferung »Luther« des Sammelwerkes »Die Kirche in ihrer Geschichte« heraus. Die komprimierte Darstellung priisentiert kundig den derzeitigen Stand der Lutherforschung. Ihren Schwerpunkt hat sie jedoch einmal mehr bei den Anfiingen Luthers. Die Zeit nach 1531 wird darum nur relativ knapp behandelt. Die Liicken in der Lutherbiographie zu schlieBen war eine der Absichten des von Helmar Junghans 1983 herausgegebenen Sammelwerkes »Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546«. In Gemeinschaftsarbeit sollte bewiiltigt werden, was von einem einzelnen Autor kaum mehr zu leisten war. Die Facetten eines Sammelwerkes konnen m. E. jedoch trotz der dankbar anzuerkennenden jeweiligen Kompetenz seiner Autoren und der Qualitiit der einzelnen Beitriige die fur eine geschlossene Biographie notwendige einheitliche Sichtweise nicht bieten. Wie sich immer wieder zeigt, ist die erforderliche Zusammenschau und die ausgewogene Bewertung nicht aufteilbar. Demgegeniiber ist in Kauf zu nehmen, daB der Blickwinkel eines einzelnen Autors notwendig beschriinkt bleibt. Ermutigt durch die Aufnahme, die meine Darstellung von Luthers Weg zur Reformation gefunden hatte, entschloB ich mich darum, diese zu einer neuen umfassend en Lebensbeschreibung auszubauen. Die erfreuliche Resonanz, die auch der zweite Band bisher erhielt, bestiitigte mich bei meinem Vorhaben. Von vornherein war klar, daB die GroBe des Gegenstandes sowie die Fiille der Quellen und Litera-

9

tur eine auBerordentliche Herausforderung bedeuteten. Die Anstrengung ging mehrfach bis an die Grenzen des eigenen Leistungsvermogens. Mit gewisser Befriedigung wird nunmehr nach einem J ahrzehnt intensivster Beschaftigung und Konzentration das abgeschlossene Werk vorgelegt in der Hoffnung, eine der der Reformationsforschung gestellten Aufgaben einigermaBen erfullt zu haben. Angesichts der von Luther in seinem letzten »Zettel,< se1bst demutig gesetzten MaBstabe fur die Interpretation von Texten erscheint ein Jahrzehnt relativ kurz zur Bewaltigung des Gegenstandes. Dies ist ohne wei teres zuzugeben. Aber die Moglichkeiten, die erforderliche Spannung und Konzentration durchzuhalten, sind naturgemaB beschrankt, und das Wissen von der Begrenztheit der eigenen Zeit und Kraft legte es nahe, einen AbschluB des Vorhabens nicht zu sehr hinauszuschieben. Luther selbst hatte es uberdies fur ungebiihrlich gehalten, daB man sich zu lange mit seiner Person oder seinem Werk befasse. DaB dieses trotz aller Bemuhung urn moglichst vollstandige Erfassung der wesentlichen Aspekte ausgeschopft sei, wird nicht behauptet. Gerade wer Luther viel gelesen hat, weiB davon, daB sich dabei selbst in vertrauten Zusammenhangen immer wieder neue reiche und uberraschende Einsichten auftun. Die Entscheidung, den vorliegenden abschlieBenden Band 1532 mit dem Regierungsantritt Kurfurst Johann Friedrichs einsetzen zu lassen, hat sich im Zuge der Ausarbeitung als richtig erwiesen. Die Erwartung, daB in den vergleichsweise wenig benutzten hinteren Banden der Weimarer Lutherausgabe manches neu zuentdecken sei, wurde nicht enttauscht. Abgesehen von geringfugigen Nebensachlichkeiten wurde versucht, aile Texte, wenn auch in unterschiedlicher Ausfuhrlichkeit, in die Darstellung einzubeziehen. In jedem Kapitel taten sich neue Aspekte und Zusammenhange auf. Luthers Anteil an der Reformationsgeschichte der 30er und 40er Jahre diirfte sich nunmehr genauer bestimmen lassen. Er blieb bis zu seinem Lebensende die bedeutendste Gestalt auf evangelischer Seite, obwohl sein EinfluB unterschiedlich weit reichte, manche Entwicklungen sich weiterhin verselbstandigten und die altglaubige Gegenseite nur noch partiell von ihm Kenntnis nahm. Nicht zuletzt werden die groBen Schwierigkeiten sichtbar, mit denen er auch in der eigenen Kirche konfrontiert war. DaB die Personlichkeit des alten Luther in ihrem Tun und Denken groBe Spannungen aufweist, ist bekannt. Gerade seine Schroffheit und Grobheit gegeniiber seinen Feinden haben immerwieder AnstoB erregt, mochten sie auch sachlich begrundet sein. Bei den vieifaltigen Aufgaben, die er zu bewaltigen hatte, blieb es nicht aus, daB ihm in der Praxis wie in der Theorie immer wieder auch erhebliche Fehler unterliefen. Bedeutender durften bis zum Ende die positiven Leistungen und die tiefen Einsichten geblieben sein. Scharfe und Resignation verdrangten nie die zarten Tone und das aus dem Rechtfertigungsglauben lebende Grundvertrauen zu Gott, und darin bestand trotz aller Spannungen die bleibendeGeschlossenheit seiner Personlichkeit. Der Untertitel dieses Bandes besagt, urn was es dem alten Luther allenthalben ging: die Erhaltung der Kirche. Die Bekenner des reformatorischen Evangeliums waren fur ihn mit der wahren Kirche identisch. Seine letzte Lebensphase bekam von daher noch starker als zuvor einen konservativen Grundzug, der jedoch weithin mit dem identisch war, was er immer gewollt hatte. 10

Es wurde auch diesmal besonders Wert darauf gelegt, den umfanglichen Stoff in einer ubersichtlichen Disposition zu bandigen. Dabei sind die drei ersten und die Kapitel9 bis 13, die Luthers privatem Bereich, seiner Gemeinde, Kursachsen sowie den anderen evangelischen Territorien und der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern gewidmet sind, in gewissem Sinn parallel angeordnet. Die Kapitel 4 bis 6 uber die Bibelubersetzung, den Professor und die Wittenberger Streitigkeiten bieten Langsschnitte, und die beiden folgenden bilden mit dem Problem des Konzils und der Religionsgesprache das thematische Scharnier zwischen den Hauptteilen des letzten Lebensabschnittes. 1m ubrigen wurden Form und Anlage der beiden fruheren Bande beibehalten. Dart sind zum Teil auch bereits die vorkommenden Hauptpersonen abgebildet. Fur die Stadte und Gemeinden im sachsisch-thuringischen Raum, zu denen Luther Beziehungen hatte, sei auf die Karte verwiesen, die sich auf den Vorsatzblattern des zweiten Bandes findet. AuBer dem Personen- und Ortsregister fur den vorliegenden Band ist ein Sachregister beigegeben, das aile drei Bande berucksichtigt. Ohne die jahrelange stille Mithilfe der Universitatsbibliothek Munster, die mir zusammen mit der Einrichtung der Fernleihe nahezu aile und darunter auch ausgefallene Literaturwunsche erfiillte, hatte die Biographie nicht geschrieben werden konnen. Dafiir sei an dieser Stelle anerkennend gedankt. Die Zusammenarbeit mit dem Calwer Verlag an dem gemeinsamen Vorhaben kann ich nur als forderlich und erfreulich bezeichnen. Die gut eingespielte und engagierte Mitarbeit meiner Sekretarin Frau Ingeborg Muller, meiner studentischen Hilfskrafte Jens VoB und Ute Gause sowie meiner Assistentin Frau Bettina Wirsching, die zu allem hin auch diesmal die Register erstellte, hat auch zu diesem letzten Band und seinem zugigen AbschluB wesentlich beigetragen. Der Austausch mit ihnen war fur mich ermutigend und hilfreich. Den Anteil, den meine liebe Frau mit umfassender partnerschaftlicher Unterstutzung durch all die Jahre an dem gesamten Werk hat, laBt sich kaum angemessen ausdrucken. Der tiefe Dank gilt nicht allein all den Menschen, die mir geholfen haben. Trotz aller Anstrengung betrachte ich es nicht zuletzt als ein Geschenk, daB ich meinem Beruf als Kirchenhistoriker mit diesem Werk nachgehen durfte.

Martin Brecht

Januar1987

11

I. Ruhige Anfange unter Kurfiirst Johann Friedrichaber mit den meisten der alten Probleme

(1532-1536)

1. Kurfiirst Johann Friedrich Von Anfang an hing das Schick sal Luthers und seiner Reformation auch von seinem jeweiligen Landesherrn abo Friedrich der Weise hatte ihn beschiitzt. Kurfiirst Johann hatte seit 1525 die kirchliche Neuordnung ermoglicht. Nach Johanns Tod im August 1532 wurde sein Sohn, der 1503 geborene Johann Friedrich, spiiter als "der GroBmiitige« bezeichnet, sein Nachfolger (Tafel 1)1. Er war von Anhiingern Luthers erzogen worden, schiitzte diesen und seinen Rat und hatte sich schon zu Lebzeiten seines Vaters energisch fur die Belange der Reformation eingesetzt. Zu grundsiitzlichen Befurchtungen wegen der Kontinuitiit der kursiichsischen Reformationspolitik bestand darum kein AnlaS. Dennoch brachte die Ziisur des Regierungswechsels manche UngewiBheit, wie es im Kurfiirstentum weitergehen wiirde. Johann Friedrich war 20 Jahre jiinger als Luther und schon aus Altersgriinden tatkriiftiger als sein Vater. Ob er dem Reformator in demselben AusmaB Gehor schenken wiirde wie Kurfiirst Johann, muBte sich erst herausstellen. Noch lieB sich nicht absehen, wie er sich der Belange der Universitiit sowie der nach wie vor schwierigen Lage der kursiichsischen Kirche annehmen und wie sich seine evangelische Reichspolitik im einzelnen gestalten wiirde. Immerhin war so eben der Niirnberger Religionsfriede zustande gekommen, und damit war die unmittelbare Bedrohung der evangelischen Reichsstiinde abgewendet. Der Beginn der Regierung Johann Friedrichs fiel so mit einer relativ ruhigen, undramatischen Phase der Reformationszeit zusammen. Damit verlief auch das Leben Luthers zuniichst in ruhigen Bahnen. In der Tischrunde iiuBerte sich Luther damals offen iiber seine Sorgen, die aus seinen bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Herrscher entsprangen. Mit Friedrich dem Weisen sei die Weisheit, mit seinem Bruder Johann die Frommigkeit gestorben. Johann Friedrich galt ihm als eigenmiichtig und wenig gesonnen, auf die Gelehrten zu horen. Dagegen war aufgrund der ersten Erfahrungen mit einer fur die Kirche problematischen Zunahme des Einflusses des Adels zu rechnen. Luther erkannte zwar an, daB es dem neuen Landesherrn nicht an Klugheit und Mut fehle, er vermiBte jedoch die Frommigkeit seines Vaters und zweifelte, ob ihm auch das gliickliche Gelingen beschieden sein wiirde. Man muBte Gott urn seinen Beistand fiir den Kurfiirsten bitten. Einige Zeit spiiter urteilte Luther gelassener, die neuen Regenten wiirden sich aufgrund der Einsicht, daB sich nicht alles sofort und wunschgemiiB verwirklichen lieB, die Horner abstoBen 2 • Einer der sofort entlassenen Beamten war der Kiimmerer Johann Riedesel, der Pate von Luthers Sohn Martin. 13

Luther trostete ihn wegen dieser Anfechtung und versicherte ihn seiner Verbundenheit, ohne den Kurfursten direkt zu kritisieren 3 . Trotz des neuen Regierungsstils Johann Friedrichs stellten sich Luthers Befiirchtungen weithin als gegenstandslos heraus. Der Kurfiirst nahm seine Regentenpflichten ernst. Mit seiner Fiirsorge fur die evangelische Kirche tat er sich vor anderen hervor 4 • Der gute Kontakt zwischen Wittenberg und dem Hofbestand fort, und es fehlte nicht an Zeichen der Hochschatzung Luthers durch den Kurfursten. Bei dessen nicht seltenen Aufenthalten in Wittenberg hatte Luther in der SchloBkirche zu predigen 5 • Johann Friedrich hatte eine hohe Achtung vor Luther und identifizierte sich ganz mit der evangelischen Sache. In wichtigen Angelegenheiten suchte er seinen Rat und lieB ihn dafur haufig an den Hof nach Torgau rufen. Er behielt sich jedoch jeweils sein eigenes Urteil vor. Gelegentlich versuchte er auch, Luther fiir die Zwecke der kursachsischen Politik einzuspannen. Dieser wiederum war viel zu selbstandig, urn seinem Landesherrn ohne weiteres horig zu sein. Bei diesem Verhaltnis konnten gelegentliche Meinungsverschiedenheiten nicht ausbleiben, so daB einer von beiden darauf verzichten muBte, seine Ansicht durchzusetzen. Aber beide Partner hatten das Format, dies zu ertragen, ohne daB es dadurch zu schwereren Konflikten gekommen ware. Diese tragfahige Beziehung zwischen beiden war eine der Grundlagen fur das Wirken Luthers in seinem letzten Lebensabschnitt. Nicht von ungefahr begegnet darum Johann Friedrich mit seinem Interesse an den kirchlichen, theologischen und universitaren Belangen sowie nicht zuletzt an Luthers Ergehen aktiv und einfluBreich in allen Kapiteln der Biographie des alten Luther 6 • Als 1536 in Torgau die Hochzeit zwischen Herzog Philipp I. von Pommern und Johann Friedrichs Schwester Maria stattfand, sollte Luther das Paar nach der Ordnung des »Traubiichleins« trauen. Er predigte dabei sehr ernst iiber den Ehestand und seine Wiirde. Die unmaBige Sauferei bei diesem Fest kritisierte er spatermehrfach. DaB die Verbindung des pommerschen und sachsischen Fiirstenhauses auch fur die Reformation bedeutsam war, war den Beteiligten bewuBt. Der beruhmte Croy-Teppich von 1554, der die Mitglieder beider Familien als Horer von Luthers Predigt vom gekreuzigten Christus zeigt, dokumentierte diesen Zusammenhang noch nachtraglich (Tafel IIf. Der von Johann Friedrich iibernommene Kanzler Gregor Bruck, ein erfahrener Praktiker und von Luther als »Atlas« Kursachsens geschatzt, bot Gewahr fur Kontinuitat in Politik und Verwaltung 8 • Johann Friedrich bediente sich seiner haufigals Mittelsmann zu Luther und lieB sich von ihm iiber dessen jeweiligen Standpunkt informieren. Auch zu dem Vizekanzler Christian Beyer (gest. 1535) und dessen Nachfolger Franz Burkhard, beide auch Mitglieder des Wittenberger Lehrkorpers, scheint Luther ein gutes Verhaltnis gehabt zu haben 9 • Hingegen gab die professionelle, sakulare Eigenmachtigkeit anderer Beamter Grund zur Klage. Warum Luther 1533 den Marschall Hans von Dolzig als Buben, »der das Land verderbt«, bezeichnete, ist nicht bekannt. 153510bte er zwar den Kurfursten uneingeschrankt, klagte aber pauschal iiber das MiBtrauen der »Befehlshaber« gegeniiber den Wittenberger Theologen 10. DaB am Hof anders als Wher das Geld mit vollen Handen 14

ausgegeben wurde, empfand Luther als problematisch. Zunehmend machte er sich auch iiber die das Hofleben mitpragende Trinkfreudigkeit Johann Friedrichs trotz dessen robuster Konstitution durchaus berechtigte Sorgen, zumal der Kurfurst damit auch seinen wachsamen katholischen Gegnern eine Angriffsflache bot l1 . Kurfurst Johann hatte den zahlreichen Bittgesuchen Luthers zugunsten Dritter meist stattgegeben. Johann Friedrich hingegen lieB ihn alsbald vorsorglich wissen, daB er sie nicht alle werde Ie sen k6nnen. Luther zeigte dafur durchaus Verstandnis. Die Inanspruchnahme als Fiirbitter war auch fur ihn selbst eine Last, die er verringern wollte. Er setzte darauf, daB der Kurfurst schon merken wiirde, an we1chen Gesuchen ihm wirklich lag. Eine Angelegenheit seiner Eisenacher Verwandten, die weder dort noch von ihm selbst beigelegt werden konnte, gab er sehr reserviert an den Vizekanzler weiter12. Eine erhebliche Anderung in Luthers Bittstellerei trat nach anfanglicher Zuriickhaltung auf die Dauer dann auch nicht ein. Schon im Oktober 1532 verwandte er sich energisch fur die Abmilderung eines iiberscharfen Gerichtsurteils wohl in einer Ehesache, das gerade am Anfang der Regierung Johann Friedrichs unangemessen war13. Selbst wegen einer Gabe von 2 Gulden fur einen armen Greis, die von den Amtleuten und sonstigen Verantwortlichen nicht zu beschaffen war, ging er den Kurfiirsten an 14 • Ais »unlustig« charakterisierte Luther seine Fiirsprache fur den wegen Erhebung unberechtigter Anspriiche aus Schneeberg ausgewiesenen Martin Sangner. Der Kurfurst teilte Luther deutlich mit, daB er einseitig informiert sei, und blieb bei seiner Entscheidung 15 • Bevor sich Luther fur eine gefangengesetzte wahnsinnige Wittenberger Frau einsetzen woUte, soUte der Vizekanzler Burkhard die Erfolgsaussichten sondieren. Luther hielt die Haft in diesem Fall nicht fur sinnvoU, vor allem aber sollte Riicksicht auf die Heiratsaussichten der Tochter genommen werden. Die Verkettung menschlichen Elends soUte durch Barmherzigkeit aufgebrochen werden 16 • Mit der 1534 entstandenen, Anfang 1535 ver6ffentlichten Auslegung des 101. Psalms, »Davids Regentenspiegel«, woUte Luther wohl auf die ihm zustehende Weise dem jungen Landesherrn eine Orientierung geben17. Dies wird zwar nicht ausdriicklich gesagt, aber der Kontext der kursachsischen Verhaltnisse ist gut zu erkennen, obwohl Luther immer wieder beteuert, keine h6fischen Erfahrungen zu haben. Die etwas in Vergessenheit geratene Schrift geh6rt zu seinen wesentlichen und wei sen AuBerungenzum Thema Politik, die, anders als die alte Geistlichkeitund die Taufer, positiv zum weltlichen Stand SteUung nehmen will. Gute politische Ordnung ist fiir Luther nicht einfach mach bar, wie die angeblichen und echten Experten vorgeben, sondern Gabe Gottes und gliickliches Geschenk. Ebenso hangt der politische Erfolg letztlich davon ab, ob Gott das Gelingen gibt. Damit ist nichts gegendie politische Vernunft gesagt; vielmehr kennt gerade sie niichtern ihre Grenzen. Politische Prinzipien und das Recht lassen sich meist nicht direkt verwirklichen, sondern miissen durch Kompromisse mit der Relativitat der Verhaltnisse in Einklang gebracht werden. Die dazu n6tige Weisheit besitzen die» Wunderleute«, diepolitischen Charismatiker wie Friedrich der Weise oder sein Rat Fabian von Feilitzsch, nicht die klugen Theoretiker. Das politische Geschaft lieB sich zwarnur bedingt erlernen, aber immerhin bot die Weisheit der Wunderleute dabei Orientierung. 15

Der ideale Politiker halt sein Reich bei Gottes Wort, was allerdings nur im glticklichen Ausnahmefall auch verwirklicht werden konnte. Schon seine Umgebung vermag ein Herrscher nicht von Feinden Gottes freizuhalten (alttestamentliche Beispiele und die Verhaltnisse bei den Altglaubigen bewiesen es); auch dazu bedarf es der UnterstUtzung Gottes. U. U. muB ein Ftirst den gefahrlichen Ratgeber in seiner Nahe ertragen und darf sich dennoch nicht mit ihm gemein machen. Rechte Regierung hat sich nach Meinung des alteren Luther urn die Verktindigung des Wortes Gottes und die Abwehr verfuhrerischer Sekten zu ktimmern. Auch das lieB sich nur teilweise verwirklichen. Die Abschaffung des papstlichen Zwangs hatte eine allgemeine Bindungslosigkeit im Gefolge. Auf die Dauer konnte man dem nur mit einer sorgfaltigen Unterweisung der Jugend entgegenwirken. Trotz der Pflicht des Ftirsten zur auBeren Ftirsorge ftir die Kirche wollte Luther geistliches und weltliches Regiment nach wie vor keinesfalls vermischt wissen. » Ich muB immer soleh Unterschied dieser zweier Reiche einblauen und einkauen, eintreiben und einkeilen ... «18 Das bedeutete freilich nicht eine Beziehungslosigkeit beider Bereiche. Die Prediger hatten im Namen der g6ttlichen Obrigkeit auch den politischen Machthabern Gottes Gebot auszurichten. Hingegen dtirfe weder von weltlicher noch von geistlicher Seite her versucht werden, das Recht des anderen Bereichs zu verandern. Immerhin war eine politische und soziale Friedensordnung so etwas wie ein Modell des Himmelreichs. Dabei war sich Luther tiber die Profanitat des geltend en kaiserlichen (r6mischen) Rechts v6llig im klaren. Es galt ihm als Inbegriff antiker politischer Weisheit, die die Gegenwart nicht zu tiberbieten vermochte, obwohl »Regiment und Juristen wohl auch eines Luthers bedurften«19. Aber aus einer solchen politischen Reformation konnte zu leicht ein mtintzerischer Aufruhr werden. Zur richtigen Anwendung des Rechts bedurfte es wiederum der» Wunderleute«. Differenzierter als im Psalm werden dann die Probleme von Verleumdung, Neid und Oberheblichkeit in Politik und Gesellschaft er6rtert. Weisheit und Tugend sind keineswegs an die oberen Stande gebunden. Luther k6nnte sich darum ein Wahlk6nigtum tiber die sozialen Schranken hinwegvorstellen. Zweifellos auch mit Blick auf den kursachsischen Hof kommt dabei die Sprache auf den besonderen Teufel der Deutschen, »ein guter Weinschlauch und muB SaufheiBen, daB er so dtirstig und hellig( ermtidend), der mit so groBem Saufen Weins und Biers nicht kann gektihlet werden. Und wird soleher ewiger Durst und Deutschlands Plage bleiben (habe ich Sorge) bis an den JUngsten Tag«. 20 Als besondere Tugend der Deutschen wird dagegen ihre verlaBliche Treue gertihmt. Luther verschwieg keineswegs die schweren Fehler oder die MiBerfolge Davids, aber entscheidend war, daB er einen gnadigen Gott hatte. Die Auslegung dieses Psalms wollte gegentiber den bestehenden Verhaltnissen kritisch sein. Ob sie gut war, muBte sich daran zeigen, daB sie nur wenigen Leuten gefiel. Ein direktes Echo des Hofes ist nicht bekannt, hingegen lobten Luthers theologische Freunde seine politische Weisheie1. In der Tat ist die Verkntipfung von ntichterner Einsicht in die Relativitat politischer Verhaltnisse mit dem durchgehaltenen BewuBtsein der Abhangigkeit von Gott und der Bindung an seinen Willen bemerkenswert. Der Rahmen der Beurteilung der Welt durch den alten Luther wird hier erkennbar.

