Die Welt als Wahrnehmung und Begriff: eine Erkenntnisstheorie 9783111597751, 9783111222806


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Die Welt als Wahrnehmung und Begriff: eine Erkenntnisstheorie
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Die Welt als Wahrnehmung und Begriff. Eine

Erkenntnisstheorie

von

Johannes Rehmke.

I s t d e n n die W e l t n i c h t s c h o n voller Räthsel g e n u g d a s s m a n die e i n f a c h s t e n E r s c h e i n u n g e n a u c h n o c h zu Räthseln machen soll? Gijthe.

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Druck und Verlag von G. R e i m e r . 1880.

Die Welt als Wahrnehmung und Begriff. Eine

Erkenntnisstheorie

von

Johannes Rehmte.

Ist denn die Welt nicht schon Toller Rathsei genug, dass man die einfachsten Erscheinungen auch noch zu Räthseln machen soll? Göthe.

B e r l i n .

Druck und Verlag von G. R e i m e r . 1880

Seinem verehrten Lehrer und väterlichen Freunde

Prof. Dr. Α. E. Biedermann in Zürich

widmet dieses Buch

der

V e r f a s s e r .

V o r w o r t . Die Grösse eines Menschen misst sich an der Dauer seines Einflusses auf die nachfolgenden Geschlechter; das Ewige bleibt, das Heutige vergeht, das Falsche stirbt ab, und das Wahre lebt fort. Darum bedürfen wir zu unserem abschliessenden Urtheil über Jemandes Leistungen auf dem Gebiete der Wahrheit auch eines gewissen zeitlichen Zwischenraums zwischen ihm und uns, um ihn allseitig, in seinem Einfluss nicht nur auf uns Einzelne, sondern auf die Gesammtheit würdigen zu können, und vor Allem zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig die rechte Mitte zu halten. Aus dieser Ueberlegung möchten Diejenigen, welche als Schriftsteller ihre „wahre" Weltanschauung den Menschen mitzutheilen versuchen, einigen Trost schöpfen können. Denn, wenn es wahr sein sollte, dass sich ein Jeder, welcher ein Buch schreibt, gross zu sein dünket, so dürfte der Gedanke an die „besser unterrichtete" Nachwelt ihn Angesichts der schlimmen Erfahrung, welche ihm eine „schlecht berathene" Gegenwart zu bereiten für gut findet, aufrichten und mit S c h o p e n h a u e r sprechen lassen: „Das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferne". Hundert Jahre sind verflossen, seitdem I m m a n u e l K a n t dem philosophischen Publikum sein grosses Buch: „Kritik der reinen Vernunft" tibergab, und die Grösse

Vorwort. dieses Mannes hat sich an der Dauer seines Einflusses bewährt. Wurde doch von ihm in der philosophischen Welt eine Revolution in Scene gesetzt, welche in ihrer nachhaltigen Wirkung füglich der wenige Jahre später auf dem politischen Boden Frankreichs geborenen Schwester an die Seite gestellt werden darf. Die Segnungen dieser philosophischen Revolution geniesst unser heutiges Geschlecht, und je mehr dieselben in ihrem Werthe zum Bewusstsein gekommen sind, desto mächtiger hat sich die Anerkennung und Verehrung für den groseen Kant entfaltet. Denn der Mensch ist ein dankbares Geschöpf, und „Undank ist der Welt Lohn" gilt wenigstens nicht für die Todten·, vielmehr je länger ein Wohlthäter des Menschengeschlechts schon todt ist, je weiter er der Gegenwart in die Vergangenheit hinabrückt, desto intensiver entwickelt sich das Gefühl der Dankbarkeit und erreicht bisweilen und bei Manchen fast den Grad des ParoxysmuB, der die Grösse des Mannes in den Glorienschein des Göttlichen und des Makellosen eintaucht. In Gefühlen und Worten einem Manne für seine Wohlthaten die Dankbarkeit zu beweisen, ist wohl etwas Schönes, vielleicht auch etwas Wohlfeiles, öfters aber etwas Gefährliches, wenn nemlich die Bewunderung überhand nimmt und die Grösse des Mannes das bewundernde Individuum zu verschlingen droht. Man ist freilich versucht, sich nicht für echt dankbar zu halten, wenn man noch die Selbstständigkeit gegenüber jenem Wohlthäter zu bewahren bestrebt ist, und so kommt es dann auf theoretischem Gebiet leicht zu jenen von L a n g e mit deutlichem Wortspiel und unbewusster Selbstironie „ianer" genannten Philosophen. Das Ewige einer Leistung aus dem Zeitlichen herauszuschälen ist allerdings eine schwierige, aber keine unmögliche Arbeit; sie wird um so leichter, je selbstständiger der Nachkomme dem grossen Manne gegentibertritt und über dessen Grösse die Endlichkeit und Fehlerhaftigkeit, welche

Vorwort.

Vit

auch ihm anklebt, nicht vergisst. Das selbstständige Urtheil aber kann bestehen unbeschadet der Verehrung und der dankbaren Gesinnung, die man Männern, wie Kant einer war, entgegenzubringen schuldig ist, und ohne die Bewunderung, welche man seinem Geiste zu zollen hat, herabzudrücken; denn, wie Voltaire sagt, c'est le privitege du vrai genie et surtont du genie, qui ouvre une carriere, de faire des grandes fautes. Dieses Buch, welches ich nunmehr der Oeffentlichkeit übergebe, soll ein Zeichen der Dankbarkeit sein, welches ich den Manen des grossen Philosophen am hundertjährigen Gedenktage des Erscheinens seiner „Kritik der reinen Vernunft" darbringe. Wenn ich in demselben auch meine eigenen Wege gehe, so bin .ich doch bei jedem Schritt und Tritt an die Schule gemahnt worden, welche ich von K a n t genossen habe; dieser Umstand und die Erwägung, dass die erkenntnisstheoretischen Principien Kant's wenigstens in deutsehen Kreisen die bei Weiteta massgebendsten sind, haben es auch veranlasst, dass ich mich vor Allem mit den Ansichten des Kantianismus überall, wo es geboten war, auseinanderzusetzen versucht habe. Ich stelle mich principiell auf einen anderen Boden als den Kantianischen, und halte dafür, es sei die Zeit gekommen, in der Erkenntnisstheorie über Kant hinauszugehen. Dabei verkenne ich keineswegs den hohen Cultureinfluss, welchen Kant's Erkenntnisstheorie für die Entwicklung der philosophirenden Menschheit gehabt hat und noch immer zu äussern im Stande ist. Ich möchte K a n t ' s Erkenntnisstheorie ein vortreffliches Correctionehaus nennen für die menschliche Vernunft, halte es aber, eben weil sie dieses ist, für unangemessen, die ganze Menschheit in dieser Anstalt lebenslänglich versorgen zu wollen, anstatt die corrigirte wiederum auf eigene Füsse zu stellen und ins bunte Leben zu entlassen, damit sie mit dem gewonnenen guten Pfunde nun selbstthätig weiter schaffe.

Vorwort.

VlII

Wer dieses Buch studirt, wird, wie ich hoffe, mein Streben nicht verkennen, der Wahrheit zu dienen und zu ihr einen neuen Weg

zu entdecken, welcher die Krüm-

mungen und Unebenheiten, die nach meiner Meinung den schon vorhandenen erkenntnisstheoretischen Strassen anhaften, vermeidet.

Wie weit die That dem Wollen ent-

spricht, will ich dem Urtheil der Besonnenen und Einsichtigen anheimstellen und selbst gefasst darauf sein, mich mit dem Bewusstsein begnügen und trösten zu müssen: in magnis et voluisse sat est. — St. G a l l e n im Juli 1880. Johannes Rehnike.

1.

Einleitung.

Es gehört heutzutage zum guten Ton in der philosophischen Welt, über jene Metaphysiker zu lächeln, welche in der Illusion, Alles für ein Object möglicher Erkenntniss zu halten, gefangen waren und es etwa noch sind. Die herrschende Ansicht bricht über solche an das menschliche Erkennen gestellte Zumuthung, Alles in seinen Bereich zu zwingen, ruhigen Blutes den Stab, denn ihr gilt als unbestrittener, die philosophische Speculation regulirender Grundsatz: es giebt Grenzen des Erkennens überhaupt. Kaum möchte in den philosophirenden Kreisen der Jetztzeit diesem Axiom ein zweites von gleicher umfassender Geltung und einschneidender Bedeutung an die Seite zu stellen sein. Zwischen jene Illusion und die principielle Skepsis stellt sich dasselbe in die Mitte, indem es seinen Anhängern weder Alles noch Nichts, sondern Etwas an Erkenntniss verheisst. Wie nun auch näher dieses Etwas bestimmt werde, ob in dem Sinn des englischen Empirismus oder des deutschen Kantianismus, man wird nicht um das Zugeständniss herumkommen können, dass jener erkenntnisstheoretische Grundsatz den Anschein des besonnenen und vorsichtigen an sich trage und zwischen der Unbesonnenheit und Vertrauensseligkeit einerseits sowie der absoluten Zurückhaltung und dem absoluten Misstrauen andrerseits eine kluge Mitte einhalte. Durch dieses ästhetische R e h m k e , Die AVeit als Wahrnehmung u. Begriff.

J

2

Einleitung.

Masshalten mag sich das Axiom grade bei den bedächtigen Forschern freundliche Aufnahme verschafft haben, und die Bescheidenheit, welche dasselbe zu zeigen und seinen Anhängern anzuhängen scheint, mag bei Vielen eine nicht geringe Empfehlung gewesen sein zu seiner Aufnahme. Schliesslich können aber solche ästhetische und ethische Eigentümlichkeiten einem Satze in wissenschaftlicher Hinsicht an Werth nichts zulegen und zur Empfehlung desselben nichts beitragen; ist es doch sogar nicht ausgeschlossen, dass sich der Satz von den Grenzen menschlichen Erkennens überhaupt erweise als einer, welcher über die berechtigten Grenzen wissenschaftlicher Aussagen hinausgehe. Ob ein Gedanke uns kühn oder bescheiden anmuthe, hängt ja durchaus von unserem eigenen schon vorher eingenommenen Standpunkt ab, und daher darf dieser Umstand gerade für den kritischen Standpunkt in keiner Weise von Bedeutung sein. Dass jeder Mensch Grenzen seines Erkennens habe, ist, in einem bestimmten Sinne aufgefasst, eine Wahrheit, welche von Niemandem beanstandet werden wird. Der Einzelne ist ein Glied in der Entwicklungsreihe der erkennenden Menschheit und hat als endliches Individuum nur die Möglichkeit, den bestimmten Ausschnitt der Erkenntniss überhaupt, welchen seine zeitliche und örtliche Existenz in der fortlaufenden Entwicklung ihm bietet, zu erfassen: seine Zeit steckt ihm die Grenzen seines Erkennens. In diesem Sinne werden alle verschiedenen möglichen Erkenntnisstheorien durchaus übereinstimmen. Jene unbestrittene Thatsache aber berechtigt nicht und wird auch keineswegs als Beweismittel von den Anhängern angezogen werden, um den Satz von den Grenzen des menschlichen Erkennens überhaupt festzustellen, da seine Bedeutung auf einer ganz anderen Seite zu suchen ist. Dazu kommt, dass dem in Frage stehenden Axiom noch ein zweifacher Sinn innewohnt, deren einer die Grenze mitten durch das „Sein" zieht, während der andere sie zwischen „Erscheinung" und „Sein" legt, und zwar so, dass der erstere das als Erkenntnissobject gebliebene Stück „Sein" selbst nicht

Kant's Erkenntnissgrenze.

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einmal allgemein umfassen zu können behauptet, der letztere dagegen seine Erkenntniss der „Erscheinungswelt" für eine allumfassende erklärt. Jenes kennzeichnet den Standpunkt des englischen Empiristen, dieses denjenigen des Kantianismus. Die classische Vertretung des Axioms bietet aber Kant. So verschieden dasselbe nun auch von jener gemeingültigen Annahme, welche sich auf die Begrenztheit des Individuums unumstösslich gründet, ist, so hat diese doch unzweifelhaft Vieles dazu beigetragen, dem Kantischen Grundsatz von der Begrenztheit des Erkennens überhaupt den Eingang zu erleichtern, weil man diesen eben nur für die Verallgemeinerung jener sicheren, den einzelnen Menschen beschlagenden Ansicht hielt. Wäre er in der That nichts Anderes als solche Verallgemeinerung, so würde ein Zweifel gegen seine Wahrheit sich nicht erheben dürfen, wenn es anders allgemein zugestanden wird, dass der in dieser Welt lebende Mensch ein an Zeit und Raum gebundenes, also endliches Wesen sei. Nun hat aber jener Satz eine andere Bedeutung, man macht also in Wirklichkeit keine Verallgemeinerung, sondern vielmehr einen Sprung von einem Gebiet auf das andere, ohne freilich sich dessen bewusst zu werden, weil die Gleichheit des Wortes die Ungleichheit der Sache verdeckt. Es findet ein Fortschreiten statt von Bekanntem zu Unbekanntem, als ob dieses ebenfalls schon Bekanntes wäre, während in jenem Axiom (ich habe hier die Kantische Fassung im Auge) etwas durchaus Neues •geboten wird, das sofort, lässt man sich nicht durch die Verwandtschaft des Ausdrucks verlocken, entschieden den Zweifel wachruft. Auf dem Satz von den Grenzen unseres Erkennens ruht aber die ganze Kantische Erkenntnisstheorie, und bei der Werthschätzung, welche dieselbe in so hohem Grade unter den philosophirenden Zeitgenossen geniesst, ist es von grosser Wichtigkeit für die Entwicklung der Wissenschaft in Betreff der Erkenntniss überhaupt jenem Zweifel bestimmter nachzugehen und auf seine Berechtigung ihn zu prüfen. Was bestimmte Kant, das Grenzen-Axiom in der Weise aufzustellen, dass er die Erkenntnisslinie zwischen Erscheinungs1*

4

Einleitung.

welt und Welt an sich zog? Das Axiom in seiner Allgemeinheit war nichts Neues; es ist so alt wie die Skepsis selbst. Hume hatte als der Letzte vor Kant dasselbe aufgenommen, in einer Weise jedoch, welche die dem Skeptischen abgeneigte Natur K a n t ' s unbefriedigt liess. Immerhin musste er für sich der Hume'schen Speculation Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie von ihrer Voraussetzung aus, welche die Erf a h r u n g für die Quelle möglicher Erkenntniss des „Seins" erklärte, mit scharfsinniger Consequenz das skeptische Resultat gewonnen habe. Für K a n t schienen, wenn er daran festhalten wollte, dass alle unsere Erkenntniss mit der Erfahrung anfangt, nur zwei Möglichkeiten vorzuliegen, entweder unsere Erkenntniss als diejenige des „Seins" anzuerkennen und dann mit Hume die Möglickkeit, allgemeine und nothwendige Erkenntniss, die Erfahrungswelt betreffend, zu leugnen, oder grade dieses Letztere gegen H u m e zu behaupten und in Folge dessen der menschlichen Erkenntniss nicht das „Sein", sondern die „Erscheinung" zum Object zu geben. K a n t ' s ganzes Wesen drängte dem Zweiten zu, und in seiner Kritik der reinen Vernunft proclamirte er die Grenzen der Erkenntniss, indem er dieser allein die Erscheinungswelt zuwies. Was bisher in der Erkenntnisstheorie unzertrennbar geachtet war, das Grenzen-Axiom und die Skepsis, K a n t hat wenigstens den glänzenden Beweis geliefert, dass es eine Anschauung gäbe, in welcher das erstere in seiner Allgemeinheit angenommen, das Letztere dagegen· entschieden abgewiesen werden könnte. Seine „Kritik" war eine Columbusthat; und während er darnach strebte, einen neuen und sicheren Weg in die alte Welt des „Seins" zu erforschen, entdeckte er eine neue Welt, die Erscheinungswelt. Wer wird es ihm verargen, dass, als er nach langer Fahrt endlich hier wieder festen Boden unter sich hatte, diese Erfahrung ihn beglückt aufathmen liess als einen der skeptischen See glücklich Entronnenen, ja dass er hier das Ziel seiner Fahrt erreicht, an die Grenzen der Möglichkeit der Erkenntniss gelangt zu sein glaubte, und dass den Erfahrenen eine

Kant's Erkenntnissgrenze.

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fast unüberwindliche Abneignung wenigstens lur's Erste befiel, sich wiederum auf die jenseits liegende stürmische See zu wagen? So schlug er denn beruhigt den Grenzpfahl ein: bis hieher und nicht weiter, was jenseits liegt, ist nicht zu entdecken. Für die Erkenntniss bestehen bestimmte Grenzen, innerhalb derselben aber ist nothwendige Erkenntniss möglich: Dieser Kantische Gedanke ist in seinem ersten sowohl als in seinem zweiten Theil sehr bald Gegenstand lebhafter Angriffe geworden; vor Allem aber muss sich die Frage aufdrängen: Wie ist denn überhaupt ein Wissen von Erkenntnissgrenzen möglich? F r i e d r i c h Albert Lange, der scharfsinnige und einsichtige Vertheidiger Kantischer Erkenntnisstheorie, welcher unter den Vordersten sich befindet, die K a n t unserem Zeitalter mundgerecht zu machen suchen und demselben ein gutes Stück wenigstens von dem Gebiet zurückerobert haben, welches „von den „ianern", mögen sie sich nun nach H e g e l , Herb a r t , T r e n d e l e n b u r g oder irgend einem anderen Schulhaupte nennen", innegehabt war, dieser K a n t i a n e r Lange hat den Zweifel, welcher in jener Frage durchschimmert, niederzuschlagen und die Möglichkeit des Wissens von Erkenntnissgrenzen zu beleuchten versucht durch folgendes Bild: „Der Fisch im Teiche kann nur im Wasser schwimmen, nicht in der Erde, aber er kann doch mit dem Kopf gegen den Boden und Wände stossen. So könnten auch wir mit dem Causalitätsbegriff wohl das ganze Reich der Erfahrung durchmessen und finden, dass jenseits desselben ein Gebiet liegt, welches unserer Erkenntniss absolut verschlossen ist."*) Wenn die Sache selbst einen Fehler in sich trägt, so pflegt derselbe durch ein sachlich richtiges Bild heller hervorzutreten: dies ist allem Anschein nach auch an diesem Ort der Fall. Unbestreitbar: stösst der Fisch mit dem Kopf gegen Boden und Wände, so belehrt er sich dadurch über die Existenz der Grenzen seines Aufenthalts, er erfahrt die Existenz von etwas *) Gesch. des Mater. II., 49.

6

E i n l e i t u n g .

Anderem, das nicht sein Lebenselement, Wasser, ist. Würde nun in Wirklichkeit der Mensch, indem er seine E r f a h r u n g s welt mit dem Causalitätsbegriff durchmisst, in e r f a h r u n g s g e m ä s s e Berührung kommen mit dem Jenseits der Grenze, so wäre damit die Berechtigung, Grenzen des Erkennens in Kantischem Sinn aufzustellen, erwiesen. Dies ist aber nicht der Fall: Boden und Wände sind in ihrer Existenz dem Fische gegeben, das Kantische „Ansich" dagegen dem Menschen nicht. Das Bild Lange's ist daher nicht nur, wie alle sonst, ein hinkendes, sondern ein durchaus falsches, weil das tertium comparationis gänzlich fehlt. Dasselbe wäre richtig, wenn Langij behauptet hätte: der Fisch, welcher in seinem Teiche nach allen Richtungen hin und her s c h w i m m t , findet, dass jenseits desselben n8ch ein Gebiet liegt, welches dem schwimmenden Fische absolut verschlossen ist. Diese Behauptung wird aber sicherlich allgemein beanstandet werden, wenn man nicht etwa das in dieses Bild durchaus nicht Hereingehörende still hinzufügt": beim Schwimmen wird er eben auf Boden und Wände des Teiches s tos sen und sich dadurch der Existenz derselben bewusst werden. Indess ein Beispiel falsch gewählt, kann die Sache selbst noch nicht um den Credit bringen, und trotz des verunglückten Erläuterungsversuches bleibt die Frage: kann der Mensch von Erkenntnissgrenzen wissen? noch eine offene. Die Grenze setzt als ihre Bedingung zwei Objecte voraus, welche sie von einander zu trennen berufen ist; diese Bedingung nun zeigt sich im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da der menschlichen Erkenntniss als Object eben ihr Object, nicht aber noch ein andres, das nicht das ihrige wäre, gegeben ist. Nur wenn Letzteres der Fall sein könnte, dürfte von Erkenntnissgrenzen geredet werden als von einem erkenntnisstheoretischen Grundsatze. Das Wissen des Menschen aber reicht gerade so weit, als das Gebiet der Erkenntniss gross ist, jedoch keinen Strich über dasselbe hinaus; dies ist ein an sich evidenter Satz, der das Kantische Grenzen-Axiom von den Wissenssätzen absondert und zu den Hypothesen stellt. Hier-

Kant's Erkenntnissgrenze.

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durch ist demselben uun zwar der Wissenscharacter, nicht aber zugleich schon die wissenschaftliche Berechtigung genommen. Die letztere wird ihm auch von vielen Seiten ungeschmälert zugesprochen und es mag heute fast für Tollkühnheit gelten, selbst ilir gegenüber noch Zweifel laut werden zu lassen. Die Grenzenhypothese hat meines Dafürhaltens allerdings in der Entwicklungsgeschichte der Erkenntnisstheorie eine grosse Aufgabe, ich möchte sagen, erzieherischer Art, um prophylaktisch in der Menschheit zu wirken angesichts der vielen lockenden, in's Nichts führenden Abwege der menschlichen Speculation. — So lange man immer noch in der griechischen Anschauung zweier Welten befangen ist, thut die Hypothese K a n t ' s ihre guten Dienste und darf sich auf jenem Boden sogar berechtigt halten, von Grenzen der Erkenntniss zu reden, indem sie erzieherisch den Erkennenden auf die Sinnenwelt verweist. Dies aber schliesst doch auch ihre wissenschaftliche Berechtigung noch nicht in sich, so dass man auf ihr ausruhen dürfte. Ist zunächst der Zauber der antiken Auffassung für die wissenschaftliche Erkenntniss durch K a n t ' s Grenzen-Hypothese gesprengt, so soll damit nur der weiteren freien Entwicklung Raum geschafft sein, und die Losung derer, welche durch Kant aus jenem Zauber gelöst sind, muss bei aller Verehrung des Befreiers lauten: Ueber K a n t hinaus! Wohl mag man bewundernd stille stehen vor der gewaltigen Arbeit des Königsberger Philosophen und demselben in dankbarer Pietät zugethan sein, aber über der Bewunderung ist die Pflicht der eigenen, fortstrebenden Arbeit nicht zu vergessen, denn nur der Entwicklung gehört das Leben. Auf K a n t ' s Schultern, nicht in seinen Schuhen hat die Gegenwart zu stehen! Wenn nun trotz allen Strebens nach Weiterentwicklung grade die modernen „Griechen" auf dem Dogma der Erkenntnissgrenzen ausruhen, so wird dies vielleicht dadurch unterstützt, dass Ende und Grenze mit einander verwechselt werden, zwei Begriffe, die jedoch so verschiedenen Inhalt haben,

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Einleitung.

dass für Manche grade in dieser Verschiedenheit der springende Punkt aufgedeckt werden möchte, welcher dann für die Kantische Hypothese in ihren Augen der sprengende werden könnte. Das Ende des Erkennens liegt genau da, wo die Erkenntnissobjecte zu Ende sind. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als ob hier ohne Schaden dem Begriff Ende derjenige der Grenze substituirt werden dürfe; unter bestimmten Verhältnissen ist dieses in der That durchaus zulässig. Redet man ζ. B. von dem Ende der Erkenntniss eines verflossenen Zeitalters oder eines dahingegangenen Philosophen, so ist dasselbe für den Beobachter eines späteren und in der Entwickelung fortgeschrittenen Zeitalters zugleich als Grenze zu bezeichnen, diesseits welcher eben das Plus der Erkenntniss, das die Gegenwart aufweist, liegt. Sieht man dagegen von jeder bestimmten endlichen Periode der menschlichen Erkenntniss ab, so muss es einleuchten, dass das denkmögliche Ende des Erkennens bei dem Mangel jeglichen gegebenen zweiten Objects nun und nimmer die Grenze des Erkennens genannt werden kann, denn die Grenze ist nicht identisch mit dem absoluten, sondern mit dem relativen Ende. Die Identification von Grenze und Ende des Erkennens wird erst ermöglicht durch die A n n a h m e eines d e n k m ö g l i c h e n O b j e c t s , das jenseits der Grenze des Erkennens liegen soll. Alle scheinbaren directen Beweise aus der Erfahrung für das Bestehen einer Erkenntnissgrenze nun bewegen sich insgesammt im Cirkel, da sie die Existenz des Nichtzuerkennenden eben voraussetzen; dieses Nichtzuerkennende aber, das Ding an sich, bildet den Kern der Hypothese von den Grenzen menschlichen Erkennens. Das h y p o t h e t i s c h e Ding an sich. Der Begriff Ding an sich ist seit alten Zeiten in der Philosophie heimisch, und überall, wo er auftritt, wird das ihm entsprechende Object als nicht in der Erfahrung gegeben aufgeführt. Innerhalb dieser Uebereinstimmung wird dem Ding

Kant's Ding an sich.

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an sich aber in den einzelnen philosophischen Systemen eine sehr verschiedenartige Beziehung zur Erkenntniss gegeben. Um aus der neueren Zeit einige Beispiele hervorzuheben, wähle ich D e s c a r t e s und L e i b n i z , welche Beide die völlige Erkenntniss des Dinges an sich möglich erachteten, während dagegen Locke nur die Eigenschaften des Dinges an sich als erkennbar ansah. Alle Philosophen aber, wie sie auch immer in ihrer Speculation mit dem Ding an sich positiv operirten, sahen dasselbe als ein reales, der menschlichen Erkenntniss zugängliches an. S p i n o z a und B e r k e l e y haben dieses Philosophem, freilich aus entgegengesetzten Gründen, nicht in ihre Philosophie aufgenommen, letzterer vor Allem überdies gegen den Begriff selbst heftig polemisirt. K a n t nimmt ihn wieder auf, indess thut er dies in einer durchaus neuen und genialen Weise, indem er ihn in seiner Erkenntnisstheorie als „Grenzbegriff" verwendet und hierdurch erhielt dann eben der Kantische Satz von den Grenzen der Erkenntniss seinen eigenartigen Inhalt. Aller Zweifel, welcher sich gegen diesen Satz erhebt, ist gegen das Kantische Ding an sich in verstärktem Grade gerichtet, und man meint grade hier den Kantianismus im Cirkel kreisen und in Wirklichkeit gegen das eigene Grenzen-Axiom sündigen zu sehen. Da nun aber grade an der wissenschaftlichen Berechtigung des hypothetischen Ding an sich dem Kantianismus Alles gelegen sein muss, so fürchte ich mich nicht davor, Eulen nach Athen zu tragen, wenn ich die Zahl derer, welche das Κ an tische Ding an sich einer genauen Prüfung unterzogen haben, um Einen vermehre. Die Wichtigkeit der Sache mag die nochmalige Untersuchung genügend rechtfertigen. — Das Ding an sich ist, so zu sagen, der realistische Eckstein der Kantischen Weltanschauung, durch welchen sich dieselbe vor der Gefahr, in den Subjectivismus und Idealismus eines B e r k e l e y zu verfallen, bewahrte; zu gleicher Zeit aber ist es auch ein idealistischer Grenzstein, welcher vor dem Traume, das „Sein" erkennen zu könne», behüten sollte. Woher stammte dieses eigenthümliche Gebilde, dieses

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E i n l e i t u n g .

ungreifbare Begriffene und begriffene Ungreifbare, das bald als „blosser" Begriff, bald als an sich seiendes Reales im Kantischen System seine Verwendung findet? Der Begriff Ding an sich hängt im Kantianismus sσ eng mit dem anderen Begriff Erscheinung zusammen, dass sie gleichsam die zwei Hälften eines Ringes bilden, von denen eine jede ihre nothwendige Ergänzung in der anderen hat. Beide Begriffe sind schon vor K a n t zunächst durch „Abstraction" aus der Wahrnehmung gewonnen, aus den Dingen der gemeinen Erfahrung, und daher beziehen sie sich auch auf dieselbe, indem der Begriff Ding an sich die Dinge charakterisirt als für sich seiende Existenzen, der Begriff Erscheinung die gleichen Dinge, insofern sie Erkenntnissobjecte sind. Sehr bald jedoch machte dieser paradiesische Unschuldszustand dem anderen Zustande Platz, in welchem die auf die Erfahrungsdinge angewandten Begriffe verobjectivirt, verdingt wurden, so dass man sich, wie bei Locke, zweien Welten, einer Seinswelt und einer Erkenntnisswelt gegenüber sah. Aber auch bei der Scheidung der bisher in ihrem Umfang zusammenfallenden Begriffe war immer noch ein gutes Stück des alten ursprünglichen Zustandes gerettet, so lange im Locke'sehen Sinne Seinswelt und Erkenntnisswelt als zwei sich kreuzende Begriffe mit ihren Umfangen theilweise ineinander fielen: das Fürsichsein und zugleich die Beziehung auf die Erkenntniss des Menschen characterisirten doch noch immer die Erfahrungsdinge. Berkeley dagegen vernichtete dieses Einverständniss dadurch, dass er die Erkenntnisswelt in bestimmter Weise als Vorstellungswelt ansah. Indem ihm nun auf die Erfahrungsdinge einzig und allein der Begriff der Erscheinung, d. h. des Erkenntnissobjects, der Vorstellung anwendbar blieb, so erkannte der scharfsinnige Philosoph sehr wohl, dass die Wahl, entweder neben der Vorstellungswelt unverbunden mit ihr noch eine Seinswelt anzunehmen oder die letztere einfach zu streichen, nicht lange unentschieden bleiben konnte. Um den Begriff Ding an sich auf Etwas anwenden zu können, musste doch

Kant's Ding an sich.

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dieses Etwas irgendwie gegeben sein, weil B e r k e l e y mit Recht, wenn auch dieses fehlte, mit seinem Begriff im Nebel herumzufahren meinte. In Folge dessen, da eben neben den Erfahrungsdingen Nichts mehr gegeben war, wurde von ihm jene „Seinswelt" geleugnet. K a n t veränderte wiederum die Situation; die Erkenntnisswelt blieb die Erscheinungswelt; aber wenn er auch mit Berk eley einig ging, dass auf die Erfahrungsdinge nur der Begriff Erscheinung-Vorstellung Anwendung findet und der Begriff Ding an sich in keinem Inhärenzverhältniss zu denselben stehend gedacht wird, so wollte er sich doch des letzteren Begriffes keinesweges gänzlich entschlagen, um die Erfahrungsdinge nicht zu blossen Vorstellungen herabzudrücken. Demgemäss wurde der Begriff Ding an sich wieder neben demjenigen der Erscheinung aufgenommen, wenngleich die alte Anwendung der Worte einer neuen Platz machen musste. Denn anstatt dass beide Begriffe auf dasselbe Erfahrungsding bezogen wurden, blieb dieses allein dem Begriff Erscheinung zugetheilt, und der Zwillingsbegriff erhielt sein Object in dem hypot h e t i s c h e n Ding an sich. Immerhin aber verleugneten sie ihren alten Ursprung und ihre alte Zusammengehörigkeit nicht; obwohl sie, äusserlich auseinandergerissen, der eine der realen, der andere der hypothetischen Welt, zugetheilt waren, so blieb das Verhältniss doch ein inniges, und der eine zehrte gleichsam von dem anderen. Ohne den Begriff Ding an sich wurde ja die Erscheinung entweder zur blossen Vorstellung oder zum absolut Realen, da der Grenzbegriff allein verhüten konnte, die Erfahrungsdinge, sei es als „Schein", sei es als „Sein", anzusehen. Das Ding an sich bildete nach rechts und nach links den festen Halt für die „reale Erscheinung". Diesen Dienst vergalt ihrerseits die Erscheinung, indem sie für den Grenzbegriff, damit er nur denkmöglich würde, die nöthige Anschaulichkeit lieferte, wenn dieselbe auch dem Ding an sich nicht *gut auf den Leib geschnitten war und zu manchen Reclamationen Anlass gab. Man konnte von Kantischer Seite nemlich keineswegs zu-

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Einleitung.

gestehen, dass das Ding an sich in altgewohnter Weise auch als kantianisches noch zu den Erfahrungsdingen wesentliche Beziehung habe, so dass es gleichsam selbst als ein solches angesehen werden dürfe oder der Kantianismus mit ihm gar als einem solchen operire. So oft derartige Vorwürfe laut geworden sind, hat man von Kantischer Seite nicht gezögert, eine solche Auffassung vom Ding an sich der Phantasie des Gegners auf Rechnung zu stellen und wohl auch von willkürlicher Entstellung des Kantischen Philosophems „Ding an sich" zu reden: Missverstehen und Nichtverstehen könnten nur so etwas behaupten, K a n t selbst, gleichsam die bösen Beschuldigungen vorahnend, hätte schon betont, dass dem Grenzbegriff jegliche Anschauung mangele, weil das hypothetische Object desselben nicht der Erscheinungswelt angehöre, er selbst hätte ja das Wesen solcher Noumena zuerst in's rechte Licht gestellt. Aber trotz aller Beschwichtigungs- und Vertheidigungsversuche lässt sich an der Thatsache nicht rütteln und rühren, dass der Kantianismus, so oft er sich in dem Aufbau seines Systems mit dem „Grenzbegriff" beschäftigt, einen Abstecher in die Erscheinungswelt macht. Die Kantianer haben in diesem Punkt mit dem gleichen Kreuz zu kämpfen, wie die Hegelianer in Ansehung des „reinen Denkens"; aber ebenso wollen auch sie es nicht Wort haben, dass der Fehler in ihrem System liege. Warum konnte sich K a n t denn nicht begnügen mit der Ursache, welche B e r k e l e y seiner Vorstellungswelt gegeben hatte? Etwa, weil dem Begriff Gott nur ein problematisches Etwas entsprach? Keineswegs, denn das Gleiche war beim Begriff Ding an sich der Fall. Oder etwa, weil die Erfahrungsdinge an ihrer Realität eingebüsst und blosse Vorstellungen geworden wären? Im Grunde doch auch dieses nicht, da dasselbe, was das hypothetische Ding an sich in Ansehung der Erscheinungswelt leistete, dem „hypothetischen" Gott zugeschrieben werden konnte. Warum also grade für dieses hypothetische Etwas, für diesen hypothetischen Realitätsgrund der Erfahrungsdinge ein Wort wählen, das von allen möglichen wohl am meisten Versuchung bot, mit ihm in's Gebiet der

Kant's Ding an sich.

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Erfahrung hinüberzusch weifen? Ich finde keinen anderen Grund, als das Bedürfhiss, dem Realitätsgrund der Erscheinimg eine anschauliche Beziehung zu dieser zu geben, den Begriff der Ursache der „Empfindungen" a n z u s c h a u e n : und da bot sich derjenige des „Ding an sich" am natürlichsten, weil er sowohl aus der Anschauungswelt gewonnen war, als auch von jeher in der Philosophie ein inniges Verhältniss zu dem Begriff Erscheinung gehabt hatte. Jetzt fragt es sich aber, ob das Ding an sich blosser Grenzbegriff geblieben ist. K a n t schreibt einmal: „das deutsche Wort vermessen ist ein gutes bedeutungsvolles Wort. Ein Urtheil, bei welchem man das Längenmaass seiner Kräfte (des Verstandes) zu überschlagen vergisst, kann bisweilen sehr demüthig klingen und macht doch grosse Ansprüche und ist doch sehr vermessen". Mir ist dieses Wort durch den Sinn gegangen, wenn ich jenes „demüthig klingenden" Satzes von den Grenzen menschlichen Erkennens und seiner Unterlage, des „Grenzbegriffs", gedachte. Anscheinend demüthig genug tritt der letztere auf, die wilden Sprünge des Erkennens hindernd, ein berufener Retter, „um die Anmassungen der Sinnlichkeit einzuschränken"; demüthig genug verlangt er nur den Namen eines problematischen Begriffs des Verstandes, um aber gleich darauf den Anspruch zu erheben, er sei „desungeachtet aber nicht allein zulässig, sondern auch als ein die Sinnlichkeit in Schranken setzender Begriff unvermeidlich"; „dieser Begriff ist n o t h w e n d i g , um die sinnliche Anschauung nicht bis über die Dinge an sich selbst auszudehnen und also um die Gültigkeit der sinnlichen Erkenntniss einzuschränken". Die Behauptung, der Grenzbegriff sei n o t h w e n d i g zur bestimmten Fixirung der Gültigkeit der „sinnlichen" Erkenntniss will ich hier noch nicht prüfen, sondern nur die Erwägung stellen, ob denn ein Begriff, welchem derartige erkenntnisspolizeiliche Befugnisse eingeräumt werden, nicht mehr sei und sein müsse als ein problematischer Begriff. Ich denke, dass es in der Natur der Sache selbst liegt,

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Einleitung.

ein Reales nor durch, ein andres Reales begrenzen und daher einschränken zu können; wenn dennoch das Ding an sich dazu dienen soll, das Gebiet der Gültigkeit der sinnlichen Erkenntniss einzuschränken, so muss dieser Begriff auf etwas Gegebenes sich beziehen, da sonst nicht nur der Begriff selbst, sondern auch die durch ihn geschehene Einschränkung problematisch wäre, mithin der ganze wissenschaftliche Bau, welcher sich auf ihr erhebt, den Character des Problematischen an sich "trüge. Der Grenzbegriff muss sich unbedingt auf ein rfeal gedachtes Object beziehen, wenn er zu seinem Geschäfte Berechtigung erhalten will. In Wirklichkeit verhält es sich auch so bei Kant; ihm war das Ding an sich mehr als ein problematischer Begriff. Vor Berkeley war es ein vieler Orten anerkanntes Axiom, dass die Erscheinungswelt und die Welt an sich keineswegs identisch wären; auch Kant nahm dieses Urtheil als unumstössliches hin, und es blieb ihm demzufolge unmöglich, sich mit B e r k e l e y ' s kühner monistischer Auffassung zu befreunden: die grundlegende Anschauung von den zwei Welten, in welche die Speculation des Griechenthums schon die gegebene Welt auseinandergelegt hatte, beherrschte von Anfang an K a n t ' s Denken und diese Thatsache mag vielleicht einiges Licht bringen für das Verständniss gewisser Aufstellungen in seinem System, besonders aber in Betreff des i)mg an sich. „Es liegt", schreibt K a n t , „schon in unserem Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände als Erscheinungen, Sinnenwesen (Phaenomena) nennen, indem wir die Art, wie wir sie anschauen, von ihrer Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden, dass wir entweder eben dieselben nach dieser Beschaffenheit, wenn wir sie gleich in derselben nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die garnicht Objecte unsrer Sinnenwelt sind, als Gegenstände bloss durch den Verstand gedacht, jenen gleichsam gegenüberstellen und sie Verstandeswesen (Noumena) nennen." Der Satz ist durchaus richtig: wenn man gewisse Gegenstände E r s c h e i n u n g e n nennt, so ist damit als andere Hälfte des ursprünglichen Begriffs „ Erfah-

Kant's Ding an sich.

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rungsding" das „Noumenon" und zwar ebenfalls wie jene erste Hälfte als Ding für sich gefordert; aber dass man jenen Gegenständen den Begriff Erscheinung im Kant'schen Sinn beilegte, hatte seinen Grund in der vorausgenommenen Annahme, dass Welt an sich und Erfahrungswelt Zweierlei seien. Indem man nun dieses Letztere übersieht und sich in Folge dessen der petitio principii in der scheinbaren Ableitung des Ding an sich aus dem als „Erscheinung" Gegebenen nicht bewusst wird, erklärt man dann, dass der Begriff Ding an sich aus einer inneren Notwendigkeit unserer Natur entspringe, während er in der That einen weit einfacheren Ursprung hat, nemlich die Erfahrungswelt selbst. Bei der entschiedenen Trennung der Begriffssphären Ding an sich und Erscheinung durfte freilich Kant diesen Ursprung des ersteren Begriffs nicht annehmen. Die scharfsinnigen Untersuchungen Berkeley's Iiessen es überhaupt als sehr gewagt erscheinen, dass Ding an sich wieder in die Speculation aufzunehmen, wenigstens ermahnten sie zu aller Vorsicht, dasselbe nicht etwa im Gebiet der „sinnlichen" Erkenntniss zu suchen. Kant hat diese Warnung zu beachten gesucht und das Ding an sich zu einem Noumenon, dessen Ursprung also im Verstände, nicht in der Sinnenwelt läge, gemacht; damit meinte er aller Gefahr entronnen zu sein, und es möchte ihm auch wohl das reine Verstandeswesen Ding an sich unbeanstandet gelassen sein, wenn er dasselbe nicht weiter zu verwerthen gesucht, sondern es nur als ein Beruhigungsmittel für die Anhänger der Zweiweltentheorie hingestellt hätte. Aber das Noumenon wurde zum Grenz begriff gemacht und nun war es aus mit seiner Harmlosigkeit; denn nun ward aus dem problematischen Begriff ein Ding, welches zu den Erfahrungsdingen und director noch zu dem erfahrenden Menschen in ein durchaus reales Verhältniss gebracht wurde. Mochte immerhin K a n t behaupten, die Noumena seien bloss durch den Verstand gedachte Gegenstände, so waren sie eben doch nicht minder als die Erscheinungen Gegenstände des menschlichen Bewusstseins.

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E i n l e i t u n g .

Ein solcher Gegenstand konnte ihm aber nicht bloss ein problematischer Begriff sein, was sich auch aus Kant's Ausführungen selbst herausstellen wird. Im § 1 der Kritik der reinen Vernunft tritt zuerst das Ding an sich auf und zwar nicht als Grenzbegriff, sondern als „Gegenstände", von denen wir „afficirt werden". Dem Begriff Ding an sich entspricht hier kein problematisches, sondern ein durchaus reales Etwas, welches afficirt. Erst im Verlaufe der Untersuchung verflüchtigt sich der afficirende Gegenstand zu einem reinen Verstandeswesen oder mit anderen Worten, da Begriffe ohne Anschauungen nicht nur leer, sondern überhaupt nicht sind, zu einem Nichts, welches aber dann doch als „Grenzbegriff" Polizeidienste thun sollte. Diese Veränderung in der Auffassung ist bemerkenswerth. Im Beginn der „Kritik" bedurfte Kant nothwendig eines gegebenen Realen, der Gegenstände, welche a f f i c i r e n , um die wirkliche Erscheinungswelt zu construiren; hier hätte der problematische Begriff allein nicht ausgereicht, wollte Kant anders nicht den Schein einer hohlen Construction auf sein System fallen lassen. Als aber das real gedachte Ding an sich seine Dienste gethan hatte, und die Erscheinimg in ihrer Realität durch dasselbe legitimirt war gegenüber einem Berkeley'schen subjectiven Idealismus, so verzehrte der Löwe des Tags, die Erscheinung, bald Alles vom Ding an sich und liess die leere Haut, das Wort Ding an sich, übrig, welches nun in dem problematischen Grenzbegriff einen neuen Inhalt bekam. „Wir wissen wirklich nicht", schreibt Lange, „ob ein Ding an sich existirt. Wir wissen nur, dass die consequente Anwendung unserer Denkgesetze uns auf den Begriff eines völlig problematischen Etwas führt, welches wir als Ursache der Erscheinungen annehmen, sobald wir erkannt haben, dass unsere Welt nur eine Welt der Vorstellung sein kann. Das wahre Wesen der Dinge, der letzte Grund aller Erscheinungen ist uns aber nicht nur unbekannt, sondern es ist auch der Begriff nicht mehr und nicht weniger als die letzte Ausgeburt eines von unserer Organisation bedingten Gegensatzes,

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Kant's Ding an sich.

von dem wir aber nicht wissen, ob er ausserhalb unserer Erfahrung irgend eine Bedeutung hat. Nicht nur was die Dinge an sich sein mögen, wissen wir nicht, sondern auch, dass die Dinge an sich seien, wissen wir nicht.*) Lange hat in diesen Sätzen die Lehre vom Ding an sich kurz und klar niedergelegt, und, wie ich meine, in instruetiver Weise auch die Schwäche derselben dem Leser deutlich vor die Augen gestellt. Das Ding an sich ist nur ein denkmögliches Etwas, also eben doch nur ein problematischer Begriff: möglicherweise giebt es Dinge an sich, möglicherweise auch nicht. Da wir nun nicht einmal von ihrer Existenz wissen können, so ist es nur in dem Fall erlaubt, von Grenzen der Erkenntniss zu reden, wenn wir a n n e h m e n , dass es Dinge an sich giebt; also immerhin steht die Sache auch hier wieder so: möglicherweise giebt es Grenzen, möglicherweise auch nicht. Wie reimt sich dieses aber damit, dass dieses Denkmögliche vom Kantianismus als die wirkliche „Ursache" der Materie der Erscheinungen und . als ein wirklicher Grenz begriff aufgestellt wird? Nur dann kann es sich reimen, wenn man erklärt, das Ding an sich sei eine Hypothese. Damit wird auch die Kantische Schule einverstanden sein, und der wissenschaftliche Character eines Systems geht ja keineswegs auf alle Fälle verloren, wenn eine Hypothese die Grundlage bildet. Nun kann man aber freilich von der wissenschaftlichen Hypothese verlangen, dass sie gewisse Bedingungen erfülle, ohne welche sie ein Hirngespinnst genannt werden muss: dass nemlich entweder das Object derselben gegeben oder aber das Gesetz des fingirten Objects ein bekanntes sei. Weder da» Eine noch das Andere indess wird man in der Hypothese vom Ding an sich erfüllt finden; sowohl das Object als auch die Wirkungsweise desselben sind ftngirt, mit anderen Worten, die Stelle der geforderten Hypothese vertritt eine völlig leere Behauptung oder, wie K a n t sich ausdrücken würde, ein Hirngespinnst, oder» wie Lange erklärt, ein Begriff, welcher nicht *)

Gesch. d. Materie II, 49.

R e h i n k e , Die Welt al9 Wahrnehmung n. Begriff.

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Einleitung.

mehr und nicht welliger als die letzte Ausgeburt eines von unserer Organisation bedingten Gegensatzes ist. In der letzten, der Lange'schen Fassung erhält jedoch, genau besehen, die Angelegenheit eine neue Wendung, welche der „Hypothese" dennoch irgendwie eine wissenschaftliche Berechtigung zu geben scheint, insofern die Annahme des Ding an sich auf die Eigentümlichkeit der menschlichen Organisation sich gründen soll, indem eben eine nothwendige Folge unseres Verstandesgebrauches der vom Verstand selbst geschaffene Gegensatz von Erscheinung und Wesen d. i. Ding an sich sei: die letzte Ausgeburt dieses Gegensatzes sei das Kantische Ding an sich gegenüber der Kantischen Erscheinung. Vielleicht aber liegt die Sache doch nicht so glatt, wie es den Anschein hat. In der That wird der Gegensatz von Erscheinung und Ding an sich durch den Verstandesgebrauch geschaffen, welcher es uns allein ermöglicht, das „Ding" unter diese Begriffe zu bringen, die ja allerdings im Gegensatz, aber an und für sich noch nicht im. Widerspruch mit einander stehen, da sie sich auf ein und dasselbe „Ding" beziehen können. Der Verstandesgebrauch hat, wenn er den Gegensatz schuf, doch immer an das Erfahrungsding angeknüpft, und dieses letztere ist immer der Anknüpfungspunkt geblieben, auch wenn der Begriff Ding an sich zum Ding selbst wurde, welches sich von dem Erfahrungsding real unterschied. Nur auf Grund des im E r f a h r u n g s d i n g gedachten Gemeinsamen entstand und erhielt sich jener begrifflich fixirte und bald objectivirte Gegensatz, und eben desshalb kann ich nicht zugeben, dass die Kantische Auffassung der beiden Begriffe nur die letzte Ausgeburt jenes Gegensatzes sei, sondern muss vielmehr erklären, dass in derselben ein wesentlich anderer Gesichtspunkt sich geltend macht. Ich muss annehmen, dass auch B e r k e l e y meiner Ansicht gewesen sei, da ich und noch viel mehr Lange es nicht begreifen könnte, dass er, als ihm klar geworden, unsere Welt könne nur eine Welt der Vorstellung sein, nicht eben zu dieser letzten Kantischen Ausgeburt gekommen ist, die, wenn

Kant's Ding an sich.

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sie wirklich innerhalb des möglichen Umfangs jenes Gegensatzes gelegen hätte, ihm bei seiner retrograden Bewegung in Ansehung des Ding an sich nothwendig hätte aufstossen müssen. Nicht die Aufstellung eines Gegensatzes, wie K a n t ihn formulirte, war die nothwendige Folge des Berkeley'schen Verstandesgebrauches, sondern die Aufhebung desselben durch die Leugnung des Ding an sich, und ich muss gestehen, dies nur allein als „die nothwendige Folge des Verstandesgebrauches" ansehen zu können, da eben mit dem Gemeinsamen, auf Grund dessen jener Gegensatz von Erscheinung und Wesen überhaupt vom Verstände geschaffen war, zu gleicher Zeit der Gegensatz selbst in's Nichts zurücksinkt. K a n t dagegen stellte einen durchaus anderen Gegensatz, nemlich den Widerspruch zwischen den beiden Begriffen auf, und machte damit einen Sprung, den ich oben bezeichnet habe als die Verflüchtigung des afficirenden Dinges an sich zum problematischen Begriff. K a n t hebt an mit jenem Gegensatz, welcher in seinen Theilen auf Gemeinsames fusst, und springt dann, nachdem die Vorstellung zur Erscheinung gemacht ist, über zu dem, jedes Gemeinsame abschliessenden, Widerspruch, so dass, was in jenem Gegensatz ein reales Etwas war, am Schluss, nachdem es seine Dienste gethan hat, zum völlig problematischen Etwas heruntergedrückt ist. Lange hat diesen Sprung nicht bemerkt, da er schreibt: „Wir wissen nur, dass die consequent« Anwendung unserer Denkgesetze uns auf den Begriff eines völlig problematischen Etwas führt, welches wir als Ursache der Erscheinungen annehmen, sobald wir erkannt haben, dass unsre Welt nur eine Welt der Vorstellung sein kann". Die letztere Erkenntniss können wir doch nur erlangen, indem wir v o r a u s s e t z e n , dass ein Ding an sich, welches uns afficirt, existirp; diese Voraussetzung ist also schon da, und es bedarf nun gar nicht mehr der „consequenten Anwendung" unseres Denkapparats, um zur Annahme eines Ding, an sich zu gelangen: die eine Hälfte des Ringes, der Begriff Erscheinung, ist ohne die andre, den Begriff Ding an sich, gamicht vorhanden. — Aber auch 2*

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E i n l e i t u n g .

bei der consequentesten Anwendung unsrer Denkgesetze ist es nicht möglich, in Wirklichkeit auf den Begriff eines problematischen Etwas, das nicht in die Form unserer Erkenntnisswelt sich füge, zu kommen: das Ding an sich der Erkenntnisswelt als ein Zweites neben der Erscheinung lässt sich wohl wegdenken, aber nicht anderswo denken, und jeder Versuch der letzteren Art biegt trotz alledem immer wieder ein in die Formen unserer Erkenntnisswelt. Wenn Lange meint, dass wir durch die consequente Anwendung unsrer Denkgesetze auf den Begriff eines völlig problematischen Etwas geführt werden als Ursache der E r s c h e i n u n g e n , so treibt er mit sich selbst das Spiel, welches Einer zeigen würde, der zunächst auf ein Stück Carton ein Quantum Wollengarn wickelt, und darauf, das Garn consequent abwickelnd, schliesslich wieder "auf das Stück Carton stiesse, was gewiss nur allzu natürlich ist: der Begriff Erscheinung setzt den Begriif Ding an sich voraus. B e r k e l e y seinerseits gleicht demjenigen, welcher ein Knäuel Wollengarn findet, und, indem er es, unter der Voraussetzung, ein Stück Carton im Innern zu finden, consequent abwickelt, nichts unter dem Garn antrifft. Mag auch der Kantische Begriff des Ding an sich denkmöglich sein, so ist er dennoch nicht denknothwendig; dies wird er erst durch die petitio prineipii, mit deren Hülfe zunächst die Erscheinungswelt gedacht ist: denn dann allerdings ist die Annahme jenes Ding an sich nothwendig, weil der Begriff desselben schon demjenigen der Erscheinung zu Grunde liegt. So dreht sich der Kantianismus im Cirkel: Ding an sich — Erscheinung — Ding an sich, und er wird sich dessen nur desshalb nicht bewusst, weil er die Identität des zweiten Ding an sich mit dem ersten nicht erkeimt, da er sonst nicht das zweite, durch „consequente Anwendung der Denkgesetze" angeblich neu gewonnene, zum p r o b l e m a t i s c h e n Etwas machen würde, in der That verfährt der Parvenü Erscheinung recht pietätslos gegen seinen Vater, das Ding an sich, während die Mutter, das Erkenntnissvermögen der Menschen, die beste Be-

Kant's I>ing an sich.

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handlung genicsst; ja fast möchte man glauben, dass hier ein Fall von Parthenogenesis entdeckt wäre, wenn erklärt wird, die Erscheinung sei „ein Product der Gesetze meines Verstandes und meiner Sinnlichkeit".*) Nachträglich kommt denn freilich der arme Vater noch hintendreinhinken als die durch die Denkgesetze nach Analogie der Beziehungen von Ursache und Wirkung erschlossene problematische Ursache der Erscheinung. Die Undankbarkeit aber gegen das Ding an sich erreicht ihren höchsten Grad in der Erklärung: „Je mein· sich das Ding an sich zu einer blossen V o r s t e l l u n g verflüchtigt, desto mehr gewinnt die Welt der Erscheinungen an Realität". Man fühlt sich hierbei in einen Hexentanz hineingerissen: unsre Welt soll nur eine Welt der Vorstellung sein, deren Ursache das Ding an sich genannt wird; wenn nun diese letztere sich zur blossen Vorstellung verflüchtigt, so sollte man annehmen, dass auch ihre Wirkung in dieselbe Verflüchtigung mit hineingerissen würde, die consequente Anwendung unserer Denkgesetze stellt offenbar diese Forderung: aber nein, grade umgekehrt, je mehr das Ding an sich an Realität verliert, desto mehr gewinnt an Realität die Erscheinung. In Wirklichkeit befindet sich der Kantianismus bei solcher paradox klingenden Behauptung auf dem Wege, unsere Welt als solche zum Ding an sich, sofern unter diesem Wort die vom Ich unabhängige Wirklichkeit verstanden würde, zu erklären, so dass dann von selbst das hypothetische Ding an sich etwas Unwirkliches, zugleich aber auch die Erscheinung im Kantischen Sinn ein Hirngespinnst würde. Diese Tendenz liegt entschieden ausgesprochen im Kantianismus, und unter diesem Gesichtspunkt ist die Behauptung richtig, dass er, frei von allem Subjectivismus, das gerade Gegentheil des Berkeleyismus repräsentire, denn dieser identificirte die Erkenntnisswelt des Menschen mit der Vorstellungswelt, während jener unleugbar das instinctive Streben zeigt, sie mit der Seinswelt zusammenfallen-zu lassen. Dieses Streben ist nicht *)

L a n g e , Gesch. d. Materie II, 49.

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Einleitung.

völlig realisirt worden, da das einmal hypothesirte Ding an sich trotz aller Verflüchtigung sich nicht ganz verwischen liess, aber es ist doch bis auf den denkbar letzten Rest zusammengedrückt, auf den Grenzbegriff. Dieser letzte Rest jedoch ist grade für K a n t ' s Philosophiren gefahrlich geworden. Der Grenzbegriff erwies sich nemlich, der Natur der Sache entsprechend, nicht nur als Grenzpfahl für die Erkenntnissthätigkeit, sondern er diente zugleich als Wegweiser zu einem höheren Aufenthalt für Vorstellungen, welche sich wegen Mangel an Platz aus der neu construirten Erscheinungswelt ausgewiesen sahen: die Exilirten fanden durch Vermittlung des Grenzbegriffs in einer anderen Welt, deijenigen des Ding an sich, ihr angeblich problematisches Unterkommen, das aber für den Menschen ein nicht weniger reales ist wie die Existenz jenes „Ding an sich", welches uns afficirt, weil er sich zu jenen „idealen" Gegenständen, den Noumena, in eine praktische Beziehung setzt. Sind dieselben auch nicht anschauungsreale Objecte, so doch gemüths-reale, die sich durchaus von dem, was K a n t Hirngespinnste nennt, unterscheiden sollen. Den Anknüpfungspunkt, um diese Beziehung des Menschen zu den „intelligiblen" Objekten herzustellen, bildet der Grenzbegriff, er allein ermöglicht es, dieselben nicht als blosse Grillen zu verneinen; denn obgleich sie nicht in ihrer realen Möglichkeit erkannt werden können, so sind sie und ihre Existenz doch formal möglich in jener möglichen, durch den Grenzbegriff offen gehaltenen Welt an sich. •— Die blasse Denkmöglichkeit der Welt an sich aber übte einen eigenthümlichen Zauber auf K a n t aus, und er bedient sich ihrer gerne zu polemischen Zwecken. Ich führe hier eine wichtige Stelle an: „Zwar, wenn der empirische Philosoph mit seiner Antithese keine andere Absicht hat, als den Vorwitz und die Vermessenheit der ihre wahre Bestimmung verkennenden Vernunft niederzuschlagen, welche mit Einsicht und Weisheit gross thut, da wo eigentlich Einsicht und Weisheit aufhören, und das, was man in Ansehung des praktischen Interesse gelten lässt, für eine Beförderung des speculativen Interesse

Kant's Ding an sich.

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ausgeben will, um, wo es ihrer Gemächlichkeit zuträglich ist, den Fadeu physischer Untersuchung abzureissen und mit einem Vorgeben von Erweiterung der Erkenntniss ihn an transcendentale Ideen zu knüpfen, durch die man eigentlich nur erkennt, dass man nichts wisse, wenn, sage ich, der Empirist sich hiermit begnügt, so würde sein Grundsatz eine Maxime der Mässigung in Ansprüchen, der Bescheidenheit in Behauptungen und zugleich der grossest möglichen Erweiterung unseres Verstandes durch den eigentlich uns vorgesetzten Lehrer, nämlich die Erfahrung sein. Denn in solchem Falle würden uns i n t e l l e c t u e l l e Voraussetzungen und Glaube zum Behofe unserer praktischen Angelegenheiten nicht genommen werden, nur könnte man sie nicht unter dem Titel und dem Pompe der Wissenschaft und Vernunfteinsicht auftreten lassen, weil das eigentliche speculative Wissen überall keinen anderen Gegenstand als den der Erfahrung treffen kann, und wenn man ihre Grenzen überschreitet, die Synthesis, welche neue von jener unabhängige Erkenntniss versucht, kein Substratum der Anschauung hat, an welchem sie ausgeübt werden könnte. So aber, wenn der Empirismus in Ansehung der Ideen (wie es mehrentheils geschieht) selbst dogmatisch wird und Dasjenige dreist verneint, was über der Sphäre seiner anschauenden Erkenntniss ist, so fallt er selbst in den Fehler der Unbescheidenheit, der hier um desto tadelbarer ist, weil dadurch dem p r a k t i s c h e n I n t e r e s s e der Vernunft ein u n e r s e t z l i c h e r N a c h t h e i l verursacht wird"*). Woher denn konnte Kant das Recht nehmen, die Empiristen, welche die Erfahrung als Lehrmeisterin ansahen, seinerseits zu lehrmeistern, wenn sie die Gegenstände der „transcendentalen Ideen" verneinten? Musste er doch selbst zugestehen, dass die reale Möglichkeit dieser Ideen selbst nicht einmal bewiesen werden könnte, geschweige denn ihre Wirklichkeit; standen sie doch mit der Realität geradezu im *)

Kritik d. reinen Vera.

„Vom Interesse an den Antinomien".

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Einleitung.

Widerspruch! Was konnte also den Empiristen hindern, in diesem Falle dieselben zu verneinen? „Hohe Thürme und die ihnen ähnlichen metaphysisch grossen Männer", schreibt K a n t , „um •welche beiden gemeiniglich viel Wind ist, sind nicht für mich, mein Platz ist das fruchtbare βαθός der Erfahrung". Hätte doch K a n t diesen Platz nie verlassen, die intelligiblen Gegenstände, um die ja auch „gemeiniglich viel Wind ist", würden dann sanft in's Nichte gebettet sein, und heute könnten seine Anhänger sich nicht auf die Jongleurkunst verlegen, in das für die „hohen Thürme" als Ersatz hergestellte βυθός des non liquet unterzutauchen, um jeden Streich gegen die „transcendentalen Ideen" auf diese Weise matt zu legen. K a n t selbst kann den Empiristen eben nichts anderes entgegenhalten als: es ist möglich, nicht real möglich, aber doch möglich, dass solche intelligiblen Gegenstände sind! Er kann sich nicht beklagen, wenn der Empirist den sonderbaren Schwärmer einfach stehen lässt, da doch mindestens ein Erweis der realen Möglichkeit solcher „Gegenstände" gefordert werden darf; ansonst kaum ein Hinderniss denkbar ist, dass sie in die Rumpelkammer der Hirngespinnste geworfen werden. Auf die moralische Nützlichkeit oder gar Notwendigkeit allein konnte doch die Forderung, jene „intellectuellen Voraussetzungen" nicht zu verneinen, kaum gegründet werden. So blieb denn allein der Recurs auf den Grenzbegriff übrig, der eben die Möglichkeit der Realität der Idealwelt eröffnete. Aber der Grenzbegriff ist selbst in der üblen Lage, eine „intellectuelle Voraussetzung" zu sein und für den Beweis seines „Ding an sich" fehlen in gleicher Weise alle wissenschaftlichen Hülfsmittel; nicht etwa hinter ihm, sondern vor ihm hört die „Einsicht und die Weisheit" auf, auch er liegt jenseits aller Erkenntniss. So stützt sich die Möglichkeit einer intellectuellen Voraussetzung auf eine andere intellectuelle Voraussetzung, deren Gegenstand für den Menschen einen durchaus problematischen Charakter trägt, sowohl in Betreff des „Was" als des „Dass".

Kant's reine Anschauung.

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Darin aber liegt das doppelt Bedenkliche, dass dieses „Ding an sich" nicht etwa allein den Glauben an intelligible Gegenstände zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten ermöglichen soll, sondern vor Allem in einem rein theoret i s c h e n Geschäft verwendet wird, indem es, ursprünglich und in "Wahrheit als Begriff aus der „Erscheinungswelt" gewonnen, wiederum verobjectivirt den Realgrund der real von ihm unterschiedenen „Erscheinungswelt" und den logischen Grund zur Aufstellung der Erkenntnissgrenzen bilden muss. Ich verkenne keineswegs den hohen propädeutischen Werth, welchen diese Fiction des Grenzbegriffs Ding an sich für die allein wissenschaftlich zu nennende Erkenntniss hatte in einer Zeit, wo man besonders in den philosophischen Kreisen Deutschlands noch tief im „dogmatischen Schlummer" lag. Diese Anerkennung darf jedoch nicht so weit gehen, dass sie blind mache gegen die Schwäche jener Fiction und ihren blos relativen Werth: sie selbst verleugnet ja auch ihren Ursprung im Zeitalter der Zweiweltentheorie nicht und hat es, wie man sehen kann, sogar möglich gemacht, dass ihr Schöpfer, wenn auch theoretisch, so doch nicht praktisch, also nicht gänzlich mit jener Theorie zu brechen veranlasst wurde. Kant's Fiction aber hat eben deshalb so grosse Bedeutung, weil sie den Zweiweltenbann wenigstens auf dem Gebiete der theoretischen menschlichen Thätigkcit zu brechen berufen war. Die reine Anschauung. Die philosophische Thätigkeit K a n t ' s trug als epochemachende wesentlich polemischen Charakter; mit dem Ding an sich wandte er sich gegen den deutschen Rationalismus, mit der reinen Anschauung gegen den englischen Empirismus. Beide Waffen holte er sich aus der Rüstkammer unserer Welt; durch die eine eroberte er der menschlichen Erkenntniss ein bestimmtes, durch die andere ein sicheres Gebiet. Der erste Gegner ist überwunden, der zweite dagegen noch nicht; liegt Letzteres an der von K a n t gebrauchten Waffe? Im vorigen Abschnitt habe ich darauf hingewiesen, dass

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Einleitung.

der Begriff Ding an sich aus unserer W e l t gewonnen, von Kant verobjectivirt und zu einem selbstständigen t r a n s c e n d e n t a l e n Factor mit verschiedenen Functionen gemacht ist: darin aber liegt ein Grundfehler des Kantischen Systems. Die Verwechselung der logischen mit der realen Section oder Zerlegung ist freilich eine Sünde, welche der philosophischen Speculation von den alten Zeiten bis auf die Gegenwart nie fremd geworden ist, denn auch die Philosophen erfreuen sich der Einbildungskraft. Logische und reale Section können deshalb, die Erfahrung lehrt es warnend, nicht ängstlich genug auseinander gehalten werden. Die dichtende Phantasie des Menschen ist jeder Zeit bereit, den Unterschied zu verwischen und die Resultate der einen ltir solche der anderen Operation auszugeben, trotzdem dass durch die logische Section das Object, die „Erscheinung", in Begriffe zerlegt wird, die reale Section dagegen die Erscheinung in T h e i l e , d. i. in „Erscheinungen" auseinanderlegt. Auch der nüchterne vorsichtige K a n t hat sich in Ansehung des „Ding an sich" dieser Neigung der menschlichen Natur, das Ergebniss der logischen Zerlegung als eines der realen Zerlegung zu betrachten und in diesem letztem Sinn mit jenem weiter zu philosophiren, nicht entziehen können. Es möchte freilich auf den ersten Blick ein Unrecht scheinen, K a n t solcher Verwechselung anzuklagen, da er doch das Ding an sich ausdrücklich als Grenz be griff erklärt hat, mithin das durch logische Section aus der „Erscheinungswelt" gewonnene Resultat ganz correct Begriff nennt. Meine Beschuldigung wäre grundlos, wenn K a n t in der That stets nur mit dem Begriff „Ding an sich" und nicht mit dem Begriff vom Ding an sich philosophirt hätte, oder, was dasselbe sagen will, wenn er sich jenes angeblichen Begriffs, welcher notorisch aus der „Erscheinung" selbst gewonnen ist, nicht als eines „Grenz begriffs" bedient hätte. Wer nun diesen durchaus unberechtigten Sprung K a n t ' s nicht sieht, wird freilich auch fernerhin der Meinimg leben, der Begriff vom Ding an sich sei eine nothwendige Folge der von K a n t angehobenen

Kant's reine Anschauung.

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Untersuchung, die sich durchaus keiner Vermischung zweier ganz verschiedener Thätigkeiten des menschlichen Geistes, logischer und realer Section, schuldig mache. Dass K a n t es nicht mit dem empirischen Begriff „Ding an sich", sondern mit einem Begriff von einem Ding an sich zu thun hat, wird man zugeben müssen; aus Sätzen, wie: „das Ding an sich kann man nicht erkennen" geht dies deutlich genug hervor. Würde Kant wirklich sich durchaus innerhalb der ursprünglichen logischen Section gehalten haben, so hätte ein solcher Satz von seiner polemischen Tendenz garnichts eingebiisst, indess freilich eine andere Begründung erhalten: er würde seinen Grund nicht gezogen haben aus dem Wesen des Dinges an .sich als jenseits aller Erfahrung liegenden, sondern als eines empirischen Begriffs, der als solcher natürlicherweise nie als Ding, als „Erscheinung", von der menschlichen Erkenntniss gefunden werden könnte, weil er eben keine „Erscheinung", sondern ein a u s ihr gewonnener Begriff ist. Da aber K a n t diesen Begriff durch einen kühnen Sprung in ein ganz anderes Gebiet hinübertrug und ihn als Grenzbegriflf vom Ding an sich in neue Beziehungen zur „Erscheinung" setzte, so ist das Sichere gegen eine Fiction, das Erkannte gegen ein ewig problematisches Etwas, welches sich von einem Hirngespinnst durch Nichts unterscheidet, eingetauscht worden. Durch Umbildung des Begriffs „Ding an sich" zum Grenzbegriff vom Ding an sich war nun wenigstens die logische Möglichkeit des Dinges an sich zugestanden, und damit schob sich selbstverständlich, die wenn auch noch so unklare, Anschauung Ding an sich an die Stelle des ursprünglichen Begriffs; die logische Section hatte dem allerdings anregenderen Geschäft der realen Section Platz gemacht: der Begriff Ding an sich ward zum abgesprengten begrenzenden Dinge. Dieser Uebergang geschieht für den Beobachter, Dank dem uns Allen innewohnenden Hange, Begriffe zu verobjectiviren, so unvermerkt, dass ich das Kantische „Ding an sich" der beweglichen Klappe über einer Fallgrube vergleichen möchte: das Ding sieht so unschuldig und sicher aus, man wagt sich hin-

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auf, und plötzlich versinkt man in das βυθός, in die Welt an sich. Der Grenzbegriff nun ist eine kühne Fiction, aber die reine Anschauung ist wohl ein noch kühneres Product des Kantischen Geistes, da sie weit augenfälliger der Ansicht, dass die logische Section einer „Erscheinung" allein Begriffe liefere, in's Gesicht schlägt. K a n t schreibt: „Wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Theilbarkeit etc., imgleichen was zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung." Was also nach allen den Merkmalen, die auf Verstand und Empfindung zurückzuführen sind, übrig bleibt von der Vorstellung eines Körpers, soll nicht etwa Begriff, sondern reine Anschauung sein. Hat K a n t in diesem Punkte Recht, und ist das, was er eine Anschauung nennt, in der That Anschauung, also Concretes, und nicht Begriff, d. i. „Allgemeines", so ist damit der Beweis geliefert, dass die logische Section der „Erscheinung" uns Begriffe u n d Anschauung liefert. Der § 1 der Kritik der reinen Vernunft, welchen ich in der Untersuchung über den Grenzbegriff Ding an sich anzog, um zu zeigen, dass der „problematische Begriff" dort an dein „Gegenstand" einen sehr realen Vorgänger hätte, ist auch für die Erörterung der reinen Anschauung von hervorragender Bedeutung; in diesem Paragraphen überhaupt bilden die Principien der Kantischen Erkenntnisstheorie schon so völlig die stille Voraussetzung, dass man fast behaupten kann, wer diesen unangefochten lässt und lassen muss, der sei dem Kantianismus unweigerlich verfallen. Es gilt nun zunächst, hier Rath zu holen über K a n t s Ansicht von der reinen Anschauung. Schon im ersten Absatz des § 1 handelt K a n t von der Anschauung überhaupt: „die Art, wodurch die Erkenntniss sich auf Gegenstände unmittelbar bezieht, ist die A n s c h a u u n g " ; „ d i e s e A n s c h a u u n g

Kant's reine Anschauung.

