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German Pages 552 Year 2017
Martin Luther in Rom
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom
Band 134
Martin Luther in Rom
Die Ewige Stadt als kosmopolitisches Zentrum und ihre Wahrnehmung Herausgegeben von Michael Matheus, Arnold Nesselrath, Martin Wallraff
Die elektronische Version dieser Publikation erscheint seit November 2021 open access.
ISBN 978-3-11-030906-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-031611-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039379-8 ISSN 0070-4156
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Inhalt Kardinal Walter Kasper Grußwort | IX Bischof Michael Bünker Geleitwort | XI Michael Matheus, Arnold Nesselrath, Martin Wallraff Einleitung | XIII
I
Romreise und Romwahrnehmung
Hans Schneider Luthers Romreise | 3 Volker Leppin „Salve, Sancta Roma“. Luthers Erinnerungen an seine Romreise | 33
II Rom als urbanes Zentrum Arnold Esch Luthers römische Nachbarschaft. Campo Marzio, das Viertel zwischen den beiden Augustinerkonventen | 57 Anna Esposito Die Augustinerkonvente von Rom während Luthers Aufenthalt in der Stadt | 91 Luciano Palermo Wirtschaft und Finanzen in Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts | 107 Anna Modigliani Die römische Gesellschaft und ihre Eliten zu Zeiten Luthers | 133
VI | Inhalt
III Papst und Kurie Christine Shaw Julius II and Maximilian I | 155 Götz-Rüdiger Tewes Zwischen Seelenheil, Machtpolitik und Profiten – Erfahrungen und Strategien von Deutschen und Italienern an der römischen Kurie um 1500 | 169 Nelson H. Minnich Luther, Cajetan, and Pastor Aeternus (1516) of Lateran V on Conciliar Authority | 187 Ludwig Schmugge Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld | 205 Jörg Bölling Reformation und Renaissance. Martin Luthers Romaufenthalt und die Reform des Papstzeremoniells | 223 Giampiero Brunelli Die Soldaten des Papstes zu der Zeit Luthers | 257
IV Theologie und Frö mmigkeit Andreas Rehberg Martin Luther und die Wege zum Heil in den Frömmigkeitspraktiken in Rom um 1500 | 277 Michael Klaus Wernicke OSA (†) Egidio da Viterbo. Humanist und Reformer des Augustiner-Eremitenordens | 309 Laura Ronchi De Michelis Die Reform vor der Reformation. Der „Libellus“ von Quirini und Giustiniani und die „Oratio“ von Giovanni Francesco Pico della Mirandola | 319 Jörg Lauster Die Wiederkehr Platons | 329
Inhalt
|
V Kunst, Kultur und Wissenschaft Arnold Nesselrath Mirabilia Urbis Romae 1511 | 345 Michael Matheus „Sola fides sufficit“. ‚Deutsche‘ Akademiker und Notare in Rom 1510/12 | 379 Vincenzo De Caprio Der Humanismus in Rom in den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts | 407 Hans W. Hubert Luther und die Peterskirche | 435 Pier Nicola Pagliara Rom in den Jahren 1510/11. Abriss und Aufbau | 471 Sabine Meine Musikleben jenseits der Kurie. Weltliche Klänge der Palazzi und Straßen Roms im frühen 16. Jahrhundert | 497 Register | 517 1 Personen | 517 2 Orte | 527
VII
Kardinal Walter Kasper
Grußwort
Die Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom „Martin Luther in Rom: Kosmopolitisches Zentrum und seine Wahrnehmung“ verdient über die Erforschung des unmittelbaren historischen Kontexts des Aufenthaltes des jungen Martin Luthers vor 500 Jahren in Rom hinaus Aufmerksamkeit und Interesse. Martin Luther gehört zu den großen und prägenden Gestalten der deutschen Geschichte; gleichzeitig gehörte er zu seinen Lebzeiten und gehört er bis heute zu den kontroversen Gestalten der deutschen Geschichte und der Kirchengeschichte ganz allgemein. Die Person und das Erbe Luthers fasziniert und polarisiert. Das gilt nicht zuletzt für Luthers Verhältnis zu Rom und Roms Verhältnis zu Luther. Galt Luther Katholiken lange Zeit als Rebell und Erzketzer, der den Fluch der abendländischen Kirchenspaltung auf sich gezogen und den Papst als Antichrist bezeichnet hat, so war er umgekehrt für Protestanten ein zweiter Paulus, der dem Petrus ins Angesicht widerstanden, das Evangelium neu entdeckt und unter der Bank hervorgeholt hat. Konfessionelle Polarisierung, Verunglimpfung auf der einen und Glorifizierung auf der anderen Seite haben den Zugang zum historischen Luther und seinen Anliegen vielfach versperrt. Die Zeit der polemischen Auseinandersetzungen, wie sie im 16. Jahrhundert durch Cochläus und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Heinrich Denifle und Hartmann Grisar geprägt war, gehört heute in der seriösen Geschichtsforschung der Vergangenheit an. Josef Lortz und seine Schule wie auch Hubert Jedin haben bei aller theologischen Kritik das religiöse Anliegen Luthers neu herausgestellt. Umgekehrt sind seit Karl Holl das gemeinsame altkirchliche und mittelalterliche Erbe bei Luther und der frühe katholische Luther wieder entdeckt worden. Die Grenzen zwischen katholischer und evangelischer Lutherforschung sind dadurch nicht nur fließend geworden, sie überschneiden und überlappen sich in vielfältiger Weise. Auch theologisch wissen wir heute, dass uns Katholiken mit Luther und den Lutheranern mehr eint als uns trennt. Kardinal Jan Willebrands, der zweite Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, hat in einer viel beachteten Rede auf der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1970 in Evian Luther als gemeinsamen Lehrer bezeichnet. Das kann man sagen, auch wenn man Luther deswegen von katholischer Seite nicht zu einem katholischen Heiligen oder zu einem Kirchenlehrer erklären wird. Dagegen würde er sich selber wohl am meisten wehren. Immerhin haben die Kirchen 1999 in Augsburg in der zentralen Kontroversfrage des 16. Jahrhunderts, in der Frage der Rechtfertigungslehre, eine Einigung in den Grundfragen erzielt. Auch wenn im Verständnis der Kirche, im Verhältnis von Schriftauslegung und Kirchenlehre wie in der Frage der Ämter in der Kirche, nicht zuletzt des Petrusamtes, noch deutliche Unterschiede bestehen, sind die erreichten Konsense und Konvergenzen doch inzwischen zur Grundlage eines neuen, von christlicher BrüDOI 10.1515/9783110316117-001
X | Grußwort
derlichkeit bestimmten Verhältnisses und einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Kirchen geworden. Im Zentrum der Kontroverse steht nach wie vor Luthers Verhältnis zu Rom. Dieses Verhältnis war im 16. Jahrhundert extrem polemisch und es ist seither mit vielen Vorurteilen und schablonenhaften Vorstellungen belastet. Inzwischen haben sich, wie erst kürzlich in der internationalen Farfa-Gruppe, auch in dieser Frage theologische Gesprächsmöglichkeiten und mögliche Annäherungen eröffnet, auch wenn der Weg zu einer Verständigung nicht einfach sein und vermutlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Vieles harrt erst noch der historischen Aufarbeitung. Die Tagung „Martin Luther in Rom“ und der aus ihr hervorgegangene Tagungsband können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Denn welches Rom hat der junge Luther wirklich gesehen und wie hat er es gesehen? Sicher nicht das heutige barock geprägte Rom und nicht die heutige Peterskirche von Bramante und Michelangelo und die Kolonnaden Berninis, auch nicht die Ausgrabungen des antiken und frühchristlichen Rom, wie wir sie seit dem 19. Jahrhundert und teilweise erst aus dem 20. Jahrhundert kennen. Wie konnte er das damalige Papsttum wahrnehmen, wie stellte sich die damalige Kurie dar, wie die damalige Frömmigkeitspraxis? Gab es damals auch in Rom Erneuerungsbewegungen und welche, und wie war das geistige und kulturelle Leben in Rom? Das alles sind Fragen, die Gewicht haben und die eine Seite des Hintergrunds und des Kontexts erschließen, in dem heftige theologische Kontroversen nach dem – wie immer interpretierten – Thesenanschlag von 1517, dessen fünfhundertsten Jahrestag die Kirchen gemeinsam gedenken, stattgefunden haben. Über diesen Kontroversen haben sich Deutschland und die abendländische Kirche gespalten; die Folgen dieser Spaltung spüren wir schmerzlich bis heute, an ihrer Aufarbeitung arbeiten wir im Interesse der Einheit der Kirche und im Interesse vieler Menschen, die von der Spaltung unmittelbar betroffen sind. So danke ich allen, die sich um die Vorbereitung und Durchführung dieser Tagung verdient gemacht haben. Ich wünsche dem Tagungsband die Aufmerksamkeit, welche er verdient, und vollen Erfolg. Möge das Gespräch über das Thema „Luther in Rom“ helfen, das Problem Luther und Rom klarer zu bestimmen und einer hoffentlich einmal gemeinsamen Antwort entgegenzuführen.
Bischof Michael Bünker
Geleitwort
„Martin Luther in Rom“ – das ist ein wichtiges Thema für den Protestantismus gerade in seiner europäischen Dimension. Luther nicht nur als ‚deutsche Eiche‘ in Wittenberg, sondern unterwegs auf den Straßen und Plätzen Europas: Das zeigt die damalige Vernetzung der wichtigen Schauplätze, und es kann eine Einladung sein, auch heute über den Tellerrand des je eigenen Territoriums hinauszublicken. Besonders freue ich mich, dass dieses wichtige Thema hier in interkonfessioneller und interdisziplinärer Weite bearbeitet wird. Lange Zeit haben evangelische Theologen sich vor allem mit der Frage beschäftigt, ob und in welcher Weise Luther durch seine Erlebnisse in Rom zu seinem reformatorischen Werk veranlasst worden ist. Da wurden vor allem die Missstände ausgemalt, mit denen er hier konfrontiert gewesen sein soll. Luther hat selbst in späteren Äußerungen seine Reise nach Rom zu einem Schlüsselerlebnis stilisiert und so dargestellt, als ob der Bruch mit Rom durch die Erlebnisse in Rom entscheidend gefördert worden sei. Im vorliegenden Band wird der Quellenwert dieser Aussagen von Spezialisten kritisch durchleuchtet, dem will ich nicht vorgreifen. Aber über eins kann doch kein Zweifel bestehen: Luther kehrte nicht als Kirchenkritiker, sondern als frommer Katholik aus Rom nach Deutschland zurück. Die evangelischen Kirchen begehen das Reformationsjubiläum 2017, und gerade hierfür ist es wichtig, dass die theologische und historische Forschung ihre Vorarbeit leistet – ohne kirchenpolitische Vorgaben, aber doch in ökumenischer Verantwortung. In diesem Sinn leistet auch der vorliegende Band einen Beitrag zu einer vertieften Sicht der Reformation. Wir müssen wegkommen von einer Betrachtung der Reformation, die vor allem auf die Verdorbenheit des Renaissance-Katholizismus, auf den Missbrauch der Ablässe und die Unfähigkeit zur Selbstreinigung abhebt. All das mag eine Rolle gespielt haben, aber es sollte den Blick nicht ablenken von den theologischen Erkenntnissen, die Luther zu seinem Werk gebracht haben. Wenn man genauer hinsieht, ergeben sich manchmal überraschende Erkenntnisse. Vielleicht zeigt sich ja, dass auch das Rom des frühen 16. Jahrhunderts eine von der Reformation beeinflusste und geprägte Stadt Europas ist. Um die europäische Dimension der Reformation zu betonen, hat im Vorfeld der großen „Weltausstellung Reformation“ in Wittenberg 2017 der „Europäische Stationenweg“ in 68 europäischen Städten Halt gemacht. Ziel war es, die lokalen Beziehungen zur Geschichte der Reformation aufzudecken und ihre Impulse bis heute ins Bewusstsein zu bringen. Für 36 Stunden sind sich an dem jeweiligen Ort Menschen bei zahlreichen Veranstaltungen begegnet. Sie haben die reformatorische Perspektive in ihrer Stadt und auf ihre Stadt gesucht und eingebracht. So knüpfte der „Europäische Stationenweg“ ein Band zwischen den vielen europäischen Regionen. Am 18. Jänner 2017 hat der Europäische Stationenweg auch in Rom Station gemacht. 500 Jahre Reformation sollten auch und DOI 10.1515/9783110316117-002
XII | Geleitwort
gerade hier ein Anlass des Gedenkens sein und hier wie überall in einer möglichst großen Gemeinsamkeit. Es ist ein schönes Zeichen, dass die Stadt Rom seit dem Herbst 2015 auch offiziell zu diesem Teil ihrer Geschichte steht, indem sie einen Platz nach Martin Luther benannt hat (Piazza Martin Lutero in unmittelbarer Nähe zum Kolosseum). Auch dies ist ein Beitrag zu einer Erinnerungskultur, die über den nationalen Horizont hinausführt und in europäische Weite mündet. Wenn auf diese Weise der Protestantismus dazu beitragen kann, eine europäische Erinnerungskultur zu schaffen, ist das sehr zu begrüßen. Im vorliegenden Band wird versucht, vor allem deutsch- und italienischsprachige Forschungsdiskurse zusammenzuführen. Unabhängig von konfessionellen Fragen war hier die wechselseitige Wahrnehmung in der Vergangenheit nicht immer so gut, wie man sich dies wünschen könnte – manchmal schlicht aus sprachlichen Gründen. Es wäre schön, wenn der Protestantismus hier als ‚Katalysator‘ wirken und intensivere chemische Reaktionen begünstigen könnte. Nicht zuletzt würde dies seinem ursprünglichen Profil als einer europäischen Bewegung mit vielfältigen und lokal höchst unterschiedlichen Ausprägungen entsprechen. Das Melanchthon-Zentrum in Rom hat hier als evangelisches Studienzentrum in der ganzen Breite des Protestantismus (gemeinsam getragen von Waldensern und Lutheranern) eine besondere Funktion. Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa hat die Entstehung und Entwicklung dieser Institution von Anfang an begrüßt und gefördert und ist mit dem Melanchthon-Zentrum auch eine offizielle Kooperation eingegangen. Die Initiative ist noch jung: Während der europäische Protestantismus sein 500-jähriges Jubiläum feiert, blickt das Melanchthon-Zentrum auf eine Geschichte von 15 Jahren zurück. Ich beglückwünsche das Studienzentrum zu der gelungenen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut, wünsche ihm gutes weiteres Wachstum und hoffe, dass der vorliegende Band die Aufmerksamkeit findet, die er verdient.
Einleitung „Luthers dreimonatige Reise nach Rom dauerte von November 1510 bis Ende Januar 1511. Der Anlass war administrativer Art. Der 27-jährige Augustinermönch aus Eisleben begleitete einen älteren Ordensbruder, der dem Papst eine Petition in Ordensangelegenheiten überreichen sollte“.¹ Mit diesen nüchternen Worten referiert Italo Michele Battafarano in einer 2001 publizierten Studie den seit über hundert Jahren gültigen Kenntnisstand in Bezug auf diese berühmte Romfahrt und ihre Datierung. Die Quellenlage dafür ist dünn. Zwar konnte manches den Kontext erhellende Dokument ausgegraben werden, doch hat Luther selbst über die Reise keine unmittelbaren Zeugnisse hinterlassen, und wenig Gesichertes ist bekannt. Erst sehr viel später, zwischen 1531 und 1546, wurde von seinen um authentische Aussagen des Reformators bemühten Anhängern und Mitarbeitern, seinen ‚Evangelisten‘, manches über diese Reise in den „Tischreden“ niedergeschrieben. Es handelt sich um einen komplexen, in einer Mischung aus Latein und Deutsch fixierten schriftlichen Niederschlag von Gesprächssituationen, in welche entscheidende Etappen der konfessionellen Spaltung eingeflossen sind und die durch einen jahrzehntelangen Erkenntnis- und Entwicklungsprozess des Protagonisten und seines Umfeldes geformt wurden. Die historische Rekonstruktion ist problematisch; den Herausforderungen „historischer Memorik“ stellen sich kulturwissenschaftliche Disziplinen mit wachsender Sensibilität. Auch im Rahmen dieses Tagungsbandes wird der Versuch unternommen, unter Berücksichtigung dieser Diskussion mögliche Datierungen der Reise zu erörtern und zugleich deren Stilisierung zu einem Schlüsselerlebnis zu hinterfragen, welche mit allegorischen und zugleich eschatologisch-apokalyptischen Deutungen Roms verknüpft waren und sind.² Rom als Hure Babylon und Sitz des Antichristen – dies sollte in geradezu heilsgeschichtlicher Dimension den Bruch mit der römischen Kirche als unausweichlich erscheinen lassen. In erinnernder Wahrnehmung wird die Sancta Roma, welche der bußwillige Augustinermönch mit den Augen des frommen Pilgers bei der Ankunft preist und wahrnehmen wollte, zum Sitz der Hölle, zur Hure Babylon: „Die einst heiligste Stadt ist zur verdorbensten geworden.“³ Solche Deutungen ha-
1 I. M. B a t t a f a r a n o, Luthers Romreise in den erinnernden ‚Tischreden‘, in: S. Fü s s e l / K. A. Vo ge l (Hg.), Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom, Wiesbaden 2001 (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung Bd. 15/16 2000/01), S. 214 –237, 214. 2 Es ist besonders auf die Beiträge von H. S c h n e i d e r (Datierung) und V. Le p p i n (Stilisierung) zu verweisen. Letzterer nimmt mit dem „Schleier der Erinnerung“ einen Ausdruck auf, der auf J. Fr i e d, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, zurückgeht. 3 Luther-Zitate nach D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 4, Nr. 4391. Lobpreis bei der Ankunft: „cum primum DOI 10.1515/9783110316117-003
XIV | Matheus, Nesselrath, Wallraff
ben die Wahrnehmungen von Rom weit über kirchen- und konfessionsgeschichtliche Darstellungen hinaus nachhaltig geprägt. In jüngerer Zeit ist nicht nur in die Debatte zu den Erinnerungskulturen, sondern auch zu der faktischen Rekonstruktion der Reise Bewegung gekommen – nicht zuletzt zu Fragen der Datierung. Es gibt Gründe, die Ankunft Luthers nicht mehr auf den Spätherbst 1510 zu datieren, sondern etwa ein Jahr später.⁴ Die Datierungsfrage ist keineswegs eine historische Quisquilie. Sowohl für die Biographie Luthers als auch für die römische Seite hängt daran Entscheidendes. Luther betreffend, geht es um die Frage, ob er noch als Erfurter Mönch (1510) oder schon als Wittenberger Professor (1511) reiste. Aus römischer Sicht geht es (unter anderem) um die Frage, ob Papst Julius II. zur fraglichen Zeit in Rom war und ob Luther ihn demnach gesehen haben kann oder sogar müsste: Im Herbst 1510 war er in Bologna, ein Jahr später in Rom. Geläufige Auffassung ist es, dass Luther den Papst nicht gesehen hat, doch lässt sich das Gegenteil nicht ausschließen.⁵ Vielleicht wurden die Quellen gelegentlich im Lichte der konventionellen Datierung mit dem Gedanken gelesen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Begegnung der Antipoden „Luther“ und „Rom“ hat die historische Phantasie immer außerordentlich angeregt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der reichen Aufnahme unseres Themas in den Medien Film, Roman und Sachbuch. Diese große Aufmerksamkeit für das Thema und die reiche historische Phantasie stehen in einem gewissen Gegensatz zu der zeitgenössischen Quellenlage, die als sehr bescheiden zu gelten hat. Das ist auch kein Wunder: Was aus der Perspektive der Nachgeborenen wie die welthistorische Begegnung zweier Antipoden wirken mag, war den Zeitgenossen ein gänzlich unauffälliger und der Beachtung kaum werter Vorgang. Dass nicht nur Film und Roman (die das dürfen), sondern auch wissenschaftliche Arbeiten die Lücken im Quellenbestand durch teilweise kühne Konstruktionen und sehr indirekt erschlossene Hypothesen aufgefüllt haben (obwohl sie es nicht dürften oder zumindest transparent dokumentieren müssten), ist ein spezifisches Problem unseres Themas. Insbesondere der reformationshistorischen Forschung kann man den Vorwurf nicht ersparen, dass sie dabei über weite Strecken ein ziemlich undif-
civitatem inspicerem, in terram prostratus dicebam: Salve, sancta Roma!“ WA.TR 5, 6059. Hölle: D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 26, S. 198,III; Bd. 54, S. 220; Hure Babylon: häufig in exegetischen Zusammenhängen, teilweise schon sehr früh, etwa WA 4, S. 24 (vorreformatorisch!); 1, S. 573, weitere Belege im Registerband WA 62, S. 284. 4 Vgl. H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), S. 1–157, sowie der bereits genannte Beitrag desselben Autors im vorliegenden Band. 5 S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise (wie Anm. 4), S. 129–134, diskutiert die fraglichen Stellen und kommt zu dem Schluss, dass es zwar diverse Indizien, aber keinen sicheren Beweis für die Auffassung gibt, der spätere Reformator habe den Papst in Rom gesehen.
Einleitung
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XV
ferenziertes Negativbild von Rom zugrunde gelegt hat. Natürlich leuchtet der helle Stern Martin Luther umso heller, je schwärzer die Folie ist, von der er sich abhebt. Zentrales Ziel des vorliegenden Bandes ist es folglich, über die Romreise Luthers hinaus möglichst viele kulturgeschichtliche Disziplinen an dem Versuch zu beteiligen, die Konturen Roms im beginnenden Cinquecento zu erhellen und zu schärfen. Mehrere Paradigmen sind dabei in Rechnung zu stellen, die mit gewachsenen Forschungstraditionen verknüpft sind. Neben den angesprochenen konfessionellen Blickwinkeln entwerfen und skizzieren kulturgeschichtliche Disziplinen unterschiedlich akzentuierte Bilder vom Rom des beginnenden 16. Jahrhunderts. Verglichen mit einer intensiven Forschung zum 15. Jahrhundert hat das Rom des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts bis zum Sacco di Roma in der Geschichtswissenschaft deutlich weniger Interesse erfahren. Sehr viel eingehender haben sich Kunsthistoriker für jene Zeit interessiert und Rom als künstlerisches Laboratorium begriffen, in dem Kunstwerke von Weltgeltung entstanden. Dementsprechend glanzvoll fallen Rom-Panoramen aus kunsthistorischen Federn aus.⁶ Im Titel des Bandes wird das Rom des beginnenden 16. Jahrhunderts als kosmopolitisches Zentrum bezeichnet, und die Beiträge beleuchten und präzisieren dies in zahlreichen Facetten. Dabei ist freilich zu bedenken, dass Rom zum damaligen Zeitpunkt mit etwas über 50.000 Einwohnern dem entspricht, was man in Deutschland heute als Mittelstadt bezeichnet. Von der Bevölkerungszahl her unterscheidet sich die Hauptstadt der lateinischen Kirche folglich weit von den Dimensionen moderner Groß- oder gar Weltstädte. Wir haben es mit überschaubaren Verhältnissen zu tun, wenngleich diese auf manchen Pilger aus deutschen Landen, der aus vergleichsweise kleinen dörflichen und städtischen Siedlungen an den Tiber kam, durchaus verwirrend genug gewirkt haben mögen. Dennoch ist die Bevölkerungszahl eine wichtige Matrix zur Beurteilung von sozialen Verflechtungen und Netzwerken, von Strukturen und Formen der Kommunikation, auch für die letztlich hypothetisch bleibende Antwort auf die Frage, wem Luther in Rom begegnet sein könnte. Ein auf der Basis neuester Forschungsergebnisse gezeichnetes Bild von Rom zur Zeit der Lutherreise soll und wird das schwarz in schwarz gemalte Bild nicht einfach durch ein wohlwollendes und ökumenisch friedfertiges ersetzen und damit im Grunde bei der alten Klischeevorstellung nur das Vorzeichen wechseln. Ähnlich wie im ökumenischen Dialog generell geht hier es nicht darum, einfach Feindschaft durch Freundschaft zu ersetzen, sondern Polemik durch differenzierte Wahrnehmung, in letzter Instanz Verzerrung durch Wahrheit. In dieser Hinsicht gestattet der in diesem
6 Pars pro toto sei hier auf zwei Ausstellungskataloge verwiesen, über die Weiteres leicht zugänglich ist: Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste, Bd. 1: 1503–1534, Ostfildern 1998; D. Fr a n k l i n (Hg.): From Raphael to Carracci. The Art of Papal Rome, Ottawa 2009 (der zweite im Sinne eines rezenten Forschungsüberblicks, der erste vielleicht weniger ‚glanzvoll‘, dafür mit mehr Potenzial zur kritischen Differenzierung).
XVI | Matheus, Nesselrath, Wallraff
Band realisierte interdisziplinäre Zugriff durch ein weites Spektrum von Experten unterschiedlicher Disziplinen eine sehr nuancenreiche Wahrnehmung der Stadt Rom um 1511. Wenn damit nicht mehr alles ganz einfach und klar, schwarz oder weiß ist, sondern wenn Abstufungen und Schattierungen zum Vorschein kommen, ist das genau im Sinne der Initiatoren. Der Band geht zurück auf eine römische Tagung, die im Jahr 2011, also 500 Jahre nach Luthers Romreise, stattfand (in Abb. 1 ein frühes Dokument der „Wirkungsgeschichte“ dieser Reise in Rom – das Graffito lag dem Tagungsplakat zugrunde). Sie wurde verantwortet vom Deutschen Historischen Institut in Kooperation mit dem seit 2007 in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelten Melanchthon-Zentrum (Centro Melantone. Centro protestante di studi ecumenici). Die Drucklegung der Tagungsakten hat sich verzögert, der Band kann aber immerhin zum 500. Reformationsjubiläum vorgelegt werden. Gedankt sei allen, welche die Tagung und die Drucklegung des Bandes ermöglicht haben. Finanzielle Unterstützung kam von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Fondation oecuménique Oscar Cullmann und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI). Durch großes persönliches Engagement haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Centro Melantone und des DHI in Rom zum Gelingen beigetragen, namentlich Frau Monika Kruse. Gedankt sei dem Künstler Christoph Brech für die Beteiligung an der Gestaltung von Tagungsprospekt und Plakat sowie Maestro Alessandro Quarta mit seinem Ensemble, der zum Abschluss der Tagung in einem beeindruckenden Konzert die Zeit des beginnenden Cinquecento zahlreichen Zuhörern musikalisch nähergebracht hat. Unser Dank gilt dem Rektor des Campo Santo Teutonico, Hans-Peter Fischer, und dem Camerlengo der Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Muttergottes, Aldo Parmeggiani, für ihre Bereitschaft, für das Konzert die Kirche des Campo Santo zur Verfügung zu stellen. Die Vatikanischen Museen haben es den Teilnehmern der Tagung ermöglicht, die historischen Stätten, an denen der Papst die Entwicklung jenseits der Alpen mitgestaltet hat, intensiv vor Ort zu erleben. Der benediktinischen Klostergemeinschaft von S. Paolo fuori le mura und insbesondere ihrem Abt Edmund Power OSB ist zu danken für ökumenische Gastfreundschaft: In den Räumen des Klosters konnte eine Sitzung der Tagung und in der Paulusbasilika ihr ökumenischer Abschlussgottesdienst stattfinden. Die sorgfältige redaktionelle Betreuung des Bandes haben Dr. Heidrun Ochs (Mainz) und Dr. Kordula Wolf (Rom) übernommen. Die Anfertigung des Registers ist Eva-Katharina Kingreen und Elisa Koch (beide München) zu verdanken. Michael Matheus (Mainz), Arnold Nesselrath (Rom), Martin Wallraff (München)
Abbildungsnachweis Abb. 1:
aus: J. K r ü ge r / M. Wa ll ra f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 22015, S. 159.
Einleitung
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XVII
Abb. 1: Eine frühe Luther-Spur in Rom. Soldaten haben beim Sacco di Roma 1527 in das RaffaelFresko der „Disputà“ über das Altarsakrament (siehe S. 368, Abb. 14) eingeritzt: „Lutherus“ (im unteren Bildteil) und „V[ivat] K[arolus] IMP[erator]“ (auf dem Buchrücken in der Mitte).
| I Romreise und Romwahrnehmung
Hans Schneider
Luthers Romreise Am 28. November 1511 kam ein deutscher Augustinereremit in S. Agostino an, dem römischen Sitz des Generalpriors. Im Kollektenbuch des Generalats ist verzeichnet, dass er „48 aurei de camera“ überbrachte, die sein Ordensoberer in Deutschland, Johann von Staupitz, als Abgabe für die Jahre 1510 und 1511 nach Rom sandte.¹ Nein, dieser Augustinereremit war nicht Martin Luder (wie er sich damals noch nannte),² sondern es handelte sich um Johannes Klein, den deutschen Subprior des Konvents S. Agostino.³ Im Januar des Jahres war er vom Ordensgeneral nach Deutschland gesandt worden und kehrte nun nach Rom zurück – einer jener deutschen Mönche, die Jahr für Jahr, sei es in dienstlichem Auftrag oder als Pilger, in der Ewigen Stadt erschienen und dort kürzere oder längere Zeit verweilten. Zu ihnen zählt auch Martin Luther, der etwa um dieselbe Zeit wie Klein in Rom eingetroffen sein muss.
1 Die Probleme einer historischen Rekonstruktion Die Reise nach Rom, die Luther als Mönch unternahm, hat schon immer das Interesse der Lutherbiographen geweckt⁴ und ist Gegenstand älterer und – vor dem Hintergrund des 500-jährigen Jubiläums – neuerer Darstellungen geworden.⁵ Doch
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. (Weimarer Ausgabe), werden zitiert: WA = Abt. Schriften, WA.B = Abt. Briefwechsel, WA.TR = Abt. Tischreden, WA.DB = Abt. Deutsche Bibel. 1 Roma, Archivio Generale Agostiniano (= AGA), Ll 2, fol. 57v. 2 Vgl. B. M o e l l e r / K. S t a c k m a n n, Luder – Luther – Eleutherius. Erwägungen zu Luthers Namen, Göttingen 1981 (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse 1981,7). 3 Zu Johannes Klein (Parvus) vgl. A. Ku n z e l m a n n, Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten, Bd. 5: Die sächsisch-thüringische Provinz und die sächsische Reformkongregation bis zum Untergang der beiden, Würzburg 1974, S. 511, Anm. 2467. 4 Vgl. die Skizze der Problem- und Forschungsgeschichte bei H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F. 10,2), S. 1–157, hier S. 7–37. 5 In Auswahl: H. B o e h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, S. 82–159; O. S c h e e l, Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, Bd. 2, Tübingen 3/41930, § 11; H. Vo s s b e rg, Im Heiligen Rom. Luthers Reiseeindrücke 1510–11, Berlin-Ost 1966; P. M a i e r, Aussagen Luthers über die Stadt Rom seiner Zeit, in: Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers, Bd. 5, Köln 1984, S. 281– 290; S. B. E i r i c h, „Ich wolt nich gros geldt nemen, das ich zu Roma nicht gewesen war“. Martin Luther und seine römischen Erinnerungen, in: Korrespondenzblatt. Collegium Germanicum et HungariDOI 10.1515/9783110316117-004
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lassen manche vollmundigen Schilderungen der Reise nicht ahnen, dass ihr „Hergang selbst so undeutlich wie nur wenige andere Episoden in Luthers Leben“ bleibt.⁶ Denn wir besitzen weder über den genauen Anlass eindeutige Kenntnisse, noch erfahren wir, in welcher Funktion Luther aufbrach und – da die Mönche nur zu zweit unterwegs sein durften⁷ – wer sein Reisegefährte war. Wenn Luther, wie allgemein angenommen wird, in dienstlichem Auftrag reiste, haben wir doch keine Nachrichten über den oder die Auftraggeber, die Verhandlungen in Rom und ihre Ergebnisse; wir erfahren auch nichts über die Reaktionen bei dem oder den Auftraggeber(n). Bei allen diesen Fragen sind wir auf mehr oder weniger begründete Vermutungen und hypothetische Kombinationen angewiesen. Wie für den Hintergrund gilt das ebenso für die historische Rekonstruktion der Reise selbst, die mit vielfältigen Unsicherheiten behaftet ist; diese betreffen nicht allein die Reiseroute, sondern sogar die Chronologie: nicht einmal das Jahr der Reise scheint festzustehen. Gerade diese Frage nach dem Jahr der Reise erweist sich aber als der Schlüssel zum Verständnis, da das Reisejahr über Auftraggeber und Zweck der Reise entscheidet. Für alle diese Fragestellungen sind Luthers eigene Aussagen wenig hilfreich. Berichte, wie sie andere Mönche – etwa Luthers Ordensbruder Nikolaus Besler⁸ oder
cum 101 (1992), S. 77–97; I. M. B a t t a f a r a n o, Luthers Romreise in den erinnernden ‚Tischreden‘, in: S. Fü s s e l / K. A. Voge l (Hg.), Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom, Wiesbaden 2001 (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 15/ 16), S. 214–237; E.-M. Ju ng- I ngl e s s i s, Auf den Spuren Luthers in Rom, St. Ottilien 2006; C. L a n d i, Con Lutero nella Roma del 1510, Roma 2010; H.-A. G e n t h e (Hg.), Auf Luthers Spuren unterwegs. Eine Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien, Göttingen 2010 (Bensheimer Hefte 110); J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 2011; H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom (wie Anm. 4), mit Fokus auf der ‚Dienstreise‘; d e r s ., Art. Rom, in: V. Le p p i n / G. S c h n e i d e r- Lu d o r f f (Hg.), Luther-Lexikon, Regensburg 2014, S. 607–610. Vgl. ferner die Darstellungen der Biographie Luthers. 6 K. A. M e i s s i nge r, Der katholische Luther, München 1952, S. 47. 7 Gemäß (der Ordensregel und) den Konstitutionen der Reformkongregation durften die Augustinermönche nur zu zweit reisen: „Statuimus, ne ullus nostri ordinis frater extra saepta loci solus vadat, id est absque fratre socio, novitio aut professo eiusdem ordinis, etiam iussus, sive subditus sit sive prior. Nec aliquis prior subditum suum solum ire permittat aut cogat, nisi – quod absit – tam arduus casus emergat, quod id absque gravi detrimento ordinis, domus vel personae servari non possit“ (Constitutiones fratrum Eremitarum sancti Augustini ad Apostolicorum privilegiorum formam pro reformatione Alemanniae, hg. von W. G ü n te r, in: L. Graf zu D o h n a u. a. (Hg.), Johann von Staupitz. Sämtliche Schriften, Bd. 5: Gutachten und Satzungen, Berlin-New York 2001, S. 103–360, hier Kap. 20, S. 205,4– 9). Vgl. dazu WA.B 1, S. 203,4f.: Luther konnte einen Brief nicht eher schicken „defectu socii itinerarii“. 8 Vgl. H. S c h n e i d e r, Die autobiographischen Aufzeichnungen des Nürnberger Augustinereremiten Nikolaus Besler, in: Augustiniana 62 (2012), S. 119–152. Zu seinem Aufenthalt in Rom vgl. auch H. S c h n e i d e r, Ein Franke in Rom. Römische Wanderungen des Augustinereremiten Nikolaus Besler im Jahre 1507, in: F. S c h ö n e m a n n / T. M a a ß e n (Hg.), Prüft alles, und das Gute behaltet. Zum Wech-
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der Franziskaner Konrad Pellikan⁹, die wenige Jahre vor und nach Luther unterwegs waren, – über ihre Romreisen hinterlassen haben, besitzen wir von ihm leider nicht. Er plauderte zwar später gern über mancherlei Reiseeindrücke und -erlebnisse, doch handelt es sich meist um zufällig überlieferte, oft episodische Impressionen. Aus seiner Feder gibt es überhaupt keine zeitnahen Äußerungen über die Ereignisse. Die weitaus meisten finden sich erst in seinen Tischreden der 1530er und 1540er Jahre und in späten Schriften;¹⁰ sie sind also in einem Abstand von mehreren Jahrzehnten nach dem Geschehen formuliert.¹¹ Obwohl Luther ein gutes Erinnerungsvermögen nachgesagt wird,¹² bedarf es nicht moderner Gedächtnisforschung, sondern es genügt schon unsere eigene Erfahrung, um zu erkennen, welche Probleme solche Erinnerungen aus großer zeitlicher Distanz bieten. Vor allem ist dabei zu bedenken, dass sich Luthers Lebenswelt und Lebensperspektiven inzwischen grundlegend gewandelt hatten. Luther betrachtete sein einstiges Leben als Mönch nur noch aus der kritischen Rückschau, die Ordensangelegenheiten gehörten einer in mehrfacher Hinsicht ‚überholten‘ Vergangenheit an, und ‚Rom‘ hatte eine veränderte Konnotation erhalten. Bei der Auswertung seiner rückblickenden Aussagen gilt es daher, diesen Perspektivenwechsel zu bedenken. Das betrifft vor allem theologische Wertungen, die mit der Rückschau verbunden sind. Der zufällige Charakter der überlieferten Reiseerinnerungen mahnt zudem, mit unseren Erwartungen, was Luther eigentlich hätte erwähnen müssen, und folglich mit Argumenten e silentio besonders vorsichtig umzugehen. Aber es fehlen nicht nur genauere eigene Aussagen Luthers zu Hintergrund, Verlauf und Ergebnissen seiner Reise, sondern auch die Ordensüberlieferung über die hier in Rede stehenden Vorgänge ist äußerst dürftig. Die Quellenlage im Generalarchiv der römischen Ordenszentrale (Archivio Generale Agostiniano, Rom) erweist sich als weniger ergiebig, als man hoffen könnte. Die Register des Ordens-
selspiel von Kirchen, Religionen und säkularer Welt. Festschrift für Hans-Martin Barth zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. 2004, S. 239–270. 9 Das Chronikon des Konrad Pellikan, hg. von B. R igge n b a c h, Basel 1877, S. 56–65; Übersetzung: Konrad Pellikans Hauschronik, hg. von T. Vu l p i u s, Straßburg 1892. Eine neue Edition des Reiseberichts bereite ich vor. 10 Eine hilfreiche, aber unvollständige Zusammenstellung findet sich in WA 58/1, S. 29–33. Vgl. die in Anm. 5 genannten Darstellungen. 11 Zu den methodischen Problemen vgl. A. B a r t m u ß, Luthers Tischreden und Melanchthons Dicta. Überlieferungshistorische und editorische Probleme, in: S. M i c h e l / C. S p e e r (Hg.), Georg Rörer (1492–1557) der Chronist der Wittenberger Reformation, Leipzig 2012 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 15), S. 219–228; K. B ä r e n f ä n ge r (Hg.), Martin Luthers Tischreden. Neuansätze der Forschung, Tübingen 2013 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 71). 12 Vgl. Melanchthon in seiner Praefatio zu Bd. 2 der lateinischen Werke Luthers 1546 (Philipp M e l a n c h t h o n, Corpus Reformatorum 6, Halle 1839, Sp. 157): „erat memoria fideli et firma“.
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generals, damals Egidio da Viterbo,¹³ also die ‚Amtstagebücher‘ mit Kurzregesten der ausgehenden Schreiben sowie tagebuchartigen Notizen über empfangene Besucher, gehaltene Predigten und andere Ereignisse, sind gerade für den uns besonders interessierenden Zeitraum von Ende 1510 bis Frühjahr 1512 verloren; es existieren nur fragmentarische Kopien und Auszüge, die im Einzelnen nicht fehlerfrei sind.¹⁴ Immerhin entdeckte Reinhold Weijenburg 1957 in der Vatikanischen Bibliothek ein von Staupitz 1510 in den Druck gegebenes Büchlein, das wichtige Urkunden zu dem Ordensstreit enthält, der den Hintergrund der Reise bildete.¹⁵ Zwanzig Jahre später publizierte Willigis Eckermann unbeachtete Nachrichten über den Konflikt aus einer handschriftlichen Chronik des Kölner Konvents (17. Jahrhundert) und edierte aus einer Madrider Handschrift ein Notariatsinstrument über eine in diesem Kontext erfolgte Appellation.¹⁶ Bis vor kurzem waren aus keinem Konvent der deutschen Augustinereremiten Quellen über jene Auseinandersetzungen im Orden bekannt, die den Anlass für Luthers Romreise bildeten. Zumal in den evangelisch gewordenen Gebieten sind große Teile der einstigen Klosterarchive als nunmehr unnütze Relikte vernichtet worden, und meist wurden nur solche Schriftstücke aufbewahrt, die weiterhin von juristischer oder ökonomischer Relevanz waren. Diese schmerzlichen Quellenverluste betreffen in besonderem Maße die ehemaligen Klöster der Augustinereremiten, da sich sowohl die sächsische Ordensprovinz als auch die observante Reformkongregation infolge der Reformation auflösten. In den zurückliegenden Jahren konnte ich jedoch ein Dutzend unbekannter Dokumente, vor allem aus dem ehemaligen Archiv des Klos-
13 Vgl. R. B äu m e r, Egidio da Viterbo, in: Theologische Realenzyklopädie 9 (1982), Sp. 301–304 (Literatur); G. E r n s t, Egidio da Viterbo, in: Dizionario Biografico degli Italiani 42 (1993), S. 341–351 (Literatur); R. L a z c a n o, Generales de la Orden de San Agustín. Biografias – Documentación – Retratos, Roma 1995, S. 102–111 (Literatur); zu den Reformbestrebungen vgl. A. M. Vo c i - R o t h, Aegidius von Viterbo als Ordens- und Kirchenreformer, in: H. B o o c k m a n n / B. M o e l l e r / K. S t a c k m a n n (Hg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 1989, S. 520–538. 14 Zur Textüberlieferung vgl. F. X. M a r t i n, The Registers of Giles of Viterbo. A Source on the Reform before the Reformation, 1506–1518, in: Augustiniana 12 (1962), S. 142–160; d e r s ., The Registers of Giles of Viterbo. Their Recovery, Reconstruction and Editing, in: Egidio da Viterbo e il suo tempo, Roma 1983, S. 43–52, sowie die Einleitungen zu den Editionen Ae g i d i i Viterbiensis O.S.A, Resgestae 1: 1506 –1514, hg. von A. de M e i j e r, Roma 1988 (Fontes historiae Ordninis Sancti Augustini 1,17); Ae g i d i i Viterbiensis O.S.A, Registrum Generalatus 1514–1518, Roma 1984. 15 R. We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente im Zusammenhang mit Luthers Romreise, in: Antonianum 33 (1957), S. 147–202. Bei Weijenborg ist die Signatur der Vatikanischen Bibliothek leider falsch angegeben; es handelt sich um Raccolta Generale. Teologia IV.2317 (int. 10). Leider werden die Quellen durch die heftige Polemik Weijenborgs, die sich mehr noch gegen Staupitz als gegen Luther richtet, teils missgedeutet. 16 W. E c ke r m a n n, Neue Dokumente zur Auseinandersetzung zwischen Johann von Staupitz und der sächsischen Reformkongregation, in: Analecta Augustiniana 40 (1977), S. 279–296.
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ters Sangerhausen, aufspüren,¹⁷ mit deren Hilfe sich vor allem die Schlussphase der Streitigkeiten genauer rekonstruieren lässt.
2 Anlass, Zweck und Zeit der Reise Warum reiste Luther nach Rom? Luther selbst gibt in seinen späteren Rückblicken zwei verschiedene Gründe an: Zum einen erzählt er, er habe in Rom eine Generalbeichte ablegen wollen (und auch abgelegt);¹⁸ zum andern erwähnt er aber einen dienstlichen Hintergrund, der als der eigentliche Anlass der Reise gelten muss: Er sei nach Rom gezogen „causa contentionis Staupitii“ – wegen des „Staupitz-Streits“.¹⁹ Auch seine frühen Biographen Melanchthon und Mathesius sprechen von „monachorum controversiae“ bzw. von „Klostergeschäften“, derentwegen Luther die Reise unternommen habe, und auch der Luther-Gegner Johann Cochläus stellt die Romreise ebenfalls in den Zusammenhang von ordensinternen Auseinandersetzungen.²⁰ Worum handelte es sich bei diesem „Staupitz-Streit“?²¹ Johann von Staupitz²² war seit 1503 Generalvikar der deutschen Reformkongregation der Augustineremi-
17 H. S c h n e i d e r, Neue Quellen zum Konflikt in der deutschen Reformkongregation der Augustinereremiten zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Analecta Augustiniana 71 (2008), S. 9–37. 18 WA.TR 3, Nr. 3582a, S. 432,2–5: „Principalis autem status meae profectionis in Romam fuit, das ich wolde eyne gantze beychte von jugent auf geschehen thuen vnd from werden, quamvis ego talem confessionem Erfordiae bis feceram. Tum veni Roman ad indoctissimos homines“. Variante in WA.TR 3, Nr. 3582b, S. 432,10–12: „Causa profectionis erat confessio, quam volebam a pueritia usque texere, vnd from werden. Erphordiae bis talem feci confessionem. Et inveni indoctissimos homines Romae“. 19 WA.TR 2, Nr. 2717 S. 613 – verbunden mit der unmöglichen Angabe „Anno … nono“. Volker Leppin macht mich darauf aufmerksam, dass in der Zellerfelder Handschrift der Tischreden-Sammlung des Konrad Cordatus nach „contentionis“ zunächst „Sat“ stand, das gestrichen wurde und dann „Staupitii“ geschrieben wurde. Es wird sich dabei um eine begonnene, im Schreibvorgang abgebrochene Verschreibung handeln, wie sie auch in den Briefen Luthers häufig begegnet. Dass in einer Vorlage etwa „contentionis Sat[anae]“ gestanden hätte und in „contentionis Staupitii“ geändert worden wäre, erscheint mir völlig unmöglich. Zudem wird der Begriff contentio von Luther zwar häufig für kirchenpolitische und theologische Streitigkeiten gebraucht, aber nie für den Kampf mit dem Satan. 20 M e l a n c h t h o n, Corpus Reformatorum 6 (wie Anm. 12), Sp. 160; J. M a t h e s i u s, Lutherpredigten, abgedruckt bei O. S c h e e l, Dokumente zu Luthers Entwicklung (bis 1519), Tübingen 21929, S. 208; die Stellen aus Schriften von Johannes Cochläus sind abgedruckt bei B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 5), S. 8f. 21 Vgl. dazu ausführlich mit Einzelbelegen H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii. Der ‚Staupitz-Streit‘ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507–1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117 (2007), S. 1–44; wieder aufgenommen und weitergeführt in: d e r s ., Reise (wie Anm. 4), S. 38–96. 22 Vgl. W. G ü n te r, Johann von Staupitz (ca. 1468–1524), in: E. I s e r l o h (Hg.), Katholische Theologen der Reformationszeit, Bd. 5, Münster 1988 (Katholisches Leben und Kirchenreform 48), S. 11–31 (Literatur); A. Zu m ke l l e r, Staupitz, in: Dictionnaire de Spiritualité 14 (1990), Sp. 1184–1196; K. K i e n z l e r,
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ten. Zu diesem Verband der Observanten gehörten auch der Konvent in Erfurt, Luthers Heimatkloster, und der Konvent in Wittenberg, seine zweite und dann dauerhafte Wirkungsstätte. Seit 1507 unternahm Staupitz den Versuch, Reformkongregation und die sächsische Provinz des Ordens zusammenzuschließen, genauer gesagt: die Observanz auf die noch unreformierten Klöster der Konventualen auszudehnen.²³ Diese Pläne, vom päpstlichen Kardinallegaten Bernhardino Carvajal in der sogenannten Memminger Bulle genehmigt und vom Generalprior des Ordens Egidio da Viterbo unterstützt, stießen allerdings auf den erbitterten Widerstand von sieben observanten Konventen (Himmelpforten im Harz, Erfurt, Nürnberg, Kulmbach, Nordhausen, Sangerhausen und Sternberg in Mecklenburg). Diese Konvente machten zwar nur ein Viertel der damals etwa 30 Konvente umfassenden Reformkongregation aus, doch mit Erfurt und Nürnberg gehörten zwei der bedeutendsten Klöster zu dieser oppositionellen Fraktion, die sich in der Folgezeit Staupitz und der Durchführung seiner Pläne heftig widersetzten (siehe Abb. 1). Sie befürchteten als Folge der Vereinigung eine Aufweichung ihrer observanten Strenge. Als Staupitz im Herbst 1509 schon im Vorgriff auf ein Unionskapitel zum Provinzialprior der sächsischen Provinz gewählt wurde, also nun ein Doppelamt sowohl als Generalvikar der Reformkongregation als auch sächsischer Provinzial bekleidete, brach ein Sturm des Protestes los.²⁴ Die sieben oppositionellen Konvente, die von der bedeutenden Reichsstadt Nürnberg unterstützt wurden, betrachteten Staupitz nun nicht mehr als ihren Generalvikar und wählten einen Gegenkandidaten, den Kulmbacher Prior Simon Kaiser. Obwohl der Ordensgeneral Egidio da Viterbo Staupitz in seinem Doppelamt bestätigte, die Opposition eindringlich zum Gehorsam ermahnte und deren Rebellion mit härtesten Strafen bedrohte, blieben die sieben renitenten Konvente bei ihrem Widerstand. Die Forschung des 20. Jahrhunderts nahm im Gefolge von Heinrich Boehmers Monographie²⁵ an, dass Luther im Herbst 1510 im Auftrag dieser oppositionellen Konvente zusammen mit einem anderen Ordensbruder nach Rom geschickt worden sei, um gegen das Vorgehen von Staupitz (und gegen die Entscheidung des Generals) beim Papst zu appellieren. Die Appellation sei ihnen aber von der Ordensleitung verboten worden, sodass die Abgesandten unverrichteter Dinge wieder hätten heimkehren müssen. Die wichtigsten Argumente für die Hypothese waren:
Staupitz, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 10 (1995), Sp. 1250–1253 (Lit.); B. H a m m, Staupitz, Johann von, in: Theologische Realenzyklopädie 32 (2000), S. 119–127 (Literatur). 23 Zu ähnlichen Bestrebungen in anderen Orden vgl. die Beiträge in K. E l m (Hg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, Berlin 1989. 24 Man mag sich die Brisanz des Vorgangs mit einem fiktiven politischen Vergleich aus der jüngsten deutschen Geschichte veranschaulichen: Es wäre so, als wenn Bundeskanzler Kohl schon vor der Wiedervereinigung von der Volkskammer der DDR auch zu deren Ministerpräsidenten gewählt worden wäre. 25 B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 5).
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die Jahresangabe 1510 für die Romreise in späteren Rückblicken Luthers, der Umstand, dass Luther sich in eben diesem Jahr 1510 im Erfurter Kloster, einem Hauptort der Opposition, befand und also seine Reise von Erfurt aus angetreten haben müsse, eine Reise Luthers in Begleitung seines Erfurter Lehrers und Ordensbruders Johannes Nathin nach Halle, die dem Zweck gedient habe, durch Vermittlung des Dompropsts vom Magdeburger Erzbischof die Genehmigung für eine Appellation in Rom zu erlangen, Aussagen des Luther-Gegners Johannes Cochläus, Luther sei „wider seinen Vicarium“ [Staupitz] nach Rom gezogen, eine Entscheidung des Generals Egidio da Viterbo: „Appellare ex legibus Germani prohibentur“.
Alle diese miteinander verknoteten Argumente sind jedoch einzeln und als Ensemble nicht tragfähig, und die Deutung Boehmers ist nicht länger haltbar.²⁶ Luthers Jahresangaben in seinen Rückblicken variieren bei der Romreise zwischen 1509, 1510 und 1511 und werden in den Tischreden auch bei anderen, sogar belangreicheren Lebensdaten irrig angegeben.²⁷ Damit fällt auch die Verknüpfung mit Erfurt als Ausgangspunkt für die Reise. In Luthers rückschauenden Äußerungen wie auch in Melanchthons Kurzvita des Reformators von 1546 wird der zweite Erfurt-Aufenthalt (Ende 1509 bis Spätsommer 1511), in dem die Romreise hätte stattfinden sollen, ganz übergangen. Die Reise nach Halle gehört nicht in den Kontext der Romfahrt, sondern fand wahrscheinlich bereits 1506 statt.²⁸ Die Aussage des Cochläus über Luther als Delegierter gegen Staupitz findet sich erst in einem Spätwerk; in den frühen Schriften weiß Cochläus davon noch nichts zu berichten. Was das Appellationsverbot des Generals angeht, so ist inzwischen seit Eckermanns Quellenfunden bekannt, dass die oppositionellen Konvente insgesamt viermal (!) in Rom appelliert haben.²⁹ Doch zu keinem Zeitpunkt ist aus ihren Reihen eine Delegation nach Rom gesandt worden. Das war rechtlich auch gar nicht erforderlich; als Luther später nach dem Verhör vor Kardinal Cajetan an Papst Leo X. appellierte, ist er auch nicht nach Rom gereist, sondern hat die Appellation vor einem Notar zu Protokoll gegeben!³⁰ Zudem wäre es
26 Vgl. dazu ausführlich S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4), S. 26–34 und passim. 27 So wird z. B. die Exkommunikation durch Leo X. auf 1519 datiert: WA.TR 1, Nr. 409 S. 884; 2, Nr. 2250 S. 376. 28 Vgl. H. S c h n e i d e r, Episoden aus Luthers Zeit als Erfurter Mönch, in: Luther 81 (2010), S. 133–148, hier S. 139–147. 29 E c ke r m a n n, Dokumente (wie Anm. 14). Die erste erfolgte am 21. April 1510, die zweite am 16. oder 19. August 1510, die dritte am 10. September 1511, die vierte am 5. April 1512. Vgl. dazu S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4), S. 53f., 61, 76f., 86f. 30 WA 2, S. 28–33. Vgl. mit diesem notariellen Appellationsinstrument das von E c ke r m a n n, Doku-
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für die Delegierten, die sich des schweren Ungehorsams gegenüber dem Ordensgeneral schuldig gemacht hatten, höchst riskant gewesen, in Rom zu erscheinen. Unter den von mir neu entdeckten Dokumenten aus dem ehemaligen Archiv des Klosters Sangerhausen, das zu der oppositionellen Fraktion gehörte, befindet sich auch eine Kopie jenes Appellationsverbots des Generals vom Januar 1511, das sich auf die zweite Appellation der Opposition von Mitte August 1510 bezieht. Egidio schickte einen Vertrauensmann, den eingangs erwähnten deutschen Subprior von S. Agostino Johannes Klein, zu Staupitz, um ihn von dem Verbot zu unterrichten. Wie inzwischen bekannt ist, erfolgten trotzdem noch zwei weitere Appellationen der Renitenten, was zu dem von Boehmer entworfenen Szenario überhaupt nicht passt. In den Aktenstücken, an Hand deren die Schlussphase des Konflikts in ein neues Licht tritt, werden niemals Delegierte erwähnt, die von den renitenten Konventen nach Rom entsandt worden wären, sehr wohl werden aber Prozessbevollmächtigte genannt, darunter der Dekan des Erfurter Marienstifts, der sich längere Zeit in Rom aufhielt und an der Kurie die Interessen der oppositionellen Konvente vertreten konnte. Im Sommer des Jahres 1511 schlugen Verhandlungen zwischen Staupitz und der Opposition über eine Beilegung des Konflikts fehl. Daraufhin scheint es in Luthers Erfurter Heimatkloster zu Meinungsverschiedenheiten unter den Mönchen über die künftige Haltung des Konvents gekommen zu sein. Wie Andeutungen Luthers in der Vorlesung über die Sentenzen, die er damals in Erfurt hielt, sowie Äußerungen zur Observanz und zur Gehorsamsfrage in seinen frühen Wittenberger Vorlesungen vermuten lassen, hat er den rigiden Kurs der Opposition gegen Staupitz, den der Erfurter Konvent und dessen observante Verbündete eingeschlagen hatten und unbeirrt weiter verfolgten, wohl von Anfang an kritisch beobachtet, da er darin eine gefährliche Missachtung des Ordensgehorsams sah.³¹ Er war demnach zwar Mitglied eines renitenten Konvents, aber kein Anhänger der oppositionellen Ordenspolitik. Als dann die Wortführer der Opposition sogar die eindringlichen Weisungen und scharfen Strafdrohungen des Ordensgenerals ignorierten und auf Kompromissvorschläge von Staupitz nicht eingingen, hat Luther mit anderen Mönchen den Erfurter Konvent verlassen und ist im August 1511 nach Wittenberg gewechselt. Angesichts des fortdauernden Widerstands der Opposition und ihrer politischen Unterstützer schickte nun Staupitz nach dem 4. Oktober 1511 von Wittenberg aus Abgesandte nach Rom. Sie hatten offenbar den Auftrag, neue Weisungen des Generals für das weitere Vorgehen einzuholen. Verhandlungsführer war der ehemalige Prior von Enkhuizen und soeben in Wittenberg promovierte Doktor der Theologie Johann von Mecheln.³² Dies ist – abgesehen von Staupitz’ eigener Reise im Frühjahr 1510 – die
mente (wie Anm. 16), S. 288–295, publizierte Notariatsinstrument über die dritte Appellation der Renitenten. 31 Vgl. dazu S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4), S. 139–145. 32 Über Johannes de Rathem (Ratheim), meist Johann von Mecheln genannt, vgl. G. We n t z, Das Au-
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einzige quellenmäßig belegbare Delegation, die im Zusammenhang der Streitigkeiten nach Rom gezogen ist. Unter allen Möglichkeiten, Luthers Romreise im Rahmen der Ordensstreitigkeiten einzuordnen, scheidet die von Boehmer konstruierte und weithin rezipierte Variante definitiv aus; Luther kann nicht im Auftrag der Opposition von Erfurt aus gereist sein. Dann aber muss er die Reise nach seiner – von den Renitenten als „Abfall zu seinem Staupitz“³³ geschmähten – endgültigen Übersiedlung nach Wittenberg von dort aus angetreten haben, d. h. im Winterhalbjahr 1511/12. Will man nicht eine Delegation annehmen, über die sonst nichts bekannt ist, bleibt es am wahrscheinlichsten, ihn als Reisebegleiter des Dr. Johann von Mecheln zu betrachten, der im Oktober 1511 von Wittenberg aus aufbrach. Für die Hinreise im Herbst spricht auch eine von Luther erzählte Episode, wie der Verzehr von Granatäpfeln ihm und seinem Reisegefährten bei einer Fieberattacke geholfen habe.³⁴ Nicht Luther, sondern der höherrangige und als einstiger Prior in Ordensgeschäften erfahrenere Dr. Johann von Mecheln war demnach der Verhandlungsführer, Luther nur der socius itinerarius, der zweite Mann. Doch indem Staupitz gerade ihn mitschickte, der vor Kurzem das widerspenstige Erfurt verlassen hatte, sandte er gewissermaßen einen Kronzeugen nach Rom, der die Verstocktheit der renitenten Konvente beglaubigen konnte. Zugleich konnte der Erfahrungsgewinn durch eine solche Reise einer förderungswürdigen Nachwuchskraft des Ordens nur nützlich werden. Als seelsorgerliches Motiv wird bei Staupitz noch hinzugekommen sein, dem von seinen Anfechtungen umgetriebenen Martinus zugleich eine Pilgerreise in die Heilige Stadt zu ermöglichen, damit er dort – etwa durch die ersehnte (neuerliche) Generalbeichte und andere zu erlangende Gnaden – spirituell bereichert und gefestigt werden könnte. In der späteren Rückschau Luthers trat dann dieser Aspekt seiner Romreise verständlicherweise in den Vordergrund, während alle Ordensangelegenheiten inzwischen für ihn obsolet geworden waren.³⁵ Nach der Rückkehr der Abgesandten fand im Mai des nächsten Jahres 1512 in Köln ein Kapitel der Reformkongregation statt. Die Tatsache, dass Luther daran teilnahm,
gustinereremitenkloster in Wittenberg, in: F. B ü nge r / G. We n t z (Bearb.), Das Bistum Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1941 [Ndr. 1963] (Germania sacra 1,3), S. 440–499, hier S. 473f.; A. d e M e ye r, Adriaan Florisz van Utrecht in zijn contacten met de Augustijnen, in: Archief voor de geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 2 (1960), S. 1–72, hier S. 7, Anm. 2. 33 „Audivi vero a fratribus ejus eum [Luther] a septem monasteriis, quibus tum contra alios fratres adhaeserat, ad Staupitium suum defecisse“ (Johannes C o c h l äu s, Ad semper victricem Germaniam paraklesis, Köln 1524, fol. C 2; abgedruckt bei B o e h m e r, Romfahrt [wie Anm. 5], S. 8f.). 34 WA.TR 4, Nr. 4104 (lat.) S. 136f.; 2, Nr. 1327 (dt.) S. 48–50, hier S. 49. 35 Später erwähnte Luther z. B. auch nie seine einstige Tätigkeit als Provinzialvikar (1515–1518), über die wir gar nichts wüssten, wenn nicht (wenige) Briefe aus dieser Zeit mit (ein paar aufschlussreichen) Nachrichten darüber erhalten wären. Zu diesem Amt vgl. W. E. Wi n t e r h a ge r, Martin Luther und das Amt des Provinzialvikars in der Reformkongregation der deutschen Augustiner-Eremiten, in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für K. Elm, hg. von F. J. Fe lt e n / N. Ja s p e r t, Berlin 1999, S. 707–738.
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der doch damals im Orden noch gar kein Amt bekleidete,³⁶ ist dann verständlich, wenn er erst kürzlich von einer ordenspolitischen Mission, die ihn (mit Johann von Mecheln) nach Rom geführt hatte, zurückgekehrt war. Das Kölner Kapitel legte den Streit bei, indem es die Unionspläne vorläufig fallen ließ.³⁷ Hier wurde Luther zum Subprior des Wittenberger Konvents bestimmt³⁸ und wohl auch seine Promotion, die Staupitz betrieben hatte, sowie die Nachfolge auf dessen Lehrstuhl von den Kapitularen gebilligt. All dies wäre schwer vorstellbar, hätte Luther als Wortführer der Erfurter Opposition gegen Staupitz in Rom agiert.
3 Die Reiseroute Die Entfernung von Wittenberg bis Rom betrug, legt man die damaligen Reisewege zugrunde, etwa 1.600 km. Dafür werden die Wanderer, die Anfang Oktober in Wittenberg aufbrachen, ca. zwei Monate gebraucht haben, also Ende November in Rom angekommen sein³⁹ (etwa gleichzeitig mit dem eingangs erwähnten Johannes Klein; dieser war freilich Konventuale der sächsischen Provinz,⁴⁰ und wir wissen nicht, von wo aus er anreiste). Anders als etwa sein Ordensbruder Nikolaus Besler⁴¹ hat Luther nicht einmal ein Itinerar seiner Romreise hinterlassen, und seine Reise-Reminiszenzen geben nur wenige sichere Anhaltspunkte für die Wegstrecken, die er benutzt hat. Somit sind alle Versuche, die Route der Hin- und Rückreise zu rekonstruieren, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und erlauben etliche Varianten. Bei Luthers Aussagen ist zu unterscheiden zwischen der Erwähnung von 1) Orten, die Luther ausdrücklich als Reisestationen erwähnt. Das ist nur der Fall bei Mailand⁴² (mit der Hinreise zu
36 A. Zu m ke l l e r, Martin Luther und sein Orden, in: Analecta Augustiniana 25 (1962), S. 254–290, hier S. 268, vermutet, dass Luther als Diskret, d. h. als zweiter Delegierter, den jeder Konvent neben dem Prior zu den Triennalkapiteln entsandte, nach Köln gekommen sei. Doch wäre Luther nach seinem erst vor Kurzem erfolgten Wechsel nach Wittenberg kaum mit dieser Aufgabe betraut worden. 37 Zu den kirchenpolitischen Hintergründen vgl. S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4), S. 89–91. 38 Vgl. We n t z, Augustinereremitenkloster (wie Anm. 32), S. 477. Nach B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 5), S. 118, und S c h e e l , Luther (wie Anm. 5), S. 550, ging auch die Leitung des Wittenberger Studiums an Luther über, doch erscheint das vor seiner Doktorpromotion eher unwahrscheinlich. 39 Zur Reisezeit im Herbst vgl. die oben erwähnte Episode mit den Granatäpfeln. 40 Er überbrachte die Jahresabgaben der thüringisch-sächsischen Provinz im Namen von Staupitz, der damals noch das Doppelamt des Generalvikars der Kongregation ‚und‘ des Provinzialpriors der Provinz bekleidete. 41 S. o. Anm. 7. 42 Mailand wird von Luther öfter genannt. In der Erinnerung blieb ihm vor allem haften, dass er dort nicht hatte Messe lesen dürfen (s. u. Anm. 66). Über Mailand führte Luthers Weg, wenn er aus der Schweiz kam, d. h. über einen der Schweizer Alpenpässe.
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verbinden⁴³), Florenz,⁴⁴ Siena⁴⁵ und einem namentlich nicht genannten reichen Benediktinerkloster am Po⁴⁶ (bei dem es sich sehr wahrscheinlich um S. Benedetto Po / Polirone⁴⁷ handelt) sowie (mit der Rückreise verknüpft) Augsburg⁴⁸. Davon sind zu unterscheiden 2) Bemerkungen über Orte und Landschaften, die ohne jeden Bezug zu seiner Reise erwähnt werden, aber Eindrücke oder Informationen, die er
43 WA.TR 5, Nr. 6360 S. 621. Doch ist „auf dem Reinzuge“ in der deutschen Version der Tischrede ein Zusatz Aurifabers, der im lateinischen Text keine Entsprechung hat. Oder ist „Reinzuge“ verderbt aus „Romzuge“? Dass Mailand auf dem Hinweg besucht wurde, ergibt sich aber auch aus anderen Erwägungen. 44 Das Lob über die Spitäler und Findelhäuser in Florenz verbindet Luther mit der Bemerkung: „Haec ego vidi Florentiis“ (WA.TR 4, Nr. 3930 S. 17f., hier S. 18). Das bedeutendste Spital, Santissima Annunziata (vgl. E. M. C a s a l i n i, La SS. Annunziata di Firenze. Guida storico-artistica, Firenze 21980, Ndr. Genova 2008), und das benachbarte Findelhaus, Ospedale degli Innocenti, lagen ganz in der Nähe des Konvents San Gallo der lombardischen Kongregation bei der Porta San Gallo im Norden der Stadt. Dort hatte auch Besler übernachtet: „Veni autem Florentiam 19. ejusdem [scil. Januarii 1507], ubi duabus mansi noctibus in conventu S. Galli extra muros, qui est locus congregationis Lombardie“ (S c h n e i d e r, Aufzeichnungen [wie Anm. 8], S. 138). 45 Siena erwähnt Luther in seiner Auslegung des 104. Psalms aus dem Jahre 1534 (WA 51, 207,15–20). Er erinnert sich an eine Unterhaltung, die er dort mit einem Welschen geführt habe. Er habe gehört, dass man von Kaiser Friedrich viele Sprüche gelernt habe, besonders „qui nescit dissimulare, nescit imperare“. 46 „In Lombardia apud Padum est monasterium S. Benedicti locupletissimum, das alle jar 36.000 ducaten hat, in quo tantae sunt deliciae, das sie jerlich 12.000 ducaten auf die gastung wenden, 12.000 ducaten auff gebeu, tertiam partem ad conventum. In quo ego Martinus Lutherus fui honorifice tractatus“ (WA.TR 5, Nr. 6042 S. 455f., hier S. 455). Auch der Franziskaner Konrad Pellikan kam auf seiner Reise nach Rom hier vorbei und erwähnt „celeberrimum monasterium Sanctus Benedictus dictum“, von dem ihm seine Reisebegleiter versicherten, „ne unquam pulcrius monasterium vidisse“ (Chronikon [wie Anm. 9], S. 58). 1575 schwärmt der Münchner Dr. Jakob Rabus in seinem Reisebericht: „Dieses Kloster ist der herrlichsten Gottshäuser eins, so nit allein in Italia, sondern zumal auch in andern Landen gefunden werden mögen“. Jeder Fremdling werde dort vier Tage lang einfach, aber reichlich bewirtet (Dr. Jakob R ab u s, Rom. Eine Münchner Pilgerfahrt im Jubeljahr 1575, hg. von K. S c h o t t e n l o h e r, München 1925, S. 7, 10.). 47 Vgl. P. P iva (Hg.), I secoli di Polirone. Committenza e produzione artistica di un monastero benedettino, 2 Bde., Mantua 1981. Dort heißt es mit Blick auf Luthers Aussage: „entro la fine del secolo XV il complesso monastico raggiunge la sua massima, e pressoché definitiva, espansione; e sarà così grandioso da costruire ragione di scandalo per Martin Lutero, e prova evidente, col suo sfarzo esteriore, del degrado spirituale della chiesa“ (Bd. 1, S. 177). Das steht freilich nicht in Luthers oben genannter Tischrede! 48 WA.TR 6, Nr. 7005 S. 320: „Als er Anno 1511. wäre von Rom kommen, und durch Augsburg gezogen“. Hier besuchte er die später als Betrügerin entlarvte Anna (Luther: Ursula) Lamenit, die sich angeblich nur von der Hostie bei der sonntäglichen Kommunion ernährte. WA.TR 4, Nr. 4925 S. 582f.; 6, Nr. 7005 S. 319–321. Vgl. F. R o t h, Die geistliche Betrügerin Anna Laminit von Augsburg, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 43 (1924), S. 355–417; W. P u l z, Nüchternes Kalkül – Verzehrende Leidenschaft. Nahrungsabstinenz im 16. Jahrhundert, Köln 2007.
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während der Reise gewann, wiedergeben ‚könnten‘. Es handelt sich um Nürnberg,⁴⁹ Ulm,⁵⁰ Innsbruck,⁵¹ Venedig,⁵² Padua,⁵³ Bologna,⁵⁴ (nicht: Cremona),⁵⁵ Ronciglione,⁵⁶ Bayern,⁵⁷ Schwaben / Allgäu,⁵⁸ Schweiz,⁵⁹ Lombardei⁶⁰. Je nach rekonstruierter Route lassen sie sich mit der ersten Gruppe verknüpfen.
49 In einer frühen Predigt (aus dem Jahre 1517?) erwähnt Luther das Schlagwerk einer Nürnberger Uhr (scil. der seit 1509 an der Frauenkirche angebrachten), von der er aber auch nur gehört haben kann (WA 1, S. 133,1–3); in einer Tischrede spricht er von der Größe der Stadt (WA.TR 3, Nr. 3517 S. 372), in einer anderen von ihrem Reichtum, aber ihrer schlechten Befestigung (WA.TR 5, Nr. 6392 S. 638,36f.). 50 WA.TR 3, Nr. 3781 S. 611,8f. „Sanct Peters münster zu Rom, Coloniae et Vlm templa sunt amplissima et inopportuna [scil. zum Predigen]“. 51 „Insbruck parua est, sed aequalibus aedificiis composita ac si una esset contua domus“. (WA.TR 5, Nr. 6392 S. 638,37–639,1). 52 Sehr anschaulich beschreibt Luther, wie die Venezianer in einem Passionsspiel über den finanzschwachen Kaiser Maximilian spotten: „Veneti in ludo passionis personam caesaris Maximiliani fecerunt in forma venatoris, der griff in beutel, der war locherit [löcherig, leer]; econtra dux Venetorum ibat, der greiff in beutel, das die ducaten zun seiten heraus fielen, so voll war sie“ (WA.TR 1, Nr. 5 S. 4,14– 17; vgl. ähnlich 3, Nr. 3149a S. 193, Nr. 3149b S. 193f.; 5, Nr. 5449 S. 160). Die Größe der Stadt erwähnt Luther WA.TR 3, Nr. 3517 S. 372,12 (300.000 Feuerstätten). 53 WA.TR 3, Nr. 3565 S. 415 (Steueraufkommen der Stadt Padua). 54 WA.TR 4, Nr. 5094 S. 654,7f. (Studenten in Bologna, die vom Papst Dispens erbaten). – Die Vermutung, dass Luther bei der Durchreise für ein Fresko in der Augustinerkirche S. Maria della Misericordia porträtiert worden und als einer von vier Augustinereremiten neben Augustinus zu sehen sei (M. P o l i / S. C o s t a to, Martin Lutero in un affresco alla Misericordia? Ipotesi per una ricerca storico-artistica, in: Strenna storica bolognese 47 [1997], S. 425–438), halte ich für ganz unwahrscheinlich. 55 Bei „Cromenaw“ mit der überwiegend jüdischen Bevölkerung (WA.TR 3, Nr. 3512 S. 370,7f.) handelt es sich nicht um „Cremona“ (so die Lesart B und ihr folgend z. B. G. Kawe r au, Von Luthers Romfahrt, Deutsch-evangelische Blätter 26 (1901), S. 79–102, hier 92; D. D e n e c ke, Wege und Städte zwischen Wittenberg und Rom um 1510. Eine historisch-geographische Studie zur Romreise Martin Luthers, in: W. P i n k w a r t (Hg.), Genetische Ansätze in der Kulturlandschaftsforschung. Festschrift für H. Jäger, Würzburg 1983, S. 77–106, hier S. 88; H.-A. G e n t h e, Auf Luthers Spuren unterwegs, in: d e r s . (Hg.), Spuren [wie Anm. 5], S. 7–73, hier S. 34), sondern um Mährisch Kromau oder Krumau, heute Moravský Krumlov. 56 Sehr wahrscheinlich ist Luther durch den „Flecken Roncilion“ gekommen, der „etwa sieben Deutscher meilen herwerts von Rom“ liegt; noch 1545 erinnerte er sich an eine Geschichte, die er bei seiner Romreise über einen Amtmann von Ronciglione gehört habe. WA 54, S. 219,1–26; vgl. schon WA.TR 1, Nr. 682 S. 329. Die Geschichte findet sich auch bei L. A. M u r a t o r i, Rerum Italicarum Scriptores, tom. 23, Milano 1733, S. 153. Ein Augustinerkloster in Ronciglione, das Denecke (wie unten Anm. 55) verzeichnet, gab es dort aber erst seit 1575. 57 WA.TR 3, Nr. 2871b S. 44,25f.: „Bavaria regio sterilissima, attamen optime aedificata; munitissimas habet urbes“. Vgl. auch ähnlich ebd., 3, Nr. 2871a, S. 44,8. 58 WA 26, S. 364,13f. / 30: „das … starck vnd lang“ gesprochen „wie ein schwebisch odder algewisch daas“. Solche sprachlichen Beobachtungen müssen nicht auf Reiseeindrücken beruhen, Luther konnte sie auch an Schwaben oder Allgäuern gemacht haben, die er bei anderen Gelegenheiten kennenlernte. Vgl. dazu S c h e e l, Luther (wie Anm. 5), S. 495f. Anm. 4. 59 WA.TR 3, Nr. 2871b S. 464,26: „Ita Heluetiorum terra sterilissima et montosa; ideo strenui milites. Müssen ihre narung anderß wo suchen, darvber sich auch der tzanck gehoben hat propter prohi-
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Bei allen Rekonstruktionsversuchen versteht es sich von selbst, dass man zunächst als Hintergrund die spätmittelalterlichen Reisewege nach Rom betrachten muss. Die „Wege nach Rom“ sind gut erforscht.⁶¹ Die Romwege-Karte des Nürnberger Kartographen Erhard Etzlaub ist ein wichtiges Hilfsmittel,⁶² und eine Anzahl von Reiseberichten und Itineraren mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Romfahrer bietet Vergleichsmaterial.⁶³ Doch ist zu beachten, dass das Reisen von Mönchen einen Sonderfall darstellt. Gewiss waren auch sie weithin auf die allgemeinen Reisewege angewiesen, doch orientierten sie sich vorrangig an Klöstern, wenn möglich ihres eigenen Ordens, als Reisestationen.⁶⁴ Die Luthers Reise zeitnahen Itinerare Nikolaus Beslers und Konrad Pellikans lassen dieses Prinzip mönchischer Reisepla-
bitum commeatum“ (gemeint wohl die Diskussion um das „Reislaufen“); WA.TR 3, Nr. 3621 S. 464,21– 23: „Heluetii sunt homines robustissimi, sed quia ipsi intra Alpes morantur, non habent agriculturam, sed tantum prata. Es ist doch nicht mehr denn berg vnd thal“.; WA.TR 4, Nr. 4385 S. 285,9–11: „Deinde dicebat de tutissima via in Heluecia et etiam amoenissima, quia habent brevissima milliaria, praecipue Lombardica, quorum quinque milliaria unum Germanicum perficerent“. Vgl. dort auch S. 285,5– 8 über die Schweizergarde des Papstes: „10. Marcii [1539] dicebat de Helueciorum humanitate et obsequiis, qui non essent adeo amarulenti; ideo papa illos haberet pro guardis, id est, custodibus sui corporis, scilicet ducentos, utitur illis pro corporis custodia, ut ministros, non ut consiliarios“. WA.DB 3, S. 306,24–26 zu Nr. 21,13: „Arnon sol ein lang gebirg sein, da beche erab fliessen. In Helvetia sind viel solcher arnones“. 60 WA.TR 2, Nr. 1327 S. 49,44–50,2: „Jtalia ist ein sehr fruchtbar, gut und lustig Land, sonderlich Lombardia ist ein Thal 20 deutscher Meilen Wegs breit, mitten dadurch fleußt der Eridanus [Po], gar ein sehr lustig Wasser, so breit als von Wittenberg gen Brate [Pratau, heute Stadtteil von Wittenberg] ist, auf beiden Seiten sind die Alpes und Apenninus-Gebirge.“; WA.TR 4, Nr. 4573 S. 384,15–19: „Postea dicebat de Lombardia, quae regio omnium in tota Europa esset iucundissima, wehre eine solche geschmuckte braut, darumb man sich noch wol rauffen dorffte, et si illa quadriennio pacem haberet, esse florentissimam, et ipsam civitatem Mediolanum singulis diebus dare suo domino 1.000 ducatos.“; oben Anm. 59 über die lombardische Meile. 61 Die wichtigste Literatur findet sich bei A. E s c h, Deutsche Pilger unterwegs ins mittelalterliche Rom. Der Weg und das Ziel, in: d e r s., Wege nach Rom. Annäherungen aus zehn Jahrhunderten, München 2003, S. 9–29, 205f. (Literatur); d e r s., Auf der Straße nach Italien. Alpenübergänge und Wege nach Rom zwischen Antike und Spätmittelalter. Methodische Beobachtungen zu den verfügbaren Quellengattungen, in: R. C. S c hw i nge s (Hg.), Straßen- und Verkehrswesen im Hohen und Späten Mittelalter, Ostfildern 2007 (Vorträge und Forschungen 66), S. 19–48 (Literatur). 62 Vgl. dazu E s c h, Wege (wie Anm. 61), S. 9–11; ausführliche Erläuterungen: H. K r üge r, Des Nürnberger Meisters Erhard Etzlaub älteste Straßenkarten von Deutschland, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 18 (1958), S. 1–286. 63 Vgl. W. P a r av i c i n i (Hg.), Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, Frankfurt a. M. 1994–2000 (bisher drei Bände), für Reisen von Deutschland aus bes. Teil 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von C. H a l m, Frankfurt a. M. 22001. Eine Auswahl wichtiger und in gedruckter Form leicht zugänglicher Itinerare hat D e n e c ke, Wege (wie Anm. 55), S. 105f., zusammengestellt. 64 Vgl. WA.TR 5, Nr. 6463 S. 676,5–7: „Et ibi multa recitavit, quae in itinere accidissent, cum in monasteriis omnium impiissimis hospitasset“.
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nung gut erkennen.⁶⁵ In den Klöstern erhielten die mittellosen Mönche kostenlose Verpflegung und Herberge, hier befanden sie sich in einem gewohnten sozialen Umfeld, in einer ‚geistlichen‘ Umgebung, und brauchten nicht in Gasthäusern zu übernachten; hier konnten sie – wenigsten partiell – die Stundengebete mitfeiern oder sogar Messe lesen.⁶⁶ Nicht zuletzt fanden sie bei ihren Ordensbrüdern WegWeisung für die vor ihnen liegende Strecken oder sogar ortskundige Begleiter bis zum nächsten Etappenziel. Das Netz von Klöstern der Augustinereremiten in Italien, die den beiden Romreisenden unterwegs die Möglichkeit zur Einkehr boten, war weitaus dichter als in Deutschland.⁶⁷ Es war daher oft möglich, in Tagesmärschen von einem Kloster zum nächsten zu gelangen. Dafür konnte man eventuell auch einen von der Route weltlicher Reisender abweichenden Umweg in Kauf nehmen.⁶⁸ Augustinerklöster, sogar der mit den deutschen Observanten verbundenen lombardischen Kongregation, gab es an den Orten, die Luther ausdrücklich nennt – in Mailand⁶⁹, Florenz⁷⁰ und Siena⁷¹.
65 Pellikan erwähnt als Ausnahme: „Postera dieta sola non habuimus monasterium“. (Chronikon, hg. von R igge n b a c h [wie Anm. 9], S. 59). 66 Luther ist vor allem in Erinnerung geblieben, dass er in der Diözese Mailand nicht hatte Messe lesen dürfen, weil dort der ambrosianische Ritus in Geltung stand (WA.TR 4, Nr. 4760 S. 475f.; 5, Nr. 6360 S. 621). Noch 1544 erinnerte er sich daran (Kurzes Bekenntnis vom Sakrament, WA 54, S. 166,6–13). 67 Eine instruktive Übersicht geben die Karten in B. v a n Lu i j k, Le monde augustinien du XIII e au XIX e siècle, Assen 1972, S. 24, 28 mit den erläuternden Listen 37–50. 68 Pellikan erzählt: „Non via regia usi propter victum; deerat enim omnibus nobis toto itinere pecunia pro nostro more … A Sena defleximus a communi via ad secretiorem semitam per montana Thuscie … per silvas et heremitoria loca fratrum“. (Chronikon, hg. von R igge n b a c h [wie Anm. 9], S. 59). 69 An der Straße, die von Como nach Mailand führte, lag in der Nähe der Porta Volta das Augustinerkloster S. Maria Incoronata. Der Konvent gehörte zur Lombardischen Kongregation des Ordens. Vgl. M. L. G a t t i Pe re r, Umanesimo a Milano. L’osservanza agostiniana all’Incoronata, Milano 1980; d i e s ., Il programma iconografico dell’Osservanza agostiniana nel complesso conventuale di S. Maria Incoronata a Milano, in: Per corporalia ad incorporalia. Spiritualità, agiografia, iconografia e architettura nel medioevo agostiniano, hg. von Centro Studi ‚Agostino Trapè‘, Tolentino 2000, S. 155–164; d i e s ., Il complesso conventuale di S. Maria Incoronata a Milano, in: M. M e n c a r o n i Z o p p e t t i / E. G e n n a r o (Hg.), Società, cultura, luoghi al tempo di Ambrogio da Calepio, Bergamo 2005, S. 247–264. In zweiter Linie käme auch in Frage das nicht zur Lombardischen Kongregation, sondern zur Provincia Lombardiae gehörende Augustinerkloster S. Marco, vgl. G. M a r c a n d a l l i, La chiesa e il convento di San Marco a Milano, Milano 1987 (Chiese di Lombardia 1). 70 Vgl. Anm. 44. Das Augustinerkloster S. Gallo wurde 1529 während der Belagerung von Florenz durch kaiserliche Truppen von den Florentinern selbst zerstört, um den Feinden eine Möglichkeit der Deckung vor der Stadtmauer zu nehmen. Eine Übernachtung im Kloster S. Spirito (vgl. auch Anm. 79), das zur Provincia Pisarum gehörte, ist weniger wahrscheinlich. 71 In Siena gab es zwei Augustinerklöster, eines der Konventualen (S. Agostino) und eines der zur Kongregation von Lecceto gehörenden Observanten (San Martino). Vgl. L. B e r t o n i, Il declino di un’osservanza. S. Martino in Siena della Congregazione Leccetana (1522–1620), in: Analecta Augustiniana 29 (1966), S. 316–339.
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Selbst in dem an Gasthäusern armen Apennin befand sich in dem Ort Scarperia ein kleiner Konvent seines Ordens.⁷² Über diesen Erkenntnisstand könnte uns eine besondere Gattung von Quellen weiter hinausführen – sofern wir sie als zuverlässig betrachten könnten. Es handelt sich um eine Reihe von lokalen Überlieferungen über einen angeblichen Aufenthalt Luthers. Diese Traditionen sind sämtlich verbunden mit Augustinerklöstern, die sich wiederum an gängigen Verkehrswegen befinden: Parma,⁷³ Arezzo,⁷⁴ Todi⁷⁵ (die für die Hinreise in Frage kämen),⁷⁶ Spoleto⁷⁷ und Padua⁷⁸ (die auf dem Rückweg besucht worden sein könnten). Aber sind diese Traditionen vertrauenswürdig? Auf welchen Quellen beruhen sie? In Parma und Arezzo (wie auch in Florenz) gab es angeblich noch im 20. Jahrhundert Messbücher der jeweiligen Augustinerklöster, in denen Luthers Name als Zelebrant auf der Durchreise verzeichnet gewesen sein soll.⁷⁹ Trotz intensiver Nachforschungen habe ich jedoch kein einziges der genannten Bücher auf-
72 S. Barnaba (heute Pfarrkirche SS. Jacopo e Filippo). Vgl. L. Torelli, Secoli Agostiniani overo Historia generale del sagro ordine eremitano …, Bd. 7, Bologna 1682, S. 415. 73 S. Luca. Vgl. F. B a ro n ce l l i, La chiesa di san Luca e gli eremitani di Parma, in: Aurea Parma. Rivista di storia, letteratura e arte 70 (1986), S. 109–121. 74 S. Agostino. Vgl. va n Lu i j k (wie Anm. 67), S. 42. 75 S. Prassede. Vgl. C. R i d o l f i, Santa Prassede. Storia, in: L. B a t t i s t o n i u. a. (Hg.), Todi – i ‚rioni‘ S. Prassede e S. Silvestro. Catalogo delle opere d’arte, Todi-Perugia 1999, S. 81–110, hier S. 97: „Una ben radicata tradizione, peraltro finora non suffragata da sicura documentazione, vuole che, nel 1511, il monaco tedesco soggiornasse a Todi nel convento di S. Prassede durante il suo viaggio a Roma per questioni interne all’ordine Agostiniano al quale egli stesso apparteneva“. 76 Die Strecke über Arezzo, Cortona, Passignano, Todi, San Gemini ist etwa der Lüneburger Bürgermeister Albert van der Molen 1453/54 nach Rom gezogen (vgl. P a r av i c i n i / H a l m [wie Anm. 63], Nr. 51); an allen genannten Orten gab es Augustinerklöster. 77 Eine Lokaltradition (unbekannten Alters) in Spoleto weiß von einem Aufenthalt Luthers im dortigen Augustinerkloster S. Nicolò. Der spoletinische Historiker A. S a n s i, Degli edifici e dei frammenti storici delle antiche età di Spoleto, Foligno 1889 [Reprint: Perugia 1972], S. 243, schreibt: „Vʼè una tradizione che Martino Lutero alloggiasse in questo convento, nel suo viaggio a Roma“. Im Staatsarchiv Spoleto sind über das Augustinerkloster im frühen 16. Jahrhundert leider keine Dokumente mehr erhalten. 78 SS. Filippo e Giacomo. Vgl. A. M. Sp i a z z i, La Chiesa degli Eremitani a Padova, Milano 1993. Über Padua erzählte der Zisterzienserabt von Salem Matthäus Roth 1554: „In monasterio Heremitarum cella est, in qua Martinus Luther conuersatus est, quando Pataui studuit [!]. Ea in hodiernum usque diem uacua relinquitur et a nemine inhabitatur, propterea quod malignus spiritus eam inhabitare perhibetur“. M. G m e l i n, Die Romreise des Salemer Conventuals und späteren Abtes, Matthäus Roth, 1554, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 32 (1881), S. 234–273, hier S. 243. 79 Diese Eintragungen selbst gesehen zu haben, versicherten sowohl Edoardo Alvisi, von 1886 bis 1915 Direktor der Biblioteca Palatina in Parma, in einem Brief an den Romanisten Prof. W[endelin] Foerster in Bonn (vgl. E. C o m b a, Lutero pellegrino a Roma, in: La Rivista cristiana, N.S. 2 [1900], S. 21 –29, 52–58, 94–99, hier S. 94f.) als auch Mons. Angelo Scapecchi, der 1996 verstorbene Weihbischof von Arezzo (briefliche Mitteilung seines Neffen, Dott. Pietro Scapecchi, Firenze). In Florenz soll Luther in dem Augustinerkloster S. Spirito Messe gelesen haben, wie Comba von einer vertrauenswürdigen
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finden können. Die anderen Lokaltraditionen beruhen auf mündlicher Überlieferung, deren Alter man meist nicht feststellen kann.⁸⁰ Geht man als sicheren Grunddaten von den wenigen Angaben Luthers aus, die einzelne Städte ausdrücklich als Reisestationen erwähnen und die man mit dazu passenden Äußerungen über Landschaften verknüpfen kann, so ergibt sich für die Hinreise eine wahrscheinliche Route durch die östliche Schweiz über einen der Schweizer Alpenpässe nach Mailand, von dort (ab Pavia) auf der Via Francigena nach Bologna, durch den Apennin nach Florenz, Siena und Rom.⁸¹ Weitaus schwieriger, wenn nicht sogar wegen vieler Unwägbarkeiten kaum möglich ist es, die Route der Rückreise zu bestimmen. Da Augsburg⁸² als einzige Etappe feststand und sich damit die Erwähnung des Benediktinerklosters am Po (S. Benedetto Po / Polirone⁸³) und Innsbrucks⁸⁴ verbinden ließ, nahmen die meisten Forscher einen Rückweg über den Brenner an.⁸⁵ Wenn jedoch die Romreise auf Weisung von Staupitz erfolgte, so mussten die Ergebnisse der römischen Konsultationen und die Weisungen des Generals an den Auftraggeber Staupitz berichtet werden, der sich im Winter 1511/12 wieder einmal in Salzburg aufhielt. In der Tat traf dort im Februar 1512 Johann von Mecheln, der „als Abgesandter nach Rom [von dort] zurückgekehrt war“, bei Staupitz in Salzburg ein und wurde von diesem am 25. Februar „nach Köln geschickt, um das dort abzuhaltende Kapitel vorzubereiten“.⁸⁶ Bei dem Reiseziel Salzburg wäre für die Delegierten die Strecke über den Brenner aber ein Umweg gewesen. Es hätte näher gelegen, der Route in umgekehrter Richtung zu folgen, die ihr Ordensbruder Nikolaus Besler auf seiner Hinreise nach Rom gewählt hatte, also von Rom über Narni, Terni, Spoleto, Tolentino, Macerata, Osimo, Pesaro, Rimini, von dort (mit dem Schiff) nach Chioggia und Venedig, sodann nach Treviso und durch das Friaul
Person hörte, der wiederum ein alter Prior versichert haben soll, er habe in einem „libro di registro“ die Eintragung gelesen: „Martinus Lutherus celebravit“. (ebd., S. 25f.). 80 Eine Ausnahme bildet die Überlieferung von einem Aufenthalt Luthers in Padua, die bereits 1554 nachweisbar ist (siehe oben Anm. 78), aber irrig mit einem Studium des deutschen Mönchs verknüpft wurde. 81 Der Göttinger Geograph Dietrich Denecke hat vor einigen Jahren einen detaillierten, sehr diskussionswürdigen Rekonstruktionsversuch des Itinerars vorgelegt. Vgl. D e n e c ke, Wege (wie Anm. 55). 82 Siehe oben Anm. 48. 83 Siehe oben Anm. 46. 84 Siehe oben Anm. 51. 85 Zur „Augsburger Brennerstraße“ von Nürnberg bis Verona, der „wichtigste(n) Verbindungslinie vom östlichen Norddeutschland und von Ostdeutschland nach Oberitalien und Rom“ vgl. Krüger, Nürnberger Meisters (wie Anm. 62), S. 119–124. 86 Besler berichtet: „Unde [scil. von Salzburg] postea anno 1512 in carnisprivio [21. Februar] a p[aternitate] sua [Staupitz] missus sum Coloniam ob capituli ibi celebrandi preparationem cum P. Magistro Ioanne Mechelinia, qui tunc Romam missus redierat“. S c h n e i d e r, Aufzeichnungen (wie Anm. 8), S. 141f.
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nach Arnoldstein, Villach und über die alte Tauernstraße nach Salzburg zu reisen.⁸⁷ Diese Route hätte zudem den Vorteil geboten, ein gefährliches Kriegsgebiet weiträumig zu umgehen. Denn seit November 1511 eskalierten in Oberitalien die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Heiligen Liga und Frankreich. Über die Städte Mailand, wohin das gallikanische Konzil von Pisa verlegt worden war, und über Bologna, das von den Franzosen dem Kirchenstaat wieder entrissen worden war, hatte Papst Julius II. das Interdikt verhängt. Ende Dezember 1511 hatte der militärische Kampf um Bologna eingesetzt, am 17. Januar 1512 begann die Belagerung der Stadt durch päpstliche Truppen, bis sie am 5. Februar durch französische entsetzt wurde. Es konnte demnach für den Rückweg nicht ratsam erscheinen, wieder die Route des Hinwegs zu benutzen und den Weg über Florenz und von dort über den Apennin nach Bologna zu wählen, da er mitten in das Kriegsgebiet geführt hätte. Es fällt allerdings auf, dass Nikolaus Besler, dem wir die Nachricht über die Ankunft des Johann von Mecheln in Salzburg verdanken, nur diesen, nicht aber dessen Begleiter nennt. Dafür kommen verschiedene Gründe in Betracht: a) Lediglich Johann von Mecheln wurde (gemeinsam mit Besler) zur Vorbereitung des Kölner Kapitels weitergesandt, sodass er nur jenen für namentlich erwähnenswert hielt. b) Besler hat in seinen autobiographischen Aufzeichnungen aus dem Jahre 1525 niemals den – inzwischen zum Ketzer gewordenen – Luther genannt, obwohl er ihm mehrfach persönlich begegnet ist, sondern in späteren Zusammenhängen nur dessen häretische Anhänger angeführt.⁸⁸ c) Eine dritte Möglichkeit besteht in der Annahme, dass Johann von Mecheln und Luther sich auf dem Rückweg getrennt und unterschiedliche Routen eingeschlagen haben, um in diesen gefährlichen Zeiten die Nachrichten aus Rom auf jeden Fall sicher nach Deutschland zu bringen.⁸⁹ Beide wären dann – am ehesten wohl etappenweise – von verschiedenen wechselnden Brüdern begleitet worden. In diesem Zusammenhang sind auch lokale Traditionen von Interesse, die es merkwürdigerweise auch in südfranzösischen Städten über einen Aufenthalt Luthers auf der Rückreise aus Rom gibt.⁹⁰ Es handelt sich um Lokalüberlieferungen in Nizza,
87 Vgl. ebd., S. 133–135. 88 Vgl. S c h n e i d e r, Franke (wie Anm. 7), S. 242 mit Anm. 15. 89 Zu dieser im späten Mittelalter durchaus geläufigen Praxis vgl. M. P u h l e, Das Gesandten- und Botenwesen der Hanse im späten Mittelalter, in: W. Lo t z (Hg.), Deutsche Postgeschichte. Essays und Bilder, Berlin 1990, S. 43–55, hier S. 52f., 55, Anm. 43–45. Freundlicher Hinweis meines Kollegen Wilhelm Ernst Winterhager. 90 H. G r i s a r, Lutheranalekten, in: Historisches Jahrbuch 39 (1918/19), S. 487–515, hier Teil 1: Zu Luthers Romfahrt. Neues über den Reiseweg, S. 487–496, hat auf die schon länger bekannte Überlieferung in Nizza und eine von ihm neu entdeckte über Pernes (deren Quelle er wegen des 1. Weltkriegs nicht überprüfen konnte) hingewiesen. Ergänzt durch eine Nachricht aus Aix-en-Provence und eine Luther-Reminiszenz über Lyon bzw. Vienne habe ich diese im Einzelnen problematischen, in ihrer Gesamtheit aber bemerkenswerten Lokaltraditionen kritisch erörtert: H. S c h n e i d e r, Luther en France, in: Positions Luthériennes 58 (2010), S. 231–250; vgl. auch d e r s ., Reise (wie Anm. 4), S. 122–127.
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Aix-en-Provence und Pernes-les-Fontaines (östlich von Avignon), denen zufolge sich Luther in den dortigen Augustinerklöstern aufgehalten haben soll. Wären sie glaubwürdig, hätte Luther den Weg durch das Rhonetal (und weiter durch die Schweiz zum Bodensee und von dort nach Augsburg) genommen.⁹¹ In Nizza und Pernes existierten im 19. Jahrhundert noch schriftliche Zeugnisse (eine handschriftliche Bemerkung in einem Missale und eine Notiz aus einer Klosterrechnung), die heute verschollen sind, deren Wortlaut aber überliefert ist. Eine frappierende Tatsache ist die Häufung von solchen Lokaltraditionen allemal, da sie unabhängig voneinander und mit ehemaligen Augustinerkonventen verbunden sind, darunter an einem so unbekannten Ort wie Pernes-les-Fontaines. Will man Legendenbildungen oder bewusste Fälschungen annehmen, dann muss man erklären, wie und aus welchen Motiven diese an drei Orten unabhängig voneinander zustande kommen konnten, zumal im katholischen Frankreich. In einer Gegenprobe lassen sich in Luthers Tischreden etliche Äußerungen über Frankreich finden, und sprachliche Reminiszenzen wie „Gremmerze“ (= grand merci) begegnen noch in Erinnerungen des alten Luther. Vor allem ist die Erwähnung einer merkwürdigen Pilatus-Tradition in Vienne auffällig, die sich sonst in keiner zeitgenössischen deutschen Quelle findet und den Eindruck von Autopsie der Örtlichkeit erweckt. Abgesehen von den diffizilen Problemen, die sich bei den einzelnen Lokaltraditionen zeigen, liegen die Schwierigkeiten, die der Annahme dieser Route entgegenstehen,⁹² weniger darin, dass die Abgesandten sich hätten trennen, sondern dass der
91 Vgl. die in der Etzlaub-Romwegekarte verzeichneten Straßen und die Erläuterungen bei K r üge r, Nürnberger Meisters (wie Anm. 62), sowie B. G u i l l e m a i n, La cour pontificale d’Avignon, Paris 1966, carte 1. 92 Die Einwände von S c h e e l , Luther (wie Anm. 5), S. 663f., gegen Grisars Hinweis auf französische Lokaltraditionen betreffen den „ungeheuerlichen Umweg“ zu dem „keine Nötigung“ vorgelegen habe. Doch geht Scheel (wie Grisar) von der Lage in Oberitalien im Frühjahr 1511 aus, während sich im Frühjahr 1512 nördlich des Apennins ein anderes, bedrohliches Bild bot. Bei der in den registres des Klosters in Pernes genannten Speise handelt es sich übrigens nicht um ein „Huhn“ (S c h e e l, Luther [wie Anm. 5], S. 488, nach Grisar), sondern um ein Schulterstück vom Hammel. Scheels Zweifel, ob über die Bewirtung von Gästen Rechnung geführt wurde, sind unbegründet. Luther erinnert sich z. B., dass jenes reiche Benediktinerkloster am Po jährlich 12.000 Dukaten für die Bewirtung von Gästen aufwende (siehe oben Anm. 46). Als Provinzialvikar schrieb er 1516 dem Erfurter Prior Lang, „quod domus hospitum … non possit melius dignosci et moderari, nisi diligenti studio observetur, quid et quantum in ea expendatur“. Er ermahnte ihn, „ut registrum singulare subordines, in quo dietim consignes, quantum cerevisiae, quantum vini, quantum panis, quantum carnium, quantum denique cuiuscunque rei in illa consumptum sit,“ und zwar nur, „quae pro communibus hospitibus. Cuius registri modum, si non melius inveneris, talem accipe, ut certis intervallis ita scribas: in die Sancti huius, vel feria tali, post tale festum, tantum est consumptum, scilicet vini tantum, panis tantum etc., pro tali N. vel N. hospitibus“. (WA.B 1, S. 42,2–20). Vgl. etwa auch die Aufstellung der Verpflegungskosten Luthers im (aufgelösten) Prämonstratenser-Kloster Spieskappel bei seiner Reise zum Marburger Religionsgespräch (Marburg, Hess. Staatsarchiv, Best. 22a 2 Cappel, Nr. 15, fol. 46v, 111v).
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gänzlich Reise-unerfahrene Luther diese ungewöhnliche Wegstrecke auf sich allein gestellt hätte bewältigen müssen.
4 Wo hat Luther in Rom gewohnt? Äußerungen Luthers über seine Unterkunft in Rom sind nicht erhalten. In Frage kommen die beiden Konvente der Augustinereremiten, S. Agostino und S. Maria del Popolo.⁹³ Die meisten Lutherbiographen nehmen an, dass er während seines Aufenthalts in S. Maria del Popolo gewohnt habe, da dieser Konvent zur lombardischen Kongregation gehörte, mit der sich die deutschen Observanten in einer Privilegienkommunikation verbunden hatten.⁹⁴ Zudem hatte das Generalkapitel des Ordens bei seiner Tagung in Rom 1497 bestimmt, dass alle Mitglieder von Reformkongregationen, die in Dienstgeschäften nach Rom reisten, in S. Maria del Popolo unterkommen, die Konventualen aber in S. Agostino oder einem anderen geeigneten Kloster Aufnahme finden sollten.⁹⁵ Allerdings hatte sich die lombardische Kongregation durch eine Appellation beim Papst erfolgreich gegen diese Belastung gewehrt.⁹⁶ Gegenüber der bloßen Vermutung, dass Luther in S. Maria del Popolo gewohnt habe, hat Hubert Jedin ein Argument für den Konvent S. Agostino geltend gemacht, das durch ein Quellenzeugnis gestützt wird. Er verweist auf eine Streitschrift des Generalprokurators der lombardischen Kongregation aus dem Jahre 1550, in der gegen die Konventsmitglieder von S. Agostino der – unwidersprochene – Vorwurf erhoben wurde, ‚sie‘ seien es doch gewesen, die einst Luther in Rom ernährt hätten.⁹⁷ Diese Überlieferung passt nicht zu dem (auch von Jedin vertretenen) Ansatz der Romreise in
93 Siehe dazu den Beitrag von A. E s p o s i to in diesem Band. 94 Zu dieser Verbindung vgl. zuletzt H. S c h n e i d e r, Eine hessische Intervention in Rom für Johannes von Staupitz und die deutschen Augustinerobservanten (1506), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 115 (2004), S. 295–317. 95 Acta Capituli Generalis O. E. S. Augustini anno 1497 Romae celebrati, in: Analecta Augustiniana 8 (1919/1920), S. 7–16, hier S. 12: „Fratres de observantia nuncupati excipiantur fraterne et charitative, quarumcumque congregationum sunt, in domo nostra Sanctae Mariae de Populo, donec sua negotia perfecerint, sub pena rebellionis; Conventuales autem fratres sive in conventu sancti Augustini, sive in domo aliqua ubi cum Dei timore et ordinis honestate hospitentur“. Vgl. schon G ü n t e r, in: Constitutiones (wie Anm. 7), S. 315, Anm. 2. 96 Appellatio Congregationis Lombardiae contra definitiones Capituli Generalis anni 1497, in: Analecta Augustiniana 8 (1919/1920), S. 52–54, bes. S. 53, sowie das Breve Alexanders VI. vom 26. Januar 1498 und die Exekution durch den Kardinalprotektor der Augustiner, Kardinal Raphael Riario, ebd., S. 54–56. 97 H. Je d i n, Die römischen Augustinerquellen zu Luthers Frühzeit, in: Archiv für Reformationsgeschichte 25 (1928), S. 256–270. S c h e e l, Luther (wie Anm. 5), S. 502f., Anm. 8, stützt sich in seiner Kritik an Jedin auf den diesem unbekannt gebliebenen Beschluss des Generalkapitels, kennt aber nicht die erfolgreiche Appellation der Lombarden.
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das Halbjahr 1510/11, denn eine Delegation, die sich anschickte, ‚gegen‘ Staupitz und ‚gegen‘ den General an der päpstlichen Kurie zu appellieren, hätte es kaum wagen können, ausgerechnet im Konvent S. Agostino Wohnung zu nehmen, wo General und Generalprokurator residierten. Hingegen fügt sich das Quellenzeugnis sehr gut in das Gesamtbild einer Romreise ein, die im Auftrag von Staupitz zum Ordensgeneral führte.
5 Was hat Luther in Rom gesehen? Wie Luthers Eindrücke vom Hin- und Rückweg seiner Romreise stammen auch alle Nachrichten über seinen Aufenthalt in der Stadt mit vielen episodischen Erinnerungen aus der Retrospektive nach vielen Jahren. Der zufällige Charakter der Äußerungen und ihrer Überlieferung ermöglicht es nicht, ein abgerundetes Bild seines Besuchs und seiner römischen Eindrücke zu zeichnen. Auch in diesem Fall bleiben unsere Kenntnisse dessen, was er gesehen und erlebt hat, recht fragmentarisch.⁹⁸ Die meisten Dinge, die er erwähnt, gehörten zum Besuchsprogramm aller Rompilger, sodass man nicht zu zweifeln braucht, dass Luther sie selbst gesehen hat. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass er für seine Reise einen der zeitgenössischen gedruckten Romführer⁹⁹ erworben hat;¹⁰⁰ er bedurfte eines gedruckten Romführers nicht, da er alle notwendigen Informationen von seinen Ordensbrüdern erhalten konnte. Doch werden spätere Gesprächspartner, die sich länger in Rom aufgehalten hatten,¹⁰¹ und Nachrichten, die er über aktuelle Ereignisse erhielt, seine Erinnerungen aufgefrischt und ‚ergänzt‘ haben. Methodische Vorsicht ist vor allem gegenüber seinen damit verbundenen Wertungen geboten; handelte es sich hier doch nicht um irgendeinen
98 Viele Darstellungen der Romreise geben eine Schilderung der Stadt Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts, um Luthers spärliche Äußerungen vor diesen Hintergrund zu stellen. 99 Vgl. L. S c h u dt, Le guide de Roma. Materialien zu einer Geschichte der römischen Topographie, Wien-Augsburg 1930 (Quellenschriften zur Geschichte der Barockkunst in Rom 3,1); N. R. M i e d e m a, Einleitung zu: d i e s., Rompilgerführer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Die Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae (deutsch / niederländisch), Edition und Kommentar, Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 72). 100 Das versuchte einst A. H au s r a t h, Martin Luthers Romfahrt nach einem gleichzeitigen Pilgerbuche erläutert, Berlin 1894, nachzuweisen. Luthers häufig wenig präzise Angaben sprechen nicht für diese Annahme. 101 Zu ihnen gehörte etwa der öfter erwähnte Lizentiat Liborius Magdeburg (Meydeburgk), „nam is novem annos Romae fuerat notarius rotae“ (WA.TR 4, Nr. 4785 S. 502,20f.; so auch Nr. 4388 S. 289,22; 5, Nr. 6459 S. 674,12f.). Vgl. dazu Luthers Lob: „Nihil laudabat quam consistorium et curiam rothae, ubi optime procederetur in causis“ (WA.TR 3, Nr. 3700 S. 545,4). Zu Liborius Magdeburg vgl. O. C l e m e n, Briefe von Liborius und Hiob Magdeburg und Kaspar Glatz, in: Archiv für Reformationsgeschichte 23 (1926), S. 51–81. Vgl. auch WA.TR 3, Nr. 3478 S. 347,38f.: „Ein alter Pfarrherr aß aufn Abend mit Doctor Martin Luthern; der sagete viel von Rom, denn er hätte zwey Jahr lang da gedienet, und wäre vier Mal dahin gegangen“.
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Ort, sondern um Rom, wo der Reformator in der späteren Rückschau die „sedes Diaboli “¹⁰² zu erkennen meinte. Die mit den römischen Reminiszenzen verknüpften theologischen Urteile Martin Luthers, so könnte man sagen, sind nicht Urteile des reisenden Mönchs Martin Luder von 1511/12. Dieser kam damals mit großen Erwartungen. Denn wie für alle Rompilger war für den jungen Mönch Rom die Heilige Stadt, von der er noch in der Rückschau berichtet, er sei bei ihrem ersten Anblick – wohl vom Monte Mario aus, wo sich den aus Norden über die Via Trionfale kommenden Romreisenden eine erste Fernsicht über die Stadt bot – auf die Knie gefallen und habe ausgerufen: „Salve, sancta Roma! Ja, vere sancta a sanctis martyribus, quorum sanguine madet“.¹⁰³ Wenngleich er sich auf einer Dienstreise befand, so kam er doch zugleich als Pilger, der ihre Mirabilia¹⁰⁴ bestaunen, an ihren unermesslichen Gnadenschätzen Anteil gewinnen und „from werden “¹⁰⁵ wollte. Dazu sollte zuerst eine (hier wiederholte) Generalbeichte dienen, die er im Rückblick späterer Jahrzehnte, als der ‚dienstliche‘ Aspekt der Romfahrt für ihn ganz obsolet geworden war, sogar als „Hauptgrund“ seiner Reise bezeichnen konnte.¹⁰⁶ In den vier Wochen,¹⁰⁷ die er sich in Rom aufhielt, besuchte er möglichst viele Gnadenorte, „lieff durch alle kirchen und klufften“,¹⁰⁸ wie er später
102 WA.TR 5, Nr. 5347 S. 77,1. 103 WA.TR 5, Nr. 6059 S. 467,9f.; deutsch: WA.TR 3, Nr. 3478 S. 347,4f.: „Sey gegrüßet, du heiliges Rom. Ja, rechtschaffen heilig, von den heiligen Märtyrern und ihrem Blut, das da vergossen ist“. 1519 schrieb Luther (Unterricht auf etlich Artikel, WA 2, S. 72,31–39): „Das die Romische kirche von gott fur allen andern geeret sey, ist keyn zweyffell, dann doselb Sanct Peter und Paul, xlvi bebste, darzu vill hundert tausent martyrer yhr blut vorgoßen, die hell unnd welt ubirwunden, das man wol greyfen mag, wie gar eynen besondernn augenblick [Augenmerk] got auff die selb kirchen habe. Ob nu leyder es zu Rom alßo steht, das woll beßer tuchte, ßo ist doch die und keyn ursach ßo groß, noch werden mag, das man sich von der selben kirchen reyßen adder scheyden soll. Ja yhe ubeler es do zugeht, yhe mehr man zulanffen und anhangen soll, dann durch abreyßen adder vorachten wirt es nit beßer“. 104 Die sogenannten „Mirabilia Romae“ werden oft als Sammelbegriff für mittelalterliche Pilgerführer verwendet, die nicht nur die eigentlichen „Mirabilia“ enthielten, sondern auch die „Mirabilia Romae vel potius historia et descriptio urbis Romae“ sowie auch die „Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae“ und die „Stationes ecclesiarum urbis Romae“ mit umfassten. Vgl. die Einleitung in: N. R. M i e d e m a, Die Mirabilia Romae. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte, Tübingen 1996 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 108). 105 Siehe oben Anm. 18. 106 Ebd. 107 WA.TR 3, Nr. 3479 S. 349,22–24: „Deinde fecit mentionem situs Romae, quam per quatuor hebdomadas in summo periculo perlustrasset“. WA.TR 4, Nr. 4785 S. 502,22f.: „Ego tantum quatuor hebdomadas Romae fui“. Vgl. auch in der chronologischen Übersicht WA.TR 3, Nr. 3459 S. 323f., Anm. 1: „Anno 1511. Romae fuit per integrum mensem“. 108 „Kluft“ hier in der Bedeutung von Krypta, unterirdisches Gewölbe; vgl. Deutsches Wörterbuch von von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 11, bearb. von R. H i l d e b r a n d, München 1984 [Ndr. der Ausgabe 1873], Sp. 1265, Nr. 5. Gemeint sind die Katakomben.
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selbstironisch erzählt.¹⁰⁹ Eine Wallfahrt zu den sieben Stationskirchen, die geradezu zum Pflichtprogramm aller Rompilger gehörte,¹¹⁰ wird er unternommen haben; Luther erwähnt die Größe der Peterskirche,¹¹¹ zitiert die Inschrift an der Fassade der Lateranbasilika,¹¹² S. Sebastiano¹¹³ und erzählt eine Legende über Silvester II. und S. Croce in Gerusalemme¹¹⁴. Er nennt auch andere Kirchen wie S. Maria in Aracoeli,¹¹⁵ S. Agnese (fuori le mura)¹¹⁶ und S. Pancrazio¹¹⁷. Auch die damals (nur sehr partiell) zugänglichen Katakomben¹¹⁸ von S. Sebastiano,¹¹⁹ S. Callisto¹²⁰ und S. Lo-
109 WA 31, I, S. 226,10. 110 Vgl. S. C a re l l, Die Wallfahrt zu den sieben Hauptkirchen Roms, in: Jahrbuch für Volkskunde 9 (1986), S. 112–150; M. T. B o n a d o n n a Ru s s o, La visita alle ‚sette chiese‘ attraverso i secoli, in: L. P a n i E r m i n i, La visita alle ‚sette chiese‘, Roma 2000, S. 5–20. 111 WA 42, S. 466,12; WA.TR 3, Nr. 3781 S. 611,8f. Siehe auch Anm. 50. 112 WA 2, S. 159,21–23 (aus dem Jahre 1519): „Ita sane ipsamet Ecclesia Lateranensis in urbe de frontis suae peripheria cantat, dogmate Papali simul et Imperiali se esse matrem Ecclesiarum &c. noti sunt versiculi“. Fragmente der Inschrift vom Architrav der alten Fassade der Lateranbasilika (die bei der Neugestaltung durch eine neue mit gleichem Text ersetzt wurde) sind im Museum der Lateranbasilika zu sehen. Vgl. R. Lu c i a n i, San Giovanni in Laterano, Roma 2004, Nr. 92 S. 199. 113 WA 54, S. 223,14; siehe unten Anm. 119f. und 122. 114 WA.TR 5, Nr. 6448 S. 667,31–668,2; deutsch: S. 668,4–14. Vgl. J. J. I. von D ö l l i n ge r, Die PapstFabeln des Mittelalters, München 1863, S. 156–159; C. G. M o r, Silvestro e Gerusalemme, in: Studi di paleografia, diplomatica, storia e araldica in onore di Cesare Manaresi, Milano 1953, S. 219–223; O. G uyo t j e a n n i n / E. Po u l l e (Hg.), Autour de Gerbert d’Aurillac, le pape de l’an mil. Album des documents commentés, Spoleto 1996, S. 355f. 115 WA.TR 3, Nr. 3479 S. 349,25: „In monte Capitolino esse monasterium minoritarum“. 116 WA 43, S. 421,9f.: „Agnetis monasterium Romae, quod aluit 160. homines, Cardinales diripuerunt et absumpserunt“. Ähnlich WA 51, S. 20,5f.; 54, S. 223,14–17. 117 WA 54, S. 223,14. 118 Von den antiken Katakomben blieben auch während des Mittelalters nur diejenigen zugänglich, die sich an die außerstädtischen Basiliken (S. Sebastiano, S. Lorenzo, S. Pancrazio, S. Agnese, S. Valentino) anschlossen. 119 WA 1, S. 655,23–25: „Tertio, doce me unum factum ecclesiae, in quo dedit liberationem unius vel plurium animarum, nisi criptas forte S. Sebastiani et Laurentii ac Pudentianae aliaque Romana loca mihi recitabis“. Siehe ferner unten Anm. 120 und 122. 120 Luther erwähnt mehrfach das „coemeterium Calixti“. WA.TR 3, Nr. 3479a S. 349,29f.: „in quo multa milia martyrum sepulta essent“; WA.TR 5, Nr. 6447 S. 667,10–19: „Romae apud S. Calixtum sepulta sunt cadavera sanctorum martyrum 176.000 et 45 pontifices martyres. Sie liegen vntter der erden schrenckicht [verschränkt, wie in Schränken], et illum locum appellant κρύπτη“. Zur Bezeichnung κρύπτη / crypta für die unterirdischen (Grab-)Anlagen vgl. Hieronymus (J.-P. M i g n e (Hg.), Patrologiae cursus completus, omnium ss. patrum, doctorum scriptorumquae ecclesiasticorum sive Latinorum, sive Graecorum. Series latina, 221 Bde., Paris 1844–1864, Bd. 25, Sp. 375) und Prudentius (Aurelii P r u d e n t i i C l e m e n t i s carmina, hg. von J. B e rg m a n, Wien 1926 [Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 61], S. 417). Ferner WA.TR 5, Nr. 6463 S. 675,24f.: „Ad Sanctum Calixtum, ubi in crypta plus quam 80.000 martyres sepulti sunt“. Wie Graffiti in der Calixt-Katakombe beweisen, wurde sie seit dem 15. Jahrhundert manchmal aufgesucht. Vgl. G. B. d e R o s s i, La Roma Sotterranea Cristiana, Bd. 1, Roma 1864, S. 2f. Ob aber Luther zu solchen Besuchern zählte, erscheint mir fraglich. Er meint
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renzo fuori le mura¹²¹ sowie das Hypogäum von S. Pudenziana¹²² finden Erwähnung. Er spricht von besonderen Reliquien wie z. B. die angeblich vom Evangelisten Lukas gemalten Christus- und Marienbilder,¹²³ die Büstenreliquiare mit den Häuptern der Apostel Petrus und Paulus in S. Giovanni in Laterano,¹²⁴ das Veronika-Schweißtuch in der Peterskirche,¹²⁵ das Haupt Johannes des Täufers (in S. Silvestro in Capite),¹²⁶ erinnert aber auch an andere ‚wunderliche‘ Dinge wie den Strick des Judas¹²⁷ und das Steinrelief, das angeblich an die Päpstin Agnes (Johanna) erinnere¹²⁸. Vielleicht hat er in Rom von der jährlichen Pallienweihe am 28. Juni gehört¹²⁹ und von der Öffnung der goldenen Pforte an St. Peter in den Jubeljahren.¹³⁰ Er berichtet vom ei-
offenbar S. Sebastiano, wenn er im Anschluss an die letztgenannte Erwähnung der crypta von S. Calixt fortfährt (WA.TR 5, Nr. 6463 S. 675,30–32): „Ibi tanta est profanatio missae, ut duo sacerdotes simul in eodem altari contrarie [andere Lesart: oppositi] stantes missam celebrent; sindt mechtig mit ihrem handtwerge. His abeuntibus mox alii duo succedunt“. Denn in der Calixt-Katakombe wurde damals nicht zelebriert, und auch Konrad Pellikan berichtet über seinen Besuch in der Sebastians-Katakombe: „altare erat unum, in quo poterant missare duo versis ad se vultibus, sed aspectu tabula quadam impedito“, Chronikon (wie Anm. 9, 63). Entsprechend ist Luthers Bemerkung WA 39 I, S. 150,3f. „Vidi ego Romae in una hora et in uno altari sancti Sebastiani septem missas celebrari“. nicht auf einen Sebastians-Altar „in der Kirche St. Petri ad Vincula“ (so die Erläuterung WA 39 I, S. 150, Anm. 1) zu beziehen, sondern auf einen Altar in S. Sebastiano. 121 Siehe oben Anm. 119. 122 Ebd., ferner WA 2, S. 54,6–9: „Occurrit nunc dictum illud tuum, quo me cum criptis divae Pudentianae aut egregii martyris Sebastiani irrides, quasi ego his vulgi opinionibus sim probaturus, quod ecclesia per venias concedat animarum liberationem a purgatorio“. 123 WA 47, S. 817,3f. Vgl. H. Vo ßb e rg, Das wahre Bild Christi. Was sagen Wissenschaft, Glaube und Kunst dazu?, Berlin 1965. 124 WA 47, S. 394,25–32, 816,29–817,1; 51, S. 136,36f.; 54, S. 109,14–19; WA.TR 4, Nr. 4829 S. 537,9; 5, Nr. 5844 S. 379,17–22. 125 WA 54, S. 255,4–18; WA.TR 4, Nr. 4829 S. 537,6–9; 5, Nr. 5844 S. 379,22. 126 WA.TR 2, Nr. 1272 S. 21. Ähnlich WA 37, S. 463,23: „Romae iactant se Nonnae [damals: Klarissen in S. Silvestro] habere caput eius“. Vgl. dazu I. To e s c a, Il reliquiario della testa di San Giovanni Battista nella Chiesa di S. Silvestro in Capite a Roma, in: Bollettino d’Arte del Ministero della Pubblica Istruzione 46 (1961), S. 307–314. 127 WA.TR 4, Nr. 4391 S. 291,7f.; WA 53, S. 405,6f. Vgl. U. J. Wa n d e l, Der Strick des Judas. St. Peter im Vatikan – Schorndorf – Schloss Ambras, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 111 (2011), S. 205–220. 128 WA.TR 5, Nr. 6447 S. 667, Nr. 6452 S. 669. Zur Legende und dem (später von Sixtus V. entfernten) Steinrelief in der Via dei Querceti vgl. D ö l l i nge r, Papst-Fabeln (wie Anm. 114), S. 1–45; G. To m a s s e t t i, La statua della papessa Giovanna, in: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 35 (1907), S. 82–85. 129 WA 54, S. 109,17–19, bringt die Pallienweihe fälschlich mit den Apostelköpfen (Büstenreliquiaren) in S. Giovanni in Laterano in Verbindung. 130 Vgl. Luthers Kommentare zur Ankündigung des Jubeljahrs 1525 durch Clemens VII. in WA 18, S. 255,28–256,33. Vgl. auch WA.TR 2, Nr. 2488a S. 484.
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genen Messelesen¹³¹, knienden Besteigen der Scala santa,¹³² mit dem er für sich und seine Verwandten¹³³ Anteil an dem verheißenen Ablass zu gewinnen suchte. Lobende Worte fand er über die deutsche Gemeinde von S. Maria dell’Anima.¹³⁴ Ob er Papst Julius II. zu Gesicht bekommen hat, lässt sich nicht mit völliger Sicherheit entscheiden, wenngleich einiges dafür spricht.¹³⁵ Manches von dem, was Luther später über Julius¹³⁶ und seinen Vorgänger Alexander VI.¹³⁷ zu erzählen wusste, wird er wohl „zu Rom für gewiß gehört “¹³⁸ haben. Der skrupulöse Mönch erlebte zwar Enttäuschungen wie die Unzufriedenheit mit seiner Meinung nach inkompetenten Beichtvätern¹³⁹ und nahm – wie auch andere Rompilger seiner Zeit¹⁴⁰ – Anstoß an Missständen, die er beobachtete. Er erwähnte etwa die unwürdige Hast beim Messelesen,¹⁴¹ religiöse Frivolität¹⁴² und Spott über ernste Frömmigkeit¹⁴³ sowie das öffentliche lasterhafte Treiben einiger Kardinäle¹⁴⁴.
131 WA 1, S. 390,1f.; 31/I, S. 226,11–13; 38, S. 211,32f.; WA.TR 3, Nr. 3428 S. 313; 4, Nr. 4760 S. 475; 5, Nr. 5484 S. 181. 132 WA 51, S. 89,20–23; vgl. auch WA 17, I, S. 335,10f. Vgl. M. C e m p a n a r i / T. A m o d e i, Scala Santa e Sancta Sanctorum. Storia, arte, culto del santuario, Città del Vaticano 2013. 133 Siehe unten Anm. 146. 134 WA 47, S. 425,5f. Vgl. M. M a t h e u s (Hg.), S. Maria dell’Anima. Zur Geschichte einer ‚deutschen Stiftung‘ in Rom, Berlin 2010 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 121). 135 Zu dieser auch für die Datierung der Reise relevanten Frage vgl. S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4), S. 129–134. 136 WA.TR 2, Nr. 1611 S. 151, Nr. 2733b S. 622–624; 3, Nr. 3200a S. 218, Nr. 3200b S. 218, Nr. 3726 S. 568 –570, Nr. 3727 S. 570; 4, Nr. 4785 S. 502f.; 5, Nr. 6163 S. 518f., Nr. 6323 S. 602f. 137 WA.TR 2, Nr. 1611 S. 151f., Nr. 2733b S. 622–624; 3, Nr. 3200a S. 218, Nr. 3200b S. 218; 4, Nr. 4590 S. 390–392, Nr. 4785 S. 502; 5, Nr. 6061 S. 468, Nr. 6453 S. 670, Nr. 6461 S. 675. 138 WA.TR 4, Nr. 4590 S. 391,32. 139 Siehe oben Anm. 18. 140 Viele Beispiele bei B ö h m e r, Romfahrt (wie Anm. 5), S. 99–118 u. ö. 141 WA 38, S. 212,9–12: „Und zwar ekelt mir seer da neben, das sie so sicher und fein rips raps [in großer Hast] kundten Messe halten, als trieben sie ein gauckel spiel, Denn ehe ich zum Euangelio kam, hatte mein neben Pfaff seine Messe aus gericht [beendet], und schrien mir zu: Passa, Passa, jmer weg, kom da von &c“.; WA.TR 3, Nr. 5484 S. 181,29f.: „Jch weis, da ir wol 6 oder 7 meß hielten, ehe ich eine; sie namen gelt darumb, ich aber keines“. Siehe ferner oben Anm. 120. 142 WA 38, S. 311,32–312,5: „Da hoeret ich unter andern guten, groben grumpen [starken Stücken] uber tissche, Curtisanen lachen und rhuemen, wie ettliche messe hielten, und uber dem brod und wein sprechen diese wort: Panis es, panis manebis, Vinum es, vinum manebis, und also auff gehaben [die Elevation vollzogen], Nu ich war ein junger und recht ernster, fromer Münch, dem solche wort wehe thetten“. Ähnlich WA 46, S. 292,7–9. 143 WA.TR 5, Nr. 5484 S. 181,27–29: „Man spott nur simpliciter vnser, das wir so from munch waren, vnd hilten einen christen nur fur einen narrn“. Vgl. ähnliche Äußerungen über den Ausdruck bon christian WA 2, S. 600,11; 6, S. 288,4; 14, S. 66f.; 44, S. 770,16–18 u. ö. 144 WA 43, S. 57,9–12: „Vidi ego Romae tanquam sanctos adoratos quosdam Cardinales, qui consuetudine mulierum fuerunt contenti. Non igitur ibi occulte nec privatim, sed publice infanda flagitia committuntur, exemplo et authoritate principum et totius civitatis“.
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Ob er – wie auch andere Besucher Roms¹⁴⁵ – schon damals gegenüber der Echtheit einzelner Reliquien¹⁴⁶ und der Wirksamkeit einiger Frömmigkeitsübungen¹⁴⁷ Skepsis gehegt hat, wie er sich später zu erinnern meinte, lässt sich nicht sicher sagen. Allenfalls blieb das aber nach allem, was wir erkennen können, peripher und führte keineswegs zu grundsätzlichen Zweifeln; „ich … gleubt alles“, versichert er im Rückblick.¹⁴⁸ Was er – aus der reformatorischen Retrospektive fast entschuldigend – bemerkt, kann als Motto über seinem Romaufenthalt stehen: „Nu ich war ein junger und recht ernster, fromer Münch“.¹⁴⁹ Neben den religiösen Attraktionen fanden die Überreste der Antike (z. B. Kolosseum,¹⁵⁰ Kapitol und Jupitertempel,¹⁵¹ Pantheon mit dem „Loch“ in der Kuppel,¹⁵² Thermen des Diokletian mit den Aquaedukten¹⁵³) seine Aufmerksamkeit. Doch Luther bewunderte sie nicht mit den Augen eines faszinierten Humanisten. Er sah das Bild der Zerstörung,¹⁵⁴ den „cadaver priorum monumentorum“, das tief unter Schutt begrabene alte Rom, ein „rattennest“.¹⁵⁵ Dabei beschäftigte ihn vor allem der Augustinische geschichtstheologische Aspekt, dass kein irdisches Reich ohne rechte Gotteserkenntnis bestehen könne.¹⁵⁶
145 Konrad Pellikan erzählt etwa, er habe weder geglaubt, dass ein Kruzifix in S. Paolo fuori le mura mit der hl. Brigitta gesprochen habe, noch habe er für wahr gehalten, dass die drei Quellen in Tre Fontane bei der Enthauptung des Paulus durch dreimaliges Aufschlagen von dessen Kopf entstanden seien (Chronikon, hg. von R igge n b a c h [wie Anm. 9], S. 63). Luthers Kritik an der Legende von Tre Fontane (WA.TR 4, Nr. 4355 S. 13–15: „nicht humana mendacia ex errore, sed Sathanica, qui prudenter scientes illa impie effundunt“) gibt wohl erst sein späteres Urteil wieder. 146 WA.TR 2, Nr. 1272 S. 21: „Romae hat man das haubt Sancti Ioannis Baptistae, so doch alle historien anzeigen, das die Sarracener haben das grab Ioannis aufgethan vnd alles zu pulver verbrent“. 147 WA 51, S. 89,20–23: „Sic Romae wolt meum Avum ex purgatorio erlosen, gieng die Treppen hinauff Pilati, orabam quolibet gradu pater noster. Erat enim persuasio, qui sic oraret, redimeret animam. Sed in fastigium veniens cogitabam: quis scit, an sit verum“. 148 WA 31,1, S. 226,14. 149 WA 38, S. 212,4 (oben Anm. 141); vgl. auch WA.TR 5, Nr. 5484 S. 181. 150 WA.TR 3, Nr. 3479 S. 148f. Luther beobachtete, dass man dort „schichtig sitzen und zusehen konnte“. 151 WA.TR 2, Nr. 2709b S. 609; 3, Nr. 3479a S. 349. 152 WA.TR 1, Nr. 507 S. 232,22–26: „Da ich, D. M. Luther, zu Rom war, hab ich diese Kirche gesehen; die hatte kein Fenster, sondern nur oben hatte sie ein rundes Loch, davon sie Licht hatte, und war hoch gewölbet; sie hatte so dicke märmelsteinern Säulen oder Pfeiler, die unser zweene schwerlich umgreifen konnten. Oben am Gewölbe waren alle Götter der Heiden gemalet, Jupiter, Neptunus, Mars, Venus und wie sie mehr geheißen haben“. WA.TR 3, Nr. 3447 S. 319; 5, Nr. 5514 S. 208,27–29; Nr. 5515 S. 208f. und oft. 153 WA.TR 5, Nr. 6058 S. 467,5–7. 154 WA 31, II, S. 61,18, 133,9. 155 WA.TR 3, Nr. 3700 S. 544f.; WA 37, S. 14,23; 41, S. 222,3f. 156 WA.TR 3, Nr. 3478 S. 347,37f.: „Jch hab mich oft verwundert, wie das römische Reich hat so hoch können steigen und zunehmen, ohn Erkenntniß Gottes, in so großen Kriegen und Widerstand“. WA 37, S. 388,20–25: „Sic Romano imperio: wolten nomen Christi nicht horen nennen, schlugen viel martyrer
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Dass die Stadt Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts nur einen Bruchteil der antiken Bevölkerung aufwies, war Luther bewusst.¹⁵⁷ Luther beklagte die mangelnde öffentliche Sicherheit und lobte das harte Vorgehen des Polizeihauptmanns (bargello).¹⁵⁸ Ungewiss bleibt, ob der deutsche Mönch die regen Bau- und Renovierungsaktivitäten und die Verbesserung der Infrastruktur, die unter Sixtus IV. und Julius II.¹⁵⁹ im Gang waren, bemerkt und ob er die Kunst der italienischen Renaissance wahrgenommen hat. Er erwähnt die (teils schon fertiggestellten, teils noch im Bau befindlichen) prunkvollen Palazzi der Kardinäle und den Prachtbau des päpstlichen Belvedere.¹⁶⁰ Über beide Ordenskirchen der Augustinereremiten, S. Agostino und S. Maria del Popolo, die zu den ersten, von den Päpsten vielfältig geförderten¹⁶¹ Renaissancekirchen in Rom gehörten, sowie ihre Ausstattung verliert er in seinen Rückblicken kein Wort. In S. Maria del Popolo waren etwa die Fresken Pinturicchios und seiner Schüler zu
tod. Quid? Rom ist wol iij [mal] umbkeret post Christi nativitatem, das ein wust, scheuslich ding gewest. Ipsi reges zu fus schemel worden, qui voluerant deturbare. Ideo erhelt unser herr Gott istum psalmum [110,1] contra omnes fursten und herrn, haben erunter must; und andere Stellen“. 157 WA.TR 3, Nr. 3517 S. 372,4–11: „Magnitudo Romae, sicut ego vidi, ist als weit als von hinnen auf den Poltersbergk [ein Hügel bei Apollensdorf, heute Stadtteil von Wittenberg, von hier ca. 7 km entfernt]. Quilibet aestimare potest, quanta planities fuerit in circuitu. Et deinde legit ex historiis numerum civium Romanorum: 20 annos ante Christum natum ein vnd virtzigk mal hundert tausent burger; non longo tempore deinde numeratos esse cives Romanos neun vnd sechzigk mal hundert tausent. Das solde jho ein volck sein, si verum est! – Deinde Licentiatus Magdeburgk [wie Anm. 101] dixit, das sie noch 50.000 manne vormöchte“. So auch mit abweichenden Zahlen WA.TR 3, Nr. 3478 S. 346,20–27. 158 WA.TR 3, Nr. 3478 S. 347,24–28: „Zu Rom ist ein trefflich hart Regiment. Denn der Parasel, der Häuptmann und Richter, reitet alle Nacht mit drey hundert Dienern in der Stadt umher, hält die Schaarwache stark. Wen er auf der Gassen erwischt, der muß herhalten; hat er eine Wehre [Waffe] bey sich, so wird er entweder gehänget oder ertränket und in die Tiber geworfen, oder ein Strapedechorde [aus ital. strappata di corda; Strafe des Wippens mit dem Strick um den Hals] gegeben. Noch ist ein wüstes Leben und Morden allda“. Ähnlich WA.TR 5, Nr. 6057 S. 466. 159 Vgl. M. M igl i o (Hg.), Un pontificato ed una città, Sisto IV (1471–1484). Atti del convegno, Roma, 3 –7 dicembre 1984, Città del Vaticano 1986; S. B o t t a r o (Hg.), Sisto IV e Giulio II. Mecenati e promotori di cultura. Atti del convegno internazionale di Studi, Savona, 1985, Savona 1989; F. B e n z i, Sisto IV renovator urbis. Architettura a Roma 1471–1484, Roma 1990. 160 WA 7, S. 732,19–21: „Vide palatia reverendissimorum Cardinalium, quae pro gloria dei et honore sanctae Ecclesiae possident, et regum palatia cum illis conferre erubesces. WA 6, S. 427,10–12: Ich schweyg auch noch zur zeit, wo solchs ablas gelt hyn kummen ist: ein ander mal wil ich darnach fragen, den Campoflore und Bel videre und etlich mehr ortte wissen wol etwas drumb“. Mit der Anspielung auf den Campo de’ fiori ist wohl nicht allgemein die seit Sixtus IV. hier beginnende Bautätigkeit gemeint (vgl. die den Papst dafür rühmende Inschrift von 1483 an dem Haus Via del Pellegrino 2), sondern konkret der zwischen ca. 1485 und 1513 erbaute Palazzo des Kardinals und Kardinalprotektors der Augustiner Raffaele Riario, die spätere Cancelleria. 161 Vgl. dazu P. Z i t z l s p e rge r, Die Ursachen der Sansovino-Grabmäler im Chor von S. Maria del Popolo, in: A. Ka r s te n / P. Z i t z l s p e rge r (Hg.), Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit. Tagungsakten des interdisziplinären Forschungskolloquiums in Schloss Blankensee bei Berlin vom 12. bis 14. September 2002, Köln-Wien-Weimar 2004, S. 91–113.
Luthers Romreise
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sehen;¹⁶² in S. Agostino malte Raffael 1511 gerade das Fresko des Propheten Jesaja.¹⁶³ Auf solche Darstellungen mag sich Luthers Bemerkung beziehen, die welschen (italienischen) Maler könnten ihren Figuren „nicht allein die rechte natürliche Farbe und Gestalt an allen Gliedern geben, sondern auch die Geberde, als lebten und bewegten sie sich“.¹⁶⁴
6 Die biographische Bedeutung der Romreise Luthers Für Luther, dessen bisheriger Lebensweg nicht über den thüringisch-sächsischen Raum hinausgeführt hatte, war die Romreise die erste wirklich große Reise, und es blieb die weiteste und längste seines Lebens. Es öffnete sich ihm die weite Welt, unbekannte Landschaften, fremde Sitten und ausländische lebende Sprachen begegneten ihm, sodass die Romreise „für Luthers allgemeine geistige Entwicklung, für seine Welt- und Menschenkenntnis, von wesentlichem Nutzen gewesen ist und zur Erweiterung seines Horizontes viel beigetragen hat, also dass er schon in dieser Beziehung mehr gesehen, gehört, gelernt hat, als zuvor in Jahren“.¹⁶⁵ Bisher hat man in der Romreise Luthers – unter der Voraussetzung, dass er als Abgesandter der Opposition gereist sei – einen ersten Autoritätskonflikt sehen wollen, den man je nach Standpunkt entweder polemisch als erste Regungen eines angehenden Ketzers oder aber anerkennend als Probelauf des künftigen Reformators werten konnte. Polemisch betrachtet: Der Rebell, der inmitten eines Milieus von Ordensungehorsam in einem der sieben renitenten Konvente gelebt habe und gegen seinen Ordensoberen nach Rom gezogen sei, lasse schon die Rebellion des späteren Häretikers ahnen. Die andere, protestantische Variante wollte bei dem Romfahrer Luther schon typische Charakterzüge des Reformators ausgeprägt sehen: Sein Gerechtigkeitssinn habe sich gegen die als unrechtmäßig empfundene Ordenspolitik seines Oberen aufgelehnt und um der Wahrheit willen den Konflikt nicht gescheut und die Wahrheit über den Gehorsam gestellt.
162 Auch die im 17. Jahrhundert von Carlo Fontana neu gestaltete Cybo-Kapelle war ursprünglich von Pinturicchio ausgemalt. 163 Vgl. L. D u s s l e r, Raffael. Kritisches Verzeichnis der Gemälde, Wandbilder und Bildteppiche, München 1966, Nr. 4 S. 79. 164 WA.TR 6, Nr. 7035 S. 349. 165 G. Tü r k, Luthers Romfahrt in ihrer Bedeutung für seine innere Entwicklung, in: Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule St. Afra in Meissen vom Juli 1896 bis Juni 1897, Meissen 1897, S. 1–39, hier S. 10. Vgl. N. d e L a h a r p e, L’image des allemands et des autres nations dans les propos de table (Tischreden) de Luther, in: Positions luthériennes 46 (1998), S. 40–64; K. M i c h e l s, Martin Luther – die Lektionen der Straße. Wie die Welt das Denken des Reformators veränderte, Hamburg 2010.
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Mit der Datierung der Reise auf 1511/12 fallen solche Spekulationen in sich zusammen. Der „junge und recht ernste, fromme Mönch“ von 1511/12 war kein Rebell, sondern ein getreuer und gehorsamer Sohn seines geistlichen Vaters und Generalvikars Staupitz und seines Ordens. Von Auswirkungen ernüchternder Erfahrungen durch die Romreise, die irgendwelche grundsätzlichen Zweifel an der Kirche und ihren römischen Institutionen genährt hätten, ist in den nächstfolgenden Jahren nichts zu bemerken. In den erhaltenen Zeugnissen Luthers der frühen Jahre findet sich keine Romkritik. Sogar noch im Herbst 1518, als ein Erasmus die päpstliche Monarchie in ihrer derzeitigen Form als „pestis christianismi“ bezeichnen konnte,¹⁶⁶ fällte dieser „ein Urteil über das Papsttum, das Martin Luther in der damaligen Zeit noch keineswegs aussprach und auch nicht dachte“.¹⁶⁷ Erst als im Gefolge des Ablass-Streits und seiner theologischen und kirchenpolitischen Weiterungen die Konflikte Luthers mit ‚Rom‘ – Papst, römischer Kurie und ‚Romanisten‘ – sich verschärften und zuspitzten, haben sie zu einem Perspektivenwechsel geführt. Durch diese Erfahrungen wurden viele Wahrnehmungen, die er einst in Rom gemacht hatte – und zu denen aktuelle Nachrichten hinzukamen –, in ein neues Licht gerückt und gaben nun seiner Kritik an der römischen Kirche manche Konkretion.¹⁶⁸ So konnte er rückblickend sagen: „Ich wolt nicht 1.000 fl. nehmen, das ich Rom nicht gesehen hett, denn ich hett solch ding nicht kunnen gleuben, wenn mirs einer gesagt hett, wenn ichs nicht selbs gesehen hett“.¹⁶⁹
7 Abbildungsnachweis Abb. 1: Entwurf: Hans Schneider; Kartographie: Melanie Müller-Bering
166 Erasmus an Johann Lang, Löwen, 17. Oktober [1518], in: Opus Epistolarum Des. Erasmi Roterodami, hg. von P. S. A l l e n, Bd. 3, Oxford 1913 [Nachdr. 1992], Nr. 872 S. 408–410, hier S. 410. 167 E. K l e i n e i d a m, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392–1521, Bd. 2: 1460–1521, Leipzig 1969, S. 237. 168 WA.TR 3, Nr. 3478 S. 345–348, Nr. 3582a S. 431f. u. ö. Siehe dazu den Beitrag von V. Le p p i n in diesem Band. 169 WA.TR 5, Nr. 5484 S. 181,25–27; ähnlich 3, Nr. 3478 S. 345–349, Nr. 3582a S. 431f.; 5, Nr. 6059 S. 467,12, Nr. 6427 S. 657,4–6.
Luthers Romreise
Abb. 1: Die Konvente der Augustinereremiten im „Staupitz-Streit“ 1507–1512.
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„Salve, Sancta Roma“ Luthers Erinnerungen an seine Romreise Der spätere Reformator in Rom, der fromme Mönch zwischen Huren und geldgierigen Priestern: Das hat nicht nur die Phantasie frommer Protestanten, sondern auch moderner Filmemacher immer wieder angestachelt. Man kann ihn sich vorstellen: den noch nicht Dreißigjährigen, der aus der Provinz in die Metropole der Welt kommt, aus dem Kloster in die von Märtyrern und Päpsten geheiligte Stadt – und der hier seine erste Erfahrung damit macht, dass die Kirche, in der er aufgewachsen ist, nicht heilig ist, dass die Päpste nicht fromm sind. In Kenntnis der späteren Entwicklung Luthers kann man meinen, in dieser Grunderfahrung den ersten Riss Luthers mit seiner Vergangenheit erahnen zu dürfen. Und tatsächlich hat schon Luthers Sohn Paul die Geschichte genau so erzählt, wie sie späterem protestantischen Bewusstsein besonders eingängig sein musste: „Anno 1544 hatt mein liebster Vatter gottsehiger yhnn gegenwarth seiner Tischgenger vnd vnsser aller die gantze historica vhonn seiner reisenn gegenn Rom so ehr a o 1510 yhnn etlichen geschefften thun müssen, erzelet, vnd vnter anderm mit grossen freudenn bekandt, das ehr doselbstenn durch den geist Jesu Christi sei Zum erkentnus der warheitt des heyligenn Evangelii gekommen dergestalt vnd also: da ehr seine preces graduales in scala Lateranensi verrichten wollen ist ihme alsbald eingefallenn der spruch des propheten Abacuk, welchenn Paulus ihm erstenn capitel zunn Römern eingefüret: nämlich: der gerechte wirdt seines glaubens lebenn. Hatt darauf sein gebett bleybenn lassenn. Und wie ehr gegen Wittenbergk kommen, nichts anderst als dieselb epistel Pauli für sein hochst fundament gehaltenn“.¹
In der gut ein Jahrhundert währenden Diskussion um Luthers reformatorische Wende hat dieses Zeugnis kaum Beachtung gefunden – und dies wohl zu Recht: Wir sind recht genau darüber informiert, wie Luther sich in der von Paul Luther erinnerten Zeit an seine reformatorische Wende erinnerte. Er hat darüber in der Vorrede zum ersten Band seiner lateinischen Werke geschrieben. Tatsächlich ist es hiernach Röm 1,17 mit dem Zitat der Habakuk-Stelle, was seinen reformatorischen Entwicklungsprozess in Gang setzte. Doch verbindet er dies nicht mit seinem Romaufenthalt, schon gar nicht mit einer so hervorgehobenen Situation wie dem Besuch der Pilatustreppe im Lateran, sondern mit seinem eifrigen exegetischen Studium, das der Vorbereitung seiner
1 Dokumente zu Luthers Entwicklung (bis 1519), hg. von O. S c h e e l, Tübingen ²1929 (Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellenschriften N. F. 2), S. 210 Nr. 539. Scheel folgt in seiner Wiedergabe der Umschrift des Originals bei J. Kö s t l i n, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, bearb. von G. Kawe r au, Bd. 1, Berlin 51903, S. 749 Anm. 3 zu S. 98. DOI 10.1515/9783110316117-005
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damaligen Vorlesungen dienen sollte. Nun gibt es Gründe, auch diese Schilderung Luthers selbst in Frage zu ziehen,² – doch steht außer Frage, dass wir in einem von Luther selbst 1545 geschriebenen Vorwort zu seinen lateinischen Werken ein besseres Zeugnis für seine eigene Erinnerung in eben dieser Zeit haben als in dem fast vierzig Jahre später niedergeschrieben Erinnerungsstück eines zum erinnerten Zeitpunkt gerade einmal zehn- oder elfjährigen Knaben. Indem wir diese klare Einsicht formulieren, sind wir aber bereits beim Kern des Problems. Denn offenkundig will Paul Luther, ein angesehener Mediziner, ehemaliger Professor in Jena und kurfürstlicher Leibarzt, eine geradezu urkundenhaft bestätigte Erinnerung festhalten: Das Autograph ist unterzeichnet mit: „Paulus Luther doctor hab dies mitt eigen handt geschriebenn Zu Augsburkg denn 7. August a o 82“.³ So unterschreibt man nur Erinnerungen, deren Gewissheit wie auch ihre Bedeutung für einen selbst einen hohen Rang hat. Der rückblickende Historiker aber muss auch demgegenüber in Distanz treten und auf die Lutherforschung kritische Einsichten anwenden, wie sie seit einiger Zeit verstärkt in der Geschichtswissenschaft diskutiert werden.
1 Der Schleier der Erinnerung Mit dem Titel „Der Schleier der Erinnerung“ hat der Frankfurter Mediävist Johannes Fried seine „historische Memorik“ überschrieben,⁴ in der er auf viele unterschiedliche Weisen die Problematik beschreibt, dass der rekonstruierende Historiker stets nur mit Erinnerungsstücken zu tun hat, die eben der Erinnerungsarbeit unterliegen, wie man sie auch im eigenen alltäglichen Erzählen beobachten kann: Wer von seinen Reiseerlebnissen erzählt, liefert nicht unbedingt eine stenographieartige Chronik des Geschehens, sondern seine Erzählung unterliegt einem mehrfachen Selektionsprozess: Die Erinnerung wird partiell, sie verschiebt sich, orientiert sich an vorgegebenen Mustern oder auch an eigenen Erwartungen, wird unter Umständen zugespitzter und dramatischer. All dies kann man unmittelbar an dem zitierten Erinnerungsstück von Paul Luther nachvollziehen. Offenkundig haben sich hier unterschiedliche Erinnerungen
2 Vgl. V. Le p p i n, Omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit. Zur Aufnahme mystischer Traditionen in Luthers erster Ablaßthese, in: d e r s., Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation, Tübingen 2015 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 86), S. 261–277. Der entscheidende Einwand gegen das lange Zeit für die Forschung leitende Vertrauen in die späte Erinnerung ist, dass es eine sehr viel frühere Rückschau Luthers auf seine reformatorische Entwicklung gibt, in deren Mittelpunkt nicht die iustitia steht, sondern die poenitentia. 3 Dokumente, hg. von S c h e e l (wie Anm. 1), S. 210 Nr. 539. 4 J. Fr i e d, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, München 2012.
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miteinander überlagert: die an Erzählungen von der Romreise Luthers und die an Erzählungen vom reformatorischen Durchbruch. Er ist sich der Erinnerung gewiss – und doch verzerrt seine Erinnerung. Das gilt aber nun nicht nur zugespitzt im Blick auf die Lokalisierung und Datierung des reformatorischen Durchbruchs – statt, wie meist, im Wittenberger Turm auf der heiligen Treppe in Rom. Es gilt auch und noch viel allgemeiner für den Grundgedanken, dass die Romerfahrung Luthers eine überwiegend negative gewesen sei. In den im Folgenden zu behandelnden Erinnerungen Luthers an seine Romreise zieht sich eben diese negative Bewertung durch: Rom ist ein Sündenpfuhl voller Unheiligkeit, und dies umso mehr, als dem der Anspruch und die Erwartung besonderer Heiligkeit entgegensteht. Es ist offenkundig, auch das reflektiert Luther noch, dass er selbst seinerzeit mit eben dieser positiven Erwartung aufgebrochen war, und meine Deutung seines Motivs zur Romreise – die nämlich wohl nicht eine Geschäftsreise, sondern eine Bußreise war –, verstärkt diesen Eindruck sogar noch: Luther wollte in die heilige Stadt reisen. Und was er vorfand, war, so legen es seine Berichte nahe, die unheilige, verdorbene, sündenreiche Stadt: „Ego maximus papista fui, insuper Romae habe jhre schalckheit gesehen, ihre kunst gelernt vnd getrieben“.⁵ Auch wenn man nicht die reformatorische Entdeckung mit ihr verbindet, müsste demnach die Romreise als eine Art von Bekehrungs- oder mindestens doch nachhaltigem Irritationserlebnis zu verstehen sein, und als solche hat sie sich auch im protestantischen kulturellen Gedächtnis verankert. Tatsächlich aber ist bei Luther keine Rede davon, dass er tatsächlich schon unmittelbar nach der Reise, also wohl nach 1510/11 in dieser Weise von seinen Romerlebnissen schockiert gewesen wäre. Noch 1519 schrieb er: „Das die Romische kirche von Gott fur allen andern geeret sey, ist keyn zweiyffell, dann doselb Sanct Peter und Paul, xlvi beste, darzu vill hundert tausent martyrer yhr blut vergoßen, die hell unnd welt ubirwunden, das man wol greyfen mag, wie gar eynen besondernn augenblick got auff die selb kirchen habe.“⁶ Zwar schränkte er im selben Zusammenhang ein, es könne um Rom wohl besser stehen als zur Zeit,⁷ aber die Deutlichkeit, mit der er Rom hervorhebt, lässt doch eine negative Bekehrungserfahrung im Sinne dessen, dass der junge Mönch übermäßig über Rom schockiert gewesen sei, als eher unwahrscheinlich erscheinen. Tatsächlich mehren sich die Hinweise auf solche negativen Folgen der Romerfahrung eher in späterer Zeit, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass sie sich vornehmlich im Kontext der Tischreden finden – dem persönlich, quellenkritisch
5 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 5, Nr. 6427. 6 D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe(Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 2, S. 72,31–35. 7 Ebd., S. 72,35–37.
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aber zugleich sensibelsten autobiographischen Medium, in dem Selbstdarstellung und Darstellung durch begeisterte Anhänger gleichermaßen die Erinnerung geformt haben. In ihnen lässt sich auch nachvollziehen, wie Luther – sekundär⁸ – immer stärker eine Verbindung zwischen seiner eigenen Botschaft und der Romreise, die er lange vor der Entwicklung reformatorischer Theologie gemacht hat, zog. So heißt es in einer Tischrede für das Jahr 1536: „wolde ich nicht 100.000 fl. dafur nehmen, das ich nicht Romam auch gesehen vnd gehort hätte; ich muste mich vmmer besorgen, ich tete im gewalt“.⁹ Die Romreise ist hier also zwar nicht wie bei Paul Luther Ursprungsort der reformatorischen Entdeckung, aber sie wird doch zu ihrer nachträglichen Bestätigung herangezogen. Die Erfahrungen vor Ort geben Luther Gewissheit, dass seine Botschaft berechtigt ist und er dem Papsttum kein Unrecht tut – theologisch ist dies durchaus eine fragwürdige Argumentation, denn Luthers Papstkritik hat ihr Zentrum gerade nicht in dem moralischen Verfall in Rom, sondern in der theologischen Problematik, dass der Papst sich über die Schrift setzt und dadurch, wie Luther etwa seit der Leipziger Disputation lehrt, zum Antichristen in der Kirche selbst geworden ist.¹⁰ Gerade das Genre der Tischreden aber hat auch die besondere Qualität, dass so theologisch sauber in ihnen nicht immer argumentiert wird, sondern sich gelegentlich Biographie und Theologie in einer vergröbernden Weise zusammenziehen. Zu den Tischreden gehört aber auch, dass gerade die theologische Deutung und Zuspitzung Teil eines Wachstumsprozesses ist – so ist es auffällig, dass es zu der eben zitierten Tischrede eine allerdings spätere Variante gibt, die zwar die Bestätigung durch die Romerfahrung enthält, dies aber nicht unmittelbar mit Luthers theologischer Botschaft verbindet: „denn ich hett solch ding nicht kunnen gleuben, wenn mirs einer gesagt hett, wenn ichs nicht selbs gesehen hett“,¹¹ heißt es in einer Mitschrift Kaspar Heydenreichs für das Jahr 1542. Einmal vorausgesetzt, dass Datierungen wie Inhalt korrekt wiedergegeben sind, was keineswegs sicher ist,¹² wäre davon auszugehen, dass Luther dieselbe Bestätigungsrhetorik, die besagt, dass die Romreise ihm etwas versichert, was er sonst für ausgeschlossen gehalten hätte, zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Varianten angewandt hätte. Solche
8 Darauf verweisen auch H. B o e h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, S. 155; R. S c hw a r z, Luther, Göttingen 1986 (Die Kirche in ihrer Geschichte 3,1), S. 22; H. Z s c h o c h, Lebenslauf, in: A. B e u t e l (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 32017, S. 106–115, hier S. 108. 9 WA.TR 3, Nr. 3478. 10 Vgl. H. P re u ß, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit, Leipzig 1906, S. 107–110. 11 WA.TR 5, Nr. 5484. 12 Zumindest hingewiesen sei darauf, dass die Theologisierung in WA.TR 3, Nr. 3478, auch Produkt der Mitschreiber sein kann – gerade die Tatsache, dass diese Aussage zu Luthers dezidiert theologischer Romkritik schlecht passen will, könnte hierfür als Beleg genommen werden.
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Parallelen kommen durchaus immer einmal vor: Luther scheint dieselben Gesprächsinhalte mehrfach vorgebracht zu haben, und dabei kam es offenbar gelegentlich auch zu formelhaften Verfestigungen wie in diesem Falle das Geben einer gewissen Anzahl von Gulden für die Romreise – in der Forschung hat sich hierfür der Begriff der „scheinbaren“ Parallelen eingebürgert, um auszudrücken, dass es sich um solche Entsprechungen handelt, die nicht durch literarkritische Operationen aufgelöst werden können.¹³ Wenn aber beide Varianten, die theologische wie die nichttheologische, in Luthers Anekdotenschatz parat sind, sprechen wiederum formgeschichtliche Überlegungen wie Parallelen in der Tischredenüberlieferung dafür, die ungedeutete Variante ungeachtet dessen, dass sie die später überlieferte ist, als die typologisch frühere zu betrachten. Man hätte dann also mit einem dreifachen Wachstumsprozess zu tun: Von einer ungedeuteten Bestätigung des negativen Romeindrucks aus hätte sich die Erzählung zur Bestätigung des Kampfes gegen Rom durch die persönliche Erfahrung weiterentwickelt, um schließlich bei Paul Luther – oder, zumindest hypothetisch muss dies auch erwogen werden, in einer korrekt von ihm erinnerten Tischrede – in die Verbindung aus Romreise und reformatorischer Entdeckung zu münden. Genau genommen muss man vor diesen drei Stufen sogar noch eine weitere veranschlagen, denn Luther selbst war nicht nur Produzent individueller Erinnerung, sondern auch Partizipant kollektiver Erinnerungen, und dessen war er sich durchaus bewusst: In einer Tischrede des Jahres 1536¹⁴ erzählt er die Geschichte von einem Juden, der sich taufen lassen wollte. Zuvor aber wolle er noch einmal nach Rom reisen. Daraufhin habe der Priester, der ihn taufen sollte, Sorgen bekommen, ob er nicht durch die Ungeheuerlichkeiten, die er in Rom zu sehen bekommen werde, abgeschreckt werde. Doch der Jude sei frohgemut aus Rom heimgekehrt, denn nun sei er gewiss, dass ein Gott, der diese Zustände in Rom dulden könne, alle Verbrechen der Welt ertragen könne, ohne seinen Zorn an den Menschen auszulassen: Die negative Romerfahrung als Anlass, an Gottes Gnade zu glauben, war natürlich eine unverhohlene Bestätigung der Schrecklichkeiten in Rom. In einer leicht abweichenden Variante¹⁵ findet sich diese von Rom geschilderte Geschichte auch im „Decamerone“ (I,2). Ob Luther diese Quelle kannte – der Dekamerone war bereits 1519 in Straßburg
13 Vgl. H. Ju ngh a n s, Die Tischreden Martin Luthers, in: d e r s ., Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001 (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 8), S. 155–176, hier S. 169. 14 WA.TR 3, Nr. 3479. 15 In Neifiles Erzählung bei Boccaccio ist es nicht der Priester, der über das Ansinnen des Juden erschrickt, sondern der Kaufman Jeannot, der sich zuvor bemüht hatte, ihn zum christlichen Glauben zu bekehren. Die Erkenntnis des Juden in Rom ist dann weniger die Langmut Gottes auch mit Verbrechen als die Tatsache, dass trotz der Verbrechen in Rom sich das Christentum ausbreitet.
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gedruckt worden¹⁶ – oder sich einfach auf Hörensagen verließ: Gewiss ist, dass ihm das Erzählmuster bekannt war, nach dem eine Reise nach Rom alle negativen Urteile über diese Stadt bestätigt, wenn auch im Falle des Juden in dieser Erzählung in überraschender Weise. Der Romreisende Luther also war mit seinen negativen Erfahrungen Teil einer längeren Erzähltradition und -gemeinschaft, die er fortschrieb und in spezifischer Weise individuell akzentuierte. Blickt man auf diesen mehrstufigen Erinnerungs- und Erzählungsprozess, so wird noch einmal deutlich, welch dichter Schleier über jeder berichteten Erinnerung liegt. Die größte Dichte gewinnt er naheliegend bei dem hier entscheidenden Punkt: der Wertung der Romreise. Luthers späte Rückblicke auf seine Zeit vor der reformatorischen Entwicklung sind nicht nur im allgemeinen Sinne Erinnerungsliteratur, sondern im spezifischen Sinne Konvertitenliteratur, also solche Literatur, die das Frühere möglichst negativ schildern will, um die jetzige, neue Position zu legitimieren.¹⁷ Genau in diesem Sinne setzt Luther seine Romerinnerung ja sogar strategisch ein: Sie ist autobiographische Erinnerung, die den theologischen Kampf gegen Rom begründet. Wer hofft, aus Luthers Erinnerungen an seine Romreise authentische Erinnerungen gewinnen zu können, muss sich durch diese unterschiedlichen Deutungsebenen hindurchfinden und wird mit nur sehr spärlichen Informationen belohnt. Und doch lassen sich gelegentlich, wenn man sie mit der zeitgenössischen Entwicklung Luthers korreliert, durchaus interessante Details aus den Erinnerungen herausfiltern – so etwa im Blick auf die Motivation der Reise nach Rom.
2 Der Anlass von Luthers Romreise Über das Motiv nach Rom zu reisen, scheint jedenfalls insofern große Einigkeit zu herrschen, als sie als Teil einer ordenspolitischen Mission gesehen wird – fraglich ist nur, in wessen Interesse diese vollzogen wird: Heinrich Boehmer wie sein Kritiker Hans Schneider¹⁸ in Erneuerung der These von Theodor Kolde¹⁹ gehen gemeinsam
16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (https:// opacplus.bib-bvb.de/TouchPoint_touchpoint/start.do?SearchProfile=Altbestand&SearchType=2; 14. 9. 2017) (= VD 16), fol. B 5820. G. B o cc a cc i o, Cento Novella. Hundert neuwer Historien die in einem grosen sterben zu florentz gesagt wurden …, Straßburg 1519. 17 B. U l m e r, Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattungen. Erzählerische Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses, in: Zeitschrift für Soziologie 17 (1988), S. 19 –33. 18 H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), S. 1–157. 19 Vgl. T. Ko l d e, Innere Bewegungen unter den deutschen Augustinern und Luthers Romreise, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 2 (1878), S. 460–480, hier S. 468, bei dem sich bereits die von Schnei-
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davon aus, dass der Anlass für Luthers Romreise ordensinterne Auseinandersetzungen um die Rolle von Johann Staupitz waren, und die gesamte Lutherbiographik des 20. Jahrhunderts – auch meine eigene Lutherbiographie²⁰ – teilt diese Auffassung. Während Boehmer Luther im Herbst 1510/11 auf Seiten der Gegner von Staupitz sah,²¹ verortet Schneider seine Romreise von Anfang an auf Seiten von Staupitz und kommt so zu einem späteren Reisetermin, nach dem 4. Oktober 1511.²² Der besondere Vorzug dieser Erklärung ist, dass man nicht mehr in der Not wäre, sich im Winter 1510/11 Luther als eifrigen Vertreter einer Opposition gegen Staupitz denken zu müssen, um dann anzunehmen, er habe im Sommer oder Herbst des Jahres, nach dem Jenaer Rezess, komplett die Seite gewechselt und sei in ein so enges Verhältnis zu Staupitz gekommen, dass er fortan von diesem in höchstem Maße gefördert worden sei.²³ Allerdings lädt sich Schneider damit eine Begründungslast auf, die jedenfalls in seinen bisherigen Veröffentlichungen noch nicht voll eingelöst werden konnte: Jun Matsuura hat in seiner Edition der Erfurter Annotationen Luthers darauf hingewiesen, dass die Annahme einer Romfahrt 1510/11 es erleichtert zu erklären, dass Luthers Annotationen zu den ersten Büchern der Sentenzen weit ausführlicher sind als zum dritten und vierten. Das würde angesichts eines regulären zweijährigen Vorlesungsturnus zu einer Vorlesung über die ersten beiden Bücher von Herbst 1509, nach Erwerb des baccalaureus sententiarius, bis Herbst 1510 passen²⁴ – und damit
der ins Zentrum gestellte Reise im Auftrag von Staupitz und in Begleitung von Johann von Mecheln findet. 20 Vgl. V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 32017, S. 57–61. Seit der zweiten Auflage habe ich den entsprechenden Abschnitt, der sich ganz auf Boehmer stützte, durch Hinweise auf die neueren Forschungen von H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii. Der ‚Staupitz-Streit‘ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507–1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 118 (2007), S. 1–44, relativiert. 21 B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 8). 22 S c h n e i d e r, Contentio (wie Anm. 20), S. 36. 23 Zum Verhältnis Luthers zu Staupitz und zu seiner Theologie vgl. auch ausführlich D. C. S t e i n m e t z, Luther and Staupitz. An Essay in the Intellectual Origins of the Protestant Reformation, Durham 1980; M. Wr i e dt, Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther, Mainz 1991 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte 141); B. H a m m, Johann von Staupitz (ca. 1468–1524) – spätmittelalterlicher Reformer und ‚Vater‘ der Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 92 (2001), S. 6–41; d e r s., Art. Staupitz, Johannes von, in: Theologische Realenzyklopädie 32 (2001), S. 119–127; V. Le p p i n, ‚Ich hab all mein ding von Doctor Staupitz‘. Johannes von Staupitz als Geistlicher Begleiter in Luthers reformatorischer Entwicklung, in: d e r s ., Transformationen (wie Anm. 2), S. 241–259. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu bedenken, dass Matthäus Ratzeberger die besondere Zuwendung von Staupitz zu Luther schon in dessen Erfurter Zeit datiert, vgl. Dokumente, hg. von S c h e e l (wie Anm. 1), S. 204 Nr. 536. 24 Martin Lu t h e r, Erfurter Annotationen 1509–1510/11, hg. von J. M a t s u u r a, Köln u. a. 2009 (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers 9), S. XLVIII–L.
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zu der in Luthers Erinnerung überwiegend haftenden²⁵ Datumsangabe 1510 für die Reise nach Rom. Die Schwierigkeiten Boehmers und Schneiders resultieren zu guten Teilen aus der Verbindung von Luthers Romreise mit Ordensangelegenheiten – vor dem Hintergrund seiner eigenen Erinnerungen aber lässt sich fragen, ob genau diese Verbindung zwingend ist. „Die Ordensangelegenheit spielt in seiner Erinnerung überhaupt keine Rolle“, hält Heiko Augustinus Oberman hierzu zu Recht fest.²⁶ Tatsächlich ist sie fest vor allem in der Lutherbiographik nach Luthers Tod. Berichterstatter wie Mathesius,²⁷ Paul Luther²⁸ oder Georg Mylius,²⁹ möglicherweise auch Johann Oldecop,³⁰ die allesamt die Verbindung der Romreise mit den Ordensgeschäften bezeugen, dürften hierbei von der Notiz Philipp Melanchthons abhängig sein. Dieser berichtet tatsächlich in seiner Vorrede zum zweiten Band der lateinischen Werke Luthers, dieser sei 1511 „propter Monachorum controversias“ nach Rom aufgebrochen.³¹ Freilich ist dies kein besonders gewichtiges Zeugnis. Wie schon Boehmer feststellte, handelt es sich bei dieser Vorrede um ein literarisches Kunstwerk, dessen biographische Angaben cum grano salis zu nehmen sind.³² Hierzu muss man nicht auf das sattsam bekannte Beispiel des Thesenanschlags verweisen, dessen Historizität jedenfalls umstritten ist,³³ sondern es reicht der unmittelbare Kontext des
25 WA.TR 5, Nr. 5344, 5347, 6059; so auch die Erinnerung von Oldecop (vgl. Dokumente, hg. von S c h e e l [wie Anm. 1], S. 205), Mathesius (ebd., S. 208) und Paul Luther (ebd., S. 210). In diesem Zusammenhang ist es auch bemerkenswert, dass in WA.TR 6, Nr. 7005, ausdrücklich 1511 als Jahr der Ankunft in Augsburg auf der Rückreise erwähnt wird. Das zeigt doch immerhin, dass die Vorstellung von einer Reise 1510 umfassend auch den entsprechenden Rückreisetermin implizierte. Freilich handelt es sich um die Aurifabersche Überlieferung, und insofern kann die korrekte Datumsangabe auch Produkt der vielfältigen Überarbeitung durch diesen Tradenten sein. Vgl. den Überblick zu den Jahresangaben bei B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 8), S. 1f., 7. 26 H. A. Ob e r m a n, Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, München 1986, S. 155. 27 Dokumente, hg. von S c h e e l (wie Anm. 1), S. 208 Nr. 538. Dass seine Berufung auf ein Autograph Luthers sich nicht auf den Reiseanlass beziehen muss, hat bereits B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 8), S. 3, dargelegt. 28 Dokumente, hg. von S c h e e l (wie Anm. 1), S. 210 Nr. 539. 29 Ebd., S. 212 Nr. 541. 30 Ebd., S. 203 Nr. 536. 31 Philippi M e l a n t h o n i s opera quae supersunt omnia, hg. von K. G. B r e t s c h n e i d e r (Corpus reformatorum 6), Halle 1839 (= CR 6), S. 160. 32 B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 8), S. 8; ähnlich skeptisch auch H. Vo l z, Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte, Weimar 1959, S. 36; H. B o r n k a m m, Thesen und Thesenanschlag Luthers, Berlin 1967, S. 24–28, versucht, die Zuverlässigkeit der Vorrede zu bestätigen, kann aber die oben angeführten Punkte nicht entkräften, wie seine ausführliche Fußnote S. 25 Anm. 78 zeigt. 33 Vgl. hierzu J. O t t / M. Tre u (Hg.), Faszination Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion, Leipzig 2008 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9). In meinem Beitrag in diesem Band (V. Le p p i n, Die Monumentalisierung Luthers. Warum vom Thesenanschlag erzählt wurde – und was davon zu erzählen ist, ebd., S. 69–92) versuche ich, alle angeführten Argumente systematisch nach
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Berichts zur Romfahrt: So wie Melanchthon die Dinge darstellt, erfährt der Leser jedenfalls nicht, dass Luther nach seinem Wechsel nach Wittenberg 1508 zwischenzeitlich wieder nach Erfurt zurückgekehrt ist,³⁴ und mit Blick auf die Vorlesungen ist die Angabe, Luther habe über die Physik und die Dialektik gelesen,³⁵ in dieser Form jedenfalls unzutreffend: Tatsächlich hat Luther über die Nikomachische Ethik gelesen, womöglich auch über die Dialektik³⁶ – eine Vorlesung über die Physik dürfte er wohl kaum gehalten haben.³⁷ Melanchthon ist also als Zeuge für ein so wichtiges Ereignis jedenfalls problematisch. Dies gilt umso mehr, als Luther selbst nach einem Bericht Anton Lauterbachs oder Hieronymus Wellers³⁸ im Jahre 1537 erklärt haben soll: „Principalis autem status meae profectionis in Romam fuit, das ich wolde eyne gantze beychte von jugent auf geschehen thuen vnd from werden, quamvis ego talem confessionem Erfordiae bis feceram“.³⁹ Schon der Editor der Tischreden in der Weimarer Ausgabe, Ernst Kroker, vermerkte im Jahr 1914, demselben Jahr, in dem Boehmers Buch über die Romfahrt erschien, zu dieser Tischrede: „es ist doch bedenklich, Luthers eigenes Zeugnis so bei Seite zu schieben, wie es in andern Büchern über Luthers Romreise geschehen ist“.⁴⁰ Auch wenn Kroker noch von einem Optimismus im Blick auf die Zuverlässigkeit von Erinnerungen geprägt ist, der nach dem oben Dargestellten für heutige Forscher kaum mehr möglich scheint, ist es doch wenigstens bemerkenswert, dass Luther hier den Eindruck erweckt, sein Anliegen, nach Rom zu reisen, sei von vorneherein spirituell orientiert gewesen. Es handelte sich hiernach nicht um eine Geschäftsreise in Ordensdingen, sondern um eine geistliche Buß- und Wallfahrt.⁴¹ Dem entspricht es,
ihrem argumentativen Gehalt zu sortieren und komme zu einem eher skeptischen Ergebnis, was die Historizität des Thesenanschlags angeht. 34 Vgl. M. B re c h t, Martin Luther, Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart ³1990, S. 98– 103; Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 20), S. 53–56. 35 CR 6, S. 160. 36 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930–1985 (= WA.B), hier Bd. 1, S. 17 Anm. 11; vgl. Kö s t l i n, Luther (wie Anm. 1), S. 85. 37 Vgl. E. I s e r l o h, Luthers Thesenanschlag – Tatsache oder Legende?, Wiesbaden 1962 (Institut für Europäische Geschichte. Vorträge 31), S. 24; darin stimmt auch B o r n k a m m, Thesen (wie Anm. 32), S. 26 Anm. 78, zu. 38 Zur Schwierigkeit, die einzelnen Stücke dem jeweiligen Tradenten zuzuordnen vgl. E. K r o ke r, in: WA.TR 3, S. XL. 39 WA.TR 3, Nr. 3582a (S. 431f.). 40 Ebd., S. 432 Anm. 1. Zu Recht verweist Kroker darauf, dass Kö s t l i n, Luther (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 92, diese Tischrede sehr positiv aufgegriffen hat. Auch B re c h t, Luther (wie Anm. 34), Bd. 1, S. 106, nimmt die Tischrede zwar auf, deutet die darin geäußerte Bußsehnsucht aber als Nebenaspekt der Reise. 41 B re c h t, Luther (wie Anm. 34), Bd. 1, S. 105, notiert: „Er kam u. a. auch als Wallfahrer nach Rom“ – das „u. a.“ wird man unter Umständen streichen können.
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dass auch die sonstigen Erinnerungsstücke aus dem Kontext der Romreise überwiegend religiöser Natur sind und von einer Auseinandersetzung um Ordensangelegenheiten nichts erahnen lassen. Freilich scheint es einen Beleg zu geben – und auf ihn hebt insbesondere Hans Schneider ab –, in dem Luther selbst die Ordensstreitigkeiten als Anlass seiner Romreise benennt: In einer Tischrede aus der Sammlung, die Konrad Cordatus zusammengestellt hat, findet sich für den Herbst 1532 folgende Notiz: „Anno octavo veni Wittembergam, nono Romam profectus sum causa contentionis Staupitii, 12. promotus sum in doctoratum“.⁴² Diese kurze autobiographische Notiz scheint also die contentio Staupitii, den Streit des Staupitz oder um Staupitz, klar als Grund für die Romreise zu benennen. Sonst gilt, was Martin Brecht lapidar festhält: „Er selbst berichtet von seinen eigentlichen Geschäften in Rom und deren Erfolg nichts“.⁴³ Selbst wenn man diese einzelne Notiz als eindeutigen Beleg werten mag, bleibt freilich die Schwierigkeit, dass man sie in einen gewissen Ausgleich mit der erwähnten Rückführung der Romreise auf ein Bußverlangen bringen müsste. Kroker hat hier zwar keinen Ausgleichsversuch unternommen, aber seine Mahnung, dass die eigene Rückführung der Romreise durch Luther auf die Motivation, Buße zu erlangen, nicht vergessen werden dürfe, behält ihr Recht. Dies gilt umso mehr, als die contentio-Notiz eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich bringt. Die offenkundigste liegt im Text selbst: Dass Luther „Anno … nono“ nach Rom aufgebrochen sei, wie es darin heißt, kann weder mit der Boehmerschen noch mit der Schneiderschen Deutung in Einklang gebracht werden, zumal hier – wie bei Melanchthon – der neuerliche Aufenthalt in Erfurt gänzlich übersprungen zu sein scheint. Wie immer man es wendet, so enthält diese Notiz also einen eindeutigen Fehler. Das überrascht nicht weiter, da Konrad Cordatus, wie übereinstimmend Ernst Kroker⁴⁴ und in jüngerer Zeit Helmar Junghans feststellen, ein ausgesprochen unzuverlässiger Tradent der Tischreden ist. Junghans fasst den Befund knapp zusammen: „Cordatus hat oft nur kurze Auszüge, wo längere Reden überliefert sind; er hat Daten, Namen und Zwischenreden von Tischgenossen weggelassen und einen anderen Wortlaut von Luthers Reden. Er verwendet andere Ausdrücke. Es unterlaufen ihm auch Mißverständnisse“.⁴⁵ Gute Zeugen würde man wohl anders charakterisieren. Die Schwierigkeit wird aber noch größer, wenn man bedenkt, dass diese in sich komplexe Schreibsituation für die zur Rede stehende Tischrede nur in einer dürftigen Handschriftenüberlieferung überkommen ist: Sie findet sich in einer heute
42 WA.TR 2, Nr. 2717. Auf diese verweist entsprechend – bis in die Überschrift seines Aufsatzes hinein – auch: S c h n e i d e r, Contentio (wie Anm. 20), bes. S. 1. 43 B re c h t, Luther (wie Anm. 34), Bd. 1, S. 106. 44 WA.TR 2, S. XXIIf. 45 Ju ngh a n s, Tischreden (wie Anm. 13), S. 168.
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in Beständen der Universität Clausthal-Zellerfeld aufbewahrten Handschrift aus der Sammlung des Zellerfelder Superintendenten und späteren Clausthaler Generalsuperintendenten Caspar Calvör.⁴⁶ Der Abschreiber dieses Manuskripts aber sagt von sich selbst, er habe so rasch abgeschrieben, dass er am Ende davon einen Schreibkrampf bekomme habe⁴⁷ – wie schon Kroker festgestellt hat, ist solch rasches Abschreiben wahrscheinlicherweise eine weitere Fehlerquelle.⁴⁸ Das ist im vorliegenden Zusammenhang besonders relevant, weil die contentio-Stelle von handschriftlichen Korrekturen geprägt ist: Nach „contentionis“ stand ursprünglich „Sat.“, wurde aber dann vom Schreiber der Handschrift selbst durchgestrichen.⁴⁹ Hierfür gibt es nun zwei Deutungsmöglichkeiten: − Der Abschreiber hat zunächst fehlerhaft abgeschrieben, dies dann korrigiert und im zweiten Anlauf die Vorlage korrekt wiedergegeben. Vermutlich ist dies die einfachste und wohl auch wahrscheinlichste Erklärung, denn das „Sat.“ lässt sich leicht aus einem Buchstabendreher von „a“ und „t“ bei dem Versuch, „Staupitii“ zu schreiben, erklären. − Der Abschreiber hat im ersten Anlauf die Vorlage korrekt abgeschrieben, das Ergebnis aber als unsinnig eingeschätzt und daher sinnvoll, das heißt: sinnverändernd korrigiert. Dann hätte man damit zu rechnen, dass die Vorlage die Formulierung „contentio Sat.“, wohl aufzulösen als: „contentio Satanae“⁵⁰ enthalten habe. Staupitz wäre dann erst durch den Abschreiber als ‚sinnvollere‘ Lösung hineingekommen, während der ursprüngliche Text in genau derselben Weise wie die erwähnte Tischrede von 1537 auf einen spirituellen Hintergrund der Romreise statt des administrativen Ordenszweckes verwiese. Für diese Deutung einer sekundären Staupitz-Einfügung spricht übrigens auch, dass beide Parallelen zu der contentio-Stelle ohne Erwähnung eben dieser contentio auskommen. Nach den – in allen Fällen durchaus noch zu überprüfenden – Datierungen handelt es sich zwar um scheinbare Parallelen, insofern sie auf 1537 bzw. 1543 datiert werden,⁵¹ aber die Entsprechung ist doch bemerkenswert:
46 Vgl. zu dieser Sammlung Conrad C o rd a t u s, Tagebuch über Dr. Martin Luther, 1537, hg. von H. Wr a m p e l m e ye r, Halle 1885, S. 3–5. 47 WA.TR 2, S. XXIX. 48 Ebd. 49 Ebd., S. 613 Anm. 9. Der Universitätsbibliothek Clausthal-Zellerfeld danke ich, dass sie mir eine Kopie der entsprechenden Seite zur Verfügung gestellt hat. Hiernach ist deutlich erkennbar, dass sich „Sat.“ im fortlaufenden Text befindet, also vom ersten Abschreiber selbst notiert und durchgestrichen worden ist. 50 Abkürzungen sind in der Zellerfelder Handschrift durchaus häufig, ihre Form ist gelegentlich ungewöhnlich, vgl. C o rd a t u s, Tagebuch, hg. von Wr a m p e l m e ye r (wie Anm. 46), S. 8. 51 Dies betont in einer Anmerkung zu WA.TR 2, Nr. 2717, auch E. Kroker, um hervorzuheben, dass es sich nicht um literarische Parallelüberlieferungen handelt.
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WA.TR 2, Nr. 2717 (1532)
„Anno octavo veni Wittembergam, nono Romam profectus sum causa contentionis Staupitii, 12. promotus sum in doctoratum.“
WA.TR 3, Nr. 3644c (1537)
Bindseil, Bd. 3, S. 174f.⁵² (1543)
„Anno 1505. Promovi titulo magisterii illoque anno ingressus sum monasterium. 8. veni Wittenbergam. 10. Romam profiscebar.
„Anno 1505 promotus sum in Magistrum, eoque anno ingressus sum monasterium. Octavo veni Wittebergam. Nono et decimo abii Romam.
12. in die Lucae promotus in Doctorem theologiae per Doctorem Andream Carlstadium.“
Anno 12 die Lucae promotus sum in Doctorem Theologiae per Dominum Andream Carolostadium.“
Der Befund ist nun in der Tat frappierend: Die erwähnten Ereignisse in allen drei Tischreden gehen für die Jahre 1508 bis 1512 parallel. Der Unterschied liegt in der Erwähnung des Staupitz in der Rede von 1532, der Karlstadts in den beiden anderen. Die Auffälligkeit wird noch dadurch verstärkt, dass die Überlieferung von 1543 dasselbe definitiv falsche neunte Jahr für die Romreise benennt. In diesem Befund liegt nun ein zweiter Grund, die Festigkeit der Staupitzsache als Anlass für die Romreise zu verunsichern: Die Erwähnung von Staupitz ist in WA 2, Nr. 2717, Sondergut gegenüber den parallelen Überlieferungen, und innerhalb der handschriftlichen Überlieferung eben dieser Handschrift ist es zudem durch die Streichung eines anderen Wortes sehr unsicher. Nimmt man hinzu, dass die auch in den Tischreden haftende⁵³ Erinnerung an die Romreise von Staupitz 1510⁵⁴ einen guten Grund dafür abgeben könnte, eine Romreise mit Staupitz zu verbinden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die contentio Staupitii nicht auf Luthers eigenes Worte, sondern auf eine Hinzufügung des unbekannten Abschreibers der Mitschriften des Cordatus zurückgeht. Es gibt gute Gründe, auch diese gesteigerte Wahrscheinlichkeit als im Ergebnis immer noch nicht hoch zu veranschlagen und daher diese zweite Lösung nicht affirmativ zu behaupten – sie ist mit zu viel Unsicherheiten belastet, als dass man dies zum jetzigen Zeitpunkt tun könnte. Aber die philologische Überlegung kann doch dazu dienen, zu verdeutlichen, wie unsicher der Beleg für eine Veranlassung der Reise durch eine contentio Staupitii ist. Um es zugespitzt zu sagen: Ausgerechnet an dem entscheidenden Punkt des Hinweises auf Staupitz weist eine ohnehin nicht
52 D. Martini Lu t h e r i Colloquia. Meditationes, consolationes, iudicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae, hg. von H. E. B i n d s e i l, Bd. 3, Lemgo 1866, S. 174f. 53 WA.TR 5, Nr. 6435. 54 Zu ihr: H a m m, Staupitz (wie Anm. 23), S. 120.
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sehr qualitätsvolle Überlieferung eine besondere Unsicherheit auf. Als Nachweis dafür, dass die Staupitz-Streitigkeiten der Beweggrund für die Romreise waren, ist die genannte Tischrede damit nicht sehr belastbar, sodass man auf die ihrerseits höchst unsichere Melanchthon-Überlieferung verwiesen wäre, von der wiederum die weiteren Hinweise auf Ordensstreitigkeiten als Anlass für die Romreise abhängen. Melanchthon wäre freilich – wie auch etwa im Falle des Thesenanschlags⁵⁵ – nicht zwingend Urheber dieser Information. Tatsächlich ist die contentio Staupitii-Notiz, auch wenn sie nach dem Dargelegten möglicherweise nicht auf Luther selbst zurückgeht, früher als Melanchthons Bemerkung. Da der erste Editor der Zellerfelder Handschrift, H. Wrampelmeyer, davon ausgeht, dass die Handschrift noch von Cordatus in Auftrag gegeben und 1537 erstellt wurde,⁵⁶ hätte man in ihr den frühesten Beleg für eine Verbindung der Romreise mit Ordensstreitigkeiten. Denn die kurze Notiz des Cochlaeus von 1524, die hierfür gelegentlich herangezogen wird, stellt einen Zusammenhang zwischen Luthers Romreise und den Ordensstreitigkeiten allenfalls assoziativ her: Luther sei nicht „pacis gratia“ nach Rom gereist, und zu jener Zeit habe es schwere Ordensstreitigkeiten gegeben⁵⁷ – dass diese Anlass von Luthers Romreise gewesen seien, wie Boehmer deutete,⁵⁸ sagt Cochlaeus gerade nicht ausdrücklich. Allenfalls handelt es sich hier um eine Insinuation in einem Kontext, in dem offenkundig Luther diffamiert werden soll, weil er von seinen Konventen zu Staupitz abgefallen sei – sie sind so viel Wert wie die Polemiken, die wenig später Georg von Sachsen diesbezüglich von sich gegeben hat.⁵⁹ Wie der genaue Zusammenhang mit der Romreise nach Ansicht des Cochlaeus gewesen sei, wird erst aus seinen Äußerungen von 1549 deutlich.⁶⁰ Damit bleibt die Zellerfelder Handschrift, in aller Vagheit ihrer Angaben, der früheste definitive Beleg, dass Luther we ge n der Ordensstreitigkeiten nach Rom gereist sei. Möglicherweise ist sie von Cochlaeus abhängig und hat seine Insinuation vereindeutigt. Aber definitiv findet sich die Angabe erst bei ihr. Diese kleine Schreiberkorrektur nun kö n n te ihrerseits Melanchthon bekannt gewesen sein und so den Ausgangspunkt für die mit Melanchthon offiziell einsetzende Tradition der Veranlassung der Romreise durch die Staupitz-Streitigkeiten sein – hierfür spräche nicht zuletzt die erwähnte Besonderheit, dass Melanchthon, wie die contentio-Notiz, die zwischenzeitliche Rückkehr Luthers nach Rom überspringt. Wenn man aber die
55 Vgl. zur etwas früheren Notiz Georg Rörers M. Tre u, Der Thesenanschlag fand wirklich statt. Ein neuer Beleg aus der Universitätsbibliothek Jena, in: Luther 78 (2007), S. 140–144; V. Le p p i n, Geburtswehen und Geburt einer Legende. Zu Rörers Notiz vom Thesenanschlag, ebd., S. 145–150. 56 C o rd a t u s, Tagebuch, hg. von Wr a m p e l m e ye r (wie Anm. 46), S. 13. 57 Zitiert bei B o e h m e r, Romfahrt (wie Anm. 8), S. 8: „Audivi autem crebrius nusquam satis pacifice vixisse eum, sed neque Romam, priusquam ulla de haeresi suspectus aut diffamatus esset, pacis gratia ivit. Quo tempore satis gravi discordia laborabatur in monasteriis ordinis ejus.“. 58 Ebd., S. 9. 59 Ebd., S. 10. 60 Ebd., S. 9.
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Genese so erklären kann, steht der Zusammenhang von Romreise und Ordensangelegenheiten auf außerordentlich schwachen Füßen, wäre möglicherweise auf die eifrige Verbesserung der Tischreden-Überlieferung durch einen frühen Abschreiber zurückzuführen, der dabei möglicherweise auch noch den Insinuationen des Johannes Cochlaeus aufgesessen ist. Wenn es nun tatsächlich keinen starken positiven Beleg dafür gibt, dass Luther in Ordensangelegenheiten nach Rom gereist ist, wird man die angesprochene spirituelle Motivation in neuer Weise ernst nehmen müssen. Wäre Luther nicht um des Ordens Willen, sondern als Bußwallfahrer nach Rom gereist, lösten sich eine Fülle von Schwierigkeiten: Man müsste nicht mit Boehmer davon ausgehen, dass Luther zunächst gegen Staupitz agitiert hätte, um dann im Laufe des Jahres 1511 zu ihm überzulaufen. Man wäre aber auch nicht wie Schneider in der Not, die Erinnerungsspuren für einen Reisebeginn 1510 zugunsten der anderen Datierung durch Melanchthon korrigieren zu müssen, und man hätte auch keine Mühe, den Abbruch der Sentenzenvorlesung erklären zu müssen, da Luther in der Tat ab 1510 von Erfurt abwesend gewesen wäre. Ja, man hätte auch keine Mühe damit, dass Luthers Erinnerungen an seine Romreise keine Spur von den administrativen Abzweckungen der Reise zeigen und vielmehr ganz und gar auf spirituelle Erfahrungen ausgerichtet sind. Denn genau das wäre dann der Anlass der Reise gewesen: eine spirituelle Bußhaltung. Diese allein mit der späteren Erinnerung zu begründen, wäre nach aller vorgetragenen Skepsis kaum zu vertreten. Bemerkenswert aber ist, dass eine solche spirituelle Motivation, und zwar genau die Ausrichtung auf Buße genau zu dem passt, was wir auch sonst über den jungen Luther wissen, also durch zeitgenössisch greifbare Informationen unterstützt wird. Während die Überprüfung an zeitgenössischen Quellen durch Hans Schneider im Falle der ordenspolitischen Motivation zu den beschriebenen Schwierigkeiten geführt hat, gibt es solche Widerstände im Falle einer Bußhaltung als Auslöser der Reise nicht: Für den jungen Luther standen offenkundig Demut und Buße im Mittelpunkt von Spiritualität und Theologie.⁶¹ Man sollte ja nicht vergessen, dass seine ersten Publikationen – sei es die Auslegung der sieben Bußpsalmen,⁶² sei es die Theologia deutsch⁶³ oder seien es auch die freilich nur cum grano salis als Publikation zu bezeichnenden Thesen gegen den Ablass vom 31. Oktober 1517⁶⁴ – ganz um die Problematik der Buße kreisten. Das war das Thema dieses
61 Zur Bedeutung des Bußverständnisses für den jungen Luther vgl. R. S c hw a r z, Vorgeschichte der reformatorischen Bußtheologie, Berlin 1968 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 41); Le p p i n, Aufnahme (wie Anm. 2). 62 WA 1, S. 158–220. 63 WA 1, S. 153. 64 Die Konjektur von B. M o e l l e r, Thesenanschläge, in: O t t / Tr e u, Faszination Thesenanschlag (wie Anm. 33), S. 9–31, es habe am 31. Oktober einen Wittenberger Plakatdruck gegeben, ist angesichts der
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jungen Mönchs – ungeachtet allen späteren Engagements auch in ordenspolitischen Fragen. Die Romreise erscheint in diesem Horizont weit weniger als Besonderheit. Sie steht in dem weiten Kontext spätmittelalterlicher Wallfahrten: die Bußreise eines Mönchs aus der Provinz in die weltliche und spirituelle Metropole Rom.
3 Luthers Romerfahrungen Mag man auf diese Weise durch den Schleier der Erinnerung hindurch etwas mehr Gewissheit über die Romreise des jungen Luther gewinnen können, so gilt für anderes, was er berichtet, dass Erinnerung und Realität kaum zu unterscheiden sind: vor allem hinsichtlich seiner inneren Erfahrungen. Ausgehend von dem Gedanken der Romreise als einer Bußreise allerdings (der spirituell auch dann Gültigkeit behält, wenn Luther doch aus Geschäftsgründen in Rom gewesen sein sollte, da jedenfalls nach den Erinnerungen ein Großteil seiner Aktivitäten in Rom spiritueller Natur war) ordnen sich die Erinnerungsstücke jedenfalls sinnvoll, denn sie behandeln entweder das heilige Rom oder gerade das in besonderer Weise unheilige Rom – in diesen Rahmen sind auch die Beschreibungen von besonderen Orten und Gegenständen einbezogen, die Luther überliefert. Sie sind nicht Erinnerungen eines kunstorientierten Reisenden an Sehenswürdigkeiten, sondern sie sind Teil eines Programms, das in schroffer Weise einstige Heiligkeit und gegenwärtigen Niedergang einander gegenüberstellt: „Roma, sanctissima olim civitas, nunc pessima facta est“,⁶⁵ heißt es 1539 im Rückblick. Wie oben schon angedeutet, war es vor allem die ‚Heiligkeit Roms‘, die Luther nach Rom lockte: Um ihretwillen konnte man nach Rom fahren und Buße tun, und so passt auch in den rekonstruierten Kontext der Reise aufs Beste, was Luther über seine Ankunft berichtet: „Anno 10. cum primum civitatem inspicerem, in terram prostratus dicebam: Salve, sancta Roma! Ja, vere sancta a sanctis martyribus, quorum sanguine madet, sed iam lacerata est.“⁶⁶ Analysiert man diese Aussage im Blick auf die implizierte Frömmigkeit, so erinnert sich Luther an seine eigene Reise jedenfalls
Quellenlage wohl als waghalsig anzusehen. Letztlich ist sie Ausdruck dessen, welche Schwierigkeiten moderne Forscher haben, sich die Selbstverständlichkeit handschriftlicher Vervielfältigung in der frühen Neuzeit vorzustellen, für die Luther selbst ein Zeuge ist; vgl. etwa WA.TR 4, Nr. 4446; WA.B 1, S. 135 –141; zur Auseinandersetzung mit Moeller vgl. Le p p i n, Monumentalisierung (wie Anm. 33), S. 86– 89. Dass Luthers Ablassthesen nach dem 31. Oktober 1517 vielfach – doch wohl handschriftlich – abgeschrieben wurden, berichtet auch Christoph S c h e u r l‚s Geschichtbuch der Christenheit von 1511 bis 1521, in: Jahrbücher des deutschen Reichs und der deutschen Kirche im Zeitalter der Reformation 1 (1872), S. 1–179, hier S. 123. 65 WA.TR 4, Nr. 4391. 66 WA.TR 5, Nr. 6059.
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in der Weise, dass er seinerzeit an einer Form der gängigen spätmittelalterlichen Repräsentationsfrömmigkeit⁶⁷ partizipierte, die es möglich machte, dass die personale Heiligkeit, wie sie durch die Christusrepräsentanz in den Märtyrern gegeben war, sich auf einen Ort übertrug. Selbstverständlich ist auch an dieser Stelle der quellenkritische Vorbehalt zu bedenken, dass Luther hier aus der Erinnerung spricht, also seine frühere Vorstellungswelt sekundär interpretiert. Anders gesagt: Es ist denkbar – und wie der Blick auf die Konvertitenliteratur zeigt, durchaus wahrscheinlich –, dass Luther seine frühere Vorstellungswelt verzerrt wiedergibt. Dass dieser skeptischen Vorannahme an dieser Stelle nicht gefolgt werden muss, zeigt freilich ein Abgleich mit anderen rekonstruierbaren Momenten der Romreise. In der Tat ist es möglich, einen Zusammenhang mit der erinnerten Begründung der Heiligkeit Roms – der großen Anzahl der Märtyrer – und Luthers bevorzugten Orten in Rom herzustellen: Er erwähnt nicht nur allgemein, dass er in Rom „durch alle kirchen und klufften“⁶⁸ geeilt sei, sondern erwähnt immer wieder ausdrücklich die Calixtuskatakomben.⁶⁹ Wichtig waren ihm die Katakomben, so die wiederholte Erinnerung, vor allem als Mahnmal der Bestattung unzähliger Märtyrer. Das Bemerkenswerte an dieser Korrelation ist, dass die Erinnerung an die Katakomben in der Regel nicht in ausdrücklich legitimatorischen Zusammenhängen erscheint, sondern als relativ freie Erinnerung. Das spricht für eine recht hohe Authentizität. Ohnehin kann an der Tatsache, dass Luther die Katakomben besichtigt hat, kein Zweifel bestehen: Dies belegt die Konkretheit der Erinnerungen, etwa an die Gegenwart von Franziskanern bei den Katakomben.⁷⁰ So kann man durchaus den Gesamtzusammenhang der Reise so rekonstruieren, dass Luther als junger Mönch auf der Suche nach durch Märtyrerblut geheiligten Stätten – auch dem Kolosseum⁷¹ – war und folglich tatsächlich das Konzept, das ihn Rom als heilige Stadt anerkennen ließ, eben jene spezifische Form von Repräsentationsfrömmigkeit war, die aus der Übertragung personaler Heiligkeit auf eine Stadt resultierte. Mit der besonderen Heiligkeit verband sich allerdings in seinen Augen auch eine besondere Gefährdung – so wie Jerusalem war in seinen Augen in der Rückschau auch Rom Beispiel dafür, dass Gott die heiligsten und erhabensten Städte vernichten kann. Untermalt hat er dies durch seine Berichte von der Unheiligkeit Roms. Während der eben vorgetragene Gedankengang dazu helfen konnte, jene Frömmigkeitshaltung
67 Zum Begriff vgl. V. Le p p i n, Repräsentationsfrömmigkeit. Vergegenwärtigung des Heiligen in der Frömmigkeit des späten Mittelalters und ihre Transformation in der Wittenberger Reformation, in: d e r s., Transformationen (wie Anm. 2), S. 109–125. 68 WA 31,1, S. 226,10. 69 WA.TR 2, Nr. 2709b; 3, Nr. 3479a; 5, Nr. 6447; zu ihnen J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 2010, S. 129. 70 WA.TR 5, Nr. 6463. 71 WA.TR 3, Nr. 3479.
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zu rekonstruieren, aufgrund deren Rom ihm als heilige Stadt erschien, werfen die Aussagen zur Unheiligkeit Roms besondere Fragen auf, weil sie im legitimatorischen Zusammenhang stehen: Der reformatorisch gewordene Theologe will nun mit seinen früheren Erfahrungen belegen, dass er sich zu Recht von Rom abgewandt hat. Im Nachhinein kann er sagen, dass er 1510 Rom als das „caput scelerum“ und die „sedes Diaboli“ besucht habe.⁷² Seine Wahrnehmung von 1510 selbst dürfte eine andere gewesen sein. Das bedeutet nicht, dass seine späten Erinnerungen gänzlich falsch sind, wohl aber, dass sie einer besonders sorgfältigen Interpretation im Blick darauf bedürfen, inwieweit in ihnen sekundäre Wertungen eingegangen sein können, die den Erinnerungsgehalt mitgeformt haben. So wie die Erinnerungen an die Heiligkeit Roms Anhalt an realen Orten haben, gilt dies in gewisser Weise auch für seine Unheiligkeit: Luther ist einer der Zeugen, die von der Statue der Päpstin Johanna⁷³ berichten.⁷⁴ In den Tischreden nutzt er dies freilich kaum zu einer umfassenden Kritik an den Päpsten,⁷⁵ und auch für seine Vergangenheit beansprucht er nicht, dass ihn die Konfrontation mit diesem Standbild und der damit verbundenen Legende besonders beeindruckt habe. Gerade das klassische Arsenal der Papstpolemik erscheint hier in den Erinnerungen merkwürdig blass. Bei anderen römischen Gegenständen – der vera ikon, für Luther noch unpersonalisiert die Veronica,⁷⁶ und den falschen Häuptern des Petrus und Paulus⁷⁷ – gehen Polemik gegen falsche Reliquien und Rede von realen Gegenständen so ineinander, dass schwer zu entscheiden ist, inwiefern sich hierin auch tatsächliche Erinnerungen verdichten. Deutlicheres Erinnerungsstück ist die Konfrontation zwischen antikem Glanz und gegenwärtigem Rom: Rom ist geradezu „cadaver priorum monumentorum“.⁷⁸ Der ruinöse Zustand der antiken Monumente also wird zu einem Beispiel für den Niedergang der Stadt. Dabei ist das Verhältnis zwischen Antike und Gegenwart auch in diesen Berichten höchst ambivalent: Das Pantheon als christuslose Götterversammlung ist ihm Beispiel für das antike Rom – und Vorbild der Päpste, die ihrerseits Christus
72 WA.TR 5, Nr. 5344. 73 Hierzu J. J. I. vo n D ö l l i nge r, Die Papst-Fabeln des Mittelalters. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte, München 1863, S. 27–30; K. He r b e r s / M. Ke r n e r, Die Päpstin Johanna. Biographie einer Legende, Köln 2010, S. 23–25; K r üge r / Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 69), S. 40–43; vgl. insgesamt zu der Wirkungsgeschichte E. G ö s s m a n n, Mulier Papa. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna, München 1994 (Archiv für philosophiegeschichtliche und theologiegeschichtliche Frauenforschung 5), zu Luther ebd., S. 110. 74 WA.TR 5, Nr. 6447, 6452 75 Auffällig ist es, dass es Aurifaber offenbar für nötig hielt, die knappen Äußerungen Luthers zur Päpstin Johanna ausführlicher zu erläutern (ebd., Nr. 6447). 76 WA.TR 4, Nr. 4829. 77 WA.TR 5, Nr. 5844. 78 WA.TR 3, Nr. 3700.
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vertreiben.⁷⁹ Auffällig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass noch der kritische Bericht die Faszination erkennen lässt, die das großartige Bauwerk in Luther hervorrief: „Romae est templum quid vidi: Est sine fenstris, oben hatt es ein rund loch, ein gewelbe, ist hoch, hat nur marmelsteiner pfeiler, die vnser zwen schwerlich vmbgreifen konnen; an dem gewelbe oben sein alle die götter gemalt: Iuppiter, Neptunus, Mars, Venus, wie sie nun geheissen haben.“⁸⁰ Wichtiger als die Begegnung mit den Gebäuden des alten Rom war für Luther freilich auch in negativer Hinsicht die spirituelle Erfahrung. So wie bei seinen Begegnungen mit Gebäuden die Katakomben im Vordergrund standen, sind es in dieser Hinsicht die Begegnungen mit der Profanierung der Messe, von denen er immer wieder berichtet. Man sollte dabei nicht vergessen, dass Luther erst drei Jahre zuvor zum Priester geweiht worden war⁸¹ und im Zusammenhang seiner Primiz – jedenfalls nach den späteren Berichten – tiefgreifende Erschütterungen erfahren hatte.⁸² Als noch vergleichsweise junger Priester kam er nun nach Rom und erlebte eine priesterliche Kultur, in der die Eucharistie nicht allein Gegenstand geistlicher Erbauung, sondern weltlichen Geschäfts und zynischen Spotts war. Jahre später berichtete er spürbar verstört: „Da horte ich vnter andern groben grumpen vber den tisch dj chartusanen lachen vnd rhumen, wie etliche messe hielten vnd vber den brod vnd wein sprechen: Panis es et panis manebis, vnd also auffgehoben.“⁸³ Die Leugnung der Transsubstantiation im Vollzug der Wandlung – und dies erzählt von römischen Höflingen: Da verdichtet sich alles, was negativ über Rom zu sagen ist. Freilich wird hier auch wiederum deutlich, dass der reale Gehalt der Erzählung nur mit Vorsicht anzunehmen ist. Es handelt sich um eine ferne Erinnerung, in der Dritte berichten, was Luther über die Erzählung anderer erinnerte. Diese Tischrede mag so vornehmlich dazu dienen, deutlich zu machen, welche Vorstellungen von Rom Luther sich viel später machte. Die Profanierung der Messe ist freilich in vielen seiner Erinnerungen an Rom fest verankert. Dabei drücken Luthers Erzählungen zum einen aus, dass offenbar gerade die Feier der Messe zu den spirituellen Höhepunkten einer Pilgerfahrt gehörte: Für den Moment der Wandlung, die praesentia, eilten die Massen zusammen,⁸⁴ doch erfüllte die Akteure, die Priester, dabei nicht jener heilige Schauer, der Luther bei seiner Primiz angesichts der Berührung mit Christus selbst nach seiner Erinnerung durchfahren hatte. Den Priestern, die er erlebte, oder vielmehr:
79 WA.TR 5, Nr. 5515. 80 Ebd.; vgl., in schlechterer Überlieferung, WA.TR 1, Nr. 507 S. 231. 81 G. B u c hw a l d, Wann hat Luther die Priesterweihe empfangen?, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 37 (1918), S. 215f. 82 Hierzu Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 20), Nr. 48–52. 83 WA.TR 3, Nr. 3428. 84 WA.TR 6, Nr. 6463.
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den Priestern, an die er sich erinnerte, ging es nicht um Opfer oder Sakrament, sondern nur um Geld,⁸⁵ das sie von den Gläubigen nahmen. So kam es sogar zu einer Situation, von der er zweimal berichtete: dass zwei Priester gleichzeitig am selben Altar zelebrierten.⁸⁶ Luther hält diesem geldgierigen Verhalten noch in seiner Erinnerung seine eigene Haltung entgegen: „Man spott nur simpliciter vnser, das wir so from munch waren, vnd hilten einen christen nur fur einen narrn. Ich weis, das ir wol 6 oder 7 meß hielten, ehe ich eine; sie namen gelt darumb, ich aber keines.“⁸⁷ Der Spott auf der einen Seite, die innerliche Frömmigkeit auf der anderen: In dieser kurzen Notiz wird deutlich, dass die spätmittelalterliche Frömmigkeitswelt noch in der zugespitzten Form, in der Luther von ihr berichtet, komplexer ist, als es einfache Schemata erfassen können. Einfache Schemata von einem Niedergang im späten Mittelalter⁸⁸ mögen durch die Berichte über geldgierige Priester Nahrung bekommen – sie treffen die Gesamtsituation kaum, denn auch wenn die Zuspitzungen, die die Schilderungen der römischen Renaissancepriester aufweisen, Züge der späteren reformatorischen Kritik tragen: Das Gegenbild, das Luther entwirft, gehört ja nicht der reformatorischen Welt an, sondern der Welt des späten Mittelalters. Der fromme Mönch ist ja eben noch kein evangelischer Theologe, sondern er gehört zu der Frömmigkeitskultur, wie sie sich vor der Reformation entfaltet hatte. Wenn man also die Situation Luthers in Rom in einer Weise rekonstruieren will, die zu dem passt, was wir auch sonst über die Frömmigkeitswelt des jungen Luther wissen, so erlebte er die für das späte Mittelalter typischen polaren Spannungen der Frömmigkeitswelt in besonderer Heftigkeit. Nicht nur in seinen Berichten, sondern in vielen Kontexten lässt sich beobachten, dass es im späten Mittelalter gleichzeitig Ausdrucksformen verstärkter veräußerlichender Frömmigkeit und verinnerlichender Intensivierung gab.⁸⁹ Luther verortet sich selbst in der Erinnerung auf der Seite der verinnerlichenden Frömmigkeit,
85 WA.TR 5, Nr. 5484, 6036. 86 Ebd., Nr. 6063, 6463. 87 Ebd., Nr. 5484. 88 Maßgeblich: J. Lo r t z, Die Reformation in Deutschland, Freiburg 1939/40, mit zahlreichen späteren Auflagen; E. I s e r l o h, Martin Luther und der Aufbruch der Reformation (1517–1525), in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 4, Freiburg u. a. 1967, Nr. 3–114, bes. Nr. 3–10. Die Deutung von Moeller, das späte Mittelalter sei besonders fromm gewesen (B. M o e l l e r, Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: d e r s., Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. von J. S c h i l l i n g, Göttingen 1991, S. 73–85, hier S. 74; d e r s., Spätmittelalter, Göttingen 1966 [Die Kirche in ihrer Geschichte 21, S. 40), stellt nur die ebenso einseitige Umkehr dieser einseitigen Deutungen dar. 89 Vgl. V. Le p p i n, Von der Polarität zur Vereindeutigung. Zu den Wandlungen in Kirche und Frömmigkeit zwischen spätem Mittelalter und Reformation, in: G. L i t z / H. M u n z e r t / R. L i e b e n b e rg (Hg.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European Church History. FS Berndt Hamm, Leiden-Boston 2005 (Studies in the History of Christian Traditions 124), S. 299–315; d e r s., Frömmigkeit im späten Mittelalter, in: T. Kau f m a n n / R. Ko t t j e (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 2, Darmstadt 2008, S. 192–215, hier S. 197–209.
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und dies passt zu allem, was wir sonst über seine spirituelle Entwicklung wissen – nicht zuletzt gehören seine eigenen Schwierigkeiten mit der Primiz in diesen Zusammenhang. Hält man sich dies vor Augen, so wird man gegenüber bestimmten Erinnerungsstücken zumindest eine gewisse Skepsis anbringen müssen. Wiederholt berichtet er von seinem eigenen Bemühen, Verwandte aus dem Fegefeuer zu erlösen. Besonders polemisch spitzte er dies 1530 in seiner Auslegung des 117. Psalms zu: „und war mir dazumal schir leid, das mein vater und mutter noch lebeten, Denn ich hette sie gern aus dem fegfeuer erlöset mit meinen Messen und ander mehr trefflichen wercken und gebeten.“⁹⁰ Biographisch ist an diesem Text zunächst bemerkenswert, dass er wohl im Juli 1530 entstanden ist,⁹¹ also wenige Wochen, nachdem Luther vom Tod seines Vaters erfahren hatte: In einem Schreiben vom 5. Juni hatte er Melanchthon berichtet, dass er eben diese Nachricht erhalten hatte.⁹² Die Äußerung über den einst erhofften Tod des Vaters steht also durchaus noch im Kontext der Verarbeitung des tatsächlichen Todes und mag sich zu Teilen auch diesem aktuellen Horizont verdanken. Das gilt erst recht angesichts der Tatsache, dass es noch ein weiteres, deutlich später, 1545 entstandenes Erinnerungsstück mit dem Wunsch der Erlösung aus dem Purgatorium gibt: „Sic Romae wolt meum Avum ex purgatorio erlosen, gieng die Treppen hinauff Pilati, orabam quolibet gradu pater noster. Erat enim persuasio, qui sic oraret, redimeret animam. Sed in fastigium veniens cogitabam: quis scit, an sit verum.“⁹³ Luther also, so erinnert er sich, habe selbst die Scala Santa beschritten,⁹⁴ habe selbst an dem werkgerechten Ablassglauben partizipiert. Man wird diese Schilderung nicht ausschließen können, zumal es für das späte Mittelalter durchaus belegt ist, dass die Spannung zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitsformen sich auch in einer Person wiederfindet.⁹⁵ Dominant dürfte diese Haltung jedenfalls nicht gewesen sein. Freilich passt die Erinnerung wenigstens insoweit, als auch sie bestätigt, dass der Romreisende Luther vornehmlich mit spirituellen Anliegen in der Ewigen Stadt war. Seine Erinnerungsstücke liegen unter einem Schleier, der nur schwer zu heben ist. Aber sie lassen doch ein Detail der Frömmigkeitswelt des späten Mittelalters erkennen: Einen frommen Mönch, der aus Deutschland die weite Pilgerreise nach Rom unternahm, um dort eine Lebensbuße zu absolvieren, die er in Erfurt nicht
90 WA 31,1, S. 226,12–14. 91 Ebd., S. 219. 92 WA.B 5, S. 351,20f. 93 WA 51, S. 89,20–23. 94 Als Scala Santa galt die Treppe seit Mitte des 15. Jahrhunderts, vgl. K r üge r / Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 69), S. 122. 95 Besonders deutlich bei einem unter ganz anderen Umständen in Rom anwesenden Deutschen: Nikolaus von Kues; hierzu V. Le p p i n, ‚Cusa ist hie auch ein Lutheraner‘? Theologie und Reform bei Nikolaus von Kues in: d e r s., Transformationen (wie Anm. 2), S. 211–240.
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zureichend erfahren hatte. Zu einer plötzlichen Bekehrung, einer Abwendung von der alten Kirche führte diese Reise nicht. Aber angesichts der späteren Entwicklung wird man doch sagen können: Auch in Rom fand er nicht, was er suchte.
4 Zusammenfassung Die Erinnerungen Luthers an seine Romreise liegen unter einem „Schleier der Erinnerung“ verborgen (J. Fried): Es sind Erinnerungen eines Konvertierten an die frühere, nun abgelehnte Phase seines Lebens. Bei aller Schwierigkeit der Deutung lässt sich aus ihnen aber ableiten, dass Luther in Rom primär spirituelle Erfahrungen gemacht hat, die insgesamt ambivalent waren: Er erfuhr die intensive Nähe der Heiligen und Märtyrer, aber auch die äußerliche Renaissance-Frömmigkeit, die ihm fremd waren. Insgesamt ist seine Romreise als intensive Konfrontation zwischen einem spätmittelalterlichen innerlichen Frömmigkeitstypus und veräußerlichter Frömmigkeit zu verstehen.
| II Rom als urbanes Zentrum
Arnold Esch
Luthers römische Nachbarschaft Campo Marzio, das Viertel zwischen den beiden Augustinerkonventen Luther in Rom. Über dieses große Thema ist viel geforscht und gemutmaßt worden.¹ Hier sei – bescheidener, aber präziser – einmal seine engere römische Nachbarschaft in den Blick genommen: das Stadtviertel, das Luther regelmäßig durchquert und gesehen hat, der rione Campo Marzio mit dem Grenzsaum zu den (gegen Stadtzentrum und Vatikan anschließenden) rioni Ponte, Parione und Sant’Eustachio. Denn die beiden Augustinerkonvente lagen am einen und am anderen Ende dieses Viertels (die nördliche Mauer des Konvents von S. Agostino berührt die Südgrenze des rione Campo Marzio, die nördliche Mauer von S. Maria del Popolo seine Nordgrenze), und insofern ist es für unsere Fragestellung auch gleichgültig, ob Luther im Konvent bei S. Maria del Popolo wohnte (wovon ich wegen der Kongregation ausgehe) oder bei S. Agostino.² Was immer er davon wahrgenommen hat: dies war sein Viertel. Dass er, in den wenigen Wochen des Spätherbstes 1510 oder 1511, auch andere Viertel Roms durchstreift und vieles wahrgenommen hat, ist keine Frage:³ Kolosseum, Diokletiansthermen, Pantheon, Kapitol, Campo dei Fiori, Katakomben werden ausdrücklich von ihm genannt. Wie solch ein Augustinereremit damals durch Rom wanderte, zeigt der Fall von Nikolaus Besler 1507 in seinen topographischen Notizen, buchstäblich Schritt für Schritt von S. Maria del Popolo aus: „zur Engelsburg 2.400 Schritt“, „nach S. Agostino 1.500 Schritt“, „zur Fugger-Bank 2.300 Schritt“ und ähnlich dürre Angaben.⁴ Bei Luther hingegen fallen die ungewöhnlich plastischen Ausdrücke auf: dass man im Kolosseum „schichtig“ sitze; dass man in den Katakom-
1 Die wichtigsten Titel im Beitrag von H. S c h n e i d e r, Luthers Romreise (in diesem Band); ebd. zur Datierung der Reise. 2 Zu dieser Frage vgl. die ebd. zusammengestellten Argumente. Die (späten und nicht expliziten) Argumente für S. Agostino überzeugen mich nicht. 3 Zu Luthers Orten in Rom zuletzt J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 2010. Zum Datum der Reise (1510, nach Schneider 1511), siehe S c h n e i d e r, Luthers Romreise (wie Anm. 1). 4 H. S c h n e i d e r, Ein Franke in Rom. Römische Wanderungen des Nürnberger Augustinereremiten Nikolaus Besler im Jahre 1507, in: F. S c h o e n e m a n n (Hg.), Prüft alles, und das Gute behaltet! Zum Wechselspiel von Kirchen, Religionen und säkularer Welt. Festschrift für Hans-Martin Barth zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. 2004, S. 239–270. DOI 10.1515/9783110316117-006
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ben „schränkicht“ bestattet sei.⁵ Ganz auszuschließen ist natürlich nicht, dass ihm das ein Rom-Reisender erst später vor Augen gestellt hat; doch sprechen „schichtig“ und „schränkicht“ eher für Autopsie. Das lag ja auch nahe, der Besuch des Kolosseums wurde von Rom-Touristen geradezu erwartet – wie in diesem Spottlied, das sich damals über den teutonischen Rom-Eifer lustig machte und die deutsche Aussprache des Italienischen karikierte: „Noi afeme in Roma sancta / Cholise e tutt fetut“, also etwa: „Wir hapen im heiligen Rom / Kholosseum und alls khesehen“!⁶ Aber beim rione Campo Marzio, wo nichts „schichtig“ und nichts „schränkicht“ und überhaupt Besonderes nicht zu sehen war außer Alltag, können wir sicher sein, dass er ihn fast täglich gesehen hat. Und so soll dieser rione uns nicht zu bescheiden sein, dass wir nicht auch ihn einmal in den Blick nehmen. Auch Ablässe waren hier wenig zu holen:⁷ In Wittenberg gab es damals, dank der Sammelleidenschaft Friedrichs des Weisen, gewiss mehr Reliquien und Ablässe als im gesamten rione Campo Marzio. Also einmal nicht, was Luther in Rom gesehen haben könnte, sondern was er in diesem Viertel gesehen haben muss. Ein Bild dieses seines Viertels sei aus den zeitgenössischen Quellen gegeben: die soziale und landsmannschaftliche Zusammensetzung des rione Campo Marzio, die neuen Baustellen und die zunehmende Siedlungsdichte, Charakter und Dynamik des Viertels in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts. Wir wollen Luther dabei nicht vorrechnen, was er an neuen Renaissance-Kirchen und Renaissance-Palästen hätte sehen und erwähnen müssen. Wie verzweifelt wenig das ist und wie selektiv, ersieht man schon daran, dass Luther – obwohl doch der Peterskirchenablass das auslösende Moment war und drei Mal in den 95 Thesen genannt wird – in seinen überlieferten Erinnerungen an Rom gleichwohl nie von seinem Erlebnis spricht, diese Peterskirche damals halb zerstört und halb gebaut gesehen zu haben: Was hätte er aus diesem seltsamen Anblick⁸ polemisch herausholen können! Man frage sich aber auch, was man denn von ihm erwarte, dass er über das Rom der Renaissance gesagt haben sollte. Dass es nicht die Gotik von daheim war und dass die Fassaden noch ganz hell und frisch waren, das wird er wohl gemerkt ha-
5 Martin Lu t h e r, Ausgewählte Werke, Bd. 8: Tischreden, hg. von H. H. B o r c h e r d t, München 1925, S. 19, 21. Vgl. A. E s c h, Antiken-Wahrnehmung in Reiseberichten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, in: R. B ab e l / W. P a r av i c i n i (Hg.), Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Ostfildern 2005 (Beihefte der Francia 60), S. 115–127, hier S. 127. 6 Zitiert nach J. J. G a l lu cc i (Hg.), Florentine Festival Music 1480–1520, Madison WI 1981 (Recent researches in the music of the Renaissance 40), S. 100. Dargeboten anlässlich dieser Tagung vom Ensemble Concerto Romano. 7 Römisches Ablass- und Reliquienverzeichnis in N. R. M i e d e m a, Die römischen Kirchen im Spätmittelalter nach den ‚Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae‘, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 97), mit topographischem Register S. 877ff. (viel in S. Maria del Popolo, S. 649–657). 8 Für diese Jahre rekonstruiert von H. W. Hu b e r t in diesem Tagungsband.