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Tafel I: Kurfurst Johann Friedrich von Sachsen und seine Mitarbeiter an der Reformation Gemiilde von Lukas Cranach d.A., urn 153211539

Tafel II: Der Prediger Luther auf den gekreuzigten Chris/us weisend, als seine Zuhorer links die Mitglieder des kursiichsischen Furstenhauses, rechts die des pammerschen Herzagshauses Sag. Cray-Teppich des Gabelinwirkers Peter Heymans, 1554

Tafel III: Der Abguj3 der Hiinde Luthers, nach dem Tode abgenommen, zeigt die Deformationen seiner Gelenke durch das Harnsteinleiden

Tafel IV: Andreas Osiander d. A. Olgemiilde von Georg Pencz, 1544

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Tafel V: Kurfurst Johann Friedrich und Luther unter dem Kreuz Titelholzschnitt von Lukas Cranach d. J. zu dem nach Luthers Tod erschienenen Witten berger Neuen Testament 1546

Tafel VI: Einzeichnung Luthers in eine Witten berger Bibel von 1541 Ps.41 1m Buch ist von mir geschrieben Mein Cott deinen Willen thu ich gerne Durch dis Cerne thun, oder gehorsam Christi sind wir aile geheiliget Ebre X Wie Sanct Paulus sagt Ro 5 Durch Eines gehorsam werden viele gerecht Solchs sol man ynn diesem Buche studirn So wirds verstanden sein Mart LutheR Anno 1542

Tafel VII: Martin Luther in seinern 50. Lebensjahr Gerniilde von Lukas Cranach d.A., 1533

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Tafel VIII: Kardiniile reinigen mit Fuchsschwiinzen die Kirche, Von Luther konzipierter Holzschnitt der Cranachschule zum »Ratschlag«, 1538

Tafel IX: Luther am Katheder, von Krankheit gezeichnet Zeichnung seines Hausgenossen Johann Reifenstein, 1545 Die Beischrift aber Luthers Tod stammt von Melanchthon.

Tafel X: Katharina (Kiithe) Luther, geb. von Bora Gemiilde der Cranachwerkstatt

Tafel XI: Lutherstube im Lutherhaus

Tafel XII: Katharinenportal am Lutherhaus, 1540

Tafel XIII: Luther weist als Prediger die Gemeinde auf den gekreuzigten Christus hin Gemiilde von Lukas Cranach d. A. auf der Predella des Altars der Witten berger Stadtkirche, 1547

Tafel XIV: lnnenraum der von Luther 1544 eingeweihten Schlof3kirche in Torgau

Tafel XV: >>fudensau« Sandsteinrelief am Chor der Stadtkirche in Wittenberg, frahes 14.!ahrhundert

Tafel XVI: Haus des Stadtschreibers Johann Albrecht in Eisleben, in dem Luther wohnte und starb.

Tafel XVII: Grabmal Katharina (Kiithe) Luthers, geb. von Bora in der Stadtkirche in Torgau

Tafel XVIII: Der tote Luther Pinselzeichnung von Lukas Fortennagel (Furtenagel), 1546

Tafel XIX: Luthers Grabtafel in der Schlof3kirche in Wittenberg

Tafel XX : Bronzeepitaph Luthers Original von Heinrich Ziegler infolge des Schmalkaldischen Krieges in der Stadtkirche in lena, Abguj3 in der Schloj3kirche in Wittenberg

2. Kursachsen und seine Kirche DaB die Verhaltnisse in den kursachsischen Pfarreien nach der ersten, 1528 begonnenen Visitation wenige Jahre spater bereits einer erneuten Revision bedurften, war offensichtlich schon am Ende der Regierungszeit KurfUrst Johanns unabweisbar. Die Pfarrer wurden schlecht behandelt und versorgt. Umgekehrt gab es auch Klagen iiber ihren Lebenswandel und ihre Lehre. Auf Bitten des Ausschusses der Landschaft (Landtag) sollte darum eine neue Visitation unternommen werden 1. Als Luther am 21. August 1532 erstmals vom neuen KurfUrsten zu Tisch geladen war, brachte er auf Bitten von Jonas sofort die dringende Angelegenheit einer neuen Visitation vor, die dann in der Tat, verbunden mit dem weiteren Einzug der Kirchengiiter, noch im selben Jahr in die Wege geleitet wurde 2 • Als einer der Visitatoren wurde wiederum Jonas bestellt. Auch in den erst en Predigten vor dem KurfUrsten brachte Luther die Geringschatzung und Vernachlassigung der Pfarrer durch Bauern, Biirger, Adel und Amtleute zur Sprache 3 . In den Tischreden kam er damals immer wieder auf diese brennenden Probleme zuriick. Die Versorgung der Pfarrer durch die Gemeinden schien ihm wichtiger als die Verhiitung von Unzucht. Standig wird auch die Oberheblichkeit des Ade1s den Pfarrern gegeniiber beklagt 4 • Eine im Oktober 1534 in Kemberg gehaltene Predigt ist durchzogen von der Enttauschung iiber die Undankbarkeit gegeniiber dem Evangelium 5 • Luther suchte sie dadurch zu erklaren, daB das Offenbarwerden der Bosheit auch als eine Folge des Evangeliums zu begreifen ist. Selbst mit seinen drastischen Mahnungen erreichte Luther die Gewissen nicht, und das muBte auf die Dauer ermiiden. Die Gesellschaft war in ihrem Geiz immun geworden 6• Der unzureichenden Bezahlung korrespondierte die geringe Autoritat der Pfarrer, die deswegen mit ihrer Sittenkritik bei allen Standen wenig Erfolg hatten 7 . In der Vorrede zu Kaspar Aquilas »Sermon vom Almosengeben« deutete Luther die Undankbarkeit als endzeitliches Phanomen, da der Verlust von Gottes Wort unabwendbar in die Gottverlassenheit und das Gericht fiihren muBte. Er muBte sich damit begniigen, sich an das kleine Hauflein zu wenden, das das Wort mit Liebe und Dank annahm 8 . Luther war an der zweiten Visitation abgesehen von der Vertretung fUr Bugenhagen 153411535 zwar an sich nicht unmittelbar beteiligt, wurde aber dennoch haufig mit schwierigen Angelegenheiten befaBt. So war die ehemalige Nonne Elisabeth von Reinsberg als Madchenschulmeisterin in Altenburg entlassen worden und muBte nunmehr anderweitig aus dem Kirchengut versorgt werden 9 • Gelegentlich suchte Luther eine problematische Entscheidung der Visitatoren iiber das Kirchengut zu korrigieren lO : In Dabrun war das Pfarrhaus abgebrannt, wobei der Pfarrer alles verloren hatte. Ihm muBte zu der vom KurfUrsten zugesagten Unterstiitzung verholfen werden, sonst war er gezwungen, die Pfarrei zu verlassen 11. Umgekehrt muBte beim KurfUrsten erreicht werden, daB die von den Visitatoren befUrworteten Zulagen fUr die Geistlichen in Grimma, besonders fUr den Pfarrer, der hohe Arztkosten fUr seine Frau hatte, auch ausbezahlt wurden l2 . Einem armen Dorfpfarrer sollte seine Hinterbliebenenversorgung dadurch gesichert werden, daB er ein kleines Priesterlehen erblich behalten durfte 13 • Dem Pfarrer Michael Cramer wurden 17

seine Einkiinfte vorenthalten, wieder einmal ein Beispiel endzeitlicher Undankbarkeit von Bauern und Adel gegen das Evangelium 14. Der Witten berger Landvogt Hans Metzsch hatte aus unbekannten Griinden Johann Schlaginhaufen aus der Pfarrei Zahna vertrieben. Als Luther sich fur ihn hatte verbiirgen wollen, war dies beleidigend abgewiesen worden. Er war damber derart aufgebracht, daB er mit seinem eigenen Weggang aus Kursachsen drohte. Bei einem solchen Verhalten der Beamten und ihres Anhangs muBte das Land seine Prediger und Pfarrer verlieren. Willkiirliche Entlassungen von Pfarrern durch ihre Adligen kamen auch sonst vor. Die Fiirbitte am Hof fur den vertriebenen Pfarrer Wolfgang Gotze iiberlieB Luther Spalatin allein, urn nicht den Verdacht einer abgesprochenen Aktion zu erwekken 15. 1535 beschwerten sich die vier Pfarrer der Herrschaft Baruth bei Luther und Jonas als den zustandigen Visitatoren, weil ihnen die Familie von Schlieben, die das Kirchenpatronat innehatte, teilweise ihre Besoldung vorenthielt und sie bei dringenden BaumaBnahmen an den Pfarrhausern nicht unterstiitzte. Dem Pfarrer in Crossen machten seine Bauern Schwierigkeiten beim Bau seiner Behausung l6 . In einem nicht naher bekannten Fall rieten Luther und Melanchthon den Visitatoren allerdings ab, sich mit dem Hofmeister Hans von Minkwitz anzulegen. Man hatte auf diesen wichtigen Mann am Hof Riicksicht zu nehmen 17 • Die Visitation hatte sich gelegentlich immer noch mit den Nonnenklostern zu befassen. 1534 wollten die noch im Kloster Nimbschen verbliebenen Nonnen austreten. Luther konnte dies nach seinen Erfahrungen nur befurworten, wenn jeweils die Versorgung sichergestellt war. Die alten Nonnen sollten am besten im Kloster bleiben. Mit der Auflosung dieses Klosters stellte sich auch die Frage nach der weiteren Verwendung des nicht eben sehr fahigen dortigen Predigers Johann Petzensteiner, des einstigen Weggefiihrten auf der Reise nach Worms. Luther wuBte keinen Rat. In Wittenberg waren schon 20 Bediirftige, die nicht versorgt werden konnten. Ihm wurden derartige Belastungen zugeschoben, wahrend es doch Sache der anderen Visitatoren mit ihren groBeren Verwendungsmoglichkeiten gewesen ware, die Wittenberger zu entlasten 18. Anders als die Nimbschener Nonnen wollten die des Klosters Plotzky auch nach Obernahme der Reformation an ihrem gemeinsamen Leben festhalten. Luther befiirchtete jedoch, daB dies zu einem Riickfall ins Papsttum fuhren konnte, und der Kurfurst lieB die gewiinschte Neuwahl einer Abtissin nicht zu l9 . Meist im Zusammenhang mit der Visitation, manchmal auch anderweitig, z. B. wegen Unterbringung stellungsloser Pfarrer, wurde Luther in Probleme der Pfarrbesetzung eingeschaltet. Der Diakon Valentin Paceus in Leisnig war angeblich krankheitshalber nicht in der Lage, sein Amt auszuiiben, und so lite deshalb mit seiner groBen Familie durch ein kurfurstliches Almosen versorgt werden. Luther scheint ihn auch personlich unterstiitzt zu haben, muBte jedoch spater erkennen, daB Paceus, der es nirgends aushielt, dies eigentlich nicht verdiente 20 . Das Diakonat Leisnig verschaffte Luther dann seinem Hausgenossen Antonius Lauterbach, der einem anderen Bewerber vorgezogen wurde. Als Lauterbach schon bald mit dem dortigen Pfarrer Wolfgang FuB Streit bekam, setzten sich Jonas und Luther energisch fur Lauterbach ein. Ein direktes Eingreifen in Leisnig ware Luther allerdings 18

nur aufgrund eines kurfUrstlichen Befehls moglich gewesen. Unter den gegebenen Umstiinden tat sich Lauterbach nicht leicht und muBte mehrfach zur Geduld ermahnt werden. 1536 berief Luther ihn abo Lauterbach wurde zuniichst Diakonus in Wittenberg. Gelegentlich holte er sich bei Luther Rat, Z. B. wegen der nicht selten erforderlichen Seelsorge an sterbenden Kindbetterinnen oder im Fall von Totgeburten. Von der Besprechung eines kranken Kindes mit einer zauberhaft gebrauchten biblischen Formel durch eine bestimmte Person riet Luther Lauterbachs Frau ab 21 • Urn erst gar nicht die Moglichkeit eines Streites aufkommen zu lassen, lehnte Luther die Schaffung einer vom Pfarrer unabhiingigen SchloBpredigerstelle in Altenburg ab 22 . Als Luther 1532 zu der Anstellung von Simon Haferitz in Kamenz seine Zustimmung geben sollte, betonte er ausdrucklich, »daB ich nicht gedenk, ein neu Papstzu sein, aile Pfarren und Predigtstuhl zu bestellen etc. ; wiewohl ich schuldig mich erkenne, Rat und Hilfe zu beweisen, wer mein bedarf.« Die Schuld am Mangel geeigneter Pfarrer gab er der schlechten Behandlung, die ihnen zuteil wurde, und der mangelnden schulischen Nachwuchsforderung. Dennoch erwies sich die Vermittlung von Haferitz als schwierig, weil er einst Anhiinger Muntzers gewesen war23. Die Torgauer Gemeinde verlangte die Versetzung des Pfarrers und der Kapliine, wei I ihre Predigten akustisch nicht zu verstehen waren. Angesichts der sonstigen Qualitiiten der dortigen Geistlichen sollten die Visitatoren nach Luthers Meinung diese Forderung abweisen 24 • Ein besonderes Problem war die Behandlung straffiilliger Pfarrer. Sofern es sich nicht urn Kriminaldelikte handelte, sollten nach Luthers Auffassung dafUr die Visitatoren und nicht die weltlichen Gerichte zustiindig sein. Angesichts der durch die pastorale Sittenkritik mitbedingten Spannungen zwischen den Pfarrern einerseits und Bauern, Burgern sowie Adligen andererseits waren weltliche Instanzen nicht das geeignete Forum 25 . Die liistige Eheangelegenheit eines Pfarrers wollte Luther von den Superintendent en Myconius und Menius behandelt wissen und sich erst einschalten, wenn die Sache vor die »Centauren«, gemeint waren die adligen kurfUrstlichen Riite, gebracht wurde. Er muBte es dann jedoch hinnehmen, daB der Fall von den Richtern und nicht in seinem Sinn entschieden wurde 26 . Luther deckte die Pfarrer keineswegs in jedem Fall. Den wegen Vergewaltigung festgesetzten ehemaligen Pfarrer von Weida, Johann Gulden, der noch die Unverschiimtheit hatte, eine neue Anstellung zu verlangen, forderte er auf, sich zu demutigen. Melanchthon bat, Giilden zu begnadigen; der KurfUrst lieB ihn jedoch hinrichten 27. Nach Luthers ersten Informationen beruhten die Vorwiirfe gegen den wegen Ehebruchs abgesetzten Pfarrer von Hildburghausen, Johann Weybringer, auf ubler Nachrede; deshalb sollte der KurfUrst die Sache untersuchen lassen. Er riiumte ein: »Wahr ist's, daB wir Prediger etwa (vielleicht) auch nicht fromm sind; aber weil uns dagegen jedermann feind ist, so lehret Paulus - vielleicht auch gewitzigt -, daB man wider die Prediger nicht jedermanns Klage solie zulassen.« Die ungunstige gesellschaftliche Stellung der Geistlichen durfte nicht noch mehr geschwiicht werden. Fur begangenes Unrecht verdienten sie allerdings strenge Strafe. 1m Lauf der Zeit wurde Luther in diesem Fall unsicherer, welche Seite Glauben verdiente. Weybrin-

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ger warf er zumindest vor, sich verdachtig gemacht zu haben, und schon davor hatte ein Geistlicher sich zu hiiten 28 • Die straffalligen Geistlichen waren gewiB Ausnahmefalle. Aber in diesem Zusammenhang wird ebenso wie bei der Versorgung der Pfarrer iiberraschend deutlich, daB der neue Pfarrstand sein gesellschaftliches Ansehen noch keineswegs gewonnenoder zuriickgewonnen hatte. Nach den Erfahrungen der zweiten Visitation war die verlaBliche Stiitze einer notwendigen kirchlichen Autoritat in der Volkskirche einstweilen allein der Landesherr. Ohne ihn konnten sich die Pfarrer mit ihrer Verkiindigung in der Breite der Gesellschaft nicht behaupten 29 • Fiir das landesherrliche Kirchenregiment gab es also in Kursachsen nicht nur politische, sondern auch gewichtige kirchliche Argumente. Theologische Schwierigkeiten eigener Art hatte Luther mit dem ihm an sich nahestehenden Pfarrer Michael Stifel 3o • Der ehemalige Augustinermonch aus Esslingen war von 1525 bis 1528 Pradikant bei der oberosterreichischen Adelsfamilie J orger zu Tolleth gewesen. Als er von dort infolge der gegenreformatorischen Politik vertrieben wurde, vermittelte ihm Luther die Pfarrei Lochau. Stifel heiratete die Witwe seines Vorgangers Franz Giintherund wurde von Luther getraut 31 • Stifel hat nichtnur eines der friihesten Lieder auf Luther gedichtet; er war auch eine bemerkenswerte mathematische Begabung. Seine »Arithmetica integra« (1544), »Deutsche Arithmetica« (1545), sein »Rechenbuch« (1546) und weitere Veroffentlichungen weisen ihn als beachtlichen mathematischen Didaktiker aus. Von seinen mathematischen Neigungen aus geriet Stifel auch auf die Wortrechnung, die nach verschiedenen kabbalistischen Verfahren aus den Buchstaben bestimmter Bibelstellen apokalyptische Zeitangaben entnahm. 1532 veroffentlichte Stifel seine Einsichten in seinem »Rechenbiichlein vom Endchrist. Apocalypsis in Apocalypsim«. 1m Herbst 1532 auBerte sich auch Luther sehr bestimmt iiber die Nahe des Weltendes. Die Verhaltnisse konnten sich nicht immer weiter zum Bosen hin entwickeln; es muBte eine Wende kommen. Er lehnte es jedoch ab, ein Vorwort zu dem Biichlein beizusteuern. Er verurteilte die Berechnungen Stifels, der inzwischen den 19. Oktober 1533, morgens acht Uhr als Termin der Wiederkunft Christi annahm und bereits seinenHausrat verschenkte, schon Anfang 1533 als Schwarmerei und suchte ihn von der Willkiirlichkeit seines Verfahrens zu iiberzeugen. Damit kam er jedoch schlecht an: »Es hat mir mein Lebetag kein Feind so bose Worte gegeben als er.« Einen »Pilatus und Herodes« schalt Stifel ihn 32 . In einem Brief vom 24. Juni suchte Luther Stifel zu besanftigen, indem er das Problem als indifferent bezeichnete. Mit der Wiederkunft Christi muBte man ohnehin jede Stunde rechnen. Stifels erregtes Insistieren auf einen bestimmten Termin nahrte allerdings den Verdacht, daB ihn derTeufel verfiihrt hatte 33 • Ganz privat lieB sich die Angelegenheit jedoch nicht abmachen, da zu befiirchten war, daB seine Vorhersage zu einem Auflauf fiihren wiirde. Stifel wurde deshalb auf kurfiirstliche Weisung Ende August und dann noch mehrmals zu theologischen Verhoren nach Wittenberg bestellt. Er blieb hartnackig bei seiner Auffassung, und deshalb wurde ihm Ende September das Predigen iiber dieses Thema verboten. Yom 1. bis 3. Oktober predigte Luther selbst, begleitet von Melanchthon, in Lochau, ohne dabei jedoch die nahe Wiederkunft Christi zu beriihren 34 •