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ist n u r dadurch möglich, dass er (der „Gegenstand") das Gemüth auf gewisse Weise a f f i c i r t " ; „die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungslahigkeit, sofern wir von demselben aflicirt werden, ist Empfindung"; „diejenige Anschauung, welche sich auf einen Gegenstand durch Empfindung bezieht, heisst e m p i r i s c h " . Aus diesen Sätzen könnte man geneigt seiu, das Facit zu .ziehen, K a n t nehme also nur eine empirische Anschauung als möglich an; indess dürfte schou die Bemerkung: „diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch E m p f i n d u n g bezieht, heisst e m p i r i s c h " vor solchem Urtheil schützen, da sie auf eine mögliche Anschauung hinzudeuten scheint, welche, wie alle Anschauung, sich wohl auf Gegenstände unmittelbar, aber nicht durch Empfindung beziehe. Doch dieser Möglichkeit steht wiederum K a n t s ausdrückliche Erklärung entgegen, dass die u n m i t t e l bare Beziehung auf Gegenstände, d. i. Anschauung, n u r möglich sei, wenn der Gegenstand den Menschen a f f i c i r t , also nur durch Empfindung. So hat es den Anschein, dass es bei dem ersten Urtheil über K a n t s Ansicht bleiben müsse: es sei nur empirische Anschauung möglich; und dennoch ist es anders: neben der empirischen giebt es eine reine Anschauung für K a n t . Sehen wir zu, wie er zur Entdeckung dieser neuen Species gekommen sein mag: er gewinnt sie durch Secirung der „Erscheinung". „Erscheinimg", heisst es, „ist der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung"; „in der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindimg correspondirt, die Materie in derselben". Schon hier gilt es auf der Hut zu sein. Man stutzt über die Bemerkung: „das in der Erscheinung, was der Empfindung correspondirt". Als es eben vorher hiess, diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch die Empfindung bezieht, heisst empirisch, so konnte man, nachdem erklärt war, der unbestimmte Gegenstand der empirischen Anschauung solle Erscheinung genannt werden,. schliessen: also correspondirt die Erscheinung als solche den Empfindungen, ohne in diesem Schluss durch eine vorhergehende Be-

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Einleitung.

merkung K a n t s gehindert zu werden; Empfindung und empirische Anschauung wären dann als Wechselbegriffe aufgetreten, ein und dasselbe unter verschiedenen Gesichtspunkten begreifend. Wie man sieht, entwickelt sich die Sache anders. K a n t zergliedert logisch die Erscheinung, und hebt zunächst den Begriff Materie heraus, und nun hören wir plötzlich: „in der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung correspondirt, die Materie derselben". Aber doch auch in der Wissenschaft der Erkenntnisstheorie ist der Satz gültig, dass Concretes nur Concretem, aber nicht „Abstractem" correspondiren kann und hier soll die concrete Empfindung, die Affection des Anschauenden, der „abstracten" Materie der Erscheinung correspondiren? Man ist nur allzu geneigt, über dieses logische Vergehen hinwegzusehen, da die Gewöhnung, in der „Materie" etwas Concretes zu sehen, gar sehr sich eingebürgert hat, so dass die logische Section einer „Erscheinung" in Form und Materie als eine reale angesehen wird, und diese Begriffe zu T h e i l e n der „Erscheinung" verobjectivirt werden. Auch K a n t gerietli auf diesen Irrweg, welcher ihn übrigens auch allein dahin führen konnte, wo er die „reine Anschauung" entdeckte; denn wenn einmal die Erscheinung ein Product aus Empfindung und Anschauung sein sollte, die concrete Empfindung aber dem angeblichen Theil (nicht aber Merkmal) „Materie" der Erscheinung correspondirte, so war damit gegeben, dass auch der andere „ T h e i l " der Erscheinung, die Form, einem Coner e ten correspondirte, und dies konnte nun nichts anderes sein als die „reine Form der Sinnlichkeit", die „reine Anschauung". So wusch eine Hand die andere, die zweifelsohne als Concretes feststehende Empfindung liess den Begriff Materie verobjectiviren, und die in Folge dessen zugleich verobjectivirte Form der Erscheinimg machte wiederum den Begriff „reine Anschauung" zu etwas Concretem. Dass der Verdacht, die „reine Anschauung" sei als Concretes eine Fiction, in der That aber ein verobjectivirter B e g r i f f , ein höchst begründeter genannt werden müsse, dürfte

Kant's reine Anschauung.

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schon aus der Art geschlossen werden, wie Kant in dem angeführten Beispiel dadurch, dass er von der Vorstellung eines Körpers „das, was der Verstand davon denkt, und was davon zur Empfindung gehört" absondert, zur reinen Anschauung gelangt. Schon bei dieser Gelegenheit konnte es auffallen, das, was von der V o r s t e l l u n g als Gestalt und Ausdehnung übrig bleibt, Anschauung genannt zu hören und nicht etwa reine Vorstellung. Ich will über diese Bezeichnung nicht streiten, da immerhin an dieser Stelle klar genug heraustritt, was sie zum Inhalt haben soll. Gespannt aber wird man nun in der That sein, wenn doch die „reine Anschauung" gleich der Empfindung etwas Concretes ist, ein Beispiel solcher reinen Anschauung von Kant vorgeführt zu bekommen, oder in irgend welcher Weise auf dies bis jetzt Unbekannte positiv hingewiesen zu werden. Das ist auch von Kant geschehen; er erklärt: „ich nenne alle Vorstellungen rein, in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird"; „die reine Form sinnlicher Anschauungen überhaupt wird im Gemüthe a priori angetroffen"; „die reine Anschauung, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine blosse Form der Sinnlichkeit findet im Gemüthe statt." Ist dieses in Wirklichkeit der Fall, so wird aller Verdacht, dass Kant einen Begriff „reine Anschauung" verobjectivirt habe, zu Boden geschlagen sein. Reine Vorstellungen, in denen nichts von solchem „was der Empfindung correspondirt", angetroffen wäre, also reine Anschauungen, haben wir nun aber in der That nicht. Ich könnte nichts Treffenderes dagegen sagen als w&s E. v. Hartmann in seinem trefflichen.Buche: Kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus" S. 146 f. schreibt: „Kant stellt sich die materielle Welt in ihrer subjectiven Erscheinung hauptsächlich vermittelst des Gesichtssinnes vor; indem er nun die Gegenstände aus dem Gesichtsfelde hinauswirft, bleibt ihm die Anschauung des leeren Gesichtsfeldes übrig. Diese Anschauung ist aber eine positive Empfindung; denn bekanntlich ist selbst das Schwarz eine positive Empfindung des

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Einleitung.

Sehnerven, um wie viel mehr das gewöhnlich zu einem matten Grau oder auch zu einem gelbroth oder blau angehauchten Grau subjectiv erhellte leere Gesichtsfeld der Phantasie. Dieses Gesichtsfeld der Phantasie unterscheidet sich ferner noch dadurch von dem Wahrnehmungsgesichtsfeld, dass es nicht wie dieses ein blosser Kugelausschnitt von etwa 90° ist, sondern dass es, wenn auch in etwas unbestimmter Weise, zur vollen Sphäre erweitert werden kann, obwohl der vordere Theil immer positiver und deutlicher, gleichsam gesättigter von Empfindung ist, wie der hintere. Dies ist nur eine besondere Anwendung des Vermögens unserer Phantasie, uns beliebige Gegenstände als hinter uns befindlich anschaulich vorzustellen. Es bleibt also diese Phantasievorstellung des leeren sphärischen Gesichtsfeldes i m m e r beladen mit „ M a t e r i e " der Anschauung, mit sinnlichem E m p f i n d u n g s s t o f f (des Helligkeitsgrades und der Färbung), und ausserdem mit einer Ortsbeziehung des anschauenden Ich auf den Mittelpunkt des sphärischen Phantasieraums. Wir lernen daraus, dass es in aller Strenge eine unsre F ä h i g k e i t ü b e r s t e i g e n d e Aufgabe ist, eine von aller e m p i r i s c h e n E m p f i n d u n g ger e i n i g t e A n s c h a u u n g des a b s t r a c t e n Raumes zu gewinnen. Ferner aber folgt aus der unvermeidlichen Ortsbeziehung des anschauenden Ich auf das Centrum der Sphäre, dass, wenn es uns einen Augenblick gelungen sein sollte, das ganze Phantasiebild des Raumes aus der Vorstellung zu löschen, dasselbe sofort wieder aus diesem räumlich festgehaltenen Centrum als aus dem productiven Organ der Gesichtsanschauung von Neuem ausstrahlt. Dies kommt daher, dass der p o s i t i v e e m p i r i s c h e E m p f i n d u n g s s t o f f des Auges, welcher i m m e r vorhanden ist, und unaufhörlich auch in absoluter Dunkelheit auf unsere Seele einstrahlt, sofort die Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt, sobald die vorher dominirende Phantasievorstellung des Raumes durch abstracte (unräumliche) Begriffe aus der Aufmerksamkeit verdrängt ist, also diese für die scharfen Gesichtswahmehmungen gleichsam wieder jungfräulicher Boden geworden ist. Dieses Eindringen der Em-

Kant's reine Anschauung.

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pfindung wird aber von der Seele sofort auf die noch festgehaltene Ortsvorstellung des inneren Sehorgans bezogen, und so stellt sich das eben mühsam vernichtete Gesichtsfeld als s c h e i n b a r von dem örtlichen Ich ausstrahlend wieder her. Diese Selbstbeobachtung scheint mir die Grundlage des Kantischen Irrthums." Dieser Ausführung füge ich als weitere Erklärung des Irrthums, die „reine Anschauung" für eine Anschauung zu halten, die Thatsache bei, dass wir in der von uns vorgestellten Sphäre des Gesichtsfeldes und an den räumlichen Vorstellungen in demselben unsere A u f m e r k s a m k e i t so sehr auf „Gestalt und Ausdehnimg" derselben concentriren können, dass es den Anschein erweckt, als ob wir in der That die „reine Anschauung" als Anschauung für sich hätten. Der Umstand aber, dass Letzteres in der That nicht Statt findet, ist immerhin ein apagogischer Beweis dafür, dass die Kantische „reine Anschauung" factisch ein Begriff ist, der also der Natur der Sache nach nicht Anschauung für sich ist und sein kann. Ding an sich und reine Anschauung bilden die beiden Pfeiler, welche die Kantische Erscheinungswelt stützen; wenn sie wanken, so steht es schlimm um das ganze Gebäude; sie erwecken den Anschein, morsch zu sein, und vielleicht ist die Zeit schon gekommen, das Haus zu verlassen. Zum Mindesten aber wird angesichts der kritischen Verhältnisse dem Versuch, Pläne für ein neues Haus mit festerem Untergrund zu construiren, der Vorwurf erspart bleiben müssen, dass blosse Neuerungssucht den Antrieb dazu gegeben. —

2. Das Problem der Erkenntniss. Wie verschieden auch immer die philosophischen über den Inhalt der Erkenntniss geurtheilt haben, so doch alle, selbst die Skepsis nicht ausgenommen, von Rehrake, Die Welt ale Wahrnehmungu. Begriff.

Systeme sind sie der Vor3

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Das Problem der Erkenntniss.

aussetzung ausgegangen, dass dem Erkenntnissprocess der Gegensatz von Ich und Nicht-Ich zu Grunde liege; ohne diesen Gegensatz überhaupt wird ein Jeder Erkenntniss für unmöglich erklären müssen. Diese Uebereinstimmung Aller schliesst nothwendig die andere in sich, welche in der Erkenntniss irgend eine bestimmte Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich gegeben sieht, und demzufolge das Eine das Erkennende, das Andere das Erkannte heisst. Ich habe diese beiden Factoren des Erkenntnissprocesses Ich und Nicht-Ich genannt, nicht, wie man sonst wohl zu thun pflegt, Subject und Object, weil ich durch die Ansicht mich leiten liess, dass in jenen Worten am bezeichnendsten die Sache klar gelegt und zugleich am wenigsten Gefahr geboten würde, etwas nicht zur Sache Gehöriges mit hineinzuschmuggeln. Indem das Erkennende Ich, das Erkannte Nicht-Ich genannt wurde, schien mir sowohl am Besten der Umstand herausgestellt, dass die beiden Factoren im Gegensatz stehen und doch eine feste· Beziehung zu einander haben, als auch dafür gesorgt, dass der Process als solcher durch den ersten Factor getragen wird. Durch Subject und Object, fürchtete ich, würde der Gegensatz schon eine viel zu bestimmte Färbung erhalten, wie er uns etwa in den von ihnen abgeleiteten Worten subjectiv und objectiv entgegentritt. Sollte indess von anderer Seite die gleiche Gefahr in jenen ersten beiden Worten nicht minder entdeckt werden, so habe ich hoffentlich durch die bestimmtere Erklärung, welche Aufgabe dieselben erfüllen sollen, weiterem Missverständniss vorgebeugt, so dass Ich und Nicht-Ich hier einzig als die Erkenntniss-Factoren oder, wie man auch sagen kann, als das logische Ich und Nicht-Ich gelten werden, da der Gegensatz sowie die Beziehung derselben nur einen logischen Gegensatz und eine erkenntnisstheoretische Beziehung zunächst bezeichnen sollen. In diesem Sinne nun werden unzweifelhaft alle verschiedenen philosophischen Ansichten einstimmen können in die Definition: in der Erkenntniss ist eine Beziehung von Ich und Nicht-Ich gegeben. Dieses Gemeinsame ist freilich mager ge-

Ich und Nicht-Ich.

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nug, und man sieht sofort die Meinungen auseinandergehen, sobald die im e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Sinn gestellten Fragen „was ist das Ich?" und „was ist das Nicht-Ich?" zur Beantwortung gelangen. Die beiden Fragen in ihrem bestimmten erkenntnisstheoretischen Sinn sind identisch mit den "anderen beiden: „wie erkenne ich?" und „was erkenne ich?" So verschieden aber auch die Antworten ausfallen mögen, so sind alle Fragenden doch wiederum in der Voraussetzung einig, dass Erkenntniss das Resultat eines Processes, des Erkennens, sei, durch diesen Process also jene Beziehung von Ich und Nicht-Ich entwickelt werde, und dass ein E t w a s , welches dem in der Erkenntniss auftretenden Nicht-Ich correspondirt, vor dem Processe und a b g e s e h e n von ihm da sei und irgendwie in den Process eingehe. Entsprechend diesen Voraussetzungen ist demnach auch die e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e Doppelfrage: „was ist das Ich?" und „was ist das Nicht-Ich?" identisch mit derjenigen: „wie erkenne ich?" und „was erkenne ich?", nicht aber etwa mit dieser: „wer erkennt?" und „was wird erkannt?" Denn wenn das Letztere die richtige Umschreibung sein sollte, so wäre man vom Erkenntnissproblem abgekommen und hätte die erste Frage: „was ist das Ich" nicht mehr im rein erkenntnisstheoretischen Sinne aufgefasst. Auf diesen Abweg sind allerdings Manche gerathen zum Schaden ihres; Untersuchungsresultates. Das Interesse des Erkenntnissproblems richtet sich allein auf jene beiden grundlegenden Aufgaben, welche den Process des Erkennens und das Verhältniss des Erkenntniss-Nicht-Ich zu jenem Etwas, das irgendwie in den Process eingeht, in's Auge fassen, und für die saubere Behandlung des Problems ist es absolut nothwendig, demselben nicht noch auf Grand weiterer Voraussetzungen anderweitigen Inhalt zu imputiren. Wenn man erklärt hat, dass die Frage nach der Erkenntniss die Vorstellung von Denken und Sein voraussetze, so ist damit das Richtige getroffen, sobald man einzig darunter versteht die Voraussetzung des Erkennens als eines Processes und des Etwas als des dem Erkenntniss-Nicht-Ich irgendwie 3*

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Das Problem der Erkenntniss.

„Correspondirenden". Man schiesst jedoch über das Ziel hinaus, wenn in jener Vorstellung zugleich ein G e g e n s a t z von Gedachtem und Seiendem enthalten ist, da eben die Art und Weise, wie das Seiende dem Gedachten „correspondire", zu bestimmen, grade die eine der beiden A u f g a b e n ist, welche das Erkenntnissproblem enthält, und die Möglichkeit, dass kein Gegensatz sei, wenigstens offen gelassen werden muss, indem der logische Gegensatz der Begriffe „Gedachtes" und „Seiendes" noch keineswegs jenen r e a l e n Gegensatz des Gedachten und Seienden in sich schliesst. Ohne die Voraussetzung eines Seins hat die Aufstellung des Erkenntnissproblems keinen Sinn, und es wäre eine Spiegelfechterei , wenn man eine erkenntnisstheoretische Untersuchung mit dem Zweifel an dem Seienden beginnen wollte. Mag man wollen oder nicht, so muss man zunächst doch die Anleihe bei dem naiven Bewusstsein machen, welches die Möglichkeit des Erkennens bedingt sein lässt durch die Wirklichkeit des Seienden. Desshalb hat auch K a n t nicht darin gefehlt, dass er ein „Ding an sich" hypothesirte, sondern nur darin, dass er vergass, woher er dasselbe entlehnt hatte. Da also in der Erkenntniss eine Beziehung von Ich und Nicht-Ich vorliegt, die Erkenntniss aber ein Verhältniss des Erkenntniss-Nicht-Ich zum Seienden in sich schliesst, so gilt es nun den Process, durch welchen die Beziehung gewonnen wird, also das Erkennen zu bestimmen, wodurch zugleich jenes Verhältniss deutlicher bezeichnet wird. — Jene Beziehung des Erkenntniss-Ich und ErkenntnissNicht-Ich stellt sich vom „Denken" aus betrachtet so dar, dass das Nicht-Ich als Inhalt des Ichbewusstseins erscheint, oder, um einmal mit H e r b a r t zu reden, als Vorstellung; von der Seite des „Seins" betrachtet aber ist dasselbe Nicht-Ich Erkenntniss- oder Bewusstseinscorrelat des Seienden, welchem dies letztere als unumgängliche Grundlage sich unterschiebt. Das Erkennen im allgemeinsten Sinne des Wortes ist demnach ein Process, durch welchen das Ich Bewusstsein d.h. „Vorstellungen" (Nicht-Ich) gewinnt, oder anders ausgedrückt:

Nicht-Ich und Seiendes.

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Erkennen ist ein Process, welcher das Seiende zum BewusstSeienden macht. Beide Definitionen beziehen sich auf die gleiche Sache, das Erkenntniss-Nicht-Ich, welches nur von verschiedenen Standpunkten, das eine Mal von dem des Erkenntniss-Ich, das andere Mal von dem des Seienden aus beleuchtet wird. Als Bedingungen des Erkennens ergeben sich also das Erkenntniss-Ich und das Seiende, von denen jenes in Folge des Erkenntnissprocesses zu diesem in eine bestimmte Beziehung treten soll, nicht freilich zu demselben als Seiendem sondern als Bewusst-Seiendem; das Erkenntniss-Nicht-Ich wäre demnach das Seiende, insofern das Erkenntniss-Ich zu diesem in Bewusstseinsbeziehung steht. Hier ist es nöthig davor zu warnen, dass man die beiden Bedingungen der Erkenntniss, das Erkenntniss-Ich und das Seiende überhaupt in einen Gegensatz stellt, da es ganz disparate Begriffe sind. Nie steht das Seiende, sondern stets das Bewusst-Seiende und zwar als Nicht-Ich im e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Gegensatz zum Ich; nie steht das ErkenntnissIch zum Seienden, sondern i n n e r h a l b des Seienden Ich und Nicht-Ich im r e a l e n Gegensatz. Dieser Unterschied ist wohl zu beachten, da man nur dadurch vor zwei Verlegenheiten sich bewahren wird, in deren einer man die Identität von Seiendem und Bewusst-Seiendem nicht zu fassen vermag, während die andere vor der Unbegreiflichkeit des Selbstbewusstseins oder der Selbsterkenntniss Halt machen muss. Sobald nemlich ein Gegensatz zwischen Erkenntniss-Ich und Seiendem angenommen wird, schleicht sich der Fehler ein, dass zwei verschiedene Gesichtspunkte mit einander vermischt werden, sei es, dass das Erkenntniss-Ich nicht als solches, sondern als reales, einen Theil der Seinssphäre ausfüllendes Ich, sei es, dass das Seiende nicht als solches, sondern als ein Erkenntniss-Nicht-Ich aufgefasst wird. Dann geschieht es, dass der Gegensatz, in welchem das ErkenntnissIch und Nicht-Ich auftreten, als ein ganz anderer erscheint gegenüber dem angeblichen, aber in Wirklichkeit unmöglichen Gegensatz von Ich und Seiendem. Die Folge davon ist, dass

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Das Problem der Erkenntniss.

der Gedanke der Identität von Seiendem und Bewusst-Seiendem ein unfassbarer wird, dagegen aber das Bewusst-Seiende in die angebliche Seinssphäre des Erkenntniss-Ich hereingenommen und dafür nun auch im angeblichen realen Gegensatz gedacht wird zu dem Seienden. — Diese Anschauung liegt vielfach den Ausdrücken, mit welchen wir den Erkenntnissprocess zu bezeichnen gewohnt sind, zu Grunde: ζ. B. „in's Bewusstsein aufnehmen", oder: „zum Inhalt des Bewusstseins werden". Eben dieselbe Anschauung ist aber gerade hinderlich, die Möglichkeit der Selbsterkenntniss zu verstehen, da man ja das Erkenntniss-Ich als ein Seiendes im r e a l e n Gegensatze zu dem, was erkannt wird, stehend denkt und demnach das „Selbst" sowohl das reale Ich als auch das Erkenntniss-Nicht-Ich, welches zu jenem im Seinsgegensatz stände, sein müsste zu gleicher Zeit. Dass es auf solch Paradoxes hinauskommt, zeigen wiederum die gebräuchlichen Ausdrücke: „sich aus sich selbst heraussetzen" oder „sich sich selbst gegenüberstellen". Diese Verlegenheiten werden vermieden, wenn man den erkenntnisstheoretischen und den realen oder Seins-Gegensatz streng auseinanderhält und sich bewusst bleibt, dass in der Erkenntniss nur ein Gegensatz und eine Beziehung von Ich und Nicht-Ich oder Bewusst-Seiendem Statt hat, nie und nimmer aber Erkenntniss-Ich und Seiendes zu einander einen Gegensatz bilden oder ein Yerhältniss haben können. Ein reales Yerhältniss kann nur bestehen zwischen dem Nicht-Ich und dem Seienden, da letzteres die Bedingung des Erkenntnissobjects ist, wie das Ich die specielle Bedingung des Erkenntnissprocesses; das Letztere ist eben der Grund, dass auch nur zwischen diesem Ich und dem Nicht-Ich allein eine Beziehung bestehen kann, und nur unter einer Voraussetzung Hesse sich auch von einer Beziehung zwischen Erkenntniss-Ich und Seiendem sprechen, wenn nemlich das Verhältniss von Bewusst-Seiendem und Seiendem sich als ein Identitätsverhältniss erwiese. Gegen die Annahme einer derartigen Identität aber er-

Seiendes und Bewusst-Seiendes.

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heben sich viele Stimmen und behaupten dagegen, dass das Erkenntniss-Nicht-Ich sich auf das Seiende als ein Anderes beziehe. In dieser Behauptung kommen aber jene Schwierigkeiten und Ungereimtheiten zum Vorschein, welche ich oben erwähnt habe an dem falschlich zum Seienden in r e a l e n Gegensatz gestellten Erkenntniss-Ich; denn in derselben wird nicht nur das Erkenntniss-Nicht-Ich, sondern ebenfalls das die Voraussetzung der Erkenntniss bildende Seiende schon als ein Erkenntniss-Nicht-Ich aufgefasst: eine μετάβααις είς άλλο γένος, die das Disparateste zusammenwirft. Einzig und allein die Behauptung der Identität von Erkenntniss-Nicht-Ich und Seiendem kann die Verwirrung lösen, in welcher sich alle diejenigen befinden, welche das Erkenntnissobject als ein Reales im Ichbewusstsein auf das Seiende als ein Anderes beziehen und das Unmögliche möglich machen zu können glauben, nämlich das Seiende, ohne dieses selbst als ErkenntnissNicht-Ich gegeben zu haben, zu erkennen. Wer das Unthunliche eines solchen um die Ecke Sehens einsah, und doch auch die Identität von Bewusst-Seiendem und Seiendem aus irgend welchen Gründen nicht annehmen zu können meinte, half sich damit, dass er das Seiende überhaupt verneinte und allein mit dem Erkenntniss-Nicht-Ich als „Vorstellung" des Erkenntniss-Ich operirte. In dieser Lage sehen wir Berkeley, der sich in vieler Hinsicht mit dem erkenntnisstheoretischen Identitätsstandpunkt berührt, wenngleich das Fallenlassen der Voraussetzung des Seienden es dem Berkeley unmöglich macht, von eigentlicher E r k e n n t n i s s zu handeln. Während vom Standpunkt des Erkenntniss-Ich aus das Erkennen die Herstellung einer Beziehung von Ich und NichtIch und das Erkenntnissobject das Nicht-Ich genannt wird, erhält vom Standpunkt der anderen Bedingung jeglicher Erkenntniss, nemlich des Seienden, aus das E r k e n n e n die nähere Bestimmung als B e w u s s t w e r d e n des S e i e n d e n , und das E r k e n n t n i s s o b j e c t oder der Erkenntniss - Inhalt bekommt die nähere Bestimmung als Bewusstgewordenes oder

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Das Problem der Erkenntniss.

B e w u s s t - S e i e n d e s . Die beiden Aufgaben endlich, welche in dem Erkenntnissproblem enthalten sind, heissen hier: „wie wird das Seiende bewusst?" und „was ist das Seiende?" Es möchte hier auffallen, dass in dem Erkenntnissproblem selber eine Frage entdeckt wird, welche sonst als Inhalt des metaphysischen Problems gilt, die Frage nemlich: was ist das Seiende? Freilich ist der Gegenstand der Erkenntnisstheorie schon ganz in der ersten Frage enthalten, während auf die zweite die Wissenschaft, welche Metaphysik genannt wird, antwortet. Wenn aus dem Erkenntnissproblem aber beide Fragen auftauchen, so beweist dies nur die innige Verwandtschaft jener beiden Wissenschaften und zwar, näher besehen, die Abhängigkeit der Metaphysik von der Erkenntnisstheorie*), welche letztere die allgemein grundlegende Wissenschaft zu nennen ist, deren Folge die Metaphysik bildet. Die Hauptfrage ist demnach: wie wird das Seiende b e w u s s t ? , sie enthält in sich vereint die beiden Fragen: wie erkenne ich und was erkenne ich? Die Bedingung, dass das Seiende bewusst werden, dass es Bewusst-Seiendes werden kann, ist das Erkenntniss-Ich, zu dem jenes dadurch in erkenntnisstheoretischen Gegensatz und in Beziehung tritt. Die Frage, was das Erkenntniss-Ich sei, ist an diesem Platze, wo metaphysische Antworten erst durch erkenntnisstheoretische Untersuchungen überhaupt ermöglicht werden sollen, eine durchaus müssige; zur Erläuterung des Erkenntnissproblems genügt die Behauptung, dass das Ich die nothwendige Bedingung des Erkennens, wie das Seiende die nothwendige Bedingung der Erkenntniss, des Nicht-Ich ist. W a s diese beiden Bedingungen seien, wird sich erst ergeben können nach Beantwortung der Frage: wie wird das Seiende bewusst?

*) Ια der „Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie" Jahrgang I, S. 1G7 erklärt Fr. P a u l s e n mit Recht: „dass Metaphysik die Entscheidungen der Erkenntnisstheorie abwarten müsste, ehe sie sich selbst als Wissenschaft constituirt".

Wie wird das Seiende bewusst?

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Diese Beantwortung ist nun, ohne den Satz von der Identität des Bewusst-Seienden und des Seienden zu Grunde gelegt zu haben, ein unmögliches Beginnen, und wer immer das Erkenntnissproblem einer Untersuchung unterzieht, geht, mag er auch im Verlaufe auf die Leugnung der Identität verfallen, zunächst von der stillschweigenden Voraussetzung aus, dass sein B e w u s s t Seiendes als S e i e n d e s die Seinsbedingung der Erkenntniss bilde. Das ist eben der Standpunkt des naiven Bewusstseins, auf welchen Jeder, der über das Bewusstsein zu reflectiren beginnt, sich gestellt sieht, und welchen er zum Absatzbrett benutzen muss, um in's wissenschaftliche Reflexionsgebiet hineinzugelangen. —

3. Das Element der Erkenntniss. Da das Erkennen des Ich ein Process ist, so erscheint es finden Aufbau der Erkenntnisstheorie von höchster Wichtigkeit, den Anfangspunkt der Entwicklung, welche das Erkennen darstellt, mit Sorgfalt festzustellen, oder, mit andern Worten, nachzuweisen, welches das Element der Erkenntniss, das primitive Bewusst-Seiende oder Nicht-Ich sei. Gar zu leicht verfallt man bei solcher Arbeit in den Fehler, das E r k e n n t n i s s - I c h mit dem in die Begriffssphäre des Seienden fallenden m e n s c h l i c h e n I n d i v i d u u m , wie es in der Erfahrung als Erkenntniss-Nicht-Ich gegeben ist, zu i d e n t i f i c i r e n und das l e t z t e r e dem e r s t e r e n unterzuschieben. Ich betone daher nachdrücklichst, dass im Folgenden das „Ich" einzig und allein im Sinne des Wortes „Erkenntniss-Ich" von mir gebraucht wird, so dass es also hier allein das logische Subject des Erkenntnissprocesses bedeutet; bei gegebener Gelegenheit soll· auf die falschen Annahmen, welche aus der angedeuteten unberechtigten Identificirung hervorgehen, näher Rücksicht genommen werden. Das p r i m i t i v e N i c h t - I c h , die erste Form, in welcher

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Das Element der Erkenntniss.

das Bewusst-Seiende auftritt, ist die Wahrnehmung*), das p r i m i t i v e E r k e n n e n des Ich das W a h r n e h m e n . Mit Wahrnehmen und Wahrnehmung beginnt das Bewusstsein. Ich nenne das Primitive des Bewusstseins Wahrnehmung und nicht Anschauung, weil das letztere in keiner Weise den ganzen Begriff des ersten Bewusst-Seienden seinem Umfang nach darstellt. Man ist freilich seit K a n t gewohnt, das Wort Anschauung über seinen ihm zukommenden Bezirk des primitiven Nicht-Ich übergreifen zu lassen, und K a n t selbst hat mit dem Monstrum „innere Anschauung" ein Verfahren eingeleitet, das die Quelle mancher schiefen Auffassung geworden ist. Wenn aber das ganze Gebiet des primitiven Bewusstseins überblickt wird, so kann man für das Wort Anschauung selbst kaum als Entschuldigung die Bezeichnung a potiori anführen, denn als Anschauung lässt sich correcterweise doch nur die mittelst des menschlichen Auges gegebene Wahrnehmung und etwa noch ihre Reproduction durch den Act des Vorstellens bezeichnen. Dann ergiebt sich, dass nur räumliche Wahrnehmungen unter den Begriff Anschauung fallen, und zeitliche Wahrnehmung keineswegs Anschauung zu nennen ist, mag man auch das Verkehrte dadurch zu corrigiren suchen, dass sie als „innere" Anschauung bezeichnet wird. Diese Correctur selbst geht aber von der unberechtigten Identificirung des menschlichen Individuums mit dem Ich aus, und, indem sie einen zweiten Fehler dem ersten hinzufügt, wird das Erkenntnise-Ich in r e a l e n Gegensatz zu dem als „äussere Anschauung" gegebenen Seienden gebracht. Wenn man das Gebiet der eigentlichen erkenntnisstheoretischen Erörterung nicht verlässt, so ist ein solcher Gegensatz von „Aeusserem" und „Innerem" gar nicht zu finden, da viel eher, sobald man einen dieser Ausdrücke aus dem Seinsgebiet zur Versinnbildlichung herübernehmen wollte, alle „Anschauung" d. i. Wahrnehmung, sei sie zeitlich oder räum*) Ich halte bis an das Ende der Erörterung daran fest, mit dem Worte „Wahrnehmung" nicht den Erkenntnissact, für welchen ja das Wort „Wahrnehmen" da ist, sondern ausschliesslich das Erkenntnissobject zu bezeichnen.

Das primitive Bewusst-Seiende.

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lieh, als zum Ich im erkenntnisstheoretischen Gegensatze stehend, ^äussere" heissen müsste. Mag man auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch von einem inneren Anschauen reden, um damit eine bestimmte v o r s t e l l e n d e Thätigkeit zu verdeutlichen, so darf dieses doch nicht berechtigen, die „Anschauung" im correct erkenntnisstheoretischen Sinne als eine „innere" aufzufassen, da ehen hier der Gegensatz vom „Aeusseren" und „Inneren" gar nicht auftreten kann. Für die Erkenntnisstheorie giebt es nur einen Gegensatz, den des Ich und Nicht-Ich; da zwischen denselben aber eine Beziehung des Bewusstseins besteht, so liesse sich auch alle Wahrnehmung, wie sie unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes insgesammt als „äussere" v e r s i n n b i l d l i c h t werden könnte, in Ansehung jener Beziehung als „innere" verdeutlichen, da sie eben insgesammt im Bewusstsein des Ich gegeben ist. Ebenso ist die durchaus übliche Eintheilung der Wahrnehmungen in innere und äussere, in welcher jene die Geistesthätigkeit des menschlichen Individuums, diese aber alles andere Seiende darstellen, mit nicht geringer Gefahr für die erkenntnisstheoretische Untersuchung verbunden, wenngleich dieselbe an ihrem Orte am Platze ist and keineswegs den Fundamentalirrthum enthält, wie die Kantische „äussere" und „innere" Anschauung. Die Gefahr liegt nemlich darin, dass man jene „innere Wahrnehmung", jenes Erkenntniss-Nicht-Ich, mit dem Ich identificirt, und derselben in Folge dessen ein anderes Bewusstwerden imputirt als der „äusseren Wahrnehmung", so dass diese als eine vermittelte, jene als eine unvermittelte aufgefasst wird. In der That aber bedarf sowohl die eine wie die andere der Vermittlung des menschlichen Organismue, und, wenn die Wahrheit der Erkenntniss, welche in der „inneren Wahrnehmung" gegeben ist, darauf gegründet wird, das« sie fälschlicherweise als unvermittelt angesehen wird, so ist sie um nichts mehr und nichts weniger gesichert als diejenige der „äusseren Wahrnehmung". Der Kantianer Schopenhauer liess sich dadurch verleiten, über die sogenannte Erfahrungsgrenze hinüberzugehen und meinte die reine Wirk-

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Das Element der Erkenntniss.

lichkeit, das An sich des Bewusst-Seienden, im „unvermittelt" bewusst-seienden Willen vor sich zu haben. Alles Bewusst-Seiende als Wahrnehmung hat zur realen Bedingung seines Auftretens den menschlichen Organismus, dieser ist das reale Vehikel des Erkennens; vermittelst desselben wird das Seiende primär bewusst oder, was dasselbe heisst, es wird Wahrnehmung. In Betreff dieses Punktes nun sieht sich eben die Erkenntnisstheorie, welcher Schule oder Farbe sie immer angehöre, genöthigt, von der Voraussetzung der Identität des Erkenntnissobjektes „menschlicher Organismus" und des realen Vehikels des Erkennens im Seienden auszugehen. Selbst bei Kant ist die „transcendentale Anschauungsform Raum" nur ein anderer Ausdruck für den in seinem „Ansichsein" vorausgesetzten Organismus, was deutlich hervorgeht aus der bekannten Langeschen Bezeichnung dieses „Transcendentalen" als „unsere Organisation". Man sollte nun meinen, dass in Ansehung des Erkenntnissprocesses Alle wenigstens die Wahrnehmung als das vermittelst der menschlichen Organisation bewusst Gewordene, und zwar als das primitive Bewusst-Seiende anzuerkennen geneigt wären. Diese Uebereinstimmung ist jedoch in die Brüche gegangen, weil die gemeinsame reale Voraussetzung, der Organismus, im Erkenntnissprocess nicht immer die gleiche Stellung angewiesen erhalten hat. Sobald derselbe nämlich nicht mehr blos das reale Vehikel des Erkennens blieb, sondern vielmehr mit dem logischen Subjekt des Erkennens identificirt wurde, meinte man nicht die Wahrnehmung, sondern die E m p f i n d u n g als das Element der Erkenntniss aufstellen zu müssen. Auf diese höchst wichtige Differenz in der Auffassung des Anfangsgliedes unserer Erkenntniss ist es nöthig näher einzutreten. Ganz bezeichnend bemerkt einmal Dr. L. B e s s e r : „Das Wort Empfindung gleicht einem Sammeltopf mit absolut ungeordnetem Inhalt" *). Es gilt daher in der That vor Allem, *) Archiv f. Psychiatrie VIII, 2 S. 464.

Die Wahrnehmung.

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zu erfahren, was für ein Begriff nach denjenigen, welche die Empfindung als das Primitive des Erkenntnissprocesses hinstellen, mit diesem Worte gegeben sein soll. K a n t ist derjenige, welcher besonders anregend für diese Aufstellung der Empfindung gewirkt hat; er selbst unterscheidet Empfindung und empirische Anschauung, welche letztere von mir eben Wahrnehmung genannt wird, in der Weise, dass er Empfindung „die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben afficirt werden", nennt, empirische „Anschauung" dagegen diejenige T h ä t i g k e i t , „welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht". Das Licht, welches diese Definitionen auf den Kantischen Begriff „Empfindung" werfen, ist nicht sehr hell; man erfahrt vor Allem nicht, ob Empfindung ihm etwas Bewusstes, oder nur ein gewirkter Zustand in dem menschlichen Organismus sei, der als solcher nicht Bewusstseinsobjekt ist. Man dürfte sich freilich berechtigt glauben, der „Empfindung" Bewusstsein zuzuschreiben, insofern sie als eine Wirkung auf die V o r s t e l l u n g s f ä h i g k e i t angesehen wird, zumal wenn K a n t erklärt, dass die Sinnlichkeit, welche ja mit d i e s e r Vorstellungsfähigheit identisch ist, u n s die Gegenstände gebe und Anschauungen liefere. Wurde dieses mit der Wirklichkeit übereinstimmen, so müssten wir die Kantische Grundlage der Erkenntaisstheorie unweigerlich annehmen, weil uns eben dann nicht nur die empirische Anschauung, sondern ebenfalls jene Mannigfaltigkeit der „Empfindungen" bewusst gegeben wäre, welche, vom Ich erst in gewisse Verhältnisse geordnet, in der Form der Anschauung als Erscheinung von uns angeschaut werden. Da nun aber diese „Empfindung" als solche in Wirklichkeit nicht bewusst ist, so scheint man genöthigt zu sein, dieselbe als einen unbewussten, von dem „Gegenstand" gewirkten Zustand des Vehikels des Erkennens aufzufassen. Wie aber dann diese unbewussten Zustände des Organismus die materiellen Elemente der empirischen Anschauung sein oder werden können, ohne dass sie ihrerseits wieder bewusst würden, ist und bleibt ein Räthsel. Oder hat etwa K a n t

46

Das Element der Erkenntniss.

angenommen, dass diese Zustande als solche insgesammt, sobald sie zunächst unbewusst geordnet wären, als ein Complex bewusst würden? Keineswegs, da sonst ja die empirische Anschauung sich nicht auf den „ G e g e n s t a n d " , sondern eben auf die Z u s t ä n d e des Organismus bezöge. Andrerseits aber will es scheinen, als ob jene Zustände n a c h t r ä g l i c h doch in der Anschauung bewusst würden, wenn K a n t ζ. B. Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe von der Vorstellung eines Körpers als zur „Empfindung" gehörend angiebt, wo sie aber dann allerdings als etwas ganz Anderes im Bewusstsein erscheinen und eben nicht als Zustände des Organismus; aber immerhin blieben doch die eigentlichen Empfindungen, jene durch Afficirung im Organismus entstandenen W i r k u n g e n , als solche also unbewusst*). Man mag die Sache drehen und wenden, wie man will, es wird nicht gelingen, die Kantische Empfindung bestimmt zu fixiren. Zu Anfang scheint Alles klar zu liegen: die Empfindung ist die Wirkung des Gegenstandes, der uns afficirt; aber, da sich bald herausstellt, dass mit dem „uns" der menschliche Organismus ohne Bewusstsein nur bezeichnet sein kann, so kehrt Alles in's Dunkel zurück, denn die Kantische „Empfindung", welche eine Affection unserer selbst sein soll, aber nicht bewusst ist und andrerseits doch die sogenannten materiellen Elemente von der empirischen Anschauung, also von etwas Bewusst-Seiendem, repräsentiren soll, ist in uns nirgends zu finden; sie ist eine Fiction, die in die gleiche Klasse mit dem „Grenzbegriff" gehört. Die Kantianer haben sich indess gerühmt, dass K a n t gerade in Ansehung der Empfindung mit seiner Ansicht als durch die moderne Physiologie glänzend gerechtfertigt dastehe, welche die Empfindungen als die primitiven Bestandteile der Wahrnehmungen, mithin als die eigentlichen Elemente der *) An dieser Stelle scheint mir die Quelle der Schwäche von Kant's Erkenntnisstheorie noch viel mehr zu suchen zu sein, als dort, wo er so vielfach der Inconsequenz geziehen ist, dass er nemlich dem hypothetischen Ding an sich hypothetische Causalität zugeschrieben hat, wenngleich auch dieses Letztere nicht wegzuleugnen ist.

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Die Empfindung.

Erkenntniss erwiesen habe. wäre damit allerdings

der

Wenn Jene Recht haben, so Erkenntnisstheorie

Kant's

ein

Bundesgenosse erwachsen, der wohl, im Stande sein müsste, alle Gegner niederzuschmettern. —

Aber die Erinnerung an

den Besser'schen Sammeltopf „Empfindung" macht mich vorsichtig und lässt mich noch mit der Zustimmung zögern. Ich wähle als Physiologen zum Gewährsmann in der Untersuchung dieses Punktes den ebenso philosophisch wie fachwissenschaftlich gebildeten Professor W u n d t , welcher in seiner physiologischen Psychologie in ausreichendster Weise Material dargeboten hat. Bevor ich aber hier Rath hole zur Vergleichung der Kantischen Ansicht und derjenigen der heutigen Physiologie, habe ich auf

den grundlegenden Unterschied

der Beiden hinzu-

weisen, welcher die Basis, auf der ihre Untersuchungen vorgenommen werden, betrifft. Um den Unterschied in bequemer Weise skizziren zu können, will ich mich Kantischer Terminologie bedienen.

K a n t steht auf dem Boden der Transcen-

dentalphilosophie, der Physiologe

auf dem der empirischen

Fach-Wissenschaft, jener geht aus von der Annahme eines „uns" afficirenden D i n g an s i c h , dieser von einer auf den m e n s c h l i c h e n O r g a n i s m u s wirkenden E r s c h e i n u n g ; für K a n t gilt es,

die Erscheinungswelt zu construiren und auf

einen transcendentalen Grund zurückzuführen, für den Physiologen auf Grund der gegebenen Erscheinungswelt eine Erscheinung durch andere Erscheinungen

zu erklären;

Kant

will die Beziehung des Erkenntniss-Ich zum Bewusst-Seienden orforschen, der Physiologe dagegen die im menschlichen Organismus erscheinenden Processe des Seienden. Bei so völlig verschiedenem Ausgangspunkt und Zweck sollte man meinen, das Resultat der Untersuchungen müsste ein durchaus verschiedenes sein, wenn etwa eine gleiche Frage an den Erkenntnisstheoretiker und den Physiologen herangebracht würde.

Dieselbe muss doch von vornherein in ver-

schiedenem Sinne schon aufgefasst werden. Wenn es demnach heisst: was ist Anschauen? so wird der erstere die bestimmte

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Das Element der Erkenntniss.

Beziehung des Ich zum Nicht-Ich, der letztere den physiologischen Process ins Auge fassen; dieser erklärt also Anschauen als den realen Process, welcher in dem Vehikel des Erkennens auftritt, jener dagegen als das primitive Erkennen: Beide können die Berechtigung für ihre Auffassung nachweisen, da die eine die erkenntnisstheoretische, die andere eben die physiologische ist, so dass es sich dort um den B e w u s s t s e i n s - hier um den Seinsprocess handelt. Dieser höchst wichtige Unterschied in der Behandlung einer und derselben Frage fallt auch unter der Voraussetzung der Identität von Bewusst-Seiendem und Seiendem nicht im Mindesten weg, da ja eben Alles auf der bestimmten Auffassung, auf dem G e s i c h t s p u n k t , u n t e r dem man die U n t e r s u c h u n g a n h e b t , beruht, ob nemlich Ein und Dasselbe als Seiendes oder ob es als Bew u s s t - S e i e n d e s G e g e n s t a n d der E r ö r t e r u n g sei. Die Physiologie hat es also mit dem Seienden, mit den Erscheinungen zu thun; sehen wir nun, was sie über „Empfindung" sagt. „Diejenigen psychologischen Elemente" schreibt W u n d t , „welche den Charakter einfachster Erscheinungen zweifellos an sich tragen, sind die reinen Empfindungen. Wir verstehen unter ihnen die ursprünglichsten Z u s t ä n d e , welche der Mensch in sich findet, losgetrennt von allen Beziehungen und Verbindungen, die das entwickelte Bewusstsein immer ausführt . . . Die reine Empfindung ist also weiter nichts als ein nach Stärke und Qualität veränderliches inneres Sein" *). Was hier Empfindung genannt wird, ist augenscheinlich unter dem Gesichtspunkt des Seienden aufgefasst, da es als ein Zustand, ja selbst als ein Sein, bezeichnet wird; mit Solchem kann wohl der Physiologe und Psychologe, nicht aber der Erkenntnisstheoretiker operiren. Wenn man nun aber diese Empfindung, deren „allgemeine Ursachen die Empfindungsreize sind", mit jener Kantischen vergleicht, so wird man wohl gestehen müssen, dass sie identisch ist mit ihr, und wenn nun *) Physiol. Psychologie S. 273.

49

Die Empfindung.

ferner die psychologische Empfindung gleich Kant's ertenntnisstheoretischcr „Empfindung" als Einfachstes, Ursprünglichstes von der Fachwissenschaft geltend gemacht wird, so scheint den Kantianismus nichts zu hindern, in der modernen Physiologie einen exacten Gewährsmann seiner erkenntnisstheoretischen Aufstellungen zu sehen. Diese scheinbar augenfällige Uebereinstimmung der Resultate psychologischer und erkenntnisstheoretischer Forschung, deren trügerischer Schein sich unwiderstehlich geltend macht, ist entschieden das Motiv gewesen und bildet den hauptsächlichsten Erklärungsgrund für die auffallende Thatsache, dass die Erkenntnisstheorie K a n t ' s besonders unter den physiologisch gebildeten Männern der Wissenschaft so hervorragende Vertreter und Anhänger gefunden hat. War die Empfindung als solche zugleich das Element der Erkenntniss, also das ursprüngliche psychologische Seiende als solches auch das primitive Nicht-Ich, so war damit die Physiologie die Lehrmeisterin des Erkenntnisstheoretikers, des Philosophen, geworden, und ohne jene die Philosophie überhaupt nicht wissenschaftlich möglich. Die Psychologie würde nun nicht nur eine Fachwissenschaft neben den anderen, die sich mit der Welt als seiender beschäftigen, sondern zugleich die Grundlage aller philosophischen Wissenschaft sein. In solchen Traum haben sich in der That manche und nicht die unbedeutenden Köpfe verloren; ist doch F. A. Lange mitten unter ihnen, dieser geistreiche Mann, den sein congeniales Wesen leider blind machte gegen den Grundirrthum K a n t ' s . Denn in K a n t selbst ist die Quelle des Irrthums zu suchen, welcher Erkenntnisstheoretiker und Physiologen sich zusammenfinden liess, während in Wahrheit ihre Untersuchungen disparater Natur sind. Er hat es übersehen, dass der Erkenntnisstheoretiker einzig vom Standpunkt der Beziehung des Ich und Nicht-Ich (d. i. des Bewusst-Seienden) die Welt einer Untersuchung unterzieht, und. darin besteht eben der Fehler, dass K a n t zu der physiologischen Empfindung ins Seinsgebiet hinübergriff und dieselbe, ohne den Irrthum R β h m k e , Die W e l t als W a h r n e h m u n g o. Begriff.

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Das Element der Erkenntniss.

zu gewahren, ins Bewusst-Seiende als solche verpflanzte, ja zum E l e m e n t der empirischen Anschauung, also eines Bewusst-Seienden, machte. Das Irrthümliche lässt sich für den Kantianismus vielleicht durch ein Beispiel ähnlicher Art, wo aber der Irrthum wohl Keinem verkennbar sein wird, am Schnellsten an's Licht ziehen. Was K a n t mit der physiologischen Empfindung anstellt, ist dem gleich, wenn Jemand vom e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Gesichtspunkt aus etwas, das ihm als „Erscheinung" gegeben ist, etwa als Aschenbecher und nicht als „Wahrnehmung" oder „Anschauung" bezeichnen würde. Niemand wird leugnen, dass es ein Aschenbecher sei, aber ebensowenig, dass es als Bewusst-Seiendes eben Anschauung und nicht Aschenbecher zu nennen sei. Gleicherweise konnte K a n t mit wissenschaftlicher Berechtigung unmöglich in der erkenntnisstheoretischen Untersuchung als Element der Erkenntniss, als primitives Bewusst-Seiendes, die Empfindung heissen, sondern dasselbe, was im Seinsgebiet den Namen Empfindung trägt, war hier W a h r n e h m u n g zu nennen. Aschenbecher und Empfindung sind vom erkenntnisstheoretischen Standpunkt aus beide Wahrnehmung; denn mit diesem letzteren Worte wird das primitive, als Nicht-Ich zum Ich in Beziehung Stehende, das ursprüngliche Bewusst-Seiende gezeichnet. Die Empfindung bezeichnet dagegen ein „ i n n e r e s Sein", einen Z u s t a n d , welchen der Mensch in sich findet, wie der Aschenbecher ein „ ä u s s e r e s S e i n " , einen G e g e n s t a n d , welchen der Mensch ausser sich findet: und sowohl was er hier als was er dort findet, heisst er in e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e m Sinne „ W a h r n e h m u n g " ; Beides ist so Erkenntniss-Nicht-Ich und steht als solches in erkenntnisstheoretischem Gegensatz zum Erkenntniss-Ich. Dass die Empfindung nicht wie die Wahrnehmung im erkenntnisstheoretischen Sprachgebrauch anzuwenden sei, will desshalb nicht so rasch einleuchten wie, dass der Aschenbecher nicht am Platze ist, weil man glaubt, dass Empfindung als ein Zustand des mit Bewusstsein begabten Menschen in ihrer

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Die Empfindung.

Seinsform auch ohne Umstände als Bewusst-Seiendes aufgestellt werden könne. Es ist nun nicht zu leugnen, dass dieser Zustand des Bewusstseins freilich als solcher bewusst-seiend genannt werden darf, indcss bleibt doch immer dabei zu erwägen, ein Andres sei es, den einfachen Zustand des Bewusstseins bezeichnen, ein Andres, denselben als Bewusst-Seiendes, als Nicht-Ich dem Erkenntniss-Ich gegenüber, zu bestimmen. So muss ebenso der Willensact, der nicht weniger wie die Empfindung dem Bewusstsein angehört, in erkenntnisstheoretischer Hinsicht nicht Willensact, sondern Wahrnehmung heissen. Was man nun selbst in Betreff des Willensactes mir zugeben möchte, das wird man dennoch in Ansehung der Empfindung zu gestehen sich sträuben. Ich bin mir wohl bewusst, mit meiner Ansicht gegen eine mächtige, weit verbreitete Meinung Sturm zu laufen, die so eingewurzelt ist, in die man sich so hineingelebt hat, dass es fast ein Frevel erscheinen könnte, gegen dieselbe aufzutreten. Aber vielleicht ist der Gegensatz nicht so gross, wie es den Anschein hat. Wenn ich behaupte, dass die Wahrnehmung das primitive BewusstSeiende sei, so könnte ich unter Voraussetzung der Identität von Bewusst-Seiendem und Seiendem wohl den Satz aufnehmen: „die Empfindung ist die zeitlich erste Wahrnehmung", um eben aus dem Gebiet des Seins, in welches selbstverständlich auch das Geistesleben des Menschen fallt, das hervorzuheben, was zuerst ins Bewusstsein tritt. Der Psychophysiker wiederum, wenn er nicht schon von der Kantischen Erkenntnisstheorie eingenommen ist, sollte wenigstens seinerseits dem Satz: „Empfindung ist erkenntnisstheoretisch aufgefasst eine Wahrnehmung" beipflichten können; denn trotzdem bleibt ihm völlig ungeschmälert der Raum für die Erklärung der Empfindung als eines Seienden, wenn er nur nicht wieder über seine Aufgabe hinausgeht und mit physiologischen Begriffen erkenntnisstheoretische Probleme zu lösen sich anschickt. Ein Ton ζ. B. ist Wahrnehmung und Empfindung, jenes, insofern er als Erkenntniss-Nicht-Ich aufgefasst wird, dieses, insofern er ein

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Das Element der Erkenntniss.

Zustand des bewussten Menschen ist. So liesse sich denn die verquickte Verbindung von Physiologie und Erkenntnisstheorie auflösen, ohne dass die evstere irgend einen Nachtheil als Wissenschaft dadurch erlitte, während die letztere eine Freiheit gewänne, die ihr von grossem Nutzen sein müsste. K a n t und seine physiologischen Anhänger allerdings werden diesem Vorschlag gegenüber die Intransigenten spielen, da sie von der Meinung ausgehen, dass „die reine Empfindung als ursprünglicher Inhalt des Bewusstseins zu betrachten und dass dieselbe das E l e m e n t sei, aus welchem alle a n d e r e n Produete des Bewusstseins hervorgehen."*) Ich bin in meiner Erörterung von der Voraussetzung des naiven Bewusstseins ausgegangen, dass Bewusst-Seiendes und Seiendes identisch seien und daher das Erkennen als die Herstellung einer Beziehung zwischen Ich und Seiendem, das eben als Bewusst-Seiendes in der Erkenntniss auftritt, angesehen werden müsse. Von der Ueberzeugung getragen, dass jede erkenntnisstheoretische Untersuchung die Voraussetzungslosigkeit im strengsten Sinne des Wortes nie an sich tragen könnte, da sie irgendwie doch an das „Gegebene" anknüpfen und auf dasselbe fussen müsste, glaubte ich am wenigsten wissenschaftliches Vorurtheil mit mir zu schleppen, wenn ich von dem naiven Bewusstsein ausginge; immerhin natürlich in der Meinung, dass, da sich im Verlauf der Entwicklung Bedenken gegen diese Voraussetzung erheben könnten, nur das Notwendigste und Allgemeinste, was zum Anheben der Untersuchung erforderlich wäre, dem naiven Bewusstsein entnommen werden dürfte. Dieses nun ergab zunächst die Definition des Erkennens als einer Beziehung des Ich zum Nicht-Ich. Es ist uöthig, bei Gelegenheit der „Empfindung" hieran zu erinnern, weil die Meinungsdifferenz, welche in Betreff der Werthung der Empfindung im Erkenntnissprocess besteht, schon zum Theil vorgezeichnet ist darin, dass K a n t und seine *) Ich lege hier und im Folgenden stets W u n d t ' s Ausfährungen zu Grunde.

Die Empfindung.

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Schüler von der stillschweigenden Voraussetzung ausgehen, das Bewusst-Öeiende, der Bewusstseinsinhalt, sei als Reales ein Anderes gegenüber dem Seienden. Ohne auf diese Abweichung vom naiven Bewusstsein und ihre Berechtigung an dieser Stelle schon näher einzugehen, führe ich sie an, um die Ansicht von der Empfindung als angebliches Element des Bewusstseins, „aus dem alle anderen Producte desselben hervorgehen", in ein helleres Licht zu setzen. Wenn dem realen Seienden ein reales Bcwusst-Seieudes, das durch den Erkenntnissprocess als ein Reales erst entsteht, gegenübertreten soll, so erklärt es sich eher, dass Seiendes als solches, sofern es zum bewussten Menschen gehört, auch für das erkenntnisstheoretischc Nicht-Ich gehalten wird, dass also Empfindung, das Elem e n t des B e w u s s t s e i n s z u s t a n d e s des I c h , auch das E l e m e n t der E r k e n n t n i s s , des B e w u s s t - S e i e n d e n , wie die Meinung Jener ist, bilde. Erkennen heisst eben auf diesem Standpunkt: eine für sich bestehende „innere" Welt, welche der „äusseren" congruent ist, entstehen lassen; das Rohmaterial dieser Bewusstseinswelt sollen nun die Empfindungen sein, aus ihnen gehe alles Bewusst-Seiende hervor. Dies ist K a n t ' s Ansicht, deren Schwierigkeit aber schon in's Auge fallt, wenn man nur das primitive Erkenntniss-Nicht-Ich, als welches die Empfindung angesehen wird, näher betrachtet. In Betreff der Κ an tischen „Empfindung" habe ich schon darauf hingewiesen, dass man nicht in's Klare kommt, ob man dieselbe als einen primitiven Bewusstseinszustand oder als einen Zustand des unbewussten Organismus, welcher ja eben das Erkennen vermittelt, oder als ein Bewusst-Seiendes aufzufassen habe. Dieselbe Schwierigkeit kehrt im Gebrauch des Wortes Empfindung in der Psychophysik wieder. Die reine Empfindung heisst „inneres Sein", „Zustand, in welchem sich der Mensch findet", „ursprünglicher Inhalt des Bewusstseins";*) der „Mensch" ist hier offenbar der bewusste Mensch, und die Empfindung ist eben Bewusstseinszustand, Nichts hindert, *)

W u n d t , physiol. Psychologie, 273 f.

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Das Element der Erkenntniss.

diese „Empfindung" als „Inhalt des Bewusstseins" Wahrnehmung zu nennen, denn W u n d t sagt selbst: „Vorstellungen, welche sich auf einen wirklichen Gegenstand beziehen, mag dieser nun ausser uns existiren oder zu unserem eigenen Wesen gehören, nennen wir Wahrnehmungen." Die Empfindung selbst wird als etwas „ S e i e n d e s " (im erkenntnisstheoretischen Sinn) gefasst, was auch Sätze wie folgender zu bestätigen scheinen: „Der Gefühlston fällt hinweg, sobald man die Empfindung an und f ü r s i c h betrachtet, ohne R ü c k s i c h t auf das B e w u s s t s e i n , in welches sie eingeht"*). In letzterem Satz schimmert aber schon eine zweite Auffassung der Empfindung durch, nach welcher diese als ein Zustand des unbewussten Organismus angesehen wird, wenn mau die reine Empfindung für sich in's Auge fasse. So heisst es auch an einem anderen Orte: „Wenn die Empfindung an und für sich losgelöst von ihrer Beziehung zum Bewusstsein, in welchem sie vorkommt, betrachtet wird, so sind Qualität und Intensität die einzigen Bestandtheile, in welche sie zerlegt werden kann. Die wirklichen Empfindungen existiren aber in dieser Abstraction ebenso wenig, als Qualität und Intensität getrennt vorkommen, sondern sie sind uns nur als Z u s t ä n d e u n s e r e s B e w u s s t s e i n s b e k a n n t . Wir können den Ausdruck im bewusste Empfindungen unter Umständen anwenden, um damit die Nachwirkung einer b e w u s s t e n Empfindung oder einen ihr vorangehenden Z u s t a n d zu bezeichnen, auf dessen E x i s t e n z aus irgend welchen Momenten, die in's B e w u s s t s e i n fallen, geschlossen werden muss. Aber als ein nach Qualität und Intensität bestimmter Zustand ist die Empfindung nur im Bewusstsein gegeben"**). Wenn es schon hieraus ersichtlich wird, dass mit der reinen Empfindung ein physiologischer- Zustand bezeichnet werden möchte, welcher freilich dem Bewusstsein nur allein im Bewusstsein d. h. als Wahrnehmung g e g e b e n sein kann, so geht dies aus den folgenden Sätzen noch klarer hervor: „In Wirklichkeit existirt (ist sie als Bewusst-Seiendes *)

W u n d t , a. a. 0 . S. 275.

**)

W u n d t , a. a. 0. S. 426.

Die Empfindung.

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gegeben) die Empfindung nur in B e z i e h u n g zum B e w u s s t sein. Diese B e z i e h u n g nennen wir das s i n n l i c h e Gef ü h l oder wohl auch den Gefühlston der Empfindung. . . . Wir bezeichnen das sinnliche Gefühl als angenehm oder unangenehm, als ein Lust- oder Unlustgefiihl. Lust und Unlust sind aber gegensätzliche Zustände, welche durch einen Indifferenzpunkt in einander übergehen. Darin liegt ausgesprochen, dass es Empfindungen geben muss, welche u n b e t o n t , nicht von sinnlichen Gefühlen begleitet sind." Das heisst mit anderen Worten, es giebt Empfindungen, welche nicht zum Bewusstsein in Beziehung stehen; also wird dieselbe nicht als solche bewusst-seiend gedacht, wodurch man zu der Meinung geführt wird, dass eben hier unter Empfindung ein physiologischer Zustand des Organismus verstanden sei. Ich habe an diesem Orte nicht die Berechtigung solche Anwendung des Wortes Empfindung zu prüfen, sondern weise nur darauf hin, dass auch diese Auffassung der „Empfindung" durchaus nicht hindert, sie erkenntnisstheoretisch, wenn sie „zum Bewusstsein in Beziehung" steht, Wahrnehmung zu nennen; da sie eben dann ein b e w u s s t g e w o r d e n e r „Gegenstand" ist. Schwieriger dürfte sich dies reimen lassen mit der Ansicht, die Empfindung sei das Element des Bewusst-Seienden, da sie doch vielmehr als wirklicher Zustand einen Gegenstand des Erkennens bildet, welcher neben den anderen „Gegenständen" des Seins als Wahrnehmung zum Ich in Beziehung steht. Es ist zudem ganz wohl zu fassen, dass ein Zustand Erkenntnissobject des Ich werde, gar schwierig aber ist zu begreifen, was uns von der anderen Seite zugemuthet wird, dass d i e s e r Z u s t a n d a l s s o l c h e r Erkenntnisselement sei, dass also nach der Grundanschauung Jener das Bewusst-Seiende, die „ i n n e r e W e l t " , sich aus „ Z u s t ä n d e n " zusammensetze. Auch die Gegner selbst sind nicht im Stande, ihre Ansicht correct zu fassen, so dass ihnen unter den Händen die Empfindung, dieser Z u s t a n d , zum G e g e n s t a n d wird, und sie in Folge dessen wieder mit meiner Ansicht von der Wahrnehmung als dem primitiven Bewusst-Seienden zusammen-

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Das Element der Erkenntniss.

stimmen möchten, wenn ihnen nicht die Bewusstseinswelt ausgemachter Weise eine andere, für sich bestehende neben der Seinswelt wäre. Aber immerhin wird ihnen die Empfindung auf diese Weise zu einem wirklichen Gegenstände des Bewusstseins, zur „Wahrnehmung". In dieser Weise operirt schon K a n t mit der Empfindung, nicht als mit Zuständen, sondern Gegenständen, welchc in gewisse Verhältnisse geordnet werden müssen, damit eine empirische Anschauung entstehe. Bei K a n t indess ist es noch dunkel, ob in der That die zu ordnenden Empfindungen als „Wahrnehmungen", d. i. als Bewusst-Seiendes auftreten; dagegen hat W u n d t , wenn ich nun die dritte Bedeutung, in welcher von ihm das Wort Empfindung gebraucht wird, heranziehe, ersichtlich diese Meinung. „Man hat", schreibt er, „die Empfindung die einfache Vorstellung genannt". Nur aus Zweckmässigkeitsgründen will W u n d t diese Bezeichnung nicht aufnehmen, weil es „von dem eigentlichen Begriff der Vorstellung sowie der Empfindung abführe", wenn man „in solcher Weise die von der Sprache mit gutem Grund gezogenen Grenzen verwische"*). Waren es in Wirklichkeit nur solche Gründe der Zweckmässigkeit, die W u n d t bestimmten, die „Empfindung" nicht Wahrnehmung, einfache Wahrnehmung zu nennen? Könnte er überhaupt, wenn nach ihm die Sprache m i t g u t e m G r u n d Grenzen zwischen den Worten Empfindung und Wahrnehmung gezogen hat, mit Hintansetzung des guten Grundes den Begriif Empfindung und den der Wahrnehmung identificiren? Mir scheint hier weniger die Zweckmässigkeit als der wissenschaftliche Sinn W u n d t ' s die Identificirung der Begriffe gehindert zu haben, da eben auch er sich bewusst war, dass unsere Sprache mit Empfindung einen Seinszustand, mit Wahrnehmung ein Erkenntnissobjcct, ein Erkenntniss-NichtIch wiedergeben will. Mit dieser Fixirung des Sprachgebrauchs streitet jedoch jene Kantische Auffassung von der Empfindung, nach welcher diese als solche, also als „ Z u s t a n d " , das Rohmaterial der Wahrneh*)

A. a. 0. S. 465.

Die Empfindung.

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liiuiig als „ G e g e n s t a n d e s " bilden soll. Der Widerspruch, welcher in dieser Annahme liegt, ist auch von W u n d t nicht bemerkt, und in Folge dessen der Wink, welchen schon der Sprachgebrauch gab, nicht beachtet worden. Daher wird W u n d t verleitet, trotz jener richtigen Bemerkung die Grenze zu überschreiten, indem er in Kantischer Weise die Anschauung als eine Verbindung einer Mehrheit von Empfindungen erklärt. Damit ist ihm die Empfindung in der That die einfache, kleinste Wahrnehmung geworden, im Vergleich zu welcher die „Vorstellung" oder Wahrnehmung ein „die Empfindungen als ihre Bestandtheile enthaltendes Zusammengesetztes" ist: eine Ansicht, die, wie man sieht, auf der Voraussetzung ruhen muss, dass die „Vorstellungen" eine Seinswelt für sich sind gegenüber dem Seienden. Man wird überhaupt auch bei W u n d t eine dem Kantianismus eigenthümliche Vermischung psychologischer und erkenntnisstheoretischer Fragen finden, und so trifft man in seiner Psychophysik neben der Erörterung der psychischen Processe auf diejenige von den Erkenntnissobjecten. Hier ist es unser Sprachgebrauch, der zu solcher Vermengung heterogener Sachen selbst Anlass giebt, da er die Worte Wahrnehmung, Anschauung, Vorstellung sowohl in psychologischen wie in erkenntnisstheoretischen Gebrauch stellt, so dass dieselben Worte dort den realen A c t , hier das Erkenntnissobject bezeichnen. Dieser zweifache Gebrauch mag nicht wenig die scharfe Sonderung der beiden Gebiete gehindert, und auch zugleich dazu beigetragen haben, die Vorstellungswelt als ein „inneres Sein" dem „Seienden" als einem Anderen gegenüber zu denken. Dass nun der Act des Wahrnehmens nur unter der Bedingung des Empfindens d. i. des Afficirtwerdens möglich sei, kann zugestanden werden, ohne damit den Widerspruch aufgeben zu müssen gegen die Behauptung, dass die Wahrnehmung ein aus Empfindungen als ihren Bestandteilen Zusammengesetztes sei, was ja schon desshalb unmöglich correct aufzufassen ist, weil das Eine ein erkenntnisstheoretischer, das Andere ein psychologischer Begriff ist, die disparat zu einander stehen. Dies

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Das Element der Erkenntniss.

wird selbst durch die Ueberlegung nicht anders, welche zeigt, dass beide Wissenschaften das Erkennen, also auch das Wahrnehmen untersuchen; die Untersuchung ist eben eine ganz verschiedene, da die Erkenntnisstheorie, um mich bildlich auszudrücken, bei Erörterung des Wahrnehmens ihren Blick auf den Inhalt (Object) des Actes, die Psychologie dagegen den Blick auf das Subject des Actes richtet. Dadurch, dass das Wort Empfindung auch auf erkenntnisstheoretisches Gebiet hinübergeschmuggelt wurde, ist es erst recht zum Sammeltopf von Allerlei geworden: Physiologisches, Psychologisches \md Erkenntnisstheoretisches findet sich in demselben vor, und es wird an der Zeit sein, das Wort auf seine psychophysische Sphäre zu beschränken. Mag es dann wahr sein, dass der primitive psychische Act das Empfinden ist, so bleibt drum nicht minder wahr, dass die Wahrnehmung das primitive Bewusst-Seiende, und Wahrnehmen der primitive Act des Erkennens ist; so bleibt also Empfindung ein Seins-Zustand, Wahrnehmung aber ein Erkenntniss-Gegenstand des Bewusstseins und zwar das E l e m e n t der Erkenntniss. Macht man aber das Wort Empfindung zu einem erkenntnisstheoretischen Begriff, so kann nichts Anderes unter ihm verstanden werden als eben jene „einfache Wahrnehmung", die aber durch solche Bezeichnung den gefährlichen irreführenden Beigeschmack eines „inneren Seins" erhält, da sich auch aus der erkenntnisstheoretischen „Empfindung" das Moment der Zuständlichkeit, des „Subjectiven", welches ihre Bedeutung in ihrer ursprünglichen psychologischen Sphäre ausmacht, mit aller Anstrengung nicht wegwischen lässt, und andrerseits das erkenntnisstheoretische Moment der Gegenständlichkeit, welches das Wesen der Wahrnehmung ausmacht, ihr nur mit schwerem Kampf gegen unseren Sprachgebrauch imputirt werden kann. Letzteres wird freilich in Etwas dadurch erleichtert, wenn man sich auf jenen Standpunkt stellt, welcher das Bewusst-Seiende als „inneres Sein" denkt, da dann immer die angebliche „Subjectivität" des Nicht-Ich ein überleitendes Bindeglied zur Empfindung bildet.