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ben. Aber was teilt man mit? Es gibt in Schweizer Archiven eine Menge von Briefen, geschrieben aus der Lombardei während der Mailänderkriege, also aus den gleichen Jahren wie Luthers Italienreise: Briefe geschrieben von Söldnerführern, patrizischen Offizieren, die sehr wohl einen Palast von einem Wohnhaus unterscheiden konnten. Man glaube nicht, dass die geschrieben hätten: „Ich habe hier im eroberten Mailand eine großartige neue Kirche mit Kuppel gesehen“ (Bramantes S. Maria delle Grazie), oder: „ein wunderbares neues Bild gesehen, wie Jesus ein letztes Mal mit seinen Jüngern isst“ (Leonardo da Vincis Abendmahl, auch das damals gerade gemalt). Die haben ganz anderes im Sinn: sie sehen das, was sie im Kopf haben! Und so auch Luther. Architektur mit ungeschultem Auge wahrzunehmen und mit ungeübtem Munde zu beschreiben, ist eine eigene Sache, und unter den zahlreichen Pilgerreiseberichten der Zeit fallen die wenigen Autoren geradezu auf, die über „Die Kirche ist schön“, „Die Kirche ist größer als unsere Pfarrkirche“ hinauskommen.⁹ Wer damals die Stadt durch die – noch ganz ungestalte – Porta del Popolo (siehe Plan 2, Nr. 1) betrat oder gar im Konvent von S. Maria del Popolo wohnte (Nr. 2) und seinen Blick auf die Stadt richtete, sah zunächst nur Gärten und Weinberge.¹⁰ Gärten und Weinberge also nicht nur gleich vor den Mauern zwischen der Via Flaminia und dem Tiber,¹¹ sondern ein breiter Gürtel von Gärten und Weinbergen, der sich quer vom Tiber um den Konvent herum (der ja vor Valadiers Platzgestaltung weit gegen das Stadtinnere ragte) den Hang des Pincio hinaufzog: gleich vorn die in den Urkunden des Konvents vielgenannte „Vigna del Trullo“, aus der ein römisches Grabmonument von eigentümlicher Gestalt,¹² eben der „Trullo“ (Nr. 4), herausragte.¹³ Auch dahinter
9 Soldatenbriefe aus Oberitalien: A. E s c h, Mit Schweizer Söldnern auf dem Marsch nach Italien. Das Erlebnis der Mailänderkriege 1510–1515 nach bernischen Akten, in: d e r s ., Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Bern 1998, S. 249– 328, hier S. 282ff.; Beschreibungen von Kirchen in Pilgerberichten: d e r s ., Anschauung und Begriff. Die Bewältigung fremder Wirklichkeit durch den Vergleich in Reiseberichten des späten Mittelalters, in: Historische Zeitschrift 253 (1991), S. 281–312, hier S. 297ff. 10 Ob Luther die Stadt über Via Cassia / Via Trionfale / Monte Mario oder über Via Flaminia / Ponte Milvio betrat, spielt hier keine Rolle: es geht um den rione. Zu Kirche und Konvent E. B e n t ivo g l i o / S. Va lt i e r i, S. Maria del Popolo, Roma 1976; I. M i a re l l i M a r i a n i / M. R i c c h i e l l o (Hg.), Santa Maria del Popolo. Storia e restauri, Roma 2009; L. Fi n o cc h i G h e r s i, I cantieri sistini di Santa Maria del Popolo e Sant’Agostino a Roma, in: C. Fro va / R. M i c h e t t i / D. P a l o m b i (Hg.), La carriera di un uomo di curia nella Roma del Quattrocento. Ambrogio Massari da Cori, agostiniano. Cultura umanistica e committenza artistica, Roma 2008, S. 173–181. Der Neubau der Kirche folgte gleich auf die Übergabe des Konvents durch Sixtus IV. an die junge lombardische Reformkongregation 1472(–1477). Zu den beiden Augustinerkonventen siehe auch A. E s p o s i to in diesem Tagungsband. 11 Wie zahlreiche Urkunden auch dieser Jahre zeigen, etwa: Roma, Archivio di Stato (= ASR), Collegio dei Notai Capitolini (= CNC), vol. 60, fol. 294r, 374r, 557r (1511). 12 Mit „trullo“ bezeichnete man im Mittelalter hier oft antike Grabmäler von besonderer Gestalt, etwa mit rundem Grundriss evtl. auf quadratischem Sockel oder konischem Aufbau; als „meta“ auf Plan 1. 13 P. Ad i n o l f i, Roma nell’età di mezzo. Rione Campo Marzo, rione S. Eustachio, Roma 1881 (Ndr. Firenze 1983), S. 25f. Die Notarsinstrumente zur „Vigna del Trullo“ im Besitz von S. Agostino bzw. S. Ma-
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ging es zunächst recht ländlich weiter, wie anhand der Grundstücksbeschreibungen noch zu zeigen sein wird: zwischen dem Grün der Gärten und „Vignen“ das Spital von S. Giacomo (Nr. 9) und einige antike Ruinen wie der – stets als „Monte“ bezeichnete – gewaltige Schutthügel des Augustus-Mausoleums (Nr. 10). Dann gegen den kleinen Tiberhafen erste bescheidene Häuser von Barkenführern und Hafenarbeitern. Aber das begann eigentlich erst dort an der Ripetta. Wer an der Porta del Popolo stand und gegen das Kapitol blickte, konnte sich wirklich fragen, wo denn hier die Stadt sei! Man muss sich die Situation von hier aus einmal vorstellen: vor sich diese seltsame Stadt, die (anders als jede unterwegs gesehene Stadt) nicht einen, sondern zwei Mittelpunkte hatte, Kapitol und Vatikan, die damals auch noch beide am Rande des Wohngebiets lagen; und obendrein noch einen dritten Mittelpunkt, die Kathedrale (S. Giovanni in Laterano mit der Scala Santa), die sogar ganz außerhalb des geschlossenen Siedlungsgewebes lag. Das musste erst recht auffallen, wenn man selbst in einem entfernten und damals noch wenig besiedelten Viertel Quartier genommen hatte. Aber mochte S. Maria del Popolo auch recht entlegen wirken und noch wenig umbaut sein, so hieß das doch nicht, dass hier nichts los gewesen wäre. Im Gegenteil. Da die meisten hohen Besucher von Norden kamen und spätestens an der Porta del Popolo feierlich eingeholt werden mussten, sah dieses Tor pompöse Einritte mehr als jedes andere römische Stadttor: Könige, Fürsten, nach Rom zurückkehrende Kardinäle. Die Aufwertung, die die Kirche jüngst durch Sixtus IV. erfahren hatte, machte sie zur Grablege ranghöchster Prälaten und Nepoten: Als Lebende mochten sie hier nicht wohnen, als Tote kannten sie keinen besseren Platz. Aber das sollte sich bald ändern. Der ländliche Charakter des rione Campo Marzio ging zunehmend verloren, aus den Gärten und Weinbergen wurde Baugrund. Das lässt sich im Laufe des 16. Jahrhunderts gut anhand der ersten Stadtpläne verfolgen: 1551, auf dem Bufalini-Plan (siehe Plan 1), ist noch die (von S. Maria del Popolo aus gesehen:) linke, östliche Seite des Corso (nicht nur der Via del Babuino [Plan 2, Nr. 7], sondern des Corso [Plan 2, Nr. 6]) weitgehend unbebaut, zieht sich von der Piazza del Popolo (Plan 2, Nr. 3) bis ungefähr zur Piazza S. Silvestro die Bezeichnung „orti“, „Gärten“. Schon zweieinhalb Jahrzehnte später, auf dem Plan von Du Perac 1577, ist dieses Gelände zwischen Corso und Hang des Pincio bis auf zwei kleine Inseln bebaut, keine zwei Jahrzehnte danach, im Tempesta-Plan von 1593, sind auch diese letzten Freiflächen bereits überbaut.¹⁴
ria del Popolo zusammengestellt (teilweise aus Kopialüberlieferung) in V. Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta e la genesi del Tridente. Strategie di riforma urbana tra volontà papali e istituzioni laiche, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 35 (2003/04), S. 209–286, hier App. 2, S. 269–272. 14 Gegenüberstellung der drei Pläne bei J. D e lu m e au, Vie économique et sociale de Rome dans la seconde moitié du XVI e siècle, Bd. 1, Paris 1957 (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 184,1), Tafel XIV–XV.
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Dies nur als Ausblick (wir werden uns fortan nahe an Luthers Datum halten), als Ausblick auf eine urbanistische Dynamik, die schon viel früher begonnen hatte. Die Wohnbevölkerung Roms wuchs schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kräftig an,¹⁵ und dieses Bevölkerungswachstum füllt nun auch bislang leere Flächen innerhalb der Mauern, hier im Norden weit stärker als im Süden der Stadt.¹⁶ Das sei im Folgenden näher dargestellt, denn gerade das muss Luther, auf dem Weg vom Neubau der einen Augustinerkirche zum Neubau der anderen Augustinerkirche oder zur Peterskirche, jedenfalls aufgefallen sein: Baustellen! Hier Baustellen weniger von Kirchen und Palazzi als von gewöhnlicher Wohnbebauung. Aber im frühen 16. Jahrhundert deutete sich diese Entwicklung erst an. Umso größer war der Kontrast, wenn man – und das sei hier zunächst unternommen – am unteren südwestlichen Ende des rione Campo Marzio, beim anderen Augustinerkloster (Plan 2, Nr. 19), auf dem Weg nach St. Peter oder ins Zentrum in den rione Ponte, den rione S. Eustachio oder Parione eintrat: Ponte das bevölkerungsreichste Viertel der Stadt, Parione das Viertel mit der größten Bevölkerungsdichte (33.345 Bewohner auf den Quadratkilometer in der „Descriptio“ von 1526/27, Campo Marzio nur 6.615). Ponte das Viertel, das wie ein Trichter auf der Engelsbrücke saß, allen Verkehr auf diesen Übergang zuleitete und an vielen Indizien erkennen ließ, dass es hier zum Papst ging (hier saßen etwa die Florentiner Bankiers, dann auch das römische Kontor der Fugger); Parione das Viertel, das, von der Piazza Navona zum Campo dei Fiori, gerade in jüngster, in sixtinischer Zeit, urbanistischen Aufschwung genommen hatte und große Anziehung ausübte: Hier wohnten jetzt Kardinäle und hohe Beamte der Kurie, saßen stadtrömische Adelsfamilien, siedelte gehobene Zuwanderung aus dem Kirchenstaat und breitere Immigration aus dem Ausland (Franzosen, Spanier, Deutsche hatten hier oder in nächster Nachbarschaft ihre Nationalkirchen); hier arbeiteten spezialisierte Gewerbe wie Goldschmiede und Schreiber, dann Buchdrucker.¹⁷ Hierher auf die Piazza Navona wurde 1477 der städtische Markt verlegt, vom Fuß des Kapitols zum Campo Agonale, und auch das sagt viel über die neue Attraktivität
15 A. E s p o s i to, La popolazione romana dalla fine del sec. XIV al Sacco. Caratteri e forme di un’evoluzione demografica, in: E. S o n n i n o (Hg.), Popolazione e società a Roma dal medioevo all’età contemporanea, Roma 1998 (Pagine della memoria 5), S. 37–49. 16 Im Einzelnen siehe unten S. 71ff. 17 Zum rione Parione die Beiträge in: M. M igl i o / F. Ni u t t a / D. Q u a g l i o n i / C. R a n i e r i (Hg.), Un pontificato ed una città. Sisto IV (1471–1484). Atti del Convegno, Roma, 3–7 dicembre 1984, Roma 1986 (Studi storici 154, 162), S. 643–744; zuletzt der Tagungsband: J.-F. B e r n a r d (Hg.), Piazza Navona, ou place Navone, la plus belle & la plus grande. Du stade de Domitien à la place moderne. Histoire dʼune évolution urbaine, Rome 2014 (Collection de lʼÉcole française de Rome 493), bes. die Beiträge von A. E s p o s i to, D. E s p o s i to, S. P a s s igl i, A. M o d igl i a n i, M. Va q u e r o P i ñ e i r o, M. Ve n d i t e l l i, O. Ve rd i. Die Bevölkerungsdichte errechnet bei M. R o m a n i, Pellegrini e viaggiatori nell’economia di Roma dal XIV al XVII secolo, Milano 1948 (Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore 25), S. 65–70, hier S. 68f.
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und Zentralität des Viertels aus. Die Piazza Navona schaute damals mit ihren Fassaden noch nach außen (Kirchen, Läden, Wohneingänge, alles nach außen und nicht, wie heute, nach innen) und hieß darum, als ungestalteter Leerraum zwischen Häuserrückseiten, auch noch nicht „Piazza“, sondern einfach „Campo“. Das wird jetzt anders, der „campus“ wird zum „forum“, zur Piazza, der sich die Fassaden nun zukehren werden:¹⁸ der Raum wird umgestülpt. Jetzt, um 1510, ist bereits von „platea“ die Rede.¹⁹ Man stelle sich, seit der Verlegung des Marktes hierher, in den engen Gassen ringsum auch das Treiben allein durch die Anlieferung der Waren vor, von den Tiberhäfen Ripa und Ripetta und von den Toren. Ganz in der Nähe, zwischen Piazza Navona und Pantheon, befand sich denn auch die Dogana di terra, die zentrale Zollstelle für alle Importe auf dem Landweg,²⁰ ganz in der Nähe auch die Universität, das Studium Urbis.²¹ All das hatte natürlich ein starkes Ansteigen der Immobilienwerte und der Mieten zur Folge (wie vor allem für diesen rione Parione von Manuel Vaquero Piñeiro und Luciano Palermo nachgewiesen worden ist).²² Und wie das Ansteigen der Mieten, so ist auch die Dauer der Mietverträge ein guter Indikator für die Sozialgeschichte (es geht uns hier ja nicht um Besitzgeschichte, sondern um Sozialgeschichte): Die vielen kurzfristigen Mietverträge antworten auf eine Nachfrage, die sich aus hoher Mobilität erklärt, aus der starken Zuwanderung von forestieri und stranieri – und die wiederum ist charakteristisch für das Rom des späten (nicht schon des frühen) Quattrocento.²³
18 Dazu A. M o d igl i a n i, Mercati, botteghe e spazi di commercio a Roma tra medioevo ed età moderna, Roma 1998 (Roma nel Rinascimento [=RR] inedita 16, saggi), S. 285ff. 19 ASR, CNC, vol. 59 (Stephanus de Amannis), fol. 157r; vol. 60, fol. 371v: „ante est platea Agonis, retro est platea Lombarda“ (also zwischen Piazza Navona und Palazzo Madama). 20 A. E s c h, Economia, cultura materiale ed arte nella Roma del Rinascimento. Studi sui registri doganali romani 1445–1485, Roma 2007 (RR inedita 36, saggi), S. 6f. 21 F. P. Fi o re, L’impianto della nuova Sapienza di Roma da papa Alessandro VI a papa Leone X, in: B. A z z a ro (Hg.), L’università di Roma La Sapienza e le università italiane. Atti del Convegno, Roma, Accademia di S. Luca, 3–4 marzo 2005, Roma 2008, S. 39–46. Und zuletzt B. S c hw a r z, Kurienuniversität und stadtrömische Universität von ca. 1300 bis 1471, Leiden-Boston 2013 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 46). 22 M. Va q u e ro P i ñ e i ro, La renta y las casas. El patrimonio immobiliaro de Santiago de los Españoles de Roma entre los siglos XV y XVII, Roma 1999, errechnete durchschnittlich eine Verdoppelung des Mietzinses für das 2. Viertel des 16. Jahrhunderts beim Immobilienbesitz von S. Giacomo degli Spagnoli in Parione, bei zunehmend repräsentativer Ausstattung im Innern für b e s s e r e Mieter, (wie die „visite“ zeigen: B e r n a rd (Hg.), Piazza Navona (wie Anm. 17); am Beispiel der Anima L. P a l e r m o , Il patrimonio immobiliare, la rendita e le finanze di S. Maria dell’Anima nel Rinascimento, in: M. M a t h e u s (Hg.), S. Maria dell’Anima. Zur Geschichte einer ‚deutschen‘ Stiftung in Rom, Berlin-New York 2010 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 121), S. 279–325. 23 Überblick über die urbanistische und soziale Entwicklung Roms im Quattrocento: A. E s c h, Rom. Vom Mittelalter zur Renaissance, München 2016.
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Das lässt sich aus guten Archivbeständen reicher kirchlicher Institutionen wie S. Maria dell’Anima ersehen; ersehen auch, dass man hier, im oberen Teil der Piazza Navona, vielen Deutschen begegnete (Luther also vielen Landsleuten), denn die Mieter des recht geschlossenen Immobilienbesitzes der Anima waren überwiegend Deutsche und Flamen im Dienste der Kurie (Skriptoren, Abbreviatoren, Auditoren, Prokuratoren); daneben Handwerker, Gastwirte, Weber, Bäcker.²⁴ Die Mieter herauszubekommen ist, um ein Stadtviertel kennenzulernen, vielleicht noch wichtiger als die Hauseigentümer, denn die Mieter wohnen dort wirklich! Ob man hingegen die Eigentümer dort leibhaftig antrifft, ist noch sehr die Frage. Im Umkreis der Anima begegnete man auch vielen deutschen Frauen, die, seit das für ärmere alleinstehende Frauen gegründete „Spitale delle Todesche“ (oder „Hospitale S. Andree“ oder „S. Nicolai“ in der heutigen Via del Monte della Farina) sich 1431 wohl aus finanziellen Gründen der Anima-Stiftung angeschlossen hatte, nun in unterschiedlichen Formen unter dem Schirm der Anima lebten und deren bescheidenes Leben (bis hin zu Betttüchern und Kochtöpfen, ja „ribeysen“ und „prattspies“, Reibeisen und Bratspieß) aus den Archivalien der Anima – auch in den Jahren von Luthers Romreise – verfolgt werden kann: als Laien lebend in den Spitälchen von S. Andrea und von S. Catherina (beim heutigen Largo Arenula), im Spital der Anima selbst, als bizocche oder Franziskaner-Terziarierinnen in sogenannten case sante in Pigna (bei S. Marco) und in Parione (bei S. Agnese an der Piazza Navona).²⁵ Kurz: Wenn man in dieser seltsam geschrumpften Weltstadt Rom den Eindruck haben konnte, tatsächlich in einer Stadt angekommen zu sein, dann am ehesten in diesen beiden Vierteln zwischen unserem rione Campo Marzio und dem Vatikan: in Ponte und Parione. Vor allem der – für unser Thema besonders interessante – Grenzsaum zwischen Parione / S. Eustachio, Ponte und Campo Marzio erfuhr in der Zeit Sixtus’ IV. eine große Aufwertung, also die Zone um S. Apollinare zwischen dem nördlichen (runden) Ende der Piazza Navona und dem Tiber. Hier neben S. Apollinare wohnt seit den 1460er Jahren Kardinal Guillaume d’Estouteville, seit 1446 Protektor des Augustinerordens, seit 1477 apostolischer Kämmerer († 1483); dann 1483 – und gleichfalls apostolischer Kämmerer und Protektor des Augustinerordens – der Papstnepot Raffaele Sansoni Riario (bevor er sich die Cancelleria baute); dann 1488 der Papstnepot Kardinal Girolamo Basso della Rovere, und schräg gegenüber, im nachmaligen Palazzo Altemps, der mächtige Papstnepot Graf Girolamo Riario.²⁶ Also die Crème von Macht und Gesellschaft des sixtinischen Rom hier im Grenzsaum des rione Ponte
24 P a l e r m o, Patrimonio (wie Anm. 22), S. 279–325. 25 A. E s p o s i to, Le donne dell’Anima. Ospizi e ‚case sante‘ per le ‚mulieres theutonice‘ di Roma (secc. XV – inizi XVI), in: M a t h e u s (Hg.), S. Maria dell’Anima (wie Anm. 22), S. 249–278. 26 F. B e n z i, Sisto IV Renovator Urbis. Architettura a Roma 1471–1484, Roma 1990 (Ars fingendi 2), S. 155ff., 203f.
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zum rione Campo Marzio. Und von diesen mächtigen Leuten hier lassen sich dann viele am gegenüberliegenden, nördlichen Ende von Campo Marzio, in S. Maria del Popolo, bestatten! Daraus ergibt sich eine weitere – pointierte – Kennzeichnung unseres Viertels um 1500: am oberen Ende viel, am unteren Ende viel, und dazwischen wenig. Das ändert sich mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts. Also zurück in den rione Campo Marzio. Auch hier lässt sich Immobilienbesitz und -politik am ehesten aus den Archivbeständen großer Klöster oder Spitäler ersehen (was nicht nur an der Kapitalkraft geistlicher Institutionen liegt, sondern vor allem an der Überlieferungskraft ihrer Archive). Was im rione Parione die Archive von S. Giacomo degli Spagnoli oder S. Maria dell’Anima bieten, wären hier die Bestände etwa von S. Maria del Popolo oder von S. Giacomo dell’Austa oder in Augusta (seit 1515 degli Incurabili), dem großen Spital am Augustus-Mausoleum (Plan 2, Nr. 9).²⁷ Dass diese Archivalien, bei der hier noch geringen Besiedlungsdichte, ganz anderes aussagen als die Mietverträge im Zentrum, wird sich bald zeigen und dem Charakter des Viertels Relief geben. Um den rione Campo Marzio aus seinem Innern kennen zu lernen, sei im Folgenden nach drei Dingen gefragt: 1. Gliederung und Anbindung an das Stadtzentrum: Wie kommt man von S. Maria del Popolo ins Zentrum und nach St. Peter? 2. Der Eindruck des Viertels in der damaligen Phase des Urbanisierungsprozesses: Was sagen die Archivalien über die damals einsetzende Erschließung und den Bauboom aus, und was war davon um 1510 zu sehen? 3. Die soziale und nationale Zusammensetzung des rione: Welchen Schichten, welchen Gewerben, welchen Landsleuten begegnete man hier?
1 Von S. Maria del Popolo nach St. Peter Die Gliederung des rione Campo Marzio ist übersichtlicher als bei jedem andern Viertel (siehe Plan 1 u. 2). Der sogenannte Tridente, die drei Straßen radial von der Piazza
27 Die urbanistische Erschließung des rione Campo Marzio ist auf archivalischer Grundlage (catasti, libri di canoni, Notarsimbreviaturen) eingehend dargestellt von R. Fr e g n a / S. P o l i t o, Fonti di archivio per una storia edilizia di Roma. Primi dati sull’urbanizzazione dell’area del Tridente, in: Controspazio 4,7 (1972), S. 2–18 (hier auch der Immobilienbesitz von S. Silvestro in Capite); für unsere Zwecke vor allem F. B i l a n c i a / S. Po l i to, Fonti di archivio per una storia edilizia di Roma, Bd. 3: Via Ripetta, in: Controspazio 5,5 (1973), S. 18–47. Dazu O. Ve rd i, Maestri di edifici e di strade a Roma nel secolo XV. Fonti e problemi, Roma 1997, S. 166f.; C. L. Fro m m e l, Die Ripetta vor dem Sacco di Roma und die Paläste von Ascanio Sforza, Lorenzo Cibo, Sigismondo Chigi und Antonio Baschenis, in: H. Hu b a c h / B. vo n O re l l i - M e s s e r l i / T. Ta s s i n i (Hg.), Reibungspunkte. Ordnung und Umbruch in Architektur und Kunst. Festschrift für Hubertus Günther, Petersberg 2008 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 64), S. 73–82, und zuletzt Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13).
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del Popolo (Nr. 3) ausgehend, war Anfang des 16. Jahrhunderts noch nicht ausgebildet, sollte uns für die Raumgliederung aber schon vor Augen sein. In der Mitte, von der Porta del Popolo (Nr. 1) stracks zum Kapitol, läuft die Via Lata (Nr. 6), nämlich die antike Via Flaminia, die heutige Via del Corso. Zwar hatte diese alte Verkehrsachse durch Paul II. (1464–1471) – mit der Verlegung seiner Residenz vom vatikanischen Palast in den Palazzo di S. Marco (Palazzo Venezia) am Kapitol – erste Aufmerksamkeit erfahren²⁸ und war seither durch die Pferderennen zum „Corso“ geworden. Aber vor ihrer Neufassung unter Paul III. (1534–1549) war dieser Straßenzug noch wenig eindrucksvoll, die antike Pflasterung lag tief unter der Erde – ein Niveauunterschied, der Luther übrigens bewusst war, denn er sagt, am Tiberufer (weil sozusagen Querschnitt durch den Untergrund Roms) könne man die Differenz zwischen antikem und späterem Straßenniveau in seiner Schichtung von der Höhe zweier Landsknechtsspieße gut sehen.²⁹ Vor allem aber: Via Lata (Corso) war damals noch nicht wieder, was sie gewesen war und dann wieder wurde: nämlich Zugang direkt ins Herz der Stadt. Denn das von der Via Lata geraden Wegs angesteuerte Kapitol lag noch am Rande, nicht im Innern des Wohngebiets, und die Straße war, bis unter Clemens VII. (1523 –1534) und Paul III. (1534–1549) mit der (späteren) Via del Babuino (Nr. 7) endlich auch der dritte, östliche Ast des Tridente trassiert wurde,³⁰ über eine weite Strecke noch die östliche Grenze des Wohngebiets. Nicht die Via Lata (Corso) war damals die Achse des rione, sondern eine Verbindung im Zuge der nachmaligen Via di Ripetta (Nr. 5), westlicher Ast des späteren Tridente. Denn hier kam man geradenwegs ins Innerste der bewohnten Stadt und in Richtung Vatikan (und hier lag auch die kürzeste Verbindung zwischen den beiden Augustinerkonventen, Nr. 2 u. 19). Und so war es nur folgerichtig, dass die Päpste der Renaissance dieser Verbindung große Aufmerksamkeit zuwandten, um den Zugang von der Porta del Popolo zu Zentrum und Vatikan zu verbessern. Und vor allem um diesen Straßenzug muss es auch bei unserem Thema gehen. Natürlich hatte es hier in Tibernähe, noch bevor mit der Via Leonina Leos X. (Nr. 5) der westliche Ast des Tridente geschaffen wurde, immer schon eine Verbindung gegeben, die streckenweise vielleicht schon auf antiker Trasse verlief: eine Folge unregulierter, unbegradigter, ungepflasterter Straßenstücke, die man, an der Porta del Popolo die Stadt betretend, zum Vatikan hin nehmen konnte.³¹ Eine präzise
28 Zum Bau des Palazzo Venezia und seiner neuen Zentralität C. L. Fr o m m e l, Francesco del Borgo. Architetto di Pio II e di Paolo II, in: d e r s., Architettura e committenza da Alberti a Bramante, Firenze 2006 (Ingenium 8), S. 79–314, hier S. 157–314. Einritte über die Via Lata siehe Anm. 33. 29 „Denn da jetzt Häuser stehen, sind zuvor die Dächer gewest; so tief liegt der Schutt, wie man bei der Tiber wohl siehet, da sie zween Landsknechtsspieß hoch Schutt hat“: Lu t h e r, Ausgewählte Werke, hg. von B o rc h e rdt (wie Anm. 5), S. 17f. 30 Zur Datierung B i l a n c i a / Po l i to, Fonti (wie Anm. 27), S. 40f. 31 Das sei hervorgehoben, weil mir diese Verbindung vor Sixtus IV. als secondario manchmal unterschätzt, die Rolle der Via Lata überschätzt scheint.
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Beschreibung dieser Verbindung – sozusagen der Leonina vor Leo – gibt Pius II., als er in seinen „Commentarii“ die Prozession schildert, die die Andreas-Reliquie (die 1462 von Patras über Ancona in Rom eintraf) feierlich einholte. „Der Papst [sagt Pius von sich] bog [von S. Maria del Popolo, wo er übernachtet hatte] nach rechts gegen den Tiber und zog am Flußufer entlang, das Augustus-Mausoleum zur Linken lassend, wobei diese Gegend, die dort sonst viel Platz bietet, an diesem Tage nicht leer, sondern dicht von Menschen besetzt war“.³² Das heißt, mit der für Pius charakteristischen Präzision: von S. Maria del Popolo zwischen Tiber und Augustus-Mausoleum durch „weiträumige“, „leere“ (nämlich damals noch weitgehend unbebaute) Gegend „weiter den Fluss entlang, bis man die dichter bebauten Gebiete zur Rechten erreichte“ („itum est prope Tyberis cursum, donec ventum est ad frequentia Urbis edificia dextro itinere“). Bis man also südlich des Ripetta-Hafens (Nr. 12) den damaligen Beginn der dichten Bebauung am Nordostende des rione Ponte bei S. Lucia della Tinta / S. Antonio dei Portoghesi (Nr. 16 u. 18) erreichte, um dann, im Falle der geschilderten Prozession, aber nicht geradewegs zur Peterskirche weiterzuziehen (etwa auf der Via Recta / Via dei Coronari), sondern über Pantheon und Campo dei Fiori. Dass die Spitze der Prozession schon die Peterskirche erreichte, als der Papst sich in S. Maria del Popolo noch gar nicht in Bewegung gesetzt hatte, spricht nicht nur für die Menge der Menschen (wie der Papst damit illustrieren will), sondern auch für die schwierigen Verkehrsverhältnisse innerhalb Roms vor den urbanistischen Eingriffen Sixtus’ IV. (und wurde natürlich auch von Pius II. so empfunden: „per arctos civitatis vicos“, und auf der Engelsbrücke nur in Zweierreihe). Hingegen erfolgte der Einritt Eugens IV. 1443 von S. Maria del Popolo (wo er auch übernachtet hatte) über die Via Lata und S. Marco. Ebenso der Einritt Kaiser Friedrichs III. 1468, und der triumphale Einzug Julius’ II. 1507 nach der Eroberung von Bologna: Vielleicht waren die aus diesem Anlass damals von Privaten gestifteten acht ephemeren Triumphbögen (von einer dieser Holzarchitekturen, fabriziert von dem jungen, noch unbekannten Antonio da Sangallo d. J., haben wir sogar die Rechnung für Balken und Bretter) noch gar nicht alle abgeräumt, als Luther durch diese Straßen zog.³³
32 „Flexit enim pontifex ad dextram, Tyberim versus, et secundum fluminis ripam incedens reliquit ad sinistram Augusti tumulum, quibus in locis, etsi late alias patent, nihil eo die vacuum erat“: P i u s I I ., Commentarii rerum memorabilium que temporibus suis contigerunt, hg. von A. v a n H e c k (Studi e Testi 312–313), Città del Vaticano 1984, Lib. VIII 2, hier S. 480. Dazu H. G ü n t h e r, Die Straßenplanung unter den Medici-Päpsten in Rom (1513–1534), in: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 1 (1985), S. 237–293, hier S. 274. Vgl. den Weg Julius’ II. von der Porta del Popolo zum Vatikan bei seiner Rückkehr im Juni 1511, beschrieben vom päpstlichen Zeremonienmeister Paris de Grassis: siehe J. B ö l l i ng in diesem Tagungsband. 33 Eugen IV. nach dem (an der Einholung persönlich beteiligten) Stefano C a ff a r i, Memorie di una famiglia della Roma del Quattrocento, hg. von A. I n g l e t t o / S. S a n t i, Roma 2009 (Miscellanea della Società romana di storia patria 54), S. 165–167, doch bedürfen Caffaris Angaben noch einer genaueren
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Diese Verbindung von der Porta del Popolo ins Stadtzentrum und zum Vatikan wird dann von den Päpsten der Renaissance ausgebaut werden.³⁴ Für den vatikannahen Streckenteil bahnte zunächst Sixtus IV., gegen 1480, die Via Sistina, die von der Engelsbrücke den Tiber entlang in Richtung Ripetta führte und der heutigen Via Tor di Nona plus Via di Monte Brianzo (Nr. 15) entspricht: „auf der Straße am Tiber, die auf seinen Befehl neu gepflastert wurde, und die er ‚Via Sistina‘ genannt wissen wollte“, sei Sixtus von einem seiner häufigen Besuche in S. Maria del Popolo, an deren Neubau er ja sehr persönlich Anteil nahm, in den Vatikan zurückgekehrt, berichtet damals Jacopo da Volterra,³⁵ und mit der Erleichterung des Zugangs nach S. Maria del Popolo für die Bewohner des rione Ponte an der Engelsbrücke wurde von Sixtus’ Nachfolger sogar ein Ablass für die Pflasterung dieser Straßenverbindung begründet.³⁶ Doch scheint das Volk die neue Gerade nicht Sistina, sondern „La Tenta“ (wie dort im Namen S. Lucia „della Tinta“, Nr. 16) genannt zu haben.³⁷ Die Arbeiten für die Via Sistina scheinen, den überlieferten Ausgaben zufolge,³⁸ im Wesentlichen
Lokalisierung. Friedrich III.: vgl. A. E s c h / D. E s c h, Mit Kaiser Friedrich III. in Rom. Preise, Kapazität und Lage römischer Hotels 1468/69, in: P. J. He i n ig / S. Ja h n s / H.-J. S c h m i d t / R. C. S c hw i n ge s / S. We f e r s (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000 (Historische Forschungen 67), S. 443–457, hier S. 446. Julius II.: „tabularum, trabium et trabicellorum … pro conficiendo certo arco triumfali ad gloriam … Sanctissimi Domini Nostri in eius reditu ad Urbem“: A. M o d igl i a n i , Antonio da Sangallo il Giovane e lʼingresso trionfale di Giulio II a Roma nel 1507, in: RR Roma nel Rinascimento. Bibliografia e note (2011), S. 317–321. 34 Zu diesen und weiteren Eingriffen M. Ta f u r i, ‚Roma instaurata‘. Strategie urbane e politiche pontificie nella Roma del primo ʼ500, in: C. L. Fro m m e l / S. R ay / M. Ta f u r i (Hg.), Raffaello architetto, Milano 1984, S. 59–107; C. L. Fro m m e l, L’urbanistica della Roma rinascimentale, in: d e r s . (Hg.), Architettura alla corte papale del Rinascimento, Milano 2003 (Documenti di architettura 148), S. 13– 33; d e r s., Il Tevere nel Rinascimento, in: Roma moderna e contemporanea 17 (2009), S. 91–128, bes. S. 110ff.; d e r s., Das Rom der Renaissance, in: R. C a s s a re l l i (Hg.), Rom von oben. Stadtgestaltung von der Antike bis zur Gegenwart, Regensburg 2013, S. 129–166; G. P e t r u c c i, La Via Sistina da Porta del Popolo al Vaticano ed il programma urbanistico di Sisto IV per il Borgo (1471–1484), in: Storia dell’Urbanistica 4 (1998), S. 35–57; Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13); d e r s ., Costruire nell’antico. Roma Campo Marzio 1508–1523. Peruzzi, la confraternita di San Rocco e i cantieri intorno al mausoleo di Augusto, in: C. L. Fro m m e l u. a. (Hg.), Baldassarre Peruzzi (1481–1536), Venezia 2005, S. 123–153. 35 „Reversus est in Vaticanum ea qua ierat via, secus Tiberim, quam iussu suo nuper lateritio stratam, Xistinam appellari voluit“: Jacopo G h e r a rd i, Il Diario Romano, hg. von E. C a r u s i, Città di Castello 1904–1911 (Rerum Italicarum Scriptores 23,3), S. 29 (ad 1480), vgl. S. 31, 57. Zum voraufgehenden Straßenzug B i l a n c i a / Po l i to, Fonti (wie Anm. 27), Anm. 33. 36 „Ad pavimentum vie qua fideles Cristi in regione Pontis almae Urbis proficisci soliti sunt ad ecclesiam domus S. Mariae de Populo“ (Innozenz VIII. 1489): Ad i n o l f i, Roma (wie Anm. 13), S. 26f. 37 „Via recta et magistralis que vulgariter dicitur ‚la tenta‘“: so eine eingeheftete Urkunde der magistri stratarum et edificiorum vom 18. Dez. 1516, die die Schließung eines zum Tiber führenden, als Mülldeponie missbrauchten „viculus“ beim Neubau des Ulixes de Fano gestattet: ASR, CNC, vol. 58 (Stephanus de Amannis), fol. 500r. 38 Nach den Rechnungen der fabbriche bei Pe t r u cc i, Via Sistina (wie Anm. 34), und Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13).
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in Begradigung und Zusammenfügung bereits vorhandener Straßenstücke bestanden zu haben. Gewiss hatte Sixtus IV. bei diesem Straßenprojekt auch den Ripetta-Hafen im Blick, so wie der Neubau des Ponte Sisto auch der besseren Anbindung des Hafens der Ripa Grande an das Stadtzentrum dienen sollte. Dieser sixtinische Straßenzug Via Tor di Nona / Via di Monte Brianzo (Nr. 15, der sich dann in der Linie der Via Condotti fortsetzen wird) stieß in der Gegend der – schon damals so genannten – „Scrofa“ auf die Trasse, die von der Porta del Popolo über den Tiberhafen der Ripetta heranzog und dann von Leo X. ausgebaut werden wird: also zwei einigermaßen gerade Straßen-Stücke, die, in stumpfem Winkel zusammengesetzt, einen direkten Zugang von der Porta del Popolo zur Engelsbrücke und somit zum Vatikan gewährleisteten. Oder genauer:³⁹ die Via Sistina bog bei Piazza Nicosia (Nr. 17, so genannt nach dem Palast von Aldobrandino Orsini Erzbischof von Nicosia seit 1502) hart ans Tiberufer und erreichte⁴⁰ beim Ripetta-Hafen jene von Norden heranziehende Straße. Dieser Straßenzug von der Porta del Popolo in die Stadt wird dann von Leo X. (1513–1521) zur Via Leonina ausgebaut und zum westlichen Ast des künftigen Tridente werden. Aber hier muss, unserem Luther-Thema entsprechend, zunächst die unmittelbar voraufgehende Situation – vor 1513 – interessieren. Der bereits bestehende Straßenzug von der Ripetta zur Porta del Popolo hatte damals noch nicht die schnurgerade Trasse Leos X., war aber, wie Zanchettin wahrscheinlich gemacht hat, von Julius II. wohl schon so geplant, sodass die Straße eigentlich nicht Via ‚Leonina‘, sondern Via ‚Giulia‘ heißen müsste.⁴¹ Sie bog damals nördlich des Augustusmausoleums leicht nach rechts in nordöstlicher Richtung ab, um die Via Lata / Corso kurz vor (südlich) der Piazza del Popolo zu erreichen. Tatsächlich bildet sich der alte Straßenverlauf (ungefähr die Linie zwischen S. Maria Porta Paradisi und der Casa di Goethe) in Kataster und Luftbild noch heute als (gebrochene) Fassadenfront innerhalb der Häuserblöcke dort deutlich ab!⁴² Für unsere Vorstellung von der ersten Bebauung des nördlichen Campo Marzio und den Neuansatz der Via Leonina ist dies eine wichtige Einsicht. Damals, um 1500, waren am unteren Verlauf dieser Straße, im vatikannahen Teil des rione Campo Marzio unweit der Gelenkstelle zwischen Via Sistina und (späterer) Via Leonina, sogar schon erste repräsentative Kardinalspaläste zu sehen: der Gartenpalast des Rodrigo Borgia, den dieser als Alexander VI. seinem Wahlhelfer Kardinal Ascanio Sforza geschenkt hatte und der, gleich neben S. Girolamo, mit seinen Gärten
39 Nach der Rekonstruktion von Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 236, 240 mit Abb. 23. 40 Im Zuge der Via Leccosa, heute nur noch ein Straßenstumpf im Hinterhof. 41 Z a n c h e t t i n , Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 241f. 42 B i l a n c i a / Po l i to, Fonti (wie Anm. 27), S. 35 mit Plan; Z a n c h e t t i n , Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 241f. mit Abb. 30 und 31.
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von der Ripetta bis zum späteren S. Carlo al Corso reichend,⁴³ auch um 1510, nach dem Tode des Kardinals, prominente Bewohner hatte (Nr. 14). Und nebenan, gegen Süden, der kleinere Palast des Kardinals Lorenzo Cybo,⁴⁴ der seine Grablege dann, wie Ascanio, in S. Maria del Popolo wählte. Solch noble Bebauung war in Campo Marzio damals noch selten, aber erste Fälle waren um 1510 doch schon zu sehen, freilich nur an seinem gegen den Vatikan gelegenen Rand. Und schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Straße ins Stadtinnere (oder zum anderen Augustinerkonvent), direkt am Tiber der bescheidene Neubau der Kirche der Maurerzunft, S. Gregorio „dei Muratori“.⁴⁵ Kirchen konnten aber auch verschwinden: Im wüsten Bauboom dieser Jahre konnte es geschehen, dass (wie eine Zeugenvernehmung 1511 detailliert beschreibt) eine verfallene Kirche völlig abgerissen und der so gewonnene Bauplatz von einem Privaten einfach mit drei Läden überbaut wurde.⁴⁶ Der Ausbau dieses Straßenzuges zur Via Leonina kann uns hier im Einzelnen nicht mehr beschäftigen. Nur so viel (da diese Linie den Verkehrsbedarf anzeigt und kanalisiert, der auch vorher schon bestand): Zunächst wurde, schon im ersten Pontifikatsjahr Leos X. 1513, der nördliche Abschnitt in Angriff genommen und kam gut voran, da es hier, zwischen Augustusmausoleum und Tiber, durch Weinberge und Gärten ging und die Bebauung eben erst begonnen hatte, wie wir noch sehen werden. Endlich erreichte die Leonina, in ihren Bauarbeiten von Süden nach Norden fortschreitend, den Platz bei der Porta del Popolo, in spitzem Winkel mit der Via Lata / Corso zusammentreffend beim bereits genannten „Trullo“, jenem römischen Grabmonument (an der Stelle der heutigen S. Maria dei Miracoli, Nr. 4), das 1510 noch stand und von S. Maria del Popolo aus gesehen sozusagen den direkten Weg nach St. Peter wies. Der südliche, stadtnahe Abschnitt der Leonina war, wegen der hier bereits dichten Bebauung, das weitaus aufwendigere Stück Arbeit und wurde vor allem in den
43 Fro m m e l, Ripetta (wie Anm. 27), S. 73–82, mit Lokalisierung Abb. 1 u. 3; der Palast in einem Notariatsinstrument genannt auch als nahe bei der Piazza di S. Lorenzo in Lucina, siehe unten Anm. 103; von Ascanio 1503 an S. Maria del Popolo geschenkt; Bewohner: Fr o m m e l, Ripetta (wie Anm. 27), S. 74; zerstört 1521. 44 Ebd., S. 74. 45 Abgerissen beim Bau der Tibermauern, lag dort, wo der Palazzo Borghese dem Tiber am nächsten kommt: F. Lo m b a rd i, Roma. Le chiese scomparse. La memoria storica della città, Roma 1996, S. 156; C. Hü l s e n, Le chiese di Roma nel medio evo, Hildesheim 1975 (Ndr. d. Ausg. Firenze 1927), S. 532; aber nicht erst 1527 erbaut, denn „in conspectu venerabilis ecclesie S. Gregorii prope flumen Tiberis“ werden Hausgrundstücke in Notarsurkunden schon 1510 genannt: ASR, CNC, vol. 59 (Stephanus de Amannis), fol. 159r–161r (geht, durch falsche Bindung, fol. 210r weiter); Haus mit Garten, Kaufpreis 300 duc.: vol. 60, fol. 389r, 392r. 46 ASR, CNC, vol. 59 (Stephanus de Amannis), fol. 168r–169v (weiter fol. 200r durch falsche Bindung): Maria de Tribisuntiis gegen Prosper de Aquasparta vor den „magistri edificiorum et viarum Urbis“ (April 1511) mit Zeugenaussagen („vidit dictam ecclesiam ruinosam et postea edificari ibi domos seu apotecas“; „tribuna dicte ecclesie est reclausa in apoteca“, usw.) ohne Benennung von Kirche und Ort.
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Jahren 1518/19 durchgebrochen.⁴⁷ Nach Niederlegung des Häuserkomplexes der Salviati (östlich Piazza Nicosia, Nr. 17) wurden allmählich die Kreuzungen mit Via dell’ Orso (bei S. Antonio dei Portoghesi, Nr. 18) und Via dei Coronari (der alten Via recta) hergestellt. Damit war man bei S. Agostino, Nr. 19, angekommen (es war Besitz der Augustiner, der von der neuen Straße durchstoßen wurde) und bei dem neuen Palazzo Medici östlich Piazza Navona (dann Palazzo Madama). Vom einen zum anderen Augustinerkonvent waren es nicht mehr als etwa 1.110 Meter, Luftlinie zwar, aber im Rom der Renaissance geht man inzwischen Luftlinien, anders als im verwinkelten Rom des Mittelalters. Wichtig war in dieser Zone jedenfalls – und auf dem Weg von der Porta del Popolo in die Stadt unvermeidlich zu passieren – der kleine Tiberhafen der Ripetta (Nr. 12). Er bediente den Schiffsverkehr tiberaufwärts mit dem Landesinneren, so wie der große Tiberhafen, die Ripa gegenüber dem Aventin, den Schiffsverkehr tiberabwärts zum Meer. Hier an der Ripetta, auf Sichtweite von S. Maria del Popolo, luden die Barkenführer mit ihren burchi aus Magliano, Nazzano, Orte, Narni ihre Waren aus: Wein, Gebrauchskeramik aus dem nördlichen Latium, die Feigen der Sabina, und viel Holz, wie die „gabella lignaminis“ zeigt: Bauholz und vor allem Brennholz (Porto delle legna, Nr. 8), an dem die Stadt und der Hof großen Bedarf hatten.⁴⁸ Was man hier, an der Ripetta, beobachten konnte, war also Lokalhandel mit Landesprodukten, nicht, wie an der Ripa, Fernhandel mit seinen eindrucksvolleren Gütern. Hier um die Ripetta saßen viele Sklavonier, Dalmatier, die seit dem späten 14. Jahrhundert aus ihrer von den Türken bedrängten Heimat geflohen waren und die (ihnen von Nikolaus V. 1453 übergebene, noch nicht zur Via Leonina orientierte) verfallene Kirche S. Marina de Posterula zur Kirche S. Girolamo degli Illirici oder Schiavoni (Nr. 13) restauriert hatten:⁴⁹ Man nannte die Gegend geradezu Schiavonia.⁵⁰ Hier am Fluss konnten sie wenigstens ein schiffsorientiertes Gewerbe ausüben, wenn auch nicht in direktem Handelsverkehr mit der Heimat wie die – konzentriert um den
47 Anhand der Archivalien eingehend B i l a n c i a / P o l i t o, Fonti (wie Anm. 27); Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13); C. L. Fro m m e l, Il progetto di Sangallo per piazza Nicosia e una torre di Raffaello, in: Strenna dei Romanisti 63 (2002), S. 265–293. 48 E s c h, Economia (wie Anm. 20), S. 220. Dem Brennholzbedarf diente vor allem der „Porto delle legna“, siehe Plan 2, Nr. 8. In ASR, CNC, vol. 60 (Stephanus de Amannis), fol. 634r: Verkauf von vier Barken Holz, 1512. Viel Pilgerverkehr vom Oberlauf des Tibers, wie manchmal angenommen, wird man sich hingegen nicht vorstellen dürfen. Zum Gewerbe der Barkenführer hier I. A i t, Gli statuta artis barchiarolorum fluminis Tiberis. Per una storia del trasporto fluviale a Roma (secc. XV–XVI), in: M ig l i o / Ni u t t a / Q u agl i o n i / R a n i e r i (Hg.), Un pontificato (wie Anm. 17), S. 1–12. 49 Hü l s e n, Le chiese (wie Anm. 45), S. 380; Neubau erst unter Sixtus V. Zu S. Girolamo und seinem Besitz beim Mausoleum Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 224–228 mit instruktiven Plänen. 50 Sklavonier in der Descriptio, hg. von Le e (wie Anm. 71), S. 308; im rione werden Schiavoni damals auch sonst genannt, etwa beim Notar Stefano de Amannis: ASR, CNC, vol. 58, fol. 207r: „Elena sclavona vidua de partibus illiricis“; fol. 210r: „Marcus de Zara sutor de Sclavonia“, usw.
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Hafen der Ripa sitzenden – Genuesen und Korsen. Auf die Bewohnerschaft dieses Hafenviertels und ihre Zusammensetzung wird noch zurückzukommen sein. Um von hier nach St. Peter zu kommen, hätte man, statt jene Via Sistina (Nr. 15) zu nehmen, natürlich auch beim Ripetta-Hafen übersetzen und dann durch die Porta di Castello zur Peterskirche gehen können. Aber dort drüben war noch wenig los, das Gelände „extra portam Castelli“ weit überwiegend bedeckt von Weinbergen zum Monte Mario hin, die Weinberge (wie zahlreiche Grenzbeschreibungen zeigen) ihrerseits von Weinbergen umgeben.⁵¹ Für die von der Porta del Popolo eintretenden Pilger scheint nicht dies der gewöhnliche Weg gewesen zu sein.
2 Der Eindruck des Viertels bei Beginn des Baubooms um 1500 Der Eindruck, den der rione Campo Marzio in der damaligen Phase des Urbanisierungsprozesses machte, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Wer damals von hier nach St. Peter (oder von einem Augustinerkonvent zum anderen) ging, der sah viel frisch parzelliertes und aufgewühltes Gelände, das die Überbauung der Fläche zwischen Tiber und Corso ankündigte. Das sei aus den Archivalien vorgeführt, wobei wir uns hier auf die Jahre 1510/11 – also die Zeit ‚vor‘ dem Bau der Leonina, die Zeit Luthers – konzentrieren. Als besonders ergiebig erweisen sich, für unsere Zwecke, die Akten des Notars Stefano de Amannis, mit 52 Bänden hinterlassener Imbreviaturen für die Jahre 1500 –1544 (darunter das Jahr des Sacco di Roma)⁵² einer der fruchtbarsten und interessantesten römischen Notare überhaupt. Allein für diese Jahre 1510/11 hat er rund 400 Blatt oder 800 Seiten vollgeschrieben.⁵³ An der Piazza von S. Lorenzo in Lu-
51 Ebd. etwa vol. 60, fol. 293r, 323r (mit Nennung der Grenzsteine zwischen den Vignen: „quatuor terminos marmoreos; versus flumen Tiberis sunt duo columnette rotunde“, 1510), 398v, 435r („versus cacumen montis Marii … in loco qui dicitur prata“, 1511). 52 A. E s p o s i to / M. Va q u e ro P i ñ e i ro, Rome During the Sack. Chronicles and Testimonies from an Occupied City, in: K. G o uwe n s / S. E. R e i s s (Hg.), The Pontificate of Clement VII. History, Politics, Culture, Aldershot 2005, S. 125–142, hier S. 139. Zu den Vorgängen selbst zuletzt V. R e i n h a r d t, Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527, eine politische Katastrophe, Darmstadt 2009. 53 ASR, CNC, vol. 58, ab fol. 205r; vol. 59, fol. 107r–222v; vol. 60, fol. 289r–574v. Diese Überlieferung wurde bereits von Rodolfo Lanciani und von der kunsthistorischen Forschung beachtet: B i l a n c i a / Po l i to, Fonti (wie Anm. 27); Fre g n a / Po l i to, Fonti (wie Anm. 27); zuletzt von Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 237ff. mit Dokumenten-Anhang Nr. 3, jeweils mit der Lage der in den Urkunden genannten Grundstücke, die sich aus der Angabe der Flächenmaße und unter Heranziehung späterer Kataster rekonstruieren lassen. Stefano de Amannis war, als Nachfolger von Francesco de Taschis, seit 1500 Notar der maestri delle strade, und das ist für unsere Zwecke wichtig. Weitere – zeitlich und räumlich nahe – Notare habe ich eingesehen, muss sie hier aber beiseite lassen.
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cina wohnend,⁵⁴ wurde er von den beiden Augustinerkonventen, vor allem aber von der „Societas S. Marie de Populo et S. Iacobi de Austa“ häufig zum Aufsetzen von Verträgen gerufen. Der Bruderschaft von S. Maria del Popolo war nämlich 1451 von Nikolaus V. auch die Betreuung des nahen Spitals S. Giacomo dell’Austa (weil am Augustusmausoleum gelegen), dann degli Incurabili (Nr. 9), anvertraut worden.⁵⁵ So verwaltete sie das Vermögen der beiden größten grundbesitzenden Institutionen im Norden des rione Campo Marzio, S. Maria del Popolo und S. Giacomo, und es war nur naheliegend, dass jetzt, wo der Urbanisierungsprozess nach diesem rione griff, beide geistlichen Institutionen eine große Rolle spielen würden. Das Bild, das aus den in den Jahren 1510/11 aufgesetzten Verträgen vor unseren Augen ersteht, gibt viel Atmosphärisches wieder, und vor allem darum muss es bei unserem Thema gehen: um den Eindruck, den das Viertel damals in der Dynamik seines urbanistischen Aufbruchs machte.⁵⁶ Natürlich waren hier auch vorher schon Weinberge in Baugrundstücke verwandelt worden.⁵⁷ Aber dieser Prozess beschleunigt sich nun rapide. Die Notarsakten allein für die Jahre 1510/11 zeigen ein Viertel im Aufbruch gerade in seinem westlichen, flussnahen Teil längs des Straßenzuges der Ripetta, der uns als wichtigster Zugang ins Stadtzentrum und nach St. Peter (und als kürzeste Verbindung zwischen den beiden Augustinerkonventen) besonders interessiert. Wir sehen, wie in rascher Folge⁵⁸ die genannte Compagnia von S. Maria del Popolo und S. Giacomo dell’Austa durch ihre guardiani an unterschiedliche Personen (lombardische Barkenführer, Maurermeister, Zimmerleute, einen Bauführer aus der Gegend von Como,⁵⁹ eine Sieneser Bruderschaft, einen Neapolitaner usw.; die Vertragsverhältnisse seien nicht im einzelnen genannt, sondern zu einem Bilde zusammengezogen) Grundstücke in Erbpacht gibt mit der Verpflichtung, darauf Häuser zu bauen oder in bereits vorhandene Gebäude zu investieren, andernfalls falle das Terrain an den Besitzer zurück: „promisit … pro
54 So ASR, CNC, vol. 58, fol. 210r. 55 Bis zur erneuten Trennung 1515 und Erhebung zum Arcispedale, seither S. Giacomo degli Incurabili: P. D e A nge l i s, L’arcispedale di S. Giacomo in Augusta, Roma 1955 (Collana di studi storici sull’Ospedale di Santo Spirito in Saxia e sugli ospedali romani 15). 56 Zu den gerade in letzter Zeit intensiver erforschten Details der Erschließung, Parzellierung, Bebauung (und der Besitz- und Baupolitik der beiden Augustinerkonvente in diesem Quartier) vgl. die Literatur zit. in Anm. 27, 34, 43. 57 So erhält S. Girolamo degli Illirici 1486 vom Papst die Erlaubnis, einen seiner Weinberge dort als Baugrund zu verkaufen, und acht Jahre später abermals, zu gleichem Zweck, dort einen Weinberg zu verpachten „in loco qui dicitur Austa“, nämlich beim Augustusmausoleum: R. L a n c i a n i, Storia degli scavi di Roma, Bologna 1975 (Ndr. d. Ausg. Roma 1902–1912), Bd. 1, S. 84, 90. 58 Allein drei Verträge am 11. März 1511: Stephanus de Amannis, ASR, CNC, vol. 59, fol. 171r–175v; vol. 60, fol. 444r–445v. 59 Dieser „architector Comensis diocesis“ identifiziert bei Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), S. 239f. mit App. 3 Nr. 10 (dieses sein Haus ging dann an Antonio da Sangallo il G.).
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melioramentis dicti soli in edificando in eo ducatos centum … infra decem annos proxime futuros exponere“. Wo die Verpflichtung auf 100 binnen zehn Jahren zu investierende Dukaten lautet (einfach so, oder: die Hälfte davon in den ersten drei Jahren, oder ein Viertel schon im nächsten Jahr), ist wohl nur die Instandsetzung und laufende Instandhaltung gemeint. Aber es können auch 200 duc. binnen zehn Jahren, ja 200 duc. innerhalb der kommenden zwei Jahre („incipiendo ab hodie“) sein „in melioramentis et edificiis“,⁶⁰ oder 200 duc. binnen zehn Jahren, wovon 50 schon im ersten Jahr (man bedenke bei diesen Summen auch, dass hier noch keine ranghohen Pächter zu erwarten waren). Oder 300 duc. für die Wiederherstellung einer „domus vetusta et ruinosa“ direkt am Fluss, die Hälfte gleich in den ersten drei Jahren.⁶¹ Oder einfach: in den drei kommenden Jahren „super dicto solo … edificare domum vel domos in eo construere“.⁶² Lokalisiert sind diese Grundstücke überwiegend zwischen Augustusmausoleum und Tiber („in conspectu loci qui dicitur ‚lo monte dell’Aust‘“ oder „in conspectu montis augustalis“ oder ähnlich; „retro est flumen Tiberis“ oder reichend „ad ripam fluminis“) bzw. „der Straße nach S. Maria del Popolo“ („via publica que tendit ad S. Mariam de Populo“), oder gleich am Hafen bei S. Rocco („in conspectu ecclesie S. Rocchi …, retro est flumen Tiberis“). Oft stießen diese Grundstücke unmittelbar aneinander, wie aus den Grenzangaben zu ersehen ist,⁶³ waren also aus zusammenhängendem Besitz parzelliert worden und können entsprechend lokalisiert werden wie die zwischen 1510 und 1512 in Erbpacht gegebenen zwölf Baugrundstücke, ein zusammenhängender Streifen zwischen Tiber und Straße von rund 3.000 Quadratmeter Fläche und rund 120 m Straßenfront.⁶⁴ Als dann, immer von Süden nach Norden fortschreitend, wohl schon 1513 auch auf der rechten östlichen Straßenseite die Bebauung begann, führte das sogleich zur Anlage von Querstraßen hinüber zur Via Lata und somit zu flächiger Erschließung des nördlichen Campo Marzio ausgehend von dieser Ripetta-Straße (dann Via Leonina). Dass bei all dem nicht einfach ‚privat‘ drauflos gebaut werden durfte, sondern Vorgaben der magistri edificiorum et stratarum, kurz: ein urbanistischer Wille zu befolgen war, versteht sich.
60 So Stephanus de Amannis: ASR, CNC, vol. 60, fol. 503r. 61 Ebd., vol. 59, fol. 118r. 62 Ebd., vol. 59, fol. 118r, 171r (weiter, durch falsches Binden, auf fol. 198r), 172r (vgl. vol. 60, fol. 444r), 174r, 177r; vol. 60, fol. 322r, 424r, 444r, 445r, 502r, 503r, 553r, 554r. Einige dieser Stücke bereits bei L a n c i a n i, Storia degli scavi (wie Anm. 57); A. B i a n co n i, L’opera delle compagnie del ‚Divino Amore‘ nella Riforma cattolica, Città di Castello 1914, Anhang S. 94ff.; B i l a n c i a / P o l i t o, Fonti (wie Anm. 27), und Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), App. 3 (jedoch ohne Investitionssummen und -fristen); dazu App. 4 aus dem Besitz von S. Giacomo. 63 ASR, CNC, etwa Stephanus de Amannis vol. 59, fol. 172r, 174r, 177r; vol. 60, fol. 444r, 445r. 64 Nach den Maßangaben der Urkunden kartographisch rekonstruiert zuletzt bei Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13) S. 238 mit Abb. 26, 28 u. App. 3.
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Kennzeichnend für den Durchgangscharakter dieser Zone – und dass man sich hier noch außerhalb der Stadt fühlte! – ist, dass bei den Grundstücksbeschreibungen ungewöhnlicherweise nicht einfach die vier Seiten, sondern öfters auch die Blickrichtungen beigefügt sind: „versus Urbem [„gegen die Stadt“: so als sei man noch gar nicht da!] et castrum [auch: „pontem“] S. Angeli“, oder aber „versus S. Mariam de Populo“.⁶⁵ Es war überwiegend Grünland, das hier 1510/11 in Bauland umgewandelt wurde: Die Grundstücke werden, soweit nicht einfach als „terrenum“, überwiegend als „ortus“ oder „vinea“ bezeichnet. Schon eine Urkunde von 1488 lässt „die Straße nach S. Maria del Popolo am Tiber beim Augustusmausoleum“ durch „certi hortalitii inculti et putredine repleti“ ziehen, durch „unbestellte Gärten voll mit Müll“. Manches Grün war wohl auch Trümmervegetation über antiken Ruinen, denn einige Baulandverträge haben selbst hier, wo auch die antike Bebauung noch wenig dicht war, den Vorbehalt, dass, falls bei den Ausschachtungsarbeiten antike Statuen oder auch nur bearbeitbare Marmor- oder Travertinblöcke herauskämen oder Metall oder Wasserleitungs-Blei, die Funde zu teilen seien⁶⁶ (wegen dieses Fund-Vorbehalts hat Rodolfo Lanciani einige dieser Urkunden in seine „Storia degli scavi di Roma“ aufgenommen). Der größte Bauunternehmer dieser Zeit, Giuliano Leno, der es bis zum Leiter der wichtigsten Baustelle der Christenheit, der Peterskirche brachte, hatte, ohne sich am Bauboom des Campo Marzio zu beteiligen, hier doch einen Kalkofen des Spitals von S. Giacomo degli Incurabili in Betrieb, der anscheinend beim Augustusmausoleum lag und dessen Marmorverkleidung zu Kalk brannte, ohne dass sich der Betreiber groß um Antiken-Vorbehalte kümmerte.⁶⁷ Das bisher nur dünn besiedelte Quartier füllt sich in den folgenden Jahren rapide an. Man sieht Häuser „begonnen und noch ohne Söller und Dach“, „principiatam sine solariis et tecto“.⁶⁸ Dass wir hier mitten im Urbanisierungsprozess sind, sei endlich noch mit einer kleinen, aber beredten Einzelheit illustriert. Da verpachtet (etwas später, 1519) der Konvent von S. Agostino ein Terrain „an der Straße nach S. Maria del Popolo“, „wo vorher der Weinberg des Konvents war“, gelegen unweit der Stadtmauer anstoßend an eine „Querstraße, die, falls sie fertig gebaut sein wird, via Egidia heißen soll“: „retro est via transversalis que si fieri contigerit nuncupabitur via Egidia, ante est via magistralis Leonina nuncupata“.⁶⁹ „Wenn die Straße erstmal
65 ASR, CNC, vol. 60, fol. 424r, 553r, 554r, 632r. 66 L a n c i a n i, Storia degli scavi (wie Anm. 57), Bd. 1, S. 180; vgl. Z a n c h e t t i n, Via di Ripetta (wie Anm. 13), App. 2 Parte I Nr. 1; Müll: L a n c i a n i, Storia degli scavi (wie Anm. 57), Bd. 1, S. 234. 67 I. A i t / M. Va q u e ro P i ñ e i ro, Dai casali alla fabbrica di San Pietro. I Leni: uomini d’affari del Rinascimento, Roma 2000 (RR inedita 17, saggi / Pubblicazioni degli Archivi di Stato saggi 59), S. 169, 183. 68 B i a n co n i, L’opera (wie Anm. 62), doc. XVI (1512, bei S. Rocco). 69 ASR, CNC, Stephanus de Amannis, vol. 62, fol. 407r (1519); ursprünglich hieß es: „que dicitur Egidia“, dann am Rand ersetzt durch „si fieri contigerit nuncupabitur Egidia“. Vgl. L a n c i a n i, Storia degli scavi (wie Anm. 57), Bd. 1, S. 192; B i l a n c i a / Po l i t o, Fonti (wie Anm. 27), S. 40 mit Anm. 47, dort loka-
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fertig ist“, oder „Falls die Straße zustande kommt“ („si fieri contigerit“) – wir sind hier mitten im Fortschreiten der Erschließungsarbeiten!⁷⁰ Also ein enormer Bauboom wohin man blickte, in den zentralen Stadtvierteln nicht weniger als im rione Campo Marzio: In diesen ersten Jahren des Cinquecento waren viele palazzi und palazzetti im Bau, Sora, Turci, Torlonia, Giraud usw.
3 Die soziale und nationale Zusammensetzung des rione Campo Marzio Wenn man für das frühe 16. Jahrhundert ein römisches Stadtviertel in seiner sozialen und nationalen Zusammensetzung näher in den Blick nehmen will, wird man immer von der „Descriptio Urbis“, der großen Bevölkerungsaufnahme von 1526/ 27 ausgehen, um die dort gebotenen Namen und Zusammenhänge dann mit Hilfe von Steuerlisten, Bruderschaftsmatrikeln, Notarsimbreviaturen, kurialen Ämterlisten usw. noch prosopographisch zu vertiefen.⁷¹ Ja, man kann anhand dieser Bevölkerungsaufnahme, wenn man den (die Bewohner Straße um Straße zählenden) Beamten folgt, regelrecht einen Gang durch ein Stadtviertel machen.⁷² Von den 9.285 Einträgen dieser Bevölkerungsaufnahme (über deren Anlass, Datierung und methodische Tücken hier nicht gesprochen werden kann) betreffen 1.068 Einträge oder Haushalte den rione Campo Marzio (Nr. 1374–2442). Festzustellen wären vor allem die für das Viertel kennzeichnenden Konzentrationen: besonders häufige Gewerbe, Herkunftsgebiete, Großhaushalte usw. Denn aussagekräftiger als absolute
lisiert nördlich der Piazza dell’Oca (am westlichen Rand von Valadiers Piazza). Das „versus Tiberim“ angrenzende „residuum vinee“ an „via Aureliana“ und „via Collotia“: ASR, CNC, vol. 62, fol. 407v (kurz); vol. 64, fol. 243r (ausführlich). Man beachte die Verschränkung des Grundbesitzes der beiden Augustinerkonvente: Terrain bei S. Maria del Popolo in der Hand von S. Agostino. 70 Man kann sich auch fragen, warum die Straße dann Via Egidia heißen sollte. Unwahrscheinlich, dass zu Lebzeiten an den Generaloberen Egidio da Viterbo gedacht war; vielleicht an einen Besitzer oder Schenker. Bei S. Agostino gab es damals eine Via Egidia, die nach ihm benannt gewesen sein soll (die heutige Via della Stelletta): M. G. Au r ige m m a, Rezension zu La Chiesa (wie Anm. 83), in: RR Roma nel Rinascimento, Bibliografia e note (2009), S. 131. Egidio da Viterbo interessierte sich (worauf Frommel hingewiesen hat) für die Straßenprojekte Julius’ II. und Bramantes Rolle dabei. 71 Descriptio Urbis. The Roman Census of 1527, hg. von E. Le e, Roma 1985 (Biblioteca del Cinquecento 32); Neuausgabe E. Le e (Hg.), Habitatores in Urbe. The Population of Renaissance Rome / La popolazione di Roma nel Rinascimento, Roma 2006 (Studi e proposte 4). Ich zitiere, wegen der dort enthaltenen Indices, nach der älteren Ausgabe. Zur Auswertung: A. E s p o s i t o / M. L. Lo m b a r d o (Hg.), Vivere a Roma. Uomini e case nel primo Cinquecento (dai censimenti del 1517 e 1527), Roma 2006 (Archivi e Cultura 39). 72 Beispiel A. E s c h, Un giro attraverso la Roma del Rinascimento in compagnia degli ufficiali del censimento (inverno 1526/27), in: A. M a z z o n (Hg.), Scritti per Isa. Raccolta di studi offerti a Isa Lori Sanfilippo, Roma 2008 (Nuovi Studi Storici 76), S. 339–355.
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Zahlen (in diesem rione werden 37 Maurer genannt) sind Zahlenrelationen (in diesem rione werden weitaus mehr Maurer genannt als in jedem anderen rione). Auffallend groß ist die Zahl von Maurern in diesem Viertel (darunter große Haushalte von 12, 14, 19 Personen, die vielleicht eher Bautrupps als Familien darstellen).⁷³ Das hat gewiss mit dem bereits geschilderten Bauboom im Campo Marzio dieser Jahre zu tun, ebenso der ungewöhnlich hohe Anteil an Zimmerleuten. Bauarbeiter in ganzen organisierten Bautrupps kamen damals bekanntlich vor allem aus der Lombardei; tatsächlich sitzen im Campo Marzio, wo ihnen denn auch von Sixtus IV. 1471 am Corso eine eigene Kirche überlassen wird,⁷⁴ viele Lombarden, sehr viele Cremonesen und viele Zuwanderer aus dem kleinen Caravaggio (17 von 24 römischen Haushalten mit 99 Personen).⁷⁵ Lombarden waren sogar viele der Barkenführer an der Ripetta,⁷⁶ Lombarden arbeiteten hier auch als Saisonarbeiter in den Weinbergen, die, innerhalb der Aurelianischen Mauern, im Halbkreis um das Siedlungsgebiet des Campo Marzio⁷⁷ bis Ripa lagen. Benvenuto Cellini erzählt in seiner „Vita“, wie er damals, um 1525, Leuten, die diesen Bauern beim Graben in den römischen Weinbergen interessiert folgten, die dabei gefundenen Medaillen und Kameen abkaufte: „certi cercatori, li quali stavano alle velette [= tenevano d’occhio] di certi villani lombardi che venivano al suo tempo a Roma a zappare le vigne“.⁷⁸ Andere Berufe mit auffallender Konzentration in diesem rione sind ebenso leicht zu erklären: die „barcaroli“ und die „lavandaie“.⁷⁹ Die Barkenführer haben natürlich mit dem Tiberhafen der Ripetta zu tun, die Wäscherinnen mit dem Tiber. Denn gewaschen wurde natürlich am Fluss, und so finden wir die andere Konzentration von Wäscherinnen erwartungsgemäß im rione Regola, wo die namengebende „arenula“, das „Sandbänkchen“, bequemen Zugang zum Tiber bot. Wer also von S. Maria del Popolo die ufernahe Straße zur Stadt ging, sah am Fluss nicht nur Hafenbetrieb, sondern ganze Waschstationen. Noch im 19. Jahrhundert wird verboten, dass die Wäsche zum Trocknen dort einfach in die Uferbäume gehängt werde.⁸⁰
73 Descriptio, hg. von Le e (wie Anm. 71), Nr. 1382–2385 S. 340f.: „muratore“,Nr. 1526–2365 S. 328: „carpentario“. 74 S. Niccolò „de Tofis“, dann ersetzt durch S. Ambrogio, nach der Heiligsprechung von Carlo Borromeo umbenannt in S. Carlo al Corso: Hü l s e n, Chiese (wie Anm. 45), S. 407ff. 75 Descriptio, hg. von Le e (wie Anm. 71), Nr. 1399–2432 S. 284: Cremona, Nr. 1387–2433 S. 280: Caravaggio. 76 ASRoma, CNC, Stephanus de Amannis, vol. 59 fol. 172r: „de Cremona“; vol. 60 fol. 322r, 424r: „de Cremona“; fol. 444r: „de Ferraria“; fol. 444v: „de Alexandria“. 77 Wo es mehrere „vignaroli“ gab (Descriptio, hg. von Le e [wie Anm. 71], Nr. 1632–2203 S. 356: „vignarolo“), und in der Kirche S. Rocco sogar eine Kapelle der „vignaroli lombardi“. 78 B e nve n u to C e l l i n i, Vita, hg. von E. C a m e s a s c a, Milano 1985 (Biblioteca universale Rizzoli 532), S. 140f. 79 Descriptio, hg. von Le e (wie Anm. 71), Nr. 1414–2193 S. 324 (11 von 12 „barcharoli“ in Rom), Nr. 1481 –2389 bzw. 5381–6533 S. 335f.: „lavandara“. 80 C. B e n o cc i, in: Guide rionali di Roma. Rione IV Campo Marzio 6, Roma 1995, S. 11f. mit Abb.
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Was die nationale oder landsmannschaftliche Zusammensetzung des Viertels angeht, nennt die Zählung von 1526/27 eine besonders große Zahl von Spaniern, die überhaupt in Rom inzwischen wohl die stärkste Gruppe stellten.⁸¹ Auch Franzosen werden einige genannt, Deutsche hingegen fast gar nicht. Die Sklavonier und ihre Rolle wurden bereits genannt. Das von diesem „Census“ gebotene Bild lässt sich nun stellenweise durch andere Quellen vertiefen. Etwa im unteren Grenzsaum vom Campo Marzio gegen S. Agostino, anhand der zehn Jahre zuvor (1517) durchgeführten Zählung der Bewohner der Pfarrei von S. Trifone, die zur Finanzierung der von hier „am Tiber nach S. Maria del Popolo führenden Straße“ beizutragen hatten, der oben beschriebenen Via Leonina. S. Trifone (Plan 2, Nr. 20), im Besitz der Augustinereremiten und als Pfarrkirche Vorgängerin von S. Agostino, lag an der Via della Scrofa, die Pfarrei erfasste auch noch das südliche Ende von Campo Marzio zwischen S. Lucia della Tinta und Piazza Firenze und wurde von jedem durchquert, der von S. Maria del Popolo ins Stadtzentrum wollte. Diese Bevölkerungsaufnahme von S. Trifone, die älteste in Rom überlieferte,⁸² gibt ein lebhaftes Bild auf kleinster Fläche. Beherrschend natürlich der Augustinerkonvent (Nr. 19):⁸³ Von den insgesamt 556 gezählten Personen bilden 45 den Konvent, bilden weitere 40 die familia des dort residierenden Generalpriors des Augustinereremiten-Ordens Egidio da Viterbo. Mehr als ein Drittel aller Häuser der Pfarrei sind im Besitz des Konvents, der viele weitere Immobilien auch im rione Campo Marzio besaß. Die Aufnahme ergibt einen Gang von Haus zu Haus.⁸⁴ Meist sind es die Mieter und Untermieter, nicht die Besitzer, die da erfasst werden; umso besser, denn das sind die Menschen, denen man hier auf der Straße begegnet wäre. Unter den Italienern sind viele Lombarden, auch Toskaner: die Florentiner, die bislang vor allem im
81 Descriptio, hg. von Le e (wie Anm. 71), Nr. 1487–2431 S. 310: „spagnolo“; zum wachsenden Gewicht der Spanier D e lu m e au, Vie économique (wie Anm. 14), S. 199ff.; M. Va q u e r o P i ñ e i r o, Una realtà nazionale composita. Comunità e chiese spagnole a Roma, in: S. G e n s i n i (Hg.), Roma capitale, 1447 –1527, Pisa 1994 (Collana di studi e ricerche 5 / Pubblicazioni degli Archivi di Stato 29), S. 473–492; M. M igl i o, I luoghi di Lozana. Al margine dell’Alma Roma, in: E. Cu o z z o (Hg.), Studi in onore di Salvatore Tramontana, Pratola Serra 2003 (Medievalia 5), S. 291–308. 82 A. E s p o s i to, La prima rilevazione parrocchiale cittadina. S. Trifone, anno 1517, in: d i e s ., Un’altra Roma. Minoranze nazionali e comunità ebraiche tra Medioevo e Rinascimento, Roma 1995 (Pagine della memoria 1), S. 43–74; zum Anlass (Steuererhebung für Pflasterung und Reparatur der Straße „am Tiber nach S. Maria del Popolo“) und zum Verhältnis der beiden überlieferten Listen ebd., S. 44ff. 83 Über Kirche und Konvent von S. Agostino zuletzt: La Chiesa, la Biblioteca Angelica, l’Avvocatura Generale dello Stato. Il complesso di Sant’Agostino in Campo Marzio, Roma 2009. Zum Bau (1478– 1483): Fi n o cc h i G h e r s i, Cantieri (wie Anm. 10). Zu den Bibliotheken von S. Agostino und S. Maria del Popolo zuletzt C. M a n i e r i, Incunaboli Angelicani con note di possesso, in: RR Roma nel Rinascimento. Bibliografia e note (2009), S. 363–375. Siehe auch den Beitrag von A. E s p o s i t o in diesem Tagungsband. 84 E s p o s i to, Rilevazione parrocchiale (wie Anm. 82).
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rione Ponte gesessen hatten,⁸⁵ siedelten sich unter Leo X. auch in Campo Marzio an. Unter den Ausländern sind vor allem Spanier, auch Franzosen. An Gewerben findet sich alles Mögliche, vom Bäcker und Metzger zum Schneider und Zimmermann, in starker Durchmischung ohne ersichtlichen Schwerpunkt, außer dass die cortigiane, die besseren Prostituierten verschiedenster Herkunft, gehäuft auftreten. Ein „pentore da Bologna“ wohnt hier, mehrere „scriptori apostolici“ (allein drei Spanier). Einige Häuser stehen leer. Jüngst wurde sogar eine Liste derer aufgespürt, die, zu Lichtmess 1484, in S. Agostino ihre Kerzen abholten, und diese Liste macht uns, mit vielen Namen, die nähere Umgebung des Konvents bekannt. Interessant auch die Liste der inquilini von S. Agostino.⁸⁶ Oder eine Vertiefung wiederum an anderer Stelle des rione und wiederum mit anderer Quellengattung (und immer nur das hervorholend, was damals einem Rom-Besucher vor Augen gewesen ist). Gleich am Tiberhafen der Ripetta hatte ihren Sitz eine Bruderschaft, die confraternita der dort damals errichteten Kirche S. Rocco (Nr. 11) mit ihren frühesten Mitgliederlisten von 1502, 1505, 1510, 1515.⁸⁷ Auch diese Quellengattung ist also aus der Zeit von Luthers Rom-Reise, und an der frischen Baustelle von S. Rocco kam vorbei, wer damals von der Porta del Popolo ins Stadtzentrum und zur Peterskirche wollte. Diese confraternitas war 1499 von Alexander VI. anerkannt worden (vermutlich 1507 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen)⁸⁸ und nahm gleich in den ersten Jahren so rasant zu (1502 sind es 148, 1515 schon 348 Mitglieder), dass die Bruderschaftsmatrikel reichlich prosopographisches Material für unsere Fragen bietet. Während der Hl. Hieronymus als Dalmatier in Kirche und Bruderschaft der Illyrer gleich nebenan sozusagen zuhause war, war der Hl. Rochus als neuer Pestheiliger von vornherein über alle sozialen und nationalen Unterschiede erhaben. Entsprechend bunt gemischt ist die Zusammensetzung der Bruderschaft. Stark vertreten ist, gerade in den Anfängen, das Gastgewerbe („tavernari“), zahlreich vertreten auch – wir erwarten es in diesem rione bereits – das Bauhandwerk (Maurer, Zimmerleute) und, wegen der Nähe zur Ripetta, der ganze Hafenbetrieb mit Barkenführern („burchiaroli“), Trägern, Holzhändlern usw.; aber auch Bäcker, Schneider,
85 A. E s c h, Florentiner in Rom um 1400. Namensverzeichnis der ersten Quattrocento-Generation, in: QFIAB 52 (1972), S. 476–525; für das 16. Jahrhundert: I. P o lve r i n i Fo s i, I Fiorentini a Roma nel Cinquecento. Storia di una presenza, in: G e n s i n i, Roma capitale (wie Anm. 81), S. 389–414. 86 20 Namen „alla Scrofa“, 11 Namen „alla strada che va alla tenta“, womit wohl die Via Sistina (siehe Anm. 37) gemeint ist (Febr. 1519): A. E s p o s i to, L’entourage del convento romano di S. Agostino (con l’edizione de ‚Lo retracto de le candele per la Candeloro‘ del 1484), in: RR Roma nel Rinascimento. Bibliografia e note (2009), S. 289–310. 87 P. C a n o f e n i, La confraternita di San Rocco. Origine e primi anni, in: Archivio della Società romana di storia patria 109 (1986), S. 57–86; zum (mindestens seit 1524 betriebenen) Spital von S. Rocco A. L a nge l l o t t i, L’Ospedale di S. Rocco dalle origini al 1612, in: ebd., S. 87–139. 88 Zu Kirchenbau und Umgebung Z a n c h e t t i n, Via Ripetta (wie Anm. 13), S. 228–234. Zur damaligen Orientierung der Fassade gegen die Straße ebd., S. 230.
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Schuster, Matratzenmacher, Weinbauern, Gärtner, also ein breites Spektrum auch schlichter Berufe. Aber Mitglied ist seit 1508 immerhin auch Baldassarre Peruzzi, 1515/16 sogar als camerlengo, und persönlich beteiligt am Bau der Kirche in unmittelbarer Nachbarschaft des Augustusmausoleums, von dessen (heute verlorenem) Bauschmuck Peruzzi⁸⁹ – Architekt, Maler, Antikenzeichner – damals präzise Zeichnungen anfertigt. In der Kirche hatten einige der genannten Gruppen ihre Kapellen („Lodigiani“, „vignaroli lombardi“, „mulattieri“, „burchiaroli“). Was die Herkunft betrifft, überwiegen bei Weitem die Zuwanderer aus Oberitalien: Lombardei (Cremona, Lodi), auch Piemont und Emilia; Süditalien fehlt fast völlig, wenig zahlreich auch die Nichtitaliener. Auch hier kann man noch weiter kommen, wenn man systematisch die überlieferten Notarsimbreviaturen⁹⁰ heranzieht, also die Hefte, in die die Notare die von ihnen aufgesetzten Verträge eintrugen und die, wenn man ein Quartier aus seinem Innern kennenlernen will, den intimsten Einblick geben.⁹¹ Aber auch Gerichtsakten lassen sich gezielt verwerten, wenn man die – soziale, berufliche, nationale – Zusammensetzung eines Viertels rekonstruieren will. Die Messerstecherei eines Mannes aus dem rione Campo Marzio macht uns, in den Akten, gleich mit drei Zeugen aus dem Campo Marzio und ihren Personalien bekannt, und wenn ein Maurer aus dem oben genannten Caravaggio eine Schlägerei mit einem anderen Lombarden hatte, werden gewiss Zeugen aus Caravaggio auftreten. 9 1 Gerichtsakten lassen auch erkennen, dass wegen Kartenspiels (das sich jetzt in Rom neben dem Würfelspiel durchsetzte: Unmengen von Spielkarten werden nun importiert) unter den Nichtitalienern vor allem Deutsche verurteilt wurden. Soweit das Bild, das sich aus einigen ergiebigen Quellengattungen zusammensetzen lässt. Deutsche sind, nach der Bevölkerungszählung und den Bruderschafts-
89 Zum jungen Baldassarre Peruzzi C.L. Fro m m e l, Die Farnesina und Peruzzis architektonisches Frühwerk, Berlin 1961 (Neue Münchner Beiträge zur Kunstgeschichte 1). Zahlreiche Peruzzi-Autographe im Archiv der Bruderschaft. Die genannten Zeichnungen in A. M. R i c c o m i n i, La ruina di sì bela cosa. Vicende e trasformazioni del Mausoleo di Augusto, Milano 1996. 90 Zum römischen Notariat und zur Quellengattung der römischen Notarsimbreviaturen I. Lo r i S a n f i l i p p o, Constitutiones et Reformationes del Collegio dei notai di Roma (1446). Contributi per una storia del notariato romano dal XIII al XV secolo, Roma 2007 (Miscellanea della Società Romana di storia patria 52); O. Ve rd i, ‚Hic est liber sive prothocollum‘. I protocolli del Collegio dei trenta notai capitolini, in: Roma moderna e contemporanea 13 (2005), S. 427–473; L. Nu s s d o r f e r, Brokers of Public Trust. Notaries in Early Modern Rome, Baltimore 2009; M. L. Lo m b a r d o, Il notaio romano tra sovranità pontificia e autonomia comunale (secoli XIV–XVI), Milano 2012 (Studi storici sul notariato italiano 15). 91 ASR, Tribunale criminale del Senatore, reg. 2, fol. 141r, 149r Campo Marzio; fol. 163r Caravaggio. – Kartenspiel: M. L. Lo m b a rd o, I giocatori di dadi e di carte a Roma nel Quattrocento nelle fonti fiscali, in: d i e s. (Hg.), Il gioco nello stato pontificio (secc. 15–19), Roma 2009 (Archivi e cultura 41), S. 27–61; A. E s c h / D. E s c h, Aus der Frühgeschichte der Spielkarte. Der Import von ‚carte da giocare‘ und ‚trionfi‘ nach Rom 1445–65, in: Gutenberg Jahrbuch 88 (2013), S. 41–53.
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listen von S. Rocco, in diesem rione also kaum vertreten. Um genauer hinzusehen, seien dazu auch die Bruderschaften der Deutschen in Rom und ihre Mitgliederlisten befragt. Die Bruderschaft des Campo Santo Teutonico bestand im Unterschied zur Bruderschaft von S. Maria dell’Anima mehr aus Handwerkern als aus Prälaten und gelehrten Kurialen, wie das 1500/01 (also gerade rechtzeitig für unser Thema) einsetzende, jüngst von Knut Schulz erschlossene Bruderschaftsbuch zeigt.⁹² Gerade der Vergleich mit der eher elitären Bruderschaft der Anima, wo die Rolle der Laien immer geringer wurde, gibt dem Camposanto Profil: eine stärker von Laien getragene, auch ‚billigere‘ Bruderschaft, die in ihrer Größe (rund 500 im frühen 16. Jahrhundert bei hohem Frauenanteil) und in ihrer ständisch wie beruflich gut durchmischten Zusammensetzung (mit Bäckern und Schmieden an der Spitze, aber auch päpstlichen Sängern, Lautenmachern, Goldschmieden) noch am ehesten eine communitas Theutonicorum darstellte, mit ausgewogenem Verhältnis auch zwischen Oberdeutschen und Niederdeutschen (im weitesten Sinn, mit Flamen und Niederländern), und jedenfalls – anders als manchmal angenommen wird – weit mehr von Ansässigen geprägt als von Pilgern. Wie diese Bruderschaftsmitglieder sich über die Stadt verteilten, ist freilich nur selten zu ersehen, da den Namen meist keine Lokalisierung beigefügt ist.⁹³ Doch ist auch unser rione dabei, wenn man in „Rigo am Kamppomarz“, der 1503 seine Gebühr zahlt, einen „Heinrich vom Campo Marzio“ erkennt, und in „Margaretha von der flemßhen porten“ nicht ein „Tor, das zu den Flamen führt“ (die in der Bruderschaft ja kräftig vertreten waren), sondern „Flaminia“ erkennt, zersprochen in deutschem Mund, nämlich das Tor, durch das die Via Flaminia hereinführte, also die Porta del Popolo. Margaretha „von der flemßhen porten“ 1509 wäre also Luthers nächste deutsche Nachbarin gewesen.⁹⁴ Präziser sind die Urkunden des Camposanto-Archivs (und müssen es sein). Danach wohnt im Campo Marzio ein Mann aus der Gegend von Speyer.⁹⁵ Hier kauft eine Frau aus Brabant, „Catherina Vinx teutonica de Brabantia“, 1510 ein Häuschen, „quandam domunculam“, „gegenüber dem Palast des verstorbenen Kardinals von Portugal“, „in conspectu palatii olim reverendissimi domini cardinalis Portugalen-
92 K. S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti de Urbe. Die ältesten Mitgliederverzeichnisse und Statuten der Bruderschaft, Freiburg 2002 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 54). 93 Ebd., S. 86ff., Campo Marzio: Listen Q 121, 330, V 387. 94 Ebd., Listen Q 330, V 568. 95 K. S c h u l z / C. S c h u c h a rd, Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance. Darstellung und ausgewählte Quellen, Freiburg 2005 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 57), CU (S. 234ff.) Nr. 40, 1501 als Zeuge.
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sis“⁹⁶ – eine präzise Lokalisierung, denn der damalige „Portugalensis“ oder „Ulixbonensis“, der soeben verstorbene Jorge da Costa († 1508, mit Grab in S. Maria del Popolo), wohnte, seit 1488 Kardinalpriester von S. Lorenzo in Lucina, im Palast der Titelkardinäle von S. Lorenzo zwischen Kirche und Corso, dem Palazzo Fiano (Plan 2, Nr. 21), von Flavio Biondo in seiner „Roma instaurata“ (II 14) um 1445 gerühmt als vom Titelkardinal soeben weiter ausgebaut und fast so schön wie der Papstpalast (errichtet übrigens über der Ara Pacis, deren Reste seit dem 16. Jahrhundert darunter zutage kamen).⁹⁷ Der Palast stieß an den (wahrscheinlich nach ebendiesem portugiesischen Kardinal benannten⁹⁸) Arco di Portogallo, einen antiken Ehrenbogen, der den Corso bei der Kreuzung mit der Via delle Vite überspannte (Nr. 22, 1662 abgerissen als Verkehrshindernis)⁹⁹ – und wenn die Camposanto-Bruderschaft dann ein Haus im Campo Marzio „in loco vulgariter dicto ‚alo archo di Portugalo‘“ kauft und dabei Seelenmessen für jene deutsche Catherina vorsieht,¹⁰⁰ dann passt das gut zusammen und mag sich immer auf denselben Bereich beziehen. Zwar liegen der Arco di Portogallo und Palazzo Fiano schon einige Meter jenseits der Südgrenze des Campo Marzio, aber das bezeichnete Haus lag wohl gerade noch diesseits der Grenze:¹⁰¹ Im Campo Marzio macht Catherina 1526, vor mehreren spanischen Klerikern als Zeugen, denn auch ihr Testament.¹⁰² Selbst hier, an der Piazza di S. Lorenzo in Lucina, sah es um 1510 noch ziemlich ländlich aus: Ein Heustadel wird genannt, dahinter ein „viridarium“ von S. Maria del Popolo, das dem Kardinal Ascanio Sforza gehört habe;¹⁰³ es ist der Gartenteil des bereits genannten Kardinalspalastes mit Front zur Ripetta. Auch deutsche Bäcker arbeiteten in diesem rione oder machten testamentarische Stiftungen an S. Maria del Popolo.¹⁰⁴ Aber insgesamt bestätigt sich die in der Bevölkerungsaufnahme von 1526/27 gegebene Verteilung: Im rione Campo Marzio wohnten
96 Ebd., CU Nr. 54 (1510). Zur Person des Kardinals jetzt A. M. O l iv a, Il cardinale portoghese Jorge da Costa ed il suo radicamento a Roma, in: M a z z o n (Hg.), Scritti per Isa (wie Anm. 72), S. 699–725; sein Palast: S. 719f.; Grab: S. 721f. 97 C. P i e t r a nge l i (Hg.), Guide rionali di Roma. Rione III Colonna 1, Roma 1977, S. 82–92. 98 Etwas anders U. G n o l i, Topografia e toponomastica di Roma medioevale e moderna, Roma 1939, S. 18f. 99 M. To re l l i , in: Lexicon topographicum Urbis Romae, Bd. 1, Roma 1993, S. 77–79. 100 S c h u l z / S c h u c h a rd, Handwerker (wie Anm. 95), CU Nr. 84 (1540): „gegenüber dem Palast des Kardinals von S. Croce“, damals Franciscus Quingnones Bischof von Coria an der spanisch-portugiesischen Grenze, aber Residenz hier nicht bekannt. 101 Das ut dicitur-Toponym bezeichnet die Gegend des Monuments, nicht nur das Monument selbst. 102 S c h u l z / S c h u c h a rd, Handwerker (wie Anm. 95), CU Nr. 71 (1526). 103 ASR, CNC, Stephanus de Amannis, vol. 60, fol. 468r (1511). Zum Palast des Ascanio Sforza siehe oben Anm. 43. 104 S c h u l z / S c h u c h a rd, Handwerker (wie Anm. 95), CU Nr. 79, 97 (1537, 1554), evtl. NU Nr. 90 (S. 370, 1494); Stiftungen: NU Nr. 44 (1470), 70 (1477).
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weniger Deutsche als Spanier und Franzosen; Deutsche saßen vielmehr, wie gesagt, im gleich angrenzenden rione Parione in großer Zahl.¹⁰⁵ Im Straßenbild müssen wir uns jedoch auch die nur zeitweilig in Rom weilenden, nicht-residierenden Fremden vorstellen, die von Census- und Bruderschaftslisten kaum erfasst werden; darum die Frage nach der Verteilung der Herbergen. In der Topographie des Beherbergungsgewerbes war der rione Campo Marzio damals, im frühen 16. Jahrhundert, noch nicht besonders vertreten. Schankwirte („tavernarii“) werden recht viele genannt, aber nicht „osti“ und „albergatori“, Herbergswirte – was bei der damaligen Praxis jedoch nicht schon heißt, dass man hier gar nicht hätte unterkommen können.¹⁰⁶ Aber die bekannten, traditionellen Hotels lagen an Engelsbrücke, Campo dei Fiori und im Borgo, dort auch gehäuft und in mehreren Preiskategorien.¹⁰⁷ Im Campo Marzio lag zwar eines der fünf römischen Hotels „Zur Glocke“, aber ganz am Rande zum rione Ponte (via della Campana). Wo immer sie unterkamen – in einem Hotel, einem der improvisierten Privatquartiere oder einem Augustinerkloster: werfen wir noch einen Blick auf Personen, die damals aus Deutschland nach Rom zogen, und von deren Zahl und Anliegen wir bislang wenig wussten. Die massive Präsenz von Deutschen in diesem spätmittelalterlichen Rom ist immer schon beachtet (und im Zusammenhang mit Luthers Romreise natürlich auch erwähnt) worden. Aus dem Census von 1526/27 erfahren wir ihre Verteilung über die Quartiere der Stadt, aus den Archivalien von S. Maria dell’Anima und Camposanto ihre Zusammensetzung, Organisation und lokale Konzentration.¹⁰⁸ Aber es bleiben oft nur Namen, Ämter, Geldsummen. Eigentliche ‚Schicksale‘ von Deutschen im damaligen Rom erzählen uns nun die jüngst von Ludwig Schmugge erschlossenen Register der Poenitentiarie im narratio-Teil ihrer Suppliken.¹⁰⁹ Etwa der Deutsche, dem auf der Via del Pellegrino („strata ‚ad pellegrinum‘ nuncupata“) im üblichen Getümmel einer Sedisvakanz vom Spieß eines Bewaffneten ein Auge ausgestoßen wird; der deutsche Gastwirt, der leichtsinnigerweise geschworen hatte, nicht weiter Gastwirt sein zu wollen, und nun seine Familie in Rom anders gar nicht ernähren kann; die beiden deutschen Kleriker, die sich über der Frage, ob die Hl. Katharina auf dem Sinai oder auf einem Berg in Sizilien bestattet sei, vor der Peterskirche in die Haare kriegen;
105 Siehe oben S. 63. 106 R o m a n i, Pellegrini (wie Anm. 17), S. 65–70; zur unscharfen Terminologie ebd., S. 57. Ein Fall von improvisierter Herberge: I. A i t / A. E s c h, Aspettando l’Anno Santo. Fornitura di vino e gestione di taverne nella Roma del 1475, in: QFIAB 73 (1993), S. 387–417. 107 E s c h / E s c h, Mit Kaiser Friedrich III. in Rom (wie Anm. 33). 108 Camposanto siehe oben Anm. 92; Anima zuletzt der Sammelband oben in Anm. 22. 109 Repertorium Poenitentiariae Germanicum. Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, bearb. von L . S c h m ugge u. a., bisher 10 Bde. bzw. Pontifikate 1431–1521, Tübingen 1996–2008, Berlin-Boston 2012 –2016 (= RPG).
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der Deutsche, der ein päpstliches Verurteilungsplakat von der Wand gerissen hatte und sich nun dafür rechtfertigen muss; der deutsche Trompeter, der im Stab des römischen Senators vielleicht auch mal bei Hinrichtungen trompetet hatte, und so fort – alles Leute aus den zwei Generationen vor Luthers Romreise.¹¹⁰ Diese Quellengattung lässt weitere Menschen hinzutreten, von denen wir bisher nicht wussten: die vielen kleinen Petenten, die für kurze Zeit nach Rom kamen, um ihr Anliegen in eigener Person an der Kurie voranzubringen.¹¹¹ Bei den Anliegen von Fürsten, Städten, Orden sind uns die Beauftragten oft bekannt (darunter ja Luther selbst). Aber diese bescheidenen Rom-Reisenden, die in eigener Sache gingen, haben fast keine Chance, in eine historische Quelle hineinzufinden und ihre leibhaftige Präsenz in Rom zu dokumentieren. Doch da erweisen sich diese Register der Pönitentiarie als ergiebige Quelle. Sie erfassen all die Fälle von kirchenrechtlichen Verfehlungen, die nur vom Papst gelöst werden konnten, in Form der Gesuche um Absolution oder Dispens mit genauer Schilderung des Vorgefallenen. (Nur zehn Jahre später, und Luther wird in seiner frühen reformatorischen Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ von 1520 all diese Pönitentiariefälle – von der Fastenmilderung der sogenannten Butterbriefe bis zum Islam-Embargo – als päpstliche Reservatfälle aufführen und verwerfen!). Und da findet sich bisweilen im Text solcher Suppliken, vor allem aber in den unter den Suppliken eingetragenen Bescheiden der Behörde, immer wieder die Feststellung, dass der Petent persönlich anwesend sei: „quia orator est presens; attento quod orator est presens; quia orator in Romana curia presens existit; gratis pro paupere presente“. Dass zu solchem Zweck Personen auch niederen Ranges nach Rom kamen, war bekannt. Aber dass es so viele waren, ergibt sich erst aus dieser Quelle. Das gilt vor allem für den Pontifikat Julius’ II., der hier – weil der Pontifikat von Luthers Romreise – näher vorgeführt sei.¹¹² Allein für das Jahr 1507 (und das sind jeweils nur die deutschen Petenten und nur die Fälle „De declaratoriis“ und „De diversis formis“) ist persönliche Anwesenheit in 16 von insgesamt 97 Fällen ausdrücklich festgestellt (16 %), 1508 sind 13 von insgesamt 61 Petenten persönlich anwesend (21 %); 1509 ist
110 A. E s c h, Wahre Geschichten aus dem Mittelalter. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst, München 2010, S. 156–164; weitere römische Fälle in: d e r s ., Tedeschi nella Roma del Rinascimento. Nuovi dati dai registri della Penitenzieria Apostolica, in: A. d e Vi n c e n t i i s (Hg.), Roma e il papato nel medioevo. Studi in onore di Massimo Miglio, Bd. 1, Roma 2012 (Storia e letteratura 275), S. 389–401. Nichtdeutsche Fälle in: d e r s., Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst, München 2014. Zu Rom hier S. 249ff. 111 Auf diese haben wir es hier abgesehen – während die deutschen Beamten in den päpstlichen Behörden, mit denen Luther damals grundsätzlich in Kontakt gekommen sein könnte, im Beitrag von Ludwig Schmugge behandelt werden. 112 RPG, Bd. IX: Pius III. und Julius II. 1503–1513. Text und Indices bearb. von L. S c h m ugge, BerlinBoston 2014. Der Band hat für die Jahre 1503–1513 nicht weniger als 426 Belege für presens, von denen die meisten solche Fälle betreffen.
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unvollständig. Mit 1510 erreichen wir das Jahr vor Luthers Romreise: 27 von insgesamt 118 deutschen Petenten mit „De declaratoriis“ und „De diversis formis“-Anliegen (oder 23 %) waren demnach persönlich in Rom erschienen. 1511 hat wenig (10); 1512, im letzten vollständigen Pontifikatsjahr Julius’ II., werden 30 Personen (von insgesamt 163, also 18%) als presens bezeichnet. Dabei gibt es auffallende Ballungen (die sich hier und anderswo nicht immer erklären lassen und vielleicht auch gar nicht wirkliche Reisefrequenz abbilden, sondern z. B. einen bürokratischen Erledigungsschub): Allein in den ersten beiden Wochen des April werden die Gesuche von nicht weniger als zehn deutschen Petenten entschieden, die persönlich aufgetreten waren (10 von 19 im April registrierten Fällen), davon sechs aus süddeutschen Diözesen und drei aus der Diözese Lüttich. Die man da auf dem Weg nach Rom sah, waren also zu einem erheblichen Teil nicht Pilger, wie Mittelalter-Schilderungen das gern ausmalen, sondern arme Kerle, die aus Gewissens- und zumal Existenznot (denn die Exkommunikation entzog den Geistlichen ja ihre kirchlichen Einkünfte) den kostspieligen Weg nach Rom nahmen (was sich freilich mit dem Pilgern verbinden ließ). Auch diese Gattung wenig bemittelter Rom-Reisender muss man sich also noch irgendwie in Rom untergebracht vorstellen: in einem billigen Hotel (die Hotelpreise hatten eine große Marge, und es gab auch ad-hoc-Unterkünfte wie die heutigen Bed & Breakfast),¹¹³ einem Hospiz, einem Kloster oder notfalls dem Gewölbe einer antiken Ruine. Aber es ist nicht einmal so sehr die Zahl, die erstaunt, sondern oft das Anliegen selbst, und dass man sich deswegen nach Rom bemühte.¹¹⁴ Einige Fälle aus diesem Pontifikat seien angeführt: Da kommt ein Priester, der einen von der Hebamme („obstetrix“) bereits notgetauften Säugling nochmal getauft hatte – was ja zulässig war, falls man die vorgesehenen verba conditionalia sprach („falls Du nicht schon …“); aber das hatte er unterlassen, und so ging er nun nach Rom.¹¹⁵ Da kommt ein Basler, weil er vor 30 Jahren (!) an den Kriegen gegen Karl den Kühnen („inter Carolum ducem Burgundie et Svetenses“) teilgenommen hatte und nun, nach einvernehmlicher Trennung von seiner Frau, noch Priester werden möchte;¹¹⁶ kommt ein Geistlicher, weil er einen Chirurgen in Erfurt auf einen Kunstfehler („ob incuriam“) verklagen will, er das als Erfurter Student aber innerhalb Erfurts nicht darf; kommt ein Priester, weil er einen anderen, der behauptet hatte, seine Mutter sei eine Hexe, angeschossen hatte;
113 Siehe oben Anm. 106f. 114 Oder nach Bologna. Der Papst weilte von September 1510 bis Juni 1511 nicht in Rom, sondern in Bologna (sodass Luther, wenn seine Rom-Reise in den Winter 1510/11 fiel, ihn in Rom nicht gesehen haben kann – was er auch nicht behauptet). Die Entscheide der Pönitentiarie sind denn auch für die Monate Oktober 1510 bis Mai 1511 alle aus Bologna datiert. 115 Città del Vaticano, Penitenzieria Apostolica, Registra matrimonialium et diversorum (= Pen. Ap., reg.) 52, fol. 340r (1504); RPG IX (wie Anm. 112), 1274. 116 Pen. Ap., reg. 53, fol. 245v (1506); RPG IX (wie Anm. 112), 1366.
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kommt ein anderer Priester, weil ihm eine Kanone explodiert war („bombarda … in plures partes rupta et divisa fuit“) mit entsprechenden Folgen für die Umstehenden¹¹⁷ – und andere Fälle, die ohne Weiteres auch schriftlich hätten betrieben (oder sogar vom Ordinarius gelöst) werden können. Wir wissen in den einzelnen Fällen nicht, was den Petenten bewogen haben mag, den mühseligen und teuren Weg an die Kurie auf sich zu nehmen („se personaliter non sine magnis sui corporis laboribus et expensis contulit“, wird denn auch hervorgehoben).¹¹⁸ Manche mögen es mit einer Pilgerfahrt verbunden haben (aber teuer war ja auch die: Luther schätzte im „An den christlichen Adel“ die Spesen einer Rom-Pilgerfahrt auf 50 bis 100 Gulden). Jedenfalls war es eine Entscheidung, denn das persönliche Erscheinen machte das Verfahren nicht billiger als die Supplik aus der Ferne. Vielleicht ist es – wie die nun häufige Formel „Was man ohne Erlaubnis des Hl. Stuhls, wird gesagt, nicht machen kann“ – zugleich ein Indiz für die (gebotene und empfundene) Zentralität Roms unmittelbar vor der Reformation. Oder da kommt – um einen Petenten unmittelbar aus der Zeit von Luthers Romreise zu nennen – ein Mann, der mit dem Kapital eines Adeligen eine Ladung Gerste gekauft hatte; doch sank das Schiff im Sturm, und da war er, aus Angst vor dem Investor und um der Rückerstattung zu entgehen („a restitutione dictarum pecuniarum liberari“) gleich drüben jenseits der Ostsee geblieben und schleunigst (Profess schon nach vier Monaten!) in einen schwedischen Franziskanerkonvent eingetreten; um sich daraus zu lösen, kommt er nun an die Kurie.¹¹⁹ Nirgends kommen wir Menschen und ihren persönlichen Problemen so nahe wie in dieser Quellengattung. Wenn Luther damals in Rom mit solchen Leuten ins Gespräch gekommen ist (und warum sollte er nicht?): das sind die Geschichten, die er zu hören bekommen hätte! Vielleicht ist er auch aus dieser Erfahrung in seinen Schriften auf solche Fälle eingegangen. Übrigens kommen auch die römischen Augustinerkonvente in dieser Quelle vor – nicht gerade vorteilhaft, aber das liegt an der Quelle, denn Pönitentiarie-Suppliken registrieren ja nicht den Normalfall, sondern die Abweichung, ziehen das Schlimme an, verdüstern das Bild. Und so auch hier. Der aufsässige junge Mann, den die Augustinereremiten von Spoleto, als er nach neun Jahren die Profess nicht ablegen, sondern den Orden verlassen wollte, erst einmal in den römischen Konvent abgeschoben hatten, wollte da partout nicht sein, weder hier noch in einem anderen Konvent, sondern zurück in die Welt.¹²⁰ Ein Augustinerbruder des Konvents wollte sein Studium in Bologna nicht fortsetzen, einer war wegen Zahlungsversäumnis ex-
117 Pen. Ap., reg. 54, fol. 62v (1508); reg. 53, fol. 556r (1507), 399r (1507); RPG IX (wie Anm. 112), 1477, 1459, 1412. 118 Pen. Ap., reg. 51, fol. 92r–v (1503); RPG IX (wie Anm. 112), 1260. 119 Pen. Ap., reg. 56, fol. 119v (1511); RPG IX (wie Anm. 112), 1683. 120 Pen. Ap., reg. 29, fol. 204r–v (1480): „Gregorius Andreucii laycus Spoletanus preter eciam eius voluntatem fuit retentus, ad conventum eiusdem S. Augustini ordinis predicti de Urbe fuit per dictos
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kommuniziert worden usw.¹²¹ Ein Augustinereremit von S. Maria del Popolo hatte sich mit einem Ordensbruder so geprügelt, dass er exkommuniziert worden war.¹²² Auch Luthers eigener Erfurter Konvent wird genannt. Da sagt ein Mönch dieses Konvents, er könne guten Gewissens in diesem Orden nicht bleiben („propter certas et legitimas causas non potest cum animi sui quiete et sana conscientia in dicto ordine remanere“: eine Formel, in der sich sehr persönliche Gründe ausdrücken konnten) und wolle lieber zu den Franziskaner-Observanten überwechseln.¹²³ Vielleicht war es ihm im Erfurter Konvent zu lasch – wie auch immer, zwölf Jahre später wird der junge Luther in ebendiesen Konvent eintreten. Welchen Sturm dieser junge Mönch, den wir hier friedlich und staunend durch die römischen Stadtviertel ziehen sehen, noch über das päpstliche Rom bringen wird, auch davon weiß diese ungewöhnliche Quelle in zwei Gesuchen aus der Zeit des Sacco di Roma 1527, als die Spanier und die deutschen Landsknechte Karls V. die Stadt aufs fürchterlichste plünderten und verheerten (auch den rione Campo Marzio: die Mönche in S. Maria del Popolo, die Nonnen in S. Maria in Campo Marzio erlebten Schreckliches). Von „luteriana tempestas“, von „lutherischem Sturm“ spricht in seinem Gesuch an den Papst ein Mönch aus der Gegend der Maas, und dass er deswegen seine Kutte nicht mehr offen zu tragen wage. Ein anderer Petent damals spricht von „persecutio luterana“.¹²⁴ Als man Clemens VII. den ersten Fall vorlegte (dass
fratres missus, in quo per quatuor menses vel circa permansit et tandem quam primum habuit oportunitatem dictum conventum sancti Augustini de Urbe exivit et … ad seculum est reversus“. 121 Pen. Ap., reg. 3, fol. 340r: „frater Julianus de Varis de Urbe presbiter bachalarius in sacra theologia“. Abschluss entgegen Bleibeeid nicht in Bologna (1452); reg. 14, fol. 214r: Zahlungsversäumnis „frater Antonius Johannis Satolli presb.“ (1466); reg. 14, fol. 180v: ungenannter Bruder „intra ecclesiam S. Augustini de Urbe“ von einem anderen Geistlichen blutig geschlagen (1466). 122 Pen. Ap., reg. 22, fol. 123v (1473): „frater Nicolaus de Calvis presbiter professus ordinis heremitarum sancti Augustini conventus sancte Marie de Populo de Urbe“ hatte einen Ordensbruder geschlagen. 123 RPG, Bd. VIII: Alexander VI. 1492–1503. Text bearb. von L. S c h m ugge unter Mitarb. von A. M o s c i a t t i; Indices bearb. von H. S c h n e i d e r-S c h m ugge u. L. S c h m ugge, 2 Bde., Berlin-Boston 2012, 2210: „Johannes Wiegand presb. professus ord. fr. herem. S. Augustini conventus Erforden. Magunt. dioc.“ (1493). Rom und Luther: Aus neuerschlossener römischer Quelle hier beiläufig zwei prosopographische Details: die römische Bürgerwürde 1522 für den Kammerauditor Girolamo Ghinucci (1518 Vorladung Luthers nach Rom), und 1523 für Girolamo Aleandro (Nuntius auf dem Reichstag zu Worms): A. R e h b e rg (Hg.), Il Liber Decretorum dello scribasenato Pietro Rutili. Regesti della più antica raccolta di verbali dei consigli comunali di Roma (1515–1526), Roma 2010 (Collana di storia ed arte 5), Nr. 165, 178b. 124 Pen. Ap., reg. 75, fol. 430r–431r (1527 Okt. 8): Nicolaus de S. Vito presb. OFM de obs., Diöz. Lüttich, bittet über seiner Kutte ein Weltpriester-Gewand tragen zu dürfen, „cum in partibus illis propter luterianam tempestatem habitum suum regularem patenter gestare non audeat“; vgl. reg. 75, fol. 434v–435v (1527 Okt. 9): Mathias Domelagen presb. OP Diöz. Trier, hatte „persecutione luteriana causante“ den Dominikaner-Konvent in Luxemburg verlassen müssen (Nicolaus wie Mathias waren daraufhin Soldaten geworden): A. E s c h, In captione et direptione Urbis interfuit. Il Sacco di Roma nelle suppliche
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er persönlich damit befasst wurde, sagt die Formel de expresso), saß er in der Engelsburg, nach einmonatiger Belagerung – während derer Landsknechte Luther zum Papst ausgerufen und Luthers Namen in ein Raffael-Fresko der päpstlichen Gemächer geritzt hatten¹²⁵ – nun als Gefangener streng bewacht von Spaniern und Deutschen: von der Höhe der Festung auf ein Rom blickend, das ihm genommen worden war; von feindlichen Offizieren umstellt, die jede seiner Bewegungen beobachteten; von düsteren Nachrichten über die wachsende „luteriana tempestas“ beunruhigt, dass ihm vielleicht noch Europa entgleiten werde.
Abbildungsnachweise Plan 1: Plan 2:
Roma al tempo di Giulio III. La pianta di Roma di Leonardo Bufalini di 1551, Roma 1911. L o mb a rd i, Roma (wie Anm. 45), S. 149.
della Penitenzieria Apostolica, in: Bullettino dellʼIstituto Storico Italiano per il Medio Evo 115 (2013), S. 443–466, hier S. 455f. Weitere Pönitentiarie-Suppliken zur lutherischen Bewegung (nicht aus der Zeit des Sacco) in F. Ta m b u r i n i / L. S c h m ugge, Häresie und Luthertum. Quellen aus dem Archiv der Pönitentiarie in Rom (15. u. 16. Jahrhundert), Paderborn u. a. 2000 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 19). 125 Ausrufung zum Papst: L. vo n P a s to r, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde., Freiburg i. Br. 71924–1933, hier Bd. 4,2, S. 278; Luther-Graffito siehe oben S. XVII, Abb. 1.
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Plan 1: Campo Marzio auf dem Rom-Plan von Leonardo Bufalini 1551 – Die Flächen östlich der Via Lata / Corso sind noch „orti“, auch zwischen Corso und Tiber noch „ortacci“; einziges öffentliches Gebäude zwischen Augustus-Mausoleum und Piazza del Popolo ist das Spital von S. Giacomo degli Incurabili.
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Plan 2: Campo Marzio auf dem Plan der römischen rioni von 1777 – Legende der Karte: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Porta del Popolo, S. Maria del Popolo, Piazza del Popolo, il Trullo, Via Leonina / Via di Ripetta, Via Lata / Via del Corso, [Via del Babuino], Porto delle legna, S. Giacomo in Austa / degli Incurabili, Augustus-Mausoleum, S. Rocco,
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Porto di Ripetta, S. Girolamo degli Schiavoni, Palazzo Rodrigo Borgia / Ascanio Sforza, Via Sistina / Via di Monte Brianzo, S. Lucia della Tinta, Piazza Nicosia, S. Antonio dei Portoghesi, S. Agostino, S. Trifone, S. Lorenzo in Lucina, Arco di Portogallo.
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Die Augustinerkonvente von Rom während Luthers Aufenthalt in der Stadt „Nihil magis cogitamus die noctuque quam ut in isto monasterio, quod nostrae caput est religionis, religio floreat tam orationum sanctitate quam vitae, et modestia et pietate. Mandamus igitur ut in ecclesia officium sanctae ac cum magna mora celebretur, legum in monasterio sanctitas observetur“.¹ Mit diesen Worten brachte Egidio da Viterbo, der neu gewählte Generalprior des Augustinerordens, in einem Schreiben von Juli 1508 seine Hochachtung für das römische Kloster S. Agostino zum Ausdruck, das den Hauptpfeiler der augustinischen religio bildete und gerade deshalb seinem Rang gerecht werden musste. Die zentrale Bedeutung von S. Agostino wird auch in anderen Schreiben² aus der Amtszeit des Egidio unterstrichen, auf die noch zurückzukommen sein wird. Das Engagement des großen Augustiner-Eremiten kann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es um ein Thema geht wie das, über das ich hier einen knappen Überblick geben will: das Leben der Brüder in den beiden wichtigsten römischen Augustinerkonventen, S. Agostino und S. Maria del Popolo, zu einer Zeit (ca. 1506 bis 1518), die mit der Amtszeit des Egidio von Viterbo als Generalprior des Augustinerordens³ zusammenfällt und in der auch die Romreise Martin Luthers stattfand, die üblicherweise auf Ende 1510, Anfang 1511 datiert wird, jüngsten Forschungen zufolge aber eher Ende 1511 anzusiedeln ist.⁴ Da die Quellenlage für S. Agostino wesentlich besser als für S. Maria del Popolo ist, werde ich mich vor allem auf den erstgenannten Konvent konzentrieren, dem im Übrigen nicht nur für Rom eine größere
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 G i l e s of Viterbo OSA, Letters as Augustinian general. 1506–1517, hg. von C. O’ R e i l ly, Roma 1992 (Fontes historiae ordinis Sancti Augustini 2,3), Nr. 153 S. 265–265. Das Schreiben datiert vom 26. Juli. 2 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 8, 33, 55. 3 G. E r n s t, Egidio da Viterbo, in: Dizionario Biografico degli Italiani (= DBI) 42 (1993), S. 341–351. 4 Zum Aufenthalt Luthers in Rom vgl. zumindest H. Je d i n, Die römischen Augustinerquellen zu Luthers Frühzeit, in: Archiv für Reformationsgeschichte 24 (1927), S. 256–270; R. We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente im Zusammenhang mit Luthers Romreise, in: Antonianum 32 (1957), S. 147–202; zur Datierung der Romreise auf circa ein Jahr später vgl. H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F. 10,2), S. 1–157, und den Beitrag von H. S c h n e i d e r in diesem Sammelband. Vgl. darüber hinaus H. S c h i l l i ng, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012. DOI 10.1515/9783110316117-007
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Bedeutung zukam, wohingegen der zur lombardischen Observantenkongregation gehörende zweitgenannte eine partielle Autonomie genoss. Um das Milieu der Augustiner zu beschreiben, mit dem Luther nach seiner Ankunft in Rom mit Sicherheit in Kontakt kam, werde ich zunächst auf die familie der Konvente, ihre zahlenmäßige Zusammensetzung und das kulturelle und spirituelle Profil ihrer Mitglieder eingehen, mich dann kurz mit dem Kult in den beiden Ordenskirchen befassen und meinen Beitrag mit einem Exkurs über das materielle Leben der Brüder, ihren täglichen ‚Lebensstil‘, abschließen, was – vor allem für S. Agostino – dank einiger glücklicherweise erhaltener Einnahmen- und Ausgabenregister des Konventsprokurators aus dem Untersuchungszeitraum möglich ist. Wie viele Brüder zählten also die familie der beiden Augustinerkonvente im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, und wer genau waren diese Brüder? Während für S. Maria del Popolo ein liber familie⁵ erhalten ist, in dem die Namen und die Ämter seit 1473, dem Jahr der Niederlassung der lombardischen Observantenkongregation in Rom,⁶ verzeichnet sind, fehlt eine vergleichbare Quelle für S. Agostino bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts,⁷ weshalb ich sowohl in den Verzeichnissen von des Öfteren für die Augustiner tätig gewordenen Notaren als auch in den Urkunden aus dem Konventsarchiv nach Listen der Brüder von S. Agostino gesucht habe. Zwar erfassen diese Listen nur die vorgeschriebenen zwei Drittel der Brüder „habentes vocem in capitulo“, sie liefern uns aber dennoch einige interessante Informationen über die Zusammensetzung der familia, die Herkunft und die Mobilität der Brüder, die von ihnen innerhalb des Ordens bekleideten Ämter sowie über ihre Lehrtätigkeit. Für S. Maria del Popolo sind zwischen 1508 und 1518 durchschnittlich 40 bis 46 Brüder, Konversen und Novizen belegt, für S. Agostino dagegen gibt uns die von Bruder Augustinus de Serra verfasste „Descriptio parochie S. Trifonis“ des Jahres 1517 nur Aufschluss über die Konventsgemeinschaft des betreffenden Jahres: Die im Konvent lebenden Brüder, so heißt es dort, waren 45, während die nahegelegene Residenz des erst wenige Monate zuvor zum Kardinal erhobenen Egidio da Viterbo 40 Personen zählte,⁸ darunter wahrscheinlich auch einige Brüder, die zu seiner Entourage gehörten, wie der Sekretär und die für ihn tätigen Kopisten.
5 Roma, Archivio di Stato (= ASR), Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1. 6 Nach langem Drängen durch Papst Sixtus IV. und die Führungsspitze des Augustinerordens nahm Thaddäus von Ivrea, der Generalvikar der lombardischen Kongregation, am 23. Dezember 1472 endlich den Konvent und die römische Kirche S. Maria del Popolo zusammen mit zwei Visitatoren und einem knappen Dutzend Brüder in Besitz. 7 ASR, Agostiniani in Sant’Agostino, Reg. 113. 8 A. E s p o s i to, Un’altra Roma. Minoranze nazionali e comunità ebraiche tra Medioevo e Rinascimento, Roma 1995 (Pagine della memoria 1), S. 57f. Circa zehn Jahre später, bei der ersten erhaltenen Zählung der Einwohner der Stadt (1526/27), umfassten die beiden Konvente ungefähr dieselbe Zahl von Personen, nämlich 49 S. Maria del Popolo und 40 S. Agostino, auch wenn zu Letzteren noch einige
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Vergleicht man die Listen von verschiedenen Jahren, so stellt man fest, dass die Zusammensetzung der familie in beiden Konventen recht heterogen war. Was S. Maria del Popolo anbelangt, so standen auf der während des Forliveser Kapitels im Juli 1510 erstellten Liste 23 Brüder, sieben Kleriker und zehn Konversen, die ausschließlich aus Nord- und Mittelitalien kamen, insbesondere aus Orten der heutigen Lombardei, wo die Kongregation zahlreiche Häuser hatte. Ein Vergleich mit anderen auf den jährlichen Kapiteln der Kongregation erstellten Listen der Jahre 1508 und 1509 ergibt, dass nur ein Drittel der Mitglieder der familia vor Ort geblieben war, während die anderen durch Brüder aus anderen Häusern der Kongregation abgelöst wurden. Dies gilt insbesondere für die 23 Professbrüder, von denen 1509 nur zehn mit denen von 1508 identisch waren.⁹ In S. Maria del Popolo war also die Mobilität der Konventsmitglieder hoch, wenngleich vor allem bedeutende, charismatische Persönlichkeiten häufig zu ihrem ursprünglichen Haus zurückkehrten und einige Brüder, die mit besonders viel Fingerspitzengefühl erfordernden Ämtern betraut waren, durchaus mehrere Jahre in Folge am selben Ort blieben. Zu diesen Ämtern gehörten das des Generalvikars¹⁰ oder das noch viel wichtigere des Prokurators der Kongregation an der Römischen Kurie: Letzteres bekleideten von 1501 bis 1513 zunächst Bruder Fabrizio von Vercelli¹¹ und dann Giovanni Benedetto von Ferrara.¹² Bemerkenswert ist, dass in jenen Jahren sehr wenige Brüder aus dem Ausland verzeichnet sind und dass sich an dieser Situation auch in den darauffolgenden Jahren nichts Wesentliches änderte. Eine Ausnahme bilden einige deutsche Konventsmitglieder (allerdings fast ausschließlich Konversen), was wahrscheinlich, wie Hans Schneider in einer neueren Publikation herausgestellt hat, auf die eher engen Beziehungen zwischen der lombardischen und der deutschen Observantenkongregation zurückzuführen ist.¹³
beim „ehrwürdigen Aegidus [von Viterbo]“ lebende Personen zu zählen wären, in dessen Haus 35 Personen untergebracht waren. Sicherlich waren nicht alle davon Brüder, sondern es waren auch einige famuli dabei. Vgl. Descriptio Urbis. The Roman Census of 1527, hg. von E. Le e, Roma 1985 (Bibliotheca del cinquecento 32), Nr. 1416 S. 48, Nr. 1583, 1590 S. 50. Das betreffende Dokument wurde im Sammelband von E. Le e (Hg.), Habitatores in Urbe. The Population of Renaissance Rome / La Popolazione di Roma nel Rinascimento, Roma 2006 (Studi e proposte 4), S. 119–275, neu veröffentlicht und enthält eine Reihe von elektronischen Indizes, darunter auch Namensverzeichnisse. 9 ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, fol. 21v–22v. 10 Leonhard von Como zum Beispiel war von 1498 bis 1500 und von 1508 bis 1510 Generalvikar, vgl. ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, ad annum. 11 Fabrizius von Vercelli war von 1498 bis 1500 Prokurator des Konvents S. Maria del Popolo und von 1501 bis 1504 sowie in den Jahren 1512 und 1513 Prokurator der Kongregation, vgl. ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, ad annum. 12 Johannes Benedikt von Ferrara bekleidete das Amt des Prokurators der Kongregation von 1505 bis 1511, vgl. ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, ad annum. 13 S c h n e i d e r, Reise (wie Anm. 4).
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Zu den zahlreichen Konventsmitgliedern aus dem ersten und dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, über die nur schwer etwas herauszufinden ist, zählen auch einige bedeutende Persönlichkeiten, vor allem unter den Prioren von S. Maria del Popolo, von denen etliche zuvor das wichtige Amt des Generalvikars der Kongregation bekleidet haben (oder es danach bekleiden sollten). Die von Pater Donato Calvi erstellten biographischen Profile, auf die ich mich stütze, verweisen hier in erster Linie auf Alfonso di Mussio aus Como, einen „Mann von gelehrter Bildung und großem Geist im Dienste Gottes, als einer der besten Prediger seiner Zeit bekannt“, der von 1506 bis 1508 Prior und 1505 Generalvikar der Kongregation war, ein Amt, das er dann ein weiteres Mal 1513 bekleidete, in dem Jahr, als er von Papst Leo X. erneut die Bestätigung aller der Kongregation von den vorherigen Päpsten gewährten Privilegien erlangen sollte.¹⁴ Eine weitere bedeutende Persönlichkeit war Ambrogio Miniani aus Brescia, der 1509 das Amt des Priors von S. Maria del Popolo und im Jahr danach das des Generalvikars ausübte. Er galt nicht nur als gebildeter Mann, sondern auch als Mann von „reinster Gesinnung“, den sich daher einige Kardinäle als spirituellen Vater wünschten. Als er im Jahr 1508 als Visitator „im Konvent S. Maria del Popolo war und die Füße Seiner Heiligkeit Papst Julius II. küsste“, gelang es ihm, den vollkommenen Ablass zu erwirken, „an allen Tagen, an denen die Kongregation die Generalkommunion abhält, … was zeigt, wie sehr es Ambrosius um das Wohl der anderen ging, vernachlässigte er doch keines der Mittel, die den Seelen zum spirituellen Heil verhelfen konnten“.¹⁵ Erinnern will ich auch noch an Lorenzo von Cremona, der in den Jahren 1496/97 und 1504/05 sowie im Jahr 1510 und in einigen Monaten des Jahres 1511 Prior von S. Maria del Popolo war und nach seinem Tod in Rom 1511 von Agostino Maria von Bergamo abgelöst wurde, der den Konvent bis 1513 leitete. Im Jahr 1507 wurde Lorenzo auch in das höchste Amt des Ordens, das des Generalvikars, gewählt, und war für sein besonderes Geschick in den Verhandlungen sowohl mit den geistlichen als auch mit den weltlichen Machthabern seiner Zeit über die Belange seiner Kongregation bekannt.¹⁶ Schaut man sich nun die Zusammensetzung der familia von S. Agostino an, so lässt sich wegen der lückenhaften Quellenlage zwar nur schwer etwas über eine mehr oder weniger hohe Mobilität der Brüder sagen, zwei Besonderheiten fallen jedoch ins Auge: 1. das zahlenmäßig große Gewicht von Konventsmitgliedern aus ganz Italien, aber auch die Präsenz von ausländischen Brüdern, besonders von deutschen, spanischen und französischen, die allerdings bei einem Konvent, der gleichzeitig Sitz der
14 D. C a lv i, Delle memorie istoriche della Congregatione osservante di Lombardia dell’Ordine Eremitano di S. Agostino, Milano 1669, S. 187–188, 200. 15 C a lv i, Memorie (wie Anm. 14), S. 194f. Vgl. auch ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, ad annum. 16 C a lv i, Memorie (wie Anm.14), S. 186f. Vgl. ASR, Agostiniani in S. Maria del Popolo, Reg. 1, ad annum.
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Generalkurie und eines studium generale des Ordens war, nicht verwundert;¹⁷ 2. die kontinuierliche Anwesenheit einiger Römer, die viele Jahre hintereinander verzeichnet sind, wie der baccalaureus Stefano von Rom, der zum ersten Mal in einer Liste von 1504 auftaucht und dann in allen Listen bis 1532 erscheint.¹⁸ Zu den Brüdern konnten, obwohl die Listen zum Observantenkonvent vollständiger sind, mehr Informationen für S. Agostino als für S. Maria del Popolo zusammengetragen werden, was nicht nur auf den völligen Verlust der Register zurückzuführen ist, die über das Innenleben dieser Institution Aufschluss geben. In der Tat fehlen die Brüder von S. Maria del Popolo auch in den offiziellen Listen des Generalpriors Egidio da Viterbo – in Bezug auf die wir uns glücklicherweise auf die Ausgabe von Albericus De Meijer¹⁹ stützen können – fast vollständig. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für eine andere wertvolle Quelle, die Briefe von Egidio, und zwar sowohl die „lettere familiari“ (um den Ausdruck von Anna Maria Voci Roth zu verwenden, die deren kritische Ausgabe besorgt hat)²⁰, nämlich Briefe an seine Freunde und sonstige Persönlichkeiten samt deren Antwortschreiben, als auch die von ihm als Generalprior verfassten Briefe,²¹ was auf die spärlichen persönlichen Kontakte des Generalpriors der Augustiner-Eremiten mit den Mitgliedern dieser Kongregation hinweist. Als Ergebnis meiner prosopographischen Untersuchung, die sich vor allem auf die genannten Egidio-Quellen, die verfügbare Augustinerbibliographie und die Dokumente beider Institutionen stützt, lässt sich festhalten, dass sich im Konvent S. Agostino einige hochrangige Persönlichkeiten der damaligen Welt der Augustiner aufhielten. Dies stand im Einklang mit dem, was Egidio in einem mangels Datumsangabe leider nicht identifizierbaren, meines Erachtens aber in die Anfänge seiner Amtszeit als Generalprior (1506/07) datierbaren Schreiben an den Prior des römischen Konvents zum Ausdruck brachte, nämlich: „Incumbimus toto animo quod conventus iste omne virtutum gloria quam maxime floreat. Misimus bachalarium non obtusi ingenii. Regentem mox etiam mittimus litterarum et studii laude insignem. Curabimus deinde si qui occurrerent eodem mittantur“.²² Dass das Engagement Egidios ein konkretes war, zeigt sich – wie meine Untersuchung ergeben hat – am Exzellenzprogramm für den römischen Konvent. Nach
17 D. G u t i é r re z, Gli studi nell’ordine agostiniano dal medioevo ad oggi, in: Analecta Augustiniana 33 (1970), S. 75–149. 18 ASR, Agostiniani in Sant’Agostino, Reg. 113, c. 2r. Als weiteres Beispiel ließe sich Bruder Paulus von Rom anführen, der sich von 1503 bis 1511 ständig in dem römischen Konvent aufhielt. 19 Ae g i d i i Viterbiensis OSA Resgestae generalatus, Bd. 1: 1506–1514, hg. von A. D e M e i j e r OSA, Roma 1988 (Fontes historiae Ordinis Sancti Augustini 1,17); Bd. 2: 1514–1518, hg. von d e m s ., Roma 1984 (Fontes historiae Ordinis Sancti Augustini 1,18). 20 E g i d i o da Viterbo OSA, Lettere familiari, Bd. 1: 1494–1506; Bd. 2: 1507–1517, hg. von A. M. Vo c i R o t h, Roma 1990 (Fontes historiae Ordinis Sancti Augustini 2,1–2), auf S. 15 der Einleitung. 21 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1). 22 Ebd., Nr. 33 S. 111.
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der Absicht des Generalpriors sah dieses nämlich Persönlichkeiten vor, die ihm aufgrund ihrer kulturellen und spirituellen Sensibilität nahe standen, so die Mitglieder der Observantenkongregation von Lecceto, der auch er angehört hatte und die er als „institutis commendatissima“ bezeichnete.²³ In der Tat finden sich in den Jahren 1508 bis 1512 sowohl unter den Prioren von S. Agostino als auch unter den regentes und den baccalaurei der Konventsschule verschiedene Konventsmitglieder, Korrespondenten und Freunde Egidios da Viterbo. Als Erstes sei hier Seraphim von Florenz, d. h. Serafino Ferri aus Castellina, erwähnt,²⁴ der Egidio 1496 in Florenz kennengelernt hatte und nach einer ersten Amtszeit als Prior des römischen Konvents S. Agostino im Jahr 1498 der Observantenkongregation von Lecceto beigetreten war, in der er dann mehrmals das Amt des Priors bekleiden sollte.²⁵ Des Weiteren ist Lattanzio Piccolomini aus Siena zu nennen,²⁶ der gleichfalls Mitglied und mehrere Male Prior der Observantenkongregation von Lecceto war und von Ende 1509 bis Herbst 1510 dem römischen Konvent S. Agostino vorstand,²⁷ in dem zuvor Seraphim Prior gewesen war. Schließlich gehört dazu auch der magister Augustinus von Fivizzano, den wir im Januar 1508 in der römischen Konventsschule als Bakkalaureus finden.²⁸
23 Ebd., Nr. 129 S. 239, 13. September 1509; vgl. auch G. S ig n o r e l l i, Il Card. Egidio da Viterbo agostiniano, umanista e riformatore. 1469–1532, Firenze 1929 (Biblioteca Agostiniana 1,16), Anhang I, S. 237, Dok. XXXV. Meines Erachtens wurde dieses Schreiben Egidios an die Observantenkongregation von Lecceto verfasst, um Piccolomini davon zu überzeugen, nach Rom zu kommen. 24 Zu Seraphim vgl. D. A. Pe r i n i, Bibliografia Augustiniana 2, Florenz 1931, S. 58; vgl. darüber hinaus Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 156 S. 80, Nr. 184 S. 88, Nr. 591 S. 203, 4. Mai 1510: Serafino Ferri aus Castellina wird als Vikar der Observantenkongregation von Lecceto bestätigt. Zwischen Egidio und Seraphim bestand ein äußerst reger Briefverkehr, wie sich sowohl in E g i d i o da Viterbo, Lettere familiari, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 20), ad indicem, als auch in G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), ad indicem, zeigt. 25 Während seiner Amtszeit als Generalprior bedankte Egidio sich bei Seraphim für das, was dieser in Ausübung seiner verschiedenen Ämter getan hatte, vor allem in Viterbo, wo Seraphim 1502 Prior des in jenem Jahr an die Observantenkongregation von Lecceto angeschlossenen Konvents SS. Trinità war, aber auch in Florenz, und bescheinigte ihm, von ihm „quae nemo mortalium amicissimo homini poterit majora praestare“ erhalten zu haben. Vgl. A. L a n d u c c i, Sacra Ilicetana Sylva, sive origo et chronicon breve coenobii et congregationis de Iliceto Ord. Erem. S. S. Augustini in Tuscia, Siena 1653, S. 30, 59, 61. 26 Dieser wird in verschiedenen ‚familiären‘ Briefen erwähnt, vgl. E g i d i o da Viterbo, Lettere familiari, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 20), Bd. 1, Nr. 173, 178, 221, 275, 313, 320, 324; Bd. 2, Nr. 10. Zum Amt als Vikar vgl. G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 130 S. 240 und Fußnote. 27 Er ist als Prior des römischen Konvents S. Agostino verzeichnet, Roma, Archivio della Curia Generalizia Agostiniana (= AGA), S. Agostino, C.4, Urkunde Nr. 17, 25. Mai 1510. 28 Zur Bezeichnung Bakkalaureus vgl. ASR, Collegio dei Notai Capitolini (= CNC) 60, fol. 130r, 28. Januar 1508. Augustinus war Mitglied der Observantenkongregation von Lecceto, vgl. G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’Reilly (wie Anm. 1), Nr. 144, 20. Mai (1508?): Brief von Egidio „ad magistrum Augustinum Fivizanensem“. Vgl. auch Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 376 S. 145 und passim. Zu ihm vgl. D. A. P e r i n i, Bibliografia Augustiniana 2 (wie Anm. 24), S. 71.
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Weitere wichtige Persönlichkeiten, von denen einige eine brillante Karriere in der ordensinternen akademischen Welt absolvierten, tauchen in den Listen der Brüder aus den Jahren 1508 bis 1512 auf. Von ihnen verdient magister Pietro Caietano Erwähnung, der dem Konvent S. Agostino ganze drei Jahre lang, bis zum Sommer des Jahres 1512,²⁹ vorstand, obwohl die Amtszeit normalerweise nur ein Jahr betrug, um den periodischen Austausch der Führungsspitze der einzelnen Gemeinschaften zu gewährleisten. Diese Ausnahme von einem der ‚konstitutionellen‘ Grundsätze des Ordens war wahrscheinlich dadurch bedingt, dass Caietano die Aufgabe übertragen war, mit großer Entschlossenheit die Reform der Lebensweise des römischen Konvents voranzutreiben, die von seinen Amtsvorgängern zwar angegangen, aber offensichtlich nicht zu Ende geführt worden war. In den zahlreichen an ihn gerichteten Weisungen, die sich den registri generalatus jener Jahre entnehmen lassen, wird darauf gedrängt, „ut pergat in bona administratione, ut … curent … pacem et honestatem fratrum“,³⁰ „ut ipse pro arbitrio ageret contra inhobedientes quicquid cuperet“,³¹ etc. Neben Caietano sind in den Listen von November 1510 und Dezember 1511 noch weitere Personen von Rang und Namen wie die im Folgenden genannten verzeichnet:³² magister Marianus von Sassoferrato, dem zuvor die Leitung einer Observantenkongregation, wahrscheinlich der von Perugia, oblag;³³ magister Augustinus von Vicenza, der einige Jahre lang Regens der römischen Konventsschule war und der von Egidio, der ihm in einem Brief vom 29. Juli 1510 seine Wertschätzung zum Ausdruck brachte, im selben Schreiben zur Weiterführung der Griechischstudien „quod videam id genus cognitionis philosophie necessarium, theologie commodum, oratorie ornamentum“ und zur Aufnahme des Griechischunterrichts in das Lehrprogramm ermuntert wurde;³⁴ Angelus von Gennazano, damals cursor, später als bachalarius
29 Er taucht auch in den folgenden Listen auf: AGA, S. Agostino, C.9, fol. 29v–31v, 11. November 1510; C.4, Urkunde Nr. 22, 1. Dezember 1511; C.9, fol. 60r–62v, 24. März 1524. 30 Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 680 S. 229, 31. Juli 1510. 31 Ebd., Nr. 936 S. 297: „in Cyminiis“, 7. August 1512. 32 Vgl. AGA, S. Agostino, C.4, Nr. 17 (Urkunde; Abschrift in C.9, fol. 89v, vom 25. Mai 1510); C.9, fol. 29v–31v, vom 11. November 1510; C.4, Nr. 22, vom 1. Dezember 1511. 33 Zu Marianus von Sassoferrato, der 1509 mit der Sorge für den Konvent von Sassoferrato betraut wurde, vgl. Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 205 S. 93, Nr. 283 S. 120, Nr. 567 S. 194, Nr. 1043 S. 356; G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 22 S. 101f., Nr. 43 S. 123f., Nr. 77 S. 174; E g i d i o da Viterbo, Lettere familiari, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 20), Bd. 2, Nr. 311 S. 120–122. 34 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 135 S. 245. E g i d i o da Viterbo, Lettere familiari, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 20), Bd. 2, Nr. 382 S. 215, wo er als „eruditum“ bezeichnet wird. Er war nicht nur in Rom, sondern auch in Siena und im ungarischen Esztergom regens, vgl. Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 749 S. 243, Nr. 755 S. 244, Nr. 922 S. 291, Nr. 1018 S. 341.
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eruditus bezeichnet;³⁵ ein weiterer cursor, Paulus Neapolitanus, der im April 1513 das Amt des Priors im Konvent S. Agostino von Neapel bekleiden sollte „cum amplissima auctoritate“, nachdem er zuvor Generalvikar des Konvents von Sulmona gewesen war;³⁶ Franziskus de Gambasio, ab 1516 der Sekretär von Egidio;³⁷ Augustinus de Serra, der 1513 zum Rektor des Konvents von Tivoli ernannt werden sollte;³⁸ und der Römer Giovanni Battista Casali, der Mitglied der römischen Adelsfamilie des rione Campo Marzio war.³⁹ Erinnert sei abschließend noch an einen weiteren in der Liste des römischen Konvents von 1510 verzeichneten Italiener, und zwar an „frater Andreas Ferrariensis, magister in Studio romano“, der kein anderer war Andrea Baura, welcher nach den 1520 in Venedig abgehaltenen Predigten gegen die Laster der Welt, während derer er den Papst und den römischen Hof heftig angegriffen hatte, für seine prolutherische Einstellung bekannt war, dann aber, vielleicht aus Reue, wie Franco Gaeta angenommen hat, eines der ersten Werke gegen Luther verfasste, die „Apostolicae potestatis contra Martinum Lutherium defensio“, erschienen in Ferrara, seiner Heimatstadt, in die er 1521 aus Venedig geflohen war.⁴⁰ Nicht unerwähnt bleiben sollen schließlich die aus dem Ausland kommenden Mitglieder des Konvents S. Agostino. Meist waren diese, wie nicht anders zu erwarten, nur vorübergehend im Konvent vertreten. Den Quellen zufolge hielten sich einige von ihnen aber auch mehrere Jahre in Rom auf. Anderen wurde – wie die Register des
35 Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 355 S. 139 (lector), Nr. 867 S. 272 (bacchalarius), Nr. 1083 S. 378 (magister). 36 Ebd., Nr. 1091 S. 1091, 15. April 1513; vgl. jedoch auch Nr. 280 S. 118 (lector), Nr. 867 S. 272 (bacchalarius), Nr. 1003 S. 334, Nr. 1038 S. 354f. (zum magister erhoben), Nr. 1061 S. 367 (Vikar in Sulmona). 37 Franziskus von Gambassi (ein Ort, der heute in der Provinz Florenz liegt), vgl. ebd., Nr. 242 S. 104; darüber hinaus Nr. 867 S. 272, 18. Oktober 1511: von Egidio wird er zum cursor erklärt (und so wird er auch in der Urkunde vom 1. Dezember 1511 bezeichnet); Nr. 998 S. 330, November 1512: er wird zum lector in Bologna ernannt; Nr. 1037 S. 354. Vgl. auch die beiden von Egidio an ihn gerichteten Briefe vom 16. und 20. Juli 1512 in: G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 242–243 S. 354f. Er war der Verfasser des „Registrum ordinis Eremitarum S. Augustini epilogatum ab a. 1511 iulii usque ad a. 1519 iunii iussu rev.mi d.d. Egidi cardinalis olim generalis ordinis per me fr. Franciscum Gambassiensem scriptorem ordinis“, vgl. AGA, Ff 1. Im Jahr 1519 gehörte er zur familia des römischen Konvents S. Agostino, vgl. Analecta Augustiniana 9 (1921/22), S. 244. 38 Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 1096 S. 385f. Agostino Serrano war im Jahr 1517 als „scindicus conventus romani“ einer der Verfasser der „Descriptio parochie S. Trifonis“, vgl. A. E s p o s i t o, La prima rilevazione parrocchiale cittadina. S. Trifone, anno 1517, in: d i e s., Un’altra Roma (wie Anm. 8), S. 43–74. 39 Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 1020 S. 341, 17. Dezember 1512: Ihm wird die Erlaubnis zur Ausübung des Priesteramts erteilt, „si habuisset breve Pontificis“. 40 Ebd., Nr. 475 S. 171; am 9. Oktober 1510 wird er als „magister studentium“ nach Perugia versetzt, Nr. 749; nach 1523 stirbt er, vgl. F. G a e t a, Baura, Andrea, in: DBI 7 (1970), S. 296f.; D. G u t i e r r e z, I primi agostiniani che scrissero contro Lutero, in: Analecta Augustiniana 39 (1976), S. 5–74, hier S. 19– 38.
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Generalpriors belegen – die Befugnis redeundi ad patriam gewährt. In meinen Listen sind, wie gesagt, Brüder aus Spanien, und, wenngleich in geringerem Maße, aus Frankreich und aus Portugal vertreten, vor allem aber sind es die Brüder „de Alemanea“,⁴¹ von denen es in jeder Liste mindestens einen oder zwei gibt, in der von 1519 sogar vier neben einem ungarischen Studenten und einem Studenten „de Flandria“. Von den wenigen, über deren Person ich bislang mehr in Erfahrung bringen konnte, will ich nur einen herausgreifen, der in gewisser Weise mit der Mission zu tun hat, die Luther und seinen Begleiter Iohan Nathin nach Rom führte: Es handelt sich um „Johannes Alemanus“,⁴² der in der Liste der Brüder von Januar 1508 als cursor und in der von Mai 1510 als subprior des römischen Konvents auftaucht. Dieser wird in den „Resgestae generalatus“ von Egidio von Juni 1510 als „subprior romanus frater Iohannes lector germanus“ erwähnt und ist nach De Meijer jener „frater Iohannes Germanus“ beziehungsweise „Iohannes Parvus“ alias Klein, den Egidio von Viterbo dann im Januar 1511 zum Vikar der sächsischen Kongregation, Johannes von Staupitz, „ut res germanae ad amorem et integram obedientiam redigerentur“ schickte.⁴³ Von den Spaniern will ich vor allem „frater Dyonisius hispanus bachalarius“, d. h. Dionisio Vázquez de Toledo nennen, den Egidio im Oktober 1510 zum regens in studio Romano ernannte und der am Aschermittwoch, dem 9. Februar 1513, die Ehre haben sollte, in der Kapelle des Apostolischen Palasts vor Papst Julius II. eine Predigt zur „dignitas hominis“ zu halten, die von John O’Malley im Rahmen seiner Studien zu den Predigten coram papam untersucht und veröffentlicht wurde.⁴⁴
41 Zum Beispiel „Caspar almanus“, dem am 7. April 1509 „datur facultas frati Gaspari de provincia Bavarie redeundi ad patriam et moram trahendi in aliquo conventu provincie usque ad capitulum provinciale, deinde rediret ad aliquod studium vel Italie vel Alamanie“, vgl. Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 191 S. 89f., Nr. 1016 S. 340. Wahrscheinlich handelt es sich um „fr. Gaspar Ratisponensis“, der am 13. Dezember 1512 (möglicherweise in Rom) zum cursor ernannt wurde. Diesem erteilte Egidio am 15. Dezember die Befugnis, in seine bayerische Provinz zu gehen, und empfahl ihn „patribus suis“ und anderen, denen er während seiner Reise begegnen sollte, Nr. 1018 S. 340f. 42 Vgl. ebd., Nr. 644 S. 218: Soriano, 25 Juni 1510: „Confirmamus in vicarium congregationis Alamanie et in provincialem provincie Saxoniae mag. Iohannem Staupitz. Subpriori romano fratri Iohanni lectori germano ut que in conventu romano componenda et emendanda sunt, cum vicario omnia emendet“. 43 Ebd., Nr. 811 S. 258. 44 Der Spanier Dionisio Vázquez de Toledo stand auch in den Listen vom 11. November 1510 und vom 24. März 1512 (zur letztgenannten vgl. AGA, S. Agostino, C.9, fol. 60r–62v); vgl. auch Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 678 S. 228, 29. Juli 1510: Es wird ihm gestattet, die Güter zu verwahren, die er in Toledo bei seinem Bruder hatte, nachdem er den Vikar seiner Kongregation davon benachrichtigt hatte; Nr. 749 S. 242, 9. Oktober 1510: Er wird von Egidio zum regens in studio Romano ernannt; zur Predigt vgl. J. W. O’ M a l l e y, Rome and the Renaissance. Studies in Culture and Religion, London 1981 (Collected Studies Series 127); vgl. darüber hinaus Q. Fe r n á n d e z OSA, Fray Dionisio Vazquez de Toledo, orador sagrado del Siglo de Oro, in: Archivo Agustiniano 60 (1976), S. 105–197; die Predigt wird von ihm veröffentlicht in: Archivo Agustiniano 61 (1977), S. 133–158. Vazquez, der von 1507 bis 1539 Prediger von Ferdinand dem Katholischen
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So wie eben beschrieben, können wir uns die Menschen und das kulturelle Milieu des Konvents S. Agostino vorstellen, mit dem der Augustiner Martin Luther gewiss in Berührung kam, auch wenn es keinen sicheren Beweis dafür gibt, dass er während seines kurzen Romaufenthalts im Konvent wohnte: Sein Name erscheint in der Tat zu keinem Zeitpunkt in einem der Rechnungsregister oder in einer der Listen der Brüder von S. Agostino (was insofern nicht verwundert, als er nicht zur Konventsgemeinschaft gehörte), und das Gleiche gilt auch für S. Maria del Popolo. Auch wenn ich an dieser Stelle nicht auf die reichen Buchbestände der beiden Konvente eingehen will,⁴⁵ die den Theologen Luther sicher interessierten, kann ich doch nicht umhin, einige kurze Bemerkungen zum liturgischen Leben in den beiden Ordenskirchen zu machen, wobei ich mich erneut auf den Konvent S. Agostino konzentriere, der über eine ganz besonders wichtige Quelle verfügt: die Rechnungsbücher der Sakristei, dank derer ganz konkret die Besuche der Kirche und die Initiativen der Konventsmitglieder im kultischen Bereich überprüft werden konnten, die eine nicht unerhebliche Einnahmequelle darstellten. Bevor ich jedoch zu Einzelheiten komme, will ich noch einmal auf das Interesse Egidios da Viterbo an S. Agostino hinweisen. Dieses hatte nicht nur die Rückbesinnung auf eine ganze Reihe von teilweise außer Gebrauch gekommenen liturgischen Vorschriften für die Brüder zur Folge, sondern führte auch dazu, dass der Kirche des römischen Konvents eine größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sie wurde nicht nur von Egidio bevorzugt für seine Predigten genutzt, die er bei besonderen Gelegenheiten vor zahlreichen Kardinälen und gelegentlich auch vor dem Papst hielt,⁴⁶ sondern auch von den berühmten Predigern des Ordens, die er zur Fastenzeit kommen ließ⁴⁷ und die die Gläubigen massenhaft anzogen.
und von Karl V. war und als erster Professor für die Heilige Schrift an der Universität Alcalá lehrte, wurde von Alvar Gomez de Castro und von dem seligen Alonso de Orozco gelobt; zu seinen Verdiensten als Erneuerer der Exegese und der heiligen Redekunst vgl. Dionisio Va z q u e z OSA, Sermones, hg. von F. G. O l m e d o, Madrid 1943 (Clásicos castellanos 123), Prolog. 45 Zum Buchbestand von S. Agostino vgl. D. G u t i é r r e z, La biblioteca di S. Agostino di Roma nel sec. XV, in: Analecta Augustinana 27 (1964), S. 5–58; 28 (1965), S. 57–153; zum Buchbestand von S. Maria del Popolo vgl. A. E s p o s i to, Centri di aggregazione. La biblioteca agostiniana di S. Maria del Popolo, in: M. M igl i o / F. Ni u t t a / D. Q u agl i o n i / C. R a n i e r i (Hg.), Un pontificato ed una città. Sisto IV. (1471 –1484). Atti del convegno, Roma, 3–7 dicembre 1984, Roma 1986 (Studi storici 154–162), S. 569–597. 46 Ae g i d i i Viterbiensis Resgestae generalatus, hg. von D e M e i j e r (wie Anm. 19), Bd. 1, Nr. 63 S. 48; Nr. 268 S. 113, 17. Juni 1509: „orazione habemus in templo nostro toto concilio cardinalium astante“ (zur Eroberung von Oran); Nr. 520 S. 182, 24. Februar 1510: „verba fecimus in templo nostro pro victoria Busie [Bejaja in Afrika], decem cardinalibus audientibus. Hoc etiam die rev. dominus protector noster [Raffaele Riario] venit in conventum et in camera nostra reficitur“. 47 Ebd., Nr. 336 S. 134, 22. August 1509: Er fordert magister Antonius von Siena auf, zur nächsten Fastenzeit nach Rom zu kommen; Nr. 814 S. 259, 7. März 1511: „Cum nullus Romae concionatur augustinanus esset, idque totae Urbi et admirationi et aliquibus scandalo esse audiret, Egidio illico Viterbio Romam advolat, pulpitum ascendit, oratione habet et totam quadragesimam dicendi munus se
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Die in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts vollständig wiederaufgebaute Kirche S. Agostino⁴⁸ war bereits zuvor zum religiösen und liturgischen Bezugspunkt von Institutionen unterschiedlicher Art geworden.⁴⁹ Bei meiner Durchsicht der täglichen Einträge in den Büchern der Sakristei über „introitus et exitus“⁵⁰ aus den Jahren 1505 bis 1512 bin ich dann auf unzählige Messen gestoßen: Neben den Messen für einzelne Verstorbene, die die Kirche als Ort ihres Begräbnisses und des Begehens der Jahrtage gewählt hatten, sind auch die Messen verzeichnet, die in der Kapelle S. Monica regelmäßig die Brüder der „confraternitas cincturatorum et cincturatarum Sancta Mater Monica“ und die Augustiner-Tertiarinnen,⁵¹ die „sore de Sancto Ambrogio“ d. h. die Nonnen von S. Ambrogio alla Massima im rione S. Angelo⁵² und die Nonnen von S. Maria in Campomarzio⁵³ abhalten ließen. Die genannten Nonnen übertrugen den Augustinerbrüdern zum Zweck des Kommunionempfangs wie bei den Festen zu Ehren ihrer Heiligen – Ambrosius im ersten, Benedikt im zweiten Fall – auch in ihren Konventskirchen die Leitung der Gottesdienste.⁵⁴
exequuturum promittit, inquiens: Rectoris interesse, si quando quis labore desit, ipse latore subeat“; Nr. 852 S. 269, 14. September 1511: „magistrum Ambrosium Neapolitanus vocamus in predicatorem Romam“; Nr. 1239 S. 429, 27. April 1514: magister Nikolaus von Verona, „qui Rome predicavit per quadragesimam“. 48 Die Kirche wurde, angefangen bei ihren Fundamenten, von Kardinal Guillaume d’Estouteville, dem Schutzherrn der Augustiner, vollständig wiederaufgebaut. Vgl. M. B r e c c i a Fr a t a d o c c h i, S. Agostino in Roma. Arte storia documenti, Roma 1979; R. S a m p e r i, L’architettura di S. Agostino a Roma (1296–1483). Una chiesa mendicante tra Medioevo e Rinascimento, Roma 1999. 49 K. S c h u l z, Artigiani tedeschi in Italia, in: S. d e R a c h e w i l t z / J. R i e d m a n n (Hg.), Comunicazione e mobilità nel Medioevo. Incontri fra il Sud e il Centro dell’Europa (secoli XI–XIV), Bologna 1997 (Annali dell’Istituto storico italo-germanico 48), S. 197–228, hier S. 203–217; K. S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti de Urbe. Die ältesten Mitgliederverzeichnisse (1500/01–1536) und Statuten der Bruderschaft, Freiburg 2002 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 54). 50 ASR, S. Agostino, Reg. 109. Zu den Rechnungsunterlagen des Konvents vgl. die Ausführungen von A. B a r to l i L a nge l i / G. S. B u s t re o, I documenti di contenuto economico negli archivi conventuali dei Minori e dei Predicatori nel XIII e XIV secolo, in: L’economia dei conventi dei frati minori e predicatori fino alla metà del Trecento. Atti del 31. convegno internazionale, Assisi, 9–11 ottobre 2003, Spoleto 2004 (Atti dei convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani N. S. 14), S. 119–150. 51 Zu den Augustiner-Tertiarinnen vgl. A. E s p o s i to, I gruppi bizzocali a Roma nel ʼ400e le sorores de poenitentia agostiniane, in: M. C h i ab ò / M. G a rga n o / R. R o n z a n i (Hg.), Santa Monica nell’Urbe dalla tarda antichità al Rinascimento. Storia, Agiografia, Arte. Atti del Convegno Ostia antica – Rom, 29–30 September 2010, Roma 2011 (Roma nel Rinascimento, inedita 49, saggi), S. 157–188. 52 Zur Kirche und zum Kloster S. Ambrogio vgl. M. A r m e l l i n i, Le chiese di Roma dal secolo 4 al 19, hg. von C. Cecchelli, Roma 1942, S. 692f. 53 Zum Kloster S. Maria in Campomarzio vgl. A r m e l l i n i, Chiese, hg. von C e c c h e l l i (wie Anm. 52), S. 405f. 54 ASR, S. Agostino, Reg. 109 (introitus-exitus sacristie, 1505–1518), Einnahmen, fol. 1v, 68v (betreffend die Liturgie in S. Ambrogio); fol. 4v, 6v (betreffend die in S. Maria in Campomarzio).
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Die eifrigsten Besucher der Augustiner-Kirche waren jedoch Bruderschaften wie die nicht näher bekannte „compagnia de S. Trifone“, die in den Registern erstmals um das Jahr 1510 auftaucht,⁵⁵ und noch mehr die Berufsvereinigungen wie die Zunft der lombardischen Bäcker⁵⁶ und die beiden wichtigsten Zünfte ausländischer Handwerker in Rom: die der deutschen Bäcker und Schuhmacher.⁵⁷ Sie waren es, die Geld in die Konventskassen brachten, wenn sie für jeweils drei bolognini einmal pro Woche (für die deutschen Schuhmacher am Montag) ‚gesprochene‘ oder ‚niedere‘ Messen abhalten ließen, und ein- oder zweimal im Monat gesungene Messen für die Verstorbenen oder gesungene Messen an den wichtigsten Feiertagen, für die wesentlich mehr, nämlich 15 bolognini, bezahlt werden musste. Die Messfeiern fanden in unterschiedlichen Kapellen statt: Während bei denen für die lombardischen Bäcker nie der Altar oder die Kapelle angegeben ist, wissen wir von denen für die deutschen Bäcker und Schuhmacher, dass erstere sich gern der Kapelle S. Monica bedienten, wo für sie ständig eine Öllampe brannte, während letztere die Kapelle S. Nicola bevorzugten.⁵⁸ Bleibt zu klären, warum die Deutschen so häufig die Kirche S. Agostino besuchten, statt in die nahegelegene deutsche Nationalkirche Kirche S. Maria dell’Anima zu gehen, die der gleichnamigen Bruderschaft unterstand. Auch wenn hier nicht der Ort für diesbezügliche Hypothesen ist, steht doch fest, dass in der Kirche S. Agostino dank der ständigen Anwesenheit von Brüdern, die meist auch Priester waren, stets die Ausübung der Liturgie und anderer Kultpraktiken gewährleistet war, wie beispielsweise die Teilnahme an Prozessionen oder die Anhörung der regelmäßig von den Predigern des Ordens abgehaltenen Predigten. Abgesehen davon scheuten die Brüder keine Ausgaben, wenn es darum ging, die Gläubigen zu besonderen Anlässen wie dem Fest des heiligen Augustinus oder der heiligen Monika in die Kirche zu locken. Dazu gehörten, wie sich dem entsprechenden Register entnehmen lässt, die Ausgaben für die Krippe am Weihnachtsfest, die Palmwedel für den Palmsonntag, die Gräber in der Karwoche und die Musik, die sich keineswegs auf die Orgel beschränkte,⁵⁹ sondern bei zahlreichen Gelegenhei-
55 Ebd., fol. 63v, 66r, 68v, 73v, 75r. 56 Ebd., fol. 1v, 4v. 57 K. S c h u l z / C. S c h u c h a rd, Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance. Darstellung und ausgewählte Quellen, Rom-Freiburg-Wien 2003 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 57), S. 72–77. 58 ASR, S. Agostino, Reg. 109, Einnahmen, fol. 1v, 2v, 4v, 61r, 66r, 67v, 69v. 59 Zur Orgel, die in S. Agostino in Gebrauch war, gibt es zahlreiche Hinweise in den Verzeichnissen über die Ausgaben für regelmäßige Wartungen und für den Organisten, vgl. zum Beispiel ASR, Agostiniani in S. Agostino, Reg. 234, fol. 3r–v, 6v, 41r. Auch in S. Maria del Popolo maß man der Orgelmusik eine große Bedeutung bei, vgl. A. E s p o s i to, Un inedito contratto per un organo a Santa Maria del Popolo (1503), in: E. B e l l i n i (Hg.), Arte organaria e musica per organo nell’età moderna. L’Umbria nel quadro europeo. Atti del convegno internazionale, Amelia, Collescipoli, Foligno, Trevi, Gubbio,
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ten auch andere Instrumente vorsah, so „eine Harfe, eine Trommel, ein Piffero, ein Cembalo, zwei Rebecs und vier kleine Trompeten“.⁶⁰ Abschließend will ich, wie gesagt, noch auf die Lebensweise der Mitglieder des Konvents S. Agostino eingehen, die sich aus den „Rechnungsbüchern des Prokurators“ für die ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts rekonstruieren lässt.⁶¹ Dass die Register der Jahre 1510 bis 1514 fehlen, wiegt zwar schwer, wenn man dem Aufenthalt Luthers in dem Konvent auf die Spur kommen will, hat aber keine grundlegende Bedeutung, wenn der modus vivendi der dort wohnenden Brüder im Mittelpunkt steht, der für die untersuchten Jahre mehr oder weniger derselbe ist, und es spielt auch keine wesentliche Rolle, wenn man herausfinden will, inwieweit die Regel und die von Egidio auf den Generalkapiteln von 1507 und 1511 erlassenen Bestimmungen eingehalten wurden.⁶² In erster Linie interessieren in diesem Zusammenhang die Ernährungsgepflogenheiten der Brüder, die sich angesichts der präzisen Einträge des Prokurators, Bruder Augustinus de Serra, in den Registern der Jahre 1505 bis 1518 besonders gut nachvollziehen lassen. Sogar auf einige Rezepte lassen die Register schließen.⁶³ Im Normalfall waren zwei Mahlzeiten pro Tag vorgesehen, eine am Vormittag und eine am Abend, wobei erstere kalorienhaltiger als letztere war und meist aus mit Milch und Mandeln gekochtem und mit Pfeffer gewürztem Reis, aus Hülsenfrüchten (Kichererbsen und Linsen)⁶⁴ oder aus gekochtem Gemüse, vor allem Mangold, Schwarzkohl, Spinat, Zichorien, Rüben und Artischocken, und aus Salat, auch gemischtem, bestand, die
14–18 settembre 2007, Perugia 2008 (Biblioteca della Deputazione di Storia Patria per lʼUmbria 6), S. 101–108. 60 ASR, Agostiniani in S. Agostino, Reg. 109, Ausgaben, fol. 61r (für das Fest des heiligen Augustinus), 64r (für die Krippe, Dezember 1510), 66v (für die Musiker, 30. März 1511), 67v, 87r (für die Palmwedel), 69r (für das Fest der hl. Monika), 70v (für S. Anna). 61 Zu den Verwaltungs- und Rechnungsunterlagen in anderen Bettelorden vgl. zum Beispiel M. S. P e d a n i, Fabbrica e peculio. Il caso del convento dei Carmini a Venezia, in: Ricerche di storia sociale e religiosa 40 (1991), S. 99–111. 62 Vgl. S. E s te b a n, Atti dei capitoli dellʼetà moderna, in: Analecta Augustiniana 9 (1921/22), S. 65– 68, 75–80. 63 ASR, Agostiniani in S. Agostino, Reg. 234, Ausgaben. Zum Vergleich sei beispielsweise auf die folgenden Publikationen verwiesen: F. S a n t u cc i, Conti in volgare trecentesco del sacro convento di S. Francesco in Assisi, in: Atti della Accademia Properziana del Subasio – Assisi, Reihe VI, 1 (1978), S. 45–67; R. G i a n n i n i, Vita quotidiana e osservanza della regola in un registro trecentesco di S. Domenico in Bologna, in: Miscellanea Gilles Gerard Meersseman, 2 Bde., Padua 1970 (Italia sacra 15–16), hier Bd. 1, S. 313–341; C. C a r b o n e t t i Ve n d i t te l l i, Il registro di entrate e uscite del convento domenicano di S. Sisto degli anni 1369–1381, in: A. E s p o s i to / L. P a l e r m o (Hg.), Economia e società a Roma tra Medioevo e Rinascimento. Studi dedicati ad Arnold Esch, Roma 2005 (I libri di Viella 51), S. 83– 121; R. Z a z z e r i, Ci desinò l’abate. Ospiti e cucina nel monastero di Santa Trinita (Firenze, 1360–1363), Firenze 2003 (Media aetas 2). 64 ASR, Agostiniani in S. Agostino, Reg. 234, exitus procuratorie, aa. 1515–1521, fol. 5r, 11v, 42v.
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zum Teil im Garten des Konvents angebaut wurden, wie die Ausgaben für die Saat belegen, die der Prokurator sorgsam eingetragen hatte.⁶⁵ Das täglich eingekaufte Fleisch wurde dem Metzger erst nach einer gewissen Zeit bezahlt. Am häufigsten wurden Hammel und das billigere Jungrind verzehrt, doch auch das – vielleicht für Brüder von schwächerer Konstitution vorgesehene – Kalb stand auf dem Speiseplan und wurde gekocht oder gebraten gegessen und im letzteren Fall mit Majoran, Lorbeer und Pfeffer gewürzt.⁶⁶ An Feiertagen kam gelegentlich Ziegenkitz (zuweilen gefüllt) auf den Tisch,⁶⁷ während Haus- und Wildgeflügel (Drosseln, Wachteln, Wildtauben, Kapaune) den seltenen Gästen des Konvents (die meisten wurden in eine Gaststätte geschickt, wo sie bezahlen mussten)⁶⁸ oder den Kranken vorbehalten war und nur in Ausnahmefällen anderen serviert wurde, und das Gleiche gilt auch für das Obst, das die Saison zu bieten hatte. Nur selten wurde Schweinefleisch gegessen. Der Verzehr von oft zu Omeletts verarbeiteten Eiern⁶⁹ und auch von Fladenbrot war dagegen groß.⁷⁰ Freitags, vor Feiertagen und während der Fastenzeit kam neben Gemüse nur Fisch auf den Tisch, vor allem Süßwasserfische wie Schleien, Karpfen, Hechte und Aale, aus denen auch Suppen zubereitet wurden, und Fettfische, hauptsächlich Sardinen und Meeräschen, die man gegrillt oder in Essig mariniert aß.⁷¹ Diese Fische gehörten zu den günstigsten überhaupt. Lampreten und Störe, wie sie die reichen Kurialen verzehrten, standen im Konvent dagegen nicht auf dem Speiseplan. Vor allem an Feiertagen und in der Karnevalswoche wurden auch die damals üblichen Nudelgerichte serviert: Makkaroni, Lasagne und Vermicelli, eine Art Spaghetti, die der Koch – viele Jahre lang Bruder Liberatus⁷² – nicht selbst herstellte, sondern bei den sogenannten Vermicellari einkaufte, die sich in jenen Jahren in der Stadt verbreiteten.⁷³ Zum Anmachen und Verfeinern wurde meist Öl, selten dagegen Butter verwendet.⁷⁴ Vom Wein schließlich wurden zwei Sorten, der griechische und der aus Terracina, gekauft, doch auch der aus den Reben der konventseigenen Weinberge,
65 Gemüse wurde täglich eingekauft. Zur Saat vgl. ebd., fol. 8v, 15r, 42v. 66 Zum Fleisch vgl. ebd., fol. 2r, 3r, 8r, 9v, 10r, 11r, 12r, 40r; Pfeffer wurde wöchentlich eingekauft; zu Safran und Zimt ebd., fol. 4v, 5r, 11v, 13r, 40r. 67 Ebd., fol. 4v. 68 Ebd., fol. 3r, 4r, 7v, 9v, 12v. 69 Eier wurden fast jeden Tag verzehrt: Für den Bedarf einer Woche wurden 150 Eier eingekauft, vgl. zum Beispiel ebd., fol. 2r, 3r, 4r–v und passim. 70 Ebd., fol. 2v, 4r. 71 Sehr abwechslungsreich war der Verzehr von Fisch in der Karwoche und am Freitag (ebd., fol. 2r–v, 4v, 5r–v); Aalsuppe und gesalzener Fisch (ebd., fol. 6v). 72 Ebd., fol. 5v, 10r. 73 Ebd., fol. 2v, 3r, 8r. 74 Ebd., fol. 4r.
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vor allem der Vigna del Trullo und der Vigna fuori porta del Popolo, gewonnene fehlte auf dem Tisch nicht. Ohne auf weitere Details einzugehen, lässt sich sagen, dass die Ernährung eine ausgewogene, wenngleich wenig abwechslungsreiche war, die im Großen und Ganzen mit der von der Regel vorgesehenen Schlichtheit im Einklang stand. Das Gleiche lässt sich auch von der häufigen Nutzung des Barbiers behaupten, der einmal pro Woche in den Konvent kam, um die Bärte zu stutzen und die Haare zu schneiden. In der Tat heißt es in den Bestimmungen der Generalkonzile von Anfang des 16. Jahrhunderts: „coram nemo nutriat sub quovis praetextu; barbam vero solis magistris et aliorum nemini nutrire fas sit“.⁷⁵ Viel wäre noch zur persönlichen Armut der Brüder zu sagen, über ihre Einstellung zum Eigentum, zur Keuschheit und zum Gehorsam. Zu all dem finden sich in den konsultierten Quellen etliche Hinweise. An dieser Stelle soll jedoch nur erwähnt werden, dass sich sowohl in den Briefen des Generalpriors als auch in den internen Dokumenten Informationen über einige wenige Brüder mit tadelnswertem Verhalten finden: Auf diese wurden die strengen Bestimmungen Egidios da Viterbo angewandt, dem es nicht nur um die religiöse Praxis, sondern auch um die Sitten seiner Brüder ging: „Mores in primis tibi commendamus“ – schrieb Egidio an den Prior des römischen Konvents im Jahr 1507 – „Virtutes enim nullae sunt quae vitia admittunt“.⁷⁶
75 E s te b a n, Atti dei capitoli (wie Anm. 62), S. 69, Kap. 38. 76 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 1), Nr. 33 S. 111. Der Barbier erhielt in der Regel neben seiner Vergütung auch eine Hauptmahlzeit. Auch jährliche Zahlungen an einen für die chirurgischen Belange zuständigen Arzt, „Iacomo de Nardellis“, sind verzeichnet, vgl. ASR, Agostiniani in S. Agostino, Reg. 234, exitus procuratorie, aa. 1515–1521. fol. 9v.
Luciano Palermo
Wirtschaft und Finanzen in Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts 1 Rom im Spannungsfeld von symbolischer Wirtschaft und Realwirtschaft Wer das städtische Wirtschaftssystem Roms in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts untersuchen will, als sich Martin Luther in der Stadt aufhielt, muss sich zunächst mit einigen grundsätzlichen ideologischen und institutionellen Aspekten auseinandersetzen. Zum einen nämlich stellte Rom gerade in den Jahren vor der Reformation die symbolische Stadt par excellence dar, auch wenn alle großen Renaissance-Städte in Italien und im restlichen Europa genug Stoff für die Erzeugung symbolischer und ideologischer Werte boten. Als himmlischer Hof oder neues Babylon trug die Ewige Stadt die unüberwindbaren Widersprüche der Kultur ihrer Zeit in sich, die noch zu der sinnbildlichen Last ihrer langen und bedeutenden Geschichte hinzutraten.¹ Im Kontext der lang anhaltenden Debatten über die Notwendigkeit einer Kirchenreform wuchs ihr eine weitere ideologische Bedeutungsebene zu, die sie im Laufe der Zeit je nach Standpunkt gegenüber der Reform zum Symbol für die Einheit oder zur Ursache für die Spaltung werden ließ. Dennoch bot Rom an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert der formal vereinten westlichen Christenheit Europas noch die Bühne, um zum letzten Mal das Jubeljahr gemeinsam zu begehen; und kurze Zeit darauf, im Jahr 1512, versammelte sich im Lateran das letzte Konzil einer noch nicht gespaltenen Christenheit. Darin drückte sich allerdings keineswegs ein fehlendes Bewusstsein vom Untergang aus, denn „nichts ließ“, so Paolo Prodi, „auf eine bevorstehende Krise schließen“,² vielmehr erfuhr hier, auf dem Boden ein und derselben Stadt, die Synthese von Sakralem und Profanem eine neue Qualität.³
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 Vgl. A. E s c h, Immagine di Roma tra realtà religiosa e dimensione politica nel Quattro e Cinquecento, in: L. Fi o r a n i / A. P ro s p e r i (Hg.), Roma. Città del papa. Vita civile e religiosa dal giubileo di Bonifacio VIII. al giubileo di papa Wojtyla, Torino 2000 (Storia d’Italia. Annali 16), S. 7–29. 2 P. P ro d i, Alessandro VI e la sovranità pontificia, in: C. Fr o v a / M. G. N i c o O t t av i a n i (Hg.), Alessandro VI e lo Stato della Chiesa. Atti del Convegno, Perugia, 13–15 marzo 2000, Roma 2003 (Pubblicazioni degli archivi di Stato. Saggi 79), S. 311–338, hier S. 325. 3 Zu diesen Aspekten des städtischen Renaissancelebens vgl. G. S ig n o r o t t o / M. A. Vi s c e g l i a (Hg.), La corte di Roma tra Cinque e Seicento. ‚Teatro‘ della politica europea, Roma 1998 (Biblioteca del Cinquecento 84); M. A. Vi s ce gl i a, Identità urbana, rituali civici e spazio pubblico a Roma tra Rinascimento e controriforma, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2005, Heft 2, S. 7–38. DOI 10.1515/9783110316117-008
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Nicht weniger relevant als die ideologischen sind die institutionellen Aspekte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts nämlich konsolidierte die Stadt die bereits im Jahrhundert zuvor heranreifende Doppelrolle als Leitungszentrum der universellen Kirche und als Hauptstadt des Kirchenstaates. Rom wurde damit zum Knotenpunkt zweier streng voneinander geschiedener Funktionen: Zu der nach dem avignonesischen Exil unbestrittenen Aufgabe der Stadt als eines geistlich-religiösen Zentrums kam ihre neue Rolle als Zentrale und Verwaltungssitz eines Staates, der sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch nicht voll herausgebildet hatte, aber langsam Gestalt annahm und sich innerhalb der Grenzen der direkt oder indirekt der weltlichen Herrschaft der Kirche unterstehenden Territorien festigte. Beide hierarchisch strukturierten Herrschaftsebenen fanden mit den entsprechenden Leitungs- und Verwaltungsapparaten, die in der päpstlichen Kurie zusammenliefen, ihren Mittelpunkt.⁴ Diese ideologischen und institutionellen Problematiken dürfen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Wirtschaft und Finanzen in Rom nicht unberücksichtigt bleiben. In der Tat bedurfte das Spektrum an symbolischen Bedeutungen, das diese komplexe Stadt – unabhängig davon, ob man sie heiligte oder verfluchte – hervorbrachte, zu ihrer Herausbildung, Aufrechterhaltung und zeitlichen Kontinuität nicht nur der Verwaltungsorganisation des doppelten institutionellen Apparats, sondern auch der Stützung durch ein komplexes Wirtschafts- und Finanzsystem. Sowohl die religiöse als auch die weltliche Institution, deren Sitz und Symbol die Stadt war, stellten für den Gesamtapparat der römischen Macht bei aller Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Form und Zahl eine wichtige wirtschaftliche und finanzielle Einnahmequelle dar, und dieser doppelte Finanzierungsstrang führte zu erheblichen Widersprüchen, was allen mit den sogenannten kirchlichen Finanzen befassten Wissenschaftlern bekannt ist, die ihren Untersuchungsgegenstand oft nur mit Mühe genau bestimmen können. Die päpstliche Wirtschafts- und Finanzmacht hing engstens mit den von der Stadt verkörperten Symbolen zusammen, und daran ist nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil: Im Rahmen eines gegensätzlichen Symbolzusammenhangs (heilige Stadt oder neues Babylon; geistliche Hauptstadt der christlichen Welt oder organisatori-
4 Zu diesen die Geschichte der Stadt betreffenden Problematiken und ihrer Einordnung in den Kontext der Geschichte des päpstlichen Regionalstaates vgl. die grundlegenden Ansätze von M. C a r av a l e, Lo Stato pontificio da Martino V a Gregorio XIII, in: d e r s . / A. C a r a c c i o l o, Lo Stato pontificio da Martino V a Pio IX, Torino 1978 (Storia dʼItalia 14), S. 1–371; J. D e l u m e au, Les progrès de la centralisation dans l’Etat pontifical au XVI e siècle, in: Revue Historique 226 (1961), S. 399–410; P. P r o d i, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime. La monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982 (Annali dellʼIstituto storico italo-germanico. Monografia 3); vgl. darüber hinaus die neueren Studien von M. C a r ava l e, Le istituzioni temporali della Chiesa agli albori dell’età moderna, in: Fr o v a / Ni co O t t av i a n i (Hg.), Alessandro VI (wie Anm. 2), S. 11–26, und P r o d i, Alessandro VI (wie Anm. 2); vgl. schließlich noch G.-R. Te we s, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95).
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sches Zentrum eines italienischen Renaissancestaates) spielten die wirtschaftlichen Faktoren eine äußerst wichtige Rolle, denn auch die Wirtschaft schafft und transportiert symbolische und ideologische Werte, und je strukturbildender ihre Funktion ist, desto gewichtiger wird die von ihr vertretene Symbolik. Diese enge Verknüpfung von Ideologie und Wirtschaft geht klar aus den auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts sehr lebhaften Kirchenreformdebatten hervor. Wenngleich sich die von Luther kurze Zeit später angestoßene Revolte in jenen Jahren noch nicht absehen ließ, ist doch gewiss, dass die ethischen und theologischen Überlegungen, die wenig später zur Spaltung der Christenheit führen sollten, sehr stark mit der vom römischen Hof organisierten finanziellen Abschöpfung und deren Formen sowie mit der Art und Weise der Verwaltung der daraus gewonnenen Ressourcen verknüpft waren. In der Vorstellung der Reformatoren gehörten also die von der römischen Kurie entwickelten wirtschaftlichen und finanziellen Mechanismen mit zu den wichtigsten Gründen für die Forderung nach Erneuerung. Selbst bei führenden Kirchenvertretern stießen sie dabei keineswegs auf taube Ohren. Tatsächlich bezeichnete auch ein herausragender Verfechter der päpstlichen Sache wie Egidio da Viterbo bei der Eröffnung des Laterankonzils von 1512 den Reichtum der Kirche als die wichtigste Ursache für jegliche Form der Korruption.⁵ Dabei mussten die Reformatoren nicht einmal etwas von Wirtschaft oder öffentlichen Finanzen verstehen (im Übrigen waren auch ihre Gegner keine Wirtschaftsexperten): Die Debatte wurde von den symbolischen Werten beherrscht, die die wirtschaftlichen Strukturen transportierten. Selbst wenn in diesem Zusammenhang die in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts bereits deutlich erkennbare Tatsache registriert worden wäre, dass die Einnahmen in spiritualibus, ganz im Gegensatz zu den natürlich nicht über die Grenzen des Kirchenstaates hinausgehenden Einnahmen in temporalibus, einen deutlichen Abwärtstrend verzeichneten,⁶ so hätte sich an diesen Diskursen nicht das Geringste geändert, da der Stein des Anstoßes nicht das ‚Wieviel‘ war. Die symbolische Kraft der wirtschaftlichen Mechanismen erwuchs vielmehr aus der Art und Weise (dem ‚Wie‘) und den Zwecken (dem ‚Warum‘), aufgrund derer auch nur ein einziger Dukat in die kirchlichen Kassen gelangte, und wozu er bestimmt war.
5 C. O ʼ R e i l ly, Without Councils we cannot be saved … Giles of Viterbo addresses the Fifth Lateran Council, in: Augustiniana 27 (1977), S. 166–204. 6 Vgl. F. P i o l a C a s e l l i, L’espansione delle fonti finanziarie della chiesa nel XIV secolo, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 110 (1987), S. 63–97; M. C a r av a l e, Le entrate pontificie, in: S. G e n s i n i (Hg.), Roma Capitale (1447–1527), Centro Studi sulla Civiltà del Tardo Medioevo, Pisa 1994 (Collana di studi e ricerche. Centro di studi sulla civiltà del tardo Medioevo 5 / Pubblicazioni degli archivi di Stato. Saggi 29), S. 73–106.
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2 Rom und das simonistische Finanzsystem Die wirtschaftlichen und theologischen Auseinandersetzungen prägten das Bild von Rom nicht nur als Stadt der religiösen und politischen Symbole, sondern auch als real existierende Stadt, in der Männer und Frauen lebten und arbeiteten. Das war insofern unvermeidlich, als sich in der Stadt der Hof und die zentralen politischen und wirtschaftlichen Behörden der katholischen Kirche befanden, d. h. hier diejenigen lebten, die in den Augen der Reformatoren einen skandalösen Reichtum anzuhäufen vermochten, um ihn dann mit vollen Händen zu verprassen. Eine solche Interpretation der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse war sehr elementar, aber auch sehr effizient. Es zielte darauf ab, Roms symbolische Komplexität als doppelte Hauptstadt anzugreifen, traf aber letztlich auch die reale Stadt. Diese Verbindung von wirtschaftlicher und theologischer Symbolik, die die Verurteilung und die Verachtung sowohl der symbolischen als auch der realen Stadt mit sich brachte, begann nicht mit Luther und entstand auch nicht zu seiner Zeit, im Gegenteil: Der deutsche Reformator reihte sich hier bekanntermaßen in eine bereits konsolidierte Interpretationslinie ein. Dabei war die Verachtung Roms und der Römer seltsamerweise das Ergebnis entgegengesetzter Wahrnehmungen der Stadt. Die italienischen Bankiers, die mit ihrem Kapital den Finanzapparat der Kurie stützten, verachteten, wie Arnold Esch herausgestellt hat, die Armut und die Unwissenheit derjenigen, die in Rom wohnten. Die deutschen Reformatoren wiederum, und allen voran Luther, verurteilten den Reichtum und die Scheinheiligkeit der führenden Kreise der Kirche und vor allem der Kurie und bezogen in ihr Urteil die gesamte Stadt Rom mit ein. All dem setzten sie die vermeintliche deutsche Austerität entgegen, die gewiss mit weniger Bildung und Reichtum gepaart war. Der deutlichste Beweis für entsprechende Diskurse findet sich in verschiedenen Passagen der „Tischreden“ Luthers, in denen einige Jahrzehnte nach der Romreise des Reformators, wie treffend festgestellt wurde, eine „intentionale Stilisierung“⁷ der Erinnerungen an seinen Besuch erfolgte.⁸ Die auf diesen Erinnerungen basierende Rekonstruktion lange nach den real erlebten Ereignissen wurde dazu verwendet, zwei Ereignisse unmittelbar miteinander zu verknüpfen, die als grundlegend für den von Luther angestoßenen revolutionären Prozess angesehen und beschrieben wur-
7 I. M. B a t t a f a r a n o, Luthers Romreise in den erinnernden ‚Tischreden‘, in: Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 15/16 (2001), S. 214–237. 8 Grundlegend zu dieser Reise Luthers ist nach wie vor die Studie von H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914; vgl. darüber hinaus die Ausführungen in R. Le m m o n s, ‚If there is a Hell, then Rome stands upon it‘. Martin Luther as Traveler and Translator, in: C. G. D i B i a s e (Hg.), Travel and Translation in the Early Modern Period, Amsterdam-New York 2006 (Approaches to translation studies 26), S. 33–44. Vgl. zu einem alternativen Datierungsvorschlag der Reise den Beitrag von H. S c h n e i d e r in diesem Band.
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den: die Rückkehr aus Rom und die Schilderung der dortigen Verhältnisse gegenüber dem Kurfürsten von Sachsen, welche die Kirche als ein führungsloses Schiff im Sturm darstellte. Die Romreise wurde zum Schlüsselerlebnis stilisiert, so als hätte der Reformator wirklich Rom persönlich kennenlernen müssen, um das wirtschaftliche Verhalten der kirchlichen Machthaber beurteilen zu können. In einer einflussreichen historiographischen Tradition wurden die Beobachtungen des Reformators in der Stadt mit der revolutionären Entscheidung in Verbindung gebracht, allen in Rom agierenden Entscheidungsträgern jegliche Autorität abzusprechen.⁹ In den „Tischreden“ wurden besondere Aspekte betont, die alle dazu dienten, die Gründe für eine gleichzeitig ideologische und wirtschaftliche Kritik zu rechtfertigen. Der Gegensatz zwischen dem Reichtum der Stadt der Päpste und der Armut der deutschen Länder war demzufolge offensichtlich: „Des papst Krone heißt Regnum mundi, der Welt Reich. Doctor Martinus sagt, Er hab es zu Rom von einem Mönche gehört, daß ein solch Kron soll sein, die ganz Deutschland sammt allen Fürsten nicht könnte bezahlen“.¹⁰ Ein ebenso hartes Urteil wurde in Bezug auf den Ablasshandel gefällt, der als Betrug bezeichnet und damit sowohl theologisch als auch wirtschaftlich gegeißelt wurde, da einerseits die „fides“ getäuscht und andererseits die „pecunia“ verloren war: „intellexi, eas (der Ablasshandel) aliud non esse, quam meras adulatorum Romanorum imposturas, quibus, (et) fidem dei, (et) pecunias hominum perderent“.¹¹ So wurde Rom für die Reformatoren nicht nur als symbolischer Ort, sondern auch als reale Stadt zum Zentrum skandalöser wirtschaftlicher Mechanismen. Es wurde als der Sitz des Apparats beschrieben, der von den dank der Simonie fließenden Geldströmen profitierte, und kam im kollektiven Bewusstsein der Reformatoren letztlich selbst in den Genuss der simonistischen Wirtschaftspraktiken. Wenn Rom das neue Babylon war, so die Argumentation, dann war die römische Wirtschaft zwangsläufig eine babylonische, und von dem Reichtum, den diese Wirtschaftsform generierte, mussten folglich nicht nur die Führungskreise der Kurie, sondern auch die Stadt profitieren, die sie beherbergte. Die Angemessenheit solcher Beschreibungen der wirtschaftlichen Verhältnisse erscheint eher zweifelhaft. Mit Gewissheit lässt sich feststellen, dass die Ziele solcher Polemiken oft recht unklar waren. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts befand sich die in Rom stark vertretene italienische Bank in einer Phase der Dekadenz, während
9 Zu dieser Interpretationsrichtung vgl. C. G. D i B i a s e, Introduction, in: d i e s . (Hg.), Travel (wie Anm. 8), S. 10: „When Martin Luther visited Rome, what he saw there intensified his disagreements with the Roman Catholic Church“. 10 D. Martin Luther’s Tischreden oder Colloquia, so er in vielen Jahren gegen gelahrten Leuten, auch fremden Gästen und seinen Tischgesellen geführet, Berlin 21877, S. 80. 11 Martin Lu te ro, La cattività babilonese della Chiesa, hg. von F. Fe r r a r i o / G. Q u a r t i n o, Roma 2000, S. 54.
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die deutsche bekanntermaßen expandierte.¹² Außerdem war es gerade die Bank der (selbstverständlich katholischen) Fugger, die das System des Ablasshandels stützte, und ein beträchtlicher Teil der Erträge, die es abwarf, kam auch den deutschen Ländern und Städten zu Gute. Zieht man dann insbesondere noch die reale Situation der Stadt Rom in Betracht, dann konnte man auch schon damals unschwer feststellen, dass deren Einwohnerschaft nicht sic et simpliciter mit der Führungsspitze der römischen Kirche zusammenfiel. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass diejenigen, die sich wie Luther¹³ selbst nach Rom begeben hatten, die ungerechte Verteilung des Reichtums in der Stadt wahrnahmen. Eine solche Erfahrung beeinflusste jedoch die Bewertung der römischen Wirtschaftsstrukturen keineswegs, die sich von den wirtschaftlichen Fakten her sowohl als Stadt der Ärmsten oder derjenigen, die von schmalen Renditeeinkünften oder vom Lohn ihrer Arbeit lebten (wie es für die Mehrheit der Einwohner Roms im beginnenden 16. Jahrhundert zutraf) präsentierte,¹⁴ als auch als die der Mächtigen, in welcher die neue Basilika in die Höhe wuchs, die der Papst mit den Einnahmen aus dem Ablasshandel zu bauen begann. Zu fragen ist, inwieweit die gegebenen Werturteile über die römische Wirtschaft durch quellenmäßig gesicherte Wirtschaftsdaten bestätigt werden können. Das skizzierte Deutungsmuster trug jedenfalls dazu bei, den Mythos von Rom als parasitärer Stadt zu verbreiten, in der der Reichtum, der ihr zu Recht oder Unrecht aus jedem Winkel des christlichen Europa zufloss, angehäuft und konsumiert wurde. Im Folgenden sollen zwei zentrale Fragen diskutiert werden, nämlich: a) Profitierte die städtische Wirtschaft Roms tatsächlich derart von dem europäischen und staatlichen Finanzsystem der Kirche, dass aus dem städtischen Wirtschaftssystem eine parasitäre Struktur und eine passive Nutznießerin des kirchlichen Finanzsystems wurde? b) Und wenn eine derartige Deutung nicht haltbar ist, wie in der Folge aufzuzeigen versucht wird, welches waren dann im beginnenden 16. Jahrhundert die realen Wachstumsmechanismen der städtischen Wirtschaft?
12 M. M. B u l l a rd, Fortuna della banca Medicea a Roma nel tardo Quattrocento, in: G e n s i n i (Hg.), Roma Capitale (wie Anm. 6), S. 235–252; d i e s., Raising Capital and Funding the Pope’s Debt, in: J. M o n f a s a n i / R. M u s to (Hg.), Renaissance Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice Jr., New York 1991, S. 23–32. 13 Vgl. H. S c h i l l i ng, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012. 14 Vgl. Descriptio Urbis. The Roman Census of 1527, hg. von E. Le e, Rome 1985 (Bibliotheca del cinquecento 32).
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3 Rom im Finanzsystem der Apostolischen Kammer Um auf die erste der beiden Fragen eine Antwort geben zu können und um vor allem das Ausmaß der Vorteile zu verstehen, die die städtische Wirtschaft angeblich aus dem kirchlichen Finanzsystem zog, muss man sich zunächst einmal mit der Rolle der Stadt im Rahmen des komplexen Finanzsystems der Apostolischen Kammer befassen. Ein gangbarer Weg ist dabei, die Daten zum geistlichen und weltlichen Papsthaushalt zu quantifizieren und zu überprüfen, inwieweit darin Finanzbewegungen ihren Niederschlag fanden, die mit den Einnahme- und Ausgabeposten der stadtrömischen Bilanz zusammenhingen. Eine solche Analyse liefert zwar noch keine ausreichenden Antworten auf alle Fragen, doch immerhin macht sie verständlich, welches die finanziellen, monetären und steuerlichen Vorteile für eine Stadt waren, die nicht nur, wie viele andere, Hauptstadt eines italienischen Renaissancestaates war, sondern auch eine ganz besondere symbolische Rolle spielte, die sie einigen traditionellen Interpretationen zufolge zur Erlangung weiterer finanzieller Vorteile zu nutzen wusste. Entsprechende Berechnungen sind ohne weiteres möglich, wenn auch nicht ganz einfach. Die Schwierigkeit liegt dabei gewiss nicht am Mangel an Dokumenten, die für jenen Zeitraum manchmal sogar im Übermaß vorhanden sind, sie liegt vielmehr an der Organisation der geistlichen und weltlichen Buchhaltung der Kirche, der der Ausgangs- und der Zielpunkt der monetären und finanziellen Flüsse nicht immer klar zu entnehmen sind. Unter gebührender Berücksichtigung dieser einschränkenden Bemerkungen lassen sich gleichwohl einige Aussagen treffen. Das erste Dokument, auf das wir für die Berechnung zurückgreifen können, ist die sogenannte Bilanz der kirchlichen Finanzen von 1480/81, die von Bauer veröffentlicht wurde.¹⁵ Dabei handelt es sich um eine sehr bekannte und vor allem für die Analyse der kirchlichen Einnahmen stets nützliche Quelle, lassen sich ihr doch einige Daten zu zwei Phänomenen entnehmen. Das erste betrifft die kontinuierliche Abnahme der Einnahmen in spiritualibus während des gesamten 15. Jahrhunderts, ein Trend, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keineswegs zum Stillstand kam, sondern sich noch weiter verstärkte; das zweite betrifft das beträchtliche Gewicht, das die Einnahmen aus Rom im Rahmen der Gesamteinnahmen der Kirche hatten, und das noch deutlicher zu Tage tritt, wenn man als Vergleichsgrundlage nicht die Gesamtsumme der Einnahmen, sondern nur den Betrag der weltlichen Einnahmen heranzieht. Diese Art des Datenvergleichs ist aber auch aus Gründen der Homogenität der Zahlen erforderlich, zumal die römischen Einnahmen fast ausschließlich von der indirekten Besteuerung der Warentransporte und des Warenkonsums herrührten. Die in Tabelle 1 präsentierten Daten zeigen, dass wir es mit einer Stadt zu tun haben,
15 C. B au e r, Studi per la storia delle finanze papali durante il pontificato di Sisto IV, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 50 (1927), S. 319–400.
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die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den päpstlichen Kassen allein fast die Hälfte der Einnahmen in temporalibus zuführte. Tab. 1: Rom in der Bilanz der päpstlichen Finanzen von 1480/81: die Einnahmen (nach B a u e r, Studi per la storia [wie Anm. 15], S. 349ff.). Einnahmen
Dukaten
Weltliche Einnahmen Geistliche Einnahmen Einnahmen aus Rom
Gesamteinnahmen
Dogana del bestiame (Viehzollamt) Dogana di Ripa e Ripetta (Zollamt der Tiberhäfen Ripa und Ripetta) Dogana delle merci (Hauptzollamt, zuständig für auf dem Landweg eingeführte Waren) Dogana della grascia (Zollamt mit Zuständigkeit für Getreideimporte)
9.000 10.000
Prozent 84.000
52,50 %
42.000
26,25 %
34.000
21,25 %
4.000 11.000 160.000 100,00 %
Die Rolle der Stadt lässt sich noch besser verstehen, wenn man die Entwicklung des städtischen Finanzsystems und die Veränderungen in dessen Verhältnis zu den weit umfangreicheren Strukturen der Apostolischen Kammer in den knapp hundert Jahren zwischen dem Beginn des 15. und den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts untersucht. Die Situation im beginnenden 16. Jahrhundert, das uns hier am meisten interessiert, stellt sich als Resultat von Entwicklungen aus dem vorhergehenden Jahrhundert dar. Als Ausgangspunkt hat dabei jene Phase zu gelten, in der der 1417 zum Papst gewählte, 1420 in Rom eingezogene Martin V. Colonna begann, die Beziehungen zwischen dem päpstlichen Hof und der Stadt Rom neu zu ordnen, indem er die Stadt und ihre Finanzen zunehmend den Erfordernissen der Apostolischen Kammer unterwarf. Damals schienen die lange wirkmächtigen Gegensätze zwischen der Stadt Rom und der päpstlichen Kurie, die auch eine strikte Trennung von städtischen und kurialen Finanzen kennzeichnete, endgültig aufgehoben.¹⁶ Der Prozess der Unterwerfung der Stadt und ihrer Finanzen unter die politischen und wirtschaftlichen Erfordernisse der päpstlichen Kurie wurde intensiviert und von den Nachfolgern Martins V. schließlich bis zur äußersten Konsequenz getrieben. Tabelle 2 zeigt die Einnahmen und Ausgaben des Schatzamts der Camera Urbis in einigen gut dokumentierten Jahren zwischen 1423 und 1508. Sie enthält eine Reihe von quantitativen Daten, die ein knappes Jahrhundert städtische Finanzgeschichte umfassen und die fortschreitende Verringerung
16 Zu diesen Ereignissen vgl. die genaue Rekonstruktion von E. D u p r è T h e s e i d e r, Roma dal comune di popolo alla signoria pontificia (1252–1377), Bologna 1952 (Storia di Roma 11).
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des Volumens der vom Schatzamt der Camera Urbis verwalteten Mittel verdeutlichen. Natürlich müssen die Währungen (fiorino corrente, Dukat und Goldgulden) in Tabelle 2 mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden, da ihr Wert im Laufe der Zeit geringfügigen Schwankungen unterworfen war, die sich aus der Änderung des Gewichts der effektiv geprägten Goldmünzen ergaben und zudem von den Schwankungen der Kaufkraft des Goldes abhingen. Auch sind die Einnahmen des Jahres 1423 in fiorini correnti angegeben, einem reinen Rechnungsgeld, das auf 47 Soldi pro Floren festgesetzt wurde und damals schon seit Langem keinen Bezug mehr zum realen Gewicht des Kammerguldens hatte.¹⁷ Tab. 2: Die Finanzbewegungen des Schatzamts der Camera Urbis in den dokumentierten Jahren. Jahr
Einnahmen
Ausgaben
Quellen¹⁸
1423
fiorini correnti 105.935 Soldi 18 Denari 6
ducati monete romane 56.703 Bolognini 45 Denari 3
ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 381
1461–1462 Kammergulden 22.482 Soldi 6 Denari 11
Kammergulden 14.761 Soldi 26 Denari 5
ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 451
1503–1504 Dukaten 1.910 Bolognini 20 Denari 11 (zu 50 Bolognini pro Dukat)
Dukaten 2.444 Bolognini 67 Denari 2 (zu 50 Bolognini pro Dukat)
ASR, C. U., 309 (Intr. et ex. C. U.)
1505
Dukaten 1.539 Bolognini 34 Denari 8 (zu 75 Bolognini pro Dukat)
Dukaten 1.512 Bolognini 55 Denari 8 (zu 75 Bolognini pro Dukat)
ASR, C. U., 310 (Intr. et ex. C. U.)
1508
Dukaten 1.637 Bolognini 48 Denari 2 (zu 75 Bolognini pro Dukat)
Dukaten 1.709 Bolognini 9 Denari 10 (zu 75 Bolognini pro Dukat)
ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 545
Doch auch wenn man die Wertschwankungen der verschiedenen Währungen berücksichtigt, wird ein Trend sehr deutlich erkennbar. Abgesehen von den wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen spiegelte sich darin eine bewusste politische Entscheidung wider, der die päpstliche Kurie seit der Zeit Martins V. Folge leistete und die dazu führte, dass sich die jährlich von der stadtrömischen Kasse verwalteten
17 Hinsichtlich dieser Aspekte der monetären Geschichte Roms vgl. die Bibliographie in L. P a l e r m o, I mercanti e la moneta a Roma nel primo Rinascimento, in: A. E s p o s i t o / L. P a l e r m o (Hg.), Economia e società a Roma tra Medioevo e Rinascimento. Studi dedicati ad Arnold Esch, Roma 2005 (I libri di Viella 51), S. 243–282. 18 Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Archivio di Stato di Roma (= ASR), Camera Apostolica (= Cam. Ap.), Camera Urbis (= C. U.).
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Geldmengen im Laufe eines Jahrhunderts kontinuierlich verringerten und schließlich fast auf Nullniveau sanken. Die traditionelle Achtung der lokalen Selbstverwaltungen (die nicht im Gegensatz zur Schaffung eines frühmodernen Staates stand), die man allen Städten des Kirchenstaates entgegenbrachte, galt nicht für Rom.¹⁹ Hier setzte sich die Ausweitung der wirtschaftlichen und administrativen Macht der päpstlichen Kurie zu Lasten der Stadt ununterbrochen während des gesamten hier in Betracht gezogenen Zeitraums fort. Dazu trug auch die Schicht der Händler-Bankiers bei, die eng mit den Interessen der Kurie verknüpft war. Im Übrigen waren die päpstlichen Eingriffe in die Stadt auch direkt politisch: So ging Alexander VI., als er sich vom baronalen Adel Roms bedroht fühlte, entschlossen gegen die Familien der Orsini, Caetani und Colonna vor. Die enteigneten Ländereien wurden dabei nicht in den direkten Besitz der Kirche überführt, sondern fielen an eine neue Aristokratie, die sich aus päpstlichen Verwandten zusammensetzte. In diesem Bereich des römischen Wirtschaftslebens manifestiert sich also besonders deutlich die fortschreitende Marginalisierung der städtischen Finanzverwaltung, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts fast bedeutungslos war. Sieht man sich die Änderungen anhand der Daten in Tabelle 2 genauer an, stellt man fest, dass die Finanzen der wenngleich schon unter der Kontrolle der Apostolischen Kammer stehenden Camera Urbis 1423 zwar noch ein beträchtliches Gewicht besaßen, sich 1461/62 aber bereits eine klare wirtschaftliche Aushöhlung der Funktionen der Städtischen Kammer manifestierte. Im betreffenden Haushaltsjahr fungierte als thesaurarius Alme Urbis Ambrogio Spannocchi, welcher sein Amt in Zusammenarbeit mit Francesco Ghinucci ausübte, der gleichfalls aus Siena stammte und wirtschaftlich und finanziell ebenso eng mit der Führungsspitze der Apostolischen Kammer verbunden war. Die Einnahmen bestanden damals ausschließlich aus Zahlungen, die von einigen (Rom unterstehenden) Ortschaften im römischen Umland geleistet wurden, während die Ausgaben sich fast nur aus Lohnzahlungen auf Anweisung der Konservatoren der Camera Urbis zusammensetzten. Pachteinkünfte oder andere bedeutende Einnahmen oder Ausgaben waren nicht vorhanden. Zieht man schließlich noch die Einträge aus den Registern des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts hinzu, stellt man sowohl quantitativ als auch qualitativ eine weitere starke Reduzierung der Finanzströme und die fortschreitende Ausgrenzung des städtischen Schatzamts nicht nur in politischer (das wäre nichts Neues), sondern auch in finanzieller Hinsicht fest. In dem uns hier besonders interessierenden ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts verstärkte sich diese Tendenz zu Lasten der Stadt: Rom hatte keinerlei Autonomie mehr, und seine wichtigsten Zolleinnahmen, wie die Salz-, die Getreide-, die Weidezölle usw., wurden direkt von der Apostolischen Kammer verwaltet.²⁰
19 Vgl. M. C a r ava l e, Le entrate pontificie (wie Anm. 6); d e r s ., Istituzioni temporali (wie Anm. 4). 20 Vgl. L. P a l e r m o, Un conflitto mancato. L’emarginazione della Camera Urbis nel XV secolo, in: M. C h i ab ò / M. G a rga n o / A. M o d igl i a n i / P. O s m o n d (Hg.), Congiure e conflitti. L’affermazione
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Dies belegen auch die Daten in Tabelle 3, die sich auf die Finanzbewegungen der städtischen Depositarie beziehen, die von einem Bankier verwaltet wurde; dieser war mit der Entnahme der Gelder und der Leistung der Zahlungsverpflichtungen im Auftrag der kapitolinischen Verwaltung betraut. Vergleicht man die Register der Schatzamts und der Depositarie miteinander, wird deutlich, dass die der römischen Stadtgemeinde zustehenden, vom Schatzmeister berechneten Einnahmen nicht einmal mehr ausreichten, um auch nur einige einfache Zahlungen an Bedienstete und Lohnempfänger der Stadt zu leisten oder um die Rechnungen über alle sonstigen Kosten zu begleichen, die der Stadtverwaltung jährlich entstanden. Die der Camera Urbis zustehenden Einnahmen, die der Schatzmeister verzeichnete, erhöhten sich folglich in jener Phase, in der der Bankier, das heißt der mit den Zahlungen beauftragte Depositar, eingreifen musste, um die notwendigen städtischen Ausgaben zu begleichen. Die erforderliche Erhöhung erfolgte nach den konsultierten Dokumenten durch zusätzliche Zahlungen, die, wie aus den in Tabelle 3 aufgeführten Rechnungsbüchern ersichtlich ist, von den Pächtern der Dogana della grascia geleistet wurden und es dem Bankier der Camera Urbis ermöglichten, die Liquidität für Lohnzahlungen und Einkäufe von Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten, die in die Kompetenzen der noch der städtischen Kammerverwaltung obliegenden Aufgaben fielen. Doch betrafen auch diese Zahlungen nur noch geringe Beträge, die nicht mit dem Ausgabevolumen vergleichbar sind, die im (in Tabelle 2 genannten) Rechnungsbuch von 1423 verzeichnet waren. Der größte Teil der in Rom getätigten Ausgaben für Löhne und andere Kosten wurde nunmehr direkt und regelmäßig in den Rechnungsbüchern der Apostolischen Kammer verzeichnet. Tab. 3: Die Finanzbewegungen der Depositarie der Camera Urbis im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Jahr
Einnahmen
Ausgaben
Quellen
1502–1503 Dukaten 21.216 Bolognini 36 (18 Monate) zu 72 Bolognini pro Dukat
Dukaten 20.017 Bolognini 29 zu 72 Bolognini pro Dukat
ASR, C. U., 343 (-depositeria C. U.)
1503 –1504 Florene 14.892 und Bolognini 4zu 72 Bolognini pro Floren
Florene 14.011 und Bolognini 66zu 72 Bolognini pro Floren
ASR, C. U., 344 (-depositeria C. U.)
1509–1510 Dukaten 15.687 Bolognini 12, Dukaten 16.237 Bolognini 50 zu 10 ‚alten‘ Carlini pro Dukat Denari 6, zu 10 ‚alten‘ Carlini pro Dukat
ASR, C. U., 345 (-depositeria C. U.)
del la signoria pontificia su Roma nel Rinascimento. Politica, economia e cultura. Atti del convegno internazionale, Roma, 3–5 dicembre 2013, Roma 2014 (Roma nel Rinascimento inedita 62, saggi), S. 39–54.
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Interessant scheint nun, diese Daten mit den Finanzbewegungen zu vergleichen, die den Registern der Apostolischen Kammer zu entnehmen sind. Seit dem 13. Jahrhundert bildete die Apostolische Kammer das Herzstück der Finanzorganisation der Kirche und verwaltete durchweg den größten Teil der weltlichen und der geistlichen Einnahmen der Päpste. In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts wurde sie durch Sixtus IV. reformiert, der die Finanzbehörden schlanker und dynamischer machen wollte, wobei es ihm vor allem auf die Einnahmen in spiritualibus ankam, das heißt auf die Servitien und die Annaten. Auch in den Jahren um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wurde den geistlichen Einnahmen besondere Beachtung geschenkt, genauer gesagt zur Zeit Alexanders VI., als Adriano Castellesi, die nur dem Kardinalkämmerer unterstehende Nummer Zwei in der Hierarchie der Kammer, Schatzmeister wurde. In Wirklichkeit aber war das Gewicht der geistlichen Einnahmen zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Vergleich zu früher sowohl absolut als auch prozentual sehr gering, auch wenn es sich noch immer um substantielle Beträge handelte, auf die auch nicht verzichtet werden sollte. Im Übrigen stellten diese Einnahmen eine bedeutende Ressource für die Bankiers dar, die sie gepachtet hatten. Neben der Apostolischen Kammer verfügten die Päpste noch über ein sogenanntes „geheimes Schatzamt“ und die Datarie, bei der es sich um 1500 um eine sehr wichtige Behörde handelte, die Juan Lopez, dem Vertrauensmann des Papstes, unterstellt war. Darüber hinaus gab es spezielle Schatzämter, die zu besonderen Anlässen (zum Beispiel zur Verwaltung der für die Kreuzzüge bestimmten Mittel) geschaffen wurden und stets den Erfordernissen des päpstlichen Hofes zu entsprechen hatten. Trotz dieser weiteren Behörden wurde die in finanzieller Hinsicht wichtigste Rolle während der Renaissance nach wie vor von der Apostolischen Kammer bekleidet, die das Zentrum und den Dreh- und Angelpunkt des päpstlichen Finanzsystems darstellte.²¹ Die in den Tabellen 2 und 3 angeführten Daten zur Camera Urbis können daher mit den in Tabelle 4 präsentierten Daten zu den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts verglichen werden, die aus den Registern des städtischen Schatzamtes und der Depositarie der Apostolischen Kammer hervorgehen. Der Vergleich macht nicht nur die politische und administrative Ausgrenzung der Camera Urbis ersichtlich, sondern zeigt auch und vor allem die beinahe völlige Bedeutungslosigkeit des wirtschaftlichen Gewichts der städtischen Kammer im Gesamtzusammenhang des päpstlichen Finanzsystems.
21 P. P a r t n e r, The ‚budget‘ of the Roman Church in the Renaissance Period, in: E. F. Ja c o b (Hg.), Italian Renaissance Studies. A Tribute to the late Cecilia M. Ady, London 1960, S. 256–278; d e r s ., La Camera apostolica come organo centrale delle finanze pontificie, in: Fr o v a / N i c o O t t av i a n i (Hg.), Alessandro VI (wie Anm. 2), S. 27–36; F. G u i d i B r u s c o l i, Mercanti-banchieri e appalti pontifici nella prima metà del Cinquecento, in: A. Ja m m e / O. P o n c e t (Hg.), Offices, écrit et papauté (XIII e–XVII e siècle), Rome 2007 (Collection de l’École française de Rome 368), S. 517–543.
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Tab. 4: Die Finanzbewegungen des Schatzamtes und der Depositarie der Apostolischen Kammer in einigen Jahren aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Ausgaben
Quellen
1503–1504 Dukaten 205.619 Bolognini 18 (zu 72 Bolognini pro Dukat)
Dukaten 236.718 Bolognini 26 (zu 72 Bolognini pro Dukat)
ASV, Cam. Ap., Intr. et Ex., 535 (Schatzkammer)
1509–1510 Kammerdukaten 125.997 Soldi 21 Denari 6
Kammerdukaten 154.673 Soldi 9 Denari 8
ASV, Cam. Ap., Intr. et Ex., 548 (Depositarie)
Jahr
Einnahmen
Hier sind wir nun bei einigen zentralen Aspekten unserer Überlegungen angelangt. Wenn das Finanzsystems der Camera Urbis dermaßen stark ausgegrenzt wurde, wie aus den Registern unzweifelhaft hervorgeht, wo war dann das Gros des Reichtums versteckt, der von der Stadt produziert wurde? Und welches war der effektive wirtschaftliche und finanzielle Beitrag, den Rom zugunsten des zentralen Apparats der Kirche leistete? Es ist ziemlich leicht, auf diese Fragen eine Antwort zu geben, da der von der Stadt produzierte Reichtum in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts direkt in den Rechnungsbüchern der Apostolischen Kammer verzeichnet wurde. Betrachten wir also exemplarisch die Situation des Haushaltsjahres von 1509/10, das in den zeitlichen Horizont von Martin Luthers Rombesuchs fällt. Zudem liegen für dieses Jahr Buchführungsdaten der Camera Urbis und der Apostolischen Kammer vor, an denen lässt sich das wirtschaftliche und finanzielle Gewicht der Stadt ablesen lässt. Tabelle 5 präsentiert den prozentualen Anteil der verschiedenen Ausgaben, die im Register der Depositarie der Apostolischen Kammer von 1509/10 verzeichnet sind, vor allem die Zahlungen für in Rom eingekaufte Güter und Dienstleistungen. Tabelle 6 dagegen vermittelt den prozentualen Anteil der stadtrömischen Einnahmen und der Ausgaben an den Gesamteinnahmen und -ausgaben der Apostolischen Kammer. Auf diese Art und Weise kann überprüft werden, wieviel von der zentralen Finanzverwaltung an die Stadt und wieviel umgekehrt von der Stadt an die zentrale Finanzverwaltung transferiert wurde. Tab. 5: Depositarie der Apostolischen Kammer, 1509/10: prozentuale Verteilung der Ausgaben in Kammergolddukaten (Quelle: ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 548). Ausgabenart
Geldbeträge
Prozent 78,56 %
Militärausgaben
Dukaten 121.500 Soldi 8 Denari 6
Ausgaben für in Rom eingekaufte Güter und Dienstleistungen
Dukaten 8.083 Soldi 1 Denari 2
Zahlungen an Gläubiger
Dukaten 25.090 Soldi 0 Denari 0
Gesamtausgaben
Dukaten 154.673 Soldi 9 Denari 8
5,22 % 16,22 % 100,00 %
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Tab. 6: Depositarie der Apostolischen Kammer, 1509/10: prozentualer Anteil der stadtrömischen Einnahmen und Ausgaben an den Gesamteinnahmen und -ausgaben in Kammergolddukaten (Quelle: ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 548). insgesamt
Rom
Prozent
Einnahmen
Dukaten 127.306 Soldi 21 Denari 6
Dukaten 55.218 Soldi 11 Denari 0
43,37 %
Ausgaben
Dukaten 154.673 Soldi 9 Denari 8
Dukaten 8.083 Soldi 1 Denari 2
5,22 %
Die Daten der beiden Tabellen zeigen klar, dass Rom von den päpstlichen Kassen nicht ‚unterhalten‘ wurde, sondern dass die Stadt im Gegenteil die Apostolische Kammer selbst mit einem Betrag unterstützte, der mehr als 43% der weltlichen und der geistlichen Gesamteinnahmen der zentralen Finanzverwaltung der Kirche betrug. Was dagegen die Gesamtausgaben der Apostolischen Kammer anbelangt, so flossen der Stadt aus ihr kaum mehr als 5% zu.