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Nach dem Bericht des als Informant eigens nach Lochau gereisten Hausgenossen Luthers Peter Weller 35 strom ten die Leute schon Tage vor dem erwarteten Ereignis von weither nach Lochau. Stifel mahnte sie zur BuBe und nahm ihnen die Beichte abo Am 19. Oktober, dem vorhergesagten Tag, feierte er friih in der Kirche einen Abendmahlsgottesdienst, in dem er nochmals iiber seine Weiss agung predigte, wobei er mit dreimaligem weinerlichen »Er wird kommen« schloB. Ais urn neun Uhr morgens noch immer nichts geschehen war, gingen die Leute nach Hause. Stifel aber wurde von Dienern des Kurfursten nach Wittenberg gebracht, nicht zuletzt urn ihn vor der enttauschten Menge zu schiitzen. Der Kurfiirst verfugte seine Absetzung als Pfarrer von Lochau, weil er mit seiner Verkiindigung im Deutschen Reich groBes Argernis angerichtet habe. Das Spottlied »Stiefele muB sterben« fand Verbreitung bis ins Kommersbuch. Luther selbst scheint die Angelegenheit recht gel assen betrachtet zu haben: Stifel hatte »ein kleines Anfechtlein bekommen, aber es soll ihm nicht schaden ... «36. Er lieB sich von seinem Vertrauen zu Stifel nicht abbringen, und so wurde aus diesem Vorfall keine groBe theologische Affare, zumal dieser sich einsichtig zeigte. Einer von Luther befiirworteten sofortigen Wiederverwendung widersetzte sich jedoch der Kurfurst. Stifel sollte sich bei drastisch reduzierten Einkiinften einige Zeit in Luthers Haus aufhalten und sich von ihm belehren lassen. Anfang 1535 wurde er Pfarrer in Holzdort37 • Erst nach Luthers Tod begann er erneut mit apokalyptischen Spekulationen und geriet auBerdem in andere theologische Konflikte. Vor aHem aus Kursachsen, gelegentlich auch aus anderen Territorien, wurden Luther weiterhin eherechtliche Fragen vorgelegt. Der Adlige Nickel Sack hatte ein Verhaltnis mit einer Bauerntochter, die er dann auch heimlich heiratete. Strittig war einmal, ob die vor der EheschlieBung geborene Tochter den anderen Kindern gleichgestellt war, ferner, ob die Kinder den Adel des Vaters erben konnten. Luther war die zweite Frage zweifelhaft, und deshalb verwendete er sich fur Sack beim Kurfursten nur zuriickhaltend. Dieser entschied dann aber im Sinne Sacks 38 . Den Fall eines unseriosen Verlobnisses in Torgau nahm Luther zum AnlaB, auf sorgfaltige Partnerwahl zu dringen39. Die Ehe mit der Schwester der verstorbenen Frau hielten die Wittenberger Theologen aufgrund von 3. Mos 18,18 nicht fiir erlaubt 40 • Ein aus Breslau stammender Wittenberger Student hatte sich mit einem Madchen heimlich verlobt. Da die Zustimmung seiner Eltern nicht vorlag, war eine solche Verlobung an sich ungiiltig, und darauf scheint sich der Student nachtraglich berufen zu haben. Einen solchen Gebrauch »evangelischer Freiheit« hielt Luther urn der Liebe willen nicht fur erlaubt. Er bemiihte sich darum, die Zustimmung des Vaters zu der Hochzeit zu gewinnen 41. Ais der Vater eines anderen Studenten dem Sohn die Heirat nicht erlauben wollte, verwendete sich Luther fur ihn42. Unverkennbar ist Luthers Bestreben, Ehesachen, fiir die Spalatin oder Jonas zustandig waren, nicht zu entscheiden, auch wenn er seinen Rat nicht vorenthielt. Er wollte nicht Eherichter sein, weil ihn das mit den nach wie vor am kanonischen Recht orientierten Juristen sowie mit den lieblos auf die evangelische Freiheit pochenden Bauern in Konflikt brachte. Er tendierte dazu, die Ehesachen den Juristen zu iiberlassen und sich auf die Beratung der Gewissen zu beschranken. 1m Blick auf die

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Juristen urteilte er resigniert: »Die Welt will den Papst haben.«43 Auch im Eherecht stieB die Reformation an ihre Grenzen. Der hier schon erkennbare schwelende Konflikt kam spater noch zum offenen Ausbruch. Vereinzelt muBte Luther sich auch eigentlich sachfremder Angelegenheiten annehmen. Den Torgauer Schosser (kurfiirstlichen Beamten) warnte er wegen eines vorschnellen parteilichen Gerichtsverfahrens und wies ihn darauf hin, daB auch er einen Richter iiber sich habe 44 • Er setzte sich dafiir ein, daB der ehemalige Schosser Kunz Pfeilschmidt, der der kurfurstlichen Kasse eine Geldsumme schuldete, diese in Raten abzahlen durfte. Luther bewegte in diesem Fall die besondere Notlage: »Sieben Kinder und keine Mutter dazu mogen dennoch einen wohl and ern Mann miirbe machen. «45 Aus einem ahnlichen Grund verwendete er sich fiir einen Mann, der zu seinem rechtmaBigen Eigentum nicht kommen konnte: »Denn die Juristen treiben das Ding zu weit und sehen den elenden Stand nicht an, worinnen die armen Leute stecken, die ihr Recht suchen miissen. «46 1m August 1535 empfahl Luther Menius in Eisenach eine Frau, die sich mehrere Monate in Wittenberg aufgehalten und dort ein Kind geboren hatte. Luther hatte bei der Taufe Pate gestanden und hielt die Frau fiir bedauernswert, konnte jedoch nicht ausschlieBen, daB er wie schon ofter von »angeblichen Nonnen und vornehmen Huren« auch in dies em Fall getauscht worden war. Erst nachtraglich erfuhrer, daB es sich urn die Schwester Hartmuts von Cronberg handelte, der ihr Bruder nach Wittenberg nachgereist war. Sie hatte ein merkwiirdiges Schicksal. Nach dem Tod ihres ersten Mannes hatte Lorche von Cronberg einen bereits verheirateten Juden als zweite Frau geehelicht, der auch in Wittenberg bei ihr war, kurz darauf jedoch von der cronbergischen Verwandtschaft ermordet wurde. Auch nachdem Luther dies bekannt geworden war, setzte er sich weiter fur die Frau ein 47. 1534 kam Luther in Kontakt mit dem Kaufmann Hans Kohlhase aus Koln an der Spree und seinem bewegenden RechtsfalI, der zur Vorlage fiir Kleists Novelle »Michael Kohlhaas« wurde. Kohlhase waren auf der Reise zur Leipziger Messe von einem sachsischen Adligen widerrechtlich die Pferde weggenommen worden. Als ihm weder der brandenburgische noch der sachsische Kurfurst zu seinem Recht verhalfen, sagte er dem sachsischen Adel im Marz 1534 die Fehde an. Bei seinen gewaltsamen Aktionen wurde er von breiten Schichten der Bevolkerung unterstiitzt. Mehrere Brandstiftungen in Wittenberg im April 1534 legte man zunachst ihm zur Last, bis der wahre Schuldige gefunden wurde. Der Jahrmarkt am 20. April wurde deswegen abgesagt. Ende des Jahres wandte sich Kohlhase auch an Luther. Dieser warnte ihn wie einst die Bauern klar vor der Selbstrache. Konnte Kohlhase sein Recht nicht finden, muBte er seine Sache geduldig Gott iiberlassen. Das neue Unrecht, das er mit seiner Fehde anrichtete, war nicht zu verantworten 48 . Eben damals war eine schiedliche Losung greifbar, die jedoch von Kurfurst Johann Friedrich nicht anerkannt wurde, weshalb Kohlhase seine Fehde jahrelang fortsetzte. Auch von Luther wurden diese Vorgange immer wieder registriert. 1m November 1538 pliinderte Kohlhase das Dorf Marzahna bei Wittenberg. Luther kritisierte, daB Johann Friedrich den offentlichen Frieden nicht zu sichern vermochte. Der Landesvater durfte das Vertrauen seiner Untertanen nicht enttauschen. Den Kur22

fiirsten von Brandenburg verdachtigte er, zeitweilig mit Kohlhase gemeinsame Sache gemacht zu haben, bis dieser sich auch gegen seinen eigenen Landesherrn wandte 49 • Falsche Geriichte von angeblichen Uberfallen Kohlhases wurden aufgebracht. Selbst in Wittenberg wollte man ihn gesehen haben, was dann zu AbwehrmaBnahmen fiihrte, die von Luther ironisch kommentiert wurden 50 • Die Nachricht, daB der von Kohlhase gefangene Witten berger Biirger Georg Reich hatte entkommen k6nnen, erfiillte Luther mit Befriedigung. Ihm war gewiB, daB es mit dem Rechtsbrecher kein gutes Ende nehmen konnte. Als Kohlhase 1540 yom Kurfiirsten von Brandenburg gefaBt wurde, bedauerte ihn Luther wegen der Blutschuld, die er auf sich geladen hatte 51 • Fiir ihn war Kohlhase kein isolierter Fall, auch die sachsischen Adligen nahmen sich rechtliche Ubergriffe heraus 52 •

3. Wittenberg Auch die Witten berger Gemeinde bot nach Luthers Ansicht ein zwiespaltiges Gesicht. AuBerlich betrachtet war sie ein »Drecksack«, ein elender Stall, nicht einmal ein Armenhaus. Aber die Gegenwart der g6tt1ichen Gaben von Wort und Sakrament machte sie zum kostbaren k6niglichen Palast. 1m Blick darauf lieB er gegeniiber der altglaubigen Seite keine Zweifel daran zu: »Wir haben und sind hier die christliche Kirche.«l Der Umgang mit diesen Gaben war freilich oft verkehrt: »Das Gesetz reiBen die Guten, das Evangelium die B6sen an sich. ,,2 Auch hier war also der Urn gang mit der evangelischen Freiheit problematisch. Sattheit und UberdruB am Wort Gottes werden konstatiert. Fiir das Yolk schien es am sinnvollsten zu sein, auf die Predigt des Evangeliums zu verzichten und lediglich ein Kapitel aus der Bibel zu verlesen, zu beten und moralische Ermahnungen anzufiigen 3 • Manchmal kam Luther die Miidigkeit an: »Ich habe 24 Jahr allhier gepredigt, den Weg zur Kirchen also oft gegangen, daB es nicht Wunder ware, daB ich nicht allein die Schuhe, sondern auch die FiiBe auf dem Pflaster abgewetzt hatte. Ich habe das Meine getan, fiihle mich wohl ... « Nichts jedoch war so ersch6pfend wie die Sorgen, vor allem nachts 4 • Inwiefern Luther an der im Zusammenhang mit der zweiten Visitation 1533 erfolgten Neufassung der Wittenberger Kirchenordnung beteiligt war, ist nicht erkennbar. Zu tiefgreifenden Anderungen kam es dabei nicht. Seine Haupttatigkeit in der Witten berger Gemeinde bestand nach wie vor in der Wahrnehmung seines Predigtauftrags. Wohl aus Gesundheitsgriinden predigte er seit Ende Marz 1532 nur noch ein einziges Mal in diesem Jahr am Sonntagvormittag in der Stadtkirche. Dies bedeutete jedoch nicht, daB er seine Predigttatigkeit aufgab, vielmehr hie1t er Predigten im Kreise seines Hauses. Ausdriicklich stellte er in Abrede, daB damit ein Protest gegen die Verachtung des Wortes Gottes beim Yolk verbunden sei 5 . Sonntagnachmittags predigte Luther seit August 1532 in der Stadt- oder SchloBkirche kontinuierlich iiber 1. Kor 15 6 • Dieser Zyklus 109 sich bis in den April 1533 hin. Er bot damit eine seiner ausfiihrlichsten Darlegungen iiber die Auferstehung. Der konkreten Todesangst wie der verbreiteten diesseitsorientier23

ten Gleichgiiltigkeit setzte er den Realismus seines Christusglaubens entgegen. Von den 76 bekannten Predigten des Jahres 1533 wurden nur 23 in der Stadtkirche, einige in der SchloBkirche in Gegenwart des Kurfursten, mehrere an anderen Orten, die meisten jedoch zu Hause gehalten 7 . Vom September 1533 an predigte Luther ein Jahr lang an den Sonntagnachmittagen kontinuierlich uber Joh 14 bis 16 8 . 1534 konnte er sich zwar wieder sHirker an den Vormittagspredigten in der Stadtkirche beteiligen, aber an 30 Sonntagen 109 er es vor, zu Hause zu predigen 9 . Mit den Anfang des Jahres gehaltenen, vor allem gegen die Taufer gerichteten, sechs Predigten uber die Taufe verwirklichte Luther einen schon langer gehegten Plan. Vom November 1534 bis zum August 1535 war Bugenhagen zur Reformation in Pommern abwesend, und Luther hatte ihn wieder als Pfarrer zu vertreten. Allerdings ubernahm er diesmal dessen Wochenpredigten nicht. Vom Juli 1535 an und auch im folgenden Jahr predigte Luther hauptsachlich am Sonntagnachmittag uber die Epistelperikopen. Hauspredigten sind aus diesen beiden Jahren nicht uberliefert 10. Als der schwerlebige und von Mangel an Selbstvertrauen geplagte Hieronymus Weller von Ende 1533 bis 1535 uber das Matthausevangelium zu predigen hatte, unterstUtzte ihn Luther mit der Aufzeichnung von Predigtskizzen, die die Hauptsache der Texte herausarbeiteten. Sie wurden gegen seinen Willen spater auch veroffentlicht. Wenn der Kurfurst in Wittenberg war, beteiligte sich Luther selbst an diesen Reihenpredigten. Aus demselben AniaB entstanden 1534 und 1535 22 Entwurfe fur Sonntagspredigten 11. Von seinen Hausgenossen wurde Luther gelegentlich nach der Kunst des Predigens gefragt. Entsprechend der Einleitung des ersten der Zehn Gebote kam es darauf an, »daB man den Stolzen das hollische Feuer predige, den Frommen das Paradies, die Bosen strafe, die Frommen troste«. Luther griff nie auf eigene fruhere Predigten zuruck, sondern gestaitete den Text in der gegebenen Situation neu. Deswegen hielt er auch eine direkte Obernahme seiner Postillenpredigten fur problematisch. Auf jeden Fall so lite einfach und nicht fur die Gelehrten gepredigt werden. »Man soli auf der Kanzel die Zitzen (Brust) herausziehen und das Volk mit Milch tranken, denn es wachst aile Tage eine neue Kirche auf, die der Anfangsgrunde bedarf.« Oft erwies sich das beste Konzept als undurchfuhrbar; hingegen konnte eine Predigt auch bei knapper Vorbereitung »dahinflieBen«. Die Begabung zum Predigen war freilich unterschiedlich. Luthers Predigtweise lieB sich nicht einfach nachahmen. Neben ihm wurden vor all em Cordatus und Rorer geschatzt. Luther wuBte auch von der Unverfugbarkeit der Wirkung der Predigt, die der Prediger selbst nicht zu beurteilen vermag 12 • Bugenhagens lehrhafte Predigten waren zwar fur Luther selbst theologisch anregend, aber sie waren wegen ihrer in der Tat geisttotenden Lange beruchtigt und zu Luthers Leidwesen wenig beliebt. Scharfe, verallgemeinernde Scheitpredigten Bugenhagens oder des Diakons Froschel empfand auch er als problematisch 13 • Als 1535 der Diakonus Johannes Mantel durch einen Schlaganfall arbeitsunfahig wurde, ubernahmen die anderen Geistlichen seine Pflichten, und Luther bemuhte sich beim Kurfursten urn seine weitere Versorgung 14 • 24

Gelegentlich wurde Luther als Seelsorger in Anspruch genommen. Einen Landsknecht, der ihn nach der Predigt ansprach, weil er glaubte, der Teufel wolle ihn holen, trostete er gemeinsam mit Bugenhagen l5 . In dessen Vertretung muBte er im Februar 1535 dem zum Feuertod verurteilten Brandstifter Valentin Teuchel beistehen, der im April 1534 den Brand von 26 Hiiusern in der Vorstadt beim Fischertor und von drei Hiiusern beim SchloB verschuldet hatte. Er hielt ihm nochmals die Schwere seines Vergehens vor. Sie war jedoch kein Grund zur Verzweiflung. Gott selbst hatte den Delinquenten durch die Diener seines Worts getrostet. Er so lite die leibliche Strafe, die letztlich bedeutungslos war, willig auf sich nehmen, urn seine Seele zu retten 16. Der Sohn des Wittenberger Juristen und Biirgermeisters Benedikt Pauli war auf der Vogeljagd tOdlich verungliickt. Luther hatte Verstiindnis fur die Trauer des Vaters, aber er sollte auch dieses Geschick als aus Gottes giitiger Hand kommend im Glauben akzeptieren. Solches Leid sei auch manchem Frommen der Bibel widerfahren. Der Verlust des einzigen Sohnes und sein schlimmer Tod konne den Vater nicht von dem gniidigen Gott scheiden. Das Ungliick sei nicht als Indiz von Gottes Zorn und Strafe zu deuten17. Die Frau des Hans Breu war mit ihrem Mann wegen ihres Glaubens aus Leipzig vertrieben worden. Danach war dieser 1536 ertrunken. Sie selbst erkrankte darauf schwer. Luther deutete ihr Leiden als kostbare viiterliche Ziichtigung, bei der es aber nicht an der Kraft zum Ertragen fehlen wiirde. Wie es den Anschein hat, war dies fur die Frau hilfreich l8 . Der Magister Johannes Bernhardi fuhlte sich in seiner letzten Krankheit durch den Teufel im Glauben angefochten. Fiir Luther war das keineswegs unnormal, aber es galt, einfiiltig am Glauben an Christus festzuhalten. Bernhardi sollte sich trosten, daB er nicht zu den Zwinglianern, Tiiufern, Tiirken und Juden gehore. In der Verbindung mit Christus liege seine Stiirke, und deshalb sei aile Schwiiche, die der Teufel ausniitze, nebensiichlich. Damit konne man den Teufel abweisen, daB er sich trollen miisse. Der gniidige Gott halte den Seinen auch den momentanen liisterlichen Zweifel zugute l9 . Als einer der ersten Wittenberger Biirger, zu dem Luther niihere Beziehungen hatte, ist der Barbier und Wundarzt Peter Beskendorf bekannt 20 . Er war Viertelsmeister und bekleidete auch sonst gelegentlich ehrenamtliche Funktionen in der Stadt, wobei es freilich manchmal auch Beanstandungen gab. Das Bild seiner Personlichkeit, das man aus den Quellen erhiilt, ist schillernd. Er muB religios interessiert gewesen sein, denn einer Anfrage von ihm verdankt Luthers Anfang 1535 entstandene und dann hiiufig nachgedruckte Schrift »Eine einfiiltige Weise zu beten fur einen guten Freund« ihre Entstehung 21 • Luther beschrieb in ihr, »wie ich seiber mich mit Beten halte«. Wenn ihn Geschiifte oder Gedanken ablenkten und kaltund unlustig zum Beten werden lieBen, dann war es Zeit, sich zum Gebet in die Kammer zuriickzuziehen. Vor allem so lite der Tag morgens und abends durch Gebet eingerahmt sein, und dafur hatte man sich besonders Zeit zu nehmen, obwohl an sich aile Tiitigkeit der Gliiubigen als Gebet begriffen werden kann. Abgesehen vom »Abendsegen« im Katechismus ist ein kurzes auf seinen Auftrag bezogenes Abendgebet Luthers iiberliefert: »Mein lieber Gott, allhier lege ich mich und befehle dir deine Sache; du magst's besser machen. Wirst du es nicht besser machen denn ich, 25

so wirst du es gar verderben. Wenn ich aufstehen werde, will ich gerne mehr ausrichten. «22 Wie schon im Betbiichlein 23 vorgesehen, so lIte das Gebet als Meditation von Stiicken des Vaterunsers, des Dekalogs und des apostolischen Glaubensbekenntnisses geiibt werden. Gott sollten die widerg6ttlichen MiBstande und die Bediirfnisse vorgetragen werden, damit er sie zum Guten kehre. Luther war fUr das freie, nicht an feste Formulierungen gebundene Gebet des Herzens. Man hatte sich dabei so zu konzentrieren wie der Barbier bei seiner Arbeit mit dem Schermesser. Dies schloB nicht aus, daB das Gesprach mit dem Heiligen Geist seine eigenen Wege ging. Erkenntnis von Gottes Willen, Dank, Sundenbekenntnis und Bitte einschlieBlich der Furbitte sind bei der Meditation der Gebote und des Glaubensbekenntnisses miteinander zu verbinden. Die Welt wird damit in das Gebet des Einzelnen einbezogen. Die Verbindung von Ordnung und Freiheit in Luthers Praxis des Gebets laBt sich nirgends anschaulicher beobachten als in seiner Anweisung fur Meister Peter. Luther blieb Beskendorf auch verbunden, als dieser sich in furchtbare Schuld verstrickte. 1533 hatte der Barbier Dietrich Freyenhagen Beskendorfs Tochter Anna geheiratet. Luther war der Pate des ersten Kindes aus dieser Ehe. Schon bald kam es zu Zwistigkeiten zwischen Beskendorf und seinem Schwiegersohn. Am 27. Marz 1535 erstach Beskendorf ihn bei Tisch. In dem folgenden ProzeB setzten sich sein Verteidiger Franz Burkhard, aber auch Luther und Melanchthon erfolgreich dafur ein, daB auf Totschlag und nicht auf Mord erkannt wurde und Beskendorf glimpflich mit der Landesverweisung anstatt der Todesstrafe davonkam. Als entlastendes Argument scheint dabei Verfuhrung durch den Teufel ins Feld gefiihrt worden zu sein. Beskendorf hatte friiher selbstsicher vorgehabt, gegen den Teufel ein eigenes Buch zu schreiben. Nach seiner Ausweisung lebte er mit seiner Tochter in Dessau. Gegen ihre Wiederverheiratung erhob er 1536 Einspruch, dem aber nach Luthers Votum nicht stattgegeben werden sollte 24 . 1m Zusammenhang mit der Seelsorge an dem Delinquenten durfte auf Luthers Initiative ein Stammbuch fur Beskendorf entstanden sein, in das sich eine Reihe damaliger oder fruherer Wittenberger Theologen eintrugen, wobei sie alle auf seine Tat anspielten. Luthers eigener, teils gereimter Eintrag war eine eindringliche Warnung vor dem Teufel, dem »M6rder« (Joh 8,44), der nur durch Christus iiberwunden werden k6nne 25 . In die konkreten Verhaltnisse und Probleme der Wittenberger Gemeinde geben wieder vor allem die Mahnungen am SchluB der Predigten, dazu die Tischreden Einblick. Nach wie vor hatte Luther auch in Wittenberg uber die Opferunwilligkeit der Gemeinde, die fur ihn Undankbarkeit gegen das Evangelium war, zu klagen 26 . Die Verteuerung von Lebensmitteln drohte die Universitat auszuhungern und damit die Theologenausbildung zu gefahrden27. Die Habsucht insgesamt empfand er als geistliches Problem, war sie doch unvereinbar mit dem Evangelium. »Das Wittenberg kratzet, scharret, reiBet alles an sich«, und dabei fuhle man sich auch noch sicher. Die Strafe k6nne nicht ausbleiben 28 • In der wachsenden Universitatsstadt bluhte der Hauserwucher. Luther nennt einen Fall von 13facher Preissteigerung. Er wollte gegen die Spekulanten mit dem AusschluB yom Abendmahl vorgehen 29 .