Die Empfindung.

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Weil nun aber der Begriff Wahrnehmung völlig ausreicht, uin alles Bewusst-Seiende als solches in sich zu fassen, und weil selbst diejenigen, welche auf dem soeben erwähnten Standpunkt stehen, unbeschadet desselben diese Bezeichnimg annehmen könnten, so wäre es vielleicht angezeigt, um einer durch den Kantianismus immer wieder drohenden Verwechselung von Wahrnehmung und Empfindung gründlich vorzubeugen, das letztere Wort auch aus der eigentlich psychologischen Sphäre zu entfernen und es allein fur den physiologischen Process der Nervenerregung zu verwenden, sofern derselbe in inniger Beziehung zu den psychischen Acten steht. Wird das Wort Empfindung in diesem Sinne gefasst, so kann ich völlig den Satz K a n t ' s unterschreiben: Erscheinung, d. i. Wahrnehmung ist dem Ich nur durch Empfindung gegeben, denn ohne das Vehikel des Nervenprocesses ist Wahrnehmen unmöglich. Was dann von Allem dem, auf welches das Wort Empfindung angewandt zu werden pflegt, nach Abzug des für dasselbe reservirten Psychophysischen, übrig bleibt, lässt sich einestheils unter den Begriff Wahrnehmung, anderntheils unter denjenigen des Gefühls unschwer unterbringen*). Das Element der E r k e n n t n i s s aber, das primitive Bewusst-Seiende würde dann die correct© Bezeichnung Wahrnehmung erhalten, indem eben W a h r n e h m u n g zu definiren ist als das durch Empfindung gegebene Bewusst-Seiende. Es will mir scheinen, als ob nach dieser Auseinandersetzung wenigstens alle diejenigen, welche etwa aus sensualistischem oder besser gesagt empiristischem Interesse die Empfindung in dem Erkenntnissprocess unterbringen wollten, sich damit einverstanden erklären könnten, dass die Wahrnehmung das Element der Erkenntniss ist. Von einer anderen Seite jedoch wird gegen den Satz, *) Obwohl ich mich nicht der Hoffnung hingebe, dass dieser Vorschlag zum Gebrauch von „Empfindung" allgemeine Anerkennung finde, — der leidige Sprachgebrauch selbst ist der stärkste Gegner desselben — so werde ich dies Wort doch im Folgenden allein in dem angedeuteten Sinne verwenden.

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Das Element der Erkenntniss.

dass die Wahrnehmung das primitive Bewusst-Seiende sei, Einsprache erhoben. Freilich geschieht dies nicht in dem Sinne, dass man überhaupt die Wahrnehmung als Erkenntnisselement verneinen würde; denn wenigstens den Fortschritt wird Jeder der heutigen Zeit zuerkennen müssen, dass sie mit jener Ansicht, als ob die Erkenntniss nicht, wie K a n t sich ausdrückt, mit der Erfahrung anfange, sondern mit irgend welcher, angeblich von aller Wahrnehmung absehenden, begrifflichen Speculation, gründlich und hoffentlich für immer gebrochen hat. Die Einsprache gegen jenen grundlegenden Satz will vielmehr denselben nur in seiner Allgemeinheit einschränken, und ihm als ein zweites Element das Gefühl zur Seite stellen. Es sind die „Gemüthstiefen" und „Gemüthsreichen", welche die Bewusstseinserscheinung Gefühl zu einem Erkenntnisselement machen wollen. Derartige Versuche sind alt, in ihrer neuesten Form aber sind sie durch die Kantische Erkenntnisstheorie wenigstens, veranlasst und gleichsam als eine Analogie derselben entstanden. Den Kantischen Satz, dass alle Erkenntniss mit der Erfahrung anfange, geben sie unbedingt zu; da aber K a n t die Empfindung als das materielle Element der Erkenntniss ansah, glauben sie keineswegs den Erfahrungsboden verlassen zu haben, wenn sie das Gefühl ebenfalls für ein solches erklären. War es doch scheinbar nur gerecht, wenn man der Empfindung eine so constituirende Bedeutung im Erkenntnissprocess zumass, auch dem in vieler Hinsicht als Zwillingsbruder derselben auftretenden Gefühl das Gleiche zuzuschreiben und, wenn auch nicht auf demselben Gebiet, so doch auf einem anderen in ihm die Elemente der „Erfahrung" zu suchen. Man Hess allerdings der Wahrnehmung unbestritten die Erscheinungswelt, aber der „ Grenzbegriff" war den Gefühlsdogmatikern nicht umsonst von K a n t gegeben, und wie die Empfindung das primitive Nicht-Ich der Erscheinungswelt, so sollte das Gefühl das Gleiche leisten für jenes transcendentale Seiende, zu dem hin das menschliche Auge nicht zu schweifen vermag.

Das Gefühl.

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Kein Geringerer als S c h l e i e r m a c h e r wollte dem Gefühl eine solche elementare Stellung im Bewusst-Seienden sichern. Dass es mit der Gotteserkenntniss auf dem prosaischen Wege des Wahrnehmens Nichts sei, davon hatte ihn Kants Erkenntnisstheorie überzeugt. Um aber doch die ihm so unanfechtbare Beweisführung Kants in Betreff der Unmöglichkeit, Gott auf dem Wege Kantischer Erfahrung zu erkennen, mit der herrnhutischen Gewissheit von einem Gott in Einklang zu bringen, entdeckte er als neue Erfahrungsquelle das Gefühl, und, da ihm das letztere dem Anschein nach wirklich neue Schätze von Bewusst-Seiendem erschloss, so verharrte er bei dieser Entdeckung als romantischer Kantianer um so selbstgewisser, als er dabei dem Kantischen Kanon, im Erkennen auf dem Gebiete der E r f a h r u n g zu verbleiben, Treue gehalten zu haben glauben konnte. Für S c h l e i e r m a c h e r und seine theologische Schule wurde demnach das von ihm entdeckte „schlechthinige Abhängigkeitsgefühl" zu einer erkenntnisstheoretischen Thatsache des Daseins Gottes, und selbst in weitere Kreise hinein machte dies Gefühl seinen problematischen Erkenntnisswerth geltend, so dass auch heute noch scharfsinnige und vorurtheilsfreie Theologen, wie Α. E. Biedermann und 0. Pfleiderer, in ihren religionsphilosophischen Untersuchungen sich des Schleiermacherschen Einflusses nicht völlig entschlagen konnten und den Menschen a l s f ü h l e n d e n sich zu Gott als N i c h t - I c h in Beziehung setzen Hessen. Der Irrthum, welcher in dieser Ansicht enthalten ist, lässt sich formal auf den gleichen Grund zurückführen, den uns die „Empfindung" zeigte, nemlich auf die Verwirrung, welche im Sprachgebrauch mit dem Wort „Gefühl" angerichtet wird, da es sowohl in das Gebiet dessen, was nun von mir als dasjenige der Empfindung fixirt ist, als auch in's Gebiet der Wahrnehmung übergreift. Bei einem derartigen losen Gebrauch des Wortes wird es begreiflich, dass sich die GefühlsErkenntnisstheoretiker gegen Angriffe nicht ungeschickt vertheidigen konnten. Allerdings war für sie die Position, welche

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Das Element der Erkenntniss.

das Gefühl neben der Wahrnehmung als zweites Erkenntnisselement angesehen wissen wollte, eine sehr schwache, da sie nur an der Analogie der Kantischen „Empfindung" für ein Kanonisches Bewusstsein etwelchen Rückhalt hatte. Hier sollte dann das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit den ursprünglichen Inhalt des Bewusstseins bilden. Bei näherer Besichtigung stellt sich jedoch heraus, dass dieses „Gefühl" ein geistiges Compositum sei aus der V o r s t e l l u n g eines übermenschlichen, auf den Menschen wirkenden Wesens und einer Bewusstseinszuständlichkeit, welche diese Vorstellung im bewussten Menschen begleitet, respective ihr folgt, und dass demnach von einer U r s p r ü n g l i c h k e i t des Gefühls, auf die es eben ankommt, nicht die Rede sein kann. Diejenigen, welche dem Gefühl noch weiter eine Stelle im Erkenntnissprocess einräumen wollen, auch wenn dasselbe als Erkenntnisselement, weil es allen erkenntnisstheoretischen Gegenständlichkeitscharakter entbehrt, nicht aufrecht erhalten werden kann, setzen es dann neben die Empfindung als ein zweites Mittel des Erkennens; der Spachgebrauch, wie schon erwähnt, hilftzu dieser Meinung, da „Empfindung" und „Gefühl" der Verwechslung leicht, ausgesetzt sind. Indess suchen jene Leute doch zwischen beiden zu unterscheiden, indem sie etwa Empfindung einen „sinnlichen", Gefühl einen „geistigen" Affectionszustand nennen, so dass es Zustände Eines und Desselben wären, deren Unterschied nur durch das Afficirende, welches dort ein „Sinnliches" hier ein „Geistiges" ist, hereinkommt. Dieses neue Vermittlungsgeschäft des „Gefühls", ja dieses „geistige" Gefühl selbst zeigt einen so problematischen Charakter, dass die Wissenschaft sich mit der Empfindung als realer Bedingung des Erkennens so lange wird begnügen dürfen, bis man als Pendant zur Nervenphysiologie des „Körpers" eine solche des „Geistes" geschaffen hat. So lange auch bleibt Gefühl das, als was es erscheint: die Zuständlichkeit des Bewusstseins als Lust und Unlust, welche als Seiendes wohl wahrgenommen werden, keineswegs aber selbst entweder Element oder Mittel des Erkennens sein kann.

Das Gefühl.

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Wahrscheinlich ist die Erklärung der eigentümlichen Erscheinung, das Gefühl als etwas dem Erkenntnissprocess Integrirendes hinzustellen, in dem Umstände zu suchen, dass das Gefühl, welches ja eine Begleiterscheinung des Bewusstseins in allen seinen Acten, also auch beim Erkennen, ist, häufig V e r a n l a s s u n g wird zu Analogieschlüssen auf Grund von Erfahrungsfallen. Ζ. B. Jemand hat am Bett seines schwerkranken Vaters gewacht, die Krisis war eingetreten, Leben und Tod stritten mit einander: dies rief in dem Sohne einen Zustand hervor, den man Bangigkeitsgefühl nennt. Der Vater starb dann; einige Zeit ist seitdem verflossen, und der Sohn findet sich in einem Zustand, welcher nach Qualität und Intensität jenem früheren Gefühl gleichkommt, und ihn selbst veranlasst, an die tödtliche Krankheit einer ihm nahestehenden Person zu denken. Wenn nun wirklich in nächster Zeit die Nachricht von dem Tode jener Person ihn erreicht, so ist der naive Mensch nur allzu geneigt, jenes Gefühl als ein Erkenntnissmittel in diesem Fall und überhaupt in Fällen, wo die Empfindung eben nicht ausreicht, anzusehen, obwohl vielleicht dieser Gefühlszustand seine zureichende Erklärung in einer Magenindisposition findet. Derartige Analogieschlüsse haben begreiflicherweise für das Erkennen keinen festen Werth, weil der Satz, auf dessen Wahrheit sie aufbauen: „gleiche Wirkungen gleiche Ursachen" falsch ist. Man nennt ein solches „Erkennen" Ahnen, das indess so wenig ein Erkennen ist, wie das Gefühl ein Mittel des Erkennens. — Die W a h r n e h m u n g , d. i. das durch Empfindung Gegebene, behauptet auch gegenüber dem Gefühl seinen Platz als p r i m i t i v e s B e w u s s t - S e i e n d e s , und die E m p f i n d u n g ihrerseits gegenüber dem Gefühl den Platz als das M i t t e l des prim i t i v e n E r k e n n e n s . Wer daher Empfindung für einen dem Erkenntnissprocess selbst integrirenden Bestandteil behauptet, hat Recht, und er geht nur irre, wenn er dieselbe für das E l e m e n t der Erkenntniss ansieht. Wer dagegen das Gefühl als solches irgendwie in den Erkenntnissprocess einbürgern will, hat durchaus Unrecht und bemüht sich vergebens.

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Identität Von Wahrnehmung und Seiendem.

Bei der vorgenommenen Klarstellung von Wahrnehmung und Empfindung hat sich an manchem Punkte gezeigt, dass weniger eine sachliche, sondern mehr eine sprachliche Differenz zu schlichten war, und dass in solchen Fällen zu Gunsten des Wortes Wahrnehmung entschieden wurde, weil in ihm der erkenntnisstheoretische Gegensatz des Nicht-Ich zu dem Erkenntniss-Ich bestimmt ausgedrückt und vor Allem vermieden wird, dass sich eine ungebührliche „Subjectivität" in die Auffassung einschleiche. Aus ähnlichen Gründen ist das Wort „Vorstellung" für das durch Empfindung Gegebene von mir nicht gewählt worden: vorzüglich schien mir dadurch der Charakter der „Unmittelbarkeit", um das Wort, welches K a n t von der Anschauung aussagt, zu gebrauchen, verloren zu gehen, welcher dem primitiven Bewusst-Seienden, eben weil es durch Empfindung dem Ich gegeben wird, nothwendig zuzuschreiben ist*). Zum Schluss aber hebe ich nochmals hervor, dass diejenigen, welche in rein sachlicher Differenz sei es Empfindung sei es Gefühl der Wahrnehmung substituiren oder als Concurrenten derselben in Hinsicht auf die elementare Erkenntniss neben dieselbe stellen zu dürfen meinen, vergessen, dass ihre „Empfindung" und ihr „Gefühl" als Solches psychische Acte sind, die freilich wie das sonstige Seiende E r k e n n t niss sein können, dies aber nur dadurch, dass sie als Wahrn e h m u n g dem Ich gegeben sind.

4. Identität von Wahrnehmung und Seiendem. Die Wahrnehmung ist das primitive Bewusst-Seiende oder, mit anderen Worten, der durch Empfindung gegebene unbestimmte „Gegenstand" des Erkenntniss-Ich; sie ist es, mit *) Das Nähere über den Gebrauch des Wortes Vorstellung in erkenntnisstheoretischen Untersuchungen ist einer späteren Erörterung vorbehalten.

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Das naive Bewusstsein.

dem das Bewusst-Sein anhebt, gleich wie das Wahrnehmen den Anfang des Erkennens bildet. Die Frage nun, wie sich das primitive Nicht-Ich der Erkenntniss zum Seienden verhält, drängt sich der erkenntnisstheoretischen Untersuchung mit dem ersten Schritt, durch welchen sie ein Bewusst-Seiendes gewonnen hat, auf, um, ohne das Material noch weiter sich anhäufen zu lassen, sofort die Controle zu üben, inwiefern dieses Nicht-Ich jene Aufgabe, welche bei der Voraussetzung des Seins für das Erkennen gestellt ist, erfüllt. Die Aufgabe legte eben das Seiende zu Grunde und zu gleicher Zeit auch die Annahme, dass dieses Seiende irgendwie in's Bewusst-Sein einginge, welches „irgendwie" nun die Erkenntnisstheorie darzustellen und zu begründen hat. Für den naiven Menschen wird eine solche Untersuchung durchaus als eine müssige erscheinen, da die Identität von Wahrnehmung und Seiendem in der Sache selbst schon gegeben zu sein scheint, so dass ihm absolut undenkbar ist, dass unter jenen Begriffen Zweierlei gegeben sein könne, welches etwa wie das bestimmte Ding und sein Bild aufzufassen sei. Vom rein erkenntnisstheoretischen Standpunkt hat das naive Bewusstsein kaum Widerspruch zu gewärtigen: das „Seiende", welches demselben die nothwendige Voraussetzung alles Erkennens ist, bedeutet ja durchaus nichts Weiteres als das Object möglicher E r k e n n t n i s s , das dann als Wahrnehmung E r k e n n t n i s s o b j e c t geworden ist. Wenn man den Process des Erkennens aus rein erkenntnisstheoretischem Gesichtspunkt betrachtet, so wird sein Resultat nicht anders auszudrücken sein als: „das Seiende ist Bewusst-Seiendes geworden", und wenn die Veränderung, welche ja jeder Process zur Folge hat, hier näher bestimmt wird, so beschlägt sie nicht das Seiende als solches, sondern die Herstellung einer E r k e n n t n i s s b e z i e h u n g zwischen Ich und Seiendem. Ist aber Dieses allein im Erkennen geleistet, so findet, wenn man rein auf dem Boden der Erkenntnisstheorie bleibt, der naive Mensch keine Veranlassung, die Frage R e h m k e, Die Welt als Wahrnehmung n. Begriff.

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

nach dem Verhältniss von Seiendem und Bewusst-Seiendem auch nur aufzuwerfen, weil in Wirklichkeit nur E i n e s gegeben ist und das Vorhandensein eines Verhältnisses doch stets Zwei voraussetzt. Wohl lässt sich auch hier von dem Verhältniss der beiden Begriffe „Seiendes und Bewusst-Seiendes" reden; diese aber als subordinirte Begriffe weisen schon auf die Einh e i t des unter ihnen beiden Begriffenen hin. Ein Zweifel an der Einheit wurde erst durch die Vermischung erkenntnisstheoretischer und psychophysischer Betrachtung möglich, diese Vermischung aber schlich sich unschwer ein, weil Beide ein gemeinsames Untersuchungsobject, „das Erkennen", haben. Nun habe ich schon oben bei einer Gelegenheit angedeutet, dass man da, wo jene Untersuchungen unter einander gemengt werden, übersieht, wie dieselben einen und denselben Process gänzlich verschiedenen Betrachtungen unterziehen, die einander im Resultat so unähnlich sehen, wie ein Längenschnitt und Querschnitt eines Schiffes. Die Psychologie hat es mit dem Bewusstsein, die Erkenntnisstheorie aber mit dem Bewusst-Sein zu thun, jene handelt vom Erkennen, insofern es eine psychische Thätigkeit ist, diese aber, insofern das Sein zum Bewusst-Sein wird, d. h. insofern dasselbe zum Ich in Erkenntnissbeziehung tritt; hier handelt es sich also um einen Process, der auf das Seiende überhaupt als Object möglicher Erkenntniss geht, dort um einen Process, der sich auf das Seiende, Seele genannt, speziell bezieht, und wenn im Erkennen sowohl hier als dort das Subject den Kamen Ich erhält, so ist im psychischen Act der mit Bewusstsein begabte Mensch (ein bestimmtes Seiendes), im Erkenntnissact aber das logische Ich Subject. Die Verwechselung dieser zwei durchaus verschiedenen Untersuchungen, und die Ersetzung des logischen Ich durch das psychologische Ich in der erkenntnisstheoretischen Forschung gab der letzteren eine durchaus verkehrte Richtung, indem die Erkenntnissbeziehung und der Erkenntnissgegensatz von Ich und Nicht-Ich als ein Seinsgegensatz und ein Seinsverhältniss falschlich aufgefasst wurde.

Erkenntnisstheoretischc und psychologische Auffassung.

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Das Interesse solcher psychologischen Erkenntnisstheorie fand nun in keiner Weise ein Genüge mehr in der Beantwortung jener Frage: „wie wird das Seiende bewusst?"; vielmehr musste eine völlig andere Grundfrage dieselbe ersetzen. Man wollte nun wissen, welche S e i n s v e r ä n d e r u n g vor sich ginge in dein psychologischen Ich, wenn dasselbe im Act des Erkennens begriffen wäre, und demgemäss gestaltete sich die Hauptfrage so: „was tritt beim Erkenntnissprocess im Ich auf?" Man ging nemlich auch auf diesem Standpunkt von der richtigen Voraussetzung aus, dass dasjenige Seiende, welches erkannt wird, als solches keine Veränderung erleidet, und sah sich daher, weil Erkenntniss-Ich als ein Seiendes aufgefasst und in ein Seinsverhältniss zum Erkenntniss-Nicht-Ich gesetzt war, genöthigt, das E r k e n n e n für eine S e i n s v e r ä n d e r u n g des I c h zu halten. Da nun aber das Erkennen stets eine Beziehung von Ich und Nicht-Ich in sich schliesst, so wurde die Erkenntniss in der Weise hergestellt gedacht, dass das Neue, welches durch die Seins Veränderung des Ich im Ich auftritt, ein Bewusstseinscorrelat oder Bild des Seienden bilde. Das Erkenntniss-Ich war in den Augen dieser Philosophen eine gegebene Grösse, als deren Inhalt die Bilder des Seienden angesehen wurden: ein classisches Beispiel eines derartigen Erkenntniss-Ich ist die bewusste Monade des Philosophen L e i b n i z . Nach dem πρώτον ψεΰδος erschien es nun selbstverständlich, den psychologischen Seinsgegensatz auch in der Weise auf das Erkenntniss-Ich und Nicht-Ich zu übertragen, dass man selbst in der Erkenntnisstheorie von äusserem und innerem Wahrnehmen sprach, das erste auf das Nicht-Ich, das zweite auf das Ich, welches ja eben auch als Seiendes aufgefasst wurde, beziehend. Den zwei Seinsgrössen, welche im Erkenntnissprocess in Beziehung treten sollten, konnte man, eben weil die eine als solche das Erkenntniss-Ich repräsentirte, nicht ein und dieselbe Art, erkannt zu werden, zuschreiben. Freilich vermehrte sich damit, wie ich schon an einem anderen Ort andeutete, die Schwierigkeit, wie das Erkennen des psychos'

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

logischen Ich begreiflich zu machen sei. Wenn Locke diesem Erkennen in dem Wort reflection einen anderen Namen gab als dem „äusseren Wahrnehmen", so war die Sache so dunkel geblieben wie zuvor. Während derjenige, welcher das Erkenntniss-Ich und den bewussten Menschen streng auseinanderhält, und alles S e i e n d e in möglichen Erkenntnissgegensatz allein zum Ich stehend ansieht, in Ansehung der unmittelbaren Erkenntniss aber, sowohl was alles Uebrige als auch was den bewussten Menschen betrifft, auf die Empfindung als das nothwendige Mittel abstellt und daher das eine wie das andere Bewusst-Seiende als Wahrnehmung d. i. durch Empfindung bewusst Gewordenes begreift, sind Jene gezwungen, wenigstens in Betreff des „inneren Wahrnehmens" entweder ihre Theorie zu verlassen und zu dem reinen Erkenntniss-Ich und zu der Auffassung des Erkennens als Herstellung einer Beziehung zwischen Ich und dem S e i e n den die Zuflucht zu nehmen, oder aber ausser dem ersten „Inneren" des Ich, in welches die „Bilder" der Gegenstände aufgenommen werden, noch ein zweites Erkenntniss-Inneres, wo die Bilder jener Bilder aufgestellt werden können, anzunehmen. Diejenigen indess, welchen weder das Eine noch das Andere als passender Ausweg einleuchtet, greifen zu dem letzten Hülfsmittel, indem sie erklären, dass der Mensch gar nicht unmittelbar sich selbst erkennen könne, sondern nur Vorstellungen seiner selbst habe; aus dieser Behauptung guckt die helle Verzweiflung heraus, und die, welche ihr beipflichten, gleichen dem Baumeister, welcher den Bau seines Hauses mit dem zweiten Stockwerk beginnen wollte. — Wie man sich nun auch aus den Schwierigkeiten herauswickeln mag, überall erscheint der reale Gegensatz von Bewusst-Seiendem und Seiendem als Voraussetzung dieser Erkenntnisstheoretiker: Ersteres im Ich, Letzteres ausser demselben befindlich. Hier begreift man die Möglichkeit, von einem Verhältniss des Denkens und Seins zu reden, während auf einem anderen Standpunkt mit solchem Wort schlechterdings kein Sinn zu verbinden ist, da nicht eingesehen werden

Der erkenntnisstheoretische Dualismus.

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könnte, wie zwischen einem Act, Denken, und einem Object, Sein, ein solches Verhältniss bestehen solle. Man begreift aber auch hier unter dem Denken nicht den Act, sondern den Denkinhalt, das Denkobject, und in diesem Sinn ist es heutzutage nur allzu gebräuchlich von einem Verhältniss des Denkens und des Seins zu sprechen. Daraus ist ersichtlich, wie allgemein die Vorstellung von dem Bewusst-Seienden als dem „im Innern des Ich" befindlichen Erkenntnisscorrelat des Seienden geworden ist, so dass in der That heutzutage die ausdrückliche Behauptung dieser Ansicht fiir ebenso überflüssig angesehen ist, als die Behauptung der Identität von Wahrnehmung und Seiendem von vorneherein dem energischen Widerspruch, wenn nicht noch Schlimmerem begegnen wird. Der Schritt zum erkenntnisstheoretischen Dualismus, wie ich die Ansicht Jener nennen möchte, welche das Bewusst-Seiende als ein dem Sein gegenüberstehendes „inneres Sein" ansehen, ist gleichsam der Sündenfall, durch welchen das Paradies des naiven Monismus verscherzt wurde, und welcher den Tod aller Erkenntniss, die Skepsis, in die Welt gebracht hat. Der erkenntnisstheoretische Monismus nemlich veruDmöglicht die Skepsis; erst wenn Bewusst-Seiendes und Seiendes einander gegenübergestellt werden, kann der Zweifel an der Adäquatheit des Bewusst-Seienden als Erkenntnisscorrelat des Seienden aufkommen. Andrerseits ist der erkenntniss-theoretische Dualismus, wie weit er sich auch von der eigentlichen Skepsis entferne, nie im Stande, dieser den Garaus zu machen; erst wenn der Monismus wieder sein Recht erstritten hat, ist das Ende der Skepsis gekommen. Der Dualismus hat lange das Scepter geführt, seit den griechischen Zeiten war er die Ansicht der meisten Philosophen; vielleicht ist die Zeit gekommen, da man seine negativen Verdienste völlig ausgeprobt hat und sich durch dieselben in Betreff einer Erkenntnisstheorie doch nicht genügend gesichert weiss; dann mag ein wissenschaftlich gegründeter Monismus etwa gelegen kommen, um die alte Sicherheit des naiven Bewusstseins wiederzugewinnen.

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

Heutzutage ringt so Mancher in der Philosophie darnach, eine Metaphysik von monistischem Character aufzustellen; ist es überhaupt möglich dahinzugelangen, so bleibt bei der notorischen Abhängigkeit jeder Metaphysik von einer bestimmten Erkenntnisstheoric der einzige Weg an's Ziel zu kommen derjenige, welcher durch den erkenntnisstheoretischen Monismus führt. Der erkenntnisstheoretische Dualismus ist ein Bastard, entsprossen der Vermischung von psychologischer und erkenntnisstheoretischer Auffassung des Erkennens; das Bewusst-Seiende pflegt er selbst Vorstellung zu nennen, und legt durch die Wahl dieses Wortes das sprechende Zeugniss seiner Abkunft ab, da die Vorstellung schon in ihrem Namen den psychologischen Character des Subjectiven oder „inneren Seins" offenbart, wenn nemlich das Wort Vorstellung als Bezeichnung des Erkenntnissobjectes, nicht aber des Erkenntnissactes gebraucht wird. Dass aber Vorstellung zur Bezeichnung des Erkenntnissebjectes von den Dualisten verwendet werde, unterliegt keinem Zweifel, so dass es vielleicht kaum eines Hinweises auf eine authentische Interpretation bedarf, in welcher die Vorstellung „das in unserem Bewusstsein erzeugte Bild" des Gegenstandes genannt wird*). Diejenige Vorstellung, „welche sich auf einen wirklichen Gegenstand bezieht", heisst dann Wahrnehmung **). Die Wahrnehmung ist nun allerdings für die Denkenden nicht die Veranlassung gewesen, den monistischen Standpunkt schon frühzeitig mit dem dualistischen in der Erkenntnisstheorie zu vertauschen; sie würde schlechterdings keine Handhabe fiir den Zweifel an der Einheit von Wahrnehmung und Seiendem geboten haben. Vielmehr war es jene Fähigkeit des Ich, Wahrnehmungen, wie man sich auszudrücken pflegt, zu reproduciren, welche auf den Abweg führte. Solche Reproduetionen erkannte man als Acte, welche vor sich gingen, ohne durch einen „wirklichen Gegenstand" hervorgerufen zu *) W u n d t , physiol. Psychologie. S.464.

**) W u n d t , a.a.O. 464.

Das „innere" Sein.

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sein; das Erkenntnissobject, welches das Resultat dieses Actes war, nannte man Vorstellung. Dieses Erkenntnissobject Vorstellung erhielt jedoch einen anderen Character und wurde als Seinsobject angesehen. Zwei Gründe wirkten hier mit: der eine lag in der Auffassung vom vorstellenden Ich als einer „geistigen" Grösse, die in ihrem Innern durch das Erkennen neues Sein schafft, der andere aber grade in der Ansicht des naiven Bewusstseins, von dem man doch immer noch bestimmt wurde, dass nemlich Wahrnehmung und Seiendes Eines, daher die Wahrnehmung selbst auch das Seinsobject sei. War Letzteres der Fall, so führte dies leicht zu der Annahme, auch die „Vorstellung" sei ein Seiendes, freilich nicht „ausserhalb", sondern „innerhalb" des „Ich". Es ist nun ersichtlich, dass die Vorstellung als E r k e n n t n i s s o b j e c t zu einem Seienden im „Ich" nur durch die Verquickung der beiden durchaus heterogenen Standpunkte psychologischer und erkenntnisstheoretischer Auffassung umgewandelt werden konnte; denn ein inneres Sein des erkennenden Ich war allein möglich, wenn das Erkenntniss-Ich mit dem bewussten Menschen verwechselt und diese Seinsgrösse Erkenntnisssubject wurde. Man verwechselte also, um zum „inneren Sein" zu gelangen, den psychischen Act „Vorstellen" mit dem Erk e n n t n i s s - N i c h t - I c h „Vorstellung"; denn nur jener konnte ein „innerlicher" genannt werden, indem mit diesem Wort eben ein Ich-Α et bezeichnet werden sollte, eine Benennung, zu der man jedoch nie gegriffen haben würde, wenn nicht jene Verwechslung Statt gefunden hätte, da mit derselben nur unter diesen Umständen ein Sinn (Gegensatz zum „äusseren" Seienden) zu verbinden war. Sobald auf diesem Wege dem Erkenntnissobject „Vorstellung" ein Sein im „Ich" imputirt worden war, hat dieses Vorgehen seine verändernde Wirkung auf die Stellung der Wahrnehmung in der Erkenntnisstheorie nicht verfehlt Denn seitdem für das Erkenntniss-Nicht-Ich „Vorstellung" angeblich ein „inneres Sein" gewonnen war, gab es keinen Grund, nicht auch das Erkenntniss-Nicht-Ich „Wahrnehmung"

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

in dasselbe aufzunehmen, und ihm einen gleichen Gegensatz („Innen" gegenüber „Aussen") sowie eine gleiche Correlatstellung zum „äusseren Sein" („Bild" desselben) zu geben. Nicht ohne Grund aber behielt man doch für die allgemeine Bezeichnung des Bewusst-Seienden das Wort Vorstellung, da die Dualität den grösseren Schein von Berechtigung eher in ihm als in der „Wahrnehmung" fand; die letztere erinnerte noch zu lebhaft an die alte naive Annahme von ihrer Einheit mit dem Seienden. Sonst hätte S c h o p e n h a u e r sein Hauptwerk auch beginnen können: „die Welt ist meine W a h r nehmung". Doch mit der Veränderung der Bezeichnung war die Schwierigkeit nicht gehoben, welche den Dualisten grade durch Aufstellung eines Seinsgegensatzes zwischen dem BewusstSeienden „Wahrnehmung" und dem Seienden erwuchs; denn wenn man näher zusieht, so ist jener S e i n s g e g e n s a t z von Vorstellung und Seiendem nur allein auf Grund des Unterschiedes von Vorstellung und Wahrnehmung aufgestellt worden, als man eben noch die letztere und das Seiende für Eins ansah. - Zwischen dem Erkenntniss-Nicht-Ich „Vorstellung" und demjenigen „Wahrnehmung" ist allerdings in Wahrheit ein Erkenntnissgegensatz zu constatiren; weil nun aber der ursprünglichen Meinung nach das letztere mit dem „Seienden" Eins ist, so stellte man leichtweg, ohne den grossen Sprung zu gewahren, die „Vorstellung" in Gegensatz zu dem „Seienden" und daher ergab es sich, da „Seiendes" nur zu etwas „Seiendem" in Gegensatz treten kann, dass die „Vorstellung" aus einem Erkenntniss-Nicht-Ich zu einem „Seienden" gemacht wurde: damit schien denn der Seingegensatz von „Denken und Sein" begründet. Den Grund aber bildete eben die als mit dem „Seienden" identisch aufgefasste Wahrnehmung. Würde demnach die Dualität von Wahrnehmung und Sein durch die „offenbare" Dualität von Vorstellung und Sein begründet, so läge ein Fall der Erschleichung vor, der zu guter Letzt auf den Grundfehler der Begriffsverwechslung von Erkenntniss-Nicht-Ich und Seiendem zurückzuführen ist. Für

Die Wahrnehmung als „inneres Sein".

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den Beweis jener ersteren Dualität muss daher unbedingt ein ganz unabhängiges Verfahren gefordert werden. Ein solcher Beweis jedoch dürfte' unerbringlich sein, da nicht einzusehen ist, wie Seiendes und Bewusst - Seiendes (Walirnehmung) neben einander gehalten werden könnten. Wenn man diese Möglichkeit dennoch annimmt, so liegt der Grund dafür vor Allem darin, dass in unserem heutigen Sprachgebrauch besonders durch die Hcrbartische Schule das Wort Vorstellung einen so weiten Begriffsumfang erhalten hat und die Wahrnehmung in Folge dessen auch in diesen hineingenommen ist, anstatt dieselbe sofort von der Vorstellung abzuheben. AVenn es sich dann in der Untersuchung um „Wahrnehmung" handelt, so wird unwillkürlich an ihre Stelle die Vorstellung im engeren Sinne gesetzt und die eigentliche Wahrnehmung als das Seiende aufgefasst. Man meint nun Vorstellung überhaupt, also auch Wahrnehmung, neben dem Seienden zu haben, während in Wahrheit die V o r s t e l l u n g im e n g e r e n S i n n e mit der W a h r n e h m u n g zusammengehalten wird, also ein Erkenntniss-Nicht-Ich mit einem anderen Erkenntniss-Nicht-Ich und nicht mit einem Seienden. Es muss auch einem Jeden einleuchten, dass nur das Letztere allein geschehen kann, da das Seiende überhaupt einzig als BewusstSeiendes dem vergleichenden Menschen gegeben ist. S c h o p e n h a u e r schreibt: „die Welt ist Vorstellung. Neu ist diese Wahrheit keineswegs. Sie lag schon in den skeptischen Betrachtungen, von welchen Cartesius ausging. Berk e l e y aber war der erste, welcher sie entschieden aussprach: er hat sich dadurch ein unsterbliches Verdienst um die Philosophie erworben"*). " Ohne das Verdienst des scharfsinnigen B e r k e l e y schmälern zu wollen, kann ich doch dem Schopenhauerschen Urtheil nicht unbeschränkt zustimmen, da ich vielmehr in der Leistung des Engländers als unvergänglichen Gewinnst nur den Nachweis anerkennen kann, dass BewusstSeiendes (Wahrnehmung) und Seiendes Eins seien, dass es *)

Welt als Wille und Vorstellung. § 1.

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

neben oder hinter den Wahrnehmungen nicht noch „Dinge" gebe, sondern jene selbst die „Dinge" d. i. das Seiende seien. Dieser Nachweis ist in so unumstösslicher Weise geliefert, dass man bedauern muss, wenn er so wenig beachtet wird; die „skeptischen Betrachtungen", welche doch eben in ganz anderem Sinne den Gedanken „die Welt ist Vorstellung" enthalten, hätten seit B e r k e l e y ' s Tagen, sobald seinen Ausführungen nur ein aufmerksames Ohr geliehen worden wäre, aufgehört, da zu sein. Und doch mag dieser Philosoph durch den fehlerhaften Anschauungsstandpunkt, auf welchem er die Einheit von Seiendem und Wahrnehmung siegreich erstreitet, es verschuldet haben, dass in seinem England selbst die Skepsis nicht für immer vernichtet war, sondern vielmehr erst kräftig nach ihm sich entfaltete. Es war Berkeley's Fehler, dass er seine erkenntnisstheoretische Untersuchung durch die psychologische Brille anstellte und führte; hätte er mit blossem erkenntnisstheoretischen Auge operirt, so würde er nie zu der Behauptung gelangt sein, die „Dinge" (wie er das Seiende nennt) welche Eins sein sollen mit den Wahrnehmungen, wären „Dinge in uns", Dinge ausser uns gebe es nicht. Diese Bezeichnung war, wie seine Ausführungen beweisen, doch mehr als ein in der Polemik nur benutzter Hülfsausdruck, so dass auf das „in und ausser" nicht irgendwelcher Nachdruck und Werth von ihm gelegt wäre. Berkeley hatte ja freilich eben gegen die Dualität von Wahrnehmung und (um in seiner Sprache zu reden) Ding ausser uns, welche seit langen Jahrhunderten einen erkenntnisstheoretischen Grundsatz bildete, zu kämpfen : die Wahrnehmung „in uns" wurde dem Ding „ausser uns" gegenübergestellt. Er zertrümmerte nun wohl diese phantastische Vorstellung, aber hob sich selbst nicht zugleich aus dem durchaus verkehrten psychologischen Standpunkt heraus, welcher an der Vorstellung von jener Dualität gerade die Schuld trägt, ja dessen unausweichliche Folge dieselbe ist. Ich und Ding waren von Berkeley's Gegnern als zwei einander gegenüberstehende Grössen angesehen, von denen das letztere im Er-

Berkeley's erkenntnisstheoretischer Monismus.

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kenntnissproccss zunächst ein E t w a s , Wahrnehmung genannt, in der ersten Grösse, „Ich", hervorzaubert. Berkeley zerstörte die Vorstellung vom Ding als einer Grösse neben dem „Ich", er blieb aber bei der Annahme des „Ich", in welchem die „Dinge" sich befinden sollten. Damit nun war nur eine phantastische Vorstellung an die Stelle der anderen gesetzt und der sonst durchaus sicheren Polemik gegen den Dualismus der Gegner von ihm selbst so gänzlich die Spitze abgebrochen, dass es nicht Wunder nimmt zu sehen, wie auch nach ihm der Dualismus die herrschende Ansicht bleibt und der Berkeleyismus als eine barocke Anschauung in's philosophische Raritätenkabinet gestellt wird. So lange das logische Subject des Erkennens als eine Seinsgrösse dem Seienden gegenübergestellt wurde, hatte die gegnerische Vorstellung vor der Berkeley'schen den entschiedenen Vorzug der Anschaulichkeit und praktischen Brauchbarkeit. Berkeley zäumte gleichsam das Pferd beim Schwanz auf; denn, anstatt jene „Dinge in uns", die Wahrnehmungen in ihrem phantastischen Wesen zu erweisen, indem er, auf dem reinen Boden der Erkenntnisstheorie stehend, das ErkenntnissIch als das blosse logische Subjekt erkannte und die Seinsgrösse „Ich" als Phantasievorstellung dem Nichts überlieferte, Hess er diese letztere als wirkliche errade bestehen und erklärte die den „Dingen in uns" angeblich correspondirenden wirklichen „Dinge ausser uns" für Phantasievorstellungen. Die unselige Vermischung psychologischer und erkenntnisstheoretischer Betrachtung zeigt sich hier von beklagenswerten Folgen" begleitet. Freilich hat dieselbe keinen schädlichen Einfluss auf die Folgerichtigkeit des erkenntnisstheoretischen Nachweises der Einheit von Wahrnehmung und „Ding", denn in Ansehung dieses Punktes war es völlig einerlei, ob von der angeblichen Zweiheit das „Ding" oder die „Wahrnehmung" gestrichen wurde; factisch blieb doch als wirklicher Rest dasselbe Eine. Aber, indem das Erkenntniss-Ich als solches zugleich Seinsgrösse sein sollte, und daher das ge-

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

wonnene Erkenntniss - Eine in dasselbe hineingestellt wurde, stellte Berkeley die ganze Welt auf den Kopf und verfiel in einen grundlosen Subjectivismus; er sah durch seine psychologische Brille die Wahrnehmung eben nicht als ErkenntnissN i c h t - I c h an, sondern hielt sie für ein zum ErkenntnissIch selbst gehöriges Seiendes. In dieser Hinsicht theilte B e r k e l e y die gleiche Vorstellung vom Erkenntniss-Ich mit allen denjenigen, welche, ihm entgegengesetzt, mit psychologischen Gründen die Dualität von Wahrnehmung und Seiendem festhalten zu können meinen; denn erkenntnisstheoretische Gründe mangeln ihnen vollständig für die Erhärtung dieser Dualität. Von den psychologischen Erkenntnisstheoretikern kommen hier zunächst vor Allen Diejenigen in Betracht, welche das Erkenntniss-Nicht-Ich Wahrnehmung im Sinne Bacon's als „veritatis imago", als „radius reflexus" des „radius directus" auffassen. Sie insgesammt begehen den Fehler, das Erkenntniss-Nicht-Ich mit dem psychologischen Acte, die Wahrnehmung also mit dem Wahrnehmen zu verwechseln. Es wird allerdings die Wahrnehmung nur durch das Wahrnehmen gegeben, aber sie als Erkeimtnisselement ist doch etwas toto genere vom Wahrnehmen Verschiedenes. Unter den nach den physischen Mitteln unterschiedenen Acten defc Wahrnehmens ist diesen Psychologen derjenige des Anschauens allein der Anhaltspunkt, an den sie ihre Vorstellung von der Wahrnehmung als einem „Bilde" knüpfen. Weil eben im Acte des Anschauens auf der Retina ein umgekehrtes Bild des Seienden erscheint, welches allerdings ein nothwendiges Mittel des Anschauens ist, schaffen sie sich die Vorstellung, dass die Anschauung, dieses durch das Anschauen gegebene Erkenntniss-Nicht-Ich, entweder das Bild der Retina selber oder ein derartiges Bild im Bewusstsein sei. Wild das Erstere angenommen, so erheben sich dagegen zwei Bedenken, die von jener Seite ungehoben bleiben, da man erstens nicht zu erklären vermag, warum wir denn das „Sein ausser uns" und nicht das Retina-Bild in unserem Bewusstsein als

Die Wahrnehmung als „Bild" des Seienden.

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Anschauung haben, und zweitens nicht nachweisen kann, warum wir das „Seiende" nicht „umgekehrt" anschauen, da doch das Retinabild so das Seiende wiederspiegele. Sucht sich der Psychologe dann mit der Erklärung zu helfen, der Mensch „projicire" das Retinabild „nach Aussen", und deshalb schaue er sowohl einen „äusseren Gegenstand" und nicht das Retinabild, als auch schaue er den Gegenstand aufrecht, da er auf demselben Wege das Bild nach Aussen zurückwerfe, auf welchem es in's Auge gelangt sei — so sind damit die Bedenken einfach umgangen, da der Psychologe das Erkenntnisstheoretische an die Seite geschoben und uns nur eine vielleicht sogar richtige Darstellung des Processes, welcher Anschauen heisst, gegeben hat; und er selbst zugleich hat unbewusst seinen erkenntnisstheoretischen dualistischen Standpunkt aufgegeben. Denn seine v e r m i t t e l s t des Processes dem Erkenntniss-Ich gegebene A n s c h a u u n g , dieses Nicht-Ich, ist nun doch nichts Anderes als Ein und D a s s e l b e mit dem „äusseren Gegenstand". Somit ist er gegen seinen Willen angelangt beim erkenntnisstheore tischen Monismus, dem auch in der That die Psychophysiker huldigen, welche sich scheinbar auf dem anderen Standpunkt befinden;- der Monismus aber kann, wie ohne Weiteres ersichtlich ist, ohne Schaden die psychophysischen Erklärungen des Actes Anschauen anerkennen. Wer andererseits, um die angeführten Bedenken zu vermeiden, annimmt, das „Bild", Anschauung genannt, sei wiederum ein dem Retinabild umgekehrt, und daher dem „äusseren Seienden" direct, entsprechendes Bild, hat sich eine noch grössere und gleichfalls unüberwindliche Schwierigkeit geschaffen, die Existenz dieser Bilder nemlich gegenüber dem „Seienden" nachzuweisen. Der Phantasie ist hier freier Raum gelassen: man kann sich die Schädelhöhle als einen Bildersaal vorstellen, in welchem die Bewusstseinsbilder, wenn sie etwa unendlich klein gedacht werden, in unendlicher Anzahl gesammelt werden könnten nnd daher Wohnungsnoth nicht zu befürchten wäre. Dies genügt wohl dem phantastischen Spiel,

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Identität von Wahrnehmung nnd Seiendem.

aber nicht der Wissenschaft; sie verlangt Beweise, und diese sind schlechterdings nicht zu geben. Aber wenn selbst das Unmögliche möglich gemacht würde, wenn selbst ein solcher Bewusstseinssaal aufgezeigt werden könnte, so bliebe das eine der oben genannten Bedenken auch hier noch ungehoben, da wir als Anschauung ja nicht dieses fragliche „innere" Bild, sondern vielmehr das „äussere" Seiende haben. Gegen beide Auffassungsweisen indess würde sich, selbst wenn sie sich bewahrheitet hätten, soweit es die Anschauung angeht, noch ein gewichtiger Einwand geltend machen, sobald denselben alle Wahrnehmungen, also auch die durch andere psychologische Acte, als das Anschauen, gegebenen, unterstellt werden wollten. Da ergiebt sich denn bald, dass die Wahrnehmungen „hart", „weich", „Farbe", „Ton" nicht als Bewusstseinsbilder des Seienden aufgefasst werden können. Diese Erkenntniss ist auch schon frühzeitig, seit D e m o k r i t , den psychologischen Erkenntnisstheoretikern dieser Gattung gekommen, und da sie von ihrem allgemeinen Standpunkt nicht abgingen, so sahen sie sich sehr bald genöthigt, jene Erscheinungen, die sich nicht als „Bilder" des Seienden qualificiren Hessen, für „subjective" Gebilde auszugeben. Hierin ist demnach auch der Erklärungsgrund in letzter Linie zu suchen für jene wunderbare Metaphysik eines D e s c a r t e s und S p i n o z a , welche das „äussere Sein" einzig mit dem Begriff des Räumlichen in seiner Wesenheit bestimmte; und aus derselben Quelle hat Locke als Dualist seine Unterscheidung der primären und secundären Qualitäten geschöpft. So findet also der erkenntnisstheoretische Dualismus wider sein Erwarten auch an der Psychophysik keine Stütze, was freilich demjenigen, der unparteiisch die Sache betrachtet, völlig selbstverständlich erscheint, da jene Wissenschaft gar keine erkenntnisstheoretischen Functionen ausüben kann. Der Dualismus sieht sich unversehens, was die Wahrnehmung wenigstens betrifft, entweder auf den Boden des Monismus versetzt (welche Wahrscheinlichkeitsgründe er dann noch für sich in Ansehung des Gebietes der Vorstellung im

Erkenntnisstheoretiscber Monismus und Skepsis.

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engeren Sinn in's Feld führt, wird einer spateren Erörterung zu untersuchen vorbehalten sein), oder aber er verfallt der Skepsis, leugnet wenigstens die Adäquatheit der Wahrnehmung in Bezug auf das Seiende, und sieht etwa gar einen anderen Bewusstseinsinhalt, den Begriff, für das entsprechende Erkenntnisselement an, wenn er nicht noch etwas von der Wahrnehmung solbst hiefiir retten kann, oder endlich er nimmt zum Kantianismus seine Zuflucht. Auf solchem Rückzüge, wie ihn der Dualist in den letzten beiden Fällen antritt, wird das Bewusst-Seiende, Wahrnehmung, immer mehr rein „ subjectiven " Characters, indem es das Correlationsverhältniss zum Seienden verliert, bis es zuletzt ganz „subjectiv" als „innerliches" S e i e n d e s , nemlich als E m p f i n d u n g dasteht. Auch aus dieser Metamorphose der Wahrnehmung des Dualisten in Empfindung, weil sie ohne „innere" Revolution vor sich geht, indem für ihn ja nur das erkenntnisstheoretische „Verhältniss" eine Umwälzung erleidet, erhellt deutlich, dass seine Wahrnehmung von vornherein als ein „innerliches" Seiendes, und nicht bloss als Erkenntniss-Nicht-Ich ohne psychologische Beigabe, gefasst worden ist. Als Monist wird der bisherige Dualist, wenn das „innere Sein" ihn gefangen hält, Anhänger B e r k e l e y ' s werden; diese eigentümliche Richtung aber geht gegen den Zug unserer Zeit und findet wohl kaum viele Anhänger. Um so zahlreicher sind diejenigen Dualisten, welche entweder der Skepsis oder dem Kantianismus zufallen: es sind dies die Beiden erkenntnisstheoretischen Formen, welche in der philosophischen Welt der Gegenwart das meiste Ansehen gemessen. Ueber die Skepsis habe ich an diesem Orte nichts Weiteres zu bemerken, als dass gegen sie alle die im Vorigen aufgestellten Einwände uneingeschränkt bestehen, da von ihr ebenfalls der Standpunkt innegehalten wird, welcher die Dualität von Erkenntniss-Nicht-Ich oder Bewusst-Seiendem und Seiendem zu Grunde legt; und Letzteres weist dann auch die Skeptiker Jenen zu, welche, anstatt das Erkenntniss-Nicht-Ich mit dem Seienden zu identificiren, dasselbe als ein zweites

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

„inneres Sein" vorstellen und mit diesem Grandirrthum ihre Erkenntnisstheorie beginnen. Der Kantianismus nimmt der Frage gegenüber, welche die Identität von Wahrnehmung und Seiendem zum Inhalt hat, eine ganz eigenartige Stellung ein, die auf den'ersten Blick nicht sofort zu fixiren sein möchte. Dies "rührt daher, weil man in Zweifel sein kann, ob jene philosophische Schule in der Erkenntnisstheorie den Dualismus oder den Monismus vertritt; die Angelegenheit entscheidet wohl sich zu Gunsten des letzteren. Die Wahrnehmung, im Kantischen Sinne die empirische Anschauung, ist die Erscheinung. Es wird dies sofort klar sein, wenn man sich nur davor hütet, in dem Wort „empirische Anschauung" nicht den psychischen Act aufzufassen, sondern vielmehr das E r k e n n t n i s s - N i c h t - I c h , welches durch diesen Act dem Ich gegeben ist. Dieser Kantianische Monismus zeigt indess eine eigenthümliche Entstehungsgeschichte. Mit aller Berechtigung hat sich K a n t gegen eine Identificirung seines Monismus mit demjenigen B e r k e l e y ' s verwahrt; nichtsdestoweniger wird man der Untersuchung des Engländers .den Vorzug der Consequenz gegenüber der Kantischen zusprechen müssen. Berkeley blieb bis an's Ende seinem psychologischen Standpunkt in der Erkenntnisstheorie treu; das Gleiche ist von K a n t nicht zu sagen, da sein Monismus, wenn auch vielleicht im Resultat correcter, keineswegs aus einer correcten Entwicklung geflossen ist. Ein näheres Eingehen auf den Kantischen Monismus wird dies klar machen, wobei ich noch völlig unberücksichtigt lasse seine Auffassung von unsrer Welt als Erscheinungswelt, und K a n t ' s Erscheinung daher einfach mit dem, was ich Seiendes nenne, zusammenwerfe. „Vermittelst der Sinnlichkeit", schreibt K a n t , „werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen" d. i. Erkenntniss - Nicht-Ich. Monisten und Dualisten dürften diesen Satz noch Beide für sich reclamiren, da er

Kant's Monismus.

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sowohl in dem Sinne: „die Anschauungen sind die gegebenen Gegenstände" als auch in dem anderen: „unsere Anschauungen entsprechen den Gegenständen" gefasst werden kann. Nicht anders steht es um die folgenden Sätze: „Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heisst empirisch", und „der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heisst Erscheinung"; hier nemlich fallt das Ausgesagte, wenn „Anschauung" das Anschauen bedeutet, dem Monismus, wenn aber das ErkenntnissNicht-Ich, dem Dualismus zu. Der letztere gewinnt sogar scheinbar, wenn wir hören, dass „reine Anschauung a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung als eine blosse Form der Sinnlichkeit im Gemüthe Statt findet", denn hier scheint es ausgeschlossen zu sein, die Worte „reine Anschauung" als Act aufzufassen. Die Folgerung liegt eben nahe: die empirische Anschauung findet, wie die reine Anschauung, im Gemüthe statt, nur nicht wie diese a priori, sondern a posteriori; jene also bezieht sich dann d. h. e n t s p r i c h t dem „wirklichen Gegenstand", der Erscheinung. — Das Einvernehmen mit dem Dualismus wird jedoch sofort gestört, wenn man erwägt, dass K a n t keineswegs die Erscheinung fur den „afficirenden Gegenstand" ansieht, dass vielmehr dieselbe als unbestimmter Gegenstand des Anschauenden ein Product der „Sinnlichkeit" auf Grund von „Empfindungen" sein soll, und dass ganz dasselbe von der empirischen Anschauung angenommen wird. Es ist zu bedauern, dass K a n t nicht von vorneherein genau fixirt hat, was für einen Begriff er mit dem Worte Anschauung verbunden wissen wollte, ob den psychophysischen Act oder das ErkenntnissNicht-Ich; dem Missverständniss, ihn zu den Dualisten zu rechnen, wäre damit viel entschiedener vorgebaut und vielleicht hätte er auch selbst dann mit dem Dualismus gründlicher gebrochen. Denn dass er dem Monismus gehört, ist ausser aller Frage. Man bemerkt aber in der That nur zu oft, dass ihm die Eierschalen des Dualismus noch ankleben; ich citire dafür noch K e b m k e , Die Welt als Wahrnehmung u . Begriff.

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Identität von Wahrnehmung und Seiendem.

diesen Satz: „In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung c o r r e s p o n d i r t , die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, dass das M a n n i g f a l t i g e der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in eine gewisse Form ges t e l l t werden können". . . Der Beginn dieses Satzes erweckt die Meinung, als ob die Materie, das Mannigfaltige der Erscheinung, welches geordnet wird, als ein Anderes den Empfindungen gegenüberstehe; es „correspondirt" ihnen; im Verlaufe aber sieht man deutlich, dass die Empfindungen selbst das Mannigfaltige der Erscheinung sind, denn sie selbst sind es, die geordnet werden. Daraus geht klar hervor, dass die empirische Anschauung ( = meine Wahrnehmung) und die Erscheinung identisch sein müssen und sich nicht als „Inneres" und „Aeusseres" gegenüberstehen; denn ich kann nicht annehmen, dass ein Kantianer aus angeerbtem Dualistendrange etwa die dritte mögliche Annahme verwirkliche und behaupte, die Empfindungen werden zunächst als empirische Anschauung „im Gemüthe" geordnet und darauf wird nach derselben ein Abbild nach „Aussen" als Erscheinung projicirt. Es ergiebt sich hieraus zur Genüge, dass K a n t dem Satze von der Identität der Wahrnehmung und des Seienden vollkommen beipflichten kann, allerdings mit der einschränkenden Forderung, den Begriff „das Seiende" mit seiner „Erscheinung" zu identificiren. Ueber diese Differenz wird weiter unten zu handeln sein; an diesem Platze war es von Wichtigkeit, die phantastischen dualistischen Ansichten über Wahrnehmung und Seiendes bloszulegen und zu zeigen, dass K a n t in diesem Punkte dem Monismus gehöre. —

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Die Bedeutung des Wortes Vorstellung.

5. Die Vorstellung. Als die eigentliche Burg des erkenntnisstheoretischen Dualismus ist die „Vorstellung" zu betrachten; an ihr, meint man wohl, müsse sich der Monismus brechen, denn Seiendes und Vorstellung seien offenkundig Zweierlei, und. wenn die Wahrheit der Dualität sich bei der Wahrnehmung verstecken möge, so sei doch augenscheinlich die Vorstellung ein Bild des Seienden „innerlich, im Ich". Wenn der Monismus diese Vorstellung von der „Vorstellung" nicht als eine phantastische Construction, welche den Dualismus, den sie beweisen soll, selbst zur stillschweigenden Voraussetzung hat, bioslegen kann, so ist er selber zu Schanden geworden. Zunächst ist es für die saubere Entscheidung der Streitfrage unumgänglich nöthig, den Begriff, welcher mit dem Worte Vorstellung zu verbinden ist, zu fixiren, denn auch bei diesem Worte ist leider, wie bei Anschauimg, Wahrnehmung, für den Sprachgebrauch die Thatsache zu constatiren, dass einerseits durch dasselbe sowohl der psychische Act (Vorstellen) als auch das Erkenntniss-Nicht-Ich dargestellt wird, und andrerseits das Wort, sei es nun im einen oder im anderen Sinne gebraucht, auf ein engeres und ein weiteres Gebiet bezogen wird. Ich kann mich nicht enthalten, ein Beispiel von der Laxheit unsres Sprachgebrauchs anzuführen, da dasselbe eine treffende Ironie in sich trägt. Schopenhauer schreibt in einem Aufsatz „Ueber Schriftstellerei und Stil": „Vorzüglich hat diese vandalische Zerstörungswuth unsrer Wortbeknapper sich auf die Endsilbe „ung" gerichtet; eben nur, weil sie die Bedeutung derselben nicht verstehen, noch fühlen, und, unter ihrer dicken Hirnschale, weit davon entfernt sind, den feinen Takt zu spüren, mit welchem überall unsere instinktmässig sprachbildenden Vorfahren vorgegangen sind, indem sie nem6*

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Die Vorstellung.

lieh durch „ung", in der Regel, das Subjektive, die Handlung, vom Objektiven, dem Gegenstande derselben, unterschieden; man betrachte ζ. B. nur die Wörter: Erschliessung — Entschluss".*) Dieser selbe S c h o p e n h a u e r aber schreibt: „Die Welt i s t Vorstellung". Hier ist das „ung" also wohl ausnahmsweise anders gebraucht, gleichfalls aber auch bei „Anschauung", „Wahrnehmung" „Empfindung" u. A. m. Ohne mit S c h o p e n h a u e r rechten zu wollen über die •Bedeutung des „ung", benutze ich seine Ausführung nur als Beleg, wie wichtig es in erkenntnisstheoretischen Erörterungen ist, den Gebrauch des Wortes Vorstellung zu fixiren, damit derselbe wenigstens in einer wissenschaftlichen Darstellung nicht hinüber und herüber schwanke; mag doch grade der laxe Gebrauch Manches dazu beigetragen haben, psychophysische und erkenntnisstheoretische Betrachtung durcheinanderzuwerfen. Es dürfte nun nicht schwer halten, mit allgemeiner Zustimmung das Wort Vorstellung auf einen bestimmten Begriff zu fixiren, insofern es sich um seine Bedeutung als Act oder als „Object" handelt. Da wir nemlich für den Act über das Wort „Vorstellen" schon verfügen, dürfte es angezeigt sein, diesem keinen Concurrenten an die Seite zu stellen und Vorstellung für das „Object" zu reserviren. Psychologie und Erkenntnisstheorie — darin liegt die Bedeutung dieser Fixirung — werden dann nie mehr gezwungen sein, für Verschiedenes ein und dasselbe Wort zu benutzen; die P s y c h o l o g i e unt e r s u c h t , w a s das V o r s t e l l e n , die E r k e n n t n i s s t h e o r i e , was die V o r s t e l l u n g sei, jene hat es mit einem Act als solchem, diese aber mit dem Erkenntniss-Nicht-Ich zu thun, und jene kann wohl erklären, wie ich zu der Vorstellung komme, nicht aber, w a s sie ist. Weil man aber fälschlich annahm, dass mit dem Ersteren zugleich die Erklärung des Letzteren gegeben sei, kam man eben dazu, die „Empfin-

*) Parerga und Paralipomena II, 564f.

Die Bedeutung des Wortes Vorstellung.

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dung" für das Erkenntnisselement des Seienden auszugeben, deren Compositum dann die Vorstellung sein sollte. Eine Einigung auch über den zweiten Punkt, wie gross nun der Umfang des Begriffs Vorstellung und wie die Anwendung des Wortes demnach selbst genau zu iixiren sei, wird vielleicht, wenn auch schwieriger, dennoch zu gewinnen sein. Hier stehen sich zwei Gebräuche gegenüber; der eine fasst unter dem Begriff Vorstellung alles Bewusst-Seiende zusammen, wie ζ. B. Her h a r t , welcher das Bewusstsein als die Gesammtheit der wirklichen Vorstellungen definirt; der andere hingegen beschränkt des Wortes Anwendung auf die reproducirten Wahrnehmungen und ihre Composita. I)a wir nun in der glücklichen Lage sind, für das andere Bewusst-Seiende, welches nicht unter diesen letzteren Begriff Vorstellung fallen würde, bestimmte Worte in Wahrnehmung und Begriff zu besitzen, andererseits kein anderes Wort haben für die reproducirte Wahrnehmung, so dass wir gezwungen sind, wenn der Herbartische Sprachgebrauch durchdringt, das Wort Vorstellung in zweierlei Sinn zu gebrauchen — so ist es für die Correctheit des Ausdrucks sicherlich angezeigt, nicht alles BewusstSeiende, sondern speciell das reproducirte nur als Vorstellung zu bezeichnen und demnach unser ganzes Bewusstsein unter die drei erkenntnisstheoretischen Begriffe: Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff zu vertheilen. Will man dann den alle drei umfassenden Begriff ausdrücken, so ist das Wort Bewusstsein zur Stelle. Gründe der Zweckmässigkeit können der Wissenschaft für die Entscheidung bei der Wahl natürlich allein in diesem Falle massgebend sein, und ich meine, der Grund, dass bei Annahme meines Vorschlags durch klare Abtrennung der Gebiete manchem Missverständniss vorgebeugt wird, sollte schön allein genügen oder wenigstens den Ausschlag geben. Wenn ich nun zunächst nur die Ausscheidung des Gebietes der Wahrnehmung aus dem Begriffsumfang der H e r bartischen Vorstellung im weiteren Sinne fordere, die Frage aber, ob auch dasselbe mit dem Gebiet des Begriffs vorzu-

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Die Vorstellung.

nehmen sei, noch unberührt lasse, so wird man gegnerischer Seits wohl wenig Anstand nehmen, jene Abtrennung zu genehmigen, es sei denn, dass man eben in dem Wort Vors t e l l u n g das Bewusst-Seiende überhaupt zutreffend bezeichnet zu haben glaubte als das dem S e i e n d e n g e g e n ü b e r s t e h e n d e „innere Sein", und das Aufgeben dieser Bezeichnung daher für eine grössere Schwächung des wissenschaftlichen Ausdrucks hielte als das Beibehalten der zweifachen Bedeutung des Wortes Vorstellung. Damit wird aber die Wortdifferenz auf eine sachliche Differenz basirt, so dass es nöthig erscheint, die letztere zu untersuchen. In dem Abschnitt über die Identität von Wahrnehmung und Seiendem erwähnte ich schon, dass die Wurzeln des Widerspruchs gegen die Identität in die Vorstellung im engeren Sinne zurückführten, dass diese der letzte Schlupfwinkel sei, aus welchem der Gegner vertrieben werden müsste, da trotz alledem von hier aus immer wieder der Schein der Dualität auf Wahrnehmung und Seiendes fiele, so wenig auch aus der Wahrnehmung selbst etwas Stichhaltiges und Positives für die Dualität gezogen werden könnte.

Dass ich Bewusst-Sciendes ohne Vermittlung der Empfindung haben kann, ist unzweifelhaft; es ist also eine Beziehung des Ich zum Nicht-Ich ohne Empfindung möglich; diese Beziehung heisse Vorstellen, das Nicht-Ich Vorstellung. Damit aber eine solche Beziehung überhaupt möglich sei, muss eine andere durch Empfindung vermittelte vorhergegangen sein, d. h. Vorstellen ist nur möglich, wenn Wahrnehmen vorausgegangen ist; das Nicht-Ich Vorstellung kann nur gegeben sein, wenn dem Ich vorher das Nicht-Ich Wahrnehmung gegeben war: Vorstellung setzt also stets Wahrnehmung voraus. Wenn das Ich als wahrnehmendes zu einem Nicht-Ich in Beziehung gestanden hat, so kann es zu dieser Wahrnehmung, nachdem die Beziehung aufgehoben war, ohne Vermittlung der Empfindung die Beziehung erneuern; die so er-

Das Verhältniss der Vorstellung zur Wahrnehmung.

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n e u e r t e B e z i e h u n g h e i s s t V o r s t e l l e n , die v o r g e s t e l l t e Wahrnehmung aber Vorstellung. Diese Sätze könnten dem Anschein nach auch von dem Gegner, da es sich hier um die Vorstellnug im engeren Sinn handelt, angenommen werden; indess wird sich leicht zeigen lassen, dass er auf einem ganz anderen Boden steht, denn grade in dem Punkt, auf den es hier vor Allem ankommt, wird er nicht zustimmen wollen. Es ist ihm nicht genug damit gesagt, dass Vorstellen ein Erneuern der B e z i e h u n g des Ich zum Nicht-Ich, welche im Wahrnehmen bestand, sein soll, sondern nach ihm ist Vorstellen eine ohne Empfindung vor sich gehende Reproduction nicht sowohl der im Wahrnehmen enthaltenen Beziehung, als vielmehr der Wahrnehmung selber. Dadurch gewinnt die Sache aber ein ganz anderes Gesicht, und es tritt hier wieder der fundamentale Gegensatz zu Tage in Betreff des Erkenntniss-Nicht-Ich Wahrnehmung überhaupt, welches nach der gegnerischen Meinung im Ich auftreten soll, während dasselbe als solches .dem ErkenntnissIch gegenüber für identisch mit dem Seienden von mir erklärt wird. Nach der gegnerischen Ansicht schafft das vorstellende Ich auf Grund einer Wahrnehmung ein neues Bewusst-Seiendes, nach der meinigen stellt dasselbe eine im Wahrnehmen gegebene Beziehung zum Seienden her, so dass Letzteres dann als Vorstellung dem Ich wiederum bewusstes Nicht-Ich ist. Beide Ansichten können sich in der Definition begegnen: Vorstellen heisst: wieder ins Bewusstsein rufen. Ich erwähnte, dass die Meinung von unserem Bewusstseinsinhalt als einem Bilde des Seienden ihre Quelle gerade in dem Phänomen, welches wir Vorstellung im engeren Sinn nennen, habe. Man erkannte nemlich ganz richtig, dass im Vorstellen dem Ich ein Seiendes irgendwie gegeben sei. Da man nun das „eigentliche" Seiende im Wahrnehmen des Ich gegeben wusste, und der Begriff Wahrnehmung und der des Seienden in Folge dessen so identisch wurden, dass man dies Seiende nicht nur in seinem primären Bewusstwerden, sondern im Bewusstwerden überhaupt durchaus an die Mittel des Wahr-

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Die Vorstellung.

nehmens gebunden glaubte, so war der Schluss nahe, dass das im Vorstellen gegebene Seiende nicht jenes im Wahrnehmen gegebene, sondern ein zweites, anderes sein müsse. Um eine Stelle, wo dieses letztere zu placiren wäre, war man nicht verlegen. Weil solche Reflexion gewöhnlich an sogenannte äussere Wahrnehmungen anknüpfte, deren sinnliche Vermittlung ζ. B. durch das Auge auf der Hand lag, und die selbst als a u s s e r h a l b des m e n s c h l i c h e n O r g a n i s m u s befindlich erkannt wurden, andererseits aber Vorstellungen ohne diese sinnlichen Mittel gegeben waren ζ. B. bei geschlossenem Auge, so kam leicht die Meinung auf, dass die Vorstellung als ein Seiendes im Innern des Menschen sich befinde, und die Ansicht vom inneren Sein war damit geschaffen. Weil aber dieses innere Sein dennoch als äusseres sich darstellte, da man eben des äusseren Gegenstandes in der Vorstellung sich bewusst wurde, so gesellte sich ebenso natürlich, die zweite Ansicht hinzu, dass das innere Sein ein Bild des äusseren sei. Durch den Glauben an das innere Sein wurde man nun verhindert, zu der Erkenntniss zu gelangen, dass als Wahrnehmung und Vorstellung ein und dasselbe Seiende gegeben wäre, und dass der vermeintliche Unterschied im Sein derselben sich in Wirklichkeit auf einen Bewusstseinsunterschied reducire. Aber der Umstand, dass ich doch die Vorstellung mit dem „Gegenstand" vergleichen kann, scheint die Behauptung, dass es ein und derselbe Gegenstand, auf den sich das Ich beziehe, sei, Lügen zu strafen. Nun habe ich jedoch schon sonst erwähnt, dass Vergleichung zwischen Seiendem als solchem und Bewusst-Seiendem eine Unmöglichkeit ist, da das eine Seinsobject, das andere ein Nicht-Ich bezeichnet; ein Seiendes kann nur mit Bewusst-Seiendem verglichen werden, wenn es selbst als Bewusst-Seiendes gegeben ist, denn nur zwischen Bewusst-Seiendem kann ich eine Vergleichung anstellen. Behauptet das naive Bewusstsein, die Vorstellung sei ein „Bild" des Gegenstandes, so muss der „Gegenstand" dann correcter als W a h r n e h m u n g bezeichnet werden.

Unterschied von Wahrnehmung und Vorstellung.