Tab. 7: Depositarie der Apostolischen Kammer, 1509/10, Einnahmen aus der Stadt Rom in Kammergolddukaten (Quelle: ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., 548). 1509
von Pandolfo della Casa und Gesellschaftern, Zöllner an der Dogana delle merci von der Dogana di Ripa e Ripetta
Dukaten 4.431 Soldi 10
1510
von Pandolfo della Casa und Gesellschaftern, Zöllner an der Dogana delle merci
Dukaten 8.989 Soldi 4
von Antonio Segni und Guidetto de Guidettis „pro parte emptionis dohane studii“
Dukaten 2.000 Soldi 0
von Mariano de Astallis, Zöllner an der Dogana di Ripa e Ripetta durch die Chigi
Dukaten 9.675 Soldi 0
von Bartolomeo Faratino, collector decimarum et vicesimarum in alma Urbe
Dukaten 3.076 Soldi 15
von Marco Antonio Tolomei, Pächter der Zölle der Brücken und Tore von Rom
Dukaten 384 Soldi 12
von Giovanni Battista Piccolomini und Gesellschaftern, Zöllner mit Zuständigkeit für den Groß- und Kleinhandel mit Salz in Rom
Dukaten 9.000 Soldi 0
von Ieronimo Crescenzi und Gesellschaftern, Pächter der Dogana delle merci von Rom, durch Stefano Ghinucci und Gesellschafter
Dukaten 4.000 Soldi 0
von den Sauli, Zöllnern an der „dohana pecudum“ von Rom, dem Patrimonium, von Latium und der Marittima
Dukaten 13.661 Soldi 0
Summe
Dukaten 2.000 Soldi 0
Dukaten 55.218 Soldi 11
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Tabelle 7 liefert nähere Angaben zu den 55.218 Dukaten, 11 Soldi und 0 Denari aus Tabelle 6, die von Rom an die zentrale Finanzverwaltung der Kirche transferiert wurden. Im Wesentlichen handelt es sich um Einnahmen aus der Verpachtung von Zöllen, wobei die Summen Ist- und keine Soll-Eingänge darstellen. Die Zahlen sagen daher nichts über die der Apostolischen Kammer zustehende absolute Höhe an Einnahmen aus, sondern sie benennen nur die Zahlungen, die effektiv in einem Kalenderjahr eingingen. Die genannten Daten erklären, warum die päpstliche Kurie ein so besonderes Interesse an Rom hatte, das ihr, anders als das bei den anderen Kommunen des Kirchenstaates in der Regel der Fall war, seit Langem in jeder Hinsicht unterworfen war. In Wirklichkeit war es also ganz und gar nicht so, dass die Stadt Unterstützungszahlungen aus den kirchlichen Kassen erhielt, im Gegenteil: Es war die päpstliche Kurie, die nicht ohne die Zahlungen auskam, die ihr Jahr für Jahr aus der städtischen Wirtschafts- und Finanzorganisation zuflossen. Daraus ergeben sich nun die folgenden Fragen: Welche Faktoren der realen Wirtschaft ermöglichten die Zahlungen, die Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts Jahr für Jahr an die päpstliche Kurie leistete? Und wieviel wogen in diesem Zusammenhang die Vorteile, die die städtische Wirtschaft aus der Hauptstadtrolle zog, die Rom in jenen Jahren vollständig auszufüllen begann?
4 Die Expansion der städtischen Wirtschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts Zwischen dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts war die Expansionsphase der städtischen Wirtschaft Roms, die mit der Rückkehr des päpstlichen Hofes nach dem avignonesischen Exil begonnen hatte, noch in vollem Gange. Es handelte sich um eine besonders lange und komplexe Phase des wirtschaftlichen Wachstums, die sich nach Überwindung der Folgen der furchtbaren Plünderung von 1527 in der frühen Neuzeit fortsetzen sollte. Tabelle 8 veranschaulicht, wie stark diese Expansion gerade in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts noch war, zeigt sie doch die Veränderungen des monetären Werts einiger besonders wichtiger verpachteter Einnahmen aus städtischen Zöllen. Den Daten ist dabei ein progressiver Anstieg der Beträge (von besonderer Bedeutung ist vor allem das 1500 begangene Heilige Jahr) zu entnehmen, der als ein Indiz für die parallel verlaufende mengenmäßige Ausweitung des Imports, der Vermarktung bzw. des Konsums von Gütern zu betrachten ist. Es wäre allerdings völlig unangebracht, diese Daten als ein schlichtes Signal für den steigenden Import von Verbrauchsgütern (wie z. B. Salz, Fleisch, Getreide oder Wein) zu werten. Einen solchen Konsumzuwachs gab es natürlich, die Daten sagen aber auch und vor allem etwas über den starken Anstieg der Nachfrage nach Investitionsgütern aus, für den
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darüber hinaus der aus den Studien zu den römischen Zöllen klar hervorgehende beträchtliche Import von Rohstoffen und Halbfertigprodukten spricht.²² Dieser Import deutet auf wichtige handwerkliche Sektoren innerhalb der Stadt, welche für die Herstellung von Konsumgütern sorgten. Da zu Beginn des 16. Jahrhunderts keine erheblichen Änderungen im prozentualen Einfluss der Abgaben auf den Wert der importierten Güter zu registrieren sind, muss davon ausgegangen werden, dass der Anstieg der Pachtbeträge vor allem mit der quantitativen Zunahme des Werts und des Volumens der transportierten Güter zu tun hat, was sich auch ganz klar bei den Zahlen zum Jubeljahr 1500 zeigt, die aufgrund des starken Zustroms der von auswärts kommenden Verbraucher beträchtlich nach oben schnellten. Wo lagen nun die Gründe für diese Expansion, und welche Wirtschaftssektoren führten zum Anschwellen der Finanzströme? Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lieferten noch alle drei grundlegenden Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden und Kapital) ihren Beitrag zur Expansion der städtischen Wirtschaft. Und neben den drei Faktoren gibt es (wie im nächsten Kapitel zu sehen sein wird) noch einen vierten, den institutionellen Faktor, der in Rom eine fundamentale Rolle spielte.²³ Vor allen Dingen ist die demographische Entwicklung von Bedeutung. Vorindustrielle Gesellschaften oder Gesellschaften des Ancien Régime zeichnen sich generell durch ein weitgehend stabiles technologisches Niveau aus. Da auch die Produktivität der menschlichen Arbeit (gerade wegen des geringen technologischen Wachstums) grundsätzlich stabil war, hingen Veränderungen im Produktionsbereich von der Menge der verfügbaren Arbeitskraft, das heißt im Wesentlichen vom Umfang der einsetzbaren Bevölkerung ab. Im Laufe der zwei in diesem Zusammenhang in Betracht gezogenen Jahrhunderte erweist sich als erstes herausragendes wirtschaft-
22 Vgl. beispielsweise A. E s c h, Le importazioni nella Roma del primo Rinascimento (il loro volume secondo i registri doganali degli anni 1452–1462), in: d e r s . / I. A i t / G. S e ve r i n o P o l i c a / A. E s p o s i to A l i a n o / A. M. O l iva (Hg)., Aspetti della vita economica e culturale a Roma nel Quattrocento, Roma 1981, S. 7–79; d e r s., Importe in das Rom der Renaissance. Die Zollregister der Jahre 1470 bis 1480, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 74 (1994), S. 360–453; d e r s., Roman Customs Registers 1470–80. Items of Interest to Historians of Art and Material Culture, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 58 (1995), S. 72–87; I. A i t, La dogana di S. Eustachio nel XV secolo, in: E s c h u. a. (Hg.), Aspetti (wie Anm. 23), S. 81–147; M. L. Lo m b a r d o, Camera Urbis. Dohana Ripe et Ripecte. Liber Introitus 1428, Roma 1978 (Fonti e studi del Corpus membranarum Italicarum. N. S. Fonti 3 / Fonti e studi per la storia economica e sociale di Roma e dello Stato pontificio 1); d i e s., Camera Urbis. Dohana minuta Urbis. Liber Introitus 1422, Roma 1983 (Fonti e studi del Corpus membranarum Italicarum 2,7). Vgl. darüber hinaus die Daten betreffend die Auszüge über die von Rom importierten Güter, in denen häufig auch die Zweckbestimmung der Rohstoffe und der Halbfertigprodukte angegeben war: L. P a l e r m o, Il porto di Roma nel XIV e XV secolo, Roma 1979 (Fonti e studi del Corpus membranarum Italicarum 14), S. 103–133, 229–260. 23 Im Folgenden wird an einige grundlegende Überlegungen aus L. P a l e r m o, L’economia, in: A. P i n e l l i (Hg.), Roma del Rinascimento, Bari 2001 (Storia di Roma dall’antichità a oggi 3), S. 49– 92, angeknüpft; dort finden sich weiterführende Quellen- und bibliographische Angaben.
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Tab. 8: Die Entwicklung des Systems der Zollpachten von Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts (Quellen: ASV, Cam. Ap., Intr. et ex., Register der in Betracht gezogenen Jahre). Pacht der Dogana di Ripa e Ripetta Jahr
Pächter
Betrag
1495
Agostino Chigi
Dukaten 21.000
1497
Agostino Chigi
Dukaten 21.300
1500
Stefano Ghinucci
Dukaten 27.300
1504
Stefano Ghinucci
Dukaten 21.800
1506
Stefano Ghinucci
Dukaten 20.000
1509
Mariano de Astallis
Dukaten 26.200
1512
Pandolfo della Casa
Dukaten 26.345
Pacht der Dogana del bestiame Jahr
Pächter
jährlicher Betrag
1500
Stefano di Narni und Gesellschafter
Dukaten 21.000
1505
Paolo Sauli
Dukaten 15.500 à 10 Carlini
1510
Vincenzo und Sebastiano Sauli
Dukaten 20.000 à 10 Carlini
Pacht des Weinzollamts Jahr
Pächter
jährlicher Betrag
1502
Alessandro Francio
Florene 14.000
1504
Stefano Ghinucci
Florene 16.666
1506
Stefano Ghinucci
Florene 16.666
1509
Antonio Segni und Guidetto Guidetti
Kammergulden 7.850
Pacht der Salara, des Salzzollamts von Rom Jahr
Pächter
jährlicher Betrag
1498
Eredi Spannocchi
Kammergulden 29.412
1503
Paolo Sauli
Kammergulden 30.245
1508
Giovanni Battista Piccolomini
Kammergulden 31.725
Pacht der Dogana delle merci Jahr
Pächter
jährlicher Betrag
1507
Pandolfo della Casa und Guidetto de Guidettis
Kammerdukaten 11.275
1510
Ieronimo Crescenzi aus Bologna
Kammerdukaten 11.895
liches Datum die wachsende Zahl der Stadteinwohner. Man kann in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts von einer Einwohnerzahl zwischen 30.000 und 40.000 ausgehen. Hundert Jahre später, in den Jahren 1526/27, gab es mit ziemlicher Si-
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cherheit ca. 60.000 Einwohner.²⁴ Ab 1606 schließlich lebten in der Stadt schon über 100.000 Menschen.²⁵ Dieses demographische Wachstum hat drei Hauptursachen: das zahlenmäßige Wachstum der Römer im engeren Sinne, das heißt der traditionell in Rom ansässigen Familien; die Landflucht aus dem Umland aufgrund einschneidender Veränderungen im Agrarsektor; und schließlich der Zuzug aus anderen italienischen, häufig auch europäischen Städten und Regionen. Nach Auffassung vieler Wissenschaftler machte der letztgenannte Faktor den Löwenanteil aus. Bekanntermaßen übernahmen die nach Rom gezogenen und dort wohnhaften Fremden nicht nur Aufgaben in der Kurie, sondern waren sowohl in verschiedenen Sektoren der handwerklichen Produktion, als auch im Handel und im Kreditwesen tätig und damit in sehr vielen Fällen auch gut in das wirtschaftliche und soziale städtische Umfeld eingegliedert. Zwar war die Kurie sowohl räumlich als auch hinsichtlich der Personen und Funktionen von den städtischen rioni getrennt, doch hatten die engen Beziehungen zwischen Kurie und Stadt erhebliche Auswirkungen auf die stadtrömische Gesellschaft: Auch wer nach Rom kam, um seine Dienste der Kurie zur Verfügung zu stellen, lebte letztendlich innerhalb der Mauern der Stadt, benutzte ihre Straßen und ihre Häuser, konsumierte die auf ihren Märkten angebotenen Waren und trug so zum Wachstum der Stadt als Produktions- und Konsumzentrum bei. Es bestand folglich eine sehr enge Verbindung zwischen dem durch die Zugewanderten generierten demographischen Wachstum und der positiven Entwicklung des städtischen Wirtschaftszyklus. Und wie es normalerweise in allen vorindustriellen Gesellschaften der Fall ist, hatte das demographische Wachstum auch im Rom der Renaissance eine doppelte Bedeutung: Einerseits stand es für einen beträchtlichen Anstieg des Stellenangebots; andererseits führte es zu einem Wachstum der Nachfrage. Dank beider Faktoren blieb das Lohnniveau im Wesentlichen konstant, was auch auf die in der Stadt bereits seit längerer Zeit eingeführte strikte Kontrolle der Lebensmittelpreise zurückzuführen war.²⁶ Ein solches Klima begünstigte die Investition in Produktionsbereich und im Dienstleistungssektor. Wäre es, so muss man sich fragen, im Rom der Renaissance
24 Vgl. A. E s p o s i to, La popolazione romana dalla fine del secolo XIV al sacco. Caratteri e forme di un’evoluzione demografica, in: E. S o n n i n o (Hg.), Popolazione e società a Roma dal medioevo all’età contemporanea, Roma 1998 (Pagine della memoria 5), S. 37–49; E. Le e (Hg.), Habitatores in Urbe. The Population of Renaissance Rome / La popolazione di Roma nel Rinascimento, Roma 2006 (Studi e proposte 4); vgl. darüber hinaus die Ausführungen zur städtischen Demographie in I. A i t, Interessi, solidarietà e crescita economica. Il finanziamento delle attività produttive a Roma nel XV secolo, in: M. C a r b o n i / M. G. M u z z a re l l i (Hg.), Reti di credito. Circuiti informali, impropri, nascosti (secoli XIII –XIX), Bologna 2014, S. 91–108, hier S. 93f. 25 Vgl. E. S o n n i n o, Popolazione e territori parrocchiali a Roma dalla fine del ʼ500 all’unificazione, in: d e r s. (Hg.), Popolazione (wie Anm. 25), S. 94f. 26 Vgl. beispielsweise Lʼapprovvigionamento granario della capitale: strategie economiche e carriere curiali a Roma alla metà del Quattrocento, in: G e n s i n i (Hg.), Roma capitale (wie Anm. 6), S. 145–206.
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überhaupt in dem Maße zu der großartigen künstlerischen, urbanistischen und baulichen Entwicklung gekommen, wenn die Löhne der Künstler, Handwerker, Fachund Hilfsarbeiter nicht so stabil und tendenziell so niedrig geblieben wären?²⁷ Welche Rolle spielte aber im Rahmen dieses Prozesses der Faktor Boden, der sowohl die landwirtschaftlichen Nutzflächen als auch die städtischen Grundstücke und die darauf errichteten Bauten umfasst? In vorindustriellen Gesellschaften ging vom primären Produktionssektor ein alles bestimmender Einfluss aus. Diesbezüglich stellte sich die römische Situation recht differenziert dar, insofern dem tendenziellen Rückgang der agrarwirtschaftlichen Rendite lukrative Gewinne auf dem Immobilienmarkt gegenüber standen. Dabei lässt sich eine rückläufige agrarwirtschaftliche Rendite – ein Phänomen, das sich vor allem an der Stagnation der Getreidepreise ablesen lässt – nicht nur für Rom konstatieren. Eine kritische Lage auf dem Land wurde aber zu einem Hebel für die Entwicklung in der Stadt, und dies trug zwangsläufig zu einem Rückgang der agrarischen Rendite bei. Die Aussicht auf profitable Erträge aus städtischen Immobilien ließ einen städtischen Immobilienmarkt entstehen. Die Studien von Hubert machen verständlich, warum diese Entwicklung im spätmittelalterlichen Rom nur zögernd einsetzte.²⁸ Ein wesentlicher Grund lag darin, dass ein die Nachfrage drosselndes Überangebot an Grundstücken innerhalb der Stadtmauern bestand. Ein weiterer Grund für diese verhaltene Entwicklung wurde dadurch verursacht, dass die römischen Adelsfamilien den Transfer von Immobilien weitgehend unter sich ausmachten und so Objekte dem
27 Vgl. I. A i t, Mercato del lavoro e forenses a Roma nel XV secolo, in: S o n n i n o (Hg.), Popolazione (wie Anm. 25), S. 335–358; d i e s., Salariato e gerarchie del lavoro nellʼedilizia pubblica romana del XV secolo, in: Rivista Storica del Lazio 4 (1996), S. 101–130; d i e s ., Spagnoli e mercato del lavoro nella Roma del Quattrocento, in: M. G. M e l o n i / O. S c h e n a (Hg.), La Corona dʼAragona in Italia (secc. XIII–XVIII), Bd. 2: Presenza ed espansione della Corona dʼAragona in Italia (secc. XIII–XV), Bd. 3: Comunicazioni, Sassari 1996, S. 43–63; d i e s., S. Pietro. I cantieri della seconda metà del ʼ400, in: G. Sp ag n e s i (Hg.), Lʼarchitettura della Basilica di S. Pietro. Storia e costruzione, Roma 1997, S. 123 –128; M. Va q u e ro P i ñ e i ro, Affari e architettura. Giuliano Leni nel cantiere del nuovo S. Pietro prima del 1530, in: Sp ag n e s i, Lʼarchitettura (wie oben), S. 157–160; d e r s ., Ricerche sui salari nellʼedilizia romana (1500–1650), in: Rivista Storica del Lazio 4 (1996), S. 131–158; E. Le e, Workmen and Work in Quattrocento Rome, in: P. A. R a m s e y (Hg.), Rome in the Renaissance. The City and the Mith, Binghamton NY 1982, S. 141–152. 28 E. Hu b e r t, Espace urbain et habitat à Rome du X e siècle à la fin du XIII e siècle, Rome 1990, S. 336. Zum städtischen Grundeigentum in der Zeit vor der Renaissance ist eine wichtige Reihe von Studien und Forschungsarbeiten erschienen; vgl. beispielsweise d e r s ., Gestion immobilière, propriété dissociée et seigneuries foncières à Rome aux XIII e et XIV e siècles, in: O. Fa r o n / E. Hu b e r t (Hg.), Le sol et lʼimmeuble. Les formes dissociées de propriété immobilière dans les villes de France et dʼItalie (XII e–XIX e siècle), Rome 1995, S. 185–205; d e r s., Économie de la proprieté immobilière. Les établissements religieux et leurs patrimoines au XIV e siècle, in: d e r s. (Hg.), Rome aux XIII e et XIV e siècles. Cinq études / Roma nei secoli XIII e XIV. Cinque saggi, Roma 1993 (Collection de l’École française de Rome 170 / I libri di Viella 1), S. 175–230.
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allgemeinen Immobilienmarkt weitgehen entzogen. Diese Rahmenbedingungen änderten sich in der Renaissance: Das Handelskapital, das in die Stadt gelangte und ihre Wirtschaft nachhaltig prägte, wies dem städtischen Raum eine neue Rolle zu und gab ihm einen neuen Wert.²⁹ Die Quellen zum Immobilienvermögen im 15. Jahrhundert zeigen die neuen Zweckbestimmungen von Grund und Boden und geben Auskunft über die Einkünfte, die sie produzierten.³⁰ Es ist aber das sehr gut erforschte Anwachsen der Bautätigkeit insgesamt, die in aller Deutlichkeit den globalen und integrierten Charakter der Entwicklung veranschaulicht. Dieser den Wertzuwachs der Grundstücke, die Steigerung der Menge an investiertem Kapital und die Zunahme der eingesetzten Arbeitskräfte bewirkende, den Aufbau- und Organisationswillen der politischen Führungsschicht des Staates ausdrückende Produktionssektor verkörpert in der Tat vielleicht auch symbolisch am eindeutigsten die Phase der quantitativen und qualitativen Expansion der Produktionsfaktoren und die Förderung, die sie durch die an der Entwicklung der Hauptstadt interessierten öffentlichen Institutionen erfuhren. Die in der Renaissance einsetzende langsame Verwandlung Roms in eine Residenz- und Hauptstadt führte dazu, dass das Angebot auch auf dem Immobilienmarkt von einer wachsenden Nachfrage profitieren konnte. In der Tat wuchs, wie bereits gesagt, vor allem die Zahl der Einwohner, und insbesondere die der Zuwanderer, die eine Bleibe brauchten. Zweitens kam es im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gleichzeitig zu einem Einkommenswachstum der Stadtbewohner, weshalb auch auf diesem Gebiet die Bedingungen für eine Steigerung der effektiven Nachfrage geschaffen wurden. Schließlich zeigte die Bevölkerung eine größere Mobilität und siedelte innerhalb der Stadt bevorzugt in jene Viertel um, in denen bestimmte Produktionstätigkeiten oder bestimmte Nationen vorherrschten. So entstand innerhalb der Stadtmauern eine wirtschaftliche Hierarchie unter den bebaubaren Grundstücken, auf deren Grundlage sich der Immobilienmarkt herausbildete. Mit anderen Worten: Indem die Renaissancepäpste mit den großen Architekten und wichtigsten Künstlern der Zeit dem neuen Rom durch Paläste, Kirchen und sonstige Bauwerke, die ihrem hohen Selbstverständnis entsprachen, Gestalt verliehen, investierten sie nicht nur enorme Kapitalbeträge (mit Löhnen für die Arbeiter und Zahlungen an
29 Vgl. L. P a l e r m o, Sviluppo economico e organizzazione degli spazi urbani a Roma nel primo Rinascimento, in: A. G ro h m a n n (Hg.), Spazio urbano e organizzazione economica nell’Europa medievale, Napoli 1994, S. 413–435; A. M o d igl i a n i, Uso degli spazi pubblici nella Roma di Alessandro VI, in: M. C h i ab ò / S. M a d d a l o / M. M igl i o / A. M. O l iv a (Hg.), Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI, 2 Bde., Roma 2001, hier Bd. 2, S. 521–548; M. G a rg a n o, Verso l’anno santo 1500. La via Alessandrina tra ‚magnificentia‘ e ‚liberalitas‘, in: M. M a n i e r i E l i a (Hg.), Topos e progetto 1 (1999), S. 31–42. 30 M. Va q u e ro P i ñ e i ro, La renta y las casas. El patrimonio inmobiliario de Santiago de los Espagñoles de Roma entre los siglos XV y XVII, Roma 1999; L. P a l e r m o, Il patrimonio immobiliare, la rendita e le finanze di S. Maria dell’Anima nel Rinascimento, in: M. M a t h e u s (Hg.), S. Maria dell’Anima. Zur Geschichte einer deutschen Stiftung in Rom, Berlin 2010, S. 279–325.
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die Materiallieferanten) und regten die kurialen und städtischen Führungskreise zur Nachahmung an, sondern erzeugten auch eine klare wirtschaftliche Hierarchie des städtischen Raums, setzten die Mechanismen der Differentialrente in Gang und schufen die Voraussetzungen für einen stetig wachsenden Markt der städtischen Immobilienerträge. Der Faktor Kapital, insbesondere das Angebot an Geld und Kredit sowie die Produktion und der Austausch von Gütern und Dienstleistungen, stellt einen weiteren wichtigen Aspekt der städtischen Wirtschaft Roms in der Renaissance dar, der bereits eingehend untersucht wurde.³¹ Studien zu den im Rom der Renaissance tätigen Bankiers zeigen, dass die Kreditvergabe an den Hof normalerweise auch direkt dem römischen Markt zugute kam und die Stadt sowohl in Form von Rohstoffen oder Halbfertigprodukten (Weizen, Wolle, Baumwolle, Stoffe, Leder, Holz, Eisen usw.) als auch in Form von Fertigprodukten erreichte. Die Erstgenannten waren für die lokalen Produktionskräfte bestimmt, die sie dann in Fertigprodukte für den lokalen Markt umwandelten, während die Fertigprodukte direkt in den lokalen Konsumkreislauf gelangten. Der römische Markt war also unter dem Gesichtspunkt der Investitionen der Endpunkt der Kette, das heißt der Lieferant von Gewinn. Als solcher fügte er sich ganz in den Reproduktionskreislauf des Kapitals ein und machte die Stadt zur Nettoexporteurin von Privatkapital und darüber hinaus zur Lieferantin von öffentlichem Kapital für die Finanzverwaltung der Kirche. Diese Entwicklungslinie setzte sich in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts fort und machte Rom auch infolge der öffentlichen Schulden des Papstes im Jahr 1526 zum zweit- oder drittgrößten europäischen Finanzplatz in der Frühen Neuzeit.
5 Die Rolle der Institutionen Rom war Hauptstadt, und zwar in einer doppelten Funktion. Nach dem Urteil einiger Historiker zählte die Urbs sogar zu den wenigen wirklichen europäischen Hauptstädten.³² Diese Situation brachte der Stadt eine Reihe von Vorteilen. Andererseits aber teilte sie das Schicksal, dem fast alle Hauptstädte von Regionalstaaten unterworfen waren. Ein römisches Spezifikum besteht darin, dass die Stadt länger als viele andere ihre städtische Autonomie verteidigte. Früher oder später unterlagen jedoch alle urbanen Zentren und die großen europäischen Hauptstädte denselben Veränderungsprozessen, denn der Strukturwandel der italienischen und europäischen Höfe selbst, die zur Wahl eines festen Residenzortes tendierten, trug dazu bei, dass die Idee einer
31 Vgl. A i t, Interessi (wie Anm. 25), mit weiterführender Literatur. 32 M. B e re ngo, L’Europa delle città. Il volto della società urbana europea tra Medioevo ed Età moderna, Torino 1999, S. 3f.; P ro d i, Alessandro VI (wie Anm. 2), S. 324.
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Hauptstadt überhaupt erst entstehen konnte. Marino Berengo, einer der bedeutendsten Historiker, der sich mit diesen institutionellen Mechanismen auseinandergesetzt hat, hat im Zusammenhang mit der Machtfragmentierung und den Partikularismen von Körperschaften, Ständen, Behörden und Ämtern in der Epoche des Übergangs vom Mittelalter zur frühen Neuzeit den Wandel bzw. eine regelrechte ‚Wende‘ herausgearbeitet. Diese habe die Herausbildung und Nutzung einer Hauptstadt in den staatlichen Organismen hervorgerufen, weshalb die Stadt nicht mehr deshalb als Hauptstadt betrachtet wurde, weil sich in ihr der Sitz eines Hofes befand, sondern vielmehr weil sie zum weitgehend stabilen Sitz der öffentlichen Behörden wurde.³³ Alle italienischen und europäischen Hauptstädte, und so auch Rom, begannen Nutzen aus ihrer Rolle und vor allem aus der durch die Präsenz des Hofes, die Konzentration der Behörden und das demographische Wachstum bedingten Expansion des Handels- und Finanzsektors zu ziehen. Und überall, so auch in Rom, wurde die Finanzexpansion von der Zunahme der indirekten und der Abnahme der direkten Besteuerung begleitet, was zu einem Verlust der Finanzautonomie führte. Die Expansion des Handels- und Finanzsektors machte die Städte in der Tat reich, zog aber gleichzeitig auch die Aufmerksamkeit der Fürsten auf sich: Es gab damals keine italienische oder europäische Hauptstadt, deren im Vergleich zu den anderen Städten meist größere und konsistentere Finanzbewegungen nicht unter fürstliche Kontrolle gerieten. Mit dem Status einer Hauptstadt waren zahlreiche unterschiedliche Vorteile verbunden. So war es kein Zufall, wenn die Stadt des Ancien Régime einerseits „oft das Bedürfnis“ verspürte, „frei unter den eigenen Magistraten, Körperschaften und Kollegien zu leben“, sich andererseits aber „mit gleicher und oft sogar größerer Kraft dafür einsetzte, eine Rolle als Hauptstadt zu erlangen oder aufrechtzuerhalten“, denn „sobald sie Hauptstadt geworden war“, dehnte sie sich schnell aus und nahm an Einwohnern zu, insofern sich hier das Expansionspotential der Bürokratie und des Hofes konzentrierte.³⁴ Darüber hinaus konnte sich die Hauptstadt eines italienischen oder europäischen Regionalstaats eine Reihe von wirtschaftlichen Vorteilen gewiss sein, darunter vor allem die Fähigkeit, Einwohner anzuziehen, eine Verbesserung der öffentlichen Ordnung und der Rechtsprechung, die Zentralisierung der gerichtlichen und administrativen Verfahren, die Produktion von hochspezialisierten Gütern und Dienstleistungen, ein wachsender tertiärer Sektor, die Verbesserung der intellektuellen und beruflichen Bildung, die Konzentration von Einkünften aus öffentlichen Ämtern, die Erlangung von kirchlichen Benefizien aus den Provinzen, die Konzen-
33 Vgl. M. B e re ngo, Stato moderno e corpi intermedi, in: G. C h i t t o l i n i / A. M o l h o / P. S c h i e r a (Hg.), Origine dello Stato. Processi di formazione statale in Italia fra medioevo ed età moderna, Bologna 1994 (Annali dellʼIstituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni 20), S. 633–638, hier S. 637. 34 M. B e re ngo, La città di antico regime, in: Quaderni Storici 27 (1974), S. 661–692, hier S. 680.
Wirtschaft und Finanzen in Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts
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tration der Feudalrenten und des höfischen Konsums sowie der leichtere Zugang zu öffentlichen und privaten Kredit- und Finanzinstrumenten. Die Studien von Berengo zu einigen Hauptstädten wie Venedig (als Beispiel für einen Regionalstaat) oder Valladolid (als Beispiel für einen monarchischen Staat) helfen uns, die Funktionsweise dieser wirtschaftlichen, politischen und administrativen Mechanismen zu verstehen.³⁵ Auch wenn sich diese Städte sicher von Rom und auch voneinander unterschieden, hatten sie in dem hier untersuchten Zeitraum doch etwas gemein: Sie zogen Vorteile aus ihrer Hauptstadtrolle. Bezüglich Venedig unterstrich Berengo, dass die Stadt im 16. wie auch im 17. Jahrhundert für ihre Produkte keinen Exportmarkt mehr besaß und ihre Einwohner im Wesentlichen von den Einkünften aus der begrenzten Manufakturtätigkeit lebten, die von der großen venezianischen Tradition übrig geblieben war, sowie von den Einkünften aus öffentlichen Ämtern, von der Zentralisierung von Rechtsprechung und Verwaltung und von den kirchlichen Benefizien, die sich die Venezianer auf dem Festland verschafft hatten. Valladolid, bürokratische Hauptstadt und Sitz des Königreichs Kastilien, blickte dagegen nicht auf eine lange Tradition der Manufaktur- oder Banktätigkeit zurück; in ihr wohnte man im Laufe des 16. Jahrhunderts gerne, aber man arbeitete wenig und produzierte noch weniger. Vallodolid war eine Stadt, in die viel Geld „aus den Provinzen und den Herrschaftsgebieten in Europa und Übersee“ floss und in der man auch die vom Hof angezogenen Feudalrenten verbrauchte.³⁶ Das waren die normalen Perspektiven für das Wirtschaftsleben vieler Hauptstädte europäischer Klein- oder Großstaaten. Gleichwohl wurden sie aber nicht als ‚Parasiten‘ wahrgenommen, sondern ihre starke Antriebsfunktion, die sie als Sitz von organisatorischen und institutionellen Tätigkeiten besaßen, respektiert und gewürdigt. Rom war damals sicher nicht die wichtigste italienische Stadt. Es gab Städte mit mehr Einwohnern, wie z. B. Neapel, und andere, die – wie Venedig, Florenz oder Bologna – stärker entwickelt waren und ein nachhaltigeres städtisches gesellschaftliches Leben zu bieten hatten.³⁷ Doch war Rom wie andere italienische Städte, die Hauptstädte von Regionalstaaten waren, sehr weit entfernt von dem Modell, das Berengo für Valladolid herausgearbeitet hatte. In Rom wurden im 16. Jahrhundert spezifische Güter produziert, die einen großen Mehrwert besaßen: Produkte aus Bautätigkeiten, intellektuelle Güter, Bücher, ganz zu schweigen von den geographischen Karten, für die die Stadt das wichtigste europäische Produktionszentrum war.³⁸ Außerdem war Rom auf die Produktion von oft innovativen hochwertigen Leistungen im tertiären Sektor spezialisiert (vor allem von Finanzdienstleistungen und intellektuellen Serviceleistungen); in kaum einer anderen frühneuzeitlichen europäischen Stadt fand
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Ebd., S. 681f. Ebd. Vgl. P. P a r t n e r, Renaissance Rome 1500–1559. A Portrait of a Society, Berkley 1976. Vgl. D. Wo o dw a rd, Cartografia a stampa nell’Italia del Rinascimento, Mailand 2002.
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man ein derartiges Reservoir intellektueller Angebote oder so gute und schnelle Geldanlagemöglichkeiten. Die Stadt lebte also in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts nicht nur von Pilgern und Gaststätten, so wichtig diese auch für die städtische Wirtschaft waren. Und sie lebte auch nicht allein von Überweisungen aus dem Ausland, auch wenn die Konzentration der kirchlichen Macht eine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nach sich zog, die zu befriedigen auch die Einwohner der Stadt beitrugen, denen im Gegenzug Löhne und Rendite zuflossen. Selbstverständlich profitierten nicht alle – und nicht alle in derselben Weise – von diesen Expansionsmechanismen. Die sozialen Unterschiede in der Verteilung des Reichtums und des Konsums waren wie überall im damaligen Europa erheblich, und es erscheint bezeichnend, dass zahlreiche Beschwerden auch in wohlhabenderen Kreisen laut wurden. In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts begannen sogar die mittlerweile eine Minderheit ausmachenden eigentlichen Römer, also die nicht von auswärts zugezogenen Stadtbewohner, zu klagen.³⁹ Auch die Vertreter des Stadtrats, das heißt der Institution, die aus der alten Selbstverwaltung der Stadt hervorgegangen war, erhoben ihre Stimme. Diese „Gentiluomini“, wie sie Clara Gennaro nennt, wünschten sich angesichts des Gesamtwirtschaftswachstums der Stadt eine beträchtliche Erhöhung der städtischen Einnahmen, die, wie bereits deutlich geworden ist, äußerst niedrig waren. Sie beanstandeten, dass ihnen die Apostolische Kammer die Einkünfte aus Abgaben, Zöllen und allen anderen Formen der indirekten Besteuerung nahm und entrüsteten sich vor allem darüber, dass sie nicht über das Straßenmeisteramt verfügten, das die Bautätigkeit in der urbanistisch stark expandierenden Stadt kontrollierte. Doch die Konflikte blieben beschränkt und gefährdeten keineswegs ernsthaft die pax romana, die im Jahr 1511 rasch gefestigt wurde, das heißt innerhalb jenes Zeithorizontes, in dem sich Martin Luther in der Stadt aufhielt.⁴⁰ Wie von Paola Pavan herausgearbeitet wurde, stellten die neuen Führungsschichten eine „regelrechte Zensusoligarchie“ dar, die ihre Einkünfte ihrer eigenen Produktionskapazität und ihren unternehmerischen Fähigkeiten verdankte und nicht mehr feudalen Privilegien.⁴¹ Und dies war, so kann hinzugefügt werden, auch durch die zunehmende Rolle als Hauptstadt bedingt, die sich in zunehmendem Maße dem politischen und wirtschaftlichen römischen System funktional einpasste.
39 A. E s p o s i to, ‚… La minor parte di questo popolo sono i romani‘. Considerazioni sulla presenza dei ‚forenses‘ nella Roma del Rinascimento, in: ‚Effetto Roma‘, Bd. 3: Romababilonia, Istituto Nazionale di Studi Romani – Bulzoni, Roma 1993, S. 41–60; d i e s., Unʼaltra Roma. Minoranze nazionali e comunità ebraiche tra Medioevo e Rinascimento, Roma 1995. 40 C. G e n n a ro, La pax romana del 1511, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 110 (1967), S. 17–60; A. M o d igl i a n i, Li nobili huomini di Roma. Comportamenti economici e scelte professionali, in: G e n s i n i (Hg.), Roma capitale (wie Anm. 6), S. 345–372; A. E s p o s i t o, Li nobili huomini di Roma. Strategie familiari tra città, Curia e municipio, in: ebd., S. 373–388. 41 P. P ava n, Il comune di Roma al tempo di Alessandro VI, in: M. C h i a b ò u. a. (Hg.), Roma di fronte all’Europa (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 323–330.
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Unter diesen Umständen und angesichts dieser sozialen und wirtschaftlichen Widersprüche fielen die Urteile der Zeitgenossen über die Stadt des beginnenden 16. Jahrhunderts zwangsläufig unterschiedlich aus. Paolo Giovio trauerte der alten Freiheit nach und sprach von einer „von reichlich unzivilisierten Fremden beherrschten“ Stadt.⁴² Auch Marco Antonio Altieri zufolge herrschte in Rom „großes Elend“, die Römer lebten unter „schlechtesten Bedingungen“, ihre Oberschicht sei „tief gesunken und heruntergekommen“ und das ganze Volk liege „darnieder“.⁴³ Albertini dagegen rühmte im Jahr 1510 die Mirabilia der Stadt und betrachtete sie als denen des antiken Rom ebenbürtige Monumente, dessen würdige Nachfolgerin sie sei.⁴⁴ Tatsache war, dass alle diese Personen voreingenommen waren und der Stadt gerne den Stempel großer Armut oder großen Reichtums aufdrückten, um ihre vorgefassten Meinungen bestätigt zu sehen. Können nun diesen Namen die Reformatoren oder gar Luther zur Seite gestellt werden? Selbstverständlich tat sich zwischen ihnen und dem großen deutschen Reformator in vieler Hinsicht eine enorme Kluft auf. Grundverschieden waren ihr jeweiliger kultureller Hintergrund, ihre Mittel und ihre Ziele. Gleichwohl wird in ihnen eine gemeinsame Tendenz erkennbar, die in der ideologischen und politischen Instrumentalisierung der wirtschaftlichen Probleme bestand. Keiner von ihnen, und sicher auch nicht Luther, kannte in allen Einzelheiten die in der Stadt wirksamen Finanzmechanismen. Doch um ihre eigenen Ziele zu erreichen, instrumentalisierten sie Deutungsmunster der wirtschaftlichen Lage der Stadt, die ihr jeweiliges Publikum beeindruckte, im Wesentlichen aber weit entfernt war von den in Rom real wirkenden Finanz- und Wirtschaftsmechanismen.
42 P. G i o v i o, Le vite di Leon Decimo e d’Adriano VI sommi pontefici, et del cardinale Pompeo Colonna, in der Übersetzung von Lodovico Domenichi, Firenze 1551, S. 367. 43 Li Nuptiali di Marco Antonio Altieri, a cura di Enrico Narducci, Roma 1873, S. 15f. 44 F. A l b e r t i n i, Opusculum de mirabilibus a novae et veteris urbis Romae, in: R. Va l e n t i n i / G. Zu cc h e t t i (Hg.), Codice topografico della città di Roma, Bd. 4, Roma 1953 (Fonti per la storia d’Italia 91), S. 457–547.
Anna Modigliani
Die römische Gesellschaft und ihre Eliten zu Zeiten Luthers „Io ho sempre desiderato naturalmente la ruina dello stato ecclesiastico, e la fortuna ha voluto che sono stati dua pontefici tali, che sono stato sforzato desiderare e affaticarmi per la grandezza loro. Se non fussi questo rispetto, amerei più Martino Luther che me medesimo, perché spererei che la sua setta potessi ruinare o almanco tarpare le ale a questa scelerata tirannide de’ preti.“¹
Dies schreibt Francesco Guicciardini in einer Erinnerung, die auf die Zeit vor 1525 zurückgeht, als eine lange und keineswegs von savonarolischen Einflüssen freie Tradition von Kritiken und Missstimmungen in Bezug auf den Lebensstil und die Verhaltensweise der Päpste und der Kirchenmänner auf die Rezeption des nunmehr reifen Lutherschen Denkens und seiner Reformen trifft und sich mit ihr verbindet. Das Urteil Guicciardinis findet seinen schriftlichen Ausdruck in den „Ricordi“, die zumindest ursprünglich als intime und familiäre Aufzeichnungen geplant waren. Nicht nur die Zusammenarbeit mit verschiedenen Päpsten, so behauptet der Autor, sondern sicher auch seine Tätigkeiten für die Republik Florenz hätten es ihm nicht erlaubt, eine offenere lutherfreundliche Position zu beziehen. Circa 70 Jahre zuvor zeichnete Leon Battista Alberti als päpstlicher Abbreviator noch vorsichtiger – und in notgedrungen mehrdeutiger Weise – das Bild eines tyrannischen Papsttums und wies auf die am Horizont auftauchende neue Elite von Fremden hin, die damals zwar noch nicht wirklich zum Hof gehörte, aber sicher in den Kreisen der Kurie bereits eine Vorzugsbehandlung genoss. Die Aufmerksamkeit richtet sich bei Alberti vor allem auf das Rom zu Zeiten Nikolaus’ V.: „Sed novum genus crudelitatis ab iis, qui se piissimos dici velint, repertum esse, cives esse non licere: proscribi, relegari, necari insontes, totam Italiam refertam esse proscriptorum
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 Francesco G u i cc i a rd i n i, Ricordi. Edizione critica, hg. von R. S p o n g a n o, Firenze 1951, S. 33, B 124. Die Fassung B, die der Autor im Jahr 1528 ins Reine schrieb, umfasst bis zur Nr. 171 Erinnerungen aus der Zeit vor 1525 und ab der Nr. 172 Erinnerungen, die ab April 1528 dazugekommen sind (vgl. Introduzione, S. XVIIIf. und passim). Die darauffolgende Fassung dieser Erinnerung, C 28, stammt aus dem Jahr 1530 und beginnt dagegen mit den Worten: „Io non so a chi dispiaccia più che a me la ambizione, la avarizia e la mollizie de’ preti: sì perché ognuno di questi vizi in sé è odioso, sì perché ciascuno e tutti insieme si convengono poco a chi fa professione di vita dependente da Dio.“ (ebd., S. 33). Zu dieser Erinnerung, zum mehr politisch als religiös motivierten Urteil Francesco Guicciardini über die zeitgenössische Kirche und zu seiner Einstellung Luther gegenüber vgl. G. S a s s o, Per Francesco Guicciardini. Quattro studi, Roma 1984 (Studi Storici 143–145), S. 26, 154 und passim. DOI 10.1515/9783110316117-009
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multitudine, Urbem civibus vacuam factam; nullos videri per Urbem, nisi barbaros.“² Das Bild gehört zu einer Rede, die der Autor Stefano Porcari zuschreibt, dem Urheber der Verschwörung von 1453 gegen Nikolaus V., der den Aufständischen hinrichten ließ.³ Die Rede, die sich an die Komplizen und möglichen Unterstützer richtet, ist Teil einer in Epistelform verfassten kurzen Schrift, der „De Porcaria coniuratione“, die im Ganzen die Taten der Aufständischen verurteilt und die gute Regierung des Papstes über die Stadt rühmt („Ager cultus, Urbs facta aurea proximo jubilaeo, civium dignitas aucta.“).⁴ Mehr als der langen und leidenschaftlichen Rede Porcaris Raum zu schenken, hätte Alberti sicher nicht wagen können. Es handelt sich hier um zwei Beispiele aus der Literatur, die sehr entfernt voneinander sind, nicht nur was die weit auseinander liegende Entstehungszeit anbelangt, sondern auch was die Unterschiede in den Erfahrungen und den moralischen und politischen Überlegungen der beiden Autoren betrifft, die beide keine Römer sind und mit den jeweiligen Päpsten direkt in irgendeiner Form zusammenarbeiten oder ihnen zu Diensten stehen. Zwischen den beiden Zeugnissen, wenngleich näher am zweiten, liegt die Romreise des damals noch jungen Mönches Martin Luther, seine einzige Reise in die Stadt der Päpste, die bei ihm zweifelsohne einen starken Eindruck hinterließ, der sich tief in sein Gedächtnis und sein Gewissen als Mensch und Ordensbruder eingrub: „Auch wenn man mir im Gegenzug hunderttausend Gulden anböte“, schrieb er viele Jahre später, „würde ich nicht darauf verzichten wollen, Rom gesehen und erlebt zu haben. Ich würde sonst immer befürchten müssen, der Stadt Unrecht zu tun. So aber kann ich von dem reden, was ich gesehen habe.“⁵
2 Leonis Baptistae A l b e r t i De Porcaria coniuratione epistola, in: Opera inedita et pauca separatim impressa, hg. von H. M a n c i n i, Florentiae 1890, S. 257–266, hier S. 260. 3 Zu den Quellen zur Verschwörung, den Reaktionen und den Kommentaren der Zeitgenossen vgl. A. M o d igl i a n i, Congiurare all’antica. Stefano Porcari, Niccolò V, Roma 1453. Con l’edizione delle fonti, Roma 2013 (Roma nel Rinascimento [= RR] inedita 57, saggi) passim und die darin zitierten Werke. Zu den Beziehungen zwischen Alberti und Nikolaus V. sowie zur „De Porcaria coniuratione“ vgl. M. Ta f u r i, Ricerca del Rinascimento. Principi, città, architetti, Torino 1992, S. 33–88; M. M ig l i o, Nicolò V, Leon Battista Alberti, Roma, in: L. C h i avo n i / G. Fe r l i s i /M. V. G r a s s i (Hg.), Leon Battista Alberti e il Quattrocento. Studi in onore di Cecil Grayson e Ernst Gombrich. Atti del Convegno internazionale, Mantova, 29–31 ottobre 1998, Firenze 2001 (Ingenium 3), S. 47–64; A. M o d ig l i a n i, Ad urbana tandem edificia veniamus. La ‚Vita Nicolai quinti‘ di Giannozzo Manetti: una rilettura, in: A. C a l z o n a /J. C o n n o r s/F. P. Fi o re /C. Va s o l i (Hg.), Leon Battista Alberti. Architetture e committenti. Atti dei Convegni internazionali del Comitato Nazionale VI centenario della nascita di Leon Battista Alberti, Firenze, Rimini, Mantova, 12–16 ottobre 2004, 2 Bde., Firenze 2009 (Ingenium 12), Bd. 2, S. 513–559, hier S. 542–555. 4 Leonis Baptistae A l b e r t i , De Porcaria coniuratione, hg. von M a n c i n i (wie Anm. 2), S. 264. 5 „Non vorrei prendere centomila fiorini in cambio di non avere anche visto e sentito Roma. Avrei dovuto sempre temere di farle ingiustizia. Mentre invece parlo di quello che ho visto“: Martin Lu t e r o, Discorsi a tavola. Introduzione, traduzione e note di L. Perini, Torino 1973, Nr. 1478 S. 188f. (D. Martin
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Doch nicht das Verhältnis Luthers zum Papsttum und zur Welt der Kurie ist der Gegenstand meines Beitrags. Vielmehr bin ich gebeten worden, einen Überblick über die römische Gesellschaft und ihre Eliten zu Beginn des 16. Jahrhunderts, also zur Zeit der Lutherschen Romreise, zu geben und mich mit dem absolut einzigartigen und einmaligen städtischen Umfeld auseinanderzusetzen, das Luther erlebte und von dem er Spuren in seinen Schriften hinterließ. Ich werde also von der Stadt der Römer sprechen, von den Gruppen, den sozialen und politischen Dynamiken, den Idealen und den Erwartungen seiner Einwohner, von der Kultur, den Riten und den Sitten. Aber von all dem lässt sich nicht unabhängig vom Papst und von der Welt der Kurie sprechen. Das Thema ist umfassend und komplex, und wenn man Wiederholungen vermeiden will (man denke hier nur an die beiden Bände zum römischen Adel aus den Jahren 2001 und 2006 oder an die jüngsten Tagungsbände, die „Roma nel Rinascimento“ Julius II. gewidmet hat),⁶ muss man einen anderen Weg einschlagen und auch denjenigen Dingen Rechnung tragen, die den jungen Augustinermönch beeindruckt haben könnten. An die beiden Enden dieses Weges setze ich Alberti und Guicciardini, nicht nur, weil ihre Urteile über das Papsttum und das päpstliche Rom Punkte berühren, die besonders hilfreich sind, wenn es um das Verständnis bestimmter Dynamiken innerhalb der römischen Gesellschaft geht, sondern auch und vor allem, weil die Zeitpunkte, zu denen die beiden Zeugnisse entstanden sind, eine wichtige Übergangszeit markieren und in etwa mit dem Beginn und dem Ende eines langen Prozesses zusammenfallen, in dem zwischen der Verschwörung des Porcari Mitte des 15. Jahrhunderts und dem Pontifikat Leos X. das Verhältnis zwischen den Römern und dem Papst neue Konturen erhielt. Dieses Verhältnis ist von grundlegender Bedeutung, wenn man die Entwicklung des römischen Adels verstehen will.⁷ In dieser Zeit entsteht und vergeht auch der große in der Renaissance und vor dem Tridentinum geträumte Traum von einem Papsttum, das sich in der Politik, den
Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe [Weimarer Ausgabe]. Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 [=WA.TR], hier Bd. 3, Nr. 3478, 27. Oktober – 4. Dezember 1536). 6 M. A. Vi s ce gl i a (Hg.), La nobiltà romana in età moderna. Profili istituzionali e pratiche sociali, Roma 2001 (Università degli Studi Roma Tre, Dipartimento di studi storici geografici antropologici. Ricerche 3); S. C a ro cc i (Hg.), La nobiltà romana nel Medioevo, Roma 2006 (Collection de l’École française de Rome 359); F. C a n t a to re / M. C h i ab ò / M. G a rg a n o / A. M o d ig l i a n i (Hg.), Giulio II e Savona. Sessione inaugurale del Convegno Metafore di un pontificato. Giulio II, 1503–1513, Savona, Cappella Sistina, 7 novembre 2008, Roma 2009 (RR inedita 43, saggi); F. C a n t a t o r e u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato. Giulio II (1503–1513). Atti del Convegno, Roma, 2–4 dicembre 2008, Roma 2010 (RR inedita 44, saggi); P. P ro c a cc i o l i (Hg.), Giulio II. La cultura non classicista. Sessione finale del Convegno Metafore di un pontificato. Giulio II, 1503–1513, Viterbo, S. Maria in Gradi, 13 maggio 2009, unter Mitwirkung von M. C h i ab ò, A. M o d igl i a n i, Roma 2010 (RR inedita 45, saggi). 7 Wie richtig festgestellt wurde „non è possibile isolare le trasformazioni cetuali da un quadro politico che assume …, a seconda dei luoghi e dei tempi, modulazioni differenti destinate a marcare … la stessa identità nobiliare“. I. Fo s i, La nobiltà a Roma nella prima metà del Cinquecento. Problemi e prospettive di ricerca, in: RR Roma nel Rinascimento (1999), S. 61–77, hier S. 61.
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Zeremonien, den Künsten und der Architektur die Vorrechte und die Ausdrucksformen des alten Römischen Reiches zum Vorbild nimmt, ohne das auszuklammern, was diese Erinnerungen an Weltlichem und Mondänem mit sich brachten. Die Wahl jedes Ausgangspunktes innerhalb eines historischen Prozesses ist unbefriedigend, weil eine Reihe von früheren Ereignissen außer Acht bleibt, die für das Verständnis der zu analysierenden Entwicklung wichtig und unabdingbar sind. Wollte man sich mit den Ursprüngen des schwierigen Verhältnisses zwischen den Bürgern Roms und den Päpsten um die Mitte des 15. Jahrhunderts befassen, so müsste man weit ausholen, die Gründung der römischen Kommune beziehungsweise die renovatio Senatus von 1143 in Betracht ziehen und das ausgeprägte Streben nach kommunaler Autonomie berücksichtigen, das schwer und vielleicht sogar unmöglich zu erlangen war angesichts eines Bischofs – dem Papst –, der immer vergleichsweise mehr Raum einnahm und einnehmen sollte als der Bischof jeder anderen Stadt, und angesichts eines gegenwärtigen dominus, der auch in den stärker durch eine republikanische Verfassung geprägten Zeiten und sogar während des langen Avignonesischen Exils darüber wachte, was in Rom geschah.⁸ Doch die Verschwörung des Stefano Porcari markiert meiner Meinung nach einen Knotenpunkt im Verhältnis zwischen den Römern und dem Papsttum. Sie markiert den Gipfel einer langen Reihe von Autonomieforderungen der Römer gegenüber der päpstlichen Herrschaft über die Stadt, Forderungen, die sich auf der Suche nach einer kommunalen Identität einerseits mit den ideologischen Strömungen des Spiritualismus und des Pauperismus verbanden (von Arnold von Brescia bis zu bestimmten, von Valla in „De falso credita et ementita Constantini donatione“ angesprochenen Themen⁹), sich andererseits aber gleichfalls auf den Mythos des alten Reiches stützten,¹⁰ und darüber hinaus in den berühmtesten Beispielen republikanischer Regierungen wie in Bolo-
8 Diejenigen, die vielleicht die wichtigsten Protagonisten der römischen Politik und des Kirchenstaates während des Avignonesischen Exils waren, nämlich Cola di Rienzo und Gil Álvarez Carillo de Albornoz, handelten beide in engem Kontakt mit dem Papst. Zu den politischen Gleichgewichten in Italien während des Avignonesischen Exils vgl. G. Ta b a c c o, Programmi di politica italiana in età avignonese, in: Aspetti culturali della società italiana nel periodo del papato avignonese. Atti del XIX Convegno del Centro di studi sulla spiritualità medievale, Perugia, 15–18 ottobre 1978, Todi 1981 (Convegno del Centro di Studi sulla Spiritualità Medievale 19), S. 49–75. Zur Legatentätigkeit von Albornoz vgl. P. P a r t n e r, The Lands of St. Peter, London 1972; P. C o l l iv a, Il cardinale Albornoz, lo Stato della Chiesa e le ‚Constitutiones Aegidianae‘ (1353–1357), Bologna 1977; D. Wa l e y, Lo stato papale dal periodo feudale a Martino V, in: G. G a l a s s o (Hg.), Comuni e signorie nell’Italia nordorientale e centrale 2: Lazio, Umbria e Marche, Lucca, Turin 1987 (Storia d’Italia 7/2), S. 229–320. 9 Grundlegend ist in diesem Zusammenhang der Aufsatz von M. M ig l i o, Lorenzo Valla e l’ideologia municipale romana nel ‚De falso credita et ementita Constantini donatione‘, in: H. Ke l l e r / W. P a r av i c i n i / W. S c h i e d e r (Hg.), Italia et Germania. Liber Amicorum Arnold Esch, Tübingen 2001, S. 225–236. 10 Vgl. die Urkunden, veröffentlicht von F. Bartoloni: Codice diplomatico del Senato romano dal MCXLIV al MCCCXLVII, I, hg. von F. B a r to l o n i, Roma 1948, und kommentiert von M . M ig l i o, Il Se-
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gna¹¹ und in Florenz¹² die zeitgenössischen institutionellen Modelle fanden, die es nachzuahmen galt. Über die Beteiligung an der Verschwörung des Porcari ist recht wenig bekannt, doch legen verschiedene Quellen eine breite Unterstützung durch die Bürger und andere, meist nicht genau bestimmte, politische Mächte im Kirchenstaat und auf der internationalen Bühne nahe.¹³ Die Verschwörung kann als der Höhepunkt in einer unendlichen Reihe von Frustrationen und Revolten gegenüber einer päpstlichen Regierung betrachtet werden, die in immer entschlossenerer Weise, zunächst unter Bonifaz IX. Ende des 14. Jahrhunderts¹⁴ und dann nach der dauerhaften Rückkehr der Päpste nach Rom unter Martin V. die kommunalen Autonomien beschränkte. Die römischen gentilhomini, also die Vertreter der kommunalen Aristokratie, behielten zwar noch das Recht, den größten Teil der kapitolinischen kommunalen Ämter zu besetzen, doch implizierten diese Ämter keine kommunale Autonomie mehr. Darüber hinaus – und darüber müsste meines Erachtens noch weiter nachgedacht wer-
nato in Roma medievale, in: G. A r n o l d i (Hg.), Il Senato nella storia II: Il Senato nel Medioevo e nella prima età moderna, Roma 1997, S. 117–172. 11 Man denke hier an die Senatorenzeit des Bolognesen Brancaleone Andalò in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts, vgl. hierzu M a t t h a e i Parisiensis monachi Sancti Albani Chronica majora, Bd. 5: A.D. 1248 to a. D. 1259, hg. von H. R. Lu a rd, London 21964, ad indicem; J.-L. G au l i n, ‚Ufficiali forestieri Bolonais‘. Itinéraires, origines et carrières, in: J.-C. M a i r e Vigu e u r (Hg.), I podestà nell’Italia comunale, Bd. 1,1: Reclutamento e circolazione degli ufficiali forestieri (fine XII sec. – metà XIV sec.), Roma 2000 (Collection de l’École française de Rome 268 / Nuovi studi storici 51), S. 311–348. 12 Zu den mercatores de Tuscia als Bezugspersonen für die politische Tätigkeit Cola di Rienzos vgl. M. M igl i o, Il progetto politico di Cola di Rienzo ed i comuni dell’Italia centrale, in: Atti del XV Convegno del Centro di studi sulla spiritualità di Todi, Todi, 15–18 ottobre 1974, Todi 1975, S. 175–197, jetzt in: M. M igl i o, Scritture, scrittori e storia, Bd. 1: Per la storia del Trecento a Roma, Manziana 1991 (Patrimonium 1), S. 89–98, hier S. 90. Zu einem Urteil Giovanni Villanis über die Nachahmung der Florentiner institutionellen Modelle durch die Römer vgl. Giovanni Vi l l a n i, Nuova Cronica, hg. von G. P o r t a, Bd. 3, Parma 1991, Buch XII, Kap. 96, S. 205, kommentiert in A. M o d ig l i a n i, Cola di Rienzo e il Comune di Roma, Bd. 2: L’eredità di Cola di Rienzo. Gli statuti del Comune di popolo e la riforma di Paolo II, Roma 2004 (RR inedita 33,2), S. 61–66. 13 In den Quellen manifestiert sich einerseits die – von den ersten Tagen nach der Verschwörung an durch die Vertreter der kurienfreundlichen Linie unterstützte – Tendenz, die Tragweite des Aufstands hinsichtlich der Zahl und der sozialen Zugehörigkeit der am Komplott Beteiligten sowie der – angeblich wenig ehrenhaften – Beweggründe Porcaris und seiner Gefährten herunterzuspielen, denen Gier nach Reichtum, Ehrgeiz und persönliche Interessen unterstellt werden. Andererseits wird dort durch die Sympathisanten aus dem kurienfeindlichen, republikanischen Lager die Güte der die Verschwörung inspirierenden idealen Prinzipien verteidigt und von den realistischen Erwartungen hinsichtlich des Erfolgs des Unterfangens gesprochen, die auf eine breite Unterstützung weit über die römischen Bürger hinaus zurückzuführen sind. 14 A. E s c h, Bonifaz IX. und der Kirchenstaat, Tübingen 1969 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 29); d e r s., La fine del libero comune di Roma nel giudizio dei mercanti fiorentini. Lettere romane degli anni 1395–1398 nell’Archivio Datini, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il Medio Evo 86 (1976–1977), S. 235–277.
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den – ging die Entwicklung hin zu einer der Stadt gegenüber immer aufdringlicheren päpstlichen Signorie in Rom zumindest bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nicht mit der Verwandlung der kommunalen Elite in eine höfische Elite Hand in Hand. Die Päpste, die nach Martin V. Colonna alle Fremde waren, umgaben sich aus Gründen der Protektion und der Verlässlichkeit vorzugsweise mit ihren eigenen Landsleuten und riefen so bei den römischen gentilhomini ein starkes Gefühl der Ausgegrenztheit hervor, das in der oben zitierten, von Alberti wiedergegebenen Rede Porcaris bereits sehr deutlich wird. Das Scheitern und die brutale Niederschlagung der Verschwörung von 1453 markierten nicht das Ende der Aufstände der Römer. Wenige Jahre später, während der Abwesenheit Pius II. von Rom wegen des Konzils von Mantua (1459–1460), waren es die Neffen Stefano Porcaris, Tiburzio und Valeriano di Maso, die die Stadt zum Schauplatz von Gewalt und Unruhen machten.¹⁵ Auch hinter diesen Unruhen stand eine internationale Allianz, wobei in diesem Fall die Ansprüche der Anjou auf das Königreich Neapel eine Rolle spielten und die mächtigen Familien aus dem baronalen Adel – die Savelli, Colonna und Anguillara – involviert waren.¹⁶ Doch die Verhältnisse hatten sich geändert. Den Aktionen der Aufständischen fehlte nunmehr die republikanisch und anti-tyrannisch motivierte ideologische Kraft, die Porcari und seine Komplizen angetrieben hatte, und gleichzeitig wurde deutlich, dass die Macht des Papsttums gewachsen war.¹⁷ Einige Jahrzehnte später schlägt Marco Antonio Altieri, die Stimme des römischen kommunalen Gewissens, in den „Baccanali“ eine Interpretation dieser Geschehnisse vor,¹⁸ nach der die wahrhaft für die Unruhen Verantwortlichen die Barone waren, die Römer hingegen nur die Opfer:
15 Zu diesen Ereignissen vgl. P. Fa re nga, ‚I romani sono periculoso populo …‘. Roma nei carteggi diplomatici, in: S. G e n s i n i (Hg.), Roma Capitale (1447–1527), Pisa-San Miniato 1994, S. 289–315; A. M o d igl i a n i, Pio II e Roma, in: A. C a l z o n a / F. P. F i o r e / A. Te n e n t i / C. Va s o l i (Hg.), Il sogno di Pio II e il viaggio da Roma a Mantova, Atti del Convegno internazionale, Mantova, 13–15 aprile 2000, Firenze 2003 (Ingenium 5), S. 77–108. 16 Während Francesco Sforza und Pius II. Ferdinand I. unterstützten, gehörten zum Lager der Anjou-Anhänger, das hinter den Ansprüchen von Johann II. stand und sich in Rom und im Kirchenstaat die Unterstützung der Savelli, der Colonna und der Anguillara zu Nutze machte, der Fürst von Tarent Giovanni Antonio Orsini, Iacopo Piccinino und Sigismondo Malatesta. 17 Bei einem zweiten bewaffneten Versuch von Tiburzio und seinen Anhängern wurde ihm von den Bürgern die Unterstützung verweigert. Der hierfür vorgebrachte Grund war Stefano Infessura zufolge: „non è più tempo“: Diario della città di Roma di Stefano Infessura scribasenato, hg. von O. To m m a s i n i, Roma 1890 (Fonti per la storia d’Italia 5), S. 65. Zu der unangemessenen Zeit des Aufstandsversuchs von Tiburzio vgl. M. M igl i o, Immagini di Roma. Babilonia, Gerusalemme, ‚cadaver miserabilis Urbis‘, in: Cultura e società nell’Italia medievale. Studi per Paolo Brezzi, Bd. 2, Roma 1988, S. 509–518. 18 Diese Interpretation ist stark vergleichbar mit derjenigen, die bereits Pius II. vorschlug, um die Mehrheit der Römer wieder zum Gehorsam gegenüber dem Papst zu verpflichten; vgl. hierzu M o d igl i a n i, Pio II (wie Anm. 15).
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„Vesse offerisce per primo demostrarlo el Savellesco, dal quale addemandandoli la causa perdissiro castella, confiscati possessioni, sacchiggiate le sustantie, notati al fine de perpetua rebellione, et subsequente a questo depredato lo territorio de Roma, desfacti infiniti citadini, con molto sangue de gentilhomini sparso, con poco honore della cità per gelosia de chi molto temeva, responderiave incontinente per dirve la pura verità: tanto male solo esserli succeso per le discordie de’ baroni.“¹⁹
Abgesehen von der Vorsicht, die bei der Lektüre eines Autors wie Altieri angebracht ist, der sich zum Verteidiger der Ehre der nicht baronalen römischen Familien aufschwingt (doch wie noch zu sehen sein wird, werden ähnliche Urteile von sehr unterschiedlichen Autoren geäußert), zeigt sich doch deutlich die politische Passivität der römischen gentilhomini, die, auch wenn sie sich im Namen der Freiheit gegen die päpstliche Regierung auflehnen, die stets mächtigere Gruppe der Barone hinter sich haben, die die Regie führen und zu denen sie klientelare Abhängigkeitsbeziehungen unterhalten. Klientelismus und Parteibildung,²⁰ von denen auch Luther in den „Tischreden“²¹ spricht, haben das Leben der Römer lange Zeit begleitet und nicht nur die politischen Entscheidungen stark geprägt, sondern auch die Mentalität, die Verhaltensweisen und die Sitten der Römer, von den Popularen oder ehemaligen Popularen bis hin zum niederen städtischen Adel. Die brighe, also die Streitereien der Römer, erweckten die Aufmerksamkeit der fremden Beobachter und wurden als eine Besonderheit der Stadt der Päpste betrachtet. Mit den folgenden Worten werden sie beispielsweise von einem Mailänder Botschafter im Jahr 1466 beschrieben: Paul II. „se sforza … de ordinare et reformare in melius questa cità, circa de alcuni modi exorbitanti, et maxime de queste brighe che se solevano fare qua quando uno amazava o feriva un altro che se andavano poy a recercare li parenti et amici a ferirse et amazarse ancora l’un l’altro per vendette, poy se mettevano ad stare in casa armati … et facevano de molti scandali secundo una corruptella anticha de questa cità.“²²
19 Marco Antonio A lt i e r i, Li Baccanali, hg. von L. O n o f r i, Roma 2000 (Fonti per la storia dell’Italia medievale. Antiquitates 8), S. 51. 20 Die Mechanismen des Klientelismus und der Faktionen innerhalb der römischen Gesellschaft wurden untersucht von A. R e h b e rg, Kirche und Macht im römischen Trecento. Die Colonna und ihre Klientel auf dem kurialen Pfründenmarkt (1278–1378), Tübingen 1999 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 88); d e r s., Cola di Rienzo e il Comune di Roma 1. Clientele e fazioni nell’azione politica di Cola di Rienzo, Roma 2004 (RR inedita 33,1). 21 WA.TR 3, Nr. 3478. 22 Dispaccio di Agostino Rossi al duca di Milano Francesco Sforza (Roma, 21 febbraio 1466; Milano, Biblioteca Ambrosiana, ms. Z 219 sup., Nr. 9418), ediert in: A. M o d ig l i a n i, Un ritratto di Paolo II per il duca di Milano. Scelte edilizie, feste e politica cittadina, in: RR Roma nel Rinascimento 2004, S. 255 –268. Die Vergangenheitsform erklärt sich daraus, dass er behauptete, die Initiativen Pauls II. hätten das Problem definitiv gelöst.
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Die städtischen brighe und auch die Übermacht der römischen Barone sowie ihre Fähigkeit, die Entwicklungen in der Stadt zu beeinflussen, hörten in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts nicht auf, wie ein Mailänder Redner hoffte, sondern sie zogen sich bis zum Jahrhundertende und sogar noch länger hin. Die verschiedenen Päpste unternahmen während der Unterstützung der einen oder der anderen der beiden wichtigsten Fraktionen (der der Orsini und der der Colonna) immer wieder den Versuch, deren Kontrolle über die Stadt und über den Staat einzudämmen. Manchmal versuchten sie auch die römischen Bürger gegen die Barone auf ihre Seite zu ziehen (ich denke hier an einige Zeitabschnitte während der Pontifikate von Pius II., Paul II. und Julius II.),²³ doch im Wesentlichen trauten die Römer den Päpsten nicht, vielleicht nicht so sehr wegen ihres Freiheitsdrangs, wie im Allgemeinen angenommen wird, sondern gerade wegen der klientelaren Beziehungen, die sie zu den Baronen unterhielten. Die politische Passivität und die Unterwürfigkeit der Römer werden bereits in einem Brief überliefert, den Francesco Petrarca Anfang Juni 1347 an Cola di Rienzo schreibt und der als „Hortatoria“ bekannt ist. In diesem Brief warnt Petrarca den Tribun davor, sich allzu sehr auf die Treue der seit zu langer Zeit das Dienen gewohnten Römer zu verlassen. Petrarca spricht von ihrem „amor immeritus, quem ad tyrannos vestros longo usu forsitan concepistis“ und beschreibt außerordentlich konkret und mit psychologischem Scharfsinn jene Laster und jene Schwächen der Römer, die eine Gefahr für das gegen die Magnaten der Stadt gerichtete Projekt di Rienzos darstellen könnten: „Quam multos futuros arbitramur, quibus vel mixto sanguine cum tyrannis vel miserrima consuetudine serviendi persuasum sit, dulciorem esse servilem crapulam quam sobriam libertatem, qui se grande aliquid assecuturos putent, si salutentur in publico, accersiantur, fatigentur obscenis imperiis.“²⁴ Das ist genau das, was – in anderer literarischer Form – Matteo Villani in Bezug auf die großen Unruhen zum Ausdruck bringt, die 1350 in Rom durch die baronalen Machtkämpfe ausgelöst
23 Vgl. hierzu Fa re nga , Roma (wie Anm. 15); M o d ig l i a n i, Pio II (wie Anm. 15); A. d e Vi n c e n t i i s, La sopravvivenza come potere. Baroni di Roma e papi nel XV secolo, in: Vi s c e g l i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 551–613, hier S. 570–580, 606–609. Hinsichtlich einer umfassenderen Einordnung wird auf S. C a ro cc i , Baroni di Roma. Dominazioni signorili e lignaggi aristocratici nel Duecento e nel primo Trecento, Rom 1993 (Collection de l’École française de Rome 181 / Nuovi studi storici 23), verwiesen. 24 Es handelt sich um den Brief Var. 48, in dem Cola di Rienzo und das römische Volk beglückwünscht werden zu der neuen Regierung in Rom und in dem Francesco Petrarca sie dazu auffordert, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen: Francesco Pe t r a r c a, Epistole, hg. von U. D o t t i, Torino 1978, S. 893 –919, hier S. 894, 904. Vgl. hierzu A. M o d igl i a n i, Petrarca e il comune romano, in: M. G. B l a s i o / A. M o r i s i / F. Ni u t t a (Hg.), Petrarca e Roma, Atti del convegno di studi, Roma, 2–3–4 dicembre 2004, Roma 2006 (RR inedita 35, saggi), S. 61–73. Das zu einschränkende Urteil über das Gewicht des Klientelismus im politischen Leben Roms in J.-C. M a i re Vi gu e u r, L’autre Rome. Une histoire des Romains à l’époque communale (XII e–XIV e siècle), Paris 2010, S. 226f. und passim, teile ich nicht.
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wurden. Die Popularen – erzählt der Florentiner Chronist – waren sich der Natur des Problems bewusst und der Wege, die zu seiner Lösung angemessen gewesen wären, doch das klientelare Denken machte die Solidarität der Gruppe zunichte: „Il popolo era i .male stato, la città dentro piena di mafattori, e fuori per tutto si rubava. E’ forestieri e’ romei erano in terra di Roma come le pecore tra’ lupi: ogni cosa in rapina e in preda. A’ buoni uomini del popolo parea stare male, ma l’uno s’era acomandato a l’una parte, e l’altro a l’altra, di loro maggiori, e però i pensieri di mettervi consiglio erano prima rotti che cominciati.“²⁵
Auf die Römer konnte folglich niemand bauen, weder die kommunalen Magistrate noch später die Päpste, die sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – möglichst fern vom päpstlichen Hof und von den wichtigsten Behörden der Kurie hielten. Der logische, aber nicht streng chronologische Höhepunkt und zugleich die Bruchstelle in dieser Entwicklung der Ausgrenzung der Römer und deren damit einhergehenden Gefühle der Frustration können vielleicht in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts ausgemacht werden, wie unter anderem aus den Schriften von Marco Antonio Altieri hervorgeht.²⁶ Laudator temporis acti, die in seinen Werken (und vor allen in den aus der Zeit nach 1504 stammenden „Nuptiali“)²⁷ zum Mythos erhobene Zeit, ist die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Damals seien die Sitten gemäßigter und die städtischen Traditionen noch lebendiger gewesen, noch nicht beschädigt durch die dann wachsende Präsenz von Fremden, die die Kultur, die Gewohnheiten und die Regeln der römischen Gesellschaft veränderten. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war Rom nicht mehr die Stadt der Viehhüter, auf die die feinen Florentiner spöttisch und verächtlich herabblickten.²⁸ Die Märkte – so ist in der „Lozana Andalusa“ am Vorabend des Sacco von 1527 zu lesen – boten „in abbondanza tutte le cose possibili e immaginabili, come a Venezia e in qualunque altra zona di traffici e commercio“.²⁹ Was in der Kurie getragen wurde, setzte Maßstäbe
25 Matteo Vi l l a n i, Cronica, con la continuazione di Fi l i p p o Vi l l a n i, hg. von G. P o r t a, 2 Bde., Parma 1995, hier Bd. 1, Buch II, Kap. 47, S. 277. 26 Zu diesem wichtigen Zeugen der Übergangszeit zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert vgl. M. M igl i o, Marco Antonio Altieri e la nostalgia della Roma municipale, in: ‚Effetto Roma‘. Nostalgia e rimpianto, Roma 1992, S. 9–23; M. M igl i o, Come introduzione. Marco Antonio Altieri tra curia e municipio, in: C a n t a to re (Hg.), Metafore (wie Anm. 6), S. 1–25. 27 Im Jahr 1504 fand die Hochzeit zwischen Giovangiorgio Cesarini und Marzia Sforza statt, die den Anlass zur Verfassung des Werkes gibt. Vgl. Marco Antonio A l t i e r i, Li Nuptiali, hg. von E. N a r d u c c i , Roma 1995 (RR inedita 9, anastatica), S. 45*–52*. 28 Vgl. M. M igl i o, L’immagine dell’onore antico. Individualità e tradizione della Roma municipale, in: Studi romani 31 (1983), S. 252–264. 29 Dieses Bild bietet die Piazza Navona vor dem Sacco von 1527 nach Francisco D e l i c a d o, Ritratto della Lozana Andalusa, hg. von T. C i r i l l o S i r r i, Roma 1998, S. 48.
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für die Kleidermode der wohlhabendsten römischen Bürger.³⁰ Die Frauen waren nicht mehr bescheiden und wenig auffallend gekleidet, sondern – und das sind die Worte von Altieri – „for de casa, con suoni, balli et revoltate in nelli odori, per modo insuperbirse, come se ognuna de esse confidasse in breve tempo deventarsece regina“. Und die Jugend „principiando de tenera età presentarse, non sol con fier barrette et pantofle, poi con scarpe vellutate …, ma de habito, de presentia et tedioso passigiare, con molti et diversi servitori“.³¹ Der junge Luther konnte nicht umhin, die luxuriösen Gebäude zu bemerken, die in jenen Jahren des Baufiebers³² errichtet, vergrößert und ausgeschmückt wurden, und seinen Blick auf die Antiquitätensammlungen³³ zu richten, die den Höfen der führenden Familien zu sehen waren, und die von Francesco Albertini in „De mirabilibus novae et veteris urbis Romae“ (gedruckt im Jahr 1510) beschrieben werden; und ebenso wundern musste er sich über den Reichtum der Kurialenresidenzen und der Paläste der Kardinäle,³⁴ über den Luxuswettbewerb zwischen Römern und Fremden sowohl im Wohnungsbau als auch in der Kleidung und in anderen Formen der ZurSchau-Stellung der eigenen Größe und schließlich über das Straßennetz, das nach den Grundsätzen der Renaissance erneuert worden war, was sich vor allem in den neuen, auf die Papstpaläste ausgerichteten Straßen zeigte.³⁵
30 Interessante Beobachtungen und Materialien finden sich in M. L. Lo m b a r d o, Abbigliamento e moda a Roma nel secolo XV. Fonti documentarie, in: La famiglia e la vita quotidiana in Europa dal ʼ400 al ʼ600. Fonti e problemi. Atti del convegno internazionale, Milano, 1–4 dicembre 1983, Roma 1986 (Pubblicazioni degli archivi di Stato. Saggi 4), S. 321–341; T. E r t l, Stoffspektakel. Zur Funktion von Kleidern und Textilien am spätmittelalterlichen Papsthof, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 87 (2007), S. 139–185. 31 A lt i e r i, Li Nuptiali, hg. von N a rdu cc i (wie Anm. 27), S. 17. Das von Altieri gezeichnete negative Bild der zeitgenössischen Gesellschaft scheint – doch der Text der Narducci-Ausgabe geht auf viele Probleme nicht ein – einer positiven Sicht von Rom entgegenzustehen, die im Werk von einem anderen Gesprächspartner, Pierleone, vorgeschlagen wird: „sì magnificata“, dass sie sich dem alten Glanz nähert „col titolo regal qual si teneva“ (ebd., S. 16). Dieses Bild lässt sich gewinnbringend mit dem aus dem anonymen Brief von 1513 vergleichen, der an späterer Stelle zitiert wird. 32 Vgl. A. B r u s c h i, L’architettura a Roma negli ultimi anni del pontificato di Alessandro VI Borgia (1492–1503) e l’edilizia del primo Cinquecento, in: d e r s . (Hg.), Storia dell’architettura italiana. Il primo Cinquecento, Milano 2002, S. 34–75 und die dort zitierten Werke. 33 Vgl. A. C ava l l a ro (Hg.), Collezioni di antichità a Roma tra ʼ400e ʼ500, Roma 2007 (Studi cultura dell’antico 6). 34 Vgl. beispielsweise D. S. C h a m b e r s, A Renaissance Cardinal and his Wordly Goods. The Will and Inventory of Francesco Gonzaga (1444–1483), London 1992 (Warburg Institute Surveys and Texts 20). 35 M. Ta f u r i, ‚Roma instaurata‘. Strategie urbane e politiche pontificie nella Roma del primo ʼ500, in: C. L. Fro m m e l / S. R ay / M. Ta f u r i (Hg.), Raffaello architetto, Mailand 1984, S. 59–106, und die Nachempfindung der urbanistischen Maßnahmen von Sixtus IV., Alexander VI. und Julius II. auf S. 69. In den Innovationen des ausgehenden 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts hat Maurizio Gargano, jenseits der Besonderheit jeder einzelnen von ihnen, eine Kontinuität in der Planung bei den verschiedenen Päpsten erkannt. M. G a rga n o, Alessandro VI e l’antico. Architettura e opere pubbli-
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Diese höfische Dimension, in der sich nunmehr auch die reichsten und tatkräftigsten römischen gentilhomini bewegten (ein Phänomen, das zu immer deutlicheren Unterschieden innerhalb jener Gruppe von Familien führte, die in den „Nuptiali“ als alle auf der gleichen Ebene stehend betrachtet werden, sowohl was das Ansehen als auch was die Rechte, die Traditionen und die Sitten anbelangt), scheint von Altieri scharf verurteilt zu werden. Darüber hinaus verändere die durch das Papsttum begünstigte Niederlassung wohlhabender Familien von Fremden und Kurialen – so ist in den „Nuptiali“ weiter zu lesen – zu Lasten der Römer die Spielregeln des Wettbewerbs. Die trotz der Ausgabendekrete immer reichere Aussteuer und der Luxus der Kleider und der Bauwerke wurden zu Maßstäben, denen anzupassen sich die Römer schwer täten: „’l sumptuoso et excessivo fabricare et lo ornato universal de’ citadini acceder solo allo honore et gloria de’ prencipi et de qualunca altro ce comparga soprastante; ma noi altri mal fatati temer devemo causarsene la ruina de quelle povere famiglie, qual mal cognoscono el gran periculo della lor conditione.“³⁶ Doch die Klage Altieris wird durch eine Reihe von Umständen seiner Biographie widerlegt, aus denen klar seine Vorliebe für den so scharf kritisierten Luxus hervorgeht. Mehrfach hat er persönlich verschiedene Päpste unterstützt und ist für sie tätig geworden.³⁷ Deutlich treten auch seine höfischen Ambitionen zutage und seine Versuche, andere Familien an Rang zu übertreffen. Andere Widersprüche lassen sich in den „Nuptiali“ feststellen. Während Altieri einerseits für Maßhalten plädiert, preist er andererseits den Luxus, den die Römer in ihren Familien und in der Öffentlichkeit bei Hochzeiten und Begräbnissen demonstrierten. Diese von dem Autor beschriebenen Verhaltensweisen stammen keineswegs aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, der von ihm zum Mythos erhobenen Zeit, sondern eher aus den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Sie ähneln im Übrigen sehr denen der Kurialen und werden bis in alle Einzelheiten von Johannes Burckard in seinem „Liber notarum“ beschrieben.³⁸ Plätze, die zur Gänze mit vergänglichen Kunstwerken und Inszenierungen bestückst sind, welche sich an königlichen Modellen orientieren und häufig die Sehnsucht nach einer im antiken Rom angesiedelten adeligen Identität widerspiegeln. Die Hochzeit von Pierpaolo Crescenzi mit Eugenia Leni wurde nach den Erzählungen Altieris wie folgt begangen: „Coprendoci la piazza da costa a Sancto Stati con grandissimo ornato de ricca et copiosa tapezzaria, stupenda ar-
che tra magnificentia e liberalitas, in: M. C h i ab ò / S. M a d d a l o / M. M ig l i o / A. M. O l iv a (Hg.), Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI. Atti del convegno, Città del Vaticano-Roma, 1–4 dicembre 1999, 3 Bde., Roma 2001 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Saggi 68), hier Bd. 2, S. 549–570. 36 A lt i e r i, Li Nuptiali, hg. von N a rdu cc i (wie Anm. 27), S. 17. 37 Prestigeträchtige Aufgaben bei der Kurie hatten im Übrigen weder seinem Vater Girolamo noch seinem Großvater Lorenzo gefehlt. Vgl. M igl i o, Introduzione (wie Anm. 26), S. 2f. 38 Einige von diesen Stücken habe ich in Uso degli spazi pubblici nella Roma di Alessandro VI, in: C h i ab ò / M a d d a l o / M igl i o / O l iva, Roma (wie Anm. 35), Bd. 2, S. 521–548, kommentiert.
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gentaria, con balchi intorno de molti gradili, per commodo recepto de qualunca gentilhomo li piacessi intervenirve, con suoni, canti et profusa hilarità; et con tanta copia et tal diversità de condimenti, quanto se acconvenissi per receptarce un glorioso et assai potente Re.“³⁹ Auch von solcherart betriebenem Aufwand könnte Luther das ein oder andere wahrgenommen haben. Wahrscheinlich war er nicht in der Lage zu unterscheiden, welchen Beitrag die Römer und welchen die Kurialen zu diesen Inszenierungen leisteten. Für ihn war dies alles im Wesentlichen Rom, jenes Rom, das er später als Symbol des Bösen und der Korruption darstellen sollte. In den Biographien zahlreicher römischer gentilhomini trifft man darüber hinaus gerade auf das, was Maria Antonietta Visceglia als „il carattere largamente aperto della nobiltà romana“ bezeichnet hat, der „non pochi spazi di integrazione ai nuovi arrivati“⁴⁰ lässt (und was Altieri scharf verurteilt, weil dies die Traditionen verkommen lasse und die römischen Familien zu Untertanen mache).⁴¹ Eine Öffnung, die im Übrigen ein Pendant zu jenem gleichfalls typisch römischen Prozess der sozialen Mobilität ist, der sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vollzogen hatte⁴² und der in den „Nuptiali“ ebenso wie die Erinnerungen an das 14. Jahrhundert verdrängt wird.⁴³ Die beachtliche Öffnung der Römer den Fremden gegenüber war ausschließlich durch die Vorteile bedingt, die sich daraus ziehen ließen. Was die Familienstra-
39 A lt i e r i, Li Nuptiali, hg. von N a rdu cc i (wie Anm. 27), S. 6. Die Hochzeit wurde im Jahr 1472 gefeiert. Vgl. A. M o d igl i a n i, L’aristocrazia municipale romana nel XV secolo. Identità politica e autorappresentazione, in: D. G a l l avo t t i C ava l l e ro (Hg.), Vecchia e nuova aristocrazia a Roma e nel Lazio in età moderna. Strategie economiche e del consenso, Roma 2006, S. 10–31, doch die um einige Jahrzehnte jüngere Erzählung von Altieri zeugt von den ideologischen und interpretativen Schemata, die für die Entstehungszeit des Werkes typisch sind. 40 M. A. Vi s ce gl i a, Introduzione. La nobiltà romana. Dibattito storiografico e ricerche in corso, in: Vi s ce gl i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. XIII–XLI, hier S. XIII. 41 Vgl. A lt i e r i, Li Nuptiali, hg. von N a rdu cc i (wie Anm. 27), S. 28. 42 Zu diesem Phänomen im Rom des 15. Jahrhunderts, wo „non si giunse ad una chiusura oligarchica“, und zu verschiedenen Beispielen von römischen Familien vgl. A. E s c h, Nobiltà, comune e papato nella prima metà del Quattrocento. Le conseguenze della fine del libero comune nel 1398, in: Vi s ce gl i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 495–513, hier S. 507–510. Ein ständiger Wechsel in der Zusammensetzung der städtischen Elite ist langfristig auch in den Listen der Magistrate festzustellen, die in C. d e D o m i n i c i s, Membri del Senato della Roma pontificia. Senatori, Conservatori, Caporioni e loro Priori e Lista d’oro delle famiglie dirigenti (secc. X–XIX), Roma 2009 (URL: http://www .accademiamoroniana.it/indici/Senato%20romano.pdf; 14. 9. 2017), veröffentlicht wurden. 43 Vgl. hierzu P. P ava n, ‚Inclitae urbis Romae iura, iurisdictiones et honores‘. Un caso di damnatio memoriae?, in: M. C h i ab ò/G. D’A l e s s a n d ro/P. P i a c e n t i n i /C. R a n i e r i (Hg.), Alle origini della nuova Roma. Martino V (1417–1431). Atti del Convegno, Roma, 2–5 marzo 1992, Roma 1992 (Nuovi studi storici 20), S. 301–309; M. M igl i o, La ‚Cronica‘ dell’Anonimo romano, in: RR Roma nel Rinascimento 1992, S. 30–37, hier S. 34; A. M o d igl i a n i, I protocolli notarili per la storia di Roma del secondo Trecento, in: RR Roma nel Rinascimento 1995, S. 151–158, hier S. 156; M o d ig l i a n i, L’aristocrazia (wie Anm. 39).
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tegien anbelangt,⁴⁴ so fanden es die Römer häufig vorteilhafter, ihre eigenen Töchter mit reichen fremden Händlern zu verheiraten, die sich auch mit einer weniger reichen Aussteuer der Römerinnen zufrieden gaben, wenn sie durch die eingegangenen Bindungen ihre Integration in die städtische Gesellschaft beschleunigen konnten.⁴⁵ Denn auch die mercatores Romanam curiam sequentes mussten, wenn sie in Rom festen Fuß fassen wollten, ihre Rechnung mit der Realität sowohl der Kurie als auch der Stadt machen. Am Rande hierzu sei bemerkt, dass die Merkmale, die als typisch für die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche römische Gesellschaft erscheinen – die Öffnung gegenüber den Fremden, die soziale Mobilität und damit einhergehend die Verdrängung der Erinnerungen an andere Verhältnisse – die unmittelbare Folge der Besonderheit der päpstlichen Herrschaft waren. Der Wechsel von Päpsten unterschiedlicher Provenienz und je anderer politischer Orientierung machte langfristig die Bildung einer konstanten Regierungselite unmöglich. Was einen anderen heiklen Punkt in den Beziehungen zwischen Römern, Fremden und dem Papst anbelangt, nämlich das Recht der Römer, die kommunalen Ämter zu besetzen, so hat die Forschung deutlich herausgearbeitet, wie mit der Unterstützung verschiedener Päpste in der zweiten Hälfte des 15. und dem Beginn des 16. Jahrhunderts Fremde und Kuriale immer mehr in der Lage waren, die kommunale Verwaltung unter ihre Kontrolle zu bringen.⁴⁶ Dieser Tendenz wirkte in gewisser Hinsicht die Bulle Leos X. vom 19. März 1513 entgegen, die dem römischen Volk wichtige Privilegien zusicherte und ihm das Recht auf eine gewisse Zahl von kommunalen
44 A. E s p o s i to , Strategie matrimoniali e livelli di ricchezza, in: C h i a b ò u. a. (Hg.), Origini (wie Anm. 43), S. 571–587; d i e s., Matrimoni ‚in regola‘ nella Roma del tardo Quattrocento. Tra leggi suntuarie e pratica dotale, in: Archivi e cultura 25–26 (1992–1993), S. 131–148; d i e s ., ‚Li nobili huomini di Roma‘. Strategie familiari tra città, curia e municipio, in: G e n s i n i (Hg.), Roma Capitale (wie Anm. 15), S. 373–388; d i e s., La normativa suntuaria romana tra Quattrocento e Cinquecento, in: A. E s p o s i t o / L. P a l e r m o (Hg.), Economia e società a Roma tra Medioevo e Rinascimento. Studi dedicati ad Arnold Esch, Roma 2005, S. 147–179; d i e s., Di fronte al lusso. La corte pontificia e il popolo romano, in: T. E r t l (Hg.), Pompa sacra. Lusso e cultura materiale alla corte papale nel basso Medioevo (1420–1527). Atti della giornata di studi, Roma, 15 febbraio 2007, Roma 2010 (Nuovi Studi Storici 86), S. 131–144. Per l’epoca successiva vgl. I. Fo s i / M. A. Vi s ce gl i a, Marriage and Politics at the Papal Court in the Sixteenth and Seventeenth Century, in: T. D e a n / K. Lo we (Hg.), Marriage in Italy 1350–1650, Cambridge 1998, S. 197–224. 45 Vgl. beispielsweise, was diesen und andere Aspekte der Verwurzelung in Rom anbelangt, den in B. B o re l l o, Strategie di insediamento in città. I Pamphili a Roma nel primo Cinquecento, in: Vi s c e gl i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 31–61, aufgezeigten Weg. 46 Dazu und zum „svuotamento delle funzioni reali delle magistrature municipali con la creazione di organismi si stato con le medesime attribuzioni“, vor allem durch Sixtus IV., vgl. M. Fr a n c e s c h i n i, Le magistrature capitoline tra Quattro e Cinquecento. Il tema della ‚romanitas‘ nell’ideologia e nella committenza municipale, in: Bollettino dei Musei comunali di Roma 3 (1989), S. 65–73, hier S. 71.
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Ämtern zurückgab.⁴⁷ Dabei wurden den Römern aber wenige effektive Entscheidungsbefugnisse zugestanden, sondern es handelte sich eher um wirtschaftliche Vorteile, Auftragsvergaben, Vergütungen und Ehren, beziehungsweise um das, was Andreas Rehberg als „un rinnovato slancio all’autocoscienza del consiglio comunale“⁴⁸ bezeichnet hat. Das Papsttum kontrollierte streng die kapitolinische Regierung und die Wahl der höchsten Magistrate, wie der Konservatoren,⁴⁹ und außerdem wurden die Versprechen der Päpste, den Römern ihre Vorrechte zurückzugeben, schon seit langer Zeit umgangen „concedendo semplicemente la cittadinanza romana ai protetti forestieri dei papi o cardinali“.⁵⁰ Zur leoninischen Bulle von 1513, die am Tag der Krönung verkündet wurde, trugen entscheidend auch die Ereignisse der letzten zwei Jahre der Regierung Julius’ II. bei, insbesondere die pax Romana von 1511, durch die angesichts der Nachricht von dem bevorstehenden Tod des Papstes (zu dem es dann nicht kam) nicht nur der Zusammenhalt unter den wichtigsten, durch die Politik von Della Rovere bereits geschwächten Parteien der baronalen Familien verstärkt wurde, sondern an der sich auch die gleichfalls mit dem päpstlichen Absolutismus unzufriedenen römischen Bürger beteiligten sowie einige herausragende Vertreter des städtischen Adels.⁵¹ Die stadtrömische Koalition hatte damit gerechnet, den Kardinälen im Konklave Zugeständnisse abzuringen. Nicht nur die Genesung des Papstes nahm dieser Koalition den Wind aus den Segeln, sondern auch eine geschickte päpstliche Politik, die auf eine Spaltung zwischen den baronalen Familien und der stadtrömischen Bevölkerung zielte. Tatsächlich vertrieb der Papst anschließend die baronalen Familien aus der Stadt und machte der stadtrömischen Bevölkerung wirtschaftliche Zugeständnisse sowie solche im Bereich der Gerichtsbarkeit.⁵²
47 A. C a m e r a n o, Le trasformazioni dell’élite capitolina fra XV e XVI secolo, in: Vi s c e g l i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 1–29, hier S. 5f. 48 A. R e h b e rg, Introduzione, in: d e r s. (Hg.), Il ‚Liber Decretorum‘ dello scribasenato Pietro Rutili. Regesti della più antica raccolta di verbali dei consigli comunali di Roma (1515–1526), Rom 2010 (Collana di storia e arte 5), S. 25. 49 A. R e h b e rg, Scambi e contrasti fra gli apparati amministrativi della Curia Romana e del comune di Roma. Alcune osservazioni intorno ai decreti comunali dal 1513 al 1526, in: A. Ja m m e / O. P o n c e t (Hg.), Offices et Papauté (XIV e–XVII e siècle). Charges, hommes, destins, Rome 2005, S. 501–564; d e r s ., Introduzione (wie Anm. 48), S. 49. 50 E s c h, Nobiltà (wie Anm. 42), S. 511. Dazu und zur anschließenden Internationalisierung der römischen Aristokratie und zum Verlust jener Identität, die unter Verweis auf „la discendenza dalla classe senatoria dell’antichità“ konstruiert worden war, vgl. Fo s i, Nobiltà a Roma (wie Anm. 7), S. 63. 51 C. G e n n a ro, La ‚pax Romana‘ del 1511, in: Archivio della Società romana di storia patria 90 (1967), S. 17–47; A. S e r i o, Pompeo Colonna tra papato e ‚grandi monarchie‘, la pax romana del 1511 e i comportamenti politici dei baroni romani, in: Vi s ce g l i a, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 63–87; R e h b e rg, Introduzione (wie Anm. 48); D e Vi n ce n t i i s, La sopravvivenza (wie Anm. 23), S. 604–607. 52 Ebd., S. 607. Die von den Päpsten unternommenen Versuche, die Macht der Barone zu beschränken, sind einerseits auf nepotistische Politiken zurückzuführen, andererseits auf das Erfordernis, in
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Wenige Monate später, während des Karnevals von 1513 (dem letzten, der von Julius II. gefeiert wurde), zogen die Jugendlichen aus Familien der kommunalen Aristokratie durch die Straßen von Rom. Es schien so, als könne der Glanz des Papsttums ihnen Vorzüge und Zufriedenheit verschaffen. Der Brief eines anonymen Schreibers vermittelt uns einen Eindruck von der Zeremonie: „Le matre de ditti giovani da le fenestre mirando la ligiadria de’ loro figlioli et li patri la loro generosa progenie pareva che gridasseno de alegreza: ‚Perché non fumo noi più per tempo?‘, sospirando credo alla grandeza de’ loro imperii passati. Li giovani sì lieti in vista si mostravano, che parea bene de la hereditaria soa virtù si racordassino, quasi col volto e co le maniere promettendo a tutto il populo relevare la già tant’anni caduta soa gloria.“⁵³
Plenitudo temporum und völliger Einklang des päpstlichen und des städtischen Bewusstseins legt diese anonyme Stimme aus Rom nahe. Eltern und Kinder der römischen Stadtobrigkeit schienen endlich die Vorteile akzeptiert und verstanden zu haben, Untertanen der Päpste, der Erben der Kaiser des Altertums, zu sein. Auf dieser Grundlage beabsichtigen sie, das römische Volk zu der Größe zurückzuführen, das es zu jener Zeit hatte, zu einer Zeit, die man in der Gegenwart wiederaufleben lassen konnte und angesichts derer man jenes Gefühl der Unangemessenheit vergaß, das den Bezug auf das Altertum zu früheren Zeiten meist begleitet hatte. Abgesehen von der Gunst, die Julius II. der Stadtobrigkeit im letzten Jahr seines Pontifikats erwiesen hatte, repräsentiert dieses Fest eine allgemeinere Tendenz zur Aussöhnung der römischen gentilhomini mit dem Papsttum. Es ist kein Zufall, dass es zeitlich mit einer krisenhaften Situation der baronalen Familien zusammenfällt, die ihre Macht auf die städtischen Klientelstrukturen gestützt und die Regierungshandlung der Päpste beschränkt hatten. Darüber hinaus kann das Fest der römischen Jugend als Zeichen für das Ende einer Zeit betrachtet werden, während der der Rückgriff auf den Mythos des Imperiums seitens der römischen Kommune in keiner Weise vereinbar war mit dem Mythos des Reiches, um das es den Päpsten ging. Nun scheinen die beiden Traditionen in einer gemeinsamen Ideologie aufzugehen: der kaiserlichen Ideologie,
Rom durch den Konsens von Familien unterschiedlichen Ranges einen regelrechten Hof zu schaffen, und scheinen mir zumindest ab dem Pontifikat von Alexander VI. sehr offensichtlich zu sein. Es erscheint daher nicht angebracht, der „spinta moralizzatrice del papato della Controriforma“ gegen „un comportamento nobiliare tracotante e violento“ einen Primat zuzuschreiben. Fo s i, Nobiltà a Roma (wie Anm. 7), S. 74. 53 Anonymer Brief (geschrieben an Battista Stabellini seitens eines Freundes aus Rom und von diesem in einen Brief aus Ferrara an die Markgräfin von Mantua vom 20. Februar 1513 übertragen: Archivio di Stato di Mantova, Archivio Gonzaga, b. 1245, cc. 4r–7v) ediert in: A. Luzio, Federico Gonzaga ostaggio alla corte di Giulio II, in: Archivio della Società Romana di storia patria 9 (1886), S. 509–582, und später in: F. C r u c i a n i, Teatro nel Rinascimento. Roma 1450–1550, Roma 1983 (Biblioteca del Cinquecento 22), S. 369–372, hier S. 371f. Die hier mit einigen Varianten wiedergegebene Transkription stammt von dem Original von Stabellini.
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nach der Julius II. der absolute Herrscher war, von dem Luther schrieb, er wolle Cäsar sein und „maxime metuebatur a cardinalibus et Romanis“,⁵⁴ und die Römer Untertanen, die endlich zufrieden waren ob der Ehre des erneuerten Kaiserreichs, in dessen Glanz sie standen. Doch der Weg zur Vollendung dieses Prozesses war noch lang. Nicht einmal eine Woche später erschütterte der Tod Julius’ II. (vom 20. auf den 21. Februar 1513) das idyllische Szenarium, das der Brief vom 20. Februar vermittelt hatte. Die Parteien der Barone schließen sich wieder zusammen und verbünden sich mit den römischen gentilhomini, und am 25. Februar wird S. Paolo fuori le mura gestürmt in dem Versuch, die Kontrolle über die Kapitel der wichtigsten Basiliken zurückzuerlangen, deren Pfründen traditionell römischen Familien vorbehalten waren. Auch dieses Ereignis, zu dem es während der Vakanz des Heiligen Stuhls kam, erklärt die Dringlichkeit der Bulle seines Nachfolgers Leo X., von der oben die Rede war. So erzählt der Protonotar Marino Caracciolo in einem Brief vom 26. Februar 1513 an den Herzog von Mailand: „In lo paese et in la cità è grandissima quiete, grandissima unione tra signori Colonnesi et Ursini et vanno insieme per la cità; se è facta dimenutione de li datii del sale et ale monete pigliato ordine. Heri li conservatori de Roma cum multi signori de questi Colonnesi et Ursini et gentilhomini romani et bon numero del populo armata manu andorono a San Paolo quale era custodito da li monaci et fanti assai et artigliaria. Li fo dato assalto. Tandem se arrendetero. Hanno svalisato quel monasterio et dicto che non vogliono che quella abbatia la habiano li monaci, ma che se faccia ecclesia collegiata como era prima cum tanti canonici come San Petro, San Iohanni Laterano, attento che li beni hano gli li ha dato Romani et così minacciano de fare a multi monasteri de Roma.“⁵⁵
Doch die Zeit der tiefen Kluft zwischen den Päpsten und den Römern war vorbei, und die Zeit der republikanischen Verschwörungen schien in weite Ferne gerückt. Es wäre allerdings nicht korrekt, wenn man entsprechende Verhaltensweisen und Mentalitäten nur der Endphase der in Betracht gezogenen Zeit zuschreiben wollte, das heißt in etwa der Zeit Juliusʼ II. und Leos X. Seit langer Zeit standen einzelne Römer beziehungsweise einzelne Familien treu zur Kurie (selbst die Verwandten von Stefano Porcari wurden von Pietro Godi unmittelbar nach der Verschwörung als „ecclesiastici … et cives optimi“ bezeichnet).⁵⁶ Einige fungierten bei verschiedenen Gelegenheiten als Vermittler zwischen der Kurie und der Stadt, wurden mit wichtigen Ämtern
54 WA.TR 2, Nr. 2733b; auch in Lu te ro, Discorsi a tavola (wie Anm. 5), S. 177. 55 Archivio di Stato di Milano (=ASMI), Sforzesco, b. 131. 56 Petri d e G o d i s De coniuratione Porcaria dialogus, in: H o r a t i i Romani Porcaria, hg. von M. Le h n e rdt, Lipsiae 1907, S. 57–75, hier S. 68.
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und kurialen Aufgaben betraut (ich denke hier zum Beispiel an berühmte Juristen und Konsistorialanwälte wie Andrea Santacroce oder Lello Della Valle).⁵⁷ Seit einigen Jahrzehnten wurden auch Römer Angehörige des päpstlichen Hofes: aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen heraus, aber auch um die dem Ansehen schädliche Ausschließung von höfischen Diensten zu vermeiden, was umso schmerzlicher empfunden wurde, je glanzvoller sich das Leben am Hof darstellte. Am Anfang näherten sie sich dem Hof wie Parvenüs, voller Angst, nicht den Erwartungen jener Kreise zu entsprechen, in die sie aufgenommen wurden. Manchmal war ihr Verhalten geradezu entwürdigend, so zum Beispiel als die Faszination, die vom Hof Alexanders VI. ausging, die Römer davon überzeugte, ihre Frauen zu dem Fest mitzunehmen, das der Borgia-Papst am 12. Juni 1493 im Papstpalast anlässlich der Hochzeit seiner Tochter Lucrezia mit Giovanni Sforza veranstaltete. Eingeladen wurden einhundertfünfzig nobilissimae Romanae mulieres, die Funktionsträger der Kommune, der Senator, die Ehemänner der Frauen und die Botschafter. Hineingelassen wurden nur die Frauen. Dann wurde die Tür geschlossen – erzählt Stefano Infessura – bis zum Ende der subarratio und der desponsatio. Alle anderen mussten draußen warten. Höchstwahrscheinlich wollte ihnen Alexander VI. den Zutritt deshalb verwehren, weil er befürchtete, sie würden die reichlich ungewöhnliche Art nicht schätzen, auf die gefeiert wurde: „dum praefati viri expectarent in quadam aula ut vocarentur …“, holte der Papst nämlich einhundertfünfzig mit Hochzeitsbonbons gefüllte Silberschalen hervor, die fröhlich über den „in sinu multarum mulierum, potissime pulchrarum“ ausgeschüttet wurden.⁵⁸ Dabei hatten die Römer weniger als ein Jahr zuvor bei der Krönung und der Thronbesteigung Alexanders VI. dem Papst außergewöhnliche Ehrbezeigungen entgegenbracht. Viele Triumphbögen waren damals errichtet worden „per Romanum populum potissime“.⁵⁹ Infessura spricht von keinem Protest der Römer gegen das Hochzeitsbonbonfest. Der dominus war hier kein Baron, sondern der Papst. Doch an ihrer patientia – um einen Ausdruck von Petrarca in der bereits zitierten „Hortatoria“ zu verwenden – hatte sich nichts geändert. Die Mitglieder der obersten Schicht der städtischen Aristokratie – darunter auch Altieri –, das heißt diejenigen, die anlässlich der pax Romana und in anderen Situationen vortraten und als Vertreter des römischen Volkes handelten, verkehrten nunmehr ziemlich intensiv mit den Vertretern der baronalen Familien, den Kurialen
57 Die Konsistorialanwälte Lello Della Valle und Coronato de Planca wurden von Paul II. damit beauftragt, dem Kaiser während seines Rombesuchs zu Weihnachten 1468 ihre Ehre zu erweisen. ASMI, Sforzesco, b. 65: Brief des Protonotars Pedro Guillermo de Rocha an Galeazzo Maria Sforza vom 9. Dezember 1468. 58 Romtagebuch von S te f a n o I n f e s s u r a, Diario, hg. von To m m a s i n i (wie Anm. 17), S. 286. 59 Ebd., S. 282. Die Zeremonie fand am 26. August 1492 statt. Zur Thronbesteigung Alexanders VI. vgl. auch F. C a n ce l l i e r i, Storia de’ solenni possessi de’ sommi pontefici detti anticamente processi o processioni …, Rom 1802, S. 51–53.
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und der Familie des Papstes.⁶⁰ Wir treffen sie oft zusammen an, zum Beispiel in den Urkunden des römischen Notars Camillo Benimbene,⁶¹ der sie gelegentlich nicht mehr als nobiles viri, sondern als magnifici viri bezeichnete, eine Anrede, die einst den Baronen vorbehalten war. Zusammen mit dem Konsistorialanwalt Coronato de Planca war Benimbene als Notar bei der desponsatio von Lucrezia Borgia im Jahr 1493 vertreten, während die anderen draußen warteten. Es war nicht leicht – vor allem für einen Fremden wie Luther – diese Römer von den übrigen Mitgliedern des päpstlichen Hofes zu unterscheiden. Sie kleideten sich modisch und führten ein luxuriöses und mondänes Leben. Sie tanzten, nicht mehr die giaranzana⁶², einen Tanz, der als Symbol für die guten römischen Traditionen dienen konnte, die Marco Antonio Altieri einerseits in den „Nuptiali“ verherrlichte, aber andererseits im konkreten Leben nicht mehr praktizierte. Ich will meinen Beitrag mit einigen kurzen Bemerkungen schließen. Innerhalb der römischen Gesellschaft des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts lässt sich eine Schicht von Familien identifizieren, deren Mitglieder sich als gentilhomini, nobiles viri, romani cives bezeichnen können. Es handelt sich um eine Gruppe, zu der verschiedene Komponenten zählen (pedites und milites oder cavallerocti), um Personen, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Zuordnung und ihrer Herkunft unterscheiden und die folglich auch seit unterschiedlich langer Zeit Teil dieser Schicht sind. Lange Zeit wurde sie in der Geschichtsschreibung als „nobiltà/aristocrazia municipale“, teilweise auch als „patriziato“ bezeichnet⁶³. Dass es sich um eine Schicht handelt, belegen die Stadtbürgerschaft und der Zugang zu den kapitolinischen Ämtern (der
60 Die Kontakte zwischen Kardinälen und Kurialen einerseits und städtischen Eliten andererseits werden erst langsam intensiver. Zunächst verkehrten die Kardinäle und die Kurialen vorzugsweise mit den fremden Eliten. Vgl. dazu das herrliche Bild, das davon die Briefe Stazio Gadios an die Markgrafen von Mantua während des Pontifikats Julius II. bieten. ASMI, Archivio Gonzaga, bb. 858–860. Zu Stazio Gadio, dem Hauslehrer von Federico Gonzaga, der im Alter von zehn Jahren als Geisel an den Hof von Julius II. gelangte, vgl. R. Ta m a l i o, Gadio, Stazio, in: DBI 51 (1998), S. 180–182, und die darin zitierten Werke. Vgl. auch den Aufsatz von A. Po n te co r v i, ‚Che con piacer spassò assai bene il tempo‘. Ludus e diletto nelle corti romane attraverso i dispacci ai marchesi Gonzaga, in: P r o c a c c i o l i, Giulio II (wie Anm. 6), S. 149–161. 61 Archivio di Stato di Roma, Collegio dei Notai Capitolini, 175 und 176. In einem Vertrag, abgeschlossen im Papageienzimmer des Vatikans zwischen Lucrezia Borgia und Giovanni Sforza am 8. April 1498 nach der Auflösung ihrer Ehe, erschien der romanus civis Pietro Mattuzzi als Zeuge neben zwei Bischöfen und dem gleichfalls aus Rom stammenden Kubikular des Papstes, während der romanus civis Lello Maddaleni Capodiferro als Bevollmächtigter von Giovanni Sforza auftrat (ebd., 176, cc. 876r–877r). 62 Vgl. A lt i e r i, Li Nuptiali, hg. von N a rdu cc i (wie Anm. 27), S. 56. 63 Was den Gebrauch dieses Ausdrucks anbelangt, so hat Maria Antonietta Visceglia herausgestellt, dass es gerade der offene Charakter des römischen Adels ist, der dazu führt, dass er sich nicht als „patriziato“ bezeichnen lässt. Vi s ce gl i a, Introduzione (wie Anm. 40), S. XVIII.
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den Baronen versperrt war).⁶⁴ Dass sie auch von ihren Zeitgenossen als homogene Gruppe wahrgenommen wurden, zeigen die langen Listen von Familien, die Altieri zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einem Zeitpunkt in seine „Nuptiali“ aufnimmt, als nunmehr offensichtlich ist, dass sich – innerhalb dieser Gruppe – einige Familien durch Reichtum, politische Betätigung, Bildung oder durch die Beziehungen zu einflussreichen in Rom ansässigen Kurialenfamilien von den anderen unterscheiden.⁶⁵ Die Zeit von Julius II. und Leo X. ist vielleicht die, in der sich die cives romani am meisten ihrer Adelswürde bewusst sind, eine Würde, die sich teilweise an eigenen Traditionen, teilweise an der päpstlichen Herrschaft orientierte. Die „Nuptiali“ sind das letzte Gruppenfoto der Familien der römischen kommunalen Aristokratie, aufgenommen bevor sie von dem – sich bereits abzeichnenden – Prozess erfasst wurden, der die meisten von ihnen zu Außenseitern werden ließ, während wenige dazu bestimmt waren, in den engeren Kreis des mächtigen römischen Adels der Neuzeit aufgenommen zu werden.⁶⁶ Dieser Adel entwickelte enge Beziehungen zu den europäischen Monarchien und den entsprechenden Parteiungen an der Kurie, und ihm entstammten auch verschiedene Päpste. Von dieser Entwicklung sind auch die sich in der Person Altieris spiegelnden Widersprüche geprägt. Er gehört zu jenen aufstrebenden Familien der römischen kommunalen Aristokratie, die eine Balance zu halten versuchten zwischen der nostalgischen Sehnsucht nach dem Alten⁶⁷ und dem sehnsüchtigen Wunsch nach Neuem.
64 Auf die römische Besonderheit eines zweigeteilten Adels wurde zum ersten Mal hingewiesen in S. C a ro cc i, Una nobiltà bipartita. Rappresentazioni sociali e lignaggi preminenti a Roma nel Duecento e nella prima metà del Trecento, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il Medio Evo 95 (1989), S. 71–122. 65 Hinsichtlich dieses letzten Entwicklungsprozesses, den die Familien der römischen Stadtobrigkeit vollzogen, kann meines Erachtens auch für den Zeitraum zwischen dem 15. Jahrhundert und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts das als gültig erachtet werden, was Irene Fosi für das spätere 16. Jahrhundert feststellt, als „la formazione delle grandi fortune economiche trovava … sempre la sua origine nell’inserimento curiale“. Fo s i, Nobiltà a Roma (wie Anm. 7), S. 72. 66 Zu diesen Themen vgl. R. Ago, Tra tardo Medioevo e Rinascimento. Continuità e cesure nei ceti nobiliari romani, in: C a ro cc i, Nobiltà romana (wie Anm. 6), S. 615–624, wo „la contrapposizione tra patriziato urbano e nobiltà di Curia“ abgestritten und eine starke Analogie zwischen den familiären Strategien der Erben der mittelalterlichen Barone und denen anderer römischer Adelsfamilien festgestellt wird. 67 M igl i o, Marco Antonio Altieri (wie Anm. 26).
| III Papst und Kurie
Christine Shaw
Julius II and Maximilian I The relationship between Julius II and Maximilian I could not be characterized as one of mutual respect. Maximilian accused the pope of being dissolute; Julius regarded Maximilian as a fool, if not actually insane. Theirs was not a classic confrontation between a medieval pope and emperor, each vying for superiority over the other as the supreme authority in Europe, even though they were at times concerned with questions such as the pope’s right to crown the emperor, and the emperor’s claim to a role in summoning a general council of the Church. Relations between them were largely shaped by issues arising out of their participation in the Italian Wars. As cardinal and as pope, Julius was attentive to ways in which the conflicts in Italy begun by Charles VIII’s expedition to Naples in 1494 could provide opportunities to advance his own aims, and in the later years of his pontificate he made the papacy a major actor in the wars. Maximilian became intent on reaffirming imperial authority in Italy. He had much less success in this than his grandson Charles V would do. His expedition in 1496 to Lombardy and Tuscany, where he intervened indecisively in the war between Florence and Pisa, set the pattern for those he would lead to Italy during Julius’s pontificate. Provided with fewer troops than he needed from Imperial lands, and looking to his allies for subsidies they did not want to give, he suddenly abandoned the campaign he had barely begun, and hurried back to Germany with little explanation. Such behaviour could not inspire respect, let alone impose his authority in Italy. Julius’s low estimation of Maximilian’s political and military abilities was one shared by other princes and politicians. In the early years of Julius’s pontificate following his election in late October 1503, the main question between them was whether or not Maximilian should come to Italy, and in particular whether he should come to Rome to be crowned emperor by the pope. Connected with this were the matters of how such a journey should be paid for, of whether or not Maximilian should be escorted by an army, and of his relations with the king of France and the republic of Venice. If Maximilian were to come with an army, as he would wish to do, he would need to have the backing of the empire to provide troops and money. He would also need the agreement of either Venice or King Louis XII of France, in his capacity (since 1499) as duke of Milan, to pass through their territory, or be ready to fight his way through to the Papal States. At first, Julius encouraged Maximilian to come to Italy, but not with the prospect of his heading to Rome for coronation. What Julius had in mind was that he should threaten or attack the Venetians, to make them disgorge the territory in the Romagna which they had taken over after the collapse of Borgia power in that province of the Papal States following the death of Pope Alexander VI in August 1503. So that Maximilian could have the support of the German nation to put pressure on Venice DOI 10.1515/9783110316117-010
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to restore the lands of the Church, he ordered his nuncio in Germany to intercede to reconcile Albrecht of Bavaria and the Count Palatine, and wrote to the Count Palatine Philipp, urging him to make peace with Albrecht.¹ Julius also sought to have a role in reconciling Maximilian to Louis, to free him from distractions that would hinder his journey to Italy, and was pleased when they made peace in September 1504. This did not, however, make either Maximilian or Louis any more inclined to fight the pope’s war for him. From Maximilian’s perspective, an expedition to Italy might be undertaken to fight the Venetians, but it would be on his own account, to claim territories for Austria from them. He did hanker after going to Rome to be crowned, which was connected in his imagination to his dream of leading a crusade against the Turks.² Consequently, he hoped that Julius would agree to his taking the money gathered into ecclesiastical coffers in Germany for a crusade. According to the Venetian ambassador in Germany in March 1504, the pope agreed to grant him the use of the crusade money on three conditions: that he came to Rome soon to be crowned, that he swore to defend the rights of the Church, and that he spent the money on acting for the Church and against the infidel. Rejecting these conditions, Maximilian was reported to have said the current troubles in Germany prevented him from going quickly to Rome, and that he did not want to enter into any obligations in return for the money, but in any case he would always defend the rights of the Church in Italy and elsewhere, as a good emperor should.³ In reply to a letter from Maximilian about these funds, Julius wrote that he did not seem to understand that they were „sacred“, dedicated to a war against the Turks. If they were to be put to any other use than for the defence of Christendom and „recuperatione urbium Sanctae Romanae Ecclesiae“, it would scandalize those who had contributed to them, who might say they had been deceived by the Apostolic See; they could not be used to pay the expenses of his coming to Italy.⁴ Still hoping that Maximilian would come in strength against the Venetians, Julius told him that if he found himself short of money once he was in Italy, then he could have the crusade funds, but on the promise they would be restored to pay for an expedition against the Turks.⁵ Once he had realized that the Treaty of Blois of September 1504 between Maximilian and Louis would not be the prelude to a punitive expedition against Venice
1 Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Arm. XXXIX, v. 2, fol. 52v–53v: brief to Mariano de’ Bartolini, 26 Apr. 1504; fol. 53v–54v: brief to Philipp, Count Palatine, 26 Apr. 1504. 2 H. Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 vols., München 1971–1986, here vol. 3, p. 145. 3 Marino S a n u to, I diarii di Marino Sanuto. 1496–1533, ed. by R. Fu l i n et al., 58 vols., Venice 1879– 1903, here vol. 5, col. 1060. 4 ASV, Arm. XXXIX, v. 22, fol. 57r–58r: brief to Maximilian, 14 May 1504. 5 Cambridge University Library manuscripts (= CUL), Add. 4760, fol. 59–60: Beltrando Costabili to Ercole d’Este, 21 August 1504, Rome.
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on behalf of the papacy, the pope’s attitude to the idea of Maximilian’s journey to Italy changed. Publicly, he expressed pleasure at the peace and approval of its terms, but it was evident to those who frequented the papal court that in reality he was perplexed. Sounded out in May 1505 by the Ferrarese ambassador about a report that Maximilian and Louis had agreed they should go to Italy with 4.000 lances and 16.000 infantry, Julius was unusually reticent, a response the ambassador believed was due to his thinking it would not be to his advantage.⁶ His reaction to an announcement in March 1506 from the Imperial ambassador in Rome that Maximilian was coming to be crowned was that he would be welcomed if he came unarmed.⁷ In that case, Julius told the Venetian ambassador, Maximilian would be greatly honoured; and if he were to come armed, Julius would have nothing to fear.⁸ Others were not so sure, and there was speculation in Rome, as the prospect of Maximilian coming with an army to Italy seemed more likely a year later, that the pope would take refuge in Sicily or even Venice.⁹ If Julius heard that Maximilian was announcing plans to go to Rome to become not only emperor but pope as well, might he have had cause for concern? And did Maximilian mean it? His statement to that effect in a letter to the bishop of Trent could perhaps be dismissed as a joke, but to make a similar pronouncement in instructions to his own envoy to the Swiss suggests that Maximilian was indeed playing with this idea.¹⁰ The idea that he might seek to depose Julius was not new. Cardinal Raymond Peraud had returned in late 1504 from serving as papal legate in Germany, of the opinion that if Maximilian came to Italy (which Peraud considered highly unlikely) the first thing he would attempt would be to depose the pope.¹¹ Louis XII had argued that one of Maximilian’s aims in going to Italy would be to make the pope subject to him.¹² But it is doubtful that Julius would have believed Maximilian capable of doing this, certainly of doing this unaided. Had he believed that Louis and Maximilian would join in threatening his tenure of the papal throne – as seemed a possibility for a while some years later, when Louis was promoting the schismatic council of Pisa-Milan in 1511/12 – then he might have had more cause for anxiety. News that the Swiss had agreed to provide troops to accompany Maximilian to Italy did raise the pope’s estimate of what a German army might accomplish there, but he was thinking of the Germans possibly beating the French, perhaps driving them out of Milan, not
6 Ibid., fol. 145–6: B. Costabili to Alfonso d’Este, 23 May 1505. 7 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 3), vol. 6, cols. 310f. 8 Mantua, Archivio di Stato (= ASMantua), Archivio Gonzaga (= AGonzaga), b. 857, c. 130: Antonio Magistrello to Francesco Gonzaga, 1 August 1506, Rome. 9 CUL, Add. 4761, fol. 161f.: Beltrando Costabili to Alfonso d’Este, 25 June 1507, Rome. 10 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 3, p. 370. 11 Antonio G i u s t i n i a n, Dispacci, ed. P. Vi l l a r i, 3 vols., Florence 1876, here vol. 3, p. 378, 20 January 1505. 12 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 3, p. 340.
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of their heading for Rome to threaten him.¹³ He even spoke of turning to the emperor as the protector of Holy Church against the French and Venetians.¹⁴ Maximilian told the Reichstag held at Constance in 1507 that he was planning to go to Rome, and was granted funds for that journey.¹⁵ He asked the Swiss cantons for troops, saying that he intended to be crowned in Rome, but that he wanted to take the duchy of Milan from the French en route. Appealing to them as Germans, he told them Louis planned to become emperor.¹⁶ The Swiss decided they would supply 6.000 men to accompany him to Rome, but not to despoil anyone.¹⁷ Thinking that once Swiss troops were in Italy they would not refuse to attack Milan, Maximilian tried to convince the cantons he needed these troops because he would have to pass through Venetian territory, to which he was being denied access. They decided to refuse to supply any men to him or to Louis.¹⁸ In fact, his expedition to Italy, still declared to have Rome as its goal, turned into an attempt to use troops and money provided by the empire for his coronation journey to take from the Venetians lands in the Tyrol and Friuli that he claimed belonged to the Habsburgs. Before he entered Italy, Maximilian had himself proclaimed „Roman Emperorelect“ in a solemn ceremony in the cathedral church of Trent on 4 February 1508. This ceremony could not be a substitute for coronation by the pope, and Julius was not prepared to agree to a coronation held in Germany, or to send a legate to conduct one.¹⁹ Indeed he had sent a legate, Cardinal Bernardino Carvajal, to persuade Maximilian not to come to Italy²⁰ – the pope had now decided an expedition by Maximilian was more likely to do harm by disturbing the peace in Italy than any good to the papacy. He had also refused a request from Maximilian for a contribution of 100.000 ducats to his expenses. His talk of invoking Imperial protection of the Church was just a way of expressing his distrust of the French and Venetians.²¹ The ceremony at Trent seems to have created little resonance in Rome; the pope and cardinals were not shocked or scandalized, at least openly. Responding to Maximilian’s notification of the event, they simply repeated Julius’s line that if he came to Italy without an army, he would be as welcome as any emperor had been to the popes of the past, but
13 CUL, Add. 4761, fol. 163–165: B. Costabili to Alfonso d’Este, 30 June 1507. 14 F. S e n e c a, Venezia e Papa Giulio II, Padova 1962, p. 191: Roberto Acciaiuoli to X di Balia, 7 November 1507, Rome. 15 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 3, p. 377. 16 C. Ko h l e r, Les Suisses dans les Guerres d’Italie de 1506 à 1512, Geneva 1896 (Mémoires et documents publiés par la Société d’Histoire et d’Archéologie de Genève 2/4), pp. 58–71. 17 Ibid., p. 86. 18 Ibid., pp. 99–101. 19 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, pp. 6–12. 20 Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Chigiani MSS, L.I.18 (diary of Paride de’ Grassi), fol. 225v–226r: 16 July 1507. 21 S e n e c a, Venezia (see note 14), p. 191: Roberto Acciaiuoli to X di Balia, 7 November 1507, Rome.
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if he came to make war on Christians and disturb the peace of Italy, he had better not come at all.²² Any hopes Maximilian may have had, by proclaiming himself Emperorelect, of gaining a commitment from Julius to support his journey to Rome would be disappointed. Nor was his campaign against Venice successful; it resulted in the loss of Trieste, Gorizia and Fiume to the Venetians, and ended in early June with a three-year truce, during which Venice was to retain these lands. Relations between Julius and Maximilian entered a new phase when they became allies, as members of the League of Cambrai, in late 1508. Because he had delayed sending an envoy to Cambrai to take part in the conference there, the pope had no say in the terms of the treaty. Cardinal Georges d’Amboise, Louis XII’s chief minister, took it upon himself to include the pope in the alliance against Venice agreed by Louis, Ferdinand and Maximilian. Its purpose was for each party to it to recover all the lands they claimed which were at that time in Venetian hands. Maximilian laid claim not just to the territory lost to Venice earlier that year, but to „tout ce que lesdits Veniciens ont prins et usurpé, tant du saint-empire romain que de la maison d’Austrice“.²³ Because of his recent truce with Venice, which „sans quelque honneste occasion, il ne pourroit rompre“, it was agreed that Maximilian should make ready to send troops to help the pope, who should call on him „comme advocat et protecteur de la sainte eglise“ for aid in recovering the lands of the Church.²⁴ After considerable hesitation, Julius ratified the treaty in late March 1509, but he does not seem to have sent such a request to Maximilian. He did send him some money, variously reported as 50.000 to 70.000 ducats, in April, with authorization to take more from funds collected for the papacy in Germany to a total of 100.000 ducats.²⁵ Maximilian soon called for more, and persisted in doing so, despite the pope’s equally persistent refusals. Soon, Julius’s interest in acting with the league ended, for after the defeat of the Venetian army by the French at Agnadello on 14 May, the Venetians decided to reduce the ranks of their enemies by surrendering the contested lands in the Romagna to the pope, and the ports they held on the Apulian coast to Ferdinand of Aragon. As Louis had rapidly taken all he claimed for the duchy of Milan (and the Duke of Ferrara and Marquis of Mantua were busily recovering lands they had lost to Venice in the past), only Maximilian was not content. The Imperial troops did not start their campaign until
22 J. M. y C. de M. B a ro n d e Te r r a te ig, Politica en Italia del Rey Católico, 1507–1516. Correspondencia inedita con el embajador Vich, 2 vols., Madrid 1963, here vol. 1, p. 47: Vich to Ferdinand, 28 February 1508, Rome. 23 A. G. Le G l ay, Négociations diplomatiques entre la France et l’Autriche durant les trente premières années du XVI e siècle, 2 vols., Paris 1845, here vol. 1, p. 238. 24 Ibid., p. 239. 25 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 3), vol. 8, cols. 153, 169; ASMantua, AGonzaga, b. 858: Lodovico da Fabriano to Federico Gonzaga, 24 April 1509.
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a fortnight after Agnadello, but they had then quickly taken back Gorizia and Trieste and overrun much of Friuli. As the Venetian army was drawn back to protect Venice itself, Verona, Vicenza and Padua surrendered to Maximilian, although there were no Imperial troops near. Reckoning it would be easier to recover their subject cities from Maximilian than from Louis, the Venetians gave permission for them to acknowledge Imperial sovereignty. Only Treviso held out until, in mid-July, the Venetians recovered Padua and their fightback was under way. Maximilian infuriated Julius by blaming him for the Venetian resurgence, because he had not sent men-at-arms to support him and had heartened the Venetians by receiving their ambassadors. Julius denounced his ingratitude for the money and support given him by the papacy, and criticized him for signing his letter as imperator without adding electus, despite his not having been crowned by the pope. Reporting all this with satisfaction, the Venetian ambassadors believed the pope saw Maximilian was of small worth to him because of his arrogance, instability and „bloodsucking“ demands for money.²⁶ Everything he had done for Maximilian had been wasted, Julius complained, describing him as feckless and insolent, as never succeeding in anything he attempted. He would not give him another farthing, the pope said, and he would only send troops to support him if Louis and Ferdinand did as well.²⁷ Even after a letter of apology from Maximilian, Julius was still unwilling to send him any more troops or money.²⁸ Unable to continue his siege of Padua, Maximilian had to raise it on 1 October, and then made his way back to Trent. Vicenza was soon recovered by the Venetians, but French reinforcements and French money to pay the Imperial troops in Verona prevented them from recovering that city as well. In the next years, Maximilian continued to be reliant on French troops and subsidies to prosecute the war against Venice. Ferdinand sent some aid, Julius none. The pope denied any obligation to help Maximilian further; as far as he was concerned, the league of Cambrai’s only purpose now was to attack the infidel.²⁹ But for all his low estimate of Maximilian’s abilities or his utility as an ally – bestia was his epithet of choice when speaking of the emperor-elect – Julius did think it worthwhile to try to detach him from Louis, whom he now regarded as his enemy. He began trying to influence Maximilian through the electoral princes. One of his favourites among the cardinals, Francesco Alidosi, argued „che lo Imperadore, per molti rispetti, era necessitato mantenersi con la Santità del Papa; allegando che, come si alienassi da lui, le forze sue erano per diminuire assai, procedendo in buona parte da‘ principi
26 R. C e s s i, Dispacci degli ambasciatori Veneziani alla Corte di Roma presso Giulio II 25 giugno 1509 –9 gennaio 1510, Venice 1932 (Monumenti storici. Series I 18), pp. 60–62: 29 July 1509. 27 Ibid., pp. 65f.: 7 August 1509. 28 Ibid., pp. 84, 86f.: 23, 24 August 1509. 29 Venice, Archivio di Stato (= ASVenice), Archivio Proprio, Roma, Reg. 3 (minutario of Girolamo Donà), 21: 2? March 1510, Rome.
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ecclesiastici, quali erano obbedienti a Santa Chiesa, più che nessuna altra nazione. Concludendosi che il Re de’ Romani per sé non era potente a sostenere troppo gran pondo“.³⁰ Papal briefs ordering the electors to give Maximilian what he wanted, on pain of excommunication, were sent to Germany.³¹ Lobbying the electors to favour an agreement between the Empire and Venice, the papal nuncio reported that the three ecclesiastical electors and the duke of Saxony were well-disposed.³² At the same time, Julius was declaring privately that the electors would do well for the honour of the Empire to put Maximilian in a secure place with a keeper.³³ The pope also tried to win over Maximilian’s powerful secretary, Matthaeus Lang, Bishop of Gurk, offering him benefices and a cardinal’s hat, and there were reports Lang seemed to favour an agreement.³⁴ But Maximilian was reluctant to make terms with Venice, unless he had all the territory he claimed.³⁵ He told his daughter Margaret that he intended to keep faith with Louis, and that the pope feared Maximilian and Louis going to Rome together and deposing him for his sins and the abuses committed by him and his predecessors.³⁶ From 1510, Julius had another reason to be on better terms with Maximilian – Modena, which his troops took from the Duke of Ferrara in August of that year. Ferrara itself was a fief of the papacy and Julius was angered by the duke, Alfonso d’Este, placing more value and reliance on his links to the King of France than on those to the pope. Modena, on the other hand, fell within the territory of the Empire in Italy. Had Maximilian not been at war with Venice, and an Imperial army fighting in northern Italy at the time, Julius might well have paid little attention to Modena’s imperial status. As it was, Julius spotted an opportunity to please Maximilian by recognizing imperial authority over Modena. Even before his army took Modena, he agreed to lend Maximilian 60.000 ducats with Modena and another of d’Este’s cities, Reggio, as security; he hoped that this arrangement would sow discord between Maximilian and Louis.³⁷ Once he held it, his offer changed. He would, he said, pay a census to Maximilian for Modena, if he would join Julius against France. But he was losing patience with Maximilian’s refusal to accept his mediation with Venice, exclaiming
30 A. D e s j a rd i n s / G. C a n e s t r i n i, Négociations diplomatiques de la France avec la Toscane, 6 vols., Paris 1859–1886, here vol. 2, p. 407: Francesco Pandolfini to X di Balia, 12–15 August 1509, Milan. 31 C e s s i, Dispacci (see note 26), p. 226: 9 January 1509/(10). 32 ASVenice, Archivio Proprio, Roma, Reg. 3, 35: 19 March 1510. 33 A. Lu z i o, La reggenza d’Isabella d’Este durnate la prigionia del marito (1509–1510), in: Archivio storico lombardo, 4 t h ser. 14 (1910), pp. 5–105, here p. 47. 34 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 3), vol. 10, cols. 193f. 35 ASVenice, Archivio Proprio, Roma, Reg. 3, 50: 24 April 1510. 36 Correspondance de l’Empereur Maximilien Ier et de Marguerite d’Autriche, ed. by M. Le G l ay, 2 vols., Paris 1839, here vol. 1, p. 294: Maximilian to Margaret, 29 June 1510. 37 ASVenice, Archivio Proprio, Roma, Reg. 3, 105: 2 July 1510.
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that he cost more than he was worth.³⁸ Maximilian suspected Julius was just stringing him along,³⁹ and even wondered if he was trying to ally with the French and Venetians to drive the Germans and Spanish out of Italy: „these are the fine machinations of Holy Mother Church“.⁴⁰ As French troops under Charles d’Amboise, seigneur de Chaumont came to the aid of Alfonso d’Este and the pope’s war against Ferrara – which he was directing personally – ran into difficulties over the winter, in late January 1511, Julius made an astute move. He sent the Imperial envoy with him, Veit von Fürst, together with one of his own commanders, Marcantonio Colonna, to take possession of Modena in the name of Maximilian; Colonna was to stay there, to hold it in Maximilian’s name.⁴¹ Veit also wanted to take possession of Reggio, where Chaumont was based. If Chaumont handed Reggio over to the custody of Maximilian’s envoy, he would have to move further away from Ferrara; if he refused (as he did), the pope’s men anticipated it would cause a breach between Maximilian and Louis.⁴² Julius ordered the Modenese to swear homage to Maximilian, telling them that he was doing this so that they would be spared the troubles of war („ut sub ejus nomine umbra et authoritate omnia belli incommoda evitetis“).⁴³ Still dependent on Louis for aid in his continuing struggle against Venice, Maximilian distrusted the king’s intentions, for as the price of his continued aid, Louis demanded Verona. Although he had had to let French troops take possession of the two fortresses in the city, and relied on French forces there to help keep the Venetians at bay, Maximilian was not willing to cede the city to the king. Louis was also inciting Maximilian to join him in threatening Julius with an attack on his spiritual authority, through an ecclesiastical council. In an attempt to resolve the conflicting pressures on him and, he hoped, by a revival of the league of Cambrai or peace negotiations to get what he wanted in territory, money and recognition of his imperial authority from Venice, Maximilian sent Lang to Italy to organize a diplomatic conference in Mantua.⁴⁴ While Louis and Ferdinand sent envoys to Mantua, Julius refused and asked Lang to come to see him at Bologna. His message was that he was set on a universal peace
38 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 3), vol. 11, cols. 213f. 39 Correspondance, ed. by Le G l ay (see note 36), vol. 1, p. 319: Maximilian to Margaret, 31 August 1510. 40 Ibid., pp. 337f.: Maximilian to Margaret, 7 Oct. 1510. 41 According to Fr a n ce s co G u i cc i a rd i n i, Storia d’Italia, ed. C. P a n ig a d a, 5 vols., Bari 1929 (Scrittoria d’Italia 120–124), here vol. 3, Book 9, Chap. 14, Julius did this unwillingly, on the advice of Ferdinand. 42 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 2), vol. 11, cols. 135f. 43 Lettres du Roy Louis XII et du Cardinal George d’Amboise, 4 vols., Brussels 1712, here vol. 2, pp. 98f.: Julius to Conservatori and community of Modena, 29 January 1511, Mirandola. 44 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, pp. 78–81.
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and ready to let Lang have the honour of concluding it, but he would only engage in peace negotiations conducted at his own court.⁴⁵ Great efforts were made to pay Lang honour when he went to Bologna in April, and to win him over by offers of a cardinal’s hat and benefices. (He had been created cardinal in March, but his name had not been published with the others promoted on that occasion; he refused to accept the promotion until peace had been concluded, and was undecided whether he would do so even then.⁴⁶) Lang took care to emphasize by his demeanour that he was the emperor’s man, and not to be won over by the pope. No progress had been made after a fortnight of talks.⁴⁷ Julius was not prepared to abandon the Venetians or join his erstwhile allies against them; he had said he might be prepared not to help them against Maximilian, but would not help Maximilian against them.⁴⁸ Within weeks of Lang leaving Bologna on 25 April, Julius had been forced to leave the city by an advancing French army, who soon took the city. Louis said that despite this victory, he was inclined to peace with the pope, provided he would abide by the terms of the league of Cambrai and satisfy Maximilian.⁴⁹ He did not want his army to proceed further into the Papal States, but at just this time the other line of attack on the pope that he had long been preparing was finally launched, with the announcement by a group of cardinals opposed to the pope of the summons of a general council of the Church. Maximilian was the only other monarch to be associated with the formal convocation of the council which took place in Milan on 16 May 1511.⁵⁰ He was less than wholehearted in his support for it. No council of the German clergy was summoned, and he did not attempt to force them to attend or to send proctors when the council opened in Pisa in November. Had he tried to do so, he might well have suffered a rebuff, because they showed no wish to participate in the council or endorse its aims. Maximilian himself was wary of the influence over the Church the council might lend to Louis. He insisted it should be held not in Pisa but in Constance or Verona, where he said he would attend in person.⁵¹ Then he sent his agreement to it being opened
45 Le G l ay, Négociations diplomatiques (see note 23), vol. 1, p. 390: Andrea da Borgo to Margaret of Austria, 3 April 1510/(11), Moulins. Andrea da Borgo was relaying detailed reports of the negotiations, including letters to him from Lang. 46 Ibid., pp. 388, 392: Andrea da Borgo to Margaret of Austria, 13 March 1510/(11), Bourges. 47 C. S h aw, Julius II. The Warrior Pope, Oxford 1993, pp. 273–275; Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, pp. 82f. 48 Lettres du Roy Louis XII (see note 43), vol. 2, p. 160: Lang to Etienne Poncher, 16 April 1511, Bologna. 49 Ibid., p. 250: Andrea da Borgo to Margaret of Austria, 31 May [1511], Grenoble. 50 A. R e n au d e t, Le Concile Gallican de Pise-Milan. Documents florentins (1510–1512), Paris 1922 (Bibliothèque de l’Institut François de Florence 1,7), pp. 29f. 51 Ibid, p. 57: Roberto Acciaiuoli to Dieci di Balia, 22 June 1511, Grenoble; p. 69: Francesco Pandolfini to X di Balia, 13 July 1511, Milan.
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at Pisa, provided it was subsequently transferred to Verona or Mantua.⁵² Maximilian discussed with his own council „la matière de la congregation du concile general pour la refformacion de l’église“; „comme premier prince de la chrestienté et advocat de l’église“ he would agree to that, he decided, but he was resolved it must be held in a place subject either to him or to the empire.⁵³ In September, Louis sent one of the dissident cardinals who had summoned the council, Federico da Sanseverino, to Maximilian to rouse him to more enthusiastic support for it, with promises for support in return for his journey to Rome – not for a coronation but to depose the pope and elect Lang (or Maximilian himself, if he wished) to the papal throne. Maximilian gave him a poor reception.⁵⁴ He did write a letter to the Florentine government, to say that as „Ecclesiae Advocatus“, he had summoned the council with the support of Louis and some cardinals, hoping that other princes and especially the pope would join in, and urging them to send representatives to it.⁵⁵ There was a report from a Florentine envoy sent to the dissident cardinals on their way to Pisa, that Maximilian had appointed five representatives to attend the council, including the bishops of Passau, Trieste and Trent⁵⁶, but if they had been appointed, they failed to appear. Another report by a Florentine envoy, from the French court, said that Maximilian had written to say he was sending Lang and other prelates to the council, and that they would be going to Pisa with Cardinal da Sanseverino.⁵⁷ But Sanseverino had been sent back to Maximilian by the king with even more generous offers than before – 1.200 French men-at-arms, and infantry if needed, would accompany him to Rome, and 150.000 ducats could be made available to him. He could have Siena, the Romagna and Naples, and, if he wished, be elected pope in place of Julius.⁵⁸ If Louis had believed that Maximilian was sending prelates, perhaps Lang himself, to the council, why should he have made such extravagant offers? They smack of desperation, for in fact it was evident that apart from a few French clergy and the dissident cardinals themselves, virtually no one was going to attend. Maximilian really appeared to be more interested in his dream of becoming pope himself, which the challenge to Julius seems to have revived, than in the council. This was known: hence the messages Louis had sent by Cardinal da Sanseverino. His interest was quickened by news that in August Julius was gravely ill, near death,
52 Ibid., p. 147: F. Pandolfini to X di Balia, 25/26 Aug. 1511, Milan. 53 Le G l ay, Négociations diplomatiques (see note 23), vol. 1, p. 417: Mercurino da Gattinara to Margaret of Austria, 7 July 1511, Innsbruck. 54 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, p. 95. 55 R e n au d e t, Le Concile Gallican (see note 50), p. 280: Maximilian to Piero Soderini and X di Balia, 27 September 1511. 56 Ibid., p. 375: Rosso Ridolfi to X di Balia, 13 October 1511, Sarzana. 57 Ibid., p. 406: Roberto Acciaiuoli to X di Balia, 21 October 1511, Beaugency. 58 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, p. 96.
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it was thought. It was at this time that Maximilian wrote his curious letter to his daughter, about how he was sending Lang to Rome to get Julius to take Maximilian as his coadjutor in the papacy, so that when Julius died he would be assured of being pope. He would become a priest, a saint, so that she would have to adore him after his death. He was beginning to try to win the cardinals round to his side, which he expected would cost him 200.000 or 300.000 ducats. Ferdinand of Aragon had instructed his ambassador to command the Spanish cardinals to support Maximilian’s becoming pope. In return for this support, he would resign the empire to their common grandson, Charles.⁵⁹ Rather than supporting this hare-brained scheme, Ferdinand was engaged in negotiating a league with Julius and Venice, which was concluded in early October; its declared aim was the recovery of all the lands of the Church, including Bologna.⁶⁰ Although Ferdinand had been clear that he did not want to enter a league explicitly directed against any other power, he, like Julius, aimed to contain if not diminish French power in Italy, and like Julius, saw a separate peace between Maximilian and Venice as a means to this end.⁶¹ Maximilian had received no help from either the Empire or Ferdinand for his campaign against Venice in 1511, and Louis had provided more men in the field than he could muster from his own resources, so he had had a strong incentive to keep on good terms with Louis. Once the Holy League came into being, however, Louis withdrew his men from the Veneto to concentrate on the threat to Milan, and nearly all the ground won from the Venetians that year was soon lost. There were signs that Maximilian would not be standing by his ally, and the French became seriously concerned: „ils doubtent de leur destruction, comme s’il estoit predestiné qu’ils deussent perdre l’Italie, et ont une si grant craincte que l’empereur ne les abandonne qu’ils en pissent en leurs brayes“, as one of the secretaries of Maximilian’s ambassador at the French court inelegantly commented.⁶² But Maximilian was in no hurry to commit himself to a new league, or openly break with Louis, or make meaningful concessions to come to an accord with Venice. He did prepare the ground for rejection of the schismatic council, which transferred to Milan in December but attracted no more support there. In January he informed the council in Milan that he was summoning a meeting of German prelates at Augsburg, and invited the council to send representatives to take part. Until the Augsburg meeting was over, he would not send any clergy to Milan, not even from his hereditary lands. All Germany was subject to him, and it would be dishonourable
59 Le G l ay, Correspondance (see note 36), vol. 2, pp. 38f.: Maximilian to Margaret, 18 September [1511]. 60 S a n u to, I diarii, ed. by Fu l i n (see note 3), vol. 8, cols. 234–237. 61 S h aw, Julius II (see note 47), pp. 290f. 62 Le G l ay, Négociations diplomatiques (see note 23), vol. 1, p. 468.
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to him to send someone from his own lands alone, he explained.⁶³ The assembly of German prelates quickly decided that the Pisa-Milan council was schismatic, and that they should not send any representatives to it.⁶⁴ As the brilliant young French general Gaston de Foix crossed and recrossed Lombardy to ward off the attacks from the armies of the Holy League and the Swiss in the winter of 1511/12, Maximilian was still hesitating about leaving his alliance with France. He asked de Foix to send troops against Padua and Treviso, but both de Foix and Louis said the first concern of the French had to be the Spanish army and the Swiss.⁶⁵ His hereditary lands, especially the Tyrol, could not sustain the burden of the war any longer and Maximilian finally agreed to a truce with Venice until January 1513. This was concluded in Rome on 6 April 1512. Immediately after, it might have seemed that he had chosen just the wrong moment to step away from his French ally, as the Spanish and papal armies were defeated by the French at the Battle of Ravenna on 11 April. But it soon became evident that for the French it was a pyrrhic victory, not least because of the death of Gaston de Foix. With surprising speed they were driven out of Lombardy by the Venetians and the Swiss; by early July, only a few French garrisons remained; the rest of the army was back in France. Apart from ordering landsknechts in French service to leave, Maximilian had played no part in this rout, but as the duchy of Milan was an Imperial fief he expected to have the decisive voice in determining who should rule it. The general consensus was that the new duke should be Massimiliano Sforza, the son of Lodovico Sforza. The fact that this young man had been brought up in exile in the household of Margaret of Austria should have strengthened Maximilian’s claim to dominate him and the duchy of Milan. The Swiss in Milan and the papal legate with them, Cardinal Schiner, had other ideas, and when Lang was sent to Lombardy to take charge of the preparations for the installation of the new duke, he could not assert control. Nor could he prevent the cities of Parma and Piacenza, which Julius claimed for the papacy, being handed over to papal officials. But Lang did make it clear that Maximilian would not agree to Julius taking Ferrara, as he still wished to do. These issues complicated the negotiations for an alliance between Maximilian and the pope. Maximilian wanted the promise of help from Julius and Ferdinand against Venice, if he could not make satisfactory terms with the Venetians before the expiration of the truce. Ferdinand, concerned about the Venetians being pushed into looking for an alliance with Louis (as indeed they did) refused to agree. Julius, however, was ready to sacrifice his alliance with Venice in return for Maximilian’s
63 R e n au d e t, Le Concile Gallican (see note 50), pp. 585f.: Francesco Pandolfini to X di Balia, 4 January 1511/(12), Milan. 64 Ibid., pp. 610f.: Francesco Pandolfini to X di Balia, 2 February 1511/(12), Finale. 65 Le G l ay, Négociations diplomatiques (see note 23), vol. 1, pp. 482f.: Jean Le Veau to Margaret of Austria, 5 March 1512, Blois.
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acquiescence in the territorial gains he had made and the further gains he still desired. He also very much wanted Maximilian to recognize the ecclesiastical council that he had opened at the Lateran on 3 May. From the beginning, there were clear indications that this council – summoned as the pope’s riposte to the council of PisaMilan – would be accepted as a legitimate council of the Church, but Maximilian’s formal accession to it would be a significant gain, nevertheless. Not until November did Lang arrive in Rome, although he had been supposed to be on his way for several months. He had been given full powers to negotiate both Maximilian’s entry into the Holy League and recognition of the Lateran Council.⁶⁶ As during his visit to Bologna the year before, Lang was careful to emphasize by his behaviour his status as the representative of the Emperor, not as a dignitary of the Church. His elevation to the College of Cardinals was finally made public but he would not formally accept the main symbol of the status, the cardinal’s hat, in Rome, without Maximilian’s permission. But he did reach terms quite quickly with Julius in the end. The treaty they concluded was between Maximilian and the pope alone, because neither the Venetians nor Ferdinand approved what was being agreed, so it was not framed as Maximilian’s accession to the league. Maximilian was to defend the pope and the papacy’s territory in Italy; Julius was to defend Maximilian and his Italian lands. As advocate of the Church, Maximilian was to revoke any mandate he had given for the convocation of any council other than the Lateran, to declare the Pisan council and all its acts null and void, and to adhere to the Lateran council. He was to give no further aid to Alfonso d’Este, duke of Ferrara, or to the Bentivoglio of Bologna. The Venetians were declared to have contravened the terms of the Holy League and to have been obstinate in refusing to accept the peace terms with Maximilian negotiated for them by the pope. Julius was to treat them as enemies, and to proceed against them with spiritual as well as secular weapons. He could not make any peace or truce with them without Maximilian’s consent, until Maximilian had recovered all the lands and cities of the Empire or the house of Austria, and everything assigned to him by the terms of the Treaty of Cambrai, or the Venetians had agreed terms acceptable to him.⁶⁷ Lang’s behaviour was not more gracious or accommodating after the publication of the treaty than it had been before. He continued to dress in German style, not as an ecclesiastic, and only grudgingly appeared at a session of the Lateran council on 4 December, to read a formal approbation of the Lateran council on behalf of Maximilian – preceded by a reading of the mandate from Maximilian giving him power on Maximilian’s behalf to suspend the council, transfer it to another location or bring it to a close. He then immediately left Rome for Lombardy.⁶⁸
66 Wi e s f l e c ke r, Kaiser Maximilian I. (see note 2), vol. 4, p. 108. 67 S a n u to, I diarii, ed. by Fulin (see note 3), vol. 15, cols. 384–388. 68 ASMantua, AGonzaga, b. 860: Statio Gadio to Francesco Gonzaga, 7 December 1512, Rome.
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Julius published a monitorio against Venice in January 1513, threatening excommunication if the Venetians did not yield to Maximilian the territory he claimed under the treaty of Cambrai.⁶⁹ Whether he would have gone to war with Venice to support Maximilian is another question. His own priority was getting hold of Ferrara, and he was reported to be anxious to bring about a peace between Maximilian and Venice. He sent an envoy to Milan to speak to Cardinals Lang and Schiner and the Spanish viceroy Ramon de Cardona to urge them to bring this about.⁷⁰ But within three months of the conclusion of his treaty with Maximilian, Julius was dead. Both Julius and Maximilian had a reputation for being impulsive, erratic, unreliable – but it is hard to imagine there would have been much mutual understanding or sympathy between them if they had ever met. Julius was reproached for a reprehensibly worldly view of the interests of the papacy, for devoting his energies and the resources of the Church to consolidating and extending the Papal States. Maximilian, on the other hand, had an elevated view of his position as emperor (or emperor-elect), and fancied becoming pope himself. Yet, even when dealing with matters that went to the heart of relations between pope and emperor – the right of the pope to crown the emperor and to legitimate the use of the title, or the role of the emperor as „advocatus ecclesiae“ and in summoning ecclesiastical councils, and his duty to defend the papacy – they did not engage in defining or debating the theory behind these rights and roles. It cannot have been palatable for Julius to hear the mandate of Lang, containing Maximilian’s assertion of authority over a council summoned by the pope, read out in his own Lateran council, but he made no protest. The issues that arose between Maximilian and Julius could have been the occasion for disputes about the respective powers and responsibilities of the emperor and the pope – but they were determined at the level of mundane politics, not of elevated principles of temporal and spiritual authority.
69 S a n u to, I diarii, ed. by Fulin (see note 3), vol. 15, cols. 510f. 70 A. Lu z i o, Isabella d’Este di fronte a Giulio II negli ultimi tre anni del suo pontificato, Milan 1912, p. 196: Soardino to Francesco Gonzaga, 29 January 1513, Milan.
Götz-Rüdiger Tewes
Zwischen Seelenheil, Machtpolitik und Profiten – Erfahrungen und Strategien von Deutschen und Italienern an der römischen Kurie um 1500 Welche guten Ratschläge und Vorsichtsmaßregeln werden Martin Luther und sein Begleiter gehört haben, als sie sich 1510 oder vermutlich eher 1511 auf den Weg nach Rom begaben?¹ Gab es in ihrem Erfurter oder Wittenberger Umkreis überhaupt Personen, die Romerfahrungen besaßen oder Wissenswertes über Rom und die Kurie zu berichten wussten? Mit welchen Erwartungen, mit welchem Rombild die beiden Augustiner in den Süden reisten, ob und wie es sich dort eventuell durch konkrete Erfahrungen wandelte, bleibt uns letztendlich unbekannt. Gleichwohl kann es heuristisch sinnvoll sein, Gründe für die Spannbreite möglicher Vorstellungen und Urteile anzureißen. Wer innerhalb Deutschlands, eines an sich durch vergleichsweise schwache Kurienkontakte gekennzeichneten Landes, gleich Luther in einer kurienferneren Region wie Thüringen und Sachsen lebte, dessen Rombild dürfte eher durch diese Distanz und Entfremdung geformt worden sein. Wer hingegen, wie zum Beispiel viele Franzosen, viel von Rom bekam, weil sein Königreich zumindest in den Jahrzehnten um 1500 bestens mit der Kurie vernetzt war und weil beide Seiten wechselseitig stark voneinander profitierten, wird wahrscheinlich positivere Erfahrungen mit Rom gemacht haben.² Dabei ist natürlich zu differenzieren (und diese Unterscheidung gilt selbstredend nicht allein für Deutschland), ob dieses Rombild indirekt oder durch Dritte, das heißt ohne eine konkrete Romerfahrung, entstand und bewahrt blieb, oder ob es durch praktische Anschauung, also durch einen persönlichen Aufenthalt in Rom bzw. an der Kurie, gebildet bzw. bestätigt oder gar revidiert wurde. Wer sich nach Rom begab und dort keinen Beruf ausüben wollte (etwa als Handwerker, Gastwirt oder Musiker), der kam in der Regel entweder als Pilger oder aber wegen einer Kurienangelegenheit. Gewöhnlich ging es dann um den Erwerb päpst-
Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten, der Inhalt jedoch überarbeitet; die Anmerkungen wurden bewusst knapp gehalten. 1 Zu neuen Datierungsfragen und -ergebnissen der Romreise Luthers vgl. jetzt die Ausführungen von H. S c h n e i d e r in diesem Band. 2 Vgl. zu diesem Komplex etwa G.-R. Te we s, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95); d e r s., Deutsches Geld und römische Kurie. Zur Problematik eines gefühlten Leides, in: B. F l ug / M. M a t h e u s / A. R e h b e rg (Hg.), Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2005 (Geschichtliche Landeskunde 65), S. 209–239. DOI 10.1515/9783110316117-011
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licher Gnaden bzw. Bullen, um Rechtssachen oder einen politischen Auftrag, den er als Gesandter oder Botschafter durchzuführen hatte. Natürlich konnte eine solche Absicht auch mit den Zielen eines Pilgeraufenthaltes verknüpft werden, wie es offenkundig bei Luthers Romaufenthalt der Fall gewesen war. Als exemplarische Ergänzung zu Luthers Pilgerinteressen und -erfahrungen seien die des Arnold von Harff genannt, einem Ritter aus dem Herzogtum Jülich-Berg, der vor einer großen Pilgerreise ins Heilige Land und zu weiteren Stätten während der Osterfeiertage 1497 Rom aufsuchte. Ihn interessierten von Beginn an eigentlich nur die Kirchen Roms mit ihren Heiltümern, stärker wohl als Luther. Harff suchte mit seinem Gastgeber und Cicerone Dr. Johann Payl und dessen Freunden ohne jede Zeitverzögerung zunächst alle sieben Hauptkirchen Roms auf, sodann eine fast unendliche Zahl weiterer Kirchen, sodass man den Eindruck hat, es könne ihm kaum eine entgangen sein. In den Kirchen richtete sich seine Aufmerksamkeit auf ihre Reliquien, die dort gewährten Ablässe und Gnaden sowie die noch erhaltenen christlichen Altertümer. Nie versäumte er es, die Quantität der Ablässe für die betreffenden Kirchen zu notieren; sorgsam schrieb er Heiltum, Ablass und Gnaden von den an oder in den Kirchen angebrachten Tafeln ab. Zur Veranschaulichung sei nur ein kleiner Ausschnitt vorgestellt. In den Hauptkirchen wie S. Maria Maggiore, S. Croce in Gerusalemme oder S. Paolo fuori le mura gab es jeden Tag 48 Jahre Ablass und ebenso viele Quadragenen sowie Vergebung eines Drittels der Sünden; wenn man die 36 Treppenstufen zu St. Peter mit Andacht und Reue für seine Sünden hinauf oder auch hinunter ging, erhielt man für jede Stufe bereits sieben Jahre Ablass; in S. Maria in Trastevere gab es alle Tage 200 Jahre Ablass, in St. Georg alle Tage 1.000 Jahre, im Kloster St. Anastasius bei St. Paul vor den Mauern konnte man jeden Tag sogar 40.000 Jahre Ablass gewinnen. Spannend ging es ganz in der Nähe im Kirchlein Ad tres fontes zu, wo der heilige Paulus enthauptet worden war, sein Kopf dreimal von der Erde aufsprang und an jeder dieser Stellen eine Quelle entstehen ließ, denn bei jeder einzelnen Quelle erhielt man jeden Tag 900 Jahre Ablass und im Kirchlein nochmals 100 Jahre. Am Ostermontag suchte Harff diese drei Quellen daher gleich noch einmal auf, ebenso die sieben Hauptkirchen sowie viele weitere Kirchen, um überall die entsprechenden Ablassjahre seinem Seelenheil gutschreiben zu können. Mögliche finanzielle Leistungen verschwieg er jedoch; ebenso ließ er uns nicht wissen, ob er am Ende seines römischen Aufenthaltes auch eine Addition aller kumulierten Ablassjahre vornahm. An religiös-frommer Intensität war Harffs Aufenthalt in Rom und im Vatikan nur schwer zu überbieten. Denn zudem nahm er an allen ihm zugänglichen österlichen Feierlichkeiten teil, etwa an der Fußwaschung der Armen am Gründonnerstag im Papstpalast, an den Passionsspielen im Kolosseum, den Messen in St. Peter und in der capella magna (die heutige Sixtinische Kapelle) unter Beteiligung des Papstes, an der großen Papstprozession nach S. Maria Maggiore am Dienstag nach Ostern. Dank der Hilfe bzw. der Erfahrung oder auch der Beziehungen seines kundigen Cicerone Johann Payl und von dessen Freunden konnte er beste Plätze einnehmen und erhielt von Alexander VI. persönlich den päpstlichen Segen und die Absolution zur
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Vergebung aller Sünden, von Strafe und Schuld sowie die schriftliche päpstliche Erlaubnis zur Seefahrt ins Heilige Land. Zu Erfahrungen mit den kurialen Behörden und Geschäftsgängen kam es hingegen nicht. Doch ließ er sich genau über Papst Alexander VI., seine Söhne Cesare und Juan von Gandia sowie seine Tochter Lucrezia berichten, verschwieg nicht die beobachteten bewaffneten Konflikte zwischen Spaniern und Römern innerhalb der Stadtmauern, wollte sich jedoch zu den unredlichen, unchristlichen Dingen, die er in Rom sah, nicht näher äußern.³ Alle Rombesucher, die an der Kurie päpstliche Gnadenbriefe erwerben oder Rechtsentscheide erwirken wollten, werden in unterschiedlicher, doch meist intensiver Weise mit deren finanziellen Aspekten konfrontiert worden sein. Das Geld, das für bestimmte Leistungen an die Kurie floss und so die eigene Börse oder gar ein ganzes Land belastete oder eben privilegierte, dürfte einer der prägenden Faktoren für eine je spezifische und zugleich typisierende Wahrnehmung der Kurie für jede Person gewesen sein, die eine bestimmte Leistung von der Kurie erlangen wollte. Doch diese regulären Ausgaben und die unvermeidliche Korruption in Form von notwendigen Geld- und Sachleistungen an einflussreiche Personen und deren Entourage bildeten nicht das einzige Ärgernis. Es gab weitere Schranken, die für den gewünschten Rechtsbrief zu überwinden waren. Das war nicht dessen Legitimität oder gar moralische Berechtigung, sondern der institutionell-personelle Aufbau der Kurie. Selbst in diesen im Vergleich zu anderen Behörden gut strukturierten, hierarchisierten und effizienten Kurienbehörden gab es keinen klaren und vor allem nicht zwingend verbindlichen Instanzenweg sowie deutlich voneinander getrennte Kompetenzen. Diese überschnitten sich vielmehr in vielfältigster, für den Außenstehenden und selbst Kurienmitglieder gar nicht oder nur schwer zu durchschauender Weise. In so exemplarischer wie anschaulicher Weise wird dies in dem „römischen Tagebuch“ deutlich, welches der Ulmer Stadtamman Konrad Locher 1484/85 während des Pontifikates von Papst Innozenz VIII. anfertigte, als er für die Stadt Ulm die päpstliche Bestätigung einer Reform des Franziskanerklosters zu Ulm und des Klarissenklosters Söflingen erwirken sollte, welche die Gegenpartei der Konventualen ihrerseits mit aller Macht zu verhindern suchte.⁴ Weitaus widriger als die zum Teil hohen, meist wirkungslosen Bestechungssummen war das Problem, geeignete, einflussreiche, durchsetzungsfähige und willige Fürsprecher an der Kurie zu finden. Selbst die Signatur der Supplik durch den Papst führte nicht zum Erfolg, da der Datar die Supplik danach eigenmächtig änderte, weswegen die nach der ursprünglichen Supplik ausgefertigte Bulle nicht expediert und zur Feststellung der Taxe an
3 Vgl. H. B r a l l-Tu c h e l / F. R e i c h e r t, Rom – Jerusalem – Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496–1498), Köln-Weimar-Wien 2007, hier S. 47–67. 4 M. M i l l e r, Das römische Tagebuch des Ulmer Stadtammans Konrad Locher aus der Zeit des Papstes Innozenz VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der Klosterreform in der Reichsstadt Ulm und des Geschäftsgangs an der Römischen Kurie im Spätmittelalter, in: Historisches Jahrbuch 60 (1940), S. 270–300.
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die Kammer weitergeleitet wurde. Entscheidender als der reformwillige Papst war der Kardinal Giuliano della Rovere, der den Observanten auch deshalb in den Weg trat, weil die reformierten Mönche „kunstloß lüt“ seien, und der die Bulle daher in der Kanzlei „arrestierte“, wie Locher es formulierte.⁵ Gewissheiten wurden so jeden Tag, jeden Augenblick hinfällig. So verwundert sein Fazit wenig: „Dann so ich glaub, ich hab min ding glich sicher, so wirdt es mir widerworfen und ist salva dignitate meer dann halb gelogen, domit man zu Rom umbget, nyemantz dann die frommen tutschen ussgeslossen. Ich hoff, der türck, der, als man hie sagt, uff Ceciliam [Sizilien] zuicht, solle sy darum strauffen.“⁶ (Wie hätte er diesen Wunsch wohl nach 1517 formuliert?) Die Überzeugung der Deutschen, an der römischen Kurie ohnmächtig zu sein und übervorteilt zu werden, war gewiss nicht unbegründet. Sie besaßen in den Jahrzehnten vor der Reformation einen vergleichsweise schwachen Einfluss in Rom. Dies lag nicht nur an einer geringen Repräsentation in den wichtigen Institutionen bis hin zum Kardinalkollegium, sondern auch und nicht zuletzt an der Struktur des Deutschen Reiches mit seinem Dualismus von Kaiser und Reich, starker territorialer Partikulargewalten und relativ machtloser bzw. fehlender Zentralgewalt. Zu berücksichtigen wäre auch die kulturell-religiöse Mentalität, die bei Harff und Locher so deutlich anklingt. Sie wird aus anderer, gerade deshalb stützender Perspektive bestätigt. In dem bekannten Bericht, den Antonio de Beatis als Sekretär des Kardinals Luigi d’Aragona über ihre Reise durch Deutschland und Frankreich im Jahr 1517 verfasste, fällt auf, wie sehr diese spanisch-italienische Gruppe immer wieder von der außergewöhnlichen Frömmigkeit, ernsten Religiosität und Ehrlichkeit der deutschen Bevölkerung beeindruckt war.⁷ Mit dieser auch von anderen analogen Quellen bezeugten Haltung – um nicht von Tugenden zu sprechen – konnte man sich an den zahllosen Heiltümern in den Kirchen Roms, den Jahrtausenden zu erwerbender Ablassjahre und der Fülle von Sündenvergebungen erfreuen, konnte sich in praktischen Belangen an der Kurie jedoch nur sehr begrenzt durchsetzen – selbst wenn man das Schwert der Bestechung zumindest in Ansätzen zu schwingen wusste. Doch es waren nicht allein diese Deutschen, die mit den kurialen Imponderabilien zu kämpfen hatten, sie kritisierten, mit ihnen haderten, sondern sogar Florentiner Bankiers und Politiker. Ultramontane Vorurteile und Vorbehalte wird man aus Florentiner Federn nicht zu befürchten haben, dafür umso mehr einen unvoreingenommenen Blick und ein klares Urteil erwarten dürfen. Noch nicht mehr als das Alltagsleben hatte Giovanni Borgherini im Blick, als er am 6. November 1512 seinem
5 Ebd., S. 291, 294. 6 Ebd., S. 293. 7 A n to n i o d e B e a t i s, Die Reise des Kardinals Luigi d’Aragon durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien, 1517–1518, hg. von L. P a s t o r, Freiburg i. Br. 1905 (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 4,4).
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geliebten Freund Gherardo Bartolini schrieb, der sich soeben wegen einer mit Agostino Chigi und zahlreichen Kurialen zu behandelnden Finanzproblematik nach Rom begeben hatte: „Habt acht auf Euch“, so ermahnte er ihn, „bleibt nicht zu lange auf, und bewegt Euch in Rom nicht zu Fuß“.⁸ Konkrete Ratschläge für das Verhalten an der Kurie konnte und musste jedoch Gherardos älterer Verwandter Leonardo di Zanobi Bartolini erteilen, denn kaum ein zweiter beherrschte die notwendigen Kniffe und Praktiken an der Kurie so vorzüglich wie er, der zum Zeitpunkt der Abfassung seines Briefes als Generalprokurator des Kardinals und künftigen Papstes Giovanni de’ Medici in Florenz wirkte. Leonardo bat Gherardo am 9. November 1512 dringend, sich in jenen wichtigen Angelegenheiten zuvorderst an die guten Freunde in Rom zu wenden, da er, Gherardo, trotz aller Erfahrung noch kein guter cortigiano sei! Für den römischen Hof und die damaligen Herausforderungen sei er trotz vorheriger Romaufenthalte noch zu unerfahren. Ohne die einflussreichen Freunde wie den Datar Lorenzo Pucci oder den Bankier Agostino Chigi könne er nicht zum Ziel kommen. Die Bedeutung und Macht des Datars, die schon Konrad Locher erleben bzw. erleiden musste, war seit einer institutionellen Aufwertung und Umformung dieses Amtes unter Papst Sixtus IV. ungemein gestiegen.⁹ Die Datarie unterstand seitdem direkt dem Papst, der nur enge Vertraute für dieses Amt auswählte. Die eigentliche Funktion, die Datierung der Bullen, wurde sekundär, denn dem Datar kam nun fast exklusiv das Kompositionsrecht zu. Bei der geradezu explosionsartig steigenden Masse an Dispensen (etwa vom Verbot, inkompatible Benefizien besitzen zu dürfen), Fakultäten, Lizenzen, Pensionen, Reservationen von Pfründeinnahmen, Regressus- bzw. Rückkehr-Rechten usw. musste der Petent bzw. sein Prokurator die dafür anfallende Taxe mit dem Datar in einem intransparenten, meist willkürlichen Verfahren aushandeln, komponieren. Die daraus resultierenden hohen Einnahmen flossen nicht mehr in die Kassen der Apostolischen Kammer, sondern in die Privatkasse des Papstes, der seinem Datar deshalb kaum Zügel angelegt haben wird. Zwischen dem Papst und dem mächtigsten seiner Kurialen bestand somit nicht nur ein intimes Vertrauens-, sondern auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Ein so bezeichnendes wie außergewöhnliches Beispiel aus dem thematisierten Kontext: Nur wenige Monate vor dem November 1512 hatte Papst Julius II. persönlich dem Medici-Freund Bernardo Dovizi da Bibbiena geraten, sich in informeller und irregulärer Weise für die Übertragung einer Abtei direkt an den Datar Lorenzo Pucci zu wenden, der eine Supplik signieren würde, auf der Kardinal Gio-
8 Archivio Bartolini Salimbeni (= ABS), Lettere, Mazzo I, 6. 11. 1512 (Jo[annes] Bor[gherini] aus Florenz an Gherardo di Bartolomeo Bartolini in Rom); vgl. G.-R. Te we s, Kampf um Florenz – Die Medici im Exil, 1494–1512, Köln-Weimar-Wien 2011, S. 1015. 9 G.-R. Te we s, Die päpstliche Datarie um 1500, in: M. B e r t r a m / L. S c h m ugge / B. S c hw a r z (Hg.), Stagnation oder Fortbildung? Das allgemeine Kirchenrecht im 14. und 15. Jahrhundert, Tübingen 2005 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 108).
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vanni de’ Medici als Besitzer und Abt eingetragen sei, damit dieser das Einkommen des Benefiziums unter Wissen und Billigung des Papstes seinem treuen, aber von Geldsorgen geplagten Anhänger Bibbiena zukommen lassen konnte.¹⁰ Vielsagend erscheint deshalb, wie Leonardo Bartolini, der als wichtigster römischer Medici-Bankier 1497 die römische Medici-Bank übernommen und sich in Rom zudem wie ein moderner Manager seit mehr als 20 Jahren für das Haus Medici aufgerieben hatte, in jenem Brief vom 9. November 1512 den damaligen Papst charakterisierte, den gefürchteten Julius II. „Dieser Papst lässt sich sehr leicht handhaben und führen, ‚molto facile et tractabile‘, besonders wenn Du ihm nützliche Sachen vorstellst und dabei nicht ‚el conto suo‘ vergisst!“¹¹ Wer wie Leonardo Bartolini einen Julius II. mit leichter Hand führen und für seine Interessen einspannen konnte, darf wahrlich als römischer Meisterschüler bezeichnet werden. Grundsätzlicher und entscheidender ist seine Personalisierung des kurialen Machtsystems. Für ein erfolgreiches Handeln fordert er von seinem Verwandten nicht die Lektüre von Organigrammen und Kanzleiregeln, sondern die vertrauensvolle und intensive Hinwendung zu den einflussreichen Freunden und cortigiani an der Kurie. Sie sind die Bedingung der Möglichkeit: Wer sie besaß, dem öffneten sich Türen, der erhielt Gnaden und Privilegien leichter als andere; wer sie nicht hatte, der konnte bei schwierigen bzw. außergewöhnlichen Anliegen vor unüberwindlichen Schranken stehen oder hatte sie mit hohen finanziellen Belastungen zu öffnen. In entsprechender Gegensätzlichkeit formte sich dann auch das jeweilige Rombild. Ein weiterer der von Leonardo Bartolini angesprochenen Freunde war der MediciSchwager Jacopo Salviati. Und auch er gibt uns in einem Brief an seinen Bruder im Geiste Lanfredino Lanfredini ein bezeichnendes, ein offenes Zeugnis. Der Schwiegersohn von Lorenzo il Magnifico war eine der wichtigsten Stützen des Hauses Medici, auch und gerade während der 18-jährigen Exilszeit der Söhne Lorenzos. Kurz nach ihrer Rückkehr an die Macht sandten diese Jacopo Salviati Ende 1512 aufgrund seiner herausragenden Stellung von Florenz nach Rom, um dort bei Julius II. und generell an der Kurie ihre Interessen zu vertreten und vor allem akute finanzielle Probleme lösen zu helfen. Dieser mit allen machtpolitischen Wassern gewaschene, erfahrene Florentiner konstatierte gegenüber Lanfredino: „Et per sempre vi sia detto que qua [a Roma] si tien conto degli huomini et d’ogni sorte secondo che bisogni sono et per quel tempo che durano et non piu va! Nec plura, benevalete.“¹² Hier in Rom würden die Menschen und alles Weitere nur entsprechend den jeweiligen Erfordernissen beurteilt und geschätzt – und auch keinesfalls länger. Dass gerade ein Jacopo Salviati sich
10 Vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 934–936. 11 ABS, Lettere, Mazzo I, 9. 11. 1512 (Leonardo di Zanobi Bartolini aus Florenz an Gherardo Bartolini in Rom); vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 1022. 12 Firenze, Biblioteca Nazionale Centrale (= BNCF), Ms. II. V. 21, c. 225 (24. 12. 1512; irrig unter Oktober eingeordnet); vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 981f.
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bei seinem nicht minder in Politik und Wirtschaft versierten Freund darüber beklagt, in Rom sei der Mensch nicht mehr wert als wofür er gerade von Nutzen sei, jeder Mensch werde hier nur nach einem kalten Kosten-Nutzen-Kalkül instrumentalisiert, lässt dieses Zeugnis umso gewichtiger und zutreffender erscheinen – nicht zuletzt, weil es aus anderer Perspektive das Urteil Leonardo Bartolinis bestätigt. Es zeigt zwar zum einen, dass die Rom- bzw. Kurienkritik kein Privileg der Deutschen war – selbst der Florentiner konnte sich wie ein potentieller Lutheraner anhören, wenngleich er deshalb nicht gleich das ganze System in Frage stellen will. Vor allem aber erscheint uns Salviatis Kritik als Konsequenz, als eine Reaktion auf eine von machtpolitischen Nützlichkeitsprinzipien bestimmte Kurie und deren zunehmende Fiskalisierung. In einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis gewannen daher auch die Banken während der Renaissance eine stark steigende Bedeutung. Dies wird im Folgenden noch zu thematisieren sein. Wer während des Renaissance-Papsttums die Kurie mit problematischeren Anliegen aufsuchte, erhielt in der Regel vermutlich nicht wie ein Jacopo Salviati so genaue Einblicke in das Innenleben des Vatikans, dass er humanitätsmissachtende Mentalitäten konstatieren könnte. Ein solcher Besucher erfasste bei der Durchsetzung seines Anliegens wie ein Konrad Locher eher die nicht nur bürokratischen Hindernisse, die ihm entgegentraten und die er zu überwinden hatte. Sie bestanden wie gesehen vor allem in einer Vielzahl gesonderter, von außen kaum durchschaubarer, aber sich auch überschneidender Kompetenzen sowie in den mit jeder Kompetenz verbundenen finanziellen Ansprüchen. So sah er sich mit einer Institution konfrontiert, welche zwar die Masse der an sie herangetragenen Rechtsangelegenheiten mit klaren Kompetenzen innerhalb einer streng hierarchischen Ordnung und eines seit Jahrhunderten perfektionierten, systematisierten Verwaltungsapparat zufriedenstellend bewältigte und erledigte, in welcher es jedoch gerade bei Interessenkonflikten galt, die Macht des Stärkeren, des Einflussreicheren zu suchen, zu finden und vor allem zu erhalten. Denn diese Kurie war kein entindividualisiertes, funktional-effizientes, von abstrakten Vorschriften geformtes Verwaltungssystem. Deswegen war auch die Verwaltung der Kurienfinanzen erheblich weniger geordnet und transparent als die ausgezeichnete, wohlgeordnete Systematik des heutigen Vatikanischen Archivs es erscheinen lässt – wobei die bis heute geltende Undurchsichtigkeit der Datarie-Register und -einkünfte hier gar nicht erörtert werden soll. Es gab selbst unter den gut geordneten und konservierten Akten der Apostolischen Kammer Verluste, die offenbar nicht allein ein Tribut an den Sacco di Roma von 1527 und an Napoleon gewesen sind. Ein Beispiel zur Veranschaulichung, nur gut ein, zwei Jahre nach Luthers Aufenthalt in Rom! Nachdem Julius II. in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1513 gestorben war, brach Giovanni de’ Medici, der künftige Papst Leo X., schon am 24. Februar zum Konklave nach Rom auf. Ihm folgte zwei Tage später sein Bankier und Generalprokurator Leonardo Bartolini, der am 28. Februar Rom erreichte. In den folgenden Tagen hatte der Bartolini, wie er bedauernd seinem Freund Lanfredino Lanfredini am 4. März schrieb, keine Zeit mehr für jedwede
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Korrespondenz. Denn seit seiner Ankunft sei er ununterbrochen damit beschäftigt gewesen, die Konten der Apostolischen Kammer neu zu erstellen. Da die Bücher verlegt oder gar verloren seien, habe er unter größtem Zeitdruck alles neu anlegen müssen, doch sei er Gott sei Dank noch rechtzeitig fertig geworden. „Io sono stato al continuo perduto drieto a questi benedetti conti della camera che per essere le scripture smarrite ho hauto a rifare tucto di nuovo …!“¹³ Welche und wie viele Registerbände oder Aufzeichnungen fehlten, sagt er nicht, ebenso wenig, warum er die Kompetenz zur Neuerstellung besaß bzw. zu dieser mühseligen Aufgabe verpflichtet war. Denn der Bartolini gehörte nicht zu den führenden Beamten der Kammer, die wie etwa der Thesaurar, einer der Kammernotare oder -kleriker oder insbesondere der Depositar für diese Bücher verantwortlich gewesen wären. Er scheint zu jener Zeit vielmehr als Depositar des Kardinalskollegiums fungiert zu haben, als welcher er auch mit mehr als 6.000 Dukaten aus seinem Vermögen die Exequien von Julius II. finanzierte und generell großen Einfluss an der Kurie gewonnen hatte. Gleichwohl muss er sich darüber hinaus außergewöhnliche Kompetenzen erworben haben, die er auch während des Pontifikates seines Patrons Giovanni de’ Medici ausübte. Sämtliche Rechnungsbücher dieses zwischen 1490 und 1530 überaus mächtigen Kurienbankiers sind allerdings bis auf eines entweder verloren gegangen oder noch nicht aufgefunden worden.¹⁴ Aus ihnen aber würden wir gewiss weitaus instruktivere Informationen über die kuriale Finanzpraxis erhalten als aus den vorhandenen Büchern der Apostolischen Kammer. Dieser Zugang ist uns bisher verwehrt, doch andere Rechnungsbücher von Kurienbankiers sowie Haushaltsund Rechnungsbücher von Empfängern päpstlicher Gnaden, die komplementäre Informationen zu den Kurienregistern bieten, sind bisher noch gar nicht systematisch gesucht worden. Oft genug dürfte ihre Analyse zeigen, dass in ihnen eine andere als die postulierte veritas der Suppliken und Bullen erscheint.¹⁵ Die Geschichte der
13 BNCF, Ms. II. V. 21, c. 236 (4. 3. 1512/13, Leonardo di Zanobi Bartolini aus Rom an Lanfredino Lanfredini in Florenz); vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 984f. 14 Zu diesem im September 1512 angelegten Haushalts- bzw. Rechnungsbuch, das Leonardo di Zanobi Bartolini als Generalprokurator des Kardinals Giovanni de’ Medici und ab Februar 1513 für den neuen Florentiner Magnifico Giuliano de’ Medici führte, vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 983 –985, 996–1011. 15 Im Fall der Abtei S. Andrea di Dovadola (Romagna), mit welcher Kardinal Giovanni de’ Medici von Papst Julius II. providiert worden war, erweisen zum Beispiel das Haushaltsbuch, welches der zum engeren Medici-Kreis zählende Geistliche Lorenzo di Bartolomeo Bartolini führte, sowie eine private Besitzurkunde, dass die in den päpstlichen Bullen und den Kammer-Registern angegebenen Besitzrechte und Pfründwerte – die formaljuristisch der veritas precuum entsprechen mussten –, zum Vorteil der Betroffenen nicht den Tatsachen entsprachen; vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 734 –736. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Zu einem wichtigen Kurienbankier der 30er und 40er Jahre des 16. Jahrhunderts vgl. jetzt: F. G u i d i B r u s c o l i, Papal Banking in Renaissance Rome. Benvenuto Olivieri and Paul III, 1534–1549, Aldershot-Burlington 2007 (Studies in Banking and Financial History).
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Kurienbanken jener Jahrzehnte ist noch nicht geschrieben worden; sie sollte neben den Bilanzen und Finanztechniken keinesfalls die Prosopographie vernachlässigen. Aus dem fast zehnjährigen Pontifikat von Julius II. fehlten im Februar 1513 offenkundig vor allem die Introitus et Exitus-Register, die Bartolini vermutlich als i conti bezeichnet hatte. Denn diese wurden damals generell nachträglich auf der Grundlage des Einnahmen- und Ausgabenbuches des Depositars in einer italienischen Abschrift für diesen und in zwei lateinischen Abschriften für den Kämmerer und den Thesaurar als höchsten Beamten der Kammer erstellt. Offenbar war diese Aufgabe, die eigentlich regelmäßig monatlich zum Zweck der Kassen- und Rechnungsprüfung erfolgen sollte, ansonsten aber jährlich, während des gesamten Pontifikates nicht erledigt worden. Man fragt sich, welche weiteren Abweichungen vom Normativen in der Apostolischen Kammer in jenen Jahren sonst noch üblich geworden waren. Depositar der Kammer scheint während des gesamten Pontifikates des Della Rovere-Papstes die ebenfalls aus Ligurien, d. h. aus Genua stammende Bank der Sauli gewesen zu sein, die nach Ausweis jenes Zeugnisses offenkundig die entscheidende Übersicht über die Konten der Apostolischen Kammer besaß. Allerdings spricht einiges dafür, dass es, wie das folgende Beispiel veranschaulichen soll, damals generell eine Verlagerung von Kompetenzen und Macht von der Kammer in das Kontor der als Depositar fungierenden Bank gegeben hat, die nur durch die strukturelle Durchlässigkeit des dezentralisierten kurialen Verwaltungssystems möglich war. Am 30. Dezember 1513 gab Leo X. den Präsidenten und Klerikern der Kammer die Anweisung, dafür zu sorgen, dass Schriften der Kammer aus jener Zeit, als die Spannocchi Depositar waren, für eine begrenzte Zeit dem neuen Depositar Jacopo Venturi aus Siena übergeben würden.¹⁶ Die Kammerbücher und -briefe, die in einem eigens angefertigten Inventar aufgelistet wurden, sollten für die Beendigung noch offener Rechtsstreitigkeiten kontrolliert und konsultiert werden. Von 1455 bis 1457 und von 1459 bis 1464 war Ambrogio Spannocchi aus Siena Depositar und von 1493 bis 1503 die Sieneser Bankgesellschaft seiner Erben, zu deren Partnern auch Agostino Chigi gehörte. Erstaunlich an dem Inventar sind Anzahl und Typus der Schriften sowie der bemerkenswert lange Zeitraum, der auch die Pontifikate von Sixtus IV. und Innozenz VIII. erfasste, in denen die Spannocchi-Bank gar nicht als Depositar amtierte, sondern etwa der Genuese Domenicus Centurión unter Sixtus IV.
16 Vgl. Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Cam. ap., Div. cam. 63, fol. 164v–169r (Venturis Landsmann Alberto Salvi, computista der Kammer, hatte mit einem Kammernotar ein Inventar der auszuhändigenden Bücher aufgestellt, die sich in der Kammer befanden. Venturi musste sich seinerseits eidlich verpflichten, diese Bücher später der Apostolischen Kammer zurückzugeben); Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 985 und Anm. 87 (hier wäre zu präzisieren, dass das 1513 anzulegende Inventar die Bücher betraf, welche aus der Amtszeit des früheren Depositars Ambrogio Spannocchi und der Bank seiner Erben stammten, die faktisch aber einen wesentlich längeren Zeitraum betrafen).
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und andere unter Innozenz VIII. Zur Beendigung der Rechtsprobleme sollte der neue Depositar 1513/14 nämlich insgesamt 26 libri grossi aus den Jahren 1477 bis 1503 erhalten, also mindestens eines für jedes einzelne Jahr, ferner ebenfalls 26 Bände der entrata et uscita, also der Introitus et exitus-Register, gefolgt von 25 Bänden Quinterni da cassa aus den Jahren 1478 bis 1503. Aus diesem Zeitraum benötigte er weiterhin 27 giornali, 23 ricordanze, 26 quinterni di cambii, davon sogar eines aus dem Jahr 1473, sodann zehn Bände stracciafoglio aus verschiedenen Jahren von 1480 bis 1503 und sechs Annaten-Register von 1497 bis 1503, sowie schließlich drei kleine Säcke voll mit den Briefmandaten der Thesaurare Alexanders VI. und zwei lange große Säcke mit Missivbriefen sowie alle Obligations-Bücher von 1478 bis 1496 bzw. 1500. All diese wichtigen Register, Bücher und Briefe waren demnach relevant, um noch offene Rechtsansprüche zwischen einer Bankgesellschaft infolge ihrer Funktion als Depositar und der Apostolischen Kammer klären zu können. Diese Bedeutungsverlagerung auf die Seite der die Kurie begleitenden (curiam sequentes in der zeitgenössischen Terminologie), vornehmlich mit Krediten stützenden Privatbanken wird noch einsichtiger, wenn man kurz den Aufbau der Kammer skizziert, die im Übrigen nicht die zentrale Finanzverwaltung der Kurie darstellte, weil es neben ihrer Kasse weitere wichtige gab, etwa die des Papstes und seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die (intransparente) des mächtigen Datars, der wie gesagt die Kompositionen etwa für Dispense und außergewöhnliche Gnaden aushandelte.¹⁷ An der Spitze der Apostolischen Kammer stand der Kämmerer, stets im Kardinalsrang, dem der Thesaurar untergeordnet war, der für die Kammerkasse zuständig war. Dem Thesaurar stand seit ca. 1421 der Depositar zur Seite; beide teilten sich die Barkasse. Der Depositar kam in der Regel aus dem Kreis der großen, meist toskanischen oder ligurischen Handels- und Bankgesellschaften wie den Medici, Spannocchi oder Sauli, da er als Bankier die wesentliche Aufgabe hatte, dem Papst bzw. der Kammerkasse Kredite zu gewähren, wenn die Einnahmen hinter den Ausgaben zurückblieben. Jene Kassenteilung hatte zur Folge, dass Depositar und Thesaurar je eigene Rechnungsbücher führten, in denen sie die Einnahmen und Ausgaben der Kammer registrierten. Dies sind die angesprochenen Introitus et Exitus-Register. In ihnen wurden in chronologischer Reihenfolge nur jene Zahlungen verzeichnet, die tatsächlich an bzw. durch die Kammer erfolgten wie etwa Zolleinnahmen, Steuern aus Rom oder dem Kirchenstaat sowie die Servitien und Annaten.¹⁸ Aus Gründen der persönlichen Haftung behielt der Depositar in der Regel nur seine eigenen Bücher.
17 Vgl. Te we s, Datarie (wie Anm. 9), S. 159–180. 18 Der Zeitpunkt, zu dem z. B. die für eine Servitien- oder Annaten-Zahlung ursächliche, vorausgegangene Provision mit einem niederen Benefizium (wie einer Pfarrkirche) oder einem höheren (wie einem Bistum) sowie die daraus resultierende Obligation zur Zahlung der Gebühren erfolgte, ist aus den Introitus et Exitus-Bänden nicht zu ersehen, sondern nur aus den Servitien-, Annaten- und Obliga-
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Doch nicht allein der Depositar mit seiner Bank, sondern die Banken schlechthin gewannen für jeden, der mit der Apostolischen Kammer und der Kurie in Beziehung trat, eine wachsende Relevanz. Mehrere Gründe ließen sich anführen. Zum einen konnten die Päpste ihre Ausgaben ohne Kredite der Banken nicht mehr finanzieren.¹⁹ Zum anderen delegierten die Apostolische Kammer und andere Behörden Aufgaben und Kompetenzen an die Banken, die es ihrerseits verstanden, sich auch dadurch zu einem lebensnotwendigen Organ des Kurienkörpers zu entwickeln, indem sie sich zu umfassenden Dienstleistern entwickelten, die ihren Benefizien-Kunden gleichsam ‚Leistungspakete‘ anboten, mit denen alle für ihre kurialen Anliegen notwendigen Schritte durch sie, aus einer Hand erledigt wurden. Diese Funktion stand jedoch (für den hier zu betrachtenden Zeitraum) am Ende eines Prozesses, der sich zwischen den partes und der Kurie entwickelte. So förderten vor allem Frankreichs Könige in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts italienische Banken (denn einheimische standen für diese Aufgaben nicht zur Verfügung), um den Benefizien- und daraus resultierenden Finanzverkehr mit der Kurie besser bewältigen und wohl auch kontrollieren zu können. Eine dominante Position erlangte hierbei die Medici-Bank, doch nicht allein in Frankreich, sondern ebenso an der Kurie. Denn dort etablierte Lorenzo de’ Medici in den 70er Jahren mit seinem Mitarbeiter bzw. römischen Agenten Dominicus de Attavantis einen Spezialisten für französische Benefiziengeschäfte.²⁰ In den Kammer-Registern ist kein Prokurator zu erkennen, der auch nur annähernd exklusiv und häufig die Obligationen für die aus den Benefizienprovisionen resultierenden Annatenzahlungen übernahm wie Dominicus (und seit ca. 1490 dessen Sohn Franciscus) für ‚seine‘ französischen Benefiziaten, durch welche in jenen Jahrzehnten die mit Abstand höchsten Annatensummen an die Kurie gelangten. In dieser Funktion verpflichtete er sich für seine Kunden, die ihm mit einem Notariatsinstrument ein entsprechendes Mandat erteilt haben mussten, die Annaten fristgerecht an die Kammer zu zahlen oder bei berechtigten Verzögerungen (oft jahrelang) um Aufschub zu bitten. Versäumte oder verweigerte der Benefiziat die Zahlung, wurde sein Prokurator exkommuniziert und mit weiteren Kirchenstrafen belegt. Sowohl mit Blick auf das von einem persönlich haftenden Kurialen nicht zu tragende Risiko als auch auf die dafür notwendige aufwändige Organisationshilfe und Logistik ließ sich eine
tionsregistern der Kammer, in denen dann auch die häufigen Fristverlängerungen als Marginalglossen registriert wurden. 19 Exemplarisch: G u i d i B r u s co l i, Papal Banking (wie Anm. 15). 20 Vgl. Te we s, Römische Kurie (wie Anm. 2), S. 257–274. Für den Zeitraum von ca. 1450 bis ca. 1520 ist kein Prokurator zu erkennen, der Annaten-Obligationen so häufig wahrnahm wie Dominicus und Franciscus de Attavantis für die Medici-Bank. Allerdings werden solche Prokuratoren in den Annaten-Registern in der Regel nicht als Vertreter ihrer oder bestimmter Banken bezeichnet. Für eine umfassendere komparative Studie müssten daher erst alle Prokuratoren, die Obligationen leisteten, auf eventuelle Bankverbindungen untersucht werden.
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solche umfassende Prokuratorentätigkeit nur für bzw. im Namen einer großen Bank durchführen, wie in diesem Fall der Medici-Bank. Bis um 1490 hatten italienische Banken (etwa die Sauli, Spannocchi oder Bini) auch den Transfer deutscher Annaten- und Servitienzahlungen beherrscht, ohne freilich – soweit dies bisher zu erkennen ist – die für das profitable französisch-römische Benefiziengeschäft konstituierte Organisationsform der Medici-Bank entwickeln zu können. Vermutlich ergab sich aus den vergleichsweise geringen, von keiner Zentralgewalt regulierten und kontrollierten deutschen Taxzahlungen dafür auch keine Notwendigkeit. Dies änderte sich erst in den 90er Jahren, doch nun beschloss die führende deutsche Bank der Augsburger Fugger, dieses Geschäftsfeld zu übernehmen. Bemerkenswert, dass sie dabei das Medici-System kopierte. Ziemlich genau 1495 strukturierte Jakob Fugger seine römische Bankfiliale für kuriale Finanzgeschäfte mit dem Deutschen Reich um, indem er mit dem aus Eichstätt stammenden, offenbar Ende der 70er Jahre nach Rom gekommenen Georg Schwab einen recht einflussreichen Kleriker der Supplikenregister für diese Dienstleistung gewann, der als Prokurator für deutsche Annaten-Obligationen bereits Erfahrung besaß.²¹ Viele, vornehmlich süddeutsche Annaten wanderten nun „per manus Fucheri“ bzw. „per manus Georgii Suab“ in die Kassen der Apostolischen Kammer. Die Fugger-Bank konnte freilich niemals die Medici-Bank aus dem wesentlich lukrativeren Frankreich-Geschäft verdrängen und scheint analog zu den italienischen Banken aufgrund fehlender Quantitäten keine Veranlassung gesehen zu haben, im deutschen Annaten- und Servitiengeschäft personell und logistisch zu expandieren. Dies war allerdings seit 1514 bei den gewinnbringenden Ablässen im Deutschen Reich angebracht. Bei dieser Form der Spiritualienfinanz erlangte die Fugger-Bank eine Monopolstellung, die sie nicht zuletzt durch ihre noch anzusprechende Beteiligung am Mainz-Magdeburger Ablass für Albrecht von Brandenburg ausbauen konnte.²² Der französisch-römische Taxtransfer muss allerdings so lukrativ und sicherlich auch politisch vorteilhaft gewesen sein, dass diese Dienstleistung durch die Medici-Bankiers nach 1500 geradezu perfektioniert wurde. (Allein für sie ist ein solcher Prozess bisher zu erschließen.) Möglich war dies allerdings nur, weil die Medici-Bank nicht (wie bisher angenommen) 1494/97 bankrottging. Dies ist kurz zu skizzieren. Lorenzo de’ Medici hatte schon während der Pazzi-Krise, das heißt in den Jahren nach dem April 1478, seine Bank neu und gewinnbringend aufgebaut, indem er vor allem in Florenz und Lyon zwei Tarnbanken errichtete, die er anonym über Strohmänner dominierte und die unter dem Namen seines Freundes Bartolomeo Bartolini
21 Vgl. G.-R. Te we s, Luthergegner der ersten Stunde. Motive und Verflechtungen, in: QFIAB 75 (1995), S. 256–365, hier S. 282–294, 307f. mit Anm. 128 (mit Quellen und Literatur). 22 Vgl. Te we s, Römische Kurie (wie Anm. 2), S. 298–301. In den zentralistischeren westeuropäischen Monarchien wie Frankreich, England und Spanien sind die großen Ablässe wie der bekannte für die Peterskirche stark reglementiert oder gar verboten worden.
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liefen, der zugleich zentrale Florentiner Institutionen wie z. B. die Zecca leitete und für den Medici kontrollierte – im Übrigen noch nach der im November 1494 erfolgten Exilierung der Medici. Zugleich band der Magnifico einige Monate vor seinem Tod (im April 1492) den eingangs bereits erwähnten Salviati-Freund Lanfredino Lanfredini an sein Haus und in sein Bankengeflecht ein. Dieser heiratete dann nach einer Tornaquinci in zweiter Ehe eine Tochter Bartolomeo Bartolinis, um das System auch familiär zu stabilisieren. Als 1497 mit Lorenzo Tornabuoni der de jure maßgebliche Leiter der bis dahin noch operierenden Florentiner Medici-Erben-Bank wegen seiner klandestinen Finanzoperationen für die als Staatsrebellen exilierten Söhne des Magnifico hingerichtet wurde, errichtete der Lanfredini in Florenz eine neue Bank unter eigenem Namen. Sein maßgeblicher Partner war nicht von ungefähr Giovanbattista Bracci, der von 1490 bis 1497 die Medici-Banken als Generalmanager und die Florentiner Medici-Bank als Teilhaber geleitet hatte und der zudem Schwager des bereits vorgestellten Leonardo di Zanobi Bartolini war. Die Lanfredini-Bank ist nicht nur deswegen als Nachfolger der Florentiner Medici-Bank anzusehen. Im Jahr 1500 erwarben Lanfredini, Bracci und die mit ihnen engstens kooperierenden Buonvisi aus Lucca die ebenfalls wegen illegaler Begünstigung der Medici inkriminierte Panciatichi-Bank in Rom, um aus ihr die Pandolfini-Bank zu errichten, deren nomineller Leiter Giovanni Pandolfini als verlängerter Arm Lanfredinis wirkte und zugleich die römische Bank der Buonvisi aus Lucca führte. In Lyon gründeten Lanfredini und Bracci als Mehrheitseigner zusammen mit Alamanno und Jacopo Salviati 1508 die bedeutende Salviati-Bank.²³ Wollte etwa ein südfranzösischer Pfarrer seine Pfarrkirche zugunsten einer bestimmten Person und gegen eine festgelegte Pension an der Kurie in die Hände des Papstes resignieren, so wandte er sich, wenn er einen raschen Erfolg innerhalb kurzer Zeit und transparente, kalkulierbare Kosten wünschte, im Jahr 1508 an Giannot Rigault aus Carcassonne, der mit der Lyoner Salviati-Bank einen Vertrag geschlossen hatte.²⁴ Dieser konnte seinen Auftrag aus seinem jeweiligen südfranzösischen Aufenthaltsort oder über die Lyoner Salviati-Bank nach Rom weiterleiten, doch musste er stets an die römische Pandolfini-Bank gerichtet sein, die ihn dann einem von ihr bestellten Sollizitator bzw. Prokurator übergab, der die Expedition der Bulle oder Bullen durch die notwendigen Ämter besorgte und für die dabei anfallenden Taxen in Vorleistung trat. Der Prokurator hieß in der Regel Francesco Attavanti, ein Sohn des bereits von Lorenzo de’ Medici in Rom für diese Funktionen etablierten Domenico Attavanti; in allen wichtigen Ämtern hatte er Freunde aus dem Medici-Kreis. Für jede hundert Dukaten, die man für Rigault in Rom zahlen musste, hatte dieser in Lyon 118 scudi d’oro sowie jeweils einen Dukaten Porto pro Bulle in Lyon an die Salviati-Bank zu begleichen. Rigault hatte sich ferner an die mitgelieferten Konten
23 Hierzu ausführlich: Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8). 24 Vgl. ebd., S. 755–757.
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der einzelnen Bullenspeditionen, denen die Gebührenangabe des jeweiligen Sollizitators beigefügt war, zu halten, während die Salviati-Gesellschaft ihm jeweils die Kopie dieser Abrechnungen senden musste. Bezahlen brauchte Rigault erst zu den einzelnen Messeterminen. Die beiden Bullen für die Resignation der Pfarrkirche und die Pension waren in rekordverdächtiger Zeit bereits drei Wochen nach Auftragsvergabe schon am 11. September 1508 in Lyon zum Preis von 45 ½ Dukaten eingetroffen. Giovanni Pandolfini bediente sich für solche und ähnliche Kuriengeschäfte oft auch der bzw. seiner Buonvisi-Gesellschaft in Rom; bei schwierigen Fällen konnte er sich überdies der Hilfe des mächtigen Datars Lorenzo Pucci oder des Leonardo di Zanobi Bartolini sicher sein. Dieser glatte, unkomplizierte und frustrationsfreie Zugang zu den römischen Gnadenquellen wird in partibus Zufriedenheit und eine durchweg positive Sicht auf kuriale Prozeduren bewirkt haben – gerade weil der Kunde nicht mehr persönlich mit ihnen konfrontiert wurde und etwaige Probleme dank mächtiger Intervenienten schnell gelöst werden konnten. Romkritik und negative Bilder bzw. Diskurse werden der Nachwelt damit kaum vermittelt worden sein – wohl aber bei denjenigen, die nicht zu solchen Begünstigten gehörten, die ihre Wünsche nur gegen Widerstände oder gar nicht durchsetzen konnten. Das obige Beispiel wurde nicht nur zur Illustration der perfektionierten Dienstleistung gewählt, welche diese und vermutlich auch andere Banken für finanzrelevante Kurienangelegenheiten entwickelten und anboten, sondern weil die deutsche Welser-Handelsgesellschaft gerade zu diesen Mediceer-Banken eine bisher unbekannte und bemerkenswerte Geschäftsfreundschaft aufbauen konnte, die in den Jahren von Luthers Romreise einen ersten Höhepunkt erreichte. Die Welser, nach den Fuggern bekanntlich die wichtigste deutsche Handelsgesellschaft, hatten schon in den 90er Jahren in Lyon eine enge Kooperation mit den dortigen Medici-Bankiers aufgebaut, die in den folgenden Jahren intensiviert wurde und sowohl Finanz- als auch Warengeschäfte umfasste. Als paradigmatisch dürfte die Entscheidung Anton Welsers des Älteren anzusehen sein, seinen jüngeren Sohn Johann 1509 zur kaufmännischen Ausbildung in die Florentiner Lanfredini-Bank zu geben.²⁵ Dank der familiären und finanziellen Verflechtung zwischen Lanfredini und den Bartolini sind noch heute zahlreiche Briefe der Welser und ihrer Faktoreien im Bartolini-Archiv erhalten, so auch sechs, die zwischen April 1509 und Januar 1510 aus der römischen Faktorei der Gesellschaft von Anton Welser und Konrad Vöhlin an die Lanfredini-Gesellschaft in Florenz geschickt wurden. Von genuin geistlichen Materien ist in diesen Briefen nicht die Rede, immerhin aber von einer Kooperation bei der Finanzierung der päpstlichen Truppen, die in der Romagna auf Seiten der Liga von Cambrai am Feldzug gegen Venedig teilnahmen. Hier hatten die Welser direkten, aber offenbar auch problematischen Kontakt mit dem Thesaurar der Apostolischen Kammer. Ansonsten
25 Vgl. ebd., S. 600–666.
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überwiegen die üblichen Finanz- bzw. Wechselbriefgeschäfte und gemeinsame Warengeschäfte, die in einem eng verwobenen europäischen Verbund ihrer Faktoreien bzw. Gesellschaften betrieben wurden.²⁶ Schon Heinrich Lutz hat in seiner Biographie über Konrad Peutinger, den Schwiegersohn Anton Welsers, darauf hingewiesen, dass die Welser-Vöhlin-Gesellschaft sich gerade nach ihrer Neukonstituierung 1508 bemüht habe, „sich in die von den Fuggern damals nahezu monopolisierten Geldüberweisungen aus Mittel-, Nord- und Osteuropa an die Apostolische Kammer einzuschalten“.²⁷ Größeren Erfolg erzielten sie bezeichnenderweise erst ab 1513 unter dem ersten Medici-Papst. 1508 hatten sich die Welser bemüht, die Servitienzahlung des neugewählten Mainzer Erzbischofs Uriel von Gemmingen und weitere seiner Geschäfte in Rom mit 20.000 Dukaten finanzieren zu können, wobei sie der Kurienkritiker Peutinger unterstützte. Mit diesem gewichtigen Zahlungsvorgang wollten die Welser erstmals in die Domäne, das Revier der Fugger eindringen. Man darf annehmen, dass sie sich dabei der Unterstützung ihrer Mediceer-Freunde sicher sein konnten und diese auch nutzen wollten. Der erhoffte Erfolg blieb freilich aus, da ihr Konkurrent ihnen schon in Deutschland den Auftrag abjagte. Die Fugger erhielten ihn, offenbar weil sie durch ihren Einfluss auf Kaiser Maximilian I., ihren großen Schuldner, Vorteile für den Mainzer erwirken konnten.²⁸ Maximilian sorgte dann Ende 1510 seinerseits dafür, dass den Welsern ein lukratives Wechselgeschäft über 40.000 Dukaten verboten wurde, mit denen Papst Julius II. nun die Schweizer für sein mit Venedig geschlossenes Bündnis gegen Frankreich gewinnen wollte.²⁹ Über den Kurialen Christoph Welser gelang es der Gesellschaft nur vereinzelt, den Fuggern Benefiziengeschäfte abzunehmen.³⁰ Immerhin konnten sie im August 1516 einen Teil der durch Giovanni Arcimboldi im Deutschen Reich für den Ausbau der Peterskirche eingesammelten Ablassgelder nach Rom überweisen, an fuggersche Quantitäten jedoch nicht heranreichen.³¹ Neben dem umfangreichen Ablass, mit dem Leo X. Arcimboldi seit 1514 vor allem im Nordwesten des Reichs, in Frankreich und
26 ASB, Lettere, mazzo III b i s, 28. 4. 1509, 12. 5. 1509, 26. 5. 1509, 10. 11. 1509, 24. 11. 1509, 19. 1. 1510. Der Warenhandel, vor allem mit Zucker, Pfeffer, Heringen und Leder, erfolgte überaus freundschaftlich, vertrauensvoll und mit gegenseitiger Hilfe in einem engen Verbund zwischen den Welser-Faktoreien in Lyon, Mailand und Venedig und der Augsburger Zentrale sowie der Salviati- und Bartolini-Gesellschaft in Lyon, der Pandolfini-Gesellschaft in Rom und natürlich der Lanfredini-Gesellschaft in Florenz. 27 H. Lu t z, Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie, Augsburg 1958 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 9), S. 99. 28 Ebd., S. 100; vgl. A. S c h u lte, Die Fugger in Rom 1495–1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, Bd. 1: Darstellung, Bd. 2: Urkunden, Leipzig 1904, hier Bd. 1, S. 37, 97– 99. 29 Lu t z, Peutinger (wie Anm. 27), S. 100f. 30 Ebd., S. 101; S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 28), Bd. 1, S. 28f., Anm. 2, S. 37. 31 S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 28), Bd. 2, Nr. 96f. S. 154f.
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Nordeuropa betraut hatte, gab es bekanntlich seit 1514/15 den berüchtigten MainzMagdeburger Ablass für Albrecht von Brandenburg, mit dessen Hilfe dieser innerhalb von acht Jahren die Hälfte der gewaltigen Kompositionssumme eintreiben durfte, die er für die Kumulation der Erzdiözesen Mainz und Magdeburg und des Bistums Halberstadt zu begleichen hatte, während die andere Hälfte wiederum dem Bau von St. Peter zufließen sollte. Finanzier Albrechts waren erneut die Fugger, die auch hier ihre finanziellen Interessen zu wahren wussten. Die neben den Servitien für Mainz zu bezahlende Kompositionssumme von 10.000 Kammerdukaten erhielt der Papst, Leo X. Verantwortlich für die Höhe und die Komposition als solche, da wegen der Kumulation ein Dispens notwendig war, aber war die Datarie, insbesondere der frühere Datar Lorenzo Pucci.³² All dies ist seit Schulte bestens bekannt. Wegen der ebenso bekannten Wirkungen und historiographischen Diskurse, die jener aus der Komposition resultierende Ablass erzeugte, soll allerdings doch noch einmal auf die besondere Konstellation hingewiesen werden, die sich ergibt, wenn man die Banken noch stärker in diese Thematik einbindet. Hinter dem Brandenburger standen auch in Rom die Fugger, die zudem seine Gläubiger waren.³³ Diese Partei hatte nun mit einer Medici-Kurie und einem Mann wie Pucci zu verhandeln, der nicht nur einer der engsten Freunde der Medici war, sondern der offenbar auch aus jedem seiner Kurienämter persönlich den höchsten Profit zu ziehen trachtete, der in zahlreichen weltlichen Finanzgeschäften engagiert und überdies offenkundig stiller Teilhaber der mediceischen Bini-Bank in Rom war. Ein lobenswerter Ratschlag Puccis an seinen Verwandten und Geschäftspartner Lanfredino Lanfredini lautete: Spekuliere niemals mit Geld, das gegen Zins geliehen wurde! Eine analoge Klage von 1504: Sein neues Amt als Kammerkleriker bringe zwar etwas Reputation, doch raube es ihm viel Zeit, da er sich die Rechtssachen der Kaufleute und der Apostolischen Kammer anhören müsse und ihm dies keinen Verdienst bringe!³⁴ Lorenzo Pucci erscheint gleichsam als Personifikation der Synthese eines mächtigen Kuriengeistlichen und eines gewinnorientierten weltlichen Privatbankiers der Kurie. Man könnte ihn als Personifikation der Fiskalisierung der Kurie betrachten. So eng diese Mediceer-Gruppe mit den Welsern verbunden und befreundet war, so vehement setzte sie sich deswegen von den Fuggern als deren Konkurrenten ab. Als exemplarisch möge das Zeugnis von Jacopo Salviati gelten, der die enormen Kosten der Krönungsfeiern Leos X. explizit deshalb mit einer Obligation über den Betrag von 10.000 Dukaten unterstützte, damit hier nicht die Bank der Fugger Gläubiger der
32 Ebd., Bd. 1, S. 97–141; Te we s, Datarie (wie Anm. 9), S. 174f. 33 Vgl. S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 28), Bd. 1, S. 127, vgl. auch S. 123. 34 Belege in Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 831–835.
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Medici-Kurie werden konnte.³⁵ Leo X. hatte den Fuggern vertragswidrig Anfang 1515 aus einer analogen Abgrenzung die päpstliche Münze entzogen.³⁶ Deshalb erscheint es nur konsequent, wenn der Mediceer-Bankier Bernardo Bracci, ein Verwandter, wenn nicht gar Sohn des ehemaligen Generalmanagers Giovanbattista Bracci und ein wichtiger Bankier für Lucrezia de’ Medici und ihren Mann Jacopo Salviati, während des Sacco di Roma sein Lösegeld von fast 8.000 Dukaten, das gleich zwölf Soldaten für sein Leben und die Freilassung von ihm verlangten, nicht von der Fugger-, sondern von der Welser-Bank erhielt.³⁷ Auf der Grundlage auch vieler weiterer Quellen darf man daher also die Hypothese wagen, dass die Verhandlungen einer in Rom durch die Welser getragenen brandenburgischen Gesandtschaft mit Lorenzo Pucci und Kardinal Giulio de’ Medici anders, erheblich konzilianter verlaufen wären, dass die Kompositionssumme deutlich niedriger und damit auch der Ablass in bescheidenerem Rahmen verfügt worden wäre. An Luthers Kritik am Ablass und der Kurie hätte eine solche Variante der Geschichte natürlich nichts geändert; vielleicht hätte sie aber zu einigen Akzentverschiebungen in den folgenden Kontroversen geführt. Resümierend lässt sich hervorheben, dass die an der Kurie und in einem Verbund mit der Kurie tätigen Banken um 1500 offenkundig ein immer stärkeres Gewicht bei den Kurienfinanzen gewannen. Guidi Bruscoli hatte in seiner Studie über den Kurienbankier Benvenuto Olivieri denn auch betont, dass die Apostolische Kammer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr denn je auf private Bankiers setzte und von ihnen abhängig wurde, da sie sich gezwungen sah, neue Einkommensquellen zu finden.³⁸ Allerdings sorgten diese Bankiers nicht allein für Kredite, sondern sie verbesserten kraft ihrer Organisation und ihres Einflusses auch die Effizienz des päpstlichen Benefiziengeschäfts, wie am Beispiel der entsprechenden Dienstleistungen der mediceischen Salviati- und Pandolfini-Bank zu erkennen war. Auch dadurch wurden sie für die Kurie und die Apostolische Kammer zu einem Teil des Systems und immer unentbehrlicher. Allerdings ist dieser Prozess noch nicht erschöpfend und komparativ erforscht worden. Auf diese Weise konnten die Banken in zunehmender Weise zudem filternd und fokussierend die Wahrnehmung Roms und der Kurie prägen: in positiver Weise dort, wo man von ihnen profitierte, in negativer dort, wo die Banken ihre Aufträge nicht oder nur unzureichend erfüllen konnten oder wo man gar vollends von ihren Leis-
35 BNCF, Ms. II. V. 22, c. 10 (21. 4. 1513, Jacopo Salviati aus Rom an Lanfredino Lanfredini: „piuché se fussi stato el bancho de’ Fucheri, et una della cause che m’ha fatto restare qua [a Roma] è per dare riscontro a questi creditori et liberare anchora me“). 36 S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 28), Bd. 1, S. 207f. 37 Ebd., S. 238; zu Bernardo Bracci vgl. auch Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 1008 (Literatur). 38 G u i d i B r u s co l i, Papal Banking (wie Anm. 15), S. XVI.
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tungen ausgeschlossen blieb bzw. sie nicht suchte und deshalb benachteiligt blieb. Auch diese Realität wird zu dem Urteil Jacopo Salviatis beigetragen haben. Sein Verdikt über den berechnenden funktionalistischen Utilitarismus, der an der Kurie herrsche, erscheint mir allerdings weniger wegen seiner Zustandsbeschreibung bemerkenswert, sondern wegen der damit verbundenen Erwartungshaltung. Dass die Kurie der Renaissance von Regeln der Politik und Finanzwelt bestimmt wurde, ist ernüchternd, aber kaum erstaunlich. Dass aber ein Bankier und Politiker wie Salviati, der fast zwanzig Jahre mit größter macht- und finanzpolitischer Kunstfertigkeit im Hexenkessel der Medici-Feinde in Florenz überlebt hatte, in Rom erwartete, hier würde der Mensch – um mit Kant zu sprechen – mehr als Zweck an sich, weniger als Mittel zum Zweck behandelt, hier sollte in stärkerem Maße eine christliche Menschenwürde praktiziert werden, das ist für mich die eigentliche Überraschung. Dieses Urteil könnte durch ein Bekenntnis zu Savonarola und dessen Lehren bestimmt gewesen sein – und damit gäbe es dann doch gewisse Bezüge zu Martin Luther.³⁹ Selbst für einen Jacopo Salviati (doch Gleichgesinnte wären unschwer zu finden – bis hin zu einem Adrian von Utrecht bzw. Papst Hadrian VI.) herrschten somit im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts an der römischen Kurie Auswüchse, die nicht zuletzt durch die zunehmende Fiskalisierung der Kurie gefördert wurden. Für ein distanziertkritisches Auge waren sie zu erkennen – vermutlich nicht nur bei Kennern der Kurie; wer freilich nur die zu kumulierenden Ablassjahre der zahllosen römischen Heiltümer zählte und sammelte, wird dieses Phänomens wohl kaum gewahr geworden sein.
39 Es gab unter den Florentiner Mediceern eine recht große Gruppe, die als Anhänger des Dominikaners Girolamo Savonarola zu erkennen ist. Zu ihr gehörten nachweislich u. a. Lanfredino Lanfredini, Filippo und Giuliano da Gagliano, Niccolò Michelozzi, Marco (Marcuccio) Salviati sowie Jacopo und Alamanno Salviati, während ein Leonardo di Zanobi Bartolini offenbar nicht mit Savonarolas Ideen sympathisierte; vgl. Te we s, Kampf um Florenz (wie Anm. 8), S. 807–817, 970.