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An sich muBte darauf gedrungen werden, daB zwischen dem Tod eines Ehepartners und der Wiederverheiratung angemessene Trauerfristen eingehalten wurden, doch lieB sich das aus sozialen Griinden nicht immer aufrechterhalten. In solchen Fallen sollten wenigstens die Hochzeitsfeierlichkeiten eingeschrankt werden 30 • DaB es in der Gemeinde auBereheliche Geschlechtsbeziehungen, z. B. im Speckwald, gab, war Luther bekannt. Er schrieb es dem Teufel zu, der sich auch in diesem Bereich in die Kirche eindrangte. Die jungen Leute muBten daran gehindert werden, oder sie sollten heiraten. Schlimmer als derartige Vergehen von Ledigen galt ihm der Ehebruch von Ehepartnern, und er drohte an, die Betreffenden 6ffentlich auf der Kanzel zu nennen. Neben den Predigern hatte die Obrigkeit gegen die Unzucht einzuschreiten. Das evangelische Wittenberg sollte deswegen nicht in Verruf geraten. Aus demselben Grund drang er mehrfach auf die Durchfiihrung des Verbots des Wirtshausbesuches wahrend der Predigtgottesdienste 31 . Luther hatte nichts gegen ehrbaren Tanz oder den Verkehr der Studenten und Biirgers6hne in Gastwirtschaften, aber er warnte vor gewissen liederlichen Lokalen 32 • Immer wieder muBte sich der Prediger auch gegen Zauberei wenden. Sie vermochte zwar nichts, was Gott nicht zulieB, dennoch geh6rten die Zauberinnen auf den Scheiterhaufen 33. Die Praxis der Kirchenzucht in Wittenberg sah zunachst vor, daB die Geistlichen den Beschuldigten, z.B. sittenlos Lebenden oder solchen, die sich yom Abendmahl fernhielten, die yom Kurfiirsten festgesetzten Strafen oder die Landesverweisung androhten. Wenn das nichts half, hatten die Pfarrer sie einen Monat zu belehren und zu mahnen. Blieben sie dann verhartet, wurden sie aus der Gemeinde ausgeschlossen. Ohne das Versprechen, sein Leben zu bessern, durfte niemand absolviert werden. Aus der Absolution selbst durfte jedoch kein geistliches Druckmittel werden 34 • Die Kirchenzucht lag also in den Handen der Pfarrer, die sie allerdings nur in krassen Fallen praktizierten. Anders als z. B. in Siidwestdeutschland scheint es dariiber keine Kompetenzstreitigkeiten mit der biirgerlichen Gemeinde gegeben zu haben. 1m Juli 1535 ging wieder einmal die Pest in Wittenberg urn. Wie friiher auch spielte Luther die Gefahr herab und lehnte den Rat des Kurfiirsten ab, sich an einen anderen art zu begeben, zumal sogar der lebenslustige, gesundheitsbewuBte Landvogt Hans Metzsch in der Stadt blieb. Die Gefahr werde aufgebauscht von Studenten, denen eine Unterbrechung des Studienbetriebs nicht unlieb sei, samt ihren besorgten Miittern. Man miisse darauf achten, daB daraus nicht eine Massenpsychose werde 35 . In den Predigten gab Luther einige Anweisungen. Von einer besonderen Pestkleidung hielt er nichts. Die Versorgung der Kranken mit Lebensmitteln muBte sichergestellt sein. Umgekehrt hatten diese sich von den Gesunden fernzuhalten. Ehemanner durften ihre Frauen nicht verlassen. Unchristliche Verzagtheit war nicht angebracht. Aber nicht jedermann bewaltigte seine Angst mit der Zuversicht des Glaubens. Die Gemeinde wurde zur Teilnahme an den Abendmahlsfeiern eingeladen, die jetzt auch mittwochs und freitags stattfanden. Dies sollte besondere Hausabendmahlsfeiern fiir Kranke iiberfliissig machen, denen die Geistlichen nicht nachkommen konnten. Luther lehnte sie besonders dann ab, wenn sie von solchen begehrt wurden, die sich bisher yom Gemeindegottesdienst ferngehalten hatten 36 •

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Zu den Gesundheitsanweisungen gehorte auch die Warnung vor dem Baden in der Elbe, weil es dabei immer wieder zu Unfallen kam. Nach Luthers Auffassung wohnte der Teufel im Wasser, und der Mensch konnte ihm dort schwerer als auf festem Boden widerstehen 37 • Uber die sonstigen Verhaltnisse in der Stadt gibt es nur wenige AuBerungen Luthers. Vom Bau des neuen Walls hie It er nach wie vor wenig, seine fortifikatorische Bedeutung im Zeit alter der Geschiitze verstand er nicht. Fiir ihn zeigte sich immer wieder an den Elbiiberschwemmungen, wie verletzlich die Stadt war. Da half wie im Kampf mit dem Teufel nur Gottvertrauen 38 • Ein Gesuch der Witwe des verdienten Goldschmieds Christian Diiring, wohl urn eine Schankgerechtigkeit, wurde von Luther und Jonas unterstiitzt 39 • Die beiden wurden auch bei einer von dem angesehenen Buchhandler Moritz Goltz ausgerichteten Hochzeit als Gaste erwartet 40 . Luther seinerseits hatte gegeniiber der Stadt und der Universitat gesellschaftliche Verpflichtungen, denen er sich wegen des damit verbundenen erheblichen Aufwands u. U. auch zu entziehen versuchte. Darum bemiihte er sich, daB die Hochzeit Kaspar Crucigers, die sonst im Lutherhaus hatte ausgerichtet werden miissen, auf dem Eilenburger SchloB gefeiert wurde. Als Hieronymus Weller in Wittenberg heiraten wollte, riet ihm Luther aus demselben Grund abo 1m Lutherhaus konnte allenfalls eine begrenzte Anzahl von Gasten bewirtet werden. Dies war aber, da Weller Doktor der Universitat war, und zumal wegen Luthers Stellung in der Stadt unmoglich, denn »Unehre« wollte Luther natiirlich keinesfalls einlegen: »Es ist unser Markt (Wittenberg) ein Dreck, und wenn der Haufe soli geladen werden, die Universitat mit Kind und Kegel und dazu andere, die man meinetwegen nicht wahl kann auBen lassen, so bleibet's weder bei 9 noch bei 12 Tischen. ,,41 Weller scheint aber dennoch die groBe Hochzeit in Wittenberg durchgesetzt zu haben. Den Biirgermeister Tilo Dene rechnete Luther zu den Magistratspersonen, die mit guten Worten und harter Strafe ein Gemeinwesen recht zu lenken vermochten 42 . Spannungen zwischen Luther und dem Wittenberger Magistrat sind nicht zu bemerken. Die Stadt Iieferte ihm kostenlos Baumaterialien. Wein, den er gelegentIich aus der Stadtkellerei bezog, wurde ihm nicht in Rechnung gestellt 43 • Insgesamt scheint das Verhaltnis des Predigers zu seiner Stadt damals ziemlich normal, sachIich, ohne tiefergehende Konflikte, aber auch ohne groBere Erfolgserlebnisse gewesen zu sein. Mit manchen Problemen hatte sich Luther abgefunden. Moglicherweise waren seine Beziehungen zur Gemeinde infolge der reduzierten Predigttatigkeit etwas distanzierter geworden.

4. Haus, Familie und personliches Befinden 1536 erneuerte Kurfiirst Johann Friedrich die vier Jahre zuvor durch seinen Vater erfolgte Verschreibung des Augustinerklosters an Luther und seine Familie 1 . Dessen Gehalt von jahrlich 200 Gulden wurde aus dem Getrankezehnten finanziert. Von 1535 an erhielt er zusatzlich 100 Gulden aus den Einkiinften des Allerheiligenstifts. Zusammen mit Melanchthon war Luther damit der hochstbezahlte Professor

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der UniversiHit. Die Besoldungserhohung war mindestens zum Teillediglich eine Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Zum Gehalt kamen noch betrachtliche Naturallieferungen von 100 Scheffel Korn, 106 Scheffel Malz fiir zwei Gebrau Bier, 100 Klaftern Holz und zwei Fudern Heu hinzu. Bezeichnend ist, daB dem Wittenberger Landvogt eingescharft wird, daran nichts abzukiirzen noch abzubrechen. AuBerdem erhielt Luther gelegentlich Zuwendungen von Wein, Traubenmost, Wild, Hechten, Hiihnern und Apfeln, wobei es sich zum Teil urn eine Art von Dienstaufwandsentschadigungen fUr Bewirtungskosten handelte. Die zwei Fasser Most, die der KurfUrst Luther im Herbst 1536 mit einem person lichen Schreiben zuschickte, sollte Luther mit den Seinen einfach »von unsertwegen in Frohlichkeit genie Ben «2. Trotz der beachtlichen Einkiinfte war Geld im Hause Luthers meistens knapp und war nur zu schnell ausgegeben. Zwar scheint er sich mindestens zeitweilig aus Riicksicht auf die Bediirfnisse der Familie mit Gaben an die Armen zuriickgehalten zu haben, zumal er der Ansicht war, daB es in Wittenberg keine Bediirftigen, sondern hochstens Faulpelze gab. Wo aber wirkliche Not vorlag, wuBte er sich verpflichtet zu helfen. Dennoch wurde Luther bei seiner Liebestatigkeit und beim Geldverleihen nicht selten getauscht 3 . DaB ein Pfarrer - es war der befreundete Konrad Cordatus - wie die Bauern sein Getreide an Luther zu iiberhohten Preisen verkaufen wollte, argerte nicht nur Kathe 4 • Ende 1534 war Luther nicht in der Lage, das jetzt dem ehemaligen Augustinerprior Eberhard Brisger gehorende, neben dem Kloster gelegene Haus zu kaufen. Nicht einmal die Halfte der benotigten 440 Gulden hatte er zur VerfUgung. Er empfand sich als arm, ohne sich dariiber jedoch allzu groBe Sorgen zu machen 5 • Die 250 Gulden, die ihm nach dem Erbvertrag von 1534 aus seinem vaterlichen Erbe zustanden, hatte er mit Riicksicht auf seine bediirftigen Geschwister erst in spateren J ahren zu erwarten 6 . Einige Monate spater konnte er wegen der Verpflichtungen fiir den eigenen groBen Haushalt den Juden Bernhard nicht unterstiitzen. Hierbei handelte es sich urn einen schwierigen Sozialfall. Obwohl Bernhard und seine Frau gesund waren, waren sie auf standige Unterstiitzung angewiesen, die aber Luther bei allem guten Willen gegeniiber diesem Judenchristen nicht leisten konnte 7 • Schon 1532 war es fUr Luther wundersam, wie er iiberhaupt finanziell durchkam, denn allein der Haushalt kostete jahrlich 500 Gulden, also erheblich mehr als er verdiente. Uber das Jahr 1535/1536 stellte er eine »Wunderliche Rechnung gehalten zwischen Doctor Martin und Kethen« auf8. Schon die groBeren Posten - spezifizieren lassen sich z. B. 20 Gulden fUr Leinwand und 30 Gulden fiir Kathes Schweinezucht - ohne die laufenden Ausgaben fUr Lebensmittel beliefen sich auf389 Gulden. Man erfahrt dabei, daB Luther damals fiir 90 Gulden einen weiteren Garten und eine Hufe Land in den vor dem Elstertor gelegenen sog. Kabe1hufen gekauft hatte 9 .40 Gulden betrug ein Darlehen zum Zweck eines Hauskaufes an den Tischler Gregor Blankensteyn. Die Halfte davon hatte sich Luther auch zunachst bei dem Buchhandler Moritz Goltz kurzfristig borgen miissen. 20 Gulden so lite Blankensteyn an den Gemeinen Kasten zuriickzahlen und so eine Schuld Luthers tilgen, den Rest soUte er abarbeiten lO • 29

Luther stellte dann in der »Wunderlichen Rechnung« einen Katalog von Waren, Dienstleistungen und Anliissen auf, die Kosten verursachten. Er bietet einen so anschaulichen Einblick in seinen Haushalt und die okonomischen Beziehungen, daB es sich lohnt, ihn ungekiirzt wiederzugeben. Eine erste Liste fiihrt zuniichst vor all em die Lebensmittel auf: Korn, Gerste, Hopfen, Hafer, Heu, Weizen, Mehl, Wein, Bier, Erbsen, Hanf, Flachs, Griitze, Graupen, Reis, Hirse, Zucker, Gewiirz, Safran, Obst, Kraut, Kohl, Mohren, Riiben, Zwiebeln, Mohn, Petersilie, Kiimmel, Ochsen, Schweine, Giinse, Hiihner, Enten, Vogel, Tauben, Eier, Butter, Salz, Holz, Kohlen, Stroh, gedorrte und frische Fische, Fleisch von der Fleischbank, Brot, Semme1n, Niigel, Haken, Eisenkram, Talg, Garn, Wachs, 01. - Ein zweiter Komplex umfaBt Dienstleistungen, personliche Verpflichtungen und Baumaterialien: Fleischer zum Hausschlachten, Schuster, Schneider, Kiirschner, Bottcher, Grobschmied, Kleinschmied, Barbier, Bader, Glaser, Messerschmied, Seiler, Riemer, Sattler, Tuchmacher, Gewandschneider, Scherer, Brauer, Topfer, Miiller, Tischler, Leinweber, Giirtler, Beutler, Apotheker, Arzt, Priizeptor fiir die Kinder, Maurer, Zimmerleute, Taglohner, Ziegel, Kalk, Dachziegel, Bauholz, Latten, Bretter, Bettler, Diebe, Ausrichten von Hochzeiten, Patenschaften, Geschenke, Gastung, Buchfiihrer, Buchbinder, Jahrmarktsgeschenke, wie sie z. B. einmal Elisabeth Cruciger und Kiithe tauschten 11, Nikolausgeschenke, Knechte, Miigde, Jungfern, Knaben, Hirten, Schweinekastrierer. - SchlieBlich werden Hausrat und Geriite aufgeziihlt: Leinwand, Betten, Federn, Zinnkannen, Schiisseln, Teller, Leuchter, Becken, Kessel, Pfannen, Schaufeln, Schippen, Mulden, Schubkarren, Gabeln, Grabscheit, Fiisser, Kiibel, Eimer, Braugeriit, (Vieh-)Geschirr, Wagen, Seiden, Samt. Luther zog aus seiner offenkundig prekiiren finanziellen Situation den SchluB, daB ein Hausstand nur mit Gottvertrauen gewagt werden konne. Faktisch miissen die iiber die Besoldung hinaus benotigten Mittel durch Kiithes Eigenwirtschaft in Giirten und Viehzucht sowie durch die Einnahmen von den im Haus wohnenden Studenten hereingekommen sein. Luther iiberlieB die Verantwortung in diesem Bereich weithin seiner Frau und gestand freimiitig ein: »Wenn ich mich urns Bauen, Miilzen, Kochen wiirde kiimmern, wiirde ich bald sterben.«12 Einige Informationen iiber Kiithes Wirtschaften sind iiberliefert: Kiithe fuhrwerkte, bestellte die Acker, fiitterte das Vieh, kaufte und braute Bier. Luther drang darauf, daB sie in diesen Arbeiten nicht aufging. Er versprach ihr einmal 50 Gulden, wenn sie binnen mehrerer Monate die Bibel durchlesen wiirde 13 • 1m Auftrag von Kiithe, seinem »Oberkoch«, hatte Luther fiir einen groBen Doktorschmaus aile moglichen genieBbaren Vogel und Gefliigel sowie Hasen oder sonstige Leckerbissen zu bestellen. Die dazu gleichfalls benotigte groBe Menge Bier hatte Kiithe bereits gebraut l4 . Beim Bierbrauen hatte sie nicht immer Gliick. Gelegentlich wurde diinnes Kofent, Klosterbier, daraus. Luther machte sich gelegentlich ein Gewissen, daB man zur Herstellung von diinnem Bier Brotgetreide benotigte l5 . 1m August 1534 war das Bier in Wittenberg knapp geworden. Kiithe hatte jedoch vorgesorgt, und so muBte Luthers Bauch in dieser durstigen Zeit nicht darben 16. Die Freude der Hausfrau iiber das Eintreffen eines groBen Fasses groBer gesalzener Fische von

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Speratus in Konigsberg war groB17. In dem 1531 erworbenen Garten am Zahnischen Weg befand sich ein Fischteich, dessen Hechte, Schmerlen (Grundlinge), Forellen, Kaulbarsche und Karpfen die Tafel bereicherten. Wahrend Kathe die Fische in erster Linie als willkommene Erganzung des Speisezettels schatzte, waren sie fur Luther zudem ein AnlaB, sich uber das Wunder der Schopfung samt ihren Gaben und den rechten dankbaren Umgang mit ihr auszulassen 18 . Gott habe die Bauern mit den Schopfungsgaben reich beschenkt, bleibe ihnen aber fern, weil sie sein Wort nicht achteten. In seinen reichlichen Gaben will er selbst erkannt werden 19 . Umgekehrt veranlaBte Luther der GenuB geschwefelten Weins und verdorbenen Brots bei einer Hochzeit zu der auch heute durchaus noch nachvollziehbaren AuBerung: »Man gewohnt uns jetzt zum Schwefel und Pech, daB wir in der Holle desto besser ausdauern konnen.«20 Mit der Vogelstellerei seines Dieners Wolfgang Seberger war Luther nicht einverstanden. Er verfaBte eine fingierte »Klage der Vogel ... uber Siberger«21. Darin beschwerten sich Drosseln, Amseln, Finken, Hanflinge, Stieglitze und andere ehrbare Vogel uber seine Nachstellungen, wo doch Sperlinge, Schwalben, Elstern, Dohlen, Raben, Mause und Ratten viel groBeren Schaden anrichteten. Unter Anspielung auf Sebergers Faulheit beantragten sie, daB man ihnen das Korn abends streuen und der Diener erst nach acht Uhr morgens den Vogelherd besuchen sollte. Diese Vogel waren ein Beispiel der Fursorge Gottes, auf die sich auch der Mensch verlassen darf. Der langjahrige Famulus hatte bescheidene eigene Einkunfte aus einer geistiichen Stiftung an der SchloBkapelle in Colditz, fiel also Luther finanziell nur teilweise zur Last. 1535 plante Luther, ihm ein kleines Haus zu kaufen, damit er auch nach Luthers Tod eine Bleibe habe 22 . Noch immer war Luthers Familie relativ jung. 1532 galt die meiste Zuwendung des Vaters dem damals einjahrigen Martin, an dem Luther die starke Bindung der Vaterliebe bewuBt wurde. Er registrierte, wie sich der eigene Wille des Kindes regte. Wie ein Wiegenlied klingt die Bemerkung zu dem zum Schlafen gelegten Sohn: »Gehe hin und sei fromm. Geld will ich dir nicht lassen, aber einen reichen Gott will ich dir lassen, nur sei fromm.«23 1m November 1532 war Kathe bereits wieder hochschwanger. Fur Luther zeigte sich darin der gottliche Segen der Ehe, aber er machte sich ernsthafte Sorgen urn seine Frau, da sie Fieber hatte und an Schlaflosigkeit litt24. Der Sohn Paul wurde am 28. Januar geboren und am folgenden Tag in der SchloBkirche getauft. Die Paten, die dem Kind behilflich sein sollten, zur Wiedergeburt Christi zu kommen, damit es moglicherweise ein »neuer Feind des Papstes oder Turkens« wurde, waren Herzog Johann Ernst, der Erbmarschall Hans Loser, Jonas, Melanchthon und Margarete, die Frau des Hofarztes Caspar Lindemann. Die Namenswahl war eine Reverenz gegenuber dem Apostel Paulus, dem Luther »manchen guten Spruch und Argument« verdankte 25 . An dem klein en Kind machte sich Luther klar, wie lieb Adam seinen ersten Sohn Kain gehabt haben muBte, und trotzdem wurde der ein Brudermorder. Aber wie die Mutterliebe viel starker ist als »der Dreck und Grind am Kind, so ist die Liebe Gottes starker als die menschliche Befleckung«, und darum trennen die Sunden den glaubenden Sunder nicht von Christus 26 . Kinder zu haben, war fur Luther nicht selbstverstandliche 31