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Würde man nun auch einräumen, dass in der That, indem Vorstellung als ein solches Bild aufgefasst wird, ein Vergleich zwischen Vorstellung und W a h r n e h m u n g Statt hat, so könnte man dennoch wenig geneigt sein, anzuerkennen, dass im Vorstellen und Wahrnehmen ein und dasselbe Seiende gegeben sein. Müssten doch dann, wie es scheint, AVahmehmung und Vorstellung als Bewusst-Seiendes eben dasselbe sein, was zur Folge hätte, dass, da zum Vergleich stets Zwei gehören, dieselben als Eins seiend, nicht verglichen werden könnten. Dieser Einwurf würde begründet sein, wenn in der Erkenntniss nicht eine B e z i e h u n g des Ich zum Nicht-Ich, sondern ein S e i n s v e r h ä l t n i s s eines „Ich", d. i. mit Inhalt versehenen bewussten Ich zum seienden Erkeuntnissobject gelegen wäre; ein solches V e r l i ä l t n i s s von Bewusst-Seiendem und Seiendem könnte in jedem Fall nur Eines, dasjenige von Gegenstand und Bild, sein. Unter der Voraussetzung aber, dass das Erkennen nur eine bestimmte Beziehung von Ich und Nicht-Ich darstelle, könnte der Einwurf nur unter der unmöglichen Voraussetzung Grund haben, dass der Erkenntnissact Wahrnehmen und der Reproductionsact des Vorstellens auch als ein und d e r s e l b e erklärt würden. Wahrnehmen und Vorstellen sind aber weder gleichzeitig, noch haben sie die gleichen Mittel zur Verfügung; wären sie das Erstere, so hätten wir in diesen Worten einen und denselben Act, wäre das Letztere der Fall, so würde die völlig gleiche Beziehung zu dem Seienden in beiden Acten gegeben sein. Wahrnehmung und Vorstellung sind jedoch sowohl zeitlich wie auch als Bewusstes selbst zu unterscheiden: jener Unterschied ist dadurch gegeben, dass sie eben das Resultat der zeitlich verschiedenen Acte des Ich sind, dieser dagegen, weil das Wahrnehmen über Mittel verfügt, welche dem Vorstellen mangeln. Im W a h r n e h m e n h a b e n wir die p r i m ä r e , im Vors t e l l e n eine s e c u n d ä r e B e z i e h u n g d e s I c h z u m S e i e n den, und daher ist das Letztere gar wohl als z w e i e r l e i

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Die Vorstellung.

B e w u s s t e « , d. h. als ein zu verschiedener Zeit und unter verschiedenen Umständen gegebenes Erkenntniss zu unterscheiden. Diese Verschiedenheit von Wahrnehmung und Vorstellung hat ihre Quelle natürlicherweise nicht darin, dass sie ein und dasselbe Seiende, sondern darin, dass sie ein zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen dem Ich bewusst-gewordenes Seiendes sind. Auf alle Fälle aber beruht die M ö g l i c h k e i t d e r V o r s t e l l u n g s t e t s auf d e m G e g e b e n s e i n des S e i e n d e n als W a h r n e h m u n g . Meines Erachtens könnte man sich nun völlig genügen lassen mit der Erklärung, das Vorstellen sei die Erneuerung der Beziehung, welche das Ich zu dem Seienden als Wahrnehmung gehabt hat. Es ist dann hierbei nicht Sache der Erkenntnisstheorie, die Bedingungen, unter denen der Emeuerungsprocess vor sich geht, des Näheren zu untersuchen: dies bleibt der Psychologie überlassen. Diejenigen nun, welche das Ich im Vorstellungsact als Schöpfer eines Ebenbildes der Wahrnehmung, das im „Innern" ties Ich auftritt, auffassen, thun meiner Ansicht nach des Guten zu viel, da auch sie überdies die Erneuerung der Beziehung zum „Gegenstande" durch ihre innere Vorstellung annehmen müssen. Hier kann ich mich nie des Verdachtes erwehren, dass der Gegner, wenn er erklärt, durch die „Vorstellung" geschehe diese Erneuerung, Vorstellung und Vorstellen mit einander verwechselt, und dann sich gezwungen gesehen habe, das zur Vorstellung gewordene Vorstellen als ein inneres Bild des Seienden, welches letztere eben im Grunde selbst die Vorstellung ist, anzusehen. Man spricht in jenem Lager nemlich davon, dass ich Vorstellungen v o n Gegenständen habe; dies kann heissen: ich stelle Gegenstände vor, oder ich habe ein Bild von Gegenständen. Wird es nun, wenn vielleicht auch zunächst im ersten Sinne, dass ich nemlich eine Beziehung zu Gegenständen erneuere, doch schliesslich in dem zweiten Siniie gefasst, so kann es erkenntnisstheoretisch doch nichts Anderes bedeuten als: ich habe ein Bild von den W a h r n e h m u n g e n . Der naive Mensch verbindet nun auch in der That diesen

Die angebliche Einheit von Wahrnehmung u. Vorstellung.

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Sinn mit jenem Satz, da er unwillkürlich Wahrnehmung und „Gegenstand" identificirt. In einer noch schwierigeren Lage sehen sich aber diejenigen, welche auch Wahrnehmung schon als Bewusstseinsbiltl des „Gegenstandes" ansehen zu müssen meinen, gefangen, weil doch immerhin die Vorstellung nicht nur als ein zur Wahrnehmung, sondern auch zum Gegenstand im Yerhältniss stehendes Etwas von ihnen aufgefasst wird. Denn es erscheint ihnen doch unthunlich, die Vorstellung für ein Bild des Bildes des Gegenstandes zu erklären, weil die offenbare Beziehung des vorstellenden Ich auf das Seiende dadurch bedenklich indirect würde. Dies Bedenken ist meiner Meinung nach denn auch die Veranlassung, dass man von jener Seite (als classisches Beispiel dienen die Herbartianer) Wahrnehmung und die correspondirende Vorstellung als ein Bewusst-Seiendes proclamirte und beide Erscheinungen mit dem Wort Vorstellung belegte. Vorstellung im engeren Sinn ist dann nicht mehr ein Bild der Wahrnehmung, sondern die wieder über die Schwelle des Bewusstseins gehobene, nun Vorstellung genannte, Wahrnehmung selbst. Diese Ansicht der Herbartianer reizt zum näheren Vergleich mit der meinigen. Wenn man eine Schwierigkeit darin finden wollte, wie ich denn, da Vorstellen eine Erneuerung der zum Gegenstand als Wahrnehmung innegehaltenen Beziehung Seitens des Ich «ein soll, den Unterschied, welcher zwischen Wahrnehmung und Vorstellung offenbar besteht, erklären könnte, so tritt dieselbe Schwierigkeit, wenn es eine ist, nur noch im verstärkten Grade für den Herbartianismus auf. Dass das Vorstellen gegenüber dem Wahrnehmen das Seiende „unbestimmter, verwischter" dem Ich giebt, erkläre ich daraus, dass das Ich eben in der Beziehung zu dem Nichtich unterbrochen worden ist und eine ohne Empfindung vom Ich dann wiederhergestellte Beziehung an Schärfe gegenüber der früheren geringer sein wird. Schwerer dürfte den Herbartianern die Erklärung werden, da ihnen die Wahrnehmung ein im Ich seiendes Etwas ist real

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Die Vorstellung.

gegenüber dem „Seienden" oder dem a u s s e r dem Ich Existirenden; sie entsteht nach ihnen im Ich durch Empfindung d. i. durch sinnliche Vermittlung, bleibt aber dann „inneres Sein", auch wenn die Empfindung fehlt. Obwohl mit dem Spiegelbild verglichen, ist sie dennoch nicht wie dieses in der E x i s t e n z abhängig von dem sich spiegelnden Gegenstande, sondern nur in der E n t s t e h u n g . Dieser Unterschied giebt aber der Bezeichnung der Wahrnehmung als eines Bildes einen bedenklichen Stoss, der etwas gemildert werden kann, indem man dem Spiegelbild das moderne Photogramm unterschiebt. Dass Wahrnehmung und Vorstellung ein und d a s s e l b e Ichphotogramm des Gegenstandes seien, wird nun dadurch wahrscheinlich gemacht werden sollen, dass der Gegenstand auch nach Aufhören der sinnlichen Vermittlung ohne einen Unterbruch weiter vorgestellt werden könne und nicht etwa ein a n d r e s Bild an die Stelle der Wahrnehmung rücken müsse. Die Bemerkung enthält einen ganz richtigen Sinn, da im Wahrnehmen und Vorstellen das Ich allerdings die Erkenntnissbeziehung zu ein und demselben Seienden eingeht, so dass also keineswegs im zweiten Act ein a n d r e s S e i e n d e s an die Stelle des ersteren (Wahrnehmung) rückt; das Falsche in der Bemerkung ist nur die Bezeichnung des Erkenntniss-NichtIch Wahrnehmung als Bildes des Seienden. Alle Schwierigkeiten der Erklärung der eigentlichen Vorstellung entspringen auch diesem fundamentalen Irrthum. des Herbartianismus. Wäre nemlich die Wahrnehmung ein Etwas im Ich, so würde man noch die Thatsache, dass sie, indem ihre Existenz mit der Dauer der Empfindung endet, vergeht, nach Analogie der übrigen vergänglichen Dinge zu begreifen versuchen können. Wie aber eine verschwundene „Vorstellung", ein vernichtetes Etwas im Ich, wieder geschaffen werden solle von dem Ich, das dieses Etwas nicht mehr hat und dasselbe zudem auch als Wahrnehmung nicht aus sich heraus gewonnen hat, ist ein unlösbares Problem. Man kann hiebei nicht an die Analogie erinnern, dass Gegenstände vergehen, indem sie in ihre E l e m e n t e aufgelöst werden und auch wieder geschaffen werden

Die „unbewusste" Vorstellung.

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durch die Wiedervereinigung der Elemente; denn diese Analogie ist falsch. Die fraglichen Elemente der im Verschwinden begriffenen Wahrnehmung sind nemlich noch gar nicht entdeckt, und der alte griechische Spruch: „aus Nichts wird Nichts" verlangt sie doch gebieterisch, um das verschwundene „innere Sein" aus seinen Seinselementen wiederherstellen zu können. Es gilt hier nun für die Gegner, stramm bei der Fahne zu bleiben, und die Reproducirung der Wahrnehmung (des Bildes) mit derjenigen des Actes Wahrnehmen nicht zu verwechseln*), denn für den Herbartianismus kann es nicht ausreichen, einfach zu erklären: ich stelle die Beziehung zu dem Wahrgenommenen wieder her; er muss sich überdies Rechenschaft geben von dem Verbleib des durch Empfindung angeblich im Ich entstandenen Bewusstseinsbildes. Man könnte nun meinen, dass diejenigen, welche die Wahrnehmung nicht für eine „einfache Vorstellung" ansehen, vielmehr dieselbe zu einem aus „Empfindungen" componirten Bilde machen, in diesen Empfindungen die gewünschten Elemente entdeckt hätten, in welche jenes Bild beim Verschwinden zerfiele. Doch zu dieser Erklärung hat man nicht gegriffen, vielleicht, weil sie mit ebenso rein hypothetischem „innerem Sein" operiren müsste, denn nach Entschwinden der Vorstellung findet man mit dem besten Willen auch von diesen angeblichen Elementen nichts vor, — vielleicht auch, weil diese „Empfindungen" im Grunde selbst „einfache Vorstellungen" sind und daher in die allgemeine Untersuchung über die Vorstellung einbegriffen werden müssten. Da die durch Empfindung gegebene angebliche „Vorstellung" thatsächlich aufhört zu existiren für das Ich, dieselbe aber zugleich, um wieder für das Ich dasein zu können, keineswegs aufhören kann überhaupt zu existiren, so hat man sich *) Eclatant zeigt sich diese Verwechselung von psychischem Act und Nicht-Ich z . B . in der bekannten Behauptung H e r b a r t ' s , dass sich die w i r k l i c h e V o r s t e l l u n g ( d a s v o r g e s t e l l t e B i l d ) in ein S t r e b e n v o r z u s t e l l e n verwandelt.

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Die Vorstellung.

gezwungen gesehen, weil nun einmal die „Vorstellung" ein Bild im Ich sein sollte, zu den absurdesten Annahmen zu greifen. Da die Vorstellung nicht als Bewusst-Seiendes, sondern als Bewusstseinsgrösse im Ich, aufgefasst wurde, war es nicht unmöglich, zu der Ansicht zu gelangen, diese „Grösse" werde auch ohne das B e w u s s t s e i n s m e r k m a l weiter existiren können. Reminiscenzen aus naiver Zeit, wo der Gegenstand, welcher Wahrnehmung d. h. bewusstgeworden war, doch als Grösse auch nachher und ohne das Bewusstseinsmerkmal weiter existirte, mögen jene Ansicht gefordert haben, indem man unwillkürlich die Vorstellung nicht als Bewusstseins-Bild des Gegenstandes, sondern als einen inneren Gegenstand auffasste. Dadurch war der Phantasie Spielraum geschaffen und die unglückliche Bildhypothese beglückte die Wissenschaft mit einem neuen Product, gegen dessen Annahme sie sich noch bis heute nicht mit durchschlagendem Erfolg hat wehren können: nemlich mit der u n b e w u s s t e n V o r s t e l l u n g . Die Vertheidiger dieses Phantasma's als einer wirkenden Grösse werden sich stets leicht wehren können gegen die Angriffe derer, welche in den Vorstellungen, sofern sie nicht über der Schwelle des Bewusstseins sich befinden, nicht wirkende, sondern unschuldig stillliegende Grössen sehen. Das eine wie das andere Dogma ist ein Phantasiestück, und auch die Herbartianer können nicht umhin, die u n b e w u s s t e Vorstellung anzuerkennen. Denn es ändert nichts an dieser Thatsache, wenn auch von psychologischen Erkenntnisstheoretikern das odium der unbewussten Vorstellung dadurch vermieden werden möchte, dass man von „Resten" oder „Spuren" der Vorstellungen, nicht aber von ihnen selbst als zurückbleibenden redet. Hier giebt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sind diese Reste oder Spuren die eingetrocknete Quintessenz der „wirklichen" Vorstellungen, und dann gehört ihnen der Name „unbewusste Vorstellungen", oder sie sind nur eine durch das Wahrnehmen geschaffene Disposition sei es des Ich sei es des Empfindungsorganismus, die Beziehung zum Gegenstand zu erneuern: dann ist in diesen „Resten" aber auch gar kein

Das rein Erkenntnisstheoretische der Vorstellung.

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Rest der Vorstellungen, und die „Wahrnehmungen" müssen, wenn sie Bilder sind, als reine Spiegelbilder aufgefasst werden, die mit dem Gegenstande gänzlich verschwinden. Dieses Verschwinden aber kann von Herbartischer Seite wiederum nicht eingeräumt werden, da man doch, weil aus Nichts Nichts gemacht werden kann, etwas haben muss, um die B i l d e r , das sind die eigentlichen Vorstellungen, herzustellen. Desshalb wird die Vorstellung „Wahrnehmung" dennoch als latent irgendwie im Ich bleibend gedacht, wenn man sich das auch nicht vorzustellen vermag, und so ist man wieder bei den u n b e w u s s t e n V o r s t e l l u n g e n angelangt, die man doch perhoresciren möchte. lieber die unbewussten Vorstellungen und ihre angebliche Möglichkeit und Wirksamkeit kann ein endgültiges verneinendes Urtheil allein von dem Standpunkt aus gefällt werden, welcher Wahrnehmung und Seiendes als Identisches ansieht und Vorstellen einzig als Erneuerung der Beziehung, welche das wahrnehmende Ich zum Seienden hatte, auffasst. Auf diesem Standpunkt ist es selbstverständlich, dass unter Vorstellung nur Nicht-Ich und daher auch nur Bewusstes verstanden werden darf. Indess gesetzt den Fall, es hätte mit den latenten „Vorstellungen" als unbewussten Grössen im Ich seine wissenschaftliche Richtigkeit, so ist damit die Erklärung des eigentlichen Vorstellens d. i. Reproducirens nicht etwa erleichtert, und meine Bestimmung des Vorstellens muss in ihrem vollen Umfang zu allem Anderen noch hinzugenommen werden: dass Vorstellen nemlich die Erneuerung der Beziehung des Ich zu dem früheren Nicht-Ich Wahrnehmung sei. In der Erkenntnisstheorie aber handelt es sich, soweit die Vorstellung überhaupt in Betracht kommt, nicht um die Erklärung des Actes „Vorstellen", sondern um das erkenntnisstheoretische Verhältniss der Vorstellung, und es fragt sich hier: wie verhält sich das, was ich vorstelle, zu der als Wahrnehmung gegebenen Erkenntniss des Seienden. Weil im Acte des Vorstellens das Ich nicht in eine primäre Beziehung

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l)ie Vorstellung.

zum Seienden gesetzt und das Seiende als Bewusst-Seiendcs ihm nicht unmittelbar, „directe", gegenübertritt, so kann die solcher Art s e c u n d ä r e Vorstellung als Erkenntniss nur ihren Werth aus der Uebereinstimmung mit der Wahrnehmung schöpfen. So lange nun das Vorstellen des Ich ein einfaches Reproduciren der Beziehung, welche das .wahrnehmende Ich zum Seienden inne hatte, ist, tritt die Vorstellung als gleichwerthiges Erkenntnisselement neben ihre Wahrnehmung; und gäbe es keine andern Vorstellungen als diese, so würde der Dualismus mit seiner Bildhypothese leicht aus dem Felde zu schlagen sein, da diese sich dann auf den ersten Blick als durchaus überflüssige herausstellte; der Erklärungsapparat für diese Vorstellung als Erkenntnisselement würde durch jene Hypothese nur schwerfälliger, ohne irgend einen Nutzen als Entgelt zu bieten. Nun ist hier aber durchaus nöthig, die Vorstellung als Erkenntnisselement rein in ihrem e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Sinne aufzufassen, und nicht S e i n s v e r h ä l t n i s s e auf sie selbst zu übertragen, wie es von Seite des Dualisten geschieht. Die Versuchung, auf diesen Abweg zu gerathen, liegt allerdings in der e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Uebereinstimmung der Vorstellung mit ihrer Wahrnehmung, welche eben die Annahme einschleichen lässt, die Vorstellung sei überhaupt in der ganz gleichen Lage dem Ieh gegenüber wie die Wahrnehmung, d. h. sie sei auch W a h r n e h m u n g so zu sagen. Ich erinnere nur an das „innere Auge", das „innere Ohr", um zu zeigen, wie gebräuchlich es ist, die Vorstellung zu solch einer Art Wahrnehmung zu machen. In dem Acte des Wahraehmens thut sich aber zugleich, weil Wahrnehmen nur durch Empfindung möglich ist, ein S e i n s v e r h ä l t n i s s des als Wahrnehmung gegebenen Seienden zu dem dies Wahrnehmen des Ich vermittelnden Organismus kund, welches als sgtlches das e r k e n n t n i s s t h e o r e tische Verhältniss des Seienden zum Ich nicht berührt, wohl aber nebenhergeht. Dieses S e i n s v e r h ä l t n i s s des erkannten Seienden zum Organismus f e h l t nun natürlicherweise beim

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Vorstellung: secundäres Nicht-Icb.

V o r s t e l l e n , welches eben nicht durch Empfindung vermittelter Act ist, und einzig u n d a l l e i n wird durch dasselbe das erkenntnisstheoretische oder das frühere B e w u s s t e e i n s v e r h ä l t n i s s zum Seienden Seitens des Ich w i e d e r h e r g e s t e l l t . Da man nun aber meinte, man könne doch im Vorstellen nicht nur auf frühere Wahrnehmung in seinem Bew u s s t s e i n sich b e z i e h e n , sondern müsse auch in diesem Acte etwas „haben", so genügte die Bewusstseinshabe nicht, sondern man machte V o r s t e l l u n g eben zu einer Grösse, welche als i n n e r e s S e i n ein Seinsverhältniss erhielt zu dem mit dem „inneren Auge" und „inneren Ohr" ausgestatteten „inneren Empfindungsorganismus" des Ich. Dies sind aber rein phantastische Constructionen, und mögen sie auch aus dem löblichen Bestreben, erkenntnisstheoretische Begriffe zu veranschaulichen, hervorgegangen sein, so ist das Aufnehmen dieser Veranschaulichung um ihres gefahrlichen Characters willen, der sofort in den Dualismus hineinzieht, doch zu verwerfen. Wenn man erkannt hat, dass Vorstellung als solche das Seiende nur, sofern es vorher als Wahrnehmung N i c h t - I c h war, ist, dass mit ihr also nicht zugleich ein Seinsverhältniss des erkannten Seienden zu dem das Erkennen vermittelnden Organismus des Ich wiederum gegeben sein kann, so wird man die Bildhypothese auch in Ansehung der einfachen Vorstellung verwerfen müssen, weil eben mit derselben zugleich das Seinsverhältniss anzunehmen wäre. Ich halte den Punkt, welcher die Auffassung dessen, was die Erkenntnisstheorie im engeren Sinne Vorstellung nennt, regelt, für einen überaus wichtigen, da gerade in dieser Angelegenheit oft mit wunderbarer Laxheit verfahren wird. Man meint über alle Schwierigkeiten hinaus zu sein, wenn die Erklärung abgegeben ist, die Vorstellung sei ein Bild des Seienden, unsere Vorstellungen machen das Bewusstsein aus, welches letztere sich als ein Spiegelbild des Seins präsentire, — in der That aber hat man sich nur um so mehr verrannt, weil eben die Vorstellungen gar kein Seinsverhältniss zeigen können, sondern einzig und allein N i c h t - I c h sind. Da sie aber in der That für das R e k i n k e , Die Welt als Wahrnehmung u. Begriff.

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Die Vorstellung.

menschliche Bewusstsein nichts Anderes als e r k e n n t n i s s theoretische Objecte sind, so können sie nie als Grössen eines (sei es auch nur „inneren") Seins aufgefasst werden, ohne dass man in Betreff ihrer in den grössten Irrthum gerathe. — Auf diesem Irrthum beruht nun aber gerade jene weit verbreitete Verbrüderung von Erkenntnisstheorie und Psychologie, die von H e r b a r t vorzüglich beschützt worden ist; dieser nahm daher auch keinen Anstand, in der Psychologie, welche die Wissenschaft von den T h ä t i g k e i t e n der Seele sein soll, mit dem e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Object „Vorstellung" zu arbeiten. Scheinbar that er dies mit vollem Recht, denn die Seele war ja als das „Innere" des Menschen bekannt, warum sollte man dann in der Psychologie nicht gerade vor Allem mit dem „inneren Sein", dem Bewusstsein d. i. nach Herb a r t mit den Vorstellungen sich beschäftigen. Es fehlte hierzu nur ein kleiner Umstand, die Berechtigung dieses Vorgehens zu erhärten, nemlich der Nachweis, dass die Vorstellung „inneres Sein" ist, aber leider, dieser Nachweis kann nicht geliefert werden. H e r b a r t ' s Schule indess fährt fort, in ihrer Psychologie mit den Vorstellungen zu arbeiten, welche von ihr zuweilen im erkenntnisstheoretischen Sinn als Object, zuweilen im psychologischen als Act (Vorstellen) gebraucht werden; und da meint man noch, in der Philosophie über nichts klarer zu sein als über die Vorstellung, welche „offenbar" das Bewusstseinsbild des Seienden sei. Was nun die durch einfache Reproduction der Beziehung für das Ich ohne Empfindung gewonnene Vorstellung betrifft, so liegt kein Grund vor, in ihr das Seiende in seinem rein e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Verhältniss zum Ich zu verleugnen und sie in dieser Hinsicht als das Seiende selbst anzusehen. Hier hat der.Monismus also in keiner Weise dem Dualismus zu weichen, was ein Jeder einsehen wird, welcher in das Seiende als Vorstellung nur nicht wieder zugleich ein Seinsverhältniss zum Organismus des Ich hineinlegen zu müssen glaubt; mit Letzterem würde die Vorstellung nicht mehr Vorstellung, sondern eben W a h r n e h m u n g sein.

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Die Phantasievorstellung.

Die Dualisten können aber die einfache Vorstellung nicht als einen Beleg anführen, dass die Wahrnehmung Bild des Seienden sei, weil sie, um die erstere überhaupt als Bild legitimiren zu können, schon die Annahme, dass Wahrnehmung ein Bild sei, zur Voraussetzung nöthig haben. Weil wir aber gesehen haben, dass die Wahrnehmung an sich kein Merkmal trägt, welches darauf führen könnte, sie für das Bild des Seienden und nicht für das Seiende selbst zu halten, so ist bis dahin der Dualismus in der That schlecht berathen. Auch der Umstand, dass sich das Ich, unter bestimmten Umständen seines Organismus, auf das als Wahrnehmung früher gegebene Seiende so intensiv wiederbezieht, dass es das Seiende gleichsam „vor sich" zu haben meint, spricht nicht für die Vorstellung als inneres Sein und als ein Bild des äusseren Seins, sondern vielmehr für den Monismus. Aber noch eine Position besitzt der Dualismus, in die er sich schiesslich zurückzieht, um etwa von hieraus später das verlorene Gebiet zurück zu gewinnen. Diese Position bietet die P h a n t a s i e v o r s t e l l u n g . Ich bezeichne mit diesem Worte alle diejenigen Vorstellungen, welche nicht auf dem einfachen Wege der Reproduction der Wahrnehmungsbeziehung gegeben sind. Was wird nun der Bilderverehrer mit dieser Art Vorstellungen anfangen? Ihre Existenz muss auch er abhängig machen von zwei Bedingungen, die eine ist das die Beziehung wiederherstellende Ich, welche zugleich die andere in sich schliesst, dass nemlich Wahrnehmung vorhergegangen sei. Beides aber setzt auch schon die „einfache" Vorstellung voraus; es wird also noch ein anderes Moment hinzukommen müssen und dieses ist das combinirende, construirende Ich. Dieses wird auch der Monismus anerkennen. Nun aber entsteht für den Dualismus die Schwierigkeit, wo er im „inneren Sein" den Platz für all die Phantasievorstellungen gewinnen will, die natürlich alle, sowohl wenn sie b e w u s s t sind, als auch wenn sie wieder unter der S c h w e l l e des B e w u s s t seins liegen, placirt sein sollen: das müsste ja in Kurzem

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Die Vorstellung.

die grösste Wohnungsnoth geben im lieben Ich. Entgegnet jedoch darauf der Dualist, von solcher Noth sei erfahrungsgemäss niemals die Rede, so Hesse sich dieser „mildernde" Umstand wohl besser, als durch Annahme von unendlich kleinen Bewusstseinsplätzen auch für die grössten Vorstellungen, dadurch erklären, dass diese Vorstellungen überhaupt nicht im Ich „wohnen". Der Dualist wird aber nun seinerseits den Monisten fragen, wie er denn die Phantasievorstellung mit seinem Princip reimen wolle, da die Vorstellung ja mit dem Seienden identisch sein solle, die Phantasievorstellung aber offenbar nichts Seiendes darstelle. Dieser Einwurf kann nur von der falschen Voraussetzung aus, dass Seiendes und Wahrnehmung gleichbedeutende Begriffe seien, begründet erscheinen; wäre nemlich Letzteres richtig, so könnte die Phantasievorstellung, da sie in der That von der Wahrnehmung verschieden ist, in keiner Beziehung Seiendes sein. Indess wissen wir, dass dieselbe aus Vorstellungen, welche auf einfacher Reproduction der Wahrnehmungsbeziehung beruhen, combinirt und construirt ist; i n s o f e r n also diese Seiendes sind, muss jene es auch sein; sie sind es nun einzig in e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e r Hinsicht, und enthalten nicht etwa zugleich ein S e i n s v e r h ä l t n i s s , also fehlt auch das Letztere der Phantasievorstellung. Sie hört demnach auf, sobald die Beziehung des Ich auf seine früheren Wahrnehmungen zu Ende geht, während die W a h r n e h m u n g als Seiendes auch nach Aufhören der Beziehung des erkennenden Ich weiter existiren kann. Um es noch einmal zu wiederholen: die Phantasievorstellung hat ebensowenig wie die einfache Vorstellung ein Seinsverhältniss an sich, dessen ungeachtet aber kann sie doch das Seiende in seinem erkenntnisstheoretischen Verhältniss zum Ich sein. Dieser Umstand, dass jenes durchaus fehlt, dieses aber da ist, macht es dem Ich allein möglich, seine Phantasie mit dem rein erkenntnisstheoretischen Object arbeiten zu lassen, was ihm eben um j e n e s S e i n s v e r h ä l t n i s s e s willen mit dem Seienden als W a h r n e h m u n g absolut unmöglich ist.

Die Phantasievorstellung.

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Die Phantasievorstellung ist also ebenfalls nur desshalb möglich, und das Ich kann nur desshalb erkenntnisstheoretisch combinirend und construirend mit dem Seienden verfahren, weil es im Vorstellen nicht zugleich an das Seinsverhältniss, welches die Wahrnehmung als Seiendes mit sich führt, gebunden ist. Dieses schliesst nun freilich keineswegs aus, dass die Phantasievorstellung mögliche Wahrnehmung, also nicht nur im e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Sinn das Seiende sei. Es wäre aber zu weit gegangen, wollte man dieselbe als ein primitives Bewusst-Seiendes selbst und damit auch als ein Erkenntnisselement des Seienden neben die Wahrnehmung stellen, denn damit würde die Phantasieconstruction derselben einfach verneint. Ein solcher Abweg ist wohl schon zuweilen von der Menschheit betreten worden, wie die Neuplatoniker mit ihrer Ekstase beweisen, aber immer wieder hat der Mensch in den einzig richtigen Erkenntnissweg, welcher die Wahrnehmung allein als Erkenntnisselement aufstellt, eingelenkt. Dabei ist indess die Phantasievorstellung für das Erkennen selbst nicht ganz ausser Acht zu lassen (um von anderen Gebieten menschlicher Geistesthätigkeit hier zu schweigen), weil sie immerhin mögliche Wahrnehmung und dem erkennenden Menschen daher ein Wegweiser sein kann für die Erkenntniss. Auf alle Fälle aber ist auch in Ansehung der Phantasievorstellung der Monismus in keiner Weise gezwungen, seinem Princip untreu zu werden; die mannigfaltige Beziehung, welche das combinirende vorstellende Ich zu den mannigfaltigen früheren Wahrnehmungen wieder herstellen, und in Folge deren es das als Wahrnehmung früher gegebene Seiende seiner willkürlichen Verknüpfung als vorstellendes unterziehen kann, erklärt genügend jene Phantasievorstellung und zeigt sie in ihrem reinen und dazu willkürlichen erkenntnisstheoretischen Charakter. Der Dualist seinerseits, welcher, ohne die Vorstellung als Bewusstseinsbild anzunehmen, nicht zur Erklärung der Phantasievorstellung gelangen zu können meint, nimmt anj dass letztere ein Gebilde in meinem „Innern" sei, wo das Ich

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Die Vorstellung.

mit dem Wahrnehmungsmaterial nach Willkür arbeite. Er bleibt aber den Nachweis schuldig, wo sich dieses „Innere" mit seinem Bildermaterial befinde. So zeigt sich denn, dass auch die Phantasievorstellung nicht Beleg sein kann für die Annahme, die Vorstellungen seien Bilder im Ich, da sie selbst schon das Bildermaterial zu ihrer Erklärung als Voraussetzung fordert, und da ferner der auf sie gestützte Einwand gegen die Behauptung des Monismus, Bewusst-Seiendes sei identisch mit dem Seienden, sich als unkräftig erweist, weil sein Inhalt: „die Phantasievorstellung entspreche nicht dem Seienden", keinen anderen Sinn hat als: sie entspricht nicht der W a h r n e h m u n g ; was der Monismus unbeschadet seiner Aufstellung und aus freien Stücken anerkennt. Hier ist nun auch der Ort, zusammenfassend ein endgültiges Wort zu sagen über den erkenntnisstheoretischen Dualismus und seine Auffassung des sogenannten Bewusstseinsinhaltes als eines Bildes des Seienden. Das Ich einen Spiegel der Welt nennen: ist ein anmuthiger Gedanke und ein schön klingendes Wort; aber es fragt sich, ob in ihm die Wahrheit und die richtige Erkenntnisstheorie begründet liege. Die Angelegenheit ist in kurzen Worten in's Reine zu bringen. Dem Dualismus liegt der Beweis ob, dass seine Vorstellungen Bilder des Seienden sind und diesen Beweis bleibt er schuldig: zunächst, was die Wahrnehmungen anlangt, dann auch in Betreff der Vorstellungen im engeren Sinn. Wer sich hinter diesen Vorstellungen noch ein Seiendes vorstellt, spielt entweder mit einer durchaus grundlosen Hypothese, oder aber er nimmt schon von vorneherein jenes Bewusst-Seiende als ein Inneres an, das real dem Seienden, d. h. im Grunde sich selbst gegenüber stehe, so dass (ein treffliches Beispiel der petitio prineipii) dasjenige, welches zur Erklärung des Bewusst-Seienden als eines Bildes dienen soll, erst selbst hypothesirt wird und zwar auf Grund der Annahme, dass die Vorstellung ja eben ein Bild sei. Veranlassung dazu gab die Vorstellung im engeren Sinn, welche ohne sinnliche Vcrmitt-

Grundlosigkeit des erkenntnisstheoretischen Dualismus.

103

lung vom Ich auf Grund der Wahrnehmung gewonnen wird. Ich und der menschliche Organismus wurden identificirt, die Sinnesorgane wurden als die Thore, durch welche die Bilder einzögen, angesehen, und wenn die Thore geschlossen waren, man aber doch Gegenstände vorstellte, so meinte man dies am Besten erklärt zu haben, indem angenommen wurde, dass die im Ich gefangenen Bilder wieder in's Bewusstsein gehoben würden. Nun fallt es aber keinem Menschen ein, in den Vorstellungen sich der Bilder von „Gegenständen" bewusst zu sein, sondern vielmehr der „Gegenstände" selbst. In Folge dessen erklärte man, dass wir unsere Vorstellungen auf Gegenstände beziehen. Wer aber sich als vorstellender nur ein Mal prüft, wird finden, dass dieses keineswegs der Fall, sondern nur, dass wir als vorstellende zu „Gegenständen" in Beziehung stehen und sie als Vorstellung selbst haben. Wo wir aber einmal wirklich Vorstellungen auf Gegenstände beziehen, das will sagen, mit ihnen vergleichen, da sind diese „Gegenstände" unsere W a h r n e h m u n g e n . Berkeley behält diesem Dualismus gegenüber stets Recht; denn dass die Vorstellung im allgemeineren Sinn ein Bild und nicht das Seiende selbst sei, bleibt stets eine grundlose Hypothese, die noch dazu die Schwierigkeit, eine Erkenntnisstheorie herzustellen, zu einer unüberwindlichen macht. In der erkenntnisstheoretischen Betrachtung kann es nur einen Gegensatz geben, den des Ich und des Nicht-Ich, jenes ist das logische Subject, dieses das Object des Erkenntnissprocesses. Sobald man dieses erkenntnisstheoretische Gegenüber zu einem Gegensatz zweier Seinsgrössen macht und demgemäss von Seiendem im Ich und Seiendem ausser dem Ich redet, hat man den Boden der Erkenntnisstheorie definitiv verlassen. Diese kennt kein Innen und Aussen,, sondern nur ein Erkenntniss-Ich und ein Seiendes, das durch den Erkenntnissprocess Nicht-Ich wird. Der scharfsinnige Berkeley sah die Unmöglichkeit ein, in erkenntnisstheoretischem Sinn von einem Nicht-Ich im Ich und einem ausser dem Ich zu reden, aber er war leider noch zu sehr in jener Auffassung von dem

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Die Vorstellung.

Bewusst-Seienden im Ich befangen, dass er, anstatt überhaupt „Innen" und „Aussen" ganz aus seiner Erkenntnisstheorie zu verbannen und einzig jenen Gegensatz von Ich und Seiendem anzuerkennen, nur das „Aussen" strich und das „Innen" als das Seiende ansah; in Folge dessen blieb er in der psychologischen Erkenntnisstheorie stecken. Erst die vollständige Befreiung von der falschen dualistischen Auffassung kann auf den richtigen Standpunkt führen und definitiv das fatale Bündniss der Psychophysik und der Erkenntnisstheorie sprengen. Dann wird die erstere nicht mehr mit den Vorstellungen, sondern allein mit dem Vors t e l l e n sich befassen, nicht mehr mit phantastischen „inneren" Grössen, sondern mit dem realen Process als solchem allein rechnen; die Erkenntnisstheorie aber erhält dann zugleich den ihr zukommenden Platz als grundlegende Wissenschaft vom Seienden als B e w u s s t - S e i e n d e m , und wird nicht mehr bei der Psychologie betteln, um schliesslich von ihr über das Bewusst-Seiende doch nur f a l s c h e n A u f s c h l u s s zu erhalten. Als Wahrnehmung und als ihre Vorstellung wird das Seiende dem Ich bewusst, und zwar als erstere primär, als letztere secundär bewusst: beide sind Ein und Dasselbe in Ansehung des Seins, sie sind aber verschieden in Bezug auf das Bewusstsein. Letzteres ergiebt sich aus der Art und Weise, wie das Ich als wahrnehmendes und wie es als vorstellendes zum Seienden in Beziehung tritt: dort auf Grund der Empfindung, hier, ohne dieses Hülfsmittel, nur auf Grund der im Wahrnehmen innegehabten Beziehung zum Seienden. Die Verschiedenheit besteht, weil dem Vorstellen die Empfindung nicht zu Gebote steht, in dem Grad der Deutlichkeit, wie das Seiende gegeben ist: die Vorstellung erreicht den Deutlichkeitsgrad der Wahrnehmung im besten Fall nur annähernd, sie ist aber trotz alledem erkenntnisstheoretisch dasselbe Seiende, welches vorher als Wahrnehmung dem Ich gegenüber stand, weil ja Vorstellen nur die Erneuerung der

Anschauung.

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Beziehung des ich zum Seienden als Wahrnehmnug bezeichnet. — Die Einerleiheit der Wahrnehmung und ihrer Vorstellung in Hinsicht des Seienden zu verkennen und die letztere für ein Bild der ersteren, das im Ich sich befände, zu halten, war nur möglich, wenn man das Mittel des Wahrnehmens, Empfindung, nicht bloss zur Bedingung des W a h r n e h m e n s , sondern auch zum characteristischen Merkmal des Seienden machte. In diesem Fall würde der empfindungsfähige Organismus an die Stelle des zum Seienden vermittelst dieses Organismus in Beziehung stehenden Ich, das Mittel also an die Stelle des Agens gesetzt. Im erkenntnisstheoretischen Interesse liegt es nun, die Begriffe Wahrnehmung und Vorstellung scharf auseiüanderzuhalten, die Wahrnehmung als das durch Empfindung, die Vorstellung als das durch Reproduction der Beziehung, welche im Wahrnehmen da war, dem Ich gegebene Seiende zu bestimmen. Nicht weniger heilsam als die Fixirung des Sprachgebrauchs in Hinsicht des Wortes Vorstellung wird für die philosophische Wissenschaft die Bestimmung des Wortes Anschauung sein, welches gleichfalls, wie das Wort Vorstellung, mit dem Gebrauch von „Wahrnehmung" in Conflict kommt, und durch Ueberschreitung seines eigentlichen Bezirks Anlass zu schiefen Auffassungen giebt. Wie man durch die übertriebene Verallgemeinerung des Gebrauchs von „Vorstellung" die Einführung der gar nicht dahin gehörenden Ansicht, dass das BewusstSeiende für etwas „Subjectives" gelten müsse, erleichterte, so förderte man durch Verallgemeinerung des Gebrauchs von Anschauung wohl in nicht geringem Grade die Meinung, dass die Empfindung das materielle Element der Erkenntniss sei. Ich habe gesagt: Verallgemeinerung der „Anschauung" habe Statt gefunden, vielleicht hiesse es correcter: Verengerung des Begriffsumfangs von „unmittelbar" Gegebenem, d. i. von Wahrnehmung. Diese Beschränkung ist seit K a n t vielfach geübt: „ver-

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Die Vorstellung.

mittelst der Sinnlichkeit werden uns Gegenstände gegeben, diese sind die A n s c h a u u n g e n " , schreibt K a n t . Ich würde statt Anschauungen sagen „Wahrnehmungen", und Anschauung diejenige Wahrnehmung nennen, welche vermittelst der speciellen „Sinnlichkeit" des Auges Nicht-Ich des erkennenden Ich ist. AY'enn nun mit der Anschauung im letzteren Sinne (und ich bin überzeugt, dass jeder Kantianer d i e s e n Begriff zunächst mit dem Wort verbindet) alles dem Ich gegebene Seiende erschöpft war, so konnte diese Beschränkung doch wohl geneigter machen, alles durch die übrige Sinnlichkeit dem Ich gegebene Andere eben nicht als dem Ich gegebenes NichtIch, sondern als Zuständlichkeit des Ich selber, d. h. als „Empfindung" anzusehen, da dasselbe offenbar nicht Anschauung war. Man sah dann als selbstverständlich an, was K a n t behauptete: „alles Denken muss sich zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann": Gegenstand, d. h. hier Nicht-Ich als Wahrnehmung. · Die Sinnlichkeit wurde dadurch auf das Auge, die Wahrnehmung auf die Anschauung beschränkt, und so selbstverständlich erscheint die Synonymität der letzten Worte heute manchen Kreisen, dass ζ. B. W u n d t schreiben kann: „Vorstellungen, welche sich auf einen wirklichen Gegenstand beziehen, nennen wir W a h r n e h m u n g e n oder A n s c h a u u n g e n " ; „dort legen wir auf die objective, hier auf die subjective Seite des Vorstellens das Hauptgewicht"*). Wahrnehmung und Anschauung sind hier Wechselbegriffe, aber wie es den Anschein hat, ist bei W u n d t nicht jenes Begriffs Umfang verengert, sondern der Umfang von „Anschauung" ei'weitert, da unter diesen letzteren Begriff auch die „Gehörsvorstellungen" fallen sollen. Es steht allerdings Jedem frei, sich'die Worte zu wähleu, aber immerhin wird man doch nicht ohne Noth Begriffe mit Worten und Worte mit Begriffen verbinden, die dem Geist *) W u n d t , physiol. Psychologie S. 464.

Der Begriff.

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der Sprache nach nicht zusammengehören. Wenn nun aber in irgend einem Worte eine Wegleitung auf einen ganz bestimmten Begriff gegeben ist, so, denk ich, ist dies im Worte Anschauung der Fall, welches die durch das Auge vermittelte Wahrnehmung bezeichnen will. Von diesem Sprachgebrauch abzugehen, liegt kein Grund vor, da für das Uebrige in dem Wort Wahrnehmung ebenfalls genügend gesorgt ist. Es soll nicht geleugnet werden, dass bei der Wichtigkeit desjenigen Seienden, welches durch das Auge dem Ich gegeben wild, dieses Bewusst-Seiende mit einer speciellen Bezeichnung, neinlich Anschauung, mit Recht bedacht worden ist, indess dieses Wort mit dem Wort Wahrnehmung zu identificiren, sei es dass man den bisherigen Umfang des ersten auf den des zweiten erweitert, oder denjenigen des zweiten auf den des ersten verengert, kann ohne irgend welchen Nutzen sein und nur Verwirrung und falsche Meinung hervorrufen. Bleibe man daher dabei, das durch Empfindung vermittelte Bewusstsein überhaupt Wahrnehmung zu nennen, in deren Umfang als ein für das Erkennen wichtiger Theil die Anschauung gestellt wird.

6.

D e r Begriff'.

Das Bewusstseinsmaterial ist mit Wahrnehmung und Vorstellung nicht erschöpft, als Drittes kommt zu beiden noch hinzu der Begriff. Wie die Vorstellung, so hat auch der Begriff das primitive Bewusst-Seiende, Wahrnehmung, zur Voraussetzung: ohne W a h r n e h m u n g gewesen zu sein, k a n n das Seiende weder V o r s t e l l u n g noch Begriff s e i n , was aus dem einfachen Umstände resultirt, dass die Wahrnehmung allein das primäre Bewusst-Sein ist, auf das daher alles secundäre, also wohl Vorstellung als auch Begriff angewiesen ist. Indem nun das Ich jene Wahrnehmungsbeziehung zu reproduciren vermag, hat es das Seiende als vorgestelltes NichtIch, und indem es Wahrnehmungen respective Vorstellungen

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Der Begriff.

zu unterscheiden und zu vergleichen im Stande ist, wird ihm das Seiende begriffenes Nicht-Ich, d. i. Begriff. D a s S e i e n d e a l s B e w u s s t - S e i e n d e s i s t also W a h r n e h m u n g , V o r s t e l l u n g u n d Begriff. So einfach und natürlich diese Eintheilung unseres gesammten Bewusst-Seins, sowie die Behauptung, auch der Begriff sei Nicht-Ich, d. i. bewusst gewordenes Seiendes, dem Monisten erscheinen muss, so quer liegt Beides für den erkenntnisstheoretischen Dualisten. Um den Einwand gegen diese Eintheilung richtig zu würdigen, ist es angemessen, dem Dualismus auf sein Gebiet zu folgen und hier seine Gründe zu erwägen. Den Fall angenommen, er habe sich mit der Ausscheidung der Wahrnehnehmung aus dem Begriffsumfang Vorstellung versöhnt, was in den meisten Fällen die Identificirung von „Wahrnehmung" und „ ä u s s e r e r " Gegenstand voraussetzte, — so sträubt er sich doch, nun aus demselben Umfang auch noch den Begriff auszuscheiden. Es gilt, hier etwas weiter auszuholen und noch einmal zur „Vorstellung" überhaupt zurückzugreifen*). „Die Vorstellung ist das psychische Bild individueller oder Einzelcxistenz" erklärt der Dualist, „sie ist theils Einzelvorstellung, die auf Ein Individuum (oder auch auf an Einem Individuum Befindliches) geht, theils allgemeine Vorstellung (notio) welche letztere, auf eine zusammengehörige Gruppe von Individuen (oder doch von solchen, was an Individuen sich findet) bezüglich, die nächste psychische Grundlage des Begriffes ausmacht" **), „der Begriff (notio) ist diejenige Vorstellung, in welcher . . . " ***). Man wird sofort bemerken, wie sich die laxe Verwendung des Wortes Vorstellung durch die Undeut*) Ich folge den 3. Auflage. **) A. a. 0 . 92. ***) A. a. 0 . 114.

Ausführungen U e b e r w e g s in

dessen

Logik,

Die „allgemeine" Vorstellung.

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lichkeit und Verwirrtheit der Darstellung rächt: Die Vorstellung soll zerfallen in Einzel- und allgemeine Vorstellung und letztere bilde die psychische Grundlage des Begriffes: dies Beides zusammen lässt sich aber nicht reimen mit der Behauptung, der Begriff sei Vorstellung. Entweder ist jene Eintheilung und die Definition des Begriffs richtig: dann kann die allgemeine Vorstellung nicht die psychische Grundlage des Begriffs sein, da der Begriff selbst allgemeine Vorstellung wäre; oder mit der allgemeinen Vorstellung als Grundlage und mit der Definition des Begriffs hat es seine Richtigkeit: dann ist die Eintheilung des Begriffs \ f orstellung zu eng und zur Einzel- und Allgemein-Vorstellung gesellt sich als dritte der Begriff; oder endlich die Eintheilung des Begriffs „Vorstellung" und die Auffassung der allgemeinen Vorstellung in ihrem Verhältniss zum Begriff ist eine correcte: dann ist die Definition, der Begriff sei Vorstellung, falsch, und dieser muss nun als ein besonderes p s y c h i s c h e s Gebilde in den Augen des Dualisten auftreten. Man wird sich hier wohl für die erste der drei Auffassungen zu entscheiden haben, nach welcher der Begriff eine „allgemeine" Vorstellung sein soll, und es ist jetzt zu prüfen, was für eine Bewandtniss es mit der „allgemeinen" Vorstellung habe*). „Das Wort Vorstellung wird hier nicht in der Bedeutung: reproducirte Wahrnehmung gebraucht" schreibt Ueberweg; nach ihm fallt auch Wahrnehmung**) als Bild des *) U e b e r w e g ' s Unterscheidung zwischen der allgemeinen Vorstellung und dem „Begriff" hat für diesen Fall keine Bedeutung. **) Der laxe Gebrauch des Wortes Wahrnehmung, hier für den psychischen A c t und dort für das Erkenntnissobject, tritt auch bei U e b e r w e g zu Tage; zuweilen kann man zweifelhaft sein, was der Sinn einer bestimmten Stelle sei: ζ. B. „die Wahrnehmung (Act oder Object?) ist die unmittelbare Erkenntniss des Existirenden; die äussere Wahrnehmung (Act oder Object?) ist auf die Aussenwelt, die innere auf das physische Leben gerichtet". Aber auch neben einander braucht U e b e r w e g das Wort in verschiedenem Sinn: S. 67: «Das skeptische Argument, dass die Uebereinstimmung der Wahrnehmung (Object) mit dem Sein

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Der Begriff.

Seienden unter den Begriff der Vorstellung, des „Bildes individueller Existenz"; er nennt aber die Wahrnehmung mit dem bestimmteren Namen „Einzelvorstellung oder Anschauung". Freilich muss sie nun den Namen mit der reproducirten Wahrnehmung und ihren Combinationen theilen, da auch diese, wie sie „auf ein Individuum gehen". Vom dualistischen Gesichtspunkt aus selbst betrachtet, kann diese Fixirung des mit dem Worte Einzelvorstellung zu verbindenden Begriffs nicht zweckmässig erscheinen, weil durch dieselbe das erkenntnisstheoretische Abhängigkeitsverhältniss der Einzelvorstellung im engeren Sinne und der Wahrnehmung gänzlich vertuscht wird. Indirect allerdings, aber das kann der Erkenntnisstheorie nicht genügen, wird dennoch jenes Abhängigkeitsverhältniss statuirt, indess nicht als ein E r k e n n t n i s s - sondern als ein S e i n s v e r h ä l t n i s s der Abhängigkeit des psychischen Bildes im Ich von dem „Individuum" ausser dem Ich. Das „Individuum" ist offenbar nur die doppelt gesetzte Wahrnehmung (im Ich und ausser dem Ich), so dass also doch die Einzelvorstellung im engeren Sinn abhängig erschiene von der Wahrnehmung; aber hier kommt eben Alles auf den Ausdruck an, weil es sich nicht um die Thatsache als solche (denn die bleibt natürlich dieselbe), sondern um ihre Auffassung handelt. Die Einzelvorstellung im engeren Sinne wird nun eben nach der gegnerischen Fassung nicht bestimmt in das erkenntnisstheoretische Abhängigkeitsverhältniss zur W a h r n e h m u n g gebracht, sondern gleich dieser und über deren Kopf gleichsam hinweg von dem Individuum selbst als dessen physisches Bild abhängig erklärt. — Dies hat aber zur Folge gehabt, das Gebiet der Vorstellung eigentümlich zu erweitern. Weil nemlich die Benicht erkennbar sein würde, da die sinnliche Wahrnehmung (Object) nie mit ihrem Objecte, sondern immer nur mit einer anderen Wahrnehmung (Object) verglichen werden könne. Der Zweifel wird verstärkt durch die Reflexion über das Wesen der sinnlichen Wahrnehmung, denn diese muss als ein A c t unserer Seele ein subjectives Element in sich tragen."

Die „allgemeine" Vorstellung.

Ill

ziehungΟ des vorstellenden Ich auf das Seiende nicht völligΟ abhängig gemacht wurde von der Wahrnehmung, so dass Vorstellung nun als ein selbständiges psychisches Bild angesehen wurde, dachte man sich noch eine seltsame Vorstellung, welche zwar als psychisches Gebilde eines wäre, aber doch „auf mehrere Individuen ginge", dies Letztere aber wiederum nicht in dem Sinne, dass sie die Combination mehrerer Individuen abbilde, sondern vielmehr nur „die übereinstimmenden Merkmale derselben;" „Bild von Merkmalen" — unfassbares Bild! „Wenn mehrere Objecte in gewissen Merkmalen und somit die Einzelvorstellungen von denselben in einem Theile ihres Inhalts (der Merkmale) übereinstimmen, so entsteht durch R e f l e x i o n auf die gleichartigen und A b s t r a c t i o n von den ungleichartigen Merkmalen in Folge des psychologischen Gesetzes der Miterregung und Verschmelzung der gleichartigen psychischen Elemente die a l l g e m e i n e V o r s t e l l u n g " . Ihr gegenüber ist das „psychische Bild der objectiven Einzelexistenz" die E i n z e l v o r s t e l l u n g genannt. Aus dem Gegensatz, in welchem die zwei Arten von „Vorstellungen" stehen müssen, geht aber hervor, dass die „allgemeine Vorstellung" mit Unrecht diesen Namen führt, da sie ja keineswegs ein „psychisches Bild individueller Existenz", wofür das Wort Vorstellung gebraucht werden soll, ist; dieselbe repräsentirt keineswegs eine oder mehrere „Objecte", ist keineswegs ein Bild derselben, sondern müsste ein „Bild" eines Merkmals derselben sein. Es lasst sich wohl noch auf dualistischem Standpunkt von ihr sagen, sie sei „auf eine zusammengehörige 6rruppe von Individuen bezüglich", dadurch aber verringert sich nicht der totale Unterschied zwischen ihr und der „Einzelvorstellung". Um so unklarer aber wird die Bezeichnung des angeblichen psychischen Correlate von gemeinsamen Merkmalen mehrerer Objecte, als das Wort Anschauung für ein Synonymon von „EinzelVorstellungen" angesehen wird und daher die „allgemeine Vorstellung" als B i l d nur noch schwerer zu fassen ist; denn das tertium comparationis, welches sie mit der

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Der Begriff.

„Einzelvorstellung", dem Bilde der Einzelexistenz, verknüpft, ist nur das dem „Objectiven" correlate „Subjective". Um dieses einen fingirten Umstandes willen (der selbst nicht einmal existirt, da der Gegensatz von Subjectivem und Objectivem in der Erkenntnisstheorie, wie sie wenigstens der Monismus begründet, nicht angewendet werden kann) sollte man aber seitens des Dualismus nicht an dem Namen allgemeine Vors t e l l u n g festhalten, weil nur gar zu leicht das in ihr Bezeichnete aufgefasst wird als Bild im Sinne der Einzelvorstellung. Vom Standpunkt des erkenntnisstheoretischen Monismus, welcher die Bildhypothese verwirft und Seiendes und BewusstSeiendes nicht als zwei Seiende auseinanderreisst, bleibt, da der Umstand des Correlatseins wegfallt, kein Grund mehr, das, was der Dualist Einzelvorstellung und was er allgemeine Vorstellung nennt, unter dem Begriff Vorstellung zusammenzufassen; es wird vielmehr die sogenannte allgemeine Vorstellung, da sie als Bewusst-Seiendes im scharfen Gegensatz zur Vorstellung, d. i. reproducirten Wahrnehmung, steht, auch ein scharf unterscheidendes Wort erhalten, nemlich Begriff. Im Uebrigen unterscheiden sich der monistische „Begriff" und die dur listische „allgemeine Vorstellung", wie sich bald zeigen wird, nur insofern, als das in ihnen Begriffene blos von verschiedenen erkenntnisstheoretischen Gesichtspunkten aus betrachtet •ist; sachlich ist es dasselbe, was hier Begriif und dort allgemeine Vorstellung genannt ist. — Vorstellung und Begriff stehen nun der Wahrnehmung in der Weise gegenüber, dass sie beide secundäres Bewusst-Seiendes sind, welches zu dem primären Bewusst-Seienden in einem Abhängigkeitsverhältniss steht; dieses aber ist für die Zwei ein durchaus verschiedenes. Während im Vorstellen die Beziehung zu dem wahrgenommenen Seienden reproducirt wird, ist das Seiende als Wahrnehmung selbst in dem Begriff für das Ich b e s t i m m t geworden. In dem Begriff hat das Ich im Verglich mit der Vorstellung einen Schritt vorw ä r t s gethan als e r k e n n e n d e s , indem zunächst die Wahrnehmung in ihm ein Merkmal aufweist, durch welches das

Das „Abstracte".

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Seiende in nähere Beziehung zum Ich getreten ist. Dieses Merkmal ist natürlich, gleich wie die Wahrnehmung, an der es erkannt wird, bewusst-gewordenes Seiendes; man nennt es, abgesehen von seinem Yerhältniss zur Wahrnehmung, Begriff. Die Untersuchung des P r o c e s s e s selbst, wie das Ich zu dem Begriff gelangt, ist Sache der Psychologie und gehört nicht in die erkenntnisstheoretische Erörterung, welche sich nur mit dem B e w u s s t - S e i e n d e n als solchem befasst. Der Begriff ist nun ebenso wie Wahrnehmung und Vorstellung ein Einzelnes, und für sich ein bewusst-gewordenes Seiendes; wie aber Vorstellung und Begriff als secundäre Erkenntniss von der Wahrnehmung sich abheben, so unterscheiden sich andrerseits Wahrnehmung und Vorstellung in dem Sinne von dem Begriff, dass die Vorstellung, gleich der Wahrnehmung, das Bewusstseinssubstrat zur Gewinnung eines Begriffs sein kann, was nicht Wunder nehmen wird, da die Vorstellung j a „reproducirte Wahrnehmung" ist. J e d e r B e griff tritt zuerst als Merkmal entweder an einer W a h r n e h m u n g oder an e i n e r V o r s t e l l u n g a u f , e i n e von beiden ist stets seine nothwendige B e w u s s t s e i n s V o r a u s s e t z u n g : an diesem Satze lässt sich nicht rütteln, und es bleibt deshalb dabei, dass die Wahrnehmung allein das primitive Bewusst-Seiende ist. Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff ist das bewusstgewordene Seiende überhaupt, und sie machen zusammen das gesammte Bewusst-Sein aus, denn in eine von diesen Rubriken ist Jegliches, was in unserem Bewusstsein auftritt, unterzubringen. Der nicht consequent ausgebildete Dualismus früherer Zeiten, welcher im directen Gegensatz zu B e r k e l e y noch Wahrnehmung und „Ding" derartig identificirte, dass jene nicht zum „inneren Sein" gerechnet wurde, hat wohl noch heftiger als der systematische Dualismus der Gegenwart gegen die Identität von Begriff und Seiendem polemisirt; mochte derselbe nun streng sensualistisch das Seiende in der Wahrnehmung allein gegeben denken, oder aber neben den WahrnehmungsRehmke,

Die Welt als Wahrnehmung n. Begriff.

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114

Der Begriff.

dingen noch ein andres Sein, auf welches sich die Begriffe bezögen, annehmen, immer waren ihm die Begriffe selbst ein „inneres" Gebilde des Ich, welches letztere seine Erkenntnissbeziehung durch dasselbe zu dem einen oder anderen Sein gewinnen sollte. Realisten und Nominalisten, Platoniker und Aristoteliker stimmten in diesem Punkte trotz sonstiger Gegensätze überein, und die „Subjectivität" des Begriffs erhielt nur einen noch reineren Character, je sensualistischer der Dualismus auftrat. Dieses dualistische Denken zeigt sich in instructiver Weise an der Bezeichnung des Begriffs als des A b s t r a c t e n . Der naive Sensualismus, welcher ja im Dualismus immer wieder durchbricht und den Dualisten die Wahrnehmung nicht als inneres, sondern vielmehr als das „äussere" Sein ansehen lässt, hat es verschuldet, dass der Begriff das Abstracte genannt ist. Man machte sich die Vorstellung, als ob derselbe als Seiendes aus der Wahrnehmung herausgehoben, von ihr abgezogen und als „inneres Sein" ins Ich hinein genommen würde. Die Benennung „abstract" verblieb dem Begriff auch, als der Dualismus consequenterweise ebenfalls die Wahrnehmung in's innere Sein aufnahm; sie blieb, weil auch dieser Standpunkt als Dualismus noch dem S e n s u a l i s m u s seinen Tribut zahlen musste. Denn die Wahrnehmung zeichnete ihm nicht bloss in primitiver Weise das Seiende, sondern das „wahre Sein" allein, und der Begriff als Bewusst-Seiendes entsprach demgemäss keinem Sein, sondern sollte sich nur als Gebilde des Ich und als Erkenntnissmittel für jenes Seiende, welches eben durch Wahrnehmen gegeben sei, ansehen lassen. Den Begriffen entspräche im Sein Nichts: ein Grundsatz, welcher dem strengen Sensualismus durchaus conform ist. Da der Dualist offenbar von dem Satze ausging, dass nur das p r i m i t i v e Bewusst-Seiende dem Erkennenden das „Sein" biete, so erklärt es sich, dass jene andre dualistische Partei, um dem Begriffe ein directes Verhältniss zum Sein zu sichern, und das hiess für sie, auch den Begriff zu primärem Bewusst-Seienden zu machen, ein andres Mittel primitiver Er-

Das „Allgemeine".

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kenntniss, als die Empfindung oder Sinnlichkeit, aufstellte, neralich den νοΰς. Weil sie aber dabei auch festhielten an der Ansicht, dass die Wahrnehmung eine primitive Beziehung zum Sein böte, so mussten sie zu der Annahme von zweierlei Sein, welchcs dem in zweierlei Art bestehenden primitiven Bewusst-Seienden entspräche, kommen. Von den reinen νοΰς-Erkenntnisstheoretikern her treten zwischen diese und die Nominalisten die aristotelischen Dualisten; sie verknüpfen die in beiden Ansichten enthaltenen Wahrheiten, indem sie die Wahrnehmung zur primitiven Erkenntniss machen und zugleich den Begriff auf das Wahrnehmungs-Sein selbst beziehen. Alle drei Parteien aber stimmen darin überein, dass der Begriff selbst etwas Abstractes sei; selbst die νοΰς - Erkenntnisstheoretiker weichen hievon nicht ab, insofern sie doch die Wahrnehmung und das ihr entsprechende Sein zu dem Begriff und seinem Seienden in Verhältniss zu setzen bemüht sind. Es ist aber durchaus unrichtig, den Begriff in diesem Sinn ein Abstractes zu nennen; diese Unrichtigkeit entspringt dem πρώτον ψευδός, Bewusst-Seiendes und Seiendes als inneres und äusseres Sein auseinanderzureissen. Der Begriff wird keineswegs durch Abstraction von Wahrnehmungen, sondern vielmehr an der Wahrnehmung durch Unterscheidung der einen von der anderen gewonnen, er ist es, durch welchen dem Ich das als Wahrnehmung noch unbestimmte Seiende bestimmt gegeben wird. Wir haben daher den Begriff stets zunächst an der Wahrnehmung respective an der Vorstellung als das Merkmal derselben. Durch Wahrnehmen wird das Seiende als Wahrnehmung, durch Unterscheiden als Begriff gegeben. Würde man nun jene das Concrete, diesen das Abstracte nennen, so käme leicht die falsche Vorstellung auf, als ob der Begriif nicht identisch wäre mit dem Seienden. Will man andrerseits mit dem Gegensatz des Concreten und Abstracten den Gegensatz des Besonderen und des Allgemeinen bezeichnen, so kann auch dieser an und für sich keine Anwendung finden auf Wahrnehmung und Begriff, denn 8*

116

Der Begriff.

sowohl jene als auch dieser sind Einzelnes, also Besonderes. Soll aber endlich damit nur gesagt werden, dass die Wahrnehmung das primitiv, der Begriff das secundär Gegebene sei, so ist es besser, um der Gefahr, Missverständniss zu erwecken, zu entgehen, dass man auf eine solche Bezeichnung verzichte, da sonst auch der Vorstellung das Prädikat abstract beigelegt werden müsste. — Es war der monistische Zug in Kants Erkenntnisstheorie, welcher ihn in Ansehung der Begriffsbildung den Ausdruck: „die gemeinsamen Merkmale abstrahiren" verwerfen und anstatt dessen sagen liess: von den ungleichartigen Vorstellungselementen abstrahiren. Wollte er nun consequent sein, so konnte dem Begriff das Prädicat a b s t r a c t nicht mehr zukommen; denn, wie schon erwähnt, der Monismus kann mit demselben keinen solchen Sinn verbinden, wie es der auf naiven S e n s u a l i s m u s sich gründende Dualismus vermag. Dieser letztere erklärt wohl: dass der Begriff abstract sei, gehe deutlich hervor aus dem Umstände, dass er nie für sich gegeben sei, sondern nur stets in der Wahrnehmung als Merkmal derselben. Fragt man nun, was unter dem „für sich gegeben sein" zu verstehen sei, so ergiebt sich die Auffassung, das bedeute „als Wahrnehmung gegeben sein", denn echt sensualistisch gilt nur dies letztere als das „Gegebene" überhaupt. Nun ist es allerdings über allem Zweifel erhaben, dass der Begriff nicht Wahrnehmung selbst ist, ebensowenig aber kann gerade der Dualist das Gegebensein des Begriffs leugnen, der gegeben ist nicht zwar vermittelst der Sinnlichkeit, aber auf Grund derselben und an der durch sie vermittelten Wahrnehmung vermittelst des „Verstandes". Und, sobald er erklärt, dass der Begriff durch Abstraction im Ich gewonnen werde, ist dieses Abstrahirte doch auch etwas für sich Gegebenes. So wird ersichtlich, dass hier Abstractes und Concretes schliesslich einfach Wechselbegriffe für Begriff und Wahrnehmung darstellen, indem das Bewusst-Seiende eingetheilt wird, insofern das Seiende zum Ich primär vermittelst

„Anschauung" und Begriff.

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der Empfindung oder secundär vermittelst der Unterscheidung in Beziehung steht. Aber in gewissen Kreisen will man dennoch von einem Fürsichgegebensein des Begriffs, da dasselbe die Möglichkeit, mit den Begriffen für sich zu operiren, eröffnet, nichts wissen, und seitdem Kant das Wort gesprochen hat: Anschauungen ohne Begriffe sind leer, Begriffe ohne Anschauungen sind blind, ist ihnen es ausgemacht, dass wir Menschen nur in „Vorstellungen" zu denken vermögen, also mit für sich gegebenen Begriffen nichts anfangen können. Jenes Wort Kant's hat die Veranlassung gegeben, Anschauung und Begriff einander schroff gegenüberzustellen, so dass über dem so scharf betonten Gegensatz ihr Zusammenhang unbeachtet gelassen wurde. Es musste aber nothw endig zu einer schiefen Auffassung fuhren, wenn man den Begriff nur als ein durch andere Mittel dem Ich Gegebenes erklärte, nicht aber zugleich das Abhängigkeitsverhältniss desselben zur Wahrnehmung hervorhob. Um bei der speciellen Wahrnehmung, welche Anschauung ist, stehen zu bleiben, so lässt sich das falsche der Kantischen Ansicht darauf zurückführen, dass der an ihr gewonnene Begriff nur als dieses andere Bewusst-Seiende, Begriff, nicht aber, um mich so auszudrücken, als A n s c h a u u n g s b e g r i f f betrachtet, und daher einfach neben die Anschauung gestellt und nicht erkenntnisstheoretisch unter sie geordnet wurde. Das Seiende aber ist mir zunächst als Anschauung und an der Anschauung dann ihr Begriff gegeben; dieser v e r l e u g n e t daher als Bewusst-Seiendes nie seinen Anschauungscharacter, obwohl er e t w a s für sich Bew u s s t - S e i e n d e s sein kann. E. v. Hartmann*) hat gegen die Gegenüberstellung von Anschauung und Begriff in der Kantischen Erkenntnisstheorie ebenfalls Bedenken geäussert, ist aber desshalb nicht zu einer glücklichen Bekämpfimg derselben gelangt, weil er einerseits auf den dualistischen Boden sich stellt und andererseits den *) Kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus S. 148 ff,

118

Der Begriff.

Begriff gegenüber der Anschauung auch für das „Abstracte" ansieht. Dies veranlasste ihn in's andere Extrem zu verfallen und den Begriff selbst Anschauung zu nennen. Er schreibt: „dass der abstracte Begriff vor der Einzelanschauung einen spezifischen Unterschied besitzt erstens in der Negation der abgestossenen individuellen Reste und zweitens in dem begleitenden Bewusstsein, eine vielen Einzelvorstellungen gemeinsame Vorstellung zu sein, das leidet keinen Zweifel; dass er aber etwas anderes sei, als eine mit diesen Nebenvorstellungen verknüpfte Einzelanschauung, das ist ein Irrthum. Alles Positive in unserem Bewusstseinsinhalt ist Anschauung und desshalb ist auch Alles, was an einem Begriff positiver Inh a l t ist, Anschauung, und selbst die Negation der individuellen Reste ist ein Begriff, an dem das einzige Positive die Anschauung des Aufhebens und Wegnehmens ist. Der Begriff ist also in der T h a t Anschauung, und wäre keine Anschauung mehr in ihm, so wäre er auch als Begriff aufgehoben." Den aufmerksamen Leser werden meiner Ansicht nach diese Sätze von der Nothwendigkeit, den philosophischen Sprachgebrauch des Wortes Anschauung zu fixiren, immer mehr überzeugen. Es unterliegt nemlich keinem Zweifel, dass Hartmann's Polemik die Kantische Aufstellung durchaus nicht trifft, weil in derselben das Wort Anschauung einen völlig anderen Begriff wiedergiebt. Anschauung ist nach Kant das direct durch die Sinnlichkeit Gegebene: und Hartmann wird nicht behaupten wollen, dass der Begriff in diesem Sinne Anschauung zu nennen sei. Wie mir scheint, hat Hartmann nicht unterschieden zwischen Anschauung als dem durch Empfindung primär und dem durch Unterscheiden an dieser Anschauung secundär bewusstgewordenen Seienden, da er anscheinend Beides mit dem Wort Anschauung bezeichnet. Sein Satz: „Alles Positive in unserem Bewusstseinsinhalt ist Anschauung", ist in Folge dessen durchaus nicht durchsichtig. Man durfte hier mit Grund erwarten, dass kurz gesagt wäre, was denn unter dem „Negativen" in unserem Bewusstseinsinhalt zu verstehen sei;

Die „Anschaulichkeit" des Begriffs.