Nelson H. Minnich
Luther, Cajetan, and Pastor Aeternus (1516) of Lateran V on Conciliar Authority The Fifth Lateran Council (1512–1517) came to play an important role in the evolution of Martin Luther’s thinking on „sola scriptura“. He did not focus initially on the council’s decree on preaching („Supernae maiestatis praesidio“) that required the interpretation of Scripture „in accordance with the exposition, interpretation, and commentaries that the church or long use has approved and has accepted for teaching until now“.¹ Rather Luther’s attention was drawn to the decree „Pastor Aeternus“ by Cardinal Tommaso de Vio OP (Cajetan, 1469–1534) at their fateful meeting in the Fugger residence in Augsburg on 12–14 October 1518. According to Luther’s account of the meeting on 12 October, the Dominican claimed that this decree had abrogated the Council of Basel, an assertion that shocked the Augustinian friar. If one council can overturn another, then the Christian believer cannot put trust in the decrees of councils, Luther concluded. Only Scripture is a safe guide. If de Vio did make that claim for „Pastor Aeternus“, was it an accurate reading of the decree? Luther’s knowledge of the Fifth Lateran Council came in bits and pieces.² At the time of his trip from Erfurt to Rome and back again (from November of 1510 to March of 1511) he was probably aware of the efforts of dissident cardinals to convoke a council.³ He may have already formed a favorable impression of the Pisan cardinals,
1 Decrees of the Ecumenical Councils, ed. by G. A l b e r igo et al., ed. and trans. by N. Ta n n e r, 2 vols., Washington DC 1990, here vol. 1, pp. 636, 639f. 2 The chief studies on this topic are C. S t a nge, Luther und das fünfte Laterankonzil, in: Zeitschrift für systematische Theologie 6 (1928), pp. 339–444 (devoted almost exclusively to Luther’s criticisms of the council’s decree on the immortality of the soul); i d ., Luther und das Konzil zu Pisa von 1511, in: Zeitschrift für systematische Theologie 10 (1933), pp. 681–710; C. Te c k l e n b u rg Jo h n s, Luthers Konzilsidee in ihrer historischen Bedingheit und ihrem reformatorischen Neuansatz, Berlin 1966; J. H e a d l e y, Luther and the Fifth Lateran Council, in: Archiv für Reformationsgeschichte 64 (1973), pp. 55–78. He a d l e y, Luther (see before), no. 71 pp. 74f., surmises that it was not until 1531 that Luther gave clear evidence of having read one of its decrees, and by then he may have glanced at a copy of the conciliar acta edited by Antonio del Monte (c. 1462–1533) and published in 1520 by Jacobus Mazochius. Several months after his encounter with Cajetan that helped to shape his negative view of Lateran V, Luther was also attacking the council’s decree on the immortality of the human soul. By the winter of 1520 he claimed that the council was considered by most of the world to be a mockery. By the beginning of 1521 he dismissed the council as a small assembly of men that made its decisions based on human statutes and dreams, not on God’s Word. Eventually he came to see Lateran V as the most shameful of all councils, a mockery and disgrace, which spent its time on ceremonies instead of church reform. He a d l e y, Luther (see note 2), pp. 66–68. 3 The issue of conciliar authority over a pope who was harming the Church was much in the air. On DOI 10.1515/9783110316117-012
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later claiming they were motivated by the desire to reform the Church and were personally most learned and holy men.⁴ When the dissident cardinals backed by emperor Maximilian I Habsburg (1459– 1519, HRE 1493–1519) and Louis XII Valois (1462–1515, king of France 1498–1515) finally convoked their council on 16 May 1511 to meet later that year in Pisa, they appealed to the decree of the Council of Konstanz requiring the convening of a council every ten years. At its third session on 12 November 1511 the Pisan Council declared that it had authority directly from Christ, as stated in the decree „Haec sancta“ of the fifth session of the Council of Konstanz. Even the pope is obliged to obey the Pisan Council.⁵ In his bull convoking the rival Lateran Council, Julius II (1443–1513, pope 1503–1513) did not address directly the issue of the authority of the decrees of Konstanz and Basel. He seems to have accepted the authority of the Council of
28 September 1510 the clergy of France meeting in a council at Tours called for a free council in accord with the decrees of the Council of Basel, should pope Julius II not change his ways. On 5 December five cardinals, who had distanced themselves from Julius II but had failed to get Florentine support for a council to be held in that city, took refuge in Milan, where they continued making plans for a council. Emperor Maximilian I on 16 January 1511 formally commissioned a procurator to ask the pope to convoke a council. At that time Julius II was personally directing the siege of the snow-bound fortress at Mirandola that was breached by his cannons on January 20th. The victorious pope initially rejected the imperial request. In the entourage of the papal curia waiting in Bolgona, Giovanni Godazzini, referendarius and cleric of the apostolic camera, was writing a treatise, „De Romani Pontificis electione … et concilii potestate“ in which he advocated conciliar supremacy. As Luther passed through Milan, the war-torn northern areas of Italy, and Florence on his way to Rome, he probably heard rumors of an impending conciliar challenge to the authority of Julius II. On Luther’s trip to Rome, cf. M. B r e c h t, Martin Luther. His Road to Reformation, 1483–1521, trans. J. L. S c h a a f, Philadelphia 1985, pp. 99– 104; H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, ed. by Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), pp. 1–157. On the decree of the council of Tours, cf. Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, 60 vols., ed. by G. D. M a n s i et al., Paris 1898–1927 (= Mansi), here vol. 32, cols. 555A–557C. On events in northern Italy, cf. A. L a n d i, Concilio e papato nel Rinascimento (1449–1516). Un problema irrisolto, Torino 1997 (Studi storici), pp. 224–234. On Gozzadini, cf. H. Je d i n, Nochmals der Konziliarist Gozzadini, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 61 (1966), pp. 88–93, here p. 89f. 4 D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), here vol. 1, p. 573,12: „infelix eventus eorum doctissimorum et sanctissimorum virorum, qui sub Julio II. studuerunt reformare ecclesiam, instituto ad hanc necessitatem concilio“. Notable among the conciliar fathers for learning was its cardinal-president Bernardino López de Carvajal (cf. Francesco G u i cc i a rd i n i, Storia d’Italia, ed. by C. P a n ig a d a, Bari 1929, here vol. 3, p. 49: „cardinale chiaro per nobilità per lettere e per costumi“ [Libro IX, cap. X]) and for holiness was François d’Estaing, bishop of Rodez (cf. C. B e l m o n, Le bienheureue François d’Estaing, èvêque de Rodez, Albi 1924). 5 Promotiones & progressus sacrosancti pisani concilii moderni indicti & incohati anno domini 1511, ed. by Z. Fe r re r i, Paris 1511, fol. 24r.
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Konstanz that issued the decree „Frequens“. He claimed that his failure to convoke a council earlier in accord with this decree and with his own election capitulary was not due to negligence on his part, but to legitimate impediments caused by the difficulties of the times. While not questioning the validity of the decree „Frequens“ in its origins, he implied that its non-observance for eighty years has lessened its binding force. The cardinals’ right to convoke a council on their own was, however, contrary to church law and tradition which gave to the pope alone this right.⁶ Julius II invited the rulers of Christendom to send delegations to his council and to propose material for its agenda. Fernando of Aragon (1452–1516, king 1479–1516) in early 1512 urged that the legacy of confusion caused by the decrees of Konstanz and Basel and the opposition to them by Popes Martin V (1368–1431, pope 1417–1431) and Eugenius IV (1383–1447, pope 1431–1447) be resolved. Theologians and canonists over the centuries have defended papal supremacy, and the more recent ones have attacked the decrees „Haec sancta“ and „Sacrosancta“, which hold that a general council is over a pope in matters related to faith, unity, and reform. Let the Lateran Council revoke these decrees. In their place, let the council declare that the vicar of Christ is over a council except in two cases: papal heresy (canon „Si papa“, D. XL, c. 6) and the disputed election of two or more popes – not on other issues. The decree „Frequens“ should be renewed, calling for a council to be held every ten or fifteen years.⁷
6 M a n s i 32, cols. 683E–684A. 7 J. M. D o u s s i n agu e, Fernando el Católico y el Cisma de Pisa, Madrid 1946, p. 539, Apendice 50: „y porque sola la obediençia del Papa Ioannes XXIII hizo aquellos decretos de Constançia y no fueron reçebidos por los prelados de la obediencia del Papa Gregorio y del Papa Benedicto que entonçes eran, ni despues fueron reçebidos ni aprovados por el Papa Martino V° que fue elegido en concordia en el mesmo conçilio de Constançia antes fueron ympunados por el en vna bulla de la reprovaçion de los errores de Joannes Hus, entre los quales pone este error ser dañado que Sant Pedro no fue ni es cabeça de la yglesia universal; yten otro segundo error, que el Papa canonicamente elegido su propio nombre expresso no sea sucessor de Sant Pedro ni tenga la auctoridad suprema en la yglesia de Dios, y en esta ynpunaçion calladamente paresçe que no aprueva el Martino aquellos decretos asy generalmente hechos, antes los reprueva y quanto al conçilio de Basilea aquel non se ha de tener porque fue hecho despues que el Papa Eugenio IIII° lo mando deshazer y por el mismo Eugenio ni por sus suçessores nunca fue aprovado y porque asi mesmo estos decretos fueron hechos con pasyon y contra determinaçion de muchos decretos antiguos y opiniones de muchos dotores asy canonicos como theologos a los quales muchos de los modernos han seguido, en especial Alberto Magno [OP], Santo Thomas [de Aquino, OP], Alexander de Ales [OFM], Pedro de Tarantasia [Pierre de Tarentaise, OP] que fue el Papa Inoçençio quinto y Sant Buenaventura Cardenal [Giovanni di Fidanza, OFM], Ricardo de Altavilla [Middleton, OFM] y Pedro de Palude [Pierre de la Palu, OP] y Agustino de Ancona [Trionfo, OESA] y Enrico [probably Hervaeus Natalis, OP] y Alexandro de Alpidio [Alessandro di San Elpidio, OESA] y el cardenal de Sant Sixto [Juan de Torquemada, OP] y Aluaro [Alvaro Pélayo] en vn tratado que hizo ‚De planctu ecclesie‘, Hostiense [Enrico de Segusio / Susa], Joan Andres [Giovanni d’Andrea], Pedro de Monte obispo brixiense, gran canonista en vn tratado que hizo ‚De potestate Pape et Conciliis‘, el Antonio [Antonino Peruzzi, OP] arçobispo de Florençia, Cataldino [di Boncompagni], el Brabaçio [Andrea Barbazza] y el
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In his conciliar decrees summoning the defenders of the Pragmatic Sanction of Bourges to come to the Lateran Council and explain why it should not be abrogated, Julius II did not attack the authority of the Council of Basel, whose decrees it implemented. He acknowledged that the decrees of legitimate councils should be observed inviolably, but he added that when they led to abuses the pope could intervene and abrogate them; the Pragmatic Sanction of Bourges, by detracting from the liberty and authority of the Roman pontiff, had introduced abuses and should thus be abrogated.⁸ Julius II entrusted to a commission of cardinals and prelates the task of how to deal with the issue of the Pragmatic Sanction of Bourges, a legacy of the Council of Basel. While the names of the members of the Julian commission are not given, it is said to have held various sessions in the aula concilii in the Lateran Basilica where reports were discussed.⁹ When Leo X became pope, he assigned to the deputation on faith the issue of the Pragmatic Sanction, thus perhaps implying that it was an issue involving doctrine and not just discipline.¹⁰ Leo X determined for the most part the composition of the deputation.¹¹ Of its twenty members, a number had special competence to deal with the issue of the
Alexandrino cardenal [Giovanni Antonio di San Giorgio] y otros muchos doctores, y porque si esto no se remediase continamente podria haver semejante çisma en la yglesia de Dios y porque cessen todas las disputaçiones y opiniones que desta materia cada dia nasçen, proporneys ante Su Santidad en el conçilio que aquellos dos decretos se revoquen expressamente y se haga nuevo decreto que declare que el Papa es sobre el conçilio excepto en caso de la eregia como dize el canon Si Papa XL. dis. y en el caso que dos o tres son elegidos en çisma por Sumos Pontifiçes que solo en estos dos casos el Conçilio pueda conosçer y sea juez de la causa del Papa y no en mas“. The arguments against „Haec sancta“ and the councils of Konstanz and Basel in this royal instruction seem to depend heavily on the positions of the Spanish cardinal Juan de Torquemada (1388–1468) in his „Summa de ecclesia“ – cf. for example, his liber II, caput XCIII „Quod romanus pontifex extra casum haresis non habeat iudicem superiorem in terris“ (Sigs. [s vi r–viii r]) and cap. C „In quo respondet objectionibus adversariorum sumptis ex decretis concilii Basiliensis“ (Sig. [t v v– vii r]), citing Summe [sic] de ecclesia domini Joannes [sic] de Turrecremata cardinalis sancti Sixti vulgo nuncupati repertorium seu tabula alphabetica, Lyon 1496, on Sig. [s viii r a], where he lists most of these same theologians and canonists. 8 M a n s i 32, cols. 750D–751B. The first two decrees of the Council of Basel received by the Pragmatic Sanction of Bourges (7. 7. 1438) were Basel’s reiteration in its first session of the decree „Frequens“ and in its second session of the decree „Haec sancta“ of the Council of Konstanz – cf. L. G. de Vi l e v au l t / L. G. O.-F. d e B ré q u ig ny (Eds.), Ordonnances des rois de France de la troisième race, recueillies par ordre chronologique, tome 13, Paris 1782, pp. 270f. The Pragmatic Sanction did not include the later decree „Sacrosancta“ defining conciliar supremacy as an article of faith. 9 M a n s i 32, cols. 751C–D, 753A, 773A, 815D. 10 Ibid., col. 797B: „Deputatio super materia pragmatica et rebus fidem tangentibus“. 11 Ibid., cols. 797B–D. Leo X appointed eight cardinals to it: Domenico Grimani, Jaime Serra, Robert de Guibe, Sisto della Rovere, Pietro Accolti, Achille de Grassi, Bandinello Sauli, and Alfonso Petrucci. He selected from the group of twenty-four prelates elected by their colleagues eight to sit on this commission: Bernardo Zane, Rainaldo Graziano OFM, Bartolomeo Soncia OP, Juraj Dragovic OFM, Gerolamo
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Sanction. Cardinal de Robert de Guibe (1460–1513) was French, cardinals Pietro Accolti (1455–1532) and Achille de Grassi (1456–1523) were leading canonists, and the Franciscan Antonio Trombetta (1436–1517) and the Dominican de Vio were noted theologians who had written on the topic of papal authority over councils. Rome was home to many private and mendicant libraries that could have been consulted by members of the deputation. But the most important collection of books and manuscripts was the Vatican Library, and its surviving registers reveal that certain members of the deputation had sought to familiarize themselves with the issue of conciliar authority. Chief among these was Cardinal Pietro Accolti, an earlier member of the conciliar preparatory commission and of the nine-cardinal commission consulted on conciliar ceremonies, and a close adviser of Leo X.¹² He borrowed between 1511 and 1516 numerous works on previous church councils (such as Chalcedon, Constantinople, Lateran, Konstanz, and Basel) and treatises on papal and conciliar powers by theologians such as Agostino Trionfo da Ancona and Juan de Torquemada.¹³ Accolti enjoyed a reputation for being balanced and objective, for issuing relatively mild judgments. He was intimately involved in the negotiations over the Concordat of Bologna and presided over the general congregation that approved the Concordat and the revocation of the Pragmatic Sanction.¹⁴ Another member of the Leonine deputation, the Franciscan minister general, Bernardino da Chieri, a master of theology and former papal penitenziere, borrowed in the name of Cardinal Marco Vigerio two volumes containing the Councils of Konstanz and Basel on 18 Novem-
Piccolomini, Antonio Trombetta OFM, Giovanni Antonio Scotti, and Giovanni Francesco della Rovere. The pope also added Johannes Staphyleus, Alexios Celadoni, Tommaso de Vio OP, and Bernardino Prati da Chieri di Riva OFM. 12 On Accolti, cf. B. U l i a n i c h, Accolti, Pietro, in: Dizionario Biografico degli Italiani (= DBI) 1 (1960), pp. 106–110, here pp. 106f. Accolti was a canonist. Although appointed to the deputation on faith, he was not among the three cardinals who had the final say on matters of faith (Bernardino de Carvajal, Domenico Grimani, and Niccolò Fieschi), but was among the two who dealt with matters of reform (Lorenzo Pucci and Accolti) – cf. Firenze, Archivio di Stato, Dieci di Balià, Carteggi Responsive, no. 118, fol. 317r. 13 M. B e r tò l a, I due primi registri di prestito della Biblioteca Apostolica Vaticana. Codici Vaticani Latini 3964, 3966. Pubblicati in fototipia e in trascrizione con note e indici, Città del Vaticano 1942 (Codici e Vaticanis selecti 27), pp. 51–53, 110, 113. The Vatican Library contained at least four relevant treatises of Torquemada: „De potestate ecclesiastica“, „De potestate papae“, „Summa de ecclesia“, and „Super decreto unionis graecorum“ – ibid., p. 146. Accolti borrowed a treatise on „De potestate ecclesiastica“ (apparently of Juan Torquemada); a treatise of Juan Torquemada (probably his „De potestate papae et generalium conciliorum“); the treatise of Agostino Trionfo da Ancona entitled „De potestate papae“; a book on certain privileges; two books on the matter of councils; a book on a council by Isidore; volumes containing the „Gesta et acta concilii Calcedonensis“, the sixth, seventh, and eighth councils of Constantinople, and the Lateran council (649) held under Martin I; and multiple manuscripts containing the councils of Konstanz and Basel (one apparently entitled „Decreta et gesta Basiliensis concilii“). 14 U l i a n i c h, Accolti (see note 12), pp. 106f.; M a n s i 32, cols. 936A–B; J. T h o m a s, Le concordat de 1516. Ses origines, son histoire au XVIe siècle, 3 vols., Paris 1910, here vol. 1, p. 433.
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ber 1511 and the Acta of the Council of Konstanz on 1 June 1512.¹⁵ Tommaso de Vio, master general of the Order of Preachers and eminent Thomist, sent his socius on 15 November 1512 to borrow a volume containing the Concilium Calcedonense.¹⁶ Two members of the Leonine deputation dealing with the Pragmatic Sanction wrote at the time of the Lateran V on the topic of conciliar authority. In 1512 Antonio Trombetta, OFM, former professor of Scotist theology at the University of Padua, penned a treatise „De auctoritate papae et Concilii“. The Franciscan began with the assertion that the pope has the plentitude of power and hence is superior to every council, the one exception being should he fall into heresy, in which case a heretical pope ceases to be pope.¹⁷ He provided contradictory arguments regarding the validity of the decree „Haec sancta“ of the Council of Konstanz. He claimed that it was valid for the situation in which it was framed, namely, a schism with three rival popes, but did not apply to normal situations. But he also repeated the arguments of Juan Torquemada, OP (1388–1468), and Tommaso de Vio, OP, against its having any validity at all, namely, that it was approved by only one obedience, that of the Pisan pope John XXIII (c. 1370–1419, pope 1410–1415), and was never confirmed by the new pope Martin V.¹⁸ Trombetta also asserted that Eugenius IV’s bull „Dudum sacrum“, which had revoked his closure of the Council of Basel, was a mere prudential act. It was aimed at preventing greater evils, while the pope prepared a new council to meet in Italy. It had approved only the generic goals of the council such as ending the Hussite heresy but did not extend to approving individual decrees of which he had no knowledge since he was in Italy.¹⁹ Tommaso de Vio had written extensively on issues of conciliar authority at the time of the Lateran Council: e. g., „De comparatione autoritatis Papae et Concilii“ (12. 10. 1511), „Apologia de comparata autoritate Papae et Concilii“ (29. 11. 1512), his sermon at the second session of the Lateran Council (17. 5. 1512), and his commentary on „quaestio I, articulus X“ of the „Secunda Secundae Summae Theologiae Sancti Thomae Aquinatis“ (26. 2. 1517).²⁰ His views reflected the papal ecclesiology of
15 B e r tò l a, I due primi registri (see note 13), pp. 52, 54. 16 Ibid., p. 119. 17 F. To d e s c a n, Fermenti gallicani e dottrine anti-conciliariste al Lateranense V. Un capitulo della teologia politica del secolo XVI, in: L. Lo m b a rd i Va l l au r i / G. D i l c h e r (Eds.), Cristianesimo secolarizzazione e diritto moderno, Milan 1981 (Per la storia del pensiero giuridico moderno 11–12), pp. 567 –609, here pp. 584f., 595, 598. 18 Ibid., pp. 581, 586, 587, 601. 19 Ibid., pp. 601f. 20 On the first two works, cf. To m m a s o d e Vi o, De comparatione auctoritatis papae et concilii cum apologia eiusdem tractatus, ed. by V. M. J. Po l l e t, Roma 1936 (Scripta theologica 1); his sermon is found in M a n s i 32, cols. 719D–727B, and the missing section at 726B8 is reprinted in N. H. M i n n i c h, Concepts of Reform Proposed at the Fifth Lateran Council, in: Archivum Historiae Pontificiae 7 (1969), pp. 163–251, reprinted with new appendices in i d ., The Fifth Lateran Council (1512–17). Studies on Its
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Aquinas and the arguments of Juan de Torquemada against the Councils of Konstanz and Basel. With Aquinas he held that a council cannot act apart from its head, the pope. De Vio added three exceptions: unless the pope was incapacitated, he was guilty of heresy, or there was doubt regarding who was the true pope.²¹ Following Torquemada on Konstanz, de Vio claimed that it was valid only after the three obediences had adhered to it and the personal presidency of Martin V, elected by the council, authorized it as a universal council. The decree „Haec sancta“ was issued by only one obedience after its head, John XXIII, had fled. Martin V never confirmed it. He accepted decrees related only to faith, not „Haec sancta“ that treated discipline.²² It may have some validity in the case of uncertainty as to who is pope but not when his identity is clear. When approving the condemnations of the views of John Wycliffe (c. 1329–1384) and Jan Hus (c. 1370–1415) attacking the authority of the pope, Martin V implicitly taught papal supremacy.²³ De Vio also followed Torquemada’s views on Basel. He noted that Eugenius IV had approved its inception and continuation, but never approved its decrees on conciliar superiority of the second and seventeenth sessions. Indeed, in the Council of Florence, he immediately defined that the Roman pontiff is the head, pastor, teacher, and rector of the universal Church.²⁴ As Torquemada pointed out in his treatise „Summa de ecclesia“ (1453), the Council of Basel was flawed in many ways. Its decisions lacked
Membership, Diplomacy, and Proposals for Reform, Aldershot 1993 (Variorum Collected Studies Series 392), article 4, here Appendix 3, pp. 239–241; his commentary is found in Sancti T h o m a e Aquinatis doctoris angelici Opera omnia jussu impensaque Leonis XIII P. M. edita, Tomus Octavus: Secunda secundae Summae Theologiae a quaestione I ad quaestionem LVI … cum commentariis Thomae de Vio Caietani Ordinis Praedicatorum, Roma 1895, pp. 24f. 21 J. H. B u r n s / T. M. I z b i c k i (Eds.), Conciliarism and Papalism, Cambridge 1997 (Cambridge Texts in the History of Political Thought), pp. xvii-xx. For a recent study of Thomas’s teachings on papal authority, see U. Ho r s t, The Dominicans and the Pope. Papal Teaching Authority in the Medieval and Early Modern Thomist Tradition, trans. by J. D. M i x s o n, Notre Dame 2006 (The Conway Lectrues in Medieval Studies, 2002), pp. 8–21 – Thomas never mentioned the possibility of the pope falling into heresy. 22 Cajetan held that Martin V confirmed the conciliar decrees against the heresies of Wyclif, Hus, and Jerome of Prague, but not the decree „Haec sancta“, which was not properly debated by learned men before promulgation. Cf. M. C a n o, ‚De locis theologicis‘ in his ‚Opera‘, Cologne 1605, Lib. V, cap. VI [Postremum], ad argumentum 8, pp. 294f. 23 D e Vi o, De comparatione, ed. by Po l l e t (see note 20), Cap. VIII, nos. 97–116 pp. 54–61. Torquemada, „Summa de ecclesia“ (see note 7), lib. II, cap. XCIII: „Nono hec eadem sententia habetur ex diffinitione habita in concilio Constantiensi per omnes patres utriusque obedientie et confirmata per papam Martinum in qua ut habetur in epistola quam prefatus Martinus edidit habetur tanquam pro articulo fidei habendo quod papa canonice electus habeat supremam auctoritatem in ecclesia dei“. Sig. s [viib v– viii a r]. 24 D e Vi o, De comparatione, ed. by Po l l e t (see note 20), no. 116 p. 61. The Council of Basel at its second session (15. 2. 1432) interpreted „Haec sancta“ as applying to normal situations and not just to times of schism (Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r [see note 1], p. 457). At its third session (29. 4. 1432), it
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the unanimous consent of its members, of the presiding papal legates who refused to be present at the voting, and of the ambassadors of England and Castile who were known to be on the way. Many learned men were not given a hearing because the proponents of conciliar supremacy knew that what they themselves proposed was contrary to the teaching of the saints. Basel erred in claiming that the pope does not have the power to determine the time and location of a council, but is himself subject to a council. What was promulgated on this and other matters was done out of hatred for the Apostolic See and supported by a multitude of people lacking authority. Finally, the council exceeded its authority by proceeding against the single, true, and undoubted Roman pontiff, Eugenius IV, and by going all the way to the point of deposing him.²⁵ This action seriously impaired all of its authority. De Vio also listed the same theologians and canonists whom Torquemada cited as holding that only God and no man may judge a pope.²⁶ He noted that Torquemada reported that the Council of Basel repeatedly sought from Eugenius IV an approbation of its decrees, but failed to receive it.²⁷ In his sermon before the second session of the Lateran Council on the superiority of the pope to a council, de Vio indirectly addressed the question of the Council of Basel. He noted that the Council of Pisa I (1409) had tried to resolve the Great Western Schism, but with time its authority has vanished. The decree „Haec sancta“ of Konstanz has been hissed off the stage of history and will perish in our times if the council fathers act in a manly way. Eugenius IV repressed the novelty of Basel. Such actions are not without precedents. The wise and illustrious fathers of the Council
appealed to the decree (458) and at its eighteenth session (26. 6. 1434) it reissued the decree as „Sacrosancta“ (477). 25 D e Vi o, De comparatione, ed. by Po l l e t (see note 20), cap.VIII, nos. 117 and 118 pp. 61f.; cap. XI, no. 187 p. 90; for Torquemada’s arguments, cf. his „Summa de ecclesia“ (see note 7), liber II, cap. C, sigs. tv v – t[vii] r. 26 D e Vi o, De comparatione, ed. by Po l l e t (see note 20), cap. IX, no. 150 pp. 74f.; cap. XXII, no. 336 p. 147; cap. XXVI, no. 395 p. 171. 27 Ibid., cap. XII, no. 196 p. 95, citing Torquemada’s „Summa de ecclesia“ (see note 7), lib. II, cap. C: „Preterea quod dominus Eugenius approbando processum concilii non approbaverit decreta illius exinde manifeste colligitur quod licet Basilienses cum maximo studio repetitis vicibus supplicaverunt oraverunt et requisierunt per oratores suos ut dominus Eugenius eorum decreta approbaret et confirmaret nunquam tamen talem approbationem aut confirmationem habere ab eo potuerit“. Sig. [t vi, cols. a–b v]. The records of the Council of Basel, however, report that its ambassadors to Eugenius IV never asked him to approve its decrees, but to observe them in the Roman curia – cf. J. W. S t i e b e r, Pope Eugenius IV, the Council of Basel and the Secular and Ecclesiastical Authorities in the Empire. The Conflict over Supreme Authority and Power in the Church, Leiden 1978 (Studies in the History of Christian Thought 13), p. 24 no. 20, p. 161 no. 52. The claim of Torquemada and Cajetan that Basel sought the approbation of its decrees by Eugenius IV was not repeated by „Pastor Aeternus“, which asserted that Basel had failed to conform to the tradition of seeking papal approbation – see M a n s i 32, cols. 968B–C.
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of Chalcedon (451) rejected the Council of Ephesus II (449) and its leader Dioscorus who taught the Monophysite views of Eutyches and insulted Pope Leo I. In a similar way the Council of Constantinople VI (869–70) repudiated the decisions of the earlier Council of Constantinople (867) led by Photius that had deposed Pope Nicholas I. While de Vio urged the Lateran fathers to condemn the Council of Pisa II (1511–12), the same arguments could be used to justify the Lateran Council’s repudiation of Basel. Indeed, they reappeared in the Lateran bull „Pastor Aeternus“.²⁸ In his Commentary on Tommaso d’Aquino (1225–1274), de Vio returned to the question of „Haec sancta“. He argued that the pope differs from a prince in that papal power comes directly from Christ, Who told Peter to feed His sheep, while princely power is conferred on the ruler by the community. A council cannot limit the authority of a pope. Konstanz at the time it issued „Haec sancta“ represented only one obedience, not the universal Church, and its contested Pisan pope was absent. Its decree is not to be observed. Even when there was a new schism in the Church, as when Basel deposed Eugenius IV and Pisa II suspended Julius II, „Haec sancta“ had no effect. For truth requires all to submit to the Roman pontiff, who never submitted to these councils and was never abandoned by the Church. When Eugenius IV died, whom the Council of Basel had deposed and burnt in effigy, the Church did not recognize as pope Felix V, whom the Council of Basel had elected in his place. Rather the Church recognized Nicholas V, whom the Roman cardinals chose as the new pope, and thus acknowledged that a council is not superior to a pope and can do nothing against a certain and undoubted Catholic pope. Similarly the Council of Pisa II was not recognized by the Church at large, for all the prelates and princes of Christendom adhered to the Lateran Council. Even the former adherents of the Pisan Council publicly confessed that they had been schismatics and anathematized every act of the Pisan Council as lacking any authority or importance.²⁹ From these statements we can discern that de Vio gave limited, if any, authority to the Council of Basel. It was convoked and continued by a pope, but he eventually transferred it to Ferrara, and its decrees issued in Basel lacked papal confirmation; indeed, some were formally rejected. Based on the precedents of Chalcedon and Constantinople VI, the Lateran Council can nullify the decisions of Basel. Although not a member of the faith deputation, the distinguished canonist and bishop of Lucera, Domenico Jacobazzi (1444–1527), who attended all of the sessions of Lateran V, penned his classical treatise on council during this time. He claimed that the Council of Konstanz was legitimate from the start since there was no clear pope and power devolved onto the cardinals who backed the council. Konstanz had the authority to end the schism and depose the rival popes. When there are so many
28 D e Vi o, Concilar sermon, in: M i n n i c h, Concepts of Reform (see note 20), p. 241; M a n s i 32, cols. 725E, 967B–C, 967E–968B. 29 T h o m a e Aquinatis Opera (see note 20), Commentary on II–II, q. 1, art. 10, nos. III–IV, p. 25.
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claimants, it is as if the see were vacant. When there is no pope or when the pope is a heretic and does not wish to prevent imminent danger to the Church, then a council has power immediately from Christ. The decree „Haec sancta“ was valid only for the situation at the Council of Konstanz, for the ending of the schism, because there was not „one undoubted pope, but three, each of whom acted as if he were pope“. „Haec sancta“ was issued by only one obedience, and not by all three. Martin V and his successor refused to approve the decree, which was not materia fidei. The Council of Basel was legitimate from the start since authorized by the pope. When Eugenius IV dissolved it and transferred it to Ferrara, the remaining council in Basel became more a conciliabulum than a council. Its subsequent decrees had no validity for it was not a true council and did much presumptuously to disturb the peace of the Church.³⁰ In the final and tenth book of his treatise „De concilio“, Jacobazzi listed sixty-four arguments of the defenders of Basel’s decree on conciliar superiority and answered each in turn. It is remarkable that he never cited „Pastor Aeternus“ as evidence for his defense of papal superiority over councils, even though he was revising his treatise up to 1523. While Jacobazzi borrowed some of his arguments from Torquemada and de Vio, he also showed some independence from them and was less hostile to the Council of Basel, admitting that it was legitimate from its beginning up to its second dissolution by Eugenius IV.³¹ Jacobazzi’s views could have influenced Pietro Accolti (1455–1532), who was his colleague for many years on the Sacred Rota and ally on various issues.³² The abrogation of the Pragmatic Sanction of Bourges was something Leo X sought from the start in his negotiations with Francis I at Bologna. There is no mention in the accounts of the negotiations of the pope’s desire to abrogate the Council of Basel. The keys cardinals representing the pope in the subsequent negotiations over particulars were known for their diplomatic and legal, not theological, skills: Giulio dei Medici (1479–1534, pope Clement VII 1523–1534), Lorenzo Pucci (1458–1531), and
30 Dominicus Ja co b a z z i, De concilio, in: M a n s i, vol. 0: Introductio, cols. 117bA, 135bD, 137bB, 216bD, 217aB, 313bE, 536bC, 537aA; J. K l o t z n e r, Kardinal Dominikus Jacobazzi und sein Konzilswerk. Ein Beitrag zur Geschichte der konziliaren Idee, Roma 1948 (Analecta Gregoriana 45 / Series Facultatis Historiae Ecclesiasticae B,6), pp. 141, 165–167, 189, 345, 367. 31 R. B e c ke r, Jacovacci, Domenico, in: DBI 62 (2004), pp. 111–116, here p. 114; Ja c o b a z z i, De concilio (see note 30), col. 217aB (citing Torquemada’s arguments). At the eleventh session Jacobazzi made his approval of the Concordat dependent on the French acceptance of the revocation of the Pragmatic Sanction. Although the Concordat reiterated many provisions of the Sanction, it differed on other points and thus could give rise to controversy if the French did not accept the abrogation of the Sanction. Cf. M a n s i 32, cols. 964E–965A: „qui dixit quod placebant sibi contenta in bulla, dummodo Galli acceptent bullam revocationis pragmaticae sanctionis“. 32 K l o t z n e r, Jacobazzi (see note 30), pp. 27, 33, 42, 45.
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Pietro Accolti.³³ They kept their attention on an abrogation of the Pragmatic Sanction of Bourges. There is no record of their urging an abolition of the Council of Basel. While it is not clear who authored the decree „Pastor Aeternus“ (1516) of the eleventh session of the Lateran Council, its teachings reflect in many ways those of Trombetta and de Vio, key members of the deputation on faith responsible for drafting the decree. The decree did not go so far, however, as to condemn the whole Council of Basel. The eminent canonist and cardinal, Pietro Accolti, who had diligently studied the acta of Konstanz and Basel, probably also had a central role in the decree’s formulation and may have tempered the theologians’ extreme hostility toward Basel. In order to abrogate the Pragmatic Sanction of Bourges (1438), „Pastor Aeternus“ sought to undermine the authority of the post-transfer remnant of the Council of Basel that underpinned some of its provisions. „Pastor Aeternus“ attacked the Sanction for breaking the sacred nerve of obedience to ecclesiastical discipline by preventing the pope from conferring benefices in France on cardinals and other curial officials who serve the Church. The Sanction is thus a corruption. It is also flawed because it was issued at a time of schism: the fathers gathered illegally in Basel had published its contents. Their assembly no longer deserved to be called a council, for Eugenius IV had earlier transferred it to Ferrara, and thus the publication was by a ‚quasi-council‘ or conciliabulum or conventicle.³⁴ Leo I at the Council of Chalcedon through his legates and by his letter revoked what was done in the Council of Ephesus II contrary to justice and the Catholic faith. So now too Leo X, who seeks to follow in the footsteps of his illustrious predecessor, revokes the evil Sanction which the Council of Basel backed. The support of the fathers at Basel for the Sanction does not affect Leo X’s decision, for especially [praesertim] after the council had been transferred by Eugenius IV, the actions of those who remained in Basel do not deserve to be called conciliar and have no force. Their action violated the principle that when there is only one Roman pontiff existing at a time, he is the one having authority over all councils and has the full right and power to summon, transfer, and dissolve councils. This principle is taught by the witness of Sacred Scripture, the teachings of the holy fathers, the statements of former Roman pontiffs, the decrees of the sacred canons, and the decisions of these same councils. A whole series of historical precedents were
33 T h o m a s, Le concordat de 1516 (see note 14), vol. 1, pp. 329, 433. 34 Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), pp. 641f.; M a n s i 32, col. 792B. Many of the provisions of the Pragmatic Sanction were based on the decrees of the twentieth and twenty-third sessions that pre-date the council’s transfer. At a general congregation on 17 October 1439, with the agreement of three or four of the deputations, the Pragmatic Sanction of Bourges was formally approved by the Council of Basel. Cf. Concilium Basiliense. Studien und Quellen zur Geschichte des Concils von Basel 6: Die Concordate des Zwölferausschusses 1437. Die Concilsprotokolle Jacob Hüg l i n s, ed. by G. B e c k m a n n, Basel 1926, p. 643,25–29. Earlier on 12 January 1439 the ambassadors of the King of France had petitioned this approval – ibid., pp. 301f. I am grateful to Professor Joachim Stieber for this reference.
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cited to prove this teaching. Among these was the supposed transfer of the Council of Ephesus II (449) to Chalcedon (451) by Leo I and the transfer of the Council of Pavia (1423) to Siena by the legates of Martin V without the council’s consent. The decree also argued that earlier councils acknowledged that they should not be celebrated apart from the authority of the Roman pontiff and should follow his instructions and commands. Conciliar fathers usually sought the approbation of their decrees by the Roman pontiff. Such was done at the Council of Konstanz and many of the recent troubles would have been avoided had the fathers assembled in Bourges and Basel followed this laudable custom. Leo X therefore declared with the fullness of apostolic power and consent of the Lateran Council that the Pragmatic Sanction of Bourges and its approbations however issued have been and are of no force or value. It is voided, abrogated, quashed, annulled, and condemned. As evidence of papal authority to do this, Leo X renewed and approved with the consent of the Lateran Council the constitution „Unam Sanctam“ (1302) of Boniface VIII (c. 1235–1303, pope 1284–1303) which teaches that subjection to the pope is necessary for the salvation of all Christ’s faithful.³⁵ The decree „Pastor Aeternus“ is noteworthy for a number of reasons. It did not explicitly rescind or abrogate the decree „Haec sancta“ of Konstanz, despite the urgings of Fernando of Aragon.³⁶ Instead, it clarified the wording of „Haec sancta“ by limiting its applicability to situations where there is not a single and undoubted Roman pontiff. „Pastor Aeternus“ did not abrogate the whole Council of Basel, but only the Pragmatic Sanction of Bourges which applied in France most of the earlier reform decrees of Basel. „Pastor Aeternus“ did not state that these decrees were abrogated everywhere. Indeed, many of these same decrees were incorporated into the papally approved concordats with the German Nation (1448) and with France (1515/16). Nor did „Pastor Aeternus“ address explicitly the authority of the other actions taken by the Council of Basel, although it suggested by the use of the word „praesertim“ that some of those taken before the transfer may also be open to question.³⁷
35 Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), pp. 642–644; M a n s i 32, cols. 967B–969A. The claims that Ephesus II was transferred to Chalcedon and Pavia to Siena without conciliar consent lack historical foundation. On Ephesus II, cf. Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), no. 6 p. 642; and on Pavia-Siena, cf. W. B r a n d m ü l l e r, Das Konzil von Pavia-Siena 1423–1424, vol. 2: Quellen, Münster 1974, pp. 35f., 51. 36 F. O a k l e y, The Conciliarist Tradition. Constitutionalism in the Catholic Church 1300–1870, Oxford 2003, pp. 56f., 115, 214 note 126. 37 Bishop Bernal Diaz de Lugo of Calhorra argued at the general congregation of the Council of Trent on 19 November 1546 that Eugenius IV acknowledged the legitimacy of the Council of Basel in his bull „Dudum sacrum“ of 15 December 1433 and that Leo X approved this council prior to its transfer in his bull „Pastor Aeternus“ – cf. Concilium Tridentinum, ed. by Görres-Gesellschaft, 13 vols., Freiburg 1901 –2000, here vol. 5, p. 653,16–18.
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„Pastor Aeternus“’s cleverly implied assertions that the decrees of the Council of Basel lacked papal approval do not conform to the historical record.³⁸ While Eugenius IV was hostile to the Council of Basel, he confirmed its decrees on at least three occasions. By his bull „Dudum sacrum“ of 15 December 1433, he recognized the council as legitimate up until that time. The bull was incorporated into the council’s acta at its sixteenth session on 5 February 1434.³⁹ By a declaration in the letter „Cum charissimus“ of 22 July 1446 to his legates, Eugenius IV recognized Basel as a legitimate council in its first twenty-five sessions, up to 7 May 1437. He also authorized his legates to confirm and approve those conciliar decrees which were accepted by the German Nation. Among those decrees were some promulgated at the thirty-first session on 24 January 1438, after the council’s transfer to Ferrara.⁴⁰ By his bull „Ad tranquillitatem“ of 5 February 1447, Eugenius IV consented to each and every one of the twenty-six reform decrees of the Council of Basel that the German Nation had earlier received intact or with minor modifications. While the pope hoped to secure further revisions of the decrees or else recompense for revenue lost to the Holy See because of these decrees, he nonetheless held that they should be considered ratified and be enforced inviolably until modified by negotiations.⁴¹ When Agostino
38 Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), 642,12–19, 643,18. This claim seems to repeat that made by Torquemada („De ecclesia“, liber II, cap. C, sig. t [vi r–v]) and repeated by Ferdinando of Aragon (Doussinague, „El cisma“, 539) and by Cajetan (d e Vi o, „De comparatione“ (see note 20), cap. XII, no. 196 p. 95). 39 Eugenius IV, „Dudum Sacrum“, printed in M a n s i 29, cols. 78C–79D, esp. 78E: „decernimus et declaramus, praefatum Generale Concilium Basileense a tempore praedictae inchoationis suae legitime continuatum fuisse et esse, prosecutionemque semper habuisse, continuari, ac prosecutionem habere debere ad praedicta et pertinentia ad ea, perinde ac si nulla dissolutio facta fuisset. Quinimmo praefatam dissolutionem irritam et inanem de consilio et assensu simili declarantes, ipsum sacrum Generale Concilium Basileense pure, simpliciter et cum effectu ac omni devotione et favore prosequimur et prosequi intendimus“ and 79B: „quidquid per nos aut nostro nomine in praejudicium aut derogationem praedicti sacri concilii Basileensis, seu contra ejus auctoritatem factum et attentatum seu assertum est, cassamus, revocamus, irritamus et annullamus, nullas et irritas fuisse et esse declaramus“. Also reprinted as „De consilio“ in Annales ecclesiastici, compiled by C. B a r o n i o / O. R i n a l d i / G. L a d e rc h i, and ed. by A. T h e i n e r, 37 vols., Barri-Ducis 1864–1883, here vol. 28 (1874), pp. 158f., at p. 159, ad annum 1434, no. 1; Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), p. 476. 40 Eugenius IV, „Cum charissimus“, in: Annales ecclesiastici, ed. by T h e i n e r (see note 39), vol. 28 (1874), pp. 460f., ad annum 1446, no. 3: „Basileense ab ejus initio usque ad translationem per nos factam, absque tamen praejudicio juris, dignitatis et praeeminentiae sanctae Sedis Apostolicae, ac potestatis sibi et in eadem canonice sedenti in persona B. Petri a Christo concessae, cum omni reverentia et devotione, suscipimus, amplectimur et veneramus“ [p. 461]. And „quatenus de dictis decretis vos informantes, eadem cum deputatione exsecutorum in natione Germanica, ut opus fuerit, nostro et Apostolicae Sedis nomine confirmetis, ratificetis, et approbetis, proviso tamen ante omnia, quod in recompensam gravaminum, quae ex aliquibus ex his decretis nobis et Apostolicae Sedi inferuntur, debita fiat per nationem ipsam ac ejus praelatos nobis et ipsi Apostolicae Sedi provisio“ [p. 461]. 41 Raccolta di Concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le Autorità Civili, ed. by A. M e rc a t i, Roma 1919, pp. 169f., here p. 169: „Super aliis autem decretis Basilee editis, et per clare
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Favaroni, OESA (1360–1443), appealed to Eugenius IV from the condemnation of the twenty-second session on 15 October 1435 of his treatise on the unity of Christ and His Church, the pope agreed to hear his case in order to demonstrate his superiority to a council. The conclusion of the trial, however, apparently confirmed the council’s decision, for Favaroni was not acquitted and soon resigned as archbishop of Nazareth.⁴² Eugenius IV’s successor, Nicholas V (1397–1455, pope 1447–1455), by his bull „Ut pacis qua nihil“ of 18 June 1449 approved the acts and deeds of Basel that were related to specific appointments to ecclesiastical benefices and to absolutions from excommunications, interdicts, and censures.⁴³ It is not true that the actions and decrees of the Council of Basel were never approved by the papacy. Despite its innuendoes, the Lateran decree „Pastor Aeternus“ did not embrace the extreme positions of Torquemada, reiterated by his disciples de Vio and Trombetta, that questioned the legitimacy of all the decrees of Basel. To what extent Luther and his German compatriots had knowledge of the contents of „Pastor Aeternus“ prior to the publication of the official acta of the council in 1520 is unclear. The bull was printed probably in Rome soon after the eleventh session as „Bulla Leonis.X. Pon. Max. approbata in Lateraneñ. Concilio revocationis et abrogationis Pragmatice Sanctiõis“ (no place or date given). That a copy made its way to the University of Wittenberg is doubtful.⁴⁴ Luther nonetheless had some knowledge about „Pastor Aeternus“. He was aware of the formal appeal against it made by the University of Paris on 27 March 1517. According to Luther’s account of his meeting with the cardinal legate at the Diet of Augsburg in October 1518, de Vio urged Luther to accept as his guide for interpreting Sacred Scripture the teachings of the holy fathers and popes. Should Luther pertinaciously refuse to do so, he would become a heretic. De Vio is said to have stated that the power of the pope is above the Scriptures and councils, offering as proof of this the bull „Pastor Aeternus“ by which Leo X abrogated the Council of Basel at the urgings of the Dominicans. De Vio boasted that he and his fellow Dominicans had obtained the condemnation of the council of Basel.⁴⁵ It should be noted that the Dominicans were hostile to
memorie quondam Albertum Romanorum Regem acceptatis, ex quorum observantia natio ipsa alamanica ex pluribus gravaminibus dicitur relevari, contenti sumus, volumus et decernimus, quod omnia et singula, vigore decretorum hujusmodi, cum suis modificationibus acceptatorum, per eos qui illa acceptaverunt, vel acceptantibus in natione prefata adheserunt, usque in presentem diem quomodolibet gesta vel acta sunt, cum omnibus inde secutis, rata, firma et inviolabilia persistant, nec imposterum a quoquam quavis auctoritate cassari, vel annullari, aut in irritum quovis modo valeant revocari“. 42 D. G i o n t a, Favaroni, Agostino (Agostino da Roma), in: DBI 45 (1995), pp. 447–451, here p. 450. 43 M a n s i 29, cols. 228A–234D. 44 He a d l e y, Luther (see note 2), pp. 56–60. 45 Brief 110, Luther to the Elector Friedrich, from Wittenberg, 21(?).11.1518. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930–1985 (= WA.B),
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Basel not only because of its teachings on conciliar superiority, but also because it had approved the doctrine of the Immaculate Conception of Mary, a teaching the Dominicans vigorously opposed.⁴⁶ If this account of their exchange is accurate, de Vio claimed more for the bull „Pastor Aeternus“ than what was in it. It abrogated only the Pragmatic Sanction of Bourges, not the Council of Basel. While it denounced the proceedings at Basel after its transfer, it did not condemn the whole council. The bull did imply that one council could nullify the decisions of another by its citing of the actions of Chalcedon and Constantinople VI. But it never explicitly abrogated Basel. Luther reported that he was shocked by the assertion that one council could overturn another. The basis for his supposed surprise is unclear, for he claimed that he argued against Cajetan’s assertion by citing the appeal of the University of Paris against „Pastor Aeternus“. While the Paris document did not question papal authority, it criticized Lateran V for abrogating the salutary statutes of Konstanz and Basel and for damning the Council of Basel that had issued the decree on the Immaculate Conception of Mary.⁴⁷ Luther did not explain how he used this Paris
here vol. 1, p. 240,171–173: „Nam omitto dicere, quod potestatem Papae et supra Scripturas et supra Concilia tollere conabatur, allegans, quomodo iam Papa concilium Basiliense abrogasset“. Cf. also the account dated 12. 10. 1518 in: Acta F. Martini Luther August. apud D. Legatū Apostolicū Augustae, Leipzig 1518: „Tunc cepit adversus me potestatem Papae commendare, quoniam supra Concilium, supra scripturam, supra omnia Ecclesiae sit, et ut id persuaderet, reprobationem et abrogationem Concilii Basiliensis recitavit, ac Gersonistas quoque una cum Gersone damnandos censuit. Haec cum erant nova in auribus meis, negavi contra, Papam supra Concilium, supra scripturam esse, Deinde et universitate Parrhisiensis appellationem commendavi, multaque confusa interlocutione de poenitentia, de gratia dei miscebamus“. WA 2, 8,10–16; reprinted in Causa Lutheri, ed. by P. Fa b i s c h / E. I s e r l o h, 2 vols., Münster 1988–1991 (Corpus Catholicorum, 41–42), Text 21, II, 91. Cf. also Brief 102, Luther to Spalatin, from Augsburg, soon after 14. 10. 1518, WA.B 1, p. 219,36–38: „Multi Pharaones in Praedicatoribus sunt, et praesertim isto Pontifice pontificante, a quo obtinuerunt concilium Basiliense damnari, de quo mihi gloriabatur Cardinalis ipse“. Pharaoh attempted to kill off the infant sons of the Israelites (Ex 1,16, 22). Cf. also S t a nge, Luther (see note 2), pp. 693–696. Cajetan held that „teaching authority ‚mainly‘ and ‚definitively‘ resides in the pope, such that he has the last word in matters of faith“ – cf. Ho r s t, Dominicans (see note 21), pp. 40. He did not claim that the pope was above Sacred Scripture. 46 De Vio in his treatise of 1515 rejected the decree of the thirty-sixth session of the Council of Basel supporting the immaculate conception of Mary because it was issued after Eugenius IV had transferred the council to Ferrara, and those who remained in Basel became a schismatic synagogue of Satan. De Vio held that it is more probable that Mary was stained by original sin, but that she was preserved from original sin was also a tolerable theological position. Let Leo X decide the question in the current Lateran Council. Cf. his „Tractatus de conceptione beatae Mariae virginis ad Leonem decimum“, caput V, in: Thomas d e Vi o, Opuscula omnia …, Lyon 1567, Tomus Secundus, Tractatus I, p. 141a, 28– 51, 141b,35–142a,3. 47 Fasciculus rerum expetendarum et fugiendarum, ed. by Ortwin G r a t i u s, Cologne 1535, reprinted in a revised edition by E. B u r n s, London 1690, 2 vols., here vol. 1, pp. 68–71, at p. 69f.: „Et praecipue
202 | Nelson H. Minnich
appeal. Did he point out that the Faculty, which functioned as part of the Church’s magisterium, never accepted or received the decree „Pastor Aeternus“? Luther went on to claim that if one council can overturn the decision of another, then one cannot trust the decrees of councils. He probably espoused the conciliarist position that the decrees of a general council do not need papal approbation and that a council cannot be transferred against its will by a pope.⁴⁸ His sense of what constituted the legislative legacy of Basel was probably shaped by the edition of its decrees edited by Sebastian Brant that was published in 1499 and republished in 1511 and 1512 by Zaccaria Ferreri. That edition contained the decrees issued after Eugenius IV had transferred the council to Ferrara.⁴⁹ Papalists such as de Vio made crucial distinctions. A conciliar decree related to faith and approved by the pope is indeed not subject to later nullification; councils not approved by the pope however can be overturned; and disciplinary decrees, even if approved by the pope, can be abrogated later if found abusive. In addition, once the Council of Basel had been transferred to Ferrara (by a decree of the minority backed by Eugenius IV on 7 May 1437), whatever those assembled in Basel subsequently enacted lacked authority. That the fathers in Basel felt the need to raise the provisions of „Haec sancta“ from a disciplinary to a doctrinal declaration is evident by their decree „Sacrosancta“ of the thirty-third session on 16 May 1439. It made three propositions into articles of faith: namely, the superiority of general councils over popes; the inability of popes to dissolve, prorogue, or transfer a council without its consent; and the obstinate denial of these truths as constituting
ante omnia, sacra Constantiense et Basiliense Concilia, quae successive ac legitime in spiritu sancto congregata, universalem ecclesiam representantia, quam plurima circa praemissa statuerunt, maxime circa status ecclesiastici, tam in capite quam in membris, reformationem … Et inter caetera perpendit ipsum sacrum Basiliense Concilium, qualiter per sanctos patres antiquos, sacri canones, salubriaque decreta pro felici regimine jam dicti status ecclesiastici, tam super electionibus, modisque, ministros ecclesiae assumendi et institutendi conditi fuerint … donec advenit Dominus Leo PP. X. qui, Romanis plus debito favens, in quodam coetu, in romana civitate, quae contra nos est, nescimus qualiter, non tamen in spiritu Domini congregato, cum quo nihil contra legem divinam et sacra concilia statui, decerni aut ordinari potest: Opera enim quae facio testimonia perhibent de me [Jn 5,36]; praemissa tam salutifera statuta abroganda esse, nescimus quo fretus consilio, censuit et contra fidem catholicam et auctoritatem sacrorum generalium conciliorum veniendo, sacrum Basiliense concilium damnavit: in quo inter caetera judicatum est gloriosam Virginem Mariam sine peccato originali fuisse conceptam; nec de illo habet Ecclesia aliam decisionem“. Also reprinted in T h o m a s, Le Concordat de 1516 (see note 14), vol. 3, pp. 430f., 434. 48 S t i e b e r, Eugenius IV (see note 27), p. 21 (conciliar decrees do not need papal approval), 343 (the German princes did not acknowledge Eugenius IV’s claim to be able to transfer the Council of Basel against its will and they refused to send representatives to his council in Ferrara and Florence). 49 N. H. M i n n i c h, The First Printed Editions of the Modern Councils. From Konstanz to Lateran V (1499–1526), in: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento / Jahrbuch des italienischdeutschen historischen Instituts in Trient 29 (2003), pp. 447–468, here p. 448f.
Luther, Cajetan, and Pastor Aeternus (1516) of Lateran V on Conciliar Authority
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heresy.⁵⁰ The Council of Florence, by its decree „Moyses vir Dei“ of 4 September 1439, condemned this decree of Basel because it gave to „Haec sancta“ an evil and mischievous meaning completely opposed to its true teaching and was promulgated after the pope had transferred the council.⁵¹ Lateran V’s „Pastor Aeternus“ provided from the papal perspective a proper interpretation of „Haec sancta“: it is a disciplinary decree valid only in situations where there is not one undoubted pope. The false claim that Lateran V had abrogated Konstanz and Basel returned at the Leipzig Disputation. Luther used it to question the authority of any council.⁵² He seems to have considered „Sacrosancta“ to be a valid decree, even though issued after the council’s transfer. In the dedicatory letter prefacing his treatise „On the Freedom of the Christian“, Luther warned Leo X that those err who exalt him above a council and the universal Church and ascribe to him alone the right to interpret Sacred Scripture.⁵³ In his „Letter to the Christian Nobility of the German Nation“, he attacked the claim that only the pope can call a council.⁵⁴ Luther’s concern was not
50 Decreta et acta concilii Basiliensis nuper impressa, ed. by Z. Fe r r e r i, Milan 29. 6. 1511, fol. xliiii r: „Veritas de potestate concilii generalis universalem ecclesiam representantis supra papam et quemlibet alterum declarata per Constantiense et hoc Basiliense generalia concilia est veritas fidei catholice. Veritas hec est quod papa concilium generale universalem ecclesiam representans actu legittime congregatum super declaratis in prefata veritate in aliquo eorum sine consensu nullatenus auctoritative potest dissolvere, aut ad aliud tempus prorogare, aut de loco ad locum transferre est veritas fidei catholice. Veritatibus duabus predictis pertinaciter repugnans est censendus hereticus“. 51 Decrees, ed. by A l b e r igo / Ta n n e r (see note 1), p. 530,3–5, 531,40 –532,15; F. O a k l e y, Conciliarism at Lateran V?, in: Church History 41 (1972), pp. 452–463, here pp. 459–463, also notes that „Pastor Aeternus“ did not explicitly rescind the decrees of Konstanz and Basel. 52 Brief Nr. 192, the answer of Luther and Karlstadt to the writing of Eck to Elector Friedrich, from Wittenberg, feast of St. Agapito, 18. 8. 1519, WA.B 1, p. 471,211–219: „Aber das hat man jetzt zu Rom in Concilio wider das Costnitzer Concilium determiniert, daß der Papst sei über das Concilium, darzu das Baseler Concilium abtan. Und gehn also die Concilia wider einander, und machen, so wir darauf bauen, daß wir zuletzt nit wissen, wo Papst, Concilium, Kirch, Christus oder wir darzu bleiben. Das muß dann alls der heilig Geist tan haben und ius divinum sein, daß wir ein Zeit ob einem Artikel Ketzer, die ander Zeit Christen sein mussen und wie sie es gutdünkt. Also gibt man uns ins Maul, daß wir, wir wollen oder wollen nit, sagen müssen: Das Concilium hat geirret“. And again „in hoc imitabor novissimum Romanum Concilium in quo Basiliense damnatum est et Constantiense quoque non parva suae autoritatis detrimenta, dum Papam supra Concilium esse sanxit, cuius contrarium in Constantiensi definitum est. Atque ita invicem sese reprobantia Concilia interim satis nos tutos reddunt et liberos ad contradicendum utriusque: quae enim sibi dissident, cui convenient?“ from Luther’s letter to Spalatin, 15. 8. 1519, WA 2, p. 400,3–8, reprinted in Causa Lutheri, ed. by Fa b i s c h / I s e r l o h (see note 45), Text 39, II, p. 279. And from „Von den guten Werken“ (1520): „Da sag ich neyn zu: dan wir haben vil Concilia gehabt, da solchs ist furgewant, nehmlich zu Costnitze, Basele und das letzt Romisch. Es ist aber nichts auszgericht und ymmer erger worden“. WA 4, p. 258,15–17. 53 WA 7, p. 10,8–10: „Sie yrrenn alle, die da sagen, Du seyest ubir das Concilium und gemeyne Christenheyt. Sie yrren, die dyr alleyn gewalt geben, die schrift ausszulegen“. 54 WA 6, p. 406,28f.: „Zum dritten, drewet man yhn mit einem Concilio, szo ertichten sie, es muge niemant ein Concilium beruffen, den der Papst“; ibid., pp. 413,1–414,18: „Der dritte maur fellet von ihr
204 | Nelson H. Minnich
primarily to defend conciliarism, but to affirm sola scriptura and the right of believers to interpret the Bible under the guidance of the Holy Spirit.⁵⁵ We may never know for sure precisely what de Vio and Luther said at their fateful encounter in Augsburg, for no notary was then present to record their exchange. In the heat of their debate did de Vio make exaggerated claims for the scope of „Pastor Aeternus“? Did he actually claim that it abrogated the Council of Basel and not just the Pragmatic Sanction of Bourges? His earlier writings, repeating the arguments of his fellow Dominican Torquemada, indicate that he felt the council’s decrees were illegitimate and should be abrogated. He also held that one council can in certain circumstances abrogate another. In his work on the commission that drafted the decree, he probably sought to insert into it wording that undermined as much as possible the authority of Basel. But the text of „Pastor Aeternus“ approved at Lateran V did not abrogate the Council of Basel. It did not even abrogate „Haec sancta“. It provided an official interpretation of that decree. „Haec sancta“ is a disciplinary decree applicable to situations where there is no one undoubted pope. While many theological, canonical, and historical arguments were brought forth to justify its assertion of papal superiority over councils, „Pastor Aeternus“ was not framed as teaching a Catholic truth that all must hold in order to be saved. A century later the Catholic theologians Roberto Bellarmino, SJ (1542–1621), Andre Duval (1564–1638), and Edmond Richer (1560–1631), who disagreed on other matters, all agreed on this point.⁵⁶ Had de Vio limited himself to what is actually stated in the decree, he may not have provoked Luther to reject at this point in his career the authority of church councils.
selbs … Sie haben auch keinen grund der schrift, das allein dem Papast gepur ein Concilium zuberuffen odder bestetigenn, dan allein yhre eygene gesetz, die nit weytter gelten … damit vorhyndert wurd die besserung der kirchen … des teuffels und Endchristes gewalt ists, die do weret was zur besserung dienet der christenheit, darumb yhr gar nit zufolgen, sondern widderstustehen ist mit leyp, gut und allem was wir vormugenn“. 55 Te c k l e n b u rg Jo h n s, Luthers Konzilsidee (see note 2), pp. 128–130. 56 R o b e r to B e l l a r m i n o, Quarta Controversia: De conciliis. Liber II, Caput XIII, in: Roberti B e l l a r m i n o Opera omnia. Ex editone veneta, ed. by J. Fè v r e, vol. 2, Paris 1870, p. 264B. For Edmond Richer’s views on „Pastor Aeternus“, cf. his „Historia conciliorum generalium“ (Cologne 1681), pars altera, pp. 14f., 18–29, esp. pp. 25–26. For Duval’s statement, cf. his „Tractatus de suprema Summi Pontificis Potestate“ (9. 12. 1613) reprinted in: Bibliotheca maxima pontificia, ed. by Juan Tomás R o c ab e r t i, Roma 1698, Vol. 3, pp. 408–465, here his „De suprema Romani Pontificis in Ecclesiam Potestate adversus Vigorium iurisconsultum“, Pars IV: „De conciliis eorumque cum pontifice comparatione: An concilia ecclesiae sunt absolute necessaria“, Quaesitio VII: „Utrum de fide sit, Concilium esse supra papam“, pp. 561–565, here p. 564.
Ludwig Schmugge
Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld Im Zusammenhang mit Streitigkeiten unter einigen Konventen der Augustinereremiten in der sächsisch-thüringischen Ordensprovinz wurde der Erfurter Magister Martin Luther nach Ansicht der älteren Forschung (vor allem auf Böhmer basierend) mit einem namentlich nicht bekannten Ordensbruder im November des Jahres 1510 oder (so jüngst Schneider) mit Johann von Mecheln im Herbst des Jahres 1511 an die Kurie nach Rom geschickt.¹ Die wenigen, viel später zu Papier gebrachten Bemerkungen des Reformators und anderer Zeitgenossen über seine Reise in das Zentrum ‚Babylons‘ und die in Italien und an der Kurie erhaltenen Eindrücke geben zur Identifikation möglicher Kontaktpersonen während des Romaufenthalts nicht viel her. Luther bezeichnet sich als frommen Pilger, der durch die Kirchen Roms gelaufen sei. Immerhin erwähnt er sehr positiv S. Maria dell’Anima, obwohl er an dem Platz nur die riesige Baustelle der heutigen Hallenkirche vorgefunden haben kann: „Zu Rom im Spital ist die deutsche Kirche, die ist die beste, hat ein deutschen Pfarherr“.² Papst und Kardinäle, so beklagt er dagegen, hätten wenig Verständnis für ihn gehabt. In diesem Beitrag werden die folgenden Fragen gestellt: Was wollte Martin Luther abgesehen vom Anliegen seines Ordens für sich selbst in Rom erreichen? Wen hat er dort getroffen? Mit wem hat er geredet? Bei welchen Ämtern hat er vorgesprochen? Hat er persönlich um Gnaden an der römischen Kurie nachgesucht? Der römische ‚Gnadenbrunnen‘ wurde von Luthers Zeitgenossen trotz der herrschenden kriegerischen Verhältnisse in Italien fleißig besucht, Bittsteller aller Stände, Männer und Frauen, Kleriker, Mönche und Laien brachten ihre Anliegen vor den Papst. Die päpstliche Kanzlei hat deren Bittschriften, sofern diese nicht nur als Pilger gekommen waren, in den Supplikenregistern gesammelt, allerdings sind sie für die Jahre 1510–1512 noch nicht erschlossen. Hingegen kennen wir Suppliken von über 30.000 Gläubigen aus allen Teilen der Christenheit, die in die Register der Pöniten-
1 H. B o e h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914; M. B re c h t, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation, Stuttgart 1981, S. 104f.; V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 2006, S. 57–61 mit der älteren Literatur (November 1510). Anders H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii. Der ‚Staupitzstreit‘ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507–1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 118 (2007), S. 1–44, hier S. 35–36, 39. Johann von Mecheln ist am 16. 9. 1511 noch in Wittenberg und am 25. 2. 1512 in Salzburg bezeugt. Erneut dazu H. S c h n e i d e r, Neue Quellen zum Konflikt in der deutschen Reformkongregation, in: Analecta Augustiniana 71 (2008), S. 9–37, hier S. 17f. Nach Schneider hat Luther Johann von Mecheln nur auf der Hinreise nach Rom begleitet und zurück einen anderen Weg genommen. 2 D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 47, S. 425,5f. DOI 10.1515/9783110316117-013
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tiarie, des päpstlichen Buß-, Beicht- und Gnadenamtes eingetragen und im RPG IX (Julius II.) ediert sind.³ Alle Petenten mussten bzw. wollten sich wegen eines Verstoßes gegen das kanonische Recht an den Heiligen Vater, den Inhaber der plenitudo potestatis, wenden. In der nach den Materien der Register geordneten Tabelle 1 (siehe S. 207) ist dargestellt, wie sich die 30.994 Bittsteller auf die europäischen Regionen verteilen. Die auf den ersten Blick imposante Zahl der von der Pönitentiarie im Namen des Rovere-Papstes erteilten Absolutionen, Dispensen, Lizenzen und Indulte gibt nicht einmal den ganzen Umfang aller Gnadengesuche wieder. Erstens wissen wir nicht, wie viele Bitten abgelehnt und daher nicht registriert worden sind. Zweitens weisen die Supplikenregister der Pönitentiarie große Lücken auf, es fehlen die Bittschriften des zweiten, dritten und sechsten Pontifikatsjahres, das heißt etwa ein Drittel des Bestandes. Drittens gibt es über die von den kurialen Minderpönitentiaren nach einer Beichte gewährten Absolutionen für in Rom anwesende Bittsteller keinerlei Aufzeichnungen, sieht man einmal von den äußerst seltenen litterae ecclesiae ab. Für die Zeit der Romreise Luthers können wir feststellen, wer mit Bitten an den Papst herangetreten ist. Das waren in den Jahren 1510 bis 1512 fast 15.000 Männer und Frauen (Band 55: 4.887, Band 56: 4.455, Band 57: 5.078).⁴ Martin Luther und sein Begleiter sind vermutlich per pedes apostolorum und teilweise auf der Via Francigena durch Mittelitalien gewandert. Ob sie den Papst überhaupt zu Gesicht bekommen haben, hängt vom Reisetermin ab. Mit Sicherheit war Julius II. im Winter 1510/1511 in Rom nicht anzutreffen, denn er hatte die Ewige Stadt am 17. August 1510 per Schiff via Ostia nach Civitavecchia segelnd verlassen, kam von dort auf dem Landweg über Orvieto, Assisi, Foligno, Tolentino und Loreto ziehend nach Ancona und reiste von dort, wieder per Schiff, nach Rimini. Am 22. September 1510 traf er in Bologna ein, wo er bis zum 14. Mai 1511 verweilte. Dann zog er wieder nach Rimini, hielt sich dort bis zum 3. Juni auf, war am 5. in Ancona, am 11. in Loreto, am 17. in Foligno, am 20. in Terni. Erst am 26. Juni 1511 zog er wieder in Rom ein.⁵ Dort blieb Julius II. dann bis zu seinem Tode. Der genaue Zeitpunkt von Luthers Romreise ist aber für die folgende Untersuchung nicht von primärer Wichtigkeit.
3 Repertorium Poenitentiarie Germanicum. Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches (= RPG), Bd. IX: Pius III. und Julius II. 1503–1513. Text und Indices bearb. von L. S c h m ugge, Berlin-Boston 2014. 4 Eine Übersicht über die Bestände unter Julius II. bei L. S c h m ugge, Kirche – Kinder – Karrieren, Zürich 1995, S. 481f. Die Statistik verdanke ich Kirsi Salonen, Turku. 5 Nach L. von P a s to r, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg 1 11956, hier Bd. 3,2, S. 783–810.
1.851
2.219
955
164
28
25
Frankreich
Iber. Halbinsel
Britische Inseln
Osteuropa
Nordeuropa
?
14.652
1.250
D. Reich
Total
8.160
Italien
Anz.
Territorium
100 %
0%
0%
1%
7%
15%
13%
9%
56 %
%
Dispensationes matrimoniales
Materie
7.652
46
37
194
214
2.426
1.665
819
2.251
Anz.
%
100 %
1%
0%
3%
3%
32 %
22 %
11 %
29 %
Diversis
5.641
10
6
90
106
2.833
750
386
1.460
Anz.
%
100 %
0%
0%
2%
2%
50 %
13 %
7%
26 %
Promotis
2830
1
15
24
265
923
415
834
353
Anz.
%
100%
0%
1%
1%
9%
33%
15%
29%
12%
Defectus natalium
219
3
0
2
8
55
67
33
51
Anz.
100%
1%
0%
1%
4%
25%
31%
15%
23%
%
Confessionalia
30.994
85
86
474
1.548
8.456
4.748
3.322
12.275
Anz.
0%
0%
2%
5%
27 %
15 %
11 %
40 %
%
100 %
Total
Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld
Tab. 1: Suppliken der Pönitentiarie im Pontifikat Julius’ II.
|
207
208 | Ludwig Schmugge
1 Luthers Plan einer Generalbeichte Im Zusammenhang mit seiner Romreise wird in der älteren Literatur vermutet, Luther habe in der Ewigen Stadt eine Generalbeichte abgelegt oder ablegen wollen.⁶ Das hätte in der apostolischen Pönitentiarie oder bei einem Priester seines Ordens geschehen können. Die Pönitentiarie wie auch die anderen Dikasterien der Kurie folgten dem Papst auf seiner Reise. Wenn Luther sich in den Wochen um die Jahreswende 1510/11⁷ in Italien aufgehalten haben sollte, hätte er die Pönitentiarie in Bologna angetroffen. In Rom waren nur einige Minderpönitentiare zurückgeblieben, um Pilgern die Beichte abzunehmen. So hätte Luther am Tiber durchaus ein paar päpstliche Beichtväter antreffen können, aber nicht den Papst. Wenn Luther, wie schon bei seinem Eintritt in den Erfurter Konvent Mitte August 1505,⁸ auch in Rom eine Generalbeichte abgelegt haben sollte, dann bei einem Ordensbruder oder einem Minderpönitentiar. Von dem Minderpönitentiar wäre darüber ein Dokument, eine Littera, ausgestellt worden. Fragen wir zuerst, bei welchem Minderpönitentiar in Rom 1510/11 oder 1511/12 Martin Luther die Generalbeichte abgelegt haben könnte. Die päpstlichen Beichtväter, jeweils zwölf an der Zahl in den drei Hauptbasiliken, zumeist einem Bettelorden angehörend, waren gebildete und sprachkundige Seelsorger. Es gab immer einen des Niederdeutschen und des Oberdeutschen mächtigen Pönitentiar an der Kurie. Dass diese Beichtväter „ungebildet und, wie er (Luther) meinte verständnislos“ (so Iserloh) gewesen sein sollen, dürfte kaum zutreffen.⁹ Der Senior unter den päpstlichen Pönitentiaren an St. Peter war ein Franzose, Franciscus Berthelay, decretorum doctor und seit 1499 Bischof von Milopotamos, der an der Kurie residierte.¹⁰ In dem uns interessierenden Zeitraum tritt er sehr häufig bei deutschen Supplikanten, die nach Rom gekommen waren, als Kommissar auf.¹¹ Berthelay ist bis zum 31. Oktober 1510
6 B re c h t, Luther (wie Anm. 1), S. 105–110; Le p p i n, Luther (wie Anm. 1), S. 57–61 mit der älteren Literatur. 7 B re c h t, Luther (wie Anm. 1), S. 106. 8 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 3, Nr. 3582 A; R. We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente im Zusammenhang mit Luthers Romreise, in: Antonianum 32 (1957), S. 147–202, hier S. 190 mit Anm. 1. 9 Nach E. I s e r l o h / J. G l a z i k / H. Je d i n, Reformation, katholische Reform und Gegenreformation, Freiburg 1967 (Handbuch der Kirchengeschichte 4), S. 21. 10 K. E u b e l (Hg.), Hierarchia catholica medii aevi, sive summorum pontificum, S. R. E. cardinalium ecclesiarum antistitum series. E documentis tabularii praesertim Vaticani, Bd. 2: Ab anno 1431 usque ad annum 1503 perducta, Regensberg 1901, S. 192. 11 Vgl. die Belege für die Pontifikate Alexanders VI. und Juliusʼ II. in RPG VIII: Alexander VI. 1484– 1492, Text bearb. von L. S c h m ugge unter Mitarb. von A. M o s c i a t t i; Indices bearb. von H. S c h n e i d e rS c h m ugge / L. S c h m ugge, 2 Bde., Berlin 2012, und RPG IX (wie Anm. 3) im Index s. v. „Signatare“ und „Kommissare“.
Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld
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in Rom nachweisbar, dann aber nach Bologna gereist. Bei ihm kann Luther 1510 eine Generalbeichte also nicht abgelegt haben, wohl aber in dem Zeitraum 1511/12. In den Jahren 1510 bis 1512 wird nur ein deutschsprachiger Minderpönitentiar in den Pönitentiariesuppliken erwähnt, der Dominikaner Jakob Nagel.¹² Kaplan der päpstlichen Beichtväter und zugleich Nachrücker als Minderpönitentiar (minor penitentiarius supranumerarius) war ein gewisser Petrus Pflueger, ebenfalls Dominikaner aus Frankfurt.¹³ Nagel, Pönitentiar an St. Peter (bis 1523), trat 1509 der Bruderschaft vom Campo Santo bei und blieb bis 1518 Mitglied. Ihm wurden zwischen April 1510 und Oktober 1512 mindestens zwanzig Suppliken deutscher Petenten kommissioniert, bei denen Fälle von Weiheproblemen,¹⁴ Totschlag in Notwehr,¹⁵ illegitimer Geburt,¹⁶ Priestermord,¹⁷ Streit um Schulden mit Todesfolge¹⁸ und ein Spiel mit tödlichem Ausgang¹⁹ zu beurteilen waren.²⁰ Da Luther des Lateinischen mächtig war, hätte er für die Beichte auch einen Ordensbruder unter den Minderpönitentiaren konsultiert haben können, den spanischen magister artium Petrus Calahorra. Das hätte aber im ersten Zeitraum nur in Bologna geschehen können, weil Petrus Calahorra von Oktober 1510 bis Mai 1511 nachweislich dort tätig war. Danach ist er wieder in Rom belegt. Auf jeden Fall hätte Luther nach erfolgter Beichte eine littera ecclesiae des betreffenden Minderpönitentiars erhalten. Wie die über eine Generalbeichte ausgestellte littera ecclesiae aussah, lässt sich an einem Beispiel zeigen. Da diese in Rom ausgestellten Dokumente nicht registriert
12 Unter Alexander VI. waren an der Kurie drei deutsche Pönitentiare tätig: Andreas Friesner, Andreas Oudorp und Johannes Mirle. Mirle dürfte allerdings um 1500 bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Er bat damals nämlich um Urlaub für drei Jahre: Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV), PA 43, fol. 212vs. Andreas Oudorp trat am 22. 5. 1498 in die Anima-Bruderschaft ein: Liber confraternitatis B. Marie de Anima Theutonicorum de Urbe, hg. von P. E g i d i, Roma 1914, S. 49. Alle befassten sich mit Petenten aus dem Reich. Friesner zum Beispiel absolvierte 1503 zwei Augsburger Laien vom Priestermord: ASV, PA 51, fol. 90rs, 185v (1503). Im selben Jahr trat er zusammen mit seinem Neffen Egidius der Bruderschaft vom Campo Santo bei, vgl. K. S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti de Urbe, Freiburg i. Br. 2002 (RQ. Supplementband 54), S. 179. 13 Dazu K. S c h u l z / C. S c h u c h a rd, Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance, Freiburg 2005 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 57), CU, Nr. 5, S. 235f. Petrus war auch Kaplan der Bruderschaft vom Campo Santo. 14 ASV, PA 55, fol. 155v. 15 Ebd., fol. 351v. 16 Ebd., fol. 810r. 17 ASV, PA 56, fol. 312rs. 18 Ebd., fol. 435rs. 19 Ebd., fol. 435vs. 20 S c h u l z, Confraternitas (wie Anm. 12), S. 210f., 248; F. Ta m b u r i n i / L. S c h m ugge (Hg.), Häresie und Luthertum, Paderborn 2000 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 19), Nr. 12, S. 62.
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wurden, besaßen sie nur eine minimale Überlieferungschance. Ein rares Exemplar findet sich im Stockholmer Reichsarchiv,²¹ ein anderes im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv.²² Die erste littera datiert vom 5. August 1449, ausgestellt durch den deutschen Minderpönitentiar Johannes Calp für einen Schweden, der dem Seelsorger seine Sünden gebeichtet hatte und darüber dieses Dokument als Beleg erhielt, in welchem aber der Charakter seiner Sünde nicht genannt wird. Nur durch ein entsprechendes Dokument könnte Luthers römische Generalbeichte sicher nachgewiesen werden.
Abb. 1: Littera ecclesiae vom 5. 8. 1449.
21 Das Dokument ist publiziert im Auctoritate Papae. The Church Province of Uppsala and the Apostolic Penitentiary 1410–1526, hg. von S. R i sb e rg, introduction by K. S a l o n e n, Stockholm 2008 (Diplomatarium Suecanum, Appendix. Acta Pontificum Suecica 2. Acta Poenitentiariae), Nr. 20 S. 165. 22 Ein weiteres Rarissimum vom Jahre 1446 ist jetzt publiziert im Turjaska knjiga listin II, Dokumenti 15. Stoletja, edd. M. B i z j a k / M. P re i n f a l k, Ljubljana 2009 (Thesaurus memoriae. Fontes 8), Nr. 237 S. 340f. Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Kollegen Herwig Weigl, IÖG Wien.
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2 Eine Supplik Luthers um Studienerlaubnis? In der älteren Literatur wird mit Verweis auf eine Herzog Georg von Sachsen zugeschriebene Bemerkung vom Jahre 1531 und die Hildesheimer Chronik des Johann Oldecop (mehr als 50 Jahre nach Luthers Romreise verfasst) die Hypothese aufgestellt, der Reformator habe die Absicht verfolgt „mit päpstlicher Erlaubnis den Ordenshabit abzulegen und sich zu Rom in weltlichen Kleidern für etwa zehn Jahre den humanistisch-religiösen Studien zu widmen“.²³ Oldecop will bei seinen Romaufenthalten (in den Jahren 1519 und 1523) sogar den Offizial (eher wohl den Prokurator) getroffen haben, der die Supplik für Luther aufgesetzt haben soll. Was lässt sich heute darüber in Erfahrung bringen? In den Jahren 1510/12 bemühten sich in Rom hunderte deutscher Petenten um die verschiedensten Gnaden. Im Prinzip waren am römischen Gnadenbrunnen alle Dispense, Lizenzen und Indulte zu erlangen, die nicht gegen das göttliche Gesetz verstießen. Im Folgenden seien einige Petenten vorgestellt, die sich zeitgleich mit Luther in Rom aufgehalten und ihre Sache persönlich an der päpstlichen Kurie (in Rom bzw. in Bologna) vorgetragen haben. Sie baten etwa um Aufhebung einer Exkommunikation wegen nicht fristgemäßer Bezahlung von Schulden,²⁴ wegen blutiger Handgreiflichkeiten zwischen Klerikern,²⁵ zwischen Klerikern und Laien²⁶ oder nach einem Streit um Fischereirechte.²⁷ Plebane, die ihre Haushälterinnen erschlagen hatten (der eine im Suff), wollten absolviert werden und ihr Amt behalten.²⁸ Ein anderer hatte über Jahre eine Konkubine in seinem Haus gehabt und diese dem bischöflichen Befehl zum Trotz nicht „entlassen“;²⁹ wieder ein anderer bekannte, seine Konkubine wiederholt zu einer Abtreibung gezwungen zu haben,³⁰ ein weiterer berichtete, eine Benediktinernonne als Konkubine gehabt zu haben.³¹ Ein Pfarrer hatte dem Churer Domkapitel eine Steuer von 15 Pfund Pfennigen verweigert.³² Es kamen Mönche an die Kurie, die ihre Klöster verlassen wollten (darunter auch Augustiner), weil ihnen eine Pilgerreise nach Rom untersagt worden war³³ oder ihr Kloster refor-
23 We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente (wie Anm. 8), S. 192, Anm. 1. 24 ASV, PA 55, fol. 8r; PA 56, fol. 41vs. 25 ASV, PA 55, fol. 71rs; PA 56, fol. 3vs. 26 ASV, PA 55, fol. 98vs, 125vs, 182vs, 205vs, 428vs, 435vs; PA 57, fol. 9r: „committatur Jacobo Nagel“; fol. 70r: „committatur Bernardo de Prato o.fr.min. pape penitentiario“; fol. 79v: „committatur fratri Jacobo Nagel o.pred. pape penitentiario“. 27 ASV, PA 55, fol. 113rs. 28 Ebd., fol. 72rs, 219v. 29 ASV, PA 57, fol. 46vs. 30 ASV, PA 55, fol. 131r. 31 Ebd., fol. 221rs. 32 Ebd., fol. 73r. 33 Ebd., fol. 276vs, 283vs, 391rs.
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miert worden war.³⁴ Wieder andere waren mit Zwang und Gewalt („vi et metu“) ins Kloster gesteckt worden.³⁵ Es kamen Priester, die einen körperlichen Defekt aufwiesen und um Dispens für den Altardienst baten wie Bartholomeus Roppe aus Magdeburg und Alexius Scherfman aus Freising, die sich wegen ihres defectus corporis von drei Kurienbischöfen inspizieren lassen mussten, um zur Priesterweihe zugelassen zu werden.³⁶ Es kamen Kleriker, die sich irregulär, das heißt vor dem 25. Lebensjahr, hatten weihen lassen³⁷ oder vor ihrer Weihe als weltliche Richter tätig gewesen waren³⁸ oder die sich simonistischer Pfründengeschäfte schuldig gemacht hatten.³⁹ Manche dieser Supplikanten wurden an Minderpönitentiare oder andere kuriale Kleriker verwiesen. Ein Kleriker aus Minden, der in Rom die niederen Weihen ohne Erlaubnis seines Bischofs erhalten hatte, wurde von der Pönitentiarie zu dem deutschen Kurialen Johann Ingenwinkel geschickt.⁴⁰ Hunderte von Klerikern kamen aus Deutschland, um ohne über ein Benefiz zu verfügen (welches Voraussetzung für den Empfang der höheren Weihen war), sich in Rom weihen zu lassen.⁴¹ Hier manifestiert sich ein regelrechter deutscher ‚Weihetourismus‘. Nicht zuletzt kamen zahlreiche unehelich Geborene, um sich Dispens für die geistliche Laufbahn bzw. das Anrecht auf mehrere Pfründen geben zu lassen.⁴² Wie fast alle in Rom anwesenden Bittsteller dürfte auch Martin Luther, um eine eventuell von ihm angestrebte Supplik an den Papst zu einem guten Ende zu bringen, die Hilfe eines Prokurators in Anspruch genommen haben. Keine Supplik an den Heiligen Vater wurde ohne die Hilfe eines kanonistisch geschulten Anwalts an der päpstlichen Kurie aufgesetzt, der das jeweilige Anliegen gemäß den Formularien in das Latein des stilus curiae goss. Das Prokuratorenamt war einträglich und gehörte zu den käuflichen Kurienämtern. Prokuratoren besaßen nicht selten akademische Grade und unterhielten ein ‚Büro‘ in der Umgebung von St. Peter. Viele führten einen personalintensiven Haushalt, dessen Zusammensetzung manchmal aufscheint. So hatte der französische Prokurator Magister Philippus de Agnellis einen aus Köln
34 Ebd., fol. 408vs. 35 ASV, PA 56, fol. 7rs und vs. 36 ASV, PA 57, fol. 842rs, 860r; ferner ASV, PA 55, fol. 715r, 755v, 768rs. 37 ASV, PA 55, fol. 705vs. 38 ASV, PA 56, fol. 57rs. 39 Ebd., fol. 451vs. 40 „Committatur Johanni Ingenwinkel preposito colleg. eccl. s. Severini Colon. ad presens in R. cur. residenti“: ASV, PA 55, fol. 734rs. 41 Vgl. nur ebd., fol. 740vs, ein Fall, der am 5. 7. 1510 sogar dem Papst vorgelegt worden war, ferner L. S c h m ugge, Zum römischen Weihetourismus unter Alexander VI. (1492–1503), in: Europa e Italie. Studi in onore di Giorgio Chittolini / Europe and Italy. Studies in Honour of Giogio Chittolini, Firenze 2011 (Reti Medievali. E-Book 15), S. 417–436. 42 ASV, PA 55, fol. 774v, 778v, 779v, 787r–788v; PA 57, fol. 860v, 948v.
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stammenden Familiaren namens Adrian Godeman.⁴³ Der Prokurator Magister Tamyre und sein Bruder Henricus Valtrini stammten aus Trier.⁴⁴ Möglicherweise dienten die deutschen ‚Angestellten‘ dazu, dem Prokurator Landsleute als ‚Kunden‘ zuzuführen. Ohne die Hilfe eines Prokurators wäre auch Luther nicht zum Ziel gekommen. Unter Alexander VI. und Julius II. waren mehrere Deutsche als Pönitentiarie-Prokuratoren zugelassen, aber nicht nur für ihre Landsleute tätig.⁴⁵ Die Mehrheit der Prokuratoren unter Julius II. waren Italiener (wie Antonius de Baschenis,⁴⁶ C. de Bardinis⁴⁷ und Clemens Petri de Epiphanis aus Fiesole, der um 1510 viele deutsche Petenten unter seinen Kunden aufwies.⁴⁸) Für deutsche Petenten waren auch die Italiener Johannes Colardi,⁴⁹ Johannes Petri de Simonetis⁵⁰ und Philippo Turrino⁵¹ tätig. Das gilt auch für die Spanier Franciscus de Gomiel aus Burgos,⁵² Johannes de Contreras,⁵³ Franciscus del Rosal,⁵⁴ Valleoleti und den in Rom eingebürgerten Katalanen und Doktor beider Rechte, Johannes de Via Campis⁵⁵ sowie den Franzosen Gerardus Gerbillon, der obwohl Kleriker, einen unehelichen Sohn hatte, den sein Vater im heimatlichen Verdun mit Pfründen versorgte.⁵⁶ Während der Abwesenheit Julius’ II. in Bologna vom August 1510 bis Juni 1511 leitete der Jurist und Auditor Mercurius de Vipera die in Rom verbliebene Abteilung der Pönitentiarie. Mercurius signierte alle hier eingegangenen Suppliken, während in Bologna der Regens Johannes Barcelo unterzeichnete, wie die Registerbände zeigen.⁵⁷ Sollte sich Luther während der Abwesenheit Julius’ II. in Rom an die Pönitentiarie gewandt haben, hätte seine Bittschrift von Mercurius genehmigt werden müssen. Wer
43 ASV, PA 55, fol. 161rs vom 9. 4. 1510. 44 Ebd., fol. 777v, er war ein Priestersohn. 45 Vgl. für Alexander VI. die Einleitung des RPG VIII (wie Anm. 11), S. XXX. 46 ASV, PA 52, fol. 356v, 420r, 797v. 47 Ebd., fol. 769v. 48 ASV, PA 55, fol. 41v, 211r. 49 ASV, PA 52, fol. 553v. 50 Ebd., fol. 712vs. 51 ASV, PA 53, fol. 246r. 52 ASV, PA 55, fol. 344v. 53 Ebd., fol. 827v. 54 Ebd., fol. 804r. 55 A. R e h b e rg (Hg.), Il liber decretorum dello scribasenato Pietro Rutili. Regesti della più antica raccolta di verbali dei consigli comunali di Roma (1515–1526), Roma 2010 (Collana di storia ed arte 5), Nr. 54b S. 125f. 56 ASV, PA 55, fol. 763v, 814v. 57 Zu Mercurius de Vipera, Rotaauditor, Regens der Pönitentiarie, der 1523 zum Bischof von Bagnorea ernannt wird: E u b e l, Hierarchia catholica (wie Anm. 10), hier Bd. 3, S. 128; E. G ö l l e r, Die päpstliche Pönitentiarie, 2 Bde., Rom 1907 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 3), hier Bd. 1,1, S. 58; Bd. 2,2, S. 101, 147f. und die von ihm signierten Suppliken bei R i s b e rg / S a l o n e n, Diplomatarium Suecanum (wie Anm. 21), Index S. 489.
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Luther dabei geholfen haben könnte und welche deutschen Landsleute er in Rom möglicherweise zu diesem Zweck kontaktiert hat, ist kaum zu eruieren. Da er als Augustinermönch wahrscheinlich Quartier in S. Agostino nahe der Piazza Navona und eher nicht bei der observanten Kongregation der Augustinereremiten an der Piazza del Popolo gefunden haben dürfte, könnte er zwei Ordensbrüdern und Supplikanten der Pönitentiarie kennen gelernt haben, die ebenfalls in S. Agostino abgestiegen waren.⁵⁸ Der eine, Johannes Knoffer, Regularkanoniker aus Polling in der Diözese Augsburg, hatte seinen Konvent unerlaubt verlassen und sich nach Rom begeben, um die Erlaubnis für einen Wechsel in einen anderen Konvent zu erbitten, was ihm auch gewährt wurde.⁵⁹ Knoffer hatte den Dienst des Prokurators Gerardus Gerbillon in Anspruch genommen, er musste sich in Rom dem Minderpönitentiar Franciscus Berthelay, dem Bischof von Milopotamos, vorstellen. Der andere Augustinereremit, Caspar de Bodwitz aus dem Konvent Sankt Sigismund in Grimma in der Diözese Merseburg, hatte im Februar 1512 den Papst darum gebeten, krankheitshalber außerhalb des Konvents leben zu dürfen, was ihm sein Oberer verweigert hatte.⁶⁰ Ein dritter Bittsteller, der Augustinereremit namens Gerhard Hertzfelt, war wegen eines unerfüllten Gelübdes verbunden mit Apostasie nach Rom gekommen. Seine vom katalanischen Prokurator Viacampis aufgesetzte Supplik vom 31. August 1510 war ebenfalls dem Minderpönitentiar Franciscus Berthelay unterbreitet worden.⁶¹ Gerhard hatte nämlich – wie Martin Luther – in Todesgefahr gelobt, Mönch zu werden, war dann aber von den Kreuzherren ohne Dispens zu den Augustinereremiten gewechselt. Die Pönitentiarie gestattete ihm durch die Signatur des Regens Mercurius de Vipera, bei den Augustinern zu bleiben und seine priesterlichen Funktionen weiterhin auszuüben. Mercurius hatte auch die Supplik Knoffers signiert. Warum die beiden zuletzt genannten Bittsteller (beide Augustiner) in Rom nicht an ihren Ordensbruder Petrus Calahorra verwiesen worden waren, erklärt sich wie gesagt daraus, dass Petrus um die Wende 1510/11 mit der Pönitentiarie in Bologna tätig war.⁶² Denkbar ist auch, dass Luther einen Erfurter Landsmann in Rom getroffen hat. Der Kleriker Valentin Reich war durch ein Laiengericht wegen des vielleicht unbegründeten Vorwurfs, er habe den Erfurter Bürger Rudolph Ziegler ermordet, verhaftet und vor Gericht gestellt worden. Erst durch die Intervention des Kardinallegaten Raymundus Peraudi († 1505) war er aus dem Kerker freigekommen, aber aus
58 Vgl. Le p p i n, Luther (wie Anm. 1), S. 57, und H. Je d i n, Die römischen Augustinerquellen zu Luthers Frühzeit, in: Archiv für Reformationsgeschichte 25 (1928), S. 265–270: Beide neigen zu S. Agostino als Quartier Luthers. 59 Knoffers Supplik datiert vom 14. 6. 1510: ASV, PA 55, fol. 267vs. 60 ASV, PA 57, fol. 134rs. 61 ASV, PA 55, fol. 366rs. 62 Calahorra nahm sich am 17. 12. 1510 in Bologna der Bitte eines Mainzer Laien um Absolution von einem Totschlag (ASV, PA 56, fol. 26rs) und am 7. 4. 1511 einer Supplik des Pfarrers von Gengenbach im Elsass an (ASV, PA 56, fol. 116r).
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Stadt und Umland konfiniert worden.⁶³ Am 6. Juni 1511 gewährte ihm die Pönitentiarie schließlich die Rückkehr nach Erfurt. Ob sich die beiden Erfurter, Luther und Reich, am Tiber getroffen haben, hängt auch davon ab, wann Reich die Kurie aufgesucht hat. Die Supplik ist jedenfalls vom Prokurator Villareal aufgesetzt worden und an Franciscus Berthelay sowie nach Naumburg, wo Reich die Zeit seines Exils (immerhin zehn Jahre, wenn wir ihm glauben schenken dürfen) verbracht hatte, kommittiert worden. Doch was lässt sich – abgesehen vom Formalen – inhaltlich zu einer möglichen Supplik Luthers um Gewährung eines Studienaufenthalts sagen? Nach der Dekretale „Cum ex eo“ Bonifaz’ VIII., promulgiert als Teil des „Liber sextus“ im Jahr 1298,⁶⁴ konnte jeder Bischof den in seiner Diözese bestallten Seelsorgern einen Studienurlaub von maximal sieben Jahren gewähren. Während des Studiums waren Pfarrrektoren verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Seelsorge in ihrer Kirche durch einen Stellvertreter gesichert war, der aus den Einkünften ihres Benefizes zu bezahlen war. Den Rest der Pfründerträge durfte der studierende Pfarrer für seinen Lebensunterhalt an der Universität verwenden.⁶⁵ Derartige Studienlizenzen wurden häufig von der Pönitentiarie vergeben. Die für deutsche Petenten ergangenen Lizenzen sind in den Bänden des RPG publiziert und für die Universitätsgeschichte ausgewertet worden.⁶⁶ Besonders für Inhaber einer Kuratpfründe wie für studierwillige Religiosen war es in der Praxis jedoch nicht immer leicht, vom Bischof bzw. dem Oberen eine Studienerlaubnis zu erhalten. Jeder Bischof bemühte sich um eine geordnete Seelsorge in seinem Sprengel und wollte keine häufig wechselnden Vertreter in seinen Pfarreien haben, während Abt oder Prior auf das Ideal der stabilitas loci verweisen konnten. Zur Zeit von Luthers Romaufenthalt haben zwei Religiosen, ein sächsischer Dominikaner namens Joachim Rurer und ein Kreuzherr namens Arnold aus Köln, die Studienerlaubnis „in quocumque studio generali“ erhalten.⁶⁷ Dem Kölner war eine entsprechende Genehmigung von seinem Oberen verweigert worden. Beide haben die Dienste des französischen Prokurators Gerbillon in Anspruch genommen. Vom
63 ASV, PA 56, fol. 357rs. 64 Liber sextus 1.6.34, hg. von Fr i e d b e rg, Sp. 964f. 65 Dazu L. B o yl e, The Constitution ‚Cum ex eo‘ of Boniface VIII. Education of Parochial Clergy, in: Mediaeval Studies 24 (1962), S. 263–302; reprinted in L. B o yl e, Pastoral Care, Clerical Education and Canon Law, 1200–1400, London 1981, Nr. VIII; L. S c h m ugge, Boyle and Boniface. ‚Cum ex eo‘-Dispensation in the Fifteenth Century, in: A. D ugga n / J. G re a t re x / B. B o l t o n (Hg.), Omnia disce. Medieval Studies in Memory of Leonard Boyle, O.P., Aldershot 2005, S. 61–69. 66 Vgl. L. S c h m ugge, Über die Pönitentiarie zur Universität, in: C. H e s s e u. a. (Hg.), Personen der Geschichte. Geschichte der Personen. Festschrift für R. C. Schwinges, Basel 2003, S. 255–268; L. S c h m ugge, Gelehrte und Studenten in Vatikanischen Registern des 15. Jhdts., in: Mobilität von Studenten und Gelehrten zwischen dem Reich und Italien (1400–1600), Online-Publikation Bern RAG 2009 (URL: http://e-collection.library.ethz.ch/eserv/eth:4571/eth-4571-01.pdf, 14. 9. 2017), S. 69–79. 67 Joachim: ASV, PA 55, fol. 377rs vom 5. 9. 1510, Arnold: ASV, PA 55, fol. 463r vom 26. 2. 1510.
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23. Dezember 1510 datiert die Supplik eines Verdener Klerikers, Heinrich Hultzman, der ebenfalls sieben Jahre studieren und währenddessen seine Pfrundeinkünfte beziehen wollte.⁶⁸ Falls Martin Luther eine solche Studienlizenz, eventuell auch gegen den Willen seiner Erfurter Oberen, bei der Pönitentiarie erbeten haben sollte, dann wären ihm auf keinen Fall zehn Jahre Absenz gewährt worden. Sieben Jahre war gemäß der bonifazianischen Dekretale „Cum ex eo“ die maximale Urlaubsdauer, unter Pius II. wurden nicht selten nur fünf Jahre oder sogar noch weniger gewährt. Ein Studienurlaub von zehn Jahren ist mir bisher nicht begegnet. Da sich keine entsprechende Supplik in den Registern finden lässt, kann man nur den Schluss ziehen, dass Martin Luther nie einen derartigen Urlaub erbeten hat oder dass dieser, wenn er sich auf zehn Jahre erstrecken sollte, gegen geltendes Recht verstieß und daher abgelehnt worden war. Suppliken, die von der Pönitentiarie nicht genehmigt worden waren, wurden auch nicht registriert. Ob sich die eingangs zitierte Bemerkung Oldecops auf eine Supplik Luthers um einen akademischen Grad bezogen haben könnte, wäre zu diskutieren.⁶⁹
3 Luthers potentielle Kontaktpersonen in Rom Welchen Deutschrömern könnte Martin Luther bei seinem Aufenthalt an der Kurie begegnet sein? Rom war unter Julius II., anders als zu Zeiten Alexanders VI., eine relativ sichere Stadt. Luther rühmt Julius’ II. „trefflich hart Regiment“.⁷⁰ Die ‚deutsche Gemeinde‘ in der Ewigen Stadt zählte um die Jahre 1510–1512 schätzungsweise mehrere hundert Seelen, darunter vor allem Handwerker und Kuriale sowie vorübergehend immer wieder auch Pilger. Unter allen fest Ansässigen nahmen Kuriale und Bankiers den sozial höchsten Rang ein. Zu Zeiten Papst Alexanders VI. amteten in Rom allein 40 deutsche Rotanotare und fast doppelt so viele Substituten, allesamt hochqualifizierte Juristen wie der Mindener Kleriker Johannes Borger, der 30 Jahre lang (1507–1537) als Rotanotar und Prokurator nachweisbar ist.⁷¹ Sie wohnten in den Häusern der Anima- bzw. Campo-Santo-Bruderschaft mitten unter den Römern. Im Borgo zum Beispiel lag das ‚Büro‘ des Rotanotars Johannes Haltupderheide, das als
68 ASV, PA 56, fol. 37vs. 69 Siehe dazu M. M a t h e u s, „Sola fides sufficit“. ‚Deutsche‘ Akademiker und Notare in Rom 1510/12, in diesem Band, S. 396, Anm. 62. 70 Zitiert bei P a s to r, Geschichte (wie Anm. 5), S. 696. 71 C. S c h u c h a rd / K. S c h u l z, Thomas Giese aus Lübeck und sein römisches Notizbuch der Jahre 1507 bis 1526, Lübeck 2003 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B,39), S. 97, 146. Vgl. auch C. S c h u c h a rd, Zu den Rotanotaren im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: A. Ja m m e / O. Po n ce t (Hg.), Offices et Papauté (XIV e–XVII e siècle). Charges, Hommes, Destins, Rome 2005 (Collection de l’École française de Rome 334), S. 805–828.
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Familienunternehmen von seinem Bruder Burkhard geführte wurde.⁷² Der Rotanotar Johannes Sander hatte 1508 begonnen, ein neues Haus gleich neben dem Neubau der Deutschen Nationalkirche S. Maria dell’Anima zu bauen.⁷³ Christoph von Schirnding, ein anderer bekannter Rotanotar, wohnte direkt neben S. Agostino, jedoch dürfte ein Mann seines Standes ein Mönchlein aus dem benachbarten Konvent kaum gegrüßt haben.⁷⁴ Einige deutsche Kuriale besaßen nicht gerade den besten Leumund: Wolfardus Terlace, als Scholaster von Sankt Gereon und Kanoniker von Sankt Andreas in Köln bepfründet, der an der Kurie ebenfalls als Rotanotar tätig war, wurde des sexuellen Verkehrs mit Frauen beschuldigt.⁷⁵ Lukas Conrater, Kanoniker an den Domstiften von Basel und Konstanz, decretorum doctor und langjähriger Kurialer, musste sich gegen den Vorwurf der Sodomie verteidigen.⁷⁶ Andere deutsche Kuriale, die eher einer mittleren sozialen Gruppe zuzuordnen sind, verdienten ihr Brot als Schreiber in Kanzlei, Kammer und Pönitentiarie und betätigten sich neben ihrem Hauptamt häufig auch als Prokuratoren oder Finanzagenten an der Kurie.⁷⁷ Im Jahre 1503 gab es 45 Kardinäle, weitere 18 Purpurträger kreierte Julius II. zwischen 1503 und 1507. Jeder dieser Kardinäle hatte, sofern er an der Kurie residierte, eine familia, der bis zu 150 Personen angehören konnten. Unter den Familiaren befanden sich viele Deutsche, besonders in untergeordneten Positionen des Haushalts.⁷⁸ Dem späteren Papst Julius II. dienten während seiner Jahre als Großpönitentiar mindestens 18 Kleriker aus dem deutschen Sprachraum: der Augsburger Johannes von Pleuingen,⁷⁹ Heinrich Beutz aus Worms,⁸⁰ Hubert Hainbuch
72 S c h u c h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 178; S c h u c h a r d, Rotanotare (wie Anm. 71), S. 813f. 73 K. H. S c h ä f e r, Johannes Sander von Northusen, Rom 1913; S c h u c h a r d / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 27; S c h u c h a rd, Rotanotare (wie Anm. 71), S. 815f. Zuletzt die Beiträge von Luciano Palermo und Silvia Puteo im Sammelband M. M a t h e u s (Hg.), S. Maria dell’Anima. Zur Geschichte einer ‚deutschen Stiftung‘ in Rom, Berlin 2010 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 121), sub indice Johannes Sander. 74 S c h u c h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 12f. und Index. 75 ASV, PA 57, fol. 88rs. 76 Ebd., fol. 617vs. 77 S c h u c h a rd, Rotanotare (wie Anm. 71), S. 805–828, hier S. 806 (mit Anm. 4), 812–821. 78 Kardinal Prospero Colonna († 1463) hatte einen deutschen Schreiber und einen deutschen Koch, aber um 1450; vgl. RPG, Bd. II: Nikolaus V. 1447–1455. Text bearb. von L. S c h m ugge mit K. B u ko w s ka und A. M o s c i a t t i; Indices bearb. von H. S c h n e i d e r-S c h m ugge und L. S c h m ugge, Tübingen 1999, Nr. 37. 79 RPG VII 1758, 1788 (1487). Vgl. dazu M. M a t h e u s, Roma docta. Rom als Studienort in der Renaissance, in: QFIAB 90 (2010), S. 128–168. 80 RPG, Bd. VII: Innozenz VIII. 1484–1492. Text bearb. von L. S c h m ugge unter Mitarb. von A. M o s c i a t t i und W. M ü l l e r; Indices bearb. von H. S c h n e i d e r-S c h m ugge und L. S c h m ugge, Tübingen 2008, Nr. 3623 (1491).
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aus Köln,⁸¹ Sigismund Lengher aus Freising,⁸² Johannes Mayerhoffer aus Passau,⁸³ Splintirus Ghisberti aus Utrecht⁸⁴ und Johannes Man aus Mainz,⁸⁵ Johannes Warmfonteyn aus Trier,⁸⁶ Achilles Jacobi aus Utrecht,⁸⁷ Guillermus Marchaut aus Lüttich,⁸⁸ Matheus Lamblini aus Metz,⁸⁹ Johannes Prumeus aus Eichstet,⁹⁰ Codrinus Lupi aus Metz,⁹¹ Sigismund Obenfur aus Passau,⁹² Jodocus Royer und Johannes de Brabantia aus Lüttich,⁹³ Thomas Michaelis aus Köln,⁹⁴ Johannes Bodetus aus Metz,⁹⁵ Gerardus de Doyeren aus Lüttich.⁹⁶ Möglicherweise gehörten einige von diesen Männern der Kapelle des Kardinals an. Deutsche Kleriker waren auch bei anderen Kurialen beschäftigt. Ein gewisser Martin Luffe aus Worms diente dem Kardinal Sixtus della Rovere († 1517) als „familiaris et continuus commensalis“,⁹⁷ Gerardus Stulen aus Münster dem Kardinal Ascanius Sforza⁹⁸ und gleichzeitig dem Pönitentiarieprokurator Johannes de Madrigal.⁹⁹ Paulus Stulzbecker aus Trier wird als Familiar des Kardinals Hieronymus della Rovere erwähnt.¹⁰⁰ Michael Deyninger, Kleriker der Diözese Freising, gehörte zum Haushalt des Minderpönitentiars und Bischofs von Bertinoro.¹⁰¹ Valentinus Schlap aus Worms hatte als Familiar des Großpönitentiars Ludovicus von San Marcello den Kardinal 1504 nach Neapel begleitet.¹⁰² Selbst Schreiber und Pönitentiarieprokuratoren verfügten über eine Entourage, in der auch deutsche Kleriker Lohn und Brot fanden, wie Adrian Godeman aus Köln, Familiar des Magister Philippus de Agnellis in einem 17 Personen umfassenden Haushalt.¹⁰³ Die Namen der hier genannten
81 Ebd., Nr. 3995 (1488). 82 Ebd., Nr. 4111 (1492). 83 Ebd., Nr. 4460 (1486). 84 Ebd., Nr. 4618 (1489). 85 Ebd., Nr. 4729 (1492). 86 RPG VIII (wie Anm. 11), Nr. 2170 (1493). 87 Ebd., Nr. 2343 (1494). 88 Ebd., Nr. 4998 (1495) und 6072. 89 Ebd., Nr. 5423 (1495) und 6006 (1494). 90 Ebd., Nr. 5935. 91 Ebd., Nr. 5972. 92 Ebd., Nr. 5995. 93 Ebd., Nr. 6007 und 6221. 94 Ebd., Nr. 6052. 95 Ebd., Nr. 6345. 96 ASV, PA 51, fol. 198rs. 97 ASV, PA 56, fol. 216rs vom 18. 6. 1511. 98 RPG VIII (wie Anm. 11), Nr. 3427 (1500). 99 Ebd., Nr. 3427 (1500), 6384 (1500). 100 Ebd., Nr. 4020 (1496). 101 ASV, PA 52, fol. 350vs. 102 ASV, PA 52, fol. 889vs. 103 S c h u c h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 136.
Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld
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deutschen Familiaren sind vor allem in den Beichtbrief-Registern der Pönitentiarie überliefert.¹⁰⁴ So ließen sich also dutzende potentieller Kontaktpersonen für Martin Luther, die des Deutschen und Lateinischen mächtig waren, in der Ewigen Stadt benennen. Musste er seine Sandalen reparieren lassen, wird er einen der zahlreichen deutschen Schuster aufgesucht haben. Sein tägliches Brot wurde mit Sicherheit von einem Bäcker aus seiner Heimat gebacken. Ebenso wird er bei der Kontaktaufnahme mit dem komplizierten Apparat der Kurie deutsche Familiaren von Kardinälen, mittleren Kurienkadern und Inhabern von Hofämtern kennengelernt haben. Die höhergestellten Kurialen trafen sich vornehmlich in der Bruderschaft von S. Maria dell’Anima, deren Mitgliederliste sich wie ein Who is who der deutschen Kolonie in Rom liest. Einige Handwerker gehörten der Konfraternität vom Campo Santo Teutonico an. Ein Kurialer aus Lübeck, Thomas Giese, zählt in seinem römischen Notizbuch der Jahre 1507 bis 1526 nicht wenige Mitglieder der deutschen Kommunität auf.¹⁰⁵ Luther kommt dort bezeichnenderweise nicht vor. Ich vermute, dass der Erfurter Augustinereremit mit den ‚upper ten‘ der deutschen Kolonie in Rom kaum in Kontakt gekommen sein wird. Die Mitglieder der Campo-Santo-Bruderschaft, zum Beispiel Berthold Baldewini aus Salzwedel, Rota-Notar und später Lübecker Domherr,¹⁰⁶ Johann Knibe aus Hünefeld, der Lübecker Domherr und Kuriale Bernhard Schulz aus Lauenburg, der Prokurator Johann Schütz, Johann Schürmann aus Münster, Mauritius Ferber, Notar eines Rotaauditors, oder Jacobus Huberti de Loemel, „causarum palatii apostolici notarius“ und Familiar Wilhelm von Enckenvoirts waren dem Rompilger Martin Luther sozial weit entrückt.¹⁰⁷ Der zuletzt genannte, Leiter der Anima-Bruderschaft, später die rechte Hand Papst Hadrians VI. und Kardinal, zählte mit Johann Ingenwinkel aus Köln,¹⁰⁸ der über 50 Jahre (von 1473 bis 1535) in verschiedenen Funktionen an der Kurie verbrachte, zu den „mächtigsten deutschen Kurialen“.¹⁰⁹ Auch zu den Akademien und sodalitates der Humanisten, wie etwa den Soireen des Prälaten Johann Goritz
104 RPG VII (wie Anm. 80), Nr. 3352 (1489); RPG VIII (wie Anm. 11), Nr. 4435 (1500), 4534 (1500), 4964 (1494), 5182 (1500), 5414 (1495), 5974, 6015, 6073, 6076, 6082, 6111, 6160, 6217, 6335, 6384, 6402, 6415, 6429; ASV, PA 55, fol. 161rs. 105 S c h u c h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71). 106 Ebd., S. 12f. und Index. 107 G.-R. Te we s, Luthergegner der ersten Stunde, in: QFIAB 75 (1995), S. 256–365, hier S. 345. Zu den Genannten S c h u c h a rd, Rotanotare (wie Anm. 71), S. 816–820, 827. 108 T. Fre n z, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance (1471–1527), Tübingen1986 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 63), Nr. 1276 S. 376, Nr. 1434 S. 391, S. 250 (Abbreviator); C. S c h u c h a rd, Die Deutschen an der päpstlichen Kurie im späten Mittelalter (1378–1447), Tübingen 1987 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 65), S. 271 (63 Jahre an der Kurie); S c h uc h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 101, Anm. 60. 109 Zu Enckenvoirt vgl. W. A. M u n i e r, Willem van Enckenvoirt (1464–1534) und seine Benefizien, in: RQ 53 (1958), S. 146–184; Te we s, Luthergegner (wie Anm. 107), S. 363.
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aus Luxemburg,¹¹⁰ „der in seinem Hause die ersten Künstler und Literaten des damaligen Rom vereinigte“,¹¹¹ wird Luther kaum gebeten worden sein, wenngleich Goritz Kontakt mit dem Augustinergeneral Egidio da Viterbo pflegte. Ob Luther über Goritz einen Studienurlaub beantragt hat, wie Weijenborg vermutet, ja Goritz der von Oldecop erwähnte „Offizial“ gewesen sei und die Supplik aber „von einem der Kardinäle zurückgewiesen wurde“, ist eine unbewiesene und den kurialen Geschäftsgang verkennende Vermutung.¹¹² Schon eher wäre bei der Suche nach einer römischen Kontaktperson Luthers an den in den Tischgesprächen erwähnten „licentiatus Liborius Magdeburgensis“ zu denken, von dem der Reformator behauptete, er sei neun Jahre lang Notar der Rota gewesen.¹¹³ Ein Liborius Magdeburck, allerdings Kleriker der Diözese Meissen, wurde in der Tat im Jahre 1517 in das Kollegium der Notare aufgenommen.¹¹⁴ Im Tagebuch des Thomas Giese ist ein Liborius zum Jahre 1518 in Rom belegt. Der Name taucht jedoch weder unter den Mitgliedern der Bruderschaft vom Campo Santo oder der deutschen Nationalkirche noch in den Listen des römischen Census von 1517 und ebensowenig in den Registern der Pönitentiarie auf.¹¹⁵ Seine Tätigkeit an der römischen Rota ist dadurch gesichert, dass ein Liborius Smid auf fol. 5v in den Rotamanualia (Band 118) der Jahre 1519–1521 erwähnt wird.¹¹⁶ In Sachen eines Kanonikats von Sankt Andreas in Köln tritt er am 13. Januar 1518 als Prokurator eines Arnold Brockslinger (?) auf. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass Liborius sich schon im Jahr von Luthers Rombesuch in der Tiberstadt aufgehalten hat, sonst wäre sein Aufstieg in die privilegierte Gruppe der Prokuratoren oder gar der Rotanotare des obersten kurialen Gerichts nicht zu erklären. Möglicherweise hat er an der Ku-
110 S c h u c h a rd, Rotanotare (wie Anm. 71), S. 810; P a s t o r, Geschichte (wie Anm. 5), S. 904, 944, 1029. Zuletzt M. C e re s a, Art. Goritz (Küritz), Johann, detto Corico, in: DBI 58 (2002), S. 69–72 mit der älteren Literatur. Zu den römischen sodalitates M a t h e u s, Roma docta (wie Anm. 79). 111 P a s to r, Geschichte (wie Anm. 5), S. 944. 112 We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente (wie Anm. 8), S. 194. 113 WA.TR 4, Nr. 4785: „is novem annos Romae fuerat notarius rotae“. Den Hinweis verdanke ich Herrn Kollegen Hans Schneider, Marburg. 114 K. H. S c h ä f e r, Deutsche Notare in Rom am Ausgang des Mittelalters, in: Historisches Jahrbuch 33 (1912), S. 719–741, hier Nr. 128 S. 734. 115 S c h u c h a rd / S c h u l z, Thomas Giese (wie Anm. 71), S. 106; S c h u l z, Confraternitas (wie Anm. 12); E. Le e (Hg.), Habitatores in Urbe. The Population of Renaissance Rome. La popolazione di Roma nel Rinascimento, Roma 2006 (Studi e proposte 4). 116 Freundlicher Hinweis von Christiane Schuchard, Berlin. Der Name Liborius kommt um 1500 im Magdeburgischen vor (Liborius von Bredow), G. We n t z / B. S c hw i n e kö p e r, Das Erzbistum Magdeburg, Bd. 1: Das Domstift St. Moritz in Magdeburg, Berlin-New York 1972 (Germania Sacra A. F. Abt. 1,1,1), sub indice. Ferner T. Wi l l i c h, Wege zur Pfründe. Die Besetzung der Magdeburger Domkanonikate zwischen ordentlicher Kollatur und päpstlicher Provision 1295–1464, Tübingen 2005 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 102), S. 75, 491–493.
Luther in Rom und das deutsche kuriale Umfeld
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rienuniversität studiert oder besaß einen juristischen Titel, doch fehlen bekanntlich die Matrikel der römischen Universität. Martin Luther wird auch kaum Anlass gehabt haben, mit den deutschen Vertretern des „big business“ in Rom, wie mit Johann Zink, dem Faktor der Fugger in Rom, oder dem Deutschrömer und Doktor des zivilen Rechts Bernhard Arzt, dem Bruder des Augsburger Bürgermeisters und Vertrauten der Fugger-Bank in Verbindung zu treten.¹¹⁷ Schon eher dürfen wir annehmen, dass er regelmäßig den im Auftrag der Bruderschaften der Schuster und Bäcker in der Kapelle der Heiligen Monika oder des Heiligen Nikolaus in der Kirche S. Agostino gesungenen Messen beigewohnt hat.¹¹⁸
4 Schluss Fassen wir zusammen: Weder Martin Luther noch Johann von Mecheln haben in den Registern der Pönitentiarie irgendwelche Spuren hinterlassen. Über eine eventuelle Generalbeichte oder eine Supplik um Studienurlaub gibt es im Archiv der Pönitentiarie keine Nachrichten. Auch in den Quellenbeständen des Augustinerordens in Rom haben sich keine Hinweise auf Martin Luther ergeben.¹¹⁹ Die Landsleute, mit denen er in Rom in Kontakt gekommen ist, gehörten kaum der führenden Gruppe von Kurialen und Deutschrömern an, schon eher waren es deutsche Handwerker, Krämer und Pilger. In deren Memoria hat der spätere Reformator keine Spuren hinterlassen. Als möglicher Gesprächspartner kommt allenfalls die einzige namentlich erwähnte Figur in den Tischgesprächen in Frage: der Rotanotar und licentiatus Liborius Magdeburgensis (Liborius Schmid?).
Abbildungsnachweis Abb. 1:
Stockholm, Riksarchivet Or. Perg. (5. 8. 1449).
117 Zu ihm Te we s, Luthergegner (wie Anm. 107), passim. Auch unter den wenigen deutschen Mitgliedern der Heiliggeist-Bruderschaft findet er sich nicht: K. H. S c h ä f e r, Die deutschen Mitglieder der Heiliggeist-Bruderschaft zu Rom am Ausgang des Mittelalters, Paderborn 1913 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 16). 118 Die Gottesdienste der Monate August 1510 bis April 1511 sind verzeichnet in den Introitus der Sakristei von S. Agostino: Roma, Archivio di Stato di Roma (= ASR), Agostiniani in S. Agostino 109, fol. 67v–76v. 119 Die Durchsicht der Bestände ASR, Congr. religiose masc. soppr., Agostiniani a S. Agostino, 107– 109: Entrate e uscite della Sagrestia sowie 183: Entrate e uscite del procuratore e del colletore (1504– 1514), hat keine Ergebnisse zur Person Martin Luthers erbracht. Vgl. bereits Je d i n, Augustinerquellen (wie Anm. 58).
Jörg Bölling
Reformation und Renaissance Martin Luthers Romaufenthalt und die Reform des Papstzeremoniells Die Gemeinsamkeiten und Gegensätze, Zusammenhänge und Einflüsse von Reformation und Renaissance bilden ein weites und viel bearbeitetes Feld.¹ In diesem Beitrag sei mit Blick auf die Themenstellung des Tagungsbandes und vor dem Hintergrund der jüngst erfolgten, für liturgische und zeremonielle Fragen so grundlegenden Neudatierung von Luthers Romreise² drei Fragen näher nachgegangen: 1. Was hat Luther an päpstlichen Zeremonien erleben können und wie mag er diese aufgenommen haben? 2. Wie wurde umgekehrt wenige Jahre später Luthers Reformation im Rahmen des Papstzeremoniells³ rezipiert? 3. Was unterscheidet, was verbindet in der Frage der Zeremonien Luthers Reformation und die römische Renaissance? Bei dieser letzten Frage sind neben Luthers Wandel im ersten und frühen zweiten Jahrzehnt nach seinem Romaufenthalt insbesondere die bisher kaum beachteten parallelen Entwicklungen und Diskussionen am Papsthof in den Blick zu nehmen.
1 Zum Themenkomplex bereits A. B u c k (Hg.), Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Wiesbaden 1984 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 5), v. a. die Einführung des Hg., S. 1–5. Zu neuerer Literatur vgl. etwa die seit 2002 erscheinende Reihe „Publications of the Centre for Reformation and Renaissance Studies. Essays and Studies“. Zur Reformation v. a. T. Kau f m a n n, Geschichte der Reformation, Frankfurt a. M. 2009, sowie die Beiträge von V. Le p p i n, J. L au s te r und L. R o n c h i in diesem Band, speziell zu Luther auch V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 2006 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), und B. H a m m, Der frühe Luther, Tübingen 2010. 2 Vgl. H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), S. 1–157, und den Beitrag von H. S c h n e i d e r in diesem Band. 3 Mit dem Begriff „Papstzeremoniell“ wird hier ein solitäres System bezeichnet, in dem kirchliche Liturgie, höfische Etikette und diplomatisches Protokoll zusammenflossen. Dazu J. B ö l l i n g, Das Papstzeremoniell der Renaissance. Texte – Musik – Performanz, Frankfurt a. M. 2006 (Tradition – Reform – Innovation 12). Seine letzte mittelalterliche und zugleich erste umfassend systematische schriftliche Darlegung, die die gesamte Neuzeit über als maßgeblicher Referenztext verwendet werden sollte, erfuhr das Papstzeremoniell in Form des von Agostino Patrizi Piccolomini unter Mitwirkung von Johannes Burckard in drei Bücher gegliederten Kurienzeremoniales: L’œuvre de Patrizi Piccolomini ou le Cérémonial papal de la première Renaissance, hg. von M. D yk m a n s, 2 Bde., Città del Vaticano 1980 –1982 (Studi e Testi 293–294) (durchpaginiert). DOI 10.1515/9783110316117-014
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Als Quellenbasis dienen vor allem die noch unveröffentlichten zeremoniellen Schriften des zeitgenössischen päpstlichen Zeremonienmeisters Paris de Grassis (1504– 1528),⁴ ergänzt durch weitere, bereits bekannte, doch angesichts neuerer Erkenntnisse abermals auszuwertende Texte und Abbildungen.
1 Das Papstzeremoniell während Luthers Romaufenthalt Unter den kirchlichen Festen, die Martin Luther der neuesten Rekonstruktion Hans Schneiders zufolge⁵ miterlebt haben könnte, ragt eines ganz besonders hervor: Weihnachten. An diesem Tag pflegten die Päpste der Renaissance höchstselbst in St. Peter zu zelebrieren – eine Festtagsordnung, die sonst nur noch für Ostern und das Patronatsfest Peter und Paul galt.⁶ Aus dem Pontifikat Alexanders VI. (1492–1503) ist sogar ein besonders prächtiges Weihnachtsmissale erhalten.⁷ Der gesundheitlich sehr angeschlagene Julius II. (1503–1513) hat allerdings ausgerechnet am fraglichen Termin des Jahres 1511 keinen Gebrauch von dieser Tradition gemacht und erschien nicht einmal an den voraufgehenden Adventssonntagen in der Öffentlichkeit: „absente Papa“ notiert Paris de Grassis in seinem „Diarium“ noch bis zum Gründonnerstag 1512 in wiederkehrender Eintönigkeit. Lediglich während der Vesper von Heiligabend in der beengten, kaum einsehbaren Cappella Sixtina des noch unfertigen Neubaus von St. Peter trat der Papst kurz öffentlich in Erscheinung – mit einer Kopfbedeckung, die
4 M. C e re s a, Grassi, Paride, in: Dizionario Biografico degli Italiani 58 (2002), S. 681–684, und M. D yk m a n s, Paris de Grassi, in: Ephemerides liturgicae 96 (1982), S. 407–482, fortgesetzt in: ebd. 99 (1985), S. 383–417, sowie ebd. 100 (1986), S. 270–333. Im Folgenden wird auch die von Paris de Grassis selbst favorisierte, meist – im Sinne der „Renaissance“ – an antiken oder humanistischen Autoren orientierte Schreibweise favorisiert, etwa klassisch „caerimonia“ oder italienisch-humanistisch „cerimonia“ (so etwa auch Leon Battista Alberti, 1404–1472, im „Momus“) statt „caeremonia“ oder „ceremonia“ und „cappella“ statt „capella“ (im klassisch-antiken Latein nur als Diminutiv von „capra“ geläufig). Hierzu ausführlich B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 92, 110f. 5 S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise (wie Anm. 2). 6 Vgl. die tabellarische Übersicht bei B. S c h i m m e l p f e n n ig, Die Funktion der Cappella Sistina im Zeremoniell der Renaissancepäpste, in: B. Ja n z (Hg.), Collectanea II: Studien zur Geschichte der päpstlichen Kapelle. Tagungsbericht Heidelberg 1989, Città del Vaticano 1994 (Capellae Apostolicae Sixtinaeque Collectanea Acta Monumenta 4), S. 123–174, hier S. 150–170. Zur Gottesdienstordnung der Kapelle und den hierarchisch gegliederten räumlichen wie zeitlichen Stratifizierungsformen B ö l l i n g, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 113–148, ferner S. 149–195. 7 A. R o t h (Hg.), Das Weihnachtsmissale der Päpste. Feierlicher Mittelpunkt der Christnacht im Petersdom, Stuttgart 1998 (Ndr. 2006 mit aktuellen Bildern). Dabei handelt es sich um Faksimile, Transkription und deutsche Übersetzung des Weihnachtsmessbuchs Alexanders VI.: Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana (= BAV), Borg. lat. 425.
Reformation und Renaissance
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der Zeremonienmeister „thiara“ nennt.⁸ Gemeint ist hier im Unterschied zum regnum, dem unser Wort „Tiara“ entspricht, eine einfache, wie ein Pileolus unter Mitra und Tiara getragene kreisförmige Haube, wie sie laut Paris de Grassis in den vatikanischen Sale dei Pontefici zu sehen sei.⁹ Julius II. nutzte diese Kopfbedeckung offenbar nicht immer aus freien Stücken. So setzte er den liturgischen, dem Festanlass entsprechend aus weißer Seide bestehenden Pileolus einmal angeblich erst nach monierenden Hinweisen seines Zeremoniars auf, da er angesichts seiner häufigen Kopfhauterkrankungen lieber seinen rosenroten wollenen und mit Fell unterfütterten Camauro (biretum) unter der Mitra aufbehalten hätte.¹⁰ Luthers bekannte Äußerungen über Julius’ Tiara,
8 BAV, Vat. lat. 12268, fol. 325v–326r („Vespere in Vigilia nativitatis Domini Nostri Jesu Christi anno Domini inchoante 1512“), hier fol. 326r: „Ipse venit cum thiara, quia sic voluit, et in capella ad Sixti pedes posito faldistorio oravit et mansit satis commode, et factae sunt vespere more solito“. Aufgrund der beengten Verhältnisse konnte der Papstthron nicht in der gewohnten öffentlichkeitswirksamen Weise aufgebaut werden (vgl. ebd.). Zu dieser Kapelle in St. Peter siehe den Beitrag von H. W. Hu b e r t in diesem Band. 9 Vgl. dazu Paris d e G r a s s i s, Caerimoniarum opusculum: Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 187r–v: „De cidari, idest tyara – Beatus Hieronymus in epistula ad Fabiolam de veste sacerdotali, ut proximo capitulo dixi, cum omnia summi Pontificis ornamenta specificet ac sensum formamque singulorum exponat, etiam cidarim commemorans, quam et tyaram esse sicque binominem dicens demonstrat, illam esse Pontificalis capitis tegumentum, quasi sit sphera media divisa, et pars una ponatur in capite, instar rotondi pileoli, quod et albulum sive biretum vocant. Verumtamen Theophrastus cidarim a tyara distinguit, ut cidaris erecta in regum capite, illa satraparum sit, et incurva feratur, subditus tyaram generis esse promixui, et in utramque partem allegat, per Virgilium in vij sceptrumque sacerque tyaras et mox iuvenalarum et Phrygia vestitur bucca tyara. Dixit autem non tyaram, sed tyaras in notivo, sicut gigas et Abbas ac huiusmodi fuisse quoque pileum frugum gestamenque regum barbarorum, unde a Sidonio dicuntur Persarum regis tyarati et tyariferi. Quidquid sit et dicatur de hac cidari sive tyara: scimus nihil aliud apud nos esse et intelligi, quod biretulum illud sericum album, quo Pontifex semper utitur sub mitra sive etiam sub regno, quod quidem non alterius coloris esse debet quam albi nec alterius formae quam rotundae, non sicut a Romanis pontificibus, qui nos praecesserunt, usurpabatur, qui modo bireta lanea, modo sericea, modo obserica sive villuta, et item modo rubea modo jacinthina sive coelistina et diversi coloris sub mitra et sub ipso regno induebant: prout adhuc manifeste ex imaginibus multorum pontificum depictis in duabus palatij apostolici aulis, quae pontificum appellantur, conspici licet“. Bei diesem zitierten Text handelt es sich um die persönliche Abschrift des Franciscus Mucantius. Eine weitere Abschrift wurde offensichtlich für die Vatikanische Bibliothek angefertigt, von dort bereits im 17. Jahrhundert ausgeliehen und bis heute dort verwahrt: BAV, Vat. lat. 5634 I. Da es sich entgegen der älteren Forschung keineswegs um eine zu bevorzugende frühere Redaktion handelt (vgl. B ö l l i n g, Papstzeremoniell [wie Anm. 3 ], S. 64–68, zur Kodikologie und Rezeption S. 41 mit Anm. 34 u. 75–78), wird im Folgenden allein die Mucantius-Fassung zitiert (zu Mucantius unten Anm. 32). 10 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 187v–188r: „Unum denique non praetermittam, quod dum papa Julius quandoque aegrotasset et in capite nescio quid pateretur, ita ut biretum laneum subpellitum, quo interim operiebatur, deponere nollet, cum agnus Dei benedicturus esset, ubi mitre mysterio opus est, et mitram super bireto laneo suppellito ac de rusato induere vellet: ego, cum semel, bis ac etiam tertio reverenter quidem admonuissem, quia non sic liceret, primo quidem subirasci in me visus est, quod impedire suam commoditatem praesumpserim, tum vero ab astantibus cardinalibus intelli-
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die wegen ihrer zahlreichen Edelsteine und Perlen und des dadurch bedingten Wertes alle bisherigen übertroffen habe,¹¹ kann also nicht auf persönlichen Erlebnissen beruht haben. Am 26. November aber, also wahrscheinlich kurz vor Luthers Ankunft in Rom, trug der Papst anlässlich seines Krönungstages, den er im Vorjahr noch krankheitsbedingt hatte ausfallen lassen müssen, die dreifache Krone und erteilte einen Ablass. Der Ablass erfolgte im Rahmen des durch den Papst selbst erteilten Segens. In der Rückschau auf seine Zeit in Rom beteuert Luther, auf Ablässe aus gewesen zu sein.¹² Daher sei im Folgenden zweierlei näher betrachtet: zum einen die Nutzung der Tiara, zum anderen die für Luthers Auseinandersetzung mit dem Papsttum und der römischen Kirche bald so bedeutsam werdende Gewährung und Verkündigung von Ablässen. Paris de Grassis berichtet in seinem „Diarium“ ausführlich über die Vorbesprechungen zum Krönungstag am 26. November. Der soeben von einer schwereren Erkrankung genesene Papst habe sich nur ein einziges Mal vom Thron erhoben, um an seinem Faldistorium zur Anbetung der elevierten konsekrierten Hostie niederzuknien und um ansonsten auf seinem Thron sitzend der Messe beizuwohnen.¹³ Gleichwohl ließ er sich nicht nehmen, am Ende der Messe einen Ablass von sieben Jahren zu erteilen und auf seinen eigenen Wunsch hin seine Tiara (regnum) zu tragen. Als der Zeremoniar zu bedenken gab, das Tragen der Tiara sei an diesem Tage nicht üblich, konterte der Pontifex, sie sei für ihn und nicht für den Zeremoniar gemacht
gens, quod sic ritui cerimoniarum et non aliter conveniret; neque mihi nisi ex lege cerimonizare liceret, non modo patienter, ut debuit, toleravit, sed immo ad eosdem circumstantes ultro conversus, meam ipsam censuram, quod sine iactantia dictum sit, et approbavit et me rectum legalemque censorem, quod ita deinceps praeseverarem, etiam in se ipsum et reliquos quoscunque animavit. Itaque deposito bireto laneo pelliceo auricolari, quod gestabat, album sericum rotundum, id est cidarim, de qua loquimur, subindutus est“. Zum Camauro und zum Begriff biretum in diesem Zusammenhang B ö l l i ng, Den Papst sehen. Eine Privataudienz im Medium des Bildes / Seeing the Pope. A Private Audience in the Medium of the Picture, in: J. S a n d e r (Hg.), Raffael und das Porträt Julius’ II. Das Bild eines Renaissancepapstes / Raphael and the Portrait of Julius II. Image of a Renaissance Pope (Ausstellungskatalog Städel Museum, Frankfurt, 7. 11. 2013–2. 2. 2014), Petersberg 2013, S. 39–49, hier S. 49 (Transkription von Vat. lat. 5634 II A, fol. 11r–12r, sowie Vat. lat. 5634 I, fol. 198v–199r, und ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 187r–v). 11 L. von P a s to r, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde., Freiburg i. Br. 71924–1933, hier Bd. 3, 1924, S. 890 mit Anm. 2; V. Le p p i n in diesem Band. 12 Vgl. bereits H. B o e h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, S. 159f.; B. I s e r l o h, Martin Luther und der Aufbruch der Reformation (1517–1525), in: H. Je d i n (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, 7 Bde., Freiburg i. Br. 1965–1979, hier Bd. 4, 1967, S. 3–114, aus S. 21; siehe dazu nun ausführlich den Beitrag von V. Le p p i n in diesem Band. 13 BAV, Vat. lat. 12268, fol. 320v–321r („Festum in anniversario Coronationis Papae Julii II. pro anno Nono“), hier fol. 321r: „intra totam missam a solio sedens non surrexit, nisi quando ivit ad faldistorium pro sacramento adorando“. Das Faldistorium war unmittelbar vor dem Altar aufgestellt und wurde zum Niederknien eigens aufgesucht. Dazu im Stich von Etienne Dupérac (Abb. 1) die Nr. 45 und zur Funktion ausführlich B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 185–189.
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(„pro se et non pro me“) und habe über 200.000 Dukaten gekostet – zu dem Zweck, dass er sich ihrer erfreuen und sie nutzen könne, wann es ihm und nicht dem Zeremoniar („quando sibi et non quando mihi“) sinnvoll erscheine.¹⁴ Diese sagenhafte Summe – beim ersten Tragen am Ostersonntag waren es noch 120.000 gewesen¹⁵ – und ihren angeblichen Sinn nannte der Papst dem Zeremoniar selbstverständlich mit augenzwinkerndem Lächeln („ridens“)¹⁶ – ein Hinweis, der aufhorchen lässt. Die Souveränität, mit der Julius sich über altehrwürdige und bewährte Regelungen hinwegsetzte, mag zunächst als Ausdruck persönlicher Prunksucht erscheinen, wie sie verschiedene Päpste vor und nach dem della-Rovere-Pontifikat höchst selbst seit Aufkommen der Tiara immer wieder ausdrücklich einzudämmen bemüht waren.¹⁷ Wie jedoch von kunsthistorischer Seite bereits festgestellt worden ist, handelte es sich bei Julius’ dritter und letzter Papstkrone, einem im Jahre 1510 neu erworbenen, noch heute erhaltenen Glanzstück rinascimentaler Goldschmiedekunst, keineswegs nur um ein äußeres zeremonielles Zeichen. Vielmehr diente sie in der Tradition seines Vorgängers Innozenz’ VIII. als solide Geldanlage, mit der die päpstliche Solvenz nicht nur sichergestellt, sondern auch öffentlich sichtbar war.¹⁸ Julius’ anekdotenhafte Äu-
14 BAV, Vat. lat. 12268, fol. 321r: „et in fine dedit indulgentiam septem annorum, et voluit portare regnum suum novum, quod ipse fecit. Et cum dixissem non solitum esse, respondit, quod pro se et non pro me fecerat et exposuerat ultra ducentos milia ducatorum, ut illo gauderet et frueretur, quando sibi et non quando mihi videretur“. Auch in weiteren Handschriften steht eindeutig das Wort regnum, wie mir Adalbert Roth freundlicherweise bestätigte. Die Münchener, ursprünglich im Auftrag der Fugger angefertigten Handschriften Clm 139–141 weisen einige Abweichungen auf; hierzu J. B ö l l i n g, Römisches Zeremoniell in Bayern. Herzog Albrecht V., Kardinal Otto Truchseß von Waldburg und die Fugger, in: R. B e c ke r / D. J. We i ß (Hg.), Bayerische Römer – Römische Bayern. Lebensgeschichten aus Vor- und Frühmoderne, St. Ottilien 2016, S. 167–198, hier S. 167–178. Auszüge von diesen Abschriften, darunter die zitierte Passage, finden sich publiziert von J. J. I. von D ö l l i n ge r (Hg.), Das Pontificat Julius’ II. Auszug aus dem Tagebuche des Grossceremoniars Paris de Grassis, in: d e r s . (Hg.), Beiträge zur politischen, kirchlichen und Cultur-Geschichte der sechs letzten Jahrhunderte, Bd. 3, Wien 1882, S. 363 –433, hier S. 415, zitiert von D. A l l e n, Juwelen der Krone. Eine Einführung in die Goldschmiedekunst am päpstlichen Hof von Julius II. bis Clemens VII., in: P. K r u s e (Hg.), Hochrenaissance im Vatikan 1503–1534., Ostfildern-Ruit 1999 (Kunst und Kultur der Päpste 1), S. 285–292, hier S. 291 Anm. 21 (zu S. 287). Allens Formulierung „Am letzten Tag des Jahres 1512“ bezieht sich auf Döllingers Textauswahl zum Jahr 1511, nicht aber auf den 31. Dezember 1512 oder 1511; vgl. dazu BAV Vat. lat. 12268, fol. 431v. 15 Vgl. BAV, Vat. lat. 12268, fol. 246r; nach Chigi L I 19, fol. 129r; ebenfalls zitiert bei A l l e n, Juwelen der Krone (wie Anm. 14), S. 290 Anm. 13 (zu S. 286). 16 BAV, Vat. lat. 12268, fol. 321r: „Et ridens quidem dixit“. 17 J. B ö l l i ng, Liturgia di cappella e cerimonie di corte, in: T. E r t l (Hg.), Pompa sacra. Lusso e cultura materiale alla corte papale nel basso medioevo (1420–1527), Roma 2010 (Nuovi Studi Storici 86), S. 37 –53, hier S. 44f. 18 Vgl. A l l e n, Juwelen der Krone (wie Anm. 14), S. 286 mit Anm. 12 sowie ebd., Abb. 2: Francesco Bartoli, Tiara für Papst Julius II., Aquarell, London, British Museum. Allen weist bereits summarisch auf die herausragende Bedeutung des „Caerimoniarum opusculum“ des Paris de Grassis hin, doch bei der von ihr zitierten Katalognummer 167 (S. 286f. mit Anm. 16) handelt es sich nicht um dieses Werk, sondern um das erste Autograph seines Diariums, BAV, Vat. lat. 4739.
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ßerungen bei dieser und vielen anderen Gelegenheiten über seine Tiara und andere materielle Güter trugen ein Übriges dazu bei, den geregelten eigenen Haushalt öffentlich kund zu tun¹⁹ – angesichts seiner Übertreibungen weit über die nötige Transparenz zeremonieller Zeichen hinaus. Ein Ordensbruder Luthers mag also die Tiara gesehen haben, und vielleicht ist auch etwas von Julius’ gezielt übertreibendem und in Umlauf gebrachtem Bonmot durchgedrungen – etwa durch ein Tischgespräch im Augustinerkloster. Den Papst selbst kennenzulernen, dazu mag bereits ein Ereignis Anlass geboten haben, von dem die Mitbrüder dem künftigen Reformator während seines Romaufenthaltes erzählt haben mögen: Julius’ öffentlicher Zug am 27. Juni 1511 von S. Maria del Popolo zur Peterskirche anlässlich seiner Rückkehr nach Rom.²⁰ Wie Paris de Grassis in seinem „Diarium“ darlegt, strömten zu diesem Anlass besonders viele Menschen zusammen.²¹ Mehrere Triumphbögen waren eigens errichtet worden, und festliche Gesänge erklangen. Der Papst trug ein rotes Pluviale und die edelsteinbesetzte Mitra pretiosa. Obgleich Paris ihn auf die widrigen Umstände des langen Weges und die Gefahr zu großer Hitzeeinwirkung und möglichen Regens aufmerksam machte, bestand der Pontifex auf dem Tragen seiner prächtigen Kopfbedeckung. Ferner wollte er in seiner besonders ansehnlichen sedia gestatoria getragen werden (statt auf dem Pferd zu reiten) und zwei Baldachine erhalten: einen für die Monstranz mit der konsekrierten Hostie und einen weiteren für sich selbst – so wie es zeitgenössische Abbildungen zeigen.²² In der Nähe des Apostolischen Palastes ließ er sich dann erschöpft auf die Erde nieder, und der Zeremonienmeister nahm ihm auf seinen Wink hin das Pluviale sowie die mittlerweile aufgeweichte, vor äußerer Hitze und innerer Anstrengung ganz feucht gewordene Mitra ab. Nach einem Gebet am Altar gab er dann an den Stufen von St. Peter einen vollständigen Ablass, der auf Latein und in der Volkssprache verkündet wurde.
19 Vgl. ebd., S. 285f. mit Anm. 4 (über ein Diner laut Brief Grossianos an Isabella d’Este vom 12. Juli 1511). 20 Siehe dazu den Beitrag von A. E s c h in diesem Band. 21 Vgl. BAV, Vat. lat. 12268, fol. 299v–300r. 22 Vgl. dazu etwa Giorgio Vasaris Darstellung des Einzugs Leos X. in Florenz (Florenz, Palazzo Vecchio, Sala di Leone X), abgebildet bei J. Tr a e ge r, Der reitende Papst. Ein Beitrag zur Ikonographie des Papsttums, München-Zürich 1970 (Münchener Kunsthistorische Abhandlungen 1), S. 134, Abb. 32. Im Unterschied zu den übrigen von Traeger gezeigten Abbildungen reitet der Papst hier nicht, sondern wird auf seiner sedia gestatoria getragen, während die ebenso wie er mit einem eigenen Baldachin bedachte Monstranz mit dem Sanktissimum von einem Pferd getragen wird. Zu Form und Funktion der Baldachine J. B ö l l i ng, ‚Causa differentiae‘. Rang- und Präzedenzregelungen für Fürsten, Herzöge und Gesandte im vortridentinischen Papstzeremoniell, in: N. S t au b a c h (Hg.), Rom und das Reich vor der Reformation, Frankfurt a. M. 2004 (Tradition – Reform – Innovation 7), S. 147–196, hier S. 187–194 (Quellen und Literatur).
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Neben dem Ablass, der später einer der Kritikpunkte des Reformators werden sollte, zeitbedingt aber – zumal bei St. Peter – noch nichts Ungewöhnliches darstellte, fallen wiederum die äußeren zeremoniellen Zeichen ins Auge. Dass der Papst laut Tagebuchbericht des Paris eine Mitra statt der sonst für feierliche Anlässe außerhalb des Gottesdienstes vorgesehenen Tiara trug, ist nicht weiter erstaunlich. Auf verschiedenen Abbildungen dient die dreifache Krone meist eher der Identifikation des Papstes auf der Darstellungsebene, während die zeremonielle Handlungsebene davon nicht berührt gewesen sein muss. So erscheint der Papst noch auf einer Darstellung, die offenbar Innozenz VIII. hatte anfertigen lassen, im Rahmen einer feierlichen Messe mit Kardinälen in einer Kapelle, die mitunter als die präsixtinische bezeichnet wird, im Kirchenraum mit der Tiara, obgleich er nach der weiterhin geltenden Regelung schon Innozenz’ III. bei dieser gottesdienstlichen Gelegenheit und in diesem sakralen Raum eine Mitra zu tragen hatte (siehe Abb. 1).²³ Weniger selbstverständlich ist da schon die Tatsache, dass Julius II. anstelle des Pferdes die nun immer häufiger gebrauchte sedia gestatoria benutzte und in Gegenwart des Altarsakraments überhaupt eine Kopfbedeckung trug – gleich ob die liturgische Mitra oder die seit Innozenz III. offiziell außerliturgische Tiara. Während der Fronleichnamsprozession des folgenden Jahres – Luther war nun schon abgereist – versuchte Paris den Pontifex vergeblich zum Gebrauch seines tragbaren Thronsessels zu bewegen, um der päpstlichen Sichtbarkeit und Majestät genüge zu leisten.²⁴ Darüber hinaus wollte er nicht zulassen, dass der Papst erneut die Mitra absetzte. Der Pontifex wies ausdrücklich auf seine dadurch bezeugte Ehrerbietung gegenüber dem Sanktissimum hin, gestand dann aber, als Paris de Grassis auf die entgegenstehende Tradition hinwies, dem schmunzelnd folgsamen Zeremoniar den wahren Grund: Wie bereits 1511, so machte auch im folgenden Jahr die zu große Hitze seinem Haupt zu schaffen.²⁵ Diese ursprünglich nur vorgeschobene Begründung sollte dann unter
23 Chantilly, Bibliothèque du château, ms. Divers IV 346; als „Présixtine“ gedeutet von Marc Dykmans: L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s (wie Anm. 3), zwischen S. 2* u. 3*, gegenüber S. 3*; J. S h e a r m a n, Raphael’s Cartoons and the Tapestries for the Sistine Chapel, London 1972, S. 5, bezeichnet den vom Zeremoniar unterwiesenen Diakon fälschlich als „acolyte“. Der Kunsthistoriker Christian Hecht hat in einem in Göttingen geführten Gespräch angesichts der zu erkennenden Raumgestalt Zweifel an Dykmans’ These geäußert. Für seine Hinweise sei ihm vielmals gedankt. Fest steht jedenfalls, dass es sich um den Gottesdienst einer cappella papalis handelt, speziell um eine Papstmesse während des Offertoriums. Sogar wenn der Papst selbst zelebrierte, trat er erst nach den Offertoriumsgebeten der hohen kurialen, in der Regel zu Bischöfen geweihten und zu Kardinälen ernannten Kleriker hinzu, die als Priester, Diakon und Subdiakon des levitierten Hochamtes einer missa sollemnis fungierten. Vgl. dazu B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 138 mit Anm. 55 u. 230–232 (Literatur). 24 Vgl. BAV, Vat. lat. 12268, fol. 50v–51r. 25 Vgl. D ö l l i nge r, Pontificat Julius’ II. (wie Anm. 14), S. 420 (Transkription der Münchener Handschrift Clm 141): „In die corporis Christi processio est habita more solito solenissima, ad quam Pontifex venit. Pontifex, quia calorem habeat [sc. habebat, J. B.], cum ab initio processionis paulisper sine
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Leo X. (1513–1521) zu ungeahnten Ehren kommen: Als Paris dem neuen Papst bei dessen erstem Fronleichnamsfest 1513 die Erläuterung des verstorbenen Vorgängers Julius’ II. referierte, soll ihn diese Darlegung ungeachtet ihrer einstigen rein rhetorischen Funktion als tatsächlich tragfähiges Argument überzeugt haben.²⁶ Aus diesem Grund setzte sich – ungeachtet zwischenzeitlicher Schwankungen – die in der katholischen Kirche bis heute geltende Regel durch, in Anwesenheit der konsekrierten Hostie auf sämtliche, auch liturgische Kopfbedeckungen zu verzichten. Dieser erste Medici auf dem Papstthron hatte also weitaus mehr zu bieten, als seine Herkunft aus der berühmten Florentiner Bankierfamilie, seine vielfach kritisierte finanzielle Nutzung des Ablasses und sein bis heute im Brennpunkt der Debatten stehendes Verhalten gegenüber den reformatorischen Vorgängen nördlich der Alpen vermuten lassen könnten. In liturgischen Fragen zeigte er ebenso wie bei Musik und Kunst ein feines Gespür – ähnlich wie bereits sein von der Nachwelt zu einem noch verruchteren Lebemann stilisierter Amtsvorgänger Alexander VI.²⁷ Leo X. hatte neben dem von Paris bezeugten, eher kasuell erscheinenden Präzedenzfall gute Gründe für seine Entscheidung: Am Gründonnerstag wurde bereits nach den normativen Schriften des ausgehenden 15. Jahrhunderts peinlich genau darauf geachtet, dass sämtliche Kleriker, insbesondere die Prälaten, bei der Übertragung und Reposition des Altarsakraments im Anschluss an die Feier des letzten Abendmahles keine Kopfbedeckung trugen.²⁸ Leo X. machte diese längst bestehende Tradition gebetsgleicher
mitra, sed cum solo bireto incessit, dixit, se non velle mitram portare ob venerationem sacramenti, quod gestabat. Ego respondi, quod cum mitra deberet, sicut etiam cardinales et praelati omnes cum mitris ibant, quod semper sic consuetum fuisset. Sed ipse mihi replicavit, pro sua commoditate sic velle, cui ego subridens et tolerans annui, ut faceret sicut vellet; et sic semper cum solo bireto sine mitra fuit per totam processionem.“ Vgl. dazu auch N. S t au b a c h, ‚Honor Dei‘ oder ‚Bapsts Gepreng‘. Die Reorganisation des Papstzeremoniells in der Renaissance, in: d e r s . (Hg.), Rom und das Reich (wie Anm. 22), S. 91–136, hier S. 121 mit Anm. 103, und T. E r t l, Des Papstes neue Schlichtheit. Liturgische Gewänder und päpstliche Ikonographie um 1500, in: d e r s . (Hg.), Pompa sacra (wie Anm. 17), S. 87– 106, hier S. 96 mit Anm. 30. Zu Döllingers Transkription B ö l l i n g, Römisches Zeremoniell in Bayern (wie Anm. 14), S. 188–191; zum Ausdruck „biretum“ siehe oben Anm. 9f. 26 Vgl. dazu seinen Tagebucheintrag in BAV, Ottob. lat. 2571, fol. 51r. 27 F. Wa s n e r, Eine unbekannte Handschrift des Diarium Burckardi, in: HJb 83 (1964), S. 300–331; A. I l a r i, Il ‚Liber notarum‘ di Giovanni Burcardo, in: M. C h i a b ò u. a. (Hg.), Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI. Atti del convegno. Città del Vaticano-Roma, 1–4 dicembre 1999, Roma 2001 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Saggi 68), Bd. 1, S. 249–321; V. R e i n h a r d t, Der unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia 1431–1503, München 2005. 28 Vgl. L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s (wie Anm. 3), S. 370 Nr. 1094 (v. a. „detecto capite“, Z. 21, und „mitras suas in manibus ferentes“, Z. 23). Erst nach dem Löschen der Kerzen und dem Auszug aus der Kapelle setzten Papst, Kardinäle und bischöfliche Prälaten ihre Mitren wieder auf; vgl. die Ergänzung von Paris de Grassis in Vat. lat. 5634 II, fol. 252–253r (ergänzend im Anschluss an Patrizis Angaben S. 371, Z. 16).
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Barhäuptigkeit vor dem unter der Brotgestalt persönlich anwesenden Corpus Christi also letztlich nur zur allgemeinen, überörtlich und überzeitlich geltenden Regel. Die Dopplung des Baldachins schließlich blieb dauerhaft in Gebrauch – allerdings, was Luther möglicherweise interessiert hätte, nur außerhalb von Gottesdiensträumen. In der Kapelle konnte Paris sich gegenüber Leo X. später durchsetzen, nur einen Baldachin über dem Altar und nicht über dem Papstthron zu behalten – eine Regelung, die älteren Traditionen folgend nachweislich erst durch Paul III. revidiert worden ist,²⁹ jenen Pontifex, der das Trienter Konzil einberief.³⁰ Die (vor-)sixtinische, bis Leo X. beibehaltene Kapellordnung der Darstellung aus Chantilly (Abb. 1) erscheint daher wie dann erneut die von Paul III. etablierte posttridentinische im Herzog Albrecht V. von Bayern gewidmeten Stich des Etienne Dupérac von 1578 (vgl. Abb. 2)³¹ mit Baldachin – ganz so, wie es Patrizis Zeremoniale von 1488 und dann die entsprechenden Randbemerkungen von Paris’ Nachfolger Franciscus Mucantius in den 1570er Jahren belegen.³² Falls Luthers Ordensbrüder die direkt vor ihrer Haustür aufbrechende Prozession verfolgten, erlebten sie einen in prachtvollen Prunk gehüllten Papst, der selbst in Anwesenheit der eucharistischen Realpräsenz seine eigene Repräsentation augenfällig in Szene zu setzen wusste. Luthers Angaben über die Tiara des Papstes³³ mögen daher vielleicht auch von Berichten seiner besonders prächtigen Mitra inspiriert worden
29 Vgl. BAV, Vat. lat. 12278, fol. 22r, 24v, zitiert bei K. P i e t s c h m a n n, Kirchenmusik zwischen Tradition und Reform. Die päpstliche Kapelle und ihr Repertoire unter Papst Paul III. (1534–1549), Città del Vaticano 2007 (Capellae Apostolicae Sixtinaeque Collectanea Acta Monumenta 11), S. 46 mit Anm. 36. Vgl. auch die Glosse des Franciscus Mucantius in ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 106 in mg.: „Nota de baldachino super papam in cappella non ponendo, sed contrarium eius quod hic dicitur est in usu“. 30 Dazu J. B ö l l i ng, Zur Erneuerung der Liturgie in Kurie und Kirche durch das Konzil von Trient (1545–1563). Konzeption – Diskussion – Realisation, in: K. P i e t s c h m a n n (Hg.), Papsttum und Kirchenmusik vom Mittelalter bis zu Benedikt XVI.: Positionen – Entwicklungen – Kontexte, Laaber 2011 (Analecta musicologica 47), S. 124–145; zur Musik K. P i e t s c h m a n n, Erneuerung und Konservativismus. Das Repertoire der päpstlichen Kapelle nach dem Tridentinum und die kuriale Musikpolitik, in: ebd., S. 146–155 (Literatur). 31 BAV, Riserva Stragr. 7, tav. 116; dazu N. K. R a s m u s s e n, Maiestas Pontificia. A Liturgical Reading of Étienne Dupérac’s Engraving of the Capella Sixtina from 1578, in: Analecta Romana Instituti Danici 12 (1983), S. 109–148; J. B ö l l i ng, Römisches Zeremoniell in Bayern (wie Anm. 14), S. 181–183. 32 L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s (wie Anm. 3), S. 1*–15*; zu den Glossen des Mucantius J. B ö l l i ng, ‚Vide apostillam‘. Eine unbeachtete Quelle zur Geschichte des frühneuzeitlichen Papstzeremoniells, in: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae 10, Città del Vaticano 2003 (Studi e Testi 416), S. 51–73, zur Person des Mucantius v. a. S. 65–73; vgl. auch d e r s ., Das Papstzeremoniell der Hochrenaissance. Normierungen – Modifikationen – Revisionen, in: B. S c h m i d t / H. Wo l f (Hg.), Ekklesiologische Alternativen? Monarchischer Papat und Formen kollegialer Kirchenleitung (15. –20. Jahrhundert), Münster 2013 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 42), S. 273–307. 33 Vgl. oben Anm. 11.
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sein. Bezeichnend für die Sichtweise des Zeremonienmeisters ist hingegen, dass ihm die im Glauben bekannte substantielle Gegenwart Christi in der Hostie nicht Grund genug war, die bereits vom Apostel Paulus geforderte barhäuptige Gebetshaltung einzunehmen. Für Gottesdienste allerdings ließ Paris de Grassis die konsekrierte Hostie eigens entfernen, damit die kurialen Zeremonien ohne die sonst gebührenden eucharistischen Verehrungsformen vollzogen werden konnten³⁴ – eine Regelung, der er mit seinem für Bologna bestimmten Kardinalszeremoniale, dem Vorläufer des posttridentinischen Zeremoniales sämtlicher katholischer Bischöfe von 1600, auch außerhalb Roms zu nachhaltiger Wirkung verhalf.³⁵ Eucharistische Verehrung war ihm zufolge somit an die Zeremonien von Gottesdiensten und nicht an die äußere Kleidung bei paraliturgischen Akten gebunden. Martin Luther sollte später in seiner Formula missae noch einen Schritt weitergehen: Für den Gottesdienst, und nur dieser und nicht die maiestas welches Würdenträgers auch immer interessierte ihn hier, bedürfe es keinerlei besonderer Kleidung.³⁶ War es die 1511 in Rom erfahrene partielle, erst spä-
34 ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 79v–80r (zum Kapitel „Qualiter et quare sacramentum corporis Christi, quod in ecclesiis communiter servari solet, ex suo loco semper prius levandum sit, quam solemniter celebrari contingat ibidem“): „Maiores nostri sacramentum corporis D. N. IESV Christi, quod in unaquaque cathedrali et collegiata ac etiam parrochiali ecclesia communiter servari solet, nunquam tenuisse aut dimisisse leguntur in eo loco, ubi solemniter celebrare parassent; non quia a conspectu salutaris hostiae abhorrendum ducerent, sed iccirco, quod inter sacrificandum non omnes caerimonias rite recteque agere possent; quandoquidem in ipsius sacramenti conspectu nec papa nec episcopi celebrantes congrue ibi sedere nec mitram in capite retinere neque incensationem inter se recipere possent, nisi postquam ipsum sacramentum incensatum fuisset – maxime quia per seipsosmet totiens illud adolendum esset et non per diaconum evangelicum, cuius hoc ministerium proprium est. Cautionem igitur adhibuerunt, ut priusquam celebrationem huiusmodi solemnem tam in vesperis quam in missis agerent, ipsum sacramentum alio transferrent, dummodo decenti ac honesto loco, tantisper reponerent, quoad ipsius rei sacra solemnitas consummata fuisset. Quem morem nos quoque hodie servamus servareque debemus; alioquin ipsa celebratio multipliciter alteraretur. Nam cardinalis praelatusve celebrans, qui regulariter non nisi mitratus incensari lavarique debet, non potest ob illius presentis reverentiam mitram recipere, sed ne quidem sedere in conspectu ipsius sacramenti. Tanta est non ab homine ipsi sacro debita humilitas et reverentia, ut nedum in eiusdem conspectu stare, sed nec quidem genuflectere, quanto minus a facie ad faciem sive collateraliter sedere conveniat. Adde quod celebrans praelatus, quando quotiesve incensari debet, necesse totiens habet ipse positis genibus sacramentum adolere, priusquam crucem altaris et oblata ac ipsum altare incensaverit, quae sunt sacris cerimoniis reluctantia.“. 35 Paridis Crassi Bononiensis olim apostolicarum cerimoniarum magistri et episcopi Pisaurensis De cerimoniis cardinalium et episcoporum in eorum dioecesibus libri duo, singulis etiam ecclesiarum canonicis valde necessarij, Roma 1564 (weitere Ausgaben: Roma 1580, Venezia 1582 u. Roma 1587): „Cap. XXVIII: De Sacramento Corporis Christi ex Tribuna remouendo, dum Episcopus est celebraturus ibidem“ (in der verbreitetsten Ausgabe Venezia 1582 auf fol. 23r). Dazu zuletzt B ö l l i n g, Römisches Zeremoniell in Bayern (wie Anm. 14), S. 177–181. 36 Martin Lu t h e r, Formula Missae et Communionis pro Ecclesia Vuittembergensi (1523), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar
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ter modifizierte Indifferenz, die sein Bild von den päpstlichen Zeremonien der Messe dauerhaft prägte? Wir wissen es nicht und können nur Vermutungen anstellen. Viel mehr als das von Luthers Gefolgsleuten später kritisierte, nicht als Reformpraxis akzeptierte „bapsts gepräng“³⁷ beschäftigte Luther der Ablass. Wie aus den genannten Beispielen hervorgeht, wurde dieser am 26. November 1511 unter Verwendung der Tiara gespendet. Wie aber dachte Papst Julius darüber? Hat er diesen als Instrument päpstlicher Herrschaftspraxis eingesetzt? Hier mag eine Passage von Paris de Grassis Aufschluss geben, die ebenfalls einen Tag kurz vor der angenommenen Ankunft Luthers in Rom betrifft: Am 1. November hatte Julius II. der Messe beigewohnt, um das Fest Allerheiligen und seinen persönlichen Wahltag zu begehen – wegen des Neubaus in St. Peter in der Sixtinischen Kapelle. Allen Anwesenden, die gebeichtet und dem geltenden Recht entsprechend Reue gezeigt hatten, erteilte er einen vollkommenen Ablass der zeitlichen Sündenstrafen.³⁸ Paris de Grassis musste ihm allerdings seiner eigenen Darstellung im „Diarium“ nach angeblich mehrere Fragen zur speziellen Form und Funktion des Ablasses an diesem Tag beantworten – offenbar keineswegs ein Thema, das Julius bis dahin brennend interessiert hätte.³⁹ An dieser Darstellung des Paris zu zweifeln, besteht kein Anlass. Der Zeremoniar zeichnete
1883–2009 (= WA), Bd. 12, S. 197–220. Zum besseren Vergleich mit der Diktion der päpstlichen Zeremonialschriften wird im Folgenden aus der lateinischen Fassung zitiert, auch wenn, wie mir freundlicherweise Thomas Kaufmann (Göttingen) mitteilte, die deutsche Übersetzung des Paul Speratus von 1524 weit größere Verbreitung und Aufnahme gefunden hat. 37 Vgl. S t au b a c h, ‚Honor Dei‘ (wie Anm. 25). 38 BAV, Vat. lat. 12268, fol. 316v–317r („In die omnium sanctorum, quae fuit et est anniversarium creationis Sanctissimi Domini Nostri Pape Julii pro anno Nono“), hier v. a. fol. 300v: „et in ea missa nihil novi penitus evenit, nisi quod, cum peterem indulgentiam a Papa, mihi respondit se non recordari quantam soleat esse. Respondi, quod communiter pro prelatis celebrantibus est quinque annorum, pro cardinalibus vero septem, sed in die omnium sanctorum propter solemnitatem festi solet quandoque esse x annorum, et etiam propter festum annuae suae creationis fuerit aliquando plenaria, et papa concessit plenariam. Et etiam inter haec petiit a me, ut sibi declararem, quod vellet importare illa clausula, videlicet in forma ecclesiae consueta, quae in omnibus publicationibus semper dicitur. Respondi, quod dispositio iuris et forma ecclesiae est consueta, quod ipsa indulgentia datur illis praesentibus, qui sunt confessi et contriti prout de iure, aliis nequaquam, de quo fuit Pontifex satisfactus, ut mihi visum fuit“. Zu regelrechten Ablasskampagnen vgl. hingegen É. D o b l i e r / P. O t t e / M. Wu r s t, Ablasskampagnen des Spätmittelalters, in: QFIAB 95 (2015), S. 439–446. 39 Vgl. ebd. und nachfolgend fol. 316v–317r: „Item petiit, quod illud sibi vult, quod in temporalibus indulgentiis, videlicet quinque aut septem aut decem annorum semper additur illa clausula, videlicet ‚et totidem quadragene‘. Respondi, quod quadragene iste non sunt quadragesime, sed sunt quadraginta dies, que dantur a iure communi per unumquemque episcopum de indulgentia, et cum pontifices antiqui solerent parcissimi esse in suis indulgentiis, nam numquam nisi plures quam centum et quinquaginta aut ducentos dies aut sex menses dabant auctoritate apostolica, ut Pontifices summi, sed ut episcopi Romanae ecclesiae etiam dabant totidem quadragenas dies, id est quadraginta, quae forma antiqua semper apud nos posteros remansit, ut etiam hodie et Pontifex dixit in veritate se semper hactenus credidisse, ut illud intellegeretur de quadragesimali ipso“.
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seine Eintragungen von Amts wegen stets unmittelbar auf, sodass der „Schleier der Erinnerung“⁴⁰ noch recht durchsichtig geblieben sein dürfte. Zudem ging Paris zwar davon aus, sein Tagebuch könne einmal von einem Nachfolger gelesen werden, doch blieb es ansonsten streng sekretiert.⁴¹ Daher sind auch propagandistische Absichten, von wem und für wen auch immer, auszuschließen. Wie bei liturgischen und zeremoniellen Zeichen, so wissen wir ungeachtet der erwähnten Anhaltspunkte und Möglichkeiten auch bezüglich des Ablasses nicht, was Luther von päpstlichen und kurialen Darlegungen aufgegriffen haben mag. Besser informiert sind wir hingegen umgekehrt über seine Wirkung an der Kurie.
2 Die Rezeption von Luthers Reformation im Papstzeremoniell Der 31. Oktober 1517 war weder für Martin Luther noch für Paris de Grassis ein gewöhnlicher Tag. Als persönlicher Protegé Kurfürst Friedrichs des Weisen nutzte der Reformator, so der Thesenanschlag tatsächlich stattgefunden hat,⁴² offenbar ganz gezielt Ort und Zeit: als Ort die 1496/97 erbaute, in der Tradition ihres 150 Jahre zuvor gestifteten Vorgängerbaus exemte, von Luther auch später immer wieder mit reformatorischem Impetus explizit bedachte Wittenberger Schloss- und (seit 1502) Universitätskapelle, als Termin den Vortag ihres Patronatsfestes, Allerheiligen.⁴³ Die
40 J. Fr i e d, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004. 41 Dazu ausführlich B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 36–38, 70–75. 42 Nach der maßgeblich von Erwin Iserloh, ferner Klemens Honselmann, angestoßenen und unter anderem von Bernd Moeller aufgegriffenen Debatte vgl. zuletzt die verschiedenen Beiträge in J. O t t (Hg.), Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion? Leipzig 2008 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9) und U. Wo l f f, Iserloh: Der Thesenanschlag fand nicht statt, hg. von B. H a l l e n s l e b e n, mit einem Geleitwort von F. We b e r und einem Forschungsbeitrag von V. Le p p i n, Basel 2013 (Studia oecumenica Friburgensia 61), sowie Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 1), S. 117– 126, und Kau f m a n n, Geschichte (wie Anm. 1), S. 153–163 (Literatur). 43 Zur Liturgie der Wittenberger Schlosskapelle zur Zeit Luthers I. K r a t z s c h, Kommentar zur Textund Verbringungsgeschichte der Perikopenhandschriften Friedrichs des Weisen, in: R. B e h r e n d s (Hg.), Das Fest-Epistolar Friedrichs des Weisen. Handschrift ms. EL.F.2 aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Jena, 2 Bde. (Faksimile und Kommentar), Leipzig 2005, Bd. Kommentar, S. 11–43 (zum Rechtsstatus der Kapelle v. a. S. 27); zur Baugeschichte T. E s t l e r-Z i e g l e r, Die spätgotische Gestalt der Wittenberger Schloßkirche, in: M. S te f f e n s / I. C. H e n n e n (Hg.), Von der Kapelle zum Nationaldenkmal. Die Wittenberger Schloßkirche, Wittenberg 1998, S. 11–25, v. a. S. 11f. (Literatur). Vgl. auch die Ansicht aus dem 1509 von Georg Spalatin verfassten und von Lucas Cranach dem Älteren bebilderten Heiltumsbuch ebd., Kat.-Nr. 3, S. 182 (Abb. 30, S. 136f.). Zu Luthers Forderungen an Kapelle und Patrozinium etwa seine „pro Ecclesia Vuittembergensi“ bestimmte Gottesdienstordnung: Lu t h e r, Formula missae (wie Anm. 36), S. 219f., v. a. S. 220, Z. 2–5 („Nec vos aut quosvis alios absterreat, quod in nostra Wittemberga adhuc perseverat Topheth illa sacrilega, quae principum Saxoniae impia et perdita pecunia est, Ecclesiam dico omnium sanctorum.“) und Z. 13–17.
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für den Neubau weiterhin bestehende Exemtion bedeutete, dass die Kapelle de jure dem Papst unterstand, de facto jedoch – entgegen dem ursprünglichen Ideal der libertas ecclesiae⁴⁴ – in ihrer neuen Ausstattung und Liturgie maßgeblich von ihrem Landesherrn und Stifter, Luthers Gönner, geprägt war. Im Unterschied zu diesem – und zum Papst⁴⁵ – konnten hier Luthers Ortsbischof Hieronymus Schulz von Brandenburg und sein Metropolit, der Magdeburger Erzbischof Albrecht von Brandenburg, denen der Reformator am letzten Oktobertag 1517 seine 95 Thesen zusandte, in gottesdienstlichen Fragen keinen unmittelbaren Einfluss ausüben. An diesem Vorabend begann auch am Papsthof Allerheiligen, nicht als Patronats-, doch als gesamtkirchlich begangenes Hochfest: mit dessen erster gesungener Vesper. Auch hier spielten Ort und Zeit eine besondere Rolle: Es handelte sich um jenen Gottesdienst, mit dem die Zeremoniare ihren Überblick über die Papstämter des Kirchenjahres, die cappellae papales, beginnen ließen, und zwar zunächst in Alt-St. Peter, nach dessen Abriss und beginnendem Neubau dann ebenfalls in einer unmittelbar dem Papst unterstehenden, im Unterschied zum Gottesdienstraum des Wittenberger Schlosses dem Pontifex jedoch auch faktisch unterstehenden, seiner ureigenen Kapelle: der Cappella Sistina.⁴⁶ Beide Bauten waren neu errichtet worden: die prächtige päpstliche Palastkapelle von Sixtus IV. bereits im Geist der Renaissance (vgl. Abb. 2), die Wittenberger Schlosskapelle von Friedrich III. nur wenige Jahre später noch in den
44 Nach wie vor grundlegend: G. Te l l e n b a c h, Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites, Stuttgart 1936, und d e r s., Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, Göttingen 1988 (Die Kirche in ihrer Geschichte 2, F1). Zur Bedeutung für das Sachsen der Salierzeit vgl. nun auch J. B ö l l i ng, Zwischen Regnum und Sacerdotium. Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petrus-Patrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024–1125), Ostfildern 2017 (MittelalterForschungen 52). 45 Zu Luthers letztem Versuch, Papst Leo X. als Person, nicht aber als Amtsinhaber für sich zu gewinnen, H a m m, Der frühe Luther (wie Anm. 1), S. 183–199. 46 L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s (wie Anm. 3), S. 542–550, hier v. a. S. 543, Z. 11–14: „Capelle pontificales per annum sequuntur – In capellis pontificalibus annus incipit a vigilia omnium sanctorum. Cantantur itaque vespere … in Sancto Petro“. Vgl. auch ebd., S. 543–550 („Caeremoniale“ des Domenico della Rovere, heute in Turin, Biblioteca nazionale, ms. E II 14) und die verwandte Abschrift in Cambridge, Trinity College, ms. O.4.18, fol. 50r–66r (dazu auch S c h i m m e l p f e n n ig, Funktion [wie Anm. 6 ], S. 150–170. Vgl. dazu die ganz ähnliche Übersicht des Paris de Grassis in seinem das Kurienzeremoniale einführenden Supplementum, BAV, Vat. lat. 5634 II A, fol. 90v–103r („Summarium de singulis Vesperis ac Missis papalibus et de habitu cardinalium per totum annum ad illas euntium“) sowie seine voraufgehende Auflistung ebd., fol. 15v–66v – jene zwei Texte, die für Paris’ viel rezipierten und überlieferungsgeschichtlich weit verzweigten „Ordo“ die entscheidende Grundlage bildeten; dazu B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 41–54. Paris de Grassis glossierte die heute in Cambridge liegende Handschrift auf fol. 55r, 61r, 62v eigenhändig. Offenbar ersetzte seine eigene Version dann dauerhaft die heute in Turin und Cambridge verwahrten älteren Übersichten, die anscheinend in der Amtszeit des Johannes Burckard entstanden waren. Dem Trinity College der Universität Cambridge und seinem Sublibrarian Sandy Paul sei für die Unterstützung bei der Einsichtnahme ihrer Handschrift vielmals gedankt.
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regional üblichen spätgotischen Formen.⁴⁷ Am Abend des fraglichen 31. Oktober 1517 ging Papst Leo X. laut Paris wie gewohnt zu Fuß zur Kapelle und führte mit dem Kardinaldiakon von S. Giorgio, dem Zelebranten der Messe am darauffolgenden Morgen des Allerheiligentages, ein freundliches Gespräch zu beider Erheiterung.⁴⁸ Paris äußert sich auch zu dessen Predigt in der Messe: Sie sei reichlich lang, aber nicht schlecht gewesen – „satis longum, sed non malum“.⁴⁹ Luthers Reformforderungen zeitigten den Tagebuchaufzeichnungen zufolge jedoch noch keinerlei Wirkung. Weniger als vier Jahre später sah die Sache schon anders aus. Papst Leo X. konnte sich, als Luther zunehmend an Ansehen, Rückhalt und Einfluss gewann, über jeden Parteigänger glücklich schätzen. Am 2. Oktober 1521 nahm er in großer Dankbarkeit die vom englischen Botschafter John Clerk überreichte „Assertio“ König Heinrichs VIII. entgegen, in der dieser zentrale Thesen Martin Luthers verurteilte. Paris schreibt dazu:⁵⁰ „Audienz des Botschafters Englands im geheimen Konsistorium mit der Darreichung eines Buches und dem Schwur des Kardinal-Camerlengo Am Mittwoch, dem zweiten Oktober, fanden die erste Audienz der Rota und das Konsistorium statt. Wir anderen waren in der Apostolischen Kammer mit der Zulassung des Hochwürdigsten Herrn Francesco Armellini als neuem Kardinal der Kammer (Camerlengo) beschäftigt, als das Konsistorium begann. Als ich hinzugerufen wurde, traf ich den Papst zusammen mit 23, der Reihe nach allozierten Kardinälen sitzend an und sah, wie der Botschafter Englands vor dem Angesicht des Papstes kniete. Er hielt ein gewisses Buch in Händen, das von seinem König
47 Zur Sistina E. S te i n m a n n, Die Sixtinische Kapelle, 2 Bde., München 1901, und A. M. Vo c i / A. R o t h, Anmerkungen zur Baugeschichte der alten und der neuen capella magna des apostolischen Palastes bei St. Peter, in: B. Ja n z (Hg.), Collectanea II (wie Anm. 6), S. 13–102; zur Wittenberger Schlosskapelle E s t l e r-Z i e gl e r, Die spätgotsiche Gestalt (wie Anm. 43) sowie ebd., Abb. 30, S. 136f. (Lucas Cranach d. Ä., 1509). 48 Vgl. BAV, Ottob. lat. 2571, fol. 307v–308r. 49 BAV, Ottob. lat. 2571, fol. 308r. Eine ähnliche Formulierung findet sich bereits in den oben zitierten Ausführungen zum 1. November 1511 (BAV, Vat. lat. 12268, fol. 301r): „Igitur sermonem fecit quidam Venetus de Marcellis satis longum, sed alioquin doctus et tamen novus“. 50 BAV, Ottob. lat. 2571, fol. 550v–551r: „Audientia Oratoris Angliae in Consistorio Secreto cum oblatione libelli et iuramentum Cardinalis Camerarii – Die mercurii 2a, qua fuit Audientia Rotae prima et Consistorium, cum nos alii essemus occupati in Camera apostolica propter admissionem Reverendissimi Domini Francisci Armellini Cardinalis Camerarii novi, inchoatum fuit Consistorium, ad quod ego vocatus inveni iam Papam sedentem cum Cardinalibus omnibus 23 ordinatim, et Oratorem Angliae in conspectu Papae genuflexum orantem et proponentem sui Regis quendam libellum compositum tam à Rege, quam à suis Regis Consiliariis super nullitatibus conclusionum Martini Lutheri, qui scripserat contra Papam et contra decretum conciliare et contra auctoritatem apostolicae sedis, prout de hac re omnia sunt plena; et cum iste orator multa dixisset detestando conclusiones ipsius Martini, Papa elegantissimo breviloquio respondit se munus acceptare non ab ipso Rege, sed à Deo transmissum, et in hoc laudauit non solum Regem, sed admiratus est, ut dixit, eius ingenium, quare egit gratias Deo simul cum Cardinalibus pro tanto bono opere, et obtulit se pro similibus casibus et causis Regi et Regno promptissimum futurum“. Vgl. hierzu nun auch B ö l l i n g, Den Papst sehen (wie Anm. 10), S. 44–46.
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in enger Zusammenarbeit mit dessen Beratern über die Nichtigkeit der Lehren Martin Luthers verfasst worden war, der gegen den Papst und das Konzilsdekret und gegen die Autorität des Apostolischen Stuhles geschrieben hatte – von all diesen Dingen handelte es ausgiebig. Und als dieser Botschafter vieles gesagt hatte, indem er die Lehren eben dieses Martin Luther verdammte, antwortete der Papst in einer höchst eleganten Stellungnahme, er nehme das Geschenk nicht vom König selbst, sondern als Sendung Gottes entgegen, und dafür lobte er den König nicht nur, sondern verlieh seiner Bewunderung darüber Ausdruck, in welcher Weise sein Geist gesprochen hat. Daher sagte er zusammen mit seinen Kardinälen Gott Dank für ein so gutes Werk und versicherte im Gegenzug, er werde in ähnlichen Fällen und Beweggründen dem König und Königreich bereitwillig zur Verfügung stehen.“
Dieses Versprechen jedoch später auch in Bezug auf die Heiratspolitik des defensor fidei einzulösen, hat sich der Papst bekanntermaßen nicht imstande gesehen. Am Schluss der Schilderung erwähnt Paris schließlich noch den Akt der Buchübergabe: „Und am Ende überreichte der Botschafter dem Papst das Buch, das er eigentlich vorher hätte überreichen müssen, und der Papst nahm es mit großer Heiterkeit auf und übergab es den Seinen zur Verwahrung.“⁵¹ Der Schilderung des englischen Botschafters ist zu entnehmen, dass dessen Empfang nicht nur bezüglich des erwähnten Fauxpas der vom Papst freundlich überspielten verspäteten Übergabe Konfliktpotential in sich barg. So zeigte sich John Clerk in dem von Paris unerwähnt gelassenen vorbereitenden Gespräch überaus verwundert über die Tatsache, dass er vor dem Papst zu knien habe.⁵² Clerks kritische Haltung lässt aufmerken. Nur wenige Jahre später wurde nicht nur die Kniebeuge vor dem Papst, sondern auch die vor dem Kaiser in Frage gestellt. So weigerten sich die reformierten Protestanten, vor dem katholischen Kaiser zu knien – nur die Lutheraner widersetzten sich nicht, weil sie die Handlung als zu vernachlässigendes Adiaphoron ansahen.⁵³ In der äußeren Haltung scheinen sich Lutheraner und Katholiken einig gewesen zu sein, in der Sache selbst hingegen Reformierte und Katholiken. Letztere betrachteten die Zeremonie nicht nur als äußerlich, sondern als verbindlich, zogen daraus aber entgegengesetzte Schlüsse: Weil die Kniebeuge einer performativen Anerkennung gleichkäme, wurde sie seitens der Katholi-
51 Ebd.: „Et in fine ille Orator obtulit librum Papae, quem prius debuerat obtulisse, et Papa eum magna hilaritate recepit et conservandum suis assignavit. In fine Consistorii Papa recepit iuramentum à Cardinali Armellino novo Camerario, ut supra signavi die 13 septembris“. Es folgt als nächster Eintrag die Beschreibung der Vesper und Messe von Allerheiligen am 31. Oktober und 1. November 1521 – vier Jahre nach Luthers Thesenveröffentlichung. 52 Diesen Hinweis verdanke ich Frau Prof. Dr. Gabriele Müller-Oberhäuser (Münster), die in einem noch unpublizierten Vortrag die Darstellung des englischen Botschafters John Clerk behandelt hat. 53 Vgl. B. S to l l b e rg- R i l i nge r, Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser. Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt, in: G. A lt h o f f (Hg.), Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2004 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 3), S. 501–533.
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ken vollzogen und von den Reformierten verweigert. Die lutherische äußere Anerkennung bei innerer Ablehnung erscheint besonders pragmatisch, aber deshalb nicht näher an der kaiserlich-katholischen Grundhaltung: Ihr liegt ganz offensichtlich Luthers Auffassung von der unverbindlichen Äußerlichkeit aller Zeremonien zugrunde. Musste eine solche Haltung in Rom letztlich nicht mindestens ebenso unversöhnlich aufgenommen werden wie die Ablehnung durch die in der äußeren Form weitaus rigoroseren Reformierten? Ein Vergleich zwischen Luthers Gottesdienstordnungen, in denen der Reformator eben diese Vorstellung veränderbarer Äußerlichkeit jeweils an exponierter Stelle vehement vertritt,⁵⁴ auf der einen und den in zeitlicher Parallelität geäußerten neuen Ideen des Paris de Grassis auf der anderen Seite soll darüber näheren Aufschluss geben.
3 Luthers Reformation und die Reform des Papstzeremoniells durch Paris de Grassis Adiaphora kannte nicht nur Martin Luther,⁵⁵ sondern auch Paris de Grassis – nur verlief bei dem päpstlichen Zeremonialreformer die Trennlinie anders als beim grundsätzlicher argumentierenden Reformator. In einigen Fragen ging der Bologneser Doktor des Kirchenrechts und römische Magister caerimoniarum aber sogar noch weiter als der 1512, kurz nach seiner Rückkehr in die Heimat, promovierte wittenbergische Doctor theologiae. Dabei ist bei dem Zeremonialexperten am Papsthof eine ähnliche zeitbedingte Entwicklung festzustellen wie bei dem Exegeten an der Universität. Zur Zeit von Luthers Romaufenthalt befand sich de Grassis wie Luther noch in vollem Einklang mit der überlieferten Tradition. Neben den altehrwürdigen, zu einem beträchtlichen Teil auch später noch von Luther beibehaltenen Riten hat der Zeremonienmeister sogar viele der neueren Zeremonien übernommen, die sein unmittelbarer Amtsvorgänger und zeitweiliger Kollege Johannes Burckard aus Straßburg⁵⁶ einge-
54 Martin Lu t h e r, Formula missae, in: WA 12, S. 207f., und d e r s ., Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts, hg. von W. Wa lt h e r, Weimar 1897 (WA 19), S. 44–113, hier S. 113, Z. 13–15 („Ordnung ist eyn eusserlich ding …“). 55 Den kunst- wie liturgiegeschichtlich bedeutsamen Adiaphora widmet sich eine gleichnamige Schriftenreihe: Adiaphora. Schriften zur Kunst und Kultur im Protestantismus, hg. im Auftrag des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover. Vgl. dazu auch J. M. Fr i t z (Hg.), Die bewahrende Kraft des Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, Regensburg 1997, und d e r s., Das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland. Vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, Leipzig 2004. 56 R. E l z e, Art. Burckard, Johannes, in: NDB 3 (1957), S. 34, und B. S c h i m m e l p f e n n ig, Art. Burckard, Johannes, in: F. J. Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin 2005, S. 299–307. Vgl. auch A. M a n s i, Il Palazzo del Burcardo. Testimonianze di un restauro, Roma 1998.
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führt hatte, und das, obwohl er sich von Anfang an bewusst von diesem abzusetzen versuchte. Sein erstes großes Werk verfasste Paris als gezielten Alternativentwurf zu den Novellierungen, die Burckard am großen Referenztext sämtlicher Zeremoniare des späten 15. Jahrhunderts bis frühen 20. Jahrhunderts vorgenommen hatte, dem Kurienzeremoniale des Agostino Patrizi von 1488.⁵⁷ Problematisch an diesem Anliegen war nicht allein, dass Paris’ Textgrundlage bereits eine redaktionelle Bearbeitung seines verhassten Vorgängers und ehemaligen Mitstreiters Burckard darstellte und keineswegs die Urfassung des Patrizi, für die Paris sie fälschlich hielt.⁵⁸ Paris integrierte darüber hinaus auch völlig neue Zeremonien, die erst Burckard vorgesehen hatte, und das bei einem besonders heiklen, weil sakrosankten Ritus: dem der heiligen Messe.⁵⁹ Bis 1511 schrieb Paris somit nicht nur gemäß der älteren Tradition, sondern sogar unter exakter Beobachtung der allerneuesten Vorgaben – und stammten sie auch von seiner Meinung nach unberufener Seite. Dies war sicherlich nicht zuletzt der speziellen Form und Funktion dieser Schriften geschuldet. Paris’ Werke waren nämlich bis zum Jahr von Luthers Aufenthalt in Rom vor allem normativen Charakters – erste Versuche, die bisherige Tradition systematisch fortzuschreiben und ausdifferenzierend zu vervollständigen. Dazu gehört seine erwähnte Redaktion des Kurienzeremoniales, ergänzt durch Texte zu Fragen der zeremoniellen Planung, des liturgischen Gesangs, des inoffiziellen Ausrittes durch den Papst und der wechselnden kardinalizischen Farben im Kirchenjahr, je nach Anlass Rot, Mauve oder Violett (vgl. Abb. 1).⁶⁰ Ebenfalls aus dieser Zeit stammen sein damit intertextuell verwobenes Kardinalszeremoniale, seine aus beiden Schriften kompilierten, für verschiedene kardinalizische Amtsträger wie Matthäus Lang und Guillaume Briçonnet verfassten Sonderausfertigungen, seine Werke über die Bischofsweihen, über die Kreation und die Beerdigung von Kardinälen und schließlich sein Botschaftertraktat.⁶¹ Darin zeigen sich durch gelehrte Zitate auch Aneignungsversuche gegenüber der Antike: ganz im Sinne der Renaissance, nicht aber der Reformation – noch nicht. Im Unterscheid zu diesen frühen normativen Darlegungen erlauben Paris’ nach 1511 verfasste dokumentarische Tagebucheintragungen und reflektierende Kommentare im so genannten „Caerimoniarum opusculum“ Einblicke in eine veränderte Haltung: Hier weisen zahlreiche Überlegungen erstaunliche Parallelen zu Ideen Martin Luthers auf, ja übertreffen dessen Forderungen in Teilen sogar. Im Tagebuch wird
57 L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s (wie Anm. 3). 58 B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 25–30, 38–41. 59 Ebd., S. 101 mit Anm. 41f. 60 Der Bibliothèque in Chantilly sei an dieser Stelle nochmals gedankt, diese Abbildung hier abdrucken zu dürfen; vgl. auch B ö l l i ng, Den Papst sehen (wie Anm. 10), S. 41, Anm. 21. 61 Vgl. dazu ausführlich B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 35–68. Zum Botschaftertraktat nun auch P. S te n z ig, Botschafterzeremoniell am Papsthof der Renaissance. Der ‚Tractatus de oratoribus‘ des Paris de Grassi – Edition und Kommentar, 2 Teile, Franfkurt a. M. 2013 (Tradition – Reform – Innovation 17).
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vor allem Paris’ veränderte Grundhaltung zur mehrstimmigen Musik im Gottesdienst greifbar:⁶² Am 12. April 1514 lobt er noch den mehrstimmigen Falsobordone-Satz des 50., nach lutherischer Zählung 51. Psalms Miserere mei in der Karmette – eine spätestens seit dem frühen 18. Jahrhundert immer wieder zitierte Referenzstelle.⁶³ Dahingegen enthielt er sich bei der am Vorabend des 20. März 1516 begangenen Karfreitagsmatutin jeglichen Kommentars,⁶⁴ und in der Schilderung des 1. April 1518 kritisiert er die durch Papst Leo X. gewünschte mehrstimmige Vertonung des Psalms ausdrücklich.⁶⁵ Sein Sinneswandel ist unübersehbar. Im Vergleich zu Luther verlief er jedoch umgekehrt: Äußerte dieser sich zunächst skeptisch mehrstimmiger Musik gegenüber, so wusste er sie später besonders zu schätzen⁶⁶ – möglicherweise nicht zuletzt durch den Einfluss Friedrichs des Weisen.⁶⁷ Paris hingegen wurde in diesem wie auch anderen Punkten im Laufe der Zeit rigider. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt sich auch bei den Zeremonien des Messritus – festgehalten in Paris’ „Caerimoniarum opusculum“, das in zwei verschiedenen Fassungen vorliegt, die sich keineswegs als Zeugnisse einer älteren und einer jün-
62 Dazu ausführlich J. B ö l l i ng, Zeremoniell und Zeit. Messkult und Musikkultur am Papsthof der Renaissance, in: A. A m m e n d o l a / D. G l o wo t z / J. H e i d r i c h (Hg.), Polyphone Messen im 15. und 16. Jahrhundert. Funktion, Kontext, Symbol, Göttingen 2012, S. 145–186. 63 Vgl. Andrea Ad a m i, detto ‚il Bolsena‘, Osservazioni per ben regolare il coro de i cantori della Cappella Pontificia, tanto nelle funzioni ordinarie, che straordinarie (Rom 1711), hg. von G. R o s t i r o l l a, Lucca 1988 (Musurgiana 1), S. 36f. Zur Rezeption der Aufführungen des 17. und 18. Jahrhunderts L. Lü t te ke n, Perpetuierung des Einzigartigen. Gregorio Allegris ‚Miserere‘ und das Ritual der päpstlichen Kapelle, in: J. I m o rd e / F. N e u m e ye r / T. We d d ige n (Hg.), Barocke Inszenierung, Emsdetten 1999, S. 136–145, und J. He i d r i c h, ‚… wie auf Schwanenflügeln getragen‘. Zur Bedeutung der römischen Miserere-Rezeption für die deutsche literarische Romantik, in: M. E n ge l h a r d t / C. F l a m m (Hg.), Musik in Rom im 17. und 18. Jahrhundert. Kirche und Fest / Musica a Roma nel Sei e Settecento, Chiesa e festa, Laaber 2004 (Analecta musicologica 33), S. 475–486. 64 Vgl. Vat. lat. 12274, fol. 192r (gestempelt; fol. 189r der Originalfoliierung) und die Edition in: Il diario di Leone X di Paride de Grassi, hg. von P. D e l i c a t i / M. A r m e l l i n i, Rom 1884, S. 31. Die cantores sangen den 50. (51.) Psalm demnach „partim cum canto figurato ac partim symphoniace“; vgl. S c h i m m e l p f e n n ig, Funktion (wie Anm. 6), S. 149 (Nr. IV. 2b), und R. S h e r r, The Singers of the Papal Chapel and Liturgical Ceremonies in the Early Sixteenth Century. Some Documentary Evidence, in: P. A. R a m s e y (Hg.), Rome in the Renaissance. The City and its Myth, Binghamton (New York) 1982 (Medieval and Renaissance texts and studies 18), S. 249–264, hier S. 256 mit Anm. 32. 65 BAV, Vat. lat. 5636, fol. 232v: „In fine officii mihi non placuit, quod cantores cantassent psalmum ‚Miserere mei‘ falsum bordonum, et papa sic voluit“. Vgl. S h e r r, Singers (wie Anm. 64), S. 256 mit Anm. 33. 66 Zu Luthers dauerhafter Wertschätzung nach zwischenzeitlich ablehnender Haltung vgl. etwa B. Lo h s e, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, S. 44. 67 Zur umfangreichen und außerordentlich wertvollen Musikaliensammlung Friedrichs des Weisen vgl. J. He i d r i c h, Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen geistlichen Musikpraxis, Baden-Baden 1993 (Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen 84).
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geren Redaktion erklären lassen, sondern beide unabhängig voneinander aus dem umfangreichen Nachlass des Paris postum in ihre heutige Form gebracht worden sind.⁶⁸ Eines der bekannten von Luther beibehaltenen Adiaphora bildet die von ihm aus rein pastoralen Gründen beibehaltene Elevation der Hostie.⁶⁹ Paris rüttelt an dieser Zeremonie zwar nicht, kennt aber eine von Luther erst gar nicht mehr zur Kenntnis genommene Regelung, die er als adiáphoron einstuft, wobei er anstelle des griechischen Adjektivs das lateinische Adverb „indifferenter“ verwendet: Die erstmals in Burckards Mess-Ordo begegnenden Rubriken, vor wie nach der Elevation eine Kniebeuge zu machen und Daumen und Zeigefinger von der Elevation bis zur Ablution zusammenzuhalten,⁷⁰ hatte Paris zunächst noch in Kurien- und Kardinalszeremoniale aufgenommen,⁷¹ und das posttridentinische Missale von 1570 sollte sie
68 Vgl. oben Anm. 9. 69 Vgl. Lu t h e r, Formula missae (wie Anm. 36), Nr. 21 (S. 16); d e r s ., Deutsche Messe, hg. von Wa l th e r (wie Anm. 54), S. 99, Z. 17–19: „Das auffheben wollen wir nicht abthun sondern behalten, darumb das es fein mit dem deudschen sanctus stymmet und bedeut, das Christus befohlen hat, seyn zugedencken“. Zum theologischen Verständnis Luthers H. B. M e ye r, Luther und die Messe. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung über das Verhältnis Luthers zum Meßwesen des späten Mittelalters, Paderborn 1965 (Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien 11), S. 280–288, und W. S i m o n, Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, Tübingen 2003 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 22), S. 325; zur mittelalterlichen Genese ebd., S. 124–130, und M e ye r, Luther (wie Anm. 69), S. 261–292 sowie J. A. Ju n g m a n n S.J., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., Wien 51962, Bd. 2, S. 257–266; zur Bedeutung für die Musik: J. B ö l l i ng, ‚Musicae utilitas‘. Zur Bedeutung der Musik im Adventus-Zeremoniell der Vormoderne, in: P. Jo h a n e k / A. L a m p e n (Hg.), Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, Köln-Weimar-Wien 2009 (Städteforschung A,75), S. 229–266, hier S. 254–262; vgl. auch, v. a. zu englischen Quellen, M. Ru b i n, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge u. a. 1999, S. 131–134. 70 „Ordo missae Ioannis Burckardi“, in: Tracts on the Mass, hg. von J. W. Le gg, London 1904, S. 119– 178, 156: „genuflexus eam [sc. hostiam] adorat. Tum se erigit eleuat in altum quantum commode potest hostiam … Tum vsque in terram genuflexus hostiam veneratur … et pollices ac indices non disiungit usque post communionem“. Bereits im Jahre 1496, somit sechs Jahre vor der von Legg edierten Druckfassung von 1502, erschien die Editio princeps; vgl. etwa Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 8° H E RIT I, 7860 Inc, fol. 100 (im Druck unmittelbar vor dem Blatt mit der römischen Ziffer ci). 71 Vgl. BAV, Vat. lat. 5634 II A, fol. 61v: „ipse [sc. celebrans] genuflexus adoret, deinde aliis adorandam demonstret … ergo hostiam demonstrans ita eam supra caput levet, ut videri commode ab omnibus possit …; fol. 62r: Et sic ipse prius sanguinem adoret genuflexus calice super altari dimisso. Deinde capiat calicis nodum cum dextra et pedem cum sinistra. Et sic eum similiter adorandum ostendat reponatque in loco suo et reverentiam faciat, nec unquam interim disiungat digitos usque ad communionem perfectam …“; vgl. auch Paridis Crassi … De Caeremoniis Cardinalium Episcoporum in eorum Dioecesibus, Venezia 1582 (wie Anm. 35), fol. 48v (Editio princeps von 1564, fol. 73r): „qui [sc. Assistens et Diaconus] non nisi cum celebrante in eleuatione genuflectunt …“. Beim Kardinalszeremoniale nicht auszuschließen ist eine gewisse redaktionelle Angleichung an die posttridentinischen Verhältnisse durch den Editor Franciscus Mucantius, doch die Übereinstimmung mit dem auch sonst
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sogar weltweit verbindlich werden lassen.⁷² Im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts änderte Paris seine Auffassung jedoch grundlegend. Nun überließ er die Einhaltung solcher Rubriken in geradezu lutherischer Diktion den superstitiosi, wohingegen die päpstliche Kapelle „indifferenterweise“ derlei nicht bewahre: „id indifferenter nostra cappella non servat, sed potius pro libito utitur“.⁷³ Die etymologische Verwandtschaft des von Paris verwandten lateinischen Adverbs indifferenter mit dem lutherischen griechischen Adjektiv adiáphoron verdeutlicht die Analogie der Konzepte. Doch Paris de Grassis geht noch weiter. Die von Burckard vor und nach der Elevation eingeführten Kniebeugen will er keineswegs der freien Entscheidung des Zelebranten überlassen, sondern mit expliziter Kritik an Burckard und Rekurs auf die Zeit der bereits verstorbenen della-Rovere-Päpste Sixtus IV. und Julius II. ganz abschaffen.⁷⁴ In der Tat weisen die beiden älteren gedruckten römischen Messbücher, die bereits vor Luthers Romaufenthalt in den Druck gegangen sind und von denen bezeichnenderweise auch die Schlosskapelle in Wittenberg nicht weniger als sieben, heute leider verschollene Exemplare besaß,⁷⁵ Burckards Rubriken noch nicht auf.⁷⁶ Könnte dieses Ansinnen des rinascimentalen Zeremoniars noch als ein persönlich motivierter Versuch erscheinen, die Neuerungen des ihm verhassten Burckard zu beseitigen, um einen älteren Zustand zu restituieren, den noch die Erneuerer von
intertextuell verwobenen Kurienzeremoniale spricht für eine enstprechende ursprüngliche Fassung des Paris de Grassis selbst. 72 Missale Romanum. Editio princeps (1570). Edizione anastatica, Introduzione e Appendice, hg. von M. S o d i / A. M. Tr i a cc a, Città del Vaticano 1998 (Monumenta Liturgica Concilii Tridentini 2), S. 343f. (= S. 283f. im Druck von 1570). 73 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 218r. Vgl. Lu t h e r, Formula missae (wie Anm. 36), S. 212, Z. 3f.: „Tamen contra libertatem non introducam legem superstitiosam“. 74 Vgl. ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 239r: „Insuper sanctae memoriae Julius Pontifex mihi narrare solebat a sanctae memoriae Sixto 4o patruo suo in theologicis caerimonialibusque huiusmodi apprime erudito audivisse atque etiam semper observasse, quod inter adorandum quisque sacrificans nunquam ad terram genua deponere, sed tantum cernuus et pronus esse debet, ut supra plenius dixi in capitulo ‚Quae et quanta veneratio‘“. Dykmans (L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s [wie Anm. 3 ], S. 293 mit Anm. 220) geht irrtümlich nur von der Kniebeuge vor der so genannten kleinen Elevation am Ende des Canon missae aus. Vgl. hierzu, zu Paris’ expliziter Kritik an Burckard und zum Folgenden ausführlich B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 94–108, und d e r s ., ‚Cum gratia et decore‘. Sull’estetica cerimoniale di Paride de Grassi / ‚Cum gratia et decore‘. Zur Zeremonialästhetik des Paris de Grassis, in: Accademia Raffaello. Atti e studi 2 (2006), S. 45–63. 75 Vgl. K r a t z s c h, Kommentar (wie Anm. 43), S. 27 mit Anm. 37. Manfred Jakubowski-Tiessen (Göttingen) wies mich freundlicherweise darauf hin, dass ungeachtet der frühen Übertragung der älteren Bibliotheksbestände nach Jena auch in der Bibliothek des Wittenberger Predigerseminars im Augusteum Bestände mit Glossen Luthers einsehbar sind. Aus Zeitgründen war mir jedoch weder ein Besuch in Wittenberg noch in Jena möglich. 76 Vgl. etwa Missale Romanum. Editio princeps (1474). Reimpr. vaticani exemplaris, hg. von A. Wa r d / C. Jo h n s o n, Rom 1996 (Ephemerides Liturgicae. Biblioteca. Subsidia. Supplementa 3), S. 179f., sowie erläuternd B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 34.
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päpstlicher Kapelle und petrinischer Basilika bezeugen, so lassen einige Aussagen zur noch älteren Tradition, die auf keinen geringeren als Innozenz III. zurückgeht, auf einen umfassenderen reformerischen Impetus schließen. Vieles aus dessen Amtszeit erscheint Paris in scholastischer Manier „einfältig“, „kindisch“ oder gar „impertinent“.⁷⁷ Auch wenn Paris vieles von Innozenz III. und Thomas von Aquin ausdrücklich gutheißt, sind ihm die bereits verstorbenen Renaissance-Päpste und ihre liturgischen Berater näher als manch zeitgenössischer Adept des mächtigsten Pontifex und des kaum jüngeren einflussreichsten Theologen des Mittelalters. Ausgerechnet beim Canon missae, den Luther im Unterschied zu zentralen Grundelementen und Gesängen der Messe nicht beibehalten will, geht der römische Reformer in einem Punkt sogar noch weiter als der romkritische Reformator: Luther äußert sich Anfang der 20er Jahre noch erstaunlich zurückhaltend über die Frage der Kanonstille bei den für das römische Hochgebet zentralen, von Luther als einziges Element übernommenen Einsetzungsworten. Zwar möchte er bis auf diesen Einsetzungsbericht sowie die vorausgehende Präfation und das nachfolgende Vaterunser das gesamte eucharistische Hochgebet abgeschafft wissen, wendet sich gegen lautlos zelebrierte „Winkelmessen“ und spricht 1525 schließlich explizit „Vom Greuel der Stillmesse“.⁷⁸ Gleichwohl können aber die beibehaltenen verba testamenti seiner noch 1523 geäußerten Auffassung nach entweder vernehmlich im Orationston erklingen oder aber auch durchaus weiterhin still gebetet werden.⁷⁹ Luther setzt hier – offenbar im Sinne seiner gräzisierenden Namensänderung von Luder in Luther ganz eleuthérios – auf die libertas: „in his omnibus libertas sit piis mentibus“⁸⁰ – ein pastorales Grundanliegen, das mutatis mutandis unter den Päpsten auch der emeritierte Benedikt XVI. realisiert hat.⁸¹ Nicht
77 Vgl. ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 143r–v, hier fol. 143v: „Sed haec, utpote simplicia, ne dicam puerilia velut impertinentia nos aetate nostra praetermisimus …“. 78 M e ye r, Luther (wie Anm. 69), S. 236 mit Anm. 72 (mit Verweis auf WA 38, S. 210f., 213 sowie WA 6, S. 362, 516) sowie (zur Schrift von 1525) S. 246f. mit Anm. 1 (mit Verweis auf WA 18, S. 24). Zum theologischen Hintergrund W. S i m o n, Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, Tübingen 2003 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 22). 79 Lu t h e r, Formula missae (wie Anm. 36), S. 212, Z. 23–26: „Haec verba Christi velim modica post prefationem interposita pausa in eo tono vocis recitari, quo canitur alias oratio dominica in Canone, ut a circumstantibus possit audiri, quamquam in his omnibus libertas sit piis mentibus, vel silenter vel palam ea verba recitare“. Vgl. dazu auch die – allerdings nicht weiter ausgewertete – deutsche Übersetzung bei M e ye r, Luther (wie Anm. 69), S. 251 mit Anm. 19 sowie zur entsprechenden vorausgehenden Praxis ebd., S. 248f. mit Anm. 10f.; zum frühen Luther anders hingegen nun Kau f m a n n, Geschichte (wie Anm. 1), S. 385–392. 80 Ebd. Zu Luthers Idee der Freiheit von, für und in der Kirche (jedoch ohne Hinweis auf sein skizziertes liturgisches Ideal) vgl. H. Z s c h o s c h, Martin Luther und die Kirche der Freiheit, in: W. Z a ge r (Hg.), Martin Luther und die Freiheit, Darmstadt 2010, S. 25–39; H a m m, Der frühe Luther (wie Anm. 1), S. 183–199; Le p p i n, Luther (wie Anm. 1), S. 154 mit Anm. 148f. Siehe auch oben Anm. 43. 81 J. B ö l l i ng, Zwischen Liturgie und Volksfrömmigkeit. Wallfahrten im Spätmittelalter, in: S. B ö n te r t (Hg.), Objektive Feier und subjektiver Glaube? Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Spiritua-
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so Paris de Grassis! Der Zeremoniar erhebt die erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – ohne Kenntnis analoger Ideen bereits in der Renaissance – eingelöste Forderung, die Einsetzungsworte seien laut und vernehmlich zu sprechen: Für ihn ist das gehauchte Flüstern von Hoc est enim corpus meum geradezu ein Zeichen mangelnder theologischer Bildung bei Priestern, die er „imperiti“ nennt.⁸² Mit den periti des Zweiten Vatikanums konnte er allerdings noch nicht rechnen. Anstelle von deren differenzierten, dauerhafteren Argumentationen⁸³ setzt Paris de Grassis aus einem bereits in die Wiege gelegten humanistischen Interesse heraus – seine Brüder hießen Achilles und Agamemnon – auf herausfordernde Formulierungen, und sollten diese auch nur von seinen Nachfolgern zur Kenntnis genommen werden.⁸⁴ Bezüglich der Aufbewahrung der Eucharistie ist Paris de Grassis wiederum generell traditionstreu. Allerdings hält er es durchaus im Sinne Luthers für unstimmig („absonum“), in einem Gotteshaus eine konsekrierte Hostie zu verwahren, um davor eine Messe zu zelebrieren.⁸⁵ Messen vor einem Tabernakel mit Ziborium finden also
lität, Regensburg 2011 (Studien zur Pastoralliturgie 32), S. 35–62, hier S. 40 mit Anm. 26. Der zentrale Unterschied besteht in der grundsätzlichen Beurteilung äußerer Zeichen und ihrer kirchenamtlichen Approbation, die Analogie in der unmittelbaren Freiheit von Geistlichen und Gläubigen. 82 ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 238r–v: „primo ipse quidem incurvatus absque aliqua prece adoret, tum surgens … populo hostiam adorandam ostendat … Hinc hostiam deponat, sed priusquam calicem discooperiat illius vinum in sanguinem consecraturus, rursus hostiam repositam veneratur, deinde et non prius pallam ab sacrificio calicis amoveat cum digito medio ac cum indice capiat absque ulla genuflexione, quem ad os suum admoveat et distincte verba proferendo consecret absque ulla insufflatione, quod imperiti faciunt; postquam calicem consecraverit, calicem manibus tenens adorat incurvatus paulisper, tum elevat, inde reponit ac rursus repositum veneretur“. Ob dieses Flüstern der Worte „Hoc est enim corpus meum“ zum Ausdruck „Hokuspokus“ geführt hat, kann zwar „nicht ausgeschlossen“ werden: F. K luge, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache, Berlin 2 42002, S. 418. Gleichwohl weisen die anderen nachweisbaren Spuren in eine andere Richtung; vgl. ebd. und Duden, Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim u. a. 21989 (Duden 7), S. 288. 83 Siehe dazu auch Anm. 81. 84 Zur Biographie des Paris vgl. oben Anm. 4, zu humanistischer Streitkultur J. H e l m r a t h, Streitkultur. Die „Invektive“ bei den italienischen Humanisten, in: M. L au r e y s (Hg.), Die Kunst des Streitens. Inszenierung, Formen und Funktionen öffentlichen Streits in historischer Perspektive, Göttingen 2011, S. 259–294. 85 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 80v: „Quin et absonum valde est, ut in eadem cappella seu oratorio, in quo iam est sacramentum, quod adoratur, aliud sacramentum de novo ibidem conficiatur, et sic quod ex illis ambobus sacramentis adorari debeat in dubium vertatur“. Die Abschrift des Mucantius, ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 80v, enthält im Unterschied zur Bibliotheksfassung Vat. lat. 5634 I, fol. 130v (vgl. oben Anm. 9) folgenden Zusatz: „Hac ergo ratione sacra mysteria nostra, ubicunque solemniter illa agi conveniat, semper absque sacramenti praesentia peragimus, illud interim ex suo loculo levantes atque alibi, honeste tamen et digne tantisper reponentes, dum ille celebrationis mysteriorumque actus fuerit ibi consummatus atque perfectus“.
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nicht sein Wohlwollen, obwohl sie seit dem Spätmittelalter verbreitet waren⁸⁶ und nach dem Trienter Konzil sogar ein typisches Kennzeichen der römisch-katholischen Liturgie werden sollten, sofern kein älteres gotisches Sakramentshäuschen vorhanden war. Und Messen vor ausgesetztem Allerheiligsten?⁸⁷ Für Paris – und nicht erst für die liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts – undenkbar! Eine nicht einmal vom Zweiten Vatikanum umgesetzte Neuerung erscheint ebenfalls geradezu reformatorisch: Paris spricht sich generell gegen den eucharistischen Segen aus.⁸⁸ Eine Benediktion mit der Monstranz erfolge nur „unter dem Vorwand von Frömmigkeit“ („pietatis praetextu“); denn – und da ähnelt er nun in geradezu verblüffender Weise Luther – Personen könnten abgesehen vom Kommunionempfang einzig und allein „durch das Wort des Mundes und das Zeichen der Hand“ („per verbum oris et signum manus“) gesegnet werden, also im Sinne des lateinischen Wortes „bene-dicere“,⁸⁹ nicht aber durch die bloße Bezeichnung mit dem Kreuz, obgleich dem entsprechenden Verb („cruce“) „signare“ paradoxerweise wiederum das deutsche Wort „segnen“ seinen etymologischen Ursprung verdankt.⁹⁰ Wie beim Einsetzungsbericht, so scheidet für Paris auch hier bloße Stille und reine Substanz aus. Verständlicherweise widersprach ihm sein bereits erwähnter posttridentinischer Nachfolger Franciscus Mucantius in allen fraglichen Punkten, da die römisch-katho-
86 Vgl. J. B r au n, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung, 2 Bde., München 1924, und als Beispiel neuerer Forschung T. He n ke, Das Zisterzienserinnenkloster Medingen und die mittelalterliche Kirchenausstattung in Wichmannsburg und Altenmedingen, in: H. R ö c ke l e i n (Hg.), Frauenstifte, Frauenklöster und ihre Pfarreien, Dortmund 2009 (Essener Forschungen zum Frauenstift 7), S. 235–256, hier v. a. S. 247–251. 87 Zur Geschichte der ständigen Aussetzung P. B ro we, Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht, mit einer Einführung, hg. von H. Lu t t e r b a c h / T. F l a m m e r, Münster-Hamburg-London 2003 (Vergessene Theologen 1), S. 395–397 (Die ständige Aussetzung des Sakraments im Mittelalter, aus: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 7 [1927], S. 144–148), bes. S. 397 mit Anm. 13 (zu einem Indult Papst Julius’ II., unter dem Paris de Grassis amtierte). 88 Zur Geschichte dieses im Spätmittelalter aufgekommenen Segens vgl. B r o we, Die Eucharistie im Mittelalter (wie Anm. 87), S. 233–238 (Der Segen mit Reliquien der Patene und Eucharistie, aus: Ephemerides Liturgicae 5 [1931], S. 383–391), bes. S. 235–238. 89 ASV, Fondo Borghese, serie I 568, fol. 148r: „Cavendum tamen, ne utique cum ipso sacramento signum benedictionis perducant in populum, pro qua re multos pietatis praetextu errasse vidimus; namque benedictio ista, de qua loquimur, per verbum oris et signum manus in crucis modulum exprimenda est, quam de caelo misit Dominus in populos, nec unquam homo cum sacramento signandus est, nisi dum illud in communione recipit, ut alibi plenius“. 90 K luge, Etymologisches Wörterbuch (wie Anm. 82), S. 837 (Art. Segen), und Duden, Etymologie (wie Anm. 82), S. 662 (Art. segnen). Möglicherweise erklärt sich daher auch der Zusammenhang von monogrammatischem „Benevalete“ und die Kreuzform weiterführender Rota am Ende von feierlichen Papstprivilegien des Hochmittelalters; vgl. dazu J. B ö l l i ng, Die zwei Körper des Heiligen. St. Petrus im Rom und Sachsen der Salierzeit, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 106 (2011), S. 155–192.
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lische Kirche nach dem Beginn der Reformation, dem Abschluss des Trienter Konzils und der Gründung einer eigenen kurialen Zeremonialkongregation einen dezidiert anderen Weg eingeschlagen hatte. Mucantius’ teilweise erst vor kurzem wiederentdeckte Randbemerkungen in Abschriften von Paris’ Werken geben davon ein beredtes Zeugnis.⁹¹ Die Kniebeuge im Hochgebet, ursprünglich eine innerkurial diskutierte Zeremonie, die Paris wie Luther als Adiaphoron gegolten hatte, war zum äußeren konfessionellen Kennzeichen der klassischen katholischen eucharistischen Sakramentaltheologie geworden. Von daher ist auch die Bedeutung verständlich, die in konfessionellen Auseinandersetzungen der Kniebeuge gegenüber Papst und Kaiser beigemessen worden ist.⁹² 1518, als Martin Luther noch nicht grundsätzlich mit der kirchlichen Hierarchie gebrochen zu haben schien, scheiterte das Ansinnen beider Seiten letztlich an Luthers Vorbehalten gegenüber der scholastischen Messauslegung, wie sie in zahlreichen Traktaten dargelegt worden war und in späteren reformatorisch angegriffen oder wiederum reformerisch verteidigt werden sollte.⁹³ Paris de Grassis hingegen distanzierte sich etwa zeitgleich oder wenig später von seinen spätscholastischen Widersachern und schreckte – auch hierin Luther nicht nachstehend – selbst vor spöttischen Bemerkungen nicht zurück. An der traditionellen Transsubstantiationslehre ließ Paris im Unterschied zu Luther keinen Zweifel. Gleichwohl hätten beide reformerisch gesinnten Theologen genug Stoff für ein austauschendes Gespräch gehabt, das freilich nie zustande gekommen ist – vielleicht gerade auch deshalb, weil – um beim Beispiel zu bleiben – beide die Verba testamenti abgesehen von der unterschiedlichen ekklesiologischen Lehre auf ihre jeweils persönliche Weise sehr wörtlich nahmen: Zielte Paris auf die Verständlichkeit der wandelnden Konsekrationsworte ab, so fasste Luther den zitierten Text des Neuen Testaments dahingehend in dem von ihm favorisierten Literalsinn auf, dass dieses „Testament“ als göttlich gestiftete Erbschaft zu begreifen sei, auf die nur mit „fides“, sola fide, geantwortet werden könne.⁹⁴ Indirekte Einflüsse sind daher nicht rundweg
91 B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 69–78, und d e r s ., ‚Vide apostillam‘ (wie Anm. 32). Speziell zur Zeremonialkongregation ebd., S. 72f. mit Anm. 97–100, und neuerdings J. Zu n c ke l, Neuausrichtung der symbolischen Ressourcen. Zeremonialkongregation und Reformdiskurs im 16. Jahrhundert, in: S c h m i dt / Wo l f ( Hg. ), Monarchischer Papat (wie Anm. 32), S. 337–363. 92 Vgl. oben Anm. 53. 93 Eine Gesamtdarstellung dieser Vorgänge bildet nach wie vor ein Desiderat. Allein die Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek verfügt über zahlreiche einschlägige Quellen. 94 Zu Luthers Lehre in diesem Sinne N. S t au b a c h, Kultsymbolik im Wandel. Die Eucharistie als Opfer und Zeichen, in: E. H a rd i ng / N. K re n t z (Hg.), Symbolik in Zeiten von Krise und gesellschaftlichem Umbruch Darstellung und Wahrnehmung vormoderner Ordnung im Wandel, Münster 2011 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 33), S. 19–29, hier S. 25–29 (Literatur); S i m o n, Messopfertheologie (wie Anm. 78), passim, zusammenfassend S. 703f.
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auszuschließen, zumal Paris zur Untermauerung seiner Thesen häufiger auf Äußerungen anderer Experten hinweist, ohne diese namentlich zu nennen.⁹⁵ In einem bisher noch nicht genannten Punkt hätte man sicherlich besonders früh übereinkommen können: der Verkündigung des Wortes in Lesung und Predigt. Nicht erst in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit, sondern sogar gleich zu Beginn seines Wirkens suchte Paris den Papst dazu zu bewegen, die Lektionstexte des Zelebranten und der Leviten nicht wie üblich durch das parallele Lesen in seinem eigenen Missale zu doppeln, sondern den Vortrag der Epistel durch den Subdiakon und des Evangeliums durch den Diakon anzuhören.⁹⁶ Bei allen anderen Texten der Messe waren die vier Bereiche von Altar, Thron, Kardinalsbänken und Sängerkanzel unabhängig voneinander – mit der Einschränkung, dass alle Anwesenden die bei Gesängen vorgesehenen Zeremonien wiederholten, sobald der Chor sie vortrug und Paris ein zeitliches Interaktionsmodell zu deren genereller musikalisch-ästhetischer Harmonisierung entwarf.⁹⁷ Paris wünschte sich eine solche geballte Aufmerksamkeit auch für die Lesungstexte: Im Wortgottesdienst hätte sich also sogar der Papst dem öffentlich vorgetragenen Wort Gottes zugewandt – in ähnlicher Weise, wie auch der Pontifex zur Elevation des Sakraments niederkniete. Bedenkt man dann noch, dass der Prokurator der Augustiner-Eremiten zur Zeit Luthers und des Generalpriors Egidio da Viterbo⁹⁸ regelmäßig im Papstgottesdienst zu predigen hatte, etwa am 3. Fasten- und 3. Adventssonntag,⁹⁹ also während Luthers Romaufenthalt, hätte ein grundlegender Austausch über derartige Fragen interessante Ergebnisse zeitigen können. Neben der Rolle des Wortes im Gottesdienst stellte sich für Paris de Grassis aufs Ganze gesehen aber eine noch viel grundlegendere Frage: das Verhältnis von Schrift und Performanz. Paris war zutiefst besorgt und verärgert, als Cristoforo Marcello
95 B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 94–112. 96 Vgl. die „Additiones“ des Paris de Grassis zum Kurienzeremoniale, BAV, Vat. lat. 5634 II A, fol. 109v (eingefügt in L’œuvre de Patrizi Piccolomini, hg. von D yk m a n s [wie Anm. 3], S. 263, Nr. 719): „licet olim papa, quando non ipsemet, sed alius in eius praesentia celebrabat, cantata per subdiaconum epistola non amplius repetendo legebat eandem epistolam nec minus evangelium, ut hodie utrumque legit et forse male, sed solum graduale legebat tractumque, si et quando opus erat, super quo viderit papa, quidquid magis expediat“. Nach dieser noch recht vorsichtigen Formulierung werden die diesbezüglichen Äußerungen von de Grassis immer schärfer. Zur Funktion dieser „Additiones“ des Paris des Grassis im Unterschied zu seinem erwähnten „Supplementum“ vgl. B ö l l i n g, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 38–42. 97 B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 177–195; d e r s ., Zeremoniell und Zeit (wie Anm. 62). In diachroner Perspektive hierzu nun auch d e r s., Zeremonie und Zeit. Zur Petrus-Verehrung in sächsischen Kathedralen der Salierzeit, in: M. C z o c k / A. R a t h m a n n - Lu t z (Hg.), ZeitenWelten. Zur Verschränkung von Weltdeutung und Zeitwahrnehmung, 750–1350, Köln 2016, S. 213–233, hier bes. S. 227f., 230–232. 98 Siehe dazu den Beitrag von M. We r n i c ke OSA in diesem Band. 99 Vgl. S c h i m m e l p f e n n ig, Funktion (wie Anm. 6), S. 151 und die oben in Anm. 46 genannten Quellen.