Folge seines Verkehrs mit Kathe, sondern gehorte auch zumGlauben an Gott, den Schopfer27. Als letztes Kind wurde am 17. Dezember 1534 die Tochter Margarete geboren. Paten waren Fiirst Joachim von Anhalt, den Hausmann vertrat, und Anna Goritz, die Frau eines aus Leipzig vertriebenen Juristen 28 . Kathe galt Luther als liebenswerte Frau. Aber obwohl sie an seiner Seite schlief, machte sich der Teufel mit seinen Anfechtungen an ihn heran, und von den schlimmen Gedanken vermochte auch die Beschaftigung mit Kathe nicht abzulenken. Das hatte nichts mit sexuellen Schwierigkeiten zu tun, sondern mit der Angefochtenheit des Glaubens. In solchen Situationen blieb nichts iibrig, als sich auf Gottes Wort zu verlassen 29 . An der Oberordnung des Mannes iiber die Frau hielt Luther fest. Falls Kathe ihm iiber das Maul fahren wiirde, wollte er das mit einer Maulschelle quittieren. Ob es dazu gekommen ist, ist nicht iiberliefert. Einmal wird auch von anderer Seite dariiber geklagt, daB die Lutherin Hader und Zank angerichtet habe. Kathe konnte sich gegeniiber der Familie aufspielen, aber nicht gegeniiber ihrem Mann. Luther iiberlieB ihr gerne die Leitung des ganzen Haushalts, aber ihn selbst durfte sie nicht beherrschen. Wo Weiberregiment hinfiihrte, hatte sich an Eva gezeigt 30 . Aber trotz des Geschreis kranker Kinder und trotz der Eigenarten der Frauen stand Luther zu seiner positiven Beurteilung der Ehe, und ihm war bewuBt, daB er damit von den Kirchenvatern abwich. Dank Gottes Gnade waren Ehe, Obrigkeit und Amt des Wortes jetzt vor dem Jiingsten Tag als gottliche Ordnungen wiederhergestellt worden 31 . Zu Luthers Haus gehorten die dort wohnenden Studenten. Die Unterbringung dort war gefragt, so daB nicht aile Bewerber beriicksichtigt werden konnten. Bei ihrer Auswahl hatte »Herr Kathe« mitzubestimmen 32 . Bis 1534 hatte Veit Dietrich als »Vicarius« iiber die Studenten die Aufsicht, dann 109 er wegen MiBhelligkeiten mit Kathe samt seinen Schiilern aus. Dennoch auBerte er sich spater tief dank bar fur die Einblicke in Luthers frommes beispielhaftes hausliches Leben. Als Dietrich 1536 heiratete, erinnerte ihn Luther, zweifellos unter Anspielung auf Vorkommnisse im Lutherhaus, daB man seiner Frau auch nachgeben miisse, ohne sich freilich in ihre Hand zu geben. Zugleich warnte er im Blick auf Dietrichs neues Amt als Prediger an St. Sebald in Niirnberg vor Eigendiinkel und Selbstliebe, die in den Reformationskirchen schon soviel Unheil angerichtet hatten. Sein Nachfolger als »Vicarius« wurde bis 1541 der aus Hinterpommern stammende Adlige Martin Weyer, spater Bischof in Kammin. Luther hat ihn wie Dietrich geschatzt 33 . Als anregender Partner in der Tischrunde tat sich haufig der aus der bohmischen Briidergemeine stammende Ignaz Perknowsky hervor, der als Hofmeister des Burggrafen Borziwog von Dohna zusammen mit diesem bei Luther wohnte 34 . Nach den Mahlzeiten erklarte Luther immer wieder einzelne Psalmen. Dazu gehort die Auslegung des 23. Psalms, die Rorer 1536 veroffentlichte 35 . Ein nicht sicher identifizierbarer Komponist lieB Luther eine Komposition und eine Sen dung Borsdorfer Apfel zukommen. Dieser berichtete: »Wir singen, so gut wir hier konnen, iiber Tische.« DaB dabei »Saue«, d. h. Fehler vorkamen, war nicht die Schuld des Komponisten, »sondern unsere Kunst, die noch sehr gering ist«. Dies verhielt sich 32

so wie mit den guten politischen Ordnungen, die derart unzulanglich praktiziert wurden, daB man aus den »Sauen« (Fehlern) einen ganzen Markt mit Wursten beliefern konnte 36 . Nicht zu vergessen ist in Luthers Haus der Hund Tolpe!. Luther bewunderte an dem schon en und klugen Tier die leiblichen Gaben, mit den en Gott die Geschopfe ausstattete 37 . Gefeiert wurde nicht allein bei offiziellen Anlassen. Zu Luthers 49. Geburtstag waren Jonas, Melanchthon, Bugenhagen und Cruciger eingeladen, urn einen von den Fursten von Anhalt geschenkten Eber zu verzehren. Auch der 23. Jahrestag von Luthers Doktorpromotion wurde 1535 mit einem Festmahl gefeiert. Luther bemerkte dazu: »Christus gebe es, daB ich in diesem Jahr in den Himmel eingehe. «38 Vermutlich beim geselligen Zusammensein ist Luthers Bewunderung fUr das Schachspiel des Juristen Franz Burkhard entstanden 39 . DaB er alkoholischen Getranken nicht abgeneigt war, lieB Luther gelegentlich erkennen. Dies war eben das Gebrechen der Deutschen. Als sein Neffe Georg Kaufmann einmal betrunken in die Stube kam, wies er ihn allerdings scharf zurecht, nicht seine Gesundheit zu ruinieren 40. In den letzten Monaten des Jahres 1532 scheint es Luther gesundheitlich ordentlich ergangen zu sein. Lediglich im September klagte er uber Kopfweh und Durchfa1l 41 . Von Dezember 1532 bis in die ersten Wochen des neuen Jahres war er vor allem durch literarische Terminverpflichtungen, aber auch durch zahlreiche andere Angelegenheiten uberlastet, »damit ich meine Bettler und Geiler, die Drucker auf den Leipzischen Markt, nicht versaumete«. U. a. sollte er fUr mehrere Bucher Vorworte schreiben. Deswegen muBte auch die Korrespondenz bundelweise liegen bleiben 42 . Am 9. Februar erlitt er in der SchloBkirche einen schweren Schwindelanfall, so daB er mit seinem Ende rechnete. Den anwesenden Geistlichen scharfte er ein, auch nach seinem Tod solie ihre Hauptsorge der Predigt des Evangeliums gelten, aus der sie ihre Identitat als Diener des Worts erhielten 43 . Wenige Tage spater wiederholte sich der Anfal!. Bis zum Abend hatte er sich schon wieder erholt und konnte den ihn besuchenden Theologen die Auseinandersetzung mit dem Tod als eine fUr sie vollig normale Sache hinstellen. SchlieBlich galt das Wort Christi: »Ich lebe, und ihr so lit auch leben« (Joh 14, 19). Einfach selbstverstandlich war das auch fUr Luther nicht. Das zeigt die Anmerkung: »Die Vernunft sagt: Das ist eine groBe Luge. «44 Fur Luther bestand ein Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und seinen Anfechtungen durch den Teufel wahrend der damaligen nachtlichen Schlaflosigkeit; sie hatte nicht allein physische Ursachen 45 . Noch im Marz hie It Luther es fur moglich, daB er sterben wurde. Sob aId er sich konzentrieren wollte, uberfielen ihn Schwindel sowie Ohrensausen, und er war infolgedessen kaum arbeitsfiihig. 1m Mai war er »noch halb krank« und konnte gelegentlich seine Briefe nicht selbst schreiben. Der Augsburger Patrizier Hans Honold sandte ihm gegen diese Beschwerden eine Arznei samt Rezept 46 . Die beschwerlichen Schmerzen in den Zehen im Herbst 1533 waren Symptome des Harnsteinleidens, das Luther in der Folgezeit erheblich zu schaffen machte (Tafel 111)47. Das nach wie vor vorhandene offene Geschwur am UnterschenkellieB ihn erfahren, daB der menschliche Leib ein »schandlicher Laugensack« ist, aus dem aile moglichen »F\iisse« heraustreten. Die 33

korperiichen Ablaufe lassen sich nicht unterbinden, deshalb wird der »Arsch« als das beste Beispiel gegen die Menschensatzungen bezeichnet 48 • Anfang 1534 bezeichnete sich Luther als vielbeschaftigt, krank und gequait. 1m Marz war er zwar einigermaBen gesund, aber er brachte wenig zustande und kam sich unniitz vor. In der Predigt vom 10. Mai sprach er offentlich davon, daB er sich schwach fiihle. 1m September war er durch Schnupfen und Husten beeintrachtigt 49 . Insgesamt war Luthers Gesundheitszustand 1534 jedoch besser als im Jahr zuvor. Die mehrwochige Unterbrechung der Predigten im Februar und Marz 1535 laBt wieder auf eine Erkrankung schlieBen. 1m April bezeichnete er seinen Zustand als wechselhaft. Vier Monate spater fiihlte er sich altersschwach. Kurz darauf war er schlimm vom Durchfall geplagt: »15 Stuhlgange hatte ich in zwei Tagen«. 50 Ende Oktober 1535 und seit Mitte Januar 1536 war er wieder erkaitet, so daB er weder predigen noch reisen konnte 51 • Bei der Fiirstenhochzeit in Torgau am 27. Februar konnte Luther zwar die Trauung vornehmen, muBte aber wegen eines Schwindelanfalls den Gottesdienst am folgenden Tag Bugenhagen iiberlassen. Kurz darauf fesselten ihn unertragliche Ischiasschmerzen zwei Wochen ans Bett 52 • Vor Ostern (16. April) war er infolge seines nunmehr erstmals akut auftretenden Harnsteinleidens bereits wieder so krank, daB er sterben wollte, und blieb auch danach noch geschwacht. Anfang Juni ging dann GrieB schmerzhaft ab 53 • Am 19. Dezember hatte Luther einen schweren Herzanfall, der das Schlimmste befiirchten lieB, zumal Wintergewitter und ein Halo auf schlimme Begebenheiten hinwiesen 54 . Zwischen den schweren Krankheitsanfallen gab es auch immer wieder langere Pausen, aber Luther muBte mit seinen Krankheiten leben und sich, wenn auch seufzend, in die Abnahme seiner Krafte schicken. Die mogliche Nahe des Todes wurde von ihm akzeptiert, manchmal sagar herbeigewiinscht.

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II. Luthers Anteil am Fortgang der Reformation in anderen deutschen Territorien, die Einigung tiber das Abendmahl und die Beziehungen zu Frankreich und England (1532-1536) Wie erwartet ging die Expansion der Reformation in Deutschland auch nach dem Nurnberger Religionsfrieden von 1532 weiter. Luther war daran vielfaltig und auf unterschiedliche Weise beteiligt. Immer wieder hatte er bei der Einfiihrung der Reformation in weiteren Territorien behilflich zu sein. Bereits evangelisch gewordene Gebiete und Stadte bedurften nach wie vor seines Rates und seiner Unterstutzung. Vor dem Taufertum, dessen Gefahrlichkeit fur Kirche und Staat sich damals deutlich zeigte, muBte gewarnt werden. Innerhalb des Schmalkaldischen Bundes ruck ten nunmehr auch die oberdeutschen Stadte theologisch naher an Luther heran. Sogar Frankreich und England suchten den Kontakt zu Wittenberg. Starker als zuvor wirkten politische Interessen auf diese Au Ben beziehungen ein. Nicht selten wurde innerhalb und auBerhalb Kursachsens der Rat der Witten berger Theologen gemeinsam erbeten oder erteilt, wobei dann haufig Melanchthon die Formulierung der gemeinsam getroffenen Entscheidung zu ubernehmen hatte.

1. Die Reformation im Furstentum Anhalt Abgesehen von Kursachsen war Luther an kaum einer territorialen Reformation so intensiv beteiligt wie an der des in der nordwestlichen Nachbarschaft von Wittenberg gelegenen Furstentums Anhalt!. Ahnlich wie in den beiden Sachsen war die Regierung zwischen zwei Linien des furstlichen Hauses aufgeteilt. In Kothen residierte Furst Wolfgang (geb. 1492). Durch seine Mutter, die Schwester Kurfurst Johanns, war er mit dem kursachsischen Haus eng verbunden. Er hatte bereits 1530 das Augsburger Bekenntnis mit unterschrieben. 1m Dessauer Landesteil regierte sein Vetter Fiirst Johann (geb. 1504). Dessen Bruder waren Furst Georg (geb. 1507), Dompropst in Magdeburg, und FiirstJoachim (geb. 1509). Ihre Mutter Margarete, die Base Herzog Georgs von Sachsen, hatte bis zu ihrem Tod 1530 die Hinwendung des Dessauer Landesteils zur Reformation verhindert. Danach erfolgte aufgrund personlicher Studien und Kontakte die Annaherung Georgs und J oachims an Luther. In diesem Sinne beeinfluBten sie auch ihren Bruder Johann. Georg Helt (geb. 1485), der einstige Erzieher Georgs und Joachims, hieIt sich nunmehr zum Studium in Wittenberg auf und wurde zur wichtigen Kontaktperson zwischen den Fursten und Luther. Durch Luthers Vermittlung wurde im September 1532 Nikolaus Hausmann der erste evangelische Hofprediger in Dessau 2 . Er blieb wie zuvor schon in Zwickau in eng em Kontakt mit Wittenberg. Zu einer von den Fursten Johann und Joachim in 35

Worlitz veranstalteten groBen Jagd, an der auch Kurprinz Joachim von Brandenburg teilnahm, wurden wohl nicht ohne Absicht auch Luther, Melanchthon und Cruciger eingeladen. Luther hielt bei dieser Gelegenheit am 24. November eine seiner grundsatzlichen Predigten iiber die »Summa des christlichen Lebens«. Er setzte ein mit einer Erorterung, was Gottesdienst ist. Darunter konnen alle mensch lichen Tatigkeiten begriffen werden, aber in besonderer Weise ist das Predigen und Horen des Wortes Gottesdienst, auf den Gott seine hochste VerheiBung gelegt hat. Luther ging es sichtlich darum, gegen eine gangige Geringschatzung zunachst die Wichtigkeit des evangelischen Gottesdienstes einzuscharfen. Die eigentliche Predigt handelte dann von Gesetz und Evangelium, wobei als Inbegriff des Gesetzes das umfassende Liebesgebot bezeichnet wurde, das jeglichen Eigennutz ausschlieBt. Vor Gott muB der Mensch freilich eingestehen, daB er dieser Forderung nicht gerecht wird. Er bleibt auf die vergebende Gnade Christi angewiesen, auf die allein er sich im Glauben verlassen kann. Wahrend das Gesetz vor den Richtstuhl Gottes stellt, bringt das Evangelium vor den Gnadenstuhl Christi. Beides darf darum auf keinen Fall vermischt werden. Jedes Vertrauen auf die eigene Leistung wiirde den Glauben verunreinigen. Die Erfahrung der Gnade befahigt dann ihrerseits zur selbstlosen Nachstenliebe. Luther konnte in dies em Zusammenhang gut verdeutlichen, warum es auf die Reinheit dieser Lehre ankam, wobei er es nicht an der Kritik der Gesetzlichkeit der Altglaubigen fehlen lieB. Die Notwendigkeit der Polemik rechtfertigte er anschlieBend noch ausdriicklich gegeniiber dem dariiber indignierten Kurprinzen Joachim von Brandenburg. Als Luther spater diese Predigt in der Druckfassung, die Cruciger ihr gegeben hatte, zu Gesicht bekam, war er selbst von ihr beeindruckt. Die in Worlitz gefiihrten Gesprache hatten sich vor allem auf theologische Gegenstande konzentriert. Mit ihrer Informiertheit und ihrem frommen Eifer galten die anhaltischen Fiirsten Luther als beispielhaft 3 . Nach wie vor bemiihte sich jedoch Herzog Georg von Sachsen, die Fiirsten Johann und Georg beim alten Glauben zu halten. VeranlaBt durch Hausmann suchte Luther darum Fiirst Johann zu iiberzeugen, daB die Autoritat Christi iiber der der Konzilien stehe. Fiirst Georg wurde von ihm gelobt, daB er als einziger unter den geistlichen Fiirsten sich fiir das Wort Christi einsetzte. Dem Franziskaner Gregor Rosseken, der der Beichtvater Fiirst Georgs war, suchte Luther aufgrund eigener Erfahrungen aus der monastischen Frommigkeit herauszuhelfen. Den Fiirsten Joachim bestarkte er in der Fortsetzung des begonnenen Reformationswerkes. Alle diese Briefe argumentieren mit der Rechtfertigungslehre und dem Glauben an Christus. Organisatorische Fragen werden darin nicht beriihrt 4 • 1m Oktober 1533 kamen Herzog Georg von Sachsen, Erzbischof Albrecht und wohl auch sein Bruder, Kurfiirst Joachim I. von Brandenburg, nach Dessau. Es war zu erwarten, daB sie auf Fiirst Johann wegen seiner religiosen Haltung Druck ausiiben wiirden. Luther riet ihm vorsorglich, sich auf keine groBere Auseinandersetzung einzulassen. Ebenso soUte Hausmann die »Goliathe« tapfer verachten 5 • Als Hausmann etwas spater vor den brandenburgischen Fiirsten iiber das damals heikle Problem der Taufe zu predigen hatte, lieB er sich von Luther beraten 6 • 36

1m Marz 1534 legte Hausmann Luther die anhaltische Gottesdienstordnung zur Begutachtung vor. Sie unterschied sich an nicht wenigen Stellen von der Wittenberger Praxis, und Luther scheint erhebliche Veranderungsvorschlage gemacht zu haben. Ihm lag daran, daB man den Altglaubigen nicht mit unterschiedlichen Zeremonien AniaB zur Kritik bot. Vor allem so lite einstweilen der Druck der Ordnung unterbleiben, bis sie sich in der Praxis bewahrt hatte. Luther hielt die durch den Druck seiner» Deutschen Messe« von 1526 ausgeloste Veroffentlichung zahlreicher evangelischer Kirchenordnungen fUr keine gluckliche Entwicklung. Tatsachlich kam es dann nicht zum Druck dieser ersten anhaltischen Gottesdienstordnung 7 . An Grundonnerstag 1534 fand in Dessau die erste evangelische Abendmahlsfeier statt. Luther begluckwunschte die drei fUrstlichen Bruder fur den trotz des Drucks ihrer altglaubigen Nachbarn bewiesenen Mut: Christliches Handeln ist immer ein in Schwachheit unternommenes Wagnis, das jedoch Christus herrlich zu voUenden vermag 8 : Als im Sommer 1534 Furst Joachim in »Schwermut und Melancholia« fiel, bemuhten sich auch die Wittenberger intensiv, ihm zu helfen. Luther forderte ihn auf, frohlich zu sein und die Freuden des Lebens zu genieBen. Er verwies dabei auf sich selbst als Beispiel: Nach dem fruheren »Trauern und Sauersehen ... suche ich jetzt und nehme Freude an, wo ich kann«. Aufgrund der gewonnenen evangelischen Erkenntnis konnte man mit gutem Gewissen frohlich sein und Gottes Gaben dankbar genieBen 9 • Wegen der Erkrankung J oachims reiste Luther Anfang Juni fUr mehrere Tage nach Dessau. In einer seiner dortigen Predigten legte er eindrucksvoU Psalm 45 auf die drei Regimente Predigtamt, Obrigkeit und Hausstand hin aus. Seinem furstlichen Klienten galt die Mahnung zu geduldigem Hoffen auf Gott, der mit seinem Wort den Menschen nahe ist 10. Fur Luther war es eine Erhorung seiner Furbitte, als im Befinden Joachims zunachst eine Besserung eintrat. Von Wittenberg aus wurde alles getan, urn diesen Zustand zu erhalten. Als dann ein Ruckfall eintrat, muBte Luther den Fursten trosten, daB auch dies, wenn auch nur schwer einsehbar, Gottes gutiges Geschick sei ll . Von Mitte Juli bis Anfang August muBte sich Luther, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, standig in Dessau aufhalten, bis ihn der Magister Franz Burkhard in der Betreuung des Patienten abloste. Er fUhlte sich in Dessau nicht besonders wohl. Das dortige Bier bekam ihm nicht, und er sehnte sich nach seiner Frau 12. Die Depressionen Joachims dauerten an. Einmal erfiihrt man, daB er Luthers Besuche und Zuspruch als hilfreich empfand. An Weihnachten 1535 wies ihn Luther darauf hin, daB Christus unsere Sunde und boses Gewissen weggenommen habe und seine Kraft in den Schwachen machtig sei 13. Dies war wohl eines der letzten Argumente, das in diesem schwierigen Seelsorgefall noch verblieb. Luthers Beitrag zur anhaltischen Reformation best and also weniger in organisatorischen Vorschlagen und Aktivitaten als in der Belehrung und Seelsorge gegenuber dem Landesherrn. In dieser vorrangig geistlichen Bemuhung urn die verantwortlichen Personen kommt ein eigentumlicher Zug seiner reformatorischen Tatigkeit uberhaupt zum Vorschein. Sie war der evangelischenSache durchaus angemessen und so Ute nicht leichthin gering geschatzt werden. 37

2. Beziehungen zu anderen Territorien und deren Reformation Die Erfahrungen mit der Ausbreitung der Reformation in weiteren Territorien waren unterschiedlich. Durch die Fursten von Anhalt war Luther mehrfach mit dem Kurprinzen Joachim von Brandenburg in Verbindung gekommen. Es bestand die berechtigte Hoffnung, daB Joachim, nachdem er 1535 an die Regierung gekommen war, die Reformation in der Mark Brandenburg einfuhren wurde. Diese Erwartung erfullte sich zuniichst nicht. 1536 meinte Luther sogar, der Kurfurst sei vom Evangelium abgefallenl. Der Hohenzoller Joachim II. verfolgte einen Kurs zwischen den Konfessionen und wahrte gegenuber Luther immer eine gewisse Distanz. In Mecklenburg trat seit 1533 Herzog Heinrich fur die Einfuhrung der Reformation ein, wiihrend sein Bruder Albrecht, der Schwiegersohn Joachims I. von Brandenburg, diese ablehnte. Einen Vermittlungsversuch Luthers nahm Albrecht zuniichst nicht unfreundlich auf, beschied ihn aber dann doch abschliigig. Ein Grund dafur durfte die inzwischen in Wittenberg erfolgte Ver6ffentlichung einer Schrift Agidius Fabers, des lutherischen Predigers in Schwerin, gewesen sein, die sich mit der Verehrung der Heiligblutreliquie im Dom zu Schwerin recht kritisch auseinandersetzte. Luther hatte zu dieser Schrift ein Vorwort beigesteuert, das die »greuliche Abg6tterei« der Papisten gleichfalls schonungslos anprangerte 2 • Aus politischen Grunden willigte Albrecht Anfang 1534 dann doch in die Freigabe der evangelischen Predigt ein. 1534 konnte Herzog Ulrich von Wurttemberg nach 15jiihriger Vertreibung sein Land mit Unterstiitzung Philipps von Hessen von den Habsburgern zuruckerobern. Obwohl sich damit die M6glichkeit er6ffnete, ein bedeutendes Territorium in Sudwest deutschland fur die Reformation zu gewinnen, das den dortigen evangelischen Reichsstiidten politischen Ruckhalt bieten konnte, war das Unternehmen von Luther und den anderen Wittenberger Theologen abgelehnt worden, weil es den Frieden im Reich gefiihrdete. Erst nachtriiglich erkannte er an, daB Gott offensichtlich mit dieser Sache war3. Nach wie vor wurde Luther von bereits evangelischen Stiidten und Herrschaften in Personalangelegenheiten oder urn die Vermittlung von Geistlichen sowie bei kirchlichen Streitigkeiten angegangen. Hamburg wunschte, daB sein Superintendent Johannes Aepin in Wittenberg den theologischen Doktortitel erwarb 4 • Nikolaus Glossenius wurde als Superintendent nach Reval geschickt, nachdem er zuvor in Wittenberg zum Lizenziaten promoviert worden wars. 1536 wies Kurfurst Johann Friedrich die Wittenberger Theologen an, einen Prediger fur das als Bischofssitz nicht unwichtige Naumburg ausfindig zu machen. Weil jedoch zuniichst kein geeigneter Kandidat zur Verfugung stand, muBte Jonas mehrere Monate lang in Naumburg aushelfen 6 • In Erfurt gab es weiterhin nebeneinander evange1ischen und katholischen Gottesdienst, was andauernde Reibereien mit sich brachte. Die einfluBreiche altgliiubige Partei im Rat suchte 1533 nicht nur die Einkunfte der evangelischen Prediger zu schmiilern, sondern bestritt ihnen auch die rechtmiiBige Berufung. Die Zustiinde