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dies aber bleibt Hartmann schuldig, eben weil er nichts Negatives findet. Und doch erklärt er: „was an einem Begriff positiver Inhalt ist", sei Anschauung; dies erweckt die Meinung, dass im Begriff auch noch negativer Inhalt anzutreffen sei; würde man aber den letzteren in der von Hartmann angenommenen „Negation der individuellen Reste der Einzelanschauung" erkennen wollen, so erklärt Hartmann, dass auch dieses etwas Positives sei. Mit Recht! denn, wenn wir auch den Begriff als Bewusst-Seiendes von der Wahrnehmung unterscheiden, also ein negatives V e r h ä l t n i s s zwischen ihnen erkennen, so ist damit doch der Begriff als solcher durchaus „positiver" Bewusstseinsinhalt. So ist demnach, wenn unter unserem Bewusstseinsinhalt die Summe unserer Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe verstanden wird, die Bezeichnung des Positiven, weil der Gegensatz fehlt, etwas Ueberflüssiges und nur Irreführendes. Jener Satz: „Alles Positive in unserem Bewusstseinsinhalt ist Anschauung" hiesse correct: „Unser Bewusstseinsinhalt ist Anschauung", und dann ist es nur consequent, wenn Hartmann, weil Begriff zum Bewusstseinsinhalt gehört, schreibt: „Der Begriff also ist Anschauung": Bewusstseinsinhalt und Anschauung müssten ihm also identische Begriffe sein. Jedoch ist dieser Schluss nicht in Uebereinstimmung mit Hartmann's anderen Behauptungen, in welchen er, gegen den Kantischen Gegensatz von Anschauung und Begriff polemisirend, dem Begriff einen der Anschauung v e r w a n d t e n Inhalt vindiciren will. Hier unterscheidet auch er Anschauung und Begriff, nennt aber erstere die Einzelanschauung. Der Begriff ist ihm durch „Comparation, Reflexion und Abstraction" zu Stande gekommen, hat also eine andere Genesis als die „Einzelanschauung", dennoch aber sei er Anschauung, sogar nichts Anderes als die „mit Nebenvorstellungen verknüpfte Einzelanschauung". Meines Erachtens lässt sich in diesen Wirrwarr dadurch Ordnung bringen, dass man das Wort Anschauung einzig in desr Sinne des durch specielle Empfindung primär bewusstge-

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Der Begriff.

wordenen Seienden gebraucht und dem Wahren, welches in der Hartmann'schen Behauptung: „der Begriff ist Anschauung" liegt, dadurch gerecht wird, dass man den an der Anschauung gegebenen Begriff anschaulich heisst. Dadurch ist der Begriff als ein für sich Bewusst-Seiendes und als zu der Anschauung im Abhängigkeitsverhältniss Stehendes erklärt. Diese Wahrheit verallgemeinere ich nun dahin, dass ich den Begriff wohl für ein von Wahrnehmimg und Vorstellung verschiedenes, aber doch w a h r n e h m b a r e s und v o r s t e l l b a r c s Bewusst-Seiendes erkläre; niemals jedoch ist der Begriff als solcher W a h r n e h m u n g oder Vorstellung, sondern nur als Merkmal von W a h r n e h m u n g oder V o r s t e l l u n g möglich, was ich eben mit den Worten wahrnehmbar und vorstellbar zu bezeichnen suche. Weil aber das der Fall ist, muss der Begriff ebenso wie die Wahrnehmung für identisch mit dem Seienden, und nicht etwa für ein dem Sein gegenüberstehendes „inneres Sein" erklärt werden. Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff sind das nur verschieden bewusstgewordene Seiende, wobei aber die Verschiedenheit nicht derartig aufzufassen ist, als ob das Seiende in zwei von einander unabhängigen, und zu einander in Gegensatz stehenden Weisen bewusst würde, wie jene νοΰσ-Erkenntnisstheoretiker platonischer Gattung wollten, oder als ob die beiden Bewusst-Seienden, „Anschauung" und „Begriff" einander schroff gegenüber ständen, wie K a n t meinte. Der Begriff ist vielmehr das mit der Wahrnehmung innig verknüpfte und durch sie stets bedingte secundäre Bewusst-Seiende. H a r t m a n n hat die beiden Begriffe Anschauung und Begriff wohl deshalb nicht scharf auseinander halten können, weil er unter „Einzelanschauung" nicht das primitive Bewusstsein, sondern das schon bestimmte, also mit einem Begriff versehene begreift. Die Einzelanschauung, und daraus erklärt sich auch diese Bezeichnung, ist ihm das bestimmte, von Anderem schon unterschiedene Bewusst-Seiende, aus welcher dann der Begriff „abstrahirt" wird. Für die erkenntnisstheoretische Untersuchung ist jedoch der synonyme Gebrauch von „Einzel-

Das „Ding".

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anschauung" und „Ding" vom Uebel, weil die Meinung erweckt wird, als ob das wahrnehmende Ich als solches schon das Seiende als bestimmtes habe, während ihm dasselbe doch erst durch die unterscheidende Thätigkeit bestimmt, durch das Wahrnehmen aber nur als noch ganz unbestimmtes zunächst gegeben wird. Jene Hartmann'sche „Einzelanschauung" ist in der That sowohl Anschauung als auch Begriff, d. h. also das als „Ding" gegebene Seiende, welches eben A n s c h a u u n g und Begriff zugleich, oder, wie man auch sagen kann, b e s t i m m t e Anschauung ist. Diesen letzten Ausdruck füge ich darum hinzu, damit man nicht dem Gedanken den Sinn unterschiebe, dass das „Ding" aus zwei Seins-Grössen, Anschauung und Begriff, zusammengestellt sei. Das „Ding" selbst ist das bewusstgewordene Seiende, denn es ist natürlich, wie seine Bewusstseinscomponenten, identisch mit dem Seienden. In der Erkenntnisstheorie wird es gewöhnlich nicht beachtet, dass das Ding ein Bewusst-Seiendes ist, als welches das Seiende dem anschauenden und zugleich unterscheidenden Ich gegeben wird. Der Dualist pflegt dieses Ding als das dem Ich ursprünglich und zuerst gegenübertretende Sein aufzufassen, welches dann als Anschauung und Begriff im Ich abgebildet werde; er ist zu diesem ύστερον πρότερον genöthigt auf Grund seines erkenntnisstheoretischen Standpunkts, demzufolge das Bewusst-Seiende als ein inneres Sein dem „äusseren" Sein entsprechen soll; so wird dann das in der That aus Anschauung und Begriff bestehende Bewusst-Seiende, welches ja allerdings das Seiende i s t , als ein dem BewusstSeienden gegenüberstehendes Sein „Ding" fingirt, nach welchem die „Bilder", Anschauung und Begriff des Dinges, im Ich in Folge des Erkenntnissprocesses fabricirt würden. Vom Monismus muss dieses als ύστερον πρότερον verurtheilt werden, da das Bewusst-Seiende eben das Seiende selbst ist, insofern das Ich zu ihm in Beziehung steht; er erklärt, dass, wie das primäre Erkennen das Anschauen ist, die primitive Erkenntniss die Anschauung sein muss, auf welche erst als

122

Der Begriff.

secundäres Nicht-Ich das durch Unterscheidung bestimmte, also mit Begriff versehene Bewusst-Seiende, Ding genannt, für das Ich folgt. Dies zwar nicht in der Meinung, als ob das Ding, sofern es S e i e n d e s ist, gebildet würde durch Anschauung und Begriff, sondern dass es als Bewusst-Seiendes zu seiner Bedingung Anschauung und Begriff habe, d. h. dass die Beziehung zum bewusstgewordenen Seienden als „Ding" die doppelte Beziehung zum Seienden als Anschauung und Begriff in sich enthält. Das Ich ist ja nicht Schöpfer eines S e i e n d e n , sondern nur ein das Seiende erkennendes Ich. Die Verschiebung der Momente des Erkenntnissprocesses erscheint für den Dualismus aber durchaus gefordert; Anschauung kann nach ihm nicht früher als das angeschaute „Ding" sein, vielmehr soll jene das Photogramm des Dinges im Ich bilden, und demnach auch jene Bestimmtheit des Dinges im Abbild an sich zeigen. Man mag aus dieser dualistischen Vorstellung des Erkenntnissprocesses ersehen, wie weit ein falsches Bild von der richtigen Auffassung eines Vorgangs abbringen kann. Aber vielleicht den Schein des Rechtes hat der Dualist dennoch für sich: „muss denn nicht das, was ich als Seiendes und was ich an diesem erkenne, schon vorher seiend gewesen sein? So war also auch schon das Ding, bevor es in der bestimmten Anschauung gegeben wurde, mit seinen Eigenschaften vorhanden, also ist das Ding und nicht die Anschauung das Erste." Als ob es sich in der Erkenntnisstheorie um die Bestimmung des zeitlichen Verhältnisses zweier Seienden handelte·! Diese hat es vielmehr mit dem Bewusstsein und nicht mit einem Seinsprocess zu thun; sie will bestimmen: wie wird das Seiende bewusst?, und hier ist es keine Frage, dass dasselbe früher als Anschauung denn als Ding, d. i. bes t i m m t e Anschauung, bewusst wird. Man muss hierbei, um den Sinn dieser Sätze recht aufzufassen, nicht vergessen, dass Anschauung nicht weniger als Ding und Ding nicht mehr als Anschauung Seiendes ist, welches dem Ich als Nicht

Die „Theilvorstellung".

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Ich gegenübersteht; ihr Unterschied liegt nicht im Seins-, sondern im Bewusstseinsgebiet, wo sie sich eben als unbestimmtes und bestimmtes Bewusst-Seiendes von einander abheben. Diesen Unterschied hat der Dualismus zu einem Gegensatz von Bewusst-Seiendem („Einzelanschauung") und Seiendem („Ding"), und demnach, weil der Erkenntnissprocess Seiendes voraussetzt, das Ding zur Voraussetzung gemacht, welches in der Einzelanschauung sich abbilde. Wenn aber das sogenannte Ding ein aus Anschauung und Begriff bestehendes Bewusst-Seiendes, d. h. bestimmte Anschauung ist, so entsteht nunmehr die Frage, wie sich zu ihr der Begriff verhält. Ich will, bevor ich dies beantworte, bemerken, dass ich, was bisher von Anschauung gesagt wurde, nun auf alle Wahrnehmung beziehe, und die b e s t i m m t e Wahrnehmung überhaupt der Kürze halber ebenfalls mit dem Worte „Ding" bezeichne. Das Ding ist demnach Wahrnehmung und Begriff. Ist dieses nun so zu denken, dass das Ich zuvor sowohl Wahrnehmung als auch den Begriff für sich habe? Keineswegs, denn, wie ich früher schon angedeutet habe, der Begriff ist für das Ich zunächst als Merkmal an der W a h r n e h m u n g da. Also geht der Begriff dem Ding im Bewusstsein nicht voraus? Nein und Ja, wie man es nehmen will, für s i c h ist er s p ä t e r , an der Wahrnehmung ist er früher ein Bewusst-Seiendes als das Ding: als Seiendes aber ist er, früher und später, ein und dasselbe Seiende und nicht das eine Mal „äusseres", das andere Mal „inneres Sein". Diese Bewusstseinsverschiedenheit des Begriffs nun hat der Dualismus wiederum zu einer Seinsverschiedenheit machen und erst in seinem Fürsichbewusstsein den Begriff als solchen anerkennen wollen. Als Merkmal der Wahrnehmung sei er noch nicht Begriff, sondern „Theilvorstellung", also Wahrnehmung selbst. Dies hängt mit der Meinung zusammen, der Begriff als solcher sei stets etwas Abstractes, A l l g e meines, das sich in Folge dessen nicht als „Theilvorstellung" in einer Wahrnehmung, welche eben Einzelnes ist, vor-

124

Der Begriff.

finden könne; die Dinge sind dabei dann wieder zum Seienden als solchem, die Wahrnehmungen als Einzelvorstellungen zu Bewusstseinsphotogrammen der Dinge gemacht, und der Begriff ist nun jene „Allgemeinvorstellung", welche das den in gleicher Art bestimmten Wahrnehmungen (den Dingen) Gemeinsame repräsentirt. Damit ist aber der Begriff n i c h t als solcher, sondern in seinem V e r h ä l t n i s s zu mehreren Wahrnehmungen, welche ihn als Merkmal haben, bezeichnet; er aber als solcher hat im Bewusst-Seiu keineswegs dieses Verhältniss aufzuweisen, sondern ist als Bewusst-Seiendes gerade das und nichts mehr als das Merkmal der einen Wahrnehmung. Jene „Theiivorstellung" ist durchaus identisch mit dem Begriff, sie ist der Begriff, insofern er an der Wahrnehmung mir bewusst ist, und was der Dualist Begriff nennt, ist wieder eben dasselbe, nur insofern es sich als mehreren Dingen gemeinsam erwiesen hat und für sich bewusst ist. Will man nicht im Wortstreit hängen bleiben, so muss hieraus für Jeden klar hervorgehen, dass der Begriff schon an der Wahrnehmung gegeben ist, und dass ich ihn hier überhaupt zunächst erst einmal haben muss, um dann nachher ihn als mehreren Wahrnehmungen gemeinsam zu entdecken. Weil man ihn aber in diesem Stadium des Erkenntnissprocesses noch nicht zu haben glaubte (und dies muss eben zurückgeführt werden auf die dualistische Annahme, dass die ,,Einzelwahrnehmung'' das b e s t i m m t e Bild. des Dinges, welches als Seiendes gesetzt war, sei, und dass der Begriff ein inneres Sein für sich sein müsse, welches für sich einem Merkmal des Dinges entspreche) — so sah der Dualist den Begriff als etwas aus den v e r s c h i e d e n e n Wahrnehmungen erst Abstrahirtes, daher als ein A l l g e m e i n e s an, während in Wirklichkeit der Begriff für sich mit gleichem Recht, wie die Wahrnehmung, ein Einzelnes genannt werden muss. Zum Seienden als Begriff stehen wir also in zweifacher Weise in Beziehung, einmal und zwar zunächst, indem er an der Wahrnehmung auftritt und dadurch für uns das Seiende

Vorstellung und Begriff.

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als Ding gegeben ist, und dann, indem wir uns auf ihn für sich beziehen. Dieses Letztere ist nun freilich erst möglich, nachdem er uns an verschiedenen, d. h. an, in anderen Merkmalen verschiedenen, Dingen gegeben war; erst dadurch wird es uns möglich, ihn wiederum von anderen Begriffen zu unterscheiden, wie er selbst vorher dazu diente, die Wahrnehmung von anderen zu unterscheiden, in Folge dessen uns das Ding gegeben wurde. So stehen denn Ding und Begriff im Erkenntnissprocess in einem Doppelverhältniss zu einander, da der Begriff sowohl die Bedingung des Dinges als auch wiederum das Ding die Bedingung des Begriffs in seinem Färsichbewusstsein ist, und da das Letztere vor Allem von Wichtigkeit erscheint für den Erkenntnissprocess, so könnte man die Erkenntnissstadien des Seienden in dieser Hinsicht folgendermassen gruppiren: Wahrnehmung, Ding (d. i. Wahrnehmung und Begriff), Begriff. Wahrnehmung ist das A, der Begriff das Ο der Erkenntniss, beide berühren sich in dem Bewusst-Seienden Ding, welches Wahrnehmung und Begriff zugleich ist: alle drei aber, Wahrnehmung, Ding und Begriff sind das, in verschiedenen Weisen auftretende, bewusst-gewordene Seiende. Der bekannte Satz Kant's ist durchaus richtig: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind", denn durch den Begriff erst wird die Anschauung eine bestimmte. Die andere Hälfte aber: „Begriffe ohne Anschauungen sind leer", dürfte dahin corrigirt werden: Begriffe ohne „Anschauungen" d. i. ohne Wahrnehmungen-Vorstellungen sind unmöglich; und zwar ist dieser Satz sowohl in dem Sinne wahr, dass ohne Wahrnehmung·^Vorstellung kein Begriff gewonnen, als auch in dem anderen, dass keiner, ohne wahrnehmbar oder vorstellbar zu sein, gedacht werden kann. Das Erstere richtet sich gegen die Annahme von angebornen Begriffen, das Zweite bietet eine Vermittlung in dem Streite über vorstellungsmässiges und begriffliches Denken: jenes bleibt einer späteren Untersuchung aufgespart, dieses aber lässt sich schon hier ab-

126

Der Begriff.

wickeln, da das, was in dieser Hinsicht von den empirischen Begriffen gilt, auch auf die etwaigen übrigen Begriffe ohne Einschränkung seine Anwendung findet. — Fast hat es den Anschein, als ob der fragliche Streit schon längst zu Gunsten des vorstellungsmässigen Denkens entschieden sei. Die reinen Begriffe Hegels gewinnen dem Modernen nur noch ein mitleidiges Lächeln ab, und in gewisser Beziehung ist dieser auch berechtigt, die Zumuthung, begrifflich zu denken, von sich zu weisen. Denn, wenn Hegel Vorstellung und Begriff zu Gegensätzen macht und behauptet, dass im Begriff als solchem nichts „Vorstellungsmässiges" enthalten sei, so hat er entschieden Unrecht; ein solches „begriffliches" Denken gehört zur Unmöglichkeit. Wird jedoch dann von anderer Seite die Behauptung aufgestellt, der Mensch könne nur in Vorstellungen denken, so muss auch dieses beanstandet werden. Vielleicht wird sich nun der obwaltende Streit zum grossen Theil auf einen Wortstreit hinausführen und schliesslich, wenn in den Gebrauch der Worte Vorstellung und Begriff Ordnung gebracht ist, unschwer schlichten lassen. Würde Vorstellung allen Bewusstseinsinhalt bezeichnen, so könnte auch von Hegelscher Seite kein Einspruch dagegen, dass all unser Denken ein vorstellungsmässiges sei, erhoben werden. Die Gegner stellen jedoch Vorstellung und Begriff in Gegensatz, und daher wird ihnen, weil das Ich doch nur mit bestimmten Vorstellungen denken kann, „Vorstellung" die bestimmte Wahrnehmung-Vorstellung d. i. das als Ding bewusst-gewordene Seiende bedeuten, Begriff dagegen das Merkmal der „Vorstellung". Denken darf auf beiden Seiten gleich „logisch operiren", oder „mit Bewusstseinsinhalt operiren" gesetzt werden; die eine nun behauptet, der Mensch kann mit Begriffen allein, die andere, er kann nur mit ihnen als Merkmal an Vorstellungen operiren. Auch diese beiden Behauptungen aber lassen sich in einem und demselben Sinn interpretiren, so dass sie Gleiches aussagen. Der Begriff ist zweifelsohne stets zunächst Merkmal an einer „Vorstellung", dieses könnte also einfach nur als eine andere

Ding und Begriff.

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Bezeichnung für Begriff angesehen werden. Damit würde der Gegensatz jedoch nur verdeckt worden sein. Beide Theile stellen sich nemlich auf dualistischen Boden und sehen den Begriff als ein „inneres" Gebilde an, das aus den Vorstellungen abstrahirt und hergestellt worden ist; beide sehen auch dieses Gebilde als von der Vorstellung verschieden an. Nun behauptet Hegel's Gegner: dieses Abstracte kann ich nicht für sich denken, ich denke es als Merkmal an einer (concreten) Vorstellung, einem Dinge. Dagegen Hesse sich die Frage erheben, wie man denn zu den Begriffen überhaupt ale „Abstractem" kommen könne, wenn sich der Begriff nur als Merkmal an einer Vorstellung denken lässt; kann der Begriff überhaupt einmal· aus Vorstellungen a b s t r a h i r t , d. i. für sich gegeben sein, warum dann noch eine Schwierigkeit darin erblicken, dass derselbe auch weiterhin dem Ich für sich gegeben sein könne? Hier kommt es nur darauf an, ob er überhaupt je für sich gegeben sei, und dies liegt doch zu deutlich darin bejaht, dass auch die Gegner Hegels den Begriff das A b s t r a c t e nennen. — Dass sie dennoch bei ihrer Behauptung verharren, daran ist eine nach der entgegengesetzten Seite hin übertriebene Behauptung Hegel's Schuld, welche eben dazu geführt hat, das begriffliche Denken in schlimmen Credit zu bringen; sie erklärt, dass der Begriff als reiner Begriff, der sich ganz von der Vorstellung losgelöst habe, etwas von der Vorstellung gänzlich Verschiedenes sei, so dass im Denken des Begriffs nichts „Vorstellungsmässiges" d. i. keine Spur der Vorstellung, aus welcher er abstrahirt ist, mehr sich finde. Hiergegen konnten die Gegner mit Recht opponiren, denn ein „Abstractes" dieser Gattung konnte nichts Anderes als das reine Nichts sein. — Auf beiden Seiten also findet sich Wahres und Falsches. Man geht zusammen von der b e s t i m m t e n Vorstellung, dem Ding, welches Vorstellung und Begriff zugleich ist, aus. Hegel hat Recht, wenn er den Begriff für ein von der „Vorstellung" Ding verschiedenes Bewusst-Seiendes erklärt, er hat aber Unrecht, wenn er in dem Begriff nichts von dieser Vorstellung

128

Der Begriff.

zu haben meint, da derselbe doch zunächst an der Vorstellung gegeben war. Andererseits sind die Gegner auf falschem Wege, indem sie den Begriff, welcher freilich ursprünglich an der bestimmten Vorstellung auftrat, in seinem Bewusstsein ewig abhängig von dieser Vorstellung machen in dem Sinne, dass er einzig an ihr für das Ich gegeben sein, nie für sich vom Ich gedacht werden könne. Dazu verleitet sie einerseits die Wahrheit, dass der Begriff stets „vorstellungsmässig" ist, indem er sich als ursprüngliches Moment eines „Dinges" nie verleugnen kann, andererseits aber die falsche Ansicht, dass der Begriff als solcher etwas Allgemeines sei und desshalb in einer Vorstellung auftreten müsse, da, wie sie ganz richtig bemerken, der Mensch nur mit Besonderem und Bestimmtem operiren könne. Auf dem monistischen Standpunkt hat die soeben berührte Streitfrage keinen Sinn, denn sobald, was ja in Wirklichkeit von Seite beider Streitenden geschieht, zugegeben werden muss, dass das Ich den Begriff für sich haben d. h. also zum Seienden als Begriff in Beziehung stehen könne, steht die Möglichkeit, diese Beziehung sich zu erhalten, ausser Frage; nicht minder aber ist ohne Weiteres klar, dass das BewusstSeiende „Begriff" seinem Ursprung gemäss „vorstellungsmässig", und in Folge dessen vorstellbar sei, d. i. an einer Vorstellung als Merkmal auftreten, also vorgestellt werden könne. Hegel ist das Verdienst zuzuschreiben, dass er den Bewusstseinsinhalt Begriff wieder bestimmt von der Vorstellung abgegrenzt hat, und somit Begriff und Ding, denn unsre Vorstellungen sind stets bestimmte, scharf auseinanderhält. Das ist ja die Erbsünde der denkenden Menschheit, dass sie die Grenze zwischen Ding und Begriff bei jeder Gelegenheit zu überschreiten und den Begriff als bestimmte Vorstellung, anstatt als Merkmal an einem Ding, aufzufassen geneigt ist. Dieser eingewurzelten Neigung entsprang auch die Meinung, der Begriff sei eine allgemeine Vorstellung, ein Gemeinbild, und als Gegenstück trat ihr zur Seite die Behauptung, dass

Wie wird das Seiende bewusst?

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das Merkmal des Dinges eine Theilvorstellung oder, wie man sie auch nannte, abstracte Einzelvorstellung sei. Diesem Wirrwarr gegenüber ist es sicherlich angezeigt, dasjenige Bewusst-Seiende, welches, sei es als Merkmal an „Dingen" sei es für sich, im Bewusstsein gegeben ist, mit dem besonderen Wort Begriff zu belegen. Ueber die mögliche Identität des Begriffs und des Seienden brauche ich nicht weiter zu handeln, sie geht unmittelbar aus der Identität von Wahrnehmung und Seiendem hervor. Wenn ich früher in Ansehung des Erkenutnissprocesses den Bewusstseinsinhalt in Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff zerlegte, so kann ich nunmehr, insofern ich das BewusstSeiende als das bewusstgewordene Seiende knapper bestimmen will, dasselbe eintheilen in Dinge (da eben alle unsere Wahrnehmungen und Vorstellungen als bestimmte, gegen einander abgegrenzte und unterschiedene auftreten) und Begriffe. Mit Dingen und Begriffen hat es der weiter folgende Erkenntnissprocess, unter welchem man gemeiniglich das eigentliche Erkennen versteht, zu thun. Dinge und Begriffe machen das bewusst gewordene Seiende aus, mit welchem das denkende Ich operirt, um in ihnen das Seiende zu erkennen. Wenn ich ein Bild gebrauchen darf, um das erkannte Seiende darzustellen, so ist die Wahrnehmung die Wurzel, das Ding der Stamm, der Begriff die Krone des Baumes der Erkenntniss.

7. Die Welt: „Erscheinung" oder Sein. Die Lösung des Erkenntnissproblems: wie wird das Seiende bewusst? hat ihre erste Aufgabe vollendet. Wir wissen nunmehr, dass jene nothwendig scheinende reale Scheidung zwischen „Denken und Sein" auf grundlosen Voraussetzungen sich aufbaut, dass in uns nicht ein inneres Sein als Bewusstseinscorrelat des „äusseren" Seins durch den Erkenntnissprocess geschaffen Β β h 111 k β, D ie Welt als Wahrnehmung α. Begriff.

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

wird; vielmehr sprechen alle Gründe dafür, dass im Erkennen nur jene Beziehung des Ich zum Nicht-Ich hergestellt wird, durch welche dasselbe ihm eben als jenes Bewusst-Seiende, und zwar als Wahrnehmung-Vorstellung, Ding, und Begriff erkenntnisstheoretisch gegenübersteht. — Erkenntniss oder, wie man zu sagen pflegt, Denken, und Sein als zwei Seinssphären neben einanderstellen, dies bestraft sich unmittelbar dadurch selbst, dass nun der Denkprocess eben nicht als ein solcher, sondern als e i n S e i n s p r o c e s s behandelt wird; in dem Streben, Denken und Sein scharf auseinanderzuhalten, sieht man sich auf dem Standpunkt des Dualismus in der Behandlung des Denkens nicht mit einem B e w u s s t w e r d e n , sondern mit einem W e r d e n im „ S e i e n d e n " selbst beschäftigt, und man hat nicht einen e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n sondern einen p s y c h o l o g i s c h e n Process vor sich. Hätte man sich von vorneherein recht besonnen, so würde man nie angefangen haben, von einem Verhältniss oder einer Uebereinstimmung von Denken und Sein zu reden, und vielleicht wäre dann die abschüssige Strasse des erkenntnisstheoretischen Dualismus gar nicht betreten worden, wenn nicht etwa doch die Vorstellung als Bewusst-Seiendes das Ich veranlasst hätte, jene Phantasievorstellung vom inneren Sein dennoch zu bilden. Wie war es nur möglich, von einem solchen Verhältniss zu reden, einen Vergleich überhaupt für denkbar zu halten, da Denken einen A c t bezeichnet, das Sein aber n i c h t ! Während nun der Dualismus stets genöthigt wird, das Denken *), das Erkanntwerden des „äusseren" Seienden, als ein W e r d e n von i n n e r e m S e i e n d e n , also als einen Seinspro*) Das Denken als psychische T h ä t i g k e i t ist natürlich stets ein P r o c e s s e i n e s S e i e n d e n , nemlich der „Seele"; man wird mich indess wohl nicht missverstehen, wenn ich zugleich behaupte, das Denken sei kein S e i n s p r o c e s s , womit ja erklärt werden soll, dass durch das Denken kein „Seiendes", weder äusseres noch inneres, geschaffen, sondern allein die Bewusstseinsbeziehung des Erkenntniss-Ich zum Seienden hergestellt werde.

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Monismus und Dualismus.

cess zu erklären, entgeht der M o n i s m u s diesem Irrthum vollkommen, und vermag gerade, weil er Bewusst-Seiendes und Seiendes identificirt, den Denk- oder Erkenntnissprocess als einen in jeder Hinsicht vom Seinsprocess verschiedenen zu erfassen und aus der Erkenntnisstheorie in Folge dessen alle psychologischen Operationen, welche sich ja eben allein mit dem Seinsprocess beschäftigen können, fernzuhalten und den Versuchen, ihre Hülfe in Anspruch zu nehmen, zu widerstehen. Dies Letztere grade ist meines Erachtens ein hoch zu werthender Dienst, welchen der Monismus einer gesunden Entwicklung der Erkenntnisstheorie leistet. Nachdem jetzt im Vorhergehenden das Bewusstseinsmaterial gesichtet und die Identität wenigstens von dem Erkenntnissobject, Nicht-Ich, und demjenigen, was wir Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff nennen, hergestellt ist*), tritt die Lösung des Erkenntnissproblems in ihr zweites Stadium, um zu untersuchen, ob denn das Erkenntnissobject, das Nicht-Ich, wirklich das Seiende, oder nur Erscheinung sei. Diese Frage kreuzt sich mit der im Bisherigen behandelten Frage, ob Erkenntnissobject und Bewusst-Seiendes zweierlei oder identisch seien; sie kreuzt sich mit dieser, fallt aber keineswegs mit ihr zusammen, also dass etwa mit der einen auch auf alle Fälle, wie immer die Antwort gegeben werde, die andere beantwortet sei. — Die bisher behandelte Frage war eine rein erkenntnisstheoretische unter der hypothetischen Voraussetzung eines Seienden als der nothwendigen Bedingung des Erkennens des Ich; sie suchte dem Bewusst-Seienden seinen erkenntnisstheoretischen Platz anzuweisen. Die nunmehr aufkommende zweite ist eine erkenntnisstheoretisch-metaphysische Frage, welche die nothwendige Folge der ersteren bildet, ihr aber s a c h g e *) Man wird sich unschwer aus dem gewohnten dualistischen Geleise herausbringen und verhüten, wieder in dasselbe hineinzugerathen, wenn nur stets im Auge behalten wird, dass mit „Wahrnehmung'', „Vorstellung" trotz — und mit Schopenhauer das grammatische O b j e c t bezeichnet werden soll. 9*

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m ä s s nimmermehr voraufgehen darf, wenn auch der Entwicklungsgang der Philosophie in seiner Geschichte dieses Schauspiel n a t u r g e m ä s s zeigt. Die Lösung der ersten Frage ist, wie sich gezeigt hat, in dreierlei Weise möglich; es giebt zwei psychologisch-erkenntnisstheoretische und eine rein erkenntnisstheoretische Antwort. Die erste von jenen erklärt das Bewusst-Seiende als psychisches Bild des Erkenntnissobjects, die zweite derselben identificirt in monistischer Weise Bewusst-Seiendes und Nicht-Ich, sieht dasselbe aber als psychisches Gebilde an (Berkeley und K a n t ) , während die dritte Antwort, von psychologischen Zuthaten sich losmachend und gleicherweise vom Identitätsstandpunkt ausgehend, das Bewusst-Seiende als das dem Ich erkenntnisstheoretisch gegenüberstehende NichtIch erkeimt. Die zweite muss nothwendig in die dritte übergehen, sobald nicht nur halb sondern ganz mit dem Dualismus und dessen psychologischer Neigung gebrochen wird. Angesichts der zweiten Hauptfrage: „Ist das BewusstSeiende, respective das Nicht-Ich, „Erscheinung" oder Sein?" ändert sich die Situation; der Erkenntnisstheoretiker kehrt sein Gesicht nunmehr, anstatt dem Ich, dem S e i e n d e n zu, welches seine erkenntnisstheoretische Voraussetzung bildete, und fragt sich, ob denn das Erkenntnissobject, dessen er sich bewusst werde, das Seiende selbst sei. Die Parteien theilen sich in zwei Hauptlager, von denen das eine die bejahende, das andere die verneinende Antwort vertritt. Nun fallt diese Theilung aber keineswegs mit jener obigen in psychologische und reine Erkenntnisstheoretiker, auch nicht mit derjenigen in Dualisten und Monisten zusammen, sondern hüben und drüben zeigen sich aus beiden Lagern. Der reine erkenntnisstheoretische Monismus stimmt in dieser Frage mit einem Dualismus, wie ihn etwa U e b e r w e g vertritt, üherein: diese beiden bilden das eine Lager und bejahen die Frage. Auf der anderen Seite finden sich Dualisten und die psychologischen Monisten, stimmen aber keineswegs so rein unter sich überein, wie ihre beiden Gegner unter ein-

Die zwei Welten.

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ander. Hier giebt es vielmehr zwei Hauptunterabtheilungen, von denen die eine das Erkenntnissobject als eine „Erscheinung" ansieht, welche rein und allein vom Seienden gemacht ist ohne Zuthun des psychologischen Ich (Piaton), die andere dagegen ebendasselbe eine „Erscheinung" nennt, welche aber entweder nur zum Theil vom Seienden, zum Theil vom Ich, oder auch gänzlich vom Ich, jedoch auf Veranlassung des Seienden hin, geschaffen ist. — Wie sich zeigen wird, verlassen einfach die Letzteren, die Einen mehr die Anderen weniger, das Erkenntnissgebiet, und diejenigen unter ihnen, welche das Seiende von dem „Erkenntnissobject" Erscheinung radical loslösen, ein P i a t o n und ein K a n t , sehen sich dann, da nun alle eigentliche Erkenntniss, welche doch eben das Seiende betreffen soll, in die Brüche zu gehen droht, genöthigt, im Erkenntnissapparat ein Surrogat aulzustellen für das Verschwundene. Der Dualist P i a t o n versucht dies, indem er ein anderes Mittel p r i m ä r e r Erkenntniss gewinnt, anstatt der Empfindung nemlich den νοΰς, der Monist K a n t hilft sich in einer für ihn bei Weitem bedenklicheren Weise, indem er sich damit factisch, wenn auch nicht formell, auf den Boden des reinen erkenntnisstheoretischen Monismus begiebt: die Erscheinung wird von ihm für das Reale erklärt. Für den reinen erkenntnisstheoretischen Monismus liegt die Sache allerdings sehr einfach und klar: das Nicht-Ich muss als das Seiende selbst betrachtet werden, denn Seiendes und Nicht-Ich sind ihm Wechselbegriffe; dies Letztere freilich nicht im Sinne eines Berkeley, als ob alles Seiende NichtIch, und nur, indem es Nicht-Ich sei, Seiendes sei, sondern eben im Sinne des reinen erkenntnisstheoretischen Monismus, welcher alles reale Nicht-Ich für Seiendes erkennt. Diesen Standpunkt gilt es gegen die Gegner noch zu vertheidigen, nachdem derselbe in der Antwort auf die rein erkenntnisstheoretische Frage schon seine Grundlegung gefunden hat; jetzt heisst es vor Allem noch die Schwächen der gegnerischen Meinung aufdecken und zeigen, dass die Zwei-

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Weltentheoretiker den vollgültigen Beweis für ihre Behauptung nicht leisten können. Um das Bewusst-Seiende „Welt", d. i. um die Wahrnehmungsdinge in ihrem Verhältniss zum Seienden handelt es sich; ich will hier, damit dem Missverständniss vorgebeugt sei, ausdrücklich erklären, dass das Wort Welt nur in diesem Sinn von mir gebraucht wird; das Seiende andererseits soll allein jenes für das Erkennen des Ich nothwendig Vorauszusetzende, abgesehen von seiner etwaigen Beziehung zum Erkenntniss-Ich, bezeichnen. — Schon frühzeitig taucht in der Geschichte der Philosophie die Frage, ob die Welt das Seiende sei, auf, und es ist begreiflich, dass noch lange Jahrhunderte die Denker mit ihr beschäftigt yaren, bevor ihre sachgemässe Grundlage, die Frage nach der Identität-von Wahrnehmung und Nicht-Ich, aufgeworfen wurde. Urtheile, welche auf Grund von Wahrnehmungen ge bildet waren und mit einander in Widerspruch geriethen, gaben die Veranlassung, Zweifel gegen die Identität von Welt und Seiendem aufkommen zu lassen. Das Seiende selbst konnte ja unmöglich Widersprechendes an sich tragen: daher schob man die Schuld dem Wahrnehmen zu, und dies schon aus dem Grunde, weil die Reflexion über den Denkprocess des Menschen noch kaum angehoben war, wesshalb denn das Erste und Bekannte, nemlich das Wahrnehmen, mit der Schuld des Widerspruchs belastet wurde. „Die Sinne täuschen den Menschen": darüber waren schon Eleaten, Herakliteer und Atomiker bald in's Reine gekommen; die Wahrnehmungen liefern nicht das Seiende, sondern dies vermögen allein die Begriffe: erklärte bald darauf Piaton, und machte die Welt zu einem Schattenbild ohne Wesen. Anstatt in den Urt h e i l e n über die Welt die Quelle des Widerspruchs zu entdecken und dieselben nach der Welt umzubilden, verneinte man leichter die Identität von Welt und Seiendem. Mit sicherem Blick erkannte Aristoteles den Irrthum und

.Primäre und secondare" Qualitäten.

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setzte die Wahrnehmung wieder in ihr Recht ein: ή (χέν γαρ οΓσ&ηϋις των ίδιων αεί άλη&ης· dem Urtheilen aber wies er die Schuld jener Widersprüche zu. Piatons Schülerschaft indess hinderte ihn trotz alledem, die Welt in vollem Sinn wieder zum Seienden zu machen. Immerhin aber, wenn man absieht von der kurzen Blüthezeit der platonischen Realisten, ist dann bis in die Neuzeit hinein das Seiende wenigstens in der Welt gesehen worden, und diese wurde gehalten für eine Mischung von Sein und „Schein". So lange nun, bis die Frage nach der numerischen Identität des Bewusstseinsinhaltes und der Welt gestellt wurde, lebte man in Ansehung des Hauptpunktes in einer gelinden Dämmerung, in welcher die Steine des Anstosses, welche doch schon offenbar in der Ansicht der primären und secundären Qualitäten der Welt zu Tage traten, nicht gesehen wurden. Das Wahrnehmungsding sollte nach diesen Leuten das Seiende enthalten, daneben aber auch Nicht-Seiendes: dieses Beides präsentirte sich also nach ihrer Meinung in dem „Ding" der Wahrnehmung. Erkenntnisstheoretische Dualisten waren jene Philosophen allesammt bis auf die Zeiten Berkeley's; daher muss man sich noch fragen, ob sie das mit primären und secundären Qualitäten behaftete „Ding" nur als Bild in sich dachten, oder auch ausserhalb des Ich? Das Letztere nun war unmöglich, wenn sie jener Unterscheidung der Qualitäten getreu bleiben wollten, denn unter „Ding" verstand man das Seiende. Wurde das „Wahrnehmungsding" aber als Bild im Ich angesehen, so liess sich wieder fragen, mit welchem Recht man denn nur einen Theil des Bildes für wahr erklärte, da doch alle Qualitäten, ζ. B. auch Räumliches und Farbiges, durch die gleichen Mittel wahrgenommen würden. Entweder müssten doch alle oder keine Qualitäten dem Seienden entsprechen; um von dem Fundamentaleinwand ganz zu schweigen, woher denn das Wissen, das Bild entspreche dem Dinge, stamme, und wie ein solches möglich gedacht werden solle. In Wahrheit spukte hier auch d.er naive Sensualismus,

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welcher Wahrnehmung und Ding identificirend, sie durchaus zweideutig sprechen liess: „die Dinge erscheinen uns anders, als sie sind; wir sehen die secundären Qualitäten in die Dinge hinein", — während es correct heissen müsste: „die Bilder der Dinge, welche wir von ihnen haben, entsprechen ihnen nur zum Theil; denn zu dem wahren Theil unserer Wahrnehmung, welcher uns von Aussen kommt, setzen wir einen falschen hinzu". Diese Correctheit musste der Dualist selbst fordern, um seinen Dualismus nicht in die Brüche gehen zu lassen in Ansehung der Wahrnehmung; denn, dass das Ich etwas in die Dinge hineinlege, konnte doch pur bedeuten, es füge der durch die Dinge im Ich geschaffenen Wahrnehmung von sich aus etwas hinzu. Wenn aber genau zugesehen wird, so ist es nicht richtig, dass nach i h r e r Ansicht von dem Ich etwas hinzugefügt wird, da ihm vielmehr die sogenannten secundären Qualitäten gleichfalls von Aussen gegeben werden, wie die inneren, mit denen zusammen jene das Bild im Ich ausmachen sollen. Dieselben müssten demnach doch das „Bild" eines Seienden sein, und nicht der Wahrnehmung sondern dem falschen Urtheilen über das Verh ä l t n i s s des Wahrgenommenen zum Seienden, das will sagen: über die genaue Placirung des wahrgenommenen Seienden im Sein — wäre es zuzumessen, dass in der Wahrnehmung „Schein" und Sein gemischt enthalten zu sein scheint. — Wenn Demokrit schon erklärt hat, vojmo γλυκό, νόμψ πικρό, so hat er ganz Recht, dass er das Urthcil, in den Dingen selbst liege der süsse Geschmack, den wir wahrnehmen, verurtheilt, da dasselbe Wirkung und Ursache verwechselt; die W a h r n e h m u n g süss und bitter bleibt aber drum nicht minder real, und das Urtheil, dass die Dinge diesen Geschmack b e w i r k e n , nicht minder wahr. Will ich die Dinge desshalb als süsse und bittere bezeichnen, so steht dies frei, da die Berichtigung jenes ersten Urtheils schon vor einer falschen Auffassung bewahren wird. Umgekehrt aber ist es nicht statthaft, jene Eigenschaft „bitter" dem Dinge als Seiendem abzusprechen. Dies freilich hat auch Locke nicht gethan, sondern vielmehr

Locke.

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die „secundären Qualitäten" auf primitive Eigenschaften der Dinge, die freilich nicht wahrnehmbar sein sollen, als auf ihre Ursache zurückgeführt. In Locke's Erkenntnisstheorie ist aber seine Unterscheidung secundarer und primärer Qualitäten bei Weitem nicht so wichtig, als seine Behauptung, man könne nicht die Dinge selbst, sondern nur ihre Eigenschaften erkennen. Es ist dies eine der interessantesten erkenntnisstheoretischen Verirrungen, die denn auch Berkeley ad absurdum geführt hat, indem er zeigte, dass jene angeblich unerkennbaren „Dinge" ein Nichts wären. Bei einem so sensualistisch angehauchten Erkenntnisstheoretiker wie Locke muss es doppelt Wunder nehmen, dass er in der Erkenntniss nur die E i g e n s c h a f t e n des Seienden gegeben wissen wollte, und daher zu seinem Bewusstseinsinhalt ausschliesslich Begriffe machte, denn die „Vorstellungen" der E i g e n s c h a f t e n können nur Begriffe sein. Da das Ding nun Wahrnehmung und Begriff zugleich, d. i. bestimmte Wahrnehmung ist, so kann die Erkenntniss des Dinges daher nur heissen: das Ding als Wahrnehmung und Begriff besitzen; als erstere habe ich es durch die Vermittlung der Sinnlichkeit, als letzteren durch Unterscheiden, und im Begriff ist das Bestimmende enthalten, das durch die secundäre engere Beziehung des Ich zum Seienden gewonnen wird. Nicht aber das Bestimmende allein, sondern auch das Bestimmte, die Wahrnehmung, ist im Bewusstsein, sie kann freilich nie selbst Begriff sein, sondern einzig begriffen werden, andererseits aber auch ist der Begriff ohne W a h r n e h m u n g u n m ö g l i c h zu gewinnen. Das Reale besteht nicht etwa aus Wahrnehmung an sich, sondern aus bestimmten Wahrnehmungen oder Dingen, wie auch Locke annimmt, wenngleich er dabei die Wahrnehmung überhaupt dennoch für sich bestehend, an welche die Bestimmungen, Eigenschaften, sich anschliessen, denkt. Der Rest, welchen Locke, indem er das Ding analysirt, nach Abzug des Begriffs, d. i. der Eigenschaften, übrig behält, ist in Wirklichkeit wiederum ein Begriff, nemlich derjenige

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der Wahrnehmung, wird aber hypostasirt zur Wahrnehmung, d. i. zu einem bestimmten „Dinge", dessen einzige Bestimmung die allgemeine des Etwas ist und darin gerade sein eigentliches Wesen, Begriff zu sein, documentirt. Locke, der Sensualist, beschäftigt sich nur mit den Begriffen des Dinges, und verliert hierbei so sehr das Ding als Wahrnehmung aus den Augen, dass es ihm nach der Analyse, die er doch an einem Ding vorgenommen hat, nöthig erscheint, die Wahrnehmung, auch abgesehen von ihren Eigenschaften, noch einmal für sich als Ding zu setzen, welche aber natürlich, weil sie all ihrer Bestimmungen beraubt ist, nicht wieder bestimmt werden kann. Dieser psychologische Erkenntnisstheoretiker hat ausser Acht gelassen, dass die „Seele", bevor sie die „Vorstellungen", welche Copien der Eigenschaften des „Dinges" sein sollen, empfangt, die Wahrnehmung „Ding" hat, und dass jene nur entstehen können, wenn diese gegeben ist, so dass schon das Gegebensein des Bewusst-Seienden „Begriff" auf das Gegebensein des B e w u s s t - S e i e n d e n „Ding" und nicht nur des Seienden, „Ding", zu schliessen zwingt. Denn was zeigt Erkennen anders als Bewusstwerden des Seienden in Wahrnehmung und Begriff? Soviel nun auch L o c k e an der Möglichkeit, das Seiende zu erkennen, mäkelte, so wies er dennoch wenigstens eine Erkenntniss des Seienden innerhalb bestimmter Grenzen nicht ab, und die Welt war ihm daher in bestimmter Beschränkung doch das Seiende selbst. In den secundären Qualitäten aber wurde dem Ich oder, wie Locke sagte, der Seele ein grosses Stück der Welt als Eigenthum in dem Sinne zugeschrieben, dass nun die ganze Welt als ein Compositum von Seiendem und Seelenproducten erschien. Wie sich aber diese Ansicht vertheidigen lässt, ohne die Identität von Bewusst - Seiendem und Nicht-Ich aufzustellen, ist und bleibt ein Räthsel. In B e r k e l e y aber nahm der Process, die Welt aus der Seele hervorgehen zu lassen, so umfassende Dimensionen an, dass die Welt völlig in's Ich hereingenommen und die erkenntnisstheoretische Voraussetzung eines Seienden gestrichen wurde:

Kanl's Erscheinung.

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den Vorstellungen, welche im Ich entstehen, entsprechen nicht Dinge, sondern jene selbst sind das, was man bisher als Seiendes dem Ich gegenüber auffasste: die W e l t i s t m e i n e Vorstellung. Mit diesem Schritt war die Philosophie an das Ende des Möglichen gekommen; von E r k e n n e n im Sinne des mit diesem Wort bisher verbundenen Begriffs durfte nicht mehr die Rede sein, weil das Seiende als Erkenntnissvoraussetzung verneint war, und wenn auch von B e r k e l e y erklärt wurde, die Vorstellungen wären das Seiende, so erschien dies eher wie ein Verlegenheitsausdruck, um die aus der bisherigen Auffassung des Erkennens als Bewusstwerden des S e i e n d e n entstehenden Bedenken zu beschwichtigen. Erkennen konnte jetzt allein noch das widerspruchslose, durchsichtige Ordnen der Vorstellungen und Begriffe bedeuten; eine Beziehung des Ich aber auf ein Seiendes, dieser Kern alles Erkennens, war vernichtet. Neben solcher subjectivistischen Verneinung der Erkenntniss arbeitete H u m e auf dem von Locke eröffneten Wege an der skeptischen Verneinung derselben, obwohl auch er nicht nur von der Voraussetzung eines Seienden ausging, sondern auch die Möglichkeit irgend welcher Erkenntniss desselben durchaus zugestand. Dem in B e r k e l e y und H u m e mit bestechendem Scharfsinn erscheinenden Subjectivismus und Skepticismus suchte K a n t in seiner Erkenntnisstheorie entgegenzutreten, indem er das Nicht-Ich als „Erscheinung" schuf. K a n t war keineswegs so gut, wie B e r k e l e y , mit Gründen berathen, welche seine Behauptung, dass die Welt Erscheinung sei, stützen konnten. B e r k e l e y ' s Vorstellungswelt, welcher nicht eine zweite als Dingwelt gegenüberstand, liess sich sauber nachweisen, und er gebrauchte keiner weiteren Hypothese, um den bisherigen Dualismus als absurd zu beweisen. Der Nachweis aber, dass die Welt, welche B e r k e l e y subjectivistisch Vorstellung nannte, Erscheinung sei, konnte nur

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durch eine Hypothese ermöglicht werden. So lange diese aber Hypothese blieb, verlor der Beweis ebenfalls seinen hypothetischen Character nicht. In der Einleitung habe ich mich schon mit ihr beschäftigt, und gezeigt, dass sie (das Ding an sich) durchaus des wissenschaftlichen Merkmals entbehre, da sowohl Object als auch die Wirkung desselben fingirt seien. Gesetzt indess den Fall, die Hypothese sei berechtigt, so bietet die Begründung der Erscheinungswelt immer noch grosse Schwierigkeiten. Ich muss hierbei zunächst darauf aufmerksam machen, dass der Satz: „wir erkennen die Dinge nicht an sich, sondern als Erscheinung" unter Umständen ein schiefes Licht auf K a n t ' s Ansicht werfen kann, wenn man ihm diesen Satz so in den Mund legt, als ob die „Dinge an sich", selbst was ihre Existenz angeht, mehr als rein erkenntnisstheoretische Hypothese für ihn wären, denn der richtige Sinn des Satzes kann nur sein: „Die Dinge, d. i. die Welt ist nichts an sich Seiendes, sondern „Erscheinung". Schopenhauer schon hat K a n t missverstanden, nach einem in der Erscheinung verborgenen „Seienden" gesucht und dieses als Wille an's Tageslicht befördert zu haben gemeint. Man könnte jenem Satz in seinem rein Kantischen Sinne das Paradoxon entgegensetzen: „wir erkennen die Dinge in ihrem Ansich, nemlich als Erscheinung". Es ist ja keineswegs K a n t ' s Meinung, dass das Seiende zur Erscheinung komme, sondern er behauptet nur, dasjenige, welches in unsrer Erkenntniss sich befinde, sei Erscheinung, und diese erkennen wir bis auf den letzten Rest, wie sie „ist". Gar verfänglich erscheint es, anstatt: „die Dinge sind Erscheinungen" zu sagen: „die Dinge erscheinen uns", weil man eben dann nur zu geneigt ist, gleich S c h o p e n h a u e r , das Kantische Seiende irgendwie als diese Dinge („Objectivirung des Willens") dem Ich gegenüber auftreten zu lassen, während doch die Erscheinung K a n t ' s mit Haut und Haar ein Product der Sinnlichkeit und des Verstandes des Menschen ist, nicht aber, wie Locke es noch ansah, ein Compositum von Seiendem und Seelenproduct.

Kant's Erscheinung.

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Man kann nicht leugnen, dass K a n t selbst Veranlassung zu jener falschen Auffassung des Satzes: „wir erkennen die Dinge, wie sie uns erscheinen", gegeben hat, indem er das hypothesirte Seiende D i n g an sich nannte, und er selbst sogar ist dadurch zu zum Mindesten missverständlichen Aeusserangen verleitet worden; denn es lag zu nahe, die Erscheinung „Ding" mit diesem „Ding an sich" als ein Seiendes, das nur das eine Mal, sofern es zum Ich in Beziehung steht, das andere Mal als für sich existirend, bezeichnet wäre. Das Wort „Erscheinung" zudem ist ein irreführendes Wort, da es sowohl in dem Sinne, wie in dieser meiner Untersuchung das Wort Wahrnehmung, als in dem anderen der Berkeley'schen Vorstellung gefasst werden kann. Es gilt nun aber hier zu erwägen, in welchem Sinne und mit welchem Recht K a n t die Welt „Erscheinung" nennt. „Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung"*) schreibt K a n t , „heisst Erscheinung". Erscheinung ist also synonym mit meiner „Wahrnehmung", dem primitiven Bewusst-Seienden; während ich aber diese identisch mit dem Seienden erkläre, hält sie K a n t für ein Compositum aus Empfindung und reiner Anschauung des Menschen; die erste sei die Wirkung des Seienden (Ding an sich) auf unsere Sinn• lichkeit, die letztere sei die Form, in der unsere Sinnlichkeit jene Wirkung ordne. Die Erscheinung ist nach ihm also ein reines Product des Ich, nur dass die Materie derselben eine Wirkung des Seienden sein soll, die Form aber, „in unserem Gemüthe von vornherein bereit liegt". Was demnach in der Erscheinung gegeben ist, sind nach K a n t die in gewisse Verhältnisse vom Ich als sinnlichem Subject geordneten Empfindungen. Die Erscheinung als solche ist demnach sowohl von dem afficirenden Seienden, das die Empfindungen im Ich hervorruft, als auch vom sinnlichen Ich, welches die Anschauungsform für die Mannigfaltigkeit der Empfindungen liefert, abhängig.

*) Hier sollte richtiger stehen, wie ich früher zeigte: „des empirischen Anschauens".

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Die Erscheinung selbst ist nur ein Bewusst-Seiendes, in dieser Hinsicht also eine Berkeley'sche Vorstellung, obwohl von ihr insofern verschieden, als sie in ihrem Werden auch auf die Sinnlichkeit des Ich angewiesen ist, während sie nach B e r k e l e y eine reine Wirkung Gottes ist. Zur Genüge muss hieraus hervorgehen, dass K a n t , was die „empirische Anschauung" und die „Erscheinung" betrifft, dem Monismus angehört, da ein Wahrnehmungsbild („empirische Anschauung") der Erscheinung nicht mehr denkbar ist, denn das müsste stets die Erscheinung wiederum selbst sein. Was ist aber der Grund, dass dieses Bewusst - Seiende nun Erscheinung und nicht das Seiende selbst sein soll, da die Erscheinung doch nicht als Ding in, sondern a u s s e r dem sinnlichen Ich, welches a f f i c i r t wird, auftritt? Es würde ja keineswegs geleugnet, dass ein Ich da sein muss, damit BewusstSeiendes da sei, weil Bewusstsein stets eine B e z i e h u n g zwischen Ich und Seiendem darstellt! Die Kantische Antwort ist: weil die Erscheinung, z.B. „äussere Anschauung", ihre Form, Raum, vom Ich hat. Der Beweis, welchen K a n t für die reine Anschauung Raum angestrengt hat, ist von der Wissenschaft noch immer nicht für einen erschöpfenden anerkannt worden, so bedeutende Anstrengungen dafür auch von den Kantianern, in ausgezeichneter Weise wieder von H e r m a n n C o h e n , gemacht sind. Würde der Beweis zwingend sein, so müssten Alle ohne Ausnahme die Welt als Erscheinung anerkennen und jenes Seiende, welches der dem Ich gegenüberstehende, die Erscheinung mitbedingende, Factor sein soll, als ausser dem Erkennen stehend erklären. Damit wäre man allerdings dann doch noch nicht gezwungen, das „Seiende" als Grenzbegriff und das Erkennen als ein „begrenztes" anzusehen, weil ja das Erkennen im Kantischen Sinn gar nicht auf das Seiende, sondern nur auf das toto genere von ihm verschiedene Bewusst-Seiende allein geht, dasselbe daher mit diesem sein Ende erreichen würde. Denn Erkennen kann im Kantischen Sinn nur heisscn: das Bewusst-Seiende, d. i. die Erscheinung

Kant's Erscheinung.

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begreifen. Sobald der Kantianismus von Grenzen redet, setzt er eben neben jenes Seiende (Ding an sich) die Erscheinung als ein S e i e n d e s , welches bewusst wird, während sie selbst in Wirklichkeit doch das Bewusst-Seiende schon von vornherein ist und nichts Anderes sein kann. Man wird sich auf Kantischer Seite vielfach dieser einfachen Verschiebung der Erscheinung aus dem Gebiet des Bewusstseins in das des Seins, d. i. des unabhängig vom Ich Existirens nicht bewusst, und operirt erkenntnisstheoretisch mit ihr, wieBacon mit seinen Dingen. Hierbei ist es nöthig, sich stets gegenwärtig zu halten, dass die „Empfindungen" nicht etwa von Kant für das Mittel, um die vielleicht unabhängig von mir existirende „Erscheinung" zur bewusst-seienden zu machen, angesehen werden, sondern dass sie die Materie der Erscheinung selbst sein sollen. Schopenhauer hat als Kantianer in diesem Sinne mit Recht die Welt „meine Vorstellung" anstatt „meine Erscheinung" genannt. — Nun scheint es mir überhaupt, dass man sich vor Allem über den Ausgangspunkt, auf welchen Kant sich im Beginn seiner Erörterung stellt, und über die Voraussetzung, von welcher er ausgeht, klar sein und dieselbe in ihrer Berechtigung oder Schwäche geprüft haben müsse, bevor man an die Erörterung des Beweises vom Raum, der ja vor Allem die „Erscheinung" begründen soll, geht; vielleicht liegt in der nicht übereinstimmenden grundlegenden Anschauung der Freunde und Gegner die Erklärung dafür, dass jener, nach der Meinung der Kantianer so unumstössliche, Beweis dennoch keine allseitige Billigung gefunden hat. In die V o r a u s s e t z u n g des Erkennens hat Kant nicht bloss die beiden X : das transcendentale Subject und das transcendentale Object, oder das Ich und das Seiende, sondern dazu noch den „ e m p i r i s c h e n " Gegenstand Mensch, welcher die E i n d r ü c k e des transcendentalen Objects aufweist, hereingenommen. Wollte man nun auch jenes „Wirken" des Transcendentalen, so weit dieses Transcendentale selbst in Betracht käme, unbeanstandet lassen, so muss man sich doch fragen,

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Die Welt: „Erscheinung'' oder Sein.

wie denn Kant sich möglich denke dieses Wirken auf eine E r s c h e i n u n g , den sinnbegabten Menschen? Eine „Erscheinung" ist ihm doch nur das Erkenntnissproduct des erkennenden Subjects, abgesehen von diesem i s t sie n i c h t . Wenn nun der Erkenntnissprocess überhaupt eingeleitet wird nach K a n t ' s Meinung durch Eindrücke, welche der Mensch von dem Seienden erhält, und diese Ansicht aufrecht erhalten bleiben soll, so muss der Kantianer wenigstens diesen Menschen mit seinen Eigenthümlichkeiten auch als S e i e n d e s voraussetzen, und dieser Mensch würde dann das Schauspiel der Identität von Seiendem und „Erscheinung" d. i. Wahrnehmung im Kantianismus trotz aller Transcendentalität des sonstigen Seienden bieten. Bleibt K a n t aber seiner Transcendentalphilosophie treu, so lässt sich schlechterdings nicht einsehen, wie er in die transcendentale Voraussetzung des Erkennens den sinnlichen Menschen, der als solcher eine Erscheinung ist, mit hineinbringen will, es sei denn eben, dass er stillschweigend der Erscheinung dennoch das Seiende als Unterlage giebt, und in diesem speziellen Fall die Erscheinung seinem Seienden in Bezug auf die eigenartige Eindrucksfahigkeit hypothetisch identisch erklärt. Ohne eine solche Identität von Seiendem d. i. dem Kantischen Transcendentalen und der Wahrnehmung d. i. der Kantischen Erscheinung „Mensch" ist kein Sinn zu gewinnen für das Empfindungsding Mensch, welches ja als dieser empirische Gegenstand mit in die Voraussetzung des Erkenntnissprocesses hineingenommen ist. Wenn dieses Empfindungsding gestrichen würde und in Folge dessen das transcendentale Object auf das transcendentale Subject direct und nicht „vermittelst der Sinnlichkeit" wirkte, so wäre der reine Standpunkt B e r k e l e y ' s gewonnen; die Wirkungen würden die Dinge, d. i. die Vorstellungen des Ich sein. K a n t hat sich diesem subjectivistischen Standpunkte entzogen, indem er sich auf einen scheinbar noch subjectiyistischeren stellte, der in Wirklichkeit aber Subjectivismus und Willkür völlig unmöglich machte. Die Sinnlichkeit oder der sinnliche Mensch war als transcendentaler Factor wohl

Kant's Empfindung.

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dem transcendentalen Subject verbunden, aber trotzdem unabhängig von ihm in seiner Empfindungsfähigkeit, und zugleich bildete er den in der Erscheinungswelt von allen drei transcendentalen allein greifbaren Factor, so dass er gerade der feste Punkt für das empirisch Reale werden konnte, denn die empirische Realität der Welt beruht für Kant auf der Empfindung, wie die transcendentale Idealität derselben auf der reinen Anschauung gegründet ist. — Indess hat sich K a n t doch nur durch solche Inconsequenz, die Erscheinung „sinnlicher Mensch" zum Transcendentalen zu machen, vor dem Berkeleyismus retten können, und von dieser mit seinem System in Widerspruch stehenden Voraussetzung lässt sich nichts abdingen. Will man einwenden, dass K a n t mit vollem Bewusstsein die Sinnlichkeit, das will heissen die reinen Anschauungsformen, in's Transcendentale aufgenommen habe in Uebereinstimmung mit seinen sonstigen Aufstellungen, so ist mit diesem der Kern der Streitfrage nicht getroffen, welche nicht das a n s c h a u u n g s f ä h i g e Ich, sondern den e i n d r u c k s f ä h i g e n Menschen beschlägt. Dieser letztere eben ist es, welcher transcendental mit den Eigentümlichkeiten, die er als eindrucksfähiger Mensch in der Erscheinungswelt zeigt, gesetzt sein muss, wenn die Eindrücke, von welchen K a n t spricht, nemlich die „Empfindungen", von dem transcendentalen Object gewirkt und dann durch das transcendentale Subject in gewisse Verhältnisse geordnet sein sollen. Weil K a n t es ausser Zweifel findet, dass unsere Erkenntniss mit der Erfahrung anfange, die Erfahrung uns aber Erscheinungen liefert und diese wiederum neben der reinen Anschauung auch die Empfindungen voraussetzen, so müssen von ihm gleichfalls die letzteren transcendental, vor dem Erkenntnissanfang schon ebenfalls bereitliegend, gedacht werden. Verweigert nun der Kantianismue der Empfindung die Aufnahme in's Transcendentale, so wird er seine erkenntnisstheoretischen Verhältnisse nicht anders wieder ordnen können, als indem er das transcendentale wirkende Object, wenn auch nur stillschweigend, mit der Erscheinung „Ding" i d e n t i s c h K e h m k e , Die Welt als Wahrnehmung o. Begriff.

JO

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setzt. Dies ist der Fehler, den Kant selbst beging mit seinem Grenzbegriff, wie ich in der Einleitung zu zeigen versuchte. Das Erscheinungsding wirkt dann in dem Erscheinungsmenschen die Empfindung: nun scheint das Anstössige beseitigt und das einzige Hypothetische dabei allein das wirkende transcendentale Object zu sein, welches als Ding vorgestellt wird. Dennoch liegt in der Sache noch ein dunkler Punkt, und dieser ist die E m p f i n d u n g selbst; vielleicht ist gerade die Erörterung dieses Punktes von grosser Bedeutung für die Erkenntnisstheorie, und es mag aus der Vernachlässigung eben dieser Erörterung herzuleiten sein, dass über den grundlegenden Factor der Erkenntniss, den ich meinestheils in der Wahrnehmung erblicke, noch nicht einmal Uebereinstimmung vorhanden ist. Was ich nun bei Gelegenheit der Untersuchung des Erkenntnisselementes über die Empfindung gesagt habe, soll hier seine Vervollständigung durch die Kritik der Kantischen Empfindung erhalten. Durch begriffliche Analyse der empirischen Anschauung kam Kant auf die Empfindung, nicht aber etwa durch reale Theilung dieser Wahrnehmung, denn auch ihm ist die Wahrnehmung (empirische Anschauung) das Primitive der eigentlichen Erkenntniss, und in der E r f a h r u n g ist nur sie gegeben; sie heisst Erscheinung oder Ding. Dinge lassen sich nun auf zweierlei Weise zerlegen, entweder in Dinge, oder in Begriffe; die erstere Art der Zerlegung heisst die reale, die letztere die logische Section; die Zerlegung der Erscheinung in Empfindung und reine Anschauung ist eine logische, wie die Bezeichnung der gewonnenen Glieder als „Materie" und „Form" bestätigt. Wenn man geneigt sein sollte, diese Zerlegung mit der chemischen Zerlegung eines Molekels in seine verschiedenen Atomgruppen zusammenzustellen, so würde man in dem gleichen Irrthum stecken, als wenn die Empfindung und die reine Anschauung der „Erscheinung" selbst für Dinge d. i. Erscheinungen erklärt würden: die logische Section würde zur r e a l e n gemacht sein. K a n t und seine Anhänger be-

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Kant's Empfindung.

finden sich, was die „Empfindung" betrifft, anscheinend in diesem Irrthum. — Der Kantianer wehrt sich: „die Empfindung ist kein Begriff, sondern" — nun was? — „eben Empfindung"! Aber damit ist für die Erkenntnisstheorie nichts gewonnen; Empfindung bedeutet den von dem Seienden gemachten Eindruck auf den sinnlichen Menschen; ich muss aber hier verlangen, dass näher zum Behufe erkenntnisstheoretischer Bestimmimg erklärt werde, was dieser Eindruck sei, ob er selbst auch eine Erscheinung, ein „Ding" bedeute? Dies kann nicht sein, denn Erscheinung ist der Gegenstand einer empirischen A n s c h a u ung, welche ihrerseits die Empfindung als M e r k m a l enthält; also wäre dieser Eindruck doch ein Begriff? „Keineswegs", sagt der Kantianer. Was ist er denn? „Ein Eindruck, eine Empfindung". Da kommt man nicht vom Fleck. Fragt man dann: ist diese Empfindung bewusst? so wird es auch schwer halten, eine sichere Antwort zu erhalten; der Kantianer kann nicht J a sagen, da die Empfindung, wie alles Bewusst-Seiende, entweder Wahrnehmung und Begriff, »Ding" oder Begriff sein, also der einen oder der anderen Rubrik zugetheilt werden müsste, was er Beides zu vermeiden hat. Er kann aber auch nicht „Nein" sagen, weil die Empfindung als unbewusster Zustand des Nervensystems doch unmöglich mit der reinen Anschauung zusammen die Erscheinung bilden kann, welche Bewusst-Seiendes ist. Die einzelne Empfindung K a n t ' s muss dooh ein bestimmter Zustand des bewussten Menschen sein, welcher demnach erkenntnisstheoretisch als eine b e s t i m m t e W a h r n e h m u n g zu verzeichnen wäre; freilich ist dieselbe keine „äussere" Anschauung, d. i. ein „äusserer" Gegenstand, sondern nur eine Zuständlichkeit des Menschen, aber als solche ein S e i e n d e s und keine Kantische Erscheinung, als Bewusst-Seiendes aber W a h r n e h m u n g und k e i n B e g r i f f . Hiegegen jedoch erhebt sich der Umstand, dass diese „Empfindung", ζ. B. die Farbe, nicht, wie es doch bei ihr als Wahrnehmung im Kantischen Sinn der Fall sein müsste, 10*

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

bewusst wird als „mannigfaltige Empfindungen", die ja nach K a n t , erst wenn sie von der Sinnlichkeit in gewisse Verhältnisse geordnet sind, als „ E r s c h e i n u n g " bewusst werden, sondern die „Empfindung" Farbe wird in der That erst an der Erscheinung als ihre Materie, das heisst in erkenn tnisstheoretischem Sinn als Begriff und n i c h t als W a h r n e h m u n g gegeben. Zu vereinigen sind nun diese entgegengesetzten Behauptungen nicht, es sei denn, dass man, reale und logische Zerlegung einer bestimmten Wahrnehmung respective Vorstellung mit einander verwechselnd, in dem Merkmal der Erscheinung eine Wahrnehmung und keinen Begriff zu haben meint. „Farbe" ist wohl w a h r n e h m b a r , indess keine Wahrnehmung, sondern vielmehr das Merkmal, durch welches die Wahrnehmung mir eine bestimmte Wahrnehmung ist. Wenn man nun Farbe als Merkmal einer Vorstellung „Theilvorstellung" nennt, so wird durch diese Bezeichnung leicht die Meinung erweckt, die bestimmte Vorstellung sei aus diesen „Theilvorstellungen" als ihren realen T h e i l e n zusammengesetzt, während sie doch als Bewusst-Seiendes durch diese Begriffe nur bestimmt ist. Jener Meinung scheint auch K a n t zugeneigt zu haben, nicht minder wie Locke, Hume, und ihres Gleichen, wesshalb es ihm ohne Anstand möglich schien, die „Theilvorstellungen", welche von ihm als Vorstellungen und nicht als Begriffe für sich bewusst-seiend- gedacht wurden, auf die Empfindungen, die ja als „Eindrücke" nicht Begriffe, sondern Wahrnehmungen sind, zu beziehen. Die logische Zergliederung der „Erscheinung" in Begriffe für eine reale in Wahrnehmungen angesehen zu haben, ist also hier der Grundirrthum Kant's, dem indess noch ein anderer sich zugesellt. Gäbe man nemlich auch zu, dass das Erscheinungsding, wenn es logisch zergliedert wird, in Theile, d. i. Theilvorstellungen, und nicht in Begriffe zerfiele, und dass diese Theilvorstellungen, soweit sie zur „Materie" des Dinges gehören, durch Einwirken des Seienden auf den eindrucksfähigen Menschen in ihrer Mannigfaltigkeit entständen und für sich be-

Kant's Empfindung.

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stünden, so bliebe es immer noch sehr dunkel, welche Beziehung K a n t zwischen den Eindrücken und der aus geordneten Theilvorstellungcn bestehenden "Erscheinung aufstellen wollte. Was nun die Eindrücke (Empfindungen) betrifft, so sind sie an mir vorhanden, psychologisch beurtheilt sind sie Zustände meiner selbst, physiologisch bezeichnet Zustände meines Organismus. K a n t hat für diese Empfindungen verausgesetzt ein e m p f i n d u n g s f ä h i g e s Ich und ein Anderes, welches wirkt; die Empfindungen gehören selbstverständlich zum Ich als Zustände desselben, und das Ich erkennt sie entweder w a h r n e h m e n d als solche, oder sie gehen n i c h t i n ' s Bew u s s t s e i n ein. Unter beiden Auffassungen sind sie Zus t ä n d l i c h k e i t e n des eindrucksfähigen Ich, in der Erkenntnisstheorie aber kann man mit Recht nur die erstere allein in derjenigen Weise verwenden, in welcher K a n t alle beide benutzte; denn die „Empfindung" ist ihm nicht bloss das p h y s i o l o g i s c h e Mittel des Erkennens, da die „Eindrücke" nicht etwa bloss veranlassen sollen zum Anschauen, sondern auch die Anschauung materiell constituiren; *) sie bilden bei K a n t also Beides, sowohl das materielle Mittel des Erkennens, als auch die Materie der Erkenntniss. Wie kann aber ein Zustand des Ich mm ein constituirender Theil des Nicht-Ich „Erscheinung" sein? K a n t möchte einwenden, dies sei auch nicht der Fall; nicht der Zustand „Empfindung" selbst, sondern das der Empfindung C o r r e s p o n d i r e n d e bilde die Materie der Erscheinung; die empirische Anschauung wäre demnach materiell nicht die Mannigfaltigkeit der Empfindungen selbst, sondern sie wäre ein anderes Bewusst-Seiendes, ein Gebilde des Ich, veranlasst durch die mannigfaltigen Zustände des Ich, und die M a t e r i e dieses Gebildes, Erscheinung genannt, c o r r e s p o n d i r t e nur den Empfindungen.

*) Ich mache hier wiederum darauf aufmerksam, dass empirische Anschauung und Erscheinung bei K a n t nothwendig identisch gefasst werden müssen und nicht etwa dualistisch als das „innere" und „äussere Sein".