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im Jahre 1516 einen Druck des Kurienzeremoniales besorgte, der in seiner sprachlichen Gestalt zeitgenössischen humanistischen Ansprüchen genügen sollte.¹⁰⁰ Dabei spielte womöglich das traditionelle Ideal der Geheimhaltung eine gewisse Rolle¹⁰¹ – gleichsam ein später Reflex frühkirchlicher Arkandisziplin, der auch in der Musik von großer Bedeutung war.¹⁰² Dieses Ideal kann sich aber nur auf die Rezeption außerhalb der Kapelle beziehen, da Paris de Grassis ja nicht einmal an der Kanonstille festzuhalten gedachte.¹⁰³ Innerhalb des Gottesdienstes war für ihn etwas anderes entscheidend: dass sich der ästhetisch, „cum gratia et decore“ vermittelte Gehalt des Gottesdienstes durch kein anderes Medium als die unmittelbare Performanz der einzelnen minutiösen Zeremonien selbst vermittelte („per ipsarum operationem“) – zur Freude der Anwesenden, als Anziehungspunkt für die Ferngebliebenen.¹⁰⁴ Eine wirkliche Attraktion aber sollten Musik und Zeremonien des Papsthofes, vor allem der Sistina, bekanntermaßen erst durch die adligen Kavalierstouren der Frühen Neuzeit und die folgenden Bildungsreisenden wie Goethe, Mozart, Mendelssohn und Madame de Staël werden.¹⁰⁵ Luther und seine Gefolgsleute hingegen, darunter sein ehemaliger Mitbruder Wenzeslaus Linck, nutzten das Medium des Buchdrucks ganz gezielt: der Reformator selbst für die Veröffentlichung der Thesen, der Protestation und des besonders nachhaltigen Bibeldrucks,¹⁰⁶ seine Gefolgsleute für kontroverstheologisch motivierten Einblattdrucke, Wenzeslaus Linck sogar, um den von Paris de Grassis missbilligten Marcello-Druck durch ausgewählte Zitate und darauffolgende Kommentare zu
100 Cristoforo M a rce l l o, Rituum Ecclesiasticorum sive Sacrarum Cerimoniarum S.S. Romanae Ecclesiae libri tres: non ante impressi, Venetiis, Gregorius de Gregoriis, 1516; Ndr.: Caeremoniale Romanum. The first edition, Venice 1516, Ridgewood NJ 1965. 101 J. N ab u co, Introduction, in: Le cérémonial apostolique avant Innocent VIII. Texte du manuscrit Urbinate Latin 469 de la Bibliothèque Vaticane, hg. von F. Ta m b u r i n i, Roma 1966 (Ephemerides Liturgicae 30), S. 9*–53*, hier S. 51*–53* (Appendice 2. L’idée du secret). 102 Vgl. B ö l l i ng, Zeremoniell und Zeit (wie Anm. 62), S. 178 mit Anm. 148 (Literatur), und oben Anm. 55–57. 103 Vgl. oben Anm. 82. 104 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 215v–216r: „Satis autem haec implere videmur, si cum gratia et decore minutias ipsas exequimur, quatenus per ipsarum operationem et praesentes populos in contemplatione delectemus et absentes ad devotionem allectemus“. Dazu ausführlich B ö l l i n g, ‚Cum gratia et decore‘ (wie Anm. 74); d e r s., Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 94–108, zum Begriff der Performanz ebd., S. 12f. mit Anm. 9. 105 C. d e S e t a, Il Grand Tour e il fascino dell’Italia, in: R. B a b e l / W. P a r av i c i n i (Hg.), Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Akten der internationalen Kolloquien in der Villa Vigoni 1999 und im Deutschen Historischen Institut Paris 2000, Ostfildern 2004 (Beihefte der Francia 60), S. 205–215, und S. Ko l c k, Bayerische und pfalz-neuburgische Prinzen auf Reisen. Kavalierstouren weltlicher und geistlicher katholischer Prinzen vom Ende des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts im Vergleich, Münster 2010, S. 237–245, 263–273. Zur Rezeption der liturgischzeremonial eingebundenen Musik in der Sistina siehe oben Anm. 63. 106 Vgl. Le p p i n, Luther (wie Anm. 1), S. 80, 117–126, 140f. u. 151–164.
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desavouieren.¹⁰⁷ Der offenbar 1527 im Sacco di Roma umgekommene Marcello hatte zu den ersten gehört, die mit Druckwerken gegen Luther vorzugehen suchten.¹⁰⁸ Doch durch den Zeremonialdruck bot er der protestantischen Polemik eine ungeahnte Quellenbasis, da die geschriebene Anweisung anders wirken kann als ihre intendierte Performanz.¹⁰⁹ Paris’ deutliche Reserve scheint daher nicht unberechtigt gewesen zu sein, ist andererseits aber insofern verwunderlich, als er die Vorteile einer eigenen redaktionellen Bearbeitung durchaus zu nutzen vermocht hätte. Kurienintern nämlich hatte bereits zuvor auch er die später von Linck verwandte Methode kritisch kommentierender Zitate angewandt – in bis heute kaum beachteten Handschriften.¹¹⁰ Die zeitgenössischen Musiker und Komponisten hingegen setzten den Notendruck ein: Noch in Paris’ Amtszeit erschienen eine Reihe gedruckter Werke, insbesondere Messenbücher, die im Kontext des Papsthofes entstanden waren oder dem amtierenden Pontifex ausdrücklich gewidmet wurden, oftmals zusätzlich medial in Szene gesetzt durch ein eigenes, dem Buch vorausgeschicktes Widmungsbild.¹¹¹ Wie die Bibel das bis heute am meisten verbreitete und gelesene Buch ist, so darf das lateinische Ordinarium missae, das heißt die gleichbleibenden Teile Kyrie, Gloria (an Sonn- und Festtagen), Credo (an Sonntagen und Hochfesten), Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, als der am häufigsten vertonte und gesungene Text der Geschichte gelten. Luther übernahm, wenngleich in kritischer Abgrenzung von der liturgischen Praxis seiner Zeit und auf der Grundlage seines veränderten ekklesiologischen Amtsverständnisses, das Abendmahl neben der Taufe als einziges Sakrament und behielt dabei auch, obschon in mitunter veränderter Funktion, die Ordinariumsgesänge
107 Dazu S t au b a c h, ‚Honor Dei‘ (wie Anm. 25), S. 125–130; M. C av a r z e r e, Protestantische Zeremonialkritik und römische Reaktionen, in: S c h m i dt / Wo l f (Hg.), Monarchischer Papat (wie Anm. 32), S. 309–335; B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 32); d e r s., Zeremoniell und Zeit (wie Anm. 62), mit einigen Grundüberlegungen zum Verhältnis von Schrift und Performanz in Musik und liturgischem Zeremoniell. 108 Vgl. Christophori M a rce l l i patritii veneti, archiepiscopi Corcyrae De auctoritate summi pontificis et his quae ad illam pertinent adversus impia Martini Lutheri dogmata, Florentiae, per haeredes Philippi Iuntae, anno Domini M.D.XXI; vgl. N ab u co, Introduction (wie Anm. 101), S. 35* mit Anm. 79. 109 Dazu ausführlich B ö l l i ng, Zeremoniell und Zeit (wie Anm. 62), S. 178f. 110 Beispiele bei B ö l l i ng, ‚Causa differentiae‘ (wie Anm. 22), S. 172f., 176f., mit Bezug auf die vorausgehende Editionen S. 173–175 (aus den Codices BAV, Vat. lat. 12270, Barb. lat. 2452, Vat. lat. 12257 und dem bereits edierten, von Paris de Grassis desavouriend zitierten „Diarium“ Johannes Burckards). Vgl. dazu die bereits vorausgehenden kritischen Kommentare Burckards in seiner Sammlung älterer Texte, BAV, Vat. lat. 5633, und die daran anknüpfenden Glossen des Paris de Grassis in der von ihm benutzten Abschrift Vat. lat. 14585 (in einschlägigen Auszügen ediert ebd., S. 152f., 157–159). Zur vergleichbaren Bedeutung bislang unbeachteter Glossen siehe oben Anm. 32, 75 u. 91. 111 Vgl. K r u s e, Hochrenaissance (wie Anm. 14), S. 205, Katalog-Nr. 205 (Andrea A n t i c o, Liber quindecim missarum, Rom 1516). Zu diesem und weiteren Beispielen ausführlich D. G l o wo t z, Repräsentation und Papsthuldigung in der römischen a cappella-Messe des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 92 (2008), S. 25–36, hier S. 34f.
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bei.¹¹² Sein früher Erfolg als „Medienstar“¹¹³ führte zur Verbreitung seiner neuen Thesen wie auch seines Bemühens um Wahrung bestimmter traditioneller Elemente.¹¹⁴ Die medial verbreitete Sakramentenlehre setzte sich unter ihren Anhängerinnen und Anhängern wohl auch deshalb in ihrer neuen Gestalt durch, weil sich dem Reformator kein Bischof mit dem kanonischen Recht der Spendung von Weihen und jurisdiktioneller Zuständigkeit in sakramentalen Fragen angeschlossen hatte.¹¹⁵ Die von Paris de Grassis verpasste Chance jedenfalls griff erst sein Nachfolger Franciscus Mucantius auf: Dieser besorgte 1564 postum einen Druck von Paris’ Kardinalszeremoniale, der die entscheidende Vorlage für das nun weltweit gültige posttridentische „Caeremoniale“ von 1600 werden sollte.¹¹⁶ Doch nicht nur gedruckte Werke über die Zeremonien, auch Bücher im Ablauf der Zeremonien wollte Paris de Grassis verboten wissen. Im Sinne seiner Zeremonialästhetik wollte er statt dem geschrieben Wort allein der performativen Zeremonie die geballte Aufmerksamkeit der Kapelle sichern.¹¹⁷ Selbst der Andacht dienende Bände,
112 Lu t h e r, Formula missae (wie Anm. 36); Lu t h e r, Deutsche Messe, hg. von Wa l t h e r (wie Anm. 54). Siehe auch oben Anm. 67. 113 Le p p i n, Luther (wie Anm. 1), S. 155–157. 114 Vgl. neben der erwähnten Musikpflege zur Kunst auch Fr i t z, Die bewahrende Kraft (wie Anm. 55), und d e r s., Abendmahlsgerät (wie Anm. 55). Neben traditionsfreundlichen Idealen Luthers und seiner Gefolgsleute waren jedoch oftmals die Beschlüsse des von Luther eingesetzten städtischen oder landesherrlichen Kirchenregiments ausschlaggebend, das mitunter auch gegen den Willen lutherischer Theologen im Interesse der Stifter die Bewahrung bestimmter Ausstattungsstücke durchsetzte (vgl. ebd.). 115 Die Sakramentalität der Ehe hängt zwar im Unterschied zu den anderen von Luther abgeschafften Sakramenten nicht am Weiheamt der katholischen Kirche, wohl aber an deren kanonischem Recht, das nach antik-römischem Vorbild die – nun allerdings unauflösliche – Konsensehe vorsah, bei der die Brautleute – im Unterschied zur zentralen Funktion des Priesters im orthodoxen Kirchenrecht – sich das Sakrament gegenseitig spenden. Luther forderte hier eine neue „Freiheit in der Ehe“ (Le p p i n, Luther [wie Anm. 1 ], S. 157, siehe auch oben Anm. 80), stärkte dabei aber mit Hinweis auf das Vierte Gebot die elterliche Eheeinwilligung. Die Rolle der Eltern hatte hingegen das geltende kanonische Recht gerade wegen des sakramentalen Charakters der Ehe seit dem Hochmittelalter im Zweifelsfall sogar für unmaßgeblich erklärt – zugunsten der freien und verbindlichen Partnerwahl der Brautleute selbst. Vgl. dazu D. Ka i s e r, Die elterliche Eheeinwilligung. Rechtsgeschichte der familialen Heiratskontrolle in Mitteleuropa, Münster 2007 (Ius vivens B,20), S. 65–85 (zum kanonischen Recht) und 97–102 (zu Luther) bzw. 97–102 (zum evangelischen Kirchenrecht insgesamt). Zum politischen Gewicht der Fürsten für die Unwiderruflichkeit der Reformation vgl. Kau f m a n n, Geschichte (wie Anm. 1), S. 612, zum allseitigen kontroverstheologisch medialen „Selbstbehauptungsdruck“ ebd., S. 653. 116 D yk m a n s, Paris de Grassi (wie Anm. 4), S. 397f. (Quellen und Literatur). Eine genaue Darstellung der intertextuellen Bezüge und Entwicklungen harrt noch der Erforschung. Dabei müssten auch die verschiedenen Ordo-Fassungen des Paris de Grassis berücksichtigt werden, von denen Dykmans, ebd., S. 394, eine Handschrift irrtümlich als Textzeugen des Kardinalszeremoniales betrachtet. Vgl. B ö l l i ng, Papstzeremoniell (wie Anm. 3), S. 38–62, v. a. S. 47–54. 117 Vgl. BAV, Vat. lat. 5634 I, fol. 60r; ASV, Fondo Borghese serie I 568, fol. 114r: „nullus autem ex particulari devotione aut aliqua ex causa genuflectit citius aut tardius altero, neque orat ibidem. Quin
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Stundenbücher etwa, schieden somit aus. War die von ihm intendierte Wahrnehmbarkeit aller Zeremonien nicht mehr gegeben, griff – und darin allerdings unterscheidet er sich grundlegend von Luther wie von seinen Nachfolgern – ein hierarchisch stratifizierendes Kommunikationsverständnis: Die sich zwischen den Kardinalsbänken aufhaltenden Personen sollten die Zeremonien nicht mitvollziehen, wenn sie dadurch den hinter ihnen auf Bänken sitzenden Kardinälen die Sicht versperrten.¹¹⁸ Der spätere Zeremonienmeister Mucantius konnte sich über solche Angaben – wie schon über die zahlreichen Invektiven gegenüber dem Burckardschen Mess-Ordo¹¹⁹ – nur wundern. In seiner Zeit, so kommentiert er die Bemerkungen seines Vorgängers, sei sowohl die persönliche Lektüre während des Gottesdienstes aus eigenen Büchern als auch der generelle gemeinsame Vollzug sämtlicher Zeremonien üblich.¹²⁰ Von Allozierungen zwischen den Kardinalsbänken spricht er erst gar nicht. Analog dazu sind an dieser Stelle des Kapellbodens auf der Abbildung aus Chantilly deutlich Personen wie die von Paris genannten zu erkennen (vgl. Abb. 1), wohingegen sie im Stich aus der Amtszeit des Mucantius fehlen (vgl. Abb. 2).
4 Fazit und Ausblick Martin Luther hatte bei seinem Romaufenthalt den erhaltenen Zeremonialschriften zufolge nur höchst mittelbar die Möglichkeit, von verschiedenen Formen glänzender Prachtentfaltung zu erfahren. Bemerkenswert erscheint aber ein anderer Befund: Zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche Zeremonien noch im Fluss, insbesondere mit Blick auf das Verhältnis von päpstlicher Repräsentation und sakramentaler Präsenz. Julius II. ließ sich offenbar nicht selten von rein persönlichen Motiven leiten oder
immo [BAV, Vat. lat. 5634 I: „quinimo“] in cappella papali nulli consueverunt librum apertum in manibus habere ibidem aliquid legendo, nec particularius orando, sed tantummodo universi audire taciti et reuerenter verbum Dei, ut de hac re in particulari capitulo dicetur“. 118 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 124r–v: „Praeterea quicumque et quotcumque ecclesiastici togati tam saeculares quam quorumvis ordinum regulares in plano pavimento, quod est intra Cardinalium saepta, procumbentes aut incubantes numquam se movent ab eo, quo illic procumbere semel inceperunt: non ad evangelii recitationem nec ad Pontificis benedictionem in genua sese levantes: quod iccirco fit fierique a patribus nostris institutum est, ut Cardinales et Praelati, qui post horum togatorum terga sunt, subsistentes aut subsidentes vel pro sacramenti adoratione genuflectentes ab obiectu eorum in genua surgentium impediri non possint, quin universa mysteria conspicere possint, quae in eo loco pro suo ipsorum Cardinalium honore principaliter aguntur et celebrantur. Possunt tamen hi, cum sacramentum populo intra missam demonstratur, in facies suas concidere et sic proni adorare“. 119 Siehe oben Anm. 91. 120 ASV, Fondo Borghese, serie I, 568, fol. 114r in mg: „nota regulam nemini licere in cappella habere librum apertum, et ex eo legere, dum divina celebrantur, quod hodie non observatur“; fol. 124r in mg: „contrarium hodie observatur, quia omnes tali casu genuflectunt“.
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reagierte spontan auf bestimmte von außen an ihn herangetragene Erwartungen, wenn er Ablässe gewährte und die ökonomische Stabilität des päpstlichen Haushaltes demonstrierte. Erst unter Leo X. sollten sich dauerhaftere und mitunter auch reflektiertere Formen durchsetzen. Luthers Reformation ist im Papstzeremoniell nur indirekt rezipiert worden. Doch auch wenn sich keine eindeutigen Interdependenzen feststellen lassen, so zeigen sich nach 1511 erstaunliche Analogien zwischen bestimmten Idealen Martin Luthers und denen des zeitgenössischen päpstlichen Zeremonienmeisters Paris de Grassis. Bei beiden zeichnet sich eine zunehmende Radikalisierung ab – nur in der Frage der Verwendung von Mehrstimmigkeit während der Passionszeit ist die Entwicklung gegenläufig. Dass beide Gelehrte ältere zeremonielle Formen akzeptierten, zeugt jeweils von gewissen konservativen Zügen. Martin Luther wie auch Paris de Grassis haben sich aber nicht nur von bestimmten Neuerungen, sondern gerade auch von älteren Traditionen kritisch abgesetzt – im Fall von Paris de Grassis in nicht zu erwartender, aus der Rückschau geradezu unerhört wirkender Weise. Martin Luther wurde oftmals vorgeworfen, sich vom jungen Rebellen zum angepassten Obrigkeitsdiener gewandelt zu haben. Dies mag aus einer dezidiert politischen Perspektive so erscheinen und prägt daher bis heute in weiten Teilen der Öffentlichkeit das Bild des Reformators. Innerkirchlich scheint er aber genau umgekehrt sehr lang auf einen Ausgleich bedacht gewesen zu sein und erst später, lange nach seinem Romaufenthalt, grundsätzlichere Forderungen gestellt zu haben.¹²¹ Sogar seine postreformatorischen Messordungen spiegeln noch die spätmittelalterlichen römischen Zeremonien wider. Paradoxerweise war es die päpstliche libertas ecclesiae, die der Wittenberger Schlosskirche Unabhängigkeit vor kirchlichen Amtsträgern im Reich sicherte, dadurch aber schon früh dem sächsichen Landesfürsten Friedrich III. einen Einfluss ermöglichte, den Luther, als ihm die maßgeblichen kirchlichen Würdenträger die Gefolgschaft versagten, durch Einführung des landesherrlichen Kirchenregiments institutionalisierte. Anders als bisher vermutet, handelt es sich auch bei Paris de Grassisʼ radikaleren Vorstellungen wie bei Luther nicht um ältere, sondern um jüngere Entwicklungsstufen – eine Beobachtung, die anhand der neuen Zuordnung eines Göttinger Fragments auch bei den Predigten Meister Eckharts gemacht worden ist: Eckhart ist nicht im Nachhinein geglättet worden – ganz im Gegenteil hat er sich von einem konformeren zu einem radikaleren Denker gewandelt.¹²² Mutatis mutandis betraf diese Entwicklung entgegen älteren Vorstellungen gleichermaßen Meister Eckhart, Magister Paris und Doctor Martinus. Als Reformimpuls liegt dem Konzept Luthers wie dem des Paris offenbar eine jeweils spezifische Elitenfrömmigkeit zugrunde: im einen Fall entstanden im Kreis
121 Dazu auch die einschlägigen Beiträge in diesem Band. 122 Darauf wies am 10. November 2010 Freimut Löser (Augsburg) in einem Vortrag hin, den er auf Einladung des Zentrums für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung in Göttingen zum Fragment 10 E IX, 18 des Göttinger Diplomatischen Apparates gehalten hat.
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streng observanter Augustiner-Eremiten und durch Thesen an Wittenberger Universität und Schlosskapelle erstmals verbreitet, im anderen Fall hervorgegangen aus dem Umfeld reformfreudiger Kleriker und durch Zeremonialdiskurse an Kurie und päpstliche Palastkapelle herangetragen. Paris de Grassis strebte einen Wandel von scholastischem Gesamtsystem und zunehmend privater werdender Frömmigkeit zu einem neuen humanistischen Grundverständnis an, das von der Wahrnehmung der Einzelperson ausgeht, dieser dann aber zur generellen Wirkung zu verhelfen sucht, indem jede Zeremonie nur dann Bestand hat, wenn sie während ihres Vollzugs von den Rezipienten unmittelbar verstanden wird, und andernfalls abzuschaffen ist. Pointiert formuliert suchte er einen Wechsel von einem gesamtkirchlich institutionellen Universalismus bei persönlicher Individualisierung zu einem institutionalisierten Individualismus des Experten unter Universalisierung von dessen Expertise. Für Luther war ebenfalls die Warte des Gebildeten entscheidend für die Festlegung der Gottesdienstgestalt. Verstehen und mitvollziehen können sollte diesen aber die gesamte Gemeinde, einschließlich der des Lateinischen unkundigen Gläubigen, und zur Verbreitung diente nicht mehr allein der Gottesdienst, sondern der moderne Medienmarkt. An die Stelle von zeremonialer Ausdeutung der Sakramentenvermittlung durch den Priester trat bei Paris die Verdeutlichung der Zeremonien, bei Luther die Vermittlung des Bibeltextes durch den Prediger als neues Sakrament unter Abschaffung aller weiteren mit Ausnahme von Taufe und Abendmahl. Luther musste sich zu dieser Reform allein schon deshalb langfristig genötigt sehen, weil seine diesbezüglichen Thesen in gedruckter Form vorlagen und ihm kein Bischof mit dem Recht der Priesterweihe und sakramentalen Amtsgewalt dauerhaft in die Reformation gefolgt war. Analog dazu setzten sich auch bei den Zeremonialschriften – mit Ausnahme des am Papsthof vor allem handschriftlich tradierten Kurienzeremoniales – dauerhaft besonders die Druckwerke durch: zum einen der vom frühen Paris de Grassis rezipierte Mess-Ordo des Johannes Burckard in Form des erstmals weltweit gültigen „Missale Romanum“ von 1570, zum anderen Paris’ frühes, jedoch erst postum publiziertes Zeremoniale, das später im gesamtkirchlichen „Caeremoniale episcoporum“ von 1600 aufgehen sollte. In drei Punkten unterschieden sich römischer Reformer und romkritischer Reformator grundlegend: bezüglich der Tradition, der Institutionalität und der Medialität. Paris suchte bei aller Skepsis bestimmten überlieferten Formen gegenüber niemals, der Schrift einen fundamental höheren Stellenwert beizumessen als der mündlichen, bildlichen und performativ-zeremoniellen Tradition. Institutionell blieb er nicht nur der römischen Kirche, sondern auch der päpstlichen Kapelle verbunden. Durchsetzen konnte er seine späten, besonders pointierten Forderungen nur deshalb nicht, weil sein späterer Nachfolger Franciscus Mucantius sie nach dem Konzil von Trient im Sinne der neu errichteten Gottesdienstkongregation redigierte. Schließlich machte Paris im Unterschied zu Luther vom Buchdruck keinen Gebrauch, wandte sich sogar strikt gegen die von Cristoforo Marcello 1516 besorgte, von Luthers ehemaligem Mitbruder Wenzeslaus Linck später kontroverstheologisch zitierte Veröffentlichung
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des Kurienzeremoniales. Dem Zeremoniar war die Geheimhaltung der Zeremonialanweisungen zugunsten der unmittelbaren Wirkung zeremonieller Performanz ein Grundanliegen. Erst Franciscus Mucantius nutzte das Medium des Drucks ex officio und veröffentlichte Paris’ Zeremoniale der Kardinalbischöfe, das erst auf diesem Wege zum maßgeblichen Vorläufer des posttridentischen, gesamtkirchlich vorgesehenen „Caeremoniale Episcoporum“ von 1600 wurde. Wesentlich später als lutherische Einblattdrucke erschien auch der Herzog Albrecht V. von Bayern gewidmete, die päpstliche Kapelle während der Amtszeit des Mucantius vor Augen führende Stich des Etienne Dupérac (Abb. 2), der den Gegenstand älterer, privat rezipierter Darstellungen (vgl. etwa Abb. 1) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Ein Vergleich zwischen Paris de Grassis und Martin Luther offenbart grundlegende Unterschiede, aber auch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten und Entsprechungen. Das Jahr von Luthers Romaufenthalt markiert dabei einen zeitlichen Wendepunkt – für Reformation und Renaissance.
Abbildungsnachweise Abb. 1: Abb. 2:
Chantilly, Bibliothèque du château, ms. Divers IV, CNRS-IRHT © Bibliothèque du musée Condé. Biblioteca Apostolica Vaticana, Riserva Stragr. 7, tav. 116 © Biblioteca Apostolica Vaticana.
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Abb. 1: Papstmesse mit Kardinälen; letztes Viertel des 15. Jahrhunderts.
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Abb. 2: Étienne Duperác (Druck: Lorenzo Vaccaro), Feierliche Papstmesse in der Sixtinischen Kapelle zum Zeitpunkt der Predigt.
Giampiero Brunelli
Die Soldaten des Papstes zu der Zeit Luthers Die Romreise Luthers um die Jahre 1510/11 fällt mit dem Höhepunkt jenes Prozesses zusammen, den David Chambers als zunehmende Militarisierung des Papsttums bezeichnet hat. In der Tat folgten die Militärkampagnen der Päpste im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts und dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in immer engerer Folge aufeinander: Von den Feldzügen Sixtusʼ IV. gegen die umbrischen Städte im Jahr 1474 über die Kriege gegen Florenz, Ferrara und Venedig in den 1480er Jahren bis hin zu den militärischen Verpflichtungen, die Alexander VI. in der ersten Phase der italienischen Kriege eingegangen war: oft sah man über den Schlachtfeldern Italiens die Fahnen mit den Schlüsseln des Heiligen Petrus wehen. Auch die Figuren an der Spitze der kirchlichen Institution – die Kardinäle – wiesen Identitätszüge auf, die sichtlich an die militärische Welt gebunden waren. Nicht wenige von ihnen stammten aus Familien, bei denen die militärische Schulung gang und gäbe war. Sie verfügten über erstklassige Waffen, gut ausgestattete Waffenkammern sowie Wachtrupps, deren Größe keineswegs zu vernachlässigen war. Bei mehr als einer Gelegenheit wurden sie auch in Schlachten eingesetzt: Im Januar des Jahres 1511 schrieb der Venezianer Ludovico Falier an seinen Bruder Lorenzo, „chome il pontefice è venuto in campo con 3 cardinali“,¹ und auf dem Schlachtfeld bei Ravenna kämpften 1512 zwei Kardinäle auf der Seite der Heiligen Liga (an der sich auch Julius II. beteiligte) gegen Ludwig XII., nämlich Giovanni de’ Medici und Matthäus Schiner, während ein anderer – Federico Sanseverino – bei derselben Gelegenheit gegen den Papst angetreten war.² Die Herrschaft Juliusʼ II. fällt zwar in die Endphase dieser Zeit, sie ist jedoch in vollem Maße für sie repräsentativ, bildet sogar ihren Höhepunkt und gibt der Zeit ihre Prägung. Giuliano Della Rovere hat der Geschichtsschreibung den Willen zugeschrieben „di ottenere il ripristino della supremazia politica e diplomatica dello Stato pontificio e l’affermazione di quella militare“.³ Ein solches Urteil sieht die päpstlichen Initiativen in den Jahren um 1510 jedoch zu direkt mit Augen, die an die strategischen
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 Zit. in: I Diarii di Marino Sanuto, 58 Bde., hg. von N. B a r o z z i u. a., Venezia 1879–1903, hier Bd. 11: agosto 1509 – febbraio 1511, hg. von R. Fu l i n, Venezia 1884, Sp. 725. Der Brief datiert vom 6. Januar 1511. Die Militäroperationen, um die es geht, sind die Belagerung von Mirandola. 2 Vgl. D. S. C h a m b e r s, Popes, cardinals & war, London-New York, 2006, S. 75–109. Im Allgemeinen zu den Kardinälen des 15. und 16. Jahrhunderts, die den Zeitgenossen als „più dei principi che dei laici“ erschienen, vgl. M. Fi r p o, Il cardinale, in: E. G a r i n (Hg.), L’uomo del Rinascimento, Roma-Bari 1988, S. 73–131 (Zitat S. 105). 3 M. G a t to n i, Leone X e la geo-politica dello Stato Pontificio (1513–1521), Città del Vaticano 2000, S. 23. Bereits Piero Pieri bestätigte das Bild von einem „energico papa Giulio II, che con tanto vigore sta[va] continuando l’opera di consolidamento del potere centrale nello Stato pontificio“ und der DOI 10.1515/9783110316117-015
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Studien des 20. Jahrhunderts gewohnt sind. Sicher ist allerdings, dass Julius II. mit seinen Heeren verschiedene Feldzüge unternahm: Zwischen August und November des Jahres 1506 rückte er gegen Perugia und Bologna aus,⁴ und zwischen April und Juli 1509 schickte er unter dem Kommando des Generalkapitäns der Kirche – dem Herzog von Urbino, Francesco Maria Della Rovere – 8.000 Fußsoldaten und 1.600 Ritter in die Romagna gegen die Venezianer ins Feld und eroberte Brisighella, Solarolo, Russi und Faenza zurück. Die errungenen Siege waren nicht schlicht eine Folge der Niederlage des venezianischen Heeres in Agnadello (14. Mai 1509), wie es gelegentlich in der Geschichtsschreibung heißt.⁵ Als Erstes fiel Brisighella, das Ende April erobert wurde, während seine Burg den Angriffen bis zum 2. Mai trotzte, als sie nach harten Gefechten erstürmt wurde. „Così havimo preso senza altra faticha tutta la valle de Lamone: che è stato grandissimo acquisto“, kommentierte Baldassarre Castiglione, ein Zeuge der Ereignisse, das Geschehen.⁶ Am 6. Mai rissen die Soldaten des Papstes dann Granarolo, ein castrum, 10 km von Faenza entfernt, an sich, was den Weg für einen schnellen Feldzug freimachte. Zur Eroberung von Russi kam es schließlich am 17. Mai, ohne jeglichen Zusammenhang mit der Niederlage von Agnadello drei Tage zuvor. Erneut ist es der junge Baldassarre Castiglione, der uns in einem Brief erhellende Einzelheiten verrät: Vor allen Dingen sei das päpstliche Truppenaufgebot wahrhaft beachtlich gewesen, schreibt er, und außerdem habe das Heer des Papstes am 16. einen großen Ausfall aus Ravenna abgewehrt (bei dem schätzungsweise 300 leichte Kavalleristen und 2.000 Infanteristen eingesetzt worden waren). „Et avegna che loro fossino in loco forte“, schrieb der künftige Autor von „Il Cortigiano“, „noi li dessimo dentro, e subito li rompem[m]o cum gran furia, e correm[m]o fin dentro da Ravenna alcuni de li nostri. Forno presi da circa trecento fanti, e cinquanta cavalli, e molti bestiami, cum grande victoria et honore de lo Ill.mo S.r nostro“, d. h. Francesco Maria Della Rovere.⁷ Venezianischen Quellen zufolge schien das päpstliche Heer, nachdem die Stoßrichtung von Agnadello klar war
„mira[va] a liberare l’Italia da un’egemonia straniera che potrebbe essere pericolosissima per la stessa libertà del papato“. P. P i e r i, Il Rinascimento e la crisi militare italiana, Torino 1952, Zitate S. 455f., 476. 4 Zum Feldzug gegen Bologna vgl. A. D e B e n e d i c t i s, Una guerra d’Italia, una resistenza di popolo. Bologna 1506, Bologna 2003. 5 Vgl. z. B. M. C a r ava l e / A. C a r a cc i o l o, Lo Stato Pontificio da Martino V a Pio IX, Torino 1978, S. 171. 6 Brief des Baldassarre Castiglione an seine Mutter Aloisa Gonzaga, Brisighella, 3. Mai 1509, in: Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana (= BAV), Vat. lat. 8210, fol. 150r. Vgl. auch den späteren Brief vom 7. Mai 1510, „Ex Felicibus Castris S.te R. Ecclesie apud Granarolum“, ebd., fol. 151r. Dank des Archivio Italiano Tradizione Epistolare in Rete dell’Università di Pavia können beide online unter der Adresse http://aiter.unipv.it/lettura/BC/lettere (14. 9. 2017) konsultiert werden. 7 Brief des Baldassarre Castiglione an seine Mutter Aloisa Gonzaga, „ex castris S.R.E.“, 18. Mai 1509, in: BAV, Vat. lat. 8210, fol. 152r. „Dio governa il tutto“: Mit diesen Worten kommentierte er die Tatsache, dass „cum poca faticha havemo acquistato tutta Romagna“; 31. Mai 1509, ebd., fol. 153r. Auch diese Briefe sind online (http://aiter.unipv.it/lettura/BC/lettere; 14. 9. 2017).
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(„intesa la rotta“), ermutigt („ingajardito“) und kämpfte weiter tapfer gegen einen Feind, der in der Romagna nicht weniger Widerstand leistete, zumindest bis die Venezianer sich dazu entschlossen, Ravenna, Cervia und Rimini aufzugeben und auf diese Weise die Auseinandersetzung mit dem Papst zu beenden.⁸ Was Julius II. anbelangt, so plante er zwischen dem Frühling und dem Monat Oktober des Jahres 1510 drei neue Angriffe vom Meer und vom Land gegen Genua, die – wenngleich das Ziel nicht erreicht wurde – doch insofern von größtem Interesse sind, als sie einiges über die militärischen Ambitionen des Papstes verraten. Dank der vor Kurzem veröffentlichten Depeschen Girolamo Donàs aus Rom lassen sich die Angriffspläne gegen die Ligurische Republik während jenes Jahres fast Tag für Tag verfolgen.⁹ Dem venezianischen Botschafter berichtete der Papst in diesen Monaten von einer großen „impresa contra infideli“, die mit einem gerade in Genua konstruierten Dreimaster durchzuführen sei, von dem der Papst „fa[ceva] un cantar mirabile“ und den er massiv mit Artillerie ausgestattet wissen wollte, damit er selbst den Feldzug würde leiten können: „Se Dio me dà grazia che se pigli impresa contra infideli“ – sagte Julius II. zu Donà – „io son in anni 66. Voria questo pocho che me resta che non po’ esser molto, dispensarlo in questa impresa; per mar me basta l’animo andar in persona, per tera non potria. Questa galia sarà per la persona mia, sopra la quale se a Dio piace voio che vegnati ancor vui“.¹⁰ Im Anschluss daran (1510/11) konzentrierte Julius II. seine militärischen Anstrengungen auf Ferrara, gegen das er mit einem Heer von 6.000– 7.000 Infanteristen, 500–800 Waffenleuten und 600 leichten Kavalleristen ausrückte. Diese Militäroperationen – wahrscheinlich die berühmtesten, da der Papst direkt an der Front präsent war – betreffen die Romreise Luthers am meisten, zumindest was das Datum der Reise anbelangt, von dem bislang als wahrscheinlich ausgegangen wurde.¹¹
8 Vgl. S a n u to, Diarii, hg. von B a roz z i u. a. (wie Anm. 1), Bd. 8: marzoluglio 1509, hg. von N. B a roz z i, Venezia 1882, Sp. 154, 164, 263 (aus denen die Zitate stammen). Doch die Anmerkungen zu den Sp. 139–300 enthalten nicht wenige Auszüge aus Briefen über die Militäroperationen in der Romagna. Vgl. auch Luigi D a Po r to, Lettere storiche dall’anno 1509 al 1528, hg. von B. B r e s s a n, Firenze 1857, S. 75–79. 9 Vgl. Girolamo D o n à, Dispacci da Roma. 19 gennaio – 30 agosto 1510. Einführung von M. Z o r z i, Transkription von V. Ve n t u r i n i, Venezia 2009. Vgl. z. B. ebd., S. 10, die Depesche vom 19. Januar 1510, in der von der Absicht Julius’ II. die Rede ist, ein großes Kontingent von Schweizern nach Genua zu schicken. 10 Depesche vom 20. Juni 1510, D o n à, Dispacci (wie Anm. 9), S. 258. Zur päpstlichen Marine unter Julius II. vgl. A. G ugl i e l m o t t i, Storia della marina pontificia, Bd. 3: La guerra dei pirati, Bd. 1, Roma 1886, S. 55–103. Was die Initiativen von Giuliano Della Rovere in diesem Bereich anbelangt, so sei an die Ausrüstung von sechs Galeeren erinnert, die im Jahr 1509 bei der Stadt Ancona in Auftrag gegeben wurde, und an die Unterstellung der Flotte unter das Kommando des Generalkapitäns Baldassarre Biassa; zu diesem vgl. G. D e C a ro, Dizionario Biografico degli Italiani (= DBI) 10 (1968), S. 292f. 11 Siehe jedoch den Beitrag von H. S c h n e i d e r im vorliegenden Band.
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Das Bild, das ganz im Gegensatz zu dem des 27-jährigen Augustinermönches steht, ist das kriegerische Bild eines Papstes in Rüstung, der allein in den Jahren 1509/10 für seine militärischen Unternehmungen fast 90.000 Golddukaten ausgab.¹² Angesichts dessen waren alle Zeitgenossen beeindruckt. Die Gelegenheitsliteratur unterstützte die Anstrengungen des Papstes in dieser Zeit mit propagandistischen Tönen, indem sie ihn zu „un pacificatore, un protettore della Chiesa e della sua coesione“ machte, zu „un difensore dell’Italia dai ‚barbari‘ oltramontani“:¹³ Wenn Giovanni Iacopo de’ Penne Rom Anfang des Jahres 1511 verlassen musste, so nur „per dar più animo a’ soldati“, wie man aus seiner „Epistola di Roma a Iulio pontifice“ erfährt.¹⁴ Was die Vertreter der politischen Kultur von mehr Format anbelangt, so ist bekannt, dass sich Erasmus von Rotterdam voller Sarkasmus und Grauen in Bezug auf Julius II. ausdrückte (aber auch mit einer gewissen Bewunderung, wenn man der Deutung von Jozef Ijsewijn Glauben schenkt).¹⁵ Francesco Guicciardini beurteilte die Anwesenheit von Giuliano Della Rovere unter den Soldaten, die die Festung von Mirandola belagerten, als „una cosa inaspettata et inaudita per tutti i secoli “ .¹⁶ Nicolò Machiavelli sah in Julius II. den Verteidiger der „geistlichen Herrschaft“, um die es im elften Kapitel seines Werks „Der Fürst“ ging, also den höchsten Repräsentanten einer neuen Institution, nämlich eines Papsttums, das nicht aus nepotistischen Gründen (d. h. um seinen Blutsverwandten zur Macht zu verhelfen) Kriege führte, sondern das mit Waffengewalt die politischen Interessen des Heiligen Stuhls durchsetzen wollte. Diesem Urteil zufolge machte Julius II. „ogni cosa per accrescere la Chiesa e non alcuno privato“,¹⁷ also nicht
12 Siehe den Beitrag von L. P a l e r m o ebd. 13 Vgl. M. R o s p o c h e r, Propaganda e opinione pubblica. Giulio II nella comunicazione politica europea, in: Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento 33 (2007), S. 59–99, hier S. 60 (dort auch das Zitat). Ebd., S. 71–74, wird insbesondere die Beziehung zwischen Julius II. und Julius Cäsar untersucht und herausgestellt, wie verschiedene Faktoren (der Krieg gegen die Gallier / Franzosen, die militärische Begabung von Giuliano Della Rovere und seine autokratische Machtauffassung) den in der apologetischen Literatur angestellten Vergleich zwischen den beiden Personen möglich machten. Vgl. auch d e r s., Il papa guerriero. Giulio II nello spazio pubblico europeo, Bologna 2015. 14 O. Ni cco l i, Cantari e profezie popolari dei tempi di Giulio II, in: F. C a n t a t o r e u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato Giulio II (1503–1513), Roma, 2–4 dicembre 2008, Roma 2010, S. 109–129, insbes. S. 117. 15 Schriften von Erasmus von Rotterdam, die als Indiz für seine positive Einstellung gegenüber der Festigkeit von Giuliano Della Rovere gewertet werden, finden sich in J. I j s e w i j n, I rapporti tra Erasmo, l’umanesimo italiano, Roma e Giulio II, in: d e r s., Humanisme i literatura neollatina. Escrits seleccionats, hg. von J. L. B a ro n a, València 1996, S. 87–103, insbes. S. 96–100. Der Großteil der Geschichtsschreibung geht jedoch weiterhin davon aus, dass die politisch-militärische Aggressivität Julius’ II. bei dem niederländischen Philosophen eine große Aversion auslöste. 16 F. G u i cc i a rd i n i, Storia d’Italia, hg. von S. S e i d e l M e n c h i, Torino 1971, S. 897. 17 Niccolò M a c h i ave l l i, Il Principe, hg. von G. I n g l e s e, Torino 1995, S. 76. Das Urteil Machiavellis erschien Alberto Aubert als „eccessivo“: A. Au b e r t, La crisi degli antichi stati italiani (1492–1521), Firenze 2003, S. 214, Anm. 121. Neuerdings wird das, was der Sekretär Julius II. gegenüber empfand,
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um zur Gründung eines „‚patrimonium principis‘ come nelle intenzioni di Alessandro VI“ zu gelangen, sondern zur Stärkung des „Patrimonium Ecclesiae“, d. h. der Gesamtheit seiner territorialen Besitzungen.¹⁸ Wenn also „accrescere la Chiesa“ um 1510 vor allen Dingen bedeutete, den Kirchenstaat durch Angriffe zu stärken, dann mussten die Militärordnungen notwendigerweise zu den vorrangigen Interessen des Papstes gehören. Versucht man sich ein Bild von den diesen Militärordnungen aus dem Zeitraum von 1509 bis 1511 zu machen, so zeigt sich deutlich, dass das Dienstmodell, die Größe und die Art der Zusammensetzung der Truppen (d. h. das militärische „Format“, um die Terminologie des Politologen Samuel E. Finer zu benutzen) im Wesentlichen den zeitgenössischen italienischen und europäischen Standards entsprachen.¹⁹ Es muss daher nicht versucht werden, zwischen Söldnern und ‚autochthonen‘ Truppen zu unterscheiden, d. h. zwischen Soldaten, die in den Kompanien der Söldnerführer kämpften, und solchen, die im Gebiet des Kirchenstaates eingezogen wurden. Der Krieg verlangte Berufssoldaten, und die konnten sowohl Untertanen des Herrschers sein, dem sie zu dienen hatten, als auch Fremde. Alle Fürsten und alle republikanischen Regierungen (wie Venedig) waren zum Zeitpunkt des Kriegseintritts verpflichtet, höhere Offiziere (eben die ‚Söldnerführer‘) anzuwerben, die dafür Sorge trugen, dass die notwendigen Soldaten vorhanden waren und die, wenn sie meinten, am geeignetsten seien Fremde, auch jenseits der Grenzen Ausschau hielten. Genauso machte es der Papst. Seine Soldaten waren, so stellte erstmals Andrea Da Mosto zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest, ganz unterschiedlicher Provenienz:²⁰ Neben päpstlichen Untertanen kamen Italiener aus anderen Staaten vor und neben diesen wiederum Gaskonen, Spanier, Deutsche und Schweizer. Der Blick in die Quellen der Apostolischen Kammer zeigt, dass die Soldaten sogar aus noch entfernteren Gegenden kamen, wie z. B. ein gewisser „Todeschino fiammingo“ oder ein „Andrea ungaro“.²¹ Was die Spanier an-
hingegen als „una laica ammirazione da parte di un politologo interessato alla vita istituzionale degli stati“ betrachtet. A. C ap a t a, L’immagine machiavelliana di Giulio II nella Legazione presso la corte papale del 1503, in: P. P ro c a cc i o l i (Hg.), Giulio II. La cultura non classicista Sessione finale del convegno ‚Metafore di un pontificato Giulio II (1503–1513)‘. Viterbo, 13 mag. 2009, Roma 2010, S. 65–80. 18 M. G. B l a s i o, Machiavelli, Giulio II, il principato ecclesiastico. Sul cap. XI de Il Principe, in: P r o c a cc i o l i (Hg.), Giulio II (wie Anm. 17), S. 27–43, Zitate S. 36. 19 Vgl. S. E. Fi n e r, La formazione dello Stato in Europa. La funzione del ‚militare‘, in: C. T i l ly (Hg.), La formazione degli stati nazionali nell’Europa occidentale, ital. Übersetzung, Bologna 1984, S. 79– 152, insbes. S. 84. 20 A. D a M o s to, Ordinamenti militari delle soldatesche dello Stato romano nel secolo XVI, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken (= QFIAB) 6 (1904), S. 72–133, hier S. 84 und insbes. Anm. 2. 21 Vgl. die Anmerkungen „Balistreri de misser Riccardo Alidoxio“ [Alidosi] und „Resegna delli homini d’armi del Mag.° Misser Johanni Vitello conductere del S.or Duca“ im Register „Gentium armorum. 1505–1506“, fol. 4v, 5v–10r: Roma, Archivio di Stato di Roma (= ASR), Soldatesche e Galere, Conti straordinari, b. 86.
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belangt, so waren sie zuhauf beim Romagna-Feldzug von 1509 vertreten, von dem bereits die Rede war: Das gebundene Register mit dem Titel „Dari e avere di Papa Giulio II. 1509“ führt für die Monate Februar bis April die Zahlungen in Bezug auf einen „terçio“ von 1.200 Soldaten an, die unter acht Hauptmännern aufgeteilt waren, und weitere 800, die den Hauptmännern Juan de Sarmiento und Pedro Gerra unterstanden.²² Doch auch die Kontingente, die im Kirchenstaat mit Besatzungsaufgaben betraut waren, setzten sich aus Spaniern zusammen. Im Jahr 1510 waren in der Tat sieben Hauptmänner als „stipendiarii Santissimi Domini Nostri“ tätig: Pedro de Barrientos, Didaco de Verdrio, Pedro Salazar, Francisco Montagnes, Martino Orgor, Pedro Ortega e Pedro Manza.²³ Um die Kosten für diese Kontingente zu decken, zog man im Kirchenstaat die „taxam equorum“ ein, die im „Liber Decretorum“ der Apostolischen Kammer von 1510 erwähnt wird.²⁴ Von dieser Steuer war bislang nur der Zeitpunkt ihrer Abschaffung durch Leo X. bekannt, nämlich das Jahr 1516.²⁵ Schaut man sich die besagte Quelle jedoch genauer an, dann erfährt man, dass die Steuer im Februar des Jahres 1510 als „noviter imposita“²⁶ bezeichnet wurde. Auch die Militäroffiziere waren von der Steuer nicht befreit, sie hatten lediglich Vergünstigungen: Dem Befehlshaber der dem Papst unterstellten Soldaten der leichten Kavallerie, Giovan Battista Petretini (von dem noch die Rede sein wird), war beispielsweise die Zahlung einer reduzierten Steuer erlaubt.²⁷ Im Allgemeinen ergibt sich aus dem „Liber Decretorum“, dass das Jahr 1510 eine Zeit der intensiven Ausarbeitung der päpstlichen Militärpolitik war. Die Lasten für den Unterhalt der festen Verteidigungsanlagen wurden den Gemeinden aufgebürdet, nach dem Grundsatz, dass die „expensas necessarias per custodia castri“ durch „de introitibus castri“ zu gewährleisten seien.²⁸ Die Zahlungen an die Burg-
22 Das Register wird gleichfalls aufbewahrt in ASR, Soldatesche e Galere, b. 86. 23 Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 93r, 99v, 138r, 140r, 143v, 151r, 153v, 160r, 161v, 165r. 24 Vgl. ASR, Camerale I, Decretorum … libri, 290, fol. 13r. Insbesondere gewährte es die Apostolische Kammer der Gemeinschaft von Monte Santa Maria in Giorgio, dem heutigen Montegiorgio im Piceno, bei diesem Anlass, nur „pro equis vivis et non per mortuis“ zu zahlen. Bekanntermaßen wurden in den Registern der „Decreta“ (das von 1510 ist eines der ersten, das erhalten geblieben ist) „registrate, giorno dopo giorno a cura del chierico mensario o del notaio, le questioni sottoposte a questʼorgano e i provvedimenti adottati“. M. G. P a s t u r a Rugg i e r o, La Reverenda Camera Apostolica e i suoi archivi (secoli XV–XVIII), Roma 1984, S. 53. 25 Vgl. M. C a r ava l e, La finanza pontificia nel Cinquecento. Le province del Lazio, Napoli 1974, S. 52. 26 ASR, Camerale I, Decretorum … libri, 290, fol. 13r. 27 Vgl. ebd., fol. 33r (Maßnahme vom 3. Juni 1510). Kurze Zeit zuvor war das Problem „pro capitaneis gentium levis armaturae S.D.N. pro taxis equorum“ dadurch gelöst worden, dass es hieß, sie seien auf jeden Fall zu zahlen („Exigeant de praeterito usque ad Kl. maij et de futuro perdurant“). Decretum vom 28. April 1511, ebd., fol. 91v. 28 Vgl. ebd., fol. 46r (decretum betreffend die Garnison in Attigliano im Patrimonium Sancti Petri in Tuszien, 9. August 1510).
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herren und ihre Garnisonen mussten also aus den lokalen Schatzkammern bestritten werden. Als der Burgherr von Forlì Geld für sich und seine Besatzung verlangte, wurde der Gemeinde befohlen, auf die Einkünfte aus der Salzsteuer („censum ex sal“) zurückzugreifen, der vor der Einrichtung des auf drei Jahre angelegten Subsidiums die höchste Steuer war.²⁹ Eine ähnliche Maßnahme wurde in Bezug auf den Burgherrn von Cesena beschlossen.³⁰ Die Apostolische Kammer griff auch dann direkt ein, wenn es um die Verteidigungsbelange der Stadt Rom ging, denn als sich der Papst an den Schauplatz der Militäroperationen gegen den Herzog von Ferrara begab, hatte er auch die Papstgarde abgezogen, die mit Besatzungsaufgaben für die Stadt betraut war. Daher wurden am 30. Oktober 1510 durch ein decretum die Beträge zur Verfügung gestellt, die für das Einziehen neuer Soldaten und für die Beschaffung einiger Waffenvorräte für die Engelsburg benötigt wurden.³¹ Was die Schweizer anbelangt, so warb Julius II. bereits in den Monaten Februar bis Juli 1509 3.000 Soldaten an und trug dabei Ausgaben in Höhe von 48.000 Kammergolddukaten.³² Am 14. März 1510 schloss er mit der Eidgenossenschaft dann einen Allianzvertrag. Sein Ziel war es dabei insbesondere, sich die Dienste der kriegsgeübten Schweizer Soldaten zu sichern und die Konkurrenz auszuschalten, allen voran Frankreich, an das diese durch einen Vertrag von 1499 gebunden waren. Das Abkommen von 1510 verrät jedoch, dass Julius II. nicht so sehr daran interessiert war, für sein Heer eine Reserveeinheit zu schaffen, sondern daran, die volle Kontrolle, das Monopol über diese hoch spezialisierten Streitkräfte zu erlangen.³³ Kraft dieses Abkommens verpflichteten sich in der Tat die zwölf Schweizer Kantone und das Wallis für die Zeit von fünf Jahren zum Dienst für den Papst und stellten ihm ein Kontingent von 6.000 Mann zur Verfügung. Darüber hinaus verpflichteten sie sich, keine Allianzen oder Söldnerverträge mit anderen Herrschern zu schließen, die militärisch gegen den Papst oder den Kirchenstaat vorgehen könnten, und ohne die päpstliche Zustimmung keine Truppen zu entsenden.³⁴ Für die Franzosen war allein der Text des
29 Vgl. ebd., fol. 8r (decretum vom 1. Februar 1510). Vgl. auch die späteren decreta vom 4. Februar 1510 (ebd., fol. 9r) und vom 13. März 1510 („pro castellano Forlivi ut provideatur suo salario“). In Bezug auf Letzteres wurde entschieden, „detur census Forlivij pro suo salario“. Ebd., fol. 17v. 30 Vgl. das decretum vom 17. Juni 1510 („pro castellano Cesenae [qui] petit salarium suum mensium februarij martij et aprilis“), in Bezug auf das entschieden wurde, „assignetur subsidium Cesenae“. Ebd., fol. 37v. 31 Vgl. das decretum vom 30. Oktober 1510 („Quia propter absentia S.mi D.ni N. ab urbe Romae possent intervenire multa pericula“), durch das 550 Goldscudi für die Verteidigung Roms bereitgestellt wurden. Ebd., fol. 59r. 32 Vgl. das Register „Dari e avere di papa Iulio II. 1509“: ASR, Soldatesche e Galere, b. 86. 33 I. C l o u l a s, Giulio II, ital. Übersetzung, Roma 1993, S. 178–180. 34 Insbesondere die Schweizer verpflichteten sich dazu, keine Allianz zu schließen „cum aliquo Rege, principe, populo aut potentatu, quae possit directe vel indirecte tendere in offensam & injuriam ejusdem Sanctissimi Domini Nostri, & Sanctae Romanae Ecclesiae, necnon pedites aut milites aliquos illis mittere vel conducere quam idem Sanctissimus Dominus Noster declarabit, id cedere posse in offen-
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unterzeichneten Abkommens ein Akt der Feindseligkeit: So zählte Kardinal Georges d’Amboise bereits Ende März 1510 zu den Anzeichen für die feindliche Gesinnung Julius’ II. gegenüber Ludwig XII. „el condur de Sguizari fatto da Soa Santità“.³⁵ Mit Genugtuung las der Papst dem venezianischen Botschafter also Briefe aus Frankreich vor, die von den Schwierigkeiten Ludwigs XII. bei der Anwerbung von Soldaten im Wallis und in Graubünden berichteten und bestätigten, „de lì Franza non era per haver fanti“.³⁶ Die Ereignisse der Jahre 1510 und 1511 zeigen jedoch, dass die nach dem Vertrag vom 14. März 1510 vorgesehene Versorgung mit Streitkräften alles andere als automatisch war. Die Briefe in Händen des venezianischen Botschafters Donà sind voll von den Erwartungen Julius’ II. hinsichtlich der Ziele, die sich mit diesen Streitkräften verwirklichen lassen sollten. In Wirklichkeit war der Anfang eher eine Katastrophe (von „ersten chaotischen Vorstößen“³⁷ ist bei Arnold Esch zu lesen): Die Kontingente, die sich zum Abmarsch nach Italien bereit gemacht hatten, wurden im Sommer 1510 von den Franzosen aufgehalten. Nachdem sie ohne ein wirkliches Kommando und ohne ein klares Ziel von Varese bis fast nach Como vorgedrungen waren, wichen sie nach Chiasso aus, wo sie eine Zeit lang konzentriert blieben, bevor sie sich dann endgültig zerstreuten. Während dieses fruchtlosen Unternehmens, das als Chiasserzug bekannt ist, war die Zahl der Desertionen hoch, und einige Offiziere stellten offen klar, dass sie nicht beabsichtigten, gegen den König von Frankreich und seine Alliierten Krieg zu führen.³⁸ Nachdem man – wie Francesco Guicciardini kommentierte – von den Schweizern sagen konnte, sie hätten ihre Waffen „più presto mostrate che mosse“,³⁹ konnte der Papst sich auf seine Alliierten nicht mehr für den Krieg gegen Ferrara und Mirandola zwischen Ende 1510 und 1511 verlassen. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, wollte man die ersten spärlichen Ergebnisse des Vertrags vom 14. März 1510 zu stark unterstreichen. Interessanter ist hingegen die Feststellung, dass es Julius II. bei dieser Gelegenheit gelang, die privatrechtliche Dimension des Söldnervertrags zu überwinden, durch den der ‚päpstliche Souverän‘ sein Heer mit Berufssoldaten ausstattete. Der Inhalt der von den Vertragspartnern unterzeichneten Verpflichtungen hatte nämlich eine starke öffentlich-rechtliche Relevanz, d. h. eine umfassende diplomatische Bedeutung: Er band einerseits die politischen Mächte der
sam, jacturam vel injuriam Suae Sanctitatis et pacifici status Romanae Ecclesiae“. J. C. Lü n ig, Codex Italiae Diplomaticus, Bd. 2, Frankfurt-Leipzig 1726, Sp. 2501. 35 D o n à, Dispacci da Roma (wie Anm. 9), S. 119 (Depesche vom 26. März 1510). 36 Ebd., S. 215 (Depesche vom 23. Mai 1510). 37 A. E s c h, Mit Schweizer Söldnern auf dem Marsch nach Italien. Das Erlebnis der Mailänderkriege 1510–1515 nach bernischen Akten, in: QFIAB 70 (1990), S. 348–440, Zitat S. 356. 38 Vgl. C l o u l a s, Giulio II (wie Anm. 33), S. 188. J. Wi e l a n d, Geschichte der Kriegsbegebenheiten in Helvetien und Rhätien (als Handbuch zum Militairunterricht für Schweizeroffiziere aller Waffen), Bd. 1, Basel 1827, S. 376–378. 39 G u i cc i a rd i n i, Storia d’Italia (wie Anm. 16), S. 870.
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Eidgenossenschaft auf höchster Ebene, andererseits verpflichtete er den Papst sogar zum Gebrauch der geistlichen Waffen gegen diejenigen, die die Schweizer ohne legitimen Vorwand angegriffen hätten. Zur Finanzierung seines Heeres griff Giuliano Della Rovere auf alle möglichen Kanäle zurück. Die Analyse der Quellen der Apostolischen Kammer in den Jahren um die Romreise Luthers zeigt, dass mit den Geldbewegungen eine breit gefächerte Palette von Personen und Einrichtungen zu tun hatte, allen voran die Behörden der Kurie. Die Apostolische Datarie befasste sich mit der Bezahlung der Papstgarde und mit den Vorschüssen, die an die Truppen unter dem Herzog von Urbino, Francesco Maria Della Rovere, zu leisten waren. Die Generaldepositerie der Apostolischen Kammer, für die in jenen Jahren die Genuesen aus der Familie Sauli zuständig waren, bezahlte die spanischen Truppen. Andere für den päpstlichen Hof tätige genuesische und toskanische Bankleute (wie die Martelli, die Chigi, die Lomellini und die Giustiniani) kümmerten sich in Genua und Mailand um die Truppenbezahlung.⁴⁰ Bei der Soldatenbeschaffung jenseits der Alpen schließlich wurde auf deutsche Personen und Einrichtungen zurückgegriffen (wie Christof Welser und die Bank der Fugger, die in den besagten Kammerquellen als „Vulrisio Fulcher e fratelli“ bezeichnet wird).⁴¹ Zur Verwaltung der Truppen wurden in großem Maße Kommissare eingesetzt: Nach dem, was sich dem Register „Dari e avere di Papa Giulio II. 1509“ (bezüglich des Zeitraums April bis August 1509, also während der Militäroperationen gegen die Venezianer in der Romagna) entnehmen lässt, wurden ein Zahlmeister (Bartolomeo Ferratino da Amelia), ein Artilleriekommissar (Evangelista Tarascone), zwei Feldkommissare (Filippo Cambi, Massimo Grato da Lucca) und ein ausschließlich mit der Anwerbung von 3.000 Schweizern betrauter Kommissar (der Mantuaner Alessandro da Gabbioneta) beschäftigt. Den Sammlungen der Entwürfe der Lizenzen lassen sich darüber hinaus Informationen über die Ernennung der Kommissare „super munitione pulverum“ entnehmen, die die Lieferung und die Verteilung von Schießpulver beaufsichtigten. Doch Offiziere mit ähnlichen Aufgaben waren auch für die Überprüfung der Funktionstüchtigkeit der festen Verteidigungsanlagen zuständig. Im Juni 1510 beispielsweise waren die Burgen und Festungen des Kirchenstaates Nicolò Cantagallo da Foligno anvertraut worden.⁴² Die Militärkommissare, die direkt vom Papst
40 „Dari e avere di Papa Giulio II. 1509“: ASR, Soldatesche e galere, Conti straordinari, b. 86. 41 Zu den Welsern und im Allgemeinen zur römischen Finanzwelt in diesen Jahren siehe den Beitrag von G.-R. Te we s im vorliegenden Band. Zu den Fuggern im Besonderen vgl. A. S c h u l t e, Die Fugger in Rom, 1495–1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, Leipzig 1904. 42 Über das zitierte Register „Dari e avere di papa Giulio II“ (wie Anm. 32) hinaus, vgl. die Lizenz an den Florentiner Francisco Alberigi „commissario super munitione pulverum“: ASV, Div. Cam. 60, fol. 58v–59r (datiert vom 1. Januar 1510), sowie die Lizenz an Nicolò Cantagallo da Fuligno, ebd., Div. Cam. 58, fol. 98v (datiert vom 19. Juni 1510).
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ernannt wurden, hatten die Aufgabe, über die Anwerbung der Soldaten und die Zahlungen zu wachen sowie sich um die logistischen Erfordernisse der kriegsführenden Heere zu kümmern. Im Kirchenstaat gab es sie seit dem 15. Jahrhundert. Paolo Prodi hat ihre Tätigkeit in seiner Monographie „Il sovrano pontefice“ als ein Beispiel für die Experimente betrachtet, die die Päpste im Rahmen der Militärordnungen der frühen Neuzeit durchführten. Im Allgemeinen hört die Geschichtsschreibung seit dem Vortrag Otto Hintzes (aus dem Jahr 1906) zum Thema „Staatsverfassung und Heerverfassung“ nicht auf, die Wichtigkeit der Kommissare für die Entwicklung der Organisationseinheiten der Streitkräfte herauszustreichen: Der Übergang von den Heeren, die unter Rückgriff auf Unternehmer aus bereits dienstbereiten Einheiten gebildet wurden, zu den Heeren, die als Pyramiden von Offizieren konzipiert waren, an deren Spitze der Herrscher selbst stand, wird Hintze zufolge gerade durch das Auftauchen jener Kommissare markiert.⁴³ Offiziere mit solchen Aufgaben waren also bereits unter Julius II. tätig und nicht erst – wie zu zeigen sein wird – während der Militärkampagnen. Die den Kommissaren unterstellten Truppen, die über Söldnerverträge angeheuert wurden, hatten dem Generalkapitän der Kirche zu gehorchen. Seit dem 29. September 1508 bekleidete dieses Amt Francesco Maria Della Rovere, ein Neffe des Papstes. Es handelte sich keinesfalls um ein Ehrenamt: Der ernannte Generalkapitän war an den Kämpfen des Jahres 1509 gegen Venedig beteiligt und riskierte in den ersten Maitagen vor Faenza, durch ein Artilleriegeschoss getötet zu werden.⁴⁴ In den Jahren 1510 und 1511 kämpfte er gegen Alfonso d’Este, den Herzog von Ferrara, und zwar nicht etwa, um seine persönliche Situation zu verbessern (bekanntermaßen hat seine Erlangung des Titels des Herzogs von Urbino nichts mit den militärischen Initiativen des Papstes in den Jahren 1506 bis 1511 zu tun), sondern um den Papst bei der Verfolgung seiner konkreten Ziele zu unterstützen.⁴⁵ So verrät die Tatsache, dass der Neffe von Giuliano Della Rovere an der Spitze der päpstlichen Militärordnungen vertreten war, bereits etwas über die funktionalen Aspekte des Amtes des Generalkapitäns der Kirche, die für den Zeitraum 1560–1692 bereits herausgestellt
43 Vgl. P. P ro d i, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime. La monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982 (Saggi 228 / Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento. Monografia 3), S. 112, Anm. 58; O. H i n t z e, Stato e esercito, Palermo 1991, S. 34–35 (ital. Übersetzung des Vortrags von 1906: d e r s., Staatsverfassung und Heeresverfassung. Vortrag gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 17. Februar 1906, Dresden 1906). Verwiesen sei darüber hinaus auf meinen Aufsatz: G. B r u n e l l i, I commissari generali dell’esercito pontificio tra Cinque e Seicento, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2 (2004), S. 175–206. 44 Venezianische Briefe aus Ravenna vom 5. Mai 1509 geben in der Tat darüber Auskunft, dass „pocho mancò il duca di Urbino non fusse morto da una nostra artellaria, trata dil castello [di Faenza]“. M. S a n u to, Diarii, Bd. 8 (wie Anm. 8), Sp. 178. 45 Vgl. G. B e n z o n i, Francesco Maria I, duca di Urbino, in: DBI 50 (1998), S. 47–55.
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wurden:⁴⁶ Er sorgte für Zusammenhalt in dem institutionell unbestimmten und sozial heterogenen ‚Führungsstab‘ des päpstlichen Heeres, der um 1510 adlige Soldaten wie den Römer Marcantonio Colonna, die Peruginer Giovan Paolo und Malatesta Baglioni sowie Giovanni und Giulio Vitelli aus Città di Castello, Brunoro und Meleagro Zampeschi aus Forlì, Guido Vaina und Giovanni Sassatelli aus Imola und Marco Grosso aus Ravenna umfasste. Darüber hinaus versuchten sich die für ihn in Sold genommenen militärischen Einheiten in einer frühzeitigen Integration der Untertanen aus verschiedenen Gegenden des Kirchenstaates und der Adeligen aus ganz Mittel- und Norditalien: Es gab militärischen Einheiten von Waffenleuten (d. h. von schweren Kavalleristen), eine von Arkebuseschützen (d. h. mit Arkebusen bewaffneten Rittern) und eine von 108 berittenen Adeligen, darunter Graf Federico della Genga, Giovan Paolo Orsini di Toffia, Graf Ludovico da Canossa und der Genuese Ottaviano Fregoso.⁴⁷ Kurz, auch für die Amtszeit Julius’ II. bestätigt sich, was in der Geschichte der Militärinstitutionen offensichtlich ist. Während es keinen Sinn hat, nach dem Gründungsakt eines permanenten Heeres zu suchen, kann es sehr gewinnbringend sein, auf den Zeitpunkt hinzuweisen, zu dem sich einige Ämter etabliert haben: Das oberste Amt, das des capitaneus generalis Sanctae Romanae Ecclesiae, das der Neffe des Papstes, Francesco Maria Della Rovere, innehatte, war nur das, das am meisten in den Blick fiel. Auf dieses Amt folgte eine Reihe von anderen, die zwecks Rekrutierung, Bezahlung und logistischer Verwaltung der eingesetzten Truppen eingerichtet wurden. Ein administrativer Kontrollapparat war für die Papstgarde zuständig, eine weitere Form, in der sich – auch im Kirchenstaat – die Etablierung der Streitkräfte äußerte.⁴⁸ Geht man das Register „Introitus et exitus“ zum Jahr 1510 durch, das die Geldbewegungen der Generaldepositerie der Apostolischen Kammer enthält, so ist der erste Name eines besoldeten Offiziers, auf den man stößt, der von Ponziano de’ Ponzianis, bullator equorum. Der bullator equorum war damit betraut, die Register mit den summarischen Angaben der Pferde zu erstellen, über die die Papstgarde verfügte. Er hatte das Amt von seinem Vater Pietro übernommen, aber die Familie Ponziani (eine römische Familie, wohlgemerkt) hatte das Amt mindestens seit
46 Verwiesen sei hier auf meinen Beitrag G. B r u n e l l i, Al vertice dellʼistituzione militare pontificia. Il Generale di santa Chiesa (sec. XVI–XVII), in: A. Ja m m e / O. P o n c e t (Hg.), Offices et papauté (XIV e–XVII e siècle). Charges, hommes, destins, Rome 2005 (Collection de l’École française de Rome 334), S. 483–499. 47 Vgl. „Mostra et resegna armata dellʼIll.mo S.or Duca De Urbino capitanio generale de la Sancta Ecc.sia facta socto la torre de Quinto die xxviij julij 1505“, in: ASR, Soldatesche e galere, Conti straordinari, b. 86, Register mit dem Titel „Gentium armorum. 1505–1506“, fol. 2r–3r; „Resegna de la compagnia de scopectieri a cavalli de m. Francesco de Luna cap. d’epsi sotto el S.or Duca“, ebd., fol. 3v–4r; „Resegna de Gentilhuomini del Ill.mo S.or Duca facta a dì 29 di luglio“, ebd., fol. 35r–39r. 48 Im Allgemeinen zu den Wachkorps vgl. P. C o n t a m i n e, La guerra nel Medioevo, ital. Übersetzung, Bologna 2005, S. 234. Ebd., S. 233, wo der Autor, auf die grundlegende Ambiguität des Begriffs „esercito permanente“ verweist.
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der Mitte des 15. Jahrhunderts inne.⁴⁹ Darüber hinaus findet sich im besagten Register der cancellarius Custodiae Domini Nostri, d. h. der für die Papstgarde zuständige Kanzler. Inhaber dieses Amtes war Bernardino da Todi, der mit der Lieferung von Militärmaterialien zu tun hatte: Am 31. Dezember 1510 wurden ihm 112 Dukaten und 37 Bajocchi für Ausgaben „in munitionem pulverum ac lignorum et aliorum instrumentorum bellicorum“ gezahlt.⁵⁰ Sein Zuständigkeitsbereich erstreckte sich weit über den Bereich der Papstgarde hinaus. Das Register enthält Belege für eine Zahlung „a bon conto delle spese per lui facte, et da fare in far fondere artiglierie, far carri et altri instrumenti necessarij a dictae artigliarie“.⁵¹ Die Kavallerie (sowohl die mit Rüstungen ausgestattete als auch die leicht bewaffnete) hatte kein anderer als Raimondo de’ Raimondi unter sich, der den Titel revisor gentium armorum Sanctissimi Domini Nostri führte und alle sechs Monate einen Sold von 100 Golddukaten erhielt.⁵² Wir treffen also im Zusammenhang mit einem rein administrativen militärischen Auftrag auf einen Protagonisten der Kulturzirkel vom Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts: Bekannt auch als Raimondo da Soncino, war er ein Dichter und Gelehrter, der sich lange Zeit als Diplomat am Hof von Ludovico Sforza aufgehalten hatte. In dieser Eigenschaft hatte er (Ende 1497) aus London „notizie sulle prime ricognizioni della costa occidentale dellʼAmerica settentrionale promosse dalla corona inglese“ geliefert.⁵³ Nach Rom war er als Konklavist des Kardinals Giuliano Della Rovere gekommen und nach dessen Wahl zum Papst als apostolischer Protonotar dort geblieben. Er war jedoch nicht nur revisor gentium armorum, sondern wurde auch zum Kommissar ernannt und im Jahr 1509 nach Fano geschickt, um die Gemeinschaft zu ermahnen, den Bitten der Venezianer um Hilfe nicht Folge zu leisten, von denen der Papst die Rückgabe der besetzten Teile der Romagna verlangte.⁵⁴ Wenig später, im September des Jahres 1510, geht er aus den Registern der Generaldepositerie als revisor omnium
49 Seine Ernennungsurkunde findet sich auf fol. 44r des gebundenen Registers mit dem Titel „Gentium armorum. 1505–1506“: ASR, Soldatesche e galere, Conti straordinari, b. 86. Auf die Aufgaben im administrativ-militärischen Bereich, die der Familie Ponziani übertragen wurden, wies Michael Mallett hin, der die Auffassung vertritt, darauf sei „una certa continuità nei metodi di gestione“ zurückzuführen. M. M a l l e t t, Signori e mercenari. La guerra nellʼItalia del Rinascimento, ital. Übersetzung, Bologna 1984, S. 133. Vgl. auch G. S a l e t n i c h, La milizia pontificia tra XV e XVI secolo. Temi e prospettive di ricerca, Vortrag auf der Tagung „Le armi del sovrano: armate e flotte nel mondo tra Lepanto e la Rivoluzione francese. 1571–1789“, Archivio di Stato di Roma, 5–8 marzo 2001, online unter: http:/ /goo.gl/DD9ddR (14. 9. 2017), insbes. S. 7, Anm. 28. 50 ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 549, fol. 72r. Am selben Tag wurden ihm darüber hinaus 52 Kammergolddukaten als Provision für die Monate Januar und Februar ausgezahlt. Vgl. ebd. 51 „Dari e avere di Papa Giulio II. 1509“: ASR, Soldatesche e Galere, b. 86, fol. 6v. 52 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 95r (Registereintrag vom 5. Januar 1510). 53 F. Su rd i c h, Verso il nuovo mondo. L’immaginario europeo e la scoperta dell’America, Firenze 2 2002, S. 76. 54 Vgl. P. M. A m i a n i, Memorie historiche della città di Fano, Fano 1751, S. 48.
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armorum Domini Nostri⁵⁵ hervor, der mit der Zahlung der Kompanien befasst war, die gegen den Herzog von Ferrara ins Feld zogen. Die weitere Auseinandersetzung mit dem Register „Introitus et exitus“ der Apostolischen Kammer ergibt, was die Offiziere im Dienst des Papstes um das Jahr 1510 anbelangt, ein reichhaltiges Bild, das v. a. weit entfernt von dem Bild von Paradesoldaten ist. Bis September 1510 hatte den Grad eines capitaneus custodiae Sanctissimi Domini Nostri Costantino Arianiti (Commeno) inne, ein albanischer Adliger, der unter Sixtus IV. Mitglied der Kurie war, bevor er bei Bonifacio Paleologo, dem Markgrafen von Monferrat, bei den Franzosen und bei Kaiser Maximilian I. in Dienst trat. Seine monatliche Provision betrug 283 Dukaten und 25 Bajocchi, doch wie eine andere Quelle bezeugt, hatte der Papst anlässlich der Auseinandersetzungen mit Venedig um die Romagna zudem einige nicht näher bestimmte Projekte von ihm finanziert: Am 28. April 1509 beispielsweise waren ihm 50.000 scudi gegeben worden, „per farne la sua volontà“.⁵⁶ Zur Kavallerie des Papstes gehörten auch 50 Soldaten der leichten Kavallerie (Berufssoldaten aus Albanien oder jedenfalls aus dem Balkan): Sie unterstanden Giovan Battista Petretini, dem capitaneus stradiottorum ad custodiam Sanctissimi Domini Nostri. Diesem anderen Wachkorps wurden jeden Monat 340 Dukaten gezahlt.⁵⁷ Ab September 1510, als der Papst Rom verließ, wurde das Amt des capitaneus custodiae Palatij auf Nicolò Doria übertragen, der von 1484 bis 1492 in den Diensten Innozenz’ VIII. gestanden hatte und im Jahr 1507 nach Rom zurückgekehrt war, um Julius II. zu dienen. Im Juli 1510 hatte er an dem Versuch mitgewirkt, Genua zu überraschen (und sich angeblich auf der kleinen Flotte eingeschifft, die in der zweiten Oktoberhälfte desselben Jahres einen erneuten Versuch unternahm).⁵⁸ Zusammen mit ihm, der im Monat einen Sold von 40 Dukaten erhielt, waren „100 pedit[es] ad custodiam dicti palatij deputat[i] in absentia S.mi D.ni N.ri“ im Dienst, die je drei Golddukaten erhielten.⁵⁹ Berittene Männer waren auch dem Kommando des Römers Pietro Margani unterstellt. Es handelte sich insbesondere um „equitum levis armaturae“ und (seit dem 31. Juli 1510) um 50 Armbrustschützen, die gleichfalls „ad custodiam Sanctissimi Domini Nostri“ abgestellt waren.⁶⁰
55 ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 166r. 56 „Dari e avere di Papa Giulio II. 1509“: ASR, Soldatesche e Galere, b. 86, fol. 6v. Vgl. auch ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 134v, 142v, 165v; F. B a b i n ge r, Arianiti, Costantino, in: DBI 4 (1962), S. 141–143. 57 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 97v, 138v, 143v, 151r, 157r, 171r. Vgl. auch ebd., fol. 163r (wo Ausgaben in Höhe von 106 Dukaten und 45 B. erwähnt werden, die Meister Pietro Busdraga am 8. September 1510 für 50 Fahnen erhielt, die für die Soldaten der leichten Kavallerie bestimmt waren). 58 Vgl. M. C ava n n a C i ap p i n a, Doria, Nicolò, in: DBI 41 (1992), S. 419–421. 59 ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 167v (23. September 1510). 60 Ebd., fol. 150r (31. Juli 1510).
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Der Burgherr der Engelsburg – der Bischof von Turin, Giovan Ludovico Della Rovere – erhielt für seine Dienste eine monatliche Provision von 160 Golddukaten; dazu kamen weitere 50 „ad usum stipendiariorum“.⁶¹ Aufgrund der Eintragungen der Kammermandate wissen wir auch, wer die fünf für die Bombarden zuständigen Männer waren, die 1508 ihren Dienst ausübten.⁶² Zur Papstgarde gehörte schließlich auch das Korps von 180/185 Schweizer Soldaten unter dem Kommando von Kaspar von Sylenen (der in den Quellen als Gaspare Sillano auftaucht). Als Luther in Rom ankam, waren die Schweizer bereits seit vier Jahren mit der Bewachung des Papstpalastes betraut und dem Papst auch auf seinen Feldzügen gegen Perugia und Bologna im Jahr 1506 gefolgt. Ende 1510/Anfang 1511 begleiteten sie ihn schließlich bei den Militäroperationen gegen Mirandola.⁶³ Die Kosten für die Schweizergarde waren ziemlich hoch; sie betrugen ca. 850 Golddukaten pro Monat. Weitere Gelder mussten für die Bezahlung von Alberto Quilibort, den stellvertretenden Befehlshaber des besagten Kontingents, aufgewendet werden.⁶⁴ Die Ankunft der Schweizer in Rom wurde von Marcantonio Altieri als eine klare Entscheidung von Giuliano Della Rovere gegen die obersten Schichten der Stadt betrachtet: „la guardia di Palazzo“ – so Altieri – „[era] solito tra gli altri custodirsi per la maggior parte dagli Romani meritevoli“ – und gedanklich an den Papst gewandt – „per mostrare quanto ci amate, et in qual loco d’onore ci tenete, senza cagione ne cavate li Romani et in loro incommodo e con non poco vilipendio chi ci mettete? Li svizari, huomini barbari, huomini sanza fede, horridi et alieni d’ogni humanità e nemici capitali di Roma e del nome italiano“.⁶⁵
Diese Anklage wurde in der Geschichtsschreibung oft aufgegriffen: Von Clara Gennaros Aufsatz zur pax romana aus dem Jahr 1511 über den Band „Storia dʼItalia UTET“, der dem Kirchenstaat gewidmet ist, bis hin zur erst vor Kurzem erschienenen Monographie Alessandro Serios über die Colonna im 15. und 16. Jahrhundert: Die Anwerbung der Schweizergarde wurde immer wieder als Indiz für eine gegen die
61 Ebd., fol. 93v (2. Januar 1510). 62 Die Zahlungen im Dezember 1508 wurden geleistet an „magistro Matheo“ (10 Golddukaten), „magistro Io. De la Bura“ (8 Golddukaten), „magistro Io. Caravagio“ (6 Golddukaten), „magistro Io. De Sabaudia“ (6 Golddukaten), „magistro Gutto“ (10 Golddukaten). Vgl. ASR, Camerale I, Mandati camerali, 857, fol. 207r–v. 63 Vgl. P. M. K r i e g, Die Schweizergarde in Rom, Luzern 1960, insbes. S. 14–20. Berichtigt werden muss jedoch die Angabe, nach der sich der zahlenmäßige Bestand der Schweizergarde bis zum Jahr 1527 auf 198 Mann eingependelt habe (vgl. ebd., S. 19). Nach dem Register in ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 95v, 146r, 151r, 159r, 171r, waren es im Zeitraum Januar bis September 1510 180 Soldaten. 64 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 95v, 132v, 140v, 146r, 151r, 157v, 159r, 171r; ebd., 549, fol. 69v, 74r. 65 Marcantonio A lt i e r i, Baccanali, zit. in: C. G e n n a r o, La pax romana del 1511, in: Atti della Società romana di Storia patria 90 (1967), S. 17–60, hier S. 38, Anm. 63.
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römische Stadtobrigkeit gerichtete Politik gewertet, nach der „Giulio II aveva tolto ai baroni e ai milites romani il privilegio di formare la guardia dei palazzi apostolici, guardia che aveva invece affidato a truppe mercenarie svizzere“.⁶⁶ In Wirklichkeit verlangt die von Julius’ II. gewollte Neuerung vor allen Dingen nach einer Beurteilung, die einen Vergleich mit den Geschehnissen jenseits der Alpen einbezieht. Wie Philippe Contamine herausstellte, hatte der Hauptfeind Julius’ II. (der französische König Ludwig XII.) im Jahr 1511 als Hofgarde 200 (berittene) Adelige, 100 schottische Bogenschützen, 200 französische Bogenschützen und 100 Schweizer Soldaten unter sich.⁶⁷ Sieht man also von den politischen Aspekten der Soldatenanwerbung ab (der Papst hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Schweizer Streitkräfte mit einem Monopol zu belegen, um sie gegen die Franzosen zu verwenden), dann erscheint es offensichtlich, dass die Verstärkung der Papstgarde durch Berufssoldaten, die, die der europäische Markt damals zu bieten hatte, eine natürliche Weiterentwicklung des militärischen „Formats“ des Papstes war, die in dieselbe Richtung verlief wie die des militärischen „Formats“ der Franzosen in denselben Jahren. Hinzuzufügen ist, dass die erste Durchsicht der Quellen keinen sichtbaren Wechsel im soziologischen Profil der dem Papst am nächsten stehenden Soldaten erkennen lässt, die mit einer Anwerbung der Schweizergarde einherging. Das Register „Introitus et Exitus“ aus den Jahren 1429/30 – also aus der Endphase des Pontifikats des Römers Martin V. Colonna – zeigt, dass damals unter den Söldnerführern im Dienst des Papstes nur ein einziger Hauptmann aus der Stadt war, sein Blutsverwandter Paolo Colonna. Im Übrigen gab es zu jener Zeit noch keine strenge Unterscheidung zwischen Wachkorps einerseits und sonstigen besoldeten Kontingenten andererseits, zumindest nicht nach den administrativen Quellen.⁶⁸ In den Monaten unmittelbar vor dem Jahr 1506 (in dem bekanntermaßen die Schweizer nach Rom kamen) war mit dem Kommando der Garde Antonio Della Rovere betraut (der wahrscheinlich aus der Linie Basso-Della Rovere stammte) und kein Römer.⁶⁹ Im Register der päpstlichen Kavallerie von 1505 hat man im Übrigen Mühe, Namen von Soldaten zu finden, die als Römer gekennzeichnet sind: Von 1.256 Soldaten (und es handelt sich zweifelsohne um adelige leichte Kavalleristen und Waffenleute) sind es lediglich sieben, von denen sicher nur einer der städtischen Schicht angehörte, nämlich Mellino Millini, Sohn des Mario Millini.⁷⁰
66 C a r ava l e / C a r a cc i o l o, Lo Stato pontificio (wie Anm. 5), S. 179–180. Vgl. auch A. S e r i o, Una gloriosa sconfitta. I Colonna tra papato e impero nella prima età moderna (1431–1530), Roma 2008, S. 159. 67 Vgl. C o n t a m i n e, La guerra nel Medioevo (wie Anm. 48), S. 135. 68 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 389, fol. 89r–112v. Der Zeitraum ist der von Juli 1429 bis Juni 1430. 69 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 537, fol. 114v. Der Zeitraum ist der von November 1504 bis November 1505. 70 Vgl. die „Resegna de Gentilhuomini del Ill.mo S.or Duca facta a dì 29 di luglio“ [1505] im Register „Gentium armorum. 1505–1506“: ASR, Soldatesche e galere, Conti straordinari, b. 86, fol. 35r–39r.
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Bei genauerem Hinsehen fehlten in den Jahren 1510 und 1511 unter den von der Apostolischen Kammer bezahlten Offizieren die Römer dennoch nicht. Auf Marcantonio Colonna, der den Dienst in der Florentinischen Republik quittierte und auf höchster Ebene während der Militärinitiativen von 1510 und 1511 für den Papst tätig war, wurde bereits hingewiesen. Er war im Übrigen mit einer Nichte des Papstes, Lucrezia Franciotti Della Rovere, verheiratet.⁷¹ Auch Orsino Orsini aus der MugnanoLinie kämpfte in den Monaten, in denen Luther durch Italien reiste, unter den Soldaten des Papstes an der Nordfront.⁷² Und der junge Camillo Orsini hatte sich laut den „Decreta“ der Apostolischen Kammer seit Januar 1510 dem Papst zur Verfügung gestellt.⁷³ Was die städtische Schicht in Rom anbelangt, so wurde bereits auf die Aufträge von Ponziano de’ Ponziani und Pietro Margani hingewiesen. Im Oktober 1510 erscheint auch Giuliano Cenci im Amt als inquisitor armatorum, d. h. als Richter der Soldaten.⁷⁴ Die Worte, die Julius II. im Februar des Jahres 1506 angesichts der Entscheidung, „non volere mai alli stipendi sua né Orsini né Colonnesi, ma [di essere disposto] a valersi ne’ bisogni di forestieri insegnandogli fare così la experientia de sui antecessori che col mezo de denari della Chiesa sono stati oppressati“,⁷⁵ an den florentinischen Botschafter richtete, sind also nicht zu überschätzen. Ein Papst, dem die Erfordernisse der Militärorganisation am Herzen lagen, brachte schlicht seine Absicht zum Ausdruck, sich effiziente Kräfte verschaffen zu wollen, und dies in einem Kontext, in dem ein nicht zu vernachlässigender Teil des verfügbaren menschlichen Kapitals sich – statt dem Papst zu dienen – anderen Herrschern zur Verfügung stellte. Die Antwort des kirchlichen Oberhaupts konnte nicht anders als umfassend und differenziert sein: Er versuchte die römischen Adeligen, die sich ihm entgegengestellt hatten (z. B. die Orsini im Mai 1509⁷⁶), durch Aufnahme in seine Truppen an weiterem Widerstand zu hindern; er zog Mitglieder der Provinzeliten ein; er warb spanische und Schweizer Truppen an und ließ sie nach Rom kommen; und vor allen Dingen
71 Vgl. F. Pe t r u cc i, Colonna, Marcantonio, in: DBI 27 (1982), S. 365. Zu dieser Hochzeit vgl. S. Fe c i, Signore di curia. Rapporti di potere ed esperienze di governo nella Roma papale (metà XV–metà XVI secolo), in: L. A rc a nge l i / S. Pe y ro n e l R a m b a l d i (Hg.), Donne di potere nel Rinascimento, Roma 2008, S. 195–222, insbes. S. 207. 72 Vgl. C. A rge g n i, Condottieri, capitani, tribuni, Bd. 2, Milano 1937, S. 368; C. We b e r, Genealogien zur Papstgeschichte, Bd. 6, Stuttgart 2002, S. 736. 73 Vgl. ASR, Camerale I, Decretorum […] libri, 290, fol. 2r. 74 Vgl. ASV, Camera apostolica, Introitus et exitus, 548, fol. 170v, wo für den 29. Oktober 1510 eine „Zahlung von 71 ½ Golddukaten“ eingetragen ist. 75 Transkription von C. S h aw, The roman barons and the security of the Papal States, in: M. D e l Tre p p o (Hg.), Condottieri e uomini d’arme nell’Italia del Rinascimento, Neapel 2001 (Europa mediterranea. Quaderni 18), S. 311–325, hier S. 312, und in jüngerer Zeit von Serio, Una gloriosa sconfitta (wie Anm. 66), S. 159. 76 Vgl. S a n u to, Diarii, Bd. 8 (wie Anm. 8), Sp. 183–184.
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kümmerte er sich um den Kommando- und Kontrollapparat. Wenn es also wahr ist, dass das Rom, das Luther während seiner Reise sah, noch ein ‚mittelalterliches‘ Rom war, weit entfernt von dem neuen Bild, das es im Verlauf des 16. Jahrhunderts auch in baulicher Hinsicht bieten sollte, dann waren die Soldaten des Papstes, denen der junge Augustinermönch über den Weg laufen konnte, doch eine der verhältnismäßig ‚modernen‘ Realitäten des Kirchenstaates.
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Andreas Rehberg
Martin Luther und die Wege zum Heil in den Frömmigkeitspraktiken in Rom um 1500 1 Vorbemerkungen Die Stadt Rom konnte mit einem Angebot an Heilsangeboten aufwarten, das in der Christenheit einmalig war und nur von den Heiligen Stätten in Palästina übertroffen wurde.¹ Was man alles in Rom als guter Katholik zum Wohle seines Seelenheils unternehmen konnte, ist zum Teil noch heute Praxis (man denke nur an das Heilige Jahr, Marien- und Heiligenverehrung, Ablässe etc.). Das Thema soll aus zwei Perspektiven angegangen werden: zum einen vom Blickwinkel des frommen Pilgers, also – wie wiederholt festgestellt wurde – aus der Perspektive Luthers selbst; und zum anderen aus der Warte der zeitgenössischen Bewohner des kosmopolitischen Rom, wobei man zwischen den alteingesessenen Römern und den vielen Zugereisten unterscheiden kann (letztere empfanden sich um 1500 bereits weitgehend als „Nationen“ mit eigenen landsmannschaftlich organisierten Aggregationszentren wie Bruderschaften und Pilger- und Krankenhospizen).²
1 Vgl. zu ersten Grundlinien P. B e r b é e, Die Romwallfahrt aus der Sicht stadtrömischer Quellen zwischen 1377 und 1550. Prämissen und Probleme ihrer Erforschung, in: Jahrbuch für Volkskunde N. F. 9 (1986), S. 85–111. Zur Jerusalemfahrt vgl. aus einer breiten Literatur R. R ö h r i c h t, Deutsche Pilgerreisen nach dem heiligen Lande. Neue Ausgabe, Innsbruck 1900; U. G a n z- B l ä t t l e r, ‚Ich kam, sah und berührte‘. Jerusalem als Pilgerziel im ausgehenden Mittelalter, in: B. H au p t / W. G. B u s s e (Hg.), Pilgerreisen in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 2005 (Studia humaniora – Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 41), S. 15–30; S. S c h rö d e r, Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri, Berlin 2009 (Orbis mediaevalis 11), S. 126ff., und zuletzt G. H a r t m a n n, ‚Licencia apostolica intrandi terras Sarracenorum et communicandi cum eis‘. Die päpstlichen Register als Quelle für die spätmittelalterlichen Pilgerfahrten, in: M. M a t h e u s (Hg.), Friedensnobelpreis und historische Grundlagenforschung. Ludwig Quidde und die Erschließung der kurialen Registerüberlieferung, Berlin-Boston 2011 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 124), S. 243–277. Auch um die (Auswahl-)Bibliographie nicht überborden zu lassen, wird im Folgenden bevorzugt die deutschsprachige Literatur angegeben. 2 Zu den Bruderschaften siehe unten Anm. 99; zu den „nationalen“ siehe unten Anm. 129. Zur Bevölkerungssituation Roms aus sozialer und wirtschaftlicher Perspektive im frühen 16. Jahrhundert gibt es eine breite Literatur. Zusätzlich zu den Beiträgen von A. E s c h, A. M o d ig l i a n i und L. P a l e r m o in diesem Tagungsband (mit weiterer Literatur) sei nur verwiesen auf A. E s p o s i t o, Un’altra Roma. Minoranze nazionali e comunità ebraiche tra Medioevo e Rinascimento, Roma 1995 (Pagine della Memorie 1). DOI 10.1515/9783110316117-016
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Während es zu Luthers Romerlebnis mittlerweile eine stattliche Bibliographie gibt, die auf eine über zweihundertjährige Tradition zurückblickt,³ ist die Religiosität der Römer im ausgehenden Mittelalter und in der Renaissance um 1500 erst in den letzten Jahren verstärkt thematisiert worden. Viel zu sehr verstellt die Geschichte des Papsttums den Blick auf die stadtrömischen Verhältnisse. Und dieses Ungleichgewicht findet sich auch in den Quellen Roms und in ihrer – noch ungenügenden – Erschließung wieder.⁴ Luthers Romerfahrungen haben an verschiedenen Stellen und (durch Dritte) vor allem in den Jahrzehnte später verfassten Tischreden⁵ ihren Niederschlag gefunden, deren Problematik bekannt ist.⁶ Trotz ihrer Prägung durch die späte Erinnerung sind sie in einigen Punkten für die religiöse Situation in Rom aufschlussreich. Als Quelle bzw. Erinnerungsstütze diente dem Reformator offenbar eine Quellengattung, die auch in unseren Ausführungen stets präsent sein wird. Es sind dies die Pilgerführer, die am verbreitetsten in der Form der meist zusammen gedruckten Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae und Stationes waren. Nine Robijntje Miedema hat sich dieser Gattung gewidmet und vorzügliche Listen zu den Handschriften und Drucken sowie zu ihren Inhalten vorgelegt.⁷ Diese Pilgerführer (mit einem Überblick über die rö-
3 Genannt seien nur A. H au s r a t h, Martin Luthers Romfahrt, Berlin 1894 (wieder aufgenommen – aber ohne Anmerkungen – in d e r s., Luthers Leben, Berlin 1904, Kap. IV); H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, und zuletzt – neben weiteren an ein breiteres Publikum gerichteten Schriften zum Thema – J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 2010, sowie H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F. 10,2), S. 1 –157 (S. 7–37 zur Forschungsgeschichte). 4 Einen ersten Überblick über den Forschungsstand und die Überlieferungslücken bietet der Sammelband G. B a ro n e / A. E s p o s i to (Hg.), Roma religiosa (secc. XIV–XV). Atti della giornata di studio, Roma, 12 maggio 2008, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 132 (2010). Vgl. dazu die Einführung von S. B o e s c h G aj a n o, Letture e riletture. Spunti per una riflessione storiografica, in: ebd., S. 7–21, und die Schlussbetrachtungen in A. Vau c h e z, Conclusion, in: ebd., S. 173–180. 5 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR). Vgl. ansonsten ebd.,. Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA). 6 Siehe vor allem den Beitrag von V. Le p p i n im vorliegenden Band und K. B ä r e n f ä n ge r / V. Le p p i n / S. M i c h e l (Hg.), Martin Luthers Tischreden. Neuansätze der Forschung, Tübingen 2013 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 71). 7 N. R. M i e d e m a, Rompilgerführer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Die Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae (deutsch / niederländisch), Edition und Kommentar, Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 72); d i e s., Die römischen Kirchen im Spätmittelalter nach den ‚Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae‘, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 97). Es geht hier nicht um die bekannteren älteren – von Luther ebenfalls herangezogenen – „Mirabilia Romae“, die die antiken Bauten Roms zu deuten suchten: vgl. aus einer breiten Literatur hier nur ebd., S. 4f.; d i e s ., Die ‚Mirabilia Romae‘. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte, Tübingen 1996 (Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters
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mischen Kirchen und die ihnen zugeschriebenen Ablässe) können auch als Matrix für die gängigste Romwahrnehmung aus der Sicht der Fremden und Pilger genutzt werden. Für die römische Perspektive wird neben Stichproben in Bruderschafts- und Hospitalarchiven vor allem die methodisch hochkomplexe Gattung der Testamente herangezogen, die für das Rom um 1500 vor allem in Notariatsprotokollen reichlich überliefert sind.⁸ Während die Testamente der Einheimischen unmöglich in ihrer Gesamtheit ausgebreitet werden können,⁹ kann man die Testamente der in der Ewigen Stadt weilenden Ausländer – aufgrund der Einrichtung des Kollegs der „Schreiber des Archivs der römischen Kurie“ im Jahre 1507¹⁰ – gezielter suchen. Vor Antritt der Reise stipulierten Pilgertestamenten wird man in der Heimat nachspüren müssen, was an vorliegender Stelle nicht geleistet werden kann.¹¹
108), S. 175ff. zu den Drucken, und D. K i n n e y, Fact and Fiction in the ‚Mirabilia urbis Romae‘, in: É. Ó C a r r agá i n / C. N e u m a n d e Ve gva r (Hg.), Roma Felix. Formation and Reflections of Medieval Rome, Aldershot 2007, S. 235–252. 8 Zum richtigen Umgang mit Testamenten in kultur- und religionsgeschichtlicher Perspektive gibt es viele Stimmen. Verwiesen sei auch auf die Rezension zu S. K. C o h n, The Cult of Remembrance and the Black Death. Six Renaissance Cities in Central Italy, Baltimore 1997, von M. B e r t r a m, ‚Renaissance Mentality‘ in Italian Testaments?, in: The Journal of Modern History 67 (1995), S. 358–369. Reizvoll ist der Abgleich mit dem Testierverhalten in deutschen Städten, wozu als Beispiel auf P. B au r, Testament und Bürgerschaft. Alltagsleben und Sachkultur im spätmittelalterlichen Konstanz, Sigmaringen 1989 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 31), hingewiesen sei. 9 Zu Vorarbeiten vor allem zum Quattrocento vgl. I. Lo r i S a n f i l i p p o, Morire a Roma, in: M. C h i a b ò / G. D’A l e s s a n d ro / P. P i a ce n t i n i / C. R a n i e r i (Hg.), Alle origini della nuova Roma. Martino V (1417–1431). Atti del convegno, Roma, 2–5 marzo 1992, Roma 1992 (Nuovi studi storici 20), S. 603 –623; D. B a r b a l a rga, Gli atteggiamenti devozionali dei testamenti, in: M. M ig l i o / F. N i u t t a / D. Q u agl i o n i / C. R a n i e r i (Hg.), Un pontificato ed una città. Sisto IV (1471–1484). Atti del convegno, Roma, 3–7 dicembre 1984, Roma 1986 (Istituto storico italiano per il medio evo. Studi storici, fasc. 154 –162; Littera Antiqua 5), S. 694–705; M. L. Lo m b a rd o / M. M o r e l l i, Donne e testamenti a Roma nel ʼ400, in: Donne a. Roma tra Medioevo e Età moderna = Archivi e Cultura 25/26 (1992/93), S. 23–130; I. A i t, I costi della morte. Uno specchio della società cittadina bassomedievale, in: F. S a lve s t r i n i / G. M. Va r a n i n i / A. Z a nga r i n i (Hg.), La morte e i suoi riti in Italia tra Medioevo e prima età moderna, Firenze 2007 (Collana di studi e ricerche 11), S. 275–321. 10 Zu Zweck und der Hinterlassenschaft dieses Notarenkollegs im Bestand Roma, Archivio Storico Capitolino (= ASC), Archivio Urbano, sez. LXVI, vgl. A. R e h b e rg, Der deutsche Klerus an der Kurie. Die römischen Quellen, in: S. K l ap p / S. S c h m i t t (Hg.), Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004, Stuttgart 2008 (Geschichtliche Landeskunde 62), S. 37–65, hier S. 56–63, und jetzt d e r s., Le comunità ‚nazionali‘ e le loro chiese nella documentazione dei notai stranieri a Roma (1507–1527), in: A. Ko l l e r / S. Ku b e r s k y- P i r e d d a (Hg.), Identità e rappresentazione. Le chiese nazionali a Roma, 1450–1650, Roma 2015, S. 481–501. 11 Vgl. immerhin G. D e S a n d re G a s p a r i n i, Giubileo e pellegrinaggi. Testamenti di romei veneti nel Quattrocento, in: C. B e l l i n a t i (Hg.), Il Veneto e i Giubilei. Contributo alla storia culturale e spirituale dell’evento in terra veneta (1300–2000), Padova 1999, S. 35–57.
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Andere Quellengattungen können leider auch aufgrund der ungleichgewichtigen Überlieferungslage allenfalls gestreift werden. Wenig weiß man über das Predigtwesen¹² (wohlgemerkt: außerhalb des päpstlichen Umfeldes¹³), vom religiösen Schrifttum,¹⁴ von der Beichtpraxis und allgemein der Gebetskultur. Natürlich ist es angesichts des fast gänzlichen Fehlens von religiös gefärbten Selbstzeugnissen¹⁵ schwierig, Einblicke in das Innenleben des (Durchschnitts-)Römers zu gewinnen. Man muss jedenfalls stets die soziale Herkunft und kulturelle Prägung berücksichtigen. Aufgrund des kosmopolitischen Zuschnitts der römischen Bevölkerung sollen auch nicht Beispiele dafür fehlen, wie die Landsleute Luthers in Rom die religiösen Angebote der Stadt aufgenommen haben. Dabei geht es auch um die Frage, ob den späteren Reformator das, was er in Rom an Frömmigkeitspraktiken vorfand, in seinen Erwartungen hat bestätigen oder enttäuschen können. Über Frömmigkeit und Religiosität zu sprechen, ist allgemein eine methodische Herausforderung.¹⁶ Luther selbst soll die Route vorgeben: von ihm aufgeworfene Stichworte sind Kirchen und Katakomben (Kap. 2), Ablässe und Reliquien (Kap. 3) und Bruderschaften und Hospitäler (Kap. 4). Angesichts der Vielschichtigkeit der Thematik können viele andere vom späteren Reformator nicht eigens erwähnte bzw. gewürdigte Aspekte nur gestreift werden. Die Auswahl ist nicht nur durch die Quellenlage
12 Ein (wegen der gelehrten Ausführungen wohl nicht ganz repräsentatives) interessantes Beispiel stellt die 1499 in S. Maria Maggiore gehaltene Predigt des Humanisten Pietro Marso (zu diesem unten Anm. 110) dar, die in M. D yk m a n s, L’humanisme de Pierre Marso, Città del Vaticano 1988 (Studi e testi 327), S. 101–113, ediert ist. 13 Zu diesem vgl. J. W. O’M a l l e y, Praise and Blame in Renaissance Rome. Rhetoric Doctrine and Reform in the Sacred Orators of the Papal Court, 1450–1521, Durham 1979 (Duke Monographs in Medieval and Renaissance Studies 3). 14 Siehe die Schriften erbaulichen Inhalts des römischen Pfarrers Giuliano Dati unten Anm. 109. 15 Vgl. allgemein K. vo n G re ye r z, Vom Nutzen und Vorteil der Selbstzeugnisforschung für die Frühneuzeithistorie, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2004, München 2005, S. 27–47. 16 Vgl. aus einer breiten Literatur K. S c h re i n e r (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge, München u. a. 1992 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 20); d e r s., Frömmigkeit in politisch-sozialen Wirkungszusammenhängen des Mittelalters. Theorie- und Sachprobleme, Tendenzen und Perspektiven der Forschung, in: M. B o rgo lte (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989, München 1995 (HZ. Beihefte 20), S. 177 –226; A. A nge n e n dt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000; P. D i n z e l b a c h e r (Hg.), Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Bd. 2: Hoch- und Spätmittelalter, Paderborn u. a. 2000; B. H a m m / T. Le n te s (Hg.), Spätmittelalterliche Frömmigkeit zwischen Ideal und Praxis, Tübingen 2001 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 15); M. B o rgo l t e (Hg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000 (Stiftungsgeschichten 1); K. S c h re i n e r / M. M ü n t z (Hg.), Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002; B. H a m m, Religiosität im späten Mittelalter. Spannungspole, Neuaufbrüche, Normierungen, hg. von R. Fr i e d r i c h / W. S. M o h r, Tübingen 2011.
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bedingt, sondern auch durch die Vorlieben des Sozialhistorikers.¹⁷ Was die Religiositätsformen der in Rom ansässigen Fremden betrifft, ist auch der Anpassungsdruck seitens des stadtrömischen Umfelds in Rechnung zu stellen. Aber gerade in diesem Bereich sind besonders interessante Aufschlüsse über einige Eigenheiten des religiösen Lebens in der Ewigen Stadt zu erwarten. Die in einem Aufsatz mit Überblickscharakter unvermeidlichen Abstraktionen und Generalisierungen erfolgen stets mit den obligaten methodischen Vorbehalten. Natürlich war Rom selbst auch ein Ort, an dem man viel Kritik an Kurie und Papsttum übte. Das Verhältnis der Römer zu ihrem Stadtherrn war komplex und nicht frei von ideologischen Standpunkten (die sich noch in jüngsten Darstellungen finden).¹⁸ Bezeichnend ist jedoch, dass in der Renaissance der Luxus des Papsthofes von den Römern – nicht zuletzt aufgrund der offenkundigen wirtschaftlichen Vorteile für ihre Stadt – weitgehend toleriert oder sogar begrüßt wurde.¹⁹ Selbst die antiklerikalen Spottgedichte und die berüchtigten Pasquinaten²⁰ rüttelten nicht an
17 Vgl. die begriffsgeschichtlichen Prolegomena und die Ausführungen zur Abhängigkeit der Elitenund Volkskultur respektive -frömmigkeit von Faktoren wie sozialer Herkunft und Bildungsvoraussetzungen in K. S c h re i n e r, Laienfrömmigkeit. Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfasstheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter, in: S c h r e i n e r, Laienfrömmigkeit (wie Anm. 16), S. 1–78. 18 M. M igl i o, Il Senato in Roma medievale, in: G. A r n a l d i (Hg.), Il Senato nella storia, Bd. 2: Il Senato nel Medioevo e nella prima età moderna, Roma 1997, S. 117–172; d e r s ., Lorenzo Valla e l’ideologia municipale romana nel ‚De falso credita et ementita Constantini donatione‘, in: H. Ke l l e r / W. P a r av i c i n i / W. S c h i e d e r (Hg.), Italia et Germania. Liber amicorum Arnold Esch, Tübingen 2001, S. 225–236; d e r s., Repubblica, monarchia e tirannide. Cultura e società a Roma nel Quattrocento, in: F. P. Fi o re / A. N e s s e l r a t h (Hg.), La Roma di Leon Battista Alberti. Umanisti, architetti e artisti alla scoperta nella città del Quattrocento, Milano 2005, S. 91–101. Programmatisch schon im Titel ist der Versuch, die Stadtgeschichte Roms von seiner päpstlichen Vereinnahmung zu befreien, in J.-C. M a i r e Vigu e u r, L’Autre Rome. Une histoire des Romains à l’époque des communes (XII e–XIV e siècle), Paris 2010. 19 Dem Luxus am Papsthof war 2007 ein Studientag am DHI gewidmet: T. E r t l (Hg.), ‚Pompa sacra‘. Lusso e cultura materiale alla corte papale nel basso Medioevo (1420–1527). Atti della giornata di studi, Roma, Istituto Storico Germanico, 15 febbraio 2007, Roma 2010 (Nuovi studi storici 86), vgl. bes. die Beiträge von A. E s p o s i to, Di fronte al lusso. La corte e il popolo romano, in: ebd., S. 131–144, sowie A. M o d igl i a n i, Le ragioni del lusso e il rifiuto della povertà evangelica. I papi e la ricchezza terrena nel Quattrocento, in: ebd., S. 145–166. 20 Aus einer breiten Literatur zu dem allerdings damals noch jungen Phänomen der öffentlich an einer Statue unweit der Piazza Navona angebrachten satirischen Gedichte vgl. nur G. A. C e s a r e o, Pasquino e pasquinate nella Roma di Leone X, Roma 1938; V. M a r u c c i / A. M a r z o / A. R o m a n o (Hg.), Pasquinate romane del Cinquecento, Roma 1984 (Testi e documenti di letteratura e lingua 7); C. D a m i a n a k i / P. P ro c a cc i o l i / A. R o m a n o (Hg.), ‚Ex marmore‘. Pasquini, pasquinisti, pasquinate nell’Europa moderna. Atti del Colloquio internazionale, Lecce-Otranto, 17–19 novembre 2005, Manziana 2006 (Cinquecento. Studi 17). Vgl. allgemein O. N i c c o l i, Rinascimento anticlericale. Infamia, propaganda e satira in Italia tra Quattro e Cinquecento, Roma-Bari 2005. Siehe auch den Beitrag von M. M a t h e u s im vorliegenden Band.
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den theologischen Grundlagen der katholischen Kirche. Der Blick der Römer auf ihren Stadtklerus, zumal der höheren Ränge der Kanoniker an den großen und reichen Basiliken, schwankte zwischen wohlwollender Bewunderung und dem Bewusstsein, in ihm auch begehrte Versorgungsstellen für eigene Familienmitglieder zu haben, auf der einen Seite, und der Entrüstung über die – damals auch anderenorts (und auch in deutschen Landen) beklagten – wohlbekannten kirchlichen Missstände auf der anderen Seite.²¹
2 Kirchen und Katakomben Der Rundgang beginnt mit den Apostelgräbern und Stätten der Verehrung der Märtyrer, die zweifellos die größte Hochachtung bei Fremden und Einheimischen genossen. Martin Luther hat wohl – wie so viele vor und nach ihm – die sieben Hauptkirchen Roms²² besucht. Jede Basilika hatte ihre eigenen Traditionen und Attraktionen. In der Laterankirche stand beispielsweise ein Altar, der besonders an Samstagen die Gläubigen anzog. Hierzu wissen die Tischreden im Wortlaut der Pilgerführer, dass ein Papst Bonifaz den Ablass bestätigt und erhöht habe: „dieser sagt, selig ist die mutter, die das kint gepar, das gen Rom kumpt zu der kirchen“.²³ Der Nürnberger Bürgermeister Nikolaus Muffel hatte schon 1452 beobachtet, dass die Römerinnen jeden Samstag in die Laterankirche zum Ablass kamen.²⁴ Besondere Anziehungspunkte für Pilger stellten die Katakomben dar, obgleich zur Zeit Luthers nur noch wenige zugänglich waren (ihre systematische Erforschung setzte allerdings erst mit der Gegenreformation ein).²⁵ Bemerkenswert ist Luthers Schilderung des Besuchs der Kalixtus-Katakomben bei S. Sebastiano fuori le mura. Martin Luther fiel die Hast auf,
21 A. R e h b e rg, Luci ed ombre sui canonici delle grandi basiliche di Roma nel Rinascimento. Appunti sulla loro formazione culturale-religiosa e sulla loro reputazione fra i contemporanei, in: A. D e Vi n ce n t i i s / A. M o d igl i a n i (Hg.), Roma e il papato nel Medioevo. Studi in onore di Massimo Miglio, 2 Bde., Roma 2012 (Storia e letteratura 275), Bd. 1, S. 419–439. 22 In der traditionellen Reihenfolge: S. Pietro, S. Paolo fuori le mura, S. Sebastiano, S. Giovanni in Laterano, S. Croce in Gerusalemme, S. Lorenzo fuori le mura und S. Maria Maggiore. Zu dieser Wallfahrt vgl. S. C a re l l, Die Wallfahrt zu den sieben Hauptkirchen Roms, in: Jahrbuch für Volkskunde N. F. 9 (1986), S. 112–150, und S. Ko c i M o n t a n a r i, Pellegrini a Roma. Esperienze, testimonianze e modi del pellegrinaggio alle sette Chiese dal tardo medioevo all’età contemporanea, in: C. C e r r e t i (Hg.), La geografia della città di Roma e lo spazio del Sacro, Roma 1998, S. 105–163. 23 M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 169, 217f., 231 (hier Zitat). 24 Erwähnt ebd., S. 217. 25 M. G h i l a rd i, ‚Subterranea civitas‘. Quattro studi sulle catacombe romane dal medioevo all’età moderna, Roma 2003 (Nuovi saggi 111). Für die Zeit der Gegenreformation vgl. d e r s ., Gli arsenali della Fede. Tre saggi su apologia e propaganda delle catacombe romane (da Gregorio XIII a Pio XI), Roma 2006.
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mit der die Priester hier die Messe zelebrierten – manchmal gleichzeitig zwei Priester, einander gegenüber stehend, an einem Altar! Binnen einer Stunde würden hier sieben Messen gefeiert.²⁶ So überspitzt Luther im Nachhinein die Missbräuche in Rom geschildert hat, so ergibt doch schon ein Blick in die Testamente der Römer, dass private Gedenkund Totenmessen an den Hauptkirchen Roms zu den am meisten verbreiteten Verfügungen unter den obligaten legata pia gehörten. Es muss eine große Schar von Priestern bereit gestanden haben, um all diesen Vorgaben zu entsprechen; und vielleicht kam es da auch schon einmal zu Engpässen, wenn auswärtige Priester – wie Luther – ebenfalls die Messe lesen wollten.²⁷ Die Testamente der Zeit bieten diesund jenseits der Alpen dasselbe Bild. Und auch im Reich gab es allerorten zahlreiche Vikarien, die dieser Nachfrage – wie Luther ebenfalls beklagte²⁸ – gerecht werden mussten. Allenthalben – in Rom und nördlich der Alpen, bei Römern wie bei den Zugezogenen – waren auch gerade die misse sancti Gregorii sehr beliebt. Darunter verstand man die Fürbitt-Messen an 30 Tagen nach dem Ableben.²⁹ Der Friedhof des Klosters S. Gregorio al Celio war als Bestattungsort bei Mitgliedern aller in Rom vertretenen ‚nationalen‘ Gruppen sehr gefragt, wohl auch aus dem Grund, weil ein Ablass den auf ihm Beerdigten Erlösung von den Qualen des Fegefeuers verhieß.³⁰ Außerdem brachte man die Kirche (wie im Übrigen auch S. Croce in Gerusalemme) mit dem durch verschiedene anschauliche Bildmedien bekannt gewordenen Wunder in Verbindung, wonach Papst Gregor I. (590–604) während der Wandlung des Altarsakraments der leidende Christus erschienen sein soll.³¹ Diese Szene und zwei
26 WA.TR 5, Nr. 6463. Vgl. auch ebd., Nr. 6036. 27 Bekannt ist die von Luther geschilderte Episode, wonach er von einem schnellen Priester mit dem Ausruf „Passa, passa“ zu größerer Eile beim Messelesen angetrieben worden sei: WA.TR 3, Nr. 3428; WA 38, S. 212. 28 „Ad missam papisticam pertinet altare portatile, alttarstein, characteres et infinitae ceremoniae. Wan einer nur ein pfaff war und kuntte missam pro defunctis lesen, das kunt ihn erneren, quia erat opulentissimus quaestus. Deinde qui habebat missam de beata Virgine, ille erat in statu de bene esse“: WA.TR 5, Nr. 6034. Vgl. auch WA.TR 5, Nr. 6035. Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der Votiv- und Privatmesse A nge n e n dt, Geschichte (wie Anm. 16), S. 494–499. 29 A. He i n z, Art. Gregorianische Messen, in: Lexikon für Theologie und Kirche 4 ( 31995), Sp. 1030. Für eine solche Messstiftung an S. Gregorio al Celio sorgte 1527 Margarethe Schlesinger in ihrem Testament: C. S c h u c h a rd, Vier Testamente für die römische Anima-Bruderschaft (1524/1527), in: B. F l ug / M. M a t h e u s / A. R e h b e rg (Hg.), Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2005 (Geschichtliche Landeskunde 59), S. 307–324, hier S. 323. 30 A. M. Pe d ro cc h i, San Gregorio al Celio. Storia di un’Abbazia, Roma 1995, S. 49 Anm. 27; M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 549f.; vgl. T. G ü t h n e r, Florentiner Kaufleute und Bankiers in Rom. Auftraggeberschaft und Repräsentation im 15. und 16. Jahrhundert, Diss. LMU München. Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften, München 2008 (http://edoc.ub.uni-muenchen.de/12415/; 14. 9. 2017), S. 181. 31 Vgl. M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 548; E. M e i e r, Die Gregorsmesse. Funktionen eines spätmittelalterlichen Bildtypus, Köln-Weimar-Wien 2006; B. H a m m, Die Nähe des Heiligen im aus-
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Episoden mit der Befreiung von Seelen aus dem Fegefeuer waren und sind in der Kirche auch auf einem bekannten Altarvorsatz des Bildhauers Luigi Capponi (ca. 1485) zu sehen.³² Luther geht auf diesen Altar explizit nicht ein, aber die Gregorslegende war ihm bekannt;³³ und die Errettung von Angehörigen aus den Qualen des Fegefeuers war auch dem jungen Luther im Jahr 1510 in Rom ein großes Anliegen gewesen.³⁴ Das Testament des Klerikers der Diözese Le Mans Gilles („Egidius“) Tierri, Sakristan von S. Luigi dei Francesi,³⁵ wurde 1511 rogiert. Seine Messstiftung am besagten Altar in S. Gregorio gilt nicht nur dem eigenen Seelenheil, sondern auch dem seiner Eltern, Großeltern und aller Verwandten, Freunde und Wohltäter, seien sie verstorben oder noch am Leben. Bemerkenswert ist, dass hier ausdrücklich das Fegefeuer genannt wird,³⁶ aus dem die Seelen zu befreien sind: „Item in eadem ecclesia [s. Gregorii] ordinat celebrari missas decem, videlicet tres pro eius anima et reliquas pro animabus patris et matris ac avorum et aviarum et quorumcumque parentum, amicorum et benefactorum suorum mortuorum et vivorum in altari sancti Gregorii, ubi vulgariter dicitur quod liberantur anime a penis purgatorii“.³⁷ Luthers Aussage, dass in den Kalixtus-Katakomben zwei Minoriten ihren Dienst verrichteten und die Spenden an den Papst abführten, verdient Beachtung,³⁸ da sie auf zwei Sachverhalte hinweist: einmal, dass reichlich (Ablass?-)Spenden flossen, und zum anderen, dass offenbar die Zisterziensermönche von S. Sebastiano die
gehenden Mittelalter. Ars moriendi, Totenmemoria und Gregorsmesse, in: B. H a m m / K. H e r b e r s / H. S te i n - Ke c k s (Hg.), Sakralität zwischen Antike und Neuzeit, Stuttgart 2007 (Beiträge zur Hagiographie 6), S. 185–221 (Ndr. in: d e r s., Religiosität im späten Mittelalter [wie Anm. 16], S. 474–509). 32 Pe d ro cc h i, San Gregorio (wie Anm. 30), S. 40–44 (mit Abb. 18–21); G ü t h n e r, Florentiner (wie Anm. 30), S. 168–189. 33 „Privata missa multos sanctos decepit a tempore Gregorii, vber 800 jar“: WA.TR 5, Nr. 6035. 34 Vgl. nur WA 31,1, Nr. 226. 35 Zur Person siehe X. B a r b i e r d e M o n t au lt, Anciens inventaires inédits des établissements nationaux de Saint-Louis des François et de Saint-Sauveur in Thermis à Rome, in: Revue de l’art chretien 5 (1861), S. 418–445, hier S. 420. 36 Solche Erwähnungen sind auch sonst selten: M.-T. Lo r c i n, Les clauses religieuses dans les testaments du plat pays lyonnais aux XIV e et XV e siècles, in: Le Moyen Âge 78 (1972), S. 287–323, hier S. 318 („Le mot purgatoire ne figure jamais dans aucun testament“). Trotzdem ist die Idee des Fegefeuers allgegenwärtig und mitzudenken. Vgl. allgemein J. Le G o f f, Die Geburt des Fegefeuers. Vom Wandel des Weltbildes im Mittelalters, München 1990 (frz. Originalausgabe: La Naissance du Purgatoire, Paris 1981), und C. Au f f a r t h, Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 144). 37 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 55v–56r, hier fol. 56r (nicht datiert, wohl zwischen 1511 Januar 25 und 1511 April 12). 38 „Ad sanctum Calixtum, ubi in crypta plus quam 80.000 martyres sepulti sunt, tanta sanctitas, attamen tantum duo minoritae ibi sunt, qui omnia bona compilala papae offerunt“: WA.TR 5, Nr. 6463. Dass die Präsenz gerade von zwei Franziskanern auch zufällig erfolgt sein konnte, legt eine unten S. 303 mit Anm. 43 zitierte testamentarische Verfügung nahe.
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Betreuung der Pilger den Franziskanern überlassen hatten. Zum Einsatz der Bettelorden hätte man gerne mehr gewusst, denn sie sind gerade in jener Zeit auch anderenorts – vor allem im Heiligen Land – als effiziente Pilgerbegleiter hervorgetreten.³⁹ Vorerst nur hypothetisch sei die Vermutung geäußert, dass auch die laufenden inhaltlichen Ergänzungen in den „Indulgentiae“-Führern⁴⁰ nicht nur ausschließlich von den Verlegern, sondern auch von Kreisen der Bettelorden aus pastoralem Anliegen veranlasst wurden. Es scheint kein Zufall, dass noch 1516/17 der Franziskaner Mariano von Florenz ein stark von den mittelalterlichen „Mirabilia“ und den „Indulgentiae“ abhängiges „Itinerarium Urbis Romae“ verfasste (wobei er aber auch das humanistische Interesse an der Antike – allerdings weitgehend aus zweiter Hand – befriedigte).⁴¹ Ein Ordensbruder Luthers, der Augustinereremit John Capgrave (1393– 1464), hatte schon Mitte des 15. Jahrhunderts ein ebenfalls den Romführern verpflichtetes Werk verfasst.⁴² Wie wir noch sehen werden, fanden die in Rom ansässigen Fremden genügend Seelsorger ihrer Muttersprache in den römischen Bruderschaftseinrichtungen, Klöstern und Konventen.⁴³ Auch Luther hätte bei einem von ihnen seine Lebensbeichte ablegen können.⁴⁴ Der Umstand, dass Luther in S. Sebastiano offenbar keinen Zisterzienser zu Gesicht bekam, erklärte sich auch dadurch, dass zumindest der Abt schon seit geraumer Zeit nicht mehr vor Ort, sondern – wie auch sein Amtsbruder von St. Paul vor den Mauern – in einer Stadtwohnung residierte. Gravierend wirkte sich die päpstliche Provisionspraxis im Fall von S. Sebastiano aus. 1508 war Jean Bodier aus der Bretagne, ein Leibarzt Julius’ II., Abt geworden. Sein Nachfolger wurde 1513 sein Neffe Jean
39 Zur Rolle der Franziskaner als Hüter der heiligen Stätten vgl. S c h r ö d e r, Christentum (wie Anm. 1), S. 137–139. 40 Hierzu G. B u cc i l l i, L’aggiornamento riguardante reliquie ed indulgenze in alcune edizioni romane di Libri indulgentiarum in stampa del secolo XV, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 70 (1990), S. 328–347. 41 Fra M a r i a n o da Firenze OFM, Itinerarium Urbis Romae, hg. von E. B u l l e t t i, Roma 1931 (Studi di Antichità Cristiana 2); vgl. C. M e rc u r i, ‚L’Itinerarium Urbis Romae‘ di Mariano da Firenze. Un vademecum per il pellegrino degli inizi del Cinquecento, in: S. G e n s i n i (Hg.), Una ‚Gerusalemme‘ toscana sullo sfondo di due giubilei, 1500–1525. Atti del Convegno di Studi, San Vivaldo, Montaione, 4–6 ottobre 2000, Firenze 2004 (La Gerusalemme in Occidente 1), S. 83–92, bes. S. 85–92. 42 J. C apg r ave, Ye Solace of Pilgrimes. Una guida di Roma per i pellegrini del Quattrocento, prefazione di M. B i l l i, introduzione e traduzione integrale a cura di D. Giosuè, Roma 1995. 43 Die Präsenz von nordalpinen Mönchen und Religiosen in Rom ist das Thema in A. R e h b e rg, Religiosi stranieri a Roma nel Medioevo. Problemi e prospettive di ricerca, in: Rivista di storia della chiesa in Italia 66 (2012), S. 3–60. 44 Vgl. H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt (wie Anm. 3), S. 119f. Es wäre reizvoll zu wissen, vor welchem Priester und in welcher Sprache Luther die Generalbeichte ablegte. An den drei großen Basiliken in der Stadt konnten die Pilger zu diesem Zweck auch deutschsprachige Beichtväter unter den dort wirkenden, meist den Bettelorden angehörenden Minderpönitentiaren aufsuchen, die auch von Reservatfällen absolvierten. Vgl. den Beitrag von L. S c h m ugge im vorliegenden Tagungsband.
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Lunel († 1556) aus Le Mans, der sich für sein Kloster nur insofern hervortat, als er sich seine Ablässe päpstlicherseits bestätigen und sie in seiner bretonischen Heimat propagieren ließ. Später wurde er Titularbischof von Sebaste in partibus infidelium und erwarb eine zweifelhafte Berühmtheit dadurch, dass sein Name „maistre Jehan Lunel, docteur en théologie“, auf dem Titelblatt des „Pantagruel“ von Rabelais von 1532 zu finden ist.⁴⁵ Von solchen Äbten waren keine Impulse für die Hebung der Moral und theologischen Bildung in ihren Klöstern zu erwarten! Überhaupt fiel Luther (wie übrigens auch anderen Rom-Reisenden⁴⁶) auf, dass einige Benediktiner-Klöster in Rom auch wegen Baufälligkeit fast leer standen.⁴⁷ Luther nennt namentlich S. Pancrazio, S. Sebastiano und – nicht ganz berechtigt – S. Paolo.⁴⁸ Wie in vielen anderen Teilen Europas waren in Rom schon Mitte des 13. Jahrhunderts etliche traditionsreiche Klöster der Benediktiner in eine Krise geraten. Die altverwurzelte Organisation des römischen Pfarrklerus, die „Romana fraternitas“, hatte zunächst den Erfolg der Bettelorden gedrosselt, konnte ihn aber nicht aufhalten.⁴⁹ Doch nicht alle Klöster und Konvente hatten Nachwuchssorgen. An vielen römischen Ordenseinrichtungen – so auch in den beiden Niederlassungen der Augustinereremiten, also der Ordensbrüder Luthers, an S. Maria del Popolo und S. Agostino – lassen sich im Spätmittelalter und in der Renaissance etliche nichtitalienische Konventsmitglieder nachweisen.⁵⁰ Eine Motivation für diese auswärtigen Mönche (und für viele andere in Rom sesshaft gewordene Pilger) mag – in einer Art neuem religiösen Lebensentwurf – auch gerade die unmittelbare Nähe zu den Gnadenstätten der Ewigen Stadt gewesen sein.⁵¹
45 Vgl. L. D o re z, Rabelaisiana. Maistre Jehan Lunel, in: Revue des Bibliotheques 15 (1905), S. 1–42. 46 Vgl. den Bericht des Mantuaner Berichterstatters Vincenzo Grossino: „seben non fusen tenuti cossì ornati como le nostre giessie. Assai ve ne sono che vano in ruina e pocho beneficio se li fanno“: A. Lu z i o, Federico Gonzaga ostaggio alla corte di Giulio II, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 9 (1886), S. 509–582, hier S. 534. Auch die Pilgerführer vermerkten, dass in Rom viele Kirchen wüst lagen: M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 50, 73, 77f. 47 Luthers Kritik ist gegen das Kommenden-Unwesen gerichtet: WA.TR 5, Nr. 6463 („Si papatus adhuc per decennium stetisset, omnia monasteria Germaniae weren wust worden vnd gegen Rom gefallen, nam in Italia opulentissima monasteria tantum duas aut tres personas tenuissime alunt; cetera cardinalibus et papae offeruntur“ [Fortsetzung des Zitats siehe Anm. 38]). 48 „Sihe die Kirchen an S. Hagnetis, da zuvor 150 Nonnen inne gewest, S. Pancratij, S. Sebastiani, S. Pauli …, Das haben alles der Bapst und Cardinel verschlungen“: WA 54, S. 223. 49 G. B a ro n e, Laici e vita religiosa, in: B a ro n e / E s p o s i t o (Hg.), Roma religiosa (wie Anm. 4), S. 133 –147, hier S. 140. Zur Hochachtung der Bettelorden bei den Römern des 15. Jahrhunderts vgl. Lo m b a rd o / M o re l l i, Donne (wie Anm. 9), S. 96–98, 126–128. 50 Siehe den Beitrag von A. E s p o s i to im vorliegenden Tagungsband. 51 Vgl. zu diesem verschiedene Gruppen (Kleriker, Frauen und Witwen, Handwerker, vagabundierende pauperes etc.) erfassenden Phänomen des dauerhaften Verbleibs am Wallfahrtsort Rom P. B e r b é e, Von deutscher Nationalgeschichte zu römischer Lokalgeschichte. Der Topos vom ‚nationalen Pilgerheim‘ am Beispiel des deutschen Frauenhospizes St. Andreas in Rom (1372–1431), in: Rö-
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Auf der anderen Seite wurden viele – zumal die vornehmen – Römer oft weniger aus innerer Berufung denn aus Versorgungs- oder Karriere-Gründen Ordensgeistliche oder Kleriker (mit Empfang zumindest der Tonsur).⁵² Dabei galt auch in Rom der Eintritt in ein Kloster als gottgefällig. Bemerkenswert ist, dass Luther zu berichten weiß, dass das Frauenkloster von S. Agnese vor den Mauern einst 150 Nonnen beherbergt habe, war doch das Kloster schon 1489 den Regularkanonikern von S. Salvatore in Bologna übertragen worden.⁵³ Nun dienten aber auch gerade die Nonnenklöster als Versorgungsanstalten der Oberschicht. Aus den 1515 einsetzenden Stadtratsbeschlüssen Roms weiß man, wie wichtig es den Ratsherren war, auch zweckentfremdete Frauen-Konvente – zum Nutzen ihrer Schicht – wieder ihrer vormaligen Bestimmung zuzuführen.⁵⁴ Was nun die innere Vorliebe für bestimmte Kirchen betrifft, ergibt sich für die Ewige Stadt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen den Interessen der Pilger und den Gewohnheiten der Römer. Nach den Beobachtungen Giulia Barones habe sich die Verehrung der Apostelfürsten bei den Einheimischen in Grenzen gehalten.⁵⁵ Näher standen die Römer allenfalls der Laterankirche, der eigentlichen Bischofskirche von Rom, und S. Maria Maggiore, bei denen auch die bedeutendsten Laienbruderschaften der Römer – die des SS. Salvatore und des Gonfalone – angesiedelt waren. Es fehlte also paradoxerweise in Rom – sieht man einmal von der Bedeutung der Franziskanerkirche S. Maria in Aracoeli auf dem Kapitol für die Stadtregierung und die Ratsfamilien ab⁵⁶ – an einem spirituellen Kristallisationszentrum, auf das sich auch der Bürgersinn hätte konzentrieren können.⁵⁷ Dieses Manko erklärt wohl auch, dass
mische Quartalschrift 86 (1991), S. 23–52, hier S. 46f., 51f. Angesichts einer fehlenden Prosopographie zu den römischen Klöstern und Konventen ist ein letztes Urteil über die Kausalbeziehungen allerdings noch nicht möglich. Vgl. dazu R e h b e rg, Religiosi stranieri (wie Anm. 43). 52 Vgl. zum Empfang der Weihen in Rom A. R e h b e rg, L’affluenza di ordinandi a Roma alla vigilia della Riforma Luterana. Alcune premesse per ricerche future, in: F. A l a z a r d / F. L a B r a s c a (Hg.), La Papauté à la Renaissance, Paris 2007 (Le Savoir de Mantice 12), S. 167–249, hier S. 226–235. 53 Siehe oben Anm. 48, vgl. B ö h m e r, Luthers Romfahrt (wie Anm. 3), S. 123. Zu den Eckdaten des Benediktinerinnenklosters vgl. P. F. Ke h r, Italia Pontificia, vol. 1: Roma, Berlin 1906, S. 158. 54 Il ‚Liber decretorum‘ dello scribasenato Pietro Rutili. Regesti della più antica raccolta di verbali dei consigli comunali di Roma (1515–1526), hg. von A. R e h b e rg, Roma 2010 (Fondazione Marco Besso. Collana di storia ed arte 5), Nr. 80, 82b, 105. 55 So die Einschätzung in B a ro n e , Laici (wie Anm. 49), S. 141. 56 M. B r a n c i a d i Ap r i ce n a, Il complesso dell’Aracoeli sul colle Capitolino (IX–XIX secolo), Roma 2000. 57 Man vergleiche nur die Bedeutung des Kults des hl. Petronius in Bologna, dem zu Ehren eine enorme Kirche (nicht mit der Metropolitankirche S. Pietro zu verwechseln) errichtet wurde: vgl. grundlegend M. Fa n t i, La Fabbrica di San Petronio in Bologna dal XIV al XX secolo. Storia di una istituzione, Roma 1980 (Italia Sacra 32); vgl. A. T h o m p s o n, Cities of God. The Religion of the Italian Communes, 1125–1325, Pennsylvania 2005, S. 114–119. Zu den Stadtpatronen im Allgemeinen vgl. S. E h r i c h / J. Ob e r s te (Hg.), Städtische Kulte im Mittelalter, Regensburg 2010 (Reihe Forum Mittelalter-Studien 6).
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ausgerechnet die gebürtigen Römer – was in der Literatur noch nicht thematisiert wurde – sich trotz aller lockenden Ablassangebote offenbar kaum um die Finanzierung des Neubaus von St. Peter kümmerten. Wegen der knappen Kassen der Kommune und dieser inneren Distanz der Römer zu der vornehmsten Basilika des Papstes lag die Baulast für Neu-St. Peter vorwiegend bei der eigens gegründeten Bauhütte (Fabbrica) von St. Peter.⁵⁸ Vor diesem Hintergrund erklärt sich die an die gesamte Christenheit gerichtete Verkündigung des Peterskirchenablasses, der auf so großen Widerstand ‚nicht‘ in der Ewigen Stadt, sondern jenseits der Alpen stieß.⁵⁹ Die emotionale Mitte des religiösen Lebens eines Römers war und blieb (und ist vielleicht noch heute) seine Pfarrkirche – die parrocchia –, in der er auch gewöhnlich seine Grablege (und zwar möglichst in der Familiengruft oder eigenen Kapelle) wählte. Hier lässt man in der Regel von der Bruderschaft, der man angehörte, die Anniversarien ausrichten. Selbst die Kanoniker an den großen Basiliken ließen sich nicht immer an diesen Kirchen bestatten, sondern bevorzugten ihr familiäres Umfeld.⁶⁰ Nur der exklusive Kreis der Baronalfamilien wählte immer noch gerne die großen, ihnen reservierten Basiliken innerhalb der Stadtmauern für ihre Bestattungen.⁶¹
58 Zu den auch in den folgenden Jahrzehnten noch weitgehend aus Ablassgeldern gespeisten Einnahmen der Fabbrica vgl. jetzt F. B e l l i n i, La Basilica di San Pietro da Michelangelo a Della Porta, 2 Bde., Roma 2011 (Biblioteca blu. Saggi 5), hier Bd. 1, S. 23–31, und R. S a b e n e, La Fabbrica di San Pietro in Vaticano. Dinamiche internazionali e dimensione locale, Roma 2012, S. 33–69. Vgl. allgemein und bes. aus kunsthistorischer Perspektive F. Graf Wo l f f M e t t e r n i c h, Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, Wien-München 1972, und H. B r e d e k a m p, St. Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung, Berlin 2000. 59 Hinlänglich bekannt sind Vorgeschichte und Umstände von Luthers Ablehnung des PeterskirchenAblasses: siehe unten Anm. 153. Vgl. zu den Quellen A. S c h u l t e, Die Fugger in Rom 1495–1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, 2 Bde., Leipzig 1904. 60 Vgl. hierzu B a ro n e, Laici (wie Anm. 49), S. 137; A. R e h b e rg, Religiosità collettiva e privata fra i canonici delle grandi basiliche di Roma nel tardo Medioevo, in: B a r o n e / E s p o s i t o (Hg.), Roma religiosa (wie Anm. 4), S. 41–80; A. E s p o s i to, Famiglie aristocratiche e spazi sacri a Roma tra medioevo e prima età moderna, in: G. B a ro n e / A. E s p o s i to / C. Fr o v a (Hg.), Ricerca come incontro. Archeologi, paleografi e storici per Paolo Delogu, Roma 2013 (Studi del Dipartimento di storia, culture, religioni 10), S. 471–481. 61 Vgl. zu den in Rom – im Original oder wenigstens in Nachzeichnungen – erhaltenen mittelalterlichen Grabplatten (die mit ihren Inschriften auch einmal näher unter religionsgeschichtlichen Fragestellungen untersucht werden müssten) die unentbehrlichen Bände von J. G a r m s u. a. (Hg.), Die mittelalterlichen Grabmäler in Rom und Latium vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, 2 Bde., Rom-Wien 1981– 1994 (Publikationen des österreichischen Kulturinstituts in Rom. 2. Abt., 5. Reihe 1,2), und V. Fo r c e l l a, Iscrizioni delle chiese e d’altri edifici di Roma dal secolo XI ai giorni nostri, 14 Bde., Roma 1869–1884.
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3 Ablässe und Reliquien Roms Kirchen waren und sind reich an Reliquien, an deren Verehrung ebenfalls Ablässe geknüpft waren.⁶² Man muss sich vergegenwärtigen, dass es auf dem Feld der Reliquien⁶³ und Ablässe wie kaum auf einem anderen gravierende Differenzen zwischen den Vorgaben der Theologie und der Frömmigkeitspraxis gegeben hat.⁶⁴ Über die in der Regel kaum offiziell bestätigte Höhe der an den heiligen Stätten zu gewinnenden Ablässe unterrichteten die schon eingangs erwähnten populären und dank des Buchdrucks für Jedermann erschwinglichen Pilgerführer. Aber zu Rechenspielen taugten die sich nicht selten widersprechenden Angaben in den „Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae“ nicht. Sie wären auf jeden Fall sehr theoretisch, da die Ablässe an bestimmte (Fest-)Tage geknüpft waren, die der Pilger mit einem begrenzten Zeitbudget fast unmöglich in übermäßiger Zahl hätte nutzen können. Dies gilt auch für andere Wallfahrtsorte. Man muss deshalb Zahlen wie die „über 1,9 Millionen Tage Ablass“, die beispielsweise mit der Heiltumsweisung in Wittenberg verbunden werden,⁶⁵ für unsachgemäß erachten, was nicht heißen soll, dass es durchaus auf die Zeitgenossen Eindruck gemacht haben wird, wenn sich ein Wallfahrtszentrum – wie eben auch Rom – als Hort besonderer Gnadengaben präsentieren konnte. Wie gesehen, wird in römischen Testamenten um 1500 kaum direkt Bezug auf Ablässe genommen. Dass sie den Zeitgenossen aber durchaus präsent waren, ist allerdings ebenfalls klar. Um an Ablässen teilhaben zu können, trat man Bruderschaften bei und / oder verfügte man testamentarisch eine Stellvertreterwallfahrt,⁶⁶ die man
62 Eine Vielzahl von Aspekten zum Thema Reliquien in Rom (und darüber hinaus) sind behandelt in M i e d e m a, Rompilgerführer (wie Anm. 7), bes. S. 346–377 (mit weiterführender Literatur). Zur Geschichte und Wesen des Ablasses sei nur verwiesen auf N. P au l u s, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde., Paderborn 1922–1923, 2. Aufl. mit Einleitung und Bibliographie von T. Le n t e s, Darmstadt 2000, und den Sammelband von N. S w a n s o n (Hg.), Promissory notes on the treasury of merits. Indulgences in late medieval Europe, Leiden-Boston 2006 (Brill’s companions to the christian tradition). 63 Vgl. aus einer breiten Literatur G. J. C. S n o e k, Medieval Piety from Relics to the Eucharist. A Process of Mutual Interaction, Leiden 1995; A. A nge n e n dt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997; A. Ta c ke (Hg.), ‚Ich armer sundiger mensch‘. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt 2). Vgl. in epochenund kulturübergreifender Perspektive A. Wa l s h a m (Hg.), Relics and Remains, Oxford 2010 (Past & Present. Supplement 5), und jetzt M. R ä s ä n e n / G. H a r t m a n n / E. J. R i c h a r d s (Hg.), Relics, Identity, and Memory in Medieval Europe, Turnhout 2016 (Europa sacra 21). 64 Vgl. hierzu M i e d e m a, Rompilgerführer (wie Anm. 7), S. 377–397. 65 So offenbar die moderne Summe, errechnet von M. B re c h t, Martin Luther, Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart 1981, S. 121; vgl. B. Lu s c h e r, Reliquienverehrung als Symbolsystem. Volkskirchliche Praxis und reformatorischer Umbruch. Zum Wittenberger Reliquienschatz und zur Transformation des symbolischen Denkens bei Luther, Münster 2008 (Theologie 86), S. 5 Anm. 3. 66 Für diesen Usus vgl. B a ro n e, Laici (wie Anm. 49), S. 146f., und A. E s p o s i t o, Le donne dell’‚Anima‘. Ospizi e ‚case sante‘ per le ‚mulieres theutonice‘ di Roma (secc. XV–inizi XVI), in: M. M a t h e u s (Hg.),
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auch aus nordeuropäischen Testamenten kennt.⁶⁷ Den Gang zu den Hauptkirchen Roms übernahmen oft fromme Frauen – darunter auch viele in Rom ansässige Angehörige von Terziarinnen-Gemeinschaften, auf die gleich zurückzukommen ist. Von Ablass-Arithmetik ist aber in Rom keine Spur zu finden! An der allbekannten Schilderung Luthers zu seinem ihn angeblich – wenigstens in der späteren Erinnerung – ernüchternden Besuch an der Heiligen Treppe (seit 1242 im Lateranpalast belegt) kommt man nicht vorbei.⁶⁸ Wenige Jahre nach Luther wollte auch der beleibte Leo X. die Scala Santa auf den Knien erklimmen, was ihm – zu seiner Zerknirschung – nicht gelang. Was aber aus stadtrömischer Sicht mehr interessiert, ist die Bemerkung des päpstlichen Zeremonienmeisters De Grassis, dass die Treppenstufen gewöhnlich „von Frauen bestiegen werden“ („a mulieribus genuflexis ascenduntur“).⁶⁹ Diese Aussage lässt auf eine gewisse Zurückhaltung wenigstens der römischen Männer schließen. Im Bericht des Florentiner Kaufmanns Giovanni Rucellai zum Jubeljahr 1450 kann man zur Heiligen Treppe lesen: „et per più divotione quegli che vanno al giubileo, et massime gli oltromontani, la saghono ginocchioni“.⁷⁰ Der Florentiner hatte also erkannt, dass besonders die Pilger von nördlich der Alpen die Treppe auf Knien erklommen. Hier zeigt sich also wieder einmal ein nicht unwesentlicher Unterschied in der Frömmigkeitspraxis zwischen den Ultramontanen und den Einheimischen. Im Übrigen verzeichnete schon Nikolaus Muffel die Geschichte von zwei Römern, die sich vor der Heiligen Treppe auf den Ablassgewinn in der Sancta Sanctorum verabredeten. Der eine nahm die Sache nicht ernst („hiltz fur ein gespöt“) und wurde nächtens durch den Besuch einer erlösten Seele eines Besseren belehrt.⁷¹ Hier zeigt sich im Übrigen das untergründige schlechte Image der Römer bei den Pilgern aus dem Norden, das sich auch bei vielen anderen mittelalterlichen Autoren findet, die – neben anderen weiteren Eigenheiten – gerade die Gottlosigkeit der Rö-
S. Maria dell’Anima. Zur Geschichte einer ‚deutschen‘ Stiftung in Rom, Berlin-New York 2010 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 121), S. 249–277, hier S. 254. 67 Vgl. H. B e t t i n / D. Vo l k s d o r f, Pilgerfahrten in den Stralsunder Bürgertestamenten als Spiegel bürgerlicher Religiosität, in: K. He r b e r s / D. R. B au e r (Hg.), Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa. Austausch – Einflüsse – Wirkungen, Tübingen 2003 (Jakobus-Studien 12), S. 231–258, hier S. 250. 68 WA 51, S. 89 (Der Passus stammt aus einer am 15. November 1545 – kurz vor seinem Tod – gehaltenen Predigt). Vgl. M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 173–175, 220f. (Erlösung einer Seele aus dem Fegefeuer an der Hl. Treppe). 69 Zit. nach C. D’O n o f r i o, Scalinate di Roma, Roma 1973, S. 90. 70 Giovanni Ru cce l l a i, Della bellezza e anticaglia di Roma, in: R. Va l e n t i n i / G. Zu c c h e t t i, Codice topografico della città di Roma, Bd. 4, Roma 1953 (Fonti per la Storia d’Italia 91), S. 399–419, hier S. 407. 71 So zitiert Muffel den Römer: M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 175.
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mer verurteilten.⁷² Positiv gewendet wird hier den Römern ein gesundes Misstrauen bescheinigt, das dem späteren Reformator (!) Luther hätte gefallen können. Dass der Gewinn von Ablass selbst in der frivolen Gesellschaft, die am Hofe Julius’ II. verkehrte, ein Moment des Innehaltens bedeutete, belegen ausgerechnet die vielzitierten (ob ihrer reichen Informationen vor allem bei Kunst- und Theaterhistorikern sehr geschätzten) Mantuaner Berichterstatter. Sie schreiben nämlich an Isabella d’Este Gonzaga, wie ihr Schützling, der junge Federico Gonzaga, nicht nur dem weltlichen Treiben folgte, sondern auch fleißig auf Ablasstage, Stationstage und Predigten achtete. 1511 nutzte der Gonzaga die Fasten- und Osterzeit dazu.⁷³ Am Sebastianstag des folgenden Jahres (20. Januar 1512) zog er zum Ablass nach St. Paul vor den Mauern. Dort wurden die illustren Gäste von den Benediktinermönchen empfangen, wohnten der Messe bei und „piliorno il perdono al Crucifixo dove orava S a Brigida“. Ohne Ironie wird die „gran. m a devocione per il mirachulo che fece“ vermerkt. 1512 zog der Begleiter Gonzagas, anders als sein junger Herr, trotz Regens weiter nach S. Sebastiano, wo er notierte: Der Sebastianstag „è una de le divote feste di Roma per esser molte reliquie in dita giessa, che è una de le sete; con quanto che fu mal tempo chredo che tuta Roma li andasse, le strade erano piene di persone che andava et che venìa“.⁷⁴ Dass dem Berichterstatter bei derselben Gelegenheit auch die Kurtisanen in Männerkleidung auffielen und zu anzüglichen Bemerkungen animierten, dürfte auch dem Unterhaltungsbedürfnis in Mantua entsprochen haben.⁷⁵ Am Tag darauf, dem der hl. Agnes, zog er nach S. Agnese fuori le mura (wo er auch die Mosaiken in der benachbarten Kirche S. Costanza bewunderte). Wieder bemerkt er: „e tuti quelli lochi sono visitati con gran. m a devocion, a tuti vi è gran m a indulgencia“.⁷⁶
72 Zum Stereotyp des areligiösen bzw. wenigstens antiklerikalen Römers vgl. B a r o n e, Laici (wie Anm. 49), S. 133–136. Schon 1378 zeitigte es verhängnisvolle Folgen: vgl. A. R e h b e rg, Ein „Gegenpapst“ wird kreiert. Fakten und Fiktionen in den Zeugenaussagen zur umstrittenen Wahl Urbans VI. (1378), in: H. M ü l l e r / B. Ho t z (Hg.), Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Wien-Köln-Weimar 2012 (Papsttum im mittelalterlichen Europa 1), S. 231–259 (mit weiterer Literatur zum Rom-Bild des Spätmittelalters). 73 A. Po n te co r v i, ‚Che con piacer spassò assai bene il tempo‘. Ludus e diletto nelle corti romane attraverso i dispacci ai marchesi Gonzaga, in: P. P ro c a c c i o l i (Hg.) (con la collaborazione di M. C h i ab ò / A. M o d igl i a n i), Giulio II. La cultura non classicista. Sessione finale del Convegno ‚Metafore di un pontificato. Giulio II, 1503–1513‘, Viterbo, S. Maria in Gradi, 13 maggio 2009, Roma 2010 (Roma nel Rinascimento [=RR] inedita 45, saggi), S. 149–161, hier S. 154f. 74 Lu z i o, Federico Gonzaga (wie Anm. 46), S. 533; zum Kruzifix der Birgitta: M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 266. 75 Ebenso zeitbedingt scheint die Entrüstung, die in B ö h m e r, Luthers Romfahrt (wie Anm. 3), S. 99 –105, vorherrscht. Zu den Prostituierten in Rom vgl. M. Ku r z e l - Ru n t s c h e i n e r, Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 1995 (S. 178 erwähnt beiläufig die Episode des Sebastiantags von 1512). 76 Lu z i o, Federico Gonzaga (wie Anm. 46), S. 534.
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Nicht unerwähnt lässt Luther die vermeintlich auf den Evangelisten Lukas zurückgehenden Marienbilder⁷⁷ und auch das Schweißtuch Christi, Veraicon (genannt auch Veronika),⁷⁸ die allesamt ebenfalls von den Römern sehr verehrt wurden.⁷⁹ Aber auch im Rest der Christenheit erfreute sich die vermeintliche Heilige als Schutzpatronin gegen einen plötzlichen Tod einer dermaßen großen Beliebtheit, dass ihr Abzeichen bald an vielen Orten nachgemacht, verkauft und zu einem allgemeinen Andachtsobjekt wurde.⁸⁰ Dass Luther ausgerechnet den Judas-Strick, eine Reliquie in St. Peter,⁸¹ anführt, erinnert ebenfalls wieder an die Pilgerführer.⁸² Die in Rom ausgestellten Testamente der Römer und Fremden gehen nicht sehr oft auf Einzelheiten der Reliquienschätze der Ewigen Stadt ein. Gut vertraut mit den Reliquien Roms zeigt sich immerhin der Schneider („sartor“) Robert „Brouun“, aus dem rione Arenula, der 1511 seine Grablege im Campo Santo verfügte. Sein Leichnam sollte von sechs Franziskanern aus dem Konvent von SS. XII Apostoli („sex fratres apostolorum Philippi et Jacobi“), von sechs Servitenbrüdern („sex [fratres] sancti Marcelli“) und sechs Priestern von S. Marco begleitet werden. Bei einigen Kirchen zählte er die prominentesten Reliquien auf – so als ob er noch einmal ein Pilgerhandbuch Revue passieren ließe: Ausdrücklich erwähnt werden die Kapelle mit der Wiege des Christkindes („capella presepe Domini“) in S. Maria Maggiore, die Kapelle mit der Martersäule („capella columne“) in S. Prassede und der Altar in S. Potenziana, an dem der hl. Petrus seine erste Messe gefeiert habe,⁸³ übrigens einem Konkurrenzort zu der von Luther diesbezüglich erwähnten Laterankirche.⁸⁴
77 M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 856; H. B e l t i n g, Icons and Roman Society in the Twelfth Century, in: W. Tro n z o (Hg.), Italian Church Decoration of the Middle Ages and Early Renaissance. Functions, Forms and Regional Traditions, Bologna 1989 (Villa Spelman Colloquia 1), S. 27–41; G. Wo l f, Per uno studio delle immagini devozionali e del culto delle immagini a Roma tra Medio Evo e Rinascimento, in: B a ro n e / E s p o s i to, Roma religiosa (wie Anm. 4), S. 109–132. 78 WA.TR 5, Nr. 5844. Zu den neuesten Erkenntnissen zum Verbleib der Reliquie nach dem Sacco di Roma vgl. H. P f e i f f e r, Il Volto Santo di Manoppello, Pescara 2005. 79 B a ro n e, Laici (wie Anm. 49), S. 146. Was die Verehrung des Schweißtuchs Christi (M i e d e m a, Kirchen [wie Anm. 7], S. 326f.) betrifft, so drückt sich Wo l f, Studio (wie Anm. 77), S. 122f., distanzierter aus: „Al di là degli anni santi e dei percorsi di pellegrinaggio, la Veronica aveva un ruolo limitato nella vita religiosa della città stessa“. 80 I. vo n B re d o w- K l au s, Heilsrahmen. Spirituelle Wallfahrt und Augentrug in der flämischen Buchmalerei des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, München 32009 (Kunstgeschichte 81), S. 34. Zu den Pilgerzeichen auch M i e d e m a, Rompilgerführer (wie Anm. 7), S. 368–372 (mit weiterer Literatur). 81 WA.TR 4, Nr. 4391. 82 M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 332f. 83 Ebd., S. 263f., 749, 742. 84 Zum Testament insgesamt ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 101r–104r (1511 September 3). Zu Luthers aufgrund des Andrangs in der Laterankirche unerfüllt gebliebener Wunsch, dort eine Messe zu lesen, siehe WA 31,1, S. 226.
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Erst nach dem Bruch mit Rom bemühte Luther das Wortspiel von der „Goldenen Pforte, die dem Papst viel Gold einbringt“ („dicitur aurea porta, quia multum auri papae attulit“), um das Jubeljahr und die Heilige Pforte zu verunglimpfen.⁸⁵ Für die Einheimischen und die Pilger war das Heilige Jahr 1500 noch sehr gut verlaufen. Im Jubeljahr 1525 bemerkte man allerdings schon einen Einbruch des Zustroms.⁸⁶ Heiligen und Reliquien begegnete Luther in Rom auf Schritt und Tritt.⁸⁷ Jede in Rom vertretene landsmannschaftliche Gruppe verehrte ihre Heiligen aus der Heimat. Luther wird es vielleicht mit Genugtuung notiert haben (auch wenn ein direktes Zeugnis dafür fehlt), dass die von ihm so oft angerufene hl. Anna vor allem im deutschen Ambiente Roms große Verehrung erfuhr.⁸⁸ Die Reliquien wurden allerdings auch in Rom nicht jeden Tag zur Schau gestellt. Sogar in Luthers späteren Invektiven auf den mit ihnen begangenen Betrug scheint noch die Enttäuschung mitzuschwingen, einige der berühmtesten Reliquien Roms – wie die Veronika in St. Peter oder die Apostelhäupter in der Laterankirche – gar nicht zu Gesicht bekommen zu haben.⁸⁹ Was Luthers spätere Kritik am Reliquien-Missbrauch angeht, wird diese wohl kaum auf die Zustände in Rom zurückzuführen sein. Nicht minder berüchtigt waren die Volksmassen, die sich aus Anlass der genau geplanten und inszenierten Heiltums-
85 WA.TR 2, Nr. 2488a, 2488b (Zitat); WA.TR 3, Nr. 3597b; vgl. M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 327f., und C. L. Fro m m e l, La porta Santa di Alessandro VI e di Clemente VII e un opera sconosciuta di Baldassarre Peruzzi a San Pietro, in: M. C h i ab ò / S. M a d d a l o / M. M ig l i o / A. M. O l iv a (Hg.), Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI. Atti del convegno, Città del Vaticano-Roma, 1–4 dicembre 1999, 3 Bde., Roma 2001 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Saggi 68), hier Bd. 1, S. 571–592. 86 Vgl. G. P a lu m b o, I giubilei del Cinquecento tra Riforma e Contrariforma, in: M. Fa g i o l o / M. L. M a d o n n a (Hg.), La storia dei giubilei, Bd. 2: 1450–1575, Roma 1997, S. 198–235, hier S. 202– 205. Speziell zum Heiligen Jahr 1500 vgl. A. I l a r i, L’indulgenza centenaria di Alessandro VI, in: W. Po c i n o (Hg.), Roma dei Giubilei. Storie e curiosità tra sacro e profano, Roma 2000, S. 87–109, und N. M i e d e m a, Von römischen Ablässen, Einblattdrucken und Holzschnitten. Die Bulle ‚Inter curas multiplices‘ zum Jubeljahr 1500 (GW 906), in: V. Ho n e m a n n / N. M i e d e m a (Hg.), Geistliche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Festgabe für Rudolf Suntrup, Frankfurt a. M. u. a. 2013, S. 169–186. 87 Zum Heiligenkult im Allgemeinen vgl. hier nur H a m m / H e r b e r s / S t e i n - Ke c k s (Hg.), Sakralität (wie Anm. 31) (mit weiterer Literatur). 88 Man denke nur an die Statue der Anna Selbdritt, die in S. Agostino von Intellektuellen und Literaten um den Luxemburger Kurialen Johannes Goritz verehrt wurde. Siehe den Beitrag von M. M a t h e u s im vorliegenden Band. 89 „Romae vidi et audivi Romanos ignorare, ubi corpora sanctorum Petri et Pauli sepulta sint, aut cum ibi fuerint, nec tamen eo minus in die Pauli et Petri duo capita proferunt et simplici ac stulto populo spectanda proferunt, persuadent apostolorum capita esse, cum tamen optime norint fictitia ex ligno et coloribus incrustata esse. Consimilem ludum ludunt in Veronica“: WA.TR 5, Nr. 5844; vgl. WA.TR 3, Nr. 3147. Vgl. zu den beiden Reliquien M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 192f., 219.
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weisungen im Reich, wie in Trier, Nürnberg oder eben in Wittenberg, einfanden.⁹⁰ Missbrauch von Wundern und Ablässen fand überall statt.⁹¹ Wenn aber der Reformator bzw. diejenigen, die seine Erinnerungen festhielten, so genaue Angaben zu den in Rom vorhandenen Reliquien machen konnten, die Luther gar nicht gesehen hat, dann erwächst der Verdacht, dass man sich bei der Niederschrift sehr wahrscheinlich auch nachträglich noch eines (gedruckten) Pilgerführers bediente. Die Zahlenangaben zu den Kalixt-Katakomben bei S. Sebastiano – 176.000 Märtyrer und 45 Päpste⁹² – erscheinen einfach zu genau, um noch auf der bloßen Erinnerung zu beruhen.⁹³ Auch die Legende der Päpstin Johanna und die Mär von ihrem Bildnis samt Kind finden sich in den deutschen Pilgerführern.⁹⁴ Wenn Luther solche Erzählungen 1510/11 als belanglos abgetan haben wird, jetzt in späteren Jahren als Reformator waren sie ihm bzw. seinen Tischgenossen willkommene Argumentationshilfen gegen Rom. Zum Schluss dieses Kapitels sei darauf hingewiesen, dass man um 1500 nicht nach Rom kommen musste, um der Gnaden der römischen Kirchen teilhaftig zu werden. Bekannt ist das Phänomen der spirituellen Wallfahrt, das bereits die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden hat.⁹⁵ Auch in ausgewählten Konventen – wie St. Ursula in Villingen und St. Katharina in Augsburg – konnte man die Stationenablässe und die der sieben Hauptkirchen gewinnen.⁹⁶ Auch ad instar-Ablässe waren verbreitet, die bislang an Rom gebundene (Jubel-)Ablässe auf andere Orte ausweiteten.⁹⁷
90 Vgl. H. Kü h n e, ‚Ostensio reliquiarum‘. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum, Berlin u. a. 2000 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75); C. L. D i e d r i c h s, ‚Man zeigte uns den Kopf des Heiligen‘. Bausteine zu einer Ereigniskultur in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2008. 91 Vgl. hier nur die ausführliche Behandlung des Ablassmissbrauchs in R. N. S w a n s o n, Indulgences in Late Medieval England. Passports to Paradise?, Cambridge 2007, S. 77–223. 92 „Romae apud S. Calixtum sepulta sunt cadavera sanctorum martyrum 176.000 et 45 pontifices martyres“: WA.TR 5, Nr. 6447, vgl. auch WA.TR 2, Nr. 2709b. Die leichten Varianten bei den Zahlenangaben entsprechen übrigens auch einem Wesenszug der Pilgerführer: K r üge r-Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 3), S. 129. 93 Zu den leicht abweichenden Zahlenangaben in Pilgerführern vgl. M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 409f., 427. 94 Ebd., S. 713–715. Zur Päpstin Johanna siehe zuletzt K r üge r-Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 3), S. 40–42. 95 M i e d e m a, Rompilgerführer (wie Anm. 7), S. 398–462; vo n B r e d o w - K l au s, Heilsrahmen (wie Anm. 80). 96 C a re l l, Wallfahrt (wie Anm. 22), S. 147f.; M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 93f. (zur Augsburger Ablasstafel). Vgl. auch d i e s., Rom in Halle. Sieben Altäre der Stiftskirche Kardinal Albrechts von Brandenburg als Stellvertreter für die Hauptkirchen Roms?, in: Ta c ke, Reliquienkult (wie Anm. 63), S. 271–286. 97 Vgl. K. Fr a n k l, Papstschisma und Frömmigkeit. Die ‚Ad instar-Ablässe‘, in: Römische Quartalschrift 72 (1977), S. 57–124, 186–247, und P au lu s, Geschichte des Ablasses (wie Anm. 62), Bd. 3, S. 160 –165 (zu dem auch außerhalb Roms gepredigten Jubiläumsablass).
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4 Bruderschaften und Hospitäler Auf welchen Feldern des sozial-religiösen Einsatzes konzentrierte sich nun die Frömmigkeit der Römer? An erster Stelle sind gewiss die Luther in ihrem vielfältigen sozialen und religiösen Engagement aus der Heimat vertrauten Bruderschaften zu nennen.⁹⁸ Es gab deren in Rom eine große Zahl,⁹⁹ sodass nur eine kleine Auswahl vorgestellt werden kann. Zu nennen ist zunächst die „Bruderschaft der Empfohlenen des Bildnisses unseres Erlösers an der Sancta Sanctorum“ („Societas raccomandatorum imaginis Salvatoris nostri ad Sancta Sanctorum“). Gemeint ist die Salvator-Ikone in der besagten Kapelle,¹⁰⁰ die damals noch nicht isoliert neben der Laterankirche stand, sondern Teil des päpstlichen Lateranpalastes war. Die Salvator-Bruderschaft war ohne Zweifel die vornehmste Laienorganisation der Stadt. Die Römer bedachten das von der Bruderschaft getragene Hospital des SS. Salvatore (heute S. Giovanni) regelmäßig in ihren Testamenten und betrachteten es als das kommunale Gegenstück zu der päpstlichen Gründung des Heilig-Geist-Hospitals, auf das gleich zurückzukommen ist. Die Spendenfreudigkeit der Römer ist dokumentiert im sogenannten „Liber anniversariorum“ und in der Mitgliedsliste („Libro dei fratelli“). Die Erlöserbruderschaft kämpfte lange gegen den Druck der zunehmenden Klerikalisierung an (anfangs war das Verhältnis der Priester zu den Laien mit 28:72 festgelegt), öffnete sich schließlich aber
98 Aus einer unerschöpflichen Literatur seien für die Situation im Reich K. M i l i t z e r, Bruderschaften als Ausdruck der Volksfrömmigkeit, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 77 (2005), S. 131–149, und K. R a h n, Braunschweiger Bruderschaften in städtischen Handlungs- und Konfliktfeldern, in: M. E s c h e r-Ap s n e r (Hg.), Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Funktionen, Formen, Akteure / Medieval Confraternities in European Towns. Functions, Forms, Protagonists, Kirchheim 2009 (Inklusion Exklusion 12), S. 187–208, genannt. Für Italien muss an dieser Stelle der Verweis auf T. Fr a n k, Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kirchenstaat. Viterbo, Orvieto, Assisi, Tübingen 2002 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 100) genügen. 99 M. M a ro n i Lu m b ro s o / A. M a r t i n i, Le confraternite romane nelle loro chiese, Roma 1963; L. Fi o r a n i (Hg.), Storiografia e archivi delle confraternite romane, Roma 1985 (Ricerche per la storia religiosa di Roma 6); A. E s p o s i to, Le confraternite romane tra arte e devozione. Persistenze e mutamenti nel corso del XV secolo, in: A. E s c h / C. L. Fro m m e l (Hg.), Arte, committenza ed economia a Roma e nelle corti del Rinascimento (1420–1530). Atti del Convegno Internazionale, Roma, 24– 27 ottobre 1990, Torino 1995 (Piccola Biblioteca Einaudi 630), S. 107–120; d i e s ., Libri, copisti e confraternite a Roma nel tardo Medioevo, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 130 (2007), S. 139–153. 100 M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 180–182; K. N o r e e n, Revealing the Sacred. The Icon of Christ in the Sancta Sanctorum, Rome, in: Word and Image 22 (2006), S. 228–237; d i e s ., Sacred Memory and Confraternal Space The Insignia of the Confraternity of the Santissimo Salvatore (Rome), in: Ó C a r r agá i n / N e u m a n d e Ve gva r (Hg.), Roma Felix (wie Anm. 7), S. 159–187; P. To s i n i, Miniature dall’Ospedale del SS. Salvatore ad Sancta Sanctorum. Decorazione, rituali, iconografia, in: Rivista di Storia della Miniatura 12 (2008), S. 123–136.
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den kurialen Kreisen, sodass ihr um 1500 auch einige Kardinäle angehörten.¹⁰¹ Dass allerdings auch in Rom der soziale Druck das Engagement eines Bürgers bestimmte, lässt die Verfügung des Römers Marcantonio Bonatti von 1511 erahnen, wonach er der Salvator-Bruderschaft die Summe hinterlasse, die die anderen Vornehmen der Stadt gewöhnlich stifteten („Item reliquit societati Salvatoris de Urbe illud, quod solet relinqueri per alios Urbis nobiles“).¹⁰² Dabei sein war alles! Die prominente Figur des römischen Patriziers Marcantonio Altieri interessiert hier in seiner Funktion als langjähriger Guardian, also Leiter der Salvatorbruderschaft. Wie kaum ein anderer römischer Zeitgenosse Luthers war er in den kommunalen, kurialen wie karitativen Schaltstellen Roms vernetzt. Von ihm gibt es einige Schriften, die auch einmal unter frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekten untersucht werden müssten.¹⁰³ Auch wenn seine Aufzeichnungen vom humanistischen Zeitgeist geprägt sind, kann man schon jetzt seinen Einsatz für die materiellen Belange des Salvator-Hospitals sowie für die gemeinschaftsstiftenden Prozessionen und religiösen Festlichkeiten seiner Stadt hervorheben.¹⁰⁴ Besondere Aufmerksamkeit verdient die Assunta-Prozession am 15. August, der Höhepunkt des kommunalen Festkalenders!¹⁰⁵ In Altieris politischen Aktivitäten und Schriften zeigt sich aber auch das zwiespältige Bild eines Mannes, der – mit Blick auf die Unterwerfung der römischen Kommune unter die päpstliche Herrschaft – einerseits der vergangenen Größe nachtrauerte und gegen den erkrankten Julius II. intrigierte (1511), aber andererseits sich dem kurialen Apparat andiente und für sich und seine politische Klasse zu nutzen suchte. Von diesen Unruheherden in der römischen Gesellschaft kennt man durchaus kurienkritische Stimmen,¹⁰⁶ die Luthers späterem beißenden Hohn kaum nachstan-
101 A. R e h b e rg, Die Römer und ihre Hospitäler. Beobachtungen zu den Trägergruppen der Spitalsgründungen in Rom (13.–15. Jahrhundert), in: G. D r o s s b a c h (Hg.), Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankreich, Deutschland und Italien. Eine vergleichende Geschichte / Hôpitaux au Moyen Âge et aux Temps modernes. France, Allemagne et Italie. Une histoire comparée, München 2007 (Pariser Historische Studien 75), S. 225–260, hier S. 233–242 (mit weiterer Literatur). 102 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 86r–87r (1511 Oktober 23). 103 Vgl. zu Marcantonio Altieri den Beitrag von A. M o d ig l i a n i im vorliegendenen Tagungsband (mit weiterer Literatur). 104 Vgl. Li nuptiali di Marco Antonio Altieri, hg. von E. N a r d u c c i . Introduzione di M. M ig l i o, appendice documentaria e indice ragionato dei nomi di A. M o d ig l i a n i, Roma 1995 (RR inedita 9, anastatica), S. 61*–73* (Testament von 1511), S. XXXI–XL, und E. D i M a gg i o, Le donne dell’ospedale del San Salvatore di Roma. Sistema assistenziale e beneficenza femminile nei secoli XV e XVI, Ospedaletto 2008 (Collana del Dipartimento di Storia dell’Università di Siena 4), S. 118–141 (Transkription der von Altieri verfassten Kurzbiographien von herausragenden Wohltäterinnen der Salvator-Bruderschaft). 105 P. He l a s / G. Wo l f, Die Nacht der Bilder. Eine Beschreibung der Prozession zu Maria Himmelfahrt in Rom aus dem Jahr 1462, Freiburg 2011 (Quellen zur Kunst 33). 106 Vgl. zu diesem Verhalten das Beispiel der politischen Ränkespiele der großen römischen Baronalfamilie der Colonna: A. S e r i o, Una gloriosa sconfitta. I Colonna tra papato e impero nella prima
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den, die aber schon aus Eigeninteresse nie den totalen Bruch mit der Papstkirche vollzogen hätten. Wenden wir uns einer weiteren, nicht ganz so prominenten Bruderschaft zu. Die „societas Sancte Marie de Porticu“ bzw. Compagnia di S. Maria in Portico wurde im 15. Jahrhundert zur Unterstützung des Hospitals an der gleichnamigen Kirche (im 17. Jahrhundert durch den Neubau S. Maria in Campitelli ersetzt) und zur Verehrung eines dort aufbewahrten wundertätigen Muttergottesbildes gegründet. 1505 schloss sich die Bruderschaft mit der Confraternita di S. Maria delle Grazie und derjenigen della Consolazione zum Sodalizio di S. Maria „de vita aeterna“ zusammen, der sich vor allem um das Hospital della Consolazione am Fuß des Kapitols (zum Forum hin) kümmerte und deshalb auch bald dessen Name (della Consolazione) übernahm. Im Mitglieds- wie auch im Anniversarienverzeichnis des Hospitals von S. Maria in Portico dominierten andere soziale Gruppen als in der Salvator-Bruderschaft, und zwar Exponenten des gehobenen römischen Bürgertums (während der Baronaladel völlig fehlte), kleinere Händler und Handwerker sowie – oft von außerhalb Roms stammende – Pfarrer und Kapläne an sekundären Kirchen. Hohe Geistliche und Kuriale waren Ausnahmen.¹⁰⁷ Die Gonfalone-Bruderschaft gehörte dagegen wieder zu den vornehmen Bruderschaften und ging auf die Verehrung des Marienbildes „Salus populi romani“ in S. Maria Maggiore im 14. Jahrhundert zurück.¹⁰⁸ Um 1500 war sie bekannt auch für die Osterspiele, die sie im Kolosseum aufführen ließ. Einer ihrer Autoren war der Minderpönitentiar von S. Giovanni in Laterano und Pfarrer von SS. Silvestro e Dorotea in Trastevere Giuliano Dati aus Florenz († 1524). Der rührige Autor von Erbauungsliteratur kann durchaus als ein ob seiner Seriosität ausgewiesener Repräsentant des um Erneuerung bemühten römischen Pfarrklerus gelten,¹⁰⁹ dem man vielleicht noch den
Età moderna (1431–1530), Roma 2008 (I libri di Viella 74) (S. 176–179 zu den antikurialen Diskursen von 1511 seitens des Altieri und des späteren Kardinals Pompeo Colonna). 107 A. E s p o s i to, Le confraternite e gli ospedali di S. Maria in Portico, S. Maria delle Grazie e S. Maria della Consolazione a Roma (secc. XV–XVI), in: Ricerche di Storia sociale e religiosa n. s. 17–18 (1979), S. 145–172; d i e s., S. Maria in Portico, della Consolazione e delle Grazie, arciconfraternita, in: F i o r a n i, Storiografia (wie Anm. 99), S. 349–351. Vgl. auch M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 657–662. 108 Ebd., S. 266f.; A. E s p o s i to, Le confraternite del Gonfalone (secoli XIV–XV), in: L. F i o r a n i (Hg.), Le confraternite romane. Esperienza religiosa, società, committenza artistica. Colloquio della Fondazione Caetani, Roma 14–15 maggio 1982, Roma 1984 (Ricerche per la storia religiosa di Roma 5), S. 105–136; M. G. B e r n a rd i n i, L’Oratorio del Gonfalone a Roma. il ciclo cinquecentesco della Passione di Cristo, Cinisello Balsamo 2002; B. Wi s c h / N. N e w b ig i n, Acting on Faith. The Confraternity of the Gonfalone in Renaissance Rome, Philadelphia 2013 (Early Modern Catholicism and the Visual Arts Series 7). 109 Vgl. M. Va t t a s s o, Per la storia del dramma sacro in Italia, Roma 1903 (bes. Kap. 2: „Le rappresentazioni sacre al Colosseo nei secoli XV e XVI secondo nuovi documenti tratti dall’archivio dell’Arciconfraternita di S. Lucia del Gonfalone“); N. N e w b ig i n, The Decorum of the Passion. The Gonfalone Plays in the Colosseum, 1490 to 1539, in: D. C. A h l / B. Wi s c h (Hg.), Confraternities and the Visual Arts
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Humanisten Pietro Marso († 1511), Pfarrer von S. Salvatore „de Primicerio“ im rione Ponte, zur Seite stellen kann.¹¹⁰ Ein möglicherweise zur Finanzierung des Passionsspiels dienender Ablass wurde von einem Trompeter und mit öffentlichen Aushängen publik gemacht.¹¹¹ Und die Frauen? In den Pilgerführern begegnen Römerinnen aufgrund ihrer besonderen Verehrung für einzelne Bildnisse und Reliquien sowie als Protagonistinnen in Wundererzählungen.¹¹² Frauen sind außerdem im „Liber anniversariorum“ und unter den Wohltätern der Salvator-Bruderschaft stark präsent. Nicht in jeder römischen Bruderschaft waren sie indes zugelassen.¹¹³ Die Ausstattung unverheirateter Mädchen mit Mitgiften war Aufgabe der Dotenstiftungen.¹¹⁴ Geschätzt wurde auf diesem Gebiet die „Confraternita della SS.ma Annunziata“ mit Sitz in S. Maria sopra Minerva.¹¹⁵ Luther erwähnt später die Prozessionen, die mit dem Zweck veranstaltet
in the Italian Renaissance. Ritual, Spectacle, Image, New York 2000, S. 173–202; d i e s ., La Compagnia romana del Gonfalone e le sue rappresentazioni per gli Anni Santi del 1500 e del 1525, in: F. C. R i c c i (Hg.), Il Cristianesimo. Fonte perenne d’ispirazione per le arti, Viterbo 2004, S. 161–182; G i u l i a n o D a t i, Stazione, indulgenzie e reliquie. Quadragesimale de l’alma città di Roma, hg. von N. N e w b ig i n, in: Letteratura italiana antica 5 (2004), S. 227–257; d i e s ., Del grasso di Lorenzo un’ampolletta. Relics and Representations in the Quest for Forgiveness in Renaissance Rome, in: Journal of Religious History 28 (2004), S. 50–63. Vgl. auch C. C a s s i a n i, Delli celesti segni e delle moderne tribulation. Tensione profetica e ‚renovatio‘ religiosa nelle ottave di Giuliano Dati, in: S. C o l o n n a (Hg.), Roma nella svolta tra Quattro e Cinquecento, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Roma, 2004, S. 117–141. Einige Links zu Datis Spieltexten bietet http://www-personal.usyd.edu.au/~nnew4107/Texts/The_Gonfalone _in_Renaissance_Rome.html; 14. 9. 2017). Dati war auch Mitglied der neu gegründeten Compagnia del Divino Amore: P. P a s c h i n i, Tre ricerche sulla storia della Chiesa nel Cinquecento, Roma 1945, S. 31f. (S. 32–51 zu den Anfängen der Compagnia del Divino Amore). Vgl. allgemein M. Fo i s, La risposta confraternale alle emergenze sanitarie e sociali della prima metà del Cinquecento romano. Le confraternite del Divino Amore e di S. Girolamo della Carità, in: Archivum Historiae Pontificiae 41 (2003), S. 83–107. 110 Zu Vita und Werk vgl. D yk m a n s, L’humanisme (wie Anm. 12). Zur Situation der römischen Pfarrund Kapitelsgeistlichkeit im Allgemeinen R e h b e rg, L’affluenza (wie Anm. 52), S. 226–235. 111 Vgl. die Abrechnungen in N e w b ig i n, Grasso di Lorenzo (wie Anm. 109), S. 61 Anm. 52. 112 Vgl. die Verweise auf entsprechende Episoden in M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 891f. 113 K. S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti de Urbe. Die ältesten Mitgliederverzeichnisse (1500/01 –1536) und Statuten der Bruderschaft, Rom-Freiburg-Wien 2002 (Römische Quartalschrift. Supplementbd. 54), S. 77–86 (bes. S. 38, 80). Zur Rolle der Frauen in der Salvator-Bruderschaft vgl. D i M a gg i o, Le donne (wie Anm. 104). Vgl. allgemein Lo m b a r d o / M o r e l l i, Donne (wie Anm. 9), passim, und A. E s p o s i to, Il mondo della religiosità femminile romana, in: B a r o n e / E s p o s i t o (Hg.), Roma religiosa (wie Anm. 4), S. 149–172. 114 F. M a s s u cc i, Repertorio di tutti i sussidi dotali che si dispensano da diversi luoghi pii dell’alma città di Roma, Roma 1789; S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti (wie Anm. 113), S. 82f. 115 A. E s p o s i to, Le Confraternite del matrimonio. Carità, devozione e bisogni sociali a Roma nel tardo Quattrocento (Con l’edizione degli ‚Statuti vecchi‘ della Compagnia della SS. Annunziata), in: L. Fo r t i n i (Hg.), Un’idea di Roma. Società, arte e cultura tra Umanesimo e Rinascimento, Roma 1993, S. 7–51 (gekürzte englische Version in: Renaissance and Reformation, N. S. 18 [1994] S. 5–18); M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 630f.
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wurden, für diese Mädchen Heiratskandidaten zu finden (grob spricht er dabei von „Hurenkindern“).¹¹⁶ Die eigentliche Domäne der frommen Römerinnen – aber auch zahlreicher zugewanderter Frauen, die sich oft landsmannschaftlich organisierten, – waren die sogenannten case sante, also kleinere Hospize, die der Aufnahme alleinstehender Frauen dienten. Diese bizzocche (Beginen) waren in Italien weit verbreitet. In Wohngemeinschaften organisiert, widmeten sie sich dem Gebet und dem Dienst an Bedürftigen. Als Terziarinnen suchten sie oft die Protektion der großen Bettelorden (so auch die der Augustiner-Eremiten).¹¹⁷ An dieser Stelle ist es an der Zeit, an eine heiligmäßige Römerin zu erinnern, die vornehme Checca Bussa de’ Leoni, kurz Francesca Romana († 1440). Obwohl sie erst 1608 kanonisiert wurde, verehrte sie das Volk doch schon lange als Heilige. Mit der von ihr gegründeten Oblatinnen-Gemeinschaft („Compagnia delle Oblate del Monastero Olivetano di S. Maria Nuova“) widmete sich die Mystikerin karitativen Aufgaben. Francesca Romana hat im Übrigen auch (leider nicht spezifizierte) heilige Schriften in vulgari, also in der Volkssprache, gelesen.¹¹⁸ Ein Abgleich verdiente auch Ludovica Albertoni (1474–1533), eine Franziskaner-Terziarin und Mystikerin, der Luther auf der Straße hätte begegnen können. Sie wurde schon zu Lebzeiten ob ihres karitativen Engagements für die Bedürftigen hochverehrt und schließlich 1671 seliggesprochen.¹¹⁹ Einer besonderen Form asketischen Lebens folgten im Übrigen die Einsiedlerinnen, die sich an den drei großen Basiliken einmauern ließen. Man weiß, dass sich unter den sogenannten murate etliche Nicht-Italienerinnen – besonders Spanierinnen – befanden.¹²⁰ Luther erinnerte sich ihrer aber nicht.
116 „Zu Rom sind der Hurenkinder also viel geborn worden, daß man um derselbigen Fundelkinder willen eigene Klöster gebauet hat, da man sie innen auferzeucht, und der Papst wird ihr Vater genennet. Und wenn die großen Processiones zu Rom sind, so gehen dieselbigen Fundelkinder alle für dem Papst her“: WA.TR 6, Nr. 6941. Vgl. I. Wa lte r, Die Sage der Gründung von Santo Spirito in Rom und das Problem des Kindesmordes, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen Âge 97 (1985), S. 819– 879, hier S. 873f. 117 A. E s p o s i to, I gruppi bizzocali a Roma nel ’400e le ‚sorores de poenitentia‘ agostiniane, in: M. C h i ab ò / M. G a rga n o / R. R o n z a n i (Hg.), Santa Monica nell’Urbe dalla Tarda Antichità al Rinascimento. Storia, agiografia, arte. Atti del convegno, Ostia Antica-Roma, 29–30 settembre 2010, Roma 2011 (RR inedita 49, saggi), S. 157–188 (mit weiterer Literatur). 118 Zu Francesca Romana vgl. insgesamt M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 639; B a r o n e, Laici (wie Anm. 49), S. 143f. (mit weiterer Literatur). 119 Bekannter ist die von Gianlorenzo Bernini 1674 geschaffene Plastik „Die Verzückung der sel. Ludovica Albertoni“ in der Kirche S. Francesco a Ripa. Vgl. zu ihrem Lebensweg U. B u o n c o m p a g n i Lu d o v i s i, Roma nel Rinascimento, Bd. 4, Albano Laziale 1929, S. 425–493, und A. M e r o l a, Ludovica Albertoni, in: Dizionario Biografico degli Italiani 1 (1960), S. 761f. 120 E s p o s i to, Il mondo (wie Anm. 112), S. 167–172; M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 196, 356.
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Kommen wir wieder zu den Hospitälern zurück, derer es in Rom um 1500 rund 60 ganz unterschiedlichen Zuschnitts gab.¹²¹ Das größte Krankenhaus vor Ort war das von S. Spirito in Sassia, das um 1200 von Innozenz III. gegründet und Guido von Montpellier anvertraut worden war, aus dessen Gemeinschaft der Heilig-GeistHospitalorden erwuchs.¹²² Das Hospital verdankte seinen Reichtum (den es auch in Grundbesitz investierte) nicht nur der päpstlichen Förderung, sondern den Spenden, die seine questores mit Hilfe der dem Orden von den Päpsten gewährten reichen Ablässe in der gesamten Christenheit einsammelten. Erstaunlicherweise sind die Römer unter den Hunderten von Namen im noch heute im Hospital aufbewahrten Bruderschaftsbuch eine verschwindende Minderheit. Es überwiegen eindeutig die Namen von jenseits der Alpen, sei es, dass diese auf den Sammelfahrten notiert wurden, sei es, dass sich Rompilger oder Abwesende eigenhändig bzw. per procura durch einen Notar in das Buch eintragen ließen. Leider fehlen Eintragungen zu den Jahren von 1506 bis 1513, wohl weil bei der Ausschreibung des Peterskirchenablasses konkurrierende Ablassverleihungen außer Kraft gesetzt worden sind. Immerhin lassen sich – nach ersten Stichproben – zum Jahr 1514¹²³ und 1519¹²⁴ auch Augustinereremiten nachweisen, die mit ihrem Beitritt der reichen Ablässe des Hospitals teilhaftig werden wollten. Im Übrigen hätte Luther – wie schon anklang – nicht nach Rom reisen müssen, um mit dem Hospital S. Spirito in Sassia in Berührung zu kommen. Er hätte auch in der Heimat einen Bruderschaftsbrief erhalten können, wenn er einem der vorgenannten questores des Hospitals begegnet wäre.¹²⁵ Aber der Augustinereremit
121 Vgl. den Überblick in F. C o l o n n a, Distribuzione urbana e tipologie degli edifici assistenziali, in: G. S i m o n c i n i (Hg.), Roma. Le trasformazioni urbane nel Quattrocento, Bd. 2: Funzioni urbane e tipologie edilizie, L’Ambiente storico, Firenze 2004 (Studi di storia urbana e del territorio 11), S. 159– 188, hier S. 172–188; R e h b e rg, Römer (wie Anm. 101); P. H e l a s, ‚Hoc opus inchoatum …‘. Bautätigkeit und Bildpolitik des Hospitals von Santo Spirito in Sassia und des Hospitals am Lateran im Rom des 14. und 15. Jahrhunderts, in: H. S c h l i m m e / L. S i c ke l (Hg.), Ordnung und Wandel in der römischen Architektur der Frühen Neuzeit. Kunsthistorische Studien zu Ehren von Christof Thoenes, München 2011 (Römische Studien der Bibliotheca Hertziana 26), S. 153–183. 122 Zur Geschichte des Hospitals vgl. P. D e A nge l i s, L’ospedale di S. Spirito in Saxia, 2 Bde., Roma 1960–1962; L’Antico Ospedale di Santo Spirito. Dall’istituzione papale alla sanità del terzo millennio, 2 Bde. = Il Veltro 45,5–6 (2001), 46,1–4 (2002); A. R e h b e rg, I papi, l’ospedale e l’ordine di S. Spirito nell’età avignonese, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 124 (2001), S. 35–140; G. D ro s sb a c h, Christliche ‚caritas‘ als Rechtsinstitut. Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia (1198–1378), Paderborn 2005 (Kirchen- und Staatskirchenrecht 2), und A. E s p o s i t o / A. R e h b e rg / M. D av i d e, Storia di un Priorato dellʼOrdine di Santo Spirito: Ospedaletto di Gemona, Udine 2013. 123 „Ego frater Bernardus de Vulterris ordinis heremitarum sancti Augustini intravi in hanc confraternitatem die xx septembris 1514“: Roma, Bibl. Lancisiana, Ms. 328, fol. 122v. 124 „Ego frater Vincentius de Sicilia … in sacra theologia lector ordinis eremitarum sancti Augustini intravi in hanc confraternitatem ut consequi valeam indulgentias per tot pontifices concessas et hoc de voluntate rev.mi domini preceptoris s. Spiritus, die xviiii julii 1519“: ebd., fol. 466v. 125 Zu der 1516 gestoppten Ablasskampagne des Hospitals S. Spirito in Sassia im Reich vgl. W. E. Wi n te r h age r, Ablaßkritik als Indikator historischen Wandels vor 1517. Ein Beitrag zu Vorausset-
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genoss bereits seit 1508 mitsamt seinen Mitbrüdern im Erfurter Konvent dank eines kollektiven Beichtbriefs die ähnlich gearteten geistlichen Privilegien des Deutschen Ordens in Livland.¹²⁶ Dass der Eintritt in die Bruderschaft von S. Spirito ein Ausweis ernsten karitativen Engagements sein konnte, zeigen zwei Einträge von 1516, als der Dominikaner und „sacre theologie magister“ Johannes „de Velthoven“ und der Arzt Lodovico di Riccardo „de Regosiis“ aus Volterra notierten, mehrere Jahre den Kranken gedient zu haben.¹²⁷ Meines Erachtens ist ein Teil der Komplimente Luthers für die Spitäler und Findlingshäuser in Italien¹²⁸ auch auf die genannten Einrichtungen in Rom – allen voran das Hospital S. Spirito in Sassia mit seiner besonderen Fürsorge für Findelkinder – zu beziehen. Bereits eingangs wurde auf den Reichtum nationaler Bruderschaften in Rom hingewiesen.¹²⁹ Bekannt sind auch die Zunfteinrichtungen der Zugewanderten (für die traditionell aus dem Reich stammenden Bäcker gab es beispielsweise eine eigene „schola pistorum“).¹³⁰ Auch Immigranten aus den großen italienischen Städten schlossen sich in Bruderschaften zusammen (besonders einflussreich zur Zeit Luthers waren die Bruderschaften der Florentiner).¹³¹ An dieser Stelle sei kurz das Testierverhalten der gut vernetzten deutschen Immigranten in Rom beleuchtet. Luther selbst kannte und schätzte das Hospiz der Anima, deren Kirche von einem deutschen Geistlichen betreut wurde.¹³² Daneben blühte noch die deutsche Marienbruderschaft am Campo Santo Teutonico, der nicht nur bei Angehörigen aus dem Reich ein beliebter Begräbnisplatz war, da man glaubte, dass die Erde des Friedhofs
zungen und Einordnung der Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 90 (1999), S. 6–71, bes. S. 18, 23, 25f., 49. Zu Hinweisen auf die Hl.-Geist-Bruderschaft in den Rompilgerführern vgl. M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 789. 126 R. We i j e n b o rg, Luther et les cinquante et un Augustins d’Erfurt d’après une lettre d’indulgences inédite du 18 avril 1508, in: Revue d’histoire ecclésiastique 55 (1960), S. 819–875, erw. auch in A. E h l e r s, Die Ablaßpraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, Marburg 2007 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 64), S. 400. 127 Roma, Bibl. Lancisiana, Ms. 328, fol. 466v. 128 WA.TR 4, Nr. 3930. 129 Ein Überblick bei J.-F. A r r igh i (Hg.), Les fondations nationales dans la Rome pontificale, Rome 1981 (Collection de l’École française de Rome 52). Die Minerva-Forschungsgruppe an der Bibliotheca Hertziana unter Susanne Kubersky-Piredda zur Aufarbeitung der Geschichte und Kunst der Nationalkirchen und nationalen Gruppen in Rom hat den Band Ko l l e r / Ku b e r s k y- P i r e d d a (Hg.), Identità e rappresentazione (wie Anm. 10) herausgebracht. 130 K. S c h u l z / C. S c h u c h a rd, Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance. Darstellung und ausgewählte Quellen, Freiburg u. a. 2005 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 57). 131 Vgl. hier nur I. Po lve r i n i Fo s i, Pietà, devozione e politica. Due confraternite fiorentine nella Roma del Rinascimento, in: Archivio storico italiano 149 (1991), S. 119–161. 132 WA 47, S. 425. Zur Geschichte der Anima vgl. jetzt M a t h e u s, S. Maria dell’Anima (wie Anm. 66).
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aus Jerusalem stammte.¹³³ In den Verfügungen der Deutschen lassen sich starke Assimilierungstendenzen zum sonstigen römischen Umfeld feststellen. Ortsüblich waren beispielsweise die verbreiteten Messstiftungen an den sieben Hauptkirchen.¹³⁴ Eine Antonia, Tochter eines Cornelius aus dem Bistum Utrecht („filia Cornelii de Berga oppido Traiectensis diocesis“) verfügte 1510, dass sie – wie viele andere Landsleute aus dem Reich – auf dem Friedhof (Campo Santo) der Deutschen bestattet werden sollte. Sie bedachte den deutschen Kaplan Georg Berndorffer und den Kämmerer des Campo Santo. Anrührend ist, dass sie einer ebenfalls deutschstämmigen Ludovica offenbar eine Marienikone schenkte („imaginem unam beate Marie virginis de legno factam sculptam et antiquo more greco depictam“).¹³⁵ Im März 1510 verfügte der in Köln bepfründete Geistliche und „decretorum doctor“ Ludolfus Tenbrock seine Grablege im Camposanto. Sein Neffe Hermann Tenbrock sollte in den Monaten September und Oktober die sieben Hauptkirchen Roms siebenmal besuchen. Sein Beichtvater war der capellanus am Camposanto, Arnoldus Winterswick.¹³⁶ Eine Anna aus Köln („de Colonia“) wollte dagegen in S. Gregorio bestattet werden, und zwar „cum lapide memoriali“. In den Genuss einer Messstiftung „pro anima sua“ kam auch der Konvent von S. Girolamo (von observanten Franziskanern), wobei die Erblasserin die genaueren Konditionen ihrem Beichtvater „frater Georg de Wesfalaria“ überließ.¹³⁷ Auf dem Totenbett schrieb sich zehn Tage später „Gaspar Hesz“, ein „clericus“ aus Mainz in die Campo-Santo-Bruderschaft ein („ponit se inscribi in societatem companie dicti Campi Sancti“). Bemerkenswert ist, dass auch ein Obolus für den Neubau von St. Peter in einem eigens zu diesem Zweck aufgestellten Opferstock nicht vergessen wird („ordinavit ad capsam in ecclesia S. Petri de Urbe pro structura eiusdem ecclesie iulios quinque“).¹³⁸
133 Vgl. S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti (wie Anm. 113); M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 365 –367. 134 Beispielhaft hierfür das Testament des Bäckers Johann Konrad von 1519 in S c h u l z / S c h u c h a r d, Handwerker (wie Anm. 130), Nr. 27 S. 211–213 (1519 August 17). 135 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 110, fol. 150v–151r (1510 April 16). Der vollständige Name Georg Berndorffers, des „ecclesie confraternitatis campi sancti capellanus“, geht aus seiner Nennung als Zeuge des Testaments hervor: ebd., fol. 151r. 136 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 1r–2v (1510 März 23). Arnoldus Winterswick ist 1508–1510 als Bruder der Campo Santo-Bruderschaft belegt: S c h u l z, Confraternitas Campi Sancti (wie Anm. 113), Nr. Q 764, 779, P 5. Die anderen genannten deutschen Namen tauchen dagegen nicht in den Mitgliedslisten auf, was deren Unvollständigkeit belegt. 137 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 98r–99r (1511 Dezember 2). Die Grabinschrift ist nicht überliefert in Fo rce l l a, Iscrizioni (wie Anm. 61), Bd. 2, S. 95–144. 138 ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 104v–105v (1511 Dezember 12).
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Zum Abschluss sei auf die letztwilligen Verfügungen einer Maria „Greca“ (möglicherweise tatsächlich eine Griechin von Geburt oder Herkunft) aus dem Jahr 1512 eingegangen, die uns noch einmal das damalige Rom als Stadt zahlreicher Zuwanderer vor Augen führt, die sich auch in den sich hier verschmelzenden Frömmigkeitsformen widerspiegelte. Maria, die im rione Colonna nahe der Kirche S. Nicola (della Cerasa) und einem Backbetrieb¹³⁹ beim Pantheon wohnte („habitatrix Urbis in regione Columne prope ecclesiam s. Nicolai et furnum nuncupatum Serase retro plateam s. Marie Rotunde“), empfahl ihre Seele ganz dem Schöpfergott („Et primo dedit animam suam altissimo creatori, qui eam creavit“). Sie wollte in der schon erwähnten Franziskanerkirche S. Maria in Aracoeli „in habitu sancti Francisci sive sancte Clare“ bestattet werden. Die mutmaßliche Griechin besaß einige (Heiligen-)Figuren und Bilder religiösen Inhalts, die sie dem besagten Konvent vermachte, mit Ausnahme eines großformatigen quadratischen Erlöser-Bildes, das sie dem – vielleicht mehrheitlich von deutschen Frauen besetzten¹⁴⁰ – Terziarinnen-Konvent von S. Elisabetta im rione Parione hinterließ („Item dedit conventui de Ara celi omnes et singulas figuras et pecturas quas tunc habebat, dempto uno Salvatore quadrato magno, quam figuram quadratam magnam dedit conventui sancte Elisabete de regione Parionis“). Für weitere Hinterlassenschaften wie Matratzen und Bettzeug haben die Franziskaner Gregorsmessen und eine Messe in der Abtei Tre Fontane, „wenn dort Ablaß ist“,¹⁴¹ zu halten („habeant dicere missas s. Gregorii et unam missam in Tribus Fontibus, quando inibi indulgentia erit“). Der eigentliche Erbe ist allerdings der Konvent von S. Elisabetta. Im Gegenzug müssen die Schwestern die Exequien und die „funeralia“ ausrichten. Außerdem sollen sie ein Jahr lang in der Laterankirche und in S. Maria Maggiore den (Stations-)Ablass¹⁴² gewinnen („Item quod sorores predicte habeant etiam facere indulgentiam sancti Johannis Lateranensis et sancte Marie Maioris per unum annum“).¹⁴³ Selten ist in römischen Testamenten so offen von Ablassgewinn die Rede (ansonsten ist der in Aussicht gestellte Ablass allerdings mitzudenken). Ja, Bilderkult und Werkfrömmigkeit allenthalben, aber alles im Rahmen der Zeit.
139 Zur Verortung der (unter Paul III. niedergerissenen) Kirche S. Nicola della Cerasa und des Backbetriebs (wohl dem der Osteria della Cerasa) an der heutigen Piazza Rondanini vgl. C. Hu e l s e n, Le chiese di Roma nel Medio Evo. Cataloghi ed appunti, Firenze 1927 (Ndr. Roma 2000), S. 392–394, und U. G n o l i, Alberghi e osterie di Roma, Roma 1935, S. 63. 140 Möglicherweise lässt sich das Elisabeth-Haus mit der Gemeinschaft deutscher Franziskaner-Tertiarinnen im rione Parione identifizieren, die in E s p o s i to, Le donne dell’‚Anima‘ (wie Anm. 66), S. 271 –274, vorgestellt werden. 141 Ablassgewinn war an Festtagen möglich; Stationstag war der Samstag nach Aschermittwoch: M i e d e m a, Kirchen (wie Anm. 7), S. 538f. 142 Zu den – zahlreichen – Stationstagen in den beiden Basiliken vgl. ebd., S. 232–234, 291–294. 143 Zum Testament und den Zitaten insgesamt vgl. ASC, Archivio Urbano, sez. LXVI, Testamenti, vol. 111, fol. 152r–v (1512 Juni 3).
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5 Schluss Fassen wir die Ergebnisse unseres notgedrungen groben Überblickes durch einige Bereiche des religiösen Wirkens und Empfindens in Rom um 1500 zusammen, das sich dank des Zusammentreffens der Frömmigkeitsformen von Pilgern, Zugewanderten und Einheimischen als erstaunlich vielgestaltig erwiesen hat. Für manche Bereiche – wie für die Auswärtigen und gar Ultramontanen in den zahlreichen Klöstern, Konventen und Beginen-Häusern der Ewigen Stadt – kann man geradezu von „römischen Lebensentwürfen“ sprechen, die von der Nähe zu den verehrten Gnadenstätten (mit-)motiviert und geprägt waren. Viele Frömmigkeitspraktiken und -rituale ähnelten denen in anderen Städten Italiens und nördlich der Alpen; die Stationsprozessionen wurden sogar in vielen Gegenden der katholischen Welt nachgeahmt und erfreuten sich im Zuge der Gegenreformation neuer Beliebtheit.¹⁴⁴ Im Übrigen bestimmten auch in Rom soziale und politische Faktoren das öffentliche religiöse Leben mit. Weitere Elemente bedürfen dagegen noch der Klärung. Zu den bereits eingangs genannten Lücken sei darauf hingewiesen, dass noch eine Auswertung von religiösen Erbauungsschriften, Artefakten, Bildquellen¹⁴⁵ und Grabinschriften aussteht. Fast nichts weiß man bislang von religiösen Dissidenten (bekannt sind immerhin pauperistische Ideen¹⁴⁶) und von der Verbreitung des Aberglaubens in Rom¹⁴⁷ (Luther hat ja den Italienern insgesamt wiederholt Aberglauben vorgeworfen¹⁴⁸).
144 Siehe oben Anm. 96. Geradezu von einer „Römisierung“ von Frömmigkeitsformen im Zuge der Gegenreformation spricht F. G. R au s c h, Rom und die Würzburger Karfreitagsprozession. Volksliturgische Frömmigkeitsformen der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Volkskunde N. F. 9 (1986), S. 151– 166, hier S. 156. 145 Hier sind auch die Kunsthistoriker gefragt. Zitiert wurden immerhin schon Beiträge von Gerhard Wo l f, Philine He l a s und Tobias G ü t h n e r (siehe oben Anm. 30, 77, 105, 121). Von Interesse erscheinen beispielsweise die Fresken von Tor de’ Specchi und die Legenden und Zeugenaussagen um Francesca Romana zu sein. Vgl. für die Bildquellen K. B ö s e, Gemalte Heiligkeit. Bilderzählungen neuer Heiliger in der italienischen Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts, Petersberg 2008 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 61), S. 16–89, 202–207 (sowie Abb. 2–59) (hier auch die Literatur zu den Schriftquellen). 146 Vgl. J. M o n f a s a n i, The Fraticelli and Clerical Wealth in Quattrocento Rome, in: J. M o n f a s a n i / R. G. M u s to (Hg.), Renaissance Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice, Jr., New York 1991, S. 177–195 (Ndr. in: d e r s., Language and Learning in Renaissance Italy. Selected articles, Aldershot 1994 [Collected Studies Series 460], Nr. XIV). 147 Obgleich nicht auf Rom bezogen, vgl. die Ausführungen in M. R. O’ N e i l, ‚Sacerdote ovvero strione‘. Ecclesiastical and Superstitious Remedies in 16th-Century Italy, in: S. L. Ka p l a n (Hg.), Understanding Popular Culture. Europe from the Middle Ages to the Nineteenth Century, Berlin-New YorkAmsterdam 1984 (New Babylon Studies in the Social Sciences 40), S. 53–83. 148 So in WA.TR 5, Nr. 6041.
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In der jüngsten römischen Forschung gibt es auch Stimmen, die den Römern einen eher reservierten Umgang mit religiösen Dingen attestieren. Sie seien nicht so fromm gewesen¹⁴⁹ und hätten ursprünglich auch nicht die „usage obsessionel de la messe“ (Jacques Chiffoleau) praktiziert.¹⁵⁰ Man hat den späten Anstieg der zunehmend von den Bettelorden in Rom übernommenen Jahrtagsmessen auch auf den wachsenden Zuzug von Fremden zurückgeführt.¹⁵¹ Allerdings fehlte es auch in Rom nicht an Testamenten gerade von Frauen, die Hunderte von Messen vorsahen. Die Religiosität des römischen (Durchschnitts-)Bürgers war also offenbar weitgehend frei von Exzessen und hatte eine praktische Note, die sich im florierenden Bruderschaftswesen und im Engagement für den Nächsten zeigte. Die Römer wussten zwischen dem Heilsangebot ihrer Kirche und den unleugbaren Auswüchsen am Papsthof und an der Kurie zu unterscheiden. Die Mängel im Klerus und an der Kurie wurden allgemein beklagt und auch auf dem V. Laterankonzil behandelt.¹⁵² Der laute Wallfahrtsbetrieb war auf jeden Fall nicht die Sache der Alteingesessenen, die diesem Treiben auch heute noch gelassen bis indifferent gegenüberstehen. Das soll nicht heißen, dass die Römer ganz unschuldig an diesen Auswüchsen waren, profitierten sie doch auch wirtschaftlich vom Zustrom der Pilger und vom Devotionalienmarkt. Luther hat allerdings nicht nach Rom reisen müssen, um auf Missbräuche in der Kirche und besonders auf dem Gebiet des Ablasswesens zu stoßen. Deshalb soll auch kein Kausalzusammenhang zwischen seinem Rom-Aufenthalt und seiner späteren Ablasskritik, die ja im Allgemeinen als der Auslöser der Reformation gilt, hergestellt werden.¹⁵³ Trotzdem ist es unverkennbar, dass bei den nach Rom gekom-
149 I. Lo r i S a n f i l i p p o, Notai e certificazione delle reliquie. Il ritrovamento romano delle teste dei martiri Pietro e Paolo, in: R. M i c h e t t i (Hg.), Notai, miracoli e culto dei santi. Pubblicità e autenticazione del sacro tra XII e XV secolo. Atti del Seminario internazionale, Roma, 5–7 dicembre 2002, Milano 2004 (Studi storici sul notariato romano 12), S. 595–610, hier S. 596, spricht von einem „rapporto piuttosto tiepido nei riguardi della fede“. 150 Lo m b a rd o / M o re l l i, Donne (wie Anm. 9), S. 88ff., und B a r o n e, Laici (wie Anm. 49), S. 138. Vgl. allgemein J. C h i f f o l e au, L’usage obsessionel de la messe pour les morts à la fin du moyen âge, in: Faire croire. Modalités de la diffusion et de la réception des messages religieux du XII e au XV e siècle. Table ronde organisée par l’École française de Rome, en collaboration avec l’Institut d’Histoire médiévale de l’Université de Padoue (Rome, 22–23 juin 1979), Rome 1981, S. 235–256, und R. Ru s c o n i, Da Costanza al Laterano. La ‚calcolata devozione‘ del ceto mercantile-borghese nell’Italia del Quattrocento, in: A. Vau c h e z (Hg.), Storia dell’Italia religiosa, Bd. 1: L’Antichità e il Medioevo, Roma 1993, S. 505–534. 151 B a ro n e , Laici (wie Anm. 49), S. 137. 152 Vgl. N. H. M i n n i c h, Concepts of Reform proposed at the Fifth Lateran Council, in: Archivum Historiae Pontificae 7 (1969), S. 163–251 (Ndr. in: d e r s., The Fifth Lateran Council (1512–17), Brookfield VT 1993, Nr. IV) und der Beitrag von L. Ronchi in diesen Tagungsakten. 153 Luthers wachsender Unwillen gegen die Ablasspraktiken in seinem sächsischen Umfeld erhielt 1517 durch Tetzels Ablass„verkauf“ neue Nahrung: vgl. hier nur N. F l ö r ke n, Ein Beitrag zur Datierung von Luthers ‚Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis‘, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 3 (1971),
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menen Zeitgenossen die moralische Messlatte in der so mit Heiligtümern gesegneten Ewigen Stadt höher hing als anderswo. Die Rom-Perzeption änderte sich radikal, als Luther in einem schmerzhaften Prozess mit der alten Kirche brach. Jetzt brauchte er ein Feindbild – und das war Rom, „caput scelerum et sedis Diaboli “¹⁵⁴ ! Jetzt erinnerte er sich an den ein oder anderen möglicherweise schon 1511 erlebten unschönen Eindruck in Rom. Jetzt strich er das heraus, was auch die Zeitgenossen und die Römer selbst wohl kaum geleugnet hätten: die verfallenen Kirchen, die Auswüchse des Pilgerbetriebs, den Unmut über die Winkelmessen, den Prunk des päpstlichen Hofes usw. Aber es kamen auch Dinge hinzu, die erst durch seine neue Lehre obsolet geworden sind (die dies aber wohlgemerkt zum Zeitpunkt seines Romaufenthaltes für ihn offenbar noch nicht waren): allen voran die Abkehr vom Ablass, von der Heiligenverehrung, von Wallfahrten und Reliquienkult.¹⁵⁵ Für sein neues Rombild genügte – wie der Abgleich mit den Pilgerführern ergeben hat – offenbar nicht mehr nur die eigene Erinnerung, sondern es bedurfte eben dieser erneut zur Hand genommenen Texte als literarische Quellen. Die Umkehrung des Romerlebnisses ins Negative gab ihm auch ein sehr effizientes Argument in die Hand, für das er Gott immer wieder dankte: Erst der Umstand, dass die göttliche Vorsehung ihn Rom mit seinen Auswüchsen habe erleben lassen, befähige ihn jetzt, als Augenzeuge dieses Teufelswerk verdammen zu können.¹⁵⁶ Von dem Rom treu ergebenen Klerus werde die Pest allen Unheils in die Gesamtkirche getragen.¹⁵⁷ Die wackere deutsche Geistlichkeit soll sich dem Reformator anschließen; die (deutschen) Kurialen und papsttreuen Kleriker werden dagegen als „Römlinge“ („Romanisten“) abgestempelt und ausgegrenzt.¹⁵⁸ Mit Martin Wallraff ist vor einem
S. 344–350, und B re c h t, Martin Luther (wie Anm. 65), Bd. 1, S. 173–230, sowie D. B a gc h i, Luther’s ‚Ninety-five Theses‘ and the Contemporary Criticism of Indulgences, in: Swanson, Promissory notes (wie Anm. 62), S. 331–355. Vgl. auch T. Kau f m a n n, Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, Tübingen 2012, S. 169–174 („Der ablassgeschichtliche Kontext“). Aus der Vielzahl der Luther-Biographien seien genannt H. S c h i l l i ng, Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 22013, und V. Le p p i n, Martin Luther. Vom Mönch zum Feind des Papstes, Darmstadt 2013. 154 WA.TR 5, Nr. 5344, vgl. WA.TR 5, Nr. 5347, Nr. 6503 (Rom als Sitz des Antichrists). 155 Vgl. nur H. Kü h n e, ‚die do lauffen hyn und her, zum heiligen Creutz zu Dorgaw und tzu Dresen …‘. Luthers Kritik an Heiligenkult und Wallfahrten im historischen Kontext Mitteldeutschlands, in: Ta c ke, Reliquienkult (wie Anm. 63), S. 499–522. 156 In diesem Sinne kann man beispielsweise WA.TR 3, Nr. 3478 interpretieren. 157 So meinte Luther 1533 in der Schrift „Von der Winkelmesse“ nach der Schilderung der bekannten „Passa, passa“-Messepisode (wie Anm. 27): „Nu wissen wir, das der Curtisanen tugent und glauben viel aus Rom und Welschland gebracht, und beide Stifft und Pfarren wol da mit beschmeisst sind worden, Denn wir haben viel ruchloser Thumbherrn, Vicarien und Altaristen gesehen“: WA 38, S. 212. 158 Vgl. hier nur B. M o e l l e r, Klerus und Antiklerikalismus in Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von 1520, in: P. A. D yke m a / H. A. O b e r m a n (Hg.), Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden-New York-Köln 1993 (Studies in Medieval and Reformation
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„ökumenisch friedfertigen Rom-Bild“ zu warnen. Man wird indes die Polemik in Luthers Schriften als solche benennen und kennzeichnen müssen, damit sich wieder ein unbefangener, ein ökumenischer Blick auf die „Wege zum Heil“ eröffnet.
Thought 51), S. 353–365 (Ndr. in B. M o e l l e r, Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, hg. von J. S c h i l l i ng, Göttingen 2001, S. 108–120, 115 zu den Romanisten). Zum weitverbreiteten „Register negativer Kollektivstereotype“ im Zuge des antikurialen Gravamina-Diskurses vgl. auch C. H i r s c h i, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005, S. 12f., 142, 143–156 (144 Zitat), 417.
Michael Klaus Wernicke OSA (†)
Egidio da Viterbo
Humanist und Reformer des Augustiner-Eremitenordens Am 27. Juni 1506 bestieg der einflussreiche Edelmann Antonio Zoccoli den Cimino,¹ den höchsten Berg in der Umgebung von Viterbo, angeblich um seinen Freund Egidio zu besuchen, der sich mit einer Gruppe gleichgesinnter Brüder in diese schwer zugängliche Einsamkeit zurückgezogen hatte. Egidio ahnte Böses, doch Zoccoli beruhigte ihn: Er wolle nur die schattigen Wälder sehen, die Kapelle, die Quellen, von denen Egidio ihm so oft begeistert erzählt hatte. Man saß in heiterer Unterhaltung beisammen bis in die Nacht. Als die Brüder sich zur Ruhe begaben, begleitete Zoccoli den Egidio in dessen Zelle, schloss die Tür und übergab dem Augustiner den Brief des Papstes, mit dem er diesem befahl, die Zügel des Ordens zu übernehmen. Am Vortag, am 26. Juni, war der Generalprior Agostino Faccioni gestorben. Dem Egidio schossen die Tränen aus den Augen, er warf sich zu Boden, er klagte laut, sodass die Brüder, die sich gerade zurückgezogen hatten, wieder zusammenliefen. Er wolle lieber das härteste Schicksal ertragen als dieses Amt, denn er sei ungeeignet, sei körperlich schwach, sei zu jung, sei unerfahren. Das waren sicher keine vorgeschützten Gründe, die er da anführte, um den Papst umzustimmen; sicher aber fürchtete er auch, dass er sein geliebtes Studium aufgeben müsste, die Erforschung und Betrachtung göttlicher Dinge und des Gesetzes des Herrn.² Das aber tat er mit Hilfe der „Theologia Platonica“, die er bei Marsilio Ficino in Florenz kennengelernt hatte, und dem Erlernen der hebräischen Sprache, die ihm, so glaubte er, die Arkana christlicher Lehre erschließen würde. Doch wie sich zeigen sollte, konnte er dieses Studium auch als Generalprior und später als Kardinal nicht nur fortführen, sondern sogar intensivieren, als er Elias Levita, einen hochgelehrten Juden aus Neustadt an der Aisch, und dessen Familie in seinen Haushalt aufnahm und sich von 1515 bis 1527 mit ihm in den Talmud und die Kabbala vertiefte; denn „Egidio war überzeugt, dass der Schlüssel zum vollen Verständnis der christlichen Lehre in der jüdischen Litera-
P. Wernicke ist am 20. 11. 2015 verstorben. Die redaktionelle Betreuung seines Beitrags lag in den Händen der Herausgeber. 1 E g i d i o da Viterbo OSA, Lettere familiari, Bd. 1: 1494–1506, hg. von A. M. Vo c i R o t h, Roma 1990 (Fontes historiae ordinis sancti Augustini. Series Altera. Epistolaria aliique fontes 1), S. 339f.; F. X. M a r t i n, Friar, Reformer, and Renaissance Scholar, Villanova PA 1992, S. 63f., Übersetzung des Briefes ins Englische ebd., S. 359–363. 2 E g i d i o da Viterbo, Lettere 1, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 1), S. 338,25ff. DOI 10.1515/9783110316117-017
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tur zu finden sei, in Schätzen, die zu seiner Zeit im fast ausschließlichen Besitz der jüdischen Gemeinschaft waren“.³ Von seiner Unfähigkeit, das hohe Amt auszufüllen, sprach er wenig später zum Ordensprotektor Kardinal Raffaele Riario. Der aber blieb unerbittlich, sagte schließlich ärgerlich, Egidio habe den Menschen gepredigt, Gutes zu tun, nun aber weigere er sich, das Gute, das von ihm verlangt werde, zu vollbringen.⁴ So nahm Egidio die Bürde auf sich, bestätigte schon vom 5. Juli an den Empfang von Kollekten, welche die Provinzen und Kongregationen an den Generalprior abzuführen hatten.⁵ Aus diesen kargen Texten geht hervor, dass Egidios Behauptung, er sei unerfahren in der Administration, eine starke Übertreibung war, dass er vielmehr auch die weltlichen Dinge zu kontrollieren verstand. So beanstandete er am 24. Dezember, dass von den 32 rheinischen Gulden, die er von Gerhard Hecker, dem Provinzial der sächsisch-thüringischen Provinz, erhalten hatte, nicht alle vom gleichen Gewicht und gleicher Prägung waren und damit von unterschiedlichem Wert; er erinnerte auch daran, dass der Provinzial für das laufende Jahr noch zwei Dukaten schuldig sei.⁶ Jedoch ist dem Egidio das hohe Amt nicht als gewissenhafter Buchhalter anvertraut worden. Vielmehr sollte er mit eiserner Rute regieren, so wollten es der Papst und der Kardinalprotektor, und die liederlichen Mönche wie Krüge aus Ton zertrümmern (Ps. 2,9), damit der Orden im hellen Glanz pünktlicher Regelerfüllung erstrahle.⁷ Reformieren wollte Egidio schon, war er doch selber Mitglied der Observantenkongregation von Lecceto, hatte er doch seinen conventus nativus in Viterbo zur klösterlichen Strenge zurückgeführt und der Kongregation einverleibt.⁸ Tag und Nacht arbeite er an der Reform, schrieb er, auf nichts anderes ziele sein Tun und Denken als darauf, die kollabierte respublica des Ordens wieder zu alter Majestät zu verhelfen.⁹ Mit eiserner Rute aber wollte er nicht regieren und Tongefäße wollte er nicht zerbrechen, sondern Zerbrochenes wieder zusammenfügen und festigen.¹⁰
3 J. W. O’M a l l e y, Giles of Viterbo on Church and Reform, Leiden 1968, S. 82; zu Levita ebd., S. 12, 70, 83f.; F. W. B au t z, Art. Elias Levita (genauer: Elijahu ben Ascher ha Levi) (1469–1549), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1975), Sp. 1489f. 4 E g i d i o da Viterbo, Lettere 1, hg. von Vo c i R o t h (wie Anm. 1), S. 341. 5 Ae g i d i i Viterbensis O.S.A. Resgestae Generalatus, hg. von A. d e M e i j e r, Roma 1988 (Fontes historiae Ordninis Sancti Augustini 1,17), Nr. 1 vom 5. 7. 1506 bis Nr. 22 vom 13. 4. 1507, S. 23–29. 6 Ae g i d i i Viterbensis, Resgestae, hg. von d e M e i j e r (wie Anm. 5), Nr. 15 S. 27, Bologna 24. 12. 1506. 7 G i l e s of Viterbo OSA, Letters as Augustinian General, hg. von C. O’ R e i l ly, Roma 1992, Nr. 17 S. 94, an das Kloster in Amelia, Cimino ohne Datum. 8 M a r t i n, Friar (wie Anm. 1), S. 23, 25ff. 9 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 102 S. 203, an den Prior von Florenz, Cimino 3.8.(1508?). F. X. M a r t i n, The Registers of Giles of Viterbo. A Source on Reform before the Reformation, in: Augustiniana 12 (1962), S. 142–160, hier S. 157 mit Anm. 43, zitiert einen Brief mit demselben Wortlaut an Stefano Zoalio, Rom 3. 10. 1508. 10 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 17 S. 95, an den Konvent von Amelia.