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waren derart unerfreulich, daB die Prediger daran dachten, aus Erfurt wegzuziehen. Nach Meinung der Wittenberger Theologen gab es jedoch an der RechtmiiBigkeit der Stellung der Erfurter Prediger keinen Zweifel. Sie waren von ihren Gemeinden gewiihlt worden. In dem Erfurter Grenzfall stellten die Wittenberger das Wahlrecht der Gemeinde iiber die Berufung durch den Rat. 1m iibrigen hatte der Rat den Predigern bisher ihre Tiitigkeit nicht verboten. Die Wittenberger wollten auBerdem den siichsischen Kurfiirsten als Schutzmacht Erfurts veranlassen, sich der Sache anzunehmen. Die Schwierigkeiten in Erfurt dauerten auch in der folgenden Zeit an. Von Kursachsen aus konnte nicht viel mehr getan werden, als die Prediger in ihrer bedriingten Situation innerlich zu stabilisieren 7 . Gegen die 1530 evangelisch gewordene Stadt Minden in Westfalen war 1536 eine Entscheidung des Reichskammergerichts ergangen, die altgliiubige Geistlichkeit in ihren Besitz und ihre Rechte wieder einzusetzen. Die Stadt sandte deshalb ihren Superintendenten Gerhard Omiken nach Kursachsen. Luther konnte in diesem Fall freilich nicht mehr tun, als den Bittsteller mit einer Empfehlung an den Kurfiirsten weiterzuschicken 8 . 1532 hatte die Stadt Bremen auch im erzbischoflichen Dom die Einfiihrung des evangelischen Gottesdienstes erzwungen. Ais der Erzbischof darauf vor dem Regensburger Reichstag klagte, weigerte sich die Stadt, den alten Zustand wiederherzustellen, und forderte Stellungnahmen ihrer Schmalkaldischen Bundesgenossen an. Die Wittenberger Theologen urteilten streng rechtlich, daB die Stadt nicht die Obrigkeit iiber den Dom besitze und mithin ihr Eingriff nicht rechtmiiBig gewesen sei. Da jedoch eine Wiederherstellung des alten Kultus im Dom in der Stadt zu Aufruhr fiihren konnte, hatte das Domkapitel das Risiko dafiir se1bst zu tragen. Aus politischen Griinden machte sich Kurfiirst Johann Friedrich die Stellungnahme der Wittenberger nicht uneingeschriinkt zu eigen. Bis zu einem Konzil sollte an dem nunmehr bestehenden Zustand in Bremen nichts geiindert werden. Falls die Gegenseite Gewalt anwenden wiirde, wurde Bremen der Beistand seiner Biindnispartner zugesagt 9 . Mit der ihm vorgelegten Bremer Kirchenordnung erkliirte sich Luther im September 1533 einverstanden. Auch gegen die hergebrachte Praxis des Strafrechts hatte er keine Einwiinde und riet lediglich zur Milde in Bagatellfiillen. Offensichtlich bedurfte es auch in Bremen der Mahnung, die Prediger angemessen zu bezahlen 10. Ahnlich wie im FaIle Bremens hielten die Wittenberger die Versuche der Stadt Herford, in die Rechte der dortigen Abtissin einzugreifen, fiir unzuliissig. Die Abtissin ihrerseits sollte jedoch dafiir Verstiindnis haben, daB kirchliche Einkiinfte, iiber die sie zu verfiigen hatte, fiir die Versorgung von Geistlichen herangezogen wurden. Eine Verwendung kirchlicher Mittel fur profane Zwecke wie den Bau der Stadtmauer lehnten die Wittenberger ab l1 . Nach wie vor betrieb die Stadt, unterstiitzt yom evange1ischen Pfarrer, auch die Auflosung des Fraterhauses. Obwohl dessen Insassen die evangelische Lehre bejahten, empfand man die Fortsetzung der monastischen Lebensweise und die Sonderrechte der Bruder als einen Fremdkorper. 1534 wurde ihnen iiberdies zugemutet, die Stadtschule zu iibernehmen. Erneut such ten und fanden diese Unterstiitzung bei Luther und Melanchthon. Die Lebensweise, zu der sich die Briider in Freiheit entschieden hatten, war nicht unevan-

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gelisch. Die Stadt hatte kein Recht, das Briiderhaus fUr ihre Zwecke zu vereinnahmen. In die letzte Phase des Konflikts urn 1540 wurde Luther nicht mehr eingeschaltet. Das Briiderhaus konnte sich schlieBlich behaupten, paBte sich aber seinerseits im Lauf der Zeit sHirker seiner evangelischen Umgebung und ihren Erwartungen an 12. In einigen westfalischen Territorien war die Reformation zwar eingefUhrt worden, viele herkommliche Zeremonien hatte man aber beibehalten. Aus einer nicht naher bekannten Grafschaft wurden Luther deswegen eine Reihe von Anfragen gestellt. Er hatte nichts dagegen, daB z. B. die Weihe des Wachses und des Taufwassers einstweilen weiter geiibt wurde, lehnte hingegen alles ab, was mit der Feier des MeBopfers in Verbindung stand 13. 1533 wandten sich die hessischen Geistlichen wegen einer intensiveren Handhabung der Kirchenzucht an Luther und Melanchthon. Luther lobte ihren Eifer, hielt aber die Zeit fiir derartige Regelungen fUr noch nicht gekommen. Einerseits drohte dabei die Gefahr der Gesetzlichkeit, andererseits wiirde dies erfahrungsgemaB erhebliche Unruhe auslosen. Man sollte es bei dem sog. kleinenBann, der Abmahnung der Unwiirdigen yom Abendmahl, und dem AusschluB yom Patenamt belassen. Die Ausiibung des »groBen Bannes« mit dem AusschluB yom gesellschaftlichen und politischen Leben sollte die Kirche nicht beanspruchen, zumal er ohne die Mitwirkung der Obrigkeit auch nicht zu praktizieren war. Gerade eine solche Einschaltung der politischen Gewalt in die Kirchenzucht war aber urn der Trennung der beiden Reiche willen nicht wiinschenswert l4 . Schon das von Luther fiir die Pfarrer beanspruchte Recht zum AusschluB yom Abendmahl wurde diesen langst nicht iiberall von den Obrigkeiten zugestanden. Die weitergehende Durchsetzung einer konsequenten Kirchenzucht zur Herstellung einer heiligen Gemeinde erkannte er zutreffend als nicht realisierbar. Gleichfalls im Jahr 1533 kam es in Niirnberg zu einer neuen Auseinandersetzung zwischen Andreas Osiander (Tafel IV) und den iibrigen Geistlichen. Wie in Kursachsen war auch in Niirnberg seit 1524 neben der Einzelbeichte die sog. offene Beichte geiibt worden. Dabei handelte es sich urn ein im Sakramentsgottesdienst von der Gemeinde gesprochenes allgemeines Siindenbekenntnis, auf das hin der Geistliche die Absolution erteilte. In der Kirchenordnung von 1533 war auf Osianders Drangen die offene Beichte nicht mehr vorgesehen. Dariiber gab es Unruhen. Die einfachere offene Beichte warvielfach beliebter als die Einzelbeichte, auf der Osiander bestand. Der Niirnberger Rat bat deshalb Luther und Melanchthon urn ihre Stellungnahme. Ihre Antwort hatte eine in der Sache begriindete Weite. Gegen die allgemeine Absolution war nichts einzuwenden, war doch selbst die Predigt Zuspruch der Siindenvergebung. Allerdings muBte der einzelne Horer die Absolution glaubend annehmen. Dies konnte in der Privatabsolution direkter vermittelt werden, und darum sollte neben der offenen auch die Einzelbeichte bestehen bleiben. Der Niirnberger Rat wies die Geistlichen an, dementsprechend zu verfahren. Obwohl Osiander zunachst keine Einwande erhob, befiirchtete man in Niirnberg nicht ohne Grund, daB der Konflikt noch nicht ausgestanden sei 15. Osianders Kollegen sammelten anstoBige Aussagen von ihm und sandten sie nach Wittenberg. Luther reagierte anders als sie erwartet hatten. In eindringlichen Briefen an Wenzeslaus Linck, Osiander und die 40

Niirnberger Geistlichen insgesamt mahnte er zur Versohnung. Zwar war auch er der Meinung, daB Osiander wieder einmal eigensinnig dachte und seine Kollegen die Wahrheit auf ihrer Seite hatten. Aber ein Streit deswegen war sinnlos, und Luther hoffte, daB sich Osiander in Liebe zurechtbringen lieB. Der kirchliche Friede warin diesem Fall ein hoheres Gut als die Streitsache. Nachdem die iibrigen Geistlichen gegen Osiander recht bekommen hatten, sollten sie die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Der groBe Appell zur Einigkeit gipfelt in einer direkten Rede Christi an die Niirnberger Geistlichen. Mit seiner Hilfe hoffte Luther zwar den Frieden herstellen zu konnen, aber er war sich auch bewuBt, daB die Kontrahenten fehlsame Menschen waren. Gerade als so1che waren sie jedoch auf gegenseitige Vergebung angewiesen 16. Luthers Briefen war kein Erfolg beschieden; der Streit ging in Niirnberg weiter, und der Rat bat deshalb die Witten berger Theologen urn eine neue Stellungnahme. Ihre Antwort ging dies mal direkter auf Osianders Einwiinde ein. Man war sich mit ihm einig, daB die Absolution als personlicher Zuspruch erfahren werden miisse. Dennoch durften deswegen die allgemeine Absolution oder die Verkiindigung des Evangeliums nicht abgewertet werden. Osiander hatte gleichfalls recht mit seiner Kritik, daB die allgemeine Absolution auch so1chen erteilt wurde, die weder glaubten noch buBfertig waren. Darum sollte sie nur unter der Voraussetzung erteilt werden, daB diese Bedingungen erfullt waren. Osiander selbst sollte nicht gezwungen werden, die offene Beichte zu praktizieren, dafur aber seinerseits diese auch nicht mehr angreifen. Damit hatten die Wittenberger erneut einen verniinftigen Ausweg aus dem Konflikt gewiesen. In einem sehr anerkennenden personlichen Brief suchte Luther Osiander fiir diesen Vorschlag mit der gegenseitigen Duldung der unterschiedlichen Standpunkte zu gewinnen. Der Niirnberger Rat honorierte die Bemiihungen der Witten berger mit 100 Talern 17. Nach einer Ruhepause begann Osiander 1535 den Streit aufs neue. Luther sah darin die Machenschaften des Teufe1s. Er versuchte Linck mit dem Hinweis zu trosten, wieviel man auch in Kursachsen wegen des Ubermuts des Adels und der Bauern schlucken miisse. Linck sollte sich erst auf den Konflikt einlassen, wenn Osiander ihn offen angreifen wiirde 18. Dieser nahm das Thema in einer Predigt im August 1536 wiederum auf. Er hatte darin sicher recht, daB sich die Kirchenzucht angemessener in Verbindung mit der privaten als mit der offenen Beichte handhaben lieB. Wiihrend eines Besuchs in Niirnberg wurde Melanchthon urn Vermittlung angegangen. Auf seine Anregung hin legte der Rat die Sache nochmals der theologischen Fakultiit in Wittenberg vor. Diese begniigte sich jedoch mit der Wiederholung der friiheren Wittenberger Auffassung l9 . In Fiillen von angeblicher Teufelsbesessenheit wurde Luther gelegentlich urn Rat angegangen. Besonderes Aufsehen erregte ein Miidchen in Frankfurt/O., das stiindig Miinzen hervorzauberte, die es dann verschlang. Luther empfahl jeweils die Fiirbitte der Gemeinde und die genaue Nachpriifung, ob nicht irgendwe1che Tiiuschung vorliege, die ihm aber ihrerseits als Machwerk des Teufels galt. Der Teufel war lebendige Realitiit. Aber Christus, den er (!) gekreuzigt hatte, hatte den Sieg iiber ihn davongetragen 20 •

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Ein Teil von Luthers uber den engeren kursachsischen Raum hinausreichender Korrespondenz war seelsorgerlicher Art. Meist kannte er die Adressaten schon anderweitig. Den magdeburgischen Kanzler Lorenz Zoch trostete er anlaBlich des Todes seiner Frau. In der Gemeinschaft mit Christus gehore zunachst auch die geduldig zu ertragende Betriibnis zum Geschick der Christen. Solche Kondolenzbriefe muBte Luther immer wieder schreiben 21 • Dem mit Selbstmordabsichten umgehenden Jonas von Stockhausen, Stadthauptmann in Nordhausen, schrieb Luther: »Ja bindet eure Ohren fest an unseren Mund, und laBt unser Wort in euer Herz gehen, so wird Gott durch unser Wort euch trosten und starken.« Das von Gott geschenkte Leben durfe trotz allen Oberdrusses nicht weggeworfen werden. Von den dunklen Eingebungen des Teufels musse man sich systematisch ablenken. Das trug er auch Stockhausens Frau auf, die ihren Mann auf keinen Fall allein lassen sollte 22 • Den erkrankten mansfeldischen Rat Johann Ruhel lieB Luther wissen: »Domini sumus«, d. h. lebendig oder tot gehoren wir zu Christus und sind deshalb selbst Herren uber aIle Widrigkeiten 23 • Ahnlich und doch anders fiel der Zuspruch an den mansfeldischen Kanzler Kaspar Muller aus: Gottes guter Wille muB akzeptiert werden: »Es ist ein guter Kaufmann und gnadiger Handler, der uns Leben urn Tod, Gerechtigkeit urn Sunde verkauft, und dafiir eine Krankheit oder zwei, einen Augenblick lang, zum Zins auflegt ... « Der Patient hatte darum trotz allem eigentlich Grund zum Danken 24 • Gegeniiber dem kranken liineburgischen Reformator Urbanus Rhegius gebrauchte Luther die einpragsame Formulierung: Wir mussen zugleich tragen und (von Christus) getragen werden 25 • Nicht ohne Grund bezeichnete Luther die osterreichische Adlige Dorothea Jorger, in deren Diensten einst Michael Stifel gestanden hatte, als »seine gute Freundin in Christo«. Sie lieB nicht nur Luther und seiner Familie immer wieder Geschenke zukommen, sondern stiftete 1532 auch ein Kapital von 500 Gulden, dessen Zinsen Wittenberger Studenten zugute kommen sollten. Dies diirfte eine der ersten derartigen Stiftungen im evangelischen Bereich gewesen sein. Hier erfuhr Luther einmal die Opferbereitschaft, die er in Wittenberg und Kursachsen so sehr vermiBte. Die Einrichtung und Verwaltung der Stiftung fiillt einen groBen Teil der spateren Korrespondenz Luthers mit Dorothea Jorger aus. 1534 schrieb er ihr: »Ich hab's selbst nicht gewuBt, hatte es auch nicht geglaubt, daB in dieser geringen Stadt und armen Schule so viel frommer, geschickter Gesellen gewest waren, die durchs J ahr Wasser und Brat gezehret, Frost und Kalte gelitten, auf daB sie in der heiligen Schrift und Gottes Wort mochten studieren, welchen Euer Almosen ein groBer Labsal und Erquickung ist worden.« 1535 lieB er das Geld vor allem armen Glaubensfluchtlingen aus anderen Landern, die in Wittenberg studierten, zukommen 26 • Auf Bitte von Dorothea Jorger sandte Luther ihr einen Entwurf fiir ihr Testament. Dabei ging es nur am Rande urn die Verfugungen uber ihr mutterliches Vermogen. Den Hauptteil bildete ein dankbares evangelisches Glaubensbekenntnis, das als Vermachtnis an die Kinder weitergegeben wird, die auBerdem zur Eintracht ermahnt werden 27 • Hier wird der Ansatz zu einer neuen frommen Sitte erkennbar. Auch der 1534 verstorbene Nurnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler, der seit 1519 mutig fiir Luther eingetreten war, hatte seinem Testament ein ausfiihrliches 42

unverkennbar lutherisch gefarbtes Glaubensbekenntnis beigegeben. 1535 wurde es in Wittenberg mit einem Vorwort Luthers veroffentlicht. Fur ihn war dieses Zeugnis eines christlichen Glaubens, Lebens und Sterbens im besten Sinne eine Heiligenlegende, die die schwachen, angefochtenen und verfolgten Christen zu stark en vermochte. AuBerdem widerlegte das Bekenntnis Spenglers die lautstarke Kritik der Gegner, es gebe keine frommen gelehrten Leute mehr 28 . Die Probleme, die aus den anderen evangelischen Kirchen Deutschlands an Luther herangetragen wurden, waren also hochst vieifaltig, und entsprechend unterschiedlich muBte auf sie eingegangen werden. Dennoch lassen seine Reaktionen gewisse durchgangige Linien erkennen: Es ging ihm nicht einfach urn den politischen Erfolg oder die Ausdehnung des kirchlichen Einflusses. Er wuBte sich gebunden durch das Recht, auch wo es den evangelischen Interessen entgegenstand. Daruber hinaus muBten die Problemlosungen theologisch stimmig sein. Innerhalb des damit vorgegebenen Rahmens trat Luther fur das praktisch Erreichbare und fur den kirchlichen Frieden ein. Nicht zuletzt hatten gerade zentrale Glaubensaussagen dem mitmenschlichen Trost zu dienen.

3. Die Abwehr des milnsterischen Tiiufertums Wahrend Luther sich in die Reformation der einzelnen Territorien nur einschaltete, wenn er dazu aufgefordert wurde, und seiner Beteiligung somit jede Plan maBigkeit fehlte, nutzte er jede Gelegenheit, urn dem sich ausbreitenden Taufertum entgegenzutreten. Ende 1532 warnte er den Rat von Munster in Westfalen und den dortigen Prediger Bernhard Rothmann vor dem AbfaU zum Zwinglianismus und Taufertum. Dies war nicht unbegrundet; Rothmann hatte sich damals bereits zwinglischen Position en angenahert. Luthers Hinweis, daB es mit Zwingli, Muntzer und einigen Taufern kein gutes Ende genommen habe, so Ute sich auch fur Munster nur zu wortlich erfuUen 1. Anfang 1534 kamen die niederlandischen Taufer nach Munster und brachten bald darauf die Herrschaft in der Stadt an sich, was dann eine reichsweite Aktion gegen die Stadt ausloste. Luther hat sich urn die dortigen Vorgange zunachst anscheinend wenig gekummert. 1m Juli antwortete er auf eine Anfrage von Myconius, den Rothmanns Beweisfiihrung, Christus habe von Maria nicht die wahre Menschheit angenommen, verunsichert hatte: An der wahren Menschheit Christi sei nicht zu zweifeln. Spater im Jahr sandte Luther im Auftrag des Kurfursten einen Boten nach Soest, urn nahere Informationen tiber die Situation in Munster einzuholen 2 • Mitte November wuBte er, daB Johann von Leiden in Munster zum Konig erhoben und acht seiner Sendboten in Soest hingerichtet worden waren 3 . Neben der militarischen Bekampfung wurde schon 1534 auch die theologische Auseinandersetzung mit den mtinsterischen Taufern gefiihrt. Amsdorffwandte sich mit Thesen gegen Rothmanns Tauflehre 4 . Von altglaubiger Seite veroffentlichte Johann Cochlaeus mehrfach eine Widerlegung tauferischer Artikel, wobei er gezielt Luther fur die munsterischen Ungeheuerlichkeiten mitverantwortlich 43

machte 5 • Anfang 1535 wurde in Wittenberg die von dem Luneburger Reformator Urbanus Rhegius verfaBte »Widerlegung des Bekenntnisses der Munsterischen neuen Valentinianer und Donatisten« gedruckt. Sie wandte sich gegen das von Rothmann im Fruhjahr 1534 verOffentlichte »Bekenntnis des Glaubens und Lebens der Gemeinde Christi zu Munster« und ordnete des sen Aussagen den altkirchlichen Ketzereien zu. Die Vorrede stammte von Luther 6 • Er setzte sich darin mit zwei Vorwurfen auseinander: In Munster hatte man ihn als »falschen Propheten, noch schlimmer als der Papst« bezeichnet. Umgekehrt galt er den Papisten als mitschuldig am munsterischen Aufruhr und den dortigen Ketzereien 7 • Luther trug dies mit selbstbewuBter Gelassenheit: Ohne ihn hiitten die »Rottengeister« nie den Papst zu kritisieren vermocht und umgekehrt die Papisten jenen nicht widerstehen konnen. Er bestritt gar nicht, daB die Rottengeister von ihm herkamen. Dies war immer so gewesen. Judas hatte zu den Jungern gehort. Aile Ketzer waren in der Kirche selbst aufgestanden und hatten ihre Irrlehre aus der Bibel geschopft. Die Vorwurfe der Altgliiubigen waren mithin nicht schlussig. Wohl unmittelbar anschlieBend verfaBte Luther ein wei teres Vorwort zu der vorher schon separat gedruckten »Neuen Zeitung von den Wiedertiiufern zu Munster«, die iiber den Regierungsantritt des »Konigs« Johann von Leiden und die Aussendung, Gefangennahme, Verhore und Hinrichtung der Tiiuferapostel berichtete 8 • Die Vorgiinge in Munster galten Luther als Mahnung zur BuBe. Die EinfUhrung der Polygamie und die Aufrichtung des tiiuferischen Konigreichs fochten ihn nicht allzusehr an. Dies tangierte zwar das weltliche Regiment, war aber so eindeutig unchristlich, daB es die Kirche nicht zu gefiihrden vermochte. In Miinster war also lediglich ein stumperhafter Anfiinger von Teufel am Werk. Immerhin zeigte das Beispiel Miintzers und Mohammeds, daB auch so1che groben Teufeleien ihre Anhiinger fanden. Die beste Abwehr dagegen hatte mit der Predigt von Gottes Wort und nicht lediglich mit militiirischen MaBnahmen zu erfolgen. Dementsprechend konzentrierte sich Luther auf die Widerlegung der Irrlehren von Rothmanns »Bekenntnis des Glaubens und Lebens ... «, das er offensichtlich im Original und nicht allein aus der Gegenschrift von Rhegius kannte 9 . Die Auffassung, daB Christus lediglich durch Maria hindurchgegangen und nicht als wahrer Mensch von ihr geboren worden sei, war exegetisch eindeutig unhaltbar. Die Taufe ist gottliches Werk und nicht bloB menschliche Aktion. Daran iinderte auch der MiBbrauch der Taufe durch Menschen nichts. Entsprechend der fruheren, 1535 bereits durch die EinfUhrung der Polygamie iiberholten Lehre Rothmanns war nur die Verbindung zwischen gliiubigen Partnern eine giiltige Ehe. Luther 109 daraus den SchluB, daB mithin aile Insassen Miinsters Hurenkinder und folglich auch die Besitzverhiiltnisse illegitim waren. Insgesamt ergab sich fUr ihn: Das munsterische Konigreich war so eindeutig aufruhrerisch, daB es nicht notwendig war, weiter davon zu handeln. Die Auffassung, daB es in Miinster in erster Linie den Aufruhr zu bekiimpfen galt, teilte Luther mit den politisch Verantwortlichen aus allen Lagern im Reich lO • Sie trug mit dazu bei, seine Haltung gegenuber den Tiiufern nochmals zu verschiirfen. In Predigten im Oktober 1535 und im Mai des folgenden Jahres erinnerte Luther gelegentlich an das Beispiel Munsters, das gezeigt hatte, wie leicht ein falscher Pre-