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Was kann aber dieses Correspondiren hier besagen? Kant's Empfindungen sind sachlich dasselbe wie Locke's secundäre Qualitäten, nemlich Affectionen, Wirkungen im Ich oder in der Seele. Die Seelenzustände correspondiren nach Lockc gewissen nicht wahrnehmbaren, primitiven Eigenschaften der Dinge in dem Sinne, dass sie Wirkungen der unabhängig vom Ich seienden Dinge sind. So darf nun K a n t das Correspondiren nicht auffassen, obwohl ich vermuthe, dass unwillkürlich die Locke'sche Ansicht sich der seinigen substituirt hat, so dass von ihm doch die „Erscheinung" als das w i r k e n d e Ding angesehen wurde, während sie nur das auf Grund der von dem hypothetischen „Ding an sich" hypothetisch gewirkten Empfindungen vom Ich Gebildete sein sollte. Die Empfindungen können für K a n t also nicht die correspondirende Wirkung einer mit gewissen Eigenschaften behafteten Erscheinung, sondern vielmehr nur die der Materie des Gebildes Erscheinung correspondirende Veranlassung oder ihre correspondirende U r s a c h e sein. Das Ding (Erscheinung) ist nach Kant eine Folge der E m p f i n d u n g e n , nach Locke aber sind die E m p f i n d u n g e n eine Folge des Dinges. Es ist gerathen, den Unterschied nicht aus dem Auge zu lassen, auf dass man vermeide, Kantische Aussprüche wie: „Empfindungen auf etwas ausser mir beziehen" im Locke'schen Sinn aufzufassen. — Neben der soeben mitgetheilten Fassung des „Correspondirens" hat Kant aber offenbar noch eine andere, welche sich wunderbarerweise mit einer nur kleinen Verschiebung des Ausdrucks der ersteren widerspruchslos anfügt. Er spricht nemlich von dem Ordnon „des Mannigfaltigen der Erscheinung" und dem Ordnen der „Empfindungen" so, dass man berechtigt ist anzunehmen, das Mannigfaltige, d. i. die Materie der Erscheinung, seien die E m p f i n d u n g e n selbst. Dies Hesse sich nun mit dem Obigen zusammenreimen, wenn dort ausgesagt wäre, dass Empfindung als solche zunächst vor der Erscheinung dem Erkenntiss-Ich gegeben sei, d. h. als Bewusst-Seiendes auftrete, und dass sie mit sich selbst, wie sie

Kant's Empfindung.

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nachher als M a t e r i e der Erscheinung auftritt, verglichen würde. Das Correspondiren erhielte auf diese Weise freilich einen recht ungewöhnlichen Sinn, nemlich den des „identisch sein". Würde indess auch durch solche Interpretation der früher schon behandelte Sprung in § 1 der Kritik der reinen Vernunft verschwinden, so thut sich wiederum die doppelte Schwierigkeit auf, dass nun die Empfindungen dem Ich vor der Erscheinung in Wahrheit als Wahrnehmungen (d. i. Erscheinungen) für sich zunächst gegeben und zugleich doch als W a h r n e h m u n g e n dem B e g r i f f der Materie correspondiren d. i. i d e n t i s c h sein müssten, welches aber nur allein möglich gemacht werden könnte, wenn man die Merkmale der Dinge als T h e i l e , d. i. nicht als wahrnehmbare Begriffe sondern als Wahrnehmungen selbst fälschlicherweise auffasste. Darin eben besteht die Schwäche der Kantischen Grundlage, dass die E m p f i n d u n g einerseits als ein B e g r i f f , andererseits als eine W a h r n e h m u n g verwendet wird. Wenn nun Materie und Form der Erscheinung die Empfindung und die reine Anschauung sein sollen, so müssen letztere beiden gleich den ersteren B e g r i f f e sein; von der reinen Anschauimg habe ich dies früher darzuthun gesucht, und für die Empfindung wird es, wie ich glaube, ebenfalls klar sein. Wenn aber auf der anderen Seite Empfindungen das sein sollen, was in gewisse Verhältnisse geordnet wird, so können sie nicht Begriffe, sondern allein b e s t i m m t e W a h r n e h m u n g e n sein. Die Blindheit gegen den fundamentalen Unterschied von realer und logischer Zerlegung der „Erscheinung" machte es allein möglich, mit dem gleichen Wort so total Verschiedenes, als ob es Identisches wäre, zu begreifen; und der hieraus erwachsende Grundirrthum äusserte sich bei K a n t in allem Folgenden. „Die Empfindungen sind däs Erste*: dieser Satz ist der Jetztzeit ein so unanfechtbares Dogma, dass sie auch bei einer Bekämpfung des Kantischen Raumbeweises nicht daran denkt, den Satz selbst vorerst 'einer Prüfung zu unterziehen. Er kann aber Wahres und er kann Falsches enthalten, je nachdem

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

man ihn interpretirt. Es bandelt sich um den Erkenntnissprocess; inwiefern nun sind die Eindrücke das Erste? Sie sind es, weil sie die Voraussetzung sind, unter der das Wahrnehmen nur geschehen kann; dann wird aber unter „Empfindung" der physiologische Zustand der Nerven zu verstehen sein, welcher durch die Dinge der Welt hervorgerufen wird in unserem Organismus. Diese „Empfindungen" sind also nun freilich das Erste, aber darum doch n i c h t die e r s t e E r k e n n t n i s * , welche letztere vielmehr erst die vermittelst der Empfindung gegebene W a h r n e h m u n g für das Ich bildet; die Empfindung a l s s o l c h e (erkenntnisstheoretisch betrachtet wäre sie bestimmte Wahrnehmung) aber liegt ganz ausser den Kategorien der Erkenntniss. Weil man nun, sich völlig in die Welt als die Seinswelt hineinstellend, alle Beziehung des mit dem menscldichen Organismus verbundenen Erkenntniss-Ich zum Seienden nur auf Grund einer Einwirkung des letzteren auf den Organismus möglich denken konnte, der Eindruck, den das Seiende machte, demnach allem Erkennen zeitlich vorausgehen musste im Organismus, so wurde die Empfindung, indem man unversehens Organismus und Ich vertauschte, als solche zum Rohmaterial der Erkenntniss, d. i. des BewusstSeienden, gemacht, aus welchem sich die Wahrnehmung erst zusammensetzen sollte. •Die dualistische Erkenntnisstheorie kann dieser bestehenden Wendung von Empfindung zur Wahrnehmung wenig oder gar nichts entgegensetzen, weil ja ihr die Empfindung und die Wahrnehmung beide unter den Begriff des E i n d r u c k s , der Einwirkung Seitens des Dinges fallen; denn die Wahrnehmung ist dem Dualisten bekanntlich ein Bild, d. i. ein A bdruck des Gegenstandes im Ich. Wie leicht flössen nun Eindrücke und Abdrücke in einander und wurden die letzteren als Zusammensetzungen der ersteren angesehen! Ja es war von dieser Seite schlechterdings kein Grund anzuführen, der den Abdruck als etwas ganz anderes hätte hingestellen können als den Eindruck, nur dass etwa dieser Ausdruck ein wenig noch die Färbung der Zuständlichkeit an sich trägt, während

Kant's Empfindung.

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jener die reine „innere" Gegenständlichkeit wiedergiebt. Die G e g e n s t ä n d l i c h k e i t ist es nun auch allein, welche K a n t zu den Empfindungen als Eindrücken des Seienden noch hinzufügte, indem er diese von der Sinnlichkeit des Ich geordnet, und zwar in Raum und Zeit geordnet "werden liess. Obwohl der Monismus schon im Beginn sofort der Kantischen Erörterung entgegentritt und nicht zugiebt, dass Empfindung das Erste des Bewusst - Seins sei, da er dieselbe vielmehr nur für das nothwendige Mittel, durch welches sich das Ich zum Seienden als Bewusst-Seienden, d. i. als Wahrnehmung, in Beziehung setzt, anerkennt, — so will ich doch nicht unterlassen, den Beweis vom Raum selbst in K a n t ' s Lehre noch kurz zu prüfen. Dieser Beweis geht von der Voraussetzung des Dualismus, dass unsere Wahrnehmungen in uns seien, aus, nimmt als Rohmaterial des Bewusst-Seienden die Empfindung an, und hält es für möglich, dass Z u s t ä n d e , welche am I c h hervorgerufen werden, constituirende M e r k m a l e von W a h r n e h m u n g e n sein können. Dies zugegeben, schlägt mit Einem Ruck die Sache um; wir werden nunmehr aus dem Dualismus in den Monismus, und vom psychologischen auf den rein erkenntnisstheoretischen Boden versetzt, die gewonnene Wahrnehmung im Ich ist zur ä u s s e r e n Erscheinung, welche dem Erkenntniss-Ich gegenübersteht, geworden, aber sie heisst noch P r o d u c t d e r S i n n l i c h k e i t des Ich, welche durch das Seiende afficirt wurde und ihre Affectionen nun selbst ordnete: denn Raum ist eben nach K a n t eine Form der Sinnlichkeit selbst. Man darf diesen zweifachen Boden, den des Locke'schen Dualismus und des Berkeley'schen Monismus bei Kant nicht übersehen. Wenn die Dinge Eindrücke in uns (secundäre Qualitäten, Empfindungen) bewirken, so müsste, wie es scheint, Alles, was Abdruck (Bild) der Dinge sein will, sich aus diesen Eindrücken herleiten lassen, nicht nur Farbe, Härte, Undurchdringlichkeit, sondern auch Raum müsste Empfindung sein, oder anders ausgedrückt, Raum müsste ein empirischer Begriff sein. Aber, meint, K a n t , „das, worin sich

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

die Empfindungen*) allein ordnen und in gewisse Form gestellt werden können, kann nicht selbst wiederum Empfindung sein", „der Raum ist kein empirischer Begriff". „Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas ausser mir bezogen werden können, dazu muss die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen". Locke würde zustimmen, dass in der That, um die Wirkungen des Dinges, die secundären Qualitäten, auf das äussere Ding zu beziehen, dieses schon g'egeben sein, im Ich also die Vorstellung des äusseren Dinges schon zum Grunde liegen müsse. K a n t ist weiter gegangen, er legt nicht den Nachdruck auf das „etwas", welches ausser mir ist, wie Locke es thut, sondern auf das „ a u s s e r mir", daher heisst es auch vollständig: „denn damit gewisse Empfindungen auf etwas ausser mir bezogen werden, imgleichen damit ich sie als ausser und neben einander mithin nicht blos verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muss die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen". Man beachte die Veränderung, welche der Sinn des Vordersatzes durch den Zusatz erhalten hat; jetzt handelt es sich nicht mehr darum, dass Empfindungen der Seele a la Locke auf das Ding ausser mir bezogen werden, sondern dass ich die E m p f i n d u n g e n s e l b e r als ausser und neben einander vorstellen könne; die eigentliche Correspondenz ist in die Identität umgeschlagen. Die Empfindungen sind materiell nun selber das „etwas"; und das „ausser mir", der Raum, ist als dasjenige erkannt, auf Grund dessen die Empfindungen nur als das „etwas ausser mir" vorgestellt werden können; sie selbst sind schon „etwas" in mir. Es handelt sich also nicht mehr darum, etwas in mir auf etwas ausser mir zu beziehen, sondern darum, „ e t w a s " in mir als „ e t w a s " a u s s e r m i r vorzustellen. Hier ist der kritische Punkt. An was soll man sich nun halten? an das Beziehen auf *) Man beachte, wie hier die Empfindungen als die realen Theile, nicht als die Begriffsglieder, der Erscheinung zur Verwendung kommen.

Kant's Empfindung.

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etwas oder das V o r s t e l l e n a l s etwas „ausser mir"? im ersten Fall ist man Dualist nach Locke, im zweiten Monist nach B e r k e l e y . Beides zusammen lässt sich nicht vereinen; dem ersten neigt man sich zu, wenn man an die Empfindungen als gewirkte E i n d r ü c k e , dem zweiten, wenn man an sie als „Materie" der E r s c h e i n u n g denkt. K a n t hat nun Beides, allerdings gewaltsam, zusammengepresst, ohne es aber, wie nur zu begreiflich ist, zusammenschweissen zu können. Im „Beziehen auf etwas ausser mir" wird der Raum selbst, das „ausser mir", im „Vorstellen als etwas" die „Vorstellung" ties Raumes vorausgesetzt; dort ist der Raum unabhängig vom Ich, hier ist er in Berkeleyschem Sinn im Ich. In beiden Fällen aber ist Raum die nothwendige Bedingung, d. i. das Merkmal des „etwas ausser mir": dieses Letztere kann nur unter der Voraussetzung, dass das Aussen gegeben ist, da sein; giebt es kein Aussen, so giebt es auch nichts ausser mir; „die Vorstellung des Raumes muss schon zum Grunde liegen", um äussere Erscheinung möglich zu machen, jene „kann nicht aus den Verhältnissen der äusseren Erscheinung durch Erfahrung geborgt sein". Denjenigen von meinen Gegnern, welche mit E a n t die Empfindung nicht für das Mittel des Erkennens, sondern für das Element der Erkenntniss erklären, zeigt K a n t durchaus folgerichtig, dass sie die äussere Erscheinung nicht aus Empfindungen erklären, das Räumliche nicht aus denselben ableiten könnten. Das „worin die Empfindungen geordnet werden, kann selbst nicht Empfindung sein", denn die Empfindung ist etwas Qualitatives, jenes aber Quantitatives; ja, er zeigt ihnen, dass s i e , um die qualitativen Empfindungen, welche ihnen eingedrückt "werden, räumlich vorzustellen, nothwendig vorher schon die Vorstellung Raum haben müssten. Nur das Eine ist noch K a n t entgegenzuhalten, was denn die Vors t e l l u n g Raum für das V o r s t e l l e n der Empfindungen nützen solle? Die Empfindungen selbst als Qualitatives können doch nie Quantitatives, Räumliches werden, sondern nur an Räumlichem erscheinen, wie ja auch der Raum seinerseits nichts

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Die Welt:

„Erscheinung" oder Sein.

Empfindsames sein kann.

Die erste Etappe des Kantischen

Beweises kann daher nur damit schliessen: etwas Räumliches haben,

das

Ich

muss

um seine Empfindungen an

dem-

selben zu haben; diese selbst können nichts Räumliches sein, weil sie

eben

Empfindungen

auch durch Zusammensetzung

sind,

aus

ihnen

kann

nichts Räumliches

daher

entstehen.

Die These K a n t ' s : „der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äusseren Erfahrungen abgezogen worden", kann nun also unter der Voraussetzung, dass Empfindung ein Element der Erkenntnis» sei, nur den wahren Inhalt, haben: Raum ist nicht aus den Empfindungen, die j a nicht Räumliches sind, zu gewinnen.

Dabei drängt sich denn die Zweifelfrage auf:

hat

K a n t den Fehler seiner Gegner, welche die Empfindung trotz alledem als Räumliches, wenn auch als unendlich Kleines ansahen („Farbenpunkte"),

durchaus

vermieden

und

dieselbe

rein qualitativ aufgefasst? Oder ist nicht auch ihm das Räumliche in die Empfindungen selbst eingeschlichcn, wenn er sagt,, dass

die mannigfaltigen Empfindungen

werden?

Kann

diesem Fehler,

in

der T h a t Jemand

wenn

er von

der

räumlich sich

frei

geordnet halten

von

räumlichen Ordnung

der

Empfindungen spricht? Ich halte dies für unmöglich. Indess K a n t hat Recht: Raum kann nicht Empfindung sein oder aus Empfindungen gewonnen werden.

W a s ist er denn?

Eine Vorstellung, sagt Kant, und zwar „eine uothwendige Vorstellung a priori, die allen äusseren Anschauungen zum Grunde liegt". Man träfe den Sinn des Satzes nicht, wollte man in ihm nur ausgesprochen finden, dass alle ä u s s e r e n

Anschauungen

nothwendig das Merkmal „Aussen" an sich tragen; derselbe soll vielmehr aussagen, dass die Vorstellung Raum nothwendig vor aller Erfahrung gegeben sein muss, damit wir äussere Anschauung haben.

Für K a n t war dies ein n o t w e n d i g e r Schritt: wenn es

nemlich wahr ist, dass die Erfahrung das Material der Erscheinungen liefert, diese letzteren aber nur ihrer Materie nach Empfindung sind und Empfindung das ist, was uns vermittelst der Sinnlichkeit gegeben wird, so muss die Form, welche an den Erscheinungen neben der Materie sich zeigt, etwas sein, wel-

Kant's Empfindung.

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ches nicht vermittelst der Sinnlichkeit uns gegeben wird, sondern das wir in u n s e r e r S i n n l i c h k e i t s e l b s t schon bes i t z e n als etwas, das sich bei jeglicher Afficirung zeigt und daher die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen ist. Kant begründet dies dadurch: „man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, dass kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, dass keine Gegenstände darin angetroffen werden". Es ist zu bedauern, dass K a n t die knappeste Form zum Beweis einer Sache gewählt hat, welche so einschneidend in die bisherige Anschauung des philosophischen Publicums einwirken sollte, — eine Form, die eben nicht klar genug zeigt, was er sagen will. Man muss sich fragen, was will das heissen: „ich kann mir niemals eine Vorstellung davon machen, dass kein Raum sei?" Etwa: ich kann mir nichts vorstellen, was nicht raumlich wäre! Dem widerspricht ζ. B. die Thatsache, dass ich einen Ton, welcher doch ohne Frage nichts Räumliches ist, vorstellen, also eine nichträumliche Vorstellung haben kann. Oder etwa: ich kann keine Anschauung vorstellen, welche nicht räumlich wäre! Dies ist richtig, weil freilich jede Anschauung das Merkmal der Räumlichkeit an sich trägt; damit würde aber noch keineswegs ein Beleg gegeben sein für den Raum als nothwendige Vorstellung a priori, sondern nur dafür, dass Alles, was ich anschaue, räumlich ist, und dass es demnach keine nichträumlichen Anschauungen giebt. Oder endlich: ich kann keine b e s t i m m t e Anschauung haben, welche nicht im Raum aufträte, wohingegen „man sich ganz wohl denken kann, dass keine Gegenstände im Raum angetroffen werden". Auch dieses ist wahr mit dem Zusatz, dass man wohl einen Geg e n s t a n d Raum denken d. i. vorstellen könne, ohne andere Gegenstände als T h e i l r ä u m e („Gegenstände im Raum") desselben zugleich vor sich zu haben. K a n t hat Recht: der Raum ist die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen (empirischen Anschauungen), denn wenn man denselben streicht, so streicht man die Erscheinung selbst, deren Seins-Merkmal eben der Raum ist; in die-

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

ser Hinsicht liegt der Raum notwendigerweise äusseren Erscheinungen zu Grunde. Ich beanstande nur die Kantische Behauptung, dass der Raum eine Vorstellung a priori sei. Ebenso ist K a n t im Recht, zu sagen, Raum sei kein Begriff, sondern Anschauung. Das Seiende, welches wir als die specielle Wahrnehmung, die von uns Anschauung genannt wird, besitzen, ist Raum; das Seiende, welches als bestimmte Anschauung auftritt, ist Körper und ein Theil der „Anschauung", d. i. des Raumes überhaupt. Raum ist das primitive, durch Anschauen gegebene Bewusst-Seiende, welches als solches noch ohne alle Bestimmung erscheint; die nähere Bestimmung desselben als Raum geschieht durch Eintheilen. Im Raum als solchem ist dem Ich daher auch noch gar keine Grösse gegeben, und die Vorstellung Raum erscheint weder als eine endliche noch als eine u n e n d l i c h e gegebene Grösse. Die Meinung, dass Letzteres der Fall sei, hat sich Kant wohl daraus gebildet, dass freilich jede Grösse, d. i. jeder bestimmte (endliche) Raum, als Theilraum erscheint, während eben die noch ganz unbestimmte, reine Anschauung Raum überhaupt gar "nicht den Begriff Grösse an sich trägt. Dies ist erst mit dem Raum der Fall, d. h. mit einem „Dinge" der „Anschauung". Aus seiner Ansicht über die Stellung der Empfindimg im Erkenntnissprocess hat sich für K a n t diese eigentümliche Ansicht von Raum gebildet. Sobald nemlich von ihm erkannt war, dass derselbe nicht Empfindung gelbst sein, noch auch aus ihr abgeleitet werden könnte, blieb nichts anderes übrig, als ihn zu einer Anschauungsform oder Denkform zu machen. Begriff, das war leicht zu zeigen, konnte er nicht sein, wohl aber Anschauung; und consequenterweise wurde er für reine Anschauung erklärt, weil Kant's Meinung über die Empfindung es ihm ja verwehrte, Raum als empirische Anschauung zu behaupten. Kant's metaphysische Erörterung des Begriffs Raum liefert nun in der That den Beweis, .dass Raum Anschauung und nicht Begriff sei; wer aber meint, dass K a n t überdies auch

Kant's Empfindung.

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die Anschauung als „reine, nicht empirische" erwiesen habe, der lässt ihn zuviel beweisen. Fiir K a n t selbst freilich ist der Beweis, aber immerhin nur auf Grund der Empfindungshypothese, wahr, und er muss es sein überhaupt für Alle, welche dieser Hypothese huldigen. An diesen aber wäre es nun, zunächst die Empfindungshypothese einer Revision zu unterziehen, um sie von ihren Widersprüchen zu befreien. — Angenommen aber, der Raum sei in der That „reine Anschauung", und die äusseren Gegenstände „nichts Anderes als blosse Vorstellungen unserer Sinnlichkeit", so ist doch die Schwierigkeit, die „secundären Qualitäten" zu erklären, eine gar zu grosse. Locke kann sie wohl als Wirkungen der äusseren Dinge auf die Sinne des Menschen ansehen, weil er Raum als Seiendes und die als Seiendes gegebenen Dinge voraussetzt. Bei K a n t liegt die Sache anders, denn abgesehen davon, dass „blosse Vorstellungen der Sinnlichkeit" nicht wiederum auf die S i n n l i c h k e i t selbst wirkend gedacht werden können, um die secundären Qualitäten hervorzurufen in den Sinnen, so ist auch jener Kantische äussere Gegenstand nicht schon vor, sondern erst nach den Qualitäten die er als „Veränderungen unseres Subjectes" bewirken soll, dem Ich gegeben, denn diese sind ja mit der reinen Anschauung seine Componenten. Der Kantianer wird sich daher begnügen müssen, die „Qualitäten" als Wirkungsweisen des Ding an sich zu behaupten, was zugleich aber die Zurückführung derselben auf die eigenartige Beschaffenheit der „blossen Vorstellung unserer Sinnlichkeit" ausschliessen würde, so dass mithin die physiologische Erklärung derselben durchaus unk a n t i s c h genannt zu werden "verdient, da sie den äusseren Gegenstand, welcher „ursprünglich nur Erscheinung ist", als Ding an sich-behandelt. Eine Zurückführung der Empfindungen auf Anschauungsverhältnisse der Erscheinung als ihre Ursache wäre dem Kantianismus nur dann erlaubt, wenn er die Empfindungen nicht zu Constituenten dieser Erscheinung machte und daher das V e r h ä l t n i s s von Ursache u n d W i r k u n g n i c h t auf

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

den Kopf stellen würde. Dann aber verliesse er gleichsam eich selbst und setzte Erscheinung und Seiendes identisch. Dieser Zug zum Seienden macht sich allerdings wirklich geltend im Kantischen System, indem dasselbe wenigstens Phänomenalität und Realität für ein und dasselbe erklärt; aber ohne Künstelei kann dies Letztere bei K a n t nicht geschehen. Die Erscheinung soll nach K a n t empirische Realität haben und alles empirisch Reale Erscheinung sein; dadurch ist der Begriff Realität von dem Seienden, d. i. der eigentlichen Voraussetzung des Erkennens, losgelöst und auf die „blosse Vorstellung unserer Sinnlichkeit" übertragen. Jedoch zeigt sich die Beziehung zwischen beiden Begriffen dennoch nicht völlig aufgehoben und die Veränderung besteht nur darin, dass, anstatt das Reale zum Seienden selbst zu machen, dasselbe für das in Folge der Afficirung durch das Seiende von der Sinnlichkeit geschaffene Product erklärt wird. Die Realität wird hier mit Recht von der Empfindung abhängig gemacht; weil dies aber in der Weise geschieht, dass die letztere die „Materie" der realen „Vorstellung" genannt wird, die Anschauungsform aber bekanntlich vom Ich g e m a c h t ist, so war nun damit natürlich völlig ausgeschlossen, die Empfindung (Materie) wiederum aus der Erscheinung und zwar aus ihren Anschauungsverhältnissen herzuleiten. Man kann es freilich dem Kantianismus nicht verwehren, die nach ihm aus Empfindung und Anschauung zusammengesetzte Erscheinung mit dem Wort „real" zu belegen; dass dies Reale aber nicht mit dem Seienden identisch, sondern eine blosse Vorstellung der Sinnlichkeit und daher in seiner Existenz selbst nicht unabhängig vom Ich sei, darf derselbe in keinem Augenblick vergessen. Dies wird aber factisch überall da vergessen, .wo die Physiologie, durch Ableitung der Empfindungen aus den E r s c h e i n u n g e n , K a n t ' s System zu bestätigen meint, während dieselbe in Wahrheit die Erscheinung als das vom Ich in seiner Existenz u n a b h ä n g i g e Seiende zu Grunde legt, also mit Kantischer Erscheinung nicht operirt.

Die Wahrnehmungsurtheile und die Begriffsurtheile.

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Gegen die rationalistischen Versuche, Realität und Phänomenalität aus einander zu reissen, und jenen ersten Begriff mit dem Seienden derartig zu verknüpfen, dass Seiendes und Phänomenales zu einander in Gegensatz treten, hat K a n t mit Recht die Zusammengehörigkeit von Realität und Phänomenalität betont. Die dualistische und subjectivistische Erkenntnisstheorie war aber so wenig von ihm zu gleicher Zeit überwunden worden, dass es ihm unmöglich erschien, auch Seiendes und Phänomenales derartig zu identificiren, so dass alles Phänomenale als Seiendes von ihm anerkannt wäre. Dadurch wurde er denn gezwungen, das Seiende jenseits der „Grenze" der Erkenntniss zu verlegen; denn die Erkenntniss beschäftigt sich allein mit dem Realen, das sich nun, als identisch mit dem Phänomenalen, von dem Seienden im Kantischen System völlig lostrennen musste. Der rein erkenntnisstheoretische Monismus will jene Errungenschaft Kant's, die Identität von Phänomenalem und Realem, durchaus unangetastet lassen, und verfolgt nur das weitere Ziel, das Reale-Phänomenale in das Seiende zu verlegen, so dass dieses wiederum selbst als dem Erkennen erschlossenes anerkannt wird. Um aber dahin zu gelangen, sind die weiteren Bedenken Kant's, welche ihn in der Ansicht bestärkten, dass die Welt nicht Seiendes wäre, zu widerlegen. Es kann durchaus nicht genügen, den Raum als „reine Anschauung" dadurch zu vertheidigen, dass gezeigt wird, er sei weder „Empfindung" noch Begriff; denn dann bleibt als denkbare Möglichkeit nicht nur jene Kantische Annahme der Transcendentalität, sondern neben derselben noch die andere: er sei empirische Anschauung. Für K a n t war freilich die letztere Möglichkeit durch das Axiom, dass alles „Empirische" Empfindung sei, ausgeschlossen; aber dieses Axiom ist ein rein willkürliches und durch nichts als durch lange Gewohnheit gestütztes. Wenn daher die „reine" Anschauung nicht auf andere Weise unterstützt wird, ist es wenigstens B e h m k e , Die Welt als Wahrnehmung n. Begriff.

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

ebenso berechtigt, den Raum zum Seienden zu zählen und ihn für eine Anschauung*), welche das bewusst-gewordene Seiende selbst ist, zu erklären. Eine sichere Stütze glaubte Kant nun für seine Ansicht in der Thatsache von „synthetischen Urtheilen a priori" über Räumliches gefunden zu haben, welche ihm keine andere Erklärung zuzulassen schien, als die durch die Aufstellung des Raumes als reiner Anschauung dargebotene, so dass also jene Thatsache nach seiner Meinung diese Aufstellung als nothwendige Voraussetzung forderte. Kant hat die Urtheile classisch eingetheilt, wie er selbst gesteht, in analytische und synthetische; analytische Urtheile seien die Erläuterungs-, synthetische die Erweiterungsortheile; jene thun zum Begriff des Subjects nichts hinzu, diese aber ein Prädicat. Diese beiden Möglichkeiten aber gebe es nur: „entweder das Prädicat Β gehört zum Subject Α als etwas, was in diesem Begriff Α (versteckter Weise) enthalten ist, oder Β liegt ganz ausser dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht". Ohne die Eintheilung direct verwerfen zu wollen, sehe ich mich doch genöthigt, die gewonnenen beiden Classen von Urtheilen unter einem anderen Gesichtspunkt noch zu bestimmen, uin ein etwaiges Missverständniss, welches die Kantische Eintheilung vielleicht zur Folge haben könnte, abzuwehren. Kant erklärt nemlich, dass er in diesen zwei Classen die zwei möglichen „Verhältnisse eines Subject es zuin Prädicat" darstelle; nun liegt aber auf der Hand, dass er nicht dies Verhältniss, sondern dasjenige des Subjectsbegriffs zum Prädicat in jener Eintheilung näher bestimmte; dies gab dann der Sache ein durchaus anderes Aussehen und führte ihn eben erst zu der Bezeichnung jener Urtheile als analytischer und synthetischer Urtheile." Denn, wollte man analytische Urtheile *) Empirische Anschauung ist dann ein Pleonasmus, wenn Erfahrung der Inbegriff von dem als Wahrnehmung bewusstgewordemem Seienden bezeichnen soll.

Das „analytische'' Unheil.

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diejenigen nennen, in welchen das Prädicat im S u b j e c t enthalten sich darstellt, so müssten alle Urtheile in diese Rubrik gebracht werden. Ausser allem Zweifel nemlich steht es, dass sowohl in dem „analytischen" Urtheil: „der Körper ist ausgedehnt", als auch in dem „synthetischen": „diese Rose ist roth", das Prädicat im Subject enthalten sei, im ersten Fall im Begriff „Körper", im zweiten in der bestimmten Wahrnehmung „Rose", d. i. dem Ding, welches als b e s t i m m t e Wahrnehmung eben den Begriff „Rose" an sich hat. K a n t ist es mit seiner Eintheilung ergangen, wie mit seinem Raumbeweis; er hat sich über Missverständniss vielfach beklagt; aber vielleicht liegt der Grund dazu in seiner Eintheilung selbst. Das „Verhältnis» eines S u b j e c t e s zum Prädicat" als principium divisionis bei den Urtheilen benutzen konnte unmöglich eine andere Verschiedenheit als die der positiven und negativen Urtheile ergeben, da ja in allen möglichen Urtheilen das Verhältniss des Prädicats zum Subject, abgesehen von jener Verschiedenheit, das gleiche ist. — Um nun jenes Missverständniss, welches durch Verwechslung von Subject und Subjectsbegriff des Urtheils entstehen kann, unmöglich zu machen, und zugleich den eigentlichen Kern der Kantischen Eintheilung zu behalten, möchte es sich empfehlen, die Urtheile nach der e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Verschiedenheit des SubjeOtes einzutheilen. In allen Urtheilen ist das Subject entweder bestimmte Wahrnehmung*) oder es ist Begriff, und danach lassen sich die Urtheile in die beiden Classen W a h r n e h m u n g s u r t h e i l e und B e g r i f f s u r t h e i l e vertheilen. Entweder gehört das Prädicat zu einer Wahrnehmung oder es gehört zu einem Begriff als das Merkmal. Die analytischen Urtheile K a n t ' s sind insgesammt solche Begriffsurtheile, weil das Subject derselben ein Begriff ist; *) Zweckmässiger Kürze halber brauche ich „Wahrnehmung" für alle Wahrnehmungen und alle Vorstellungen, was ohne Schaden geschehen kann, weil in dem Punkte, welcher hier behandelt wird, alle Vorstellungen in denselben Gegensatz zum Begriff, wie die Wahrnehmungen, treten.

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Die Welt: „Erscheinung'1 oder Sein.

sobald dieser gegeben ist, kann ich die Aussage, welche in dem Urtheil vorliegt, machen, ohne weitere Erfahrung zu bedürfen und zu Hälfe zu nehmen. Sie sind aber auch als Begriffsurtheile allgemein und nothwendig, denn da das Prädicat ein constituirendes Merkmal des als Subject selbst aufgestellten Begriffs ist, so muss jenes sich überall, wo der Begriff "an Wahrnehmungen auftritt, ebenfalls zeigen. Was K a n t also mit dem Wort „analytisches Urtheil" vor Allem aussagen wollte, ist auch in dem Wort „Begriffsurtheil" gesagt, und es wird überdies falschen Deutungen, die durch Pressung des Ausdrucks „analytisch" sich ergeben könnten, vorgebeugt. Noch mehr aber ist es angezeigt, den Ausdruck „synthetisches Urtheil" mit demjenigen „ Wahrnehm ungsurtheil" zu vertauschen, da sonst gar leicht über dem Subjectsbegriff das Subject des Urtheils in Vergessenheit geräth, wie es schon K a n t selbst begegnet ist. Er hätte sonst nicht schreiben können: „Analytische Urtheile sind diejenigen, in welchen die Verknüpfung des P r ä d i c a t s mit dem S u b j e c t durch Identität, diejenigen aber, in denen d i e s e Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urtheile heissen". Dieser Satz ist in seiner zweiten Hälfte falsch; ich habe schon gezeigt, dass sowohl im Urtheil: „der Körper ist ausgedehnt", dessen Subject ein. Begriff, als auch in dem anderen „die Rose ist roth", dessen Subject eine bestimmte Wahrnehmung bildet, das Prädicat im Subject enthalten sei, wesshalb in beiden Fällen „die Verknüpfung'des Prädicats mit dem S u b j e c t durch Identität gedacht wird". Jedes Urtheil ist ja eben die Darstellung des „Identitätsverhältnisses" von Prädicat und Subject, also „analytisch". Dabei will ich indess nicht leugnen, dass in Wahrnehmungsurtheilen eine Synthesis gegeben sein kann, in allen denjenigen nemlich, in welchen das Subject schon früher als b e s t i m m t e Wahrnehmung gegeben war und an der nun im Acte des Wahrnehmens ein weiteres Merkmal erkannt wird. Freilich nicht alle Wahrnehmungsurtheile sind „synthetisch", ζ. B. dieses nicht: das ist eine Rose; und da ich nicht zweifele,

Das „synthetische" Urtheil.

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dass K a n t dies Urtheil als ein Erfahrungsurtheil anerkannt hätte, so kann ich seinem Ausspruch: „Erfahrungsurtheile als solche sind insgesammt synthetisch" nicht beipflichten. Dagegen könnte man alle Wahrnehmungsurtheile zwanglos in die Rubrik der „analytischen" Urtheile bringen, denn wenn es Characteristicum dieser ist, dass sie vom Ich „ohne weitere Erfahrung" gebildet werden können, so ist dies für die Wahrnehmungsurtheile ebenfalls zutreffend. Das Ich braucht für diese „keine weitere Erfahrung", als diejenige, welche das Subject des Urtheils bildet, und aus demselben gewinnt es analytisch das Prädicat für sein Urtheil. Dieses Subject aber muss allerdings stets gegeben sein, damit das Ich ein Urtheil bilden könne, und zwar gilt das nicht nur für das Wahrnehmungs-, sondern auch für das Begriffsurtheil. — Wenn aber ein Wahrnehmungsurtheil mit einigem Grund „synthetisch" zu nennen ist, so rührt dies daher, dass in ihm ausgesagt wird, zwei nicht im Identitätsverhältniss stehende Begriffe seien an einer und derselben Wahrnehmung vorhanden. Was ist also „das dritte, worin allein die Synthesis zweier (solcher) Begriffe entstehen kann?" Es ist die Wahrnehmung; auf Grund dieser allein wird es möglich, eine Erkenntniss zu haben, in welcher zwei nicht im Identitätsverhältniss stehenden Begriffe mit einander verknüpft sind, und welche ein Urtheil aussprechen kann, wie: die Rose ist roth, oder, was in Betreff der Erkenntniss das Gleiche sagt: das ist eine rothe Rose. Damit jenes wichtige Dritte nicht über den verknüpften Begriffen vergessen werde, erscheint es zum Mindesten zweckentsprechender, die „synthetischen" Urtheile Wahrnehmungsurtheile zu heissen. Denn obwohl durchaus die Synthesis zweier verschiedener Begriffe in den meisten Wahrnehmungsurtheilen anzuerkennen ist, so wird doch durch die Bezeichnung „synthetisch" leicht die falsche Meinung gerufen, als ob das S u b j e c t der synthetischen Urtheile der eine der beiden in der Wahrnehmung verknüpft erkannten B e g r i f f e , und nicht die Wahrnehmung selbst das Subject sei.

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Wahrnehmungsurtheile nun können nicht den Character der Begriffsurtheile haben, was seinen Grund im Wesen der Wahrnehmung und des Begriffs selbst hat. Die Aussage, welche von einer Wahrnehmimg oder vielen Wahrnehmungen gethan wird, bestimmt eben diese und keine anderen, die eben nicht als Subject aufgetreten sind; diejenige Aussage aber, welche Begriffsurtheil heisst, bestimmt den das Subject bildenden Begriff und in ihm zugleich alle möglichen Wahrnehmungen, an welchen er Merkmal ist. Die A l l g e m e i n h e i t und N o t wendigkeit gewisser Urtheile liegt also darin begründet, dass als ihr Subject ein Begriff und nicht eine W a h r n e h mung gegeben ist. Die synthetischen Urtheile aber insgesammt für Wahrnehmungsurtheile zu erklären, vermag der Kantianismus nicht, weil er damit seine wichtigste Position, die synthetischen Urtheile a priori, aufgäbe; da nemlich diese letzteren allgemein und nothwendig sind, so können sie eben keine Wahrnehmungsurtheile sein. Umgekehrt aber sträubt er sich auch, sie in die Classe der Begriffsurtheile zu thun; denn obwohl hier der Character der Allgemeinheit und Nothwendigkeit .für sie gerettet sein würde, so käme dafür das andere ebenso schwere Bedenken auf, dass nemlich Begriffsurtheile keine S y n t h e s i s zweier nicht im Identitätsverhältniss stehender Begriffe enthalten, da vielmehr „das Prädikat derselben zum Subject als etwas, was in diesem (versteckter Weise) enthalten ist, gehört." — Alle übrigen synthetischen Urtheile K a n t ' s werden gewiss vom Kantianismus als Wahrnehmungsurtheile bezeichnet werden dürfen, jene synthetischen Urtheile a priori nicht: sie sind, wie es scheint, ein Gemisch aus Wahrnehmungsurtheil und Begriffsurtheil; von jenem haben sie die „Synthesis", von diesem die Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Kann es aber solche Monstra geben? Facta docent; „die mathematischen Sätze", schreibt K a n t , „wenigstens diejenigen, welche der reinen Mathematik angehören, sind synthetische Urtheile a priori"; dies besagt also nicht nur, dass sie allgemein und nothwendig, sondern zugleich auch, dass im Subject als sol-

Das „synthetische Urtheil a priori".

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chem das Prädicat nicht enthalten ist. Wäre Letzteres nemlich der Fall, so würden sie analytische d. i. Begriffsurtheile darstellen; wäre aber das Erstere nicht wahr, so würden sie Wahrnehmungsurtheile sein. K a n t : „Man sollte meinen, dass der Satz 7 + 5 = 12 ein bloss analytischer Satz sei, der aus dem Begriff einer Summe von Sieben und Fünf nach dem Satze des Widerspruchs erfolge. Allein, wenn man es näher betrachtet, so findet man, dass der Begriff der Summe 7 und 5 nichts weiter enthalte, als die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige, wodurch ganz und gar nicht gedacht wird, welches die einzige Zahl sei, die beide zusammenfasst. Der Begriff von Zwölf ist keineswegs schon dadurch gedacht, dass ich mir jene Vereinigung von Fünf und Sieben denke und ich mag meinen Begriff von einer solchen möglichen Summe noch so lange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen. Man muss über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hülfe nimmt, die einem von beiden correspondirt, etwa seine fünf Finger und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem Begriff Sieben hinzuthun. Denn ich nehme zuerst die Zahl 7 und indem ich für den Begriff der 5 die Finger meiner Hand als Anschauung zu Hülfe nehme, so thue ich die Einheiten, die ich vorher zusammennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an jenem meinem Bilde nach und nach zur Zahl 7 und sehe so die Zahl 12 entspringen. Dass 7 zu 5 hinzugethan werden sollten, habe ich zwar in dem Begriff einer Summe = 7 + 5 gedacht, aber nicht, dass diese Summe der Zahl 12 gleich sei. Der arithmetische Satz ist also jederzeit synthetisch." Soweit Kant! Tredelenburg bemerkt dagegen: „7 + 5 = 12 ist offenbar ein analytisches Urtheil, inwiefern unter Voraussetzung des dekadischen Zahlensystems die Summe 7 + 5 die Zahl 12 begründet"*); Cohen, der scharfsinnige Commen*)

Logische Untersuchungen II, S. 265,

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

tator K a n t ' s , replicirt: „diesen Einwand hat aber K a n t weislich abgeschnitten in dem Grundsatze für die Axiome der Anschauung: dass 7 + 5 = 12 sei, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7 noch von 5 noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beider die Zahl 12; dass ich diese in der Addition beider denke, davon ist hier nicht die Rede; denn bei dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Prädicat wirklich in der Vorstellung des S u b j e c t e s denke."*) Vielleicht haben Beide, sowohl K a n t - C o h e n als auch T r e d e l e n b u r g , Recht, je nachdem der Satz (7 -f- 5 = 12) genauer bestimmt wird. Der Ausdruck 7 + 5 = 1 2 stellt ein Urtheil dar, welches die Erkenntniss enthält, dass die Summe von 7 und 5 Zwölf sei. Um diese Erkenntniss zu haben, genügt es nicht, den Begriff 7 und den Begriff 5 zu besitzen; es kann daher die Erkenntniss 7-f-5= 12 nicht durch Analyse der Begriffe 7 und 5 gewonnen sein; dies wäre ja unmöglich, weil eben jenes Urtheil eine erweiterte Erkenntniss gegenüber diesen Begriffen darstellt. Nichtsdestoweniger hat aber T r e d e l e n b u r g das Richtige getroffen: 7-f 5 = 1 2 ist offenbar ein analytisches Urtheil; denn in dem Begriff (7-J-5) d. i. in der S u m m e von 7 und 5 ist der Begriff 12 in der That enthalten. K a n t irrt sich da in einem einzigen Wörtchen, wo er meint, dass in dem „Begriff der Summe" von 7 und 5 nicht die Zahl 12 enthalten sei; er wird auch bald vorsichtiger und corrigirt sich um jenes Wörtchen, indem er nachher nicht wieder schreibt: „ich mag meinen Begriff von einer solchen Summe noch so lange zergliedern, so werde ich die Zahl 12 nicht antreffen", sondern: „ich mag meinen Begriff von einer solchen möglichen Summe etc.". Hier wird nun die Differenz zwischen K a n t und Tredel e n b u r g zu Tage treten müssen; dieser nemlich sieht in dem Ausdruck (7 + 5) den Begriff „Summe von 7 und 5", jener aber *) Kant's Theorie der Erfahrung. S. 204,

Das „synthetische Urtheil a priori".

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erblickt in demselben eine Aufgabe, die mögliche Summe von 7 und 5: „dass 7 zu 5 hinzugethan werden sollten". T r e d e l e n b u r g durfte mit vollem Recht nicht vor einem Rechenexempel mit angehängtem Facit zu stehen meinen, sondern vor einem logischen Urtheil, dessen Subject (7 + 5) ist, und das in Worten nicht, wie K a n t und Cohen wollen, heissen kann: „die m ö g l i c h e Summe von 7 und 5", sondern „die Summe (7 + 5) ist 12". ( 7 + 5) = 1 2 ist demnach in der That ein in Kantischem Sinn analytisches Urtheil, und es fallt, wenn ich das Subject desselben ansehe, in die Klasse der B e g r i f f s u r t h e i l e ; deshalb hat es auch den Character der Allgemeinheit und Notwendigkeit: alle Wahrnehmungen, welche eine Summe von 7 und 5 repräsentiren, müssen 12 sein. Wenn man es näher betrachtet, so findet man, dass K a n t mit seinem arithmetischen Beispiel sagen will, die Erkenntniss der Summe von 7 und 5 lasse sich nur auf Grund der Anschauung gewinnen, und in diesem Punkte ist er durchaus im Recht; den Begriff (7 + 5) besitzen wir, wie alle anderen Begriffe, zunächst an einer Wahrnehmung (respective Vorstellung), diese muss zu Grunde liegen, damit er uns zunächst gegeben sein kann. Hier aber ist er dann nur als eine Bestimmung der W a h r n e h m u n g gegeben: die Summe von 5 Fingern und 7 Fingern ist 12 Finger; und ich habe, wie es scheint, nur die Erkenntniss gewonnen, dass in diesem Fall sieben und fünf Finger eine Zwölfzahl Finger ausmachten. Wie kann ich aber auf diese Weise nun zu dem Begriffsurtheil 7 + 5 = 12 gelangen? Scheint doch K a n t , wie das Beispiel zeigt, mit Grund zu behaupten, dass „der arithmetische Satz jederzeit synthetisch" sei; und das Begriffsurtheil seinerseits ist doch jederzeit „analytisch"! Welche Verwirrung das Wort „synthetisch" anzurichten im Stande ist, mag dieses arithmetische Beispiel lehren! Die arithmetischen Aufgaben beschäftigen sich mit der „Synthesis" der Zahlen, das Resultat einer solchen Operation in einem Urtheil dargestellt, heisst etwa: ( 7 + 5) = 12; man kann dasr

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

selbe, weil in ihm eine Synthesis von Zahlen enthalten ist, ein synthetisches Urtheil nennen, würde dann das Wort „synthetisch" aber immerhin in einem anderen Sinne gebrauchen, als wie es K a n t sonst anwendet: da synthetische Urtheile nicht diejenigen sein sollen, in welchen zwei Begriffe in einen Begriff (und Zahlen sind doch Begriffe!) zusammengefasst auftreten, sondern solche, welche „zu dem Begriffe des S u b j e c t e s ein Prädicat hinzuthun"; solchen Character wird man aber an dem obigen Beispiel eines „synthetischen" arithmetischen Beispiels vergebens zu entdecken suchen, wenngleich K a n t ihm denselben auch zugesprochen hat, vielmehr in demselben den Character der Kantischen analytischen Urtheile enthalten finden. Man könnte fast auf die Yermuthung kommen, K a n t sei durch die arithmetische Synthesis getäuscht worden, und habe, weil wir durch Synthesis von 7 und 5 die Summe 12 erhalten, das einfache analytische Urtheil 1 2 = 7 + 5 , indem er es umkehrte, als synthetisches im eigentlichen Sinne, 7 + 5 = 12, zu besitzen geglaubt. Das Urtheil 12 = 7 + 5 wird der Kantianismus wohl ohne Anstand fur ein analytisches ansehen, und dies sollte ihn schon stutzig machen, ob wirklich 7 + 5 = 12 ein synthetisches Urtheil sei! Denn es ist doch sicherlich nicht das Characteristicum der „synthetischen" Urtheile, dass aus dem P r ä d i c a t , welches zu dem Begriff des Subjectes hinzugethan wird, durch Analyse das Subject gewonnen werden könnte, wie das durch Umkehrung des synthetischen Urtheils gebildete „analytische" Urtheil 12 (Subject) = 7 + 5 (Prädicat) beweisen würde. Dies ist wenigstens weder bei den synthetischen Erfahrungsurtheilen K a n t ' s („die Rose ist roth") noch bei den sonstigen „synthetischen Urtheilen a priori" („in einem Triangel sind zwei Seiten zusammen grösser als die dritte") zu entdecken. Meiner Ansicht nach knüpft sich aber auch das Hauptinteresse der Erkenntnisstheorie nicht daran, ob diese Erkenntniss, 7 + 5 = 12, sich als ein analytisches oder synthetisches Urtheil darstelle, sondern wie es zu erklären sei, dass das Ich

Das „synthetische Urtheil a priori".

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die zunächst an einer Wahrnehmung gegebene Erkenntniss als eine allgemeine gewinnen, also gleichsam das Wahrnehmungsurtheil in ein Begriffsurtheil umsetzen könne. Bevor ich auf dieser Bahn vorwärts gehe, mag es noch von Interesse sein, das andere mathematische Beispiel eines synthetischen Urtheils a priori, welches K a n t angeführt hat, zu betrachten. Er schreibt: „dass die grade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Grösse, sondern nur von Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muss also hier zu Hilfe genommen werden, vermittelst deren allein die Synthesis möglich ist". Die in jenem geometrischen Urtheil dargestellte Erkenntniss ist in der That nicht schon in dem Begriff „gerade Linie" enthalten; das Urtheil selbst ist ein allgemeines und nothwendiges; als solches müsste es aber ein Begriffsurtheil sein und daraus würde folgen, dass das Prädicat „kürzeste" in dem Subject (dem Begrifi) des Urtheils enthalten sei. Der das Subject selbst bildende Begriff des allgemeinen Urtheils ist nun auch keineswegs „das Gerade", wie Kant anzunehmen scheint, er ist aber auch nicht .„die gerade Linie", wie T r e d e l e n b u r g , welcher auch dieses Urtheil für ein analytisches erklärt, behauptet; ja selbst in der Bezeichnung „gerade Linie zwischen zwei Punkten" ist der Subject-Begriff nicht erschöpft: denn in diesen allen findet sich nicht die Spur von dem Merkmal des „Kürzesten". Auf T r e d e l e n b u r g ' s Bemerkung: „dass die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sei, liegt nirgends als in dem Wesen der geraden Linie selbst" entgegnet Cohen mit einigem Spott: „im Wesen der geraden Linie mag es liegen, aber nicht im Begriff derselben"; er hat hier Eecht. Die Sache würde aber anders stehen und T r e d e l e n b u r g seine Position behaupten, wenn dieser das Subject des allgemeinen Satzes richtig so citirt hätte: „die mit andersartigen Linien zwischen denselben zwei Punkten liegende Gerade";

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

im „Wesen", d. h. in diesem das Subject bildenden Begriff liegt allerdings das Merkmal des Kürzesten „versteckter Weise" enthalten und die „gerade Linie zwischen zwei Funkten" ist nur ein verkürzter Ausdruck für denselben. Demnach muss der mathematische Satz: „die gerade Linie zwischen zwei Punkten ist die kürzeste", in welchem eben die Relation zu den andersartigen Linien gleicher Begrenzung nur unterdrückt ist, für ein „analytisches" Urtheil erklärt werden, denn es ist in der That ein Begriffsurtheil. Andererseits kann nicht geleugnet werden, dass zur Beschaffung der in jenem Urtheil niedergelegten Erkenntniss die Anschauung nöthig sei; denn der etwa vorhandene Begriff „gerade Linie", oder „begrenzte gerade Linie" enthält jene Erkenntniss nicht in sich, so dass es demnach allerdings unmöglich ist, durch Analyse jenes Begriffs „Gerade" das fragliche mathematische Urtheil zu bilden. Damit scheine ich meine eigene Behauptung, das Urtheil sei ein Begriffsurtheil, aufzuheben, indess, wie ersichtlich sein wird, doch nur scheinbar, da es eben ein Irrthum von Kant ist, dass er zum Subj eet jenes Urtheils den Begriff „Gerade" macht. Ueberhaupt konnte Kant, wie ich oben betonte, nur in Folge ungenauer Bestimmung des Urtheilssubjectes zu der bestechend „classischen", aber so missverständlichen Eintheilung der Urtheile in synthetische und analytische gelangen. Ohne irgend welchen Zwang ist jedes Urtheil zu einem analytischen zu machen, denn auch die angeblich synthetischen Urtheile der Erfahrung entstehen durch Analyse der Wahrnehmung, welche das Subject des Urtheils bildet. In Wahrheit thut man aber bei Erfahrungsurtheilen nichts zu einem Begriff, durch welchen etwa die das Subject bildende Wahrnehmung schon früher bestimmt war, hinzu, sondern man hebt ein neues Merkmal an der bestimmten Wahrnehmung heraus. Nicht mit solohem Begriff, sondern mit der schon durch denselben bestimmten Wahrnehmung sei, so erklärt in Wirklichkeit das Erfahrungsurtheil, das Prädicat „verknüpft", d. h. es sei ein Merkmal an dem Ding, nicht am Begriff. Indem

Das Begriffsurtbeil.

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aber Ding und Begriff von K a n t verwechselt wurden, konnte der Irrthum, dass Erfahrungsurtheile als solche eine Synthesis und nicht Analysis der Erfahrung darstellten, aufkommen, und erhielt einen Berechtigungstitel dadurch, dass sich allerdings das Merkmal, welches Prädicat ist, nicht in dem an der Wahrnehmung im Subject des Urtheils schon hervorgehobenen Begriffe findet. Andrerseits zeigt denn wirklich ein solches Urtheil Synthesis zweier Begriffe, nicht aber, wie leicht geglaubt werden mochte, als ob zu dem einen als Subj e c t der andere als Merkmal hinzugethan, sondern indem beide an der Wahrnehmung, die das Subject repräsentirt, aufgeführt werden als in derselben zusammen enthalten. Die Ersetzung der Titel analytische und synthetische Urtheile durch Begriffs- und Wahrnehmungsurtheile scheint mir nun Allem nach von nicht unerheblichem Nutzen zu sein, und vielleicht wird sie ohne Widerstand Eingang finden, wenn der Stein des Anstosses „synthetische Urtheile a priori", welcher dem Kantianismus zum Eckstein geworden ist, mit gegenseitiger Zustimmung beseitigt werden kann. Aus der Untersuchung der mathematischen Sätze hat sich ein Resultat ergeben, welches Kant sowohl als auch seinen Gegnern zu gleicher Zeit in gewisser Weise gerecht wurde. Wenn man derartige Sätze als solche betrachtet, so müssen sie für jene Urtheile erklärt werden, deren S u b j e c t ein Begriff und keine Wahrnehmung bildet und deren P r ä d i c a t natürlich in dem S u b j e c t als Merkmal enthalten sei: hieraus ergiebt sich von selbst die Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieser Urtheile. Dies nun würde Alles auf „analytische" Urtheile passen. Kant indess betont mit Recht, dass die Wahrheit, die zwei Begriffe, ζ. B. Gerade und Kürzeste, können nur allein mit Hülfe der Anschauung in ein allgemeines Verhältniss der Zusammengehörigkeit gebracht werden, unumstösslich sei. Die Frage erhebt sich nun, wie es möglich sei, auf Grund der Anschauung Begriffserkenntniss zu erlangen, denn nichts Geringeres enthalten die mathematischen Sätze wirklich, welche auf Grund der Anschauung ausgesprochen werden,

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Die Welt: „Erscheinung oder Sein.

ζ. B. „mit dem Begriff der geraden Linie ist überall da, •wo eine gerade Linie zwischen zwei Punkten neben andersartigen Linien auftritt, der Begriff des Kürzesten verbunden". Erweiterung der Erkenntniss kann nach dem Grundsatz des Monismus, welcher die Wahrnehmung für das alleinige primitive Bewusst-Seiende erklärt, nur auf Grund von W a h r nehmung geschehen, oder, um a potiori mit Kant zu reden, Erkenntniss ist nur durch Anschauung möglich. Da nun die bestimmte Anschauung stets ein Ding ist, so scheint die Gültigkeit des Urtheils, welches wir auf Grund derselben bilden, allein auf dieses Ding beschränkt werden zu müssen. K a n t wenigstens ist dieser Ansicht gewesen, und hat allen Urtheilen, welche auf Grund von empirischen Anschauungen entstehen können, die Allgemeinheit im eigentlichen Sinne des Wortes abgesprochen. Da aber die zweifellos allgemeinen mathematischen Urtheile nur mit Hülfe von (empirischer) Anschauung gewonnen werden können, so tritt für diese als Retter die „reine" Anschauung in Kant's Erkenntnisstheorie ein. Die empirische Anschauung ist nach K a n t die Erscheinung, das Ding; nun beziehen sich mathematische Urtheile, welche ich an der Hand von empirischer Anschauung bilde, nur auf die Form derselben, d. i. die reine Anschauung, den Raum, nicht etwa auf das, „was in ihr zur Empfindung gehört". Man wird ohne Anstand dies zugestehen müssen und können, so lange unter „reiner Anschauung" nur die blosse Raumform der „Erscheinung" verstanden werden soll, ohne in das Wort „rein" schon das a priori hineinzulegen. Keinem Menschen ist nun die Raumform rein, d. h. für sich als Anschauung sondern als Form einer „Erscheinung" oder Vorstellung, also an einer e m p i r i s c h e n Anschauung oder ihrer Vorstellung gegeben, und zwar nicht als Raum überhaupt, sondern als b e s t i m m t e r Raum, denn die Geometrie als Wissenschaft bestimmt nicht „die Eigenschaften des Raumes" überhaupt, sondern diejenigen des R ä u m l i c h e n . Daher heisst es auch genauer, anstatt: „der Raum hat nur drei Abmessungen"; „das Räumliche hat nur drei Abmessungen".

Das Begriffsurtheil.

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In der Einleitung dieser Schrift habe ich darauf aufmerksam zu machen gesucht, dass die „reine Anschauung", welche „nach Abzug dessen, was der Verstand davon denkt und was zur Empfindung gehört, übrig bleibt", ein Begriff und nicht Anschauung sei. Dem widerspricht keineswegs, dass ich mit K a n t den Raum Anschauung und nicht Begriff nenne, da das, was ich bei jenem „Abzug" übrig behalte, nicht als eine unbestimmte Anschauung, wie es Raum überhaupt ist, sondern als bestimmte Anschauung, d. h. mit einem Begriff versehene Anschauung aufzufassen ist, und dass es sich in der Geometrie um diese, nicht sofern sie Anschauung, sondern sofern an ein Raumbegriff ist, handelt. Weil aber Raum Anschauung, und das, womit sich die Geometrie beschäftigt, Räumliches ist, so hat es die Geometrie mit bestimmten Anschauungen zu thun und ihre Begriffe sind in den Anschauungen gegeben; das Räumliche istdaher nothwendigerweise Anschauliches. Der Begriff des Punktes, der Linie, des Dreiecks, der Pyramide sind insgesammt anschauliche Begriffe, wenngleich nicht Anschauungen als solche, und aus dieser ihrer Eigentümlichkeit entspringt die Möglichkeit der allgemeinen und nothwendigen Sätze der Geometrie. Weil diese die Begriffe, mit welchen sie es zu thun hat, in der Anschauung vorfindet, so vermag sie aus diesen ihren anschaulichen Begriffen neue Erkenntniss auf Grund der Anschauung zu gewinnen, welche, obwohl die Anschauung selbst ein einzelnes Ding ist, dennoch allgemein gilt, d. h. soweit wahr ist, als der Begriff, an dem die Erkenntniss „mit Hülfe der Ans c h a u u n g " gewonnen ist, in den verschiedenen Anschauungen, die den Begriff haben, auftritt. Dass die Anschauung eine bestimmte einzelne Erscheinung ist, eine „empirische", wie vielleicht K a n t sie nennen müsste, ist der Allgemeinheit des Erkenntnissurtheils nicht hinderlich; dasselbe ist aber gerade desshalb nur allgemein und nothwendig, weil die Anschauung als bestimmte Anschauung gegeben war. K a n t hält dagegen: „diese Anschauung (die Raumform) muss a priori d. i. vor aller Wahrnehmung eines Gegenstandes

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in uns angetroffen werden, mithin reine, nicht empirische Anschauung sein. Denn die geometrischen Sätze sind insgesammt apodiktisch, d. i. mit dem Bewusstsein ihrer N o t wendigkeit verbunden, z. 6 . der Raum hat nur drei Abmessungen; dergleichen Sätze aber können nicht empirische oder Erfahrungsurtheile sein, noch aus ihnen geschlossen werden". Ich stimme mit K a n t überein, dass der Raum Anschauung und das Räumliche, welches ich mit drei Dimensionen behaftet erkenne, in der Anschauung ge'geben sei. Diese Anschauung nun ist das Seiende als primitives BewusstSeiendes und der Raum überhaupt die allgemeine Form desjenigen realen Seienden, welches als Anschauung bewusst wird. Vom Raum überhaupt, der unbestimmten Form dieses Seienden, kann ich nichts Bestimmtes aussagen, sondern nur von dem Seienden, insofern es räumlich ist, daher muss auch jener Kantische Satz genauer heissen: das Räumliche hat drei Dimensionen. Dieses Urtheil aber ist ein Begriffs urtheil, denn im Begriff des Räumlichen liegt jenes Prädicat als Merkmal; würde ich eine Dimension streichen, so hätte ich zugleich den Begriff des Räumlichen aufgehoben, nicht weniger aber, wenn ich eine Dimension hinzudenken wollte. Vorstellen kann ich mir einen räumlichen Gegenstand nur in drei Dimensionen, und nun brauche ich den Grund hierzu keineswegs in einer „reinen Anschauungsform" des Ich zu suchen, sondern habe denselben an dem Seienden als Anschauung selbst; weil das Vorstellen ein Reproduciren der Beziehung ist, welche das Ich zum Seienden als Anschauung hatte, so kann das Seiende als Vorstellung nicht anders als in eben dieser Anschauungsform auftreten. Ebenso wenig ist es nöthig, die Apodicticität der übrigen Sätze von Räumlichkeiten auf eine reine Anschauung Raum zurückzuführen, zumal es unmöglich sein dürfte, die Allgemeinheit des Satzes: „im Dreieck ist die Summe der Winkel gleich zwei rechten" auf den Raum überhaupt als „reine Anschauung" zu gründen, ohne zu dem in der einzelnen Anschauung gegebenen Begriff Dreieck schliesslich doch

Das Begriffsurtheil.

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die Zuflucht zu nehmen. Denn, wenn „reine Anschauung" die reine Form der Erscheinung ist, so ist sie nicht das Allgemeine, an welches sich doch stets das allgemeine Urtheil halten muss, sondern etwas Specieile's der betreffenden Erscheinung; was dann aber, sollte nemlich die Anschauung und nicht der Raumbegriff derselben die Quelle des Urtheils sein, für ein kleines Dreieck Geltung hätte, würde nicht ohne Weiteres auch auf ein grösseres Dreieck ausgedehnt werden dürfen. In Wahrheit ist das, was K a n t als „reine Anschauung" den geometrischen Sätzen zu Grunde legt, Begriff in der „empirischen Anschauung", und nur die schroffe Gegenüberstellung von Anschauung und Begriff hat ihn gegen diese Thatsache blind gemacht. Denn der Umstand allein, dass die Raum be griffe in der Anschauung gegeben, dass sie anschaulich sind in hervorragender Weise, macht die mit ihnen sich beschäftigende Mathematik zu einer so „exaeten" Wissenschaft. Um zu allgemeinen und nothwendigen Urtheilen in der Geometrie zu gelangen, bedarf ich also nicht der „reinen Anschauung" K a n t Is, sondern eben nur der empirischen Anschauung, in der die Raumbegriffe anschaulich gegeben sind. Die Zahlen in der Arithmetik sind aber ebenfalls Begriffe, wie das Räumliche, mit welchem die Geometrie operirt, und sie gerade könnten, anstatt dass man der Zahlenoperation „reine A n s c h a u u n g " substituirte, vielmehr als das instruetivste Beispiel dafür dienen, dass das Ich mit reinen d. i. blossen Begriffen zu arbeiten im Stande ist. Nach dem Monismus kann nun überhaupt Anschauung nicht in zwei Hälften, empirische und reine Anschauung, zerfallen, sondern für ihn giebt es nur eine (bestimmte) Anschauung, d. i. das dem Ich gegebene Seiende, welches räumlich ist; und. es liegt kein Grund vor, einen Zweifel dagegen, dass die Anschauung das Seiende, und Raum die Form des als Anschauung bewusstgewordenen Seienden sei, aufkommen zulassen, denn ja auch die Erklärung der allgemeinen geometrischen Sätze Rehmke, Die Welt sie Wahrnehmung α. Begriff. 12

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

findet nicht ihr Genüge in der Annahme, der Raum sei „reine Anschauung", sondern nur in dem Nachweis, dass die Sätze als Begriffsurtheile auf Grund von Anschauung möglich sind. Auch, die von K a n t behauptete Ungereimtheit in der Ansicht, der Raum gehöre dem Sein an, ist nur für Eantische Augen da; er meint, der Raum wäre dann ja „ein unendliches Ding, das nicht Substanz, auch nicht etwas wirklich den Substanzen Inhärirendes, dennoch aber Existirendes, ja die n o t wendige Bedingung der Existenz aller Dinge sein muss, auch übrig bleiben, wenn gleich alle existirenden Dinge aufgehoben werden". Dagegen erwiedert der Monismus: Raum kann allerdings nicht ein „Ding" sein, denn er ist Seins form und zwar als Bewusst-Seiendes u n b e s t i m m t e Anschauung, daher auch auf ihn nicht die Bestimmung „unendlich" anzuwenden ist, denn, dadurch würde Raum eben ein Ding, ein Räumliches (Anschauung und Begriff). Raum hat diese Eigenthümlichkeit mit Zeit, welcher E a n t , wenn sie den „Dingen an sich" beigelegt würde, die gleichen „Ungereimtheiten" anhängt, gemein; die Zeit ist eben eine Form des Seienden als W a h r n e h m u n g und Vorstellung ü b e r h a u p t , und rein als solche ebenfalls durchaus unb e s t i m m t , daher ihr ebensowenig sei es das Prädicat„ endlich", sei es dasjenige des „Unendlichen" zugelegt werden darf. Alles bestimmte Bewusst-Seiende ist eben Ding, welches als Anschauung im Raum, d. i. begrenzt, endlich, als "Wahrnehmung und Vorstellung in der Zeit d. i. zeitlich ist; insofern sind also Zeit und Raum wirklich da, aber freilich nicht etwas Existirendes (ein Ding), wohl indess „den Substanzen" (d. i. dem bestimmten Seienden), „Inhärirendes, die nothwendige Bedingung der Existenz aller Dinge", welche aber wiederum nicht übrig bleibt, wenn gleich alle existirenden Dinge aufgehoben werden, sondern vielmehr mit dem Seienden als Wahrnehmung - Vorstellung, da es die allgemeine Form desselben ist, selbstverständlich auch aufgehoben würde. Man hat viel gestritten, ob Raum und Zeit endlich oder unendlich seien; ich glaube, diesen Streit mit obigen Bemer-

Erkenntnissbankerott des Dualismus und Kantianismus.

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kungen als einen durchaus unfruchtbaren, auf Grund einer phantastischen „Anschauung" von Raum und Zeit sich erhebenden gekennzeichnet zu haben; das Gleiche gilt von dem Streit, ob die Welt der Zeit und dem Raum nach Grenzen habe oder nicht; denn es kommt ganz darauf an, was ich mit dem Wort Welt bezeichnen will, ob den bestimmten Raum, dann ist sie endlich, ob den Raum überhaupt, dann ist sie unendlich, das will sagen: sie hat die Bestimmung „endlich" nicht an sich u. s. f. Ich habe schon auf verschiedenen Punkten hervorgehoben, dass K a n t nicht nur die Erscheinung „menschlicher Organismus" durchaus als Seiendes behandelt, sondern dass er auch jenes Ding an sich, welches er zur Construction seiner durchaus subjectiven, d. i. vom Subject abhängigen und nur als Vorstellung des Ich existirenden, Erscheinungswelt braucht, offenbar als „Erscheinung" in der Hand hält; er fand und that hier durchaus das Richtige, denn seine sogenannte Erscheinung ist eben in der That Seiendes. Kant hat zu der endlichen Vereinigung der Begriffe Sein, Realität und Phänomenalitat ein Grosses, ja das Grösste beigetragen, indem er durch sein System jenen eingewurzelten Wahn des Gegensatzes von Phänomenalität und Realität zu Boden schlug und die Menschheit als erkennende wieder in der „Welt" einbürgerte. Es kann ihn aber Niemand hart darum tadeln, dass er, um seinen Zweck erreichen zu können, Reales und Seiendes auseinanderreissen zu müssen glaubte. Auch er konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen. Das letzte Stück zur endgültigen Vereinigung hat die Gegenwart zu beschaffen, und sie wird dies meines Erachtens nur auf dem Wege des erkenntnieetheoretischen Monismus erreichen können. Dieser allein kann sich frei machen von allem Subjectivismus, welcher jedem Dualisten, mag er selbst dem transcendentalen Realismus, wie E. v. H a r t m a n n , zuschwören, in grösserem oder geringerem Maasse innewohnt. Man hat es als eine copernicanische That gerühmt, und 12*

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Kant selbst hat diesen Vergleich dafür gewählt, dass er nachgewiesen habe, wie wir in unserer Erkenntniss nicht uns nach den Dingen, sondern die Dinge nach uns sich richteten. Nicht immer sind Kopernicana die richtigen Handlungen, um eine Sache wieder in die richtige Lage zu bringen, denn nicht immer steht eine Sache, welche ihre richtige Lage offenbar nicht hat, auf dem Kopf, sondern oft nur schief, und dann ist eine Kopernicus-That vom Uebel. £. v. Hartmann hat den Kantischen Standpunkt den des absoluten Qlusionismus genannt und mit Recht denselben als einen durchaus subjectivistischen bezeichnet. In der That hat Kant, indem er zwischen Welt und Seiendem das Tafeltuch entzweischneidet, eine Erkenntniss im eigentlichen Sinn für sich unmöglich gemacht. Das vom Ich unabhängige, zum Ich in Beziehung tretende Seiende-ist for'das Kantische „Erkennen" nicht vorhanden, und mit dieser nothwendigen Voraussetzung aller Erkenntniss ist das Erkennen selbst gestrichen. Wenn dann die Erscheinungswelt ab „empirisch reale" das „Seiende" des menschlichen Erkennens genannt wird, so ist dieses „Erkenntnissobject" entweder selbst nur Illusion, oder aber die „Erscheinung" ist unter der Hand wieder in ihr altes Recht als das Seiende, welches zum Erkenntniss-Ich im Erkenntnissprocess in Beziehung tritt, eingesetzt. Im letzteren Fall setzt der Kantianer selbst schon den Fuss vorwärts, um das Seiende als solches unabhängig vom Ich hinzustellen und damit zugleich wieder erst die Möglichkeit eigentlicher Erkenntniss zu erlangen. Denn Erkennen will doch das Seiende selbst zum Bewusst-Seienden machen. Die Sühne dafür, dass K a n t Seiendes und Reales von einander schied, folgt in Fichte, der dem Ich Alles übermittelte und Seiendes sowohl als Reales begrub. Das Surrogat aber der Erkenntniss, welches Kant in der „Erscheinung" darbieten wollte, konnte dem berechtigten Drängen des erkennenden Ich nach Erkenntniss nicht lange Widerstand leisten. Das Seiende selbst sollte wieder her, und weil man mehr oder weniger von Kant'e Empfindungshypothese

Phänomenalität und Realität

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angesteckt war, so suchte man dasselbe nicht da, wo die „Empfindung" ihr Wesen trieb, sondern da, wo von Vorstellung selbst nichts mehr zu spüren und doch noch ein Bewusst-Seiendes auf ein Seiendes hinzudeuten schien. Nun entschied sich der Eine für den Willen, und fand das Seiende in diesem Bewusst-Seienden, der Andere entdeckte das Seiende wieder im Begriff. Ein Dritter aber, S c h l e i e r m a c h e r , riss sich ganz los von der Discreditirung der „Vorstellung" und erklärte das Bewusst-Seiende für ein dem Seienden entsprechendes Bild. Dass indess mit dieser Bildererkenntniss nur ein Surrogat der Erkenntniss, und zwar nicht besserer Art als das Kantische, aufgestellt ist, habe ich früher zu zeigen gesucht. Die Bewusstseins bilder, mag man sie nun als „stereometrische Bilder", wie H a r t m a n n , oder vager als Symbole bezeichnen, lassen uns, weil wir uns doch allein nur zu ihnen in Beziehung setzen können, völlig ebenso ungewiss über das Seiende., sowohl über seine Existenz als anch über seine Art, wie nach K a n t ' s offenem Geständniss die „Erscheinung" keinen Aufschluss geben kann über das Seiende. Aus solchem Bankerott der menschlichen Erkenntniss, der überall hervorgrinst, mag er nun hier durch die auf Nichts sich gründende Annahme des Dualismus, unser Bewusst-Sein e n t s p r ä c h e dem Sein, oder dort durch die Behauptung, unser Bewusst-Sein sei das Reale, welches mit dem von ihm unterschiedenen Seienden vielleicht in Verbindung stände, verdeckt werden, — vermag allein der rein erkenntnisstheoretische Monismus, welcher, Bewusst-Seiendes und Seiendes identiücirend, dasselbe unabhängig in seiner Existenz dem Ich gegenüberstellt, zu retten. Erst dann fühlt das erkennende Ich wieder festen Boden unter den Füssen, wenn die Wahrnehmung das Seiende und mithin das Reale ist, wenn die Feindschaft zwischen den Begriffen Sein, Realität und Phänomenalität erloschen ist, so dass man, wenn auch nicht alles Seiende für real und alles Reale für phänomenal (Wahrnehmung), so doch alles Phänomenale für real und alles Reale für Seiendes erklären kann.