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Zwar schrieb er auch, dass er berufen sei wie der Prophet Jeremias, um einzureißen und zu zerstören, um dann neu zu pflanzen und aufzubauen (Jer 1,10).¹¹ Damit widersprach er nicht der vorher zitierten Aussage, sondern bestätigte sie. Dennoch: Er ließ auch strafen, streng, wenn es sein musste. Einen Bruder versetzte er in ein anderes Kloster, das ihm Ort der Strafe und Buße sein sollte. Dort sollte man ihn vor den versammelten Konvent rufen nach der Vorschrift der Konstitutionen,¹² sollte er seine Schuld bekennen, dem Knienden sollte der Habit ausgezogen und er sollte auf den nackten Rücken die verdienten Schläge empfangen; ohne Habit und ohne menschliche Gesellschaft sollte er 30 Tage in einer Zelle arretiert sein, an jedem Freitag im Refektorium auf dem Boden sitzend essen, und während die anderen Brüder den Speisesaal betreten und verlassen, sollte er auf der Schwelle liegen.¹³ Auch scheute sich Egidio nicht, den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen, wenn sich Missstände in den Klöstern nicht anders beseitigen ließen.¹⁴ Reform bedeutete für Egidio nicht das, was das Zweite Vatikanum anstrebte und vielfach Programm heutiger Kirchenführer und Theologen ist: aggiornamento, das Eingehen der Kirche auf die sozialen und kulturellen Bedingungen heutiger Zeit. Solche Ideen hätten ihn und seine Mitstreiter befremdet. Derartige Gedanken wären als res novae bezeichnet worden, ein Wort, mit dem eine Lehre oder Praxis als negativ und zerstörerisch verurteilt wurde.¹⁵ „Non enim noua facimus“, schrieb er bündig an den französischen Visitator Antonius Pulcher. „Vielmehr erwecken wir, da Gott es so befiehlt, die Gesetze der Väter wieder zum Leben, die in diesem Vaterland [„in ista patria“ Frankreich?] ausgelöscht sind.“¹⁶ Dieser Blick zurück, dieses Maßnehmen an einer goldenen Vergangenheit wurzelt in Egidios Auffassung von Geschichte. Zwar ist er grundsätzlich überzeugt, dass Geschichte sich linear auf ein Ziel hin bewegt, dass sie enden wird mit der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit.¹⁷ Jedoch sind in dieser gradlinigen Entwicklung Wiederholungen sichtbar wie Strudel in einem Fluss, die sich rückwärts drehen, während der Fluss doch vorwärts strömt.
11 Ebd., Nr. 151 S. 263, an die Provinz von Portugal, Rom (Juli 1508?). 12 Las primitivas Constituciones de los Agustinos, hg. von I. A r a m b u r u C e n d o y a, Valladolid 1966, Capitulum XLIX: „Quae sit gravior culpa“, Nr. 502. 13 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 20 S. 99, an den Prior des Klosters S. Paolo di Ravone, Cimino (1506?). 14 Ebd., Nr. 191 S. 321, an Pierre Gervais, Rom 24. September 1511: „Rebelles autem et contumaces acerrime punies, etiam, si opus sit, cum auxilio bracchii saecularis.“ O’ M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 151. Ebd., Anm. 3, zitiert er die angeführte Stelle. G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 40 S. 119, an den Großmeister auf Rhodos, Neapel November 1506. 15 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 2. 16 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 186 S. 313, an Antonius Pulcher, (September / Oktober 1511?); O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 142. 17 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 100–117.
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In der Rede, die er am 21. Dezember 1507 im Petersdom vor Julius II. hielt, um die Entdeckungen des Portugiesen Lourenço de Almeidas zu feiern und die er in erweiterter Form im „Libellus“ dem König von Portugal Manuel I. widmete, breitete er das weiträumige und bunte Gewebe seiner Geschichtsspekulationen aus.¹⁸ Von den Goldenen Zeitaltern sprach er, dessen erstes durch den Abfall Luzifers beendet wurde. Gott reparierte den Schaden, indem er den Menschen erschuf und ihn im Paradies ein neues Goldenes Zeitalter erleben ließ. Aber auch Adam versagte. Von da an befleckte sich eine geschwächte Menschheit mit jeder Art von Lastern, war wie eine Walze, die bergab rollt und sich so weit vom Gold entfernt hat, dass sie nicht einmal mehr eine Ahnung von dessen Glanz hatte; denn die Erinnerung an das Gold war in die finstere Nacht des Vergessens versunken.¹⁹ Ein drittes Goldenes Zeitalter wurde durch Noah heraufgeführt, der nach der Sintflut die Nachkommenschaft mahnte, sie möge der Gerechtigkeit dienen, die Habgier meiden, mit den Früchten der Bäume und Felder zufrieden sein, die Keuschheit, die Nüchternheit und die Gemeinschaft mit einander wahren. Er lehrte sie die heiligen Riten und trieb sie an zu Frömmigkeit und Religion.²⁰ Dieses Goldene Zeitalter ist freilich nicht zu vergleichen mit dem der Ureltern, da die Natur der Enkel verstümmelt und degeneriert ist. Dennoch strahlte der Widerschein des Goldenen Zeitalters, der vom heiligen und von Gott geliebten Noah erweckt worden ist, für einige Jahre weithin auf die Menschen aus. Das von Noah entzündete Licht gelangte über Perser und Armenier zu den Ägyptern und von da nach Etrurien.²¹ Janus, der König der Etrusker, habe jenseits des Tibers auf dem vatikanischen Hügel seinen Thron aufgeschlagen, an derselben Stelle, von der aus jetzt Julius II. regiert. Das Regiment des Janus beschrieb Egidio ausführlich, weit ausholend, beginnend mit der Natur des Menschen, der aus vier Elementen zusammengesetzt ist: der Erde, dem Wasser, der Luft und dem Feuer. Mit der Vierzahl und den vier Buchstaben f a v l trieb er sein Spiel: Der Erde, „fundamentum“, entspringt die Furcht, „formido“; dem Wasser, „aqua“, die Krankheit, „aegritiudo“; der Luft, dem „ventus“, die „voluptas“; und dem Feuer, „lux“, die „libido“. Um diese vier Quellen aller Übel zu verstopfen, sind ihnen vier Tugenden, die zur Zeit des Janus gelehrt wurden und blühten, entgegengesetzt: die Stärke, „fortitudo“; die „armonia“, welche die Regungen der Begierde dämpft; die Wahrheit, „veritas“, die man durch Weisheit und Klugheit erreichen kann; das „luciferum“ und die „iustitia“, die erleuchtete Gerechtigkeit. Aber auch dieses Gol-
18 J. W. O’M a l l e y, Fulfillment of the Christian Golden Age under Pope Julius II. Text of a Discourse of Giles of Viterbo, 1507, in: Traditio 25 (1969), S. 265–338 (Nachdruck in: d e r s ., Rome and the Renaissance. Studies in Culture and Religion, London 1981 [Variorum Collected Studies Series 127], Study V). 19 O’M a l l e y, Fulfillment (wie Anm. 18), S. 285. 20 Ebd., S. 285. 21 Dazu O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 31.
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dene Zeitalter erschlaffte, denn die Natur der Dinge ist zum Schlechteren geneigt.²² Es endete mit der Regierung des Ninus, der begierig nach Länder und Gold zum Schwerte griff und die goldene Heiligkeit von der Erde vertrieb. Die Schilderung des mit Christus kommenden vierten Goldenen Zeitalters begann Egidio mit einem Zitat aus Hesiod, das er im Cratylus des Platon fand: Er sagt von dem Zeitalter, dass es verfiel, denn das Gold wurde zu Silber, zu Bronze, und schließlich kam die elende Zeit des Eisens.²³ Diese ganze uns befremdliche Geschichtsbetrachtung stützt sich auf die Heilige Schrift, auf Josephus Flavius, immer wieder auf Platon, vor allem auf die „Politeia“, und auf – wie Egidio ihn nennt – Platons Schüler Vergil. Aber auch das Goldene Zeitalter der Kirche, das von der Zeit Christi bis zum Papst Silvester sich erstreckte, ging zu Ende, und je weiter sie sich von ihren Ursprüngen entfernte, um so mehr verfiel sie.²⁴ Das Ideal ist die Urkirche, so wie Egidio sie sich vorstellte, und die Reform hat nach diesem Ideal zu streben. Für seinen Orden wünschte sich Egidio die Rückkehr zu Augustins Mönchsleben; denn er war überzeugt, dass der Kirchenvater Gründer der Augustiner-Eremiten war. Heinrich von Friemar der Ältere (1245–1340) hatte schon in seinem Werk vom Ursprung und der Entwicklung des Ordens zu beweisen gesucht, dass Augustinus sogleich nach seiner Taufe von Ambrosius mit einer schwarzen Kukulle bekleidet und mit einem Lederriemen umgürtet worden war.²⁵ Nach dem Tod der Mutter habe er mit Evodius und Nebridius einen Ort gesucht, wo sie ihr „Leben gemeinsam der Frömmigkeit weihen“ könnten.²⁶ Diesen Ort hätten sie gefunden in der Toskana, in Centumcelle, wo schon eine Schar gleichgesinnter Brüder ihren Sitz hatte, denen Augustinus die Regel gab und damit einen bestimmten Lebensstil.²⁷ Auch Heinrichs Schüler, Jordan von Sachsen, erwähnt in seinem Werk über das Leben der Brüder Centumcelle.²⁸ Die Gründung des Ordens durch Augustinus war also sententia communis unter den Augustinern, und auch Egidio nahm diese Tradition auf: Augustinus habe sich nach seiner Taufe in Etrurien in das christliche Leben eingeübt. Dort fände man seine Spuren auf dem Monte Pisano, in Centumcelle, und in ganz Tuszien gäbe
22 Aus „De aurea aetate“, zitiert bei O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 105, Anm. 5. 23 O’M a l l e y, Fulfillment (wie Anm. 18), S. 295. 24 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 105–108. 25 He n r y of Friemar, Treatise on the Origin and Development of the Order of the Hermit Friars and its True and Real Title, hg. von R. A r b e s m a n n, in: F. R o t h / N. Te uwe n (Hg.), Augustiniana. Septimo exacto saeculo a Magna Unione MCCLVI – MCMLVI, York 1956, S. 37–145, hier 92f. 26 Conf. IX 8,17. Sancti Augustini Confessionum Libri XIII, hg. von L. Ve r h e i j e n, Turnhout 1990 (Corpus Christianorum. Series Latina 27), S. 142f. 27 He n r y of Friemar, Treatise (wie Anm. 25), S. 96. 28 Jo rd a n i de Saxonia, Ordinis Eremitarum S.Augustini Liber Vitasfratrum, hg. von R. A r b e s m a n n / W. Hü m p f n e r, New York 1943, Prima pars, caput VII, 23f.
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es einsame Orte, wo er geweilt und die er den Mönchen als Wohnung gegeben habe.²⁹ Für Egidio war es vor allem das Kloster Lecceto bei Siena, dessen Konventual er 1503 wurde und in dem Augustins Geist fortlebte.³⁰ Reform will die Abwärtsbewegungen nicht nur aufhalten, sondern umkehren, um wieder zu den Höhen zu gelangen, auf denen Menschheit, Kirche und Orden einstmals gewohnt haben. In seiner berühmten Rede, mit der das Fünfte Laterankonzil eröffnet wurde, betete Egidio zum Erneuerer der Welt, zum Erlöser, doch den Vätern die Kraft zu geben, dass die niedergebrochene Religion zur alten Reinheit, zum alten Licht, zum angeborenen Glanz zurückgerufen werde. Er gebrauchte das Verbum „revocari“³¹, um die Aufgabe der Reform zu beschreiben, so wie er an anderen Stellen seiner Briefe durch andere Verben mit der Vorsilbe „re“ zurück zur Reform aufruft: „redire“ (zurückkehren), „resipiscere“ (wieder zu Verstand kommen, wieder zu sich kommen) und schließlich das Wort „reformare“ selbst, das ja heißt: Die ursprüngliche Gestalt wieder annehmen. Durch diese Rückkehr aber werden wir, wie er in einem begeisterten und begeisternden Brief schrieb, erneuert in der Neuheit des Lebens. Der Kirche, der Braut, wird die Jugend wieder gegeben, nachdem das alt gewordene Gewand der Sünde abgelegt ist.³² Egidio ließ das Loblied des 102. Psalms (103,5) anklingen: „Renovabitur ut aquilae iuventus tua“ – „wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert“. Ein immer wiederkehrendes Wort ist „instaurare“, „erneuern“.³³ Diese Rückkehr ist nicht das Aufsuchen einer von Menschen erdachten Utopia, die wie die des Thomas Morus eine fiktive, in die Gegenwart versetzte Insel ist, die aber in der Vergangenheit liegt; sie ist vielmehr das Suchen und Finden göttlicher Urbilder. „Homines per sacra immutari fas est, non sacra per homines“ – „es ist recht, dass Menschen durch das Heilige verändert werden, nicht das Heilige durch Menschen“, sagte er in der zitierten Rede an das Laterankonzil.³⁴ Eine Paraphrase dieser Aufforderung ist in Egidios Historia XX saeculorum zu lesen: „Imitemur enim divina nos oportet, non a divinis imitandi nos sumus“ – „wir müssen das Göttliche nachahmen und nicht meinen, dass das Göttliche uns nachahmen muss“.³⁵ Dass
29 E g i d i o da Viterbo, De Ilicetana Familia, hg. von F. X. M a r t i n, in: d e r s ., Giles of Viterbo and the Monastery of Lecceto. The Making of a Reformer, in: Analecta Augustiniana 25 (1962), S. 225–253, Text S. 248–253, hier S. 249. Englische Übersetzung dieser Schrift von J. C. S c h n au b e l t, in: F. X. M a r t i n, Friar (wie Anm. 1), S. 393. 30 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 60f. 31 C. O’ R e i l ly, ‚Without Councils we cannot be saved …‘. Giles of Viterbo Addresses the Fifth Lateran Coucil, in: Augustiniana 27 (1977), S. 166–204, hier S. 185. 32 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 220 S. 342, an einen nicht namentlich genannten Provinzial, (Herbst 1513?). 33 Ebd., Nr. 220 S. 342. 34 O’ R e i l ly, Without Councils (wie Anm. 31), S. 186. 35 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 140 und Anm. 1.
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Reform Streben nach dem Heiligen, dem Göttlichen ist, ist ein Gedanke, der wohl dem Neuplatonismus Egidios entsprungen ist.³⁶ Nach den großen Gedanken über Verfall und Reform erscheinen Egidios konkrete Anweisungen zur Wiederherstellung klösterlicher Disziplin überraschend einfach. Mit großem Nachdruck bestand er auf der vita communis. In einem Schreiben an den Konvent von Perugia³⁷ erklärte er mit Rückgriff auf die Regel,³⁸ was dieses gemeinsame Leben bedeutet: „Insbesondere wollen wir, dass euch alles gemeinsam sei und dass niemand etwas Eigenes besitze.“ Immer wieder gab er Anweisungen, die Gebet, Stillschweigen, Kleidung betreffen. Nach würdevoller Verrichtung des Chorgebets sei Stillschweigen zu bewahren.³⁹ Am Offizium haben alle am Tag und in der Nacht teilzunehmen, auch die Magistri.⁴⁰ Im Refektorium, im Chor und im Dormitorium ist ebenfalls das silentium zu halten. Nach der Serotina, einem abendlichen Gebet für die Wohltäter, ist es keinem erlaubt zu reden bis zur Prim des folgenden Tages. Im Refektorium möge man am Anfang der Mahlzeit aus der Bibel lesen, gegen Ende aus den Konstitutionen. Alle haben bei den gemeinsamen Mahlzeiten anwesend zu sein.⁴¹ Im Dormitorium darf niemand die Zelle eines anderen betreten. In einigen Briefen schrieb er das Gebet der Serotina ausdrücklich vor.⁴² Dem Antonius Pulcher, den er mit der Reform der Provinz Francia beauftragt hatte, zählte er die Teile dieses Gebetes auf: Confiteor und Misereatur, allgemeines Sündenbekenntnis und Lossprechung, für die Wohltäter soll der Psalm 122 (121) gesungen werden. Es folgt eine Oration. Schließlich ist der Psalm 130 mit einem Gebet für die Verstorbenen anzufügen.⁴³ So auch in dem Brief zur Bestätigung der Wahl eines Provinzials: Nach dem Abendessen soll dieses Gebet verrichtet werden, wobei die Brüder mit Weihwasser zu besprengen sind.⁴⁴ Die Klausur ist immer einzuhalten.⁴⁵ Wer ausgeht, gehe nicht, ohne vorher den Segen zu erbitten. Ihn hat stets ein Bruder zu begleiten; so steht es in der Regel.⁴⁶ Die Kleidung beim Ausgang sei schwarz. Der Habit werde geziemend in Ordnung gehalten. Das Birett sei nicht rund, denn ein solches steht nur den Magistri zu, sondern es sei aus vier Teilen zusammengenäht, auf beiden Seiten die Ohren
36 Ebd. 37 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 29 S. 107f. 38 Die Regel des hl. Augustinus. Erstes Kapitel, in: H. U. vo n B a l t h a s a r (Hg.), Die großen Ordensregeln, Einsiedeln 71994, S. 161. 39 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 42 S. 122: Rieti, September 1506, an Leonardus Fulginatis in Rieti. 40 Ebd., Nr. 45 S. 126 (1506?). 41 Ebd., Nr. 163 S. 275. 42 Ebd., Nr. 220 S. 342. 43 Ebd., Nr. 186 S. 313, an Antoine Pulcher (September / Oktober 1511?). 44 Ebd., Nr. 163 S. 275. 45 Das Folgende ebd., Nr. 42 S. 122. Siehe auch Einleitung zum Brief, ebd., S. 121. 46 Die Regel. Sechstes Kapitel, in: von B a lt h a s a r (Hg.), Ordensregeln (wie Anm. 38), S. 164.
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bedeckend.⁴⁷ Die Tonsur soll kurz sein, niemand möge sich in Seidenstoffe kleiden oder in sonst ein kostbares Tuch. In einem Schreiben an den Prior von Paris fügte er hinzu: „Entferne (aus deinem Konvent) leinenes Tuch.“⁴⁸ Er schärfte damit die Bestimmungen der Konstitutionen ein, die wollene Kleidung vorschrieben.⁴⁹ Kleidung und Schuhwerk sollen sich ganz und gar von denen der Weltleute unterscheiden.⁵⁰ Die Novizen mögen von einem Magister ins Ordensleben eingeführt werden. Das Betreten der Kammer eines anderen ist ihnen verboten. Es sollen Inventare angefertigt und alle sechs Monate überprüft und gegebenenfalls erneuert werden. Ein besonderes Anliegen waren dem Generalprior die Studien. Der Tod ist der Sünde Sold, schrieb er den Römerbrief (6,23) zitierend an das Kloster in Padua,⁵¹ das ein Generalstudium beherbergte, „die Ignoranz aber ist die Begleiterin der Sünde … Wie die Ignoranz der Tod der Seele ist, so ist die Weisheit deren Leben.“ Hier ließ er Jesus Sirach anklingen (4,12). Er wusste aber, dass die Ignoranz oder die Blindheit als Folge der Ursünde ein Gedanke ist, den Augustinus häufig vorbringt. „Um die Worte meines heiligen Vaters Augustinus zu gebrauchen“, sagte er in der Rede über das Goldene Zeitalter:⁵² „den ersten Menschen war es gegeben, die Natur der Dinge zu erkennen, da ihr Verstand nicht wie der unsere in die Dunkelheiten der Ignoranz eingehüllt war“. Egidio dachte wahrscheinlich an Augustins Werk über die Strafe und Nachlassung der Sünden, in dem der Kirchenvater darlegt, dass Adam fähig war, das Gebot zu erfassen und imstande, der Gattin und sämtlichen Lebewesen Namen zu geben, während wir jetzt mit dem Psalm 24/25,7 beten müssen: Der Vergehen meiner Jugend und meiner Unwissenheit gedenke nicht.⁵³ Die Mehrung des Wissens ist nach Egidio also eine Minderung der Folgen der Erbsünde. Wenn auch die „Litterarum sacrarum studia“ den ersten Platz im Bildungskanon Egidios einnehmen, so macht sich doch der Einfluss des Renaissance-Denkens bemerkbar. Ein Dekret des Generalkapitels, das 1507 in Neapel tagte, ordnete an, dass zwei Magistri die Novizen unterrichten sollten: Der erste war dazu bestimmt, die jungen Leute die guten Sitten zu lehren, die Furcht des Herrn und die Regel Augustins; der zweite sollte sie in die lateinische Sprache einführen und, wenn er dazu fähig ist, auch in die griechische.⁵⁴
47 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 163 S. 275. 48 Ebd., Nr. 69 S. 164, an den Prior in Paris Magister Pierre Gérard (7. September 1507?). 49 Constitutiones. Capitulum XXIV (wie Anm. 12), Nr. 166 S. 75. 50 G i l e s of Viterbo, Letters, hg. von O’ R e i l ly (wie Anm. 7), Nr. 120 S. 228, an den Prior von Perugia F. Tobias, Cimino (19. 7. 1509). 51 Ebd., Nr.52 S. 134, an das Kloster in Padua, Padua (24. 2. 1507). 52 O’M a l l e y, Fulfillment (wie Anm. 18), S. 284. 53 Au re l i u s Augu s t i n u s, Schriften gegen die Pelagianer. Lateinisch Deutsch, Bd. 1, hg. von A. Ku n z e l m a n n / A. Zu m ke l l e r, Würzburg 1971, S. 158f. 54 Diffinitiones Capituli Neapoli anno Domini M.D.XXXIX, XXVIII Maii, in: Analecta Augustiniana 9 (1921/22), S. 67f. Diese 27. Definition des Kapitels 1539 wiederholt die des Kapitels 1507.
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Waren die energischen Bemühungen Egidios um die Reform des Ordens – John W. O’Malley spricht von „fierce and driving energy“⁵⁵ – vergebens? Sehr viele Augustiner der verschiedenen Provinzen, so sagt der andere große Kenner Egidios, F. X. Martin,⁵⁶ fanden den Wind der Veränderung, der über Europa hinwehte und von dem Augustiner Martin Luther angeblasen war, sehr angenehm, waren überaus empfänglich für die neuen Ideen. Martin Luther meinte 1531 in einer Tischrede, dass sogar Egidio, den er „vir valde doctus“ nennt, sein Gesinnungsgenosse war. Habe er doch aufs Heftigste vor den Römern gegen den Papst und das römische Unwesen gepredigt.⁵⁷ Dasselbe behauptete er noch einmal 1536 in Anwesenheit von Liborius von Magdeburg und Georg Spalatin: Es seien „Etliche zu Rom gewest, die ihre Büberey und Bosheit angestochen und gestraft haben, wie Herr Ludovicus, ein Barfüßermönch, und Egidius, ein Augustiner …“.⁵⁸ Zwar hat Egidio einzelne Päpste kritisiert,⁵⁹ hielt aber an der von den Augustinern Aegidius Romanus, Jacobus von Viterbo und Augustinus von Ancona vorgezeichneten Linie fest, der Doktrin nämlich von der monarchischen, fast absoluten Macht der Päpste über die Kirche.⁶⁰ An der Kontroverse um Luther nahm Egidio überhaupt nicht mehr teil. Er hatte sein Amt als Generalprior schon aufgegeben, als Rom von den Vorgängen in Deutschland Kenntnis nahm, und andere Aufgaben nahmen ihn in Anspruch: die des Nuntius in Spanien und Portugal und die des Bischofs von Viterbo. Egidios theologisches Interesse war völlig in Anspruch genommen vom Studium der jüdischen Literatur.⁶¹ Es war einer der Schüler Egidios, Girolamo Seripando, der 1538 Nachfolger seines Meisters im höchsten Leitungsamt des Ordens wurde und Egidios Reformbemühungen mit gleicher Energie fortsetzte, den Orden in den Mittelmeerländern stabilisierte und als herausragender Teilnehmer am Konzil von Trient die Auseinandersetzungen mit der Lehre Luthers führte.⁶² Im Spanien des 16. Jahrhunderts kamen die Augustiner sogar zu hoher Blüte, erlebten ein Goldenes Zeitalter mit Männern wie den Heiligen Alfons von Orozco und Thomas von Villanova, mit Gelehrten wie Luis de Leon und Missionaren wie Francisco de la Cruz.⁶³
55 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 149. 56 M a r t i n, Friar (wie Anm. 1), S. 116. 57 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 2, Nr. 2174. 58 WA.TR 3, Nr. 3478. 59 O’M a l l e y, Giles (wie Anm. 3), S. 84. 60 Ebd., S. 65 61 Ebd., S. 5f. 62 H. Je d i n, Girolamo Seripando. Sein Leben und Denken im Geisteskampf des 16. Jahrhunderts, Würzburg 1937 (Cassiciacum 2–3). 63 D. G u i té r re z, Die Augustiner vom Beginn der Reformation bis zur katholischen Restauration 1518 –1648, Rom 1975 (Geschichte des Augustinerordens 2), S. 108.
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Um es nochmals in wenigen Worten zusammenzufassen: 1506 ernannte Julius II. den Egidio da Viterbo zum Generalprior des Augustiner-Eremitenordens. Der war vertieft in die Betrachtung göttlicher Dinge, in das Studium Platons und jüdischer Schriften, weswegen er sich gegen die Ernennung sträubte. Der Papst war unnachgiebig, und so nahm Egidio die gestellte Aufgabe, die Reform des Ordens, auf sich und erfüllte sie mit Energie. Da nach Meinung des Augustiners die Geschichte eine stete Abwärtsentwicklung war, war ihm Reform Rückführung zu ursprünglicher Höhe. Das galt für Kirche und Orden. Angesichts der tiefsinnigen Geschichtsphilosophie, die Egidio entwickelt hatte, überraschen ein wenig die höchst einfachen Anweisungen, die Egidio seinen Mitbrüdern gab, um den Orden zu reformieren. Sie betrafen das gemeinsame Leben, das sich im gemeinsamen Gebet, in gemeinsamer Mahlzeit verwirklichte. Mit großem Eifer förderte er die Studien. Mit den Lehren des deutschen Augustiner-Eremiten Martin Luther, den er möglicherweise persönlich kennen gelernt hatte, setzte er sich nicht auseinander, da er nicht mehr Generalprior war, als die Luthersache in Rom bekannt wurde. Andere Aufgaben nahmen ihn in Anspruch.
Laura Ronchi De Michelis
Die Reform vor der Reformation Der „Libellus“ von Quirini und Giustiniani und die „Oratio“ von Giovanni Francesco Pico della Mirandola Als das Konklave im Jahr 1513 einen noch jungen Spross der Familie Medici (geb. 1475) zum Papst wählte, glaubten diejenigen, die seit Langem eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern anstrebten, der erwartete Zeitpunkt sei tatsächlich gekommen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, zuletzt Julius II., gelangte Giovanni deʼ Medici in redlicher Weise und ohne simonistische Praktiken auf den Heiligen Stuhl, und auch dank seines Rufs als gelehrter und sanftmütiger Mann ließ er die Hoffnung aufkommen, dass er kein Krieger, sondern ein Hirte sein würde. Im Übrigen war die weltliche Herrschaft der Kirche nie so stark gewesen wie unter Julius II., der seinen Nachfolgern „eine derartige politisch-militärische Staatsmacht“ hinterließ, „dass jeder entmutigt wurde, der die monarchische und italienische Grundstruktur des Kirchenstaates in Frage stellen wollte“. Pellegrini bemerkt, dass Julius II. „einen beispiellosen historischen Erfolg“ erlangt hatte, „denn es war zu seiner Zeit, dass das Papsttum einen point of no return im Prozess der Verwurzelung in Italien erreicht hatte … Indem er die von seinen Vorgängern in Kleinarbeit eingeholten Resultate stabilisierte, legte er die definitive Konfiguration des Papsttums als eine doppelgesichtige Monarchie fest: Sie blickte auf der einen Seite auf die ganze Welt, die sie mit den Augen des geistlichen Lebens und der Diplomatie betrachtete, doch auf der anderen war sie zwanghaft auf ihren mittelitalienischen Staat fixiert.“¹
Es handelte sich um einen Prozess, der Mitte des Jahrhunderts zuvor durch die Niederlage der weltlichen Mächte und des niederen Klerus ausgelöst worden war, die im Jahr 1437 in Basel zunächst die Oberhand gewonnen zu haben schienen und scheinbar in der Lage waren, im Leben der Kirche das demokratische und konziliare Ideal zu verwirklichen, zu dem die Dekrete von Konstanz versucht hatten zurückzufinden. Obwohl schwerwiegenden Beschuldigungen ausgesetzt, war es Eugen IV. dann aber nicht nur gelungen sich durchzusetzen, sondern im Konzil von Ferrara und Florenz auch den Primat Petri und seiner Nachfolger zu verkünden und am Schluss von „Laetentur coeli“ (6. Juli 1439) einfügen zu lassen. Dieses Dokument wurde – zumindest theoretisch – auch von der Ostkirche anerkannt. Die Beilegung des Schismas
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 M. Pe l l e g r i n i, Il papato nel Rinascimento, Bologna 2010, S. 125. DOI 10.1515/9783110316117-018
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schien bald jeder Möglichkeit und jeder Grundlage beraubt,² doch die Behauptung des römischen Primats als Ergebnis nicht eines einheitlichen und einvernehmlich Plans, sondern von politisch-diplomatischen, an kontingente Interessen gebundenen Vereinbarungen führte letztlich dazu, dass die Bedürfnisse der Kirche auf die Notwendigkeit der Verteidigung des päpstlichen Absolutismus und die libertas Italiae auf die libertas ecclesiae zurückgeführt und damit in Einklang gebracht wurde. Der Papalismus triumphierte, und der Konziliarismus erlitt seine endgültige Niederlage. „Nachdem er im Laufe des 15. Jahrhunderts wieder zentrales Kulturelement im römischen Zentralismus geworden war, stellte der Papalismus die ekklesiologische Matrix zur Verfügung, aus der die Anlage der päpstlichen Monarchie im absolutistischen Sinne stammte, wie sie sich in der katholischen Kirche von der Renaissance bis zur Moderne entwickeln konnte, ohne noch auf nennenswerte juristische Hindernisse zu stoßen.“³ Was den geistlichen Bereich anbelangt, so wechselten einander Prophezeiungen und Hoffnungen, Appelle an eine reformatio in capite et in membris, gelegentlich auch die Ankündigung jenes papa angelicus ab, von dem schon seit Langem die Rede war, und die Erwartungen konzentrierten sich auf die Arbeiten des von Julius II. im Lateran einberufenen Konzils, das mit den leidenschaftlichen Worten Egidios von Viterbo eröffnet wurde und in der Vorstellung vieler der Zeitpunkt war, zu dem dies alles endlich Gestalt annehmen würde. Dass es sich dagegen in dieser Hinsicht um ein Scheitern auf der ganzen Linie handelte, war bereits den Zeitgenossen klar, und es sei hier nur an das Urteil Erasmusʼ von Rotterdam erinnert, der im März 1522 an Willibald Pirckheimer schrieb: „de conciliis non ausim aliquid dicere, nisi forte proximum concilium lateranensem concilium non fuit“.⁴ Es war nicht leicht, ihm zu widersprechen: Die getroffenen Entscheidungen waren, insgesamt betrachtet, von geringer Bedeutung und blieben überwiegend tote Buchstaben. Gewiss, es war über viele wichtige Themen gesprochen worden, über Reformen und religiöse Erziehung, die Zensur von Büchern und kirchliche Besitztümer, über die Ernennung von Bischöfen und über das Predigen (das im Übrigen zahlreichen Verboten und strengen Kontrollen unterlag, wobei demjenigen, der eschatologische Themen berührte, die Exkommunikation drohte).⁵ Und wenn sich eine Leitlinie durchgesetzt hatte, dann war es die der Unterstellung aller Dinge unter die Autorität, die Kontrolle und die Entscheidung des Papstes.
2 Zum Konzil von Florenz vgl. J. G i l l, The Council of Florence, Cambridge 1959. 3 Pe l l e g r i n i, Il papato (wie Anm. 1), S. 32. 4 Opus epistolarum Des. E r a s m i Roterodami, Bd. 5: 1522–1524, hg. von P. S. A l l e n / H. M. A l l e n, Oxford 1924, ep. 1268, S. 32–35, hier S. 33 Z. 35f. 5 „Bulla circa modum praedicandi“, in: Acta Conciliorum et Epistolae Decretales ac Constitutiones Summorum Pontificum, Bd. 9, Parisiis 1714, Sp. 1806–1809.
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Dennoch ist es das Fünfte Laterankonzil, um das zwei zeitgenössische Texte kreisen, die das Problem der Gesamtreform der Kirche unter verschiedenen Blickwinkeln konkret in Angriff zu nehmen scheinen: der „Libellus ad Leonem X“ der Kamaldulensermönche Paolo Giustiniani und Pietro Quirini⁶ und die „De reformandis moribus Oratio“ von Giovanni Francesco Pico, Graf von Mirandola⁷. In beiden drücken sich die Autoren mit großer Härte aus, ohne über die zahlreichen Gründe für Skandale und Unzufriedenheit zu schweigen, in der Absicht, ein umfassendes und organisches Programm zu umreißen, das auch Teilen früherer Vorschläge Rechnung trägt und das die zahlreichen Aspekte analysiert, in denen das Reformwerk Gestalt annehmen sollte. Der „Libellus“ ist Leo X. gewidmet und wurde wahrscheinlich zwischen Juni und Juli des Jahres 1513 abgefasst. Er gliedert sich in sechs Teile,⁸ in denen dem Papst ein globaler Plan vorgeschlagen wird, der die ganze Welt betrifft und sich einerseits die Bekehrung der gesamten Menschheit zum Ziel setzt und andererseits die Befreiung der Kirche von jeder weltlichen Abhängigkeit mit der endgültigen und proklamierten Anerkennung des Papstes als einzigem Bezugspunkt für alle Menschen und für die gesamte Ökumene: „Quemadmodum enim unus in Coelis est omnium Dominus Jesus Christus, ita unum in Terris, qui ejus vices gerat, reliquit Petrum, Petrique legitimum successorem … Te enim vere hodie constituit Dominus super gentes, et regna, super gentes scilicet universas, quae sub Coelo sunt, et super omnia Regna Mundi hujus, ut tuo arbitrio evellas et destruas disperdas et dissipes, et aedifices et plantes“.⁹
Der Reform der Kirche ist der fünfte Teil gewidmet, der umfassendste des „Libellus“ (Spalten 668–714). In sehr expliziter Weise setzen sich die Autoren hier mit den zahlreichen Aufgaben auseinander, die Leo X. zu erledigen hätte, sobald er (auf dem zuvor beschriebenen Weg) Herrscher über eine mächtige Kirche geworden wäre, die
6 Paolo G i u s t i n i a n i / Pietro Q u i r i n i, Libellus ad Leonem X Pontificem Maximum, ed. J. B. M i t t a re l l i / A. C o s t a d o n i, Annales Camaldulenses, IX, Venetia 1773, Sp. 612–719. Der Frage nach der Urheberschaft des Textes soll hier nicht nachgegangen werden. Vielmehr wird diesbezüglich auf die umfassende Arbeit von E. M a s s a, Una cristianità nell’alba del Rinascimento. Paolo Giustiniani e il ‚Libellus ad Leonem X‘ (1513), Genua-Mailand 2010, und auf die dort zitierten Werke verwiesen. 7 Giovanni Francesco P i co D e l l a M i r a n d o l a, Ad Leonem Pontificem Maximum et Concilium Lateransem de reformandis moribus oratio, Hagenau 1520. 8 „Prima. Pontificis Potestatem, ejusque officium ostendit; Secunda. Judaeos, et Idolatras ad Fidem vocandos suadet; Tertia. Mahumetanos aut convertendos, aut in pugna vincendos proponit; Quarta. Septem Christianorum Nationes, quae a Romana Ecclesia sunt divisae, Capiti uniendas dicit; Quinta. De Christianorum omnium, qui Romano oboediunt Pontifici, reformatione agit; Sexta. Temporale Ecclesiae Imperium per universas Infidelium regiones augendum hortatur“.G i u s t i n i a n i / Q u i r i n i, Libellus (wie Anm. 6), Sp. 614. 9 Ebd., Sp. 617.
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sich von jeder Abhängigkeit von weltlichen Befugnissen befreit hätte. Obwohl sie die Unwissenheit und den Aberglauben der Ordensleute als das Hauptübel nennen, sozusagen als den Ursprung aller Übel der Kirche, halten Quirini und Giustiniani die Beilegung der Konflikte, die die christlichen Fürsten einander entgegenstellen, für prioritär und legen dem Papst nahe, deren Aggressivität und Gier gegen die reichen Länder im Orient zu lenken. Nachdem er sie aus Italien weggeschickt hätte, könnte Leo die volle Kontrolle über das religiöse und zivile Leben übernehmen und behalten (einschließlich der Gerichtsbarkeit, dank der Einführung eines schnellen „giudizio sommario di equità“ anstatt der langen und aufwändigen Überprüfung der Unterlagen¹⁰) und schließlich gelassen, mit den geeigneten Mitteln und mit sicherem Erfolg, die Heilung der vielen Übel, die die Christenheit vergifteten und die ihren Ursprung bei den Ordensleuten hätten, in Angriff nehmen. Die wichtigsten der vielen Übel werden im Text sorgfältig aufgelistet: „ignorantia, superstitio, dissensio, ambitio, avaritia, divitiarum abundantia, et propriarum regularum, professionumque minor, quam deceat, observantia … Horum autem, quae numeravimus, maximum et malorum omnium caput, causamque ignorantiam esse, nemo est qui possit ambigere“.¹¹ Quirini und Giustiniani schlagen also ein wirkungsvolles Programm vor, das als Reform der Ausbildung bezeichnet werden kann, ein sehr detailliertes Programm, das auf die drastische Kontrolle und die Einschränkung des Wissens gerichtet ist.¹² Die Neuordnung des Studiums, so die Autoren, müsse sich um die Kenntnis der Heiligen Schrift drehen, wobei die Kommentare zu den biblischen Texten als potentiell gefährlich auszuschließen seien und das Erlernen der lateinischen und der griechischen Sprache auf ein Mindestmaß beschränkt werden müsse. Auch müssten Priestern und Mönchen die klassischen Autoren und jede heidnische Disziplin verboten werden; die Kunst der Dialektik zu erlernen sei unnötig und die Kenntnis der Dichter und Philosophen gar schädlich. Vorrang müsse dagegen den sorgfältig revidierten Werken christlicher Autoren eingeräumt werden, und auch die Dekrete der Kirchenväter sowie die heiligen Canones seien zu überprüfen. Es müsse für eine strenge Zensur jeder Schrift gesorgt werden, die Texte der modernen Autoren und die Werke der Polemiker seien zu verurteilen, die Bücher über Wahrsagekünste und Medizin gehörten auf den Scheiterhaufen, und zu missbilligen seien schließlich auch jene Bücher frommen Inhalts – wie die fantasievoll ausgeschmückten Viten der Heiligen und der Kirchenväter –, die ohne Ordnung gelesen würden und ohne das Gute vom Bösen zu unterscheiden. An jedem Studienort müsse es einen Lehrstuhl für Theologie geben, wo „non hanc Parisiensum cavilliosiorem disciplinam, sed puram illam Sanctarum, Canonicarumque Scripturarum Doctrinam doceant … Cum vero om-
10 Ebd., Sp. 673. 11 Ebd., Sp. 675. 12 Ebd., Sp. 676–688.
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nis Christiana Disciplina duplex sit: alia, in qua ea, quae nos credere, quae sperare, quae amare debeamus, doceri possumus; alia vero, in qua quid agere, quid evitare conveniat, unusquisque instituitur“.¹³ Die Theologie geht folglich Hand in Hand mit der Kenntnis des Kirchenrechts, das jedoch zu revidieren und von seinen Widersprüchen zu befreien sei, wobei die kirchlichen und die zivilrechtlichen Gesetze in einem Band ohne Untergliederungen und Überschriften zusammengefasst werden müssten, mit dem Verbot, dazu Anmerkungen, Kommentare oder Glossen zu verfassen beziehungsweise sie zu erweitern. Gleichermaßen zweckmäßig für das korrekte Verständnis der Glaubensfundamente sei es, die Entscheidungen der vier ökumenischen Konzile in einem einzigen Band zu veröffentlichen. Der Plan der Autoren, der die Bildung des Klerus so massiv beschneidet und unter einem Berg von Verboten begräbt, ja der entschieden die Auseinandersetzung mit den neuen studia humanitatis ablehnt, die damals die Republik der Gelehrten begeisterten, schließt unerwartet mit einem ausgesprochen revolutionären Vorschlag für die Überwindung der Unwissenheit: „unum tamen est, quod etsi superioribus contrarium esse videbatur, patienter tamen Te audire, Beatissume Pater, optamus … Cogitavimus enim saepius, nihil magis omnes homines de Divinis, humanisque rebus instruere posse, quam Sacrosanctam veteris, novique Testamenti Scripturam … quid, Quaeso, prohibet, antiquiorum Patrum mores imitar, et ex minus noto ad notiorem sermonem sanctam ipsam Scripturam convertere? … ita nunc ex Latino in vulgarem sermonem conversas Scripturas ad populorum aedificationem legere … Omnis enim Scriptura, Apostoli testimonio, utilis est ad docendum, ad instruendum, intelligentes quidem, non autem eos, qui non intelligunt“.¹⁴
Die Heilige Schrift in der Volkssprache zu lesen und zu vermitteln, würde, so Quirini und Giustiniani, nicht nur zur bewussten Erbauung der Gläubigen beitragen, sondern auch zur Überwindung des Aberglaubens, der gerade wegen der Unwissenheit so stark verbreitet sei. Der Papst hätte den Autoren zufolge also eine umfassende Unterdrückungskampagne gegenüber den Wahrsagekünsten einleiten und nicht nur die Bücher über Astrologie, Wahrsagungen und falsche Medizin auf dem Scheiterhaufen verbrennen müssen („quae nihil aliud sunt quam … laquei inextricabiles, quibus tanto facilius, liberiusque Christianos populos in miseram captivitatem retinere Diabolus solet“¹⁵), sondern mit ihnen auch diejenigen, die sie verbreiteten und praktizierten. Der zu bekämpfende Aberglaube niste jedoch, so die Autoren weiter, auch im Inneren der Kirche, wo sich perverse, an Heidentum und Götzendienst grenzende
13 Ebd., Sp. 678. 14 Ebd., Sp. 681f. Quirini und Giustiniani vertreten die Auffassung, der Gebrauch der Volkssprache müsse auch auf alle öffentlichen Urkunden ausgedehnt werden. Notare und Amtspersonen seien entsprechend zu zwingen, in jeder Urkunde auf die lateinische Sprache zu verzichten, sodass die Vertragsparteien und die Zeugen ihre Interessen wahren könnten (Sp. 683). 15 Ebd., Sp. 685.
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Praktiken gebunden an Bilder, Reliquien, private Messen und Exvoten unter dem Deckmantel der Verehrung verbärgen und wo viele nicht göttlichen Geboten – wie Abstinenz, Fasten oder Eide – häufig nicht eingehalten würden, was zur Sünde führe und die Entfernung der Gläubigen von Christus zur Folge habe.¹⁶ Ausgehend von den tatsächlichen Umständen, unter denen sich ihrer Meinung nach das Leben und das Zeugnis der Kirche abspielt, von denen sie ein trostloses Bild zeichnen, schlagen Quirini und Giustiniani nun einen ebenso radikalen Eingriff in die Orden und die kirchliche Hierarchie vor. Die Reform der Orden müsse im Zeichen der Vereinheitlichung aller religiösen Orden stehen und als einziges, sicheres Mittel betrachtet werden, das die Abschaffung aller Streitigkeiten, jeglicher Zwietracht und jedes Schismas gewährleiste. Folglich seien die unterschiedlichen Orden abzuschaffen, und es müsse die strenge Einhaltung der Regel sowie für eine einheitliche Bezeichnung, Bekleidung, Pflichten, Frömmigkeitsform, Lebensstil und Kost gesorgt werden, dazu für strengste Strafen für jeglichen Ungehorsam. Der Papst müsse außerdem alle religiösen Institutionen einer eingehenden Überprüfung unterziehen und darüber entscheiden, welche zu verändern, welche zu missbilligen und welche schließlich aufzulösen seien. Und obwohl sie jede Entscheidung als dem Papst obliegend bezeichnen, fühlen sich Quirini und Giustiniani veranlasst, gleich zwei von diesen Institutionen anzuprangern, „quas sacri canones damnant, quas singulis annis in Coena Domini ecclesia improbat, atque anathematizat, sicut Beguinarum ordo, qui in Gallia viget, aut eorum, qui Fraticelli de Opinione appellantur, qui Sabauciam Pedemontanamque regionem misere corrumpunt“.¹⁷ Was die Mönche anbelangt, so sollten sie nur in ihren Klöstern leben, die Plage der Wanderschaft sei also abzuschaffen; und auch die Nonnen seien zu strenger Klausur zu verpflichten. Alle sollten sich unterschiedslos dem Bischof unterordnen, der in der Nähe sei und sie besuchen, kontrollieren und ihre Fehler verbessern könne. Strenge Verhaltensregeln seien schließlich auch den Laienbrüdern und -schwestern aufzuerlegen, vor allem den Letzteren. Mit bedecktem Haupt und ungeschminkt sollten die Frauen in der Kirche von den Männern getrennte Plätze einnehmen. Indem sie die seelsorgerlichen Aufgaben der Bischöfe bekräftigen – die ihrerseits durch die Kardinäle zu überprüfen seien, die sie bei Nichterfüllung ihrer Pflichten absetzen könnten –, unterstreichen die beiden Kamaldulenser erneut die Notwen-
16 Ebd., Sp. 686–692, 705. Es ist erstaunlich, in welchem Einklang sich dieser Teil mit dem befindet, was Martin Luther in einer nunmehr völlig veränderten Situation im Jahr 1521 in der „Ad librum eximii Magistri Nostri, Magistri Ambrosii Catharini, defensoris Silvestri Prieritatis acerrimi Responsio“ schreibt. D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 7, S. 705–778 (vgl. Martin Lu t e r o, Opere Scelte, Bd. 3: Replica ad Ambrogio Catarino sull’Anticristo, hg. von L. R o n c h i D e M i c h e l i s, Torino 1989, S. 122–127). 17 G i u s t i n i a n i / Q u i r i n i, Libellus (wie Anm. 6), Sp. 701.
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digkeit, dass zu dieser Würde ehrbare und rechtschaffene Männer gelangten, die moralisch integer seien und über eine ihrem Amt angemessene kulturelle Bildung verfügten, die durch strenge Prüfungen kontrolliert werden müsse. Nach der Klarstellung der wichtigsten Eckpunkte der Reform in membris – um die Metapher vom Haupt und von den Gliedern des Körpers der Kirche wiederaufzugreifen – wenden sich Quirini und Giustiniani den eigentlichen Aufgaben des Papstes zu, von dem die rechte Ordnung und das korrekte Verhalten der kirchlichen Hierarchie abhänge, wobei sie mehrfach die Pflicht und die Notwendigkeit herausstellen, dass er mit seinem Beispiel vorangehend Richtschnur und Anreiz für die ganze Kirche sein solle. Nur wenn er ein untadeliges Leben verkörpere, könne es ihm gelingen, die uneingeschränkte Einhaltung der Gesetze der Kirche durchzusetzen und einflussreich über die Inhaber aller kirchlichen Ämter zu wachen, von denen er jeden einzelnen auswähle. Die Reform der Hierarchie und der Kurie in all ihren Gliedern ist grundlegend und unaufschiebbar, doch alles dreht sich um die Figur des Papstes und hängt von seiner Initiative ab. Die ihm zuerkannte absolute Oberhoheit wird nicht einmal durch die Empfehlung beeinträchtigt, jedes Jahr die Synoden und die Generalkapitel abzuhalten und alle fünf Jahre ein Konzil einzuberufen, auch ein ökumenisches, zu dem, wie kühn vorgeschlagen wird, einzuladen sei, „qui Christiano nomine censentur, et illi, qui magis, quam reliqui omnes, reformatione indigent, nimirum Graeci homines, atque sex aliae Christianorum Nationes“.¹⁸ Quirini und Giustiniani sind sich sicher, so kann abschließend festgestellt werden, dass sich, wenn der Papst ihren Empfehlungen Folge leistet, die zahlreichen Erwartungen an das Laterankonzil erfüllen würden, und dass mit dem glücklichen Abschluss des Konzils die so lange erwartete Reform der Kirche beginnen könne: „Hoc est, Sanctissime pater, Ecclesiae Dei curam habere, jura Ecclesiae tueri; … hoc est beati Petri domum, quam destructam, desolatamque, ac totam pene solo miserabiliter aequatam accepisti, reparare et erigere, ut in sanctum vivis ex lapidibus aedificium ad coelum usque consurgat“.¹⁹ Die Lektüre dieses umfassenden, in einigen Passagen entschieden kühnen Vorschlags zur Umstrukturierung der Kirche hinterlässt beim Leser einen sonderbaren Eindruck. Einerseits wird sofort klar, dass fast alle vorgeschlagenen Maßnahmen völlig unanwendbar sind, vor allem diejenigen, die am wirkungsvollsten und am notwendigsten gewesen wären. Andererseits zeigt sich eine schwer zu rechtfertigende Diskrepanz zwischen der wiederholten Behauptung, die Kirche sei eine Glaubensgemeinschaft und nicht ein weltliches Reich, der Papst habe sich um die Seelen und nicht um die Ausweitung seiner Herrschaftsgebiete zu kümmern, nicht das Gold und das Silber seien wichtig, sondern die Missionare (und so weiter), und der Tatsache, dass sich dann alles um die Stärkung des weltlichen Reiches und um die zeitliche
18 Ebd., Sp. 708. 19 Ebd., Sp. 714.
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Macht dreht und davon abhängt. Diese hat der Papst nicht nur zu festigen und mit allen Mitteln zu verteidigen, sondern vielmehr so weit auszubauen, dass er sich jedem Fürsten gegenüber durchsetzen könne und konkret die gesamte Welt beherrsche. Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, wie nun diese enormen Bemühungen von Quirini und Giustiniani zu verstehen sein sollen. Als ein Versuch, endlich von der reformatio in membris, die bereits durch den beachtlichen Einsatz der religiösen Orden, durch die Observanzbewegung, durch die kulturelle Erneuerung und durch die unter den Laiensschwestern und -brüdern verbreitete religiöse Sensibilität eingeleitet worden ist, zur reformatio in capite überzugehen, die durch die Niederlage des Konziliarismus unmöglich zu werden drohte? Oder, wie Pellegrini vorschlägt, als die weitsichtige Überwindung des „unterdessen sklerotisierten Schemas der ‚Reformation an Haupt und Gliedern‘, um das Papsttum dazu einzuladen, ökumenisch den Blick auf den gesamten Planeten zu weiten wie auf ein riesiges Saatfeld, das mit missionarischer Kühnheit zu bebauen war“?²⁰ Oder aber, wie Vasoli nahelegt, als eine Fiktion, eine Art Spiel der Beteiligten, wobei Leo X. nicht nur der Adressat, sondern auch der Auftraggeber eines Plans wäre, der ihn als einzige, legitime Macht der gesamten Ökumene darstellt und als Protagonist und Motor der Kirchenreform, die die vielen Feinde Roms auf polemische Weise in Angriff nehmen wollten?²¹ Meiner Meinung nach ist dies eine Annahme, die nicht von der Hand zu weisen ist. Einige Themen, die von den beiden Kamaldulenserbrüdern behandelt wurden, tauchen auch in der kurzen „Oratio“ auf, die Giovanni Francesco Pico della Mirandola im März 1517 an den Papst richtete, als sich das Konzil schleppend dem Ende zuneigte.²² Wahrscheinlich nahm der Papst nie von der „Oratio“ Kenntnis. Sie ist jedoch besonders interessant, weil sie in jenen Florentiner Kreisen ihren Ursprung hat, die die savonarolische Erfahrung nie verleugnet hatten und von denen ausgehend sich neue Stimmen erhoben, die im Einklang mit der des verurteilten Bußpredigers standen.²³ Als Anhänger von Savonarola und unermüdlicher Verfechter seiner Ideen fordert Giovanni Francesco Pico den gewählten Papst auf „non malibus artibus, non pudendis, ut plaerique olim pactionibus et mercimoniis, qui per summum dedecus summum decus appetivere“,²⁴ sich die Gelegenheit des Konzils nicht entgehen zu lassen, um die Übel der Kirche zu heilen, und präsentiert ihm einen Plan zur Erneuerung der Sitten und des christlichen Lebens, zur moralischen und geistigen Reinigung des
20 Pe l l e g r i n i, Il papato (wie Anm. 1), S. 196. 21 C. Va s o l i, Gianfrancesco Pico e l’„Oratio de Reformandis Moribus“, in: Patrizia C a s t e l l i (Hg.), Giovanni e Gianfrancesco Pico. L’opera e la fortuna di due studenti ferraresi, Firenze 1998 (Pubblicazioni dell’Università di Ferrara 6), S. 229–260, hier S. 236f. 22 P i co, Ad Leonem (wie Anm. 7). 23 Va s o l i, Gianfrancesco Pico (wie Anm. 21), S. 238–242. 24 P i co, Ad Leonem (wie Anm. 7), S.6.
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gesamten Klerus, welche nicht so sehr durch die Einführung neuer Normen erfolgen solle, sondern vielmehr durch die Neubesinnung auf die alten Gesetze und deren (auch mit Gewalt durchzusetzende) Einhaltung: „Nova consulta atque Decreta neutique aspernor, sed veterum custodiam sanctionum in primis duco necessariam, ad ea quae iam prolapsa defluxerunt piis primum instauranda moribus saeveris deinde legibus vincienda, adeo ut Censoribus, ut vindicibus legum ipsarum atque assertoribus magis quam legislatoribus opus esse non negem“.²⁵ Der Aspekt, der Pico am meisten mit den Autoren des „Libellus“ vergleichbar macht, ist die Auflistung der zahlreichen Laster, die die Kirche verunstalten. Seiner Meinung nach muss die Reform genau bei den alten Normen zur Moral ansetzen, als vorrangiges Ziel die Wiederherstellung der christlichen Ethik haben und sich die Apostel zum Vorbild nehmen, deren in jeder Hinsicht unbescholtenes Leben für die Verbreitung des Glaubens wesentlich wirksamer gewesen sei als die Waffen Konstantins.²⁶ Der Verlust der alten Tugend habe dazu geführt, dass in die respublica christiana die Übel Eingang gefunden hätten, die sie nun zu ersticken drohten: der Geiz, die Gier, die Wollust, der Prunk, die Simonie, die Nachlässigkeit und die Unwissenheit über die heiligen Dinge. Wie Johannes Chrysostomos geht Pico davon aus, dass jedes Übel vom Klerus komme und dass der Papst folglich beim Klerus mit seinem Werk beginnen müsse: „Pater Sanctissime, … plane constitues ut leges iam rite positae, poenae saltem formidine custodiantur, dabisque operam exemplo non solum et innocentia vitae, sed animadvertionis in alios, ne quicquid collibitum fuerit impune fecisse audeant improbi“.²⁷ Nur abschließend und als Phase nach der Wiederherstellung der Disziplin empfiehlt Pico einige wenige Maßnahmen, darunter die Erneuerung des Bibelstudiums, das – anders als im „Libellus“ – „utriusque Instrumenti recognoscendae, et cum antiquis et castigatis primae originis exemplaribus conferendae, ut ab erratis quae vitio temporum et librariorum incuria, in illas irrepserunt omnino purgent, … et verae historiae ab apocryphis nugis segregandae [sunt]“²⁸ vorsehen solle. Die Reform ist für Pico also eine Rückkehr zu den Ursprüngen, zu jener wirklichen Christlichkeit, die nur aufgrund einer nachlässigen und schuldbeladenen Hierarchie degenerieren und verderben konnte. Auch für Pico liegt diese Reform ganz in den Händen des Papstes, und von ihrer Umsetzung wird nicht nur die Einheit der Kirche abhängen, sondern auch ihre universelle Ausbreitung. Der Papst müsse jedoch ein Hirte sein und kein Krieger – ein Papst, der die Feinde des Glaubens nicht mit Waffen, sondern Kraft guten Beispiels für ein christliches Leben zu besiegen vermag. Der Frieden und das Ende des Widerstreits zwischen den christlichen Grundsätzen sind
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Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 13f. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16.
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für Pico die Folge der Wiederherstellung einer Kirche, die predigt und den Einsatz der Gläubigen begünstigt: „eis officiis, quae mortales evehunt ad immortalem vitam, et excedentem animantium omnium vota felicitatem“.²⁹ Der „Libellus“ und die „Oratio“ klagen die Übel der Kirche ohne Heuchelei an und verleihen der verbreiteten Forderung nach einer radikalen Reform der Institution ihre Stimme. Beide jedoch stellen sich nicht so sehr als ein Vorschlag dar, dem der Übergang vom Feld der Theorie zum Feld der Praxis gelingen kann, sondern vielmehr als eine akademische Übung. Sowohl der eine als auch der andere Text bietet uns eine interessante Vorstellung davon, was man auf bestimmten Ebenen und in bestimmten Kreisen über die Kirche dachte und welche Vorschläge zur Reform des Christentums unterbreitet wurden. Sie beleuchten aber auch den enormen Abstand zu den Problemen, die Luther in Kürze aufwerfen sollte. Und die prompte, umfassende Antwort, die die ausgesprochen theologischen Vorschläge Luthers vom restlichen Europa erhalten sollten, unterstreichen sowohl die große Unsensibilität italienischer Gelehrter für theologische Themen, die andernorts als Essenz und Substanz des Glaubens wahrgenommen und mit Leidenschaft erforscht wurden, als auch „die dramatische Unfähigkeit Roms, die Herausforderungen anzunehmen, die aus der Peripherie der Christenheit kamen“.³⁰ Der Appell und die Vorschläge, die vom „Libellus“ und von der „Oratio“ ausgingen, waren nicht dazu bestimmt, Gehör zu finden, und auch nicht dazu, befolgt zu werden. Das ist bekannt, aber es ist auch unvermeidbar in jener Phase des kirchlichen Lebens. Die Interessen des Papstes und der Kurie waren damals auf anderes ausgerichtet und, von ihrer Warte aus betrachtet, erschienen die Probleme nicht als relevant und erregten ihr Interesse auch nicht besonders. In Rom gab es viel zu tun, aber in ganz anderer Hinsicht. Am 16. März 1517 beendete Leo X. das Fünfte Laterankonzil, da „nobis per cardinales et praelatos deputationum hujusmodi relatum fuit, nulla negotia eis discutienda, examinandaque remansisse, et a pluribus mensibus citra, nulla prorsus de novo a quoquam ad eos prolata fuisse“.³¹ Die Stimmen gegen die Beendigung waren nur zwei. Hätten die Konzilsväter sich bis November geduldet – vielleicht hätten sie dann etwas Neues zu besprechen gehabt.
29 Ebd. 30 Pe l l e g r i n i, Il papato (wie Anm. 1), S. 165. 31 Acta Conciliorum (wie. Anm. 5), Sp. 1849.
Jörg Lauster
Die Wiederkehr Platons 1 Der Renaissanceplatonismus als philosophische und kulturelle Bewegung des 15. und 16. Jahrhunderts Es ist eine unverbrüchliche Gewissheit von Schul- und Lehrbüchern, dass sich die Rückkehr Platons in die abendländische Kulturgeschichte einem weltpolitischen Großereignis verdankt. 1453 fällt Konstantinopel, auf der Flucht vor den Türken gelangen byzantinische Gelehrte nach Italien und mit ihnen kostbare und dem Westen verloren gegangene Schriften Platons, Plotins und anderer Gelehrter in der Tradition des Platonismus und Neuplatonismus. Wie bei allen solchen unverrückbaren Pauschalgewissheiten ist diese Einschätzung natürlich nicht falsch, sie ist aber auch nicht richtig. Irreführend daran ist der evozierte Eindruck, als wäre Platon seit der Spätantike ganz aus der philosophisch-theologischen Tradition des Westens verschwunden. Das ist ein Irrtum, denn über die Werke von Boethius und Ps.-Dionysius Areopagita beeinflussen platonische Theorieelemente nachhaltig die mittelalterliche Theologie und Philosophie.¹ Der Platonismus wirkt zudem im Mittelalter auch als wichtiger Kulturfaktor, zu erinnern ist an die Einflüsse neuplatonischer Lichtmetaphysik auf die Entstehung der gotischen Kathedrale. Der Renaissanceplatonismus ist also in der Geschichte des Platonismus nicht als absoluter Neuanfang zu begreifen, sondern als eine eigenständige Akzentsetzung innerhalb der ohnehin nie abgerissenen Tradition des Platonismus im Abendland. Für diesen neuen Schwung ist der Fall Konstantinopels dann tatsächlich wichtig. Der wachsende osmanische Druck hat den byzantinischen Kulturtransfer nach Westen schon lange vor 1453 begünstigt.² Eine der wichtigsten persönlichen Begegnungen ist der Besuch des byzantinischen Gelehrten Georgios Gemistos Plethon in Florenz.³ Im Zusammenhang mit dem Unionskonzil trifft er 1438 dort auf den Patriarchen der Medici, Cosimo. Dieser Besuch ist höchst folgenreich für den Renaissanceplatonismus. Denn im Gefolge des Gelehrtenaustauschs gelangen unbekannte
1 Vgl. dazu immer noch grundlegend: R. K l i b a n s k y, The Continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages, London 1939. 2 Vgl. P. O. K r i s te l l e r, Platonismus in der Renaissance, in: d e r s ., Humanismus und Renaissance, Bd. 1: Die antiken und mittelalterlichen Quellen, hg. von E. Ke ßl e r, München 1974 (Humanistische Bibliothek 1,21), S. 50–68, hier S. 58. 3 Vgl. P. O. K r i s te l l e r, Byzantinischer und westlicher Platonismus im XV. Jahrhundert, in: d e r s ., Humanismus (wie Anm. 2), S. 161–176; E. Ke ßl e r, Die Philosophie der Renaissance. Das 15. Jahrhundert, München 2008, S. 96–101. DOI 10.1515/9783110316117-019
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Schriften Platons in den Westen.⁴ Allein von den Schriften Platons entstanden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Übersetzungen zur „Politeia“, den „Nomoi“, dem „Gorgias“ und Teilen des „Phaidros“.⁵ Zudem verlieh die Platonbegeisterung Cosimos dem Renaissanceplatonismus einen institutionellen Rahmen. Es klingt wie eine akademische Heiligenlegende, aber tatsächlich bestimmte Cosimo den aufgeweckten Sohn seines Leibarztes, Marsilio Ficino, zu dem, was er dann wurde: die wichtigste Gestalt des Florentiner Platonismus. Cosimo ließ dem jungen Ficino eine umfassende philosophische und vor allem auch philologische Ausbildung zuteilwerden und stattete ihn später mit den nötigen institutionellen Mitteln aus, um die entsprechenden Gelehrten aus den unterschiedlichsten Disziplinen zur Erforschung und Verbreitung der platonischen Philosophie zu versammeln.⁶ Das einst populäre Bild der Florentiner Akademie als einer an der antiken Akademie orientierten Lebensgemeinschaft ist aus vielfachen Gründen ins Wanken geraten; unstrittig ist hingegen, dass sich in Florenz maßgeblich von Ficino angeregt und Impulse der Byzantiner aufnehmend Gelehrte zusammentaten, um an einer Erneuerung der platonischen Philosophie für ihre Gegenwart zu arbeiten. Der Unterstützung durch die Medici konnten sich dabei die Florentiner Platoniker im gesamten 15. Jahrhundert gewiss sein.⁷ Aufgrund dieses kultur- und philosophiegeschichtlichen Einordnungsversuchs verschiebt sich die Fragestellung. Der Fall Konstantinopels begünstigt als Anlass das Aufkommen des Neuplatonismus, er ist aber nicht dessen alleinige Ursache. Die entscheidende Frage ist die: Warum wird der Platonismus unter tätiger Mithilfe byzantinischer Gelehrter im 15. Jahrhundert zu einer geistigen Großmacht? Die Gründe können offensichtlich nur darin liegen, dass der Rückgriff auf Platon und Plotin plausible Antworten auf drängende Fragen der Zeit zu liefern vermochte.
2 Die Wirklichkeit als Kosmos: Das Programm des Renaissanceplatonismus Der Platonismus des 15. Jahrhunderts ist der Höhepunkt einer längeren Entwicklungslinie. Schon im 14. Jahrhundert propagierte Petrarca einen Paradigmenwechsel
4 Beschränkte sich der mittelalterliche Kanon im Wesentlichen auf den „Timaios“, den „Liber de causis“ und Boethius’ „Consolatio“, so regte der Kulturaustausch eine umfangreiche Übersetzungstätigkeit an. 5 K r i s te l l e r, Platonismus (wie Anm. 2), S. 58. 6 Vgl. Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 101f. 7 Klassisch für die alte Sicht auf die Platonische Akademie in Florenz: A. d e l l a To r r e, Storia dell’Accademia Platonica di Firenze, Firenze 1902 (Pubblicazioni del R. Istituto di Studi Superiori Pratici e di Perfezionamento in Firenze. Sezione di Filosofia e Filologia 28); erhebliche Modifizierungen nimmt daran vor: A. Fi e l d, The Origins of the Platonic Academy of Florence, Princeton 1988.
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in der Philosophie. Unter dem Eindruck seiner Cicero-Lektüre sah er Platon als den Begründer wahrer Weisheit und fand damit einen Verbündeten, der es ihm erlaubte, die seiner Auffassung nach leeren Worthülsen scholastischer Spekulation zu attackieren.⁸ Was wahre Weisheit aber sein soll, das hat nicht Petrarca, sondern das haben die Platoniker des 15. Jahrhunderts mit einem Programm einzulösen versucht, das sowohl den humanistischen Protest gegen das scholastische Bildungsprogramm aufnimmt als auch aus den denkerischen Sackgassen nominalistischer Philosophie und Theologie herauszuführen versucht. Dafür spielte die Begegnung mit den byzantinischen Platonikern schon bei Nikolaus von Kues die erwähnt wichtige Rolle.⁹ Zu einer Schulrichtung emporgestiegen ist der Renaissanceplatonismus durch Marsilio Ficino. Er erschloss Europa durch seine Platon- und Plotinübersetzung über Jahrhunderte maßgeblich den Weg zu den Quellen und prägte mit eben dieser Übersetzung auch terminologisch die Debatten lange Zeit. Sein philosophisches Programm zeichnet sich durch fünf Punkte aus.¹⁰ E r s t e n s entwirft Ficino aus Elementen platonischer und neuplatonischer Philosophie ein kosmologisches Weltbild von großer Einheit. Die Welt geht hervor aus dem unerdenklichen göttlichen Einen, das sich über die Sphäre der ideellen Wirklichkeit in Stufen bis hinab in die Materie entäußert. Durch diese sich gegenseitig vermittelnden Stufen der Wirklichkeit versucht Ficino die Aporien nominalistischer Universaliendebatten aufzulösen. Ficino begreift z we i te n s die Welt als Ausfluss göttlicher
8 Zum Vorrang Platons gegenüber Aristoteles und seiner scholastischen Interpretation vgl. P e t r a r c a, De sui ipsius et multorum ignorantia. Über seine und vieler anderer Unwissenheit, übersetzt von K. Ku b u s c h, hg. von A. B u c k, Hamburg 1993, S. 119; vgl. auch K. S t i e r l e, Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, München-Wien 2003, S. 97ff.; Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 94f. 9 Nikolaus von Kues verdankt ihnen nach eigener Auskunft die entscheidende Inspiration, die ihn auf der Rückfahrt von seiner diplomatischen Mission in Byzanz Einsicht in das Programm der docta ignorantia gewinnen lässt; vgl. Ni ko l au s von Kues, De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Buch III. Lateinisch-Deutsch, hg. von H. G. S e nge r, Hamburg 21999, S. 99f. Mit Hilfe platonischer Philosophie sprengt Nikolaus von Kues damit die Grenzen aristotelischer Logik in der Frage nach dem Wirklichkeitsgrund auf. Hans Blumenberg sah in dieser Denkanstrengung, die auf die Möglichkeiten einer begrifflichen Erfassung des Unendlichen zielt, nichts weniger als die Epochenschwelle, die die Legitimität der Neuzeit einleitet; vgl. H. B lu m e n b e rg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt 1996, S. 558–638. 10 Zu Ficino ist der noch immer maßgebliche Klassiker: P. O. K r i s t e l l e r, Die Philosophie des Marsilio Ficino, Frankfurt 1972 (Das Abendland N. F. 1); eine glänzende Übersicht auf dem Stand gegenwärtiger Forschung mit umfassenden Literaturangaben liefert Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 101–114; zur Theologie Ficinos vgl. W. D re s s, Die Mystik des Marsilio Ficino, Berlin-Leipzig 1929 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 14), und J. L au s te r, Die Erlösungslehre Marsilio Ficinos. Theologiegeschichtliche Aspekte des Renaissanceplatonismus, Berlin-New York 1998 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 69).
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Güte.¹¹ Die in der Welt sichtbare Schönheit ist eine ihr eingelassene Spur des göttlichen Grundes, die Wirksamkeit göttlicher gratia. Auf diese Weise verbindet Ficino christlichen Schöpfungsglauben mit platonischer Emanationsphilosophie. Einen besonderen Stellenwert räumt Ficino in dieser Kosmologie d r i t t e n s dem Menschen ein. Denn dessen Seele steht in der Mitte des Kosmos an der Grenzscheide zwischen ideeller und stofflicher Welt, zwischen Geist und Materie. Die Unsterblichkeit seiner Seele gründet in der dem menschlichen Denken eingegebenen Überwindung des Endlichen. Das ist nur möglich, weil das Denken selbst als eine Entäußerungsform des göttlichen Geistes im menschlichen Geist zu begreifen ist. Ficinos Welt- und Menschenbild dient so in besonderer Weise dazu, dem neu gewonnenen Selbsterleben des Menschen in der Renaissance einen philosophischen Ausdruck zu verleihen. Ficino bringt philosophisch, um das schöne Hegelwort zu bemühen, die Gedanken seiner Zeit über den Menschen auf den Begriff. Vi e r t e n s begründet er in ausdrücklicher Anknüpfung an den antiken Platonismus ein Programm, in dem Philosophie nicht bloße Spekulation, sondern tatsächliche Lebensform ist. In praktisch ausgerichteten Büchern widmet er sich dem Thema, wie der Mensch den Aufstieg zu Gott als Rückkehr zu seinem Ursprung leben kann. Fü n f t e n s schließlich ist diese große Synthese eines christlichen Platonismus eingebettet in das Konzept der bereits skizzierten philosophia perennis. Ficino gelingt es, in seiner Hochschätzung der prisca theologia die vorchristliche Philosophie in einer geradezu heilsgeschichtlichen Konzeption in das christliche Denken zu integrieren. Im Heimatland Luthers ist Ficino fast immer ein Unbekannter geblieben, doch in den europäischen Kulturen, die aus der Renaissance wesentliche Anteile ihres eigenen Selbstverständnisses ableiten, ist er im 16. Jahrhundert von eminenter Wichtigkeit. In der italienischen, französischen und englischen Ficino-Forschung ist das hinreichend dokumentiert. Sein Denken jedenfalls ist frömmigkeitsgeschichtlich für Italien enorm einflussreich.¹² Es reicht hinüber bis in die Aufklärung und den Idealismus, durch seine Theorie der Materie leistet es aber auch alchemistischen und astrologischen Spekulationen Vorschub. Ficinos luzidester, aber auch eigenwilligster Schüler, Pico della Mirandola, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Wirksamkeit der Nachfolger und Erben der Florentiner Akademie entfaltete sich nach den politischen Wirren der 90er Jahre des 15. Jahrhunderts außerhalb von Florenz. Francesco Diacceto,¹³ der bis 1522 in Pisa wirkte, führte Ficinos Philosophie der Liebe und die Theorie des Schönen weiter. Leone Ebreo, der ebenfalls bis in die 20er Jahre hinein lebte, widmete sich auch
11 Gott verbleibt als höchste Vollkommenheit nicht nur in sich selbst, sondern tritt aus sich heraus: „Proprium boni est quod se diffundit“. (Marsilio F i c i n o , Theologia Platonica, ed. Theologie Platonicienne de l’immortalité des âmes, hg. von R. M a rc e l, Bd. 2, Paris 1964, XII 3, S. 162). 12 Vgl. D. C a n t i m o r i, Italienische Häretiker der Spätrenaissance, Basel 1949. 13 Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 125ff.
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in seinem Hauptwerk „Dialoghi d’amore“ der platonischen Liebesphilosophie. Wirkungsgeschichtlich sind das interessante Hinweise auf die Bedeutsamkeit von Ficinos Liebesphilosophie für den Renaissanceplatonismus des 16. Jahrhunderts.¹⁴ Das heutige Verständnis von platonischer Liebe als verminderter, nicht zielführender, verhinderter oder sonst irgendwie verunglückter Form zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung ist doch eine recht ins Primitive abgesenkte Variante des ursprünglichen Konzepts. Dieses entfaltet sich im Renaissanceplatonismus zu einer metaphysischen Großtheorie. Der Sache nach behandeln Ficinos Erben in ausdrücklichem Anschluss an ihn die Frage nach der Vollendung des Menschen, modern könnte man auch sagen, nach dem Sinn des menschlichen Lebens im Kosmos, und üben damit einen weit darüber hinausgehenden kulturellen Einfluss in Literatur, Kunst und höfischem Leben aus. Den beträchtlichen Gestaltwandel des Renaissanceplatonismus kann man an Francesco Patrizi ablesen. Cesare Vasoli und andere haben diese Gestalt, die fast genau 100 Jahre nach Ficino lebte, aus der Versenkung emporgehoben.¹⁵ Mit der Jugendschrift „La città felice“ wendet er sich zunächst durchaus der politischen Theorie zu, an der Universität Ferrara erarbeitet er sein philosophisches Hauptwerk, die „Nova de universis philosophia“. Dieses bemerkenswerte Werk versucht platonische Grundanlagen zu einer Welttheorie voranzutreiben. Patrizis Panpsychismus, seine Fortschreibung der platonischen Theorie der Weltseele als Grundlage des Lebendigen, ist ein Gedanke, der seine Fühler schon deutlich in modernes Denken hinüberstreckt. Seine Unterscheidung in einen mathematischen und physikalischen Raum gerät neuerdings in der Forschung besonders ins Visier, weil er hier offensichtlich die spekulativen Grundlagen schafft, die Galilei und Kepler für ihre astronomischen Theorien benötigten. An Patrizi lässt sich deutlich zeigen, dass die Entstehung des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes keineswegs nur auf den Neoaristotelismus der Renaissance zurückgeht. Patrizi ist für unseren Zusammenhang noch aus einem anderen Grund wichtig. 1592 erhält Patrizi auf rege Initiative des Kardinals Aldobrandini eine Professur ausdrücklich für Platonische Philosophie an der Sapienza in Rom, eine Stelle, die er zuvor schon in Ferrara innegehabt hatte. Zudem sind die Umstände dieser Amtsübertragung brisant. Denn dem frisch gebackenen römischen Professor rückt auch gleich die Inquisitionsbehörde zu Leibe, die markante Sätze aus dem ein Jahr zuvor erschienenen Hauptwerk harsch kritisiert. Für Platoniker ist Rom trotz offizieller Anerkennung immer und immer wieder ein heikles Pflaster.
14 Zur Geschichte der Philosophie der Liebe im 16. Jahrhundert: C. Va s o l i, Francesco Patrizi da Cherso, Rom 1989 (Humanistica 5), S. 181ff. 15 Vgl. P. C a s te l l i (Hg.), Francesco Patrizi, filosofo platonico nel crepusculo del Rinascimento, Firenze 2002 (Pubblicazioni dell’Università di Ferrara 8); Va s o l i, Francesco Patrizi (wie Anm. 14).
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3 Renaissanceplatonismus zwischen Rom und Florenz Patrizis Lehrtätigkeit in Rom veranschaulicht zweierlei: Sie steht einerseits trotz des Ärgers mit den Inquisitionsbehörden für die definitive Etablierung des Platonismus nicht nur als kulturelle, sondern auch als dezidiert philosophische Größe an den Universitäten. Sie macht zweitens deutlich, dass der Platonismus, und zwar gerade als philosophische Bewegung, am Ende des 16. Jahrhunderts definitiv auch in Rom Fuß gefasst hatte. Zwar ist auch der Renaissanceplatonismus des 15. Jahrhunderts an Rom nicht spurlos vorübergegangen, das ist schon aufgrund der Bedeutung der Stadt ganz unwahrscheinlich. Mit Nikolaus von Kues und Bessarion wirkten zeitweise ranghohe Platoniker in der Kurie, der bereits erwähnte eigenständige Schüler Ficinos, Pico della Mirandola, wünschte die Diskussion seiner 900 Conclusiones ausdrücklich in Rom,¹⁶ was ihn dann freilich in die allergrößten Schwierigkeiten brachte. Doch von einer etablierten Organisationsform des Platonismus kann in Rom keine Rede sein, im 15. Jahrhundert ist Florenz das entscheidende Zentrum. Will man daher die Wege des Renaissanceplatonismus nach Rom ergründen, gilt es zwei Aspekte im Auge zu behalten: zum einen das Verhältnis zwischen Rom und Florenz, zum anderen die wechselvolle Geschichte der humanistischen Bewegung in Rom. Das Verhältnis zwischen Florenz und Rom ist im 15. Jahrhundert durch politische Rivalität bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Verflochtenheit bestimmt.¹⁷ Trotz der ausgeprägten Konkurrenz und Feindschaft bestand zwischen Rom und Florenz notwendigerweise ein reger kultureller und ökonomischer Austausch. So waren beispielsweise Florentiner Banken in das Finanzsystem des Kirchenstaates eingebunden. Darüber hinaus hat Tobias Guethner jüngst in einer Dissertation die Florentiner Kolonie in Rom genauer unter die Lupe genommen und dabei herausgearbeitet, wie Kaufleute und Künstler als Förderer am römischen Kulturleben mitwirkten.¹⁸ Diese befestigten Kanäle des ökonomischen und kulturellen Austauschs spielten, wie wir sehen werden, für die Verbreitung der popularisierten Form des Renaissanceplatonismus eine wichtige Rolle. Unter dem Pontifikat Nikolaus V. kommt es zu einem starken Aufschwung der humanistischen Bewegung in Rom. Kurzzeitig, so urteilt wenigstens Eckhard Keßler in
16 Vgl. A. B u c k, Einleitung, in: Giovanni P i co d e l l a M i r a n d o l a, Über die Würde des Menschen. Lateinisch-Deutsch, hg. von A. B u c k, Hamburg 1990, S. XVIf.; vgl. auch Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 115. 17 Zu verweisen ist hier vor allem auf die Arbeiten von Arnold Esch: A. E s c h, Florentiner in Rom um 1400. Namensverzeichnis der ersten Quattrocento-Generation, in: QFIAB 52 (1972), S. 476–525; d e r s ., Über den Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft in der italienischen Renaissance. Ein Forschungsbericht, in: ZHF 8 (1981), S. 9–27; d e r s., Rom in der Renaissance. Seine Quellenlage als Problem, in: HZ 261 (1995), S. 337–364. 18 Die 2010 erschienene, aber bislang nicht gedruckte Arbeit ist abrufbar unter: URL: http://edoc.ub .uni-muenchen.de/12415/1/Guethner_Tobias.pdf (14. 9. 2017).
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seiner luziden Philosophiegeschichte des 15. Jahrhunderts, war Rom neben Venedig das zweitgrößte Auffangbecken für Gelehrte aus Griechenland – also noch vor Florenz.¹⁹ Nikolaus V. holte auch Lorenzo Valla nach Rom, dessen Schüler Pomponius Laetus um etwa 1464 die römische Akademie gründete.²⁰ Schon 1468 wurde jedoch unter Papst Paul II. diese Vereinigung der Humanisten geschlossen und seine Mitglieder verhaftet. Die tatsächlichen Gründe für diesen spektakulären Schlag gegen den Humanismus liegen im Dunkeln. Es dürfte kaum zu ermitteln sein, was an dem Vorwurf der Verschwörung gegen den Papst dran ist. Aus den Quellen eher fassbar ist die Anstößigkeit ihrer Lehren. Im Gefolge Vallas ist das auch nicht allzu überraschend. Als roter Faden zieht sich durch die Kritik der Vorwurf des Epikureismus. Tatsächlich hatte Valla in seiner Untersuchung über das höchste Gut den Aspekt des Strebens nach der höchsten Lust hineingenommen und dem Christentum einen epikureischen Grundzug attestiert, insofern der Verzicht auf diesseitige, irdische Lustgewinne zugunsten höherer, jenseitiger Lustgewinne von der formalen Struktur der Abwägung her eine Grundüberlegung Epikurs aufnehme. Diese an sich kluge Beobachtung Vallas wurde energisch bekämpft. Es wäre eine ganz eigene Untersuchung wert, warum der Epikureismus in der europäischen Kulturgeschichte über Jahrhunderte eine rigorose intellektuelle No-go-Area darstellte. Für unseren Zusammenhang ist von besonderem Interesse, dass der Renaissanceplatonismus aus diesen als epikureisch gebrandmarkten Theorien durchaus Gewinn ziehen kann. Ficinos Begriff des appetitus, jenes innere Streben, das den Aufstieg des Menschen zu Gott motiviert, verdankt sich nachweislich diesen Einflüssen. Bei näherer Hinsicht ist also das, was im 15. Jahrhundert als Epikureismus etikettiert und verurteilt wurde, wenigstens im Umfeld des Platonismus doch etwas anderes: Es geht darum, ein wichtiges Element des eigenen Denkens, nämlich die Aufstiegslehre, psychologisch und philosophisch zu plausibilisieren, und dazu erscheint Epikurs Begriff des dynamischen Strebens durchaus hilfreich. An dieser Diskussion um den Epikureismus sind für unsere Fragestellung zwei Dinge interessant, wie sich aus dem Werdegang der zwei wichtigsten Protagonisten der römischen Akademie erschließen lässt. Zum einen scheint es der Kurie recht schwer gefallen zu sein, eine einheitliche Linie gegenüber den philosophischen Erörterungen im erweiterten Kontext des Humanismus zu gewinnen. Das zeigt sich insbesondere an der Gestalt Platinas, der in der Haft in der Engelsburg eine ausführliche Widerlegung des Epikureismusvorwurfs verfasste. Keßler, um ihn noch einmal zu bemühen, merkt dazu recht süffisant an: „Paul II. mag daher etwas Richtiges gesehen haben, als er die Annahme des Widerrufs verweigerte, aber auch Sixtus IV., als er Platina 1475 zum Bibliothekar der Vatikanischen Bibliothek berief“.²¹
19 Vgl. Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 83f. 20 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 84f. 21 Ebd., S. 85.
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Für die Platonismusrezeption wichtiger ist eine andere Gestalt, der Philosoph Callimachus. Er musste in diesem Streit aus Rom fliehen.²² Aus seinem Krakauer Exil führt er einen bemerkenswerten Briefwechsel mit Marsilio Ficino und Pico della Mirandola. Dass der zuvor in Rom tätige Callimachus gerade mit diesen beiden in Austausch tritt, spricht für den Einfluss der Florentiner Akademie auf die römischen Akademiker, es belegt zudem auch eine besondere „sorte de cosmopolitisme“²³, die der Renaissanceplatonismus hervorgebracht hat. Bemerkenswert ist Callimachus’ inhaltliche Argumentation. In der Verhältnisbestimmung von Körper und Geist grenzt er sich nun doch zusehends von der neuplatonischen Argumentation der Florentiner ab. Inhaltlich erscheint sie ihm zu dualistisch angelegt, äußerlich zu sehr an theologischen Argumenten ausgerichtet. Ihm selbst schwebt eine Lösung vor, die den Materialismus Epikurs produktiv zu nutzen versucht, um so den „Dualismus zwischen ‚schlechter‘ Sinnlichkeit und ‚guter‘ Geistigkeit in der natürlichen Einheit des Menschen“²⁴ aufzuheben. Obgleich Callimachus damit eine bemerkenswerte Abkehr vom Renaissanceplatonismus zum Ausdruck bringt und obgleich – rein geographisch gedacht – diese Abkehr aus dem Krakauer Exil heraus geschieht, liegt es doch auf der Hand, dass die Gedanken der Florentiner Platoniker bei ihren humanistischen Kollegen in der römischen Akademie eifrig rezipiert wurden. Deren Schicksal macht aber auch deutlich, dass die Wege des Humanismus in Rom doch einigermaßen verschlungen verliefen.
4 Renaissanceplatonismus in Rom zur Zeit Luthers Als Zwischenfazit ist festzuhalten: Bis zur Einrichtung des Lehrstuhls für Patrizi spielt Rom für die Ausbildung des Renaissanceplatonismus als philosophische Schulrichtung im engeren Sinne nur am Rande eine Rolle. Aber, und das ist eine Besonderheit des Renaissanceplatonismus, das ist auch gar nicht das Entscheidende. Der Florentiner Platonismus hatte, wie bereits erwähnt, die Tendenz, das Erleben der eigenen Zeit in eine Philosophie zu gießen. Sehr plakativ gesagt: Im Renaissanceplatonismus wird gedacht, was viele Menschen des 15. Jahrhunderts in ihrem Welterleben fühlten. Gerade darum konnte der Renaissanceplatonismus auch eine so breite kulturelle Wirkung entfalten. Rom stieg zwischen dem Fall der Medici in Florenz und dem Sacco di Roma zum Zentrum der Hochrenaissance auf, und in diesem Zentrum finden wir erwartungsgemäß auch den Renaissanceplatonismus, nicht als Schulphilosophie,
22 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 85f. 23 J. Z a t h e y, Quelques recherches sur l’humaniste Kallimach (Filippo Buonaccorsi, 1437–1496), in: E. C a s te l l i (Hg.), Umanesimo e esoterismo. Atti del V. convegno internazionale di studi umanistici, Oberhofen, 16–17 settembre 1960, Padova 1960, S. 123–139, hier S. 125. 24 Vgl. Ke ßl e r, Philosophie (wie Anm. 3), S. 87.
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sondern als kulturelle Prägekraft, es handelt sich also um einen eher mittelbar zu nennenden Einfluss. Drei Aspekte seien herausgehoben: a) Die Unsterblichkeit der Seele Theologisch in besonderer Weise wichtig geworden ist Ficinos Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Eine Reihe von Renaissancearistotelikern, am prominentesten Pietro Pomponazzi, attackierte dieses platonische Erbe.²⁵ Pomponazzi bestritt nicht die Unsterblichkeit der Seele an sich, seine Argumentation zielte vielmehr darauf, dass die Unsterblichkeit der Seele nicht rational erwiesen, sondern nur geglaubt werden könne. Das V. Laterankonzil hat 1513 in diesen Streit eingegriffen, sich die Überlegungen Ficinos in der Bulle „Apostolici geminis“ zu eigen gemacht und die averroistische Lehre von der Sterblichkeit der Seele verworfen.²⁶ Die gelegentlich zu lesende Auffassung, Kurie und Papst seien von ihrem theologischen Herkommen den Anliegen des Renaissanceplatonismus aus prinzipiellen Gründen feindlich gesonnen, erweist sich bei näherer Hinsicht als zu pauschal gedacht. Dort, wo es nützlich erschien, konnte sich wie im Falle der Unsterblichkeit der Seele die offizielle Theologie des Kirchenstaates durchaus tragender Einsichten des Renaissanceplatonismus bedienen. b) Die Akademie: ein neuer Ton in der Wissenschaft Die beiden folgenden, aus der Kunst gewählten Beispiele für die Wirkungskraft des Platonismus bedürfen zweier Vorbemerkungen. Raffaels „Schule von Athen“ und Michelangelos Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle – um sie wird es im Folgenden gehen – erscheinen uns heute geradezu selbstverständlich als mustergültige Exemplare römischer Kunst der Hochrenaissance. Das ist jedoch bereits ein rezeptionsgeschichtlicher Blickwinkel, Luther selbst hat bei seiner Romreise eine definitiv andere Art der Kunst zu Gesicht bekommen. Das Kunstschaffen Roms im frühen 16. Jahrhunderts erschöpfte sich keineswegs in den Gestalten, die wir heute als die wichtigsten Künstler dieser Epoche verstehen.²⁷ Sich die vorübergehend zeitgleiche Präsenz von Raffael, Michelangelo und Luther in Rom auszumalen, mag uns heute faszinieren, ihre Zeitgenossen hatten jedoch noch keine Aussicht, etwas von dieser Faszination zu bemerken. Wenn im Folgenden also Raffael und vor allem Michelangelo als kulturell prominente Wirkungen des Renaissanceplatonismus interpretiert werden, so ist dies vor allem eine uns heute mögliche Perspektive aus ihrer Wirkungsgeschichte heraus.
25 Vgl. zur Debatte: P. O. K r i s te l l e r, Die Stellung des Menschen im Universum bei Ficino und Pomponazzi, in: d e r s., Humanismus und Renaissance, Bd. 2: Philosophie, Bildung und Kunst, hg. von E. Ke ßl e r, München 1976 (Humanistische Bibliothek I,22), S. 115–123, hier S. 119ff. 26 Vgl. H. D e n z i nge r, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch-Deutsch, hg. von P. Hü n e r m a n n, Freiburg-Basel-Wien 422009, S. 1513f. (= DH 1440). 27 Für diesen Hinweis danke ich Arnold Nesselrath.
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Allerdings ist – und davon muss die zweite Vorbemerkung handeln – auch diese wirkungsgeschichtliche Einordnung von Raffael und Michelangelo in den Platonismus alles andere als unumstritten. Beide waren sicher nicht Platoniker im engeren Sinne einer philosophischen Schulzugehörigkeit. Die im Folgenden zugrunde liegende These kann im oben skizzierten Sinne nur darauf hinauslaufen, in ihren Werken kulturell vermittelte Spuren eines populären Renaissanceplatonismus zu finden, die dann zugleich auch Interpretationsmöglichkeiten ihrer Kunst an die Hand geben. Ein schönes Beispiel liefert dafür Raffaels „Schule von Athen“. Im Zentrum des Gemäldes disputieren Platon und Aristoteles miteinander, umrahmt von vielen anderen klassisch zu nennenden griechischen Philosophen. Der Konstanzer Romanist Karlheinz Stierle hat darauf hingewiesen, wie sehr die Einrichtung von Akademien in Anknüpfung an die philosophische Akademie des antiken Platonismus in der Renaissance den Wissenschaftsbetrieb verwandelte. Der Humanismus habe nicht nur den Methodenkanon der mittelalterlichen Universität rasant verändert, sondern auch die Vermittlungsform von der Lehrunterweisung hin zum geselligen Dialog gleichberechtigter Gesprächspartner neu begründet. Obgleich die Akademie der Florentiner Platoniker nicht die erste und auch nicht die einzige Akademie der Renaissance war – von der Accademia Romana war schon die Rede – spielte sie doch eine entscheidende Rolle. Ficinos Idee, nicht nur Philosophen, sondern darüber hinaus auch Künstler und Dichter in die Suche nach der Wahrheit mit einzubinden, galt als populärste und wirkungsmächtigste Form dieser neuen Art des Wissenserwerbs. Sinnfälliger Ausdruck dafür ist Stierle zufolge Raffaels „Die Schule von Athen“.²⁸ Obgleich die Florentiner Akademie mit dem Tode Ficinos, ja zuvor eigentlich schon mit den Unruhen um Savonarola in Auflösung begriffen war, musste Raffael während seiner Zeit in Florenz von 1505 bis 1508 noch genug Möglichkeiten gehabt haben, um von deren außerordentlicher Bedeutung zu erfahren. Seine „Schule von Athen“ zeigt Aristoteles und Platon entgegen einer langen Tradition nicht als Kontrahenten, sondern als miteinander gemeinsam Diskutierende, so wie die anderen Philosophen auch. Trifft Stierles These zu, dann ist Raffaels Bild aus den Stanzen nicht nur eines der berühmtesten, sondern auch eines der wichtigsten Bilder der Renaissancekunst. Es ist das zu Bild gewordene neue Bildungsideal des Renaissanceplatonismus: Das Erlangen von
28 Zur kunsthistorischen Analyse vgl. A. N e s s e l r a t h, Raphael’s School of Athens, in: d e r s ., Raphael’s School of Athens, Città del Vaticano 1997 (Recent Restorations of the Vatican Museums 1), S. 9 –25; trotz evidenter Anleihen bei Rudolf Steiners Esoterik sind bemerkenswerte ikonographische Hinweise zum philosophischen Verständnis des Bildes zu finden bei H. Fa l c k-Yt t e r, Raphaels Christologie. ‚Disputa‘ und ‚Schule von Athen‘, Stuttgart 1983, S. 45–86.
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Wissen ist eine Aufgabe, die dem Menschen in gemeinsamer Anstrengung gestellt und im geselligen Austausch zu erfüllen ist.²⁹ c) Neuplatonische Erlösungsbilder Von in Bildern geronnenem Renaissanceplatonismus ist schließlich auch bei dem letzten Beispiel die Rede. Zur Zeit von Luthers Rombesuch entstand eines – das darf man vielleicht so superlativisch sagen – der berühmtesten Kunstwerke der Welt. Es gibt, so die im Folgenden zu erläuternde These, gute Gründe, in Michelangelos Konzeption und Durchführung des Deckenfreskos der Sixtinischen Kapelle neuplatonische Einflüsse auszumachen und zur Interpretation heranzuziehen. Dieser Deutungsansatz ist im 20. Jahrhundert aus der Warburg-Schule hervorgegangen, von Aby Warburg selbst vorbereitet, von Erwin Panofsky und Edgar Wind weiter geführt und schließlich von Charles de Tolnay epochal auf das Gesamtwerk Michelangelos ausgeweitet worden.³⁰ Der ikonographische Ansatz der Warburg-Schule ist in der kunsthistorischen Bildinterpretation etwas aus der Mode gekommen. Daran sind die Vertreter der Schule nicht ganz schuldlos. Insbesondere Panofsky, aber ähnlich auch Wind, neigen dazu, die künstlerische Produktion zu einseitig als Ausdrucksgestalt vorauslaufender weltanschaulicher Sinnstiftung zu interpretieren. Darin liegt, so der berechtigte Einwand, die Gefahr, das Kunstwerk zum bloßen Mittel zum Zweck zu degradieren.³¹ Natürlich wird man Michelangelo sowohl einen genuin künstlerischen Gestaltungswillen als auch mehrere ideengeschichtliche Einflüsse unterstellen dürfen, die er aufnahm und verarbeitete. Daraus resultiert in den Augen der Betrachter eine enorme Interpretationsvielfalt. In den unzähligen Büchern über die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle scheint jeder Interpret zu finden, was er in ihnen finden möchte. Vielleicht macht auch gerade das die geheimnisvolle Faszination dieses gro-
29 K. S t i e r l e, Ein Geschenk Griechenlands an das zukünftige Europa. Wie die Akademie als Ort der wissenschaftlichen Geselligkeit von Athen nach Florenz und schließlich zu uns fand, in: Neue Züricher Zeitung, 10. April 2010, Nr. 82 S. 61f. 30 Vgl. E. P a n o f s k y, The Neoplatonic Movement and Michelangelo, in: d e r s ., Studies in Iconology Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York 1939 (The Mary Flexner Lectures on the Humanities 7), S. 171–230; stärker hebt den augustinischen Hintergrund einerseits und Pico della Mirandolas Einfluss andererseits Winds Aufsatzsammlung zu Michelangelo hervor, die 2000 neu herausgegeben wurde: E. Wi n d, The Religious Symbolism of Michelangelo. The Sistine Ceiling, hg. von Elizabeth Sears, Oxford 2000; und schließlich monumental: C. d e To l n ay, Michelangelo, 5 Bde., Princeton 1947–1960. Eine wichtige und nach wie vor schwer zu klärende Frage bleibt, inwieweit Michelangelo in seiner Zeit in der Künstlerschule, dem berühmten Garten des Lorenzo de’ Medici, tatsächlich Kontakt zu Ficino und seinen philosophischen Freunden hatte. Seit Vasari sind die Angaben der Quellen dazu spärlich, es ist aber schlechterdings einfach nicht wahrscheinlich, dass die Schützlinge Lorenzos keinen Kontakt zu dessen berühmtem philosophischen Kreis gehabt haben sollten; vgl. zum Problem: R. K i ng, Michelangelo und die Fresken des Papstes, München 2009, S. 77f. 31 Vgl. zur Debatte F. B ü t t n e r / A. G o t td a ng, Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung von Bildinhalten, München 22009, S. 21f.
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ßen Werkes aus. Die Ansätze reichen von Michelangelo, dem kirchentreuen Maler, der ganz das theologische Programm des Papstes umgesetzt habe,³² über den Anhänger des reformorientierten Augustinergenerals Egidio da Viterbo³³ bis hin eben zum Florentiner Neuplatoniker. Eine neuere Untersuchung kommt sage und schreibe auf 17 Interpretationsansätze.³⁴ In Anbetracht dieser Interpretationsentropie mag es verständlich erscheinen, dass sich eine gewisse Interpretationsaskese durchzusetzen scheint, die sich auf die analytische Beschreibung des Kunstwerks beschränkt.³⁵ Hermeneutisch gesehen wird damit aber doch vermutlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Korrigiert man ihren ausschließlichen Anspruch, dann hat die Interpretationslinie der Warburg-Schule einiges für sich. Denn in der Abwägung der Argumente kann sie noch immer die besten Erklärungsmöglichkeiten für die Komposition und Durchführung der Deckenfresken liefern.³⁶ Diese sind zwar nicht gemalter, reiner Florentiner Neuplatonismus, aber sie geben doch offensichtlich erhebliche Einflüsse zu erkennen, die Michelangelo seit seiner Ausbildung unter den Medici in Florenz aufgenommen hat. Damit gibt der Renaissanceplatonismus nicht den einzigen, aber doch einen wichtigen kulturellen Hintergrund für Michelangelos Werk am Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle ab. Die umfangreichste und sorgfältigste Analyse aus der Warburg-Schule stammt von Charles de Tolnay, sie besticht gemessen an anderen Interpretationsansätzen trotz aller erwähnten Einwände immer noch in ihrer argumentativen Entfaltung. De Tolnay erläutert, wie Michelangelo in der Anordnung der Deckenfresken einem in-
32 Vgl. H. W. P f e i f f e r, Die Sixtinische Kapelle neu entdeckt, Stuttgart 2007, S. 179ff. 33 V. R e i n h a rdt, Der Göttliche. Das Leben des Michelangelo. Biographie, München 2010, S. 96; ähnlich auch A. Fo rce l l i n o, Michelangelo. Eine Biographie, München 2006, S. 116f.; zur Diskussion dieser mittlerweile kunsthistorischen Mehrheitsmeinung: R. K i n g, Michelangelo (wie Anm. 30), S. 75. Der Hinweis auf Egidio da Viterbo schließt im Übrigen eine neuplatonische Beeinflussung keineswegs aus, da dieser ja selbst dem Florentiner Platonismus Sympathien entgegen brachte. Damit ist allerdings eine bedenkenswerte andere Fährte gelegt, die den Prozess der Beeinflussung weniger in Michelangelos Ausbildungszeit in Florenz, sondern bereits in seine Zeit in Rom verlegt. Ein grundsätzliches Problem in der Interpretation liegt auch darin, dass sich heute aus den Quellen nicht mehr mit Sicherheit erschließen lässt, welche Freiheiten Papst Julius II. Michelangelo in der Konzeption der Deckengestaltung gewährte oder ob ihm, wie z. B. eben Egidio da Viterbo, Berater von der Kurie zur Seite gestellt wurden; vgl. dazu C. Ac i d i n i Lu c h i n a t, Michelangelo pittore, Milano 2007, S. 145–149. 34 Vgl. D. H o r n e m a n n n vo n L a e r, Vom Geschöpf zum Schöpfer. Die Genesisfresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle, Stuttgart 2009, S. 20ff. 35 Vgl. z. B. F. Z ö l l n e r, Die Sixtinische Kapelle, in: d e r s . / C. T h o e n e s, Michelangelo, 1475–1564. Leben und Werk, Köln 2010, S. 80–150. 36 In der angloamerikanischen Kunstgeschichtsforschung setzen sich daher auch die ikonographischen Interpretationsansätze der Warburg-Schule in ermäßigter Form fort; vgl. z. B. W. E. Wa l l a c e, Michelangelo. The Artist, the Man and His Times, Cambridge 2010, S. 102–105 (dort Anm. 50 mit einer Übersicht über die neuere englischsprachige Literatur zur Sixtinischen Kapelle).
Die Wiederkehr Platons
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haltlichen Programm folgt.³⁷ Unter Rückgriff auf die platonische Philosophie stehen die einzelnen Bilder für eine Stufe im Aufstieg des Menschen zu seinem göttlichen Ursprung. Die ersten Bildsequenzen, Noahs Trunkenheit, die Sintflut und der Sündenfall, veranschaulichen die platonische Auffassung vom Körper als Gefängnis der Seele, den hoffnungslosen Kampf der in dieser Körper- und Sinnenwelt gefangenen Menschen und die Sünde als ein aktives Verlangen, das der menschlichen Natur innewohnt. Die Erschaffung Evas und Adams versinnbildlichen den Schöpfungsprozess als eine Emanation göttlicher Ideen, mustergültig entfaltet in der Erschaffung Adams. Gott-Vater vereint als unendliches Wesen alle Kräfte des Universums in sich, die ihn umgebenden Genien stellen die Ideen dar, die in Gott präexistieren. So repräsentiert die Frau, die auf Adam schaut, Eva; das Kind antizipiert den Sohn und damit die Christusgestalt. Schon vor der Erschaffung Adam und Evas ist das ganze Schicksal der Menschheit im göttlichen Sich-Selbst-Denken präsent. Über die Positionierung Adams ist nicht mehr vieles zu sagen: Die horizontale Anordnung präsentiert ihn als ‚zweiten Gott‘, die Lebensübertragung fungiert hier als Funkenschlag und stellt damit ein kosmisches Phänomen dar. Die Imago-Dei-Lehre des Renaissanceplatonismus leistet für die ikonographische Entschlüsselung dieses kulturellen und touristischen Bestsellers wertvolle Dienste. In den Bildern von der Trennung des Wassers und der Erde, der Erschaffung von Sonne und Mond und der Trennung von Licht und Finsternis fließen de Tolnay zufolge die Kosmologie im weiteren und die Gotteslehre des Florentiner Platonismus im engeren Sinne zusammen. Schöpfung erscheint als weiser Verstandesakt des göttlichen Wesens, das aber zunehmend im Rückgang auf den Ursprung und damit auf den Grund des Seins seine anthropomorphe Gestalt verliert. Kosmogonie ist diesem Modell zufolge Theogonie: Das Hervortreten aus der unfassbaren Unendlichkeit des Göttlichen markiert überhaupt erst den Anfang der Welt. De Tolnays Interpretation gibt plausible Gründe an, für die Gesamtkomposition des sixtinischen Deckengewölbes eine Inspiration durch das Aufstiegskonzept neuplatonischer Philosophie und Theologie anzunehmen. Eines der wichtigsten Kunstwerke Roms aus dem Zeitraum von Luthers Reise nach Rom kann damit im Sinne kultureller Beeinflussung und Prägung als Kind des Renaissanceplatonismus betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund liest man Jacob Burckhardts Einschätzung dann noch einmal mit anderen Augen. Im letzten Satz seiner „Kultur der Renaissance in Italien“ heißt es über den Renaissanceplatonismus: „Vielleicht reifte hier eine höchste Frucht jener Erkenntnis der Welt und des Menschen, um derentwillen allein schon die Renaissance von Italien die Führerin unseres Weltalters heißen muss“³⁸.
37 Vgl. zum Folgenden C. de To l n ay, Michelangelo, Bd. 2: The Sistine Ceiling, Princeton 1949, S. 20–45. 38 J. B u rc k h a rdt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch (1869), Stuttgart 1 11988, S. 406.
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5 Zusammenfassung Im 15. Jahrhundert bildet sich in Florenz eine mächtige philosophische Strömung, die einerseits Anregungen der frühhumanistischen Platonverehrung aufnimmt sowie andererseits von dem Kulturaustausch mit Byzanz profitiert. Die wichtigste Gestalt ist der Philosoph, Theologe und Arzt Marsilio Ficino, dem es gelingt, das Welterleben seiner Zeit in ein System platonischer Philosophie und Kosmologie zu gießen. Die weitere Wirkungsgeschichte des Renaissanceplatonismus ist vielfältig. Als philosophische Schulrichtung etabliert er sich im Laufe des 16. Jahrhundert an den Universitäten, darunter auch in Rom. Er beeinflusst nachhaltig den italienischen Humanismus und fasst so auch an der Kurie Fuß. Schließlich dient er der Kunst als Inspirationsquelle, sodass die bedeutenden Kunstwerke Raffaels und Michelangelos, die in Rom zur Zeit Luthers entstanden, als kulturell vermittelte Fortführung der Anliegen des Renaissanceplatonismus interpretiert werden können.
| V Kunst, Kultur und Wissenschaft
Arnold Nesselrath
Mirabilia Urbis Romae 1511 Als Goethe am Fest Allerseelen 1786 in dem riesigen, nicht enden wollenden Quirinalspalast einer päpstlichen Liturgiefeier beiwohnte, regte sich in ihm bekanntlich seine berühmte „protestantische Erbsünde“.¹ Mit diesem Wort macht er seiner Opposition gegen den päpstlichen Pomp Luft. Wo liegt nun der „protestantische Sündenfall“ dieser „Erbsünde“? Wird hier eine bestimmte Vorstellung von Martin Luthers Romerlebnis persifliert? Wie dem auch sei, wir werden vergebens nach Martin Luthers Beschreibung seiner ‚italienischen Reise‘ Ausschau halten. Es erfordert methodisch andere Untersuchungen, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, welches Bild die Stadt mit ihren Bauten und Bildern dem jungen Augustinermönch bot, der durch die römischen Gassen, über die römischen Plätze und in den römischen Kirchen umherstrich, während sein exakter Altersgenosse Raffael für den Papst und seinen Hof malte und baute. Die pompösen Inszenierungen des Barock, wie sie Pietro da Cortona bei einer Zeremonie mit Papst Urban VIII. in St. Peter festgehalten hat² und wie sie mit den unterschiedlichen päpstlichen Garden, den exotischen Megafächern aus Straußenfedern und dem mit dem Triregnum bekrönten Pontifex auf der prunkvollen sedia gestatoria noch bis vor rund 50 Jahren von Papst Pius XII. zelebriert wurden, gab es zu Anfang des 16. Jahrhunderts so nicht. Auch die überladenen Kirchenausstattungen, die selbst vor ehemals nüchternen und monumental angelegten, klassischen Räumen wie etwa dem der Cappella Paolina³ häufig nicht Halt machten, sondern diese nachträglich noch mit Stuck überfrachteten und den horror vaccui schließlich vergoldeten, wurden in der Zeit der Gegenreformation erfunden und prägten erst nach dem Tridentinum das Bild katholischer Kirchenräume. Wer heute vom Monte Mario oder einem anderen erhöhten Standpunkt auf die schönste Stadt der Welt blickt, entgeht nicht der Faszination eines Meeres von Kuppeln, von denen fast jede eine Kirche bekrönt, einschließlich des ehemals paganen
1 Johann Wolfgang vo n G o e t h e, Italienische Reise. Erster und zweiter Teil, München 31975 (dtv-Gesamtausgabe 25), S. 111–114. 2 Chatsworth, Devonshire Collection, inv. 591; M. Ja f f é, The Devonshire Collection of Italian Drawings, Bd. 2: Roman and Neapolitan Schools, London 1994, Nr. 176, S. 62f. 3 Hier wurde dies im Rahmen der 2009 abgeschlossenen Restaurierung besonders deutlich. Während spätere Schichten etwa von Pius IX. entfernt wurden, konnte der ursprüngliche, von Antonio da Sangallo d. J. entworfene Zustand nicht wiederhergestellt werden. Stattdessen wurde der Zustand aus den Pontifikaten von Gregor XIII. und Paul V. als Maßstab gewählt. (Zum Restaurierungsprogramm vgl. A. N e s s e l r a t h, Il progetto di restauro della Cappella Paolina, in: M. D e Lu c a / A. N e s s e l r a t h / A. P a o lu cc i / U. S a n t a m a r i a (Hg.), La Cappella Paolina, Vatikanstadt 2014, S. 22–42. DOI 10.1515/9783110316117-020
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und früh in eine christliche Kirche umgewandelten Pantheon. Als Luther sich beim Anblick des „heiligen Rom“ „zu Boden warf“,⁴ hatte die ewige Stadt noch ein anderes, viel bescheideneres Gesicht. Da Luther das Erlebnis dieses Augenblicks wie eine unerwartete Parusie beschreibt, spielt die von ihm erzählte Episode möglicherweise beim Croce di Monte Mario an der Via Triumphalis etwas oberhalb der Stelle, wo sich heute die nur wenig später erbaute Villa Madama erhebt.⁵ Hier lag einem die Stadt zu Füßen von der Porta del Popolo im Norden bis zum Papstpalast bei St. Peter im Westen, immer noch befestigt durch die antike Stadtmauer des Kaisers Aurelian und, um den vatikanischen Hügel herum, durch die Wehranlagen Papst Nikolaus’ V., geprägt von dem modernen Campanile der Kirche des Hl. Augustinus vor der ruhigen Kuppel des antiken Pantheon, mit der Mole des Mausoleums für Kaiser Hadrian, das als Engelsburg zur Festung geworden war, mit dem langgestreckten Hospital, das Papst Sixtus IV. gestiftet hatte und unter den Schutz des Hl. Geistes gestellt hatte, und dem mittelalterlichen Kirchturm der nahebei liegenden Kirche S. Spirito in Sassia. Die Kopien einer Zeichnung im Codex Escurialensis⁶ und in Salzburg (Abb. 1)⁷ vermitteln einen Eindruck von diesem ersten Blick, den Luther vielleicht auf Rom werfen konnte. Gibt es über den auch im 15. Jahrhundert verbreiteten Topos vom zweiten Babylon hinaus jüngere architektonische oder künstlerische Marksteine, die dazu geführt haben können, dass Rom mit Babylon gleichgesetzt wird? In den Holzschnitten zu seiner Apokalypse von 1522 hat Lucas Cranach den Untergang des sündhaften Babel nach Rom verlegt, indem er zur Illustration der entsprechenden Textstelle die klassische, oft kopierte Stadtansicht aus der „Weltchronik“ des Hartmann Schedel von
4 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 5, Nr. 6059,14; V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 2006, S. 57. 5 J. S h e a r m a n, A Functional Interpretation of Villa Madama, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 20 (1983), S. 313–327, hier S. 316. 6 El Escorial, Cod. 28-II-12, fol. 7v–8r. H. E gge r (unter Mitwirkung von C. Hü l s e n und A. von M i c h a e l i s), Codex Escurialensis. Ein Skizzenbuch aus der Werkstatt Domenico Ghirlandajos, Wien 1905 –1906, S. 63f.; S h e a r m a n, Interpretation (wie Anm. 5), S. 318; A. N e s s e l r a t h, Raphael’s Archaeological Method, in: C. L. Fro m m e l / M. Wi n n e r (Hg.), Raffaello a Roma. Il convegno del 1983, Roma 1986, S. 357–371, hier S. 359. 7 Salzburg, Universitätsbibliothek, inv. H 193/2 v. A. N e s s e l r a t h; Anonimo italiano del ʼ500. Veduta del Pantheon, dettaglio dell’ordine superiore (nell’angolo superiore di sinistra): recto – Veduta di Roma da Monte Mario; alzato con spaccato dell’interno del Pantheon: verso, in: C. L. Fr o m m e l / S. R ay / M. Ta f u r i (Hg.), Raffaello architetto, Milano 1984, Nr. 3.2.6. S. 419. Die Abteilung „Raffaello e l’antico“ ist von Howard Burns und Arnold Nesselrath bearbeitet worden. A. N e s s e l r a t h, Method (wie Anm. 6), S. 359, Abb. 9; d e r s., Il Codice Escurialense, in: W. P r i n z / M. S e i d e l (Hg.), Domenico Ghirlandaio, 1449–1494. Atti del convengo internazionale, Firenze, 16–18 ottobre 1994, Firenze 1996, S. 175 –198, hier S. 185, Abb. 26.
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Abb. 1: Anonymer Kopist Raffaels, Blick auf Rom vom Monte Mario.
1493 (Abb. 2) in sich zusammenstürzen lässt (Abb. 3).⁸ Luther hatte auf seiner Reise blühende freie Reichs- und kaiserliche Residenzstädte wie Nürnberg, Augsburg oder Innsbruck gesehen. War sein Romerlebnis im Vergleich zu diesen für ihn wirklich relevant, oder war Rom für ihn später vielmehr eine abstrakte Chiffre wie für Lucas Cranach, der nie in Rom gewesen war? Der fromme Pilger Arnold von Harff vom Niederrhein, der 1497 Rom besucht und ein ausführliches Tagebuch hinterlassen hat,⁹ kann, auch wenn er ganz anders gelagerte Interessen mitbrachte und einem anderen sozialen Hintergrund entsprang, einen recht guten Eindruck davon vermitteln, was ein transalpiner Besucher aufgesucht hat und wozu er offenbar recht leicht Zugang hatte. Der niederrheinische Ritter empfing am Gründonnerstag direkt von Papst Alexander VI. den Pilgersegen,¹⁰ und drei Tage später zu Ostern nahm er am Pontifikalamt des Kirchenoberhauptes
8 J. Ja h n (Hg.), Lucas Cranach d. Ä. 1472–1553. Das gesamte graphische Werk, mit Exempeln aus dem graphischen Werk Lucas Cranachs d. J. und der Cranachwerkstatt, München 1972, S. 733. 9 H. B r a l l-Tu c h e l / F. R e i c h e r t, Rom – Jerusalem – Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496–1498), Köln-Weimar-Wien 32009. 10 Ebd., S. 62f.
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Abb. 2: Hartmann Schedel, Ansicht der Stadt Rom (Holzschnitt).
teil und erhielt sogar aus der Hand des Papstes selbst die Kommunion.¹¹ Zur Vesper am Gründonnerstag hatte er ungehindert Zugang zur Sixtinischen Kapelle gehabt.¹² Rom war also viel menschlicher und wurde viel unmittelbarer erlebt als zur Zeit des heutigen Massentourismus. Vom Datum der Romreise Luthers, ob sie im Spätherbst 1510 bis Anfang des Jahres 1511 oder erst Ende 1511 stattgefunden hat,¹³ hängt es ab, ob er den Papst überhaupt in der ewigen Stadt gesehen haben kann; denn Julius II. weilte während des ersten der in Frage kommenden Zeiträume gar nicht in der Stadt, sondern kehrte erst am 26. Juni 1511 von seinem zweiten, diesmal fatalen Feldzug in der Emilia Romagna nach Rom zurück.¹⁴ Dabei erregte er Aufsehen wegen seines berühmten Bartes, den er sich nach der Niederlage und dem erneuten Verlust von Bologna 1510 hatte wachsen lassen und den er geschworen hatte erst abzunehmen, wenn der Kirchenstaat und Italien von der französischen Besatzungsmacht befreit und die Franzosen aus Italien vertrieben seien (Abb. 4).¹⁵ Alle Beschreibungen und Charakterisierungen der
11 Ebd., S. 64f. 12 Ebd., S. 63f. 13 H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 4, F. 56 (2007), S. 1–44, hier S. 23–26; d e r s., Neue Quellen zum Konflikt in der deutschen Reformkongretation, in: Analecta Augustiniana 71 (2008), S. 9–37. Le p p i n, Luther (wie Anm. 4), S. 57–61, geht für Luthers Romreise von einer Datierung 1510/11 aus. J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Darmstadt 2010, S. 7–9, übernehmen offenbar die Datierung von Schneider. 14 L. vo n P a s to r, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde., Freiburg i. Br. 7 1924–1933, hier Bd. 3,1, S. 784–809; S c h n e i d e r, Contentio Staupitii (wie Anm. 13), S. 26. 15 L. P a r t r i dge / R. S t a r n, A Renaissance likeness. Art and culture in Raphael’s Julius II, Berkeley 1980; A. N e s s e l r a t h, Raphaël et Pinturicchio. Les grands décors des appartements du pape au Vatican, Paris 2012, S. 71.
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Abb. 3: Lukas Cranach d. Ä., Das Lamm Gottes mit den vier Evangelisten (Holzschnitt).
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Abb. 4: Raffael, Porträt Papst Juliusʼ II. (London, National Gallery).
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Person Papst Julius’ II. von Luther¹⁶ entbehren möglicherweise eines persönlichen Eindruckes von der individuellen Erscheinung des „Oberhauptes der Kirche“ (um bei Goethes Wortwahl zu bleiben). Die gängigen, damals allmählich in Druckform erhältlichen Pilger- und Romführer erzählen nichts von solchen Tagesereignissen. Aber trotz mangelnder Quellen von Luther selbst ist es möglich, eine leise Vorstellung davon zu bekommen, worüber ein quidam oder der Mann auf der Straße damals sprachen. Ein portugiesischer Reisender, der sogenannte Fidalgo de Chaves, der sich von 1510 bis 1517, also gleichzeitig mit Luther, aber etwas länger, in Rom aufhielt, hat neben der aufwendigen Buchführung über seine ungezählten Ablässe Berichte zu speziellen Themen und Ereignissen gesammelt. Es handelt sich nicht um ein sorgfältiges Tagebuch, sondern um lose aufgezeichnete Erinnerungen. Dieser Fidalgo berichtet z. B. von den Vorbereitungen zum V. Laterankonzil 1512, vom Tod Julius’ II. und der Wahl Leos X., aber auch von Nachrichten, die aus fernen Ländern eintrafen wie die Eroberung von Azamor in Marokko 1513 durch seine portugiesischen Landsleute. Er besuchte wie Luther die Scala Santa und spazierte nach der Schlacht von Ravenna 1512 über die Baustelle von Bramantes St. Peter und beschreibt die sorgfältig sortiert abgelegten Säulenschäfte des teilweise abgerissenen konstantinischen Vorgängerbaus. Sein Interesse am mittelalterlichen, christlichen Rom ist auffallend. Von den grandiosen Überresten des antiken Glanzes auf dem Campo Vaccino, in den Spelunken des Colosseums oder den unterirdischen Grotten der Domus Aurea außerhalb der Wohnbezirke hat er erstaunlich wenig Notiz genommen. Damit gehört sein Manuskript, das in Madrid erhalten ist, in das breite Umfeld der einfachen Pilgerbeschreibungen, die aus der üblichen Renaissanceperspektive und beim Studium der gelehrten Humanisten und der Künstlerelite zu sehr vernachlässigt werden und erst jüngst stärker Berücksichtigung finden.¹⁷ Hat sich Rom mit seinen Bauten und seiner zeitgenössischen Kunstproduktion Luthers Augen so spektakulär, so aufwendig, so verschwenderisch dargeboten, dass er darin die „Hure Babylon“¹⁸ ‚sehen‘ konnte? Manifestierte sich das weltliche Auftreten der Päpste in der Kunst?
16 Vgl. dazu den Index in WA.TR 6, S. 519,41–45. 17 Madrid, Real Academia de la Historia, Salazar y Castro, Nr. 76, fol. 195r. S. D e s w a r t e - R o s a, Uno sguardo venuto da lontano. Tra Roma antica e Roma cristiana, in: M. Fa g i o l o (Hg.), Roma e l’antico nell’arte e nella cultura del Cinquecento, Roma 1985 (Biblioteca internazionale di cultura 17), S. 489– 508; d i e s., The Portuguese in Rome and the Palazzo dei Tribunali, in: K. J. P. Lo we (Hg.), Cultural links between Portugal and Italy in the Renaissance, Oxford 2000, S. 249–264, hier S. 251f.; A. N e s s e l r a t h, Raffael (1483–1520), in: A. He n n i ng / A. N e s s e l r a t h (Hg.), Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna, München-London-New York 2011, S. 20–29, hier S. 21; d e r s ., Raphaël (wie Anm. 15), S. 63. 18 K r üge r / Wa l l r a f f, Rom (wie Anm. 13), S. 8.
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Abb. 5: Rom, Fassade der Kirche S. Maria del Popolo.
Man darf ziemlich sicher sein, dass er die beiden Kirchen seiner Augustinerchorherren, S. Maria del Popolo (Abb. 5) und S. Agostino (Abb. 6), aufgesucht hat – auch wenn mir nicht ganz klar ist, warum eine andere Unterkunft als im Konvent ausgeschlossen werden muss. Die seit Kurzem errichteten Fassaden, die zweite (1479–1483) ein Wiederaufguss der erst genannten (1472–1480), folgen dem unter Sixtus IV. verbreiteten Aufriss-Schema in basilikaler Form. Der helle Travertin und die antikische, auf wenige Elemente reduzierte, sparsame Formensprache repräsentieren den gängigen Kirchentypus des ausgehenden 15. Jahrhunderts.¹⁹ Bramantes Bauten, die durch klassische Säulenordnungen und mit einer starken Nähe zur Antike Monumentalität
19 P. To m e i, L’architettura a Roma nel quattrocento, Roma 1942, S. 126, Abb. 70, 75.
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Abb. 6: Rom, Fassade der Kirche S. Agostino.
gewinnen und sich über unkonventionellen Grundrissen erheben, waren 1510 fast alle nicht fertig.²⁰ Für die Zeitgenossen, die mit Vitruv und Alberti vertraut waren,
20 C. D e n ke r N e s s e l r a t h, Die Säulenordnungen bei Bramante, Worms 1990 (Römische Studien der Bibliotheca Hertziana 4).
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entsprachen die beiden Fassaden den Prinzipien der damals modernen Architektur; jemanden, der davon nichts wusste und dessen Vorstellungskraft durch die gotische Virtuosität geprägt war, muteten die strahlenden Gotteshäuser vielleicht mediterran oder exotisch an, als pompös kann er diese in Material und Dekor eher bescheidenen Aufrisse auch trotz hoher Treppen kaum empfunden haben. Einen Gradmesser für das sichtbare, aktuelle künstlerische Niveau der Stadt Rom, speziell für einen nordalpinen Rombesucher, kann vielleicht der Hochaltar der Kirche S. Maria della Pietà (Abb. 7 und 8) darstellen, die zum Friedhof für deutsche Pilger gehörte und direkt neben der Peterskirche lag. Die zugehörige deutsch-flämische Bruderschaft hatte hier 1502 für 252 Dukaten einen Dreiflügelaltar aufgestellt und sowohl im Typus des Triptychons mit beweglichen Flügeln als auch in der Ikonographie der Pietà, des sogenannten Vesperbildes, auf der Mitteltafel sowie der Anna Selbdritt auf der Außenseite des rechten Flügels selbstbewusst in Italien ungewöhnliche Themen ausgewählt und sich auf die Tradition ihrer nordalpinen Heimat berufen.²¹ Die Unterschiede in den physiognomischen Typen der einzelnen dargestellten Figuren, in der Malweise und in den Unterzeichnungen²² legen nahe, dass die Mitteltafel und die Flügel von verschiedenen Künstlern stammen. Dabei könnte der Autor der „Beweinung“, der aus gegebenem Anlass umbrische Einflüsse von Perugino und Pinturicchio aufgenommen hat, im norditalienischen Kunstraum beheimatet sein. Der Maler der Flügel hingegen ist mit den Werken von Hans Memling so vertraut, dass er aus deren Kunstregion kommen, aber die italienischen Zeitgenossen studiert haben kann. Pinturicchio ist am Ende des Jahrzehnts in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch das Maß aller Dinge. In dem von Bramante erweiterten Mönchschor von S. Maria del Popolo mit den Grabmälern für Ascanio Sforza und Girolamo Basso della
21 H. We i z ä c ke r, Ein altniederländisches Altarwerk in Rom, in: Oud Holland 31 (1931), S. 1– 138; U. V. Fi s c h e r P a ce, Die Ausstattung der Kirche des Campo Santo Teutonico in Rom, in: A. Tö n n e s m a n n / U. V. Fi s c h e r P a ce (Hg.), Santa Maria della Pietà. Die Kirche des Campo Santo Teutonico in Rom, Rom-Freiburg i. Br.-Wien 1988 (Der Campo Santo Teutonico in Rom 2 / Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 43,2), S. 51–114, hier S. 56–74; P. Fuga z z o l a, Die Hochaltargemälde aus der Kirche S. Maria della Pietà des Campo Santo der Deutschen und Flamen in Rom. Eine Bildbetrachtung, in: S. H e i d (Hg.), Campo Santo Teutonico. Höhepunkte der Jahre 2004 bis 2010, Vatikanstadt 2010, S. 13–29; K. H e r r m a n n F i o r e, La Deposizione di Raffaello. Il restauro e una nuova lettura, in: d e r s . (Hg.), Raffaello. La Deposizione in Galleria Borghese. Il restauro e studi storico-artistici, Milano 2010, S. 78–169, hier S. 153–158, Abb. 75; A. N e s s e l r a t h, Vortrag von Professor Dr. Arnold Nesselrath zur Restauration der Hochaltargemälde der Kirche Santa Maria della Pietà al Campo Santo, in: H e i d (Hg.), Campo Santo, S. 91–94. Keine der vorgeschlagenen Zuschreibungen ist überzeugend. 22 Für die zahlreichen Detail- und Ultraviolettaufnahmen und die Infrarotreflektographien danke ich Ulderico Santamaria und Fabio Moresi vom Chemielabor der Vatikanischen Museen.
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Abb. 7a: Unbekannter italienischer Maler, Grablegung Christi; Mitteltafel des Hochaltars in der Kirche S. Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico.
Rovere von Andrea Sansovino²³ hat der große Entrepreneur, der seit der Ausmalung der Audienzräume Alexanders VI., dem sogenannten Borgia-Appartement, die römische Malereiszene nahezu vollkommen beherrscht hat, das Gewölbe mit der „Mari-
23 C. L. Fro m m e l, Giulio II e il coro di Santa Maria del Popolo, in: Bollettino d’arte 112 (2000), S. 1–34; B. Fab j a n, Santa Maria del Popolo, il coro bramantesco e gli affreschi del Pinturicchio nella cappella maggiore, in: A. N e g ro (Hg.), Restauri d’arte e Giubileo, Napoli 2001 (Gli interventi della Soprintendenza per i beni artistici e storici di Roma nel Piano per il grande Giubileo del 2000 2), S. 33–38.
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Abb. 7b: Unbekannter Maler, Petrus und Johannes d. T.; linker Innenflügel des Hochaltars in der Kirche S. Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico.
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Abb. 7c: Unbekannter Maler, Jakobus Major und Paulus; rechter Innenflügel des Hochaltars in der Kirche S. Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico.
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Abb. 8a: Unbekannter Maler, Begegnung unter der Schönen Pforte; linker Außenflügel des Hochaltars in der Kirche S. Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico.
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Abb. 8b: Unbekannter Maler, Anna Selbdritt; rechter Außenflügel des Hochaltars in der Kirche S. Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico.
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Abb. 9: Bernardo di Betto, gen. Pinturicchio; Gewölbe im Chor von S. Maria del Popolo in Rom.
enkrönung“, den „Sibyllen“ und den „Kirchenvätern“ reich freskiert (Abb. 9).²⁴ Heute wird in der Kunstgeschichte die Malerei um 1510 in Rom mit Raffaels „Stanza della Segnatura“ und Michelangelos Sixtinischer Decke identifiziert, die aber damals erst im Entstehen begriffen waren. Für Martin Luther waren Pinturicchios Fresken von
24 J. S c h u l z, Pinturicchio and the revival of antiquity, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 25 (1962), S. 35–55; Fab j a n, Santa Maria del Popolo (wie Anm. 23), S. 35f.; P. S c a r p e l l i n i / M. R. S ive s t re l l i, Pintoricchio, Milano 2004, S. 241–243.
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Abb. 10: Jacopo Ripanda zugeschrieben, Triumph Roms; Rom, Konservatorenpalast, Sala di Annibale.
1509 der letzte Schrei. Antoniazzo Romano, der lokale Malerprotagonist jener Jahre,²⁵ und die kapitolinischen Wandzyklen (Abb. 10)²⁶ sind weit weniger spektakulär. Wen sie beeindruckt haben und in welcher Weise, ist schwer überzeugend zu belegen, da sie keine eindeutigen Reflexe hinterlassen haben oder gar in Nachzeichnungen auftauchen. Die Sixtinische Kapelle, in der Arnold von Harff, wie bereits erwähnt, in der Karwoche 1497 einer Vesper von Alexander VI. beigewohnt und die ihn tief beeindruckt hatte, war offenbar im allgemeinen öffentlich zugänglich. Zwischen 1508 und 1512 war
25 A. C ava l l a ro, Antoniazzo Romano e gli antoniazzeschi. Una generazione di pittori nella Roma del Quattrocento, Udine 1992; A. P a o lu cc i, Antoniazzo Romano. Catalogo completo, Firenze 1992. 26 S. E b e r t-S c h i ff e re r, Ripandas kapitolinischer Freskenzyklus und die Selbstdarstellung der Konservatoren um 1500, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 23/24 (1988), S. 75–218; M. Fa i e t t i / K. Ob e r h u b e r, Jacopo Ripanda e il suo collaboratore (il maestro di Oxford) in alcuni cantieri romani del primo Cinquecento, in: Ricerche di storia dell’arte 34 (1976) (erschienen 1988), S. 55–72, hier S. 62, Abb. 6, 9, 11–14; V. Fa r i n e l l a, Archeologia e pittura a Roma tra Quattro e Cinquecento. Il caso di Jacopo Ripanda, Torino 1992 (Saggi 741), S. 80–99, Abb. 27–30, 34–37. Zu einem Versuch, eine Reaktion von Jan Gossaert, der sich 1509 für einige Monate in Rom aufhielt, zu propagieren, vgl. D. B u l l, Jan Gossaert and Jacopo Ripanda on the Capitoline, in: Simiolus 34 (2009–2010), S. 89–94.
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sie jedoch abschnittweise eingerüstet, und Michelangelo wachte eifersüchtig darüber, dass möglichst wenige Besucher, während er arbeitete, Zutritt hatten.²⁷ Da seine Fresken bei Luthers Besuch nicht fertig waren, hat Luther die Kapelle nicht wie Arnold von Harff als Ganzes erleben können; das bedeutet: Auch die prächtige Ausstattung aus dem Pontifikat Papst Sixtus’ IV. konnte ihre Wirkung nicht entfalten.²⁸ Die Wandmalereien der Sancta Sanctorum aus dem späten 13. Jahrhundert waren hingegen ein Fixpunkt für jeden Rompilger wegen des Ablasses der Scala Santa. Nur Männer hatten Zugang zur Kapelle selbst, in der am oberen Ende der legendären Treppe die berühmte Salvatorikone, ein Acheiropoietos, aus dem 6. Jahrhundert damals wie heute steht.²⁹ Das Interesse an mittelalterlichen Werken belegen nicht nur die Pilgerführer oder Berichte wie diejenigen von Arnold von Harff³⁰ oder des Fidalgo³¹, sondern auch die Restaurierung der Fresken von ca. 1511, bei der sie zwar einen modernen, in Tempera über dem originalen Fresko ausgeführten Renaissancerahmen bekamen, bei der aber die Heiligenszenen in ihrer mittelalterlichen Gestalt übermalt und aufgefrischt wurden (Abb. 11). Leider ist dieses Dokument, in dem sich die Wertschätzung für das Mittelalter auf dem Höhepunkt der römischen Hochrenaissance ausdrückte, wie sie das gewohnte, kunsthistorische Klassifikationsschema aber nicht vorsieht, bei der Freilegung der originalen mittelalterlichen Malerei vernichtet worden.³²
27 F. M a n c i n e l l i, Il ponteggio di Michelangelo, in: d e r s . / A. M. D e S t r o b e l / G. M o r e l l o / A. N e ss e l r a t h (Hg.), Michelangelo e la Sistina. La tecnica, il resturo, il mito, Roma 1990, S. 61–65; M. H i r s t, Michelangelo, Bd. 1: The achievement of fame, New Haven-London 2011, S. 85–110; U. P f i s t e r e r, Die Sixtinische Kapelle, München 2013, S. 42–80. 28 O. H age n, War Albrecht Dürer in Rom?, in: Zeitschrift für bildende Kunst 52 (1917), S. 255–265, schlägt einen Romaufenthalt bereits während Dürers erster Italienreise 1494/95 vor und nimmt Reflexe der Sistinafresken in den Werken des Künstlers nach seiner Rückkehr an. A. N e s s e l r a t h, Vaticano. La Cappella Sistina. Il Quattrocento, Milano 2003 (Vaticano 2). 29 Sancta Sanctorum, Milano 1995; M. C e m p a n a r i, Sancta Sanctorum Lateranense. Il santuario della scala santa dalle origini ai nostri giorni, 2 Bde., Roma 2003; A. N e s s e l r a t h, Beobachtungen während der Restaurierung der Salvatorikone der Sancta Sanctorum, in: Inkarnat und Signifikanz – Das menschliche Abbild in der Tafelmalerei von 200 bis 1250 im Mittelmeerraum, München 2017, S. 316 –326. 30 B r a l l-Tu c h e l / R e i c h e r t, Rom (wie Anm. 9), S. 48f. 31 Madrid, Real Academia de la Historia, Salazar y Castro, Nr. 76, fol. 186v–187r. 32 S. R o m a n o, Il Sancta Sanctorum. Gli affreschi, in: Sancta Sanctorum (wie Anm. 29), S. 38–125, hier S. 108–118; G. C o l a lu cc i, Il problema del restauro degli affreschi del Sancta Sanctorum, in: Sancta Sanctorum (wie Anm. 29), S. 224–229, hier S. 228f.; B. Z a n a r d i, Relazione di restauro della decorazione della cappella del Sancta Sanctorum con due appendici sulle tecniche d’esecuzione dei dipinti murali duecenteschi, in: Sancta Sanctorum (wie Anm. 29), S. 230–269, hier S. 236–238; A. N e s s e l r a t h, Päpstliche Malerei der Hochrenaissance und des frühen Manierismus von 1506 bis 1534, in: Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste, Bd. 1: 1503–1534, Ostfildern 1998, S. 240–258, hier S. 253f.
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Abb. 11: Unbekannte Maler aus dem Mittelalter und dem Anfang des 16. Jahrhunderts, Martyrien der Hl. Stephanus und Laurentius; Rom, Kapelle der Sancta Sanctorum (nach der Restaurierung und mit einem Rest der Übermalung auf der linken Seite der linken Szene).
Michelangelos Interpretation des nordischen Vesperbildes, seine zwischen 1498 und wohl 1500 entstandene „Pietà“, die heute in St. Peter steht, erregte – obgleich eine geniale Bildhauerarbeit – in der düsteren Grabkapelle des Kardinals Jean Bilhères de Lagraulas im Innern einer wieder verwendeten antiken Rotunde³³ außer beim jungen Raffael bei kaum jemandem Beachtung (Abb. 12).³⁴ Ein ähnlich begrenztes Aufsehen erregte damals in der breiten Öffentlichkeit der „Bacchus“, den Michelangelo für Kardinal Riario geschaffen hatte, der jedoch recht bald in den Besitz von Jacopo
33 M. H i r s t, Michelangelo, Carrara, and the marble for the Cardinal’s Pietà, in: The Burlington Magazine 127 (1985), S. 154–159; K. We i l-G a r r i s B r a n dt, Michelangelo’s ‚Pietà‘ for the Cappella del Re di Francia, in: Il se rendit en Italie. Études offertes à André Chastel, Rome-Paris 1987, S. 77–108; M. H i r s t, The Artist in Rome 1496–1501, in: d e r s. / J. D u n ke r to n (Hg.), Making & Meaning. The Young Michelangelo, London 1994, S. 13–81, hier S. 47–55; d e r s., Michelangelo (wie Anm. 27), S. 31–37. 34 J. S h e a r m a n, Raphael, Rome, and the Codex Escurialensis, in: Master Drawings 15 (1977), S. 107– 146, hier S. 133; D. C o o p e r, La commissione di Atalanta Baglioni e la collocazione originaria della ‚Deposizione‘ nella chiesa di San Francesco al Prato, in: He r r m a n n F i o r e (Hg.), Raffaello (wie Anm. 21), S. 19–39, hier S. 23.
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Abb. 12: Michelangelo, Pietà; Rom, St. Peter.
Gallo überging³⁵ und in dessen Hof im Kreise von dessen Antiken seine Berühmtheit entfaltet hat, wie rund drei Jahrzehnte später etwa die Ansicht des Skulpturengartens von Marten van Heemskerck eindrucksvoll bezeugt.³⁶
35 Raffaele M a f f e i Vo lte r r a n o, Commentariorum rerum urbanorum liber primus, Roma 1506, fol. CCCv. H i r s t, Michelangelo Carrara (wie Anm. 33); d e r s ., Artist (wie Anm. 33), S. 29–35; d e r s ., Michaelangelo (wie Anm. 27), S. 27, 30f. 36 C. Hü l s e n / H. E gge r (Hg.), Die römischen Skizzenbücher von Marten van Heemskerck im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin, 2 Bde., Berlin 1913/1916, hier Bd. 1, S. 39f., fol. 72.
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Das überkommene Rombild der so genannten Hochrenaissance geht zum einen von den fertigen Werken und ihrer Präsentation in kunsthistorischen Handbüchern aus, rechnet aber nicht mit ihrer meist Jahre, wenn nicht Jahrzehnte langen Entstehungsgeschichte. Zum anderen wird es von Glorifizierungen und Übertreibungen mitgeprägt, deren fundamentum in re höchst zweifelhaft ist. So widersprechen die erhaltenen Entwurfszeichnungen Michelangelos für das Grabmal Julius’ II. jeglichem Gedanken an ein Freigrab in Neu-St. Peter, wie es der Künstler rund 40 später, als alle damals Beteiligten außer ihm tot waren, über seine Biographen Ascanio Condivi und Giorgio Vasari lanciert und pathetisch zur Tragödie seines Lebens stilisiert hatte.³⁷ Die Skizze im Louvre³⁸ und der vollständige Entwurf von 1505³⁹ zeigen ein aus der Tradition des Quattrocento entwickeltes Wandgrab. Ähnlich abenteuerlich mutet die Beschreibung des gedanklich überfrachteten Projektes Julius’ II. für den Neubau St. Peters (Abb. 13)⁴⁰ an, die sich einzig bei Egidio da Viterbo findet. Demnach hätte der Papst die ganze Anlage auf den vatikanischen Obelisken, in dessen Kugel sich der Legende nach die Asche Julius Cäsars befand, an seinem ursprünglichen Aufstellungsort ausrichten wollen.⁴¹ Keiner der erhaltenen Pläne aus der Zeit der Grundsteinlegung 1506 oder aus den folgenden Jahren überliefert auch nur ansatzweise eine solche Überlegung. Vielmehr taucht sie erst 1508 oder sogar erst 1513 kurz nach dem Tod Julius’ II. auf,⁴² und vielleicht sollte es im Hinblick auf Luther zu denken geben, dass ausgerechnet sein Ordensgeneral Egidio da Viterbo den verstorbenen Papst mit einer solchen Apotheose zu überhöhen versucht. So treten auch die großen Avantgardisten jener Jahre, die die Aufträge des Papstes realisieren oder in der privaten Umgebung etwa des mächtigen Bankiers Agostino
37 A. N e s s e l r a t h, Raphael and Pope Julius II, in: H. C h a p m a n / T. H e n r y / C. P l a z z o t t a (Hg.) (mit Beiträgen von A. N e s s e l r a t h und N. Pe n ny), Raphael from Urbino to Rome, London 2004, S. 280–293, hier S. 281 38 Paris, Louvre, inv. 722v und inv. 8026v. P. Jo a n n i d e s, Michel-Ange, élèves et copistes, Paris 2003 (Inventaire général des dessins italiens 6), Nr. 14f. S. 102–107; C. L. Fr o m m e l, La tomba di Giulio II e gli inizi dell’architettura trionfale di Michelangelo (1505–1516), in: G. M au r e r / A. N o v a (Hg.), Michelangelo e il linguaggio dei disegni di architettura, Venezia 2012 (Collana del Kunsthistorisches Institut in Florenz 16), S. 120–139, hier S. 123–129, Abb. 6 (Für die Interpretation eines Freigrabes werden keine Argumente genannt.). 39 New York, Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund, 1962, inv. 62.93.1. M. H i r s t, Michelangelo and his Drawings, New Haven-London 1988, S. 82, 91f., 94, Abb. 173 und 174; d e r s ., Michelangelo Draftsman, National Gallery of Art, Washington, 9 October – 11 December, Milan 1988, S. 26–29, cat. 9; Fro m m e l, Tomba (wie Anm. 38), S. 121–123, Abb. 1. 40 Zur Zeichnung: P. N. P agl i a r a, Anonym, Sankt Peter während der Erbauung (Nordostseite) um 1520/25, in: Kunst und Kultur (wie Anm. 32), S. 561f., cat. 341 41 J. W. O’M a l l e y, Fulfillment of the Christian Golden Age under Pope Julius II. Text of a discourse of Giles of Viterbo, 1507, in: Traditio 25 (1969), S. 265–338. 42 O’M a l l e y, Fulfillment (wie Anm. 41), S. 275f.
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Abb. 13: Unbekannter Zeichner, Ansicht von Neu-St. Peter im Bau; Rötelzeichnung.
Chigi arbeiten,⁴³ erst allmählich ins allgemeine Bewusstsein oder werden von Romreisenden wahrgenommen. Z. B. findet sich im Text des bereits erwähnten Fidalgo de Chavez die früheste bekannte Reaktion einer anonymen Öffentlichkeit, in der die spektakulären Schöpfungen Raffaels und Michelangelos – und zwar unterschiedslos – als Maßstab für künstlerische Qualität herangezogen werden. Der Fidalgo preist ein Gemälde mit der „Geburt Christi“ auf dem Hochaltar der Kirche S. Marco an der Piazza Venezia als ebenbürtig mit den Bildern der beiden Meister.⁴⁴ Dabei steht er eventuell unter dem Eindruck der ca. 1512 fertig gestellten „Madonna di Foligno“ Raffaels in der S. Marco gleichsam gegenüberliegenden Kirche S. Maria in Aracoeli, wo sie damals sich vor dem mittelalterlichen Apsisgemälde von Pietro Cavallini abhob.⁴⁵ An der Sixtinischen Decke und mehr noch in den Repräsentationsräumen im Vatikan, wo der Papst zu Privataudienzen empfing, übernahm die Kunst eine Rolle, wie sie sie später auch für die Reformation bekommen sollte. Raffael malte in den Stanzen zwar „ad praescriptum Julii“,⁴⁶ das bedeutete aber keineswegs, dass überkommene
43 R. B a r t a l i n i, Due episodi del mecenatismo di Agostino Chigi e le antichità della Farnesina, in: Prospettiva 67 (1992), S. 17–38; d e r s., Le occasioni del Sodoma. Dalla Milano di Leonardo alla Roma di Raffaello, Roma 1996, S. 39–86. 44 Madrid, Real Academia de la Historia, Salazar y Castro, Nr. 76, fol. 195r. D e s w a r t e - R o s a, Sguardo (wie Anm. 17); d i e s., Portuguese (wie Anm. 17), S. 251f.; N e s s e l r a t h, Raffael (wie Anm. 17), S. 21; d e r s., Raphaël (wie Anm. 15), S. 63. 45 A. N e s s e l r a t h, Raffaels Madonna von Foligno, in: A. H e n n i n g / A. N e s s e l r a t h (Hg.), Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna, München-London-New York 2011, S. 40–51, hier S. 41f. 46 J. S h e a r m a n, Raphael in early modern sources. 1483–1602, 2 Bde., New Haven-London 2003 (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 30–31), S. 803, 809; N e s s e l r a t h, Raphaël (wie Anm. 15), S. 102.
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Ikonographien ausgewählt wurden; ganz im Gegenteil, er führte gemeinsam mit seinem Auftraggeber persönlich oder in Person eines Delegierten theologische Diskurse, die er dann bildlich umgesetzt hat. In der zwischen 1508 und 1511 ausgemalten Privatbibliothek Julius’ II. dominiert unter der „Allegorie der Theologie“ im Gewölbe die Lünette mit der „Disputà“ den Raum. Zusammen mit den Malern Sodoma, der aus Siena, wo er tätig war, übersiedelte, und Johannes Ruysch aus Köln, wo er im Kloster Groß-St. Martin zu Hause gewesen war, hatte Raffael im Herbst 1508 das Gewölbe ausgemalt⁴⁷ und wandte sich danach unmittelbar dem Hauptbild mit der „Disputà“ (Abb. 14) zu. Der Weltenrichter in der kanonischen Deesis ist gleichzeitig das Zentrum der Dreifaltigkeit, welche von einer grandiosen Glorie der Engelchöre umgeben wird und um die sich, verbunden durch die Verkündigung der Evangelien, im Himmel die Patriarchen und Heiligen der Vergangenheit und auf Erden die Kirche der Geschichte und in der Gegenwart gruppieren – eine triumphale Kosmologie des christlichen Glaubens.⁴⁸ Die Herausforderung dieser Darstellung spiegelt sich in den rund dreißig erhaltenen Vorzeichnungen. Obwohl die hohe Zahl zufällig sein kann, ist der Umfang des Materials doch bezeichnend; denn um keines der anderen Fresken hat Raffael ähnlich gerungen wie um die „Disputà“. Die Vorstudien zusammen mit den technischen Befunden der Ausführung scheinen sogar eine Unterbrechung der Planung zugunsten einer Ausführung der „Schule von Athen“ auf der Wand gegenüber erkennen zu lassen. Erst nachdem die Idee aufgekommen war, die Monstranz auf einem Altar in die Ikonographie einzufügen, gewann die endgültige Komposition ihre heutige Gestalt. Man entschied sich in Abwandlung des Ausgangsgedankens dafür, trotz der Anwesenheit der göttlichen Dreifaltigkeit die Präsenz im Altarsakrament darzustellen. Die Allgegenwart des dreieinigen Gottes wird also durch eine zweifache Darstellung, im Himmel in den Personen Gottvaters und Christi sowie der Taube des Heiligen Geistes und auf der Erde als Realpräsenz in der Hostie, anschaulich gemacht. Im glorreichsten Moment seines Pontifikates scheint Julius II. in dieser bildlichen Formulierung aus dem Jahr 1509 sein theologisches Credo gefunden zu haben, unter dem er seine wichtigsten Besucher empfangen kann.⁴⁹
47 V. G o l z i o, Raffaello. Nei documenti nelle testimonianze dei contemporanei e nella letteratura del suo secolo, Città del Vaticano 1936, S. 21; B. Ke m p e r s, Staatssymboliek in Rafaëls Stanza della Segnatura, in: Incontri. Rivista di Studi Italo-Nederlandesi 2 (1986/87), S. 3–48, hier S. 38; d e r s ., Ruysch en Erasmus in Rome. Een kleine bespiegeling over multidisciplinariteit, internationalisering en kinderen, Amsterdam 1996, S. 5–11; R. B a r t a l i n i, Sodoma, the Chigi, and the Vatican Stanze, in: The Burlington Magazine 143 (2001), S. 544–553, hier S. 549; S h e a r m a n, Raphael (wie Anm. 46), S. 125– 127; P. H. M e u re r, Ruysch, Johann, in: NDB 22 (2005), S. 307. 48 N e s s e l r a t h, Raphaël (wie Anm. 15), S. 94–110. 49 Ebd., S. 105–110.
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Abb. 14: Raffael, Disputà über das Altarssakrament; Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza della Segnatura.
Die „Messe von Bolsena“ (Abb. 15), die Raffael 1511 als erstes Wandbild im nächsten Raum des Papstappartements, der so genannten „Stanza di Eliodoro“, in Angriff genommen hat, zeigt nicht nur den um göttliche Hilfe aus militärischer Bedrängnis betenden Papst, sondern thematisiert darüber hinaus im Abstand von zwei Jahren nach der „Disputà“ nunmehr den Zweifel an der Transsubstantiation, ein Thema, das nicht erst seit dem Konstanzer Konzil immer wieder aufgetaucht war⁵⁰ und in den folgenden Jahren bei Melanchton und zahlreichen Reformatoren stetig diskutiert wurde. Ein böhmischer Priester, der an der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi während der Wandlung bei der Messfeier zweifelt, fand zum Glauben, als das Blut aus der Hostie auf das Korporale tropfte, während er auf seiner
50 J. Lo r t z, Die Reformation in Deutschland, 2 Bde., Freiburg-Basel-Wien 41962, S. 108–111; J. Lo r t z / E. I s e r l o h, Kleine Reformationsgeschichte. Ursachen – Verlauf – Wirkung, Freiburg-Basel-Wien 1969, S. 18; K. G a n z e r, Die religiösen Bewegungen im Italien des 16. Jahrhunderts, Münster 2003 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 63), S.1f.; V. Le p p i n, Die Reformation, Darmstadt 2013, S. 5f.
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Abb. 15: Raffael, Messe von Bolsena; Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
Romfahrt 1263 in Bolsena eine Messe zelebrierte. Dem Tuch, das in Orvieto bis heute als Reliquie verehrt wird, hatte Julius II. seinen Sieg im Felde von 1507 zugeschrieben. Deshalb fleht er es vier Jahre später erneut an, zumindest bildlich. Während der Zyklus das Eingreifen Gottes zur Rettung seines Volkes in der Geschichte bis zu Julius’ Flehen ins Bild setzt, wäre der in den Malereien bärtig dargestellte Papst, wenn er, nachdem sein Beten erhört worden war, wieder bartlos unter den Bildern gestanden hätte, das lebendige Zeugnis für Gottes Wirken bis in die Gegenwart gewesen. An der Lehrmeinung zum Altarsakrament und zur Messe lässt die Darstellung keinen Zweifel. Da Julius II. jedoch das Thema der Transsubstantiation ausgewählt hatte, hielt er es offenbar für angebracht, dazu explizit an einem zentralen Ort Stellung beziehen.⁵¹ Es ist das Prinzip der Wandbilder in der „Stanza di Eliodoro“, das Ereignis der jeweiligen dargestellten geschichtlichen Epoche mit der Gegenwart des Pontifikates von Julius II. zu verschränken.⁵² In der „Messe von Bolsena“ werden die beiden Kom-
51 A. N e s s e l r a t h, La Stanza d’Eliodoro, in: Raffaello nell’appartamento di Giulio II e Leone X, Milano 1993, S. 203–245; d e r s., Raphaël (wie Anm. 15), S. 111–118. 52 J. S h e a r m a n, The Expulsion of Heliodorus, in: C. L. Fr o m m e l / M. Wi n n e r (Hg.), Raffaello a Roma. Il convegno del 1983, Roma 1986, S. 75–88, hier S. 86; N e s s e l r a t h, Stanza (wie Anm. 51), S. 222 –242; d e r s., Raphaël (wie Anm. 15), S. 111.
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ponenten in den beiden Hälften des Freskos gegenübergestellt und sind von Raffael im Malmodus differenziert. Wenn von einer Verweltlichung des Papsttums die Rede ist, trifft das in diesen Bildern in anderer, eher umgekehrter Form zu. Julius II. beauftragte Raffael zwar, politische Positionen zu formulieren, lässt sie jedoch immer in einer aktuellen theologischen Fragestellung gipfeln. Hier wird nicht in erster Linie eine politische Ikonographie geschaffen, sondern die Geschichte wird immer zu einer Erfahrung im Glauben. In dieser Transposition liegt die Komplexität der raffaelischen Schöpfungen. Dass Julius II. mit Raffael einen virtuosen Maler zur Verfügung hatte, der nicht nur die Bildidee mit konsequenter intellektueller Durchdringung schlüssig umsetzen konnte, sondern dessen Leichtigkeit im Umgang mit dem Pinsel offenbar keiner rationalen Reflexion bedurfte, gehört ebenso nicht in den Bereich des Luxus. Hätte er etwa einen schlechten Maler engagieren sollen, um fromm zu wirken? Das feine Gespür, mit dem er seine Botschaft Künstlern anvertraute, bezeugt vielmehr die hohe Kultur dieses Papstes und legt die Verantwortung offen, mit der er seine Rolle des spirituellen Führers wahrnahm. In einer Symphonie aus weißen Pinselstrichen hat Raffael das Rochette des Ministranten geschaffen; eine Tönung reicht, um die unterschiedliche Schwere von Seide und Leinen zu differenzieren; die Farbtropfen sind stehengelassen, um den Lichtreflex auf dem bestickten Kissen zu erzeugen, und sie nehmen ab, wo der Kerzenschein es nicht mehr erreicht. Die Schnelligkeit des Pinsels in der Tiefenstaffelung, die Modellierung durch den Schatten, die Schlaglichter, die die Impression des Materials erzeugen, die flüchtige Skizze, die das Altargerät liturgisch vollständig auf den Altar stellt, oder die Erfindung der Lasur, um den Kerzenrauch zu erzeugen, sind nur Beispiele der Vielfalt, mit denen Raffael in 30 Tagewerken dieses Wandbild ausgeführt hat. Das Bildnis Julius’ II. gerät zum Staatsporträt (Abb. 16), das, gesteigert durch die individuelle Darstellung der intensiven Persönlichkeit seiner engsten Mitarbeiter, die ihm folgen (Abb. 17), zum Paragone mit dem Papst selbst wird, wenn er unter dem Fresko seine Gäste zur privaten Audienz empfängt. Die unten rechts knienden Sediarii hat Raffael mit der gleichen Intensität porträtiert. Martin Luther kannte dieses Fresko gewiss nicht, aber man ist geneigt, sich zu fragen, ob er auf dem Campo deʼ Fiori, in der Via dei Banchi Vecchi oder gar in einer Taverne im Borgo dem einen oder andern von diesen Sesselträgern begegnet ist: dem Ungarn mit seinem gedrehten Schnurrbart und Spitzbart (Abb. 18e), dem jungen Don Giovanni mit seinen wallenden Haaren und seinem flüchtig ausrasierten, dünnen Kinnbart (Abb. 18 d), dem gestandenen, glatten Familienvater (Abb. 18 b), dem erschreckten Schönling mit seiner eng anliegenden Haube, unter der seine Haare verschwinden (Abb. 18c), oder dem handfesten Anführer mit seiner fuchsigen Pagenfrisur und seiner Blaurasur (Abb. 18a).
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Abb. 16: Raffael, Messe von Bolsena (Porträt Papst Julius’ II.); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
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Abb. 17: Raffael, Messe von Bolsena (Porträts der Papstnepoten); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
Abb. 18a: Raffael, Messe von Bolsena (erster Sesselträger); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
Abb. 18b: Raffael, Messe von Bolsena (zweiter Sesselträger); Vatikanstadt, Apostol. Palast, Stanza di Eliodoro.
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Abb. 18c: Raffael, Messe von Bolsena (dritter Sesselträger); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
Abb. 18e: Raffael, Messe von Bolsena (hinterer Sesselträger); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
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Abb. 18d: Raffael, Messe von Bolsena (vierter Sesselträger); Vatikanstadt, Apostolischer Palast, Stanza di Eliodoro.
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Abb. 19: Rekonstruktion des Statuenhofes in der Villa Belvedere zur Zeit Papst Juliusʼ II. mit dem Apoll von Belvedere und dem Laokoon, wie sie während der Ausstellung „Hochrenaissance im Vatikan“ in der Bonner Bundeskunsthalle 1998/99 aufgestellt war.
Das Rom Julius’ II. ist künstlerisch und bildpropagandistisch durch die Schöpfungen Bramantes, Michelangelos und Raffaels bzw. den belvederischen Statuenhof mit dem Laokoon, dem Apoll und den anderen antiken Statuen definiert (Abb. 19).⁵³ Um 1510/ 11 aber ist es noch weitgehend eine Fiktion. Vielleicht spürte man eine Energie des Aufbruches, etwa wie in Berlin vor rund 15 Jahren. Wenn man die Transformation der Stadt durch diese Giganten abzieht, fällt es nicht schwer, die aus dem Mittelalter kommende Tradition wie sie in den großen Apsismosaiken reich vorhanden ist, zu erblicken.
53 A. N e s s e l r a t h, Il Cortile delle Statue. Luogo e storia, in: M. Wi n n e r / B. A n d r e a e / C. P i e r a n ge l i (Hg.), Il Cortile delle Statue / Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Akten des Internationalen Kongresses zu Ehren von Richard Krautheimer, Rom, 21.–23. Oktober 1992, Mainz 1998, S. 1–16, hier S. 1–9; d e r s., Wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Beschäftigung mit der Antike, in: Kunst und Kultur (wie Anm. 32), S. 236–239, hier S. 236f.
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Abb. 20: Hermann Vischer, Grundriss des Pantheon; Paris Louvre.
Martin Luther mochte die „welschen Malern“ und schätzte an ihnen ihren Naturalismus, den er mit den „Niederländern, sonderlich den Flämmigen“ verglich.⁵⁴ Dies passt eher auf Werke Pinturicchios und macht nicht den Eindruck, als habe er die Eruption der Epoche in Rom gespürt. Vielleicht ging es ihm ähnlich wie Hermann Vischer aus Nürnberg, der nur kurz nach ihm, im Jahre 1515, die ewige Stadt bereist hat.⁵⁵ Er dokumentiert als einziger Renaissancezeichner den mittelalterlichen Altar mit Ziborium und die umgebende Schrankenanlage im Pantheon (Abb. 20). Raffael hatte 1506 spontan das Aussehen des antiken Innenraums rekonstruiert und unserem Gedächtnis als Zustand eingebrannt.⁵⁶ Vischer kam so etwas gar nicht in den Sinn; er schrieb neben seinen Grundriss: „Hie leit die gantz kapelln marija Rodunda
54 WA.TR 6, Nr. 7035 S. 349,22, 27–28; K r üge r / Wa l l r a f f, Rom (wie Anm. 13), S. 13. 55 W. Lo t z, Zu Hermann Vischers d. J. Aufnahmen italienischer Bauten, in: Miscellanea Bibliothecae Hertzianae, München 1961 (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 16), S. 167–174; E. S t a rc k y, Dessins de Dürer et de la Renaissance germanique dans les collections publiques parisiennes, Paris 1991 (Expositions du Cabinet des Dessins 98), S. 101–104. 56 Florenz, Uffizien, inv 164. S h e a r m a n, Raphael (wie Anm. 34), S. 109–117, pl. 1–3; A. N e s s e l r a t h, Impressionen zum Pantheon in der Renaissance, in: Pegasus. Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike 10 (2008), S. 37–84, hier S. 38–63, Abb. 1.
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Abb. 21: Zeitgenössische Porträts Martin Luthers.
im grunt mit der borten oder Eingang“. Sämtliche Ädikulen sind wie der Hochaltar ausdrücklich als Altäre markiert: „das sin altar“. Die antike Funktion des Baues erwähnt Hermann Vischer nirgends.⁵⁷ Die römische Bildwelt war um 1510/11 noch die des ‚heiligen Rom‘. Wer sie mit Ernst durchdrang, stieß auf die angesprochene Kultur des Papstes, nicht auf Pomp. Die „babylonische Hure“ tummelte sich eher auf den Plätzen, in den Häusern und Palästen oder in den Bordellen, wo kurze Zeit später auch Ulrich von Hutten Diebe, Betrüger, Prostituierte oder ähnliche Zeitgenossen getroffen hat. In Dürers „Apokalypse“ ist die „babylonische Hure“ übrigens Venezianerin.⁵⁸ Luther hat später vor allem durch Lucas Cranach seine Theologie mit ähnlichem Aufwand ins Bild setzen lassen wie Julius II., und die Ikonographie seines eigenen Porträts (Abb. 21) übertrifft in ihren vielfältigen Ausprägungen von Typologie, Medien und Kopien die der
57 Paris, Louvre, Inv. 19051; vgl. N e s s e l r a t h, Impressionen (wie Anm. 56), S. 49, Abb. 10. A. N e s s e l r a t h, Der Zeichner und sein Buch. Die Darstellung der antiken Architektur im 15. und 16. Jahrhundert, Mainz-Rupolding 2014 (Cyriacus. Studien zur Rezeption der Antike 5), S. 123–125, Abb. 168. 58 Albrecht Dürer 1471 bis 1528. Das gesamte graphische Werk, Einleitung von W. Hü t t, Berlin 1970, hier Bd. 2 (Druckgraphik), S. 1518f.
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römischen Kaiser und Päpste. Kein Kaiser und kein Papst verfügen über eine solche Breite von Darstellungsvarianten ihrer eigenen Physiognomie und über solch lange Kopienreihen.⁵⁹ Hier ist Luther römischer als die römischen Kaiser und päpstlicher als der Papst, ja ohne Weiteres ein Vorläufer Napoleons. Luther verstand es durchaus, mit dem Rombild, das er vorgefunden hat, umzugehen und ein eigenes Rombild später zu erzeugen.
Abbildungsnachweise Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3:
Salzburg, Universitätsbibliothek, inv. H 193, fol. 2v. München, BSB, Rar. 287, fol. 97v, 98r. Lucas Cranach. Das gesamte graphische Werk, 1472–1553, Berlin 1972, S. 377. Abb. 4: B. Ta l va cc h i a, Raffael, Berlin 2007, S. 111, Abb. 77. Abb. 5: M. Ro n d i na, Gli Agostiniani in Santa Maria del Popolo, in: I. M i a re l l i / M. R i c h i e ll o (Hg.), Santa Maria del Popolo. Storia e restauri, 2 Bde., Roma 2009, Bd. 1, S. 3–12, hier S. 6. Abb. 6: Istituto Poligrafico dello Stato (Hg.), La Chiesa, la Bibliotheca Angelica, l’Avvocatura. Il Complesso di Sant’Agostino in Campo Marzio, Roma 2009, S. 1. Abb. 7a–c, 8a–b: Erzbruderschaft beim Campo Santo Teutonico. Abb. 9: M. R. S i l ve s tre ll i, ‚Pictor egregius‘ a Siena, in: S ca r p e l l i n i / S i l ve s tre ll i (Hg.), Pintoricchio (wie Anm. 24), S. 233–246, hier S. 242, Abb. 7. Abb. 10: S. E b e r t-S c h i ffe re r, Ripandas kapitolinischer Freskenzyklus und die Selbstdarstellung der Konservatoren um 1500, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 23, 1988, S. 75–218, hier S. 132. Abb. 11: Photo Copyright © Vatican Museums. All rights reserved. Abb. 12: Fabbrica di San Pietro. Abb. 13: Privatbesitz. Abb. 14, 15, 16, 17, 18a–e:Photo Copyright © Vatican Museums. All rights reserved. Abb. 19: Bonn, Bundeskunsthalle. Abb. 20: A. N e ss e l ra t h, Der Zeichner und sein Buch. Die Darstellung der antiken Architektur im 15. und 16. Jahrhundert, Mainz-Ruhpolding 2014, S. 123, Abb. 168. Abb. 21: W. H o f ma n n (Hg.), Köpfe der Lutherzeit, München 1983.
59 Vgl. z. B. für eine Auswahl: W. Ho f m a n n, Köpfe der Lutherzeit, München 1983, S. 27, 64f., 88f., 110–117, 122f., 226f., 236f., oder M. Wa r n ke, Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image, Frankfurt a. M. 1994.
Michael Matheus
„Sola fides sufficit“ ‚Deutsche‘ Akademiker und Notare in Rom 1510/12 An der Umgestaltung Roms zur Residenzstadt der Renaissance mit ihren neuen Straßen, Plätzen, Palästen, Hospitälern, mit der ersten nachantiken Brücke und zahlreichen Kirchen hatten auch jene Einrichtungen einen Anteil, die von ‚Deutschen‘ getragen bzw. von ihnen frequentiert wurden. Als ‚Deutsche‘ gelten dabei solche, die aus dem nordalpinen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches nach Rom gekommen waren. Zwischen Universitätsabsolventen und Notaren wird im Folgenden unterschieden. Zwar hatten viele (möglicherweise sogar alle) der hier besonders interessierenden Rotanotare studiert, aber dies kann schon quellenbedingt nur für einen Teil nachgewiesen werden.¹ Wenngleich bisher in keinem Fall ein Kontakt zwischen Martin Luther und den im Folgenden erörterten Personen gesichert nachgewiesen werden kann, so sind diese doch Teil jenes akademisch-klerikalen Milieus, mit dem der Augustinereremit während seines Romaufenthalts in Berührung gekommen sein kann.
1 Rahmenbedingungen: Kirchenbau und Annenkult Zahlreiche Kirchen suchte Martin Luther auf, der in der Formung später Erinnerung zu Protokoll gab: „Gleich wie mir geschach zu Rom, da ich auch so ein toller heilige war, lieff durch alle kirche und klufften (Katakomben), gleubt alles, was daselbs erlogen und erstuncken ist“.² Drei Gotteshäuser waren für ihn sowie die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehenden Personen von besonderer Bedeutung. Im Chor der wahrscheinlich 1475 in Angriff genommenen und um 1500 vollendeten neuen Kirche des Campo Santo Teutonico³ stiftete die dort ansässige Bruderschaft
1 C. S c h u c h a rd, Die Deutschen an der päpstlichen Kurie im späten Mittelalter (1378–1447), Tübingen 1987 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 65), bes. S. 114ff.; d i e s ., Zu den Rotanotaren im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: A. Ja m m e / O. P o n c e t (Hg.), Offices et papauté (XIV e–XVII e siècle). Charges, hommes, destins, Rome 2005 (Collection de l’École française de Rome 334), S. 805–828; d i e s., Die Rota-Notare des deutschen Sprachraums 1471–1527. Ein biographisches Verzeichnis, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken (= QFIAB) 93 (2013), S. 104–218. 2 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 31,1, S. 226. 3 A. Tö n n e s m a n n / U. V. Fi s c h e r P a ce, Santa Maria della Pietà, die Kirche des Campo Santo Teutonico in Rom, Freiburg i. Br. 1988 (Der Campo Santo Teutonico in Rom 2 / Römische Quartalschrift für DOI 10.1515/9783110316117-021
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1502/03 einen neuen Hochaltar. So wie der Bautyp der Kirche teilweise aus dem Norden entlehnt wurde, in der Architektur des Gotteshauses aber zugleich italienische bzw. römische Formen verarbeitet sind, handelt es sich bei dem dreiteiligen Flügelaltar um einen aus dem nordalpinen Raum in Rom implantierten Typus. In dem monumentalen Triptychon, mit dem die Bruderschaft wohl von mehreren Künstlern etwas in Rom bis dahin völlig Unbekanntes schaffen ließ und dessen bemerkenswerte Qualität dank der jüngsten Restaurierung viel deutlicher zutage tritt, verschmelzen nordalpine und italienische Malstile und Kunsttraditionen. Bei geschlossenen Flügeln waren die Begegnung Joachims und Annas, der Eltern Mariens, an der Goldenen Pforte in Jerusalem und eine Anna Selbdritt zu sehen.⁴ Zu dem am 23. November 1511 geweihten neuen Gotteshaus von S. Maria dell’ Anima⁵ bemerkte Luther aus der Erinnerung: „Zu Rom im Spital ist die deutsche Kirche, die ist die beste, hat ein deutschen Pfarrherr“.⁶ Auch in diesem von Luther offenkundig besonders geschätzten Gotteshaus wurde die hl. Anna verehrt; in der alten wie in der neuen Kirche verfügte die St. Anna-Bruderschaft über eine Kapelle, in der eine Anna Selbdritt als Altarbild diente. Die Skulptur wurde dem Campo Santo 1897 als Geschenk verehrt, gelangte aber später wieder in den Besitz der Anima.⁷ (Abb. 1 u. 2)
christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 43); M. R o h l m a n n, Antigisch art Alemannico more composita. Deutsche Künstler, Kunst und Auftraggeber im Rom der Renaissance, in: S. Fü s s e l / K. A. Voge l (Hg.), Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom, Wiesbaden 2001 (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 15–16), S. 101–180, bes. S. 119ff.; P. Fuga z z o l a, Die Hochaltargemälde aus der Kirche S. Maria della Pietà des Campo Santo der Deutschen und Flamen in Rom. Eine Bildbetrachtung, in: S. H e i d (Hg.), Campo Santo Teutonico. Höhepunkte der Jahre 2004 bis 2010, Vatikanstadt 2010, S. 13–29. 4 Siehe. den Beitrag von A. N e s s e l r a t h in diesem Band mit den Abb. 7 und 8. 5 Vgl. mit Verweis auf die ältere Literatur zuletzt: B. B au m ü l l e r, Santa Maria dellʼAnima in Rom. Ein Kirchenbau im politischen Spannungsfeld der Zeit um 1500. Aspekte einer historischen Architekturbefragung, Berlin 2000; R o h l m a n n, Antigisch (wie Anm. 3), S. 112f.; E. H a n ke, S. Maria dell’Anima als Hallenkirche. Architekturwahrnehmung um 1500 und heute, in: M. M a t h e u s (Hg.), S. Maria dellʼAnima. Zur Geschichte einer ‚deutschen‘ Stiftung in Rom, Berlin-New York 2010 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 121), S. 111–136. 6 H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, S. 12, der den von Luther namentlich nicht genannten Pfarrherrn mit Heinrich Bode identifiziert. So auch bei H. Vo s s b e rg, Im heiligen Rom. Luthers Reiseeindrücke 1510–1511, Berlin 1966, S. 86. Je nach Datierung der Reise handelt es sich um unterschiedliche Personen. Vgl. schon J. S c h m i d l i n, Geschichte der deutschen Nationalkirche in Rom S. Maria dellʼAnima, Freiburg 1906, S. 259, der Luthers Romreise in das Jahr 1511 datierte: „mit dem deutschen Pfarrer ist wohl der Sakristan Gottfried Velderhoff von Beeck gemeint, der am 14. Mai an die Stelle des Heinrich Bode trat“. Eine Untersuchung zu den beiden ‚Pfarrherrn‘ der Anima ist geplant. 7 In der Chronik von S. Maria dell’Anima ist festgehalten: „Zum Jubiläum des Campo Santo spendete der Rector für das dortige Museum die durch ihr Alter und Art ihrer Darstellung berühmte (?) Gruppe aus Holz darstellend die Hl. Mutter Anna, auf deren Schoß Maria ist, welche wieder das Jesuskindlein hält“. Archivio Storico Santa Maria dell’Anima (= ASMA), Chronik des Hospitium Santa
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Für Deutsche spielte auch Sant’ Agostino, eine der beiden Kirchen der Augustinereremiten in Rom, eine wichtige Rolle. An der Stelle einer Vorgängerkirche wurde in den Jahren 1479 bis 1483 nach den Entwürfen der Architekten Jacopo da Pietrasanta und Sebastiano Fiorentino ein Neubau errichtet, eines der ersten Gotteshäuser in Rom mit Elementen des Renaissancestils. Während Luthers Romaufenthalt war der vom hier residierenden General Egidio mehrfach in diplomatischen Missionen eingesetzte Deutsche, Johannes Parvus, Subprior des Konvents,⁸ dem auch schon zuvor deutsche Brüder angehörten.⁹ Für die Bruderschaften der deutschen Schuhmacher und Bäcker war das Gotteshaus der Augustinereremiten eine wichtige Anlaufstelle.¹⁰ Deutsche Handwerker ließen dem Konvent Stiftungen zukommen und in deren Kirche wohl auch deshalb in beachtlicher Zahl Messen lesen und Bestattungen vornehmen,
Maria dell’Anima, fol. 32v, zum 8. Dezember 1896. Im Tagebuch Anton de Waals ist unter dem Datum 24. Januar 1897 vermerkt: „Der Rektor der Anima sandte für das Museum die alte Holzgruppe der Hl. Anna“. Dieser Vermerk steht im Zusammenhang von Geschenken anlässlich des 1100-jährigen Jubiläums des Campo Santo Teutonico. Archiv des Campo Santo Teutonico (= ACST), Libro 70. Im Congregationsbuch der Erzbruderschaft vom deutschen Gottesacker heißt es: „Mons. Hudal bittet in einem Schreiben vom 2. Februar 1932 um die Rückgabe der Holzstatue St. Anna Selbdritt, die seinerzeit in Unkenntnis ihrer geschichtlichen Zusammenhänge aus dem Animabesitz an Mons. de Waal zu seinem goldenen Priesterjubiläum verehrt wurde und nun im archäologischen Museum des Campo Santo ihren Platz hat. Die Rückgabe dieser Statue, tunlichst im Tauschwege, wird bewilligt“. Sitzung vom 17. März 1932: ACST, Libro 201, S. 140f. S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 249f.; J. Lo h n i n ge r, S. Maria dell’Anima, die Deutsche Nationalkirche in Rom. Bau- und kunstgeschichtliche Mitteilungen aus dem Archiv der Anima, Rom 1909, S. 34; R o h l m a n n, Antigisch (wie Anm. 3), S. 115f. Zur Position der Skulptur und einem Datierungsvorschlag in das zweite Viertel des 16. Jahrhunderts (nach dem Sacco di Roma) vgl. demnächst den Beitrag von A. R au b, in: S. Ku b e r s k y- P i r e d d a / T. D a n i e l s (Hg.), Santa Maria dell’Anima. Pluralità sociale e committenza artistica nell’età confessionale (secc. XVI–XVII). Die Provenienz einer heute im Campo Santo aufbewahrten Gruppe Anna mit Maria ist unbekannt, vgl. ACST, Schaffer-Inventar C 0014. Sie stammt möglicherweise aus dem 15. Jahrhundert. Die Gruppe ist nur torsohaft, vom Thron ist nur das Oberteil der rechten Wange erhalten; das Holz ist sehr wurmstichig; von der alten Polychromie sind nur Reste vorhanden. (Abb. 2) Für Hinweise danke ich Stefan Heid. 8 H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii. Der ‚Staupitz-Streit‘ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507–1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 118 (2007), S. 2–44, hier S. 27 (Anm. 160), 36. Vgl. jetzt zum gesamten Kontext d e r s., Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), Berlin 2011, S. 1 –157. 9 Zum Folgenden vgl. K. S c h u l z / C. S c h u c h a rd, Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance. Darstellung und ausgewählte Quellen, Rom u. a. 2005 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 57), S. 73ff. 10 Für die Bäckerbruderschaft blieb S. Agostino auch über das Jahr 1487 hinaus von Bedeutung, in dem sie eine eigene kleine Kirche S. Elisabetta erwarben. Zu S. Agostino siehe auch die Beiträge von Anna E s p o s i to und Sabine M e i n e in diesem Band.
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Abb. 1: Anna Selbtritt.
weil ihnen dort Landsleute zur Verfügung standen. Auch ein Kurialer, wie der 1505 verstorbene Rotanotar und Prokurator Thomas Deix, der auch als Provisor der Anima fungierte und in S. Agostino eine Kapelle stiftete, wurde hier bestattet.¹¹
11 S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 127; K. H. S c h ä f e r, Johannes Sander von Northusen. Notar und Rektor der Anima. Ein deutsch-römisches Lebensbild am Ausgang des Mittelalters, Rom 1913, S. 14; T. Fre n z, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance, 1471–1527, Tübingen 1986 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 63), Nr. 2154 S. 449; d e r s ., Repertorium Officiorum Romanae Curiae (RORC), URL: http://www.phil.uni-passau.de/fakultaetsorganisation/fakultaetsangehoerige/ histhw/forschung/rorc/ (14. 9. 2017).
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Abb. 2: Anna Selbtritt – Torso.
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Zu den hochrangigen Kunstwerken in dieser Kirche zählt die Kapelle an zentraler Stelle in der Nische des dritten Pfeilers des Mittelschiffs, die seit 1981 wieder im ursprünglichen Kontext zu sehen ist.¹² (Abb. 3) Am 13. Dezember 1510 schloss Johannes Goritz einen Vertrag mit den Augustinereremiten über den Altar ab, der 1512 fertig gestellt worden sein dürfte. Zuvor war ausführlich mit Spezialisten sowie dem Prior und Konventsangehörigen über die Gestaltung des Altars und seine Platzierung beraten worden, zahlreiche Konventsmitglieder waren bei der Vertragsunterzeichnung anwesend, darunter auch ein „frater Johannes Alemannus“.¹³ Am festgesetzten Ort sollte nicht nur der Stifter bestattet werden, sondern ferner eine Lucrezia und ihre Tochter, welche zu diesem Zeitpunkt an anderer Stelle in der Kirche begraben waren.¹⁴ Andrea Sansovino schuf eine Anna Selbdritt aus kostbarem lunensischen Marmor, über der Raffaels Fresko mit dem Propheten Jesaja sowie Inschriften in Griechisch (Dedikationsinschrift) und Hebräisch (Jes. 26,2f.) angebracht wurden. Zum Gesamtprogramm gehörte ferner eine lateinische Dedikationsinschrift des Stifters neben der Statue.¹⁵ Mit Fresko, Skulptur und Inschriften wurde u. a. auf den Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament angespielt, denn Jesaja soll die Geburt Christi und die unbefleckte Empfängnis Mariens geweissagt haben. Malerei und Bildhauerkunst, ein aus dem Norden importierter Heiligenkult und ein an klassischer Kunst geschultes, ja sie übertreffendes Stilempfinden sollten hier offenkundig eine Symbiose miteinander eingehen.
12 J. H a ig G a i s s e r, The rise and fall of Goritius’ feasts, in: Renaissance Quarterly 48 (1995), S. 41–57; G. Pe r i n i, Carmi inediti su Raffaello e sull’arte della prima metà del Cinquecento a Roma e Ferrara. Il mondo dei Coryciana, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 32 (1997/98), S. 367−407, bes. S. 380f. Im Zuge einer Renovierung durch Vanvitelli kam die Anna Selbdritt im 18. Jahrhundert in die zweite Kapelle des linken Seitenschiffs und war so aus ihrem Kontext gerissen. 13 V. A. B o n i to, The Saint Anne Altar in Sant’ Agostino in Rome. A new discovery, in: Burlington Magazine 122 (1980), S. 805–812, Text des Vertrages S. 811f. Der Vertrag sieht verschiedene Messstiftungen vor, unter ihnen ein feierliches Hochamt am Festtag der hl. Anna. D i e s ., The Saint Anne Altar in Sant’ Agostino in Rome. Restoration and interpretation, in: Burlington Magazine 124 (1982), S. 268– 276; d i e s., The Saint Anne Altar in Santʼ Agostino, ohne Ort 1983. Auch Gäste und Besucher des Konvents wie Martin Luther dürften von der geplanten Altarstiftung erfahren haben. 14 Lukrezia und ihre Tochter waren nicht in S. Cecilia begraben, so R. We i j e n b o rg OFM., Neuentdeckte Dokumente im Zusammenhang mit Luthers Romreise, in: Antonianum 32 (1957), S. 147–202, hier S. 194, und zuletzt H. S c h m i t t, Art. Coritius (Coricio, Corycius, Corytius, Curitius, Goricius, Goritz, Gorizius, Gorytius, Gurici, Köritz, Küritz), Johann, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 29 (2008), Sp. 303–319. Dass die Tochter der Lukrezia den Namen Anna trug und sie Goritz’ Konkubine war, bleibt ebenso unsicher wie damit einhergehende Überlegungen, P e r i n i, Carmi inediti (wie Anm. 12), S. 374. Zu S. Agostino als Kirche vieler Kurtisanen siehe den Beitrag von Sabine M e i n e in diesem Band. 15 B o n i to, The Saint Anne Altar in Sant’ Agostino in Rome. A new discovery (wie Anm. 13), S. 809; d i e s, The Saint Anne altar in Sant’ Agostino in Rome. Restoration (wie Anm. 13), S. 275.
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Abb. 3: Annenaltar.
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In allen drei genannten Kirchen verkörpern Darstellungen der Anna Selbdritt ganz unterschiedliche Formen und Grade der Integration in die römische Kunstlandschaft und bringen zugleich jene Verehrung der Großmutter Christi zum Ausdruck, die im 15. und 16. Jahrhundert insbesondere im nordalpinen Reichsgebiet einen Höhepunkt erreichte, wo zahlreiche Annenaltäre gestiftet und Annenbruderschaften gegründet wurden. Hier waren es nicht zuletzt Humanisten, welche die Ausformung des Kultes und seine Verbreitung förderten.¹⁶ Die Blüte dieses Kultes wurde auch dadurch gefördert, dass im Jahre 1481 die Mutter Marias von Papst Sixtus IV. in den römischen Heiligenkalender aufgenommen wurde.¹⁷ Ob Martin Luther tatsächlich im Jahre 1505 unter dem Eindruck eines Blitzschlages ein Gelübde gegenüber der Großmutter Jesu ablegte und schon als junger Mann die hl. Anna in besonderer Weise verehrte, kann im hier interessierenden Kontext offen bleiben.¹⁸ Unter den in Rom lebenden Deutschen war der Annenkult aber jedenfalls, wie die genannten Zeugnisse belegen, zu Beginn des 16. Jahrhunderts populär, und er blieb, wie die römischen Befunde zeigen, in vorreformatorischer Zeit keineswegs auf das nordalpine Reichsgebiet beschränkt.¹⁹
2 Akademiker und Notare Nach diesem einleitenden Szenarium sollen deutsche Akademiker und Notare in den Blick genommen werden. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Kleriker, die an der Kurie oder in deren Umfeld tätig waren.²⁰ Besonders beleuchtet werden unter Verknüpfung von römischen Quellen und solchen in partibus ihr akademischer Werdegang, ihre Karriere in Rom bis um 1512 sowie – soweit fassbar – ihr intellektuelles Profil.
16 E. G a t z, Die Heilige Anna in Düren, Mönchengladbach 1972; J. H. E m m i n g h au s, Anna Selbdritt, in: Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI) 5 (1973), Sp. 185–190; A. D ö r f l e r- D i e r ke n, Die Verehrung der heiligen Anna in Spät-Mittelalter und früher Neuzeit, Göttingen 1992 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 50), bes. S. 38, 165ff.; d i e s ., Vorreformatorische Bruderschaften der hl. Anna, Heidelberg 1992 (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 1992,3), bes. S. 151f.; d i e s ., Annenkult und humanistische Hagiographie, in: Pirckheimer-Jahrbuch 8 (1993), S. 57–89. 17 D ö r fl e r- D i e r ke n, Verehrung (wie Anm. 16), S. 70. 18 A. D ö r f l e r- D i e r ke n, Luther und die heilige Anna. Zum Gelübde von Stotternheim, in: LutherJahrbuch 64 (1997), S. 19–46. 19 D ö r fl e r- D i e r ke n, Verehrung (wie Anm. 16), S. 167f. 20 Dass vornehmlich Laien „die Träger des Annenkultes“ gewesen seien – so D ö r fl e r- D i e r ke n, Verehrung (wie Anm. 16), S. 257 – bestätigen die römischen Befunde nicht, und auch der postulierte Gegensatz zwischen Laien auf der einen und ‚Klerikerkirche‘ bzw. ‚Kleriker- und Religiosenkirche‘ auf der anderen Seite ist nicht zu konstatieren.
„Sola fides sufficit“
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Als Ausgangspunkt dient eine vom 9. November 1509 datierende Namensliste, welche aus der Sicht der Leitung von S. Maria dellʼAnima jene an der Kurie und in deren Umfeld wirkenden Deutschen in Rom aufführt, von denen eine Unterstützung des Kirchenbaus erhofft bzw. erwartet wurde. Zwar wurde dieser Spendenzettel (genauer Spendenerwartungszettel) von Franz Nagl ediert, der gebotene Text erweist sich aber nicht immer als zuverlässig, eine umfassendere Auswertung ist bisher nicht erfolgt.²¹ Genannt werden drei deutsche Bruderschaften (societates bzw. confraternitates) und 45 Personen, von denen Einnahmen in Höhe von 3.105 Dukaten erhofft wurden. Den in der Quelle enthaltenen Informationen zufolge arbeiteten 15 an der Kurie als Prokuratoren, Abbreviatoren, Skriptoren etc., 22 werden als Rotanotare bezeichnet. Schon Hermann Hoberg hatte auf den hohen Anteil von Deutschen unter den Rotanotaren und besonders unter den notarii substituti hingewiesen.²² Einige der in der Liste von 1509 genannten waren wie Johannes Goritz, Berthold Baldewini aus Salzwedel und Wolfardus Terlaen²³ vom „Hülfsnotar“²⁴ zum notarius principalis aufgestiegen.²⁵ Von den 45 Personen sind mindestens 37 als Akademiker und Notare
21 ASMA, A V, tom. 5, fol. 128r–v. F. N agl, Urkundliches zur Geschichte der Anima in Rom, in: Mittheilungen aus dem Archiv des deutschen Nationalhospizes S. Maria dellʼAnima in Rom. Als Festgabe zu dessen 500jährigem Jubiläum, dargeboten von d e m s . und Alois L a n g, Rom 1899 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 12), S. III–88, hier S. 71ff. Eine zweite von Nagl nicht berücksichtigte Liste findet sich unter ASMA, A V, tom. V, fol. 135r–v. Beide Listen werden unter den Miscellanea verwahrt, die aus zahlreichen zusammengebundenen Einzelstücken bestehen, über deren ursprünglichen Kontext nichts bekannt ist. Nagl hat lediglich die Namen der ersten Liste transkribiert ohne Berücksichtigung der zahlreichen Streichungen und Zusätze und ohne einen Abgleich mit der zweiten abweichenden Liste. Zudem sind etliche Lesungen nicht zuverlässig. Eine kritische Edition dieser interessanten Quellen wäre wünschenswert. Vgl. auch: G. vo n G r a e ve n i t z, Deutsche in Rom. Studien und Skizzen aus elf Jahrhunderten, Leipzig 1902, S. 103; A. S c h u lte, Die Fugger in Rom. 1495–1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, 2 Bde., Leipzig 1904, hier Bd. 1, S. 204f.; S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 213f. 22 H. Ho b e rg, Die Protokollbücher der Rotanotare von 1464–1517, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 39 (1953), S. 177–227; d e r s., Die ‚Admissiones‘ des Archivs der Rota, in: Archivalische Zeitschrift 50/51 (1955), S. 391–408; d e r s., Die Tätigkeit der Rota am Vorabend der Glaubensspaltung, in: Miscellanea in onore di Monsignor Martino Giusti prefetto dell’Archivio Segreto Vaticano, Città del Vaticano 1978 (Collectanea Archivi Vaticani 6), hier Bd. 2, S. 1–32; d e r s ., Inventario dell’Archivio della Sacra Romana Rota (sec. XIV–XIX), hg. von J. M e t z l e r (Collectanea Archivi Vaticani 34), Città del Vaticano 1994. Vgl. zuletzt mit weiteren Hinweisen S c h u c h a r d, Zu den Rotanotaren (wie Anm. 1); P. I nge s m a n n, Provisioner og processer. Den romerske Rota og dens behandling af anske sager i middelalderen, Aarhus 2003; M. B e r t r a m, Das Repertorium Germanicum und die Akten der Sacra Romana Rota, in: M. M a t h e u s (Hg.), Friedensnobelpreis und historische Grundlagenforschung. Ludwig Quidde und die Erschließung der kurialen Registerüberlieferung, Berlin-Boston 2011 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 128), S. 111–185. 23 Ho b e rg, Protokollbücher (wie Anm. 22), S. 199, 201, 209. 24 S c h ä f e r, Johannes Sander (wie Anm. 11), S. 15. 25 Ho b e rg, Protokollbücher (wie Anm. 22), S. 206f., 209.
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anzusprechen. Die Liste bietet sich als Ausgangspunkt für eine Netzwerkanalyse an, wozu hier nur ein erster Schritt erfolgen kann. Wilhelm von Enckenvoirt wird als apostolischer Skriptor und Archidiakon von Flandern verzeichnet und mit 100 Dukaten veranschlagt. Nach dem Tode von zwei in der Anima einflussreichen Personen, des Zeremonienmeisters Johannes Burckard (um 1450–1506) und des Kardinals Melchior von Meckau (um 1440–1509) wuchs der Einfluss des im brabantischen Mierlo geborenen Willhelm in dieser Institution, aber auch darüber hinaus. Spätestens ab 1489 in Rom als Prokurator tätig, war er 1498 der Animabruderschaft beigetreten und bekleidete von 1509 an für mehrere Jahre das Amt des Provisors,²⁶ wurde 1523 Kardinalprotektor der Anima und mit Blick auf die Ausstattung des neuen Gotteshauses eine der wichtigsten Persönlichkeiten. Bis 1512 ist er an der Kurie als päpstlicher Familiar und continuus commensalis Alexanders VI., als Rotanotar, Skriptor, Protonotar, Kubikular und Kollektor für die Bistümer Cambrai, Utrecht und Lüttich bezeugt.²⁷ Während sich ein wiederholt angenommenes Studium an der Universität Löwen²⁸ bisher nicht belegen lässt, steht aber fest, dass er im Jahre 1505 in Rom das Lizentiat im kanonischen Recht erwarb.²⁹ In den Jahren 1510–1512 ist Enckenvoirt nicht nur in der Anima eine wichtige Persönlichkeit, sondern auch ein höchst einflussreicher Kurienfunktionär.³⁰ Schon in
26 W. vo n Ho f m a n n, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden vom Schisma bis zur Reformation, 2 Bde., Rom 1914 (Bibliothek des Preussischen Historischen Instituts in Rom 12–13), hier Bd. 1, S. 200, 240 u. ö.; J. To u b e r, Willem van Enckenvoirt en zijn collega’s. Ambtelijke netwerken van een Brabander in de Curia Romana 1489–1522, Groningen 2002 (Doctoraalscriptie Geschiedenis); De Paus uit de Lage Landen. Adrianus VI 1459–1523. Catalogus bij de tentoonstelling ter gelegenheid van het 550ste geboortejaar van Adriaan van Utrecht, hg. von Michiel Verweij, Leuven 2009 (Humanistica Lovaniensia. Supplementa 27), hier S. 188: von 1509 bis 1515 provisor oder comprovisor; E. J. N i k i t s c h, Römische Netzwerke zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Papst Hadrian VI. (1522/23) und seine Klientel im Spiegel ihrer Grabdenkmäler, in: QFIAB 91 (2011), S. 277–317. 27 Vgl. hierzu und zum Folgenden W. A. J. M u n i e r, Willem van Enckenvoirt und seine Benefizien, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 53 (1958), S. 146–184, bes. S. 150f.; d e r s., De curiale loopbaan van Willem van Enckenvoirt vóór het pontificaat van Adriaan VI, in: Archief voor de geschiedenis van de katholieke kerk in Nederland 1 (1959), S. 120–168; T. Fr e n z, Kanzlei (wie Anm. 11), Nr. 2216 S. 454f.; d e r s., RORC (wie Anm. 11) unter Guillermus de Enckenvoirt; To u b e r, Willem (wie Anm. 26), S. 26ff. 28 So P. B e r b é e, Art. Enckenvoirt, Wilhelm von, in: E. G a t z (Hg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1996, S. 154–156; G.-R. Te we s, Luthergegner der ersten Stunde. Motive und Verflechtungen, in: QFIAB 75 (1995), S. 256–365, hier S. 342f.; d e r s., Rom, das Rheinland und die Reformation, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 66 (2002), S. 190– 210, bes. 203f. 29 Vgl. M. M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende im kosmopolitischen Rom. Ulrich von Hutten und Wilhelm von Enckenvoirt, in: d e r s. / R. C. S c hw i n ge s (Hg.), Studieren im Rom der Renaissance (im Druck). 30 Wissenschaftlich problematisch sind einige der über ihn geäußerten Urteile. So wurde er als „habgieriger und opportunistischer Kuriale von großer Arbeitskraft“ bezeichnet, B e r b é e, Art. Enckenvoirt
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den Jahren zuvor sind enge Beziehungen zu dem ebenfalls in der Liste von 1509 mit 50 Dukaten veranschlagten Johannes Ingenwinkel zu konstatieren.³¹ Beide spielen eine wichtige Rolle in jenem Kreis von Personen, die Götz-Rüdiger Tewes als „Luthergegner der ersten Stunde“ ausmachte.³² Noch aber ist Enckenvoirt nicht orator Kaiser Karls V., noch nicht der einzige Kardinal, den Hadrian VI. in seinem kurzen Pontifikat kreierte. Vor dem Hintergrund seines Einsatzes für den Neubau des Gotteshauses von S. Maria dell’Anima ab 1509 ist aber durchaus damit zu rechnen, dass er schon damals seine Grabstätte in jener neuen Kirche plante, sicherlich noch nicht in dem später intendierten Zuschnitt. Sein Landsmann auf dem Stuhl Petri hatte ausdrücklich kein aufwendiges Grabdenkmal gewünscht. Enckenvoirt ließ Hadrian VI. nach dessen Tod aus einem einfachen Backsteingrab in St. Peter in den neuen Chor der Animakirche überführen. Dort wurde unter erstmaliger Verwendung von Buntmarmor bei einem Wandgrabmal der Hochrenaissance gleichsam im Widerspruch zur Lebensweise, zu den Wünschen des Verstorbenen das heute noch teilweise erhaltene aufwendige Monument errichtet, das zugleich der Memoria Enckenvoirts dienen sollte. Die Wappen des Auftraggebers sind nur Teile einer großangelegten Planung, die noch viel eindringlicher und glanzvoller an den Kardinal erinnern sollte, als sich dies heute dem Betrachter erschließt. Sein eigenes Grabmal war als Pendant zum päpstlichen an der gegenüberliegenden Südwand des Chores geplant.³³ Auf dem Zettel des Jahres 1509 ist Johannes Goritz mit 50 Dukaten veranschlagt.³⁴ Er stammte aus Luxemburg (möglicherweise aus der Stadt selbst), wurde am 29. Oktober 1479 an der Universität Heidelberg immatrikuliert, wo er im Juli 1481 das Bakkalaureat bei den Artisten erwarb.³⁵ Sein Lehrer Jakob Wimpfeling, dem er eng verbunden war, empfahl und unterstützte seinen Wechsel an die Kurie nach Rom, und sein Schüler und Sekretär setzte sich in der 1502 gedruckten Streitschrift „Defensio
(wie Anm. 28), S. 155. Fre n z, Kanzlei (wie Anm. 11), S. 206, zählt ihn zu den „zwielichtige(n) Gestalten“ unter den Dataren. 31 M u n i e r, De curiale loopbaan (wie Anm. 27), S. 143; Fr e n z, RORC (wie Anm. 11); M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende (wie Anm. 29); S c h u c h a rd, Die Rota-Notare (wie Anm. 1). 32 Te we s, Luthergegner (wie Anm. 28); d e r s., Rom, das Rheinland (wie Anm. 28). 33 J. G ö t z m a n n, Römische Grabmäler der Hochrenaissance. Typologie, Ikonographie, Stil, Münster 2010 (Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 13). Vgl. zuletzt: N i k i t s c h, Römische Netzwerke (wie Anm. 26). 34 S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 40, 204, 231; P. G r é go i r e, Humanisten um Janus Coricius, römischen Mäzen und luxemburgischen Renaissancemenschen (1457?–1527). Eine literarisch-kulturelle Untersuchung, Luxemburg 1980; Coryciana, hg. von J. I j s e w i j n, Roma 1997 (Academiae Latinitati Fovendae Varia 7); M. C e re s a, Art. Goritz (Küritz), Johann, detto Coricio, in: Dizionario Biografico degli Italiani (= DBI) 58 (2002), S. 69–72; S c h m i t t, Art. Coritius (wie Anm. 14). 35 Die Matrikel der Universität Heidelberg, Teil 1: 1386–1553, bearb. und hg. von G. To e p ke, Heidelberg 1884, Ndr. 1976, Bd. 1, S. 361.
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Germaniae“ auch für seinen Lehrer ein.³⁶ (Abb. 4 und 5) Ob und wo er kanonisches und weltliches Recht studierte, ist derzeit offen, Rom ist als Studienort aber jedenfalls in Erwägung zu ziehen.³⁷ An der Kurie machte er Karriere, ist spätestens seit 1488 als Notar an der Rota tätig,³⁸ als Supplikenrezipient (receptor supplicationum),³⁹ als Brevenschreiber, als Sollizitator, als Schreiber der Kanzlei, als secretarius (spätestens 1506) und diente sechs Päpsten von Alexander VI. bis Clemens VII. Für eine große Zahl von Klienten fungierte er als Prokurator und Interessenvertreter, so 1508 für Hieronymus Busleiden, den Begründer des „Collegium Trilingue“ in Löwen und Freund von Thomas Morus und Erasmus.⁴⁰ Die Diskussion und Beantwortung der Frage, ob Goritz in Raffaels Fresko „Vertreibung des Heliodor“ in schwarzer Kleidung neben der päpstlichen Sedia gestatoria mit Julius II. dargestellt ist,⁴¹ sei den kunsthistorischen Spezialisten überlassen.
36 J. K n e p p e r, Jakob Wimpfeling (1450–1528). Sein Leben und seine Werke, Freiburg i. Br. 1902 (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 3,2–4), S. 176, Anm. 2. Auf dem Titelholzschnitt sind links von Wimpheling sechs seiner Schüler abgebildet, zwischen Wimpheling und Murner steht Peter Günter als siebter Schüler und Herausgeber der „Defensio“. Die sechs sind an ihren Namensbändern zu identifizieren, von links nach rechts: Nikolaus Wimpheling, Thomas Aucuparius (Vogler), Peter Cocus (Koch), Jakob Strobacius, Johann Auriga (Fuhrmann). Links von Wimpheling ist etwas zurückgesetzt Johann Coritius ohne Kopfbedeckung dargestellt mit dem durch das Motto zweigeteilten Namensband „IO(annes) CO RI (cius)“. In dieser Schrift zur Verteidigung Wimpfelings veröffentlichte Goritz ein Epigramm in Prosa. Er überhäuft Murner mit den beleidigenden Schimpfwörtern „gloriosus miles“, „Traso“, „Helluo“, „Gerro“ – prahlerischer Soldat, Possenreiser, Prasser, Schwätzer –, die er bei Plautus und Terenz entlehnte. Er wirft ihm vor, den Autor der „Germania“ der Verleumdung und der Lügen beschuldigt zu haben, obwohl dieser seit seiner Jugend Eitelkeit und Unaufrichtigkeit immer gehasst und Täuschung, Betrug und Falschheit verabscheut habe und sich immer freute, wenn er die deutsche Jugend von diesen Lastern abbringen konnte. Er endet, indem er sich nochmals an Murner wendet: „Ach wenn auch du, von deinen Kindertagen an, dich von dieser seiner Art des Heranwachsens hättest prägen lassen“. Für Hinweise danke ich Heinz Schmitt, Trier und Anna Maria Voci, Rom. 37 C e re s a, Art. Goritz (wie Anm. 35), S. 69. 38 Am 7. Januar 1488 wird er zum notarius substitutus bestellt, später wird er notarius principalis des Rotaauditors, Rechtsprofessors und bedeutenden Rechtsgelehrten Giovanni Antonio Sangiorgio, der am 20. September 1493 zum Kardinal erhoben wurde. H o b e rg, Protokollbücher (wie Anm. 22), S. 209; Fre n z, RORC (wie Anm. 11); S c h u c h a rd, Rota-Notare (wie Anm. 1). 39 F.-J. He ye n, Das Stift St. Paulin vor Trier, Berlin u. a. 1972 (Germania sacra N. F. 6), S. 607f. (ohne Datum). 40 Ob Johannes Goritz Erasmus, der ihn als „vir candidissimi pectoris“ bezeichnete, bei dessen Rombesuch im Jahre 1509 kennenlernte, erscheint nicht gesichert, Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), S. 9. 41 C e re s a, Art. Goritz (wie Anm. 34), S. 69: „Sotto Giulio II fu segretario dei Memoriali, carica che potrebbe portare a una sua identificazione nel personaggio vestito di nero che cammina a fianco della sedia gestatoria del papa nell’ affresco delle Stanze di Raffaello rappresentante la ‚Cacciata di Eliodoro dal tempio‘“.
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Abb. 4: Jakob Wimpfeling, Defensio Germaniae Jacobi Wympfelingii, Freiburg 1502, S. II.
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Abb. 5: Jakob Wimpfeling, Defensio Germaniae Jacobi Wympfelingii, Freiburg 1502, S. II (Detail).
Goritz war der Kopf einer römischen Sodalität von Gelehrten und Literaten, der nach ihm benannten „Academia Coryciana“. Neben seinem Wohnhaus im rione Parione besaß er ein stattliches Anwesen beim Forum Traianum,⁴² das nach dem Vorbild des Pomponius Laetus mit antiken Inschriften und Skulpturen ausgestattet und solcherart in ein Museum verwandelt wurde. Jährlich am 26. Juli, dem Festtag der hl. Anna, wurde an dem von ihm in S. Agostino gestifteten Altar eine Messe zelebriert und anschließend in seinem als Museum gestalteten Weingarten, für den Goritz ein prächtiges Tor hatte entwerfen lassen, ein Fest gefeiert.⁴³ Die aus diesem Anlass gefertig-
42 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), S. 7; C e r e s a, Art. Goritz (wie Anm. 34), S. 69. 43 F. G ü l d n e r, Jacob Questenberg, ein deutscher Humanist in Rom, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 38 (1905), S. 213–276, hier S. 215; K. G o uwe n s, Remembering the Renaissance. Humanist Narratives of the Sack of Rome (Brillʼs Studies in Intellectual History 85), Leiden u. a. 1998, bes. S. 14ff., 65f., 159f.
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ten „Carmina“ wurden an dem bewunderten und von vielen gerühmten Annenaltar bzw. in dessen Umfeld angebracht. Die im Laufe der Zeit entstandene Anthologie erschien 1524 in Rom unter dem Namen „Coryciana“ im Druck und umfasst fast 400 Gedichte von 125 Autoren.⁴⁴ Allerdings war die Sammlung ursprünglich umfangreicher und enthielt auch griechische Gedichte. Man könnte Goritz’ Altar in S. Agostino und die Anna Selbdritt als theologisch fundiertes Kontrastensemble zu jenem beinund armlosen Torso deuten, den Resten einer antiken Skulptur, die im Jahre 1501 Kardinal Oliviero Carafa auf der von S. Agostino aus gesehen entgegengesetzten Seite der Piazza Navona auf einem Sockel an der Ecke seines Palastes aufstellen ließ. An diesen Pasquino, der berühmtesten der sogenannten sprechenden Statuen Roms, wurden spätestens seit 1501 gleichfalls Gedichte geheftet; unter dem Patronat des Kardinals wurde am Markustag (25. April) der Torso in eine antike Gottheit transformiert, das Fest sollte vor allem Professoren und Studenten ansprechen.⁴⁵ Seit 1509 erschienen ausgewählte Sammlungen mit teilweise scharfen satirischen (nicht zuletzt antikurialen) Epigrammen im Druck. Annenaltar und Pasquino stellen zwei unterschiedliche Kristallisationspunkte innerhalb eines breiten Spektrums humanistischer Festkultur dar, die von einer Vielzahl weiterer Fixpunkte poetischer Wettkämpfe konstituiert wurde.⁴⁶ In ihnen kommen unterschiedliche Akzentuierungen in römischen Humanistenkreisen zum Ausdruck, wie sie etwa mit Blick auf den Kreis um Angelo Colocci im Vergleich zu jenem um Goritz vermutet wurden. Der erste wurde als patriotisch-antiquarisch, der zweite als religiös-literarisch apostrophiert.⁴⁷ Abgesehen von der üblichen wissenschaftlichen Polemik und Satire sind aber zu der Zeit von Luthers Romreise klare Fronten oder gar abgegrenzte Zirkel noch nicht erkennbar,
44 P. P. B o b e r, The ‚Coryciana‘ and the Nymph Corycia, in: Journal of Warburg and Courtauld Institutes 40 (1977), S. 223–239; G. S ava re s e, Variazioni sui ‚Coryciana‘, in: RR Roma nel Rinascimento 1997, S. 14–20; R. S o d a n o, Intorno ai ‚Coryciana‘. Conflitti politici e letterari in Roma dagli anni di Leone X a quelli di Clemente VII, in: Giornale storico della letteratura italiana 178 (2001), S. 420–450. 45 D. G n o l i, La Roma di Leon X. Quadri e studi originali, Milano 1938, bes. S. 136–184; G. A. C e s a r e o, Pasquino e pasquinate nella Roma di Leone X, Roma 1938 (Miscellanea della R. Deputazione Romana di Storia patria 11); V. M a r u cc i / A. M a r z o / A. R o m a n o (Hg.), Pasquinate romane del Cinquecento, Roma 1983 (Testi e documenti di letteratura e di lingua 7); M. F i r p o, Pasquinate romane nel Cinquecento, in: Rivista storica italiana 96 (1984), S. 600–621; A. R e y n o l d s, Cardinal Oliviero Carafa and the Early Cinquecento Tradition of the Feast of Pasquino, in: Humanistica Lovaniensia 34 (1985), S. 178–208; d i e s., The classical continuum in Roman humanism. The festival of Pasquino, the Robigalia, and Satire, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 49 (1987), S. 289–307; O. N i c c o l i, Rinascimento anticlericale. Infamia, propaganda e satira in Italia tra Quattro e Cinquecento, Roma u. a. 2005; C. D a m i a n a k i / P. P ro c a cc i o l i / A. R o m a n o (Hg.), ‚Ex marmore‘. Pasquini, pasquinisti, pasquinate nell’Europa moderna. Atti del colloquio internazionale Lecce, Otranto, 17–19 novembre 2005, Manziana 2006 (Cinquecento Studi 17). 46 C e s a re o, Pasquino (wie Anm. 45), S. 32f.; M a r u cc i / M a r z o / R o m a n o, Pasquinate romane (wie Anm. 45). 47 G a i s s e r, Rise (wie Anm. 12); C e re s a, Art. Goritz (wie Anm. 34), S. 70.
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zumal nicht selten prominente Persönlichkeiten mehreren sodalitates angehörten. In welchem Maße Goritz in die römische Szenerie integriert war, deutet seine Mitgliedschaft in der gleichfalls den ludi letterarii gewidmeten „Sodalitas Parionis“ des Pietro Mattuzzi an, der viele bekannte römische Gelehrte aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts angehörten, Goritz als einziger Deutsche.⁴⁸ Erst in den Jahren nach Luthers Romreise wird in der Ewigen Stadt der Einfluss national geprägter Ehrendiskurse⁴⁹ unter humanistischen Gelehrten spürbarer, besonders pointiert im Streit um den französischen Humanisten Christoph Longolius (1519)⁵⁰ sowie während des Pontifikats Hadrians VI. (1523/24),⁵¹ nach und nach zudem verquickt mit Diskurselementen religiöser Frontenbildung im Kontext der einsetzenden Glaubenspaltung. Auch Goritz’ Sodalität blieb davon nicht unberührt,⁵² sein Anwesen stellte aber weiterhin sowohl für Gelehrte und Literaten aus Rom als auch für Rombesucher einen wichtigen Kristallisationspunkt dar. Die Liste jener aus dem deutschsprachigen Raum, welche der Gedichtsammlung zufolge mit Goritz in Kontakt standen, umfasst nachweislich Jakob (Aurelius) Questenberg, Johannes Cochlaeus,⁵³ Peter Eberbach, Caspar Ursinus Velius,⁵⁴ Johannes Hadelius,⁵⁵ Michael Hummelberg,⁵⁶ Ulrich von Hutten,⁵⁷
48 A. E s p o s i to, Tra accademia e confraternita. La sodalitas parionis nel primo cinquecento romano (con edizione degli statuti e della matricola), in: RR Roma nel Rinascimento 2007, S. 309–337, bes. S. 318f., 332. 49 Vgl. allgemein: C. H i r s c h i, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005. 50 E s p o s i to, Tra accademia (wie Anm. 48), bes. S. 317, 321; G.-R. Te we s, Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Ursachen, Formen und Folgen einer Europa polarisierenden Allianz, in: d e r s . / M. R o h l m a n n (Hg.), Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Politik, Kultur und Familiengeschäfte in der europäischen Renaissance, Tübingen 2002, S. 11–116, bes. S. 113f. 51 S o d a n o, Intorno ai ‚Coryciana‘ (wie Anm. 44). 52 Von Luther bzw. „lutheranus“ ist die Rede: Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 277 Z. 2, Nr. 284 Z. 9, Nr. 399 Z. 12; „Carmina extravagantia“: VI 9,1; VI 7; VII 38. 53 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 367 A–E; G. M. M ü l l e r / J. K. K i p f, Art. Cochlaeus (Cocleus; Dobeneck), Johannes, in: F. J. Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, 3 Bde., Berlin u. a. 2008–2015, hier Bd. 1, Sp. 439–460, bes. Sp. 451. 54 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 147–154 u. ö.; G. D ö n e r, Art. Eberbach (Aper-, Aprobacchius), Peter, in: Wo s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 569– 576, bes. Sp. 571, 575. Mit zahlreichen Hinweisen vgl. ebd., Bd. 3, Personenregister II, Sp. 279. 55 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 368–371. J. K. K i p f, Art. Hadeke (Hadelius, Hadus), Johannes (Janus), in: Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 1023 –1028. 56 A. S c h i r r m e i s te r, Art. Hummelberg (-berger, -bergius), Michael, in: Wo r s t b r o c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 1165–1173, bes. Sp. 1166; d e r s ., Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert, Köln u. a. 2003 (Frühneuzeitstudien N. F. 4), S. 101f., 141; M. M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende (wie Anm. 29). 57 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 350–354; H. Jau m a n n, Art. Hutten, Ulrich von, in: Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 1185–1237, bes. Sp. 1189f., 1213. Die von Pierre Grégoire und Heinz Schmitt gebotenen Namenslisten von Kontaktpersonen sind
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Georg Engel und Christoph von Suchten.⁵⁸ Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der „Coryciana“ lediglich um eine Auswahl von Dichtern und ihrer Werke handelt, über deren Genese in vieler Hinsicht nur spekuliert werden kann. Es ist also keineswegs auszuschließen, dass auch weitere Humanisten aus dem deutschsprachigen Raum der sodalitas des Goritz angehörten, ihre Gedichte aber nicht in der überlieferten Fassung der „Coryciana“ enthalten sind.⁵⁹ Besonders eng scheinen
quellenkritisch zu überprüfen. G ré go i re, Humanisten (wie Anm. 34); S c h m i t t, Art. Coritius (wie Anm. 14). 58 Coryciana, hg. von I j s e w i j n(wie Anm. 34), Nr. 132–135, 160, 161 S. 401. Zu Christoph von Suchten vgl. J. Ko l b e rg, Der ermländische Dompropst Christoph von Suchten († 1519), in: F. X. S e p p e l t (Hg.), Kirchengeschichtliche Festgabe für Anton de Waal zum goldenen Priester-Jubiläum (11. Oktober 1912), Freiburg i. Br. 1913 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte. Supplementheft 20), S. 144–171; Thomas Giese aus Lübeck und sein römisches Notizbuch der Jahre 1507 bis 1526, hg. von C. S c h u c h a rd / K. S c h u l z, Lübeck 2003 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B,39), S. 113; F. J. Wo r s t b ro c k, Art. Suchten (Suchtenius), Christoph von, in: d e r s. (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 1025–1028; Bd. 3, Sp. 40f. Zu Georg Engel und Georg Sauermann siehe Anm. 59. Vgl. auch Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von M. D a l l ʼ As t a / G. D ö r n e r, 4 Bde., Stuttgart 1999–2013, hier Bd. 3, S. 399. 59 Der Schluss, über die genannten hinaus hätten dem Kreis „offenbar keine weiteren deutschen Humanisten“ angehört, ist folglich nicht zulässig. Vgl. Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ As t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), Bd. 3, Nr. 303 S. 399 Anm. 20,. Zu den Mitgliedern der sodalitas dürfte beispielsweise Georg Sauermann zu zählen sein. Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), S. 401. Zu Sauermann vgl. Willibald Pirckheimers Briefwechsel, bearb. von H. S c h e i b l e, Bd. 5, München 2001, Nr. 815 S. 121–123; Deutsche Inschriften Online (= DIO) 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012), Nr. 106 (E. J. Ni k i t s c h), URL: http://www.inschriften.net/santa-maria-dell-anima/inschrift/nr/ dio003-0106.html#content (14. 9. 2017); Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 689, 903. Reuchlin richtet in einem Brief vom 24. November 1516 an Martin Gröning Grüße an die „sodalitas Romana partium nostrarum“ aus. Mit dieser sodalitas dürfte der Kreis des Goritz gemeint sein. Vgl. dagegen ebd., S. 398f. Michael Hummelberg nennt in einem Brief vom 7. März 1518 sechs Mitglieder der „sodalitas nostra literaria, quae Romae est“. Damit ist wahrscheinlich erneut der Zirkel des Goritz gemeint, dem Hummelberg nachweislich angehörte. A. H o r aw i t z, Zur Biographie und Correspondenz Johannes Reuchlin’s, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Classe 85 (1877), S. 117–190, hier Nr. 27 S. 166. Horawitz identifizierte den genannten Rem mit dem Augsburger Aegidius Rehm (S. 166, Anm. 3). E. N a i m e r, Rehm (Rem), Aegidius (um 1485–1535), in: G a t z (Hg.), Bischöfe (wie Anm. 28), S. 574. Bei Apocellus handelt es sich um den Notar Jakob Apocellus aus Speyer, an den Erasmus 1525 einen Brief schrieb. DIO 3, Santa Maria dell’Anima (wie oben), Nr. 105† (E. J. Ni k i t s c h), URL: http://www.inschriften.net/santa-maria -dell-anima/inschrift/nr/dio003-0105.html#content (14. 9. 2017). Bei den übrigen vier handelt es sich wahrscheinlich um Stephanus Rosinus, Martin Gröning, Hieronymus Aleander und Paul Gereander. F. J. Wo r s t b ro c k, Art. Rosinus (Rösel, Rößlein, -lin), Stephanus, in: d e r s . (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 745–751. Zu ihm ebd., Bd. 1, Sp. 1169; Bd. 2, Sp. 416, 576, 949, 997. Zu Gereander vgl. Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ A s t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), Bd. 3, Nr. 305, bes. S. 404–406 Anm. 2 und 8. Zu Hieronymus Aleander vgl. G. M ü l l e r, Art. Aleandro, Girolamo, in: Theologische Realenzyklopädie (= TRE), Bd. 2 (1978), S. 227–231; Wo r s t b r o c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 3, Personenregister II, Sp. 93 Zu Dr. utr. iur. Martin Gröning
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Goritz’ Beziehungen zu Georg Silvanus Germanicus aus Schlesien gewesen zu sein, der in der „Coryciana“ unter dem Namen Caius Silvanus Germanicus begegnet.⁶⁰ Germanicus zählte zu jenen Dichtern, welche der damals berühmtesten Kurtisane Roms Verse bzw. panegyrische Nachrufe widmeten. Sie trug den Künstlernamen Imperia,⁶¹ und betätigte sich – den Berichten von Zeitgenossen zufolge – als Komponistin und Dichterin. Zu den Liebhabern der hoch gebildeten Frau zählte bis zu ihrem Tode im August 1512 der reiche Bankier und Mäzen Agostino Chigi. Über die Gründe ihres Selbstmordes wurde schon von Zeitgenossen viel spekuliert. Dass Martin Luther Goritz und dessen Gelehrtenkreis während seiner Romreise kennenlernte, gilt in etlichen Publikationen als wahrscheinlich, doch fehlen dafür überzeugende Anhaltspunkte.⁶² Goritz erscheint als ein Kurialer, der sich als Kunstmäzen und großzügiger Gastgeber betätigt, aus dessen Feder aber wenig bekannt ist. Seine Memoria wurde – sprachliche und kulturelle Grenzen überschreitend – ganz wesentlich von den Autoren der „Coryciana“ geformt. Den St. Annenaltar in S. Agostino, vor dem auch sein Grab geplant war, ließ er just in den Jahren 1510 bis 1512 realisieren, als Enckenvoirt mit Nachdruck den Neubau des Gotteshauses von S. Maria dell’Anima betrieb.⁶³ Dass Goritz wie auch die anderen in seinem Umfeld auftretenden deutschen Humanisten in Rom im Kontext von S. Maria dell’Anima nicht oder kaum begegnen, war schon Joseph Schmidlin aufgefallen. Ihm galten aus einer katholisch-deutschnationalen Perspektive die römi-
vgl. Wo r s t b ro c k (Hg), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 571, 1168; 2, Sp. 416; Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ As t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), Bd. 4, S. 79, 155 u. ö. Zu Rosinus, Gröning und Aleander vgl. auch M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende (wie Anm. 29). 60 Coryciana, hg. von I j s e w i j n (wie Anm. 34), Nr. 271–275 u. ö.; S c h m i t t, Art. Coritius (wie Anm. 14); F. J. Wo r s t b ro c k, Art. Silvanus Germanicus, C(aius) / Georgius, in: d e r s . (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 902–911. Zu Georg Sauermann vgl. auch Willibald Pirckheimers Briefwechsel, bearb. von S c h e i b l e (wie Anm. 59), Nr. 815 S. 121–123; DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Nr. 106 (wie Anm. 59). 61 U. G n o l i, Cortigiane romane. Note e bibliografia, Arezzo 1941; P. L a r iv a i l l e, La vita quotidiana delle cortigiane nell’Italia del Rinascimento, Mailand 1983, S. 119f.; M. Ku r z e l - Ru n t s c h e i n e r, Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 1995, bes. S. 46ff., 90, 149. Zur Rolle von Kurtisanen für die in Rom aufgeführte weltliche Musik vgl. den Beitrag von Sabine M e i n e in diesem Band. 62 Vo s sb e rg, Rom (wie Anm. 6), S. 143: „Luther dürfte mit ihm in Rom bekannt geworden sein“. Auch S c h m i t t, Art. Coritius (wie Anm. 14), Sp. 305, nimmt an, Goritz habe „sehr wahrscheinlich“ Martin Luther in Rom kennen gelernt. „Als Luther 1510/11 in Rom weilte, soll er – allerdings vergeblich – über einen hohen Kurialen darum suppliziert haben, studienhalber für 10 Jahre von der Klausur entbunden zu werden. Unter den deutschsprachigen Kurienbeamten von Einfluß käme hier nur Coritius in Frage“. Zu dieser angeblichen Supplik ist eine eigene Studie geplant. 63 Immerhin schreibt Goritz’ Vertrag mit dem Konvent von S. Agostino vor, dass der von ihm gestiftete Altar nach S. Maria dell’Anima überführt werden soll, wenn sich die Augustinereremiten nicht an die Vereinbarungen halten. B o n i to, The Saint Anne Altar in Sant’ Agostino in Rome. A new discovery (wie Anm. 13), S. 811; Pe r i n i, Carmi inediti (wie Anm. 12), S. 377.