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diger binnen kurzem eine Vielzahl von Menschen verfiihren konnte l1 . Noch 1537 warnte er den in der Nahe Gottingens ansassigen Adligen Dietrich von Plesse vor dem ehemaligen miinsterischen Prediger Petrus Wertheim, der zeitweilig mit Rothmann sympathisiert hatte 12 • Die Bedrangnis Mindens war fiir ihn ein Symptom dafur, wie die Niederlage Miinsters den gegenreformatorischen Bestrebungen Auftrieb gegeben hatte 13. In Wittenberg erschien 1536 mit einem Vorwort Bugenhagens die von einem Henricus Dorpius verfaBte »Wahrhaftige Historie, wie das Evangelium zu Miinster angefangen und darnach durch die Wiedertaufer verstOret wieder aufgehort hat«, die bis ins 18. Jahrhundert die wichtigste Quel1e iiber das Tauferreich in Miinster war l4 . Die Vorgange in Miinster konnten Luther in seiner Ablehnung des Taufertums nur bestatigen. 1m Januar und Februar 1534 verwirklichte er ein schon langer bestehendes Vorhaben und legte in sechs Predigten ausfuhrlich seine Auffassung von der Taufe dar, wobei er sich selbstverstandlich mit den Taufern, aber auch mit den Altglaubigen auseinandersetzte. Die Hauptpunkte teilte er Hausmann in Dessau mit, weil dieser in Gegenwart Albrechts von Mainz gleichfal1s iiber die Taufe zu predigen hatte: In der Tauflehre bestand im wesentlichen Ubereinstimmung zwischen Luther und den Altglaubigen, wenngleich diese sie »kalter« vertraten. Die Taufe ist von Gott geboten, nicht menschliche Erfindung. Sie ist der neue Bund Gottes mit al1en Vol kern zum ewigen Heil. Menschlicher MiBbrauch kann ihr als gottliches Werk nichts anhaben. Eine Wiederholung wiirde dem gottlichen Werk Schmach antun. Die Taufe muB im Glauben empfangen werden, sonst niitzt sie nichts. Sie ist lebenslang mit den Friichten des Glaubens zu zieren, die freilich etwas anderes sind als die verdienstlichen Werke. Von der Leitvorstel1ung der Taufe als gottlichem Werk eriibrigte es sich, die Problematik der Kindertaufe iiberhaupt anzusprechen 15. 1535 erschienen die Taufpredigten ohne Luthers Zutun im Druck. In seinem Vorwort wol1te er sie als eine Verteidigung des lebendigen Christus verstanden wissen. Als Feinde der Taufe galten ihm neben dem Teufel die altglaubigen »Erzwiedertaufer«, die sich durch ihre Werke aufs neue tauften, und die »Epikuraer« - damit waren auch die miinsterischen Taufer gemeint -, die sie mit ihrer Praxis als gottliches Werk miBachteten l6 . Auf den Reisen der Taufer zu ihren Niederlassungen in Mahren war Regensburg ein wichtiger Durchzugsort. 1m Sommer 1534 warnte Luther den dortigen Rat, keine Niederlassung der Taufer zu dulden. Sie hatten sich in den vergangenen Jahren in Stadte eingeschlichen, »deren ich sicherer gewesen bin, denn ich eurer Stadt bin«. Als das sicherste Mittel dagegen wird die reine Verkiindigung des Evangeliums entsprechend dem Augsburger Bekenntnis empfohlen 17 . 1m Oktober 1534 traten in der anhaltischen Stadt Zerbst Taufer auf. Ihre Artikel wurden Luther vorgelegt. Fiir ihn war schon ihr unberufenes Sich-Einschleichen in die Gemeinde verwerflich, ja todeswiirdig. Die Artikel qualifizierte er als aufriihrerisch, »billigen auch den verdammten Miintzer«18. Offenbar hat Luther 1535 auch einem scharfen Vorgehen gegen drei thiiringische Taufer zugestimmt 19. Am Anfang des folgenden Jahres klagte er iiber das immer neue Auftreten falscher Propheten, das ihn den Tod herbeisehnen lieB2o.

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In Hessen hatte man sich damit begniigt, aufgegriffene Taufer des Landes zu verweisen. Manche kehrten jedoch heimlich zuriick und setzten ihre Agitation fort. 1536 rich tete Landgraf Philipp deswegen an eine Reihe evangelischer Stan de und an die Wittenberger Theologen die Anfrage, wie mit solchen Riickfalligen verfahren werden sollte. Die Wittenberger antworteten mit dem Gutachten »DaB weltliche Oberkeit den Wiedertaufem mit leiblicher Strafe zu wehren schuldig sei«21. Zustandig fiir die Bestrafung der Taufer ist die Obrigkeit, keinesfalls sind es die Prediger. Vor einer Bestrafung waren sie allerdings zu belehren. Aufruhr muBte auf jeden Fall geahndet werden. Als aufriihrerisch gel ten die Ablehnung von Obrigkeit, Eid, Eigentum und die Eheauffassungen der Taufer, dazu der in Miinster propagierte Chiliasmus. Das Bedenken des Landgrafen, die Obrigkeit diirfe niemand urn des Glaubens willen strafen, wird mit dem Hinweis erledigt, es werde nicht die personliche Meinung, sondem deren Verbreitung bestraft. Aber auch die theologischen Aussagen der Taufer, z. B. iiber die Kindertaufe, Erbsiinde und Christologie, wie sie in Miinster vertreten worden waren, sind zu bestrafen, wei I es sich dabei urn Gotteslasterung handelt, der zu wehren die Obrigkeit verpflichtet ist. Die Obrigkeit hatte freilich die Pflicht, sich hinsichtlich solcher Delikte griindlich zu informieren. Sie bedurfte deswegen der Unterrichtung durch die Prediger. Als strafwiirdig gilt ebenfalls die Aufrichtung eines eigenen kirchlichen Amtes und einer abgesonderten Gemeinschaft. Als StrafmaB war bei den politischen, aber urn ihrer Bedeutung willen auch bei den geistlichen Delikten grundsatzlich die Todesstrafe zulassig. Bei lediglich Verfuhrten konnte es mit der Gefangnisstrafe sein Bewenden haben. Gegen die Anfuhrer, vor allem wenn sie wie in Miinster Aufruhr propagierten, sollte mit aller Scharfe vorgegangen werden. Das scharfe Gutachten verrat unverkennbar die Handschrift Melanchthons, doch tragt es auch Luthers Unterschrift. Er distanzierte sich lediglich mit dem etwas einschrankenden Zusatz: »Dies ist die gemeine Regel, doch mag unser gnadiger Herr allezeit Gnade neben der Strafe gehen lassen nach Gelegenheit der Zufalle« (Umstande). Zwar hatte Luther schon 1531 die Anwendung der Todesstrafe gegen die Taufer nicht ausgeschlossen, aber angesichts der jiingsten Erfahrungen mit ihnen stimmte er nunmehr trotz seines abschwachenden Zusatzes der Festschreibung der Todesstrafe fur Delikte der Taufer zu. Die Wittenberger Theologen haben sich nicht gegen das im Vergleich mit anderen evangelischen Territorien scharfe Vorgehen Kursachsens gegen die Taufer gestellt 22 . Diesem faktischen Riickgriff auf die Anwendung des Ketzerrechts entsprachen spater die von Luther vorgeschlagenen MaBnahmen gegen die luden. Immerhin bewahrte sich Luther in der Praxis wie auch friiher ein differenziertes Urteil. 1m Februar 1536 hatte der Kartenmaler Matthes Lotther in dem im Herzogtum Sachsen gelegenen Freiberg unvorsichtige AuBerungen iiber den evangelischen Gottesdienst fallenlassen und unter anderem behauptet, auch Laien k6nnten die Sakramente spenden. Luther hatte daraufhin seine Mitbiirger vor ihm gewamt. Fiir Lotther hatte dies schlimme Folgen. Er fiirchtete urn sein Leben und floh. Luther verwandte sich fiir ihn bei Herzog Heinrich von Sachsen, dem die Regierung iiber Freiberg zugewiesen war. Nicht Landesverweisung, sondem eine befristete Kerkerhaft, verbunden mit der Auflage, sich der friiheren AuBerungen fur immer

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zu enthalten, hielt er fUr die angemessene Strafe. Als Lotther im Verlauf des Verfahrens bestritt, etwas gegen die Sakramente gesagt oder Konventikel veranstaltet zu haben, forderte Luther zunachst einmal eine genauere Untersuchung. SchlieBlich war er von seiner Unschuld iiberzeugt. Auf Bitten Luthers setzte sich auch KurfUrst Johann Friedrich bei Herzog Heinrich fUr den Angeklagten ein. Gegen Lotther wurde jedoch der Vorwurf aufrechterhalten, er habe sich entgegen seinem Versprechen aus Freiberg entfernt, was aber nach Luthers Auffassung verstandlich war, da er die Todesstrafe zu befUrchten hatte. Er drohte, die Sache notfalls an die Offentlichkeit zu bringen. Formal war der Herzog jedoch im Recht und blieb darum auch auf seinem Standpunkt. Als Luther dies erfuhr, war er auBer sich, zumal er »ein kleines Rauschlein hatte«. Der Kanzler Briick hatte alle Miihe, ihn von einem weiteren Vorgehen gegen Herzog Heinrich abzubringen. Zu einer Abbitte wegen seiner Drohung war er nicht zu bewegen 23 • In den folgenden Jahren haben die Taufer Luther nur noch gelegentlich beschaftigt. Die Segnung der Kinder durch Jesus (Mt 19,13-15) deutete er 1537 nach wie vor als Argument fUr die Kindertaufe. Anfang 1538 behandelte Luther die Taufe noch einmal in einem seiner iiblichen Predigtzyklen. Wieder begriff er sie als sakramentales Handeln Gottes, das allen menschlichen Aktionen vorausgeht, und von daher ergab sich auch die Rechtfertigung der Kindertaufe. Ganz ahnlich ist der Gedankengang in dem Katechismuslied iiber die Taufe von 1541 »Christ unser Herr zum Jordan kam«24. 1m Januar 1538 warnte Luther die Gemeinde ausdriicklich vor Sektierern, die sich in die Gemeinde einschlichen. Man sollte sie zu ihm als dem ordentlichen Prediger weisen. Er erwahnte .dabei auch, daB die tauferische Agitation ein mit der Todesstrafe bedrohtes Delikt sei. Damals machte sich verstarkt das Eindringen der Taufer von Hessen nach Thiiringen bemerkbar. Zwei Sendboten wurden hingerichtet, einer auf der Wartburg gefangengesetzt, was groJ3es Aufsehen erregte. Der Eisenacher Superintendent Justus Menius rechtfertigte dieses scharfe Vorgehen in seiner Schrift »Wie ein jeglicher Christ gegen allerlei Lehre sich gebiihrlich halten soll«, zu der Luther das Vorwort schrieb. Darin wird aUerdings die Bestrafung der Taufer iiberhaupt nicht beriihrt. Luther setzte sich vielmehr mit dem Argernis auseinander, das das Auftreten der Sektierer in der Kirche darstellt. Es wird als eine Anfechtung verstanden, die urn so mehr auf das Wort Gottes achten lehrt 25 . 1m Herbst 1538 berief Landgraf Philipp Bucer zur Auseinandersetzung mit den Taufern nach Hessen. Dabei entstand der Plan, Taufer, die fUr die Kirche wiedergewonnen waren, zur Bekehrung ihrer ehemaligen Gesinnungsgenossen zu verwenden. Man wollte es also mit Uberzeugung anstatt Bestrafung versuchen. Bucer sollte die Stellungnahme Luthers zu diesem neuen Vorgehen gegen die Taufer einholen. Dieser sprach sich zwar nicht fiir die Todesstrafe aus, riet jedoch entschieden zur Landesverweisung der Taufer, die »des Teufels Samen« seien. Auch wenn ihr Verhalten ge1egentlich beeindrucke, sei zu befUrchten, daB aus ihren Umtrieben am Ende wieder ein Unheil wie in Miinster entstehe. Das Argument, eben die Vertreibung trage zur Ausbreitung des Taufertums bei, lieS Luther nicht gelten. Den Wolf miisse man verjagen, auch wenn er danach anderswo Schaden anrichte 26 . 1539 wur47

den drei Taufer in Eisenach durch Bekehrungsversuche der Geistlichen und Folter zum Widerruf gebracht. Auf Bitten des Kurfiirsten hatten sich die Witten berger Theologen iiber ihre Bestrafung zu auBern. Sie lehnten in diesem Fall die Todesstrafe eindeutig ab, da sie bei anderen Taufern nur Verstockung bewirken wiirde. Der Widerruf so lite offentlich wiederholt werden. Als einzige Strafe wird eine einbis zweimonatige Gefangnishaft empfohlen. Die ehemaligen Taufer hatten sich kiinftig zur evangelischen Kirche zu halten. Die Obrigkeit so lite ein Auge auf sie haben. Gegeniiber bekehrten Taufern war man in Wittenberg also nunmehr auch fur ein relativ mildes Vorgehen. 1m iibrigen blieb Luther jedoch dabei: Aufriihrerische Taufer sollten hingerichtet, die anderen des Landes verwiesen werden 27 . Urn dem Taufertum in Miihlhausen zu begegnen, verfaBte Justus Menius 1544 als dritte Abhandlung zu diesem Thema» Yom Geist der Wiedertaufer«, fur die Luther wiederum das Vorwort schrieb. Er iibernahm von Menius die denunzierende Gleichsetzung des Taufertums mit Miintzers Schwarmerei, was auf die Unterstellung nicht allein von Ketzereien, sondern auch von kriminellen Delikten hinauslief. Am SchluB wird nochmals der Seufzer laut iiber die Anfechtung der Kirche durch die Ketzer 28 . Auch nach zwei Jahrzehnten blieb Luther somit bei der Identifizierung der Taufer und Sakramentierer mit seinem einstigen Erzfeind.

4. Die Verstandigung der Oberdeutschen mit Luther aber das Abendmahl in der Wittenberger Konkordie Die bedeutendste Entwicklung jener Jahre im evangelischen Lager war das Zustandekommen einer Verstandigung der oberdeutschen Stadte mit Luther iiber das Abendmahl. Die Initiative dazu war nicht von ihm, sondern seit 1530 von dem StraBburger Martin Bucer ausgegangen. Nach verheiBungsvollen Anfangen war das Projekt seit Sommer 1531 ins Stocken geraten, wozu nicht zuletzt Luthers immer wieder offen geauBerte Ablehnung Zwinglis und seiner Anhanger beigetragen hatte. Die Vorlesungen iiber die Psalmen von 1532 bis 1535 sind voll von diesbeziiglichen Seitenhieben 1.

Irritationen und Perspektiven Es gab allerdings auch immer wieder Vorfalle, die Luther irritieren muBten. Ende 1532 war in Frankfurt der lutherische Prediger Johannes Cellarius entlassen worden. Darauf veroffentlichte Luther Anfang 1533 ein Sendschreiben an die Frankfurter, mit dem er klarmachte, daB die dortigen Prediger anders lehrten als er. Er gab zwar zu, daB manche anderen Orte mit ihm iibereinstimmten, an anderen wiederum wiirde dies nur vorgegeben, obwohl man dort keine objektive Gegenwart Christi im Abendmahl, sondern nur eine solche fur den Glaubenden annahm. Fiir Luther war das teuflisches Gaukelspiel, bei dem den Leuten das Sakrament nicht zuteil wird. Es muB angegeben werden, was man im Abendmahl erhalt. Deshalb sollten zwinglische Seelsorger gemieden werden. Prediger, die nicht klar sagen, wie es sich mit

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dem Abendmahl verhalt, sind auszuweisen. Das Nebeneinander von zwei Abendmahlsauffassungen in einer Kirche hielt Luther fUr untragbar. AuBerdem stOrte ihn die Verwerfung der Privatbeichte in Frankfurt. Gezielt lieB er als Anhang nochmals sein Sendschreiben von 1524 an die Stadt Miihlhausen abdrucken, in dem er vor dem aufriihrerischen Miintzer gewarnt hatte 2 . Angesichts dieses »bissigen Buches« konnte Bucer nur iiber die Machenschaften des Teufels klagen, der immer wieder Zertrennung in der Kirche schafft, wo man doch eigentlich eins ist. Der Konstanzer Ambrosius Blarer hielt es fiir das Beste, Luthers Schrift zu ignorieren und die Wespen nicht noch zu reizen. Ihm schien Luther in der Abendmahlsfrage zu erregt und zu unbeugsam, als daB ihn irgendwelche Schriften der Oberdeutschen besanftigen konnten. Freilich brauchten sich diese durch Luther auch nicht erschiittern zu lassen. Blarer wollte Luthers Vorwiirfe und »blutige Feder« schlieBlich einfach verachtet wissen. Die Wirkung von Luthers Polemik hatte irgendwo auch ihre Grenze 3 • In einem Schreiben yom 22. Februar 1533 an die Frankfurter bemiihte sich Bucer abzuwiegeln, indem er darauf hinwies, wieviel man Luther, dem Werkzeug Gottes, dennoch zu verdanken habe. Das durch Zwischentragereien verursachte Unrecht miisse eben getragen werden. Bucer machte den Frankfurtern dann Vorschlage fiir ihre Entgegnung an Luther, die sich vor allem an biblische Formulierungen halten sollte. Sie soli ten darauf hinweisen, daB sie die Redewendung von der miindlichen Speisung zwar fUr moglich, aber fUr problematisch hielten, die Gegenwart Christi im Abendmahl jedoch nicht in Frage stell ten. Nicht der substantielle, aber der wahre Leib Christi wird im Abendmahl gegeben, und darum ist dabei nicht nur »eitel Brot« da. Capito riet den Frankfurtern, den Widersacher Luther mit MaBigung zu iiberwinden. Die gedruckte »Entschuldigung« der Frankfurter Prediger folgte im wesentlichen der von Bucervorgeschlagenen Linie 4 . Nach wie vor bemiihte sich Bucer im Sommer 1533 auch urn die Verhinderung eines volligen Bruchs der Schweizer mit Luther trotz dessen bedauerlicher Unfreundlichkeit. Bucer konnte dies aus Respekt vor Luthers Evangeliumsverkiindigung und weil er Luthers Abendmahlslehre in einem auch fiir die Schweizer annehmbaren Sinn fUr interpretierbar hielt. Die Verbindung zu den Schweizern wollte Bucer namlich so wenig aufgeben wie die zu Luther. Er muBte sich freilich von Leo Jud in Ziirich bitt ere Klagen iiber Luthers papstahnliche Willkiir und dessen Wiiten gegen die Schweizer anhoren: Luther zerriitte mit seinem Vorwurf der Ketzerei die oberdeutschen und schweizerischen Kirchen. Hier war man keineswegs gesonnen, Luthers Auffassungen einfach hinzunehmen oder gar zu akzeptieren. Nicht alles, »was Luther kackt, ist eine Rose«5. DaB Luther unter bestimmten Umstanden auch in Lehrfragen groBziigig urteilen konnte, bewies er gegeniiber den Bohmischen Briidern, die seit 1531 wieder die 1524 unterbrochenen Kontakte zu Wittenberg kniipften 6 . Zu diesem Zweck erarbeiteten sie eine »Rechenschaft des Glaubens«. Die Panne, daB sie zunachst 1532 in einer zwinglianisch gefarbten deutschen Dbersetzung in Ziirich erschienen war, wurde durch eine gereinigte Fassung behoben, zu der Luther Anfang 1535 das Vorwort schrieb 7. Aufgrund seiner Unterredungen war er nunmehr iiberzeugt, daB die

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Bohmischen Bruder mit ihm in der Abendmahlslehre ubereinstimmten, obwohl sie eine andere Terminologie gebrauchten. Man muBte Geduld haben, »bis wir zuletzt mit einerlei Wort und Weise des Munds gleich und einhelliglich Christum preisen mochten«. Dabei verschwieg er nicht, daB man seiner Uberzeugung nach in Wittenberg »heller und gewisser« von der Rechtfertigung redete. Aus diesem Vorwort schopfte Ambrosius Blarer wieder Hoffnung auf eine Verstandigung im Abendmahlsstreit 8 . 1535 planten die Bruder, mit einer eigenen Konfession die rechtliche Anerkennung in Bohmen zu erlangen. Der Vorbereitung des Bekenntnisses diente eine Reise von zwei Brudem nach Deutschland und in die Schweiz. Nach vierwochigem Aufenthalt in Wittenberg bestiitigten Luther und Melanchthon den Brudem emeut die Ubereinstimmung in der Sakramentslehre. Abweichungen in den Zeremonien und Sitten fielen demgegenuber nicht ins Gewicht 9 • 1m folgenden J ahr legten die Bruder den Wittenbergem die ausgearbeitete Konfession vor. Diese erklarten sich nach sorgfaitiger Prufung weithin einverstanden. Eine der wenigen Beanstandungen betraf das Festhalten am Priesterzolibat lO • Die Konfession sollte mit einer Vorrede Luthers in Wittenberg gedruckt werden. Wei I jedoch kein Drucker das Risiko dafur ubemehmen wollte, muBte sie Luther zu seinem Bedauem Ende 1537 den Brudem zuruckschicken 11. Diese kamen dann selbst fur die Druckkosten auf, und so konnte das Bekenntnis endlich 1538 erscheinen. In seiner Vorrede gab Luther einen am Vorbild des Paulus orientierten Bericht, wie sich seit seinen papistischen Zeiten seine ursprungliche Ablehnung der Bohmen schrittweise gewandelt hatte, bis er nunmehr fest stell en konnte, daB auch sie zu der »einen Herde unter einem Hirten« gehorten 12. Unter dem starken EinfluB Luthers hatten sich die Bohmen in den entscheidenden Punkten in erstaunlicher Weise seinen Auffassungen angeniihert. Anders hatte es keine Verstandigung gegeben. Nicht allein in Frankfurt war der Abendmahlsstreit wieder aufgeflackert. In Kempten wurden die lutherischen Geistlichen Johann Seeger und Johann Rottach entiassen, weil sie sich nicht auf eine vermittelnde Abendmahlsauffassung festlegen lieBen. Sie wandten sich deshalb im Juli 1533 an Luther, dessen Antwort jedoch nicht bekannt ist!3. Die Lutheraner in Augsburg baten Luther dringend urn die Einwilligung fur besondere Hausabendmahlsfeiem, die dieser aus seiner Abneigung gegen Winkelgottesdienste freilich versagte. Als die Augsburger Prediger sich unter Berufung auf Luthers Zustimmung zur »Rechenschaft des Glaubens« ruhmten, mit ihm einig zu sein, forderte er im August 1533 den dortigen Rat auf, dafurzu sorgen, daB dies unterbleibe. Trotz ambivalenter Formulierungen beurteilte er die Lehre dieser Prediger als zwinglianisch und bestritt deren Ubereinstimmung mit seiner Auffassung. Luther drohte dem Rat, dies in einer offentiichen Schrift kundzumachen. Die vom Rat zur Verantwortung aufgeforderten Prediger betonten ihre Einigkeit mit Luther und gab en eine Differenz nur bei der Speisung der Unglaubigen zu. Wenn auch nicht in den Worten, meinten sie doch in der Sache mit Luther ubereinzustimmen. Dieser antwortete dem Augsburger Rat am 29.0ktober auBerst knapp und barsch und kundigte auf die »schlipfrigen Wort« der Prediger ein offentliches Bekenntnis an. Damals riet der Augsburger Wolfgang Musculus Bucer von einer Einigung mit Luther auf Kosten der Wahrheit ab 14 . Luthers Vorrede zur

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Wittenberger Neuausgabe der Schrift »Vom Zorn und der Giite Gottes« des Augsburger Lutheraners Kaspar Huberinus von 1534 polemisierte gegen Sekten und Rotten. Schon in der Ende 1533 erschienenen Schrift »Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe« waren auch einige Hiebe gegen die »Sakramentierer« abgefallen. Dariiber und iiber Luthers Schreiben an die Augsburger auBerte sich Ambrosius Blarer gegeniiber Bucer am 23. Februar 1534 sehr ungehalten: »Durch welches Brechmittel werden wir dieses Haupt heilen?« Angesichts der Demutsbekundungen in Luthers Vorrede zu Brenzens Amoskommentar wiinschte sich Blarer verstandlicherweise auch etwas Selbstkritik bei Luther hinsichtlich der Angriffe auf die Herolde und Werkzeuge des gleichen Glaubens. Luthers Raserei machte Blarer schaudern. Bucer reagierte gelassener. Er kannte Luthers heiligen und unheiligen Zorn, und auBerdem hatten die Augsburger Luther provoziert l5 .