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Es hindert nun in der That nichts, die real-phänomenale Erscheinung Kant's, insofern sie „Anschauung" ist, als Seiendes anzusehen, und damit wäre der erste Schritt in's Seiende gethan. Wenn das Seiende aber als Anschauung Bewusst-Seiendes ist, so taucht wiederum jene Schwierigkeit auf, welche in der Scheidung von primären und secundären Qualitäten der Dinge ihre scheinbare Lösung fand. Die Schwierigkeit zu überwinden ist für den Kantianismus ebenso gross, wenn nicht noch grösser als für den Monismus; jener hat den bösen Schein, dass die Erscheinung zum afficirenden, die secundären Qualitäten veranlassenden, Ding erhoben wird, zu vermeiden, der Monismus dagegen sich zu hüten, nicht trotz aller Vorsicht dem Dualismus zu verfallen, und dennoch Erscheinung und Seiendes auseinander zu reissen. Der Kantianismus ist nun in Wahrheit, will er nicht die Anschauungswelt zum Seienden machen, ohnmächtig, jene „Eigenschaften der Dinge" zu erklären, und es heisst die K o p e r n i c u s - T h a t an K a n t ' s eigener Ansicht vornehmen, wenn ein Kantianer in guten Treuen die „ E m p f i n d u n g e n " als angebliche W i r k u n g der E r s c h e i n u n g a u s den Ans c h a u u n g s v e r h ä l t n i s s e n d e r s e l b e n ableiten zn können glaubt; denn in solchem Fall würden wir uns wieder zu den Dingen zurückversetzt sehen, und zwar, dies ist zu beachten, zu den Dingen, wie sie als Anschauungen uns in Unabhängigkeit gegenüberstehen. Dem sich treu bleibenden Kantianismus ist die „ E m p f i n d u n g " ein d u r c h a u s u n e r k l ä r l i c h e s F a c t u m , und gerade dieser Umstand sollte ihn gegen sich selbst misstrauisch machen. Der Monismus hingegen hat keine Veranlassung, vor den sogenannten secundären Eigenschaften der Dinge zu verstummen oder beim Dualismus zur Erklärung derselben eine Anleihe zu machen*). *) Wenn ich erst an dieser Stelle die Ansicht von L o c k e und Seinesgleichen endgültig erörtere, und die Untersuchung über Kant's

Phänomenalität und Realität.

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„Ohne ein Verhältniss zu dem Auge, in das er seine Strahlen sendet", schreibt Moleschott, „ist der Baum nicht da". Ich wähle gern einen kantianisirenden Gelehrten aus naturwissenschaftlichen Kreisen, um zu zeigen, bis zu welchen Aussprüchen ein Kantianismus, der die nur nothdürftig zusammengeleimten Begriffe von Phänomenalität und Realität nicht zusammenzuschweissen vermag, weil das „Seiende" selbst fehlt, gelangen kann. Man muss sich wirklich fragen, was für einen Sinn jener Satz haben könne, und man müht sich doch aussichtslos ab, „denn ein vollkommener Widerspruch ist gleich geheimnissvoll für Weise und für Thoren". Soll „er ist nicht da" so viel heissen: „er· ist nicht Anschauung", so hat Moleschott ein wahres Wort geschrieben; und fast scheint es diesen Sinn zu haben, denn die vom Auge unabhängige Existenz des Baumes ist doch zugleich hervorgehoben in dem Satz „in das er seine Strahlen sendet"; sollte aber Moleschott dies haben sagen wollen? Ich denke nicht, denn so kann nur der Monismus sprechen: „ohne ein Verhältniss zum Auge, d. i. ohne die Vermittlung der Augenempfindung habe ich das Seiende nicht als Anschauung, ist der Baum für mich nicht da". Soll aber der Satz im Kantischen Sinn gesagt sein, und der „Baum" Vorstellung sein, so ist absolut nicht zu verstehen, was „das Verhältniss zum Auge, in das er seine Strahlen sendet," bedeuten mag. Es zeigt sich hier ein Beispiel von jener sehr zweifelhaften „philosophischen Besonnenheit", welche Schopenhauer an demjenigen, der die Welt als seine Vorstellung erkannt habe, folgendermassen rühmt: „Es wird ihm dann deutlich und gewiss, dass er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde iuhlt; dass die Welt, welche ihn umgiebt, nur als Vorstellung da ist, d. h.

Erscheinung dazwischen geschoben habe, so findet dies seine Erklärung darin, dass ich zunächst die Möglichkeit, L o c k e durch K a n t und seine Erscheinungswelt zu bekämpfen, abweisen zu müssen glaubte, um für die monistische Ansicht unbeanstandet Raum zu erhalten. —

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

durchweg nur in Beziehung -auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist". Es geht dem Monismus eigentümlich mit den Kantiana; halb kann er sie sich zu eigen machen, nemlich diejenige Hälfte, in welcher die Realität gegenüber der „subjectiven" Phänomenalität die Oberhand gewinnt und dem Seienden die Hand reicht. So ist denn auch vom "Monismus zuzugestehen: die Welt, welche mich umgiebt, ist „Vorstellung", d. i. Wahrnehmung und Begriff. Aber andererseits muss er das „nur" streichen, denn 'sie ist nicht nur „Vorstellung", sondern auch Seiendes: und so scheiden sich dann wieder die Wege, deren einer zur Kantischen transcendentalen Aesthetik und der ihr zu Grunde liegenden Empfindungshypothese führt, während der andere, der des Monismus, direct in's Seiende mündet. Ich habe des Moleschott'schen Wortes Erwähnung gethan, weil trotz des offenbaren Widerspruchs, den dasselbe enthält, ein Körnchen Wahrheit zu Grunde liegt, welches nur fehlerhaft als die ganze Wahrheit proclamirt wird. Sein Gesinnungsgenosse Büchner kommt der vollen Wahrheit schon näher, indem er einmal schreibt: „alle Dinge sind nur für einander da, und ohne gegenseitige Beziehungen bedeuten sie nichts"; hier handelt es sich nemlich nicht um erkenntnisstheoretische, sondern um Seinsbeziehungen, und in dieser Hinsicht liegt auch vom Erkenntnissstandpunkt aus betrachtet eine beachtensw e r t e Wahrheit in dem Büchner'schen Satze. K a n t meint, es sei schon ein grosser und nöthiger Beweis der Klugheit und Einsicht, zu wissen, was man vernünftigerweise fragen solle; nicht weniger aber ist es gerathen, auf eine Frage keine vorschnelle Antwort zu geben. Dies Letztere scheinen mir alle diejenigen nicht beachtet zu haben, welche sich später in die Lage versetzt sahen zu erklären, die „Dinge" entsprächen nicht unseren Wahrnehmungen, und dann auch dazu vorzugehen 'sich gezwungen sahen, die Wahrnehmung als Quelle unserer Erkenntniss zu verneinen. Sie haben die Frage: „was sind die Dinge" etwa auf dem Standpunkt des naiven Realismus beantwortet, und da sie die in dieser

Phänomenalität und Realität.

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Antwort niedergelegte Meinung nicht in der Wahrnehmung bei genauerer Prüfung bestätigt finden, so halten sie dafür, dass die Wahrnehmung nicht mit dem „Ding" d. i. dem Seienden zusammenfalle, und denken nicht daran, dass es angezeigter gewesen wäre, ihren Begriff vom „Ding* zu corrigiren. Weil sie nun einerseits ihr altes Urtheil über das Ding nicht aufheben zu können glauben, ohne das Seiende mit aufzugeben, andererseits aber auch die Wahrnehmung als irgendwie mit dem Ding dennoch zusammenfallend anzunehmen genöthigt sind, so halten sie wohl die numerische Identität beider aufrecht, obgleich ihnen die Begriffe verschieden sind: das Wahrnehmungsding ist das Ding plus verschiedenen Merkmalen, die ihm an sich nicht angehören. So kommt der Begriff „Ding an sich" auf, mit dem man aber freilich schlechterdings keine andere Vorstellung zu verbinden vermag, als diejenige des Wahrnehmungsdinges. Den Begriff „Ding an sich" aufzustellen, ist an und für sich gewiss erlaubt, nicht aber, wie es dann gar leicht geschieht, diesen allein in's Reale zu verlegen und die übrigen „Eigenschaften" zum Schein zu machen; denn nicht weniger als „Ding an sich", sind die „secundären Qualitäten" Reales. Will man aber i n n e r h a l b des Realen überhaupt zwischen demjenigen, was dem Menschen und dem, was dem -übrigen Realen angehört, als zwischen „Subjectivem" und „Objectivem" scheiden, so ist allerdings zuzugestehen, dass das Wahrnehmungsding (und dieses sollte nur den Namen „Ding" haben) Objectives und Subjectives an sich trage. Wäre ich nun etwa bisher der Meinung gewesen, dass das Subjective des Dinges auch Objectives sei, oder hätte ich bisher mit dem Wort „Ding" nur das Objective bezeichnen wollen, so müsste ich eben nun die nöthige Correctur in meinen Urtheilen vornehmen; ein ganz falsches Vorgehen aber würde es sein, jenes „Subjective" zu streichen*). *) Die Gefahr, den Begriff „Objectives" mit dem des Realen zu verwechseln, war ja auch der Grund, weshalb ich den ersteren in der

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Ich verstehe aber unter dem „Subjectiven" nicht etwas vom Ich Gemachtes, Ideales, sondern jene Begriffe, welche wir an den Dingen entdecken, insofern sie Wirkungen in unserem Organismus (Subject), welche uns zu Bewusstsein kommen, hervorrufen, wie ζ. B. hart und weich, süss und bitter; die Merkmale kommen den Dingen zu, insofern diese die Ursache sind eines Zustandes unseres Organismus, welchen wir mit ihnen zugleich oder nach ihnen w a h r n e h m e n ; das Letztere ist oft der Fall bei den Wirkungen der Dinge, welche wir Töne nennen, und demzufolge wir die Dinge selbst „tönende" heissen. Es sind dies alles Bestimmungen, die dem wahrgenommenen Seienden »Ding" angehören, nicht zwar sofern es Anschauung ist, sondern sofern es wahrgenommene Wirkungen in unserem Organismus hervorruft. Dabei wird man keine Gefahr laufen, in die Meinung des naiven Realismus zu verfallen und ζ. B. die Wirkung des tönenden Dinges, den Ton selbst, als Anschauung in dem Ding suchen, denn der Ton ist keine Gesichts- sondern eine Gehörwahrnehmung, ein Seiendes, dem keine Räumlichkeit zukommt. Unter Ding begreift man nun zunächst gewöhnlich das Seiende, welches als bestimmte Anschauung auftritt; an diesem entdeckt man dann etwa jene Eigenschaften, welche das Ding zur Ursache der „subjectiven" Wahrnehmungen machen. Deni angeschauten Seienden sind dies aber nicht in geringerer Weise Eigenschaften als jene, durch welche es als A n s c h a u ung bestimmt ist, und dieselben sind ihm nicht, wie man glauben könnte, erst in dem Augenblick geworden, als das Ich jene Wahrnehmungen als seine Wirkung erkannte: diese letztere Meinung wäre eine Verwechselung von W e r d e n und Bewusstwerden. Will man jetzt das erkannte Seiende, nur insoweit es Anschauung, nicht aber sofern es überhaupt das erkannte Seiende ist, Ding nennen, so hat man ein Recht zu sagen, grundlegenden erkenntnisstheoretischen Untersuchung sorglich vermiedoii habe, —

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dass das Seiende als „Ding" weder tönend, noch hart noch bitter sei, denn die Wahrnehmungen, welche dem Seienden diese Bezeichnungen eingetragen haben, sind allerdings nicht Anschauungen. Eine schiefe Auffassung des Seienden kommt aber bei solchem Vorgehen leicht zum Vorschein, als ob nemlich die Bestimmtheiten der Anschauung demselben in erster Linie zukämen, die anderen dagegen nur in zweiter Linie und als solche zwischen Sein und Schein schwankten: eine Auffassung, wie sie von Descartes schon in dem Maasse ausgebildet wurde, dass er sich genöthigt sah, zwischen Seiendem und Wahrnehmung zu scheiden, Sein und Erscheinung zu trennen. Die Erörterung über die sogenannten secundären Qualitäten würde unvollständig und der wichtigste Punkt unberührt gelassen sein, wenn über die Eigenschaft der Dinge, welche man Farbe nennt, hinweggegangen wäre. Ich habe mit Absicht diese Angelegenheit von derjenigen der übrigen Qualitäten getrennt. Man pflegt gewöhnlich die Fragen über „weich", „hart" etc. in einen Topf zu werfen mit derjenigen, welche die Eigenschaft „farbig" betrifft; wie mir scheint, mit Unrecht und zum Schaden der Sache selbst. Denn die Härte, der Ton etc. sind W a h r n e h m u n g e n als solche, die wir als durch etwas Anderes bewirkt erkennen; mit der Farbe verhält es sich nicht so. Sie ist nicht Wahrnehmung für sich, nicht als eine W i r kung des Dinges „empfunden", und man kann sie daher auch nicht in dem Sinne, wie es wohl mit den „subjectiven" Wahrnehmungen geschieht, (bewusste) Empfindung nennen. Sie tritt vielmehr als ein B e s t a n d t h e i l der b e s t i m m t e n Anschauung, welche Ding genannt wird, auf; das Ding selbst ist farbig. Wir wissen nun freilich, dass das Ding Farbe zeigt, weil Licht auf dasselbe einwirkt; das Büchner'sche Wort von den „gegenseitigen Beziehungen" ist also in diesem Punkte wenigstens bestätigt: ohne das Licht wäre das Ding nicht farbig. Da aber dieses „ohne" nichts ist, so ist das Ding eben farbig. · Wir müssen doch das einzelne Seiende, wenn wir es voll und ganz auffassen wollen, auch in seinen

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

Beziehungen zum übrigen S.eienden, in denen es nun einmal ist, denken und dann wird die Farbe den Dingen nicht abgesprochen werden können. Desshalb ist es auch unmöglich, das Ding als bestimmte Anschauung ohne Farbe vorzustellen; wie der Raum, so gehört die Farbe unvermeidlich sowohl zur Anschauung als auch zur vorgestellten Anschauung. Mag man auch diese Anschauungsform des Seienden als abhängig von der Einwirkung eines anderen erkennen, so kann das nicht hindern, sie dem Dinge zuzuerkennen. Sähe man sich daran aber dennoch gehindert, so müsste in gleicher Weise die räumliche Anschauungsform des Dinges dem „Ding an sich" abgesprochen werden, denn auch diese ist „ohne die gegenseitigen Beziehungen" zu dem übrigen Seienden, nicht denkbar. Was man dem Ding als farbigen in dieser Hinsicht am Zeuge flickt, rächt sich ohne Weiteres am Dinge als räumlichen. Dass sich Räumliches und Farbiges in der Anschauung nicht mehr trennen lässt, zeigen auch alle jene Versuche, welche aus Farbenempfindungen das Räumliche subjectiv construiren wollen, von den farbigen P u n k t e n Hume's an bis auf die neuesten physiologischen Versuche des Kantianismus: die F a r b e n e m p f i n d u n g e n sind, bei Licht besehen, schon farbige Dinge, d. i. farbige und r ä u m l i c h e Anschauung. Das Ding als farbiges vermag indess ebenfalls „Empfindungen" hervorzubringen, ζ. B. diejenigen des Grellen und Schwachen, welche wir daher auch nicht als Anschauungsformen des Dinges, sondern als Wirkungen desselben auffassen. Diese monistische Identificirung von Erscheinung und Ding erspart die Verlegenheit, welche auf dem dualistischen Standpunkt permanent ist, zwischen zwei Arten von „Empfindungen" zu unterscheiden, nemlich ζ. B. der Farbe und der durch die intensive Farbe gewirkten Empfindung des Grellen; denn diese letztere ist nicht etwa ein Merkmal an der „Farbe" selbst, sondern eine deutlich vom Ich unterschiedene bewusste localisirte „Empfindung'·, oder, wie ich lieber sagen würde, ein Gefühl.

Identität von „Erscheinung" und Sein.

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Wenn die Farbe nicht die Form des Seienden, sondern eine Empfindung in uns ist, warum denn „verlegen" wir nur diese nach Aussen und nicht auch die sie oft begleitende „Empfindung" des Grellen? Der subjectivistische Dualismus kann hierauf keine ausreichende Antwort geben, ohne unvermerkt selbst in den Monismus einzulenken und, gleich den Kantianern, das angebliche innere Sein, hier das Ding als farbiges, zum Seienden als solchem zu machen, weil eben das Ding selbst nicht etwa um seiner Räumlichkeit sondern gerade um seiner Farbe willen als Ursache des Gefühls des Grellen erkannt wird. So stellt das erkenntnisstheoretische Problem in Betreff der Frage, ob die Wahrnehmung das Seiende, das Ding das bestimmte Seiende ist, deij Menschen vor ein Dilemma, dessen eine Hälfte die Frage bejaht und allein Erkenntniss im eigentlichen Sinne des Wortes denkbar erscheinen lässt, während die Verneinung der Frage auch schliesslich die Erkenntniss verneint. Denn mag man auch zuerst nur theilweise die Verneinung aussprechen und behaupten, im Wahrnehmungsding sei das „Ding" d. i. das „reale Sein" immerhin mitgegeben und müsse nur durch den Erkenntnissprocess vom „Subjectiven" oder Idealen losgelöst werden, so ist damit der Anfang eines Zersetzungsprocesses gemacht, gegen dessen Fortgang sich zu stemmen man nicht mehr die Mittel eigener Kraft besitzt, und welcher erst bei der gänzlichen Verneinung des Seienden, wie die Geschichte es lehrt, aufhört. Sobald man dann vor dem absoluten Idealismus den Rückgang antritt, aber auf dem Boden des erkenntnisstheoretischen Dualismus stehen bleibt, ist gar keine Aussicht vorhanden, aus dem Cirkeltanz, der soeben eine Tour beendet hat, herauszukommen; denn hier wird alle Behauptung, dass eine gewisse Erkenntniss das Seiende umfasse, stets die petitio principii, dass das Bewusst-Seiende dem Seienden entspräche, enthalten; in Wahrheit aber arbeitet man in jenem Kreise allein mit Idealem, und das Ich ist hier der grosse Schöpfbrunnen aller sogenannten Erkenntniss, das reale Seiende indess kann nicht erreicht werden. . Der Monismus allein vermag mit realen Factoren zu

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Die Welt: „Erscheinung" oder Sein.

rechnen und kann jenen Cirkeltanz allein v e r m e i d e n ; er vermag dies aber auch meiner Ansicht nach nur dann, wenn er jenem Seienden, welches als Anschauung bewusst wird, sowohl Raum als auch Farbe zuerkennt, und damit überhaupt erst die Wahrnehmung voll und ganz als die Grundlage und den Quell aller Erkenntnis anerkennt. E. v. H a r t m a n n , welcher in seinem „transcendentalen Realismus" den Raum als real ansieht, hat die Farbe demselben Seienden nicht zugelegt, sondern für die Wirkung des Räumlichen, aber doch auch für einen Theil der instinctiven Anschauung erklärt; er kann dies seiner Voraussetzung gemäss, da die Anschauung ein Bild des Räumlichen im Ich sein soll. Dieser dualistische Standpunkt aber verwickelt ihn in die oben angedeuteten Schwierigkeiten, das Seiende als Raum zu beweisen, da wir als Dualisten doch immer nur das BewusstSeiende haben würden und vom Seienden demnach nichts wissen könnten. Gesetzt aber auch, es sei vom Räumlichen ein Bild in uns, warum dann nicht auch annehmen, dass vom Farbigen ebenfalls ein Bild in uns entstehe; etwa desshalb nicht, weil Farbe „Empfindung" sei? Kann denn dem Dualisten, der nicht Kantianer sein will, Raum etwas Anderes als Empfindung sein? Oder kann er desshalb nicht auch die Farbe dem Seienden zuschreiben, weil er weiss (um Hartmann's Beispiel anzuführen), dass der Zinnober eine solche Molecularbeschaffenheit hat, „welche nur Aetherwellen von etwa 0,0007 Mm. Wellenlänge reflectirt, Lichtstrahlen also, welche nur die Empfindung des Rothen hervorrufen"? Mir scheint, diese Annahme brauchte ihn nicht mehr und nicht weniger zu hindern, dem Dinge Farbe beizulegen, als das Räumliche im Seienden zu behaupten; denn als Dualist kann er ebensowenig vom Räumlichen wie vom Farbigen, ob es zum -Seienden gehöre oder nicht, wissen. Wie aber der Dualist keinen Grund hat, die Farbe dem Ding ausser mir zu nehmen, so hat der Monismus allen Grund, sie den Dingen selbst beizulegen, und in demselben Sinn, wie er K a n t ' s Urtheil über den Raum aufnehmen konnte, darf er

Identität von Erscheinung und Sein.

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über die Farbe urtheilen; denn auch von ihr kann gesagt •werden: wir können uns niemals eine Vorstellung („Anschauung") davon machen, dass keine Farbe sei. Ein Reales bliebe nun ja freilich Farbe auf jeden Fall selbst für den Kantianer, sie wäre indess ihm nur eine Empfindung, aber keine Wahrnehmung, d. h. nichts Bewusst-Seiendes, vielmehr als solche etwas Unbewusstes. — Die ganze Untersuchung, welche hiermit einen Abschluss erreicht hat, ging von der Frage aus, ob Sein und Erscheinung im Gegensatz ständen, ob wir als Erkennende (Wahrnehmende) zu unsrer Welt als Wahrnehmung etwas von uns aus hinzuthäten. Fast scheint es nun, dass diese Frage auf jedem erkenntnisstheoretischen Standpunkt eine müssige sei. Der Dualismus wenigstens wird sie schwerlich in Angriff nehmen können, da die Lösung der Frage das Gegebensein des Seienden selbst voraussetzt, während jener nur über Bewusst-Seiendes als angebliches „Bild" eines X verfügt, und einen Vergleich mit dem Seienden auf keine Weise anstellen kann. Wenn er dieses aber doch zu thun glaubt, so steckt er in dem Ifrthum, nur einen Theil des Bewusst-Seienden, den er eben willkürlich zum „Ding" gemacht hatte, für das Seiende zu halten; es ist von ihm ein Ding an sich construirt worden, für dessen Existenz er keinen Berechtigungsschein vorweisen kann. Was allein in seiner Macht liegt, beschränkt sich auf die Correctur von Urtheilen, in denen etwa subjectives Bewusst-Seiendes für objectives erklärt wird, und demgemäss auf die Scheidung des Bewusst-Seienden in Dinge (Anschauung) und Empfindung, d. h. in Objectives und Subjectives. Mit dieser Scheidung ist jedoch wieder der Fuss in's Seiende gesetzt, indem man statt „übrige Wahrnehmung" das Wort Empfindung gebraucht; denn dieses begreift die Wirkungen eines Seienden auf das andere, während man natürlich innerhalb des Bewusst-Seienden nicht von Wirkungen reden kann; das Bewusst-Seiende (Ding) wird also damit zum Seienden gestempelt, und unvermerkt steht man auf dem Boden des Monismus.

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Das Denken.

Auch Kant hätte im Grande jene Frage nicht stellen können — er hatte ja ebenfalls nicht das Seiende zum Vergleich — wenn er sie nicht schon im Voraus beantwortet hätte in der Annahme, dass das unerkennbare Seiende uns nur zu Empfindungen veranlasse: in dieser Annahme lag sein weiterer Weg schon angezeigt. Hatte man früher das Bewusst-Seiende in Anschauungen und Empfindungen getheilt, letztere aber als Wirkungen ersterer erklärt, so musste nun, da für Kant das Seiende etwas völlig Anderes ist als das Bewusst-Seiende (er mochte doch einsehen, dass eben nur dieses dem Dualisten zu Gebote steht) und das Seiende allein durch seine Wirkungen sich offenbart, das, was nicht als Wirkung bisher angenommen war und werden konnte, vom Ich stammen: die Anschauung ist a priori als reine Form der Erscheinung im Ich bereitliegend, sagt Kant. — Der Monismus endlich sieht sich der Frage als einer mussigen ebenfalls gegenüber, weil ihm das Gegebene nur das Seiende sein kann, die Erscheinung also nicht nur im Kantischen Sinn real, sondern auch seiend ist. Das Seiende wird wahrgenommen, wie es ist, die Welt ist das Seiende als Wahrnehmung: ob aber auch als Begriff? Diese zweite Frage gilt es jetzt zu beantworten; und an ihr kann sich auch der Dualist betheiligen, der ja doch meistentheils, wenn er nicht dem Kantianismus angehört, in Bezug auf die Welt als Wahrnehmung ein verkappter Monist ist. —

8. Das Denken. Dass die Welt als Wahrnehmung das primitiv bewusstgewordene Seiende ist, sagt der erste Grundsatz des Monismus. Wenn nun die Erkenntniss überhaupt das Seiende enthalten, und das Erkennen dasselbe im Begriff inniger dem Ich zu eigen machen soll, der Begriff aber ein secundäres Bewusst-Seiendes

Ursprung der Begriffe.

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ist, welches auf dem primären sich erhebt, so scheint der Schluss für den monistischen Standpunkt gegeben, dass die Welt als Begriff aus der Welt als Wahrnehmung für das Ich sich entwickele, dass also die W a h r n e h m u n g der Anfang und die Quelle der E r k e n n t n i s » überhaupt sein müsse. Hier jedoch sieht man fast dieselben Einwürfe wiederkehren, welche gegen die Welt als Wahrnehmung und Seiendes geltend gemacht werden, indem nach den Einen wohl manche Begriffe der Wahrnehmung entnommen sein, manche dagegen ihren Schöpfer im Ich suchen sollen, nach den Anderen dagegen die Grundbegriffe überhaupt dem denkenden Ich entstammen sollen. Im ersteren Fall können die streitigen Begriffe immerhin für das „subjective" Gebiet des „realen Seins", d. i. für den Mikrokosmos Mensch („Ich") reale sein, aber für das „objective" Reale ihren wissenschaftlichen Dienst dennoch versagen. Durch die „Sinnlichkeit" wird das Seiende gegeben, durch den „Verstand" wird es gedacht; die denkende Verarbeitung der Wahrnehmung führt zu Begriffen, und das Seiende als Wahrgenommenes und Gedachtes sind, pars pro toto genommen, die Dinge. Wird nun, das ist die Frage, der Begriff, welcher mit der Wahrnehmung zusammen das Bewusst-Seiende „Ding" ausmacht, an dem Seienden als Wahrnehmung vom denkenden Ich entdeckt, gehört er demnach diesem Seienden als solchem an, oder wird er in dasselbe „hineingelegt"? Wenn letzteres der Fall ist, so hat der Begriff seinen letzten Ursprung im Ich: dieses behauptet E a n t . Da ich den ganzen Unterbau der Kantischen Erkenntnisstheorie nicht annehmen kann, so ergiebt sich, weil seine Ansicht vom Denken des in der Anschauung Gegebenen eng mit seiner Anschauungstheorie zusammenhängt, dass ich auch seine Kategorienlehre verwerfen muss. Ich will daher auch nur kurz ein Bedenken gegen die reinen Verstandesformen äussern, das, wie mir scheint, auf Kantischem Boden selbst aufkommen muss. Schon in Ansehung der „reinen Anschauung" musste sich die Frage erheben, wie denn, ohne die „Empfindungen" Behmke, Die Welt al9 Wahrnehmung u. Begriff. J3

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Das Denken.

selbst zu räumlichen zu machen, es zu erklären sei, dass wir dieselben in so verschiedenen Formen (Verhältnissen) ordnen? An den Empfindungen wird dies offenbar nicht liegen, denn die Anschauungsform, Räumliches, kann doch nur durch Räumliches bedingt sein. Zwei Möglichkeiten der Erklärung allein liegen vor, von denen K a n t aber weder die eine noch die andere annehmen kann; entweder nemlich ist die Verschiedenheit der Erscheinungsformen auf verschiedene Formen des afficirenden Seienden zu gründen (dies thut der transcendentale Realismus H a r t m a n n ' s ) oder auf die reine Willkür des anschauenden Ich. Mit dem ersteren hätte K a n t seiner Phänomenalität, mit dem Letzteren seiner Realität der Welt den Garaus gemacht. Das gleiche Bedenken erhebt sich gegenüber den „reinen Verstandesformen" Kant's. Was ist denn der Grund, dass ich „das Mannigfaltige der Anschauung" hier unter die „Einheit" des Quantum, dort unter die des Quale, jetzt unter die „Kategorie" der Substanz und ein anderes Mal ein Gegebenes unter die der Causalität bringe? Alle Kategorien sind doch dem Ich in jedem Augenblick des Denkens zur Hand, es kann sie alle anwenden; warum wendet es aber bei gewissen Mannigfaltigem der Anschauung nur gewisse Kategorien und nicht andere an? Beruht dies auf der Willkür des Ich? Gewiss nicht, sonst würde der Mensch sich dieser Willkür doch bewusst sein! Demnach muss der Grund in der gegebenen Anschauung liegen; aber wie ist dies nach K a n t möglich, wenn Anschauung und Begriff in so völligem Artgegensatz stehen, dass ihre Heterogeneität nicht geringer veranschlagt werden kann, als die von Empfindung und Raum, welch' letzterer ja bekanntlich einen ganz anderen Quell als die erstere haben soll. Es genügt hier nun nicht zu sagen: die Verschiedenheit der „empirischen Anschauungen" (deren Verschiedenheit eben auch nicht erklärt ist) v e r a n l a s s e die verschiedene Wahl der Kategorien seitens des denkenden Ich; denn damit würde durchaus nicht der zureichende Grund für das bestimmte Denken im bestimmten Fall angegeben sein. Ich kann mir wohl denken, dass etwas, welches

Ursprung der Begriffe.

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dem anschauenden Menschen gegeben wurde, ihn zum Denken überhaupt veranlasste, aber ich bin gezwungen, eine innere Uebereinstimmung zwischen einer empirischen Anschauung und einer „Kategorie'' anzunehmen, wenn ich mir erklären will, warum die „Anschauung" grade in diese Kategorie falle. Solche „innere Uebereinstimmung" aber kann ich wiederum nicht etwa einfach unbewiesen voraussetzen, um dadurch die Hypothese der reinen Verstandesformen angeblich zu unterstützen. —

Was wird aber solche Uebereinstimmung Anderes bedeuten können, als dass der Begriff, welchen ich an der Anschauung dann erkenne, in ihr enthalten gewesen, von mir aber für sich gedacht und im Urtheil logisch auf die bestimmte Anschauung, d. i. das Ding, bezogen sei. Ohne diese letztere stillschweigende Voraussetzung, durch welche erst die Anwendung der bestimmten „Kategorie" auf eine empirische Anschauung ihren zureichenden Grund erhält, schwimmt der Kantianismus auf wildem Meere steuerlos umher; mit derselben aber macht er seinen ganzen Kategoriendenkapparat überflüssig, weil dann die Begriffe im Gegebenen unabhängig vom Ich enthalten gedacht werden und das Denken hier nun als diejenige Thätigkeit des Ich definirt werden muss, welche die Begriffe auf Grund von Wahrnehmungen sowohl als auch aus denselben gewinnt und etwa schon auf diese Weise gewonnene Begriffe in neuen Wahrnehmungen wiederfindet. Das Denken ist ja freilich eine andere Thätigkeit des Ich, als das Wahrnehmen, darum wird auch das Seiende durch Denken nicht etwa wiederum als Wahrnehmung, sondern eben als Begriff dem Ich bewusst; dieses geschieht aber stets zunächst an der Wahrnehmung, aus welcher eben das Seiende als Begriff gewonnen wird. Der so gewonnene Begriff verleugnet auch seinen Ursprung nicht, denn er ist, obwohl nicht Wahrnehmung selbst, so doch für den Denkenden „wahrnehmbar" an der Wahrnehmung. Die Kategorienlehre K a n t ' s hat auch selbst unter seinen 13*

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Das Denken.

Anhängern nicht überall Anklang gefunden, und es giebt schon Ketzer unter ihnen, welche gewisse „reine Verstandesformen" selbst aus der Anschauung entsprungen erklären; wenn nun aber einige gestrichen werden, warum dann nicht mit allen aufräumen! Der Monismus wenigstens kann keinen Anstand sehen, dies zu unterlassen, weil nach ihm das Bewusst-Seiende nicht „Eindrucke" oder sonst etwas in mir, sondern das Seiende selbst ist und die B e g r i f f e ebenso gut zum Erkenntniss - Nicht - Ich d. i. zum bewusstgewordenen Seienden gehören wie die D i n g e , an denen sie als Merkmal derselben wahrnehmbar erscheinen für das denkende Ich. — Wenn man das Denken definirt als das Erkennen des Seienden durch Begriffe, so wird schon dadurch die Meinung geweckt, dass die B e g r i f f e nur das H ü l f s m i t t e l der Erkenntniss seien, während sie doch in Wirklichkeit das erk a n n t e Seiende s e l b s t sind. Ebensowenig correct wäre es, das Denken ein Bestimmen der Dinge durch Begriffe zu nennen, da die Dinge selbst schon Wahrnehmung und B e g r i f f sind, die Begriffe also die Wahrnehmung allein bestimmen, wodurch das Seiende eben als Ding bewusstseiend ist. Das Richtige allein ist also in diesem Fall, entweder zu sagen: durch das Denken werden die Wahrnehmungen bestimmt, oder, was noch umfassender wäre: durch das Denken gewinnen wir das Seiende als Begriff. — Durch jene, das Missverständniss erregende, Definition wird der Begriff als solcher zu Ding oder Wahrnehmung ausser seinen innigen Contact gesetzt, und diese falsche Auffassung hat ihren Grund speciell bei K a n t in seiner Ansicht von den U r t h e i l e n , indem er die l o g i s c h e S y n t h e s e von Subject und Prädicat als eine e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e S y n t h e s e auffasste. Im monistischen System findet das Urtheil als erkenntnisstheoretische Synthese keinen Platz, weil dies ein S e i e n d e s s c h a f f e n hiesse durch l o g i s c h e Operation; wohingegen allerdings logische Synthese als solche für ein durchaus wichtiges Hülfsmittel des Erkennens zu erklären ist. Diese logische Synthesis eben wird Urtheil genannt;

Urtheilen.

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sie bezieht einen Begriff auf . eine Wahrnehmung, oder einen Begriff auf einen Begriff; enthält sie eine Erkenntniss, so ist vom Standpunkt dieser Erkenntniss aus das Urtheil in beiden Fällen eine A n a l y s i s , mag nun die Erkenntniss das bewusstgewordene Seiende als bestimmte Wahrnehmung oder als Begriff sein. Die D e n k o p e r a t i o n U r t h e i l e n ist sicherlich nicht im eigentlichen Sinn ein E r k e n n t n i s s a c t , da ja durch dieselbe als solche kein neues Seiendes bewusst wird; sie bildet aber für das Denken der Welt, wie die Sinne für das Wahrnehmen derselben, das nothwendige Mittel, durch welches uns ein Verhältniss von Wahrnehmung und Begriff oder von Begriff und Begriff dargestellt wird. Solche logische Beziehung eines Bewusst-Seienden auf das andere ist dem Menschen, welcher sich zu den Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffen immer wieder in Beziehung setzen kann, in seine eigene Hand gegeben, und er ist daher auch nicht genöthigt, nur derartige Verhältnisse darzustellen, welche das Urtheil als A n a l y s i s einer E r k e n n t n i s s kennzeichnen würden. So geschieht es denn, dass das Ich auch in seinen Urtheilen nicht allein das Verhältniss einer Wahrnehmung zu einem Begriff, welches noch nicht als Erkenntniss gegeben war, sondern auch das Verhältniss eines realen zu einem idealen*) Seienden darstellen kann. Insofern nun die Möglichkeit vorliegt, dass Ideales Reales werden kann, mag man sagen, dass nicht nur im ersten, sondern auch im letzten Fall mögliche Erkenntniss enthalten ist; jedoch eigentliche E r k e n n t n i s s wird a l l e i n als Wahrn e h m u n g oder an der W a h r n e h m u n g als Begriff geg e b e n ; denn die Wahrnehmung ist Anfang und Quelle aller Erkenntniss. Auch die S k e p s i s gesteht der Wahrnehmung diesen wichtigen Platz im Erkenntnissprocess zu, meint aber eben *) Ueber das Verhältniss von Idealem und Realem enthält der nächste Abschnitt Ausführliches. —

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Das Denken.

deshalb, class nun der Mensch bestimmte Begriffe, welche er in seinen Urtheilen gewöhnlich gebraucht, um angeblich wirkliche Erkenntniss darzustellen, zu streichen habe, da dieselben dem wahrnehmenden Ich nicht gegeben wären, sondern von ihm als vorstellendem gewonnen und in den Urtheilen nur logisch verknüpft würden mit Wahrnehmungen. Vor Allem ist es der Begriff Causalität, welcher beanstandet wird, und zwar nicht nur als einer, der wohl für das Gebiet des Subjectiven, das will sagen für das Geistesleben des Menschen und die Willensäusserungen desselben Realität besässe, aber nicht auf das übrige Seiende sein Seinsgebiet ausdehnte, sondern sogar als ein durchaus idealer. Für die Erkenntniss der Welt als Wahrnehmung und Begriff oder, wie man sonst sagt, der Dinge wäre das Durchdringen eines derartigen Zweifels von ruinirender Folge, da all unsere Wissenschaft vom Weltprocess, von der Entwicklung der Dinge, ihren absoluten Character nur aus der R e a l i t ä t jenes Begriffs herleiten kann. — In der Frage nach der Causalität werden gewöhnlich zwei Fragen ohne Weiteres mit einander zusammen gefasst, welche entschieden eine gesonderte Behandlung erfordern; denn gesetzt den Fall, ich könnte in einem gegebenen Fall erkennen, dass die Sonne es ist, welche den Stein erwärmt, so ist damit noch nicht ohne Weiteres erkannt, dass in allen Fällen die Sonne den Stein erwärmt; wenn zwei Menschen Α und Β zusammengekommen sind, und Α den Β geschlagen hat, so ist keineswegs zugleich gegeben, dass Α den Β in allen Fällen, wann er mit ihm zusammentrifft, schlagen muss: beide Male aber ist Causalität ausgesagt. Sowohl H u m e als auch K a n t , welche der in Frage stehenden erkenntnisstheoretischen Untersuchung ihre besondere Aufmerksamkeit widmeten, haben beide Hälften der Frage ungetrennt behandelt. Daher kam es, dass sie in den Begriff der Causalitatserkenntniss überhaupt schon den Character der Allgemeinheit und Notwendigkeit hineinlegten, der demselben nicht an sich zugehört. H u m e hat aber besonders die Seite,

Der Begriff Causalität.

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wie wir zur Annahme der A l l g e m e i n h e i t in der Causalitätserkcnntniss, K a n t die andere Seite der Frage, wie wir zur C a u s a l i t ä t ü b e r h a u p t gelangen, ins Auge gefasst, und vielleicht deshalb sind sie halbwegs an einander vorbeigeschossen und ist K a n t ' s Polemik nicht so gefahrlich für H u m e ' s Ausführung geworden. — Die Schwierigkeit, welche H u m e in der Erklärung der Causalität entdeckt hatte, ward nemlich keineswegs von K a n t dadurch wirklich gehoben, dass er die Causalität für die reine Verstandesform erklärte, welche zweien gegebenen Anschauungen als Begriffseinheit diene; und zwar kann seine Verbesserung deshalb nicht genügen, weil ja doch nicht alle gegebenen zeitlich auf einander folgenden Gegenstände causal begriffen werden. Man muss daher wieder fragen: wie erklärt es sich, dass nur ein Theil solcher Gegenstände von der Kategorie der Causalität erfasst wird und der andere nicht? Dies kann doch nicht an der Kategorie oder an dem mit demselben behafteten Ich, sondern muss an der E i g e n t h ü m l i c h k e i t des Anschauungsmaterials liegen, und damit steht man eben wieder an dem Punkte, wo H u m e mit seiner Untersuchung einsetzte. K a n t ' s Antwort auf die Frage: warum erkennen wir Causalität in der Welt? ist im Grunde keine andere als die: weil wir Causalität erkennen. Da wir nun nicht alle Objecte, die wir wahrnehmen, causal verknüpfen, so muss sich das Verhältniss der zwei „Objecte", die wir als Ursache und Wirkung erkennen, genauer an der Wahrnehmimg bezeichnen lassen, wenn anders der Begriff Causalität aus der Wahrnehmung entspringen und demzufolge Realität beanspruchen können soll. — • „Nimmermehr", schreibt Cohen, „ist in der Sinneswahrnehmung selbst, oder genauer in den Reizen oder Eindrücken, welche etwaige Dinge auf uns machen, diejenige Art der Verknüpfung eo i p s o g e g e b e n , welche wir die ursächliche nennen. Der einfachste Beweis für diesen Gedanken besteht darin, dass wir nicht jede Aufeinanderfolge von Wahrnehmungen als ein causales Erfolgen ausgeben". Dieser „Beweis" leistet

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Das Denken.

nun zwar nicht, was Cohen von ihm erwartet, wohl aber zeigt derselbe, dass, wenn die causale Verknüpfung wirklich an der Wahrnehmung gegeben sein soll, allerdings die blosse Aufeinanderfolge von Wahrnehmungen nicht ausreicht, um jenen Begriff zu entdecken oder anzuwenden. Gleicherweise hat Cohen Recht mit seinem Urtheil, dass die Causalität nicht durch W a h r n e h m e n eo ipso gegeben werde; denn sie ist ein Begriff, der nur durch Denken gewonnen werden kann. Nichts destoweniger ist die Gewinnung des Begriffs an Wahrnehmungen immerhin damit noch nicht als unmöglich nachgewiesen. Um den Begriff Causalität auf Wahrnehmungen anzuwenden, muss nicht nur eine Aufeinanderfolge, sondern zugleich eine Veränderung Statt haben. Doch auch dieses genügt noch nicht; denn nicht jede Aufeinanderfolge, welche zugleich Veränderung zeigt, heisst eine causale. „Kein Mensch nennt seine Erscheinung eines Schiffes hier an dieser Stelle die Ursache von der Erscheinung desselben im nächsten Augenblick ein wenig mehr stromabwärts". — Die Aufeinanderfolge setzt im Causalitätsfall zwei verschiedene Dinge voraus, von denen eines die erforderliche Veränderung zeigt. Wir haben es also bei der Causalität im Grunde mit drei Wahrnehmungen zu thun, mit der sogenannten Ursache, mit dem Ding vor und mit demselben· in der Veränderung; die Veränderung, welche am Ding vor sich gegangen ist, heisst dann Wirkung. Die Ursache einer Veränderung müsste demnach diejenige bestimmte Wahrnehmung d. i. dasjenige Ding heissen, welches der Wahrnehmung, die als das veränderte andere Ding auftritt, voraufgeht. Man sieht aber leicht ein, dass auch diese Definition noch zu weit ist, da keineswegs alle der Veränderung eines anderen Dinges vorausgehenden Wahrnehmungen den Namen Ursache in jedem Fall erhalten können; ja selbst die weitere Bestimmung, welche ebenfalls nöthig erscheint, dass nemlich das „Ursache" genannte Ding sowohl zu dem zu verändernden als auch zum veränderten ein bestimmtes Verhältniss zeigen müsse, zu jenem

Der Begriff Veränderung.

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das der räumlichen, zu diesem das der zeitlichen Berührung — erschöpft die Frage nicht. — Hier gilt es nun, einen Augenblick der Untersuchung, was unter Veränderung zu verstehen sei, näher zu treten. Man kann nicht sagen: die Wahrnehmungen verändern sich, auch nicht: (lie Begriffe verändern sich. Da nun das Ding Wahrnehmung und Begriff ist, so könnte man glauben, dass das, Avas von den „Theilen" nicht gilt, auch vom „Ganzen" nicht ausgesagt werden dürfte, und doch sagen wir: das Ding verändert sich, und, indem wir alle Dinge zusammen mit dem Wort Welt bezeichnen: die Welt verändert sich. Würden nun Wahrnehmung und Begriff wirklich Τ heile des Dinges sein, die real, d. h. in der Wahrnehmung als zwei Τ heil Wahrnehmungen zu trennen wären, so könnte, wenn von Veränderung der Wahrnehmung und von der des Begriffs nicht geredet werden darf, auch von dem Ding nicht Veränderung ausgesagt werden. Begriff und Wahrnehmung sind in Hinblick auf das Ding aber nur die real untrennbaren Momente dieses B e w u s s t - S e i e n d e n , von denen der Begriff freilich logisch für sich gedacht werden kann; und wenn das Ding sich verändert, so ist es, eben als dieses Ganze erkenntnisstheoretisch betrachtet, ein a n d e r e s geworden, d. h. ein anderes Ding, als dasjenige, welches vor der Veränderung da war, ist da. Wie ist es aber dann möglich, von einer Veränderung des Dinges zu reden, da es nach der „Veränderung" gar nicht mehr da ist? Dies lässt sich nur daraus erklären, dass das Ding Wahrnehmung und Begriff ist; als Wahrnehmung ist es in der Zeit und zeigt demnach Veränderung, ein Werden und Vergehen, als Begriff aber ist es ausser der Zeit und kennt nur Sein und Nichtsein. So lange nun die Reihe von Wahrnehmungen denselben Begriff enthält, ist das Ding als Begriff in allem sonstigen Wechsel da, und eben nur der in allen verschiedenen Wahrnehmungen als derselbe auftretende Begriff macht es also möglich, von der Veränderung des Dinges zu sprechen. Sobald aber in einer folgenden Wahrnehmung der das Ding consti-

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Das Denken.

tuircnde Begriff f e h l t , ist das Ding überhaupt nicht mehr da, dieses ist ein a n d e r e s geworden, d. h. ein anderes Ding ist da. Man kann gegenüber den wechselnden Wahrnehmungen den Begriff des Dinges das Beharrliche nennen oder die Substanz desselben, wenn nur nicht der letztere Ausdruck verleitet, entweder den Begriff als ein Ding im Dinge, der ein fester Kern wäre, um den sich das Ding als zeitliche Wahrnehmung herumlegte, aufzufassen, oder aber mit dem Wort Substanz einen ganz anderen Begriff zu verbiuden und mit demselben die chemischen Elemente, aus welchen das Ding chemisch zusammengesetzt ist, zu bezeichnen, womit die erkenntnisstheoretische Erörterung einer physischen oder metaphysischen Untersuchung Platz gemacht hätte. — Jede Veränderqng nun bringt etwas Neues, und dieses wird erkannt als Wirkung von einem zeitlich vorhergehenden Dinge. Die Bezeichnung „als Wirkung" deutet nun schon darauf hin, dass das Ding, welches Ursache genannt wird, ein wirkendes sei, d. h. dass es als t h ä t i g e s Ding mit dem zu verändernden Dinge in Berührung trete, und dies letzte Moment ist es nun auch in der That, welches dem Ding in Hinsicht auf die der Berührung folgende Veränderung in dem anderen Dinge vor Allem den Namen Ursache giebt. In den Begriff der U r s a c h e nemlich legt der naive Mensch noch nicht an und fur sich das Merkmal der K r a f t hinein, sondern er fasst unter jenem nur die Dinge zusammen, welche als t h ä t i g e mit einem anderen in Berührung kommen, und bei welcher Gelegenheit eine Veränderung in F o l g e der Berührung in dem anderen entsteht. Die spätere wissenschaftliche Erfahrung erst corrigirt diese Ansicht, indem sie einerseits die „Berührung" ersetzt durch „in Beziehung treten", da sie auch „Wirkung in die Ferne" kennen lernt, andererseits das zunächst kaum beachtete Moment der zeitlichen Folge mehr hervorhebt, und dazu hinzufügt die negative Instanz, dass andere thätige Dinge in keiner Beziehung zu der Veränderung stehen. Die Causalität schliesst demnach in sich die Beziehung des einen Dinges zum anderen (im

Das thätige Ding.

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Raum ist es die räumliche) und clie Zeitfolge der Thätigkeit des einen und der Veränderung des anderen. — Die angegebenen Momente, welche in dem Begriff Ursache liegen, sind nun alle in der W e l t als W a h r n e h m u n g durch das D e n k e n zu gewinnen, und es bedarf daher durchaus keines „apriorischen" Zuschusses, um jenen Begriff in seinem Dasein zu erklären. Als denkende Wesen finden wir ihn sowohl im Mikrokosmos als auch im Makrokosmos, und wenn wir etwa in falschem Urtheil als naive Menschen die thätigen Aussendingo als bewusstthätige Wesen auffassen, so würde es' ein ύστερον πρότερον sein, wollte man diese Auffassung als G r u n d angeben, dass wir die Dinge Urs a c h e n nennen, da sie doch vielmehr nur eine F o l g e dessen ist. Die zweite Hälfte der Causalitätsfrage bietet grössere Schwierigkeiten. Mit ihr haben sich besonders H u m e und seine Anhänger beschäftigt: wie kann der Mensch, welcher ein Ding als die Ursache der Veränderung an einem anderen erkennt, dieses Urtheil so verallgemeinern: jenes werde stets die Wirkung in diesem hervorbringen, wenn die gleichen Umstände gegeben sind. Die englische Skepsis hatte sich die Lösung, welche unserem wissenschaftlichen Interesse an der Erkenntniss allein genügen kann, dadurch versperrt, dass sie von der Meinung ausging, der Mensch nenne ein Ding dann erst Ursache, wenn er in dasselbe eine K r a f t hineingedacht habe. H u m e hat sich mit dieser Annahme die Untersuchung selbst so erschwert, dass er diese nur in skeptischem Sinne endigen konnte. Und was verstand er unter „Kraft"? Das vermag er uns selbst nicht zu sagen, denn er gesteht, der Mensch habe „no real idea of force or energy; such a power is not felt, nor known, nor even conceivable by the mind". Trotzdem aber sollen „dumme Bauern und unmündige Kinder" schon eine solche „Kraft" in dem Ding, das Ursache ist, annehmen, was auf ein angebornes Hirngespinnst hinauskäme; viel eher ist doch anzunehmen, dass dieselbe eine p h i l o s o p h i s c h e

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Das Denken.

Zuthat sei, welche ihr Dasein der menschlichen Neigung, Begriffe als Dinge aufzufassen, verdankt. Hume brauchte sich in der That nicht zu wundern, dass er die „Kraft", durch welche die Wirkung erfolgen sollte, nirgends antraf, und anstatt zu erklären, dass sie jenseits unseres Begreifens läge, hätte er das philosophische Unding einfach vernichten sollen. Was ist denn Kraft anders als die hypostasirte Thätigkeit der Dinge, sei es mechanische d. i. Bewegung, sei es geistige d. i. Wollen? Hume konnte also, selbst wenn er an die wirkliche Kraft herangekommen wäre, nichts mehr entdecken, als was er schon in der Thätigkeit-des Dinges w a h r n a h m , da Kraft und Thätigkeit dasselbe sind. Wie dem Begriff Kraft, so pflegt man ja auch dem Begriff Wille Gewalt anzuthun und ihn zu hypostasiren. Obwohl er nichts anderes als bewusste T h ä t i g k e i t des Menschen ist, wird er als Ding im Ding angesehen. Man redet davon: „der Wille in mir ist thätig", „mein Wille setzte es durch, dass ich" etc., und der verkürzte Ausdruck „Wille", anstatt „wollender Mensch", ist so zu einem Staat im Staate gemacht; der „Wille" wird in das Ich als Ding für sich hineingestellt, obwohl es auch hier sich vergebens anstrengen heisst, will man dies angebliche Ding entdecken. Wille ist ein Merkmal des bewussten Menschen, und bezeichnet denselben als bewussttliätigen überhaupt. Der so gewonnene hypostasirte Wille muss dann wiederum der „Kraft" zu Hülfe kommen, die ja, weil dieses Phantasma keine Realität hat, nicht wahrgenommen werden kann; man meint eben wenigstens jenes Unding W i l l e im Ich wahrzunehmen, während das wollende Ich doch in Wahrheit das Wahrgenommene ist. Weil aber Wille und Kraft zwei Begriife sind, welche das Ding als t h ä t i g e s bezeichnen, und das Moment der T h ä t i g k e i t des gegenüber der Wirkung zeitlich ersten Dinges die erste und höchste Bedeutung in der Causalität hat, so sind die beiden Begriffe in der Hypostase das ursächliche* Ding selbst neben dem eigentlichen Ding geworden. Die

Das thätige Ding: „Kraft" oder „Wille".

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Thätigkeit als solche wird dem eigentlichen Thätigen wiederum als Ursache seiner Thätigkeit hypostasirt, und map bringt es zu Stande, von einem thätigen Willen und einer thätigen Kraft zu reden, ohne dass sich Jemand an dieser Tautologie gestossen hätte. Ja, ein Schopenhauer konnte das Ding an sich „Wille" nennen, und zu gleicher Zeit Hegel aufs Heftigste tadeln, dass er den Begriff zum Seienden mache. Den Begriff als solchen für das Seiende allein zu erklären, ist freilich einseitig, indess keineswegs so weit vom wahren Ziel entfernt, als den Begriff „Wille" zum Ding an sich zu hypostasiren, wie Schopenhauer es gethan hat. — Die Verdinglichung der Thätigkeit der Dinge war nun offenbar ein Ausfluss der Ansicht, dass das in einem Fall wahrgenommene causale Verhältniss zwischen dem einen Ding als Ursache und der Veränderung des anderen als Wirkung ein allgemeines sei. Was man mit den Worten „Wille" und „Kraft" bezeichnen wollte, war der, Ding im Ding gewordene, wahrgenommene Actus des Dinges, welcher also damit in Permanenz erklärt war, so dass nun das eigentliche Ding in allen Fällen, wenn es da war, sich wirkend zeigen, d. h. der „Kraft" oder dem „Willen" als Handlanger dienen musste. Hume hat mit Recht solche Annahme für eine überwiesene Behauptung angesehen, aber anstatt die in ihr enthaltene Wahrheit auf einen Wahrnehmungsquell zurückzuführen, um die Notwendigkeit und Allgemeinheit des Causalitätsurtheils begründen zu können, suchte er psychologische Motive für Erkenntnisstheoretisches auf. Diese nun konnten ihm wohl die Gründe, wie wir zu falschen Annahmen gelangen, geben, nicht aber die Berechtigung, allgemeine Urtheile in Ansehung der Causalität zweier Dinge auszusprechen, klar machen. Auch K a n t erkannte dies Letztere wohl, und machte daher die Causalität nicht zu einem psychologischen Artefact, sondern zu einer Denkform a priori; anstatt aber damit eine Erk l ä r u n g der Allgemeinheit zu gebejr, ist die eigentliche Sache im gleichen Dunkel geblieben. — Wie ist es denn aber endlich zu begreifen, dass wir eine

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Das Denken.

wahrgenommene Causalität „verallgemeinern"? Der eine Fall, in welchem ein Thätiges die Ursache einer Veränderung ist, hat als solcher weder Allgemeinheit noch Notwendigkeit an sich, obgleich die Causalität des Dinges erkannt ist. Denn meines Erachtens ist eben das eine falsche Ansicht, die N o t wendigkeit schon in dem Begriff der Causalität überhaupt als Merkmal zu wissen. In dem Wahrnehmungsurtheil: „A hat den Β geschlagen" ist eine Causal-Erkenntniss enthalten, es ist aber durchaus nicht gleich bedeutend mit dem Begriffsurtheil „A muss den Β schlagen"; dieselbe Differenz liegt in den Urtheilen: „Die Sonne hat diesen Stein erwärmt" und „die Sonne muss diesen Stein erwärmen", obwohl in beiden Urtheilen ebenfalls die Causalität ausgesprochen ist. In Folge dessen behaupte ich, dass die Erkenntniss einer Causalität noch keineswegs die Erkenntniss der Allgemeinheit dieser Causalität in sich schliesst, und dies erklärt sich einfach daraus, dass ich als Ursache nicht ein »Ding" Kraft im Ding wahrnehme, sondern das als Wahrnehmung und Begriff gegebene thätige Ding allein. Dass Notwendigkeit und Allgemeinheit vom Menschen nicht ohne Weiteres mit der Erkenntniss der Causalität verbunden wird, dafür können H u m e ' s „dumme Bauern und unmündige Kinder" am besten als Beleg dienen, welche, wie H u m e von der Menschheit überhaupt sagen möchte, aus Gew o h n h e i t die zwei Erscheinungen, welche verschiedene Male im Causalitätsverhältniss stehend erkannt wurden, allgemein und notwendig verknüpft g l a u b e n . Keineswegs nehmen Jene aber eine Notwendigkeit im strengen Sinne des Wortes an, da sie sich, wenn ζ. B. auf den Blitz einmal nicht der Donner als Wirkung folgt, wohl einigermassen verwundern, aber dabei bald beruhigen, dass es dies Mal a n d e r s als sonst, dass der Blitz ein a n d e r e r gewesen sei. — Zu der Erkenntniss, welche in den wissenschaftlichen Causalitätsurtheilen zum Ausdruck kommt und den Character der Allgemeinheit und Notwendigkeit zeigt, ist es allein möglich durch das wissenschaftliche Denken zu gelangen, und die

Das Urtheil überhaupt ist logische Synthese.

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Möglichkeit, zu notwendigen Urtheilen zu gelangen, sehe ich in dem Jümstande, dass eben die Ursache, das Ding, Wahrnehmung und Begriff zugleich ist. Wenn erkannt wird, dass das Causalverhältniss in dem thätigen Ding, nicht sofern es einzelne W a h r n e h m u n g , sondern sofern es Begriff ist, seinen Grund hat, dass es also nicht an dem in diesem bestimmten Zeitpunkt auftretenden Ding, sondern an einer Bes t i m m t h e i t dieses Dinges überhaupt liegt, so ist die Erkenntniss eine allgemeine, d. h. sie erstreckt sich auf alle zeitlichen Erscheinungen, welche diese Bestimmtheit als identische an sich tragen. Wäre es uns aber nicht möglich, die betreffende Bestimmtheit, d. h. den Begriff an der Wahrnehmung zu erkennen, so würde „wissenschaftliches" d. i. b e g r i f f l i c h e s Causalurtheil keine wissenschaftliche Berechtigung haben. Legten wir andrerseits die Begriffe in die „Dinge" hinein, so würden wir die Dinge nicht selbst erkennen durch unser Denken, sondern nur unsre eigenen Begriffe besitzen im Denken, und, wie Hartmann ganz richtig behauptet, unsre Erkenntniss wäre dann absolute Illusion. — Ohne das Denken wäre jede Erkenntniss des Seienden primitivster Art; dieses würde uns als blosse Wahrnehmung bewusst, nicht aber als bestimmte Wahrnehmung, geschweige denn als Begriff für sich. Unser Denken allein bringt uns das Seiende als Begriff auf Grund des Seienden als Wahrnehmung zum Bewusstsein, und dann erst haben wir volle Erkenntniss des Seienden, wenn wir die Wahrnehmung im Begriff zugleich und das Seiende als Begriff besitzen. — Das denkende Ich kann sich aber nur auf dieses Seiende als Begriff logisch für sich beziehen, wenn es denselben zuvor am Seienden als Wahrnehmimg erkannt hat; dann aber kann es allerdings den Begriff für sich haben und ihn auf neue Wahrnehmungen von sich aus anwenden, was in die Denkoperation des Urtheilens fallt. Diese letztere Möglichkeit hat vielleicht den Gedanken an Begriffe a priori, die der Mensch auf das Mannigfaltige der

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Das Denken.

Anschauung anwende, plausibler gemacht, zumal wenn man sich an die grammatische Form des Urtheils hielt, in yelchem das Prädicat vom Subject ausgesagt, und auf das Subject bezogen wird. Die Beziehung eines Begriffs auf eine Wahrnehmung im Urtheil enthält aber noch keineswegs ohne Weiteres Erkenntniss, die Synthesis, welche hier vom Ich vorgenommen wird, ist eben stets rein logischer Art. Sie kann als Urtheil zugleich Erkenntniss darstellen, dann aber ist sie Analysis, weil im vorgestellten Subject des Urtheils auch der Prädicatsbegriff enthalten sein muss, um das, Erkenntniss darstellende, Urtheil als ein solches und nicht als blosse logische Synthese anerkennen zu können. Was eine solche logische Synthesis darstellt, muss sich stets, will sie anders nicht blosse logische Operation bleiben, erst als Erkenntniss legitimiren, und dasselbe Urtheil, welches für sich betrachtet logische Synthese genannt werden muss, ist nach erfolgter Legitimation e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e Analyse. Mit den Urtheilen als logischen Synthesen hat es die Logik, welche die Gesetze des Denkens darlegt, zu thun; die Erkenntnisstheorie zeigt an ihnen ein Interesse, einmal soweit sie wirklich erkenntnisstheoretische Analysen sind, und unter diesem Gesichtspunkt zerfallen sie ihr in W a h r n e h mungs- und B e g r i f f s u r t h e i l e ; dann aber auch, insofern sie mögliche Erkenntniss darstellen, d. h. insofern sie etwa, als Analysen angesehen, möglicherweise Seiendes darstellen. Diese letztere Art von Urtheilen (an und für sich reine logische Synthese des Ich) ist zur Erforschung des Seienden für das Ich von grosser Wichtigkeit; alle Hypothesen sind nichts Anderes als solche mögliche Erkenntnissurtheile. — Dass dieselben aber mögliche Erkenntniss darstellen können, ist nur deshalb möglich, weil das Material dieser Synthesen dem Seienden entstammt, während freilich die Beziehung desselben aul einander zunächst nur rein logische Bedeutung hat. Eine solche logische Construction des Seienden darf für die Erkenntniss weder zu niedrig noch zu hoch

Das Urtheil als erkenntnisstheoretische

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Analyse.

angeschlagen werden; nicht zu niedrig, als ob auch nicht einmal

mögliche Erkenntniss

in ihr enthalten wäre, nicht zu

hoch, als ob sie schon Erkenntniss des Seienden selbst böte. Zum

P f a d f i n d e r ist dieses Denken

durchaus geeignet

in

der Forschung, als F o r s c h e r auf e i g e n e Hand aber kann es keineswegs anerkannt werden. vorhanden, theil

Es ist die Möglichkeit wohl

dass ich durch logische Synthese zu einem Ur-

gelange, das völlig übereinstimmt mit einem Urtheil,

welches ein Anderer durch Analyse des Realen als Erkenntnisses bildet, aber über diese Möglichkeit gelange ich speciell als urtheilender nie hinaus, und für alle logische Construction, welche E r k e n n t n i s s des Seienden darzustellen behauptet, ist die P r ü f u n g i h r e s I n h a l t s an dem R e a l e n ein u n b e d i n g t e s E r f o r d e r n i s s . Logische Constructionen, welche Erkenntniss von sich aus zu bieten glauben und die nothwendige Probe des Wahrnehmens verschmähen, ja welche sogar etwa selbst g e g e n die Wirklichkeit die Wahrheit zu geben behaupten, wollen zu Vieles leisten und leisten daher oft garnichts.

W i e weit dieselben

aber immerhin dennoch Werth besitzen und mit dem Seienden in Einklang stehen können, dafür liefert der Philosoph H e g e l in seinen Werken das instruetivste Beispiel, und man mag daraus ersehen, dass selbst das „reine Denken" durchaus nicht so hirnverbrannte Resultate liefert, als ihm kleine oder boshafte Geister nachgesagt haben.

Man hat H e g e l ja vielfach

verspottet, dass er ein Denken entdeckt haben wolle, welches doch das Ich nimmermehr ausführen könne; „reine" Begriffe habe der Mensch nicht! Nun habe ich schon an einem anderen Orte diese Streitfrage in's rechte Licht zu stellen gesucht und bin zu dem Resultat gekommen, dass auf beiden Seiten Recht und Unrecht zu finden sei, dass aber, was die Sache selbst angehe, die Möglichkeit nicht geleugnet werden könne, B e g r i f f e f ü r sich, reine Begriffe, zu haben.

Tagtäglich giebt der Mensch

in seinem Denken ja hundertfaches Beispiel, dass er mit Begriffen allein und nicht mit bestimmten Vorstellungen, an wel-

R e h m k e, Die Welt als Wahrnehmung α. Begriff.

14

210

Das Denken.

chen die Begriffe Merkmale wären, operirt, und es muss Jemand schon völlig in seinen Vorstellungswahn sich eingesponnen haben, wenn er dieser auf der Hand liegenden Thatsache gegenüber blinde Augen hat. — Das Wort: „Begriffe ohne Anschauungen sind leer", habe ich in dem Sinne zu dem meinigen gemacht, dass ich erkläre: Begriffe sind überhaupt ohne Wahrnehmung oder Vorstellung für das Ich nicht möglich; gegeben sind sie zunächst stets an Wahrnehmungen oder Vorstellungen als deren Merkmale. Der Sinn aber, den K a n t damit verbunden wissen will, ist dem Monismus, wenigstens vom eignen Standpunkt aus, ein Räthsel. „Begriffe ohne Anschauungen sind leer", oder wie K a n t sagt: „Gedanken ohne Inhalt sind leer": sieht man sich vor diesen Satz gestellt, so gehört in der That alle Besinnung, dass ein grosser Weiser denselben niedergeschrieben habe, dazu, um den Glauben zu behalten, es müsse sich, wenn man die Worte hört, dabei doch auch was denken lassen. Das Kantische Gegenstück derselben: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind" ist durchaus verständlich: „blind" heisst „unbestimmt"; aber was soll man sich denken bei „Gedanken ohne Inhalt"? K a n t , ich bin davon überzeugt, hat sich selbst nichts dabei denken können; indess die Worte wurden so zusammengestellt, um doch jenen falschen P a r a l l e l i s m u s von „Sinnlichkeit" und „Verstand", welcher in seiner Erkenntnisstheorie so bestimmende Bedeutung erhalten hat, auch hier zur Geltung zu bringen. Es kann aber durchaus das Urtheil: „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gcdacht werden" richtig sein, wenn auch der Satz: „ G e d a n k e n ohne Inhalt sind leer" in seiner Denkunmöglichkeit constatirt wird: dieser ist in der That „blosse Worte" jenem Parallelismus zu lieb. Nicht viel besser aber ist man berathen, wenn an Stelle jener Worte gesägt wird: „ B e g r i f f e ohne Anschauungen sind leer". Denn von „empirischen Begriffen" kann der Kantianer dies nicht behaupten, diese sind ohne Anschauungen ja überhaupt

Das „Fürsichsein" des Begriffs.