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schen Humanistenzirkel, in denen Goritz im Unterschied zu Enckenvoirt prominent vertreten ist, als „literarische Schmarotzer“. „Dass keiner der deutschen Humanisten den Weg zur Nationalkirche fand, beweist weder zu Gunsten ihres patriotischen noch ihres religiösen Glaubens“.⁶⁴ Möglicherweise können die beiden Kurialen als religiösintellektuell unterschiedliche und in manchem gegensätzliche Antipoden im Kreise deutscher Akademiker in Rom gelten, zumindest erscheint dies eine interessante, zu verifizierende Arbeitshypothese. Auf zwei weitere Personen des Spendenzettels von 1509 sei Bezug genommen, auf den mit 25 Dukaten verzeichneten Kölner Kleriker Johannes Potken,⁶⁵ Propst von St. Martin in Emmerich und St. Georg in Köln, sowie auf den mit hundert Dukaten taxierten Jakob (Aurelius) Questenberg, scriptor apostolicus.⁶⁶ Der aus dem westfälischen Schwerte stammende Potken⁶⁷ wurde 1490 Mitglied der Animabruderschaft, ist zwischen 1493 und 1504 regelmäßig im Kontext dieser Bruderschaft nachweisbar und als Prokurator für verschiedene Personen und Institutionen aus dem nordalpinen Reichsgebiet tätig. Der Familiar und Tischgenosse von Alexander VI. und Julius II. ist spätestens 1503 Kubikular und fungiert 1504 und 1505 als päpstlicher Gesandter. Der apostolische Protonotar war als Prokurator u. a. für Herzog Georg von Sachsen an der Kurie tätig.⁶⁸ Anfang 1505 amtiert er als Provisor der Animabruderschaft und ist im Zusammenhang mit der Bruderschaft von Juli 1509 bis November 1511 erneut regelmäßig in Rom nachweisbar. Er ist als Familiar zweier Kardinäle bezeugt, des Matthäus Schiner sowie des Federico de Sanseverino.⁶⁹
64 S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 258. 65 N agl, Urkundliches (wie Anm. 21), S. 72, liest Potkey. 66 Nagl, ebd., liest Johannes 67 Zum Folgenden vgl. bes. Liber Confraternitatis B. Marie de Anima Teutonicorum de Urbe, hg. von C. Ja e n ig, Roma 1875, S. 114f.; S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 46; Bd. 2, S. 4; E. H a m m e r s c h m i dt, Die äthiopistischen Studien in Deutschland (von ihren Anfängen bis zur Gegenwart), in: Annales dʼEthiopie 6 (1965), S. 255–277; A. D. vo n d e n B r i n c ke n, Johann Potken aus Schwerte, Propst von St. Georg in Köln, der erste Äthiopologe des Abendlandes, in: H. B l u m (Hg.), Aus kölnischer und rheinischer Geschichte. Festgabe Arnold Güttsches zum 65. Geburtstag gewidmet (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 29), Köln 1969, S. 81–114; Fr e n z, Kanzlei (wie Anm. 11), Nr. 1348a S. 383; B. Wigge n h au s e r, Klerikale Karrieren. Das ländliche Chorherrenstift Embrach und seine Mitglieder im Mittelalter, Zürich 1997, bes. S. 448–450; R. J. Wi l k i n s o n, Orientalism, aramaic and Kabbalah in the catholic reformation. The first printing of the Syriac new testament, Leiden u. a. 2007, S. 66f.; Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ A s t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), bes. Bd. 3, Nr. 258. 68 C. Vo l k m a r, Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525, Tübingen 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 41), S. 125, 143. 69 S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 257. Am 3. November 1511 überbringt er als Hausmeister des Kardinals von Sitten einen Golddukaten von seinem Herrn für die neue Orgel von S. Maria dell’Anima. Vgl. ASMA E I, tom. 8, fol. 345v. Zudem war er Hauskaplan des Federico de Sanseverino, der von 1489 bis 1516 dem Kardinalskollegium angehörte; vo n d e n B r i n c ke n, Johann Potken (wie Anm. 67), S. 86.
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Was seinen akademischen Werdegang betrifft, so begegnet er 1499 als Magister,⁷⁰ 1500 als Lizentiat im kanonischen Recht⁷¹ und 1503 als Doktor im kanonischen Recht.⁷² Für den Forschungsstand und die damit einhergehende Einschätzung des Universitäts- und Studienorts Rom erscheint bezeichnend, dass bisher für Potken wie für vergleichbare Fälle Rom als Studienort nicht einmal in Erwägung gezogen wurde. Da an dessen Präsenz in Rom in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts kein Zweifel besteht, erscheint es als sehr gut möglich, dass er den Doktorgrad im kanonischen Recht in der Ewigen Stadt erworben hat. Bei Johannes Potken handelt es sich um den ersten Europäer, der sich intensiver mit jener semitischen Sprache beschäftigte, welche die Christen des äthiopischen Berglandes in der Liturgie verwendeten, und die er selbst wie andere zu dieser Zeit als gelehrte Sprache der Chaldäer deutete. Der als „der erste Äthiopologe des Abendlandes“ apostrophierte Potken lieh im Oktober 1511 in der Vatikanischen Bibliothek den Codex Vaticanus Etiopicus 20 aus, die einzige äthiopische Handschrift in den älteren Beständen der Vaticana.⁷³ Er stand zudem in engem Kontakt mit den äthiopischen Christen in der Kirche S. Stefano dei Mori. Diese sogenannten indiani galten mit ihrer dunklen Hautfarbe als Zeugnis dafür, dass die christliche Lehre unter allen Menschen verbreitet war. Potken konstatierte aufgrund seiner philologischen Kenntnisse die Verwandtschaft ihrer Sprache mit dem Hebräischen.⁷⁴ Von den Äthiopiern lernte er ohne Dolmetscher die Sprache ihrer Liturgie und machte sie – eigener Aussage zufolge selbst gelernter Buchdrucker – im Druck der gelehrten Welt zugänglich. Im Jahr 1513 erschien in Rom bei Marcellus Silber die erste Ausgabe. Nach seinem Wechsel von Rom nach Köln initiierte er weitere Werke in dieser Sprache und plante schließlich sogar Drucke in arabischen Lettern.⁷⁵ Zu seinen Schülern in Rom zählte Pietro Colonna bzw. Galatino, welcher wie Potgen der lateinischen, griechischen, hebräischen und (in begrenztem Umfang) auch der äthiopischen Sprache kundig als „vir quator linguarum peritissimus“ gefeiert wurde und mit Gelehrten wie Egidio da
70 Protokolle des Konstanzer Domkapitels, zweite Lieferung, bearb. von M. K r e b s, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. 62 (1953), S. 74–156, hier Nr. 1011 S. 77 (21. Februar 1499). 71 Regesten zur Schweizergeschichte aus den päpstlichen Archiven 1447–1513, Heft 6: Die Pontifikate Alexanders VI. 1492–1503 und Piusʼ III. 1503, bearb. von C. Wi r z, Bern 1918, Nr. 652 (23. September 1500). Vgl. auch vo n d e n B r i n c ke n, Johann Potken (wie Anm. 67), S. 87, Anm. 32. 72 Liber Confraternitatis (wie Anm. 67), S. 114f.; im Jahre 1503 als decretorum doctor bezeichnet; Wig ge n h au s e r, Klerikale Karrieren (wie Anm. 67), S. 448. 73 Vo n d e n B r i n c ke n, Johann Potken (wie Anm. 67), S. 91. 74 Ebd., (wie Anm. 67), S. 106. 75 Nachdem er bei Äthiopiern in Rom die äthiopische Hauptschriftsprache Geʼez gelernt hatte, veröffentlichte er 1513 in Geʼez Psalmen Davids und das Hohelied Salomos, 1518 in Köln die Psalmen Davids in Hebräisch, Griechisch, Äthiopisch und Latein und schließlich 1522 eine Tafel mit dem Äthiopischen Alphabet, dem Vaterunser und Ave Maria in Äthiopisch und Latein.
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Viterbo verkehrte.⁷⁶ Von der Notwendigkeit des Sprachenstudiums war Potken nicht nur aus philologischem Interesse überzeugt,⁷⁷ sondern betrieb das Studium fremdsprachiger Texte zum Nachweis der Existenz des christlichen Gottes und als ein Instrument der Exegese sowie der Zusammenführung der Völker. Am 25. Januar 1515 informierte er den befreundeten Reuchlin über den für ihn günstigen Fortgang seines Prozesses in Rom.⁷⁸ Der aus Wernigerode stammende Jakob (Aurelius) Questenberg⁷⁹ wird in der Liste des Jahres 1509 als scriptor apostolicus wie Enckenvoirt mit hundert Dukaten veranschlagt.⁸⁰ Er studierte 1482 an der Universität Erfurt und erwarb dort 1484 das Bakkalaureat in der Artistenfakultät. Wo er zum Magister und zum doctor decretorum⁸¹ promovierte, ist nicht bekannt. Dass er den Doktortitel in Rom erwarb, ist auch deshalb zu erwägen, weil er die Stadt offenkundig selten verließ.⁸² Freilich muss er diesen Grad nicht an der Universität erlangt, sondern kann ihn auf anderen Wegen erhalten haben, beispielsweise durch eine päpstliche Kommission.⁸³ Die Bedeutung solcher alternativer Verfahren, die sich neben den universitären Graduierungen offenkundig großen Zuspruchs erfreuten, wurde erst in jüngeren Studien deutlicher.⁸⁴ Questen-
76 C. C o l o m b e ro, Colonna, Pietro (Pietro Galantino), in: DBI 27 (1982), S. 402–404. 77 C. Fro va, Gli inizi dellʼinsegnamento delle lingue orientali, in: L. C a p o / M. R. D i S i m o n e (Hg.), Storia della Facoltà di Lettere e Filosofia de ‚La Sapienza‘, Roma 2000, S. 55–69, bes. S. 65f.; Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ As t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), Bd. 3, bes. Nr. 269–270 S. 213f. 78 Vo n d e n B r i n c ke n, Johann Potken (wie Anm. 67), S. 92; Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ As t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), Bd. 3, Nr. 258. 79 Vgl. zuletzt: Johannes R e u c h l i n, Briefwechsel, bearb. von D a l l ʼ A s t a / D ö r n e r (wie Anm. 58), bes. Bd. 1, Nr. 37 S. 117f.; Bd. 3, Nr. 237 S. 35ff., Nr. 273 S. 241ff.; G. D ö r n e r, Art. Questenberg (Questemberg), Jakob Aurelius, in: Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 529– 538. 80 S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 291f., 302ff. u. ö.; G ü l d n e r, Jacob Questenberg (wie Anm. 43), S. 252. 81 Den Titel führt er im Jahre 1490, G ü l d n e r, Jacob Questenberg (wie Anm. 43), S. 222, Anm. 3, S. 259. Güldners Vermutung, Questenberg könnte der Doktortitel „von einem einflussreichen Gönner“ – wie dem Papst – verliehen worden sein, zielt in diese Richtung. Dass er ihn dann „ohne Prüfung erlangt“ habe, trifft aber jedenfalls nicht zu. 82 G ü l d n e r, Jacob Questenberg (wie Anm. 43), S. 226. Vgl. auch G. D ö r n e r, Jakob Questenberg – Reuchlins Briefpartner an der Kurie, in: d e r s. (Hg.), Reuchlin und Italien, Stuttgart 1999 (Pforzheimer Reuchlinschriften 7), S. 149–179, bes. S. 152f. 83 Zu den verschiedenen Verfahren vgl. M. M a t h e u s / L. S c h m ugge, Echternach Roma Treviri. Tappe di una carriera accademica nel Rinascimento, in: A. D e Vi n c e n t i i s (Hg.), Roma e il Papato nel Medioevo. Studi in Onore di Massimo Miglio I. Percezioni, Scambi, Pratiche, Roma 2012 (Storia e Letteratura, Raccolta di Studi e Testi 275), S. 491–523. 84 A. R e h b e rg, Dottori per ‚vie traverse‘. Qualche spunto sulle lauree conferite in ambito curiale, in: QFIAB 89 (2009), S. 183–215; M. M a t h e u s, Roma docta. Rom als Studienort in der Renaissance, in: QFIAB 90 (2010), S. 128–168. Vgl. auch den Beitrag von A. R e h b e rg in: M a t h e u s / S c hw i n ge s (Hg.), Studieren im Rom der Renaissance (wie Anm. 29).
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berg fungierte an der Kurie spätestens 1490 als Brevenschreiber, in den folgenden Jahren u. a. als Sollizitator, Scriptor, Protonotar sowie als päpstlicher Sekretär.⁸⁵ Er hörte möglicherweise noch Vorlesungen des aus Byzanz stammenden und in den letzten Jahren bis zu seinem Tode 1487 in Rom lehrenden Gräzisten Johannes Argyropolos, sicher zählte er zu den Hörern des berühmten Pomponius Laetus. Wie Johannes Burckard war er Familiar des Kardinals Marco Barbo, der seinerseits die griechische Sprache schätzte und der Bruderschaft von S. Maria dell’Anima angehörte.⁸⁶ Questenberg war ein gefragter Kopist lateinischer und griechischer Handschriften sowie Übersetzer griechischer Texte und wohl auch der hebräischen Sprache mächtig. Mehrfach hat er nachweislich Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek ausgeliehen. Seine elegante Schrift wurde von Reuchlin und Melanchton ausdrücklich gelobt.⁸⁷ Im Reuchlinstreit unterstützte Questenberg den Freund, freilich ohne sich beim weiteren Fortgang des Prozesses in Rom öffentlich zu positionieren. Nur einige wenige Gedichte aus seiner Feder sind bekannt, in einem geißelt er Konrad Celtis als Plagiator. Questenberg stand nicht nur mit in Rom lebenden Gelehrten wie Egidio da Viterbo⁸⁸ in engem Kontakt, sondern auch mit zahlreichen deutschen Humanisten. Von Johann von Dalberg wurde er nach eigenem Bekunden gefördert; seinem Gönner widmete er u. a. einen numismatischen Traktat. Kontakte bestanden etwa zu dem lange an der Kurie wirkenden Lorenz Beheim,⁸⁹ zu Peter Eberbach, Michael Hummelberg, Heinrich Boger⁹⁰ sowie zu dem bekannten Gräzisten Johannes Rhagius Aesticampianus. Dieser hatte nach einer Studienreise in Italien Professuren an den Universitäten Mainz, Frankfurt an der Oder und Leipzig bekleidet. Die Leipziger Professur musste er 1511 aufgeben. Er unternahm eine zweite Reise nach Rom, wo er an der Kurie gegen die Relegation von der Leipziger Universität an den Papst appellierte. 1512 wurde er in der Tiberstadt zum Doktor der Theologie promoviert und erlangte das Privileg, sechs Poetae laureati zu ernennen.⁹¹ Nach weiteren Stationen lehrte er seit 1517 an der Universität Wittenberg als Kollege Martin Luthers.
85 G ü l d n e r, Jacob Questenberg (wie Anm. 45), S. 222ff.; Fr e n z, Kanzlei (wie Anm. 11), S. 167, 358 (Nr. 1079). 86 S c h m i d l i n, Geschichte (wie Anm. 6), S. 90. 87 G ü l d n e r, Jacob Questenberg (wie Anm. 43), S. 237. 88 Ebd., S. 227. 89 M. M a t h e u s, Roma e Magonza. Università italiane e tedesche nel XV e allʼ inizio del XVI secolo, in: Bullettino dellʼIstituto Storico Italiano per il Medio Evo 108 (2006), S. 123–163, bes. S. 146ff. 90 D ö r n e r, Jakob Questenberg (wie Anm. 43), S. 151f.; C. Fa s b e n d e r, Art. Boger (Bonger, Curvator, Flexor, Versor), Heinrich, in: Wo r s t b ro c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 1, Sp. 217 –225; M a t h e u s, Roma docta (wie Anm. 83), bes. S. 158f., 167. 91 Johann M u s l e r, Funebris oratio habita in laudem Petri Mosellani, [Wittenberg] 1524; Ja ko b Wi m p f e l i ng. Briefwechsel. Kritische Ausgabe mit Einleitung und Kommentar, hg. von O. H e r d i n g / D. M e r te n s, 2 Bde., München 1990 (Jacobi Wimpfelingi opera selecta III,1,2), Nr. 268 S. 668–670: für
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Abschließend sei auf ein von Mitte Dezember 1507 bis August 1519 reichendes Verzeichnis der im Kurienumfeld tätigen Notare verwiesen, in dem 400 Personen aufgeführt werden, darunter 156 (also knapp 40%) Deutsche.⁹² Von ihnen wählten 53, also über ein Drittel, ein Motto. Nur 17 sind religiösen Inhalts, bei dreien handelt es sich um Zitate aus der Bibel. 36 können als allgemeine Lebensweisheiten gelten, teilweise aus lateinischen Klassikern geschöpft. Immerhin wählt einer, der Mainzer Kleriker Johannes Bader, einen griechischen Spruch.⁹³ Im hier interessierenden Kontext verdient der Wahlspruch des aus einer thüringisch-sächsischen Familie stammenden Bamberger Klerikers Jakobus Haydenreich besonderes Interesse, der 1511 im Register verzeichnet und unter die Rotanotare aufgenommen wird. „Sola fides sufficit“.⁹⁴ Dieser Wahlspruch scheint jenem sola fide („Allein durch den Glauben“) nahe zu kommen, mit dem die reformatorische Grundüberzeugung auf den Begriff gebracht wurde, dass ein Mensch nicht durch fromme Werke die Anerkennung Gottes verdienen, sondern sein Heil allein durch sein Vertrauen in die göttliche Gnade erlangen könne. Der thüringisch-sächsische Notar entnahm seinen Leitvers wahrscheinlich dem eucharistischen Hymnus des Thomas von Aquin „Pange lingua: ad firmandum cor sincerum sola fides sufficit“ („Es genügt dem reinen Herzen, was ihm sagt der Glaub allein“).⁹⁵ Sowenig der Mönch Martin während seines Romaufenthalts zum
das Recht der Ernennung der Poetae laureati soll er 100 fl. ausgegeben haben. Möglicherweise erhielt er dieses Recht als Hofpfalzgraf. G. B au c h, Die Vertreibung des Johannes Rhagius Aesticampianus aus Leipzig nach aktenmäßigen Quellen, in: Archiv für Literaturgeschichte 13 (1885), S. 1–33; E. B ü n z, Geschichte der Universität Leipzig, Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409–1830/31, Leipzig 2009, S. 263f.; S. E l K h o l i, Art. Rhagius, Johannes, in: Wo r s t b r o c k (Hg.), Deutscher Humanismus (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 639–656, bes. Sp. 639, 641f. Nach seiner ersten Italienreise führte Rhagius selbst den Titel eines Poeta laureatus. Vgl. M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende (wie Anm. 29). In einem am 27. Mai 1500 in Bologna abgefassten Brief berichtet Rhagius, er habe in Rom das Grabmal des Pomponius Laetus aufgesucht. Der Briefwechsel des Konrad Celtis, gesammelt, erläutert und hg. von H. Ru p p r i c h (Humanistenbriefe 3), München 1934, Nr. 241 S. 401–404, insbes. S. 403 Z. 21f.: „et iam omnis doctorum turba Pomponio illi Laeto, cuius nuper sepulchrum quum in Urbe essem vidi“. 92 ASV Fondo Santini 23; vo n Ho f m a n n, Forschungen (wie Anm. 26), Bd. 2, S. 150–152; K. H. S c h ä f e r, Deutsche Notare in Rom am Ausgang des Mittelalters, in: Historisches Jahrbuch 33 (1912), S. 719– 741. Zu abweichenden Zahlen aufgrund anderer ‚nationaler‘ Zuordnung vgl. M. Va e s, Les curialistes belges à Rome au 16 e et 17 e siècles, in: Mélanges dʼhistoire offerts à Charles Moeller à lʼoccasion de son jubilé de 50 années de professorat à lʼUniv. de Louvain, 1863–1913, Paris 1914, S. 100–121, hier S. 111; J. Le s e l l i e r, Notaires et archives de la curie romaine (1507–1627). Les notaires français à Rome, in: Mélanges dʼarchéologie et dʼhistoire 50 (1933), S. 270–275. Weitere Literaturhinweise bei: R e h b e rg, Dottori (wie Anm. 85), S. 186. 93 S c h ä f e r, Notare (wie Anm. 92), Nr. 86. 94 ASV Fondo Santini, fol. 96r. S c h ä f e r, Notare (wie Anm. 92), Nr. 63. 95 Das „Pange lingua“ des Thomas von Aquin wurde vor allem zur Feier des Fronleichnamsfestes und am Gründonnerstag gesungen. Zur Beteiligung der Rotanotare an der alljährlichen Fronleichnamsprozession vgl. S c h u c h a rd, Rotanotaren (wie Anm. 1), S. 808f.
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späteren Reformator stilisiert werden sollte, sowenig sollte das Motto seines in Rom lebenden und arbeitenden Landsmanns mit einem reformatorischen Kontext in Verbindung gebracht werden, zumal der Hymnus nicht zu den von reformatorischen Kirchen geschätzten Texten zählte. Martin Luthers späteres Urteil über Papst und Kurie fiel bekanntermaßen weiten teils vernichtend aus. Was etwa die an der Kurie geführten Prozesse betrifft, so tadelte er im Jahre 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ deren Kosten und lange Dauer sowie die Unkenntnis der dortigen Richter über „Sitten, Recht und Gewohnheit“ in partibus.⁹⁶ Allerdings gibt es auch einen bisher wenig beachteten mit der Bewertung von 1520 im Widerspruch stehenden positiven Erinnerungssplitter. In den Tischreden wird ihm in den Jahren 1536 und 1538 folgende Äußerung zugeschrieben: „Nichts ist da (in Rom) zu loben, denn das Consistorium und Curia Rotä, da die Händel und Gerichtssachen fein rechtmäßig gehört, erkannt, verrichtet und geörtert (beendet) werden“.⁹⁷ Zu dieser positiven Erinnerung – so viel wird man wohl sagen können – leistete ein Teil der in diesem Beitrag behandelten Personen einen Beitrag.⁹⁸
3 Resümee und Ausblick Die eingangs angesprochenen neuen Gotteshäuser zählen zu jenen Bauten, die bis zum Sacco di Roma das Stadtbild Roms partiell veränderten.⁹⁹ Die Bruderschaftsmitglieder von S. Maria dell’Anima nannten 1499, als der Beschluss zum Neubau des Gotteshauses fiel, eine wichtige Triebfeder. Das bestehende Gebäude sei alt, andere Nationen hätten prächtigere und modernere Kirchen errichtet.¹⁰⁰ Die Konkurrenz zwischen den nationes und Bruderschaften war folglich ein wichtiger Stimulus für die Bautätigkeit. Möglicherweise hat der Neubau der Kirche des Campo Santo auch die Aktivitäten der Animabruderschaft befördert. Hierzu leisteten die genannten Akademiker und Notare einen Beitrag, ferner auch zu jenem faszinierenden und krea-
96 WA 6, S. 430. 97 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 3, Nr. 3478 S. 347 Z. 35f. (aus dem Jahre 1536). Die Fassung aus dem Jahre 1538: „Nihil laudabat quam consistorium et curiam rothae, ubi optime procederetur in causis“, ebd., Nr. 3700 S. 545 Z. 4f. Vgl. hierzu und zu dem Rotanotar Liborius Magdeburg (Meydeburgk) in diesem Band den Beitrag von Hans S c h n e i d e r, Anm. 101. 98 Vgl. zu dem in den Tischreden erwähnten licentiatus Liborius Magdeburgensis, von dem Luther Informationen über die Rota erhielt, den Beitrag von Ludwig S c h m ugge in diesem Band. 99 Vgl. auch die Beiträge von A. E s c h und A. N e s s e l r a t h in diesem Band. 100 R o h l m a n n, Antigisch (wie Anm. 3), S. 112f.; B au m ü l l e r, Santa Maria dellʼAnima (wie Anm. 5), S. 14; H a n ke, S. Maria dell’Anima (wie Anm. 5).
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tiven Milieu, das hier nur mittels weniger Schlaglichter beleuchtet werden konnte. Zu dessen Erforschung und Konturierung ist es freilich notwendig – etwa mittels Netzwerkanalysen – bisherige Forschungsstränge und -perspektiven aufzubrechen. Es käme darauf an, bisher gängige Etikettierungen zu überwinden und beispielsweise Enckenvoirt nicht nur aus belgisch-niederländischer Perspektive bzw. als starken Mann des Pontifikats Hadrians VI. in den Blick zu nehmen; Goritz nicht allein als Mäzen „aller deutschen und humanistischen Belange in Rom“¹⁰¹ zu stilisieren und als Auftraggeber von Raphael und Sansovino zu würdigen; Potken nicht nur im Kontext eines ätiopologischen Forschungsdiskurses zu behandeln; und sich für Questenberg nicht nur allein aus konfessioneller Perspektive als wichtige Kontaktperson an der Kurie für spätere Reformatoren zu interessieren. Auch wenn die Forschung sich nicht auf die hier im Mittelpunkt stehenden kurialen Kreise beschränken sollte, ist die systematische Auswertung der vatikanischen Registerüberlieferung im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts für eine fundierte Netzwerkanalyse ein dringendes Desiderat. In den Gravamina nationis Germanicae wurde im Verlaufe des 15. Jahrhunderts die Kritik am kurialen Finanzgebaren immer lauter, antirömische Ressentiments gewannen an Schärfe. Dass die römische Kirche die Germania über Gebühr belaste, ja sie ausplündere, war ein Vorwurf, der schon vor der Reformation nicht nur von geistlichen Kritikern in bisweilen drastischer Schärfe formuliert wurde.¹⁰² Mit welcher Virtuosität sich Kuriale wie Wilhelm von Enckenvoirt und Johannes Ingenwinkel am kurialen Pfründenmarkt zu ihren eigenen Gunsten und jener ihrer Klientel bewegten, ist in Ansätzen bekannt und erforscht.¹⁰³ Doch sind deren Strategien, Erfolge und Misserfolge ohne eine systematische Erschließung der kurialen Quellen zusammen mit jenen in partibus auch im Vergleich zu ihren Konkurrenten derzeit allenfalls ansatzweise ausgelotet. Bei der Einschätzung der Dimensionen der kosmopolitischen römischen Szenerie ist zu bedenken, dass die Deutschen quantitativ einen nennenswerten, aber im Vergleich doch eher geringen Anteil unter den Kurialen darstellten, und die spanische und französische Diplomatie an der Kurie über großen Einfluss verfügte.¹⁰⁴ Verglichen mit den Verhältnissen um 1400 war zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Internationalität des Kurienpersonals geringer ausgeprägt. Freilich bleibt etwa in der päpstlichen Kanzlei zwischen 1471 und 1527 der Anteil von Nichtitalienern mit rund
101 H. G r i m m, Art. Corycius (‚Coritius‘, für Correr, nach dem Gartenbautreibenden Greis in Vergils Georgica, ‚Goritz‘), Johannes, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 372f. 102 H i r s c h i, Wettkampf (wie Anm. 49), bes. S. 143ff. 103 Zu Johannes Ingenwinkel vgl. schon S c h u lte, Fugger in Rom (wie Anm. 21), bes. Bd. 1, S. 289– 306. Zu Ingenwinkel und Enckenvoirt vgl. die in Anm. 26 und 27 zitierte Literatur, sowie M a t h e u s, Deutschsprachige Studierende (wie Anm. 29). 104 G.-R. Te we s, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95), bes. S. 302.
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42 % immer noch hoch, der Anteil der Deutschen aber mit 6 % eher gering, Spanier und Franzosen sind hier deutlich stärker vertreten.¹⁰⁵ Allerdings können die Proportionen in der Kanzlei nur begrenzt auf die Gesamtverhältnisse übertragen werden, unter den Rotanotaren blieb der Anteil der Deutschen hoch.¹⁰⁶ Zudem ist zu bedenken, dass die Zahl der an der Kurie und in ihrem Umfeld arbeitenden Menschen im Verlaufe des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erheblich anwuchs, allein in der päpstlichen Kanzlei zwischen 1471 und 1527 von rund 200 auf etwa 700 Personen.¹⁰⁷ Auf dem Spendenzettel des Jahres 1509 werden die genannten Personen als Notare, Kurienfunktionäre und Inhaber von geistlichen Dignitäten qualifiziert. Die hier besprochenen Probanden haben allesamt ein Universitätsstudium absolviert. Einige haben sicher, andere wahrscheinlich in Rom studiert und hier akademische Grade erworben. Die Bedeutung Roms als Studienort (nicht nur für Deutsche) wurde bisher erheblich unterschätzt. Eine Neubewertung ist in Gang gekommen, und hierzu liefern auch die genannten Protagonisten interessante Nuancen. Die erörterten Beispiele bestätigen den für die Kanzlei konstatierten Befund, demzufolge dort unter den Universitätsabsolventen überwiegend Inhaber juristischer Grade arbeiteten, zudem einige Mediziner, fast keine Theologen.¹⁰⁸ Bewusst ist vom Studienort Rom die Rede, weil über den auf Universitäten ausgerichteten institutionellen Blickwinkel hinaus auch die sonstigen vielfältigen Möglichkeiten intellektueller Erfahrungen berücksichtigt werden sollten; die von Potken und Questenberg frequentierte Vatikanische Bibliothek sei als Beispiel für viele andere genannt. Der spätere Reformator Andreas Bodenstein von Karlstadt, der bei Luthers Promotion zum Doktor der Theologie an der Universität Wittenberg im Oktober 1512 als dessen promotor fungierte,¹⁰⁹ war nach juristischen Studien an der dortigen Universität im Jahre 1516 in Rom an der Kurie tätig, hatte eine Disputation an der Sapienza bestritten und erwarb das Doktorat in beiden Rechten.¹¹⁰ Luther hingegen suchte Rom wohl als bußfertiger Pilger auf. Die Frage, ob er in Rom auch um eine Studienerlaubnis nachsuchte – wie wiederholt
105 Fre n z, Die Kanzlei (wie Anm. 11), bes. S. 240f.; Te we s, Rom (wie Anm. 28), S. 192. 106 S c h u c h a rd, Die Deutschen (wie Anm. 1), S. 119–121, hier S. 121: „Sieht man von den erfolgreichen Ausnahmen einmal ab, so entsteht der Eindruck einer etwas farblosen Gruppe fachlich gebildeter Schreibkräfte mittleren Ranges, ohne größere Ambitionen und Möglichkeiten, auf die das Nikolaus V. zugeschriebene Wort von den fleißigen, anspruchslosen Deutschen gut gepasst haben mag“. Dieses Urteil trifft sicherlich nicht für unseren Untersuchungszeitraum zu. Vgl. auch d i e s ., Rotanotaren (wie Anm. 1). 107 Die Zahl der Kurienbediensteten insgesamt soll sich in diesem Zeitraum von etwa 400 auf circa 2.000 erhöht haben, ebd., S. 199–201; Fre n z, Die Kanzlei (wie Anm. 11), S. 38. 108 Fre n z, Die Kanzlei (wie Anm. 11), S. 239: „Die Studienorte sind nicht zu ermitteln“. 109 R. J. S i d e r, Karlstadt and Luther’s doctorate, in: The journal of theological studies 22 (1971), S. 168f.; V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 2006, S. 67. 110 U. B u b e n h e i m e r, Consonantia theologiae et iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977 (Jus ecclesiasticum 24), S. 11–66, bes. 48ff.
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vermutet und noch öfter bestritten wurde¹¹¹ – kann im Rahmen dieses Beitrags nicht diskutiert werden, sie wäre aber eine eigene Studie wert.¹¹²
Abbildungsnachweise Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4, 5:
Foto Dr. Franz Xaver Brandmayr Copyright, Päpstliches Institut S. Maria dellʼAnima Erzbruderschaft beim Campo Santo Teutonico Foto Michael Matheus. München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 Germ.g. 209, S. II, urn:nbn:de:bvb:12bsb10897142–2.
111 H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914, S. 10–17; We i j e n b o rg, Neuentdeckte Dokumente (wie Anm. 14), bes. S. 192–195; H. Ju ngh a n s, Der junge Luther und die Humanisten, Weimar 1984 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 8), bes. S. 237–239. 112 Vgl. vorerst den Beitrag von L. S c h m ugge in diesem Band.
Vincenzo De Caprio
Der Humanismus in Rom in den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts Ihre große Blüte erlebte die humanistische Kultur im Umfeld der Römischen Kurie um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Damals wurden Werke verfasst, die zu den wichtigsten Zeugnissen der Philologie, der Geschichtsschreibung, der Chorographie, der Altertumswissenschaft sowie der sprach- und literaturtheoretischen Reflexion gehören und deren Autoren die klassische Antike nicht nur auf einer neuen Grundlage wiederauferstehen ließen, sondern sie ins Zentrum der europäischen Kultur rückten. Stellvertretend für viele sei hier – neben Flavio Biondo und Leon Battista Alberti – nur der Name von Lorenzo Valla genannt, der in Rom die letzte Fassung seiner „Elegantiae linguae latinae“, der „‚Magna Charta‘ nicht nur des italienischen, sondern des gesamten europäischen Humanismus“,¹ veröffentlichte, nachdem er sie in der Widmung an Giovanni Tortelli dem römischen und päpstlichen Kontext angepasst hatte. Nach dieser Phase der außergewöhnlichen Kreativität und Erneuerung ebbte die intellektuelle Experimentierfreude mehr und mehr ab, ebenso wie die kühne Mehrstimmigkeit einer Kultur, in der inhaltlich und methodisch ganz unterschiedliche Richtungen nebeneinander bestanden und teilweise auch hart aufeinanderprallten. Sowohl in Rom als auch andernorts in Italien ließ (sieht man einmal von Polizian, Pontano und Sannazaro ab) in den lateinischsprachigen Werken die Fähigkeit nach, neue Ideen auf literarischem Gebiet hervorzubringen. In einem Passus aus „De cardinalatu“ legte Paolo Cortesi dem Kardinal Francesco Soderini Worte in den Mund, die bei aller positiven Bewertung der zeitgenössischen Gelehrsamkeit und der geschichtskritischen Betätigung den Mangel an kreativen Schriftstellern unterstreichen: „huius aetatis saeculum eruditorum magis in iudicando quam in eloquendo possunt“.² Doch während anderswo die volkssprachliche Literatur zum treibenden Faktor der Kultur wurde und einen innovativen Schub bewirkte, fehlten in Rom – vielleicht abgesehen von der Komödie – in Volgare verfasste Werke, die sich mit den großen Meisterwerken der italienischen Renaissance-Literatur messen konnten. Am Ende des 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zeichneten sich in Rom dann allerdings Neuerungen ab, die ein wesentlich reichhaltigeres und mannigfaltigeres Bild als das der vorausgegangenen Jahrzehnte boten. Es kam
Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 C. D i o n i s o t t i, Geografia e storia della letteratura italiana, Turin 1967, S. 189. 2 Herausgestellt in G. Fe r r aù, Medievali e moderni nel ‚De Cardinalatu‘ di Paolo Cortesi, in: F. C a n t a to re u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato. Giulio II (1503–1513), Roma 2010 (Roma nel Rinascimento [=RR] inedita 44, saggi), S. 573–592, hier S. 586. DOI 10.1515/9783110316117-022
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zu einer Art von Beschleunigung von Expansionsprozessen, die einerseits mit dem zeitlichen Vorsprung und andererseits mit der Verspätung einherging, welche die römische Kultur im Vergleich zu einigen der wichtigsten intellektuellen Zentren Italiens auszeichneten. Die Verspätung betrifft den politisch-militärischen Kontakt mit den großen europäischen Mächten, der in Rom erst um 1527 stattfand, andernorts dagegen schon um die Jahrhundertwende. Der Vorsprung betrifft die Tatsache, dass die Phase der Expansion der humanistischen Kultur in Rom früher als in anderen Zentren Italiens unterbrochen worden war. Man kann das, grob gesprochen, mit den Jahren der Auflösung der Accademia Romana von Julius Pomponius Laetus (1468) und der Neubestimmung der Grenzen der Orthodoxie durch Innozenz VIII. (1484– 1492) in Verbindung bringen. Das Gefühl, es sei um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zu einem Bruch in der intellektuellen Kontinuität gekommen, stellt eines der sensibelsten und fruchtbarsten Themen in der italienischen Kultur des frühen 16. Jahrhunderts dar, die durch das Ende jener Illusion von der Autonomie der Regionalstaaten erschüttert war, von der sich auch das Vertrauen in den Wert des Humanismus gespeist hatte. Und dieses Gefühl manifestierte sich schon sehr früh, noch bevor die großen Historiker es zu einem Kriterium für die Interpretation der politischen Geschichte und der italienischen Gesellschaft machten und bevor Francesco Guicciardini in seiner „Storia d’Italia“, der Geschichte Italiens von 1492 bis 1534, in großartiger Weise die ruina d’Italia, das mit der Invasion Karls VIII. beginnende Ende des politischen Gleichgewichts in Italien, beschrieb. Da ich in diesem Beitrag vor allem auf die humanistische Kultur Bezug nehme, möchte ich zumindest an das Zeugnis erinnern, das in einer Notizensammlung des Florentiner Humanisten und Schülers von Polizian Pietro del Riccio Baldi, bekannter unter seinem Gelehrtennamen Crinito, enthalten ist. In der bereits im Jahr 1504 unter dem Titel „De honesta disciplina“³ veröffentlichten Schrift werden die Ereignisse der Jahre 1492–1494 mit einer starken symbolischen Bedeutung geschildert und verraten insofern die ihnen zugeschriebene Funktion der kulturellen Periodisierung, als Pietro Crinito dort bestürzt auf das zeitliche Zusammenfallen des Anfangs vom Ende der Freiheit Italiens und des Beginns der Auflösung der humanistischen Kultur hinweist.⁴
3 Petri C r i n i t i Commentarii de honesta disciplina, Firenze 1504. 4 „Nescio quo fato superiore anno evenerit, quo Francorum rex Carolus Italiam cum infesto exercitu et instructis copiis invasit, ut principes viri in litteris, atque in summis disciplinis clarissimi perierint, hoc est Hermolaus Barbarus, Ioannes Picus Mirandula et Angelus Politianus, qui omnes in ipso statim Francorum adventu et conatibus, immaturo obitu ad superos concesserunt. Sed statim litterae ipsae ac studia bonarum artium simul cum Italiae libertate coeperunt paulatim extingui, barbaris ingruentibus, cum deessent hi homines qui illis suo patrocinio assiduisque studiis mirifice faverent, qualis inter alios vir summa sapientia et egregio animo Laurentius Medices … Quae res monere interdum me solet, quam brevi tempore fortunae ratio commutetur, quamque inique nunc agatur cum bonis studiis; siquidem pro melioribus disciplinis vitia, pro humanitate et officiis bella et caedes succreverunt“: P. C r i n i t o,
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Doch ist dieses Gefühl der Krise der Kultur, vor allem der humanistischen, nicht der Grund dafür, dass ich mich entschlossen habe, im Bereich des römischen Humanismus mit der zentralen Phase des Pontifikats von Alexander VI. (gewählt im Jahr 1492) einzusetzen, auch wenn der Zeitpunkt de facto mit dem Beginn der ruina d’Italia zusammenzufallen scheint. Diese Entscheidung hat vielmehr vor allem mit Gründen zu tun, die in der römischen Kultur selbst liegen, wo es unter dem BorgiaPapst zu wichtigen Neuerungen kam, die sich wie folgt auf den Punkt bringen lassen: Es setzte sich eine weniger ausschließliche und strenge Orientierung an der klassischen Antike durch, ein Klassizismus also, der offen genug war, um vorklassische, zum Beispiel ägyptische Elemente aufzunehmen und zur Geltung kommen zu lassen. Mit einem etwas ambiguen, aber gleich einer Metapher erhellenden Terminus wurde dieser Klassizismus, dem mehr an einer symbolischen Logik als an einer rationalistischen Struktur der Geschichtsschreibung und der Philologie gelegen war, als ein „heiterer Klassizismus“ bezeichnet. Mit Annius von Viterbo manifestierte sich eine antihumanistische und synkretistische Haltung, die außergewöhnlich viel Anklang fand. Mit Serafino de’ Ciminelli von l’Aquila erzielte unterdessen die höfische Dichtung einen durchschlagenden Erfolg und setzte vehement eine kritische Reflexion humanistischer Prägung ein, die auch auf die volkssprachliche Literatur und auf das Volgare angewandt wurde.⁵ In der römischen Kultur selbst liegen auch die Gründe, aus denen heraus ich mich dazu entschlossen habe, meine Ausführungen mit dem Sacco di Roma von 1527 enden zu lassen. Die zeitliche Einteilung der italienischen Literatur erfolgt gewöhnlich nach einem Schema, das grundlegend bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von den großen Historikern und Denkern skizziert wurde, die aus unmittelbar von der Autonomie-Krise der italienischen Staaten betroffenen geo-politischen Räumen stammten. Zu nennen sind hier die „Storie fiorentine“ und die „Storia d’Italia“ der Florentiner Niccolò Machiavelli und Francesco Guicciardini, die „Storia di Milano“ des Milanesen Bernardino Corio und das Werk „De educatione“ des Pugliesen Antonio De Ferrariis. Die Krise, die auf die Formel von der ruina d’Italia gebracht wurde, schien allgemeiner Natur zu sein, zumal sie neben der Politik auch die Kultur, und zwar nicht nur die humanistische, sondern die gesamte Kultur erfasst hatte. Nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der kulturellen Ebene und auf der Ebene seines Selbstbildes ist Rom ohne Schaden aus der Autonomie-Krise der
De honesta disciplina, hg. von C. A nge l e r i, Roma 1955 (Edizione nazionale dei classici del pensiero italiano 2,2), XV, S. 9. 5 D. C a n f o r a / M. d e Ni c h i l o (Hg.), Principato ecclesiastico e riuso dei classici. Gli umanisti e Alessandro VI, Roma 2002; vgl. darüber hinaus M. C h i ab ò / S. M a d d a l o / M. M ig l i o / A. M. O l iv a (Hg.), Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI., 2 Bde., Roma 2001 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Saggi 68).
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italienischen Staaten hervorgegangen, aus einer Krise, die dagegen für einige große Staaten wie Mailand und das Königreich Neapel sogar das Ende ihres politischen, institutionellen und dynastischen Gefüges bedeutete. Aus dieser Krise, die unweigerlich die Funktion des Papstsitzes als Magnet für Intellektuelle stärkte, da sie andere Kulturzentren schwächte oder gar zu deren Auflösung führte, hat die intellektuelle Rolle Roms geradezu neue Kraft geschöpft. Franciscus Arsillus aus Senigallia, der Arzt von Sebastiano del Piombo und Autor jenes Werks „De poetis urbanis“, das auf das Drängen von Caio Silvano hin in die „Coryciana“ aufgenommen wurde, führt aus, er sei, während in ganz Italien die Kriege tobten, in der „martia Roma“ angelangt (von wo er dann kurz vor dem Sacco wieder aufbrach) „candida ubi assidue pax modo culta viret“.⁶ Davon speiste sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts weiterhin der klassische und humanistische Mythos von Rom als „communis orbis totius patria“, der zu einem langen Leben bestimmt, ja in der Vorstellungswelt eines Torquato Tasso noch präsent war. Das in der Zeit unmittelbar nach dem Sacco von 1527 verfasste Werk „De litteratorum infelicitate“ von Pierio Valeriano schreibt das Bild von der magnetischen Anziehungskraft fest, die das Rom des frühen 16. Jahrhunderts auf die Intellektuellen ausübte: „Urbes aliae vix unum aut duos aut tres (clari viri) ad summum habuisse deprehendebantur … urbem autem Romam, utpote communiem orbis totius patriam, ita litteratorum fertilem et abundantem intuebamur, … ut in ea ipsa demum per annos aliquot maior litteratorum proventus fuerit quam in reliqua Italia“.⁷ In den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erlebte Rom auch in ideologischer Hinsicht eine Expansionsphase, ganz im Gegensatz zu anderen traditionellen Kulturzentren. Überaus bedeutsam ist, dass, während sich in der italienischen Geschichtsschreibung und Literatur das Thema der ruina d’Italia und des Endes eines mythischen und literarischen goldenen Zeitalters durchsetzte, in Rom eines der großen Themen gerade das der Geburt einer neuen aurea aetas war. Um dieses Thema herum konzentrierten sich verstärkt auf das Papsttum bezogene Symbole; und in ihm konvergierte die Rückbesinnung auf zwei unterschiedliche Traditionen: zum einen die auf klassische Bezüge, besonders virgilianischen Ursprungs gegründete Tradition, die im Italien des 15. / 16. Jahrhunderts in der enkomiastischen Literatur besonders lebendig war, zum anderen die christliche Tradition, die den Akzent auf ethisch-religiöse Werte legte (Überwindung der Sünde, Sieg des Gerechtigkeit, Ausbreitung des Glaubens), folglich in Laktanz ihren Mittelpunkt hatte
6 In einem Carmen an den Mailänder Arzt Bonino de Nigris. Ich zitiere aus R. A l h a i q u e P e t t i n e l l i, Bonorum atque eruditorum cohors. Cultura letteraria e pietas nella Roma umanistico-rinascimentale, Roma 2011 (RR inedita 50, saggi), S. 81–90, hier S. 82. 7 I. Pierio Va l e r i a n o, De litteratorum infelicitate libri due, Venezia 1520, S. 6; moderne Ausgabe: Pierio Va l e r i a n o, L’infelicità dei letterati, hg. von B. B a s i l e, Napoli 2010 (Umanesimo e Rinascimento 3).
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(„Divinae Institutiones“, V, 5) und sich vor allem in den engagiertesten Werken der kurialen Kultur manifestierte.⁸ Berühmt wurde die von dem Augustiner Egidio von Viterbo 1507 gehaltene Rede „De aurea aetate“. Sie thematisiert den Zusammenhang zwischen der Eiche, die Julius II. im Jahr 1503 als Emblem gewählt hatte, und der Eiche des Mythos, die Jupiter heilig war: Von den Früchten dieses Baumes, den Eicheln, hatten sich die Menschen im goldenen Zeitalter ernährt. Unter dem Symbol der Eiche – mit den beiden Päpsten aus der Familie Della Rovere, Sixtus IV. und Julius II. – konnte sich das Christentum weiter verbreiten und sich erfüllen, was prophezeit worden war. Während des Pontifikats von Sixtus IV. strebte die Reconquista ihrem Abschluss zu, der 1492 mit dem endgültigen Sieg über die Araber in Spanien erreicht war. Unter dem Pontifikat von Julius II. gab es nach der Ausweitung der Herrschaft von Manuel I. von Portugal auf den Indischen Ozean neue Länder und Völker, die zum christlichen Glauben bekehrt werden konnten, und somit näherte sich die Zeit, zu der, wie vorausgesagt worden war, alle Menschen unter einem einzigen Glauben, „omnium unum ovile et unus pastor“, vereint sein würden.⁹ Der Zusammenhang zwischen der Eiche und dem goldenen Zeitalter taucht oft in den figurativen Darstellungen des Pontifikats der Della Rovere auf und ist auch in zahlreichen literarischen Werken zu finden. Ich will hier nur auf die Bezüge auf das goldene Zeitalter und auf seine christliche Wiedergeburt verweisen, die Pietro Bembo um das Emblem der Eiche der Della Rovere herum aufbaute, dem die anderen alten Pflanzenembleme (Ölbaum, Pappel, Efeu, Myrte, Zypresse und Pinie) weichen mussten. Mit Bezug auf die Eiche von Julius II. schreibt Bembo: „Namque boni mores nostro rediere sub aevo, / ut primum posito constitit illa situ, / simplicitasque inculta comam, rectique cupido, / et lex, et probitas, et sine labe fides. / Ne credit ad primos tantum bona quercus honores, / quos habuit mundi cum tener orbis erat; / sed provecta solo nitidis caput inserit astris, / quantum homines aluit, tantum alitura deos“.¹⁰
Doch auch die 1523 erfolgte Wahl von Leo X., dem Sohn von Lorenzo dem Prächtigen und „medicus“ genannten Papst, der die Wunden der Kirche heilen würde, wurde in dem von den Medici nach dem Zwischenspiel der savonarolischen und der soderinischen Republik zurückgewonnenen Florenz mit allegorischen Darstellungen gefeiert. Darin wurde mit dem offensichtlichen Symbol eines Kindes, das aus den zerbroche-
8 Aus der umfangreichen Bibliographie zum Thema sei hier neben den an späterer Stelle genannten Schriften nur C. Va s o l i, Il mito dell’età dell’oro nel Rinascimento, in: R. P a l l u c c h i n i (Hg.), Giorgione e l’Umanesimo veneziano, 2 Bde., Firenze 1981 (Civiltà veneziana. Saggi 27), hier Bd. 1, S. 51–70, angeführt. 9 J. W. O’M a l l e y, Rome and the Renaissance. Studies in Culture and Religion, London 1981 (Collected studies series 127), insbes. S. 286–295, 312–319. 10 Petri B e m b i Carminum libellus, Venezia 1552, S. 46f.
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nen Waffen eines toten Mannes hervorgeht, darauf angespielt, dass mit dem neuen Papst nach dem Ende des eisernen Zeitalters wieder ein neues goldenes beginnen würde.¹¹ Wie bereits gesagt, ist die Wiederkehr des goldenen Zeitalters kein neues Motiv in der italienischen Kultur des 16. Jahrhunderts. Sie ist ein Motiv, das zur enkomiastischen Rhetorik von literarischer wie von ideologischer Bedeutung gehört; sie knüpft an die Idee der humanistischen Wiedergeburt der Kultur der Antike und im Allgemeinen an die Vorstellung von der neuen Blüte des intellektuellen Lebens an.¹² Und sie ist ein Motiv, das sogar im Hintergrund jenes Krisenbewusstseins präsent ist, auf das ich hingewiesen habe. Wie richtigerweise festgestellt wurde, ist die Tatsache, dass Jacopo Sannazaro die „Arcadia“ beenden konnte, indem er den Tod der bukolischen Dichtung besiegelte (der Epilog „A la sampogna“ gehört zu den Prosatexten, die bei der im Jahr 1496 begonnenen, zur zweiten Ausgabe von 1504 führenden Überarbeitung hinzugefügt wurden), nicht einer der üblichen literarischen Vorwände der humanistischen Poesie, sondern entspricht dem Bewusstsein vom Untergang der ‚bukolischen Welt‘ als des goldenen Zeitalters. „Wenn der Dichter aus der literarischen Tradition das Thema des goldenen Zeitalters wählte und sein schmerzhaftes Verschwinden beklagte, so lag dies an der Entdeckung einer ähnlichen historischen und geistigen Situation, die darzustellen er sich verpflichtet fühlte“.¹³ Im Rom des frühen 16. Jahrhunderts waren die intellektuellen Konstrukte über die päpstlichen Embleme so mit Bedeutungen überfrachtet, dass sie zu regelrechten Zeichen- und Symbolsystemen wurden. Ich will hier nur ein Beispiel erwähnen, das außerhalb des Themas des goldenen Zeitalters liegt, nämlich die komplexen, an den Osirismythos geknüpften Konstrukte Annius’ von Viterbo, die sich sowohl in der „Viterbiae Historiae Epitoma“ als auch – im Zusammenhang mit dem Noah-Thema – in seinem Hauptwerk, den „Antiquitates“, finden. Über das Emblem des Stieres hängen sie einerseits – so Annius – mit dem mit Osiris beginnenden Stammbaum der „gens pharnesia“ von Alessandro Farnese, dem künftigen Paul III., zusammen; andererseits sind sie in den „Antiquitates“ über den Stier im Familienwappen der Verherrlichung des Borgia-Papstes Alexander VI. verpflichtet. Gleichzeitig implizieren die Konstrukte Anniusʼ von Viterbo, wie wir noch sehen werden, in einem gewagten Synkretismus auch ein ehrgeiziges Interpretationsschema der Geschichte und der Weisheit, das sich als Alternative zu dem Schema versteht, das sich der Erkenntnismethoden des humanistischen Klassizismus bedient. Was das Motiv des goldenen Zeitalters zu etwas Besonderem und Bedeutendem im römischen Humanismus macht, ist, dass in ihm Wiedergeburtsvorstellungen zusammentreffen, die die Rückkehr einer in ihrer Vollkommenheit idealen Vergan-
11 H. L. Le v i n, The Myth of the Golden Age in the Renaissance, London 1969, S. 39f. 12 Vgl. W. L. G r a n t, A Classical Theme in Neo-Latin, in: Latomus 16 (1957), S. 690–706. 13 F. Ta te o, Tradizione e realtà nell’Umanesimo italiano, Bari 1974 (Storia e civiltà 3), S. 41.
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genheit als kurz bevorstehend oder bereits erfolgt verheißen, und zwar einer Vergangenheit, die sowohl literarischer als auch ideologisch-religiöser Natur sein kann. Wie in überzeugender Weise Rosanna Pettinelli gezeigt hat, ist die Selbstzelebrierung der römischen humanistischen Kultur, wie sie sich in den 1524 veröffentlichten „Coryciana“, einer regelrechten Selbstdarstellung dieser Kultur, manifestiert, ganz vom Mythos einer erneut Realität gewordenen „aurea aetas“ durchdrungen, in der sich die Wiedererstehung einer „ars antiqua“ mit der einer „nova religio“ verbindet.¹⁴ Der Mythos vom goldenen Zeitalter bezieht sich auf eine Vorstellung vom päpstlichen Rom, die sich um das Motiv der ununterbrochenen Kontinuität von der klassischen imperialen Vergangenheit bis zur christlichen päpstlichen Gegenwart dreht. Gleichzeitig gründet er aber auch auf der Vorstellung von der göttlichen Vorhersehung der Geschichte, die in der Gegenwart den Höhepunkt der neuen, durch die Geburt Christi ausgelösten Ära sieht, und entsprechend auf der prophetischen Vorstellung von einer „plenitudo temporum “,¹⁵ die das Erbe Christi mit der Größe der zeitgenössischen Kirche zusammenfallen lässt. In der „Historia viginti saeculorum“ Egidios von Viterbo ist der Zenit des mit der Geburt Christi beginnenden historischen Prozesses zur Zeit Leos X. erreicht; bereits auf das Jahr 1504 geht die in Neapel geschriebene und mit Sannazaros „De partu virginis“ in Verbindung stehende Ekloge Egidios „De ortu domini“ zurück.¹⁶ In diesem Zusammenhang dient die Bezugnahme auf das neue goldene Zeitalter dazu, das Thema der Geburt Christi und nicht das seiner Leidensgeschichte (auf dem die katholischen Reformatoren bestehen werden) zum zentralen Moment der Heilsgeschichte zu machen. Damit wird auch der Figur der Jungfrau Maria eine vorrangige Bedeutung zuerkannt – wie etwa in dem Werk „De partu Virginis“ von Jacopo Sannazaro, das von Pietro Summonte bereits im Jahr 1507 als vollendet erachtet wurde, aber erst 1526 nach einer sehr langen Phase der Überarbeitung veröffentlicht werden konnte.¹⁷ Und es wird nach den Worten Egidios vor allem das Rom Leos X. sein, das sich als kulturelle Macht präsentieren wird, der es endlich gelingen kann, in der Geschichte konkret jenes Ideal von Frieden und Wohlstand zu verwirklichen, das das Zeitalter des Augustus ausgezeichnet hatte, in dem Christus geboren wurde.¹⁸
14 A l h a i q u e Pe t t i n e l l i, Bonorum atque eruditorum cohors (wie Anm. 6). 15 C. L. S t i nge r, The Renaissance in Rome, Bloomington 1985, insbes. Kap. VI: „Roma aeterna and the plenitudo temporum“. 16 F. M a r t i n, The Writings of Egidio da Viterbo, in: Augustiniana 29 (1979), S. 141–193. 17 Zu dem Verhältnis zwischen der Prophetie und dem Mythos vom goldenen Zeitalter bei Egidio und in „De partu virginis“ von Sannazaro vgl. Ta te o, Tradizione (wie Anm. 13), S. 100f. Im „Sententiarum liber … ad mentem Platonis“ reiht Egidio Virgil in eine von der Bibel und von Platon ausgehende Auslegungslinie ein: G. S ava re s e, La cultura a Roma tra Umanesimo ed Ermetismo (1480–1540), Anzio 1993 (Lʼarco muto 8), S. 83–104. 18 S. P r a n d i, Arcadia sacra. L’ultimo sogno dell’Umanesimo, in: Jacopo S a n n a z a r o, Il parto della Vergine, hg. von S. P r a n d i, Roma 2001, S. 7–57, hier S. 14f.
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Während also anderswo das Ende einer Zeit der Expansion und der Beginn einer neuen, gegenläufigen Phase beschworen wurde, setzte sich in Rom nicht nur eine konstante und fortschreitende Entwicklung fort, sondern hielt sich sogar die Überzeugung, sich in der Hochphase eines lang anhaltenden historischen Prozesses zu befinden, die die damalige Zeit auf Augenhöhe mit der Antike stellte. Sicher war die tatsächliche Situation eine andere und die Krise nur um einige Jahrzehnte verschoben. Als sie dann mit dem Sacco von 1527 voll ausbrach, wurde sie nicht als Krise, sondern als völlige Erschütterung betrachtet, als Zerfall der Kultur, als jähe Unterbrechung eines Prozesses und als Beginn einer gegenläufigen Entwicklung. Mit dem Sacco von 1527 setzte angesichts der Realität des Reiches Karls V. und der Reformation plötzlich das Bewusstsein vom illusorischen Charakter der römischen Renaissance-Ideologien ein. In Rom war es der Sacco, der zur Auflösung des intellektuellen Zentrums führte, wie sie anderswo durch die Invasion Karls VIII. ausgelöst wurde, und der die Verbreitung eines anderen intellektuellen Klimas mit sich brachte, zu der auch die Ereignisse der Reformation ihren Beitrag leisteten.¹⁹ Nach 1527 wurde man sich des Zusammenbruchs der römischen Ideologie von der ununterbrochenen Kontinuität mit der Vergangenheit bewusst, die die kuriale Kultur während des ganzen vergangenen Jahrhunderts durchdrungen hatte und deren Zielpunkt der optimistische Mythos von der plenitudo temporum gewesen war.²⁰ Die Fülle der Zeit zeigte sich nach dem Trauma des Sacco in einer umgekehrten und negativen Perspektive, mit einer apokalyptischen Bedeutung, nach der die radikale Reform der Kirche die einzige Heilsmöglichkeit darstellte. Giovanni Stafileo, der Diplomat und Bischof von Sebenico, dem heutigen Šibenik, hielt ein Jahr nach dem Sacco und drei Monate vor seinem Tod am 15. Mai 1528 eine Rede vor den Richtern der Rota über die Ursachen des Sacco. Durch den expliziten Verweis auf Jesaja und auf die Gottesstrafe der Babylonischen Gefangenschaft sowie durch eine Anspielung auf die göttliche Bestrafung durch die Sintflut (nahegelegt durch ein biblisches Textstück, Genesis 6,12) wird dieser Aspekt scharf akzentuiert: „Sed unde, quaeso, quasve ob causas, tot et tam gravissima incommoda nobis evenere? Nempe quia omnis caro corruperat viam suam; eramus omnes cives et habitatores non Romae urbis sanctae, sed Babylonis peccatricis, de qua impletum est temporibus nostris verbum Domini in Isaya“.²¹ Und nach dem Kongress von Bologna war es gerade Egidio von Viterbo, der die Bedeutung
19 Neben dem Standardwerk A. C h a s te l, Il Sacco di Roma. 1527, Torino 1983, vgl., auch in Bezug auf die Bibliographie, G. Po n s igl i o n e, La ‚ruina‘ di Roma. Il Sacco del 1527 e la memoria letteraria, Vorwort von A. As o r R o s a, Roma 2010 (La ricerca linguistica e letteraria Studi 15). Von besonderer Bedeutung G. M. A n s e l m i, Guicciardini testimone e storico, Vortrag auf der Tagung „Il Sacco di Roma“ (November 2012) organisiert von der Accademia di Francia in Rom (im Druck). 20 V. D e C ap r i o, La tradizione e il trauma. Idee del Rinascimento romano, Manziana 1991 (Patrimonium 2). 21 Giovanni S t a f i l e o, Oratio ad Rotae auditores excidii urbis Romae … causas continens, [Rom 1528], fol. 199v (handschriftliche Seitenangabe im Sammelband Biblioteca Apostolica Vaticana (= BAV),
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der eschatologischen Perspektive von der plenitudo temporum radikal umkehrte. In seiner Schrift „Scechinà“ wurde Karl V. zum Adressaten einer Rede, in der Gott die Starrsinnigkeit Roms verurteilte, das nicht in sich gehen wollte, obwohl der Stadt mehrfach die göttliche Strafe angekündigt worden war, die dann mit dem Sacco und mit einer Reihe von dramatischen natürlichen Ereignissen in dessen Folge eintrat. Doch auch dies hat nichts genützt: „At nec sic quidem quicquam profeci. Nunc certum est ultra non parcere: morbum medici manum refugientem: immanium hostium falce resecare: antiqua evertere: nova instaurare“.²² Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass, wenn Pierio Valeriano den Sacco zu Beginn seines Werks „De litteratorum infelicitate“ als Bruch beziehungsweise als Kontinuitätsverlust und folglich als völlige Erschütterung und Auflösung des römischen Zentrums der humanistischen Kultur interpretiert,²³ ein solches breites Bewusstsein von einem Einschnitt nicht ausschließt, dass es in Rom genau entgegengesetzte Reaktionen gab. Ich will hier nur an die Veröffentlichung der „Carmina“ von Filippo Beroaldo dem Jüngeren im Jahr 1530 erinnern, in denen der Wille zum Ausdruck kommt, durch die erneute Aufnahme der unterbrochenen Kontinuitätsfäden auch die älteren humanistischen Werke der neuen Situation anzupassen. Mit der Widmung an Kardinal Trivulzio scheint dies auch Domenico Lelio zu unterstreichen, dem diese späte Hommage an den seit zwölf Jahren verstorbenen Bibliothekar der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek zu verdanken ist.²⁴ Und ich will – an dieser Stelle beiläufig, da ich später noch darauf zurückkommen werde – daran erinnern, dass Beroaldo der Jüngere von Erasmus zu den Ciceronianern gezählt wurde, „quanquam is perpauca misit in literas“.²⁵ Der römische Humanismus der ersten drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. Was die Organisation der Kultur anbelangt, so entstanden zahlreiche kulturelle Vereinigungen, in denen sich die Intellektuellen zusammenfanden. Diese hatten sowohl die offenere Form der sodalitates als auch
R.I. IV. 1899). Vgl. M. Ta f u r i (Hg.), ‚Renovatio urbis‘. Venezia nell’età di Andrea Gritti (1523–1538), Roma 1983 (Collana di architettura 25), S. 34. 22 E g i d i o da Viterbo, Scechinà e Libellus de litteris hebraicis, hg. von F. S e c r e t, Roma 1959, S. 105 (vgl. jedoch auch S. 161, 217f.). Vgl. A. As o r R o s a, Le amplificazioni ideologiche e letterarie, in: D. A r a s s e / A. As o r R o s a / V. D e C ap r i o / M. M igl i o ( Hg. ), Il sacco di Roma e l’immaginario collettivo, Roma 1986 (Quaderni di studi romani 1,46), S. 69–71; G. S av a r e s e, Dio illustra e spiega il Sacco di Roma. Storia cabala e profezia nella Scechinà di Egidio da Viterbo, in: M. D e N i c h i l o / G. D i s t a s o / A. Iu r i l l i (Hg.), Confini dell’Umanesimo letterario. Studi in onore di Francesco Tateo, 3 Bde., Roma 2003, hier Bd. 3, S. 1203–1220. 23 Va l e r i a n i De infelicitate litteratorum (wie Anm. 7); vgl. L. C h i n e s, L’infelicità dei letterati e le tentazioni delle favole antiche, Vortrag auf der Tagung „Il Sacco di Roma“ (wie Anm. 19). 24 Philippi B e ro a l d i Bononiensis Iunioris Carminum libri III. Eiusdem Epigrammaton liber, Roma 1530. 25 Desiderius E r a s m u s (von Rotterdam), Il ciceroniano o dello stile migliore, hg. von A. G a m b a r o, Brescia 1965, S. 222.
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die fast schon strukturierte der Akademien, wie im Fall des Zirkels von Pomponius Laetus. Wieder begründet als sodalitas im Jahr 1478, gab sich diese Regeln, Ämter, Schutzheilige und Aufgaben. 1483 erhielt sie von Kaiser Friedrich III. das Recht, die Würde eines Poeta laureatus zu verleihen. Sie schuf sich sogar ein eigenes Signet, zum Beispiel im Explicit der Silber-Ausgabe des 1488 erschienenen Werks „De Syllabis“ von Paulus Pompilius („Ex Sodalitate Sancti Victoris in Viminali“).²⁶ Im frühen 16. Jahrhundert nahmen in der Accademia Romana Tommaso Fedra Inghirami und Camillo Porcari eine führende Rolle ein. Doch auch Angelo Colocci und Blosio Palladio dürfen nicht vergessen werden. Wie zahlreich die kulturellen Vereinigungen zur damaligen Zeit vertreten waren, zeigt sich auch daran, dass Piero Valeriano 1522 in den im Studium Urbis gehaltenen „Praelectiones in Catullum die Zirkel Sadoletiun, Gyberticum, Coritianum, Colotiacum, Melineum, Cursiacum, Blosianum et alia“ als je eigene Einrichtungen aufzählte, wenngleich Überschneidungen unvermeidbar waren.²⁷ Mit der Sammlung der „Coryciana“ gab sich auch die „bonorum atque eruditorum cohors“ um Hans Goritz ein öffentliches Erscheinungsbild mit einer Publikationskampagne, die auch die religiösen und akademischen Riten und die literarische Konsistenz der sodalitas auswies.²⁸ Um Paolo Cortesi versammelte sich eine sodalitas, an der – wie aus „De cardinalatu“ hervorgeht – neben einem nicht näher bestimmten Hermodorus (vielleicht ein Schüler von Janus Lascaris), Capella, Scipione Forteguerri (Carteromaco), Geremia Cusandro, Pietro Gravina, Cornelio Benigno D’Alessandro und Antonio Augusto Valdo beteiligt waren. Eine teilweise andere Mitgliederliste geht aus einer Beschreibung hervor, die Vincenzo Colli, genannt Cal-
26 Zu den Formen der sodalitas vgl. R. M a n d ro u, De humanistes aux hommes de science (XVI e et XVII e siècles), Paris 1973 (Histoire de la pensée européenne 3), S. 44; V. D e C a p r i o, I canacoli umanistici, in: A. As o r R o s a (Hg.), Letteratura italiana 1: Il letterato e le istituzioni, Torino 1982, S. 799– 822; vgl. jedoch auch T. K l a n i cz ay, Alle origini del movimento accademico ungherese, Vorwort und italienische Übersetzung von A. D i Fr a n ce s co, Alessandria 2010 (Ister 1), S. 15–39. Zu den Formen der Akademie vgl. A. Q u o n d a m, L’Accademia, in: Letteratura italiana 1 (wie Anm. 26), S. 823–898. C. B i a n c a, Pomponio Leto e l’invenzione dell’Accademia romana, in: M. D e r a m a i x u. a. (Hg.), Les Académies dans l’Europe humaniste. Idéaux et pratiques, Genf 2008 (Travaux dʼhumanisme et Renaissance 441), S. 25–56. Zur Zusammenarbeit mit Eucharius Silber vgl. R. A l h a i q u e P e t t i n e l l i, Elementi culturali e fattori socio-economici della produzione libraria a Roma nel ʼ400, in: W. B i n n i (Hg.), Letteratura e critica. Studi in onore di Natalino Sapegno, 5 Bde., Roma 1974–1979, hier Bd. 3, Roma 1976, S. 138–142. 27 S. B e n e d e t t i, Dalla Sicilia a Roma. Giulio Simone Siculo, maestro, poeta e oratore, in: Studi Romani 3–4 (2007), S. 381–415 (Zitat S. 382). 28 Vgl. die kritische Ausgabe mit umfassendem Apparat: Coryciana, hg. von J. I j s e w i j n, Roma 1997 (Academia Latinitati Fovendae Varia 7); ferner R. A l h a i q u e P e t t i n e l l i, Tra antico e moderno. Roma nel primo Rinascimento, Roma 1991 (Quaderni di storia della critica e delle poetiche 16), S. 63–82; d e r s., Bonorum atque eruditorum cohors (wie Anm. 5), S. 73–90.
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meta, von den gelehrten Versammlungen im Haus von Cortesi lieferte.²⁹ Cortesi wurde seinerseits zusammen mit Trissino, Calmeta und Benedetto Accolti von dem Zirkel angezogen, der sich bei Angelo Colocci traf.³⁰ Die Kommentierung der Klassiker wurde weiter betrieben, vor allem aber setzte man, wie andernorts in Italien, auf die großen gelehrten und enzyklopädischen Kompilationen. Carlo Dionisotti hat das in den römischen Werken enthaltene enzyklopädische Wissen herausgestellt und gezeigt, dass es nicht von der Geschichte losgelöst ist, sondern den wechselhaften und schwierigen Beziehungen zwischen den Menschen Aufmerksamkeit zollt.³¹ Doch die Grenzen des literarischen Bereichs werden mitunter auch von den Protagonisten selbst wahrgenommen. Wie Giacomo Ferraù festgestellt hat, drehte sich die gesamte historiographische Vision von Paolo Cortesi, angefangen von seinem frühen Werk „De hominibus doctis“ bis zu seinem Traktat „De cardinalatu“, um die Vorstellung von einer fortschreitenden Zivilisierung, die in der Gegenwart gipfelt. Das Bild ist überwiegend positiv: „censemus hodie decemmilium litteratorum hominum in Europa reperiri genus qui tantum dant scriptionis accuratae temporis quantum ex negotiorum et vitae necessitate redundant“; doch, wie Cortesi im selben Passus bemerkt, die Ergebnisse sind selten hervorragend.³² Ich werde mich im Folgenden auf einige kurze Anmerkungen zu den wichtigsten Werken beschränken, auch wenn diese eine weitaus umfassendere Auseinandersetzung verdienten. Im Jahr 1498 kam mit den „Antiquitates“ eine unübersichtliche Sammlung von Texten, begleitet von einem noch unübersichtlicheren und ausufernderen Kommentar, heraus, die der Dominikaner Annius von Viterbo, der spätere Magister Sacri Palatii, verfasst hatte. Es handelt sich um ein Werk, das auf einer Reihe von Konstrukten aufbaut, die auf der Vorstellung von einer ursprünglichen, von Noah direkt an die Menschen weitergegebenen Offenbarung gründen, welche einen radikalen Synkretismus rechtfertigt zwischen den vorklassischen Religionen (vor allem der ägyptischen), den klassischen Religionen, der biblischen Tradition (in der die Rolle Noahs weniger die des Erbauers der Arche als vielmehr die des pontifex ist) mit punktuellen Einflüssen der Kabbala und vor allem dem Christentum. Eine wichtige Vermittlungsinstanz bei der Weitergabe der ursprünglichen Weisheit Noahs wird den Etruskern
29 „Concorrevano ivi ogni giorno gran moltitudine di elevati ingegni, Gianlorenzo Veneto , Pietro Gravina, Montepiloso Episcopo , Agapito Geraldino, Manlio , Cornelio “. Ich zitiere aus Fe r r aù, Medievali e moderni (wie Anm. 2), S. 589f. Zur Akademie von Cortesi vgl. A l h a i q u e Pe t t i n e l l i, Bonorum atque eruditorum cohors (wie Anm. 6), S. 1–16. 30 Eine Liste der Beteiligten an der sodalitas von Colocci findet sich in Frederico U b a l d i n i, Vita di Mons. Angelo Colocci, hg. von V. Fa n e l l i, Città del Vaticano 1969 (Studi e testi 256), S. 109. 31 C. D i o n i s o t t i, Gli umanisti e il volgare fra Quattro e Cinquecento, Firenze 1968 (Bibliotechina del saggiatore 29), S. 46f. 32 Fe r r aù, Medievali e moderni (wie Anm. 2), S. 586.
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zugewiesen, bei deren Lukumonen die religiöse Funktion mit der politischen und institutionellen verschmilzt. Durch die synkretistische Symbolik, die Noah, Janus, den Gianicolo und den Vatikan vereint, werden die Etrusker die unmittelbaren Vermittler von Annius’ Vorstellung von einem Papsttum mit weisheitlichem Profil (und – in philospanischer Perspektive – die Vermittler der Vorstellung von einer sakralen Monarchie, die auch von Antonio Nebrija vertreten wurde). In den „Antiquitates“ werden en bloc alle Bezüge auf die humanistische und neuplatonische prisca theologia zurückgewiesen, ebenso wie der exemplarische Wert der griechischen Tradition (sowohl der klassischen als auch der weisheitlichen). Für Annius war diese Tradition nur eine Quelle von Fehlern und Häresie, da es der griechischen Lehre um die Suche nach dem Neuen gehe und nicht um die Erhaltung der von Noah geoffenbarten ursprünglichen Werte, der einzigen Hüter der Wahrheit. Jenseits der mythischen Geschichten aus der Zeit vor und nach der Sintflut stützen sich die „Antiquitates“ auf eine im Vergleich zum intellektuellen System des humanistischen Klassizismus völlig subversive Vorstellung. In dem Werk werden auch die Erkenntnismethoden der humanistischen Geschichtsschreibung und Philologie abgelehnt, und es wird eine Denkrichtung wiederaufgegriffen, die im Thomismus und in der spätantiken Grammatik wurzelt (vor allem der von Aelius Donatus und Priscianus): Die ursprüngliche Wahrheit, so heißt es, lasse sich nicht mit Erkenntnisinstrumenten der Philologie erfassen, sondern nur anhand der Analyse der Namen, die die Stammväter der Wirklichkeit gegeben haben. In den ursprünglichen Namen konzentrieren sich, so liest man weiter, sowohl die Essenz als auch die Eigenschaften, die die bezeichneten Wirklichkeiten gemein haben, deren Kenntnis jedoch nur durch die Entzifferung der Namen erlangt werden könne. Nicht der humanistische Philologe, sondern der Theologe, der diese geheimnisvolle Wissenschaft von den Wörtern kennt, sei im Besitz eines großartigen und universellen Erkenntnisinstruments.³³ Die „Commentarii urbani“ von Raphael Maffei Volaterranus, die an die große antiquarische und gelehrte Tradition von Flavio Biondo anknüpfen, wurden im Jahr 1506 in 38 Bänden herausgegeben. Ihre drei Teile stellen eine regelrechte Enzyklopädie des Wissens dar. Der erste von ihnen ist der historischen Geographie („Geographia“) gewidmet; der zweite beinhaltet ein historisches Lexikon der alten Onomastik, das eine Einteilung nach modernen Kategorien und Berufen vornimmt („Anthropologia“); der dritte schließlich befasst sich mit den Grundlagen der Künste („Philologia“). Obwohl sie noch der traditionellen Idee von der Überlegenheit der Vertreter der Antike
33 D e C ap r i o, La tradizione (wie Anm. 20), S. 186–260; A. G r a f t o n, Defenders of the Text. The Tradition of Scholarship in a Age of Science 1400–1800, Cambridge MA 1991, S. 76–103, 268–276; G. Fe r r aù, Riflessioni teoriche e prassi storiografica in Annio da Viterbo, in: C a n f o r a / N i c h i l o (Hg.), Principato ecclesiastico (wie Anm. 5), S. 150–193. Für die historische Dimension interessiert sich derzeit J. Ru b i n i, Annio da Viterbo e il Decretum Desiderii. Storia e miti del libero comune viterbese, Viterbo 2012 (Progetto memoria 10).
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über die der Moderne verhaftet sind, erweisen sich die „Commentarii urbani“ gleichzeitig als den Erfordernissen der Modernität und denen einer Neubewertung der Volkssprache gegenüber offen. Was das Volgare anbelangt, so wird beispielsweise auf Stammwörter sowohl lateinischen als auch griechischen Ursprungs hingewiesen („De nominibus“).³⁴ Von besonders großer Bedeutung – und das über Rom hinaus – ist das im Jahr 1510 veröffentlichte Werk „De cardinalatu“ von Paolo Cortesi, in dem das Moderne als eine bereits vollständig abgegrenzte Dimension erscheint, die von einer Vorbildlichkeit ist, welche es mit der Antike aufnehmen kann. Im Proemio des zweiten Buchs wird die Auffassung vertreten, die Menschen könnten einen größeren Gefallen an den modernen Dingen finden, und zwar gerade wegen deren größerer Nähe. Deswegen kann Cortesi in diesem Werk auf eine neue Literatur setzen, die von der christlichen Jetzt-Zeit in klassischen Formen zu sprechen vermag. Vielsagend ist jedoch auch die große Aufmerksamkeit, die er der volkssprachlichen Literatursprache schenkt, die ihm zufolge seit der Zeit der drei großen Florentiner verbessert worden ist (wobei die Nennung von Dante neben Petrarca und Boccaccio die Distanz zu den Vorstellungen zeigt, die sich in den „Prose“ von Bembo spiegeln).³⁵ Zwischen 1512 und 1514 wird – bemerkenswerterweise gleichzeitig mit Machiavellis Werk „Der Fürst“ – der (im Jahr 1544 veröffentlichte) Traktat „De principatu“ des aus der adligen römischen Familie der Alberteschi stammenden Juristen Mario Salamoni verfasst, der als Jurist am Studium Urbis lehrte. Gemäß dem traditionellen humanistischen Modell handelt es sich um einen Traktat in der Form eines Dialogs zwischen einem Juristen, einem Philosophen, einem Theologen und einem Historiker. In „De principatu“ werden die rechtlichen Fundamente der monarchischen Herrschaft diskutiert, wobei die vertragliche Grundlage des Staates von dem Philosophen unterstrichen wird, während der Jurist den Souverän für legibus solutus hält. Ausgehend von diesem Bezug auf die Tradition des Vertragsgedankens wurde sogar ein Dialog über die verbliebenen Spannungen zwischen der städtischen Aristokratie und der päpstlichen Herrschaft vorgeschlagen, die noch unter Leo X. und nach der pax romana von 1511 zu spüren waren.³⁶ Dennoch lässt sich das dem Medici-Papst gewidmete Werk nicht einfach als Ausdruck der noch vorhandenen Spannungen zwischen Stadt und Papsttum betrachten – trotz der Unterscheidung zwischen einer lex generalis und einer lex conventionalis, trotz der Vertragslehre, dem Vorhandensein
34 D i o n i s o t t i, Gli umanisti e il volgare (wie Anm. 31); S av a r e s e, La cultura a Roma (wie Anm. 17), S. 23–27. A l h a i q u e Pe t t i n e l l i, Bonorum atque eruditorum cohors (wie Anm. 6), S. 17–29. 35 Fe r r aù, Medievali e moderni (wie Anm. 2), S. 573–592. 36 C. G e n n a ro, La ‚Pax romana‘ del 1511, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 21 (1968), S. 17–60.
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republikanischer Ideale, der Nichtverurteilung des Tyrannenmords sowie der Kritik an der Verwaltung der Kurie und an der Verweltlichung von Kurie und Kirche.³⁷ In der römischen Kultur dieser ersten drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts kam es also zu einer Verflechtung höchst verschiedener und unterschiedlicher intellektueller Positionen, die meines Erachtens auf drei wesentliche Komponenten zurückgeführt werden können. Bei der ersten Komponente handelt es sich um eine Richtung der humanistischen Kultur, in deren Mittelpunkt das tief wurzelnde Gefühl von der ununterbrochenen Kontinuität steht, einer Kontinuität nicht nur der klassischen Tradition, sondern insbesondere auch der Tradition des 15. Jahrhunderts. Diese Richtung erscheint folglich als genau gegenläufig zu der Wahrnehmung eines Kontinuitätsbruchs zwischen der Kultur des 15. Jahrhunderts und der intellektuellen Situation, die sich aufgrund der ruina d’Italia, meinem Ausgangspunkt, ergeben hatte und die durch Bembos Zurückweisung der Gültigkeit einer volkssprachlichen Dichtung des 15. Jahrhunderts bekräftigt wurde. Als Pierio Valeriano zu Beginn seines Werks „De litteratorum infelicitate“, das nach 1527 geschrieben wurde und insbesondere die römische Situation in den Blick nahm, dann ein Bild der humanistischen Kultur seiner Zeit zeichnete, stellte er sie als einen kompakten und homogenen Block dar, für den es seiner Meinung nach einen genauen und klar abgegrenzten zeitlichen Rahmen gab, der mit der Spanne von 70 Jahren zwischen der Wahl von Nikolaus V. (1447) und dem Sacco zusammenfällt.³⁸ Erst der Sacco und nicht die ruina d’Italia bedingte die Zäsur, durch welche die Kontinuität unterbrochen und in dramatischer Weise das römische Zentrum der humanistischen Kultur zerstört wurde. Es handelt sich um eine geradezu ideologisch vertretene Kontinuitätsachse, um die herum sich religiöse, institutionelle, philosophische, literarische und rhetorische Vorstellungen drehen, die aus der Gegenwart den letzten Zielpunkt einer kontinuierlichen und linearen Tradition machen, die deren Anschluss an die Vergangenheit gewährleistet. Das Thema des goldenen Zeitalters erscheint, wie wir gesehen haben,
37 Die in der römischen Ausgabe von 1544 nicht abgedruckte Widmung befindet sich in BAV, ms. Vat. lat. 6268, c. xr. Marii S a l a m o n i o d e gl i A l b e r t e s c h i s De principatu libri septem, hg. von M. D’Ad d i o, Milano 1955; vgl. M. D’Ad d i o, L’idea del contratto sociale dai sofisti alla Riforma e il ‚De principatu‘ di Mario Salamonio, Milano 1954 (Pubblicazioni 4,4) (dazu jedoch M. Ab b o n d a n z a , in: Annali di storia del diritto 1 [1957], S. 560–564); C. S t i n ge r, The Renaissance in Rome, Bloomington 1998, Nr. 81 S. 387; A. P. M o n a h a n, From Personal Duties towards Personal Rights. Late Medieval and Early Modern Political Thought, 1300–1600, Toronto 1994 (MacGill-Queen’s Studies in the History of Ideas 17), S. 31. 38 „Quaesitum a declinatione Imperii Romani quaenam aetas litteris magis florere visa fuerit, neque ulla comperta est quae tempori nunc elabenti anteferenda videtur. Tam clari octuagesimo abhinc viri extitere, qui certare cum antiquitate, alii ingenio, alii eruditione, alii eloquentia comperiuntur“: Va l e r i a n i, De litteratorum infelicitate (wie Anm. 7), S. 5. Vgl. V. D e C a p r i o, Intellettuali e mercato del lavoro nella Roma medicea, in: Studi romani 29 (1981), S. 29–32.
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als das zentrale Element dieser Konstruktion. Aber auch die Reformerfordernisse werden nicht so sehr als die Schaffung einer Diskontinuität angesichts eines Verfalls der Gegenwart wahrgenommen, sondern als die Rekonstruktion einer Kontinuität, die im Gegensatz zu ihren Ursprüngen solider ist, als eine Wiederanknüpfung an das wertvolle Erbe der eigenen Geschichte und seine Befreiung von Verkrustungen. In der Rede zur Eröffnung des Laterankonzils wünschte Egidio von Viterbo am 3. Mai 1512 eine tiefgreifende Erneuerung herbei, die zu „collapsam religionem in veteram puritatem, in antiquam lucem, in nativum splendorem, atque in suos fontes“ führen würde.³⁹ Die zweite Komponente reflektiert die Ungewissheit der Gesamtsituation: Sie macht sich die Sorgen angesichts der ruina d’Italia zu eigen, auch die Ängste in Anbetracht der dringenden Notwendigkeit einer Reform der Kirche, und projiziert sie auf die Prophezeiung einer großen Gefahr, aber auch einer bevorstehenden Wiedergeburt. Gegen Ende des Pontifikats von Alexander VI. war die einem spanischen Franziskaner zugeschriebene „Apocalypsis Nova“ erschienen. Der selige Amadeus prophezeite darin die bevorstehende plenitudo ecclesiae, wenn in einem Klima des universellen Friedens und unter der Leitung eines vom Himmel bestimmten und auf der Welt bereits tätigen Hirten „omnes gentes infidelium ad fidem vestram convertentur et ei sicut patri obedient“.⁴⁰ Diese Prophezeiung hatte sich innerhalb kürzester Zeit verbreitet, und gegen sie sprach sich dann das 5. Laterankonzil aus. Doch sie erfüllte auch eine äußerst wichtige Funktion, ermöglichte sie doch, das optimistische Klima eines bevorstehenden goldenen Zeitalters mit einem obskuren Gefühl der Ungewissheit der Gegenwart zu kombinieren, mit einer mehr oder weniger genauen Diagnose der Übel der Kirche (die sich auch in der lutherischen Polemik spiegeln sollte), und mit der Notwendigkeit einer Reform der Lehre und der Organisation. Das Motiv der Prophetie, vor allem der Bezug auf Jesaja, erlaubte die Verbindung zweier auf den ersten Blick antithetischer Ebenen.⁴¹ Gleich zu Beginn der Eröffnungsrede des Konzils rechtfertigte Egidio von Viterbo mit seiner Tätigkeit als Prediger und Interpret der großen prophetischen Texte des Alten und des Neuen Testaments die Tatsache, dass der Papst ihm eine so wichtige Aufgabe übertragen hatte. In seinen Predigten in ganz Italien „hatte er angekündigt, dass nach Wandlungen und großen Unglücksfällen der Kirche endlich die ‚illius emendationem‘ gekommen sei. Daher
39 P. C a s c i a n o, Frugalitatem exigit pietas, non poenam. Egidio da Viterbo e il Quinto Concilio Lateranense, in: V. D e C ap r i o / C. R a n i e r i (Hg.), Presenze eterodosse nel Viterbese tra Quattro e Cinquecento, Roma 2000 (Periferia 3), S. 123–140, hier S. 127–129. 40 A. M o r i s i, Profezie e progetti di riforma, in: C a n t a to re u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato (wie Anm. 2), S. 15–26. 41 „Et dixit: ‚Donec desolentur civitates absque habitatore, et domus sine homine, et terra relinquatur deserta‘. Et longe adducet Dominus homines et magna erit desolatio in medio terrae; et adhuc in ea decimatio, et rursus excisioni tradetur sicut terebinthus et sicut quercus, in quibus deiectis manebit aliquid stabile. Semen sanctum erit id quod steterit in ea“. (Jesaja, 6, 11–13).
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konnte es als natürlich erscheinen, dass der Interpret der Prophezeiungen auch vom ‚principium expectatae salvationis‘ Zeugnis ablegte“.⁴² Was schließlich die dritte Komponente anbelangt, so besteht sie aus der Rückkehr der volkssprachlichen Literatur, die im großen Stil in einem traditionellerweise fast ausschließlich an das Lateinische gebundenen intellektuellen Kontext erfolgte. Und ich spreche von einer Rückkehr, weil es sich in Wirklichkeit nicht um ein völlig neues Ereignis in der römischen Kultur handelt. Wir dürfen nämlich nicht jenes wahre Monument des Römischen, die „Cronica“ des römischen Anonymus, vergessen, die in einem Klima der erstarkten kommunalen Bestrebungen entstand, aber – wie später der kuriale Humanismus – auch von einem starken Gefühl des Weiterlebens der klassischen und vor allem der lateinischen Tradition in der Gegenwart durchdrungen ist. Es ist die Verbindung zwischen Munizipalismus und universalistischem Klassizismus, die später dann in den Werken von Marco Antonio Altieri auftaucht. Und doch bedeutete die Rückkehr zum Volgare im frühen 16. Jahrhundert etwas Neues und Anderes im Vergleich zum Werk des Anonymus. Auch in Rom entstand die volkssprachliche Literatur zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert nicht n e b e n der intellektuellen humanistisch-lateinischen Tradition, sondern setzte sich in enger Verbindung m i t dieser durch. Das Werk von Serafino von lʼAquila ist dafür ein wichtiges Indiz. Seine Gedichte waren für den mündlichen Vortrag bestimmt; sie mussten vorgelesen oder vorgesungen werden. Erst nach seinem Tod wurden sie gesammelt und veröffentlicht, wobei der Übergang von der Mündlichkeit zur Veröffentlichung in Rom auch schon die Gelegenheitsdichtung, allerdings die lateinischsprachige, betroffen hatte.⁴³ Francesco Flavio, vielleicht der Sohn von Flavio Biondo, gab erstmals die „Rime“ Serafinos heraus, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sollten die Gedichte, die bereits eine enorme Popularität erlangt hatten, in keiner Weise als Volksdichtung rezipiert werden; zweitens sollte die Sammlung den Erfordernissen einer Rückführung auf die ursprüngliche Form der Texte gerecht werden, die für die humanistische Philologie charakteristisch ist.⁴⁴ Es war eine Hommage der römischen humanistischen Kultur an die volkssprachliche Dichtung, die zwei Jahre später anlässlich des Todes von Serafino in den „Collectanee Grece Latine et Vulgari“ gipfelte. Griechische, lateinische und volkssprachliche Verse unterstrichen schon im Titel die Hommage der humanistischen Poesie, in all ihren sprachlichen Formen, an das Werk des Dich-
42 C a s c i a n o, Frugalitatem (wie Anm. 39), S. 126f. 43 Vgl. P. Fa re nga, ‚Munumenta memoriae‘. Pietro Riario fra mito e storia, in: M. M ig l i o / F. N i u t t a / D. Q u agl i o n i / C. R a n i e r i (Hg.), Un pontificato ed una città. Sisto IV (1471–1484), Città del Vaticano 1986 (Littera antiqua 5), S. 179–216. 44 Opere del facundissimo Serafino Aquilano collecte per Francesco F l av i o, Roma 1502, fol. 7–8v (Widmung von Flavio an Pietro Santacroce). Vgl. A. R o s s i / G. L a Fa c e B i a n c o n i, Melica e musica italiana alla fine del Quattrocento e agli inizi del XVI secolo (età della frottola), in: A. P o m p i l i o / D. R e s t a n i / L. B i a n co n i / F. A. G a l l o (Hg.), Trasmissione e recezione delle forme di cultura musicale, Bd. 2: Study sessions, Torino 1990, S. 239–251.
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ters.⁴⁵ Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass sich auch in Rom die kritische Auseinandersetzung mit dem Volgare verbreitete. Und Flavio hatte nicht vergessen, die Verdienste zu unterstreichen, die auch auf diesem Gebiet Serafino de’ Ciminelli gehabt hatte, „von dessen bewundernswerten und wenigen vergönnten Tugenden nicht nur dieser oder jener, sondern fast alle von uns verstreuten Talente Italiens erweckt und aufgerichtet worden sind zu dieser erhabenen Kraft des volkssprachlichen Idioms“.⁴⁶ So glich sich die römische Kultur letztlich erneut an die der anderen wichtigen intellektuellen Zentren Italiens an, in denen ein tiefgreifender und kontinuierlicher Austausch zwischen der klassischen Tradition und derjenigen in den romanischen Sprachen stattfand und die neue Blüte des Volgare im frühen 16. Jahrhundert zusammen mit dem Bewusstsein von der eigenen Autonomie bereits die Meisterwerke eines anderen Klassizismus hervorgebracht hatte oder gerade dabei war hervorzubringen.⁴⁷ Doch die größere Komplexität und Auffächerung der römischen Kultur (sowohl was die literarische Produktion als auch was die kulturellen Vereinigungen anbelangt) präsentierte sich auch als eines der Ergebnisse eines genau entgegengesetzten Prozesses, der die organischer an den kurialen Humanismus gebundene Tradition erfasste. Im Laufe der Zeit kam es in der Tat zu einer fortschreitenden Reduktion der Vielfalt der Forschungsrichtungen und der Experimente, die den kurialen Humanismus in der Mitte des 15. Jahrhunderts gekennzeichnet hatten und die sich im Verlauf des Jahrhunderts im ciceronianischen Modell immer mehr aneinander anglichen. Dass die magnetische Anziehung von Künstlern und Schriftstellern durch das Mäzenatentum der Päpste und Kardinäle sowie einiger großer weltlicher Persönlichkeiten, die in Rom tätig waren, einen Beitrag zur Entwicklung der römischen Kultur der ersten drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts geleistet hat, kann nicht geleugnet werden. Die außergewöhnliche Konzentration von Intellektuellen, die sich in ihrer Bildung unterschieden und aus unterschiedlichen Kulturräumen stammten,
45 Collettanee … nella morte de l’ardente Serafino Aquilano, Bologna 1504; moderne Ausgabe: ‚Collettanee‘ in morte di Serafino Aquilano, hg. von A. B o l og n a, Lucca 2009 (Documenti di storia musicale abruzzese 5). 46 „Da le cui admirande e a pochi concesse virtù non solo questo o quello, ma tucti quasi li pellegrini ingegni de Italia siamo stati svegliati et erecti a questa preclara facultà del vulgare idioma“. Opere del facundissimo (wie Anm. 44), fol. 7v. 47 Vgl. V. D e C ap r i o, Roma, in: A. As o r R o s a (Hg.), Letteratura italiana 7: Storia e geografia 2,1: L’età moderna, Torino 1988, S. 327–472; S ava re s e, La cultura a Roma (wie Anm. 17); R. P i s t a r i n o, „Incolumis pudor“. Tra latino e volgare da Flaminio a Tasso, in: Quaderni di critica e filologia italiana 1 (2004), S. 1–58; S. B e n e d e t t i, Ex perfecta antiquorum eloquentia. Oratoria e poesia a Roma nel primo Cinquecento, Roma 2010 (RR inedita 46, saggi); G. C ap p e l l i, L’umanesimo italiano da Petrarca a Valla, Roma 2010 (Frecce 97), S. 163–226. Vgl. darüber hinaus A. R e y n o l d s, Francesco Berni, Gian Matteo Giberti, and Pietro Bembo. Criticism and Rivalry in Rome in the 1520s, in: Italica 3 (2000), S. 301 –310.
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führte im kulturellen Leben Roms unweigerlich zu einer Koexistenz von vielfältigen intellektuellen Positionen und zu einer breit gefächerten Dialektik, die Kreativität und Energien freisetzte. Dies ist das traditionelle Bild von der Situation, das bereits von den Zeitgenossen gezeichnet und von der Geschichtsschreibung dann festgeschrieben wurde.⁴⁸ Doch dieses traditionelle Bild von einem Rom der Renaissance, dessen intellektueller Glanz im Wesentlichen von der in seinem Inneren stattfindenden Interaktion zwischen von außen kommenden Kräften stammen soll, erklärt die Phänomene nur zum Teil. Richtet man sein Augenmerk nur auf die äußeren Einflüsse, so riskiert man, die wesentlicheren Gründe für eine Entwicklung nicht zu erfassen, die nicht allein das Resultat einer Befruchtung von außen war, sondern die aus der Interaktion mit einem bereits vorhandenen intellektuellen Substrat geboren wurde. Von den Intellektuellen, die im Zusammenhang mit der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Volgare in klassizistischer Perspektive von Bedeutung waren, will ich nur einige wenige nennen: Angelo Colocci, der bereits während des Pontifikats von Julius II. in Rom war, Pietro Bembo, in Rom angelangt im Jahr 1512, Giangiorgio Trissino und schließlich Paolo Cortesi, dessen Zirkel eifrig von Serafino von Aquila frequentiert wurde. Dieser wiederum suchte besonders die Nähe des Dichters Vincenzo Calmeta, dem Bembo in den „Prose“ die Thesen von der höfischen Sprache zuschrieb.⁴⁹ Als Bembo nach Rom kam, hatte er bereits die „Asolani“ veröffentlicht und arbeitete an den „Prose“; aber nur als Humanist und nicht als volkssprachlicher Schriftsteller und Sprachtheoretiker wurde er zum Brevensekretär ernannt, und es ist kein Zufall, dass die Ernennung zusammen mit der von Jacopo Sadoleto erfolgte. Und als Humanist und sogar als Ciceronianer erwies er sich im Jahr nach seiner Ankunft (1513) im Brief „De imitatione“. Doch in dem Rom, in dem er ankam, gab es nicht mehr nur die Kurie als wesentlichen Attraktionspunkt für Intellektuelle, und es war nicht nur die lateinische Tradition des kurialen Humanismus lebendig. Ich habe eben als wichtig für das Problem des Volgare in humanistischen Kreisen die mit Paolo Cortesi und Angelo Colocci verknüpfte sodalitas genannt, die seit Langem den
48 Vgl. Alessandro Fe r r aj o l i, Il ruolo della corte di Leone X, hg. von V. D e C a p r i o, Roma 1984 (Biblioteca del Cinquecento 23); E. Le e (Hg.), Habitatores in Urbe. The Population of Renaissance Rome, Rome 2006 (Collana Studi e proposte 4); M. S a n f i l i p p o, Roma nel Rinascimento. Una città d’immigrati, in: B. B i n i / V. Viv i a n i (Hg.), Le forme del testo e l’immaginario della metropoli, Viterbo 2009 (Letture 2), S. 73–85. 49 Pietro B e m b o, Prose della volgar lingua. Gli Asolani, Rime, hg. von C. D i o n i s o t t i, Milano 1966 (Classici italiani 26), S. 106–111. Vgl. P. V. M e nga l d o, Appunti su Vincenzo Calmeta e la teoria cortigiana, in: La rassegna della letteratura italiana 64 (1960), S. 446–469; Vincenzo C a l m e t a, Prose e lettere edite e inedite (inkl. zwei Anhängen mit anderen unveröffentlichten Werken), hg. von C. G r ay s o n, Bologna 1959 (Collezione di opere inedite o rare 121); vgl. darüber hinaus d e r s ., Triumphi, hg. von R. G u b e r t i, Bologna 2004 (Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XIX 295).
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Problemen der volkssprachlichen Literatur Aufmerksamkeit schenkte.⁵⁰ Zehn Jahre vor der Ankunft von Bembo entstand die „Apologia“ für Serafino von lʼAquila, die im Jahr 1503 gedruckt wurde. In Rom gingen von Bembo nicht nur Impulse aus, sondern er erhielt auch solche: Das Interesse Bembos für die provenzalische Dichtung zum Beispiel wurde gerade während seines ersten Rom-Aufenthalts geweckt, wahrscheinlich unter dem Einfluss von Colocci. In diesem Zusammenhang werde ich mich weder mit der volkssprachlichen Literatur noch mit der Frage der höfischen Sprache in Rom befassen. Ich möchte aber auf die Gründe für die einzigartige – oft sogar bei einem einzelnen Intellektuellen zu findende – Aporie innerhalb einer Kultur eingehen, die streng ciceronianisch hinsichtlich des Lateinischen ist, für das Volgare jedoch das Modell der höfischen Sprache vertritt und nicht das der – mit ihren Voraussetzungen kohärenteren – ciceronianischen Struktur, wie es Bembo dann in seinen „Prose“ tut.⁵¹ Auf der Ebene der lateinischsprachigen Kultur wird in Rom die ciceronianische Option mit ihrem Verweis auf Cicero als dem einzigen Prosamodell und auf Virgil als dem einzigen Modell für die Dichtkunst bekräftigt und konsolidiert, eine Option, deren bedeutendster Moment sicherlich, nicht nur in Rom, Pietro Bembos Brief „De imitatione“ war. Während sich jedoch für die lateinischsprachigen Werke die Theorie des einzigen Modells durchsetzte, das in einem goldenen Zeitalter der Literatur ausgemacht wurde, nahm gleichzeitig für das Volgare die Option der höfischen Sprache Gestalt an, die sich von ihren theoretischen Voraussetzungen her unterschied. Sie ist gleichsam eine Antithese des Ciceronianismus nicht nur und nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der Sprachpraxis. Der Ciceronianismus schließt jede Möglichkeit aus, sich bei der Betrachtung der sprachlichen Tatsachen auf die quintilianische Vorstellung von der loquendi consuetudo zu beziehen, von der hingegen in ihren Fundamenten die Theorien von der höfischen Sprache durchdrungen sind und die Lorenzo Valla in einer dem Ciceronianismus gegenüber kritisch eingestellten Richtung wiederaufgegriffen hatte. Auch in den „Elegantiae“, dem europäischen Monument des humanistischen Klassizismus, hatte Valla die literarische Tradition als eine objektivierte loquendi consuetudo betrachtet, die auf dem geschriebenen Blatt fixiert ist. Darüber hinaus ermöglichte die loquendi consuetudo die Schaffung von Neologismen, die auch von Erasmus gefordert wurde. Augenscheinlich ist die Aporie
50 N. C a n n a t a S a l a m o n e, Il dibattito sulla lingua e la cultura letteraria e artistica del primo Rinascimento romano. Uno studio sul ms. Vaticano Reg. Lat. 1370, in: Critica del testo 3 (2005), S. 901 –951; Lo Zibaldone colocciano Vat. Lat. 4831, hg. von M. B e r n a r d i, Città del Vaticano 2008 (Studi e testi 454). Vgl. darüber hinaus N. C a n n a t a S a l a m o n e, Alle origini della trattatistica sul volgare nel primo Cinquecento. ‚Le Annotationi sul vulgare ydioma‘ di Angelo Colocci (Ms. Vat. Lat. 4831), in: The Italianist 2 (2006), S. 197–222. 51 Dazu G. S ava re s e, Tra latino e volgare. La prospettiva romana, in: S. C o l o n n a (Hg.), Roma nella svolta tra Quattro e Cinquecento, Roma 2004, S. 37–44.
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zwischen dem Hintergrund des Ciceronianismus und dem der höfischen Sprache, die gegenüber der Pluralität von Modellen offen ist, weil sie auch der Anerkennung nicht toskanischer literarischer Traditionen gegenüber Offenheit zeigt und den modernen sprachlichen Praktiken wie den außerliterarischen sprachlichen Praktiken des römischen Hofs gegenüber empfänglich ist. Hervorgehoben werden muss diese Aporie, da der Ciceronianismus und die höfische Sprache die beiden Pole – den lateinischsprachigen und den volkssprachlichen – einer Reflexion über die Sprache darstellen, die in derselben Zeit und im selben Kulturraum, ja sogar durch dieselben Personen erfolgte. So ist Paolo Cortesi in „De cardinalatu“ den Erfordernissen der höfischen Sprache gegenüber offen, vertritt aber die Ideen der Ciceronianer in der Polemik mit Polizian und in „De hominibus doctis“. Und es ist nicht nur eine Frage der Entwicklung, wenn er noch in „De cardinalatu“ in gewisser Weise für die Gültigkeit seiner Jugendpositionen eintritt und jedenfalls nicht die unterdessen eingetretene Inkohärenz in Bezug darauf wahrnimmt. Vielleicht verhält es sich so, dass die Reflexion über das Lateinische und die lateinischsprachige Tradition einerseits und die über das Volgare und die volkssprachliche Tradition andererseits auf parallelen Gleisen verlief und zwei unterschiedliche Tätigkeitsfelder darstellte, die nicht in einer Gesamtschau nach dem Zusammenhang fragte. Es ist postuliert worden, die Frage des Volgare und der höfischen Lösung sei, bevor sie während des Pontifikats von Leo X. wieder vehement in den Vordergrund drang, unter Julius II. untergegangen, was als die erneute Behauptung des lateinischen Universalismus gewertet werden müsse, der eine an Italien nicht in bevorzugter Weise denkende Vorherrscherrolle stütze.⁵² Wir stünden damit vor zwei unterschiedlichen Strömungen, in denen die Bestrebungen nach Vorherrschaft verliefen. Auf dem Weg über das Modell der höfischen Sprache würde die Zentralität Roms auf dem Gebiet des M o d e r n e n behauptet, wobei man auf die Zentralität des päpstlichen Hofs Bezug nehmen konnte, die im Klima der ruina d’Italia unterdessen faktisch evident war. Diese neue Zentralität bestünde neben der universalistischen Zentralität kultureller und religiöser Natur, die mit dem Ciceronianismus traditionellerweise bei der exemplarischen Bedeutung des eigenen klassischen Erbes, bei der ununterbrochenen Kontinuität von der antiken Welt bis zur Gegenwart und bei der organischen Beziehung zwischen dem Klassizismus und dem Katholizismus ansetzt und die seit mindestens einem Jahrhundert besteht. Die große Genialität der Lösung, die Bembo für das Problem in den „Prose della volgar lingua“ fand (Identifikation eines goldenen Zeitalters der italienischen Literatur im 14. Jahrhundert und vorgeschlagene Etablierung von Petrarca und Boccaccio als Modelle für die Dichtkunst einerseits und für die Prosa andererseits), besteht auch
52 I. P a n t a n i, La poesia volgare a Roma negli anni di Giulio II, in: C a n t a t o r e u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato (wie Anm. 2), S. 159–179.
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darin, dass die Lösung Bembos völlig kohärent mit der ciceronianischen Lösung im Brief „De imitatione“ ist. Der Dialog mit der Antike betraf in Rom verschiedene Gebiete (klassische, nachklassische und vorklassische, biblische, mythische und weisheitliche), und verschieden waren auch die Formen und die Bereiche (philologische und antiquarische Forschung, Ciceronianismus und Theorien der Imitation, Anticiceronianismus, Untersuchung der Hieroglyphen oder Auseinandersetzung mit einer antiquissima sapientia, Ideologien, die mit der renovatio Romae und der plenitudo temporum verknüpft sind). Doch diese breit gefächerte Vielfalt entstand auf einem Boden, der ihr einigendes Band darstellt. Im Dialog mit der Antike gab es einen kontinuierlichen Austausch zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, in dem die beiden Elemente immer wieder von Neuem ins Spiel gebracht und gegenseitig neu bestimmt wurden. Vor allem jedoch gab es eine genauere und differenziertere intellektuelle Haltung, die sich um eine ideologische Kontinuitätsachse herum konzentrierte, zu der hin der gesamte Dialog mit allen involvierten Traditionen führte: der klassischen griechischen und römischen, der mittelalterlichen, der biblischen und christlichen, der der vorklassischen und mythischen Ursprünge, der der ursprünglichen Weisheit, der romanisch-volkssprachlichen und der institutionellen. Der Dialog fand also mit der Vergangenheit statt, und gleichzeitig gestaltete sich diese Interaktion mit der Vergangenheit als der Schlusspunkt einer langen und kohärenten Tradition, die auf den Dialog mit der Antike in ihrer ganzen Vielfalt ausgerichtet war. Neben der Vorstellung von der Universalität, über die am meisten gesprochen wurde, stellt die Vorstellung von der Kontinuität an sich eines der grundlegenden und am meisten charakteristischen Merkmale der humanistischen Kultur in Rom dar. Und sicher überrascht die Zentralität dieser Vorstellung nicht in einer Kultur, die in einem auf das Bewusstsein von seinem tausendjährigen Bestehen gegründeten und gleichzeitig nicht dynastischen Staat entwickelt wurde, der durch häufig wechselnde Päpste und kurze Pontifikate geprägt war und folglich häufigen Änderungen in seinem Zentrum auch auf intellektuellem Gebiet unterlag,⁵³ zumal diese Kultur nicht
53 In der „Brevis historia“, schreibt Raphael Maffei, der 1502 Rom verlassen hatte, in Bezug auf Julius II.: „a studiis et litteris omnino alienus, doctosque propterea omnino negligebat; libros ei dicatos ne titulo quidem tenus legebat, sed statim ut rem supervacuam a se reieciebat“. J. F. D’A m i c o, Papal History and curial reform in the Renaissance. Raffaele Maffei’s Brevis Historia of Julius II and Leo X, in: Archivum Historiae Pontificiae 18 (1980), S. 157–210, hier S. 198. Sein Mäzenatentum zeigte sich den Künstlern gegenüber offener als gegenüber den Humanisten, während die Ausgaben von volkssprachlichen Texten weniger wurden und die Debatte über die Sprache nachließ, zu der es unter Alexander VI. gekommen war (neben den Versen von Serafino von Aquila wurden unter diesem Papst die Oktaven von Giuliano Dati veröffentlicht. Vgl. C. C a s s i a n i, Rime predicabili. La poesia in volgare di Giuliano Dati, in: C a n f o r a / Ni c h i l o (Hg.), Principato ecclesiastico (wie Anm. 5), S. 405–428). Wie das 1514 verfasste Schreiben Romolo Amaseos an seinen Vater zeigt, gingen mit der Blüte der volkssprachlichen Literatur im Rom Leos X. auch Enttäuschungen aufgrund übergroßer Erwartungen (Lud-
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ausschließlich an eine solide städtische Intellektuellenschicht anknüpfen konnte, die ein Faktor der Stabilität und des Bestands gewesen wäre.⁵⁴ Immer damit befasst, die ewige Aktualität seiner (intellektuellen, theologischen, kirchlichen, juristischen und rhetorisch-literarischen) Tradition zu bekräftigen, blendete der kuriale Humanismus die zahlreichen Brüche aus, die historisch gesehen mit einer kohärenten Kontinuität kaum vereinbar waren: von den traumatischen intellektuellen Auswirkungen der Jahre des Abendländischen Schismas und der Verbreitung der konziliaren Theorien über die Verschwörung des Stefano Porcari (1453) und seinen vom bürgerlichen Florentiner Humanismus beeinflussten klassizistischen und kommunalen Republikanismus⁵⁵ sowie vor allem über den Bruch zwischen Paul II. und der humanistischen sodalitas der Pomponianer (der formal nicht nur die Verschwörung betraf, sondern auch die umfassende religiöse Funktionalisierung der Antike im Sinne eines Neuheidentums oder vielmehr einer Religiosität des erweiterten Christentums)⁵⁶ bis zu den Auswirkungen des Konzils von Pisa, zu den Folgen der inneren Konflikte der Kirche (des Ordens der Augustiner vor allem) und zu den fernen Echos der Reformation, die auch in der römischen Intellektuellenschicht spürbar waren. Wesentlich geringer waren, wie bereits gesagt, die auf nationaler Ebene viel bedeutenderen Auswirkungen der Invasion Karls VIII., die jedoch wieder Raum für jenen messianischen und reformatorischen Prophetismus geschaffen hatten, der sich nicht unbedingt im Einklang mit der Vorstellung von der triumphierenden Kirche befand, die auch in der römischen Kultur des frühen 16. Jahrhunderts an Gewicht gewonnen hatte.⁵⁷ Dem kurialen Humanismus in Rom ist es stets gelungen, die Fäden seiner institutionellen Geschichte dadurch wieder zusammenzuknüpfen, dass er die Konflikte in seinem Inneren und mit den kirchlichen Institutionen immer wieder von Neuem wie als Randphänomen behandelte. Darüber hinaus hat er es stets geschafft, seine Tradition nach einer gleichmäßigen und einheitlichen intellektuellen Linie neu zu
wig Ariost war ein berühmtes Opfer davon, doch Filippo Beroaldo der Jüngere starb laut Pierio Valeriano sogar daran) und Schatten einher: F. S c a r s e l l i, Vita Romuli Amasei, Bologna 1769, S. 191. 54 Über die städtische Intellektuellenschicht in Rom und ihre kulturellen Tendenzen hat Massimo Miglio Wichtiges geschrieben. Vgl., auch was andere Verweise betrifft, M. M ig l i o, Come introduzione. Marco Antonio Altieri tra curia e municipio, in: C a n t a t o r e u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato (wie Anm. 2), S. 1–14. 55 Vgl. M. M igl i o, Scritture, scrittori e storia, Bd. 2: Città e corte a Roma nel Quattrocento, Manziana 1993 (Patrimonium 4), S. 59–95; A. Va n d e r j ag t, Civic Humanism in Practice. The Case of Stefano Porcari and the Christian Tradition, in: Z. vo n M a r t e l s / V. M. S c h m i d t (Hg.), Antiquity Renewed. Late Classical and Early Modern Themes, Peeters 2003 (Groningen Studies in Cultural Change 4), S. 63–78. 56 Eine Zusammenfassung der Anklage- und Verteidigungsschriften findet sich in M. Ac c a m e, Pomponio Leto. Vita e insegnamento, Tivoli 2008, S. 48–57. Vgl. C. C a s s i a n i / M. C h i a b ò (Hg.), Pomponio Leto e la prima accademia romana, Roma 2008 (Ricerche di filologia, letteratura e storia 6 / Biblioteca pomponiana 1). 57 Vgl. darüber hinaus O. Ni cco l i, Profeti e popolo nell’Italia del Rinascimento, Roma-Bari 1987.
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formen und kohärent zu machen, indem er Phänomene, die nicht darin aufgehen oder auf die Einheit zurückgeführt werden konnten, stets aufs Neue beseitigte oder in neutralerer und kompatiblerer Form neu interpretierte und ihnen dadurch die subversiven Spitzen nahm.⁵⁸ So konnte er sich als durchgängig humanistisch kennzeichnen trotz des weisheitlichen, antihellenistischen und antiphilologischen, bis aufs Äußerste synkretistischen Antihumanismus Anniusʼ von Viterbo.⁵⁹ Eine wichtige Rolle bei dessen Einordnung ins continuum einer homogenen humanistischen Tradition spielte die Vermittlung Egidios von Viterbo. Dieser griff von Annius den vorklassisch-christlichen Synkretismus auf sowie die Rolle der Etrusker bei der Vermittlung des ursprünglichen Wissens, wobei er allerdings den Akzent von der adamitischen Offenbarung und deren Vermittlung durch Noah hin zur prophetischen Offenbarung verschob und die antihellenistische prisca theologia wieder auf den ‚orthodoxen‘ Pfad der neuplatonischen zurückführte.⁶⁰ Gleichermaßen konnte er sich im Verlauf von mehr als einem Jahrhundert, seit Leonardo Bruni und Pietro Bembo, als gleichermaßen ciceronianisch kennzeichnen, und das trotz der nicht ciceronianischen sprachlichen Praktiken eines Leon Battista Alberti und trotz des unerbittlichen und polemischen Anticiceronianismus von Lorenzo Valla, der von den späteren Generationen angegriffen oder verdrängt wurde, der aber dazu bestimmt war, außerhalb von Rom einen entscheidenderen Einfluss auszuüben.⁶¹ Am Rande sei bemerkt, dass diese Behauptung einer positiven und ununterbrochenen, in kohärenten und homogenen Bahnen verlaufenden intellektuellen Tätigkeit auch noch etwas anderes mit sich brachte, nämlich die Öffnung gegenüber einer historischen Rechtfertigung der kulturellen Rolle der Kurie während des Mittelalters unter einem klassizistischen Gesichtspunkt, als Bindeglied zwischen der klassischen und der spätantiken Tradition.⁶² Davon wurde im 15. Jahrhundert jedoch nicht auch
58 V. D e C ap r i o, Sulle autoproiezioni dell’Umanesimo curiale. Alcune questioni di metodo, in: S. G e n s i n i (Hg.), Roma capitale (1447–1517), Pisa 1994, S. 505–518. 59 D e r s., La tradizione e il trauma (wie Anm. 20), S. 189–260. 60 Vgl. R. J. Wi l k i n s o n, Orientalism, Aramaic and Kabbalah in the Catholic Reformation. The First Printing of the Syriac New Testament, Leiden 2007 (Studies in the History of Christian Traditions 137), S. 29–62; zur Beziehung zwischen Annius und Egidio ebd., S. 32–36. 61 M. R e go l i o s i (Hg.), Lorenzo Valla. La riforma della lingua e della logica, Firenze 2010. 62 Der Ausdruck „media tempestas“ (Giovanni Andrea Bussi, Vorwort zur Apuleius-Ausgabe von 1469) impliziert, wie der spätere Ausdruck media aetas, eine Überwindung des mittelalterlichen Begriffs der Barbareien: Er verweist auf die Zeit, die in der Mitte liegt, eine Zäsur darstellt, aber auch eine Brücke zwischen dem Antiken und dem Modernen bildet. Vgl. G. Fa l c o, La polemica sul Medio Evo, Napoli 1974; G. P a s i n i, Continuità, distanza, conoscenza, in: M. C a n t a n n i, L’originale assente. Introduzione allo studio della tradizione classica, Milano 2005, S. 78; S. Tr a m o n t a n a, Capire il Medioevo, Roma 2005, S. 55.
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die volkssprachliche literarische Tradition des 14. Jahrhunderts erfasst, die schwach auf lokaler Ebene war und mit der „Vita di Cola di Rienzo“ einen wenig geeigneten Bezugspunkt für eine positive Rezeption bot.⁶³ Ein Jahr nach dem Sacco, im Jahr 1528, wurde der „Dialogus Ciceronianus“ von Erasmus von Rotterdam veröffentlicht. Jacopo Sadoleto hatte aus Carpentras einen Brief an Erasmus geschrieben, in dem er ihn bat, das Drama des Sacco öffentlich zu beklagen; doch, wie André Chastel feststellt, „diese ‚deploratio‘ im hohen Stil schrieb Erasmus nicht … Sein Beitrag war der ‚Ciceronianus‘, der deshalb als seine Antwort auf das Ereignis betrachtet werden muss“.⁶⁴ Sicher ist der Dialog eine Antwort auf die Spannungen zwischen Erasmus und den römischen Humanisten, die ihren Grund in der beidseitig aneinander geübten Kritik hatten;⁶⁵ doch das Datum der Publikation kann nicht als zufällig betrachtet werden. Obwohl auch auf andere Bereiche Bezug genommen wurde, stammen die wichtigsten Beispiele für den von Erasmus angegriffenen Ciceronianismus aus dem römischen Humanismus, der dem Autor als das Epizentrum einer weit verbreiteten Bewegung erschien, die in der Lage wäre, die kulturelle Bildung in Europa aufzulösen: „Multorum enim partim ignavia, partim sinistris moribus fit, ut bonae literae, quae sat feliciter coeperant efflorescere, iam passim vergant ad interitum, et quasi sit hoc parum, extitere pridem, qui nobis veluti novam sectam moliuntur invehere: Ciceronianos sese vocant, … et adolescentiam a caeterorum scriptorum lectione deterritam ad unius M. Tullii superstitiosam aemulationem adigunt … Et animadverto iuvenes aliquot, quos nobis remittit Italia, praecipue Roma, nonnihil afflatos hoc affectu“.⁶⁶
Die Lage der zeitgenössischen Gesellschaft schien Erasmus auf allen Ebenen aus den Fugen geraten zu sein, auf der religiösen wie auf der politischen, der institutionellen und der kulturellen („nescio quo fatali tumultu, sursum deorsum miscentur omnia, omnibus sic perturbatis“). In seiner heftigen Anklage wurde der Ciceronianismus als einer der Faktoren der Dekadenz einer modernen humanistischen Kultur bezeichnet, die die Auflösung riskierte; ein anderer war ihm zufolge, wenngleich aus anderen Gründen, die Behauptung des Luthertums: „ubicumque regnat Luteranis-
63 Francesco da Fiano, für dessen Ausbildung Petrarca zentral war, praktizierte auch die volkssprachliche Dichtung. Im 15. Jahrhundert kam es zu einer schrittweisen Abwertung des römischen Volgare. Vgl. M. M a n c i n i, Aspetti sociolinguistici del romanesco nel Quattrocento, in: RR Roma nel Rinascimento 2 (1987), S. 38–75; P. Tr i f o n e, Roma e il Lazio, Turin 1992, S. 142–150. 64 A. C h a s te l, Il sacco di Roma, (wie Anm. 19), S. 113 (vgl. jedoch auch S. 112–119). 65 A. G a m b a ro, Einleitung zu E r a s m u s, Il ciceroniano (wie Anm. 25), S. XXI–XLIX; L. D’As c i a, Erasmo e l’Umanesimo romano, Firenze 1991, S. 17–28. 66 Widmung an Giovanni Vlatten vom 14. Februar 1528, in E r a s m u s, Il ciceroniano (wie Anm. 25), S. 6–8.
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mus, ibi litterarum est interitus“.⁶⁷ An die Polemik des „Ciceronianus“ konnte man vielleicht die Hoffnung knüpfen, die zerrüttete römische Kultur könne sich nach dem Sacco um neue literarische Werte und um neue intellektuelle Parameter herum neu organisieren. Wie wir wissen, ist es dazu jedoch nicht gekommen. Der römische Humanismus fühlte sich von der Kritik des Erasmus besonders getroffen und reagierte mit einer völligen Abschottung in seiner Selbstverteidigung gegen das, was ihm als ein unbegründeter, von außen geführter und auf das Herz seiner intellektuellen Tradition gerichteter Angriff erschien.⁶⁸ Doch die Neuheit bestand nicht in der Polemik gegen die formale Nachahmung Ciceros und auch nicht in der Polemik gegen das, was diese Nachahmung implizierte. Die Neuheit bestand vielmehr in der Breite der auch ethischen und religiösen Gründe, die in dieser Polemik angeführt wurden, sowie in der Heftigkeit des Angriffs, der eine ganze intellektuelle Gemeinschaft einbezog.⁶⁹ De facto konnte der römische Humanismus den Ciceronianismus in den Mittelpunkt stellen und sich selbst als auf den Ciceronianismus ausgerichtet wahrnehmen. Darüber hinaus konnte er sich von außen, von einem außerhalb von ihm stehenden intellektuellen Ansatz angegriffen fühlen, allein weil er seine Tradition neu organisiert und dabei alle der ausschließlichen Nachahmung Ciceros gegenüber kritisch eingestellten Komponenten ausgegrenzt und schließlich völlig beseitigt hatte. Das heißt alle Komponenten mit einer kritischen Einstellung gegenüber der Idee von der Einzigartigkeit der Modelle, gegenüber einer rückschrittlichen Auffassung von der Tradition und gegenüber dem Vertrauen in die Möglichkeit, in der lateinischen Tradition ein goldenes Zeitalter auszumachen, das als absolutes Vorbild genommen werden konnte, gegenüber einer rückschrittlichen Vorstellung vom Fortschritt der Literatur, die – im goldenen Zeitalter auf dem Höhepunkt angelangt – nur rückschrittlich sein konnte, gegenüber der Weigerung zum Dialog mit der klassischen Tradition in ihrer Gesamtheit und in all ihren chronologischen Bereichen, gegenüber einer
67 Brief vom April des Jahres 1528 an Willibald Pirckheimer (Opus epistolarum Desiderii Erasmi Roterodami denuo recognitum et auctum, hg. von P. S. A l l e n, Oxford 1906–198, VII, S. 366). 68 Vgl. d’As c i a, Erasmo (wie Anm. 65). Zur römischen Redekunst und zum Ciceronianismus, vgl. J. O’M a l l e y, Praise and Blame in Renaissance Rome. Rhetoric, Doctrine and Reform in the Sacred Orators of the Papal Court, c. 1450–1521, Durham 1979; J. F. D’A m i c o, Renaissance Humanism in Papal Rome. Humanists and Churchmen on the Eve of the Reformation, Baltimore-London 1983; S. B e n e d e t t i, ‚E veramente … qui è l’arte de l’oratore‘. L’eloquenza a Roma dopo Pomponio, in: C a n t a to re u. a. (Hg.), Metafore di un pontificato (wie Anm. 2), S. 135–158; d e r s ., Oratoria e poesia a Roma (wie Anm. 47). 69 „Erasmus benutzte bei seiner Anklage Ausdrücke der Inquisition: Gotteslästerung war ihm zufolge die Verwendung der Heiligen Schrift zu profanen Zwecken. Harte Strafen mussten daher demjenigen auferlegt werden, der die Themen und Episoden der Bibel ins Lächerliche verzerrte; die Schamhaftigkeit war vor den von Bildnissen der Nacktheit ausgehenden Reizen zu verteidigen“. A. P r o s p e r i, L’inquisizione romana. Letture e ricerche, Roma 2003, S. 362 (Übersetzung des Zitats von Eva Wiesmann); vgl. auch ebd., S. 347–370.
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Theorie der förmlichen Nachahmung, die auf die Festlegung eines formalen, eindeutigen und ausschließlichen Ausdruckskodes ausgerichtet war. Die Polemik des Erasmus war keine Polemik, die an Rom von außen herangetragen wurde, sondern die von außen kommende polemische Rückkehr einer Denkrichtung innerhalb der Tradition des kurialen Humanismus, die auch Erasmus’ Ausbildung beeinflusst hatte. Aus dem continuum der Tradition, die der kuriale Humanismus für sich beanspruchte, waren nunmehr jedoch sowohl die quintilianischen Positionen Lorenzo Vallas entfernt worden als auch dessen radikale Polemik gegen die historisch-theoretische Voraussetzung des Ciceronianismus wie des späten Aristotelismus, nach der es möglich sein sollte, die Tradition ohne Verlust ihres Sinnes auf eine begrenzte Zahl von auctores zu reduzieren, durch die aber jene innere Dialektik eingebüßt wurde, die allein die Tradition nach Valla beispielhaft und klassisch gemacht habe.⁷⁰ Und diese Polemik war eine Polemik, die indirekt auch den Prozess erfassen sollte, mit dem die humanistische Tradition zur Einheit geführt und auf eine einzige intellektuelle Linie reduziert worden war. Im Urteil über Valla gibt es in „De hominibus doctis“ von Paolo Cortesi einen Passus, der besonders bedeutsam erscheint. Cortesi leugnet darin die Eleganz des Autors der „Elegantiae“, da er auf eine andere Vorstellung von elegantia Bezug nimmt.⁷¹ Er geht in der Tat davon aus, dass Valla sich darum bemühe, die Essenz der Wörter, beinahe ihren Entwicklungsprozess wiederzugeben, dass er sie aber nicht gut in der Diskursstruktur unterbringe. Ganz anders verhält es sich nach Cortesi mit der echten Kunst des Schreibens, die von Valla ignoriert werde: „Florens inim ille et suavius et incorruptus Latinus sermo postulat sane conglutinationem et comprehensionem quandam verborum, quibus conficitur ipsa concinnitas ad sonum“. Doch auch Cortesi unterlief als Schüler von Pomponius Laetus, der seinerseits ein Schüler Vallas war, ein bedeutsamer lapsus, da er die Lehrtätigkeit Vallas in Rom vor dessen neapolitanischem Aufenthalt ansiedelte und nicht danach (Valla war von 1435 bis 1447 am Hof von Alfons V., danach kehrte er nach Rom zurück und begann 1450 am Studium Urbis zu unterrichten). Auf diese Weise machte er die Lehrtätigkeit zu einer mit der Abreise Vallas aus der Stadt sehr schnell beendeten Zeit: „Floruit huius [di Valla] domus aliquandiu et quasi ludus quidam fuit civium Romanorum. Verum postea is … ab Urbe Neapolim ad Alphonsum Aragonum regem est profectus, ubi aliquot annis fuit magna cum gloria ingenii et famae“.⁷² Auf die historische Rolle Vallas als
70 Zu Valla und Quintilian vgl. S. C a m p o re a l e, Lorenzo Valla Umanesimo e teologia, Firenze 1972, und jetzt d e r s., Lorenzo Valla. Umanesimo, Riforma e Controriforma, Roma 2002 (Studi e testi del Rinascimento Europeo 12). 71 V. D e C a p r i o, L’idea di ‚elegantia‘ nelle ‚Elegantie‘ di Lorenzo Valla, in: R. A l h a i q u e P e t t i n e l l i / S. B e n e d e t t i / P. Pe t te r u t i Pe l l e g r i n o (Hg.), Le parole ‚giudiziose‘. Indagini sul lessico della critica umanistico-rinascimentale, Roma 2008 (Studi e testi italiani 21), S. 99–115. 72 Pauli C o r te s i De hominibus doctis, hg. von G. Fe r r aù, Palermo 1979, S. 142f. Die Verlagerung von Vallas Zielpunkt nach Neapel könnte aber auch an die Tatsache geknüpft sein, dass das Gedankengut
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Begründer einer Schule und seinen Quintilianismus geht er dann in seinen „Commentarii urbani“ ein, wobei dort sein Urteil weniger kritisch ausfällt, auch wenn es nicht ohne Vorbehalte ist („quamvis in quibusdam refelli potest“).⁷³ Der Ciceronianismus hatte nunmehr über den Quintilianismus Vallas gesiegt, von dem auch der junge Erasmus beeinflusst war, aber auch über den Apuleianismus von Pietro Alcionio (Angriffe seitens Girolamo Negri und Paolo Giovio), der bereits in der Schule von Filippo Beroaldo dem Älteren betrieben worden war, wobei der letztgenannte Kampf jüngeren Datums ist und daher für die Zeitgenossen interessanter.⁷⁴
Vallas in dieser Stadt noch lange lebendig war. Vgl. L. G u a l d o R o s a, Un seguace del Valla all’Università di Napoli nel ’400. Aurelio Bienato, in: M. S a n to ro (Hg.), Valla e Napoli. Il dibattito filologico in età umanistica, Pisa-Roma 2007, S. 171–186 (Istituto nazionale di studi sul Rinascimento meridionale Atti 3). 73 Raffaele M a f f e i Commentariorum urbanorum octo et triginta libri, Roma 1506, fol. 298v. 74 Bei der Beschreibung der Situation des Volgare zu Beginn der 20er Jahre schrieb Pierio Valeriano im „Dialogo della volgar lingua“: „ciò che … avvenne pochi anni sono anche della lingua latina, che alcuni si pensarono che ʼl suo più bel fiore fosse lo stil Apuleiano, forse perch’era manco intelligibile, e così n’empirono tanti scartafacci, finché ʼl Pontano, il Sabellico, il Bembo, il Sadoleto et alquanti altri galantuomini comparsero, e con politissimo stil Romano cacciati d’Italia questi mostri, rimessero la lingua nella sua natural bellezza e purità“ („das was vor wenigen Jahren auch mit der lateinischen Sprache geschah, von der einige dachten, der apuleianische Stil sei seine schönste Blüte, vielleicht weil er weniger verständlich war, und so wurde darüber viel geschrieben, bis Pontano, Sabellico, Bembo, Sadoleto und andere ehrbare Männer auftauchten und mit dem elegantesten römischen Stil jene Ungetüme aus Italien verjagten und der Sprache zu ihrer natürlichen Schönheit und Reinheit zurückverhalfen“). Ich zitiere aus P. F l o r i a n i, La ‚questione della lingua‘ e il ‚Dialogo‘ di P. Valeriano, in: Giornale storico della letteratura italiana 155 (1978), S. 321–345, hier S. 343.
Hans W. Hubert
Luther und die Peterskirche Bauplanung, Baufinanzierung, Baukritik Aus der Perspektive der deutschen Kultur- und Konfessionsgeschichte ist das Thema „Römische Peterskirche und Martin Luther“ schwer belastet. Zwar setzte schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Franzosen Paul Letarouilly und mit dem Österreicher Heinrich von Geymüller eine religiös wertfreie, positivistisch sachorientierte Erforschung der Entstehungsgeschichte des Petersdomes ein, die im 20. Jahrhundert namentlich an der Bibliotheca Hertziana in Rom über Konfessionsgrenzen hinweg sehr erfolgreich weitergeführt wurde, doch ist die Peterskirche jenseits der wissenschaftlichen Auseinandersetzung so etwas wie ein interkonfessioneller Zankapfel geblieben. Dies rührt daher, dass sich in ihr katholischerseits die Legitimation des Papsttums mit ihrem Bezug auf den Apostelfürsten Petrus, auf die traditio legis und auf das berühmte, im Fußring der Kuppel zitierte Matthäuswort (Mt 16,18) in besonderer Weise manifestiert. Demgegenüber entzündet sich gerade am Selbstverständnis des Papsttums die protestantische Kritik und macht sie aufgrund von Luthers Wittenberger Thesen am Finanzgebaren bei der Errichtung der Peterskirche fest. Der Bau kann daher sprichwörtlich als steingewordenes und topographisch fixierbares Symbol der, nach Luthers Auffassung, in Ablassgeschäften seinerzeit betrügerisch handelnden Papstkirche angesehen werden.¹ Zwar wurde der Almosenablasshandel im Zuge der katholischen Reform durch Pius V. 1567 verboten, doch hatten sich bis dahin die protestantischen Konfessionen mit eigenen theologischen Grundsätzen bereits herausgebildet, und eine spezifisch lutherische Identitätsbildung war in aktiver Selbstgestaltung und Abgrenzung zu anderen Glaubensrichtungen in Gang gekommen. Als sich später, während der Zeit des bismarckschen Kulturkampfes, die Fronten zwischen den beiden großen Konfessionen in Deutschland erneut verhärteten, wurden Ideologeme, die zu spezifisch lutherischen und katholischen Identitäten beitragen konnten, wiederbelebt oder neugeprägt. Da sie tief im allgemeinen Bewusstsein verwurzelt waren und über pädagogische Programme auch in den schulischen Religionsunterricht einflossen, waren ihre Nachwirkungen noch Generationen später spür-
1 Martin Lu t h e r, Ausgewählte Schriften, Bd. 2: Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie, hg. von K. B o r n ka m m / G. E b e l i ng, Frankfurt ²1983, S. 261; N. P au l u s, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, Bde. 1–2: Von den Ursprüngen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts; Bd. 3: Am Ausgang des Mittelalters, Paderborn 1922/23 (Darmstadt ²2000 mit einer Einleitung und einer Bibliographie von T. Le n te s ), hier Bd. 1. DOI 10.1515/9783110316117-023
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bar.² Neben theologisch-konfessionellen Fragen berührten diese Divergenzen auch ästhetische und kunstgeschichtliche Probleme im engeren Sinne.³ So wurde der Goldschmuck in Kirchen pauschal als angeblich unfromme, weltliche Pracht und große, prunkvolle Bauten und auch der Barockstil in toto als vermeintlich spezifisch katholisch oder papistisch gebrandmarkt. Die heutige Peterskirche vereint alles: enorme Größe, reichsten Dekor in Form von Inschriften, Buntmarmorinkrustation und Vergoldung sowie größten Ausstattungsluxus in Gestalt von Statuen, Stuckornamenten, Altargemälden und liturgischen Geräten! Zwar hat sie diesen opulenten Schmuck erst im Barockzeitalter, also lange nach Luthers Kritik erhalten, aber trotzdem galt und gilt sie aufgrund der Wittenberger Thesen noch vielen Protestanten und auch manchem protestantisch geprägten Kunsthistoriker meiner Lehrergeneration – zum Teil auch schon in ironischer Brechung – als Inbegriff eines überladenen Prachtstils und damit als Beispiel einer ästhetisch abzulehnenden Kirchenbaukunst. Im Kontext des Themas des Sammelbandes soll im Folgenden verdeutlicht werden, was Luther eigentlich von der Peterskirche gesehen hat und wie er sie wahrnehmen konnte, als er Rom im Winter 1511/12 besuchte.⁴ Die forschungsgeschichtlichen Voraussetzungen hierfür sind günstig, denn einerseits können wir dank der Veröffentlichung der Bauakten aus dem „Liber Mandatorum“ den Baufortgang der Peterskirche von der Grundsteinlegung bis zu Luthers Besuch erstaunlich präzise bestimmen,⁵ und andererseits vermitteln die oft von Niederländern gezeichneten Veduten der 1520er und 1530er Jahre, die nach den Ergebnissen einer Untersuchung von Christof Thoenes aus einer protestantisch geprägten Grundhaltung heraus und mit einem analytischen Blick von ‚außen‘ entstanden sind, einen sehr guten anschaulichen Eindruck des im Entstehen begriffenen Neubaus (Abb. 1).⁶ 2 W. Lü c k, Lebensform Protestantismus. Reformatorisches Erbe in der Gegenwart, Stuttgart 1992; G. We n z, Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation, 2 Bde., Hannover 2000, 2002; H.-G. H au p t / D. L a n ge w i e s c h e (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt a. M. 2001; J. E i b a c h / M. S a n d l (Hg.), Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR, Göttingen 2003. 3 Eine systematische Untersuchung dieser mentalitätsgeschichtlich interessanten Ideologeme unter ästhetischen und kunsthistoriographischen Gesichtspunkten steht aus. 4 Zur neuen Datierung des Romaufenthaltes Luthers 1511/12 statt 1510/11 vgl. H. S c h n e i d e r, Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin-New York 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 10,2), S. 1‒157. 5 C. L. Fro m m e l, Die Peterskirche unter Papst Julius II. im Licht neuer Dokumente, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 16 (1976), S. 57‒136; d e r s ., Der Chor von Sankt Peter im Spannungsfeld von Form, Funktion, Konstruktion und Bedeutung, in: G. S a t z i n ge r / S. S c h ü t z e (Hg.), Sankt Peter in Rom, 1506–2006. Beiträge der internationalen Tagung vom 22.–25. Februar 2006 in Bonn, München 2008, S. 83‒110; J. Ni e b au m, Zur Planungs- und Baugeschichte der Peterskirche zwischen 1506 und 1513, in: S a t z i nge r / S c h ü t z e (Hg.), Sankt Peter (wie Anm. 5), S. 49‒82. 6 Zu Heemskercks Veduten vgl. H. E gge r, Die Römischen Skizzenbücher von Marten van Heemskerck im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin, 2 Bde., Ndr. d. Ausg. Berlin 1913–1916, hg. von N. B o l,
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Abb. 1: Pieter Coecke van Aelst (?), Ansicht der im Bau befindlichen Peterskirche von Südwesten. Im Vordergrund links der von Bramante für Papst Julius II. errichtete Chorneubau, daran anschließend das Langhaus der alten Basilika und die Andreas-Rotunde, um 1525.
Die Romfahrt war die längste und weiteste Reise im Leben Luthers. Er hatte seine thüringisch-sächsischen Heimat zuvor noch nie verlassen und entsprechend aufnahmebereit, wissbegierig und sensibel für alle Eindrücke, die ihm diese ‚Weltreise‘ bot, muss der 28/29-jährige Luther gewesen sein. Die großen Fragen der Reformation standen damals noch gar nicht im Raum, und Luthers Sicht auf die Stadt kam daher vermutlich derjenigen anderer frommer Pilger nahe. Eine kritische Haltung zum Ablasswesen mag schon bestanden haben, doch beruhte sie anfangs auf seiner innigen Frömmigkeit und auf dem (katholischen) Standpunkt einer strengen spätmittelalterlichen Theologie. Sie unterschied sich insofern im Kern zunächst nicht von anderen Ablass-, Rom- und Papstkritiken der Zeit. Erst nachdem Luther in Wittenberg seine Professur angetreten hatte, setzte seine vertiefte Beschäftigung mit theologischen Grundfragen und mit dem Ablasswesen ein, die schließlich im Schicksalsjahr 1517 in den Wittenberger Thesen ihre öffentliche Formulierung fand. Erst mit diesen griff Luther die Autorität des Papsttums an und stellte die Wirkungsmacht päpstlicher Ablässe im Jenseits grundsätzlich in Frage.⁷ Die damit in Gang gekommene Auseinandersetzung, die sich insbesondere seit der Bannbulle von 1521 erheblich
Soest 1975; E. Fi l i p p i, Maarten van Heemskerck. Inventio Urbis, Milano 1990; C. T h o e n e s, St. Peter als Ruine. Zu einigen Veduten Heemskercks, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 49 (1986), S. 481‒501, zuletzt gedruckt in: C. T h o e n e s, Opus incertum, München-Berlin 2002, S. 245‒275. 7 M. B re c h t, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483‒1521, Bd. 1, Stuttgart ²1983; B. H a m m, Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, insb. S. 90‒114.
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verschärfte, führte dazu, dass Luther seine Romreise später zum Schlüsselerlebnis stilisierte und in seinen gefilterten Erinnerungen die Stadt zunehmend polemisch schilderte und zum Sinnbild eines Sündenbabels formte.⁸ Eine sachliche Reisebeschreibung, wie bei den späteren Grand Tours, lässt sich daher aus Luthers verstreut überlieferten Angaben zu seinem Aufenthalt am Tiber nicht gewinnen. Die anschaulich-plastischen Ausschmückungen, mit denen noch Heinrich Böhmer 1914 Luthers Romfahrt schilderte, entbehren weitgehend dokumentarischer Grundlage.⁹ Nur wenige, punktuell festgehaltene Erinnerungen lassen erahnen, was Luther in Rom konkret gemacht und gesehen hat: der angebliche Kniefall vor den Toren der Stadt, das Aufsuchen der Blutzeugen in den Katakomben und die bußfertige Besteigung der Heiligen Treppe am Lateranpalast. Dies sowie seine Bemerkung, er sei durch alle „kirchen und klufften“ geeilt,¹⁰ deuten darauf hin, dass er das bei Pilgern übliche ‚Rom-Programm‘ absolvierte. Hierzu gehörten neben dem Besuch (zumindest einiger) der 40 Stationskirchen, die schon unter Nikolaus V. erneuert worden waren, auch der Besuch der sieben Patriarchalbasiliken und damit auch der Paulusbasilika vor den Mauern sowie der Grabeskirche des Apostelfürsten Petrus – zumal wenn man wie Luther in der Peters- und Paulskirche zu Eisleben getauft worden war. Insgesamt bot sich ihm Rom als eine ökonomisch prosperierende, geschäftige und expandierende Stadt dar, die gerade weitreichende bauliche und urbanistische Erneuerungsmaßnahmen erlebte.¹¹ Allenthalben waren Neubauten in dem Luther noch völlig fremden Stile all’antica zu sehen, die entweder vor Kurzem fertiggestellt oder noch im Entstehen begriffen waren. Dazu gehörten sowohl die beiden Kirchen seines eigenen Ordens, S. Maria del Popolo und S. Agostino, als auch S. Maria della Pace mit Bramantes Kreuzgang und Bramantes Tempietto in S. Pietro in Montorio. An eindrucksvollen Profanbauten waren der Palast des Kardinals Riario (heute: Cancelleria), Bramantes Palazzo Caprini im Borgo, die Anfänge des imposanten Palazzo della Giustizia an der Via Giulia und nicht zuletzt der vatikanische Belvederehof zu
8 Besonders drastisch in: Ein Sendbrief an den Papst Leo X. (1520), in: D. Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Schriften / Werke, 73 Bde., Weimar 1883–2009 (= WA), hier Bd. 7, S. 1‒11, sowie in Luthers Brief an Staupitz vom 20. Februar 1519, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930–1985 (= WA.B), hier Bd. 1, S. 343‒345; K. A l a n d (Hg.), Luther deutsch, 10 Bde., Göttingen 1991, hier Bd. 2: Der Reformator, S. 239‒250; Bd. 10: Die Briefe, S. 56f. V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt ²2010; d e r s ., Martin Luther. Vom Mönch zum Feind des Papstes, Darmstadt 2013. 9 H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914. Kritik daran schon bei H. S c h n e i d e r, Contentio Staupitii. Der ‚Staupitz-Streit‘ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507‒1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 118 (2007), S. 1‒44. 10 WA 31,1, S. 226. 11 H. W. Hu b e r t, Urbanistik und Architektur in Rom während des 15. und 16. Jahrhunderts, in: C. S t r u n c k (Hg.), Rom. Meisterwerke der Baukunst von der Antike bis heute. Festgabe für Elisabeth Kieven, Petersberg 2007 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 43), S. 156‒168.
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bestaunen. Sie waren hinsichtlich ihrer konzeptionellen und stilistischen Nähe zu den antiken Bauwerken einmalig.¹² Neue Brücken über den Tiber waren errichtet (Ponte Sisto) bzw. geplant (Ponte Giulio am Tiberknie), lange Straßenachsen wurden wie Schneisen durch das Weichbild der alten Stadt geführt (Via Giulia und Via della Lungara) und enge, dunkle Gassen mit kleinen Häusern auf diese Weise in breite, lichte und luftige Prachtstraßen mit repräsentativen Gebäuden verwandelt, sodass in der Panegyrik das berühmte Diktum Suetons, Augustus habe Rom von einer Stadt aus Ziegeln in eine aus Marmor verwandelt, auf die Päpste übertragen wurde.¹³ Der Rovere-Pontifikat, geprägt durch institutionelle Reformen und durch imperialen Anspruch, sollte auch im urbanen Gefüge sichtbaren Ausdruck erhalten. Die urbane Struktur der Stadt wurde umgeformt und auf die Papstresidenz und -kirche im Nordwesten jenseits der Tiberbrücke hin ausgerichtet.¹⁴ Oft bezeugten Wappen und Inschriften die Namen der Bauherren dieser Projekte oder sie dokumentierten die Patronatsrechte über Kirchen und Kapellen. Wenn solche Angaben fehlten und sich vor Ort niemand fand, der Auskunft über die Monumente geben konnte, konnte der Augustinereremit Luther dank der engen Verbindungen zu den Augustinern und zu ihrem Ordensgeneral Egidio da Viterbo alles Wichtige über die Geschichte Roms oder über aktuelle Bauunternehmungen in Erfahrung bringen. Gerade Egidio da Viterbo vertrat allerdings die Ansicht, man solle entweder gar nicht oder aber großartig bauen, vor allem, wenn es sich um öffentliche Bauten wie Kirchen handele, denn nur so würde man der Ehre Gottes gerecht.¹⁵ Folgerichtig hatte Egidio 1507 in seiner Predigt vom Goldenen Zeitalter, deren Inhalte Luther indirekt bekannt geworden sein dürften, den Pontifikat und die Kunstförderung Julius’ II. humanistisch verklärt und überhöht; obendrein war der gelehrte Augustiner wahrscheinlich in maßgeblicher Weise an der Konzeption des Bildprogramms der Stanzen Raffaels
12 Hier sind nur die wichtigsten Bauwerke genannt. Luther konnte in der Stadt erheblich mehr wahrnehmen. Zur Baukunst in Rom während der Hochrenaissance vgl. F. P. F i o r e (Hg.), Storia dell’architettura italiana. Il Quattrocento, Milano 1998, S. 374‒433; A. B r u s c h i (Hg.), Storia dell’architettura italiana. Il primo Cinquecento, Milano 2002, S. 34‒159; S t r u n c k, Rom (wie Anm. 11). 13 Der antike Lob-Topos wurde auf die Päpste Nikolaus V., Sixtus IV. und in den Bildmedien auch auf Julius II. übertragen; hierzu H. G ü n t h e r, ‚Als wäre die Peterskirche mutwillig in Flammen gesetzt‘. Zeitgenössische Kommentare zum Neubau der Peterskirche und ihrer Maßstäbe, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. Folge 48 (1997), S. 67‒112, hier 76; C. L. Fr o m m e l, Eine Darstellung der ‚Loggien‘ in Raffaels ‚Disputa‘? Beobachtungen zu Bramantes Erneuerung des Vatikanpalastes in den Jahren 1508/09, in: J. M. Ho f s te d e / W. Sp i e s (Hg.), Festschrift für Eduard Trier zum 60. Geburtstag, Berlin 1981, S. 103‒127. 14 Hu b e r t, Urbanistik (wie Anm. 11); M. Ta f u r i, Ricerca del Rinascimento. Principi, città, architetti, Torino 1992, S. 97‒115, 141‒221. 15 G ü n t h e r, Peterskirche (wie Anm. 13), S. 88; J. W. O’M a l l e y, Giles of Viterbo on Church and Reform, Leiden 1968, S. 135, Anm. 2.
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beteiligt.¹⁶ Neben Vertretern, die in der Prachtentfaltung der römischen Kirche ein wichtiges Element der würdevollen Verehrung Gottes sahen, gab es aber schon seit dem Mittelalter auch gewichtige Stimmen, die diese Art der Magnificentia heftig kritisierten.¹⁷ Vermutlich lehnte auch Luther schon um 1511 großen Bauaufwand ab. Doch wie auch immer er zu diesen konträren Positionen stand, über bessere Informationsquellen hinsichtlich der aktuellen künstlerischen Baubestrebungen in der Stadt als Luther konnte ein einfacher Romfahrer zu jener Zeit kaum verfügen.
1 Bauplanung und -ausführung Luther dürfte also durchaus über die Grundzüge der Neubaugeschichte informiert gewesen sein, als er die Peterskirche aufsuchte.¹⁸ Allgemein bekannt war, dass schon Nikolaus V. (1447–1455) die Erneuerung der Kirche und des Papstpalastes begonnen hatte. Doch nur der Nordflügel der Residenz war fertig gestellt worden. Der wegen Baufälligkeit und Platzmangel begonnene Erweiterungsbau hinter dem alten Chor der Peterskirche gelangte aufgrund des Todes des Papstes nicht über die Fundamentmauern hinaus. Nach einem Baustillstand von fast einem halben Jahrhundert – zwischendurch hatten nur Paul II. (1464–1471) kurzzeitig wieder in die Bauarbeiten an der Kirche und Innozenz VIII. (1484–1492) sowie Alexander VI. (1492–1503) in den Papstpalast investiert –, widmete sich erst Papst Julius II., dem schon als Kardinal die Weiterführung der Arbeiten vorschwebte, mit neuem Elan dem Projekt. Zum Besuch der Peterskirche überquerte man in der Regel die Engelsbrücke und folgte der Via Alessandrina oder den parallel zu ihr laufenden engen Gassen nach Westen. Am Ende des Borgo trat man unerwartet auf das große, aber seinerzeit noch weitgehend unsystematisierte Areal vor der Peterskirche hinaus, das schon Nikolaus V. in einen langen rechteckigen Platz mit dem vatikanischen Obelisken im Zentrum hatte
16 J. W. O’M a l l e y, Fulfilment of the christian golden age under pope Julius II. Text of a discourse of Giles of Viterbo, 1507, in: Traditio 25 (1969), S. 265‒338; H. P f e i f f e r SJ, Die Predigt des Egidio da Viterbo über das goldene Zeitalter und die Stanza della Segnatura, in: J. A. S c h m o l l / M. R e s t l e / H. We i e r m a n n (Hg.), Festschrift Luitpold Dussler, München-Berlin 1972, S. 237–254; H. P f e i f f e r SJ, Zur Ikonographie von Raffaels Disputa. Egidio da Viterbo und die christlich-platonische Konzeption der Stanza della Segnatura, Rom 1975; d e r s., Die Sixtinische Kapelle neu entdeckt, Stuttgart 2007. 17 Die verschiedenen Positionen gut dargestellt bei: G ü n t h e r, Peterskirche (wie Anm. 13), S. 68‒71. 18 Die Vorgeschichte und Planung der Peterskirche, die die umfangreiche jüngere Forschung ans Licht gebracht hat, sind außerordentlich komplex. Sie können Luther nicht in allen Details bekannt gewesen sein. Einen knappen Einstieg in die Problematik bieten: G. S a t z i n ge r, Sankt Peter. Zentralbau oder Longitudinalbau – Orientierungsprobleme, in: S a t z i n ge r / S c h ü t z e (Hg.), Sankt Peter (wie Anm. 5), S. 127‒145; G. S a t z i nge r, Die Baugeschichte von Neu-St.-Peter, in: J. Fr i n g s / A. N e s s e l r a t h (Hg.), Barock im Vatikan. 1572–1676, Leipzig 2005, S. 45‒74; H. W. Hu b e r t, Sankt Peter in der Renaissance, in: S t r u n c k (Hg.), Rom (wie Anm. 11), S. 208‒214.
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verwandeln wollte (Abb. 2). Von Norden kommend mündete die Via della Porta Angelica auf den Petersplatz, an einer Stelle, welche Luther dank der zinnenbewehrten Mauern und der flankierenden Türme wie eine befestigte Stadtmauer vorgekommen sein muss. Seit Alexander VI. stand hier ein großer Kandelaberbrunnen, dessen Wasserstrahlen die Pilger erfrischten. Später wurde ihm noch die auf anderen Veduten sichtbare Viehtränke hinzugefügt, damit die Romreisenden, die hier von Norden eintrafen, aufs Beste versorgt waren. Im Westen führten eine Rampe zum Tor des Palastes und daneben, in fünf Kaskaden, eine breite Freitreppe zum Eingang der Kirche. Den Fuß der Freitreppe markierten Kolossalstatuen der Heiligen Petrus und Paulus von der Hand des Paolo Romano und verdeutlichten das doppelte Patrozinium der Kirche. Pius II. hatte sie 1461/62 anlässlich der Reliquientranslation des Andreaskopfes hier aufstellen lassen. Sie symbolisierten die Verkündigung und Verteidigung der christlichen Lehre (Paulus) sowie die Binde- und Lösegewalt und damit den päpstlichen Autoritätsanspruch (Petrus), gegen den Luther später zu Felde ziehen sollte.
Abb. 2: Marten van Heemskerck, Ansicht des Petersplatzes mit Treppenkaskade und Benediktionsloggia sowie mit der Gartenloggia des vatikanischen Palastes, um 1532/43.
Das ganze Areal des Petersplatzes war leicht ansteigend, was die majestätische Wirkung des Prospektes erhöhte. Die Kirche als solche war vom Platz aus nicht zu sehen, sondern nur durch den hochaufragenden, mittelalterlichen Campanile angezeigt. Vom Papstpalast konnte man die Umrisse der Cappella Sistina wahrnehmen und daneben die eben von Bramante erbaute, nach Nordosten ausgerichtete, das heißt schräg vom Platz abgewandte Loggienarchitektur mit der Reittreppe dahinter. Einen ähnlichen Eindruck machte die als große elfachsige Schaufassade konzipierte, aber nur zu einem kleinen Teil realisierte Bogenarchitektur, die mit den vorgestellten Halbsäulen an ihr bauliches Vorbild, das Kolosseum, erinnerte. Sie diente dem Papst zur Segenspendung.
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Abb. 3: Die Schlüsselübergabe von Petrus an den Papst. Links: Grabmal Urbans VI., Ausschnitt (anonym, um 1390); rechts: Bronzetür St. Peter in Rom, Ausschnitt mit einer Darstellung Eugens IV. (Filarete/Antonio Averlino, 1433–1445).
Hatte Luther den Eingangsbau durchschritten, so stand er in dem weiten Atrium der Kirche mit dem bronzenen Pinienzapfen unter einem Ziborium in der Mitte und vor der seinerzeit mit Mosaikbildern geschmückten Fassade der alten Basilika. Hinter ihm ragte Giottos berühmtes und beispiellos großes Mosaikbild der Navicella auf, eine Allegorie der Kirche im Sturm. Es boten sich Luther hier neue Seherfahrungen; mit dem antiken Pinienzapfen war im Norden nur der Brunnen im Atrium der Pfalzkapelle in Aachen vergleichbar, und das Kuppelmosaik ebendort konnte mit den Dimensionen von Giottos Navicella mithalten. Doch kannte Luther jene Werke nicht, da er Aachen nicht besucht hatte. Gewiss ist ihm auch die von Filarete geschaffene, prachtvolle Bronzetür mit ihrem päpstlich konnotierten Bildprogramm und den deutlich antikonziliaren Tönen aufgefallen, die seit Eugen IV. den Eingang zur Kirche schmückte. Auf dieser zu Luthers Zeit noch stärker mit farbigen Emaileinlagen und wahrscheinlich auch mit Teilvergoldungen geschmückten Tür ist auch das Bildmotiv der Schlüsselübergabe durch Petrus an den vormals amtierenden Papst Eugen IV. zu sehen, für das es ein prägnantes visuelles Vorbild am Grabmal des schismatischen Papstes Urbans VI. in der Peterskirche gab (Abb. 3).¹⁹ Die Bildformel beider Monumente brachte den
19 H. W. Hu b e r t, Papstgrabmäler während der Zeit von Schisma und Konzil, in: K.-H. B r au n (Hg.), Das Konstanzer Konzil 1414‒1418. Weltereignis des Mittelalters. Essays, Darmstadt 2013, S. 210‒218.
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päpstlichen Sukzessions- und den antikonziliaren Primatgedanken auf sehr prägnante und insofern möglicherweise von Luther als provokativ empfundene Weise zum Ausdruck.
Abb. 4 : Maarten van Heemskerck, Innenansicht der alten Peterskirche mit Blick durch das halb zerstörte Langhaus auf den entstehenden Neubau. Rechts die Orgel Alexanders VI., darunter die Sitzfigur des Hl. Petrus von Arnolfo di Cambio; im Hintergrund das sogenannte Schutzhaus Bramantes.
Nach Betreten der Basilika, folgte nach den eben genannten künstlerischen Höhepunkten ein brüsker Abfall: Luther befand sich nämlich inmitten einer Baustelle, deren Charakter die Veduten aus den 1520er und 1530er Jahren vermitteln (Abb. 4). Falls Luther schon zuvor die Paulusbasilika vor den Mauern aufgesucht hatte, wusste er, wie ein frühchristlicher Großbau eigentlich aussah: fünfschiffig, zwischen 100 und 120 Meter lang, von einem Triumphbogen abgeschlossen, hinter dem sich ein Querhaus mit der Hauptapsis anschloss. Er dürfte daher recht überrascht gewesen sein, als er in einem zwar ebenfalls fünfschiffigen Kolonnadenbau stand, von dem aber nur noch ein Rumpf von 11 anstelle der ursprünglich 22 Säulenstellungen übrig war. Dahinter öffnete sich die Kirche zu einer riesigen Baustelle unter freiem Himmel.
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Abb. 5: Caradosso (Cristoforo Foppa), Perspektivische Ansicht der Peterskirche nach einem Projekt Bramantes, Medaille geprägt anlässlich der Grundsteinlegung 1506.
Hier entstand unter der Leitung des Architekten, Donato Bramante, seit 1506 ein eindrucksvoller Großbau mit einer riesigen Kuppel, die, im Unterschied zu den bescheideneren Planungen Nikolaus’ V., in ihrer Gestalt und in ihrer Weite von etwa 43 Meter dem Pantheon nachgebildet war und das Petrusgrab weithin sichtbar überragen sollte.²⁰ Eine ungefähre Vorstellung des geplanten Bauwerks vermittelten die anlässlich der Grundsteinlegung am 16. April 1506 geprägten Medaillen (Abb. 5). Sie waren nach antiker Sitte in den Fundamenten verbaut und zirkulierten, als Freund20 H. W. Hu b e r t, Il progetto della cupola del Bramante per la basilica di S. Pietro, in: L’Église dans l’Architecture de la Renaissance. Actes du dix-huitième colloque d’histoire de l’architecture, 28.‒31. Mai 1990 C.E.S.R. Tours, Tours 1995, S. 79‒90.
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Abb. 6: Münze aus dem Pontifikat Leos X. (1513–1521) mit Darstellung eines zur Prägezeit schon lange überholten Bauprojektes von Bramante für die Peterskirche, wie es auch auf der Medaille zur Grundsteinlegung von 1506 abgebildet ist.
schaftsgabe verschenkt, in Kreisen der Kurie.²¹ Im Pontifikat Leos X. wurden sogar Münzen mit ähnlichen Darstellungen der Peterskirche geprägt (Abb. 6). Diese Münzen
21 G. S a t z i nge r, Baumedaillen. Formen, Funktionen von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, in: d e r s. (Hg.), Die Renaissance-Medaille in Italien und Deutschland, Münster 2004 (Tholos 1), S. 97‒137; U. P f i s te re r, Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008; H. W. Hu b e r t, Perspektiven auf Bramantes Virtus in Wort und Bild, in: T. We ige l / B. Ku s c h -A r n h o l d / C. Sy n d i ku s (Hg.), Die Virtus in Kunst und Kunsttheorie der italienischen Renaissance. Festschrift für Joachim Poeschke zum 65. Geburtstag, Münster 2014 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 46), S. 127‒154.
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haben in der architekturgeschichtlichen Forschung zwar kaum Beachtung gefunden, da das Bild auf dem Revers zu ungenau ist, um für Fragen der Rekonstruktion verschiedener Planstufen auswertbar zu sein. Doch wenn Luther überhaupt anschauliche Perspektivdarstellungen des Neubauprojektes gesehen hat, so dürften es die Gründungsmedaille gewesen sein oder davon abgeleitete Münzbilder. In bildwissenschaftlicher Perspektive sind sie durchaus interessant. Es war damals nämlich noch ungewöhnlich, päpstliche Zahlungsmittel mit der Darstellung eines Bauprojektes zu schmücken. Gewöhnlich sah man auf dem Revers Bilder von Heiligen, im Falle Roms oft der Stadtpatrone Petrus und Paulus, gelegentlich sogar sinnträchtige religiöse Allegorien.²² Insofern widersprach die Darstellung der Peterskirche der Erwartungshaltung in Bezug auf die Ikonographie päpstlicher Münzbilder und stellt ein erklärungsbedürftiges Novum dar. Möglicherweise hoffte man, durch die Verbreitung des Bildes der projektierten Kirche, den Bau im kollektiven Gedächtnis werbend zu verbreiten und damit die Spendenbereitschaft der Menschen zu erhöhen. In der Peterskirche war eigens ein Opferstock eingerichtet worden, damit die Stadtbevölkerung und die Pilger durch fromme Gaben den Baufortschritt der Kirche vor Ort direkt unterstützen und in den Genuss von Ablässen kommen konnten. Man konnte den Revers folglich als sinnreiches ‚Bildspiel‘ verstehen: Die Zirkulation des Geldes, Ausdruck der Wirtschaftskraft des Kirchenstaates, diente der Baufinanzierung der abgebildeten Kirche. Zugleich war der Münze mit dem Petersdom aber auch im konkreten Sinne ein möglicher Bestimmungsort als Spendengabe aufgeprägt: die Münze mit dem Bild des Petersdomes für den Opferstock im Petersdom. Tatsächlich bestand aber eine erhebliche architektonische Diskrepanz zwischen den Darstellungen auf den Medaillen und Münzen und der im Bau begriffenen Kirche! Die Prägebilder konnte man als einen breit gelagert (bei den Münzen allerdings eher turmartig hoch) proportionierten Zentralbau mit Doppelturmfassade sowie mit einer dominanten Haupt- und kleineren, diagonal angeordneten Nebenkuppeln interpretieren. Bei der Besichtigung der Baustelle wurde jedoch deutlich, dass in der Realität ein deutlich kleiner dimensionierter Longitudinalbau (noch ohne Turmfassade) im Entstehen war, der nur von einer einzigen Kuppel bekrönt werden sollte. Tatsächlich hatte nämlich Julius II. seinen Architekten gezwungen, von seinen hochfliegenden Idealplänen, die er laut Vasari in infiniti disegni entwickelt hatte, Abstand zu nehmen, und einen Kompromiss auszuarbeiten, der im Wesentlichen darauf beruhte, die älteren Chorfundamente von Nikolaus V. zu verwenden, darauf den Westbau zu vollenden und auf Nebenkuppeln sowie auf Umgänge zu verzichten (Abb. 7). Ob Luther diese Unterschiede auch wahrgenommen, und wie er sie gegebenenfalls gedeutet hat, ist nicht bekannt.
22 M. C h i m i e n t i, Monete della Zecca di Bologna. Catalogo generale con la pubblicazione delle monete del Museo Civico Archeologico di Bologna, Bologna 2009; A. G i u l i a n i, L’Aquila pontificia e l’utopia della libertas. Zecca e monete nella dedizione a Innocenzo VIII, 1485–1486, Teramo 2013.
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Abb. 7: Grundriss der beim Tod Juliusʼ II. (1513) begonnenen Bauteile der Peterskirche; Schraffierte Partien: bis zum Tod des Papstes in Angriff genommener Bestand – Umrisslinien: nach dem Bestand und nach Maßgabe des Grundrisses im Codex Coner symmetrisch zu ergänzen.
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Abb. 8: Michiel Gast (?), Vedute der Peterskirche von Norden; links: der Rumpf des alten Langhauses, rechts: die Kuppelpfeiler des Neubaus mit Bögen und Chorarm, zwischen 1538–1543.
Die Hochschiffwände der alten Basilika, von deren Bemalung nur noch wenig zu erkennen war, waren bereits überall dort niedergerissen, wo der Neubau mit seinen monumentalen Pfeilerarchitekturen Eingriffe in die alte Bausubstanz erfordert hatte. Dies waren der Bereich der Vierungskuppel und die Zonen der Kontrepfeiler im Langhaus (Abb. 4 und 8). Das Querhaus der alten Kirche war bereits weitgehend abgetragen, und inmitten der Ruine stand, der Witterung ungeschützt ausgesetzt, der Hauptaltar mit Baldachin, der sich lotrecht über der seit konstantinischer Zeit als Petrusgrab verehrten Stätte befand. In diesem Punkt unterschied sich Luthers Eindruck wesentlich von dem, was uns die Veduten vor Augen führen, denn das dort abgebildete sogenannte Schutzhaus, mit dem der ganze Altarbezirk ummantelt wurde, ließ erst Leo X. errichten (Abb. 4 und 9). Anfangs war auch diese lettnerartige Umrahmung aus Blendarkaden und Halbsäulenvorlagen durch große Bögen geöffnet und, wie eine Zeichnung im Codex Coner suggeriert, mit einer kuppelzeltartigen Schließvorrichtung versehen, die bei Bedarf, d. h. bei schlechtem Wetter, zum Einsatz kam. Erst später wurde das Bauwerk durch Baldassare Peruzzi erhöht und mit einer Bedachung dauerhaft geschlossen, was die Vedute zeigt.²³ Dies war bitter notwendig,
23 J. S h e a r m a n, Il ‚Tiburio‘ di Bramante, in: Studi Bramanteschi. Atti del congresso internazionale, Milano-Urbino-Roma 1970, Roma 1974, S. 567‒573; C. L. Fr o m m e l, La città come opera d’arte. Bra-
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Abb. 9: Maarten van Heemskerck, Ansicht des Altarbezirks von konstantinischen Nordquerhaus aus mit Bramantes sogenannten Schutzhaus.
denn seit 1507 stand die Petrusmemoria ungeschützt unter freiem Himmel. Der Regen ging darauf nieder und verwandelte den Altarbezirk, der durch die Bauarbeiten seine alte Pavimentierung verloren hatte, jedes Mal in eine große Schlammpfütze. Luther sah folglich noch eine Altarsituation, die derjenigen nahe kommt, die die Raffael-Mitarbeiter in dem Fresko der Konstantinischen Schenkung gemalt haben (Abb. 10). Die reich geschmückten Schraubensäulen, um die sich viele Legenden rankten, standen noch aufrecht und die sogenannte Christussäule war noch nicht, wie in der Stockholmer Vedute (Abb. 9) erkennbar, aus ihrem Zusammenhang gelöst und vor dem Schutzhaus durch ein Gitter geschützt aufgestellt worden. Hinter dem Hochaltar und dem Presbyterium standen noch Fragmente der konstantinischen Querhauswände sowie die gesamte Apsis mit ihrem von Innozenz III. (1198–1216) erneuerten Mosaik aufrecht (Abb. 11). Das Kalottenbild zeigte den thronenden Christus zwischen den Apostelfürsten im Paradies und darunter den Zug der zwölf Lämmer zum Opferlamm und Kreuz zwischen dem Stifterpapst und der Personifikation der Ecclesia Romana. Die Inschrift reklamierte mit dem Wortlaut „MATER CUNCTARUM mante e Raffaello (1500‒1520), in: B r u s c h i (Hg.), Storia (wie Anm. 12), Milano 2002, S. 76‒131, hier S. 98f.
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Abb. 10: Giulio Romano und Gianfrancesco Penni, Die Konstantinische Schenkung, Ausschnitt mit dem Presbyterium von Alt-St.-Peter, 1515–1525; Vatikan, Sala di Costantino.
DECOR ET DECUS ECCLESIARUM“ für die Peterskirche einen außerordentlichen Rang, der bis dato nur der Lateranbasilika vorbehalten war.²⁴ Während die Veduten eine Kirche festhalten, die in einem friedvoll wirkenden, romantisch-ruinösen Dauerzustand eingefroren zu sein scheint, war die Situation während Luthers Besuch noch eine ganz andere. Seit der Grundsteinlegung am 18. April 1506 wurde zügig gearbeitet. Der südwestliche Gründungspfeiler (Veronikapfeiler) wurde schneller hoch geführt als die anderen und übernahm für diese die Rolle eines Modells. Zeitlich etwas nachgeordnet wurde der nordwestliche Kuppelpfeiler errichtet und mit ihm, unter Benutzung der älteren Mauern, der im Westen
24 R. K r au t h e i m e r, Rom. Schicksal einer Stadt 312‒1308, München 1987, S. 228f.; J. Wi l p e r t / W. N. S c h u m a c h e r, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.‒XIII. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 1976, S. 62‒64; W. O a ke s h o t t, Die Mosaiken von Rom vom dritten bis zum vierzehnten Jahrhundert, Wien-München 1967, S. 76‒79; M. B. R a s m u s s e n, Traditio Legis Motiv – Bedeutung und Kontext, in: J. F l e i s c h e r (Hg.), Late Antiquity. Art in Context, Kopenhagen 2001, S. 21‒52.
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Abb. 11: Domenico Tasselli, Kopie nach dem Apsismosaik der alten Petersbasilika aus der Zeit von Papst Innozenz III. (1198–1216), 1592.
anschließende Chor. Erst als man im April 1507, also ein Jahr nach Baubeginn, die Errichtung der beiden östlichen Pfeilerpaare startete, leitete man das radikale Zerstörungswerk der alten Peterskirche ein, denn zuvor hatte man ausschließlich außerhalb der konstantinischen Basilika im Westen gebaut. Mit großen Teilen des alten Querhauses wurden auch diejenigen Partien des alten Langhauses niedergelegt, die Platz für die beiden östlichen Vierungspfeiler und für die sogenannten Kontrepfeiler machen mussten. Vor Beginn dieser Abbrucharbeiten wurden einige Heiligtümer und Ausstattungsstücke geborgen und an anderer Stelle, im vorderen Bereich der Kirche, wieder aufgerichtet – darunter die Orgel Alexanders VI. rechts vor der Hochschiffwand (Abb. 4). Im Mai 1511 waren auch die vier hohen Kuppelbögen gewölbt, von denen man eine spektakuläre Aussicht über Rom genoss.²⁵ Danach trat von etwa März 1511 bis Februar 1513 bei der Peterskirche wie auch bei allen anderen päpstlichen Bauunternehmungen eine Stagnation ein, deren Ursache ein akuter Geldmangel
25 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 67; d e r s., San Pietro, in: H. M i l l o n / V. M. L a m p ug n a n i (Hg.), Rinascimento da Brunelleschi a Michelangelo. La rappresentazione dell’architettura, Milano 1994, S. 399‒423, hier 413, Anm. 58.
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Abb. 12: Grundriss der Peterskirche mit dem gegenüber der Julius-Planung erheblich vergrößerten Projekt von Bramante und Raffael für Leo X. von 1514; Holzschnitt, Sebastiano Serlio, Terzo Libro di architettura, Venedig 1540.
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der apostolischen Kammer war. Erst in der 1513 datierten Bulle zur Einrichtung der Cappella Giulia ist die Rede von ihrem geplanten marmornen Schmuck, ihren kostbaren Fußböden und weiteren Werken, deren Realisierung jedoch noch in ferner Zukunft lag. Der Chorarm, für den sich keine Abrechnungen erhalten haben, wurde wahrscheinlich erst nach dem Tode Juliusʼ II., d. h. um 1513/14, eingewölbt. Luther hat die Kirche in diesem Punkt also nicht wie auf der Vedute dargestellt gesehen, sondern er blickte noch in den weitgehend unverbauten, offenen Himmel: Es fehlten demnach sowohl die kassettierte Tonnenwölbung mit ihren seitlichen Stichkappen als auch die schöne Muschelform als Schmuck der Apsiskalotte.²⁶ Ebenso wenig sah Luther das sogenannte Schutzhaus über dem Petrusgrab, welches spätestens im Oktober 1513 von Leo X. in Auftrag gegeben worden war und für das Bramante kurz vor seinem Tod die Entwürfe geliefert hatte. Seit 1507 waren das Petrusgrab und der Hauptaltar ungeschützt der Witterung ausgesetzt gewesen, doch da man angesichts des durch Leo X. erheblich vergrößerten Kirchenbauprojektes (Abb. 12) nun auch insgesamt mit längeren Bauzeiten rechnen musste, schien eine wirksame Protektion des Hauptaltares und der Apostelmemoria umso dringlicher. Der Chorbau zeichnete sich durch besonders dicke Wände aus, weil sie eine massive Tonnenwölbung tragen mussten. Während Bramante in einigen seiner frühen Skizzen weit ausgreifende Umgänge im Westen, Süden und Norden sowie diagonal angeordnete Nebenkuppeln projektiert hatte, bestand der sparsame Papst darauf, den von Nikolaus V. begonnenen Chorarm fertigzubauen, auch wenn sich daraus im Grundriss ein ästhetisch durchaus unbefriedigender Kompromiss ergab und die Nebenkuppeln fortfallen mussten. In dieser pragmatischen Bescheidenheit unterschied sich der Rovere-Papst erheblich von seinem Nachfolger, gegen den Luther dann zu Felde zog. Konkrete zeichnerische Pläne Bramantes für das Langhaus der Kirche sind nicht überliefert. Seine Form muss aus dem Errichteten und aus Indizien deduziert werden (Abb. 7).²⁷ Nicht einmal die genaue Länge des geplanten Baus ist gesichert. Wahrscheinlich waren anfangs nur drei Joche vorgesehen, was bedeutet, dass das alte Atrium und die Benediktionsloggia am Petersplatz bestehen bleiben sollten. Julius wollte demnach einen Neubau, der vor allem das Petrusgrab in neuartiger Weise auszeichnete und in dem sein eigenes, bei Michelangelo in Auftrag gegebenes Grabmal aufgestellt werden konnte. Die Kirche sollte sich in behutsamer Weise zwischen die bestehenden Baulichkeiten des vatikanischen Palastes wie die Cappella Sistina, die Scala Regia sowie das Atrium und die Benediktionsloggia einfügen, aber in Form und Größe mit den zeitgenössischen Konkurrenzbauten sowie vor allem mit der Antike wetteifern können. Dennoch wäre die von Julius geplante Peterskirche hinsichtlich ihrer Dimensionen und ihrer Baukosten weitaus eher zu realisieren gewesen als die erheblich vergrößerten Projekte seit der Zeit Leos X.
26 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 71. 27 Hierzu jüngst nochmals ausführlich Ni e b au m, Baugeschichte (wie Anm. 5).
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Abb. 13: Rekonstruktionsversuch für Bramantes Chorlösung (in Teilen unkorrekt).
Auch das Baumaterial, Ziegel und lokaler Bruchstein als Füllmaterial, war denkbar einfach. Den Gesamteindruck des Außenbaus bestimmten zu Luthers Zeit vor allem große rötliche Ziegelsteinflächen (Abb. 13). Nur die Basen, Kapitelle und Gesimse des Gliederungssystems bestanden aus Travertin und setzten damit helle farbliche Akzente.²⁸ Die koloristische Wirkung der Peterskirche war demnach völlig anders
28 Ob dies allerdings das endgültige Erscheinungsbild der Kirche sein sollte, ist ungewiss. Durchaus denkbar ist, dass Bramante plante, weitere Elemente wie die Pilaster oder sogar die gesamten Ziegelsteinflächen mit einem feinen Putzüberzug aus Travertin-Staub zu versehen, sodass sich zumindest
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als die heutige, die durch den vollständig mit Travertin verkleideten Baukörper, der auf Michelangelo zurückgeht, kompakte steinerne Einheitlichkeit demonstriert. Der bescheidene Materialaufwand am Außenbau unterschied sich nicht prinzipiell von den vielen oberitalienischen Backsteinbauten mit Hausteingliederung, die Luther auf seiner Italienfahrt gesehen hatte, wohl aber von den aufwendig dekorierten Inkrustationsarchitekturen in Florenz und in der Toskana. Im Inneren der Peterskirche dominierten die Gliederungselemente aus Travertin. Kolossale korinthische Pilaster mit Kanneluren trugen ein sehr hohes, dreiteiliges Gebälk, das den gesamten Innenraum vereinheitlichend umzog. Sie akzentuierten die abgeschrägten Kuppelpfeiler und strukturierten die Wände des Chores. Diese öffneten sich in riesigen Rundbogenöffnungen, deren feinteilige Binnengliederung, wie sie uns in einer Kopie nach Bramantes Entwurf überliefert ist (Abb. 14), jedoch nie ausgeführt wurde. Von imposanter Größe erhoben sich die Vierungsbögen mit ihrer Kassettierung in drei Reihen in den Himmel. Zwischen ihnen waren im Rohbau die bereits zur Hälfte aufgemauerten Pendentifs mit den runden Schmuckfeldern zu erkennen (Abb. 4 und 8).
Abb. 14: Anonymus, Projekt des Chores der Peterskirche von Bramante, Inneres nach Südosten; Kopien vermutlich nach einem Holzmodell.
bei einiger Entfernung der Anschein eines zu größeren Teilen oder eines sogar völlig aus Travertin errichteten Baus ergeben hätte.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Luthers Eindruck von der Peterskirche durch den großen Kontrast zwischen der alten, konstantinischen Basilika mit ihrer einfachen, fragilen Baustruktur und dem hohen, gewölbten, in Massivbauweise errichteten Neubau bestimmt war. Ob Luther sich auch für das Spezialproblem interessiert hat, wie das Begonnene im Sinne von Bramantes Projekt zu ergänzen sei und was dann noch von der alten Basilika übrig bleiben würde, entzieht sich unserer Kenntnis. Eines aber lässt sich zu Luthers Seherfahrung in der Peterskirche sicher sagen: Während die gotischen und spätgotischen Großbaustellen, die Luther auf seiner Reise von Deutschland über Ober- und Mittelitalien nach Latium gesehen hatte, einen Architekturstil aufwiesen, der ihm im Prinzip bekannt und vertraut war, galt dies nicht für Bramantes römische Bauprojekte! Ihre Architektursprache war für Luther ebenso neu wie für viele italienische Zeitgenossen, und er stand vermutlich buchstäblich ‚sprachlos‘ vor ihr. Denn hier wirkten nicht nur neuartige Proportionsregeln, hier kam mit dem Paradigma der Antikennachahmung auch ein neuartiges Konzept zum Tragen, das Luther gänzlich unbekannt gewesen sein dürfte. Hinzu kamen begriffliche Probleme: Wie sollte man die neuartig gestalteten Gliederungselemente benennen, und was sollten sie bedeuten? Konnte Luther etwas mit der von Bramante erstmalig seit der Antike korrekt rekonstruierten dorischen Ordnung anfangen? Wusste er überhaupt, was eine Dorica war und welche Bedeutungen sie vermittelte? Konnte er die regelwidrige Verteilung der dorischen Triglyphen im Fries am Außenbau des Chores der Peterskirche als solche erkennen und wertschätzen? Wusste er, dass zu Bramantes kühnen Erfindungen die korinthischen Knickpilaster und die Pendentifs mit breitem Auflager gehörten, die den großartigen Kuppelbau bautechnisch erst ermöglichten? Konnte er ahnen, dass die Kassettierung der Kuppelbögen dem Vorbild kaiserzeitlicher Triumphbögen folgte und damit den Triumphgedanken ins Christliche wendete? Hatte man ihm erzählt, dass die ab 1507 im Inneren des Chores versetzten korinthischen Kapitelle exakt nach dem Vorbild der Pilasterkapitelle der Vorhalle des Pantheons gestaltet worden waren, und dass sich überhaupt die riesigen Ausmaße der Kuppel am Durchmesser des Pantheons orientierten? Trotz seiner Nähe zu den gelehrten und mit Rom vertrauten Augustinern wusste er all diese Einzelheiten vermutlich nicht, denn als architektonisches Fachwissen gehörte es nicht zwingend zum Bildungshorizont des Theologen. Aber ist es denkbar, dass Luther aus seiner Seherfahrung auf der Baustelle der Peterskirche einer für ihn nicht einfach in Worte zu fassenden ästhetischen Diskrepanz der beiden Bauteile metaphorische Kraft geschöpft hat? Ist es denkbar, dass die ästhetische Erfahrung des Gegensatzes von Alt und Neu, also die Erfahrung einer ihm ästhetisch und begrifflich zugänglichen altchristlichen Kolonnadenwandarchitektur und einer ihm unverständlichen modernen ‚päpstlichen‘ Bauweise, mit in die Konzeption des Gegensatzes eingeflossen ist, der in vielen späteren Schriften Luthers zum Tragen kam? Eines Gegensatzes, bei dem die alte und die neue Kirche metaphorisch gegeneinander ausgespielt werden, indem Luther wie beispielsweise in seiner Schrift „Wider Hans Worst“ die päpstlich-katholische Kirche als die neue und ver-
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fälschte brandmarkte und die alte, rechte, frühchristliche Kirchentradition für seine Vorstellung von Theologie und Kirche in Anspruch nahm?²⁹ Wir können auch diese Fragen nicht mit Gewissheit beantworten, doch würde eine solche Auffassung mit Luthers ästhetischen Romerfahrungen wohl in Einklang stehen.
2 Bauorganisation und -finanzierung Dank der Auswertung der römischen Archivdokumente wissen wir über die Bauorganisation der Peterskirche und über die für den Neubau getätigten Ausgaben gut Bescheid.³⁰ Im Pontifikat Julius’ II. wurden von 1506 bis 1512 nachweislich 81.767,91 Golddukaten für den Bau der Peterskirche ausgegeben, im Jahresschnitt also etwa 11.681 Golddukaten, wobei die Ausgaben in den Jahren 1507 bis 1509 annähernd konstant bei etwa 15.000 Golddukaten lagen, sich 1510 auf über 20.000 Golddukaten steigerten und aufgrund der allgemeinen Finanzkrise ab März 1511 deutlich absanken.³¹ Die dokumentierten Zahlungen waren vor allem Aufwendungen für Arbeitslöhne sowie für Ziegelsteine. Andere Baumaterialien wie Kalk, Sand und Bruchstein lieferte die Apostolische Kammer kostenneutral für die Petersbauhütte. Travertin für die Herstellung der Hausteinornamente (Kapitelle, Gebälkteile) wurde zumeist von antiken Ruinen genommen und fiel deshalb ebenfalls kostenfrei an. Hinzuzurechnen wäre außerdem die mutmaßliche Entlohnung Bramantes, die bislang zwar nicht nachgewiesen werden konnte, die aber nach Maßgabe des dokumentierten Gehaltes seiner Nachfolger etwa 300 bis 400 Dukaten pro Jahr betragen haben könnte.³² Erst ab August 1512 wurde Bramante möglicherweise zusätzlich mit der einträglichen Pfründe des Frate del Piombo entlohnt.³³ Die Bauhütte war vielleicht keine kosmopolitische, jedoch eine transnationale Arbeitsgemeinschaft, – wenn man unter natio die landsmannschaftliche Zugehörigkeit der Werkkräfte versteht. Wie an den Herkunftsbezeichnungen der Arbeitskräfte in den Archivalien erkennbar ist, kamen die meisten Fachkräfte aus der Lombardei und aus der Toskana, wogegen unter den einfachen Arbeitern und Handlangern, die in den erhaltenen Dokumenten jedoch nicht eigens verzeichnet sind, vermutlich auch viele Römer waren. Man schätzt, dass in den betriebsamen Zeiten bis zu 250 Arbeits-
29 M. Lu t h e r, Wider Hans Worst (1541), in: WA 51, S. 469–572. 30 Das Folgende nach: Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 57‒136. 31 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), Tabelle S. 64: abzüglich der 835 Dukaten, welche dort irrtümlich der Peterskirche zugerechnet sind, die aber für die Torre Borgia ausgegeben wurden. 32 K. Fre y, Zur Baugeschichte des St. Peter. Mitteilungen aus der Reverendissima Fabbrica di S. Pietro, in: Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen 31, Beiheft, Berlin 1911, S. 1‒95, hier S. 51f., Nr. 33, 35. 33 F. G. W. M e t te r n i c h, Bramante und St. Peter, München 1975 (Collectanea artis historiae 2), S. 195.
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kräfte an der Peterskirche beschäftigt waren; etwa 50 pro Bauabschnitt.³⁴ Jeder der vier mächtigen Kuppelpfeiler, die zusammen mit dem Chorarm das Hauptbauvolumen ausmachten, wurde von einem eigenen Bauunternehmer realisiert. Ihre Namen sind überliefert, und nach ihnen wurden auf der Baustelle und in den Abrechnungsbüchern die Pfeiler auch benannt.³⁵ Am Chorarm waren drei weitere Bauunternehmer tätig, einer für die Apsisrundung und je einer für die Seitenwände. Sie alle waren Bramante bzw. dessen Buchhalter, Girolamo da Siena, und später Bramantes technischem Leiter und Hauptorganisator, Giuliano Leno, rechenschaftspflichtig. Ihnen standen vier festangestellte Oberaufseher für die verschiedenen Gewerke zur Seite, die mit sechs Golddukaten monatlich obendrein sehr hoch und sogar besser als mancher Architekt besoldet waren.³⁶ Erst wenn sie die jeweiligen Arbeiten geprüft und abgenommen hatten, erhielten die Bauunternehmer bzw. die Handwerker ihr Geld über die für den Neubau zuständige Bank des Stefano Ghinucci ausgezahlt. Im Pontifikat Julius’ II. und unter Bramantes Leitung war die Bauhütte ausgesprochen schlank, kostengünstig und unbürokratisch organisiert. Das änderte sich jedoch mit Leo X. schlagartig.³⁷ Während wir über die Bauorganisation und die Bauausgaben im Ganzen eine relativ klare Vorstellung besitzen, ist erheblich schwerer zu bestimmen, woher das Geld eigentlich kam. Bekanntermaßen wurden seit 1507 große finanzielle Mittel über Ablassbriefe eingesammelt. Dies war keineswegs ein neues Verfahren, und es war auch nicht auf die Peterskirche, ja nicht einmal auf Bauten in Italien beschränkt. So hatte beispielsweise Sixtus IV., der Onkel von Julius II., durch einen 1479 ausgestellten Ablassbrief die Fertigstellung des Chorneubaus des Freiburger Münsters gefördert, und Julius selbst gewährte 1512 neben der Peterskirche auch für den Weiterbau der Turmwestfassade des Konstanzer Münsters Ablass.³⁸ Neben Kirchen wurden auf diese Weise auch Hospize, Hospitäler, Brücken, Waisenhäuser, in den Niederlanden sogar der wichtige Deichbau und natürlich die wichtige Abwehr der Türkenbedrohung finanziert.
34 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 62. 35 So hieß der Veronikapfeiler im SW: „pilastro dell’Guelfo“ nach Francesco Lazari da Caravaggio. Der Helenapfeiler im NW wurde „pilastro di Jacopo e di Domenico di Francesco da Castelfranco“ genannt bzw. nach deren Ausscheiden nach Jacopo Rasca benannt. Der SO-Pfeiler wurde ab 1507 von Giovanantonio di Cristoforo Pallavicini, genannt „Il Foglietta“, aus Mailand erbaut, der NO-Pfeiler von Pietro und Giorgio de Coltre. Am Chorarm arbeiteten drei weitere Bauunternehmer: Jacopo Ungarini, genannt „Il Fra“, Gabriello alias „Il Moro“ und Stefano Ramponi. 36 Der Architekt Nanni di Baccio Bigio erhielt ab 1556 ein Monatsgehalt von nur 5 ½ Dukaten für seine Entwürfe und die Bauleitung des Palazzo Salviati alla Lungara; vgl. C. L. Fr o m m e l, Der Römische Palastbau der Hochrenaissance, 3 Bde., Tübingen 1973, hier Bd. 1, S. 7. 37 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 74‒81. 38 Ausstellungskatalog Petersberg: P. Ka l c h t h a l e r / G. L i n ke / M. S t r au b (Hg.), Baustelle Gotik. Das Freiburger Münster, Petersberg 2013, S. 126f.; E. R e i n e r s t- E r n s t, Regesten zur Bau- und Kunstgeschichte des Münsters zu Konstanz, Konstanz-Lindau 1956, S. 62 Nr. 381.
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Im Ganzen handelte es sich also um ein Finanzinstrument zur Errichtung von Bauten, von Infrastrukturprojekten und Verteidigungsmaßnahmen. Ungewöhnlich war eher, dass man Gelder für einen Kirchenbau sammelte, der außerhalb der eigenen Diözese lag. Doch rechtfertigte dies die überragende Bedeutung des Petersdomes als Papstkirche für die katholische Christenheit, die nicht nur im Selbstverständnis der Römer „il primo e il più degno tempio del mondo“ war.³⁹ Allerdings gelangten die in den deutschsprachigen Territorien und anderswo für die Peterskirche eingesammelten Ablassgelder gar nicht allesamt nach Rom. Zunächst einmal behielten die Ablassverwalter erhebliche Teile der finanziellen Mittel ein. Kurfürst Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und von Mainz, durfte beispielsweise nach Abzug der nicht unwesentlichen Kosten für die Ablassverwaltung 50 Prozent von der Restsumme für sich behalten und konnte auf diese Weise die Darlehen, die er bei der Fugger-Bank aufgenommen hatte, um seine verschiedenen Ämter zu finanzieren, abzahlen. Luther wusste zur Zeit seines Thesenanschlags, wie er später angab, von dieser wichtigen Querfinanzierung nichts, weshalb sie in den Wittenberger Thesen auch nicht thematisiert wird. Die Könige von Ungarn und Böhmen konnten sogar zwei Drittel der gesammelten Ablassgelder für ihre eigenen Zwecke, vornehmlich für die Türkenabwehr verwenden. 1508 führten Unterhändler (im Ergebnis erfolglose) Verhandlungen mit dem spanischen Klerus über einen ähnlichen Ablasshandel zugunsten der Kirche, bei dem sogar ein Dreiviertel der Summen an den König gehen und nur ein Viertel in die Kassen des Papstes fließen sollte.⁴⁰ Es bestand auf landesherrschaftlicher Seite also prinzipiell ein sehr großes Interesse am Ablasshandel, denn man profitierte davon selbst in einem bisweilen sogar erheblich höheren Maße als der jeweils regierende Papst. Im Pontifikat Julius’ II. scheint sich der Ablasshandel in den üblichen Bahnen bewegt zu haben, doch änderte sich dies mit Leo X. Den Medici-Papst zeichnete eine außerordentliche Prachtliebe aus, und er ließ auch die Pläne für die Peterskirche gründlich überarbeiten. Hierfür wurde der etwa 70-jährige Bramante durch zwei weitere betagte und hochdotierte Architekten, Fra Giocondo und Giuliano da Sangallo, flankiert, die den kränkelnden Meister unterstützen sollten und mit ihm neue Entwürfe für ein nun erheblich vergrößertes Bauprojekt zu entwickeln hatten. Dieses zeichnete sich durch eine deutlich gesteigerte Breite und Länge und somit ein enorm vergrößertes Bauvolumen aus. Schließlich bestellte der Papst nach Bramantes Tod (2. März 1514) Raffael als neuen Leiter, der ein nochmals vergrößertes, durch weite Querarm- und Chorumgänge bestimmtes Projekt entwickelte, das in drei Planstufen rekonstruierbar ist und in seiner frühesten Version im Holzschnitt bei Sebastiano Serlio überliefert
39 So die euphorischen Worte Raffaels, nachdem er 1514 die Bauleitung übernommen hatte; siehe den Brieftext in Anm. 42. 40 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 108 Nr. 160.
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vorliegt (Abb. 12).⁴¹ Die Zahl der notwendigen Oberaufseher des Baus wurde verdreifacht. Es kann nicht überraschen, dass der Finanzbedarf für dieses Projekt um ein Vielfaches stieg, und in Rom kursierten entsprechende Gerüchte. Raffael selbst ging davon aus, jährlich 60.000 Golddukaten verbauen zu können, was mehr als das Fünffache der durchschnittlichen Jahresausgaben unter Julius II. gewesen wäre! Die Gesamtbaukosten nach dem Willen des Papstes schätzte Raffael sogar auf über eine Million Golddukaten, woraus sich rechnerisch eine anvisierte Bauzeit für die Kirche von nur knapp 17 Jahren ergeben hätte.⁴² Der vergrößerte Neubau sollte nach den hoffnungsvoll optimistischen Planungen des Jahres 1514 also um 1530 fertiggestellt sein. Wäre der 1475 geborene Leo X. nicht schon 1521 jung verstorben, so hätte er mit dann 55 Jahren die feierliche Endweihe der Kirche als persönlichen Triumph inszenieren können. Doch wie so oft kamen die Dinge völlig anders. Der enorme Finanzbedarf sollte durch einen verstärkten Ablasshandel aufgebracht werden, der dem Finanzgebaren der päpstlichen Kurie gänzlich neue Züge verlieh und somit, wenn nicht der Auslöser, dann zumindest zum Verstärker der lutherischen Kritik und damit der Reformation wurde. Die politisch-historischen Hintergründe des Ablassgebahrens dieser Jahre sind gut erforscht und können knapp referiert werden: Der junge Albrecht von Brandenburg war bereits Erzbischof von Magdeburg und Bischof von Halberstadt, wurde 1514 aber auch noch zum Mainzer Erzbischof erwählt, womit die Kurfürstenwürde einherging, und 1518 – erst 28-jährig – schließlich sogar zum Kardinal ernannt.⁴³ Gerade die Mainzer Wahl war politisch enorm wichtig und im Vorfeld entsprechend umkämpft.
41 C. L. Fro m m e l, Die Baugeschichte von St. Peter in Rom, in: d e r s . / S. R ay / M. Ta f u r i (Hg.), Raffael. Das architektonische Werk, Stuttgart 1987, S. 241‒255. 42 Brief Raffaels vom 1. Juli 1514 an seinen Onkel Simone Ciarla: „Circa a star in Roma non posso star altrove più per tempo alcuno per amore della fabrica di Santo Pietro, che sono in locho di Bramante, ma qual locho è più degno al mondo che Roma, qual impresa è più degna di Santo pietro, ch’è il primo tempio del Mondo, e che questa è la più gran fabrica che sia ma vista che montarà più d’un millione d’oro, e sapiate che ʼl Papa hà deputato di spendare sessanta mila ducati l’anno per questa fabrica, e non pensa mai altro“. V. G o l z i o, Raffaello nei documenti nelle testimonianze dei contemporanei e nella letteratura de suo secolo, Città del Vaticano 1936, S. 31–33, hier S. 32, zitiert nach: E. C a m e s a s c a (Hg.), Raffaello gli Scritti. Lettere, firme, sonetti, saggi tecnici e teorici, Milano 1994, S. 170‒177, hier S. 175. 43 Zur Person und den komplexen politischen Hintergründen der Ämterhäufung, die nicht nur dem persönlichen Ehrgeiz des Kardinals geschuldet waren, M. vo n R o e sge n, Kardinal Albrecht von Brandenburg. Ein Renaissancefürst auf dem Mainzer Bischofsthron, Moers 1980; B. R o l a n d (Hg.), Albrecht von Brandenburg. Kurfürst, Erzkanzler, Kardinal 1490–1545, Mainz 1990; F. Jü rge n s m e i e r (Hg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490‒1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1991 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 3); R. D e c o t, Theologie-FrömmigkeitKirche. Albrecht von Brandenburg vor der Herausforderung der Reformation, in: A. Ta c ke (Hg.), Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Bd. 2: Essays, Regensburg 2006, S. 61‒79.
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Mit Albrecht verfügten die Hohenzollern nun sogar über zwei Kurfürsten und hatten folglich nicht nur eine enorme Hausmacht gewonnen, sondern auch erheblichen Einfluss auf die Wahl des Kaisers. Waren die politischen Gegner (Ernst von Wittelsbach, Herzog von Bayern, als Kandidat des Kaisers und ein Bruder des Kurfürsten von der Pfalz als dessen Kandidat) damit aus dem Felde geschlagen worden, galt es nun die Hürde der Ämterhäufung zu überwinden, die aufgrund der Reformbulle „Supernae dispositionis arbitrio“ des eben zu Ende gegangenen Lateranensischen Konzils obendrein verschärft worden war.⁴⁴ Schon die Halberstädter Bischofswürde war Albrecht von Leo X. 1513 deshalb nur in der abgeminderten Form unter dem Titel eines Administrators verliehen worden. Gegen die Verleihung eines dritten Bistums verwahrte sich der Papst hartnäckig. Die Widerstände sollten durch eine Gesandtschaft Albrechts überwunden werden, die in Rom nachhaltig vorstellig wurde und bei einer kleinen Personengruppe aus der nächsten Umgebung des Papstes Gehör fand. Diese bestand aus dem ehemaligen Vorsteher der Dataria, Kardinal Lorenzo Pucci aus Florenz, seinem Nachfolger Silvio Passerini, einem harten Geschäftsmann und Pfründenjäger aus Cortona, und vermutlich dem Kammerkleriker und Protonotar Francesco Armellini.⁴⁵ Allesamt waren sie versierte bis ruchlose Geschäftsleute und mit dem päpstlichen Finanzsystem bestens vertraut. In ihrem Kreis entstand die Idee, die hohen Kosten, die auf Albrecht mit der Mainzer Wahl ohnehin zukamen, durch ein Ablassgeschäft zu kompensieren. Die Finanzmänner überzeugten den Papst schließlich, die in der Reformbulle vorgesehene Ausnahmeregelung zur Anwendung zu bringen und Albrecht auch noch das Mainzer Erzbistum zu bestätigen, was am 18. August 1514 tatsächlich geschah. Der Preis für diesen in den Quellen „Komposition“ genannten Dispens wurde auf 10.000 Dukaten festgelegt. Es handelte sich dabei zwar nicht, wie noch Schulte glaubte, um ein simonistisches Geschäft, sondern um eine Annuate bzw. um eine einmalige, im Voraus zu leistende Almosenzahlung, aber sie wird heute allgemein als „unehrenwerter Handel“ angesehen.⁴⁶ Hinzu kamen die regulären Kosten für den Erwerb des Palliums und für die Konfirmation, die sich nach dem Schuldschein bei der Fugger-Bank auf 21.000 Dukaten beliefen.⁴⁷ Den Fuggern war eine Gebühr in Höhe von 500 Rheinischen Florin (rh. fl.) zu zahlen. Aufgrund des festen Wechselkurses von römischen Dukaten zu Rheinischen Florin von 1: 1,4 lassen
44 Folgendes nach H. S c h rö r s, Leo X., die Mainzer Erzbischofswahl und der deutsche Ablaß für St. Peter im Jahre 1514. Ein Beitrag zu ihrer kirchengeschichtlichen und kanonistischen Würdigung, in: Zeitschrift für katholische Theologie 31 (1907), S. 267‒302. 45 S c h rö r s, Leo X. (wie Anm. 44), S. 282f. 46 A. S c h u lte, Die Fugger in Rom, Bd.1: Darstellung, Bd. 2: Urkunden, Leipzig 1904, hier Bd. 2, S. 93 –141 („Geschichte des Petersablasses“). Dagegen korrigierend: S c h r ö r s, Leo X. (wie Anm. 44), und P. Fab i s c h / E. I s e r l o h, Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Teil 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517–1519), Münster 1988 (Corpus Catholicorum 41), S. 202–211. 47 S c h u lte, Fugger (wie Anm. 46), Bd. 2, Dok. 54, S. 93f.
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sich die Beträge genau umrechnen. Die Summe, die Erzbischof Albrecht an die Kurie zu zahlen hatte, betrug 43.900 rh. fl. oder 31.375 römische Dukaten. Dieser Betrag alleine hätte gemessen an den durchschnittlichen Bauausgaben von 11.681 Golddukaten unter Julius II. rechnerisch ausgereicht, die Bauarbeiten der Peterskirche für etwa drei Jahre weiter zu finanzieren. Hinzu kamen die päpstlichen Sekundäreinnahmen durch den Ablass, welche für die übrigen Diözesen und Länder bereits ausgestellt waren oder neu in Kraft gesetzt wurden. Für Albrecht war das Ablassgeschäft aber etwas komplizierter. Zuerst mussten vom Bruttobetrag der eingesammelten Gelder die schwer zu schätzenden Kosten für die Ablassprediger und für die Ablassfinanzverwaltung durch die Fugger abgezogen werden. Die restliche Summe konnte er teilen, da dem Papst nur die Hälfte der Ablassgelder zustand. Rechnerisch musste der Mainzer also ohnehin den doppelten Betrag der beim Papst verbuchten Schuldenlast einnehmen, also 87.800 rh. fl. Weitere Kosten entstanden durch die Mainzer Gesandtschaft, die sich lange in Rom aufhielt und dafür über 800 rh. fl. (ca. 570 Dukaten) verbrauchte.⁴⁸ Außerdem versuchte der Kaiser sich schadlos zu halten, indem er den vom Papst eigentlich für acht Jahre ausgestellten Ablass zwar nur für drei Jahre bestätigte, sich dies aber mit 1.000 rh. fl. jährlich zugunsten des Baus der Jakobskirche neben der Innsbrucker Hofburg vergüten ließ. Als sich Albrecht schließlich 1517 entschloss, die Ablassbulle „Sacrosanctis“ zu publizieren, um mit der Geldschöpfung zu beginnen, musste er rechnerisch eine Summe von deutlich mehr als 91.600 rh. fl. (65.429 Dukaten) generieren, um alle Verpflichtungen zu bedienen.⁴⁹ Der mit dem Papst eigentlich ausgehandelte zeitliche Spielraum von acht Jahren wurde durch den Kaiser allerdings auf drei Jahre reduziert und damit empfindlich eingeschränkt. Das erzeugte einen nicht vorhergesehenen großen Beschleunigungsdruck bei der Geldschöpfung. Albrecht forcierte deshalb den Ablasshandel stark und setzte den in der Praxis bewährten, als Person jedoch umstrittenen Dominikanerprior Johann Tetzel als Generalsubkommissar zur Durchführung des Ablassgeschäftes ein, der mit dem ihm zugeschriebenen Diktum „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ berühmt-berüchtigt geworden ist. Luther stieß sich an solchen unseriösen und drückenden Praktiken sehr. Ihm wurde jedoch nicht klar, dass der Ablass ein komplexes Finanzprodukt war,
48 Errechnet nach den Angaben bei S c h u lte Fugger, (wie Anm. 46), Bd. 1, S. 141. 49 Ausführlich zur Bulle und ihrer Vorgeschichte: Fa b i s c h / I s e r l o h, Dokumente (wie Anm. 46), S. 201–224. Unzuverlässig sind die Angaben zur Gesamtsumme bei R o e sge n, Kardinal Albrecht von Brandenburg (wie Anm. 43), S. 28f., 32, da nicht sauber zwischen Rheinischen Gulden bzw. Florin und römischen Dukaten unterschieden wird. Irreführend die Behauptung ebendort, dass der Kredit (in Höhe von 30.000 Gulden), den die Fugger für Albrecht zur Bezahlung des Dispenses zur Verfügung stellten, durch die angeblich „ungeheuerliche Bedingung“ des Papst mutwillig auf das Doppelte heraufgesetzt worden sei. Bei Roesgen scheint ein Missverständnis der Ablasspraktiken vorzuliegen. Tatsächlich gewährte der Papst dem Mainzer eine Einnahmemöglichkeit, von der ihm selbst für den Bau der Peterskirche nur die Hälfte zustand.
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bei dem die Errichtung der neuen Peterskirche nur den offiziell verlautbarten, weil vermeintlich nicht anstößig wirkenden Vorwand abgab. Auch wenn das Ziel Albrechts, über den Mainz-magdeburgischen Ablass über 90.000 rh. fl. einzunehmen, als außerordentlich ambitioniert angesehen werden muss, so nimmt sich die Summe doch vergleichsweise gering aus, wenn man die Gesamtschulden des Mainzer Bistums in Höhe von 1.200.000 rh. fl. (857.143 Dukaten) betrachtet, die Albrecht bei seiner Amtsannahme vorgefunden hatte; gering auch im Vergleich zur Summe von 420.000 rh. fl. (300.000 Dukaten), die Kaiser Maximilian in einem Anflug von abenteuerlicher Selbstüberschätzung bereit war, 1511 als Risikokapital einzusetzen, um sich die Papstwürde zu erkaufen!⁵⁰ Gering schließlich auch im Vergleich zu den auf der Fuggerbank deponierten 543.000 rh. fl., die nach dem Tod Maximilians die Kaiserwahl zugunsten Karls V. zum Ausschlag brachten.⁵¹ Die finanziellen Mittel, die schon unter Julius II. durch den Ablasshandel generiert wurden und nach Rom gelangten, flossen der Petersbauhütte indirekt über die Apostolische Kammer zu. Julius II. hatte aber vakante Pfründe auch direkt der Petersbauhütte übertragen, um ihr sogar schon vor Baubeginn ohne Umwege und ohne Verluste Geldmittel zuzuführen.⁵² Direkte Geldspendenaufrufe für die Erneuerung der Kirche ergingen ebenfalls. So wandte sich der Papst am symbolträchtigen Dreikönigstag des Jahres 1506 an König Heinrich VII. von England sowie an 19 anglikanische Bischöfe und Adlige mit der Bitte um Unterstützung. Vierzig ähnlich lautende Spendenaufrufe wurden am Tag der Grundsteinlegung spediert. Im Februar 1507 veröffentlichte Julius für Direktspenden, die aus Frömmigkeit in eine in der Peterskirche aufgestellte Opferkassette geleistet wurden, Sündenablass, sodass auch die stadtrömische Bevölkerung und natürlich die Rompilger daran partizipieren konnten. Ab April 1507 mussten alle kirchlichen Besitzungen einen Zehnten abliefern, von dem zumindest ein Teil in die Erneuerung der Basilika floss, und sogar die Kurienschreiber wurden mit konkreten Abgabeforderungen in Höhe von 7.000 Golddukaten zur Kasse gebeten. 1509 wurde eine 4-prozentige Sondersteuer für alle der Kirche unterstellten Institutionen eingeführt. Ablassbriefe für Ungarn und Böhmen, ebenso wie für die citramontanen Ordensprovinzen der Franziskaner sowie für die ultramontanen Provinzen in Spanien, der Bretagne, England und Savoyen wurden ausgestellt, um Mittel einzuwerben. Gelegentlich kam es auch zu Warentauschgeschäften: So sandte man im Jahre 1511 Heinrich VIII., König von England, eine Galeere mit Parmesankäse, Wein und Alaun, für die man eine im Wert entsprechende Lieferung von Zinn für die Bedachung der Peterskirche erwartete. Aus all diesen Einzelheiten wird ersichtlich, dass sich der Neubau der Peterskirche auf eine variantenreiche Mischfinanzierung
50 W. B o e h m, Hat Kaiser Maximilian I. im Jahre 1511 Papst werden wollen? Berlin 1873; S c h u l t e, Fugger (wie Anm. 46), S. 99. 51 S c h u lte, Fugger (wie Anm. 46), S. 247. 52 Das Folgende nach Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5).
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stützte, an der das ganze christliche Europa mit Ausnahme der Orthodoxen teilnahm. Doch lässt sich nicht sagen, wie hoch die Summe insgesamt war, die durch die verschiedenen Formen der Geldeinwerbung zusammenkam; und vor allem ist unklar, welcher Teil davon dem Bau der Peterskirche tatsächlich zugeflossen ist. Auch die vielen anderen Bauunternehmungen, die Julius eingeleitet hatte, mussten ja finanziert werden, wie auch die Kriege, die der Papst zur Konsolidierung des Kirchenstaates nolens volens zu führen hatte, Unsummen verschlangen. Unter Leo X. kamen durch den verstärkten Ablasshandel wahrscheinlich wesentlich mehr Gelder zusammen, aber auch diese flossen nicht unbedingt der Bauhütte zu. Die Finanzmittel aus der „Komposition“ Albrechts von Brandenburg gelangten, wie wir wissen, jedenfalls in die Privatschatulle des Papstes.
3 Baukritik Wie gesagt, wusste Luther über die Einzelheiten der Baufinanzierung und vor allem über die finanztechnischen Hintergründe des Ablasshandels, von dem zuallererst Albrecht von Brandenburg profitierte, nach eigener Aussage nicht Bescheid, als er 1517 in Wittenberg die sogenannten Thesen unter dem Titel „Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum“ formuliert hatte. Darin stilisierte er in den Thesen 50, 51 und 86 die römische Peterskirche zum alleinigen Ziel und Zweck der Ablassgelder, obwohl ihm natürlich bekannt war, dass der Ablasshandel ein grundsätzliches und althergebrachtes Finanzinstrument war und auch die Errichtung zahlloser Kirchenbauten in Deutschland darauf beruhten. Im konkreten Fall konnte er sich auf die kursierenden Ablassbriefe berufen, darunter die umfangreichere, für die sächsischen und thüringischen Gebiete ausgestellte „Instructio summaria“, die nicht nur vollen Sündennachlass für die Lebenden und für die Seelen im Fegefeuer versprachen, eine Beichtbriefvollmacht käuflich machten und obendrein ewige Teilhabe an allen Gütern der Kirche (insbesondere an Fürbitten, Gebeten und Wallfahrten) in Aussicht stellten, sondern dass als einziges Ziel der finanziellen Einnahmen die Unterstützung der im Bau befindlichen Peterskirche angeführt war.⁵³ Da Luther in seinen Thesen den Neubau angriff, geriet die Peterskirche anstelle der Finanzspekulationen des Erzbischofs Albrecht ins Zentrum der Diskussion. Luther formulierte seine Kritik allerdings auf ironisch-polemische Weise, wie die Passagen, in denen die Petersbasilika genannt wird, zu erkennen geben: Natürlich glaubte Luther nicht ernsthaft, der Papst würde die Peterskirche aus seiner Privatschatulle finanzieren (können), wenn jener nur über die verwerflichen
53 Text der „Instructio“ in: W. Kö h l e r, Dokumente zum Ablassstreit von 1517, Tübingen 1934, S. 104‒116, und in: Fab i s c h / I s e r l o h, Dokumente (wie Anm. 46), Bd. 1, S. 256‒293.