Neue Impulse fUr eine Konkordie Anders als Luther hatte Melanchthon schon im Marz 1533 Bucer anerkennend iiber dessen Bemiihungen fiir eine Konkordie geschrieben, auch wenn diesen nicht viel Erfolg beschieden war. Das Schicksalhafte (!) des Konflikts, das auch in Luthers Naturell begriindet sei, miisse man eben tragen. Melanchthon und Bucer sollten sich bemiihen, den Streit niederzuhalten, und ihn nicht anheizen. Am 1. September auBerte Melanchthon dann sogar die Hoffnung, mit Bucer zusammen fiir die Einigung der Kirche wirken zu konnen. Am 10. Oktober erwahnt Melanchthon das Projekt einer Unterredung mit Bucer zu diesem Zweck, das am 15. Marz 1534erneut angesprochen wird l6 . Anfang Marz 1534 erschien Bucers »Bericht aus der Heiligen Schrift«17, der mit seinen Abgrenzungen gegen die Taufer in Miinster und gegen Schwenckfeld gerade auch in den Aussagen iiber die Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl zugleich eine neue Annaherung an die lutherische Position bedeutete und von Bucer als Basis fiir neue Konkordienvefhandlungen bezeichnet wurde. 1m August 1534 wurde dann der AbschluB einer umfassenden Konkordie aus mehreren Griinden besonders dringlich. Von ihr schien der Fortschritt der Reformation in Frankreich abzuhangen; dieser Ansicht waren sowohl Bucer als auch Melanchthon. AuBerdem hatte der von Kurfiirst Johann Friedrich mit Konig Ferdinand ausgehandelte Kaadener Frieden zwar die Einfiihrung der Reformation in dem von Herzog Ulrich zuriickeroberten Wiirttemberg zugestanden, dabei aber ausdriicklich die »Sakramentierer« ausgeschlossen. Die reichsrechtliche Situation der zum Zwinglianismus hinneigenden Reichsstadte wurde damit schwieriger. In Wiirttemberg selbst war es im August zwischen dem Lutheraner Erhard Schnepfund Ambrosius Blarer auf der Grundlage jenes lutherischen Einigungsvorschlags, der 1529 in Marburg nicht angenommen worden war IS, zu einer Konkordie gekommen, die freilich fast allen Oberdeutschen einschlieBlich Bucer und auch Melanchthon zu weit zu gehen schien, weil sie die wahre und substantiale Gegenwart Christi im Abendmahl bekannte. Als Melanchthon Luther im August auf ein allgemeines Konkordienprojekt ansprach, zeigte sich dieser nicht abgeneigt. Melanchthon faBte bereits eine von den 51

Fursten einzuberufende Synode ins Auge. Mit seiner Bitte urn Beforderung der Konkordie fand Melanchthon bei Philipp von Hessen bereitwillig Gehor. Dieser wandte sich deswegen am 25. September an Luther und bat ihn urn Forderung der Konkordie, nachdem die theologischen Voraussetzungen dafur gegeben zu sein schienen und die Bedingungen des Kaadener Friedens sie politisch fur die Oberdeutschen notig machten. Zur Vorbereitung plante der Landgraf eine Zusammenkunft Bucers und Melanchthons in Kassel nach Weihnachten 1534. Luther erklarte sich am 17. Oktober auch aus politischen Grunden zu allem bereit, was mit seinem Gewissen vereinbar sei. Allerdings muBte eine solide Losunggefunden werden. Er befurchtete freilich, daB unter den Oberdeutschen nur wenige Bucer folgen wurden 19 • 1m Herbst 1534 bemuhte sich Bucer, der sich damals in Augsburg aufhielt, die Oberdeutschen und die Schweizer auf die Abendmahlsauffassung seines »Berichts aus der Heiligen Schrift« festzulegen, zu der sich Luther und Andreas Osiander zustimmend geauBert hatten. Bucers Optimismus hinsichtlich der Chancen fur eine Konkordie wurde freilich nicht uberall geteilt und war wieder einmal voreilig. Zwar einigte sich Bucer, unmittelbar bevor er zu der Zusammenkunft mit Melanchthon nach Kassel reiste, auf einem Treffen mit den Vertretern der Reichsstadte Mitte Dezember in Konstanz auf »das wahre und wesentliche Darreichen und Obergeben des wahren Leibs und wahren Bluts Christi« im Abendmahl, »an dem dann gegen D. Luther die Sach gar hanget«, aber die Zurcher blieben aus Bedenken gegen diese Auffassung dieser Zusammenkunft fern. Sie sandten lediglich ein Bekenntnis, in dem, wenn auch freundlich formuliert, der Dissens mit Luther festgehalten wurde 20 • Das Auseinandergehen von Oberdeutschen und Schweizern begann sich deutlicher abzuzeichnen. Auch in Wittenberg be rei tete man sich auf die Zusammenkunft in Kassel vor. Melanchthon hatte Luther auf eine Reihe von Vaterzitaten hingewiesen, die sich schwer mit seiner Abendmahlsauffassung vereinbaren lieBen. Dies hinderte Luther nicht, diese Zit ate energisch in seinem Sinne zu interpretieren. Die Verantwortung fur die Verhandlungen mit Bucer wollte Melanchthon nicht allein tragen. Auch Luther wollte dabei nicht nur von sich aus bestimmen, sondern Justus Jonas mitbeteiligen. Da dieser aber krank war, wurde die Instruktion fur Melanchthon schlieBlich doch von Luther allein aufgesetzt. 1m Grunde glaubte er nicht, daB es zum AbschluB einer Konkordie kommen wurde, er hielt deshalb Melanchthons Reise nicht fur aussichtsreich. Die Sache war zu groB, als daB zwei oder drei Leute, mochten sie auch anerkannte Autoritaten sein, etwas ausrichten konnten. Auf jeden Fall sah sich Luther nicht in der Lage, von seiner Meinung zu weichen, »auch wenn der Erdkreis untergeht«. In der Tischrunde formulierte er seine Auffassung von der Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl unmiBverstandlich schroff. Dementsprechend fixierte er Melanchthons Instruktion: Eine Behauptung, man habe einander bisher nicht verstanden, sollte nicht aufgestellt werden, weil sie nur neue Verwirrung stiften wurde. Schon aus Gewissensgrunden wird es als unmoglich bezeichnet, daB jede Seite der anderen ihre Meinung zugesteht. Die Evangelien und die kirchliche Tradition wurden fur die lutherische Auffassung von der Gegenwart von Leib und Blut 52

Christi reklamiert. Auch Augustins Zeichenlehre empfand man nicht als Gegensatz. Ein Ausspielen der Liebe gegen die Wahrheit sollte nicht moglich sein. Diese Forderungen muBten erfullt sein. 1m ubrigen bekundete auch Luther noch einmal sein Interesse an einer Oberwindung des Zwiespalts, wofur er selbst sein Leben hinzugeben bereit war. Fur die beiden Parteien sah er verschiedene konkrete Verhaltensmoglichkeiten. Falls die Gegenseite mit ihrem Gewissen in einer anderen Meinung befangen ist, soll das ertragen werden. Sind die Partner wahrhaftig, wird Gott sie befreien. Auch sich selbst erklarte Luther aus Gewissensgrunden in seiner Meinung gefangen, und die Partner sollten auch ihn ertragen, wenn sie seiner Auffassung nicht beitreten konnten. In der Hoffnung auf eine kunftige Einigung sprach sich Luther vorerst fUr gegenseitige Tolerierung aus. Dabei lieB er keinen Zweifel daran, daB fUr ihn bis zu einer Einigung auch eine Glaubensgemeinschaft nicht bestehe. Dies brauche freilich kein Hindernis fur ein politisches Bundnis mit den Partnern zu sein. »Das ist mein Leib« bedeutete fUr Luther, daB der Leib Christi mit oder in dem Brot wahrhaft gegessen wird und sich des sen Empfang nicht von dem des Brotes ablosen laBt. Alles andere ware gegen sein Gewissen gewesen. »Die Reue ist ein schwerer Wurm im Herzen«, lieB er darum Landgraf Philipp wissen. Damit war Melanchthon auf Luthers Auffassung festgelegt, die nicht ganz mit der seinen ubereinstimmte, weshalb er sich im Blick auf die Kasseler Zusammenkunft wenig spater als »Botschafter in fremder Sache« (nuntius alienae sententiae) bezeichnete 21 . Obwohl diese Distanzierung von der selbst erbetenen und dann auch akzeptierten Instruktion merkwurdig anmutet, war sie doch in gewisser Weise fur Melanchthon charakteristisch. Er wagte es nicht, Luther zu widersprechen, konnte ihm aber auch nicht ruckhaltlos folgen. Die Verantwortung fUr den einzuschlagenden Weg schob er von sich ab und uberlieB sie Luther. Bucer und Melanchthon verhandelten am 27. und 28. Dezember in Kassel. Die gesuchte Einigung muBte einerseits Luthers Forderung nach der Gegenwart von Leib und Blut Christi entsprechen, durfte aber andererseits nicht dem altglaubigen MiBverstandnis Vorschub leisten. Man einigte sich auf eine Formel, auf die Bucer schon die Augsburger Geistlichen festgelegt hatte und deren Obereinstimmung mit dem »Augsburger Bekenntnis« von 1530 und dessen »Apologie« ausdrucklich festgestellt wurde: Mit dem Brot wird der Leib Christi wesentlich und wahrhaftig empfangen. Me1anchthon und Bucer sollten je auf ihrer Seite dahin wirken, daB man sich mit dieser Formel begnuge. Nach dem Konstanzer Treffen setzte Bucer ihre Annahme bei den Oberdeutschen schon voraus, zumal die Augsburger, die bisher als ausgemachte Gegner der Realprasenz gegolten hatten, mit der Formel einverstanden waren 22 . Gegenuber Luthers Instruktion blieb Bucer dabei, daB sich beide Seiten fruher falsch verstanden hatten. Die Schweizer und Oberdeutschen hatten Luther eine naturliche Verbindung der Elemente mit Leib und Blut Christi unterstellt, wo es sich doch nur urn eine »sakramentale« handelt. Luther hatte umgekehrt bei seinen Gegnern ein nur symbolisches Verstandnis des Abendmahls angenommen. Bucer uberlieB es aber der weiteren Erorterung, ob diese »MiBverstandnistheorie« ausdrucklich erwahnt werden sollte. Die Einigungsformel stellte keinen KompromiB dar. Aufgrund der Annahme der besonderen sakramentalen Verbin53

dung war es vielmehr den Oberdeutschen moglich, sich als Anhiinger Luthers zu bekennen. Freilich lieB es ihr Gewissen nicht zu, von einer physischen Verbindung von Brot und Leib Christi oder von diesem als Speise des Bauches oder von einer automatischen Wirkung des Sakraments zur Seligkeit zu reden, und darin wollten sie auch von Luther respektiert werden. Nach Bucer best and also Obereinstimmung mit Luther. Falls dieser das der Kasseler Formulierung nicht entnehmen kann, wird er urn Geduld gebeten in der Hoffnung, daB die Partner es ihm glaubhaft machen konnen. Bucer meinte also, mit seiner Formel die wesentliche und entscheidende Koinzidenz der oberdeutsch-schweizerischen Abendmahlsauffassung mit derjenigen Luthers fixiert zu haben, die es gestattete, daB sich die Oberdeutschen als Anhiinger Luthers bezeichnen konnten 23 . Nun kam es darauf an, wie das Kasse1er Ergebnis aufgenommen wurde. Philipp von Hessen sprach gegeniiber Luther die Hoffnung aus, daB eine dauerhafte Einigung erreicht sei, die schon aus politischen Griinden fUr die Reformation sehrwichtig war, zumal mit einem dauerhaften Frieden mit den Papisten nicht zu rechnen sei. KurfUrst Johann Friedrich wollte die Einigungsformel nur akzeptieren, sofern dies mit Gott und dem Gewissen, dazu ohne Argernis moglich war. Luther konnte in seiner Stellungnahme von Ende J anuar an der Formel, die sich ausdriicklich auf das »Augsburger Bekenntnis« und die »Apologie« bezog und die Darreichung und das Essen des Leibes Christi aussagte, nichts aussetzen, »wo ihr Herz also stehet«. Ganz lieB ihn das MiBtrauen also noch nicht los. Deshalb war er auch gegen einen schnellen AbschluB der Konkordie. Bisher waren auf der Gegenseite manche den Lutheranern Feind gewesen. Ein zu schnelles Vorgehen konnte deshalb im lutherischen Lager Zwietracht auslosen. 1m freundlichen gegenseitigen Umgang muBte es sich herausstellen, ob die Partner es »rein und recht« meinten. Die Konkordie durfte nicht zu einer iirgeren Diskordie fiihren. Positive Erfahrungen mit der Gegenseite soli ten es den Lutheranern moglich machen, ihren Argwohn und Groll zu besiinftigen. Erst wenn sich das triibe Wasser gesetzt hat, hielt Luther den AbschluB der Konkordie fUr moglich. Dazu brauchte es aber noch weiterer Unterredungen. AuBerdem wollte Luther die Stellungnahmen der lutherischen Theologen Urbanus Rhegius, Osiander und des in dieser Angelegenheit skeptischen Brenz, dazu die der oberdeutschen Stiidte abwarten. Am 3. Februar 1535 konnte Melanchthon Bucer immerhin mitteilen, daB Luther milder sei als zuvor und liebevoll iiber Bucer und seine KoUegen denke 24 • Zweifel iiber die Moglichkeit einer Konkordie wurden auch in Oberdeutschland geiiuBert, vor allem im Hinblick auf eine Einbeziehung der Schweizer. Oberdies erregte ein Neudruck von Luthers 1528 verfaBter groBer Streitschrift »Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis« Verwirrung. In Konstanz verstiirkten sich die Widerstiinde gegen eine Konkordie. Luther iiuBerte sich gegeniiber Schnepf positiv iiber die Verteidigungsschrift Ambrosius Blarers, mit der dieser den AbschluB der wiirttembergischen Konkordie gerechtfertigt hatte, war aber irritiert durch Blarers iingstliche Beteuerungen, nie anders iiber das Abendmahl gedacht zu haben 25 • Einen echten Durchbruch in den Bemiihungen urn die Konkordie bewirkte der ostentative Positionswechsel Augsburgs gegeniiber Luther im Sommer 1535. Nach54

dem schon iiber Mittelsleute vorweg geklart worden war, daB Luther als Zeichen des Augsburger Gesinnungswandels die Anstellung eines Pradikanten der Wittenberger Richtung, gedacht war an Urbanus Rhegius oder den aus Augsburg gebiirtigen, damals in Wittenberg lebenden Johann Forster, erwartete, wurden der Stadtarzt Gereon Sailer und Kaspar Huberinus offiziell nach Wittenberg abgeordnet. Die Augsburger Geistlichen bekundeten ihren Eifer fiir den Frieden und die Konkordie und ihr MiBfallen am Abendmahlsstreit. Sie sandten ein Abendmahlsbekenntnis, das mit den Formulierungen Bucers iibereinstimmte, und auBerten die Absicht, Rhegius nach Augsburg zuriickzuberufen. Ausdriicklich beteuerten sie ihr Bestreben, ihren schlechten Ruf zu verbessern. Luther reagierte ehrlich erfreut dariiber, ja, er soli sogar Freudentranen vergossen haben, daB nach der Zwietracht nunmehr auf eine aufrichtige Konkordie zu hoffen war. Die Wunde, als die er die Abendmahlsauseinandersetzung empfunden hatte, war nunmehr nahezu geheilt und der Verdacht ausgeraumt. Bis dahin hatte er an die ernsthaften Annaherungsabsichten der Gegenseite nicht geglaubt. Jetzt konnte er im Frieden sterben und eine befriedete Kirche hinterlassen. Gleichsam zur Bestatigung der Einigung sandte er, da Rhegius unabkommlich war, Forster als Pradikanten nach Augsburg, wobei ihn allerdings immer noch die Sorge bewegte, ob die Augsburger Geistlichen ihn annehmen wiirden. Luther stellte bereits auch eine Zusammenkunft mit den einstigen Kontrahenten in Aussicht. Er gab nunmehr sichtlich seine friihere skeptische Zuriickhaltung gegeniiber dem Einigungswerk auf und iibernahm dabei eine aktive Rolle. Nach wie vor gab es aber aufbeiden Seiten noch Gegner der Einigung. Amsdorff und Brenz gehorten zu ihnen und auf der Gegenseite Konstanz und vor allem Ziirich26. Der Impuls, den die Verstandigung Augsburgs mit Luther fiir eine umfassende Einigung bedeutete, wurde in Oberdeutschland und der Schweiz umgehend genutzt. Das langjahrige Bemiihen StraBburgs und seiner Prediger urn Oberwindung der Zwietracht schien ans Ziel zu kommen. Sofort nach der Riickkehr von Wittenberg wurde Sailer auf eine Rundreise durch die oberdeutschen Reichsstadte geschickt. Dort erwartete man keine groBeren Widerstande. Gegeniiber Luther gaben sich die StraBburger auch hinsichtlich der Schweiz optimistisch. Capito sollte in Basel und Ziirich erreichen, daB man sich trotz der bestehenden alten Ressentiments auf die Konkordie einlieB. Bucer verhandelte nach sorgfaltiger Vorbereitung u. a. mit Johannes Brenz, der sich damals in Stuttgart aufhielt. Dabei kamen aile schwierigen Punkte einer Konkordie zur Sprache, darunter auch der von den Lutheranern geforderte Widerruf der Oberdeutschen und das Problem der Speisung der Gottlosen. Bei dieser Gelegenheit wurde bereits einmal die alternative Formulierung von der Speisung der Unwiirdigen beriihrt. Damit klingen schon die Hauptthem en der spateren Konkordienverhandlungen an. Bucer erreichte es, daB Brenz seine Vorbehalte zuriickstellte 27 • Die Konkordienmission Sailers in den Stadt en war gewiB nicht einfach gewesen. DaB ihr Erfolg beschieden war, betrachtete Sailer als Werk Gottes. Aus Augsburg konnte er Luther melden, daB Sekten und Zwietracht aufgehort hatten. Die Augsburger Geistlichen und der Rat betonten erneut ihren Willen zur Konkordie, muB-

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ten Luther aber auch bitten, etwaigen Denunzianten nicht zu glauben. Forster empfand die Augsburger Verhaltnisse zwar als etwas fremdartig, vermutete aber keine Bosheit in seinem neuen Wirkungskreis. Esslingen bekundete Ende August und Ulm Anfang September die Zustimmung zu dem Konkordienvorhaben, wobei auf die friiher erklarte Bereitschaft, das »Augsburger Bekenntnis« und die »Apologie« zu unterschreiben, hingewiesen wurde. Den Ulmer Geistlichen war bekannt, daB sich Luther bei Sailer ausdriicklich iiber sie erkundigt hatte, was wohl mit ihrer friiher gezeigten Distanziertheit gegeniiber der lutherischen Abendmahlslt~IDO Ne ~m' 1!(~( Offrn6arung M c~lgcn tintgcn

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