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Praktiken des Ablasshandels in den deutschen Bistümern Bescheid wisse. Es klingt fast so, als griffe er mit diesen Formulierungen beschwichtigend vorgebrachte Argumente der Rechtfertiger des Ablasshandels ironisch auf. Von der konkreten Form und Größe des Kirchenbaus ist in den Thesen jedoch nicht die Rede. Erst 1538 sollte Luther in einer seiner Tischreden die Peterskirche, das Ulmer Münster und den Kölner Dom wegen ihrer Größe als ungeeignet für den Wortgottesdienst bemängeln, ohne jedoch diesmal ethisch-moralische Argumente gegen die Baukosten ins Feld zu führen.⁵⁴ Abgesehen von den ironischen Spitzen gegen den regierenden Papst Leo X. unterscheidet sich die Kritik – isoliert betrachtet – kaum von jenen Polemiken, die seit dem Mittelalter immer wieder an hohen Bauausgaben oder an der Baufinanzierung durch Ablässe geäußert worden waren.⁵⁵ Möglicherweise knüpft Luther sogar an Klagen und Diskussionen an, die in Rom bereits während seines Aufenthaltes virulent gewesen sind. Viele Kardinäle sowie Menschen aus allen Schichten hätten den Neubau missbilligt, berichtet, allerdings aus großer zeitlicher Distanz, der ebenfalls dem Augustinerorden angehörige Onofrio Panvinio.⁵⁶ Doch muss es eine starke Ablehnung des Neubauprojektes von Anfang an gegeben haben, da der apostolische Protonotar Paolo Cortesi schon in seinem von 1510 stammenden Traktat „De Cardinalatu“ auf sie reagierte.⁵⁷ Hier, wie auch bei Panvinio, steht aber vor allem der Verlust der altehrwürdigen Monumente im Vordergrund der Kritik und damit das Grundproblem von ‚Neu‘ versus ‚Alt‘.⁵⁸ Umso interessanter ist zu erfahren, dass Luthers Ordensgeneral, Egidio da Viterbo, von Anfang an vehement für den Neubau eintrat und schon 1507 in einer Predigt verkündete, dass man bereits an der Größe der Fundamente sehe, „dass hier der größte, aufwendigste, spektakulärste und überhaupt bewundernswürdigste Tempel der Welt entstehe“ und dass er das Bauwerk zum Garanten für den Ruhm
54 „Nachher wurden große Kirchen erwähnt, welche zur Predigt ungeeignet wären. Denn Köln hätte eine so große Kirche, da vier Reihen Pfeiler stünden, auf jeder Reihe zwanzig Pfeiler. Es sind ungewöhnliche Gebäude, sie sind nicht geeignet, die Predigten zu verstehen. Feine mäßige Kirchen mit niedrigen Gewölben sind die besten für die Prediger und für die Zuhörer. Denn der Endzweck der Kirchen ist nicht das Brüllen und Schreien der Chorsänger, sondern das Wort Gottes und seine Predigt. St. Peters Münster zu Rom, die Kirchen zu Köln und Ulm sind sehr groß und unzweckmäßig.“ Aus: Martin Lu t h e r, Kirche und Gemeinde, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921 (= WA.TR), hier Bd. 3, S. 611, Nr. 3781. Vgl. A l a n d, Luther deutsch (wie Anm. 8), Bd. 9, S. 163f. 55 Beispiele hierfür bei G ü n t h e r, Peterskirche (wie Anm. 13), S. 67‒112, insbes. S. 69‒75, 99‒101. 56 O n o f r i o P a nv i n i o, De rebus antiquis memorabilibus basilicae sancti Petri apostolorum principis vaticanae libri VII, Bibl. Vaticana, Ms Arch. Capit. S. Pietro in Vat., Cod. G 10, Passus transkribiert bei: Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 91, Dok. 9. 57 Zum Traktat: E. G u e r r a, Il ‚De Cardinalatu‘ di Paolo Cortesi, in: A. C a g n o l a t i (Hg.), La formazione delle élites in Europa dal Rinascimento alla Restaurazione, Roma 2011, S. 85‒98. Zur Kritik am Neubau: G ü n t h e r, Peterskirche (wie Anm. 13), S. 89. 58 Die Zerstörung der alten Basilika durch Papst Julius beklagt Cortesi in § 18 der „Instructio“ sogar selbst.
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seines Bauherrn Papst Julius erklärte.⁵⁹ Gewichtige Stimmen gerade aus dem Kreis der Augustiner standen dem Neubau also positiv gegenüber. Jedoch gerade für diesen Aspekt, nämlich die für das Renaissancepapsttum so charakteristische Verknüpfung von Magnifizenz, Baulust sowie persönlichem Ruhm und persönlicher Frömmigkeit, konnte Luther aufgrund seiner spezifischen religiösen Prägung und seiner kulturellen Herkunft am wenigsten Verständnis aufbringen. Auch verfing die Vorstellung, die von der ganzen Christenheit finanzierte Peterskirche gehöre der ganzen Christenheit, bei Luther nicht. Stattdessen verkündete er mit nationalem Stolz 1518: „Unsere Kirchen sind uns nützlicher und nötiger, denn wir können nicht alle zur Peterskirche kommen, um das Wort Gottes zu hören und die Sakramente zu empfangen, was der einzige Grund dafür ist, dass man baut. Besser wäre es, die Peterskirche würde nicht gebaut, als dass unsere Pfarrkirchen verkommen. Das passiert nämlich, wie wir sehen und beklagen, während die Subsidien von allen unseren Kirchen abgezogen werden für Ablässe zum Bau der unersättlichen Peterskirche. Über jene Argumente …, dass die Peterskirche der ganzen Christenheit gehöre, darüber lachen die Deutschen, und das mit Recht.“⁶⁰
Gelacht haben aber nicht nur die Deutschen, sondern auch die Italiener, sogar diejenigen aus dem direkten Umfeld des Papstes, Bramantes und der Bauhütte, wie eine Zeichnung, die heute in der graphischen Sammlung der Uffizien in Florenz aufbewahrt wird, belegen kann (Abb. 15). Es handelt sich um ein Blatt von der Hand des Baldassare Peruzzi.⁶¹ Aus Siena stammend, war Peruzzi seit 1503 in Rom als Maler und Architekt in den Diensten des Sieneser Bankiers Agostino Chigi tätig.⁶² Dabei interessierte er sich auch für die Planung und die Errichtung des vatikanischen Palastes und der Peterskirche, deren Entstehung er ab 1520 als „zweiter Architekt“ („architetto coadiutore“) begleitete und die er ab 1534 zusammen mit Antonio da Sangallo d. J. selbst leitete.⁶³ Peruzzi kopierte, wie die Beischrift oben rechts angibt („disegno p san po di roma secondo / l’oppenione di M Anto dela / valle computista di palazo“), den Grundrissentwurf des Antonio della Valle, seines Zeichens Vermessungsingenieur des Vatikanpalastes. Das verloren gegangene Original ist in die Zeit um 1513/14, also bald nach Luthers Rombesuch, zu datieren. Peruzzis Kopie könnte dagegen auch später, um 1520 entstanden sein, als er, nach Raffaels
59 Fro m m e l, Peterskirche (wie Anm. 5), S. 103 Nr. 103. 60 Ad dialogum Silvestri Pieratis de potestate papae responsio, in: WA 1, S. 644–686, Zitat S. 678. Zu den antirömischen Tendenzen deutscher Humanisten vgl. H. R i e s s, Motive des patriotischen Stolzes bei den deutschen Humanisten, Diss. Freiburg 1934, S. 32‒42. 61 Florenz, GDSU 10 A; H. Wu r m, Baldassare Peruzzi. Architekturzeichnungen, Tübingen 1984, S. 111. 62 C. L. Fro m m e l, Baldassare Peruzzi als Maler und Zeichner, Wien 1967/68. 63 H. W. Hu b e r t, Baldassare Peruzzi und der Neubau der Peterskirche in Rom, in: C. L. Fr o m m e l / A. B r u s c h i / H. B u r n s / F. P. Fi o re / P. N. P agl i a r a (Hg.), Baldassare Peruzzi 1481‒1536, Venezia 2005, S. 371‒409 (S. 371‒374).
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Abb. 15: Baldassare Peruzzi, Phantasiegrundriss als gezeichnete Parodie auf die Planungsgeschichte der Peterskirche; um 1520 als Kopie einer Zeichnung aus der Zeit um 1514 entstanden.
überraschendem Tod, von Leo X. in eine verantwortliche Architektenposition berufen worden war und sich mit der nun schon gut eineinhalb Dezennien andauernden Planungsgeschichte der Kirche auseinander zu setzen hatte.⁶⁴ Hierbei scheint ihm die graphische Persiflage auf die Planungen besonders gefallen und zur Nachzeichnung bewogen zu haben. Der mutmaßliche Urheber des Blattes, der nicht weiter bekannte Bautechniker Antonio della Valle, imaginierte sich den Neubau auf einem riesigen sechseckigen Plateau stehend, welches die realen topographischen Verhältnisse des vatikanischen Hügels ebenso negiert wie die dort befindliche Papstresidenz. In ein
64 Zu dem Blatt vgl. Hu b e r t, Peruzzi (wie Anm. 64), S. 407‒409; d e r s ., Fantasticare col disegno, in: S a t z i nge r / S c h ü t z e (Hg.), Sankt Peter (wie Anm. 5), S. 111‒125.
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regelmäßiges Sechseck ist der Grundriss der Peterskirche eingetragen. Man erkennt im schematischen Umriss das schon angesprochene Ausführungsprojekt Bramantes mit einer Länge von drei Jochen, der Hauptkuppel und dem über den alten Fundamenten errichteten Juliuschor im Westen. Auch die unter Leo X. hinzugefügten Querarmumgänge sind eingezeichnet. Die als Konstruktionslinien gezogenen Diagonalen durchkreuzen im Zentrum des Blattes einen Punkt, der in der Mittelachse auf der Eingangsflucht der Kirche liegt. Dies ist insofern eine neuralgische Stelle, als man Bramante seinerzeit den Vorwurf machte, er habe vor seinem Tod niemandem die Position der Kirchenfassade und die Lage des Hauptportals verraten. An der Eingangsseite schließt sich an das Mittelschiff ein analog zu den Querarmen gebildeter Umgang an, der von weiteren konzentrischen Halbkreisen umgeben ist, wodurch drei weitere Umgänge an der Front angedeutet werden, die in die inneren und die hinzu gezeichneten äußeren Seitenschiffe übergehen. Während die Gestaltung der Rückseite der Kirche weitgehend undefiniert bleibt, ist die Vorderseite detailliert ausgezeichnet: Die geometrischen Formen vor der stumpfwinkelig gebrochenen Front sind nicht etwa als Pavimentmusterung zu verstehen, sondern als eine monumentale Eingangshalle. Sie ist als eine Reihe von 14 kreisrunden Kuppelräumen von jeweils etwa 30 Metern Durchmesser konzipiert. Jeweils in der Mitte der drei, stumpfwinkelig aneinander gefügten Fronten springt eine dieser Kuppelhallen als Risalit hervor. Die ebenfalls kreisförmigen Vestibülräume am Übergang zwischen Vorhalle und Kircheninnerem sind mit acht megalomanen Reittreppen verzahnt. Ihre Breite von etwa 7–8 Metern hätte sogar auf bequeme Weise Gegenverkehr in Form von Sänften, von Pferden, ja sogar von zweispurigen Karren erlauben. Besonders amüsant ist der Versuch, sich die phantastische Architektur im Geiste in der dritten Dimension weiterzudenken, denn er offenbart den absurden Charakter der ganzen Darstellung. Genau darin liegt aber der Witz der Zeichnung, die sich einer echten baulichen Logik versperrt und sich stattdessen die wechselhafte Planungs- und Baugeschichte der Peterskirche aufs Korn nimmt. Offenbar hatte sich in bestimmten römischen Kreisen eine kritisch spöttische Haltung gegenüber dem ‚Großbauprojekt Peterskirche‘ ausgebildet, denn das Bauunternehmen hatte seit der Planung zahlreiche Probleme aufgeworfen, massive Bauschäden in Gestalt von Rissen in den Wölbungen waren bereits sichtbar geworden, und dann setzte mit dem Pontifikatswechsel zu Leo X. auch noch eine weitreichende Neuplanung ein. Wohl aus diesem Grund wird Bramantes sogenannter Ausführungsplan in alle Richtungen sinnlos weitergezeichnet. Dabei dominieren offenkundig karikierende Elemente. Man fühlt sich unweigerlich an die 1517 in Mailand gedruckte satirische Schrift „Simia“ (ital.: Scimmia = Affe) des Andrea Guarna da Salerno erinnert, der die römische Situation des Jahres 1514 persifliert.⁶⁵ Protagonist dieses an Lukian orientierten Dia-
65 Texteditionen: Andrea G u a r n a Salernitano, Simia. Introduzione, testo, traduzione e note, hg. von B. Pe l l e g r i n o, Salerno 2001; Andrea G u a r n a Salernitano, Simia. Edizione anastatica, hg. von
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loges, der obendrein überraschende Analogien zu „Iulius exclusus e coelis“ von Erasmus von Rotterdam aufweist, ist Bramante, der, soeben verstorben, ungeduldig an der Himmelspforte Einlass begehrt, wo ihn der heilige Petrus wegen der mutwilligen Zerstörung seiner schönen alten Kirche erbost zur Rede stellt. Im Verlauf des komisch-absurden Dialoges schlägt Bramante vor, die steile und nur mühsam zu erklimmende Himmelstreppe durch eine breite Spiralrampe zu ersetzen, sodass man bequem mit dem Pferd zur Paradiespforte hinauf reiten könne; überdies wolle er das gesamte Reich der Seligen abreißen, um es schöner und annehmlicher wieder aufzubauen.⁶⁶ Der Passus spielt offenkundig auf die vielen Reittreppen an, die Bramante für Papst Julius II. im Vatikan (insbesondere die zum Statuenhof am Cortile del Belvedere führende Spiraltreppe) und anderswo tatsächlich errichtet hat.⁶⁷ Aber auch unser Zeichner spielt mit diesem Element und setzt genau solche Spiraltreppen an das Atrium der Kirche (das man auch Paradies nennt), wo sie sinnwidrig hinauf führen in ein ‚himmlisches Nichts‘. Im Ganzen offenbart sich die Zeichnung also als eine humorvolle, anspielungsreiche Parodie auf die wechselvolle Planungs- und Entstehungsgeschichte der Peterskirche, wie sie Bramante, dem man den Beinamen rovinante (Zerstörer) verpasste, zu verantworten hatte. Und wer weiß: Hätte Luther diese gezeichnete Persiflage auf die Peterskirche vor Augen gehabt, so hätte vielleicht auch er, trotz seines tief fundierten religiösen Anliegens und trotz seines kritischen Verhältnisses zu Großbauten und deren Finanzierung, darüber amüsiert lachen können?
4 Zusammenfassung Der Beitrag beschreibt anhand der gezeichneten Veduten des frühen 16. Jahrhunderts und aufgrund der Bauabrechnungen den Zustand des 1506 von Julius II. und seinem Architekten Bramante begonnenen Neubaus der Peterskirche und erläutert, was Martin Luther 1511/12 bei seinem Rombesuch gesehen haben kann und wie er dies möglicherweise wahrgenommen hat. Die Bauorganisation und die Finanzierung der Peterskirche sowie der damit verbundene Ablasshandel werden behandelt. Luthers Ablass-Kritik wird in die zeitgenössischen Auseinandersetzungen um die Peterskirche eingebettet und in Verbindung zu einer graphischen Persiflage auf die Planungsgeschichte der Peterskirche gebracht.
G. Ni co d e m i, Milano 1943; Andrea G u a r n a Salernitano, Simia. Edizione con testo emendato da G. B a t t i s t i, introduzione e traduzione di E. B a t t i s t i, Roma 1970. Außerdem: F. P a t e t t a, La figura del Bramante nel ‚Simia‘ d’Andrea Guarna, Accademia Nazionale dei Lincei, Roma 1943. 66 G u a r n a, Simia, hg. von Pe l l e g r i n o (wie Anm. 66), Introduzione S. 142‒145. 67 C. D e n ke r N e s s e l r a t h, Bramante’s spiral staircase, Vatican City State 1996.
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Abbildungsnachweise Abb. 1:
Città del Vaticano, BAV, Coll. Ashby, Nr. 329, repr. aus: M. C. Ca r l o -S t e l l a (Hg.), Petros Eni – Pietro è qui, Catalogo della mostra, Città del Vaticano, Braccio di Carlo Magno, 11 ottobre 2006–8 marzo 2007, Monterotondo 2006, Kat. Nr. II. 37. Abb. 2: Wien, Graphische Sammlung, Albertina, Inv. Nr. 3168. Abb. 3, 5, 6, 12: Hans W. Hubert, Photoarchiv. Abb. 4, 8: Berlin, Kupferstichkabinett, Heemskerck-Skizzenbuch, fol. II, 52r u. fol. I, 15r, repr. aus: Egge r, Die Römischen Skizzenbücher (wie Anm. 6), Bd. Tafeln, Teil: Tafeln zum zweiten Band, S. 69; Tafeln zum ersten Band, S. 16. Abb. 7: repr. aus: N i e b a um, Baugeschichte (wie Anm. 5), S. 73, Abb. 24. Abb. 9: Stockholm, Staatliches Kunstmuseum, Coll. Anckarvaerd, n. 637. Abb. 10: Città del Vaticano, Musei Vaticani, Sala di Costantino. Abb. 11: Città del Vatikano, BAV, Archivio del Capitolo di San Pietro, Inv. Nr. Cap. S. Pietro A 64ter, fol. 50, repr. aus: S. Waetzold, Die Kopien des 17. Jahrhunderts nach Mosaiken und Wandmalereien in Rom, Wien 1964 (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 18), Kat. Nr. 943 (Ausschnitt). Abb. 13: in: A. B r u s c h i, Problemi del San Pietro bramantesco. „… admodum surgebat non inopia pecuniae sed cunctatione Bramantis architecti …“, in: C. Te s sa r i (Hg.), San Pietro che non c’è da Bramante a Sangallo il Giovane, Milano 1996, S. 119–148, hier S. 132. Abb. 14, 15: Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi (GDSU), Uff. 4 Av u. 5 Ar sowie Uff. 10 A.
Pier Nicola Pagliara
Rom in den Jahren 1510/11 Abriss und Aufbau Als Martin Luther nach Rom kam, präsentierte sich die Stadt in einem Zustand des Zerfalls und des Aufbruchs zugleich. Während die imposanten Ruinen die Größe des alten Rom bezeugten, verrieten die im Bau begriffenen Gebäude das Bestreben, die einstige Stadt wieder auferstehen zu lassen, auch wenn dabei Sakralbauten aus den ersten Jahrhunderten der Christenheit zwecks Erneuerung abgerissen wurden (Abb. 1 und 2).¹ Es fragt sich nun, welches wohl die Eindrücke Luthers angesichts dieser gegensätzlichen Gesichter der Stadt waren und welche Vorstellung er sich von der Art und Weise machte, in der Julius II. seine weltliche Herrschaft auch durch Werke stärken wollte, „quae ad utilitatem publicam et ornatum urbis pertinent“, wie Francesco Albertini in seinen „Mirabilia urbis“ (1509/10) schrieb.² Die zahlreichen Studien zur Romreise des Augustinermönchs lassen nicht nur der Diskussion über den Zweck der Reise und deren Datierung breiten Raum,³ sondern setzen sich auch eingehend Übersetzung aus dem Italienischen: Eva Wiesmann. 1 S. B. B u t te r s / P. N. P agl i a r a, Il palazzo dei Tribunali, via Giulia e la Giustizia. Strategie politiche urbane di Giulio II, in: G. H aj n ó cz i /L. C s o r b a (Hg.), Il palazzo Falconieri e il palazzo Barocco a Roma. Atti del Convegno indetto dallʼAccademia dʼUngheria in Roma, Roma, 24–26 maggio 1995, Roma 2009, S. 29–279, hier S. 31. Obwohl die alte Stadt im 15. und 16. Jahrhundert oft mit einem Kadaver verglichen wurde, bot Rom in den Jahren 1510/11 nicht nur das Bild einer toten Stadt und einer Stadt der Toten, wie es in H. B ö h m e r, Luthers Romfahrt, Leipzig 1914 (Nachdr. La Vergne 2010), S. 88, gezeichnet wird. Zum Abriss von S. Lorenzo in Damaso, S. Pietro, S. Celso und S. Biagio siehe Anm. 25, 26, 34–36. 2 Francisco de A l b e r t i n i, Opusculum de Mirabilibus Novae et veteris Urbis Romae, Roma 1510 (doch Druckfreigabe datiert: „Ex urbe die III. Men [sis] Iun[ii] MDIX“). Albertini bezieht sich auf nicht genauer genannte Werke, die unter Sixtus IV. und Julius II. entstanden. 3 H. S c h n e i d e r hat in seinem Beitrag im vorliegenden Band neue Argumente für eine andere Datierung der Romreise Luthers angeführt, die ihm zufolge ein Jahr später stattfand (aufgenommen von H. S c h i l l i ng, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 32014, S. 101) und dazu dienen sollte, Staupitz’ Projekt der Vereinigung der deutschen Augustiner zu unterstützen. Zu den Beziehungen zwischen Luther und Staupitz vgl. S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 100–102. Zur Romreise Luthers vgl. ebd., S. 100–109; J. K r üge r / M. Wa l l r a f f, Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance, Mainz 22015; V. Le p p i n, Martin Luther, Darmstadt 2010, S. 57–61; R. We j e n b o rg, Neu entdeckte Dokumente im Zusammenhang mit Luthers Romreise, in: Antonianum 33 (1957), S. 147 –202; B ö h m e r, Luthers Romfahrt (wie Anm. 1), S. 76–159, auf S. 8, wird das Datum ausgehend von den Worten Luthers diskutiert und vom Zeitraum 1510/11 ausgegangen; A. H au s r a t h, Martin Luthers Romfahrt, Berlin 1894; L. P a s to r, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde., Freiburg i. Br. 1955–1961, hier Bd. 3, S. 696; d e r s., Storia dei papi dalla fine del medioevo, Traduzione di A. M e rc a t i, 16 Bde., Roma 1950–1963, hier Bd. 3, S. 677. DOI 10.1515/9783110316117-024
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Abb. 1: Maarten van Heemkerck, Blick von Osten auf die im Bau begriffene Peterskirche. Im Vordergrund der Baustelle die Überreste der alten Basilika (ca. 1535). Bis auf die Gewölbe, die damals noch fehlten, präsentierte sie sich Luther zu Zeiten seines Rombesuchs in etwa so.
mit der Frage auseinander, was Luther von der Stadt des Papstes gesehen haben mochte.⁴ Im Folgenden sollen die Orte und die Bauwerke einer näheren Betrachtung unterzogen werden, auf die Luther, auch ohne sie eigens aufzusuchen, leicht auf seinen Pilgerwegen durch die Stadt stoßen konnte, auf denen er unabhängig von
4 A. E s c h hat ein detailliertes Bild von der Gegend um das Marsfeld gezeichnet, die Luther gut gekannt haben musste, wenn er entweder im Konvent S. Maria del Popolo oder im Konvent S. Agostino untergebracht war (siehe den Beitrag von A. Esch in diesem Band); es kann hinzugefügt werden, dass der Augustinermönch gerade in der Nähe von S. Maria del Popolo bei einem Spaziergang durch die Weinberge der Augustiner auf dem Pincio leicht einen Blick auf zahlreiche Ruinen der alten Bauten hätte werfen können, die damals gut zu sehen waren: H. B r o i s e / V. Jo l ive t, Villa Medicis. L’Antiquité, in: A. C h a s tel / P. M o re l (Hg.), La Villa Medicis, Bd. 2: Etudes, Rome 1991, S. 9–40; I. C a m p b e l l / A. N e s s e l r a t h, Templum Solis, Templum Fortunae, Templum Neptuni, in: ebd., S. 41 –53; F. E. Ke l l e r, Une villa de la Renaissance sur le site d’une villa antique, in: ebd., S. 64–73.
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Abb. 2: Maarten van Heemkerck, Blick von Norden auf die im Bau begriffene Peterskirche. Links die Überreste der alten Basilika, ca. 1535.
dem umstrittenen Grund für seine Reise zweifelsohne wandelte.⁵ Im Vordergrund der Betrachtung stehen dabei die Gebäude, denen seine besondere Aufmerksamkeit gegolten haben mochte und die vermutlich zu dem Urteil beitrugen, das er sich über die römische Kirche und die Person Julius’ II. bildete.⁶ Obwohl die wenigen schriftlichen Quellen zu seinem Besuch Erinnerungen sind, die von Luther in den darauffolgen-
5 S c h n e i d e r, Martin Luther (wie Anm. 3); Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 58; d e r s . in diesem Band. 6 Die Bauten wurden umfassend von den bedeutendsten Wissenschaftlern untersucht, die sich mit dem römischen 16. Jahrhundert befassen. Mir geht es diesbezüglich um zweierlei: Zum einen will ich den Zustand beschreiben, in dem sie sich vor den Augen Luthers befunden haben mochten, zum anderen will ich Vermutungen darüber anstellen, was ihm ihr Anblick wohl über die Handlungsweise und die Einstellung Julius’ II. und der Kurie verraten hat.
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den Jahrzehnten niedergelegt wurden⁷ und folglich eine im Vergleich zur Zeit seiner Reise geänderte Haltung zum Ausdruck bringen,⁸ blieben die zu einer späteren Zeit reflektierten Erfahrungen und die damals erlangten Kenntnisse⁹ grundlegend und trugen zur Entstehung seiner späteren, radikal kritischen Einstellung gegenüber der Kirche des Papstes bei. Luther muss sich zunächst einmal über die – im Verhältnis zur flächenmäßigen Ausdehnung der Stadt und zu ihren damals 50.000 Einwohnern¹⁰ – große Zahl der römischen Palazzi gewundert haben, und es muss ihm aufgefallen sein, dass es sich dabei meistens um Residenzen von Kardinälen handelte.¹¹ Diese standen im Allgemeinen neben den alten Basiliken, die von den Pilgern aufgesucht wurden und deren Titulare die Kardinäle waren, weshalb Luther von diesen Palästen sehr wahrscheinlich mehrere zu sehen bekam. Die zwischen dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert von Kardinälen jeder Provenienz und nicht nur von solchen aus den Familien des römischen baronalen Adels errichteten oder umgebauten Residenzen¹² machten drei Viertel der ‚modernen‘ domus aus, die von Albertini (1509/10) aufgezählt wurden,¹³ der den Ausdruck palatia den zeitgenössischen päpstlichen Bauwerken vorbehielt. Erst in den Jahren darauf kam eine nennenswerte Zahl von zuvor eher seltenen Residenzen dazu, in denen die Mitglieder anderer Schichten der Bevölkerung lebten.¹⁴
7 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 104. 8 Ebd., S. 104; Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 59ff. 9 Siehe Anm. 3 und den Beitrag von A. N e s s e l r a t h in diesem Band. 10 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 103 und Anm. 59, zitiert R. M o l s, Die Bevölkerung Europas 1500–1700, in: C. M. C i p o l l a (Hg.), The Fontana Economic History of Europe, Bd. 2: The Sixteenth and Seventeenth Centuries, New York 1974, S. 5–49. B ö h m e r, Romreise (wie Anm. 1), geht dagegen von 40.000 Einwohnern aus. 11 B ö h m e r, Romreise (wie Anm. 1), S. 8, schreibt zur Abwesenheit des Papstes und seines Hofs während des Aufenthalts Luthers in der Stadt: „Rom war immer nichts ohne den Papst und die Kardinäle“. 12 Bereits im Mittelalter machten die Residenzen der Kardinäle den größten Teil der römischen Palazzi aus: A. M o n c i a t ti (Hg.), Domus et splendida palatia. Residenze papali e cardinalizie a Roma tra XII e XV secolo, Pisa 2004 (Seminari e convegni 1), und v. a. S. C a r o c c i, Insediamento aristocratico e residenze cardinalizie a Roma fra XII e XIV secolo, in: ebd., S. 17–28. 13 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), beschreibt gleich im Anschluss an die päpstlichen palatia, die (wie der Palazzo Venezia) zum Teil begonnen worden waren oder später von Kardinälen umgebaut wurden (fol. Y r–Yii v), in groben Zügen mehr als vierzig davon unter der Überschrift „de domibus cardinalium“ (fol. Yii v–Yb v), darunter dreißig Residenzen von Kardinälen und sonstigen Klerikern und zehn Wohnsitze von Laien, erwähnt aber auf den folgenden Seiten noch andere Palazzi von Kardinälen oder sonstigen hohen kirchlichen Würdenträgern zusammen mit Palazzi von Laien. 14 Zu den Residenzen der Kleriker mittleren Rangs gehören Palazzo Branconio und Palazzo Regis, vgl. C. L. Fro m m e l, Der Römische Palastbau der Hochrenaissance, 3 Bde., Tübingen 1973 (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 21), hier Bd. 2, S. 18, 274; zu den Residenzen der Bankiers sind Palazzo Gaddi, Palazzo Strozzi und Palazzo Chigi zu zählen, vgl. ebd., S. 202ff., 163ff.; unter den Residenzen der römischen Gentiluomini befinden sich Palazzo Pichi, Palazzo Alberini und Palazzo Caffarelli, ebd., S. 7, 57, 257; als Residenzen von Vertretern des Bürgertums schließlich werden der Palazzo
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Abb. 3: Der Palast Nikolaus’ V. im Hintergrund eines Gemäldes von Davide Ghirlandaio, „Porträt einer jungen Frau“, Detailansicht (vormals New York, Payson Collection).
Die Überzahl von Wohnsitzen der hohen kirchlichen Würdenträger brachte eine Vorstellung zum Ausdruck, die Biondo Flavio ein halbes Jahrhundert vorher geäußert hatte, als er die Kardinäle aus den entlegensten Regionen der Christenheit mit den
des Rechtsanwalts Baldassini (vgl. ebd., S. 27), die Palazzi der päpstlichen Ärzte und diejenigen von Jacopo da Brescia (ebd., S. 49) und Ferdinando Balami (Fro m m e l, Palastbau [wie Anm. 14], Bd. 1, S. 21, und d e r s., Il progetto di Sangallo per piazza Nicosia e una torre di Raffaello, in: Strenna dei Romanisti 63 [2012], S. 265–293, hier S. 268, 274, 278) genannt. Des Weiteren wird noch auf die Wohnsitze von Architekten wie das Haus Raphaels (Fro m m e l, Palastbau [wie Anm. 14], Bd. 2, S. 263–269), das von Sangallo in der Via Giulia (ebd., S. 315ff.) und den Palazzo Sacchetti (ebd., S. 299f.) eingegangen.
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Abb. 4: Palast Nikolaus’ V. im Vatikan, Detail von dem Putzimitat des opus quadratum (Nachbildung des Originals).
Senatoren der Römischen Republik der Antike verglich und sie als Senatoren einer modernen Römischen Republik der Kirche bezeichnete.¹⁵ Wenn auch die Zahl und die Größe dieser Residenzen unmittelbar wahrgenommen werden konnten, so war dies nicht ebenso bei der von Albertini gerühmten Pracht hinter den Fassaden der Fall, nämlich den herrlichen Gemälden, den Sammlungen von Marmorskulpturen, den Säulenhallen und -gängen und den Gärten, auf die der Autor besonders eingeht.¹⁶ Der Reichtum, durch den sich die Bauten auszeichneten, drang in der Tat nicht so leicht nach außen. Nur wer mit den „Mirabilia“ in der Hand durch die Stadt ging und durch den Text neugierig gemacht wurde oder ein besonderes Interesse an der Kunst hatte, konnte den Drang verspüren, die Höfe und die
15 B i o n d o da Forlì, Roma trionfante, tradotto pur hora per Lucio Fauno di latino in buona lingua volgare, Venezia 1548, fol. 366v („Romae Triumphantis“ wurde in den Jahren 1457–1459 verfasst: B. N oga r a, Scritti inediti e rari di Biondo Flavio, Roma 1927, S. 242): „nel medesimo stato dunque diciamo essere hora la rep. Christiana d’oggidì; perché il Pontefice Romano rappresenta il Consolo; i Cardinali, il Senato; i Re, i prencipi …“ („im selben Zustand befindet sich heutzutage die Christenrepublik, in der der Papst der Konsul ist, die Kardinäle den Senat bilden und die Könige die Fürsten sind …“). 16 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. Yii v-Zi r.
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Abb. 5: Rom, Palast des Kardinals Domenico della Rovere in Borgo (ca. 1484).
Innenräume zu besichtigen, doch bei Luther war dies sicher nicht der Fall.¹⁷ Im Allgemeinen waren die Außenseiten mit ihren Zinnen und Türmen¹⁸ schlicht gestaltet und orientierten sich an dem Palazzo von Nikolaus V. (Abb. 3). Der Biograph dieses Papstes hatte den Papstpalast mit dem Palast des Salomon verglichen und geschrieben, er sei mit saxa quadra erbaut worden, d. h. in der Technik des opus quadratum. In Wirklichkeit aber wurde der am meisten bewunderte Mauerverband der Antike, wie auch in allen Kardinalsresidenzen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Abb. 4),¹⁹
17 K r üge r / Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 3), S. 11, zu den wichtigsten Interessen Luthers, die aus seinen Reiserinnerungen hervorgehen; vgl. B ö h m e r, Luthers Romreise (wie Anm. 1), S. 77, 87. 18 Die Türme waren bei den Kardinalsresidenzen derart üblich, dass A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. 83r, schreibt: „Nulla facio mentionem de Turribus: unaquaeque domus reveren. cardinalium turres habet“. D. R e d ig d e C a m p o s, I Palazzi Vaticani, Bologna 1967 (Roma cristiana 18), S. 46, 81 und Abb. auf S. 45, 82, erwähnt den nordöstlichen und den nordwestlichen Turm, der von dem Borgia-Papst errichtet wurde, im Bau von Nikolaus V. aber bereits vorgesehen war. 19 Der Putz, mit dem der Mauerverband des opus quadratum vorgetäuscht wurde, ist, wenngleich er mehrfach erneuert wurde, heute noch am Palazzo von Domenico Della Rovere, heute Palazzo dei Penitenzieri, zu sehen: G. Z a n d e r, L’architettura a Roma e nel Lazio, in: V. G o l z i o / G. Z a n d e r, L’arte in Roma nel secolo XV, Bologna 1968 (Storia di Roma 28), S. 26f. Das Gleiche gilt auch für die sogenannte Casa der Cavalieri di Rodi, die von Kardinal Marco Barbo erneuert wurde (C. L. Fr o m m e l, Francesco
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Abb. 6: Rom, Palast des Kardinals Raffaele Riario (seit 1489 Cancelleria Nuova).
nur durch einen entsprechend bearbeiteten schlichten Putz vorgetäuscht, hinter dem sich Mauern aus Backsteinen verbargen (Abb. 5).²⁰ Die einzige Ausnahme bildete der Palazzo del Kardinals Raffaele Riario, dessen Bau am Ende der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts in Angriff genommen wurde und mit dem Albertini bezeichnenderweise seinen Überblick über die Residenzen der Kardinäle beginnt.²¹ Der Palast, der die Via del Pellegrino säumt, lag an einer damals
del Borgo. Architekt Pius’ II. und Pauls II., in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 21 [1984], S. 157–161). 20 Giannozzo M a n e t t i, Vita di Nicolò V, hg. von A. M o d ig l i a n i, Roma 1999 (Roma nel Rinascimento inedita 22), S. 157; P. N. P agl i a r a, Costruire a Roma tra Quattrocento e Cinquecento. Note su continuità ed innovazioni, in: M. R i cc i (Hg.), Storia dell’architettura come storia delle tecniche costruttive, Venezia 2007, S. 25–74, hier S. 38f. Eine so schlichte Lösung muss nicht unbedingt finanzielle Gründe gehabt haben oder darauf zurückzuführen gewesen sein, dass man der albertianischen Schlichtheitsvorstellung Folge leiste. Es kann vielmehr auch sein, dass es in kurzer Zeit schwer war, eine in jüngerer Zeit nie gesehene Menge von Quadern behauen zu lassen. Anderer Auffassung ist C. L. Fr o m m e l, Rom, in: F. P. Fi o re (Hg.), Storia dell’architettura italiana. Bd. 2: Il Quattrocento, Milano 1998, S. 379, der auf die Bescheidenheit hinweist, die einige Bauwerke Nikolaus’ V. auszeichnet. 21 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. 80v: „… domus reverendissimi car. S. Georgii cum statuis ac picturis columnis et multis marmoribus suffulta cum ecclesia ibidem inclusa“; K r üge r / Wa l l r a f f, Luthers Rom (wie Anm. 3), S. 107–110. Zur ersten Information über den Palazzo: C. L. Fr o m m e l,
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stark frequentierten Straße, die vom Vatikan zum Kapitol führte (Abb. 6). Noch in den Jahren 1510–1512 war er der berühmteste Palazzo, und das lässt annehmen, dass auch Luther stehen blieb, um ihn zu betrachten. Das Neue an diesem Bauwerk und die Schwierigkeiten bei seiner Errichtung wurden von Raffaele Maffei im „Commentariorum urbanorum“ (1506) herausgestellt, wo der Auftraggeber gelobt und seine Kühnheit gepriesen wurden: „primus in urbe hoc tempore“, so hieß es dort, „qui aedes apud S. Laurentium corio isoecodomo sit ausus aggredi“.²² In der Tat sollte die ‚Kühnheit‘ des Kardinals, der als Erster die große Fassade seiner Residenz vollständig aus im Mauerverband des opus isodomum angeordneten Travertinsteinen²³ errichtet hatte (Abb. 7), wegen der ungemein hohen Kosten allenfalls in bescheideneren Dimensionen nachgeahmt werden.²⁴ Wie der Prunk des Palastes und die offenkundig außergewöhnlichen Kosten, die für seinen Bau aufgebracht wurden, so konnten auch die Behandlung, die ein Kleriker der angrenzenden Basilika widerfahren ließ, und die Art und Weise, in der er sie wiederaufbaute, den Augustinermönch nicht gleichgültig lassen. Raffaele Riario hatte in der Tat den Palazzo neben S. Lorenzo in Damaso 1483 als Kommende
Raffaele Riario, committente della Cancelleria, in: d e r s., Architettura e committenza da Alberti a Bramante, Firenze 2006 (Ingenium 8), S. 395–426, hier S. 401; S. Va l t i e r i, La Basilica di S. Lorenzo in Damaso nel palazzo della Cancelleria a Roma attraverso il suo archivio ritenuto scomparso con documenti inediti sulla zona circostante, Roma 1984. 22 Raphaelis Vo l a te r r a n i, Commentariorum rerum urbanorum, Romae 1506, fol. 399r. Auf die Stelle machte M. D. D av i e s, Vitruvian Studies and Archeological and Antiquarian Interest at the Court of Raffaele Riario, in: S. D a n e s i S q u a r z i n a (Hg.), Roma centro ideale della cultura dell’antico nei secoli XV e XVI. Da Martino V al Sacco di Roma 1417–1527. Convegno internazionale di studi su Umanesimo e Rinascimento, Roma, 25–30 novembre 1985, Milano 1989, S. 442–457, aufmerksam. 23 Doch sogar Kardinal Riario war darauf bedacht, die Kosten nicht allzu hoch ausfallen zu lassen. In seinem Palazzo ist in der Technik des opus isodomum in der Tat nur die wenngleich tragende und ca. eine Handbreit starke Hülle um einen Kern aus einem gleichfalls tragenden Konglomerat ausgeführt. Außerdem sind die Travertinblöcke nicht immer gleich: Oft umfasst ein Block zwei Rechtecke, wobei unter Umständen Teile von Steinen hinzugefügt wurden. Auf diese Weise konnten größere Steine aus anderen Bauten ohne Verschwendung von Baumaterial wiederverwendet werden, und gleichzeitig musste man die Seiten der aneinanderzufügenden Quader weniger stark bearbeiten. Durch falsche vertikale Fugen wurde eine Regelmäßigkeit vorgetäuscht, die in Wirklichkeit gar nicht gegeben war. Auf all diese Lösungen wurde auch schon in Bauten der römischen Antike zurückgegriffen: P agl i a r a, Costruire a Roma (wie Anm. 19), S. 44. 24 Die Fassade von Palazzo Riario wurde halb so breit im Palazzo Castellesi in Borgo nachgebaut: Fro m m e l, Palastbau (wie Anm. 14), Bd. 1, S. 94; Bd. 3, Tafel 82–84, und A. B r u s c h i, Edifici privati di Bramante a Roma. Palazzo Castellesi e palazzo Caprini, in: Palladio N. S. 2,4 (1989), S. 5–44. Beim Palazzo Alberini (Fro m m e l, Palastbau [wie Anm. 14], Bd. 3, Tafel 1,3) und in der sehr kleinen Residenz des apostolischen Schriftstellers Giovan Pietro Turci (1500) beschränkt sich das Mauerwerk aus Travertin auf das Erdgeschoss: D. S a lv i, Palazzetto Turci a Roma. Un piccolo palazzo per l’aristocrazia minore, in: Quaderni dell’Istituto di Storia dell’architettura 51 (2008), S. 35–58; C. L. Fr o m m e l, Palazzo Alberini a Roma, Roma 2010, S. 22.
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Abb. 7: Palast von Raffaele Riario, Mauerverband des opus isodomum aus Travertinsteinen (Detail).
erhalten und zu dessen Neubau die im 4. Jahrhundert gegründete Basilika zerstört.²⁵ Der Abriss war 1503 beendet und als Luther wenige Jahre später nach Rom kam, war von den Überresten der Basilika im Hof des neuen Palazzo nichts mehr zu sehen.²⁶ Bis zum Abriss der Peterskirche²⁷ (ab dem Jahr 1507) war dies das markanteste Beispiel
25 R. K r au t h e i m e r, Rom. Schicksal einer Stadt. 312–1308, München 1987, S. 297f. Im 12. Jahrhundert war die Titularkirche S. Lorenzo in Damaso die wichtigste Titularkirche in der Tiberschleife; ihr oblag die Rechtsprechung über 65 Kirchen und Kapellen, vgl. C. L. Fr o m m e l / M. P e n t r u c c i (Hg.), L’antica basilica di san Lorenzo in Damaso. Indagini archeologiche nel Palazzo della Cancelleria (1988–1993), 2 Bde., Roma 2009 (Monumenta Sanctae Sedis 5); zu den abhängigen Kirchen: M. C e cc h e l l i, Le chiese suppositae di San Lorenzo in Damaso, in: ebd., Bd. 1, S. 391–411, Abb. 1 auf S. 391; C. L. Fro m m e l, San Lorenzo in Damaso e l’attiguo palazzo cardinalizio tra il Quattrocento e il primo Cinquecento, in: ebd., Bd. 1, S. 411–430, hier S. 420, Abb. 9; R. K r au t h e i m e r, La ricostruzione della basilica damasiana nella prima metà dell’XI secolo, in: ebd., Bd. 1, S. 383–386; Fr o m m e l, Raffaele Riario (wie Anm. 21), S. 395–426; S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 106. 26 Fro m m e l, S. Lorenzo in Damaso (wie Anm. 25), S. 430. Die Kirche war zur Zeit Martins V. in einem schlechten Zustand und, wie auch der Campanile, einsturzgefährdet. 27 Das Querschiff der alten Basilika und das westliche Ende Langhauses wurden im Jahr 1507 abgerissen. Dadurch waren der Hauptaltar und die Apsis der Witterung ausgesetzt: C. L. Fr o m m e l, San Pietro da Niccolò V al modello di Sangallo, in: M. C. C a r l o S t e l l a (Hg.), Petros eni, Pietro è qui. Catalogo della mostra, Monterotondo (Roma) 2006, S. 31–39, insbes. S. 35.
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Abb. 8: Palast des Raffaele Riario, Teil der Inschrift, die sich über die gesamte Fassade erstreckt. Darunter sein Kardinalswappen.
für die Ausradierung einer jener altehrwürdigen Basiliken der Spätantike, die in Rom noch im 12.–13. Jahrhundert als Vorbild für die Sakralarchitektur gedient hatten, um eine Kontinuität mit der konstantinischen Kirche herzustellen.²⁸ Die Art und Weise, in der Riario die Basilika wiederaufgebaut und sie in jeder Hinsicht den Erfordernissen seiner monumentalen Residenz untergeordnet hat, hinter der sie von außen gar nicht mehr zu erkennen war, zeigt deutlich, welches de facto die Prioritäten eines Klerikers waren, der als Kardinalkämmerer gleich hinter dem Papst an der Spitze der römischen Kirche stand. „Ecclesia ibidem inclusa“ ist denn auch die lapidare und vielsagende Bemerkung, mit der Albertini bei der Beschreibung des Palazzo auf das Schicksal der Kirche anspielt.²⁹ Luther hatte sicher
28 K r au t h e i m e r, Rom (wie Anm. 25), S. 223–229. Andrea Fulvio bewertet in seinen Lobesversen ein Vorgehen als positiv, das meist entgegengesetzte Reaktionen auslöste (wie Anm. 34–36), und bezeichnete die alte Basilika als collabens, mit einem Wort also, das später immer wieder verwendet werden sollte, wenn es darum ging, entsprechende Projekte zu rechtfertigen: „Quem iam collabens: et squallida tota / gravique deformata situ / instaurata est denique / et omnis Prima novae cessit facies mutata locum. Auspiciis renovata tuis pater ample Raphael Dives apostolici custos sanctissime fisci“: Andrea Fu l v i o , Antiquaria urbis, Roma 1513, fol. Lii v–Lii b r. 29 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. Yii r.
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nicht den Blick für die baulichen Erfordernisse des Palazzo und konnte nicht beurteilen, inwieweit die ungewöhnlichen Lösungen für den Grundriss der neuen Kirche S. Lorenzo von der Notwendigkeit abhingen, die Mauern im Piano Nobile des darüber liegenden Palastes zu stützen, ohne deren optimale Anordnung zu beeinträchtigen, doch war für jedermann ersichtlich, wie wenig Licht aus diesem Grund ins Innere der Kirche gelangte, die hinter der Fassade des Palazzo verborgen blieb.³⁰ Schließlich hatte Riario noch in den unteren Fries über die gesamte Breite der Palastfassade hinweg in römischen Majuskeln eine Inschrift einmeißeln lassen, in der er stolz die von ihm erreichte Position unterstrich (Abb. 8).³¹ Neben der Inschrift hatte der Kardinal das Familienemblem anbringen lassen, eine Rose, die überall, seitlich der Fenster und darüber, an Kapitellen und auf Krag- und Schlusssteinen und sogar auf der großen Deckplatte im Zentrum des Bodens im Innenhof, verwendet wurde. Offensichtlich wollte er sich mit einem Bauwerk, das die Erinnerung an ihn wach hielt, ein Überleben sichern, was aber in den Augen derjenigen, die sich die Frage des ewigen Heils ganz anders stellten, nicht sehr christlich ausgesehen haben dürfte.³² Die Zerstörung von S. Lorenzo in Damaso war kein Einzelfall. Dem größten Teil der baulichen Unternehmungen Julius’ II. (1503–13) ging der Abriss der Vorgängerbauten voraus, was teils heftig kritisiert oder zum Gegenstand von Satiren gemacht wurde.³³ Die Baustellen von Bramante waren von Schuttbergen umgeben, und in
30 Zu den Anomalien der Kirche: Fro m m e l, Raffaele Riario (wie Anm. 21), S. 415. Dem Langhaus ist eine Art doppelter Narthex vorgelagert, und auf der linken Seite fällt durch die Fenster zum Innenhof des Palazzo nur wenig Licht ein. Ein weniger eklatantes Verschwinden einer Kirche hinter einer Front aus Werkstätten und Häusern sahen die Pläne von Bramante für SS. Celso e Giuliano, Uffizi A 1859, vor, wodurch den Kanonikern Einkünfte gewährleistet werden sollten. Die bemerkenswerten Portale und die von außen sichtbare zentrale Kuppel hätten dabei jedoch klar auf den Sakralbau dahinter hingewiesen (Fro m m el, Palazzo Alberini [wie Anm. 24], S. 36–38 und Abb. 38). Anders Antonio da Sangallo der Jüngere: Er verwendete den Raum einer Werkstatt, die sich von anderen Werkstätten nur durch eine flache Nische für den Altar in der hinteren Mauer auszeichnete, für den Wiederaufbau einer kleinen Kirche, die einst auf dem Areal stand, für das er Palazzo Cesi, genannt Palazzo del Vescovo di Cervia, entwarf: P. N. P agl i a r a, Documenti sul palazzo del Vescovo di Cervia, in: Bollettino del Centro Studi per la Storia dell’Architettura 25 (1979), S. 35–44. 31 RAPHAEL RIARIUS SAVONENSIS DIACONUS CARDINALIS SANCTI GEORGII SANCTAE ROMANAE ECCLESIAE CAMERARIUS A SIXTO IIII PONTIFICE MAXIMO ONORIBUS AC FORTUNIS ONESTATUS TEMPLUM ET AEDIS DIVO LAURENTIO MARTYRI DICATUM A FUNDAMENTIS SUA IMPENSA REFECIT MCCCCLXXXXV ALEXANDRO VI P.M. 32 Fro m m e l, San Lorenzo in Damaso (wie Anm. 25), S. 403; C e c c h e l l i, Le chiese suppositae (wie Anm. 25), S. 396 Foto 2. 33 Auch dann, wenn es ein für gut befundenes Projekt war, das einen Abriss erforderlich machte, wurde dieser nicht stillschweigend hingenommen. Zu Bramante „als Vernichter“ vgl. Paris de Grassis: Firenze, Biblioteca Nazionale Centrale, II.III.145, fol. 210v–211r: Am 11. Juni 1511 begab sich Julius von Ancona nach Santa Maria di Loreto: „… et prandio facto apud Portum Laureti, vesperi ad Lauretum pervenimus ibidem per (154v) noctavit, mansitque eisq. in horam xx die Iovis contemplando ruinas,
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diesem Zustand zeigten sich 1511/12 den Pilgern und Besuchern nicht nur S. Pietro (Abb. 1 und 2), sondern auch SS. Celso e Giuliano in Banchi³⁴ und S. Biagio della Pagnotta,³⁵ die beide im Stadtteil Ponte in der Nähe der Engelsbrücke gelegen waren, also in einem Teil der Stadt, den Luther, wo immer er auch untergebracht war, auf dem Weg zur Peterskirche oder zum Vatikan durchqueren oder zumindest streifen musste.³⁶ Die päpstlichen Projekte auf diesem Areal scheinen alle Teil eines einzigen grandiosen Plans gewesen zu sein, der ganz auf den Palazzo dei Tribunali ausgerichtet war, für den gleichzeitig verschiedene Bauarbeiten in Angriff genommen wurden, nämlich im Jahr 1508 die Via Giulia, der Palazzo dei Tribunali und die Münze (Zecca)³⁷, spätestens im folgenden Jahr dann die neue Kirche SS. Celso e Giuliano, die an die Stelle einer mindestens auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden und zwecks Begradigung der Ostseite der heutigen Via del Banco di S. Spirito zerstörten Basilika treten sollte.³⁸
ac edificia quae per eius Architectum molebantur nomine bramantem, seu potius ruinantem, ut communiter vocabatur a ruinis, et demolitionibus, quas per ipsum tam Roma, quam ubique Perpetrabantur …“; und zur Peterskirche: Andrea G u a r n a da Salerno, Scimmia, hg. und übers. von G. B a t t i s t i / E. B a t t i s t i, Roma 1970, S. 59. 34 Paris de Grassis berichtet: Im Jahr 1512 ging Julius am Tag des hl. Antonius zur gleichnamigen Kirche und bei der Rückkehr stellte er fest: „… ad Palatium rediit cum autem ante ecclesiam meam Sti Celsi pervenisset quam prius desolari fecerat, ut in meliorem situm repararet ex lectica in sedem gestatoriam transiens ipsam Ecclesiam maceram, sue ruinam intravit, et demum in domum meam, ubi cum risu, et affabilitate paterna me consolavit exhortans, ut patienter ruinam illam tolerarem, quoniam brevi esset Ecclesiam novam pro bono communi, ac etiam domum mihi, aut illamet aut aliam pro privata utilitate facturus …“, zit. nach C. T h o e n e s, Il problema architettonico da Bramante a Pio IX, in: G. S e gu i / C. T h o e n e s / L. M o r t a r i, SS. Celso e Giuliano (Le chiese di Roma illustrate 88) Roma 1966, S. 29–52, insbes. S. 39, Anm. 20. 35 Die Kirche und das Kloster S. Biagio wurden zwecks Öffnung der Via Giulia größtenteils abgerissen. Bei dieser Gelegenheit blieb Andrea Fulvio, anders als bei S. Lorenzo in Damaso (siehe Anm. 28), nicht gleichgültig. Er sieht in der Qual, die der mit Eisenkämmen zerfetzte Blasius als Märtyrer erleidet, ein Bild von der Zerstörung des in der Nähe des Tiberufers gelegenen Gebäudes: A n d r e a Fu lv i o, Antiquaria (wie Anm. 28), fol. Qi b r: „… Hic ubi pectinibus ferri. stat martyr acutis // Membra lacer Blosius, tyberina in fronte locatus …“. 36 Neben Anm. 4 vgl. auch S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 104, 106; Le p p i n (wie Anm. 3), S. 57, und den Beitrag von A. N e s s e l r a t h in diesem Band. 37 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. &ii v: „Non longe ab ecclesia S. Celsi tua sanctitas officinam pecuniae cudendae construxit“; Fro m m e l, Palastbau (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 36; d e r s ., Palazzo Alberini (wie Anm. 24), S. 26–32; M. A n to n u cc i, Le sedi della Zecca di Roma dall’antichità ad oggi, in: Rivista italiana di numismatica e scienze affini 104 (2003), S. 117–164, insbes. S. 127–136. 38 T h o e n e s, Probleme (wie Anm. 35), verweist auf S. 31, Anm. 13, auf Andrea Fu lv i o, Antiquaria (wie Anm. 28), fol. 65v, der von Arbeiten aus dem Jahr 1510 berichtet (S. 32). Zudem stellt er fest, dass darüber nichts in den im Juni des Jahres 1509 beendeten „Mirabilia“ von Albertini steht, weshalb er von einem Beginn um 1509 ausgeht. Zu den Plänen für S. Celso: Fr o m m e l, Palazzo Alberini (wie Anm. 24), S. 35–40. Das Gesamtprojekt wird gut aus der Darstellung von Andrea Fulvio ersichtlich, bei der die Reihenfolge eine umgekehrte (von S. Celso in Richtung Süden bis zur Piazza dei Tribunali) ist.
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Abb. 9: Oben die graphische Rekonstruktion von Bramantes Projekt für den Palazzo dei Tribunali Julius’ II. mit der Via Giulia und dem nie angelegten Platz davor. Unten die Fassade des Palazzo dei Tribunali in der Gründungsmedaille.
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Die Errichtung des Palazzo dei Tribunali war das Projekt eines weitsichtigen Papstes, der im Einklang mit den politischen Traktaten des 15. Jahrhunderts eine korrekte Rechtsprechung zur Grundlage der Guten Regierung machte, da er sich dessen bewusst war, dass die Bedingungen, unter denen in Rom Recht gesprochen wurde, so unbefriedigend waren, dass der Unmut darüber das Fundament der Macht auszuhöhlen vermochte.³⁹ Der große Wirrwarr der Zuständigkeiten der verschiedenen päpstlichen Gerichte, von denen sich jedes in die Bereiche des anderen und in die der Stadt einmischte, führte zu hohen Kosten und zu langen Prozesszeiten, was wiederum Betrug, Erpressung und Übervorteilung der Schwächeren mit sich brachte. Julius II. versuchte mit verschiedenen Bullen die Gerichtsordnung neu zu organisieren und die Befugnisse einiger Gerichte abzustecken. Eine ebenso große Bedeutung maß er jedoch der Konzentration der wichtigsten päpstlichen Gerichte an einem einzigen Ort bei (Abb. 9).⁴⁰ Die Justizreform war ein wichtiger Bestandteil des zielstrebig verfolgten Gesamtprojekts der Schaffung eines modernen weltlichen Staates,⁴¹ und sie war ein Projekt, das auch von denjenigen gutgeheißen werden konnte, die die zum selben Zweck geführten, auf die Rückgewinnung der einstigen Territorien der römischen Kirche ausgerichteten Kriege des Papstes negativ beurteilten.⁴² Eine Kenntnis der Ziele und der Grundzüge der Justizreform Julius’ II. wäre nicht unerheblich für die Vorstellung gewesen, die Luther sich in den Jahren 1511/12 von diesem Papst machten konnte. Deshalb ist es sinnvoll, sich mit der Möglichkeit einer solchen Kenntnis näher auseinanderzusetzen, obwohl es die bekannten Daten nicht erlauben, zu gesicherten Ergebnissen zu gelangen. Auf seinem Weg zum Vatikan konnte der junge Augustinermönch schon im letzten Stück der Via dei Banchi (heute Via Banco di S. Spirito) und besser noch auf der anderen Seite des Tibers von Weitem um die Öffnung der Via Giulia⁴³ herum eine
39 B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 32–34, mit Bibliographie. 40 Ebd., S. 35–39. 41 P. P ro d i, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime: la monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982, insbes. S. 129–163, hat die Vorreiterrolle Julius’ II. auf diesem Gebiet unterstrichen. Zur Rechtsordnung: J. B ö l l i ng, Renaissance als Reformprojekt? Selbstdarstellung und Amtsführung Papst Julius’ II., in: zur debatte 44,1 (2014), S. 2–5, insbes. S. 2; H. S c h i l l i n g, Das Papsttum und das Ringen um die machtpolitische Neugestaltung Italiens und Europas, in: ebd., S. 15–17. 42 Die kriegerische Gesinnung Julius’ II. wird in der scharfsinnigen und köstlich geschriebenen satirischen Schrift „Iulius exclusus e coelis“ aufs Korn genommen, in der der hl. Petrus die Tore des Paradieses vor Julius II. verschließt, der mit bewaffnetem Gefolge Einzug halten will; P a s t o r, Storia (wie Anm. 3), S. 846; S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 35. Die Schrift wurde anonym im Jahr 1517 in Mainz gedruckt, wird aber Erasmus von Rotterdam zugeschrieben, was die Herausgeberin und Übersetzerin der erst unlängst erschienenen italienischen Ausgabe mit gewichtigen Argumenten untermauert: E r a s m o da Rotterdam, Giulio, hg. von S. S e i d e l M e n c h i, Torino 2014. Mein Dank gilt an dieser Stelle Francesco Benelli, der mich auf diese Ausgabe hingewiesen hat. Im Gespräch mit dem hl. Petrus rühmt sich Julius II. der von ihm mit skrupellosen Intrigen geschürten Kriege (S. 87–95). 43 Die Zuweisung der Grundstücksparzellen, die den Bauarbeiten voranging, begann im Jahr 1511 im
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Abb. 10: Bossenquader aus Travertin aus einem Teil des nicht fertiggestellten Palazzo dei Tribunali Julius’ II. (1508–1513).
Häuserblock östlich der Via Giulia gegenüber der Stelle, wo sich später der Sacchetti genannte Palazzo erheben sollte. Im Jahr 1513 wurde sie auf der anderen Seite fortgesetzt (B u t t e r s / P a g l i a r a, Palazzo dei Tribunali [wie Anm. 1], S. 154 und Anm. 230) und in den Folgejahren Schritt für Schritt vorangetrieben. Der für den Platz vor dem Palazzo dei Tribunali bestimmte Bereich wurde erst einige Jahre nach dem Tod Julius’ II. zur Erbpacht vergeben (ebd., S. 155).
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große freie Fläche erkennen, aus der die Außenmauern des aus riesigen bossierten Travertinquadern gemauerten Sockelgeschosses des Palazzo dei Tribunali aufragten (Abb. 10).⁴⁴ Zwar kamen die im Jahr 1508 begonnenen Arbeiten auf dieser Baustelle Julius’ II. bald ins Stocken und im Jahr 1511 dann zum völligen Stillstand, zu jener Zeit aber mussten die Mauern bereits mindestens die höchste Höhe erreicht haben, die heute noch in den spärlichen Überresten erhalten ist.⁴⁵ In den Jahren 1510/11 oder spätestens zu Beginn des Jahres 1512 konnte Luther also den imposanten Grundstock des Palastes sehen und sich von dessen Charakter einer uneinnehmbaren Festung beeindrucken lassen (Abb. 9 unten). Die mächtigen Blöcke aus Travertin, in denen die Außenmauern – für das Rom des 16. Jahrhunderts einzigartig – in ihrer ganzen Stärke gemauert waren, suggerierten demjenigen, dem die Funktion des Palazzo bekannt war, den Eindruck einer starken und unerbittlichen Justiz und boten ein beredtes Bild von dem weltlichen Staat, den Julius II. gründen wollte.⁴⁶ Der Anblick des robusten Sockelgeschosses allein war jedoch nicht ausreichend für einen Beobachter, der die Zweckbestimmung des Palastes nicht kannte, und auch die knappen Zeilen von Albertini („… habet turres et loca fortissima pro commoditate et utilitate publica …“), die auf das Aussehen und die öffentliche Funktion hinweisen, nicht aber die Rechtsprechungsfunktion spezifizieren, halfen nicht viel weiter.⁴⁷ Erst im Jahr 1513, und damit zu spät für den Romaufenthalt Luthers, lieferte Andrea Fulvio ein suggestives und effizientes Erklärungsmodell für den Pa-
44 Die nördliche Seite des vom Palazzo dei Tribunali eingenommenen Häuserblocks wurde von den Überresten der Kirche und des Klosters S. Biagio eingenommen, doch die für den Platz bestimmten umliegenden Grundstücke im Osten und auch die Grundstücke im Norden waren noch weitgehend unbebaut (B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali [wie Anm. 1], S. 150). 45 Die erreichte Höhe betrug 2–3 cannae: B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), Quelle 78. Es ist eine plausible und weithin anerkannte Vermutung, dass die Arbeiten nach der Niederlage auf dem Schlachtfeld und nach den feindseligen Reaktionen des römischen Adels in jenem Jahr ins Stocken gerieten oder unterbrochen wurden; vgl. ebd., S. 151f. Fra Mariano (Quelle 41b) und Andrea Fulvio (Quelle 50b) bringen die Unterbrechung der Bauarbeiten dagegen mit dem Tod des Papstes im März 1513 in Verbindung. Ins Stocken gerieten gleichzeitig der Bau von S. Pietro und die Arbeiten auf allen Baustellen Julius’ II.: C. L. Fro m m e l, La chiesa di San Pietro sotto papa Giulio II alla luce di nuovi documenti, in: C. Te s s a r i (Hg.), San Pietro che non c’è, Milano 1996, S. 33, Anm. 21. In den Jahren 1510/11 oder spätestens zu Beginn des Jahres 1512 konnte Luther folglich den großen Grundstock des Palazzo dei Tribunali noch nahezu isoliert betrachten: B u t t e r s / P a g l i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1) S. 150–152. 46 P agl i a r a, Costruire a Roma (wie Anm. 20) S. 52. Der Travertinquader verliehen dem Palast tatsächlich ein uneinnehmbares Aussehen. Mit ihnen sollte die aus kleineren Blöcken weniger harten Steins bestehende Mauer des Augustusforums nachgeahmt werden, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts für den Palast Julius Cäsars gehalten wurden. Von diesem hatte Giuliano della Rovere de facto seinen Namen als Papst: B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), Anm. 760. 47 A l b e r t i n i, Opusculum (wie Anm. 2), fol. Yii v: „Palatium novum Iulianum cum ecclesia s. Blasii de pannetta ibidem inclusa habet turres et loca fortissima pro commoditate et utilitate publica quod quidem praecla / rum opus a fundamentis ipsis tua sanctitas extruxit cum ampla et recta via nova“.
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last und das gesamte Projekt, das möglicherweise aus den Vorstellungen abgeleitet ist, die Julius II. und Bramante dazu bewogen haben.⁴⁸ Das Unterfangen hatte allerdings, wie aus verschiedenen zeitgenössischen Quellen hervorgeht, seit seinem Beginn im Jahr 1508 in weiten Kreisen viel Aufsehen erregt, und viele befürchteten, dass die Anlage eines großen Platzes vor dem Palast zu Zerstörungen führen würde, für die keine Entschädigung vorgesehen war.⁴⁹ Daher durfte es für Luther nicht schwer gewesen sein, vor Ort Informationen über die Funktionen eines so grandiosen Bauwerks zu erhalten, die seine Aufmerksamkeit für dieses päpstliche Projekt steigerten. Dazu kommt, dass Julius II. und Martin Luther eine Erfahrung teilten, die das Interesse des Letzteren für das Projekt des Ersteren in besonderem Maße wecken konnte: Beide hatten Rechtswissenschaft studiert, und beide hatten ihr Studium abgebrochen. Giuliano della Rovere hatte der Universität im Jahr 1471 den Rücken gekehrt, als er mit 28 Jahren zum Kardinal ernannt wurde.⁵⁰ Luther hatte mit seinem Eintritt ins Kloster nach zwei Monaten seinen Kurs in Zivilrecht abgebrochen, den er nach dem Bakkalaureat in Erfurt in dem im Mai 1505 begonnenen Sommersemester besucht hatte.⁵¹ Während Giuliano della Rovere aber die erlangten rechtlichen Kenntnisse während seiner fast 30-jährigen Tätigkeit als Kardinalpönitentiar angewandt und erweitert hatte und sie sich bei der Ausrichtung seiner Justizreform zunutze machen konnte,⁵² wissen wir von Luther nicht, ob er seine sehr kurze Erfahrung mit dem Studium der Rechtswissenschaft auch aus eigenem Interesse an dem Fach begonnen hatte oder ob er damit nur seinen Vater zufrieden stellen wollte.⁵³ War Ersteres der Fall, dann musste seine – wenngleich geringe – Vertrautheit mit dem Fach ihn neugierig gemacht und ihn dazu veranlasst haben, über die sicher ausreichend informierten Mitglieder der Kurie oder einen
48 Andrea Fu lv i o, Antiquaria (wie Anm. 28), fol. K, I r–v; B u t t e r s / P a g l i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 31f., 76f., wo bedauerlicherweise versehentlich „De antiquitatibus urbis“ anstelle von „l’Antiquaria urbis“ zitiert wurde, und Quelle 33b; P. N. P a g l i a r a, Una fonte a lungo ignorata per un’architettura di Bramante, in: F. C a n t a t o r e / F. P. F i o r e / M. R i c c i / A. R o c a D e A m i c i s / P. Z a m p a (Hg.), Giornate di studi in onore di Arnaldo Bruschi, Roma 2014, S. 73–78, hier S. 75. Fulvio evoziert die Figur des Minos, der ein unerbittlicher Richter war. Damit wollte er unterstreichen, dass sich nicht einmal die Götter einer unbeugsamen, aber gerechten Justiz entziehen können. 49 B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), Quelle 20: „… chi case et orti anno in quel paese stanno di mala voglia, perché non se ragiona de restoro alcuno“ („… wer hier Häuser oder Gärten hat, der ist besorgt, denn von Entschädigung ist nicht die Rede“); und Quelle 21. 50 G. B. P i co t t i, Giulio II, Papa, in: Enciclopedia Cattolica 6 (1952), Sp. 750–758, hier Sp. 750; B u tte r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 35 und Anm. 16 mit weiterer Literatur. 51 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 74f., untersucht die möglichen Gründe eingehend; Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 27. 52 B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 35 und Anm. 17: Die Pönitentiarie hatte ihre Gerichtsbarkeit ausgeweitet, die sich nun auch auf andere Rechtsstreitigkeiten, d. h. auf solche des foro esterno, erstreckte. 53 Le p p i n, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 27 und Anm. 68.
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Rechtsberater des Papstes mehr über die päpstlichen Pläne betreffend die Gerichtsinstitutionen in Erfahrung zu bringen.⁵⁴ Zu einer späteren Zeit fällte Luther sehr negative Urteile über Gesetze und Juristen, und das mit einer bewussten Entschlossenheit, die er bei seiner Romreise gewiss noch nicht hatte.⁵⁵ Diese Urteile wurzelten in seinen theologischen Auffassungen, wurden ihm später aber auch durch seine absehbare Behandlung durch die päpstlichen Gerichte nahegelegt. Explizit positiv äußerte sich Luther dagegen über verschiedene Arten von gemeinnützigen Maßnahmen, v. a. diejenigen, die mit der Rechtsprechung zusammenhingen und die vom Papst zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Wahrung der Sicherheit in Rom ergriffen wurden.⁵⁶ Diese waren so effizient und wurden so generell gutgeheißen, dass im Sommer des Jahres 1511, als man mit dem baldigen Tod des schwer kranken Papstes rechnete, eine Rückkehr zu der vorherigen Situation befürchtet wurde.⁵⁷ In ähnlicher Weise bewunderte der Augustinermönch die Organisation und die Funktionsweise der Hospitäler, von denen er während seiner Reise einige kennengelernt haben dürfte, und zwar wahrscheinlich in Mailand und Rom,⁵⁸ sicher aber, wie ausdrücklich erwähnt wird, in Florenz.⁵⁹ Auch die Justizreform Julius’ II. konnte, wenn sie als ein gemeinnütziges Projekt betrachtet wurde, in Luthers Augen also etwas Positives an sich haben und musste nicht als eines der zahlreichen Unterfangen eines Papstes erscheinen, dem es mehr um das materielle Wohl seines Staates als um seine Rolle als Oberhaupt der universellen Kirche ging. Ein anderer Aspekt der römischen Justiz, die häufige Vollstreckung von Todesurteilen, manifestierte sich gerade in der Gegend um den Palazzo dei Tribunali, und zwar in der Piazza di Ponte, die sich – wie alle stark frequentierten Orte – bestens für die Verstärkung der exemplarischen Wirkung einer Hinrichtung eignete,⁶⁰ da sie gleich neben der Engelsbrücke lag, über die zwangsläufig nicht nur die Pilger, son-
54 Vgl. den Beitrag von A. E s c h über die Kurienmitglieder, mit denen Luther in Kontakt gewesen sein mochte. In dem Kloster, in dem Luther wahrscheinlich untergebracht war, lieferte ihm sicher auch der eine oder andere Augustinerbruder, der sich mit den Ereignissen in Rom auskannte, Informationen. 55 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S. 74f. und Anm. 2, 3. 56 P a s to r, Geschichte (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 696, Anm. 3, zitiert H au s r a t h, Romfahrt (wie Anm. 3), S. 71, und B ö h m e r, Romfahrt (wie Anm. 1), S. 106, und schreibt, dass Luther sich sehr positiv über die Lage der Stadt äußere: „ein Trefflich hart Regiment herrsche jetz in der Stadt“. 57 B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 49 und Anm. 86–89. 58 Luther weist auf Hospitäler mit schönen Gemälden hin: WA.TR 4, Nr. 3930 S. 17f., vgl. P a sto r, Geschichte (wie Anm. 3), Bd. 3,2, S. 57, aus Martin Lu t h e r, Tischreden oder Colloquia …, hg. von K. E. Fö r s te m a n n, 2 Bde., Leipzig 1845, hier Bd. 2, S. 213, und Anton L au t e r b a c h s Diaconi zu Wittenberg Tagebuch auf das Jahr 1538. Die Hauptquelle der Tischreden Luthers, hg. von J. K. S e i d e m a n n, Dresden 1872, S. 104ff.; dabei könnte er sich auf die freskierten Flure im römischen Hospital S. Spirito bezogen haben, vgl. V. G o l z i o, La pittura a Roma e nel Lazio, in: G o l z i o / Z a n d e r, LʼArte (wie Anm. 19), S. 288–292. 59 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3), S.103, zu den Stationen in Mailand und Florenz. 60 B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 67–70.
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dern auch alle anderen Menschen auf dem Weg zur Peterskirche gehen mussten. Sogar die Engelsbrücke musste manchmal zu Hinrichtungszwecken dienen.⁶¹ Alexander VI. zum Beispiel hatte an einem Tag des Jahres 1500, an dem nicht nur die zum Jubeljahr angereisten Pilger, sondern auch die aus dem Konsistorium kommenden Kardinäle die Brücke passieren mussten, beidseits in symmetrischer Anordnung achtzehn Kriminelle aufhängen lassen.⁶² Julius II. wiederum war ein heftiger Verfechter dieser blutrünstigen Gebräuche, die als Mittel der Abschreckung und als effizienter Ausdruck einer blitzschnellen und unerbittlichen Justiz betrachtet wurden,⁶³ und ebenso gnadenlos war er, was die Folter anbelangte,⁶⁴ die im Übrigen in ganz Europa gängige Praxis war. Zu jener Zeit gab es in Rom aber auch Leute, die sich – wie der römische Jurist Mario Salamonio – gegen diese grausamen Praktiken aussprachen und es als unwürdig erachteten, dafür Leute aus der Regierung und Richter einzusetzen, die an vielen Gerichten der Stadt vorrangig aus dem Klerus stammten.⁶⁵ Während seines mehrwöchigen Aufenthalts in Rom war es undenkbar, dass Luther diese makabren Zurschaustellungen nicht zu sehen bekam, und es fragt sich, wie seine Haltung dazu war – auch angesichts der Tatsache, dass sie in Rom nicht auf allgemeine Anerkennung stießen.
61 Ebd., Abb. 29 und 30. 62 A. C a m e t t i, La torre di Nona e la contrada circostante dal Medioevo al secolo XVII, in: Archivio della Società Romana di Storia Patria 39 (1916), S. 411–466, hier S. 443ff.; A. Ad e m o l l o (Hg.), Le annotazioni di mastro Titta Carnefice Romano, Città di Castello 1996 (Nachdr. der Ausgabe von 1886), S. 7f. 63 Im Jahr 1507 nahm der Papst einen römischen Gentiluomo fest, dem man zur Last legte, „[di tenere] … una mogliera de uno altro romano per femina per forza … subito nella notte gli fece tagliare la testa … et fo posto in ponte [S. Angelo] alle Cappelle … [i ] signori Colonnesi la matina venivano [in Vaticano] per dimandarlo in gratia et trovorono stava senza testa. Tucti ne stanno admirati de tanta furia“ („die Ehefrau eines anderen Römers mit Gewalt genommen zu haben. In derselben Nach noch ließ er ihm den Kopf abhauen und auf der Engelsbrücke zur Schau stellen. Als die Colonnesi am Morgen darauf in den Vatikan kamen, um Gnade für ihn zu erbitten, fanden sie ihn ohne Kopf vor. Alle waren erstaunt über soviel Heftigkeit“). B u t te r s / P agl i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1), S. 80f. und Quelle in Anm. 261. 64 Als Julius II. erfuhr, dass der Kardinal von S. Vitale, der angeklagt war, die Ermordung des Papstes in Auftrag gegeben zu haben, noch kein Geständnis abgelegt hatte, forderte er die Obersten des Gerichts auf, ihn zu foltern. Dabei rief er aus: „Sangue de Dio. Fatili dirlo per forza. Datili tanto di corda che li resti le braza lì“ („Blut Gottes. Holt das Geständnis mit Gewalt aus ihm heraus. Zieht am Strick, auch wenn’s ihm die Arme vom Leib reißt.“ (ebd., S. 81 und Anm. 262, 668). 65 Marius S a l a m o n i u s, De principatu libros septem, Paris 1578, fol. 76v–77v (verfasst in den Jahren 1512–1514), betrachtete es als Unheil bringend, wenn Mitglieder des Klerus in blutrünstige Praktiken verwickelt waren; vgl. den Abschnitt in Quelle 44 von B u t t e r s / P a g l i a r a, Palazzo dei Tribunali (wie Anm. 1). Zum Band von Salamonio: M. D’Ad d i o, L’Idea del contratto sociale dai Sofisti alla Riforma e il „De Principatu“ di Mario Salamonio, Milano 1954; zu der von Salamonio geäußerten Kritik: P a s t o r, Geschichte (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 696, Anm. 2.
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Nach der Überquerung des Tibers und des Stadtteils Borgo gelangte der Augustinermönch endlich zur wichtigsten Kirche der Christenheit, wo das Grab des Apostels Pilger aus ganz Europa anzog. Dort fand er jedoch statt der Basilika nur einen Teil ihres Langhauses vor. Dem Abriss von 1507 waren nicht nur sechs Säulenreihen des Langhauses, sondern auch das Querschiff zum Opfer gefallen.⁶⁶ Dadurch waren die alte Apsis und der Hochaltar der Witterung ausgesetzt. Um die Abrissstelle herum hatte sich die Baustelle vergrößert. Neben den beiden zuvor begonnenen Pfeilern waren schnell zwei weitere hochgezogen worden, sodass die monumentale Vierung entstand, die die Kuppel stützen sollte. Zwischen diesen Pfeilern wurden genau in der Zeit zwischen dem Ende des Jahres 1510 und den ersten Monaten des Jahres 1511 die weiten Arkaden aus opus caementitium eingezogen, die vorübergehend durch schwere hölzerne Lehrgerüste gestützt wurden.⁶⁷ Sowohl der alte als auch der neue Teil des Bauwerks waren der Welt Luthers fremd, der vor seiner Ankunft in der Stadt des Papstes nicht mit den Formen einer frühchristlichen Basilika vertraut gewesen sein dürfte und weniger noch mit der erst wenige Jahre alten antikisierenden Architektur, die an ihre Stelle treten sollte. Auf seiner Reise von Sachsen durch die italienische Halbinsel bis nach Rom hatte er auch nur schwerlich etwas Vergleichbares sehen können: weder in Mailand, wo die Sakralarchitektur des 4.–5. Jahrhunderts zu einem Großteil wiederaufgebaut und verändert worden war,⁶⁸ noch in Florenz, wo die Bauwerke der Frührenaissance keine so enge Beziehung zu der Architektur der Antike hatten wie bei den Bauwerken des römischen Bramante. Der stattliche Rest des alten Langhauses musste Luther an die wichtigen frühchristlichen Basiliken denken lassen, die damals noch intakt waren und die er als Pilger gesehen hatte. Sicher zeugten sie für ihn von der Verankerung dieses Typs von Sakralbau in der alten Kirche. Schließlich waren Sakralbauten vom Typ der frühchristlichen Basilika, deren wichtigster Vertreter nun geschändet wurde, in Rom ein ganzes Jahrtausend lang in Gebrauch geblieben.⁶⁹ Von dem gigantischen päpstlichen Plan für die Peterskirche hatte Luther in der Ferne etwas aufgrund des Ablasshandels erfahren, mit dem Julius II. seit 1507 versuchte, in ganz Europa die nötigen Gelder für
66 Fro m m e l, San Pietro (wie Anm. 27), S. 35; d e r s., Chiesa di San Pietro (wie Anm. 45), S. 26f. Es ist unwahrscheinlich, dass die Säulen des abgerissenen Teils nach vier Jahren noch auf der Baustelle lagen. Sie wurden – wie vor ihnen die Säulen der heidnischen Tempel – mit Blick auf eine Wiederverwendung in anderen Bauwerken zusammen mit den nach ihnen entfernten Säulen sorgfältig inventarisiert: P. Z a m p a, Schede sui disegni Uffizi 1079A, 1080A, 1081A, 1082 A, 1083 A, 1084 A, in: C. L. Fr o m m e l / N. Ad a m s (Hg.), The Architectural Drawings of Antonio da Sangallo the Younger and his Circle, Bd. 2, Cambridge, Massachusetts-London 2000, S. 202–207. 67 Fro m m e l, Chiesa di San Pietro (wie Anm. 45), S. 76f., Dok. 327, 329, 331, 333. 68 Allein die Kirche S. Vincenzo in Prato ist nicht ganz so weit von den römischen Basiliken entfernt. Was die Bauwerke Bramantes in Mailand anbelangt, so ist es unwahrscheinlich, dass Luther S. Maria bei S. Satiro zu sehen bekommen hatte. 69 Siehe Anm. 28.
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sein ehrgeiziges Projekt zu beschaffen, ohne jedoch zu verraten, dass er dafür den Vorgängerbau würde abreißen lassen.⁷⁰ Es ist allseits bekannt, dass der Ablasshandel für Luther später einer der wichtigsten Gründe für den Konflikt mit dem Papst werden sollte. Angesichts dessen war es nur natürlich, dass sich der Augustinermönch, auch wenn er ein Laie auf dem Gebiet der Architektur war, fragen musste, welches die Gründe für den Abriss der alten und die Ersetzung durch eine neue Kirche waren, und dass er die Berechtigung eines solchen Vorgehens beim Anblick der bereits errichteten Teile des neuen Bauwerks hinterfragen musste. Im Jahr 1511 mussten die außergewöhnlichen Maße der Vierungspfeiler einen Laien angesichts ihrer Größe positiv beeindrucken, doch brachten sie noch nicht den Charakter und die Erhabenheit zum Ausdruck, die nur ein paar Jahre später zu erkennen waren, als die Proportionen der Außenmauern, die Laibungen der fertiggestellten Kassettengewölbe, die verwendeten Materialien und die räumlichen Abmessungen es ermöglichten, auch längst noch nicht fertige Teile mit den Resten der Architektur der Antike in Verbindung zu bringen.⁷¹ Wer immer dann einen Vergleich anstellte, konnte sofort den kühnen Willen erkennen, die Macht des alten Rom wiederauferstehen zu lassen, einen Wunsch, dem man offensichtlich Baudenkmäler opfern konnte, die aufgrund ihres Ursprungs, ihrer Geschichte und ihres Alters bewundernswert waren. Es ist schwierig, Vermutungen darüber anzustellen, ob Luther eine solche Begründung für das Bauprojekt Julius’ II. akzeptieren konnte oder ob er deswegen noch stärker gegen den zur Projektfinanzierung dienenden Ablasshandel ankämpfte. Wenn man jedoch weiß, wie sehr es ihn ärgerte, dass in Rom Messen mit Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit gefeiert wurden, kann man sich besser vorstellen, für wie achtlos und unverständlich er es halten musste, dass der Hauptaltar der alten Basilika völlig frei lag.⁷² Erst Leo X. machte diesem Zustand im Jahr 1513 ein Ende, als er vorläufig eine schützende Konstruktion genannt Tegurium errichten ließ, die auch die alte Apsiskalotte mit ihrem verehrten Mosaik vor der Witterung bewahrte.⁷³ Sowohl auf dem Weg zu S. Pietro als auch beim Aufsuchen der Ansprechpartner für seine Reise in der Kurie musste Luther zwangsläufig die im Entstehen begriffenen baulichen Neuerungen Julius’ II. an den Vatikanpalästen sehen, die im Laufe des Mittelalters aus dem ungeordneten Aneinanderbau einzelner Gebäude entstanden
70 Fro m m e l, Chiesa di San Pietro (wie Anm. 45), S. 41f. In einer Bulle für Kastilien ist von erforderlichen Reparaturarbeiten an der Basilika die Rede, nicht von ihrem Abriss. 71 C. T h o e n e s, St. Peter als Ruine. Zu einigen Veduten Heemskercks, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 49 (1986), S. 481–501. 72 S c h i l l i ng, Martin Luther (wie Anm. 3) S. 106, 109. 73 Zum Tegurium Fro m m e l, San Pietro (wie Anm. 27), S. 62f., Kat. Nr. I. 20 und I. 21, mit Literatur, und J. Ni e b au m, Vortrag über das Tegurium der vatikanischen Basilika auf der Bramante-Tagung der Bibliotheca Hertziana, Rom, 2.–4. Oktober 2014. Zum Gemälde von Domenico Tasselli, das das Mosaik der Apsis vor deren Zerstörung im Jahr 1592 zeigt: Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste, Bd. 1: 1503–1534, Ostfildern 1998, Kat. Nr. 337, Abb. auf Tafel 383.
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Abb. 11: Der Komplex des Belvedere von den Vatikanpalästen bis zum Belvedere Innozenz’ VIII. Blick von der Kuppel der Peterskirche.
waren (Abb. 11 und 12).⁷⁴ Die päpstliche Residenz ist das letzte von Luther auf seinem Weg durch Rom erblickte Bauwerk, auf das hier eingegangen wird, doch es war das erste bauliche Projekt (1504), das der Papst nach seiner Wahl in Angriff nahm.⁷⁵ Es wurde noch vor den 1506 begonnenen Arbeiten an der Peterskirche umgesetzt, einem Plan, mit dem sich Giuliano della Rovere schon als Kardinal getragen hatte und den er als Papst Wirklichkeit werden lassen wollte.⁷⁶ Und es wurde auch noch vor dem Palazzo dei Tribunali (1508) angegangen, dessen Dringlichkeit der Papst klar vor Au-
74 A. M. Vo c i, Nord o Sud? Note per la storia del medioevale „palatium apostolicum apud sanctum Petrum“ e delle sue cappelle, Città del Vaticano 1992; K. B. S t e i n ke, Die mittelalterlichen Vatikanpaläste und ihre Kapellen. Baugeschichtliche Untersuchung anhand der schriftlichen Quellen, Vatikanstadt 1984; F. E h r l e / H. E gge r, Der Vaticanische Palast in seiner Entwicklung bis zur Mitte des XV. Jahrhunderts, Vatikanstadt 1935. 75 M. Wi n n e r / B. A n d re a e / C. P i e t r a nge l i (Hg.), Il Cortile delle Statue / Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan, Mainz 1998; C. D e n ke r N e s s e l r a t h, Bramante’s Spiral Staircase, Città del Vaticano 1996; C. P i e t r a nge l i (Hg.), Il Palazzo Apostolico Vaticano, Firenze 1992; A. B r u s c h i, Bramante architetto, Bari 1969; R e d ig D e C a m p o s, Palazzi Vaticani (wie Anm. 18); J. Ac ke r m a n, The Cortile del Belvedere, Città del Vaticano 1954 (Studi e documenti per la storia del Palazzo Apostolico Vaticano 3). 76 Bulle Julius’ II. vom 12. Februar 1507 in: C. L. Fro m m e l, Die Peterskirche unter Papst Julius II. im Licht neuer Dokumente, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 16 (1976), S. 57–136, hier S. 97f.;
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Abb. 12: Die Baustelle des Hofs des Belvedere in einer Ansicht von Giovanni Battista Naldini (um 1560). Bereits zur Zeit des Rombesuchs Luthers waren die außergewöhnlichen Maße des von Julius II. begonnenen Bauwerks ersichtlich.
gen hatte, brauchte er ihn doch unbedingt zur Konsolidierung des Kirchenstaates, die sein oberstes Ziel war. Dass er seiner eigenen Residenz dennoch den Vorrang einräumte, lässt sich natürlich mit einem persönlichen Interesse erklären, doch vor allem was den Hof des Belvedere anbelangt, der die auffälligste Neuerung war und zur Zeit des Rombesuchs Luthers bereits weit gediehen sein musste, ist dies nicht der einzige mögliche Grund. Die außergewöhnlichen Maße, die von außen unmittelbar erkennbar waren und nur einen Vergleich mit den Abmessungen der alten Kaiserpaläste zuließen, verrieten den Willen zur Nachahmung der Antike, aber auch zum Wetteifern mit den Herrschersitzen jener Zeit. Dieser Palazzo, den sowohl die einfachen Pilger als auch die zum Papst kommenden Botschafter und Herrscher zu sehen bekamen, bot ein so wirkungsvolles Bild der Pracht und Herrlichkeit, dass es die tatsächliche Stärke des Kirchenstaates um ein Vielfaches übertraf. Er gehörte folglich zu ein und demselben Gesamtplan wie die Justizreform und die Erneuerung der wichtigsten Kirche der Christenheit. Konnte Martin Luther diese Gründe verstehen und wenn ja, welches war sein Urteil darüber?
italienische Übersetzung mit Ergänzungen in: d e r s ., Chiesa di San Pietro (wie Anm. 45) S. 41, Dok. 54 (S. 57f.), S. 87; d e r s., San Pietro (wie Anm. 27), S. 32.
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Abbildungsnachweise Abb. 1:
C. H ü l s e n / M. Egge r, Die Römischen Skizzenbücher von M. van Heemskerck im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin, 2 Bde., Berlin 1913–1916, Bd. Tafeln, Teil: Tafeln zum zweiten Band, S. 69. Abb. 2: C. H ü l s e n / M. Egge r, Die Römischen Skizzenbücher von M. van Heemskerck im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin, 2 Bde., Berlin 1913–1916, Bd. Tafeln, Teil: Tafeln um ersten Band, S. 16. Abb. 3: R. va n M a r l e, The Development of the Italian Schools of Painting, Bd. 13: The Renaissance Painters of Florence in the 15 t h Century, the Third Generation, Bd. 2, Den Haag 1931, S. 156. Abb. 4–8: Foto des Autors. Abb. 9: Zeichnung von S. B. Butters und P. N. Pagliara (oben); Pier Maria Serbaldi, Bronzemedaille, Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Münzsammlung, XXII, Nr. 21 (unten). Abb. 10–11: Foto des Autors. Abb. 12: Florenz, Uffizi, Gabinetto Disegni e Stampe (GDSU).
Sabine Meine
Musikleben jenseits der Kurie Weltliche Klänge der Palazzi und Straßen Roms im frühen 16. Jahrhundert Luthers Reise in die Hauptstadt der Kurie war auch eine Reise in die „città delle molte corti“, „die Stadt der vielen Höfe“.¹ Musik erklang in Rom somit nicht nur im liturgischen Rahmen der Basiliken, Kirchen und Kapellen; sie belebte auch die Palazzi des päpstlichen Hofs, der Kardinalshöfe und der vielen Höfe der adligen Familien aus Italien und Europa, die um die Kurie kreisten. Nicht anders als in den Herkunftsstädten der Familien war es meist weltliche Musik, mit der man sich in der Stadt präsentierte und die für die im humanistischen Verständnis nötige Rekreation und Charakterbildung sorgte.² Dazu kam der Unterhaltungswert weltlicher Musik, den man in Rom besonders zu schätzen wusste. Wie noch heute lebte Kultur im frühen 16. Jahrhundert von Abwechslung und Vielfalt, an der es im damaligen Rom in einer Hinsicht mangelte: In der männlich dominierten Stadt der Kurie fehlte es an Frauen, die jedoch gerade im Hinblick auf das rege ‚Hofleben‘ in Rom vonnöten waren.³ Für das Gelingen einer höfischen Unterhaltung wurden Damen in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts als Adressatinnen, Mäzeninnen und Interpretinnen von Poesie und Musik so geschätzt, dass sich selbst ein Kardinal wie Bernardo Dovizi da Bibbiena anlässlich des Besuchs von Markgräfin Isabella d’Este Gonzaga aus Mantua in Rom 1515 zu der schönen Äußerung veranlasst sah, dass dem Römischen Hof zu seiner Vollkommenheit einzig ein Damenhof fehle:
1 „Roma si può dire che fosse la città delle molte corti – accanto a quella papale (non assente, come mostrano le dediche a intimi assistenti dei pontefici), le corti che ruotavano intorno alle principali casate nobili, alle ambasciate, e ai cardinali e prelati residenti in curia“. („Rom, kann man sagen, war die Stadt der vielen Höfe – neben dem päpstlichen [der nicht abwesend war, wie die Widmungen an private Gehilfen der Päpste zeigen] [gab es] die Höfe, die um die führenden Adelshäuser, Botschaften und die in der Kurie wohnhaften Kardinäle und Prälate herum kreisten“): N. P i r r o t t a, ‚Dolci affetti‘. I musici di Roma e il madrigale, in: Studi musicali 14,1 (1985), S. 59–104, hier S. 65. 2 Wir bewegen uns damit in einem dritten Bereich des Musiklebens, neben dem Gesang für den Gottesdienst und dem der repräsentativen Musikausübung durch Bläser und Trommler, die gemeinsam mit den Soldaten der Engelsburg und Palastwachen des Vatikans zu Zeremonien spielten. Dem hinzuzufügen ist die Musik auf den Straßen Roms, auf die zurückzukommen sein wird. 3 Neben den Geistlichen waren das Gerichtspersonal und die Parteien an den römischen Gerichten die zweitgrößte Gruppe an alleinstehenden Männern in Rom, und dies konnte heißen, dass sie entweder unverheiratet waren oder aber fern von ihren Frauen lebten: P. B l a s t e n b r e i, Kriminalität in Rom 1560 –1585, Tübingen 1995 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 82), S. 156, Anm. 482. DOI 10.1515/9783110316117-025
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„La città tutta dice: Hor lodato sia Dio, ché qui non mancava se non una corte di madonne et questa Signora tanto nobile, tanto virtuosa, tanto buona et tanto bella ce ne terrà una, et farà la Corte Romana perfetta“.⁴ Nun stellte die hochgebildete Fürstin d’Este Gonzaga zweifellos einen Sonderfall war, der in der Stadt besonders willkommen war. Aber das fehlende weibliche Element war auch im täglichen Hofleben Roms zu kompensieren, das andernorts zum Inbegriff des Höfischen geworden war, zumal es ohne das Gegenüber von Mann und Frau einfach weniger Spaß und Sinn machte, von der Liebe zu singen, die auch im damaligen Rom im Zentrum des weltlichen Musiklebens stand.⁵ Ein Indiz für die Bedeutung weltlicher Musik als überlebenswichtiger entspannender Ausgleich zu den strengen Normierungen des Hoflebens ist im Begriff der „musikalisch-theatralischen Ventilsitte“ zu sehen, den Ludwig Finscher für etwas spätere weltliche italienischsprachige Musikgattungen des 16. Jahrhunderts, in denen mit populären Elementen gespielt wird, eingeführt hat.⁶ Dass in Rom solche „Ventilsitten“ stärker als anderswo gebraucht wurden, belegen Quellen zur damaligen Musikpraxis: Einerseits sind aus Rom stärkere Rechtfertigungen, Kritiken und Rufe nach strengeren Maßregelungen überliefert, andererseits gibt es scheinbar selbstverständliche, regelhafte, ja sogar institutionalisierte Überschreitungen von Normen. Zudem ist eine rege Zirkulation von Manuskripten und Drucken weltlichen Inhalts belegt. Anhand dreier Bereiche des weltlichen Musiklebens soll im Folgenden ein anschaulicher Eindruck dessen entstehen, was Luther in Rom damals miterlebt und gehört haben konnte. Die beiden ersten Bereiche, Musik im humanistischen Kontext und Musik der Kurtisanen, zielen auf die im Titel genannten Klänge der Palazzi. Zum
4 „Die ganze Stadt sagt: ‚Gott sei Dank, dass das Einzige, was hier fehlt, ein Damenhof ist. Und diese so edle, tugendhafte, gute und schöne Herrin wird hier einen Hof haben und den römischen perfekt machen‘“. Brief von Kardinal di Bibbiena an Giuliano de’ Medici, Rom 25. Februar (Il primo di Quaresima) 1515, in: Epistolario di Bernardo Dovizi da Bibbiena, hg. von G. L. M o n c a l l e r o, 2 Bde., Firenze 1955– 1965, Bd. 2, Brief Nr. CXCI S. 42–44, hier S. 42. Isabella d’Este Gonzaga war vom Januar bis spätestens Anfang März 1515 in Rom. 5 Zur engen Verflechtung von Liebesdiskurs und Musik vgl. S. M e i n e / D. H e l m s (Hg.), Amor docet musicam. Musik und Liebe in der Frühen Neuzeit, Hildesheim 2012 (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 67), sowie S. M e i n e, ‚Amore è musico‘. Musik im Liebesdiskurs, in: N. S c hw i n d t (Hg.), Musik in der Kultur der Renaissance. Kontexte, Disziplinen, Diskurse, Laaber 2015 (Handbuch der Musik der Renaissance 5), S. 241–272. 6 „Den Bemühungen um sprachliche Verfeinerung korrespondiert aber auch eine Gegenbewegung, wiederum in der Literatur und in der höfischen Gesellschaft: ein gesteigertes Interesse an der Sprache und den Lebensformen der Unterschichten, das sich an den Höfen zu einem ganzen System literarischtheatralisch-musikalischer Ventilsitten entwickelt, mit denen der wachsenden Selbststilisierung des höfischen Lebens entgegengewirkt wird“: L. Fi n s c h e r, Volkssprachliche Gattungen und Instrumentalmusik, in: d e r s. (Hg.), Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts, Laaber 1990 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 3,2), S. 486.
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Schluss werden mit der Musik im Karneval Klänge angesprochen, die hingegen die Straßen Roms in den Wintermonaten belebten. Für Klangbeispiele der im Text angesprochenen Musik kann auf Podcasts sowie auf die CD verwiesen werden, mit der das die Tagung begleitende Konzert des „concerto romano“ „Luther in Rom, oder: Tuto el mondo è fantasia“ dokumentiert wird. Ich danke Alessandro Quarta, dem Leiter des Ensembles, für die produktive, freundschaftliche Zusammenarbeit in der Gestaltung des Konzertprogramms.⁷
1 Musik im humanistischen Kontext 1510 erschien posthum „De cardinalatu libri tres“, ein lateinischer Traktat des Humanisten Paolo Cortesi (1465–1510), in dem Reflexionen zur Musik im Kapitel „De vitandis passionibus“ eine entscheidende Rolle spielen. Der Autor spricht von der Erbauung und Unterhaltung durch Musik „post epulas“, und sagt, nach antikem Vorbild sei Musik „delectationis morum & disciplinae causa“, – eine Ansicht, die allgemeine humanistische Interessen dieser Zeit widerspiegelt. Interessant wird der Traktat dadurch, dass Cortesi ebenso detailliert das Musikleben, Gattungen und Komponisten seines Umfelds beschreibt, das er offenbar selbst erlebt hatte. Cortesi war ab 1481 Schreiber an der Kurie, ab 1498 ebenda Sekretär und frequentierte unter anderem den Kardinalshof von Ascanio Sforza, wo er nicht nur Josquin Desprez erlebte, dessen Messen er lobte, sondern auch den Dichtermusiker Serafino dell’Aquila. Serafino stand vier Jahre, von 1487 bis 1491, in Sforzas Diensten und ab 1499 in denen des Duca Valentino alias Cesare Borgia, von dem noch die Rede als Kurtisanengünstling sein wird. Serafino starb 1500 im jungen Alter von 34 Jahren an der Pest, was seinen geradezu legendären Ruhm wesentlich steigerte: Im Zeitraum von nur drei Jahren, zwischen 1502 bis 1505, gingen dreizehn Gedichtausgaben von Serafino in den Druck; zwischen 1507 und 1515 erschienen weitere dreizehn Ausgaben, und von 1516 bis zur Mitte des Jahrhunderts noch einmal fünfzehn.⁸ Man muss sich Serafino als veritablen Schlagerstar der damaligen Elite vorstellen, dessen Liebeslieder – achtsilbige Strambotti, die man zur Laute vortrug – heftig nachgeahmt wurden. Cortesi nutzte seinen Traktat, um Serafino als großen Neuerer Petrarcas zu nobilitieren. Ganz in
7 Vgl. die CD-Dokumentation des aus Anlass der gleichnamigen Tagung veranstalteten Konzertes „Luther in Rom. Der Klang der Ewigen Stadt anno 1511. Musik in Kirchen, Palästen & Gassen“. Concerto Romano, Ltg. Alessandro Quarta, Christophorus, Heidelberg 2012, CHR 77361. 8 Danach ebbte die Nachfrage radikal ab. Vgl. A. R o s s i, Serafino Aquilano e la poesia cortigiana, Brescia 1980, S. 23.
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der Tradition des großen Dichters, der erhabene Lieder zur Laute sang,⁹ könne es, so Cortesi, nichts Süßeres geben als diese Art von Melodien, in denen der Dichtermusiker Serafino Worte und Musik rhythmisch zusammenfüge: „nuper autem Seraphinus Aquilanus princeps eius generis renovandi fuit, a quo ita est uerbori & cantuum coniunctio modulata nexa, ut nihil fieri posset eius modo ratione dulcius“.¹⁰ Cortesi mag eine persönliche Schwäche für Serafinos Kunst gehabt haben. Im Hintergrund seines Lobs ist jedoch ebenso zu sehen, dass Musik um 1500 auch in der Theorie zunehmend als sinnliche Klangkunst diskutiert wurde, was zur Folge hatte, dass Komponisten und sogar Sänger und Virtuosen nun eine theoretische Aufwertung erfuhren. Dies kam den humanistischen Interessen der Erziehung und Erbauung durch Musik entgegen. Wie beliebt dabei die unterhaltsame weltliche Musik im italienischen volgare in den humanistischen Kreisen Roms war, geht besonders aus maßregelnden Kritiken an ihr hervor.¹¹ Dies zeigt sich wiederum in „De musica et poetica“, einem weiteren römischen Traktat, der 1513 zum Regierungsantritt von Papst Leo X. erschien. Sein Autor war Raffaele Brandolini (ca. 1465–1517), ein Kleriker und Latinist, der im Dienst des neuen Papstes stand und diesem die Schrift widmete. Offenbar sollte der Traktat dem musikliebenden Medici-Papst Leo X.¹² den Boden bereiten und dafür auch einen Schlussstrich unter beliebte zeitgenössische Sitten setzen.
9 Vgl. dazu P. C o r te s i, De cardinalatu libri tres, 2. Buch, zit. nach: N. P i r r o t t a, Music and Culture in Italy from the Middle Ages to the Baroque. A Collection of Essays, Cambridge 1984, S. 151. Ein Exemplar von Cortesis Traktat befindet sich in der Biblioteca nazionale di Roma (69. V. E. 8). 10 „Neuerdings aber war Seraphinus Aquilanus der Protagonist der Erneuerung dieser Gattung, der Worte und Gesang rhythmisch so [gut] verbunden hat, dass es nichts Süßeres geben kann als seine Art diese Melodien zu benutzen“. C o r te s i, De cardinalatu, zit. nach P i r r o t t a, Music and Culture (wie Anm. 9), S. 101. 11 So sieht Christopher A. Reynolds in Cino Rinuccinis (gest. 1417) etwa einhundert Jahre älterer, vehementer Verteidigung scholastischer Werte einen Hinweis darauf, wie populär bereits damals nichtscholastisches Denken geworden war. Er legitimiert Musik folglich über Zuordnungen ihrer Qualitäten zu den mittelalterlichen Bereichen von Quadrivium und Trivium, spricht der Musik Eigenschaften aus Logik, Rhetorik, Arithmetik und Geometrie zu, um zu resümieren, dass sie entgegen einiger humanistischer Klagen „keine reine Angelegenheit der Buffoni“ sei, sondern Spiritualität und Tugendhaftigkeit fördere: „La musica affermano essere iscienza da buffoni da poter dilettare lusingando. Non dicano quanto sia utile a ricerare con sua dolcezza l’umana fragilità, a dilettare l’operazioni santissime della Chiesa, o accendere a giusta battaglia i virtuosi animi che per la repubblica combattano“. C. R i n u cc i n i, Invettiva contra a certi calunniatori di Dante e di Messer Francesco e di Messer Giovanni Boccaci, zit. nach C. A. R e y n o l d s, Papal Patronage and the Music of St. Peter’s 1380–1513, BerkeleyLos Angeles u. a. 1995, S. 286. 12 Der ehemalige Kardinal Giovanni de’ Medici und jetzige Papst Leo X. hatte aus der väterlichen Tradition Lorenzo de’ Medicis heraus gelernt, zu singen und Streichinstrumente zu spielen, und er war durch Heinrich Isaac in der Kontrapunktlehre unterrichtet worden: A. P i r r o, Leo X and Music, in: The Musical Quarterly 21 (1935), S. 1–16; J. F. D’A m i c o, Renaissance Humanism in Papal Rome: Humanists and Churchmen on the Eve of the Reformation, Baltimore 1983, S. 245.
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Brandolini fädelte seine Kritik gekonnt ein: Auch er liebe das Singen zur Lyra und sei ein Freund Serafinos, er erkenne auch an, dass es ausnahmsweise Dichtermusiker geben könne, die ohne humanistische Bildung zu Erfolg gelangen.¹³ Wichtig aber sei es, am Latein festzuhalten, der Sprache von „Senatoren, Gebildeten und Bürgern“, und sich eben nicht auf das volgare einzulassen, das er – selbst Dichter lateinischer Elegien – als Sprache des Pöbels, der Bauern und der Ungebildeten herabsetzt: „Communem in hoc hominum imperitiam reprehende, ut quum plerique ignavi indoctique sint, nihil exigant grave ac eruditum. At ob hoc ipsum Latinum carmen vernaculo est longe praestantius, quod illud senatorio, hoc plebeio ordini accomodatur, a civibus illud, hoc a paganis, a Romanis illud, hoc a barberis, a doctis illud ac honestissimo bonarum artium negocio delectatis, ab indoctis hoc turpique ocio dissolutis magnopere commendatur, et quod paucissimi illud, hoc autem plurimi sequantur“.¹⁴
Deutlicher noch ist die zeitgenössische Praxis gegenwärtig, wenn Brandolini die Themen der Lieder kritisiert: Bei Banketten sollte nämlich nicht etwa die Liebe besungen, sondern vielmehr sollten antike Helden in elegischen Versen zur Leier gepriesen werden, wie es der Autor eben auch selbst tat. So heißt es in einem fiktiven Dialog Brandolinis mit Corradolo Stanga, einem päpstlichen Notar hohen Rangs: „At non in conviviis amorum laudes, sed heroum praeconia ad lyram alternis numeris concinuntur“. Eine Missachtung dieser Tradition sei nichts weniger als ein Angriff auf eine heilige, antike Sitte und damit auch auf die Antike selbst: „Illud ego non improbo; hoc qui accusat, sanctum rectumque apud veteres morem, immo vetustatem ipsam accusat“.¹⁵ Über die Bankettkultur unter Papst Julius II. ist leider viel weniger bekannt als über die der vorausgehenden skandalträchtigen Regierungszeit von Papst Alexander VI. Es soll hier genug sein, dafür die bekannten Berichte über das „festino delle cinquanta bzw. den Ballo delle castagne“ zu erinnern, ein Bankett vom Oktober 1501, zu dem Cesare Borgia in den Palazzo Apostolico eingeladen hatte. Ein provozierend
13 R. B r a n d o l i n i, On Music and poetry (de musica et poetica, 1513), hg. von A. E. M o ye r unter Mitarbeit von M. L au re ys, Arizona 2001, S. 98. 14 „Tadele die gemeine Unerfahrenheit der Menschen, denn da die meisten faul und ungebildet sind, fordern sie keinen Ernst und Bildung. Aus diesem Grund ist ein lateinisches Gedicht bzw. Lied bei Weitem dem volkssprachlichen vorzuziehen; jenes ist für Senatoren geeignet, dieses für den Pöbel, ersteres ist Bürgern, letzteres Bauern zu empfehlen, ersteres von den Römern, letzteres von den Barbaren [empfohlen]; ersteres von den Gebildeten, die sich an den höchsten künstlerischen Betätigungen der Kunstgüter erfreuen, letzteres von den Ungebildeten und Schändlichen, die sich durch unwürdige Faulheit auszeichnen, und [dies ist so], weil sehr wenige dem ersten folgen und viele dagegen dem letzten“. Ebd., S. 96. 15 „Bei den Banketten werden keine Lobpreisungen der Liebe, sondern Würdigungen der Helden zur Lyra in elegischen Versen gesungen“, „Das streite ich nicht ab; derjenige, der diese [Tradition] angreift, greift eine heilige und bei den Alten etablierte Sitte, ja sogar die Antike selbst an“. Ebd., S. 28.
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obszöner Tanz nach dem Abendessen mit fünfzig geladenen Kurtisanen¹⁶ war Anlass eines anonymen, durch Johannes Burckards Aufzeichnungen bekannten Briefes aus Deutschland an einen Kardinal, in dem der Papsthof als krimineller Ort und Sitz des ‚Antichristen‘ geschildert wird.¹⁷ Die Bankette am päpstlichen Hof und den Kardinalshöfen in den für uns interessanten Jahren dürften jedoch ebenso äußerst lebendig gewesen sein, zumindest zur Zeit des Karnevals. 1510 wird z. B. von einem Damenauftritt zur Begleitung von „piffari“ bzw. „Bläsern“ berichtet, die seine Heiligkeit tanzen sehen wollte: „Il luni di Carnasale volse Sua Beatitudine che andasero in palazzo et che menasero tutte le sue donzelle et che facesseron venire li piffari perché voleva vederli ballare et così fu facto“.¹⁸ Im Karneval desselben Jahres ist von etlichen Anlässen die Rede, bei denen das Tanzen der Gäste nach Musik „alla francese“ mit Schautänzen abwechselte: „sì che ogni sera non manchavano passando il tempo hora con il ballare del Cardinale Narbona alla francese, hora con musiche et hora con vedere moresche et talhora con ballare con li piffari alla foza nostra“.¹⁹ Bezeichnend ist dabei der abschließende Kommentar eines anonymen Botschafters der Isabella d’Este Gonzaga: „Li cardinali
16 Die Ausschweifungen um den „Kastanientanz“ sind durch drei weitere Zeitgenossen überliefert: J. B u rc ka rd, Liber notarum ab anno MCCCCLXXXIII usque ad annum MDVI, hg. von E. C e l a n i, 2 Bde., Città di Castello 1906/1911 (Rerum Italicarum Scriptores 32,1), Eintragung für den 31. Oktober 1501, S. 303. Auf die weiteren Quellen wird in Bianchis italienischer Edition des Tagebuchs Burckards verwiesen: Alla corte di cinque papi. Diario 1483–1506 di Giovanni Burcardo, hg. von L. B i a n c h i (nach der Edition von E. C e l a n i), Milano 1988, S. 362f., 485, Anm. 10. 17 Venisse tempora, quibus jam Antichristus, toties a prophetis predictus, appareat, neque enim ullum omnino unquam nasci, aut excogitari potuisse, qui apertior Dei hostis, Christi oppugnator, fidei et religionis subversor inveniretur. „[Man sagt], dass die Zeiten kommen würden, in denen schon der von allen Propheten vorhergesagte Antichrist erscheinen würde, [von dem man sagt], dass er niemals überhaupt je geboren und dass keiner ersonnen werden könnte, der als offenerer Feind Gottes, Widersacher des Glaubens Christi und Gegner der Religion kommen würde“. Der anonyme Brief datiert vom 15. November 1501; die Authentizität des Adressaten Silvio Savelli wird bezweifelt. Burckard hat ihn Anfang Januar 1502 dokumentiert. Vgl. B u rc k a r d, Liber notarum, hg. von C e l a n i (wie Anm. 16), Bd. 2, S. 312–315. 18 „Am Karnevalsmontag wollte seine Heiligkeit, dass alle mit seinen Damen in den Palast gehen, und man ließ die Pfeifer kommen, weil er sie tanzen sehen wollte, und so wurde es getan“. Brief von Alessandro Piccenardo an Isabella d’Este Gonzaga, 15. Februar 1510, zit. nach A. Lu z i o, Federico Gonzaga. Ostaggio alla Corte di Giulio II, in: Archivio della Società Romana di storia patria 9 (1886), S. 509 –582, hier S. 561. 19 „So dass sie es an keinem Abend versäumten, mal mit dem Kardinal Narbona auf französische Art zu tanzen, mal mit Musiken, mal mit dem Betrachten von Moresken und mal mit dem Tanzen zusammen mit den Bläsern auf unsere Weise die Zeit zu verbringen“. Signor Raphael Hermenz an Isabella d’Este Gonzaga, Rom, 13. Februar 1510, zit. nach Lu z i o, Federico Gonzaga (wie Anm. 18), S. 558.
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ballavano commo altri nobili vecchi et vescovi. Qua si sta in feste et in balli, ogni giorno si corre palii; el Papa vol vedere ogni cosa“.²⁰ Nicht nur das Rom der Borgia, sondern auch das des Julius II. war, so scheint es, zumindest in der Zeit des Karnevals eine Stadt der weltlichen Feiern, bei denen die Hör- und Sehlust gleichermaßen befriedigt wurde. Die musikalische Grundlage dafür konnte Verschiedenes bilden, z. B. eben auch französische Tanzmusik, wie das obige Zitat zeigt.²¹ Näher betrachtet werden sollen hier jedoch die Lieder im italienischen volgare, mit denen das Lob der Liebe besungen wurde. Sie waren offenbar so beliebt in Rom, dass etwa Brandolini sie von den Banketten verbannt wissen wollte. Und es wird zu zeigen sein, dass auch Luther von diesen Liedern in seinem direktem Umfeld Notiz hat nehmen können, als er in einem der Augustiner-Konvente im centro storico wohnte.
2 Musik der Kurtisanen Am 9. Oktober 1510 erschien in Rom bei dem Musikverleger Andrea Antico eine Sammlung mit „Canzoni nove“. Ihr Inhalt, um die vierzig Vertonungen von Liebespoesie, deckt sich großenteils mit dem Inhalt der sogenannten „Libri di Frottole“, mit denen der Musikverleger Ottaviano Petrucci im Jahrzehnt zuvor von Venedig aus die Mode dieser weltlichen Liebeslieder verbreitet hatte (50% der Lieder war zuvor bereits bei Petrucci erschienen). 1510 wurde diese Mode somit auch in Rom im Musikdruck aufgenommen.²² Frottolen wurden meist zur Laute gesungen und sind jenseits eines literarischen Anspruchs meist so unterhaltsam raffiniert gesetzt, dass wir uns ihre Hörerinnen und Hörer beschwingt und mit einem Schmunzeln auf den Lippen vorstellen dürfen. Für den Erfolg der Frottolenmode in Rom spricht allein, dass Antico einige weitere dieser Sammlungen in Druck gab: 1517 bis 1520 erschienen schon das dritte und vierte Frottolenbuch in mehreren Auflagen sowie im Tabulaturdruck für Gesang und Laute bzw. Orgel. (Tabelle 1)
20 „Hier lebt es sich in Festen und Tänzen, und jeden Tag finden Pferderennen statt; und der Papst will alles sehen“. Anonymer Brief vom 4. Februar 1512 an Isabella d’Este Gonzaga, zit. nach Lu z i o, Federico Gonzaga (wie Anm. 18), S. 558. Die Feste fanden aus Anlass des Besuches des Brautpaares Eleonora Gonzaga und Francesco Maria della Rovere in Rom statt. 21 Vgl. Anm. 19. 22 S. M e i n e, Die Frottola. Musik, Diskurs und Spiel an italienischen Höfen 1500–1530, Turnhout 2013, hier v. a. S. 363–367.
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Tab. 1: Übersicht über römische Frottolensammlungen zwischen 1510 und 1520. Canzoni nove con alcune scelte di varii libri di canto, Roma, Andrea Antico, 1510. Canzoni Sonetti Strambotti et Frottole Libro Secondo, Roma, G. Mazochio und G.[iovanni]. Giunta, 1518 (vermutlich vor 1513, Neudruck 1520). Canzoni. Sonetti. Strambotti et Frottole. Libro Tertio, Roma, A.[ndrea] Antico, 1513, Neudruck 1517/ 18 (?), 1520. Canzoni Sonetti Strambotti et Frottole. Libro Tertio, Roma, G. Mazochio und G. Gionta, 1518. Canzoni. Sonetti. Strambotti. et Frottole. Libro Quarto, Roma, A. Antico und Nicolò de’ Giudici, 1517, Neudruck 1520. Frottole intabulate da sonare Organi. Libro primo, Roma, Andrea Antiquo, 1517.
Wenn von diesen Frottolen im Folgenden durchaus verkürzend als Musik der Kurtisanen zu sprechen sein wird, liegt der Grund dafür in einem Textmanuskript Florentiner Herkunft, das erhellende Einsichten für das weltliche Musikleben in Rom in der hier interessanten Zeit bereit hält: Das Florentiner Manuskript Antinori 158 liefert nicht nur Belege dafür, dass Frottolen gut zehn Jahre früher als angenommen, bereits vor 1500, in Rom beliebt waren.²³ Es sagt uns auch, inwiefern und warum: Das Manuskript stammt aus dem Florentiner Umkreis der Medici und ist 1505 bis 1508 verfasst. Es enthält unter anderem zwei Konvolute an Frottolen, die der Autor, ein Florentiner Bürger und Freund der Medici namens Domenico Benedetto di Arrighi, auflistet und kommentiert. Aus Konkordanzen zu anderen Quellen wird offensichtlich, dass es sich um das gleiche Repertoire handelt, das wenig später bei Antico im Druck erscheint.²⁴ Ebenso deutlich wird, dass Domenico die Musik durch die Vermittlung zweier Frauen aus Rom bekommen hat.²⁵ Demnach hat ihm eine
23 Vgl. das Manuskript Antinori 158, Florenz, Biblioteca Medicea-Laurenziana Es ist dem amerikanischen Kollegen William F. Prizer zu verdanken, das Textmanuskript als Quelle für eine frühe, bis dato unbekannte Frottolenpraxis in Rom und Florenz entdeckt zu haben. W. F. P r i z e r, Wives and Courtesans. The Frottola in Florence, in: C. R e a rd o n / S. P a r i s i (Hg.), Music observed. Studies in Memory of William C. Holmes, Warren MI 2004, S. 401–415. Prizer folgert aus seinen Studien des Florentiner Manuskripts, dass auch das Londoner Manuskript Egerton 3051 der British Library seinen Ursprung nicht in Florenz, sondern in Rom hat. Dadurch wird auch der dort hohe Anteil an Frottolen (9 Sätze) von Filippo de Lurano plausibel, den man im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in Rom annimmt: L. S c h m i dt, Art. Filippo de Lurano, in: Musik in Geschichte und Gegenwart 2 (2001), Personenteil 6, Sp. 1157–1160. 24 Drei Frottolen stammen von Filippo de Lurano, zwei sind Strambotti, einer davon stammt von Serafino. 25 So heißt es dort, dass die ersten Lieder, d. h. acht Frottolen (fol. 29r–33v) einer Frau namens Lionarda, der Ehefrau des Florentiner Organisten und Komponisten Bartolomeo degli Organi, aus Rom geschickt worden seien: „Queste canzone mi detta la Lionarda, do[nna] di Baccino [Bartholomeo] de-
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gewisse Maria, Gemahlin von Bianchino da Pisa, den zweiten Schwung an Frottolen gegeben, als sie auf der Flucht vor der Pest in Rom nach Florenz zurückgekehrt und mit einigen cortigiani zu ihm ins Haus gekommen sei.²⁶ Am Rand eines der entsprechenden Liedtexte bezeichnet der Autor dieselbe Frau als „Maria cortigiana“. Maria sang nicht nur, sondern schrieb ihre Stücke auch selbst, womöglich selbst die Musik. Denn neben einem Lied steht deutlich: „composta per la maria cortigiana“, wobei „per“ nicht nur „für“, sondern auch „durch“ bedeuten kann; ein anderes wird als „ihr“ Stück bezeichnet, das sie mit Anmut, „gratia assai“, gesungen habe.²⁷ Die Kommentare im Manuskript gehen noch weiter: Ein Lied sei das Lieblingslied „della Masina gewesen“ – ein Name, hinter dem sich eine bekanntere Kurtisane, die Geliebte von Kardinal Giuliano della Rovere bzw. des Papstes Juliusʼ II. im späteren, hier interessanten Zeitraum während Luthers Romaufenthalt verbirgt.²⁸ In der Frottola „Io ti lasso, donna, hormai“ von Filippo Lurano, der in Rom als Priester und Komponist wirkte, verleiht ein Ich aus männlicher Perspektive seiner Enttäuschung über die vergebliche Liebeswerbung Ausdruck und verkündet, die Geliebte nun zu verlassen – ein somit typisches Beispiel höfischer Liebespoesie, das in einem vierstimmigen, leicht zu variierenden Satz überliefert ist. Allerdings müssen wir uns eine verkehrte Rollenverteilung vorstellen: Denn es wird – pikanterweise – Masina gewesen sein, die den Part des Liebhabers sang.
Io ti lasso donna hormaiTroppo tempo hagio Ich verlasse dich nun, meine Dame. Zu viel perduto. Poi che mho ricognoscutoPiu son certo Zeit habe ich verloren. Nun, da ich wieder zu non me harai. Bewusstsein gekommen bin, bin ich mir umso sicherer, dass du mich nicht haben wirst. Textbeispiel 1: Frottola Io ti lasso donna hormai von Filippo Lurano nach dem Hinweis aus dem Manuskript Antinori 158 der Biblioteca Medicea-Laurenziana, Firenze (1505–1508): „Questa canzona era la favorita della Masina“, fol. 24v.
gli Organi, le quale gli furono mandate da Roma in sul canzonieri“ („Diese Lieder gab mir Lionarda, Frau von Baccino [Bartolomeo] degli Organi, die ihr aus Rom für ihre Liedsammlung geschickt wurden“). Ms Antinori 158 (wie Anm. 23), fol. 29r. 26 „Queste infrascritte canzone cantava la Maria femina del Bianchino da pisa et lei me le detto quando torno da roma che si partj per rumore del Morbo. Et vene in villa nostra con certi cortigiani“. Ebd., fol. 22v. 27 Ebd., fol. 25r. 28 Ebd., fol. 23v. Vgl. G. M a s s o n, Courtesans of the Italian Renaissance, New York 1975, S. 5, 20.
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Notenbeispiel 1: Konkordanz im Fünften Frottolenbuch von Ottaviano Petrucci: Frottole libro quinto. Ottaviano Petrucci, Venezia 1505, fol. 29v–30r, hier Cantus- und Tenorstimme.
Ein anderes Lied im Florentiner Manuskript wird als das Lieblingslied des Duca Valentino kommentiert.²⁹ Der Papstsohn Cesare Borgia war bekanntermaßen mit einer anderen namhaften Kurtisane, Fiammetta di Michele aus Florenz (1465–1512), liiert, deren Haus im damaligen rione SantʼEustachio an der nach ihr benannten Piazza Fiammetta nahe der Piazza Navona noch heute an sie erinnert. Fiammetta war offenkundig in ihrem Wohnviertel bekannt und gehörte zu den Kurtisanen, die die nahe ihres Hauses gelegene Kirche S. Agostino frequentierten.³⁰ Aus den Registern
29 Ms. Antinori 158 (wie Anm. 23), fol. 23v. 30 Belege für Fiammettas Identität sind die Titulierung ihres eigenen Testaments, sowie der Nachweis, dass ihr Häuser als päpstliche Schenkung zugewiesen wurden: „Flammettae Ducis Valentini testamenti Transumptum“: Aus dem notariell unterzeichneten Testament von Andrea Carusi, Rom 10. Februar 1512. Vgl. den Artikel von F. S a t t a, Fiammetta, in: Dizionario Biografico degli Italiani 47 (1997), S. 345. Demnach erfolgten die päpstlichen Immobilienschenkungen im Jahr 1479, darunter ein Weingut und zwei Häuser im rione Ponte. Die Grenzen der Rioni, der Stadtbezirke Roms, sind für das 15. Jahrhundert nachlesbar in: G. S i m o n c i n i, Roma. Le trasformazioni urbane nel Quattrocento, Bd. 1: Topografia e urbanistica da Bonifacio IX ad Alessandro VI. L’Ambiente storico, Firenze 2004 (Studi di storia urbana e del territorio 10), Tavola I, o. S. Demnach befand sich der rione Ponte nordwestlich vom rione SantʼEustachio, in dem die heute noch bestehende „Casa di Fiammetta“ nahe der Piazza Navona steht. Dass der Name Fiammettas (ital. für „Flämmchen“) zeitweise für einen beachtlichen Status stand, bezeugt die Tatsache, dass ein Mann namens Andrea, der als ihr Bruder galt, womöglich aber Sohn der Kurtisane war, sich nach ihrem Tod Andrea della Fiammetta nannte.
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der Kirche, die Martin Luther aller Wahrscheinlichkeit nach als zweite Kirche der Augustiner-Eremiten im centro storico bekannt gewesen sein wird, geht hervor, dass Fiammetta im Dezember 1506 in S. Agostino eine gesungene Totenmesse für ihre verstorbene Mutter abhalten ließ, die sie mit vier carlini bezahlte: „item recepi adi sedici per una messa cantata di morte per l’anima della madre della Fiammetta in tutto carlini quattro“.³¹ Dabei war Fiammetta in S. Agostino offenbar so bekannt, dass es nicht nötig gewesen wäre, ihre Identität durch die Angabe ihres vollen Namens zu erklären. Als Fiammetta 1512, im Alter von 47 Jahren, starb, wurde sie in einer eigenen Kapelle in S. Agostino beigesetzt: „Al di 29 febbraio 1512 Fiammetta da Michele da Firenza nel suo testamento elegge la sua sepoltura nella chiesa di S. Agostino e della capella da essa fondata“.³² Eine solch herausgehobene Beisetzung erfuhr wenige Jahrzehnte später auch die namhafte Kurtisane Tullia d’Aragona, die über viele Jahre bis zu ihrem Tod im Jahr 1556 in Rom wirkte.³³ An ihr zeigt sich, wie selbstverständlich die Musikpraxis damals zum Leben einer Kurtisane gehörte: Im Nachlassverzeichnis sind dreizehn gebrauchte Musikbücher, wahrscheinlich Noten, aufgeführt, sowie eine „schon kaputte Laute mit ihrem Holzkasten“.³⁴
31 „Ebenso empfangen am 16. [Dezember 1506] für eine gesungene Totenmesse für die Seele der Mutter der Fiammetta insgesamt vier carlini“. Roma, Archivio di Stato di Roma (= ASR), Agostino in S. Agostino reg. 109, fol. 2r. Aus der Fülle der eingetragenen Einnahmen für geleistete Messdienste geht hervor, dass die messa cantata, die „gesungene Messe“, einer höheren Kategorie gegenüber der messa bassa, der „einfachen Messe“, entsprach. Zudem wird deutlich, wie stark frequentiert S. Agostino von tedeschi, meist Schustern oder Bäckern, war. So heißt es in den Einträgen für denselben Monat, den Dezember 1506, z. B.: „item adi ventidue recepi dalli tedeschi calzolai per una messa bassa bolognini tre denari dodici“ („ebenso am 22. [Dezember] erhalten von den deutschen Schustern für eine einfache Messe drei bolognini und zwölf denari“): ebd., fol. 2r: „item recepi adi venti sette dalli tedeschi panatieri per tre messe cantate la nocte e il giorno di natale carlini sei: somma in tutto bolognini quaranta cinque“ („ebenso erhalten am 27. [Dezember] von den deutschen Bäckern für drei gesungene Messen in der Weihnachtsnacht und am Weihnachtstag zu je sechs carlini: insgesamt 45 bolognini“). 32 Und im weiteren Wortlaut: „e lasciando ad Andrea suo fratello l’usofruto d’una sua casa nel rione di Ponte nella strada del Immagine con questo che ne spenda ogni anno sei Ducati per tante Messe in S. Agostino e sei altri per tante nella Chiesa della Pace alle quali Chiese pro indiviso ricada la detta Casa dopo la morte di d.to Andrea che morendo esso senza figli succedano le dette Chiese nella sua eredità etc. con peso di cinque anniversari etc. et con prohibitione di aliennare etc. se ne rogò Andrea de Carusiis“. ASR, Agostino in S. Agostino, reg. 15, Nr. 207. Ich danke der Kollegin Anna Esposito für die wertvollen Hinweise auf Fiammetta im Archiv von S. Agostino im römischen Staatsarchiv. 33 Tullia d’Aragona (geb. ca. 1508/10, gest. 1556) wirkte als Kurtisane zunächst bis 1531, dann erneut ab 1548 bis zu ihrem Tod in Rom sowie in der Zwischenzeit auch in Ferrara, Florenz, Venedig und Siena. Sie war mit vielen Literaten befreundet, u. a. mit Francesco Maria Molza und Benedetto Varchi. Ihre Verteidigung platonischer Theorien zog die kritische Rolle ihrer Person in Sperone Speronis „Dialogo d’amore“ nach sich. Sie schrieb überwiegend petrarkistische Dichtungen. 34 „In una cassa vecchia nella quale cerano trenta cinque libri tra vogari et latini de prii et diverse sorte et tredici di musica tra usati vecci et stracciati et diversi altre carte et libri già stracciati … un liuto
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Tullia wird in diesem Dokument als curialis bezeichnet, wodurch eine bezeichnende Bedeutungsverschiebung des ursprünglichen Begriffs und die Bedeutung des Kurtisanentums für die Hauptstadt der Kurie belegt werden. Man bedenke, dass Kurtisanen in der Volkszählung 1526/27 einen erstaunlich großen Bevölkerungsanteil von ca. 10 % ausmachten.³⁵ Das Adjektiv curialis meinte ursprünglich eine Person, die der Kurie angehörte bzw. diente.³⁶ Dies wird auch Luther gemeint haben, als er in seinem Reisebericht den unernsthaften Umgang von „Kurtisanen“ mit dem Altarsakrament kritisierte.³⁷ Seit Burckards Eintrag von 1498, „quedam cortegiana, hoc est meretrix honesta“,³⁸ ist bekannt, dass man von Rom ausgehend als Kurtisanen auch von den Damen sprach, die ein festes, käufliches Liebesverhältnis zu einem Mitglied der Kurie hatten und ihm dienten; in der italienischen Übersetzung Cortigiana kam die Konnotation der Hofdame hinzu,³⁹ und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stand der
gia rotto con la sua cassa di legno“. Inventarium rerum et bonorum mobilium q(uondam) d(ominae) Tulie de aragonia curialis dum vixit, ASR, Notai AC 6298, fol. 79b. 35 M. Ku r z e l- Ru n t s c h e i n e r, Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 1995, S. 9f. Die überlieferten Quellen der damaligen Volkszählung sind in einer kritischen Ausgabe einsehbar: Descriptio Urbis. The Roman census of 1527, hg. von E. Le e, Roma 1985 (Biblioteca del Cinquecento 32), S. 9f. Dies gilt auch für die Annahme von Umberto Gnoli, 10 % der 55.000 Einwohner seien Kurtisanen gewesen. 1490 ist bei Infessura von 6.800 Kurtisanen die Rede, vgl. Ku r z e l - Ru n ts c h e i n e r, Töchter der Venus (wie Anm. 35), S. 259f. 36 „Zum Wohl und Dienst der Gesamtkirche und der Teilkirche, wodurch die Einheit im Glauben und die Gemeinschaft des Gottesvolkes gestärkt werden und die der Kirche eigene Sendung in der Welt gefördert wird“: Art. Römische Kurie, in: Lexikon für Theologie und Kirche 8 ( 31999), Sp. 1287. Curia hat ebenso die Bedeutung „Corte“ wie „Corte pontificia“. Vgl. den Artikel in S. B a t t a g l i a, Grande Dizionario della lingua italiana, Bd. 3, Torino 1964, S. 1071f. Vgl. zudem ebd. Art. Curiale: „1. agg. della curia; proprio dei modi di comportarsi di coloro che esercitano le professioni legali o del loro ambiente …, 2. proprio dell’ambiente di corte …, 4. prelato che fa parte della curia romana. Anche: persona laica addetta a una curia vescovile“ (Curiale, „1. Adj. der Kurie, den Verhaltensweisen derer eigen, die legale Berufe ausüben oder sich in diesem Ambiente bewegen …, 2. dem Hofambiente eigen …, 3. Prälat, der der römischen Kurie angehört. Auch: Laie / in, der / die an einer bischöflichen Kurie tätig ist“). Ebd., S. 1072; Art. Curialis, „Subst., Angehöriger der städtischen Kurie, Adj., den Hof eines Königs, Fürsten, die höfische Gesellschaft, den fürstlichen Adel betreffend“: J. F. N i e r m e ye r / C. v a n d e K r e f t (Hg.), Mediae Latinitatis lexicon minus, Bd. 1, Darmstadt 2002, S. 38; Art. Curialiter, „comiter, humaniter, couteoisement; more Curialicum, à la manière des Courtisans“. Glossarium mediae et infimae Latinitas, Bd. 2, hg. von C. du C a nge, Univers. Ndr. der Ausgabe von 1883–1887, Graz 1954, S. 674. 37 Vgl. H. Vo ßb e rg, Im heiligen Rom. Luthers Reiseeindrücke 1510–1511, Berlin 1966, S. 96f. Ich danke Adalbert Roth für diesen Hinweis. 38 „Superioribus diebus, incarcerata fuit quedam cortegiana, hoc est meretrix honesta, Cursetta nuncupata, que familiarem Maurem habuit in vestibus et habitu muliebri incedentem“ („In den vorherigen Tagen wurde eine gewisse Kurtisane eingekerkert, d. h. eine ehrenwerte Hure, die Cursetta genannt wird, deren maurischer Diener in Frauenkleidern gekleidet war“). B u r c k a r d, Liber Notarum, hg. von E. C e l a n i (wie Anm. 16), Bd. 1, Eintragung vom 2. April 1498, S. 80. 39 Als weibliches Äquivalent zum cortigiano stand cortigiana bis ins 16. Jahrhundert in erster Linie für eine Hofdame und damit an allen anderen Höfen Europas für eine Angehörige des Adels.
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Begriff selbstverständlich für die gesellschaftlich höher stehende Prostituierte, die ihre Liebeskünste käuflich anbot.⁴⁰ Doch noch einmal zurück zu S. Agostino:⁴¹ Über einen Brief aus dem Jahr 1517 von einer dritten, in dieser Kirche beigesetzten Kurtisane namens Beatrice di Ferrara an einen ihrer padroni, Lorenzo de’ Medici, der damals Herzog von Urbino und Capitano der Florentiner und des Kirchenstaates war, wird überliefert, welche Bedeutung S. Agostino für die römischen Kurtisanen hatte. Beatrice ist einfach und direkt in ihrer Diktion. Mitten aus der Karwoche heraus klagt sie über die erzwungene sexuelle Enthaltsamkeit, hält ihren Padrone jedoch mit ihrer Vorfreude auf den Beischlaf mit ihm bei Stimmung.⁴² Dann aber berichtet Beatrice auch von ihrer überhaupt erstmaligen Beichte bei einem Prediger in S. Agostino, zu dessen Predigten alle Huren in Rom kämen:⁴³ Der Wunsch dieses Predigers, sie zum Glaubensweg zu konvertieren, findet ihrem Brief zufolge zwar bei einzelnen Kolleginnen Gehör, die fortan ihren Weg als Nonne gehen, ohne dabei ihr altes Metier aufzugeben: Sie aber ist offenbar taub für solche Predigten: „Oh, oh, oh, dura impresa! Per me aria potuto cicalare cento anni!“⁴⁴ Im selben Brief vertraut Beatrice Lorenzo an, dass sie gleich für ihn zu Gott gebetet, nachdem sie den Prediger mit zwei Golddukaten zufrieden gestellt habe, was ihr bis jetzt in der Seele wehtue, weil er das Geld zum Fenster hinaus werfe und sie dafür einiges arbeiten müsse. Für sich selbst, die sie Hure und Sünderin sei, habe sie Gnade und Gesundheit erbeten.
Vgl. etwa den „Libro del Cortigiano“, wo der Begriff synonym für „donna di palazzo“ verwendet wird. B. C a s t igl i o n e (1528), Il libro del Cortegiano, hg. von W. B a r b e r i s, Torino 1998, II, 99, S. 253. 40 Vgl. diese Diskussion bei M. R o s e n t h a l, The Honest Courtesan. Veronica Franco. Citizen and Writer in Sixteenth-Century Venice, Chicago-London 1992, S. 67. Schlägt man heute die Bedeutung des Wortes Cortigiana nach, hat sich die der „mondana, prostituta“ durchgesetzt. Die Bedeutung einer dama di corte fungiert nur noch als zweite, ältere Bezeichnung: B a t t a g l i a, Grande Dizionario (wie Anm. 36), Bd. 3, Torino 1964, S. 863. Diese pragmatische Verwendung des Begriffs der curialis in Dokumenten römischer Justizbehörden (abgekürzt Cur oder cur s) als Übersetzung von cortigiana bestätigt sich bei Peter Blastenbrei für den späteren Zeitraum 1560–1585: B l a s t e n b r e i, Kriminalität (wie Anm. 3), S. 157. 41 Dass S. Agostino damals ein Zentrum der Kurtisanen war, mag auch damit in Zusammenhang stehen, dass die Kirche die Tradition einer Volkskirche hatte. Nach der Erweiterung der alten Kirche fungierte sie, nach S. Maria del Popolo, als zweite Kirche der Augustiner-Eremiten in Rom: W. B u c h o w i e c k i, Handbuch der Kirchen Roms, Bd. 1, Wien 1967, S. 296, 308. Für einen Stadtplan des damaligen Zentrums: La città storica, campi e piazze della zona urbana centrale, in: S i m o n c i n i, Roma (wie Anm. 30), Tav. VI. 42 Vgl. ihren Brief vom 23. April 1517, in: A. R o m a n o (Hg.), Lettere di cortigiane del Rinascimento, Roma 1990, S. 145. 43 „Quante putane sono in Roma, tutte veniano a la sua predica“. Vgl. denselben Brief vom 23. April 1517, ebd. 44 „Oh, oh, oh, welch hartes Unterfangen. Für mich müsste er 100 Jahre schwätzen“. Ebd.
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Ein Mönch, der damals S. Agostino frequentierte, dürfte demnach Gelegenheit gehabt haben, die in Rom selbstverständliche Überschreitung sittlicher Normen wahrzunehmen, worunter die Durchlässigkeit der Sphären zwischen geistlich und weltlich eine für den Lebensalltag prägende gewesen sein dürfte. Diese für die Hauptstadt der Kurie markante Situation wird in einem Frottolenpaar aufs Korn genommen, das 1513 und 1514 in Rom und Fossombrone gedruckt wurde. Die erste der beiden Frottolen erschien zuerst 1513 im dritten Buch an Canzonen und Frottolen, das Andrea Antico in Rom publizierte (siehe Tabelle 1). Das Ich ist hier ein unerhörter Liebhaber, der beschlossen hat, Mönch zu werden und nun verzweifelt darüber nachsinnt, was seine Liebste tun, ob sie womöglich sogar auch Nonne werden wird: „Che faralla, che diralla?“ („Was wird sie nun machen und was tun“) fragt er sich (Textbeispiel 2 und Hörbeispiel 1⁴⁵). In der Antwort-Frottola spricht sie dann selbst, worin bereits ein unterhaltsamer Affront gegen die Tradition der höfischen Liebe zu sehen ist, demnach sich die Geliebte in Sprachlosigkeit und Zurückhaltung zu üben hat. Hier nun denkt sie laut darüber nach, womit sie zu rechnen hat: „uscirallo o resterallo?“ (Textbeispiel 2) Wird er – aus dem Kloster – wohl „austreten oder bleiben“, fragt sie sich im Refrain, um dann in den Strophen ihre ganz eigene Entscheidung zu treffen: Tatsächlich denkt sie darüber nach, ob sie aus Kummer über seine Entscheidung, Mönch zu werden, – ihrer Meinung nach ein Fehler – ihm selbst ins Kloster folgen soll, allerdings nur, um persönlich zum Papst vordringen zu können, auf dass der Geliebte sich die Kutte zerreiße und zu ihr zurückkehre: „Ma se impetro mai dal pappa / Che si stracci quella cappa / Questo error si menderà“ (Textbeispiel 3, 3. Strophe). Vor den geschilderten Hintergründen dürfen wir folgern, dass die bekannten literarischen Illustrationen zum Kurtisanenleben von Pietro Aretino aus den 1520er und 1530er Jahren, wie sie z. B. in den „Ragionamenti“ der Huren Nanna und Pippa (1534 und 1536) überliefert sind, eine durchaus realitätsbezogene Basis haben. Aretino illustriert die Doppelbödigkeit der sittlichen Moral im geistlichen Kontext, indem er die Klosterschwester Antonia von dem schönen Gesang eines Mönches schwärmen lässt und ihr dafür die rhetorische Frage in den Mund legt: „wer bei einem so schönen Lied denn nicht die Röcke gehoben hätte“: „E chi non si arìa alzato i panni a sì bella canzona? “⁴⁶ Die Häufigkeit musikalischer Szenerien in Aretinos Schriften ist als Indiz dafür zu sehen, wie sehr sich das musikalische Dekor für das doppelbödige Spiel zwischen Schein und Sein, auch außerhalb des Kurtisanenmilieus, eignete.
45 CD (wie Anm. 7), Track 16. Für das Anhören dieses Hörbeispiels nutzen Sie bitte das Podcast-Angebot des Deutschen Historischen Instituts in Rom, URL: www.dhi-roma.it; 14. 9. 2017). 46 P. A re t i n o, I Ragionamenti (nach der Ausgabe Bengadi 1584), Milano 1974, parte prima, prima giornata, S. 52.
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Che faralla, che diralla, Quando la saperà Che mi sia fra’?
Was wird sie machen, was wird sie sagen, Wenn sie erfährt, Dass ich Mönch bin?
O quante fiate Di farmi frate In sua presentia gli ‚ho giurà; Ma lei ridea E nol credea Che mi dovesse mai farmi frà. Anzi, ognor si lamentava Con dir che la bertigiava, E pur mi son fatto frà!
O wie viele Male Mich zum Mönch zu machen Habe ich in ihrer Gegenwart geschworen, Aber sie hat gelacht, Und es nicht geglaubt, Dass ich mich jemals zum Mönch machen würde. Im Gegenteil, ständig hat sie sich beklagt Und gesagt, dass ich sie verschaukele, Und nun bin ich in der Tat Mönch geworden!
Che faralla, che diralla …
Was wird sie machen, was wird sie sagen …
Quando ho ben visto Che far acquisto Di lei non posso, son fatto fra’: E fraticelo Discalcirello, Che cossi avea deliberà, Dove in una picciol cella Faccio vita poveralla Observando castità.
Als ich klar gesehen habe, Dass ich von ihr nicht Besitz ergreifen kann, bin ich Mönch geworden. Und als Brüderchen Bloßen Fußes, hatte ich es nun so beschlossen. In einer kleinen Zelle Lebe ich ein armes Leben Und übe Enthaltsamkeit.
Che faralla, che diralla
Was wird sie machen, was wird sie sagen …
So che colui Qual ambidui Del nostro amore privati n’ha, Con sue ciancette E lusinghette Ch’io venga fora lui cercherà, Ma se mai el me ghe achiappa, Che mi stracci questa cappa, Che di vita io sia privà.
Ich weiß, dass er uns beide Von unserer Liebe befreit hat. Mit seinem Geschwätz Und Verführungen, Auf dass ich heraus komme und ihn suchen werde. Aber wenn er mir je entwischt, Mir diese Kutte zerreißt Werde ich des Lebens beraubt sein.
Che faralla, che diralla
Was wird sie machen, was wird sie sagen …
La poverella Senza favella La notte e’l giorno se ne starà E scapigliata Tutta affannata, El strano caso lei piangerà. Forsi poi ch’l suo pensiero In un qualche monastero Ala fin la condurà.
Die Arme Wird sprachlos sein Tag und Nacht Und verwirrt. Ganz in Kummer Wird sie den seltsamen Fall beweinen. Vielleicht wird ihr Denken sie dann Am Ende in irgendein Kloster Führen.
Che faralla, che diralla etc.
Was wird sie machen, was wird sie sagen …
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Textbeispiel 2: „Che faralla, che faralla“, Frottola (Barzelletta) von Michele Pesenti oder Bartolomeo Tromboncino, in: Canzoni … et Frottole. Libro Tertio, Roma, Andrea Antico, 1513, fol. 39v–40r, und Frottole Libro XI, Fossombrone, Ottaviano Petrucci, 1514, fol. 28.
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Uscirallo o resterallo El mio ben? O che farà, Poiché l’è fra’? Ahimè, s’el resta, Di me più mesta Mai donna alcuna non sarà; Ma se esce fora, Io spero anchora Che al primo amor ritornerà. Lassa me, ch’el me giurava De ciò far, ma non pensava: Hor è pur la verità.
Wird er herauskommen oder bleiben, Mein Guter? Oder was wird er machen, Wenn er jetzt Mönch ist? Oh weh, wenn er bleibt, Wird es keine traurigere Frau als mich geben. Aber wenn er raus kommt Hoffe ich noch, Dass er zur ersten Liebe zurückkehrt. Weh mir, denn er schwor mir, Das zu tun, aber dachte [doch] nicht [wirklich] daran. Jetzt ist es reine Wirklichkeit.
Uscirallo o resterallo …
Wird er herauskommen oder bleiben …
Se avesse visto Che fin sì tristo Dovesse far, come fatto ha, El poverello D’ogni martello Averia certo liberà. Hor che voglio star donzella Meglio è farmi monicella Poi che lui s’è fatto fra’.
Wenn er gesehen hätte Welch trauriges Ende Er nehmen müsste, wie er es getan hat, der Arme, Von jedem Zwang Hätte er sich sicher befreit. Jetzt, da ich Jungfrau bleiben will, Ist es besser Nonne zu werden, Da er sich zum Mönch gemacht hat.
Uscirallo o resterallo etc.
Wird er herauskommen oder bleiben …
Misera fui Cagion che lui De panni tal vestito s’ha: Ché mie zancette E pargolette Non lo dovean tenir gabà. Ma se impetro mai dal pappa Che si stracci quella cappa Questo error si menderà.
Elend war ich. Der Grund war, dass er Sich mit diesen Gewändern gekleidet hat. Denn meine Scherzchen Und Kindereien Sollten ihn nicht betrügen. Aber wenn ich je beim Papst eindringe, Dass er sich die Kutte zerreißt, Wird man diesen Fehler verzeihen.
Uscirallo o resterallo etc.
Wird er herauskommen oder bleiben …
Textbeispiel 3: Uscirallo o resterallo“, Frottola (Barzelletta) von Michele Pesenti oder Bartolomeo Tromboncino, in: Frottole Libro XI, Fossombrone, Ottaviano Petrucci, 1514, fol. 11v–12r.
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3 Musik im Karneval Weltliche Musik erklang in Rom nicht nur innerhalb der Palastmauern, sondern auch auf den Straßen und Plätzen, wofür in den Wintermonaten die Festumzüge des Karnevals beste Gelegenheiten boten. Schon 1473 versuchte Papst Sixtus IV. mit einem Verbot von „Klängen, Musikern, weltlichen Liedern etc.“ dem bunten Treiben Einhalt zu bieten.⁴⁷ Doch dürfte dies vergeblich gewesen sein. Immer wieder ist davon die Rede, dass Musik im großen Pomp der karnevalesken Umzüge und Maskeraden nicht fehlte, und offenbar auch die Kurie ihren Spaß daran hatte.⁴⁸ Stefano Infessura etwa berichtet vom Karneval des Jahres 1491, dass jeder Kardinal verkleidete Personen auf einem triumphalen Wagen und zu Pferd mit Trompetenklängen durch die Stadt ziehen ließ, vor allem zu anderen Kardinalshäusern, mit Mädchen, die sangen und anzügliche und vergnügliche Texte verlauten ließen, mit Mimen und Narren. Und er zieht daraus pessimistische Schlüsse über den moralischen Verfall an der Kurie.⁴⁹ Um daher zum Nachdenken darüber anzuregen, welche Klänge Luther auf den Straßen Roms gehört haben konnte, sei auf eines der wenigen Karnevalslieder verwiesen, das für die hier interessante Zeit in Rom belegbar ist: Das Lied mit dem Titel „Noi l’amazone siamo“ ist 1509 in Venedig im neunten Frottolenbuch von Ottaviano Petrucci im Druck erschienen. Der Autor Filippo Lurano ist uns bereits als Komponist der Frottola „Io ti lasso donna hormai“ begegnet, die im Florentiner Manuskript Antinori 158 der Kurtisane von Papst Julius II. namens Masina zugewiesen ist (Textbeispiel 1 und Notenbeispiel 1).⁵⁰ Filippo war im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert in Rom ansässig. 1508 war er unter den Komponisten der Hochzeitsmusik
47 „Non soni, musici, non cantus seculares, non histrionum fabulae“: Codice Vaticano 3884 a c.188e seg., zit. nach F. C l e m e n t i, Il Carnevale romano nelle chronache contemporanee, Roma 1899, S. 83. 48 Für Musik im römischen Karneval des frühen 17. Jahrhundert vgl. den Beitrag von S. Wo yke im Bericht über die Internationale Tagung „Feiern, Schunkeln, Singen. Musik im Karneval, Köln 2011“, hg. von A. M u nge n und C. S i e ge r t, Köln 2013 (Druck in Vorbereitung), für Musik im venezianischen Karneval des 16. Jahrhunderts den Beitrag der Verfasserin, ebd. 49 „Et quamvis aliis temporibus haec improbata consuetudo inolevit, isto tamen anno magis quam caeteris excrevit ut unusquisque cardinalis in carnisprivio sumptuosissime in carris triumphalibus et etiam equitibus cum tubis et sonis larvatos et mascaras per Urbem miserunt; potissime ad domum aliorum cardinalium cum pueris cantantibus ac dicentibus verba lasciva et eis delectabilia cum buffonibus et histrionibus et cum aliis … ex quo intrepide dicere et iudicare possumus misericordiam Dei nostri in luxuriam et opus diabolicum conversam esse; et nullus est qui ex hoc non miretur“. Stefano I n f e s s u r a, Diario della cittá di Roma, hg. von O. To m m a s i n i, Roma 1890 (Fonti per la storia d’Italia), S. 265. 50 Wie Anm. 28.
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für die Nichte von Papst Julius II.⁵¹ Spätestens ab 1512 hat Filippo Rom verlassen, da er Kapellsänger in S. Maria Assunta in Cividale wurde; 1520 starb er.⁵² Noi l’amazone siamo / che volem l’aiuto vostro / per servar el gener nostro / de’ begl’omeni cerchiamo. / Non per altro ce partemo / de la terra nostra altrice / se non per che noi voremo / quel che a donne dir non lice / e se ben chiar non se dice / per vergogna sol restiamo. / [Noi l’amazone … etc.] Habiam lege assai diverse / tenem donne sol fra noi / e per poter mantenerse / ne veniamo a cercar voi / ma del parto nostro poi / sol le femine pigliamo. / [Noi l’amazone … etc.]E se alcuna donna fosse / che gli piaccia questa usanza / venghi pur e grande e grosse / belle, giovene a baldanza / che le brutte a simil danza / e le vecchie refiutamo. / [Noi l’amazone … etc.] Etc. [ weitere 2 Strophen] Wir sind Amazonen / Die eure Hilfe brauchen: / Um unsere Gattung zu retten / Brauchen wir schöne Männer. / Aus keinen andrem Grund verlassen wir / Unser Heimatland / Wenn nicht aus dem, den wir / Frauen nicht aussprechen dürfen; / Und wenn das noch nicht klar genug gesagt ist, / bleiben wir, aus Scham, allein. / Wir sind Amazonen … Wir haben andere Gesetze: / Wir dulden nur Frauen in unserem Land, / und um uns zu erhalten, / kommen wir euch aufzusuchen. / Aber nach unseren Geburten / Behalten wir nur die Mädchen bei uns / Wir sind Amazonen … Und wenn irgendeiner Frau, / unsere Sitte zusagt, / kommt nur, dicke und große, / hübsche, junge, seid kühn, / denn die hässlichen und andere solche / und die alten lehnen wir ab. / Wir sind Amazonen … [etc.] [weitere 2 Strophen] Textbeispiel 4: Noi l’amazone siamo, aus: Frottole libro nono, Venezia, Ottaviano Petrucci, 1509, fol. 33v–34r.
Dass es sich um ein Karnevalslied handelt, zeigt sich an der Vierstimmigkeit und dem durchgehenden Zweiermetrum des Satzes⁵³ und an der für die canti carnascialeschi typisch kollektiven Perspektive des „Wir“. In „Noi l’amazone siamo“ preisen kriegerische Amazonen ihr Geschäft, das zweifellos für das der Kurtisanen steht (Textbeispiel 4 und Hörbeispiel 2).⁵⁴
51 Es handelte sich um die Heirat von Lucrezia Gara della Rovere mit Marcantonio Colonna. 52 L. S c h m i dt, Art. Filippo de Lurano (wie Anm. 23). 53 Prizer erklärt die Vierstimmigkeit und das binäre Metrum auf der Basis der Breve zu zentralen Kennzeichen von Karnevalsliedern, die außerhalb von Florenz entstanden: W. P r i z e r, Facciamo pure noi carnevale. Non-Florentine Carnival Songs of the Late Fiftheenth and early Sixteenth Centuries, in: I. A l m / A. M c L a m o re / C. R e a rd o n (Hg.), Musica franca. Essays in honor of Frank A. d’Accone, Stuyvesant 1996, S. 173–211, hier 182. 54 Ebd., S. 173–211. CD (wie Anm. 7), Track 8. Für das Anhören dieses Hörbeispiels nutzen Sie bitte das Podcast-Angebot des Deutschen Historischen Instituts in Rom, URL: www.dhi-roma.it; 14. 9. 2017).
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Das Lied spielt mit verschiedenen Ebenen der Maskierung: Nicht nur begeben sich auf der Ebene des gesungenen Textes die Kurtisanen in die Maske von Amazonen, darüber hinaus ist davon auszugehen, dass es Männer waren, die das Lied von den Karnevalswagen aus sangen und dabei als Frauen maskiert waren. Diese Maskerade wiederum ist eine Umkehrung der überlieferten Praxis, dass sich Kurtisanen häufig als Mann verkleideten, um unerkannt durch Rom gehen zu können. So lässt etwa Il Prete, der Berichterstatter von Isabella d’Este Gonzaga, seine Markgräfin bei einem Romaufenthalt im Jahr 1501 wissen, dass er in der Stadt überall und stets Kurtisanen „in maschera“ sehe: „Per la terra, non se vede se non cortesane in maschere de la matina insino a la sera“.⁵⁵
4 Fazit Die vorausgehenden Überlegungen lassen den Eindruck entstehen, dass der Karneval in Rom nur einen Extrempunkt der Maskier- und Umkehrspiele darstellte, die auch das Jahr über innerhalb der Paläste stattfanden und einen wichtigen Fluchtpunkt aus dem normierten Leben in der Hauptstadt der Kurie, somit eine Ventilsitte in dem eingangs besprochenen Sinn, boten.⁵⁶ Es hat sich gezeigt, dass in der Frottolenpraxis auf unterhaltsame, auch provozierende Weise die Liebe besungen wurde, und zwar zum Teil mithilfe von Texten, die ganz konkret die für Rom besonderen Bedingungen der selbstverständlichen Nähe zum Alltag der Geistlichen aufgreifen (vgl. Textbeispiele 1 und 2 sowie Hörbeispiel 1).⁵⁷ Mit den Überlegungen zur Musik im humanistischen Kontext, bei denen sich die Beliebtheit zeitgenössischer Liebeslieder auf Banketten der Kurie durch Legitimationen und Warnungen in zeitgenössischen Traktaten manifestiert, aber vor allem den Ausführungen zur Musik der Kurtisanen möchte ich in diesem Sinn zum Nachdenken darüber anregen, dass das Besingen der Liebe, mit seinen seit der Antike tradierten, widersprüchlichen Implikationen der Nobilitierung und Heilung, aber auch der sinnlichen Verführung der Seele, in der von Luther bereisten Stadt Rom ein ideales Terrain war, um sittlichen Normierungen auszuweichen oder sie geschickt zu überwinden.⁵⁸ In der Musikpraxis der Kurtisanen kommt der erotische Reiz des Rollentauschs hinzu,⁵⁹ wenn ‚sie‘ in die männliche Rolle des
55 Brief vom 29. Dezember 1501, in: Archivio di Stato di Mantova, Fondo Gonzaga, Autografi, busta 4, fol. 149, zit. nach P r i z e r, Facciamo pure noi carnevale (wie Anm. 52), S. 205. 56 Wie Anm. 6. 57 Siehe oben S. 505 und 511 sowie Anm. 45. 58 Wie Anm. 5. 59 M. Fe l d m a n, The Courtesan’s Voice. Petrarchan Lovers, Pop Philosophy and Oral Traditions, in: M. Fe l d m a n / B. G o rd o n (Hg.), The Courtesan’s Arts. Cross-Cultural Perspectives, Oxford 2006, S. 105–123, hier S. 105; S. M. Ke e n e r, Virtue, Illusion, Venezianità. Vocal Bravura and the Early Cor-
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Liebhabers der traditionellen höfischen Liebespoesie schlüpft, zugleich aber als Geliebte in der Rolle der von ihren Freiern Angebeteten bleibt. Sie ist der Grund für Sehnsüchte und Leid, der Grund für süße Fehler, die Verführung und die verlorene Unschuld und verkörpert damit letztlich den Anstoß für das Singen des Dichters. Der auch zu Zeiten von Papst Julius II. musikalisch belebte römische Karneval öffnete diesen Maskier- und Umkehrspielen noch weitere Räume, die die Straßen und Plätze Roms einschlossen.
tigiana Onesta, in: T. L a M ay (Hg.), Musical Voices of Early Modern Women. Many-Headed Melodies, Aldershot 2005, S. 119–133.
Register Die Stichworte „Martin Luther“ und „Rom“ sind nicht erfasst, sehr wohl aber einzelne Monumente und Orte in der Stadt. Wo eingebürgert, ist die deutsche Namensform bevorzugt. Man suche aber immer auch unter der italienischen Bezeichnung. Moderne Gelehrte sind nicht erfasst.
1 Personen Accolti, Benedetto 417 Accolti, Pietro 191, 196 f. Adrian von Utrecht s. Hadrian VI. Aegidius Romanus 317 Aelius Donatus 418 Agnellis, Philippus de 212, 218 Agostino Maria von Bergamo 94 Alberigi, Francisco 265 Alberti, Leon Battista 133–135, 138, 353, 407, 429 Albertini, Francesco 131, 142, 471, 474, 476– 478, 481, 483, 487 Albertoni, Ludovica 299 Albertus Magnus 189 Albornoz, Gil Álvarez Carillo de 136 Albrecht II., König HRR 200 Albrecht V. von Bayern 156, 231, 254 Albrecht von Brandenburg 180, 184, 235, 459– 464 Alcionio, Pietro 433 Aldobrandini, Ippolito s. Clemens VIII. Aleander, Hieronymus 395 Aleandro, Girolamo 86 Alemanus s. Johannes Alemanus / Klein / Parvus Alessandro da Gabbioneta 265 Alessandro di San Elpidio 189 d’Alessandro, Cornelio Benigno 416 f. Alexander VI., Papst 21, 26, 68, 78, 116, 118, 142, 147, 149, 155, 170 f., 178, 208 f., 213, 216, 224, 230, 257, 261, 347, 355, 361, 388, 390, 397, 409, 412, 421, 427, 440 f., 443, 451, 477, 482, 490, 501 Alexander von Hales 189 Alfons V., König von Neapel 432 Alfons von Orozco 317 Alidosi, Francesco 160 Altieri, Girolamo 143 Altieri, Lorenzo 143 DOI 10.1515/9783110316117-026
Altieri, Marco Antonio 131, 138 f., 141–144, 150 f., 270, 296, 422 Amannis, Stefano de 67, 69–74, 76, 81 Amaseo, Romolo 427 d’Amboise, Charles 162 d’Amboise, Georges 159, 264 Ambrosius von Mailand, Kirchenvater 313 Andalò, Brancaleone 137 d’Andrea, Giovanni 189 Angelus von Gennazano 97 Annius da Viterbo 409, 412, 417 f., 429 Antico, Andrea 503, 510 Antoniazzo Romano 361 Antonius von Siena 100 Apocellus, Jakob 395 Apuleius 429 Arcimboldi, Giovanni 183 Argyropolos, Johannes 400 Arianiti (Commeno), Costantino 269 Ariost, Ludwig 427 Aristoteles 331, 338 Armellini, Francesco 236 f., 461 Arnold aus Köln, Kreuzherr 215 Arnold von Brescia 136 Arnolfo di Cambio 443 Arrighi, Domenico Benedetto di 504 Arsillus, Franciscus 410 Arzt, Bernhard 221 Astallis, Mariano de 123 Attavanti, Domenico 179 Attavanti, Francesco 179, 181 Aucuparius (Vogler), Thomas 390 Augustin von Hippo, Kirchenvater 14, 102, 313 f., 316, 346 Augustinus de Serra 92, 98, 103 Augustinus von Ancona 317 Augustinus von Fivizzano 96 Augustinus von Vicenza 97
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Augustus, Kaiser 413, 439 Aurelian, Kaiser 346 Aurifaber 13, 49 Auriga (Fuhrmann), Johann 390 Averlino, Antonio 442 Bader, Johannes 401 Baglioni, Malatesta 267 Balami, Ferdinando 475 Baldassini, Melchiorre 475 Baldewini, Berthold 219, 387 Baldi del Riccio (Crinito), Pietro 408 Barbarus, Hermolaus 408 Barbazza, Andrea 189 Barbo, Marco 400, 477 Barcelo, Johannes 213 Bardinis, C. de 213 Bartolini, Bartolomeo 180 f. Bartolini, Gherardo 173 f. Bartolini, Leonardo di Zanobi 173–177, 181 f., 186 Bartolini, Lorenzo di Bartolomeo 176 Bartolomeo degli Organi 504 f. Baschenis, Antonius de 213 Basso della Rovere, Girolamo 63, 218, 354 Baura, Andrea 98 Beatis, Antonio de 172 Beatrice di Ferrara 509 Beheim, Lorenz 400 Bellarmino, Roberto 204 Bembo, Pietro 411, 419 f., 424–427, 429, 433 Benedikt XIII., Papst 189 Benimbene, Camillo 150 Bentivoglio von Bologna 167 Bernardino da Chieri 191 f. Bernardino da Todi 268 Bernardus de Prato 211 Bernardus de Vulterris 300 Berndorffer, Georg 302 Bernini, Gianlorenzo 299 Beroaldo d. Ä., Filippo 433 Beroaldo d. J., Filippo 415, 428 Berthelay, Franciscus 208, 214 f. Besler, Nikolaus 4, 12 f., 15, 18 f., 57 Bessarion 334 Beutz, Heinrich 217 Bianchino da Pisa 505 Biassa, Baldassarre 259
Bilhères de Lagraulas, Jean 363 Blasius von Sebaste 483 Boccaccio 37, 419, 426 Bode, Heinrich 380 Bodenstein von Karlstadt, Andreas 44, 203, 404 Bodetus, Johannes 218 Bodier, Jean 285 Bodwitz, Caspar de 214 Boethius 329 f. Boger, Heinrich 400 Bonatti, Marco Antonio 296 Bonaventura 189 Boncompagni, Cataldino di 189 Bonifaz, Papst 282 Bonifaz VIII., Papst 198, 215 f. Bonifaz IX., Papst 137 Bonino de Nigris 410 Borger, Johannes 216 Borgherini, Giovanni 172 Borgia, Cesare, Herzog von Gandia 171, 499, 501, 506 Borgia, Giovanni (Juan), Herzog von Gandia 171 Borgia, Lucrezia 149 f., 171 Borgia, Rodrigo s. Alexander VI. Borgo, Andrea da 163 Borja Llançol de Romaní, Pedro Luis de, Großpöniteniar 218 Borromeo, Carlo 76 Bracci, Bernardo 185 Bracci, Giovanbattista 181, 185 Bramante, Donato 59, 75, 351 f., 374, 437 f., 441, 443–445, 449, 452–460, 466, 468 f., 482, 484, 488, 491 Brandolini, Raffaele 500 f., 503 Brant, Sebastian 202 Bredow, Liborius von 220 Briçonnet, Guillaume 239, 502 Brockslinger, Arnold 220 Brouun, Robert 292 Bruni, Leonardo 429 Bufalini, Leonardo 60, 87 f. Burckard, Johannes 143, 223, 235, 238 f., 241 f., 249, 253, 388, 400, 502, 508 Burckhardt, Jacob 341 Busdraga, Pietro 269 Busleiden, Hieronymus 390 Bussi, Giovanni Andrea 429
Personen
Caietano, Pietro 97 Cajetan, Tommaso (Tommaso de Vio) 9, 187, 191–197, 199–202, 204 Calahorra, Petrus 209, 214 Callimachus, Philosoph 336 Calp, Johannes 210 Calvi, Donato 94 Calvis, Nicolaus 86 Calvör, Caspar 43 Cambi, Filippo 265 Cambio, Arnolfo di 443 Cantagallo da Foligno, Nicolò 265 Capella 416 Capgrave, John 285 Capodiferro, Lello Maddaleni 150 Capponi, Luigi 284 Caracciolo, Marino 148 Caradosso (Cristoforo Foppa) 444 Carafa, Oliviero 393 Carusi, Andrea 506 f. Casa, Pandolfo della 120, 123 Casali, Giovanni Battista 98 Cäsar 260, 365, 487 Castellesi, Adriano 118 Castiglione, Baldassarre 258 Cantagallo da Foligno, Nicolò 265 Cavallini, Pietro 366 Celadoni, Alexios 191 Cellini, Benvenuto 76 Celtis, Konrad 400 f. Cenci, Giuliano 272 Centurión, Domenicus 177 Cesarini, Giovangiorgio 141 Chigi, Agostino 123, 173, 177, 365 f., 396, 466 Ciarla, Simone 460 Cicero 425, 430 f. Ciminelli, Serafino de’ 409, 422–425, 427, 499–501, 504 Clemens VII., Papst 65, 86, 196, 390 Clemens VIII., Papst 333 Clerk, John 236 f. Cochläus, Johannes 7, 9, 11, 45 f., 394 Cocus (Koch), Peter 390 Coecke van Aelst, Pieter 437 Cola di Rienzo 136 f., 140 Colardi, Johannes 213 Colocci, Angelo 393, 416 f., 424 f. Colonna, Marcantonio 162, 267, 272, 514 Colonna, Paolo 271
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Colonna, Pietro 398 Colonna, Pompeo 297 Colonna, Prospero 217 Coltre, Giorgio de 458 Coltre, Pietro de 458 Condivi, Ascanio 365 Conrater, Lukas 217 Cordatus, Konrad 7, 42, 44 f. Corio, Bernardino 409 Cortona, Pietro da 345 Cortesi, Paolo 407, 416 f., 419, 424, 426, 432, 465, 499 f. Corvino, Leonardo 417 Costa, Giorgio / Jorge da 81 Crescenzi, Ieronimo 120, 123 Crescenzi, Pierpaolo 143 Crinito, Pietro s. Baldi del Riccio Cusandro, Geremia 416 Cybo, Lorenzo 69 Dalberg, Johann von 400 Dante Alighieri 419 Dati, Giuliano 280, 297 f., 427 Deix, Thomas 382 Desprez, Josquin 499 Deyninger, Michael 218 Diaceto, Francesco 332 Diaz de Lugo, Bernal 198 Diokletian, Kaiser 27 Ps.-Dionysius Aeropagita 329 Dioscorus von Alexandrien 195 Donà, Girolamo 259 Doria, Nicolò 269 Dovizi da Bibbiena, Bernardo 173 f., 497 f. Doyeren, Gerardus de 218 Dragovic, Juraj 191 Dupérac, Etienne 60, 226, 231, 254, 256 Dürer, Albrecht 362, 376 Duval, Andre 204 Eberbach, Peter 394, 400 Ebreo, Leone 332 Eck, Johann 203 Meister Eckhart 252 Egidio da Viterbo 6, 8–10, 75, 77, 91–100, 103, 105, 109, 220, 247, 309–318, 320, 340, 365, 381, 398–401, 413–415, 421, 429, 439, 465
520 | Register
Enckenvoirt, Wilhelm von 219, 388 f., 396 f., 399, 403 Engel, Georg 395 Enrico da Segusio / Susa 189 Epikur 335 f. Erasmus von Rotterdam 30, 260, 320, 390, 395, 415, 425, 430–433, 469, 485 Ernst von Wittelsbach, Herzog von Bayern 461 d’Estaing, François 188 d’Este Gonzaga, Isabella 228, 291, 497 f., 502 f., 515 d’Este, Alfonso, Herzog von Ferrara 161 f., 167, 266 d’Estouteville, Guillaume 63, 101 Etzlaub, Erhard 15 Eugen IV., Papst 66, 189, 192–202, 319, 442 Eutyches 195 Evodius 313 Fabiola, Heilige aus Rom 225 Fabrizio von Vercelli 93 Faccioni, Agostino 309 Falier, Lorenzo 257 Falier, Ludovico 257 Favaroni, Agostino 199 f. Fedra Inghirami, Tommaso 416 Felix V., Papst 195 Ferber, Mauritius 219 Ferdinand I. (von Aragon), König von Neapel 138 Ferdinand II. (von Aragon), König von Sizilien 99, 159 f., 162, 165–167, 189, 198 f. Ferrariis, Antonio de 409 Ferratino da Amelia, Bartolomeo 265 Ferreri, Zaccaria 202 Ferri, Serafino 96 Fiammetta di Michele 506 f. Fiammetta, Andrea della 507 Ficino, Marsilio 309, 330–339, 342 Fidalgo de Chavez 351, 362, 366 Fieschi, Niccolò 191 Filarete 442 Fiorentino, Sebastiano 381 Flavio Biondo 81, 407, 418, 422, 475 f. Flavio, Francesco 422 f. Flavius Josephus 313 Foix, Gaston de 166 Fontana, Carlo 29 Foppa, Cristoforo 444 Forteguerri, Scipione (Carteromaco) 416
Francesca Romana 299, 304 Francesco da Fiano 430 Francio, Alessandro 123 Francisco de la Cruz 317 Franz I., König von Frankreich 196 Franziskus de Gambasio 98 Fregoso, Ottaviano 267 Friedrich der Weise 58, 203, 234 f., 240, 252 Friedrich III., Kaiser 13, 66, 416 Friesner, Andreas 209 Friesner, Egidius 209 Fugger, Jakob 180 Fuhrmann s. Auriga Fulvio, Andrea 481, 483, 487 f. Fürst, Veit von 162 Gabriello („Il Moro“), Bauunternehmer 458 Gadio, Stazio 150 Gagliano, Filippo da 186 Gagliano, Giuliano da 186 Galilei, Galileo 333 Gallo, Jacopo 363 f. Gardio, Stazio 150 Gaspar Ratisponensis 99 Gast, Michiel 448 Gemistos (Plethon), Georgios 329 Gemmingen, Uriel von 183 Genga, Federico della 267 Georg de Wesfalaria, frater 302 Georg von Sachsen 45, 211, 397 Georg / Caius Silvanus Germanicus 396 Geraldino, Agapito 417 Gérard, Pierre 316 Gerbillon, Gerardus 213–215 Gereander, Paul 395 Gerra, Pedro 262 Gervais, Pierre 311 Ghinucci, Francesco 116 Ghinucci, Girolamo 86 Ghinucci, Stefano 120, 123, 458, 513 Ghirlandaio, Davide 475 Ghisberti, Splintirus 218 Giese, Thomas 219 f. Fra Giocondo 459 Giotto 442 Giovanni Benedetto von Ferrara 93 Giovanni di Fidanza (Bonaventura) 189 Giovio, Paolo 131, 433 Girolamo da Siena 458
Personen
Giustiniani, Paolo 319, 321–326 Godazzini, Giovanni 188 Godeman, Adrian 213, 218 Godi, Pietro 148 Gomez de Castro, Alvar 100 Gomiel, Franciscus de 213 Gonzaga, Federico 150, 291 Gonzaga, Aloisa 258 Gonzaga, Eleonora 503 Goritz, Johannes 219 f., 293, 384, 387, 389 f., 392–397, 403, 416 Grassis, Achille de 190 f., 244 Grassis, Agamemnon de 244 Grassis, Paris de 224–230, 232–254, 290, 482 f. Grato da Lucca, Massimo 265 Gravina, Pietro 416 f. Graziano, Rainaldo 190 Gregor I., Papst 283 Gregor XII., Papst 189 Gregor XIII., Papst 345 Grimani, Domenico 190 f. Gröning, Martin 395 f. Grossiano 228 Grossino, Vincenzo 286 Grosso, Marco 267 Guarna da Salerno, Andrea 468 f., 483 Guibe, Robert de 191 Guicciardini, Francesco 133, 135, 260, 264, 408 f. Guidetti, Guidetto 120, 123 Guido von Montpellier 300 Günter, Peter 390 Hadelius, Johannes 394 Hadrian VI., Papst 186, 219, 389, 394, 403 Hadrian, Kaiser 346 Hainbuch, Hubert 217 Haltupderheide, Burkhard 217 Haltupderheide, Johannes 216 Harff, Arnold von 170, 172, 347, 361 f. Haydenreich, Jakobus 401 Hecker, Gerhard 310 Heem(s)kerck, Ma(a)rten van 364, 441, 443, 449, 472 f. Heinrich VII., König von England 463 Heinrich VIII., König von England 236, 463 Heinrich vom Campo Marzio 80 Heinrich von Friemar d. Ä. 313 Hermenz, Raphael 502
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Hermodorus 416 Hertzfelt, Gerhard 214 Hesz, Gaspar 302 Heydenreich, Kaspar 36 Hieronymus von Prag 193 Hieronymus, Kirchenvater 225 Huberti de Loemel, Jacobus 219 Hultzman, Heinrich 216 Hummelberg, Michael 394 f., 400 Hus, Johannes 189, 193 Hutten, Ulrich von 376, 394 Imperia, römische Kurtisane 396 Infessura, Stefano 138, 149, 508, 513 Ingenwinkel, Johann 212, 219, 389, 403 Innozenz III., Papst 229, 243, 300, 449, 451 Innozenz V., Papst 189 Innozenz VIII., Papst 171, 177 f., 227, 229, 269, 408, 440, 493 Isaac, Heinrich 500 Jacobazzi, Domenico 195 f. Jacobi, Achilles 218 Jacobus von Viterbo 317 Jacopo da Brescia 475 Jacopo da Pietrasanta 381 Jacopo da Volterra 67 Johann II. von Lothringen 138 Johann von Mecheln (Ratheim) 10–12, 18 f., 205, 221 Johannes Alemanus / Klein / Parvus 3, 10, 12, 99, 381, 384 Johannes Chrysostomos, Kirchenvater 327 Johannes de Brabantia 218 Johannes de Contreras 213 Johannes de Via Campis 213 f. Johannes XXIII., (Gegen-)Papst 189, 192 f. Jordan von Sachsen 313 Julius II., Papst 19, 26, 28, 66, 68, 75, 83 f., 94, 99, 135, 140, 142, 146–148, 150 f., 155– 168, 172–177, 183, 188–190, 195, 206– 208, 213, 216 f., 224–230, 233, 242, 245, 251, 257–260, 263–272, 285, 291, 296, 312, 318–320, 340, 348, 351, 365–367, 369–371, 374, 376, 390, 397, 411, 424, 426 f., 437, 439 f., 446 f., 452 f., 457–460, 462–466, 469, 471, 473, 482–494, 501, 503, 505, 514, 516
522 | Register
Julius Cäsar s. Cäsar Julius von Ancona 482 Kaiser, Simon 8 Kant, Immanuel 186 Karl der Kühne 84 Karl V., Kaiser 86, 100, 155, 165, 389, 414 f., 463 Karl VIII., König von Frankreich 155, 408, 414, 428 Karlstadt s. Bodenstein von Karlstadt Kepler, Johannes 333 Klein (Parvus), Johannes s. Johannes Alemanus Knibe, Johann 219 Knoffer, Johannes 214 Konrad, Johann 302 Konstantin, Kaiser 327 Lamblini, Matheus 218 Lamenit, Anna 13 Lanfredini, Lanfredino 174 f., 181, 184–186 Lang, Johann, Erfurter Prior 20, 30 Lang, Matthäus 161–168, 239 Lascaris, Janus 416 Lauterbach, Anton 41 Lazari da Caravaggio, Francesco 458 Lelio, Domenico 415 Lengher, Sigismund 218 Leni, Eugenia 143 Leno, Giuliano 74, 458 Leo I., Papst 195, 197 f. Leo X., Papst 9, 65 f., 68 f., 78, 94, 135, 145, 148, 151, 173–177, 183–185, 190 f., 196 –198, 200–203, 228, 230 f., 235 f., 240, 252, 257, 262, 290, 319, 321 f., 326, 328, 351, 411, 413, 419, 426 f., 445, 448, 452 f., 458–461, 464 f., 467 f., 492, 500 Leonardo da Vinci 59 Leonhard von Como 93 Levita, Elias 309 Liberatus (Koch) 104 Linck, Wenzeslaus 248 f., 253 Lionarda [degli Organi] 504 f. Locher, Konrad 171–173, 175 Longolius, Christoph 394 López de Carvajal, Bernardino 8, 158, 188, 191 Lopez, Juan 118 Lorenzi, Giovanni (Gianlorenzo Veneto) 417 Lorenzo von Cremona 94
Lourenço de Almeida 312 Lucas Cranach d. Ä. 234, 346 f., 349, 376 Ludovico da Canossa 267 Ludwig XII., König von Frankreich 155–166, 188, 257, 264, 271 Luffe, Martin 218 Luigi d’Aragona 172 Luis de Leon 317 Lukian 468 Lunel, Jean 286 Lupi, Codrinus 218 Lurano, Filippo 504 f., 513 f. Luther, Paul 33 f., 37, 40 Machiavelli, Niccolò 260, 409, 419 Madrigal, Johannes de 218 Magdeburg (Meydeburgk), Liborius 22, 28, 220 f., 317, 402 Malatesta, Sigismondo 138 Man, Johannes 218 Manuel I., König von Portugal 312 Manza, Pedro 262 Marcello, Cristoforo 236, 247–249, 253 Marchaut, Guillermus 218 Margani, Pietro 269, 272 Margaretha von der flemßhen Porten 80 Margaretha von Österreich, Tochter von Maximilian II. 161, 166 Maria [da Pisa] 505 Maria „Greca“ 303 Mariano von Florenz 285 Mariano von Sassoferrato 97 Marso, Pietro 280, 298 Martin I., Papst 191 Martin V., Papst 114 f., 137 f., 189, 192 f., 196, 198, 271, 480 Masina, Geliebte von Giuliano della Rovere 505, 514 Maso, Tiburzio di 138 Maso, Valerio di 138 Mathesius 7, 40 Mattuzzi, Pietro 150, 394 Maximilian I., Kaiser 14, 183, 188, 269, 463 Maximilian II., Kaiser 155–168 Mayerhoffer, Johannes 218 Mazochius, Jacobus 187 Mecheln s. Johann von Mecheln Medici, Cosimo de’ 329 f. Medici, Giovanni de’ s. Leo X.
Personen
Medici, Giuliano de’ 176, 498 Medici, Giulio de’ 185 Medici, Lorenzo de’ („il Magnifico“) 174, 179– 181, 339, 408, 411, 500, 509 Medici, Lucrezia de’ 185 Melanchthon, Philipp 5, 7, 9, 40–42, 45 f., 52, 400 Melchior von Meckau 388 Memling, Hans 354 Michaelis, Thomas 218 Michelangelo Buonarotti 337–340, 342, 360, 362–366, 374, 453, 455 Michelozzi, Niccolò 186 Middleton, Richard 189 Millini, Mario 271 Millini, Mellino 271 Miniani, Ambrogio 94 Mirle, Johannes 209 Molen, Albert van der 17 Molza, Francesco Maria 507 Montagnes, Francisco 262 Monte, Antonio del 187 Montepiloso Episcopo s. Leonardo Corvino Morus, Thomas 314, 390 Mozart, Wolfgang Amadeus 248 Mucantius, Franciscus 225, 231, 241, 244–246, 250 f., 253 f. Muffel, Nikolaus 282, 290 Murner, Thomas 390 Musler, Johann 400 Mussio, Alfonso di 94 Mylius, Georg 40 Nagel, Jakob 209, 211 Naldini, Giovanni Battista 494 Nanni di Bacci Bigio 458 Napoleon 175, 377 Narbona, Kardinal s. Guillaume Briçonnet Nardellis, Iacomo de 105 Natalis, Hervaeus 189 Nathin, Johannes 9, 99 Neapolitanus, Paulus 98 Nebridius 313 Nebrija, Antonio 418 Negri, Girolamo 433 Nikolaus I., Papst 195 Nikolaus V., Papst 72, 133 f., 195, 200, 334 f., 346, 404, 420, 438–440, 444, 446, 453, 475, 477
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Nikolaus von Kues 52, 331, 334 Nikolaus von Verona 101 Obenfur, Sigismund 218 Oldecop, Johann 40, 211, 216, 220 Olivieri, Benvenuto 185 Orgor, Martino 262 Orozco, Alonso de 100, 317 Orsini di Toffia, Giovan Paolo 267 Orsini, Camillo 272 Orsini, Giovanni Antonio 138 Orsini, Orsino 272 Ortega, Pedro 262 Oudorp, Andreas 209 Paleologo, Bonifacio 269 Palladio, Blosio 416 Pallavicini, Giovanantonio di Cristoforo 458 Palu, Pierre de la 189 Pandolfini, Giovanni 181 f. Panvinio, Onofrio 465 Passerini, Silvio 461 Patrizi, Agostino 239 Patrizi, Francesco 333 f., 336 Paul II., Papst 65, 139 f., 149, 335, 428, 440 Paul III., Papst 65, 231, 303, 412 Paul V., Papst 345 Paulus von Rom, Augustiner 95 Payl, Johann 170 Pedro de Barrientos 262 Pélayo, Alvaro 189 Pellikan, Konrad 5, 13, 15 f., 25, 27 Penne, Giovanni Jacopo de’ 260 Penni, Gianfrancesco 450 Peraudi, Raymundus 157, 214 Perugino 354 Peruzzi, Antonino 189 Peruzzi, Baldassarre 79, 448, 466 f. Pesenti, Michele 511 f. Petrarca, Francesco 140, 149, 330 f., 419, 426, 430, 499 Petretini, Giovan Battista 262, 269 Petri de Epiphanis, Clemens 213 Petri de Simonetis, Johannes 213 Petrucci, Alsonso 191 Petrucci, Ottaviano 503, 506, 511–514 Peutinger, Konrad 183 Pflueger, Petrus 209 Philipp, Pfalzgraf 156
524 | Register
Photius 195 Piccenardo, Alessandro 502 Piccinino, Iacopo 138 Piccolomini, Agostino 223 Piccolomini, Gerolamo 191 Piccolomini, Giovanni Battista 123 Piccolomini, Lattanzio 96 Pico della Mirandola, Giovanni Francesco 319, 321, 326–328, 332–335, 339, 408 Pierleone, Gesprächspartner von Altieri 142 Pierre de Tarentaise s. Innozenz V. Pietro del Mónte 189 Pinturicchio 28 f., 354, 360, 375 Piombo, Sebastiano del 410 Pirckheimer, Willibald 320, 431 Pius II., Papst 66, 138, 140, 216, 441 Pius V., Papst 435 Planca, Coronato de 149 f. Platina 335 Platon 313, 318, 329–331, 338, 413 Plautus 390 Pleuingen, Johannes von 217 Plotin 329–331 Polizian, Angelo 407 f., 426 Pompilius, Paulus 416 Pomponazzi, Pietro 337 Pomponius Laetus, Julius 335, 392, 400 f., 408, 416, 432 Pontano 407, 433 Ponziani, Pietro de’ 267 Ponziani, Ponziano de’ 267, 272 Porcari, Camillo 416 Porcari, Stefano 134–138, 148, 428 Potken, Johannes 397–399, 403 f. Priscinianus von Caesareia 418 Prumeus, Johannes 218 Pucci, Lorenzo 173, 182, 184 f., 191, 196, 461 Pulcher, Antonius 311, 315 Questenberg, Jakob (Aurelius) 394, 397, 399 f., 403 f. Quilibort, Alberto 270 Quingnones, Franciscus 81 Quintilian 432 Quirini, Pietro 319, 321–326 Rabelais 286 Rabus, Jakob 13
Raffael 29, 87, 337 f., 342, 345, 347, 350, 360, 363, 366–375, 384, 390, 403, 439, 449, 452, 459 f., 466, 475 Raimondo de’ Raimondi / da Soncino 268 Rallo, Manlio 417 Ramon de Cardona 168 Ramponi, Stefano 458 Rasca, Jacopo 458 Ratzeberger, Matthäus 39 Rehm, Aegidius 395 Reich, Valentin 214 f. Reuchlin, Johannes 395, 397, 399 f. Rhagius Aesticampianus, Johannes 400 f. Riario, Girolamo 63 Riaro, Raffaele 21, 28, 63, 100, 310, 363, 438, 478–482 Riccardo „de Regosiis“, Lodovico de 301 Richer, Edmond 204 Rigault, Giannot 181 f. Rinuccini, Cino 500 Ripanda, Jacopo 361 Romano, Giulio 450 Romano, Paolo 441 Roppe, Bartholomeus 212 Rosal, Franciscus del 213 Rosinus, Stephanus 395 f. Roth, Matthäus 17 Rovere, Antonio della 271 Rovere, Domenico della 477 Rovere, Francesco Maria della 258, 265–267, 503 Rovere, Giovan Ludovico della 270 Rovere, Giovanni Francesco della 191 Rovere, Giuliano della s. Julius II. Rovere, Lucrezia Franciotti della 272 Rovere, Lucrezia Gara della 514 Rovere, Sisto della 191, 218 Royer, Jodocus 218 Rucellai, Giovanni 290 Rurer, Joachim 215 Ruysch, Johannes 367 Sabellico 433 Sadoleto, Jacopo 424, 430, 433 Salamoni degli Alberteschi, Mario 419, 490 Salazar, Pedro 262 Salvi, Alberto 177 Salviati, Alamanno 181, 186
Personen
Salviati, Jacopo 174 f., 181, 184–186 Salviati, Marco (Marcuccio) 186 Sander, Johannes 217 Sangallo d. J., Antonio da 66, 72, 345, 466, 475, 482 Sangallo, Giuliano da 459 Sangiorgio, Giovanni Antonio di 190, 390 Sannazaro, Jacopo 407, 412 f. Sanseverino, Federico 164, 257, 397 Sansovino, Andrea 355, 384, 403 Santacroce, Andrea 149 Sanuto, Marino 156 f., 159, 161 f., 165, 167 f. Sarmiento, Juan de 262 Sassatelli, Giovanni 267 Sauermann, Georg 395 f. Sauli, Bandinello 190 Sauli, Paolo 123 Sauli, Sebastiano 123 Sauli, Vicenzo 123 Savelli, Silvio 502 Savonarola, Girolamo 186, 326, 338 Schedel, Hartmann 346, 348 Scherfmann, Alexius 212 Schiner, Matthäus 166, 168, 257, 397 Schirnding, Christoph von 217 Schlap, Valentius 218 Schulz, Bernhard 219 Schulz, Hieronymus 235 Schürmann, Johann 219 Schütz, Johann 219 Schwab, Georg 180 Scotti, Giovanni Antonio 191 Segni, Antonio 123 Serafino von l’Aquila s. Ciminelli, Serafino de Seripando, Girolamo 317 Serlio, Sebastiano 452, 459 Serra, Jaime 190 Sforza, Ascanio 68, 81, 89, 218, 354, 499 Sforza, Francesco 138 Sforza, Giovanni 149 f. Sforza, Lodovico 166, 268 Sforza, Maria 141 Sforza, Massimiliano 166 Silber, Eucharius 416 Silber, Marcellus 398 Sillano, Gaspare 270 Silvano, Caio 410 Sixtus IV., Papst 25, 28, 59 f., 65–68, 76, 92, 118, 142, 145, 173, 177, 235, 242, 257, 269,
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525
335, 346, 352, 362, 386, 411, 439, 458, 471, 482, 513 Smid, Liborius 220 f. Soderini, Francesco 407 Sodoma, Maler 367 Soncia, Bartolomeo 190 Spalatin, Georg 234, 317 Spannocchi, Ambrogio 116, 177 Spannocchi, Eredi 123 Speratus, Paul 233 Speroni, Sperone 507 Stabellini, Battista 147 Stafileo, Giovanni 414 Stanga, Corradolo 501 Staphyleus, Johannes 191 Staupitz, Johann von 3, 6–12, 18, 21 f., 30, 39, 42–45, 99, 438, 471 Stefano di Narni 123 Stefano von Rom 95 Strobacius, Jakob 390 Stulen, Gerardus 218 Stulzbecker, Paulus 218 Suchten, Christoph von 395 Sueton 439 Summonte, Pietro 413 Sylenen, Kaspar von 270 Tarascone, Evangelista 265 Taschis, Francesco de 71 Tasselli, Domenico 451, 492 Tasso, Torquato 410 Tempesta, Antonio 60 Tenbrock, Hermann 302 Tenbrock, Ludolfus 302 Terenz 390 Terlace, Wolfardus 217, 387 Tetzel, Johann 305, 462 Thaddäus von Ivrea 92 Theophrastus 225 Thomas von Aquin 189, 193, 195, 243, 401 Thomas von Villanova 317 Tierri, Gilles (Egidius) 284 Tornabuoni, Lorenzo 181 Torquemada, Juan de 189–194, 196, 199 f., 204 Tortelli, Giovanni 407 Trionfo da Ancona, Agostino 189, 191 Trissino, Giangiorgio 417, 424 Trivulzio, Augusto 415 Trombetta, Antonio 191 f., 197, 200
526 | Register
Tromboncino, Bartolomeo 511 f. Tullia d’Aragona 507 f. Turci, Giovan Pietro 479 Turrino, Philippo 213 Ungarini, Jacopo 458 Urban VI., Papst 291, 442 Urban VIII., Papst 345 Vaccaro, Lorenzo 256 Vaina, Guido 267 Valadier, Giuseppe 59 Valdo, Antonio Augusto 416 Valeriano, Pierio 410, 415 f., 420, 428, 433 Valla, Lorenzo 136, 335, 407, 425, 429, 432 f. Valle, Antonio della 466 f. Valle, Lello della 149 Valleoleti 213 Valtrini, Henricus 213 Valtrini, Tamyre 213 Vanvitelli, Luigi 384 Varchi, Benedetto 507 Vasari, Giorgio 228, 365 Vasari, Giorgio 228, 339, 365 Vázquez de Toledo, Dionisio 99 Velderhoff, Gottfried 380 Velius, Caspar Ursinus 394 Velthoven, Johannes de 301 Venturi, Jacopo 177 Verdrio, Didaco de 262 Vigerio, Marco 192 Villani, Giovanni 137
Villani, Matteo 140 Villareal 215 Vincentius de Sicilia 300 Vincenzo Colli, gen. Calmeta 416 f., 424 Vipera, Mercurius de 213 f. Virgil 313, 413 Vischer d. J., Hermann 375 f. Vitelli, Giovanni 267 Vitelli, Giulio 267 Vitruv 353 Vlatten, Giovanni 430 Vogler, Thomas 390 Vöhlin, Konrad 182 Volaterranus, Raffaele Maffei 418, 427, 479 Warmfonteyn, Johannes 218 Weller, Hieronymus 41 Welser, Anton 182 f. Welser, Christoph 183, 265 Welser, Johann 182 Wimpfeling, Jakob 389–392, 400 Wimpfeling, Nikolaus 390 Winterswick, Arnoldus 302 Wycliffe, John 193 Zampeschi, Brunoro 267 Zampeschi, Meleagro 267 Zane, Bernardo 191 Ziegler, Rudolph 214 Zink, Johann 221 Zoccoli de Cimino, Antonio 309
Orte
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527
2 Orte Aachen 442 – Pfalzkapelle (Dom) 442 Afrika 100 Agnadello 159 f., 258 Ägypten 409, 417 Aix-en-Provence 19 f. Albanien 269 Alcalá 100 Allgäu 14 Ancona 66, 206, 259 Andalusien 141 Apennin 15, 17–20 Apulien 159, 409 Arezzo 17 – S. Agostino 17 Arnoldstein 19 Assisi 206 Athen 337 f., 367 Äthiopien 398 Attigliano 262 Augsburg 13, 18, 20, 34, 40, 165, 180, 183, 187, 200, 204, 214, 217, 221, 294, 347 Avignon 20, 108, 121, 136 Azamor (Marokko) 351 Babylon 13 f., 107 f., 111, 205, 346, 351, 414 Balkan 269 Bamberg 401 Basel 84, 187–204, 217, 319 Bayern 14, 99, 156, 231, 254, 461 Bejaja 100 Belgien 403 Bergamo 94 Bertinoro 218 Bibbiena 173 f., 497 Blois 156 Bodensee 20 Böhmen 459, 463 Bologna 14, 18 f., 66, 78, 84–86, 89, 123, 129, 137, 162 f., 165, 167, 191, 196, 206, 208 f., 211, 213 f., 232, 238, 258, 270, 287, 348, 401, 414 – S. Maria della Misericordia 14 Bolsena 368 f., 371–373 Bourges 190, 196–198, 201, 204 Brabant 80, 388 Brandenburg 180, 184 f., 235, 259 f., 464
Brenner 18 Brescia 94, 136 Bretagne 285 f., 463 Brisighella 258 Britische Inseln 207 Byzanz 329–331, 342, 400 Cambrai 159 f., 162 f., 167 f., 182, 388 Caravaggio 76, 79 Carcassonne 181 Castellina 96 Centumcelle 313 Cervia 259 Cesena 263 Chalkedon 191, 195, 197 f., 201 Chantilly 231, 251 Chiasso 264 Chioggia 18 Cimino, Monte 309 Città di Castello 267 Cividale, S. Maria Assunta 514 Civitavecchia 206 Clausthal-Zellerfeld 43, 45 Como 16, 72, 94, 264 Cortona 17, 461 Cremona 14, 76, 79, 94 Deutsches Reich 180, 183, 207 Deutschland 3, 16, 18f., 52, 82, 93 f., 99, 102, 110–112, 131, 155–159, 161–163, 165–167, 169, 172, 180, 182 f., 198 f., 203, 208–210, 212, 216, 286, 306, 317, 394, 435, 456, 464 f., 502, s. auch Deutsches Reich Eichstätt 180, 218 Eisleben, St. Peter und Paul 438 Elsass 214 Emilia 79 Emilia Romagna 348 Emmerich, St. Martin 397 Enckenvoirt 219 England 180, 194, 236, 332, 463 Enkhuizen 10 Ephesus 195, 197 f. Erfurt 8–12, 20, 39, 41 f., 46, 52, 84, 86, 169, 187, 205, 208, 214–216, 219, 488 – Marienstift 10
528 | Register
– Universität 399 Esztergom (Ungarn) 97 Etrurien 312 f. Europa 107, 112, 124, 127–130, 155, 183 f., 207, 261, 328, 331 f., 407 f., 417, 425, 430, 490 f., 497, 508
Halberstadt 184, 460 f. Halle 9 Heidelberg, Universität 389 Hildesheim 211 Himmelpforten im Harz 8 Hünefeld 219
Faenza 258, 266 Fano 67, 268 Ferrara 93, 98, 147, 159, 161 f., 166–168, 195– 197, 199, 201 f., 257, 259, 263 f., 266, 269, 319, 333, 507, 509 Fiume 159 Fivizzano 96 Flandern 388 Florenz 13, 16–19, 96, 98, 129, 133, 137, 141, 155, 164, 173 f., 180–183, 186, 188, 193, 202 f., 228, 230, 257, 272, 285, 290, 297, 301, 309, 319 f., 326, 329 f., 332, 334–336, 338, 340–342, 408 f., 411, 419, 428, 455, 461, 489, 491, 504–507, 509, 514 – Ospedale degli Innocenti 13 – Palazzo Vecchio 228 – Porta San Gallo 13 – S. Gallo 13, 16 – S. Spirito 17 – SS. Annunziata (Hospital) 13 – SS. Trinità 96 – Uffizien 466 Foligno 206, 366 Forlì 263, 267 Fossombrone 510–512 Franken 408 Frankfurt am Main 34, 209 Frankfurt an der Oder, Universität 400 Freiburg, Münster 458 Freising 212, 218 Friaul 18, 158, 160
Iberische Halbinsel 207 Imola 267 Indischer Ozean 411 Innsbruck 14, 18, 347 – Hofburg 462 – St. Jakob 462 Italien 93 f., 98, 107, 111, 113, 124, 127 f., 136, 155–159, 161 f., 165, 167, 172, 177, 180, 188, 192, 205–207, 213, 257, 261, 264, 267, 272, 304, 319, 322, 329, 332, 342, 380, 400, 403, 407–410, 412, 417, 421, 423, 426, 433, 455 f., 491, 497
Gallien 260, 324 Gambassi 98 Gemmingen 183 Gengenbach 214 Genua 177, 259, 265, 267, 269 Gorizia / Görz 159 f. Granarolo 258 Griechenland 104, 335, 418 f., 427 Grimma, St. Sigismund 214 Gurk 161
Jena 34, 39, 242 Jerusalem 48, 277, 302, 380 – Palast des Salomon 477 Kastilien (Königreich) 192, 194, 492 Katalanien 213 f. Köln 6, 11 f., 14, 18 f., 212, 215, 217–220, 302, 367, 397 f., 465 – Dom 465 – Groß St. Martin 367 – St. Andreas 217, 220 – St. Georg 397 – St. Gereon 217 Konstantinopel 191, 195, 201, 329 f. Konstanz 158, 163, 188–193, 195–198, 201, 203, 217, 319, 338, 368 Konstanz, Münster 458 Krumau 14 Kulmbach 8 L’Aquila 409, 422, 424 f., 427, 499 f. Latium 70, 120, 456 Lauenburg 219 Le Mans 284, 286 Lecceto 16, 96, 310, 314 Leipzig 36, 203 – Universität 400 Ligurien 177 f., 259 Livland 301
Orte
Lodi 79 Lombardei 13–16, 21, 59, 62, 72, 76 f., 79, 92 f., 102, 155, 166 f., 457 London 268, 504 Loreto 206 Löwen, Universität 388, 390 Lübeck 219 Lucca 181, 265 Lucera 195 Lüneburg 17 Lüttich 84, 218, 388 Luxemburg 86, 220, 293, 389 Lyon 19, 180–183 Macerata 18 Madrid 6, 351 Magdeburg 9, 22, 180, 184, 212, 220 f., 235, 317, 402, 459 f., 463 Magliano 70 Mährisch Krumau 14 Mailand 12 f., 16, 18 f., 59, 139 f., 148–168, 183, 188, 265, 409 f., 458, 468, 489, 491 – Porta Volta 16 – S. Marco 16 – S. Maria delle Grazie 59 – S. Maria Incoronata 16 – S. Maria presso S. Satiro 491 Mainz 180, 183 f., 214, 218, 302, 400 f., 459– 463, 485 – Universität 400 Mantua 138, 147, 150, 159, 162, 164, 265, 286, 291, 497 Marburg 20 Massa Marittima 120 Meckau 388 Merseburg 214 Metz 218 Milopotamos 208, 214 Minden 212, 216 Mirandola 188, 257, 260, 264, 270, 319, 321, 326, 332, 334, 336, 339 Modena 161 f. Monferrat 269 Monte Cimino s. Cimino, Monte Monte Pisano 313 Montegiorgio (Monte S. Maria in Giorgio) 262 Montpellier 300 Moravský Krumlov 14 Mugnano 272
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München 227 Münster 218 f. Narni 18, 70 Naumburg 215 Nazareth 200 Nazzano 70 Neapel 72, 98, 101, 129, 138, 155, 164, 218, 316, 410, 413, 432 Neustadt an der Aisch 309 Nicosia 68 Niederlande 260, 403, 436, 458 Nizza 19 f. Nordhausen 8 Nürnberg 8, 14 f., 18, 282, 294, 347, 375 Oberitalien 18, 20, 59, 79 Orte 70 Orvieto 206, 369 Osimo 18 Osmanisches Reich 329 Ostdeutschland 18 Österreich 156, 166 f. Ostia 206 Padua 14, 17 f., 160, 166, 192, 316 – SS. Filippo e Giacomo 17 Palästina 277 Paris 316, 322 – Universität 200 f. Parma 17, 166 Passau 164, 218 Passignano 17 Patras 66 Pavia 18, 198 Pernes-les-Fontaines 19 f. Perugia 97, 258, 267, 270, 315 Pesaro 18 Pfalz 461 Piacenza 166 Piceno 262 Piemont 79 Pisa 19, 155, 157, 163 f., 166 f., 187 f., 192, 194 f., 332, 505 Pleuingen 217 Po 13, 18, 20 Polirone, S. Benedetto 13, 18 Polling 214
530 | Register
Portugal 99, 317, 411 Prato, S. Vicenzo 491 Ravenna 166, 257–259, 266 f., 351 Regensburg 99 Reggio (Emilia) 161 f. Rhonetal 20 Rimini 18, 206, 259 Rom – Abbazia delle tre fontane s. Tre Fontane – Appartamento Borgia 360 – Ara Pacis 81 – Arco di Portogallo 81, 89 – Arenula (rione) 292 – Augustus-Mausoleum 60, 64, 66, 68 f., 72– 74, 79, 88 f. – Aventin 70 – Belvedere s. Vatikan, Belvedere – Biblioteca Apostolica Vaticana s. Vatikanische Bibliothek – Biblioteca Hertziana 435 – Borgo (rione) 82, 216, 440, 491 – Calixtus-Katakombe s. Katakombe S. Callisto – Campo de’ Fiori 28, 57, 61, 66, 82, 370 – Campo Marzio (rione) 57 f., 60 f., 63 f., 68 f., 71, 73–82, 86, 88, 98 – Campo Santo Teutonico 80, 82, 209, 216, 219 f., 292, 301 f., 355–359, 379–381, 402, 405, s. auch S. Maria della Pietà – Campo Vaccino s. Forum – Cancelleria s. Palazzo della Cancelleria – Capella Sistina s. Sixtinische Kapelle – Cappella Paolina 345 – Casa dei Cavalieri di Rodi 477 – Casa di Goethe 68 – Catacombe s. Katakomben – Colonna (rione) 303 – Diokletiansthermen 27, 57 – Domus Aurea 351 – Engelsbrücke 61, 66–68, 82, 483, 489 f. – Engelsburg 74, 87, 263, 270, 335, 346, 497 – Forum (Campo Vaccino) 297, 351 – Gianicolo 418 – Hadriansmausoleum s. Engelsburg – Il Trullo 89 – Jupitertempel 27 – Kapitol 24, 27, 57, 60 f., 65, 287, 297, 361 – Katakombe S. Callisto 24, 48, 282, 284, 294 – Katakombe S. Lorenzo fuori le mura 24 f.
– Katakombe S. Sebastiano 24 – Katakomben 57 f., 438, s. auch unter den je einzelnen Namen – Kolosseum 27, 48, 57 f., 170, 297, 351, 441 – La Sapienza 333, 404 – Largo Arenula 63 – Lateranbasilika 24 f., 60, 148, 190, 282, 287, 292 f., 295, 297, 303, 450 – Lateranpalast 107, 109, 167 f., 187, 189–192, 195–198, 200 f., 203 f., 290, 320, 421, 461, s. auch Scala Santa und Sancta Sanctorum – Milvische Brücke 59 – Monte Mario 23, 59, 71, 345 f. – Ospedale S. Spirito 346 – Osteria della Cerasa 303 – Palazzetto Turci 75 – Palazzo Alberini 474, 479 – Palazzo Altemps 63 – Palazzo Ascanio Sforza 89 – Palazzo Borghese 69 – Palazzo Branconio 474 – Palazzo Caffarelli 474 – Palazzo Caprini in Borgo 438 – Palazzo Castellesi in Borgo 479 – Palazzo Cesi 482 – Palazzo Chigi 474 – Palazzo dei Penitenzieri 477 – Palazzo dei Tribunali s. Palazzo della Giustizia – Palazzo dei Tribunali 483–487, 489, 493 – Palazzo del Vescovo di Cervia 482 – Palazzo della Cancelleria 28, 438, 478–481 – Palazzo della Giustizia (Palazzo dei Tribunali) 438 – Palazzo della Rovere 477 – Palazzo di S. Marco 65 – Palazzo Fiano 81 – Palazzo Gaddi 474 – Palazzo Giraud-Torlonia 75 – Palazzo Madama 62, 70 – Palazzo Medici 70 – Palazzo Pichi 474 – Palazzo Regis 474 – Palazzo Rodrigio Borgia 89 – Palazzo Sacchetti 475 – Palazzo Sora 75 – Palazzo Strozzi 474 – Palazzo Torlonia 75 – Palazzo Venezia 65, 474
Orte
– Pantheon 27, 49, 57, 62, 66, 303, 346, 375, 444, 456 – Parione (rione) 57, 61, 63 f., 82, 303, 392 – Peterskirche, Petersdom s. St. Peter – Petersplatz 441, 453 – Piazza del Popolo 60, 64 f., 68, 75, 88 f., 214 – Piazza dell’Oca 75 – Piazza di Ponte 489 – Piazza Fiammetta 506 – Piazza Firenze 77 – Piazza Navona 61–63, 70, 141, 214, 281, 393, 506 – Piazza Nicosia 68, 70, 89 – Piazza Rondanini 303 – Piazza S. Lorenzo in Lucina 71 f. – Piazza S. Silvestro 60 – Piazza Venezia 366 – Pigna (rione) 63 – Pilatustreppe s. Scala Santa – Pincio 59 f., 472 – Ponte (rione) 57, 61, 63, 66 f., 78, 82, 298, 483, 506 f. – Ponte Giulio 439 – Ponte Milvio s. Milvische Brücke – Ponte Sisto 68, 439 – Porta del Popolo 59 f., 65, 67–71, 78, 80, 89, 205, 346 – Porta di Castello 71 – Porto delle legna 70, 89 – Porto di Ripa Grande 68, 70 f., 76, 114, 120, 123 – Porto di Ripetta 60, 66, 68–71, 76, 78, 89, 114, 120, 123 – Quirinalspalast 345 – Regola (rione) 76 – rione s. unter dem jeweiligen Namen – Ripa, Ripetta s. Porto – S. Agnese fuori le mura 24, 286 f., 291 – S. Agnese in Agone 63 – S. Agostino 3, 10, 21, 28 f., 57, 59, 70, 74 f., 77 f., 89, 91 f., 94–98, 100–103, 214, 217, 221, 286, 293, 346, 352 f., 381 f., 392 f., 396, 438, 472, 506 f., 509 f. – – S. Monica 101 f., 221 – – S. Nicola 102, 221 – S. Ambrogio della Massima 101 – S. Anastasio 170 – S. Andrea (Hospital) 63 – S. Angelo (rione) 101
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531
– S. Antonio dei Portoghesi 66, 70, 89 – S. Apollinare 63 – S. Biagio della Pagnotta 483, 487 – S. Callisto 25 – S. Carlo al Corso 69 – S. Catherina (Hospital) 63 – S. Cecilia 384 – S. Costanza 291 – S. Croce in Gerusalemme 24, 170, 282 f. – S. Elisabetta 303 – S. Eustachio (rione) 57, 61, 63, 506 – S. Giacomo (Hospital) 60 – S. Giacomo degli Spagnoli 64 – S. Giacomo dell’Austa / in Augusta / degli Incurabili (Hospital) 64, 72, 74, 88 f. – S. Giorgio (in Velabro) 170, 236 – S. Giovanni in Laterano s. Lateranbasilika – S. Girolami degli Illirici / degli Schiavoni 68, 70, 89 – S. Girolamo della Carità 302 – S. Gregorio al Celio 283, 302 – S. Gregorio dei Muratori 69 – S. Lorenzo fuori le mura 24, 282 – S. Lorenzo in Damaso 479, 482 f. – S. Lorenzo in Lucina 81, 89 – S. Lucia della Tinta 66 f., 77, 89 – S. Marcello 218 – S. Marco 63, 66, 292, 366 – S. Maria dei Miracoli 69 – S. Maria del Popolo 21, 28, 57–60, 64, 66 f., 69–70, 72–76, 81, 86, 89, 91–95, 100, 228, 286, 352, 360, 438, 472, 509 – – Cybo-Kapelle 29 – S. Maria dell’Anima 26, 63 f., 80, 82, 102, 205, 216 f., 219, 301, 380 f., 387–389, 396 f., 400, 402, 405 – S. Maria della Consolazione (Hospital) 297 – S. Maria della Pace 438, 507 – S. Maria della Pietà 354–359 – S. Maria delle Grazie 297 – S. Maria in Aracoeli 24, 287, 303, 366 – S. Maria in Campitelli 297 – S. Maria in Campo Marzio 86, 101 – S. Maria in Portico s. S. Maria in Campitelli – S. Maria in Trastevere 170 – S. Maria Maggiore 170, 280, 282, 287, 292, 297, 303 – S. Maria Nuova 299 – S. Maria Porta Paradisi 68
532 | Register
– S. Maria Rotonda s. Pantheon – S. Maria sopra Minerva 298 – S. Marina de Posterula 70 – S. Nicola della Cerasa 303 – S. Nicolai (Hospital) 63 – S. Pancrazio 24, 286 – S. Paolo alle tre fontane s. Tre Fontane – S. Paolo fuori le mura 27, 148, 170, 282, 285 f., 291, 438, 443 – S. Pietro in Montorio 438 – S. Pietro in Vincoli 25 – S. Prassede 292 – S. Pudenziana 25, 292 – S. Rocco 73, 78, 80, 89 – S. Sebastiano fuori le mura 24 f., 282, 284– 286, 291, 294 – S. Silvestro in Capite 25, 64 – S. Spirito in Sassia (Hospital) 300 f., 346, 489 – S. Stefano dei Mori 398 – S. Trifone 77, 89 – S. Valentino 24 – S. Vitale 490 – Sancta Sanctorum 295, 362 f. – Scala santa 26 f., 33, 52, 60, 290, 351, 362, 438, s. auch Sancta Sanctorum – Sixtinische Kapelle 170, 224 f., 233, 235 f., 253 f., 256, 337, 339–341, 348, 361 f., 366, 441, 453 – SS. Annunziata 298 – SS. Celso e Giuliano 482 f. – SS. Salvatore / S. Giovanni (Hospital) 287, 295 – SS. Silvestro e Dorotea 297 – St. Paul vor den Mauern s. S. Paolo fuori le mura – St. Peter 14, 24 f., 58, 61, 64, 66, 69, 71 f., 74, 78, 82, 112, 148, 170, 180, 183 f., 208 f., 212, 224 f., 228 f., 233, 235, 282, 288, 293, 300, 302, 312, 345 f., 351, 354–359, 363– 366, 389, 435–438, 440, 442–448, 450– 460, 462–469, 472–474, 480, 483, 487, 490–493 – – Capella Giulia 453 – Stanza della Segnatura 361 – Stanza di Eliodoro 368 f., 371–373 – Stanzen Raffaels 439 – Tiber 59, 63, 65–71, 73–75, 88, 215, 400, 438 f., 485, 491 – Trastevere 297
– Tre Fontane 27, 170, 303, s. auch S. Anastasio – Vatikan 57, 60, 63, 65, 67 f., 170, 175, 253, 403, 418, 441, 450, 453, 466 f., 469, 476, 483, 485, 490, 492 f., 497, s. auch Stanza – – Apostolischer Palast 228, 440, 501 – – Belvedere 28, 374, 438, 494 – – Palast Nikolaus’ V. 475 f. – Vatikanische Bibliothek 191, 335, 400, 404, 415 – Via Alessandrina 440 – Via Aureliana 75 – Via Cassia 59 – Via Collotia 75 – Via Condotti 68 – Via dei Banchi Vecchi 370 – Via dei Coronari 66, 70 – Via dei Querceti 25 – Via del Babuino 60, 65, 89 – Via del Banco di S. Spirito 483, 485 – Via del Corso 60, 65, 68 f., 71, 76, 81, 88 f. – Via del Monte della Farina 63 – Via del Pellegrino 28, 82, 478 – Via dell’Orso 70 – Via della Campana 82 – Via della Lungara 439 – Via della Porta Angelica 441 – Via della Scrofa 77 – Via della Stelletta 75 – Via delle Vite 81 – Via di Monte Brianzo 67 f., 89 – Via di Ripetta 65, 72 f., 76, 81, 89 – Via Egidia 74 f. – Via Flaminia 59, 65, 80 – Via Giulia 68, 438 f., 475, 483–486 – Via Lata 65 f., 68 f., 73, 88 f. – Via Leccosa 68 – Via Leonina 65 f., 68–70, 73 f., 77, 89 – Via Recta 66, 70 – Via Sistina 67 f., 71, 89 – Via Tor di Nona 67 f. – Via Trionfale 23, 59, 346 – Villa Belvedere s. Vatikan, Belvedere – Villa Madama 346 Romagna 159, 164, 176, 182, 258 f., 262, 265, 268 f. Ronciglione 14 Russi 258
Orte
Sabina 70 Sachsen 6, 8, 12, 29, 45, 99, 111, 161, 169, 205, 211, 215, 234 f., 305, 310, 313, 397, 401, 437, 464, 491, Salem 17 Salzburg 18 f., 205 Salzwedel 219, 387 San Benedetto Po 13, 18 San Gemini 17 Sangerhausen 7 f., 10 Sassoferrato 97 Savoyen 463 Scarperia 17 – S. Barnaba 17 – SS. Jacopo e Filippo 17 Schlesien 396 Schwaben 14 Schweden 85, 210 Schweiz 12, 14, 18, 20, 59, 157 f., 166, 183, 259, 261, 263–265, 270–272 Sebaste 286 Sena 16 Senigallia 410 Serra 103 Šibenik (Sebenico) 414 Siena 13, 16, 18, 72, 96 f., 100, 116, 164, 177, 198, 314, 367, 458, 466, 507 – S. Agostino 16 – S. Martino 16 – S. Spirito 16 Sinai 82 Sizilien 82, 157, 172 Söflingen, Klarissenkloster 171 Solaro 258 Spanien 61, 77 f., 81 f., 86 f., 94, 99, 162, 165 f., 168, 171 f., 180, 190, 209, 213, 261, 265, 272, 299, 317, 403 f., 411, 421, 459, 463 Speyer 80 Spieskappel 20 Spoleto 17 f., 85 – S. Nicolò 17 Starnberg in Mecklenburg 8 Stockholm 210, 449 Straßburg 238 Süddeutschland 84 Südfrankreich 19 Süditalien 79 Sulmona 98
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Tauernstraße 19 Terni 18, 206 Terracina 104 Thüringen 12, 29, 169, 205, 310, 401, 437, 464 Tirol 158, 166 Todi 17, 268 – S. Prassede 17 Toldeo 99 Tolentino 18, 206 Toskana 155, 178, 265, 426, 455, 457 Treviso 18, 160, 166 Trient 157 f., 160, 164, 231, 245 f., 253, 317 Trier 86, 213, 218, 294 Triest 159 f., 164 Turin 270 Türkei 156, 329 Ulm 14, 171, 465 – Franziskanerkloster 171 – Münster 465 Umbrien 257 Ungarn 97, 99, 261, 370, 459, 463 Urbino 258, 265 f. Utrecht 186, 218, 302, 388 Valladolid 129 Varese 264 Vatikan s. Rom, Vatikan Velthoven 301 Venedig 14, 18, 98, 129, 141, 155–163, 165– 168, 182 f., 257–259, 261, 265 f., 268 f., 506 f., 513 f. Venetien 14, 165 Vercelli 93 Verden 216 Verona 18, 101, 160, 162–164 Via Francigena 18, 206 Vicenza 97, 160 Vienne 19 f. Villach 19 Villingen 294 Viterbo 99, 310, 317 Volterra 301 Wallis 264 Wernigerode 399 Westfalen 397 Wien 210
534 | Register
Wittenberg 8, 10–12, 15, 33, 35, 41 f., 46, 58, 169, 203, 205, 238, 289, 294, 435, 437, 459, 464 – Universität 200, 404
– Schlosskirche 234 f., 242, 252 f. Worms 217 f. Zellerfeld s. Clausthal-Zellerfeld