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gar nicht möglich; also blieben hierfür allein die sogenannten Kategorien übrig: diese aber h a b e n wir nach K a n t auch nie für sich, nie ohne Anschauung. Was soll das also heissen: „ohne Anschauungen sind sie leer", wenn wir sie nie ohne Anschauung h a b e n können? Haben wir sie aber dennoch, so haben wir doch etwas, was eben nur durch das B i l d „leer" über Gebühr, aber freilich conform der Kantischen Ansicht von den Verstandesformen, discreditirt wird. Dieses Bild hat man in seinem Werthe viel zu hoch geschätzt und demselben sogar seinen Bildcharakter fast genommen. Was war aber mit dem Satze denn gewonnen? Nichts, als dass eine alte irrthümliche Ansicht über das Verhältniss von Anschauung und Begriff durch diese Veranschaulichung nur noch festeren Boden gewann; der Satz selbst ist die einfachste Tautologie, denn da „leer" das Bildwort für „ohne Anschauung" ist, so heisst er mit anderen Worten: „Begriffe ohne Anschauungen sind ohne Anschauungen". Gegen diese Wahrheit sowie dagegen, dass Begriffe als solche keine Anschauung sind, lässt sich nichts sagen; das aber hindert auch nicht, die andere Meinung zu haben, dass Begriffe als solche Erkenntniss repräsentiren und für sich gedacht werden können, dass man in ihnen selbst Erkenntniss, d. i. das Seiende als Bewusst-Seiendes besitze. Wenn jener Satz nun heutzutage als ein Schlagwort gegen das Operiren mit „Begriffen für sich" benutzt wird, um die Unmöglichkeit dieses Unterfangens zu belegen, so ist das nichts als ein Schlag in's Wasser;* freilich wird man denen, die den „reinen" Begriff würgen wollen, gern zugestehen, sie hätten darin Recht: „Begriffe ohne Anschauungen sind ohne Anschauungen", aber man wird hinzufügen: sie stammen aus den „Anschauungen", sind geschöpft aus dem einzigen Quell der Erkenntniss, aus der Wahrnehmung, und sind daher selbst Erkenntniss, „volle" Begriffe. Die gegen die hier vertretene Ansicht polemisirenden kanonischen Philosophen und Theologen heben gewöhnlich hervor, dass man sich einen Begriff rein für sich nicht v o r 14*

212

Das Denken.

s t e l l e n könne, und wenn man es etwa versuche, so habe man eine Vorstellung und nicht einen Begriff vor sich. Ich gebe dies in jeder Hinsicht zu: v o r s t e l l e n kann ich mir einen Begriff nur als Merkmal an einer Vorstellung; aber zu d e n k e n vermag ich ihn eben doch für sich. Diejenigen nun, welche ein Bedürfhiss haben, den Begriff vorzustellen, um sich seiner recht bewusst zu werden, mögen das Denken der Begriffe geringschätzen, aber verneinen sollen sie es nicht, da sie ja sonst im täglichen Gespräch und in der täglichen Gedankenarbeit sich selbst fortwährend Lügen strafen würden. Vom monistischen Standpunkt aus ist es nun durchaus verständlich, dass das Ich den Begriff frischer und kräftiger besitzt, wenn er ihn an dessen „Vorstellung" hat, denn aus ihr ist er gewonnen (ich darf hier schon in „Vorstellung" die Wahrnehmung mit bezeichnen); aber ebenso einleuchtend ist es, dass der Begriff reiner und deutlicher bewusst wird, wenn ich ihn f ü r s i c h denke. Weil der Begriff aus der Vorstellung, oder, kantisch zu reden, aus der Anschauung allein zunächst gewonnen werden kann, so muss alle begriffliche Erkenntniss in der Anschauung dem Lernenden geboten werden; weil aber der Begriff für s i c h reiner bewusst wird, so ist das Entwicklungsziel des Lernenden, die Begriffe als solche zu denken und in ihnen das Seiende zu besitzen. Beim Lernen überhaupt sind ja die Begriffe das Hauptaugenmerk: der Anschauungsunterricht wird gegeben, einmal freilich, um Anschauung zu geben, vor Allem aber auch, um an der Anschauung die B e g r i f f e bewusst werden zu lassen. Von einem Denken sprechen wir bei allen denjenigen BeM^usstseinsthätigkeiten, in denen B e g r i f f e bewusst werden oder auf Bewusst-Seiendes von uns angewendet werden, wo wir also stets die Begriffe als solche für sich besitzen. Das Ich selbst als „faule Vernunft" hat die Neigung, in Vorstellungen zu denken, das heisst, an b e s t i m m t e n Vorstellungen die Begriffe als Merkmale vorzustellen, und es bedarf in der That einer gewissen Energie, um mit Begriffen rein als solchen zu operiren, wenn nicht die tägliche Gewohnheit die

Die Erbsünde der Begriffsverobjectivirung.

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Energie etwa ersetzt. Denn stets lauert im Hintergrunde die Sucht, Mies Bewusst-Seiende, das nicht Wahrnehmung oder Vorstellung ist, zur „Vorstellung" zu machen, oder, um einen identischen Ausdruck zu gebrauchen, zu verobjectiviren. In dieser Hinsicht ist jener Polemik gegen das begriffliche Denken überhaupt vielleicht das negative Verdienst nicht abzusprechen, dass dieselbe die Gegner vorsichtig macht, gegen diese Objectivirungssucht ihres Ich in Ansehung der Begriffe auf der Hut zu sein, damit sie die Begriffe nicht als bestimmte Vorstellungen d. i. „Objecte" behandeln. In diesem Spital liegen übrigens nicht nur sie, sondern in grosser Zahl gerade auch diejenigen krank, welche den reinen Begriff perhorresciren, ja diese letztern erkennen die Gefahr noch viel schwerer, weil sie eben dafürhalten, Begriffe könnten nicht rein gedacht sondern nur vorgestellt werden. Ohne auf diese Erbsünde unseres Denkens hier näher einzutreten, will ich nur zur Illustrirung auf das eine Beispiel besonders aufmerksam machen, welches von mir in anderem Zusammenhang schon angezogen ist, nemlich auf die Verobjectivirung der Begriffe Kraft und Wille, die uns Allen so durchaus mundgerecht geworden ist, dass· wir selbst im streng wissenschaftlichen Denken uns nur mit Schwierigkeit aus derselben befreien können. Dies Letztere wird um so schwerer, je weniger wir uns noch losgemacht haben von dem Sensualismus oder naiven Realismus, welcher uns gleichsam als Angebinde in die Wiege gelegt wird, und der sich dagegen sträubt, etwas Anderes noch ausser der sinnlichen Wahrnehmung, dem „Ding", für ein Seiendes zu erklären; wenn ihm dann Etwas als seiend erscheint, so betrachtet er es ohne Scrupel als Ding, mag es auch in Wirklichkeit nur Begriff und nicht Wahrnehmung und Begriff sein. Unsere Sprache selbst giebt die sprechenden Belege für diese menschliche Schwäche, Begriffe zu verobjectiviren. Das Denken der Welt als Wahrnehmung und Begriff hat also ohne Frage manche Klippen zu vermeiden, damit die logische Synthese als erkenntnisstheoretische Analyse aner-

214

Das Denken.

kannt werden kann. Immerhin aber können wir doch die uns gegebene Welt auch wiederum nachdenken, und in logischer Synthese dieselbe zum Ausdruck bringen durch Worte. Ja wir vermögen sogar auf Grund allerdings gegebener Erkenntniss die Welt vorzudenken, das Seiende in seiner erkenntnisstheoretischen Beziehung zum Ich vorzubilden. Die Gesetze, nach welchen solche logische Synthese geschehen muss, um erkenntnisstheoretische Bedeutung und Gültigkeit zu haben, stellt die Logik auf in ihrer Lehre vom Schliessen. Die Erkennntnisstheorie weist für dieselbe nur die Möglichkeit solchen Vordenkens auf und findet diese eben darin vollgültig begründet, dass das Ich mit der Welt als Wahrnehmung und Begriff selbst, wie sie ihm als Seiendes e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h gegeben ist, in diesem seinem Schliessen logisch operirt. Ein jedes Abweichen aber von diesem in der Welt als Wahrnehmung und Begriff gegebenen Schlussmaterial und Ersetzen desselben durch Phantasievorstellung und deren Begriff entkleidet die durch Schliessen dann gewonnene logische Synthese ihrer erkenntnisstheoretischen Bedeutung und lässt ihr nur den rein logischen Character. Wenn nun die Begriffe überhaupt nicht Seiendes wären, wenn sie ihren Quell, anstatt in der Wahrnehmung, im denkenden Ich hätten, so wäre es um allen erkenntnisstheoretischen Werth unserer Schlüsse, in denen .wir die Welt vordenken, gethan. Jeder Begriff also, den wir in diesem Denken der Welt überhaupt verwenden, muss uns in der Welt als Wahrnehmung und Begriff gegeben gewesen sein, wenn dieses Denken den Anspruch darauf machen will, eigentliche Erkenntniss zu repräsentiren. Auch Kant pflichtet dem durchaus bei, ja er steht dem erkenntnisstheoretischen Monismus so nahe, dass seine Erscheinungswelt, wenn man sie an und für sich betrachtet, ganz denselben Platz einnimmt, als die monistische, mit dem Seienden identische, Welt als Wahrnehmung und Begriff. Wenn man seiner Erscheinungswelt die vier angeblich nothwendigen Grundpfeiler, als da ist die Hypothese von dem Ding an sich, die Hypothese von der Empfindung

Das Seiende d. Erkenntnisstheorie u. das Seiende d. Metaphysik.

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als materiellem Element der Wahrnehmung, die Hypothese von der reinen Anschauung und endlich , die Hypothese von den reinen Verstandesformen als Grundtypen der „empirischen" Begriffe — wenn man diese Grundpfeiler ihr zusammenschlüge: die Erscheinungswelt würde als bewusstseiendes Seiendes ihre Existenz weiterführen und man hätte ihr Versinken in den leeren Schein, sowie das Versinken des Ich in die trostlose Skepsis mit Nichten zu fürchten. Zugleich aber würde damit die Einsicht Platz greifen, dass eine anthropocentrische Erkenntnisstheorie, wie sie Kant construirt hat, eine Verirrung und Selbstvergötterung des Ich ist, die sich dadurch nur wenig entschuldigt, dass diese Welt des Ich nach Aussage des Kantianismus nur „empirische Realität" haben soll. Das Ich ist in der That kein Schöpfer des Seienden, sondern es setzt sich nur als erkennendes zum Seienden in Beziehung; diese Beziehung aber ist eine durchaus reale und directe, und ihr Resultat ist, dass wir als erkennende das Seiende eben besitzen in der Welt als Wahrnehmung und Begriff. —

9. Reales und Ideales. Die Frage der Erkenntnisstheorie: wie wird das Seiende bewusst? ist nunmehr dahin beantwortet, dass uns dasselbe direct und nicht in einem Abbild bewusst wird, und dass das Bewusst-Seiende im erkenntnisstheoretischen Sinn voll und ganz das Seiende ist. Die nächste Frage, die sich hieran knüpfte, wenn man auf der Linie dieser Untersuchung weiter vorrücken würde, wäre: was ist das Seiende? Mit derselben ginge man jedoch schon aus dem erkenntnisstheoretischen Gebiet heraus und träte in das rein metaphysische oder in das kosmologische Gebiet ein.

216

Reales und Ideales.

Auch jene erstgenannte erkenntnisstheoretische Frage könnte unter Umständen formulirt werden: was ist das Seiende? man wird aber erkennen, dass den Worten derselben ein ganz anderer Sinn beigelegt werden müsste, als wie es in der gleichlautenden metaphysischen Frage geschieht! Im erkenntnisstheoretischen Sinne hiesse dieselbe genauer: was ist das Seiende als bewusst-seiendes? im metaphysischen dagegen: was ist das Seiende als das bleibende, dem Nichtsein nicht verfallende Sein? Für die erkenntnisstheoretische Untersuchung nun ist es von grösster Wichtigkeit, diese beiden Fragen sorgfältig auseinander zu halten und die beiden mit dem gleichen Worte „das Seiende" verknüpften Begriffe nicht in einander über spielen zu lassen. Das „Seiende" als E r k e n n t n i s s - V o r a u s s e t z u n g und das „Seiende" als met a p h y s i s c h e s P r i n c i p , oder, wie man wohl sagt, als „Substanz", sind zwei verschiedene Begriffe; die Entwickelang der Erkenntnisstheorie hat leider lange Jahrhunderte unter dem Fluch der Verwechselung dieser beiden gestanden und unter der Verwendung des metaphysischen Seienden in der Erkenntnisstheorie sehr gelitten. Indem man aber eine bestimmte metaphysische Anschauung vom Seienden der erkenntnisstheoretischen Untersuchung überhaupt zu Grunde legte, beging man nicht nur den allgemeinen Fehler, das Letzte zum Ersten und das Erste zum Letzten zu machen, sondern man gab dadurch zugleich der Erkenntnisstheorie auch ihre bestimmte Richtung: war ζ. B. das metaphysische Seiende Jemandem nichts Wahrgenommenes, so wurde von ihm die Wahrnehmung als Quelle der Erkenntniss von vornherein abgewiesen, wie wir es bei manchem griechischen Philosophen und bei Philosophen der Neuzeit leider finden müssen. Bis auf K a n t hat diese Bevormundung der Erkenntnisstheorie durch die Metaphysik und deren Seiendes allgemein ihr Wesen getrieben nicht allein in den platonisirenden, sondern ebenfalls in den gegnerischen Systemen, und man kann das Verdienst K a n t ' s nicht hoch genug anschlagen, dass er als der Erste das Seiende rein im Sinne der Erkenntnisstheorie

Die Zweiweltentheorie.

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zur Voraussetzung des Erkenntnissprocesses machte und demselben keine metaphysische Bestimmung beigelegt wissen wollte. Mögen ihm auch die Engländer vorgearbeitet haben, so ist er es doch erst gewesen, welcher den Zauberbann, der seit den Zeiten der Eleaten und des Heraklit auf der philosophischen Wissenschaft lag, gebrochen hat. Der Diallcle, in welcher sich seine Vorgänger alle gefangen gehalten hatten, sei es, dass sie das Seiende als eine bestimmte Wahrnehmung, sei es, dass sie es als einen Begriff zur Voraussetzung ihrer Erkenntnisstheorie machten, um dasselbe dann als bestimmte Wahrnehmung oder als Begriff am Ende des Erkenntnissprocesses wieder zu finden — dieser Diallele entging K a n t , indem er das Seiende für unerkennbar erklärte. Dadurch hatte er allerdings alle und jede Möglichkeit, bestimmte metaphysische Unterlagen für die Erkenntnisstheorie herzustellen, abgeschnitten, zugleich aber auch überhaupt alle Möglichkeit der Erkenntniss verneint: dies Letztere fallt seiner Empfindungshypothese und seiner Transcendentalitätshypothese zur Last. Aber indem K a n t , um recht gründlich den unfruchtbaren Cirkel begrifflicher Speculation zu vernichten, das die Voraussetzung aller Erkenntniss bildende Seiende ausser der Erkenntniss überhaupt setzte, war er jener Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung, welche seine Vorgänger in die Philosophie eingeführt hatten, im Allgemeinen wiederum verfallen und konnte das Reale (die Erscheinung) und das Seiende nicht zusammenreimen. Hiermit ging die Möglichkeit, auf Grund der in metaphysischer Hinsicht mit Recht voraussetzungslos gemachten Erkenntnisstheorie eine gesunde Metaphysik herzustellen, verloren, und dies Alles rührte davon her, dass K a n t die rein erkenntnisstheoretische Voraussetzung, das Seiende, trotz alledem nicht aller metaphysischen Färbunghatte entäussern können, wesshalb es auch noch den Namen „Ding an sich" erhalten konnte. Die Wissenschaft Metaphysik alten Stils wurde von K a n t folgerichtig gestrichen, aber er schüttete auf seine Art das

218

Reales und Ideales.

Kind mit dem Bade aas. Die alte Metaphysik hatte freilich darin zu jeder Zeit eine Capitalsiinde auf dem Gewissen, dass sie, anstatt mit Begriffen als solchen, mit verobj e c t i v i r t e n Begriffen operirte; dadurch hatte sie, anstatt in der Welt, in Wolkenkukuksheim sich installirt, wie ihr dies K a n t auch unwiderleglich in seiner transcendentalen Dialektik nachgewiesen hat. Diese Sünde war nun der Metaphysik, indem sie selbst ja für unmöglich erklärt wurde, allerdings ein für alle Mal unmöglich, aber Kant selbst musste in einige Verlegenheit kommen, wohin er denn mit der „Idee" und dem „Ideal" sollte. Diese konnten vor dem Character, Hirngespinnst zu sein, allein dadurch gerettet werden, dass die logische Möglichkeit, ihnen entsprächen „Gegenstände" in dem Gebiet des „Ding an sich", offen gelassen und in „praktischer" Hinsicht sogar zur Wirklichkeit gemacht wurde, indem man sie sich wiederum, wie die Früheren es gethan hatten, objectivirt dachte. Auf diese Weise hatte die logische Möglichkeit des „Ding an sich" praktische Realität erhalten, und im Princip stand es nun mit K a n t nicht besser, als mit den alten Metaphysikern. Er wie sie hatten zweierlei Sein, ein Erfahrungs- und ein reines Sein, allerdings immerhin mit dem fundamentalen Unterschied, dass er jenes, sie aber dieses das Reale nannten. Dieser Zweiweltentheorie, welcher sich K a n t trotz aller seiner Bemühung dennoch nicht erwehren konnte, macht der Monismus allein ein gründliches Ende, nicht nur für die „Erfahrung", sondern für das Bewusstsein überhaupt. Dem Monismus steht ja nemlich weder wie bei Kant das die Erkenntnissvoraussetzung bildende Seiende zu dem „Realen" in einem Wesens- oder Seinsgegensatz, denn sie sind ihm identisch, noch auch, wie bei den Piatonikern, das „Reale", welches Jene mit dem Seienden identificiren, im Wesens- und Seinsgegensatz zu der Wahrnehmung, denn auch diese letzteren sind ihm ja identisch. Innerhalb der monistischen Erkenntnisstheorie sind „phänomenal", „real" und „seiend" subordinate Begriffe: ein und dasselbe heisst phänomenal, insofern es als Wahrnehmung oder

Phänomenales - Reales - Seiendes.

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an der Wahrnehmung bewusst wird, real, insofern es als Bewusst-Seiendes zugleich ein Seinsverhältniss aufweist, und seiend, insofern es als mögliches Erkenntnissobject die Voraussetzung des Erkennens ist. Hieraus ergiebt sich zunächst das Eine, dass nemlich alles Phänomenale real, und alles Reale seiend ist. Ob aber auch alles Seiende real und alles Reale phänomenal sei: diese Frage ist in dem vorhergehenden Satze keineswegs schon mitgelöst, indess lässt sie sich, wie ich glaube, ohne Schwierigkeit beantworten. Da nemlich das Seiende die Voraussetzung der Erkenntniss bildet, das Reale aber dieses Seiende als BewusstSeiendes mit seinem bestimmten Seinsverhältniss ist, so geht daraus ohne Weiteres hervor, dass das Seiende noch nicht ohne Weiteres das Reale ist, sondern Reales erst in Folge des Wahrnehmens wird, dass daher nicht alles Seiende als solches schon real genannt werden kann, und nur dasjenige, welches bewusst geworden ist, den Umfang des Begriffs „Reales" ausmacht. Der Grund, warum ich das Wort real mit dem soeben entwickelten Begriffe verbinde und es nicht in demselben Sinne wie „seiend" gebrauche, ist, weil dadurch eine genauere Bestimmung und Unterscheidung von in der That Verschiedenem gewonnen wird, welche für die Erkenntnisstheorie nicht ohne Wichtigkeit ist. Von sehr geringer Bedeutung wäre der unterschiedene Gebrauch der Worte seiend und real, wenn nicht noch das dritte Wort phänomenal seinen bestimmten Platz hier beanspruchte; denn sonst könnte unter Umständen auch die Erkenntniss-Voraussetzung als solche, abgesehen vom Erkenntnissprocess, das Reale heissen. Dem gegenüber würde dann „Phänomenales" die W a h r n e h m u n g genannt werden. Es würde uns aber nun ein durchaus nothwendiger Ausdruck mangeln für die durch Reproduction der Wahrnehmungsbeziehung gegebene „einfache" Vorstellung und für den für sich gedachten Begriff, welcher zunächst an der Wahrnehmung gewonnen ist: da doch beide, was die e r k e n n t nisstheoretische Beziehung des Ich allein angeht, ebenso

220

Reales und Ideales.

gut das bewusste Seiende sind, wie die Wahrnehmung selbst. Aus diesem erkenntnisstheoretischen Grunde wähle ich das Wort r e a l nicht als gleichbedeutend mit „seiend", auch nicht als gleichbedeutend mit „phänomenal", sondern als Bezeichnung für dasjenige Bewusst-Seiende, welches entweder bes t i m m t e W a h r n e h m u n g oder deren b e s t i m m t e Vorstellung oder deren Begriff ist. Das P h ä n o m e n a l e umfasst somit von allen drei Begriifen das wenigste Seiende, nemlich nur das Gebiet der b e s t i m m t e n W a h r n e h m u n g , und da« Seiende hinwiederum schliesst das Reale, welches natürlich alles Phänomenale mit in seinen Umfang hineinnimmt, als einen Τ heil seines Umfangs in sein Gebiet ein. Wenn man nun einmal von dem Seienden als solchem absieht und nur die erkenntnisstheoretischen Beziehungen, welche das Ich zum Seienden haben kann, in's Auge fasst, also nur das Bewusst-Seiende als Bewusstseinsobject betrachtet, so wird man erkennen, dass die Bezeichnung real (welche ja auch das Phänomenale umfasst) nicht ausreicht, um Alles zu begreifen. Es sind die Phantasievorstellungen und die an ihnen gewonnenen Begriffe, welche sich ausgeschlossen sehen: für diese beiden wähle ich nun die Bezeichnung „Ideales". Diese Eintheilung des Bewusstseinsinhaltes in Reales und Ideales ist vorgenommen von dem Gesichtspunkt aus, ob das Bewusst-Seiende zugleich ein Seinsverhältniss aufweise oder nicht, und demgemäss haben sich einerseits Wahrnehmungen, reale Vorstellungen und reale Begriffe, andererseits ideale Vorstellungen und ideale Begriffe ergeben. Ich habe den Wahrnehmungen speciell nicht das Beiwort real gegeben, um einen Pleonasmus zu vermeiden, da das ja eben das Characteristische der Wahrnehmung als Bewusst-Seiendcn ist, dass es zugleich ein Seinsverhältniss mit sich führt. Vorstellungen aber und Begriffe können entweder real oder ideal sein, je nachdem sie eben mit dem Urtypus des realen Bewusst-Seienden, mit der Wahrnehmung, erkenntnisstheoretisch zusammenfallen oder nicht.

Der Bewusstseinsiahalt.

221

Die Erkenntnisstheorie hat hier nun nicht zu untersuchen die F ä h i g k e i t des Erkenntniss-Ich, Phantasiebeziehungen zum Seienden auf Grund seiner Wahrnehmungen zu bilden, sondern sie hat den etwaigen Erkenntnissgehalt der Bewusstseinsobjecte, welche Phantasievorstellungen genannt sind, zu prüfen: das Erstere aber ist Sache der Psychologie. Wäre die Wahrnehmung nicht identisch mit dem Seienden, so würde es überhaupt unmöglich sein, den erkenntnisstheoretischen Werth der Phantasievorstellung zu bestimmen, weil keine mögliche Beziehung derselben zum Sein ohne die Vermittlung der Wahrnehmung zu entdecken wäre.. Es ist ja die nothwendige Yergleichung eben nur möglich zwischen der Wahrnehmung und der Phantasievorstellung; ob diese letztere wirkliche oder mögliche Erkenntniss sei, lässt sich allein daran erkennen, dass sie mit einer Wahrnehmung übereinstimmt oder den allgemeinen Bestimmungen derselben nicht widerspricht, denn die Realität wird einzig und allein durch Vergleich mit dem Realen oder am Realen selbst erkannt. Ob ich als vorstellender mich in realer Beziehung befinde zu einem Seienden, kann ich nur dadurch erkennen,, dass ich diese Beziehung prüfe an deijenigen, die ich habe zu dem Seienden, welches als Wahrnehmung mir mittelst Empfindung zum erkenntnisstheoretischen Object gegeben ist. — Das Ideale, sei es Vorstellung, sei es Begriff, zerfallt in die zwei Gruppen des möglichen Realen und des unmöglichen Realen oder des Hirngespinnstes; das letztere entbehrt durchaus des Erkenntnisswerthes und berührt daher als Bewusstseinsphänomen in keiner Weise das Gebiet der Erkenntniss und des Seienden. Dasjenige Ideale dagegen, welches das mögliche Reale genannt wird, hat im Gegentheil für die Erkenntniss eine bestimmte Bedeutung, wie ich bei Besprechung der Phantasievorstellung und der logischen Constructionen in früheren Abschnitten schon hervorgehoben habe. — Unser Bewusstseinsinhalt wird sich nun in Ansehung der Erkenntniss folgendermassen gruppiren:

222

Reales und Ideales.

Das Reale

Das Ideale

die bestimmte Wahrnehmung, ihre Vorstellung und ihr Begriff

die Phantasievorstellung und ihr Begriff

die wirkliche Erkenntniss

das mögliche das Reale Hirngespinnst

die mögliche Erkenntniss das Seiende als Erkenntnissobject. Dasjenige Ideale, welches unter den Begriff Hirngespinnst fallt, documentirt sich leicht dadurch, dass es Bestimmungen an sich trägt, welche mit den Bestimmungen des Realen überhaupt in Widerspruch stehen; K a n t würde sagen: „Hirngespinnst ist dasjenige, welches mit den formalen Bedingungen der Erfahrung nicht übereinkommt und doch als Reales sich behaupten will". Man könnte nun glauben, dass K a n t auch meiner zweiten Behauptung, dass das Ideale, welches nicht Hirngespinnst ist, mögliches Reales sei, beipflichten würde; indess hier tritt gerade unsere Meinungsverschiedenheit klar zu Tage. Wohl wird er manche von den Phantasievorstellungen mögliches Reales nennen können, aber keineswegs alle, die nach ihm nicht Hirngespinnst sind. Der Grund dafür findet sich darin, dass er das Reale nicht mit dem Seienden identificirt. Demgemäss findet er noch eine dritte Classe von Phantasievorstellungen und Begriffen, welche er mit den Worten Ideal und Idee exclusiv bezeichnen möchte, nemlich solche, die als Seiendes möglich, als Reales aber unmöglich wären: eine Meinung, die durch seine Zweiweltentheorie allein einen Sinn erhielt, und nun mit dieser fallen muss. Während es dem Monismus nicht schwer wird, unter den Phantasievorstellungen zwischen Hirngespinnst und möglichem Realen scharf zu unterscheiden, muss es meines Erachtens dem Kantianismus unmöglich werden, Hirngespinnst und „Idee" oder „Ideal" auseinander zu halten. Der Kentaur wird ζ. B. ein Hirngespinnst, Gott ein Ideal genannt werden, jenes wird für unmöglich erklärt, diesem, heisst es, könne

Kant's Ideal.

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man wenigstens die Unmöglichkeit nicht nachweisen; beide theilen jedoch das Schicksal, „mit den formalen Bedingungen nicht übereinzukommen", also nicht „real" sein zu können. Aber was denn kann mich hindern, den Kentaur ebenfalls in jenem Gebiet des an sich Seienden zu denken? Soll dies etwa der Umstand vermögen, dass die Vorstellung Kentaur ein „Ding" ist, dass dieselbe das Merkmal der Räumlichkeit, also die „Anschauungsform", zeigt? Dies findet sich ja gleicherweise an dem „ I d e a l " Gott, wenn anders dasselbe wirklich das ist, was es sein muss, nemlich eine V o r s t e l l u n g ; denn ich habe nicht und kann ja nach K a n t nicht haben eine Vorstellung von einem „Gegenstand", die nicht jene Anschauungsform an sich tröge. Wenn ich also Gott als seiend „intellectuell voraussetzen" können soll, was hindert mich, auch den Kentaur intellectuell vorauszusetzen und ihn nicht für ein Hirngespinnst zu halten? Hier kann auch der Unterschied nicht massgebend sein, dass Gott eine „intellectuelle Voraussetzung zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten" sei und daher nicht in die Classe der Hirngespinnste gerechnet werden dürfe. „Gott" wäre nach Kant dann allerdings eine nothwendige Hypothese zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten, was von dem Kentaur nicht gesagt werden kann; aber immerhin müsste Kant diese Hypothese als solche sowohl als auch in ihrer Notwendigkeit legitimiren. Mit der „intellectuellen Voraussetzung zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten" führt Kant eine der Geschichte des menschlichen Denkens allerdings keineswegs neue, aber der eigentlichen Wissenschaft doch durchaus fremde Art von Hypothesen ein, nemlich die der moralischen Hypothese. Die Wissenschaft kennt nur theoretische Hypothesen, welche zur Erklärung des Realen dienen; die moralische Hypothese dagegen enthält das, was erst etwas Reales, „praktische Angelegenheiten", hervorrufen, und gegebene moralische Maximen nicht etwa erklären, sondern denselben den Character der Berechtigung erst verleihen und ihnen einen Sinn geben

224

Reales und Ideales.

soll. Es mag zugegeben werden, dass Kant's moralische Maximen nothwendig der Unterlage Gott bedurften, dass sie ohne dieselbe keinen Sinn für den Menschen hatten; doch auch dann konnte diese „ i n t e l l e c t u e l l e Voraussetzung" nur einen Sinn haben, wenn sie als Hypothese den wissenschaftlichen Bedingungen der Hypothese überhaupt Genüge leistete; sonst ist nicht abzusehen, wie sie sich vor dem Beiwort „Hirngespinnst" schützen will, und warum man nicht lieber an die Revision solcher sittlichen Maximen die ein „Hirngespinnst" als Stütze brauchen, gehen soll, um dann andere aufzustellen, die desselben entrathen können. Zu den wissenschaftlichen Bedingungen einer Hypothese gehört aber vor Allem die r e a l e M ö g l i c h k e i t des hypothesirten Gegenstandes, und diese ist es j a gerade, welche K a n t nach eigenem Geständniss dem „Ideal" nicht beilegen kann, ihm ebensowenig beilegen kann, wie dem Kentaur. K a n t hat offenbar auch eingesehen, dass diese sogenannte intellectuelle Voraussetzung keine wissenschaftliche Verwendung finden durfte, und hat eine Ethik ohne dieselbe zu construiren versucht: dies entsprang der monistischen Neigung seiner Natur, welche ihn solchen Weg gehen liess, und erst unter dem erneuerten Einfluss der Zweiweltentheorie kam er auf jene „ausserreale" Hypothese wieder zurück. Wenn man von der Zweiweltentheorie absieht, so war in K a n t ' s System für jenes „Ideal" kein anderer Platz zu finden, als der des Hirngespinnstes, und damit käme auch er auf jene Zweitheilung der Phantasievorstellungen in mögliches Reales und Hirngespinnst hinaus, nur immerhin mit dem schlimmen Ausgang, dass nach seinen Principien die „Ideen" und „Ideale" allesammt in die letztere Classe Aufnahme fänden: dieses verschuldet eben die von Kant vorgenommene gewaltsame Trennung des Realen und des Seienden. Nicht anders wie mit dem „Ideal" geht es mit der Kantischen „Idee" Freiheit, welche auch, wenn sie nicht in das „An sich" verlegt würde, von ihm als Hirngespinnst betrachtet werden müsste. Für beide ist es durchaus keine Legitimation, wenn

225

Der Erkenntnisswerth des Idealen.

erklärt wird, dass es im Wesen unserer „Vernunft" liege, diese, Gebilde zu schaffen und sie für das praktische Leben zu verwerthen. Haben sie keine andere Begründung zur Berechtigung ο Ο ihrer Existenz da aufzuweisen, wo Kantische E r k e n n t η iss zugleich beide verneinen muss für die „Realität", dann liegt es dem Kantianismus entschieden ob, über solche Vernunftanlage Herr zu werden, was ihm nicht schwer werden kann, da er sich doch angeblich völlig in die den naiven Realismus gründlich beseitigende Auffassung, das Reale und das Seiende seien zweierlei, hat hineinleben können. Zu der Zweiweltentheorie aber auch noch eine Zweiseelentheorie hinzuzufügen, welche eine theoretische und daneben eine praktische Seele des Menschen, jene mit einem Intellect für das Reale, diese mit einem Intellect für das Seiende begabt, kennt: das wäre des Guten doch zu viel; ich sehe aber keinen anderen Ausweg, wenn der Kantianismus die „ i n t e l l e c t u e l l e n Voraussetzungen zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten" vor dem Odium, Hirngespinnst zu sein, schützen will. — Reales und Ideales*) stehen ebensowenig, wie Wahrnehmung und Vorstellung überhaupt, zu einander in S e i n s g e g e n s a t z , da sie ja Bewusst-Seiendes sind und ihre Differenz nur im Blick auf das Seiende als solches bestimmt ist. Aus diesem Grunde allein kann auch Ideales sich im Laufe der Erkenntniss als Reales bieten, was bei einem obwaltenden Seinsgegensatze natürlich ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Es ist von grosser Wichtigkeit für die Erkenntnisstheorie und ihre Auffassung des Verhältnisses von Realem und Idealem, dass jener Seins-Gegensatz in keinerlei Gestalt sich einschleiche, und man muss gegen denselben um so mehr auf der Hut sein, weil gerade „unsere praktischen Angelegenheiten" oft die Versuchung, ihn hereinzunehmen, nahe legen. *) Ich brauche nun der Kürze wegen das Wort „Ideales" nur für dasjenige, welches mögliches Reales ist, da das Ideale „Hirngespinnst" nicht weiter in Frage kommt und bei gegebener Gelegenheit mit seinem Specialnamen belegt werden kann. Rehmke,

Die Welt als Wahrnehmung n. Begriff.

J5

226

Reales und Ideales.

Wenn wir ζ. B. in dieser Hinsicht davon reden, dass Ideales realisirt werde, so scheint hierin die Meinung zu liegen, als ob das Ideale als etwas ein Seiendes sei, das eine Seinsveränderung durchmache und Reales w e r d e : eine Meinung, die Alles, was soeben mühsam erkenntnisstheoretisch gesichtet ist, wieder unter einander mischen würde. Das Ideale ist eben nur mögliches Reale im erkenntnisstheoretischen Sinn, auf welches sich der erkennende Mensch bezieht und nach welchem er als wollender seine Handlungen, um Seiendes hervorzubringen, einrichtet; dieses Seiende, von dem allein eben desshalb gesagt werden kann: es wird r e a l , ist dann als W a h r n e h m u n g das R e a l e , zu welchem (wenn wir sprechen: „das Ideale ist realisirt") das erkennende Ich dieselbe erk e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e Beziehung hat, wie zu jenem Idealen, so dass dieses nun als Reales erkannt wird. Eben weil es sich in dieser Angelegenheit nm das Bewusst-Seiende als solches handelt und kein Seinsgegensatz hereingenommen werden darf, ist es auch völlig ohne Sinn zu sagen: das Reale wird ideal*). Was einmal e r k a n n t ist, d. i. was einmal als Seiendes R e a l e s für das Erkenntnissichist, bleibt es stets in e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e m Sinn, mag es als Seiendes auch vergehen: daher kann das reale Erkenntniss-Nicht-Ich nicht etwa möglich reales ErkenntnissNiclit-Ich werden, denn a l l e s E r k e n n t n i s s - N i c h t - I c h ist eben r e a l ; das Ideale als solches ist hingegen kein Erkenntniss-Nicht-Ich, sondern nur ein mögliches. Wenn es heisst, das Seiende wird real, so ist damit kein Seinsprocess, sondern nur ein Bewusstwerden ausgesprochen, indem das Ich vermittelst der Empfindung eine Erkenntnissbeziehung zum Seienden als Wahrnehmung gewonnen hat. Diese Beziehung bleibt dieselbe, wenn sie reproducirt wird und das Ich die Vorstellung jener Wahrnehmung hat; das R e a l e w i r d d a d u r c h *) Man spricht auch: „das Reale wird idealisirt", aber gerade dieses Wort zeigt, wie wenig es sich hier um das Seiende als solches handelt, da ja nur eine l o g i s c h e S y n t h e s e und l o g i s c h e C o n s t r u c t i o n , die an einem Bewusst-Seienden vorgenommen wird, ausgesagt ist.

Pas Ideale als mögliches Reales.

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k e i n e s w e g s i d e a l , sondern bleibt real, so lange es dem Ich möglich ist, die B e z i e h u n g ü b e r h a u p t zu e r h a l t e n , respective zu reproduciren. Wie es nun ein irrthiimliches Verfahren K a n t ' s gewesen ist, Reales und Seiendes als disparate Begriffe aufzufassen, so kann nicht minder getadelt werden, dass man diese Begriffe für Wechsel begriffe ansieht, und zwar dies auch desswegen, weil das Verhältniss von Realem und Idealem dadurch eine irrthümliche Gestalt erhält. Das Ideale, welches das mögliche Reale genannt ist, müsste nemlich dann in gleicher Weise das mögliche Seiende heissen. Mit dem Wort „das mögliche Seiende" ist aber gar kein Sinn in der Erkenntnisstheorie zu verbinden, und man hat mit Recht diese Prädicirung des Seienden getadelt. Indess auch mit dem Ausdruck mögliches Reales könnte man nichts anfangen, wenn das Wechselbegriffsverhältniss zum Begriff Seienden aufrecht erhalten würde. Mit jenem Ausdruck ist in der That nur dann ein Sinn zu verbinden, wenn Reales als ein e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e r Begriff erkannt wird, welcher das primär bewusst-gewordene Seiende und seine einfachen Reproductionen und Begriffe bedeuten soll. Dann können wir Reales und mögliches Reales unterscheiden, und haben dem Idealen somit immerhin einen Erkenntnisswerth, der allerdings mehr oder weniger problematisch ist, gesichert. Dieser Erkenntnisswerth kann dem Idealen aber, wie erwähnt ist, nur dann zugeschrieben werden, wenn einerseits Reales und Seiendes sich nicht decken und andererseits Ideales und Reales sowohl keinen Seinsgegensatz bilden, als auch mit einander nicht im logischen Widerspruch stehen. Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit durchaus einzuräumen, dass die erkenntnisstheoretische Beziehung, welche das Ich hier als vorstellendes hat, einer möglichen Beziehung zum Seienden als Realem entspricht, wenn jene auch keineswegs bisher als Beziehung zum Realen gegeben war. Denn es ist nicht ausser Acht zu lassen, dass das Seiende als solches, gleichwie das Ideale, das m ö g l i c h e Reale zu nennen ist, wenn 15*

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Reales and Ideales.

auch bei jenem ein anderer Mangel, wie bei diesem, den Grund zu dem Prädicat bildet: für das Seiende fehlt die e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e Beziehung, welche das Ideale mit dem Realen gemeinsam hat, und dem Idealen fehlt das S e i n s v e r h ä l t n i s s , welches das Seiende mit dem Realen gemeinsam hat. Nur das Reale weist Seinsverhältniss und erkcnntnisstheoretische Beziehung zugleich auf, und ist aus diesem Grunde allein eigentliche Erkenntniss, welche eben sowohl ohne Seiendes als auch ohne Beziehung des Ich zu diesem in keiner Weise möglich ist. Weil nun sowohl Seiendes als solches als auch das Ideale mögliches Reales ist, so ist eben die Möglichkeit, dass einem Idealen ein Erkenntnisswerth beiwohnt, nicht auszuschliessen; die g e g e n s e i t i g e B e z i e h u n g von Seiendem und Idealem zum Realen aber berechtigt allein dazu, und ohne diese Brücke, welche das Reale eben in dieser Hinsicht bildet, wäre alles Ideale in die Rumpelkammer des Hirngespinnstes zu werfen. K a n t hat diese Brücke abgebrochen, indem er Seiendes und Reales auseinanderschied, und daher haben seine „intellectuellen Voraussetzungen" nicht mehr Berechtigung als das Hirngespinnst. Das hat vor Allem seine hohe Bedeutung in Ansehung des Kantischen „Ideals" Gott und der Religion als der praktischen Beziehung des Menschen auf dasselbe; der Kantianer kann, wenn er seinem Realitätsprincip getreu bleiben und nicht in sein Wolkenkukuksheim „Ding an sich" sich einbürgern will, keine r e a l e Beziehung zwischen dem Menschen und seinem „Ideal" behaupten, und damit ist er gezwungen, über die Religion als ein r e a l e s Verhältniss des Menschen zu Gott den Stab zu brechen und dieselbe, da sie eben ein reales Verhältniss doch sein müsste, zu verneinen. Wenn daher ein kantianisirender Theologe noch den Versuch macht, auf Kantischen erkenntnisstheoretischen Principien eine Wissenschaft von der Religion aufzubauen, so kann ihm diese Wissenschaft nichts anderes als eine Pathologie des menschlichen Geistes, welcher unter dem Hirngespinnst des „Ideals" leidet, bedeuten.

Das Seiende als mögliches Reales.

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Der erkenntnisstheoretische Monismus allein kann dem Idealen überhaupt eine berechtigte Existenz geben, indem dieses von ihm als mögliches Reales erkannt wird, ohne seinerseits je fürchten zu müssen, dass dasselbe als eigentliche Erkenntniss angesehen werde. Das ewige Hin- und Herschwanken zwischen dem an sich Seienden und dem Erkenntniss-Seienden, in welchem der Kantianer nothgedrungen sein Leben führt, ist dem Monisten erspart, die Zweiweltentheorie und die Zweiseelentheorie sind für ihn Ungeheuerlichkeiten, welche auch für sein praktisches Leben keinen Frieden, sondern vielmehr ewige Unruhe und inneren Zwiespalt bringen würden. Da nun das Seiende als Erkenntnissvoraussetzung seinem Umfang nach sich nicht deckt mit dem Realen, wohl aber als Erkenntnissvoraussetzung mögliches Reales ist, und da andererseits das Ideale, welches in rein erkenntnisstheoretischer Hinsicht das mögliche Reale ist, ebenfalls nicht in den Umfang des Realen fallt, so k a n n eben dieses Ideale eine Erkenntnissbeziehung repräsentiren, welche das Ich zu dem Seienden als m ö g l i c h e m Realen innehaben kann, d. h. das Ideale kann mögliche Erkenntniss sein. Nur dasjenige Ideale, dessen Erkenntnissbeziehung realisirt werden kann, welches also, sei es als ideale Vorstellung eine mögliche Wahrnehmung, sei es als idealer Begriff einen möglichen realen Begriff in erkenntnisstheoretischer Hinsicht darstellt, hat für das Erkennen Werth. Dieser Werth aber kann einzig und allein an dem Realen gemessen werden, und er ist gar nicht vorhanden, wenn sich ein vollkommener Widerspruch mit dem Realen zeigt, denn nur insofern das Seiende mögliches R e a l e s ist, kann das Ideale einen e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Gehalt besitzen. Damit ist dem Idealen der Anspruch, welchen dasselbe etwa auf Erkenntniss machen kann, genau bestimmt, indem die Erkenntnissbeziehung, welche in dem Idealen liegen kann, auf Seiendes als mögliches Reales beschränkt, auf dieses aber auch mit gutem Recht angewandt wird; was das Ideale bietet, kann demnach nur hypothetische Erkenntniss sein, die wohl bis auf Weiteres, d. i. bis das Reale eigentliche Erkennt-

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Reales und Ideales.

niss giebt, als Lückenbüsser ihren propädeutischen Werth haben, aber nie eigentliche Erkenntniss selbst zu sein beanspruchen darf. Wie das Ideale nun nur desshalb mögliche Erkenntniss (denn Erkenntniss befasst allein das Bewusst-Seiende) sein kann, weil und insofern es möglich real erscheint, so ist auch das Seiende nur d e n k m ö g l i c h , insoweit es mögliches Reales ist. Was im ganzen Gebiet des Idealen sich als real unmöglich erweist, ist Hirngespinnst ohne jeglichen Erkenntnisscharacter, und selbst die blasse logische Möglichkeit, dass solches Ideale die Vorstellung von einem Seienden sein sollte, welches doch eben unmögliches Reales sein würde, kann ihm natürlich keinen Erkenntnisswerth verleihen und ihm ebenso wenig den Character des Hirngespinnstes vom erkenntnisstheoretischen Standpunkt aus rauben. Das Gebiet des Seienden und das Gebiet des Idealen überhaupt sind ja allerdings gewiss sehr gross und k ö n n e n zusammenfallen, aber eine Erkenntnissbeziehung selbst der blassesten Art kann in dem letzteren nur angenommen werden durch das Reale hindurch und in Folge dessen Legitimation als Erkenntniss. Die Ueberlegung, ob die Phantasievorstellung, welche im erkenntnisstheoretischen Sinn Hirngespinnst ist, einem Seienden entspräche, ist eine ebenso müssige, als die Annahme, es gebe ein Seiendes, welches mit dem bewusst-gewordenen Seienden, d. i. mit der Welt, im vollkommenen erkenntnisstheoretischen Widerspruch stehe, eine bodenlose ist. Es steht natürlich einem Jeden frei, neben der Welt, wenn ihn die Lust anwandelt, noch ein zweites, mit ihr in völligem Gegensatz stehendes, Seiendes zu behaupten, und zu glauben, dass bestimmte Phantasievorstellungen dite erkenntnisstheoretische Beziehung zu diesem Seienden ideal enthielten; aber damit würde, wie ich schon oben bei der Besprechung des Kantischen „Ideals" hervorhob, alle und jede Erkenntnissdirection in Betreff des grossen Gebietes der Phantasievorstellungen durchaus verloren gehen, da dasjenige Ideale, welches freilich mit der Welt in Widerspruch stände, aber doch

Das praktische Ideale.

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auf ein Seiendes sich beziehen sollte, nicht von dem Hirngespinnst zu unterscheiden wäre. Um desswillen könnte solches Ideale auch selbst nicht einmal intellectuelle Voraussetzung für das praktische Leben sein, da demselben der hypothetische Erkenntnisswerth, welcher für eine intellectuelle Voraussetzung auch in solcher Function nothwendig erforderlich erscheint, durchaus fehlt in Folge des Widerspruchs, in dem dies Ideale zur Erkenntniss selbst steht. Wird dasselbe aber trotz alledem so benutzt, so mag es sich als eine praktisch nützliche Annahme erweisen, von seiner theoretischen Bodenlosigkeit und wissenschaftlichen Unbrauchbarkeit verliert diese aber dessenungeachtet durchaus nichts. Wohl zu unterscheiden ist von dem Idealen, welches als „ i n t e l l e c t u e l l e V o r a u s s e t z u n g zum Behufe praktischer Angelegenheiten" als Seiendes vorausgesetzt wird, dasjenige, welches wir als das p r a k t i s c h e I d e a l e bezeichnen können, da dieses dem handelnden Menschen das Ziel seines Handelns bestimmt, sei es auf dem Gebiete der Sittlichkeit, sei es auf demjenigen der Kunst. Dieses Ideale hält sich durchaus innerhalb der möglichen Realität und hat eben in diesem Umstand das unterscheidende Merkmal, durch welches es sich vom Hirngespinnst abhebt. Der Character aber der m ö g l i c h e n R e a l i t ä t darf dem praktischen Idealen niemals abgesprochen werden, auch wenn der Mensch trotz aller Anstrengung das in demselben gegebene Ziel seiner praktischen Thätigkeit nie erreicht hat; denn sobald jener Character gestrichen wird, weil man erkannt hat, dass derselbe der betreffenden Phantasievorstellung in keiner Weise zukommen könne, so ist sie auch als praktisches Ideal überhaupt unmöglich gemacht. Mit dem praktischen Idealen aber hat die Erkenntnisstheorie als solche nichts zu thun, weil es sich hier nicht um ein S e i e n d e s als mögliches Reales d. i. Erkenntniss handelt, sondern darum, ein mögliches Reales s e i e n d zu m a c h e n . Das Ideale nun als mögliche Erkenntniss spielt, eben insofern es sich als m ö g l i c h e s R e a l e s am Realen selbst legitimirt hat, eine durchaus berechtigte, ja bei dem jedes-

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Reales und Ideales.

maligcn Stande menschlicher Erkenntniss nothwendige Rolle, indem dasselbe in nicht geringem Maasse orientirend und wegleitend der Forschung zur Hand geht und vielfach den provisorischen Grundstein eines wissenschaftlichen Systems abgiebt. Es giebt wohl keine systematische Wissenschaft, welche dieses Idealen entrathen kann, in der Chemie ζ. B. ist es das Atom, in der Erkenntnisstheorie das Seiende; denn auch das letztere ist für die Wissenschaft der Erkenntniss, in der es eben die erkenntnisstheoretische Voraussetzung bildet, ein Ideales, das sich im Erkennen an dem Seienden als Realem, d. i. dem bewusstgewordenen Seienden in seiner wissenschaftlichen Berechtigung als Hypothese legitimirt. Daraus geht hervor, dass allein die monistische Erkenntnisstheorie, welche das Reale als das bewusstgewordene Seiende erkennt, jener Voraussetzung eine wissenschaftliche Berechtigung verleihen kann, während es für den Kantianismus sowohl als auch für den Dualismus ein hoffnungsloser Versuch ist, dieses Ideale vor dem subjectivistischen und skeptischen Vorwurf des Hirngespinnstes zu sichern, weil Beiden, allerdings aus verschiedenen Gründen, die ich an dem betreffenden Orte hervorgehoben habe, jede erkenntnisstheoretische Fühlung des Realen d. i. des BewusstSeienden mit der Voraussetzung aller Erkenntniss, dem Seienden, abgesprochen werden muss.

In dem R e a l e n sowie in dem I d e a l e n , soweit dieses sich als mögliches Reales ergiebt, hat das erkennende Ich eine bestimmte Beziehung zum Seienden, im ersteren Fall heisst sie W i s s e n , im letzteren G l a u b e n . In jeder systematischen Wissenschaft wird man sowohl Wissen als Glauben antreffen, und diejenige würde in einer selbstherrlichen Illusion sich befinden, welche von allem und jedem Dogmatischen frei zu sein glaubte. Für den inneren Werth einer Wissenschaft ist das Mehr oder Weniger des Dogmatischen d. i. des Idealen im Vergleich mit einer anderen nicht so sehr in erster Linie massgebend, als vielmehr das Verhältniss ihres dogmatischen

Wissen uud Glauben.

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Standpunktes zur Erkenntnisstheorie und demgemäss des behaupteten Idealen zum Realen. Die „Wissenschaft" verliert ihren inneren Werth, ihre wissenschaftliche Berechtigung, sobald sie entweder den bestimmten dogmatischen Standpunkt zum bestimmenden Factor ihres erkcnntnissthcoretischen Fundamcuts macht, anstatt denselben als Folge durch dieses letztere bestimmen zu lassen, oder sobald sie ihr Ideales, ohne erkenntnisstheoretische Verknüpfung desselben mit dem Realen, aufstellt. Das Object des Wissens ist das Seiende als Reales, oder mit anderen Worten die Welt als Wahrnehmung und Begriff; das Object des Glaubens ist das Ideale als mögliches Reales. Hierin ist zugleich schon das Verhältniss von Glauben und Wissen auf erkenntnisstheoretischem Boden angegeben; die wissenschaftliche Berechtigung des Glaubens steht und fallt mit der möglichen Realität seines Objects, des Idealen. Die sogenannte Versöhnung von Glauben und Wissen kann nicht auf dem Wege desCompromisses gewonnen werden; sie tritt vielmehr nur dann ein, wenn das Glauben sich dem Wrissen fügt und somit dessen Kreise nicht stört; ich verstehe aber unter „sich dem Wissen fügen", dass das Object des Glaubens mögl i c h e s W i s s e n s o b j e c t sei; nur dieses Glauben kann friedlich und einträchtig neben dem Wissen im Ich bestehen. Jenes bekannte Compromiss aber zwischen Glauben und Wissen, welches auf Grund der Zweiweltentheorie zu Stande kommt, ist eine für das Wissen gefahrliche Versorgungsanstalt der Hirngespiimste in einer angeblichen Welt. Mit der Aufstellung der Zweiweltentheorie ist allerdings die schwierige Aufgabe, welche dem Monismus obliegt, um zwischen berechtigtem und unberechtigtem Glauben zu scheiden, verschwunden: was sich dem Wissen nicht fügt, flüchtet man eben „in der Ideale Reich", und neben dem real gewordenen Seienden erhobt sich ein Seiendes, das nicht real werden kann. Für das Wissen wird dieses Compromiss gefahrlich, weil das Glauben gleichsam als ein höheres Wissen auftritt, und da es in Ansehung seiner Objecte einen Seinsgegensatz zum Wissen ent-

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Reales und Ideales.

hält, so wird dieses letztere dadurch wiederum seines absoluten Erkenntnisswerthes entkleidet, indem das Glauben anstatt seines für die Erkenntniss propädeutischen und dieselbe ideal ergänzenden Characters einen eigentlichen Erkenntnisscharacter erhält. So lange nun ein solches Compromise einzig im Gebiet des praktischen Lebens bleibt, kann die Wissenschaft schweigen, sobald es aber Anspruch macht auf wissenschaftliche Geltung, muss jene gegen dasselbe Protest einlegen, weil für das „Seiende" des Glaubens der von der Wissenschaft nothwendig zu fordernde Nachweis der möglichen Realität j a laut dem Compromisse selbst nie und nimmer erbracht werden kann. Die Wissenschaft muss ein solches Glauben durchaus von sich fern halten und, wenn es sich aufdrängen will, rundweg aus ihrem Gebiet verweisen. Die Anhänger des Compromisses haben ihrerseits aber auch, wenn sie demselben getreu bleiben wollen, alle jene vielfach angehobenen, aber stets gründlich gescheiterten Versuche zu vermeiden und sich aus dem Kopf zu schlagen, mit denen sie die Objecte des Glaubens wissenschaftlich stützen zu können vermeinen. Denn der wissenschaftliche Apparat hat nur Geltung für das Reale und das mögliche Reale, gilt also nicht für dasjenige Ideale, welchem die Möglichkeit, entweder einer Wahrnehmung oder einem realen Begriff als Erkenntniss zu entsprechen, in dem Compromise abgesprochen worden ist. Dieses aber vergessen die Compromissler nur gar zu rasch und mühen sich dann ab, dem Glauben ein wissenschaftliches Kleid umzuhängen, das ihm nun und nimmer auf den-Leib geschnitten werden kann. Uneingedenk des Compromisses bauen sie dogmatische Schlösser für ihre Glaubenssätze, und haben sich dann nicht zu beklagen, wenn die derbere Wissenschaft, welche vielleicht einem ehrlichen Compromiss geneigt war, nunmehr über sie spöttelt und sie trotz ihrer Schlösser die Ritter von Habenichts nennt. —

Das Wirkliche: Wahrnehmung und Begriff.

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10. Wirklichkeif und Wahrheit. Erkenntniss haben hcisst das Seiende als Bewusst - Seiendes besitzen, und „ich erkenne" heisst: ich gewinne diejenige Beziehung zum Seienden, in Folge deren mir dasselbe Bewusst-Seiendes ist. Der Erkenntnissprocess ist keine Seinsveränderung, sondern die Herstellung einer Beziehung des in seinem Sein unangetastet bleibenden Seienden zum erkennenden Ich; hier handelt es sich also nicht um die Herstellung von einem Seins-Verhältniss eines Seienden zu einem anderen, sondern vielmehr um eine bewusste Thätigkeit, die nichts Seiendes schafft, sondern das Seiende selber zur Erk e n n t n i s s des Ich macht. Das erkennende Ich hat das Bewusst-Seiende als NichtIch in Besitz; dieses allein ist das Erkenntniss-Nicht-Ich, und nur weil es das ist, was es ist, nemlich sowohl Seiendes als auch Bewusstgewordenes, kann es den Namen E r k e n n t n i s s tragen; denn Erkennen heisst ja: sich zum S e i e n d e n in Beziehung setzen, so dass dieses zum Bewusst-Seienden wird. Von der idealen Voraussetzung des Seienden als möglichen Realen zehrt nun alles menschliche Streben nach Erkenntniss, und sie ist die hypothetische Grundlage jeder Erkenntnisstheorie, die ihren Titel mit Recht tragen will und ihn nicht mit einem psychologischen vertauschen mag. Das Bewusstwerden des Seienden selbst aber ist andrerseits die n o t wendige Bedingung, ohne welche keine Erkenntniss möglich ist, und die Leugnung dieses Bewusstwerdens ist zugleich die Verneinung des Erkennens. Was die Leugner aber dann etwa an die Stelle des Seienden setzen, um Erkenntniss für sich zu retten, ist als Verlegenheitssurrogat doch ein quasi-Seiendes, weil sie sich nicht der Wahrheit entziehen können, dass das Erkennen eine Beziehung des Ich zum S e i e n d e n selbst geben muss. Als Bewusst-Seiendes ist das Seiende Eigenthum des Er-

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Wirklichkeit und Wahrheit.

kenntniss-Ich, und nur das Seiende, das bewusst wird, erkennt das Ich. Das Seiende durchläuft im Erkenntnissprocess zwei Stadien, das der Wahrnehmung und dasjenige des Begriffs, von denen das letztere das crstere zur unbedingten Voraussetzung hat, die aber beide durchlaufen sein müssen, auf dass das Seiende völliges Eigenthum des Ich sei. Als W a h r n e h m u n g u n d B e g r i f f erst wird das Seiende vom erkennenden Ich völlig angeeignet und als solches die W e l t genannt. Welt ist also das Seiende, sofern dasselbe bewusst geworden ist oder werden kann; dieser Begriff Welt umfasst demnach sowohl das Reale als auch das mögliche Reale; das Reale allein, also das Seiende als gegebene Erkenntniss, heisst u n s e r e Welt. Das dem Erkennen zugängliche Seiende erhält, vom Standpunkt des Seins aus betrachtet, den Namen AVeit, vom Standpunkt des Erkennenden aus bezeichnet, den Namen W r a h m e h m u n g u n d B e g r i f f . Wahrnehmungen und die an ihnen gewonnenen Begriffe bilden das Reale, sowohl jenen als diesen gehört das Prädicat der Wirklichkeit. Die bestimmten Wahrnehmungen pflegen wir insgesammt a potiori als Dinge zu bezeichnen, und .so können wir auch sagen: die Dinge und ihre Begriffe sind das Wirkliche. Das Seiende als Ding erkennen heisst: dasselbe als Wahrnehmung und Begriff oder, was dasselbe sagt, als bestimmte Wahrnehmung besitzen. Wahrnehmung bildet den Grundstock des Wirklichen, sie ist daher Anfang und Quelle der E r k e n n t n i s s ; alle Wahrnehmungen sind Reales, und zwar das primär bewusst-gewordene Seiende. Aber nicht alle „Dinge" sind wirklich. Wäre „Ding" blosse Wahrnehmung und nicht Wahrnehmung u n d Begriff, so müssten auch a l l e „Dinge" gänzlich Reales sein, und der Unterschied von wirklichen und scheinbaren Dingen hätte nicht aufgestellt werden können; dieser Unterschied geht aber auch allein nur auf die „Dinge". Wir können nicht reden von wirklichen und scheinbaren Wahrnehmungen, wenn nicht etwa schon unter „Wahrnehmungen" b e s t i m m t e Wahrnehmungen d. h. Dinge verstanden werden; „wirkliche Wahrnehmung" ist ein

Das Scheindinj.

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pleonastischer Ausdruck; wir können auch nicht reden von wirklichen und scheinbaren Begriffen, sondern nur von realen und idealen. Scheindinge aber und vorgestellte Dinge sind nicht zu identificircn; sowohl wirkliche als auch Scheindinge können vom Ich vorgestellt werden; bei den Scheindingen ist indess das Ich stets w a h r n e h m e n d . Ob in Ansehung der Visionen und Hallucinationen das Ich wahrnehmend oder vorstellend, oder wahrnehmend und vorstellend zugleich sei, ob dieselben also als Scheindinge oder Hirngespinnste (Phantasievorstellungen) gelten müssen, ist Sachc der Psychologie zu untersuchen, die Erkenntnisstheorie hat allein das Scheinding als solches,, dieses Zwitterding von Realem und Hirngespinnst, zu erklären. Das S c h e i n d i n g ist wie alles, was „Ding" heisst, Wahrnehmung und Begriff. Wäre es nun dem Ich nicht möglich, die an Wahrnehmungen oder an Vorstellungen gewonnenen Begriffe für sich allein zu besitzen, hätte es die Begriffe nie „rein", sondern nur an Wahrnehmungen oder an Vorstellungen, so würde das Scheinding erkenntnisstheoretisch ein Ding der Unmöglichkeit sein; entweder es müsste zu den Hirngespinnsten gerechnet werden, oder aber die Gegner des reinen Begriffs ständen dem Phänomen Scheinding, wenn die Umstände auch ihnen zu stark gegen eine Verschmelzung mit den reinen Hirngespinnsten sprächen, völlig rathlos, wie dasselbe zu erklären sei, gegenüber. Nur dadurch, dass das Ich Begriffe für sich allein hat und mit denselben willkürlich operiren kann, lässt sich das erkenntnisstheoretische Phänomen Scheinding erklären; dasselbe ist Wahrnehmung, j a sogar bestimmte Wahrnehmung, und trotzdem Scheinding, weil das Ich zu dieser Wahrnehmung einen Begriff hinzugedacht hat, welcher als solcher wohl ein realer sein kann, aber nicht Merkmal an der vorliegenden Wahrnehmung ist. Dass diese bestimmte Wahrnehmung nun Scheinding ist, beruht nicht auf der Wahrnehmung als solcher und auch keineswegs auf dem willkürlich hinzugedachten und nicht aus der Wahrnehmung herausgedachten Begriffe als solchem, sondern auf der willkürlichen l o g i s c h e n S y n t h e s e

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Wirklichkeit und Wahrheit.-

von Wahrnehmung und Begriff, welche eben der erkenntnisstheoretischen Analyse nicht entspricht. Die Veranlassung aber zu solcher logischen Synthese, welche oft eben desshalb durchaus keine rein willkürliche ist, liegt doch in der bestimmten Wahrnehmung als realem Ding selbst, welche nemlich das Ich zu der rein logischen Synthese anregt und diese auf sich als das Reale anzuwenden reizt. Darin unterscheidet diese Synthese sich von den rein willkürlichen der Phantasie. Ein Irrthum wäre es jedoch, wollte man dieses Scheinding durch eine Scheinwahrnehmung, die auch logisch undenkbar ist, erklären; das Scheinding ist nichts Anderes als ein Compositum aus Realem und Idealem, und der Schein ist, wenn auch durch die Wahrnehmung veranlasst, das Resultat einer l o g i s c h e n S y n t h e s e des Ich: man s i e h t nicht das Scheinding, sondern man m e i n t es zu sehen. Der Schein hat also seine Quelle im u r t h e i l e n d e n Ich, und das Scheinding, soweit es Wahrnehmung ist, hat Wirklichkeit und beruht nicht auf Schein. Wenn ich eine bestimmte Wahrnehmung, ζ. B. das Spiegelbild eines Menschen, habe, so ist sie als solche durchaus real, und zum Scheinding wird sie erst, wenn ich sie für den Menschen selbst halte, also einen Begriff logisch mit ihr verknüpfe, welcher nicht in ihr liegt. Alles, was Schein heisst, ist demnach auf das urtheilende Ich zurückzuführen, in diesem ist seine alleinige Quelle zu erkennen; das Ich fügt in logischer Synthese zu dem Realen den „Schein" hinzu, so dass es als Scheinding im Bewusstsein des Ich auftritt; mit der Correctur dieser Synthese ist dann das Reale wieder allein da als reine Erkenntniss. Während von der einen Seite her das Wirkliche, welches allein die Welt als Wahrnehmung und Begriff ist, durch solche Scheindinge, die in bestimmter Weise allerdings an der Wirklichkeit Theil haben, ungebührlich vermehrt zu werden droht in Folge der Neigung des Ich, auf gegebene Veranlassung einer bestimmten Wahrnehmung einen in Hinblick auf sie idealen Begriff anzudichten, ist von der anderen Seite her ein

Die Verobjectivirung des realen Begriffs.

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nicht minder gefährlicher Eindringling aus dem Gebiet der Erkenntniss fern zu halten: nemlich der v e r o b j e c t i v i r t e r e a l e B e g r i f f . Dieser ist ein Gegenstück zu dem Scheinding und, einmal eingelassen, nun noch viel schwieriger zu entfernen als das Scheinding; er ist ein Gegenstück desselben, weil auch er, wie jenes, gleichsam mit einem Schein des Hechten behaftet ist: Beide nehmen nemlich irgendwie an der R e a l i t ä t Theil; denn auch der in Frage stehende verobjectivirte Begriff ist ohne Frage, abgesehen von dieser seiner Verdinglichung, also als reiner Begriff, real. Interessant ist zu bemerken, dass gerade das Streben, dem Begriff die Wirklichkeit, die man an ihm selbst einfach übersah, zu retten, zu seiner Verobjectivirung geführt hat. Das classische Beispiel für alle Zeiten bietet der grosse Piaton in seiner Ansicht von den Ideen. „Wirklich sein" und „Ding sein" sind der Menschheit seit alter Zeit zwei Begriffe, welchen sie ein und denselben Umfang zu geben gar sehr geneigt ist. Dies erklärt sich wohl durch die Thatsache, dass eben das erste Wirkliche, welches das erkennende Ich hat, Wahrnehmung ist. Was nun im Verlauf des Erkennens den Character der W i r k l i c h k e i t offenbar an sich trägt, wird dann ohne Weiteres als bestimmte Wahrnehmung d. i. eben als D i n g v o r g e s t e l l t , und so wird auch die Verobjectivirung, welche man als vorstellendes Ich von sich aus mit dem realen Begriff erst vorgenommen hat, ganz übersehen. Der reale Begriff ist aber doch nur als solcher ein Reales, und die Phantasievorstellung dieses realen Begriffes als eines Dinges ist nicht real, sondern ideal, und zwar als Ideales speciell ein H i r n g e s p i n n s t . Im gewöhnlichen Leben ist dieses Phantasiespiel mit den realen Begriffen gang und gäbe, und kann ohne grossen Schaden belassen bleiben; im wissenschaftlichen Leben aber sollte grade gegen diese Verobjectivirung realer Begriffe mit allen Mitteln angekämpft werden, um den schädlichen Einfluss, welchen sie auf die zu bildende Weltanschauung ausübt, zu vernichten. Dies wird um so leichter gelingen, je mehr man

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Wirklichkeit und Wahrheit.

sich des Vorurtheils, nur Wahrnehmungen seien Reales, entäussem und demgemäss auch den Begriff als solchen für ein Reales halten kann; letzteren freilich nicht für ein Reales, das bestimmte W a h r n e h m u n g , sondern das eben B e g r i f f ist und nichts anderes sein kann. Wenn man namentlich dies Letztere fest im Auge behält, wird man weder nach der einen Seite noch nach der anderen ausschwanken, weder den Begriff überhaupt für ideal, noch auch andererseits für ein Ding erklären: beide Gefahren nemlich kann der Erkenntnisstheoretiker vermeiden, indem er erkennt, dass der reale Begriff eben desshalb das Prädicat der Wirklichkeit hat, weil er an der W a h r n e h m u n g gewonnen ist. Muss or nemlich als Merkmal der Wahrnehmung zugestanden werden, so kann er nicht ideal sein, und andererseits kann er auch selbst kein „Ding" sein, wenn er Merkmal der Wahrnehmung ist. In jene Gefahren hat aber, wie ein Umstand vor beiden bewahren kann, auch ein Umstand hineingeführt, nemlich die Möglichkeit des Ich, sich logisch zu dem Begriff als solchem in Beziehung zu setzen, oder, mit anderen Worten, denselben für sich, abgesehen von der Wahrnehmung, an der er als realer auftritt, haben zu können. Das verleitete die Einen, die Begriffe als universalia ante rem, die Anderen, sie als nomina oder universalia post rem zu behaupten, so dass dieselben dort eine dingliche Realität erhielten, während ihnen hier jede Wirklichkeit abgesprochen wurde. Die letztere Ansicht war in ihrer Opposition gegen die Verobjectivirung der Begriffe völlig gerechtfertigt, und hatte selbst noch bei ihrem Kampfe gegen die universalia in re in allen den Fällen ihr gutes Recht, wo immer die Aristoteliker noch in kleinstem Maasse unter dem Bann platonischer Begriffsplastik standen. Die Nominalisten aber verkannten in ihrem Eifer die aristotelische Wahrheit der universalia in re, weil sie, gleich ihren Gegnern, trotz allem übrigen Gegensatze den Zug des Verobjectivircns auch in sich verspürten; ein kleiner Piaton steckt eben in jedem Menschen, und die Welt als Begriff wird nicht ungerne zu einer Begriffswelt gemacht. Auch sie mein-

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Das Ding und seine Eigenschaften.

ten, was real wäre, müsste Wahrnehmung sein und für sich wahrgenommen werden, daher auch nicht bloss für sich ged a c h t , .sondern für sioh vorgestellt werden können; weil sie nun richtig einsahen, dass der Begriff als solcher nur gedacht werden, nicht aber Wahrnehmung sein könne, so blieb ihnen gemäss ihrer grundlegenden Ansicht über das Reale, welche sie mit ihren platonischeren Gegnern theilten, nichts Anderes übrig, als dem Conceptualismus zu verfallen. Die Conceptualisten sind auch heute noch nicht ausgestorben, wesshalb es nicht unnöthig ist, den Irrthum, auf Grund dessen sie auch das Wahre im aristotelischen Standpunkt verwerfen, zu bezeichnen, um doch den Begriffen ihre Wirklichkeit zu retten. Man sagt wohl von jener Seite: die Begriffe sind universalia, d. i. Allgemeines, die Dinge dagegen Individuelles. Ich will dies einmal zugeben; daraus folgt aber doch nicht, dass es falsch sei, Begriffe als Reales in re anzunehmen, sondern nur, dass Begriffe nicht Dinge seien: was gewiss durchaus richtig ist. Der Conceptualismus aber übersieht, dass das Ding als bewusstgewordenes Seiendes Wahrnehmung u n d Begriff ist, und hält das Ding als Wahrnehmung schon für das ganze Ding. Aus dieser fatalen Auffassung ist auch jenes Wort von dem „Ding und seinen Eigenschaften" geboren, welches, auch ganz abgesehen von der nominalistischen Ansicht über die Begriffe, so vielen Schaden in erkenntnisstheoretischen Untersuchungen angerichtet hat, weil man gar bereitwillig das Ding als Wahrnehmung und Begriff in zwei Theile auseinanderriss, das Ding als Wahrnehmung zum Ding und zur Gliederpuppe machte, um die man den Complex von Begriffen oder Eigenschaften als Ausstaffirung herumhängte. Weil man die Begriffe logisch für sich haben, g l e i c h s a m aus dem Dinge herausheben konnte, das Ding, das Seiende als Reales, aber dann doch nicht aufgehoben wurde, meinte man wohl, Ding und Eigenschaften wären r e a l Unterschiedenes. An diesem Beispiel erkennt man recht deutlich das Unheil, welches durch Verwechselung von logischer und realer Section des Realen entstehen kann. Diese Rehmke,

D i e W e l t als W a h r n e h m u n g u. Begriff.

J.6

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Wirklichkeit und Wahrheit.

Verwechselung ist durch das menschliche Streben, Alles zu veranschaulichen, logische Arbeit im Bilde einer Arbeit mit Wahrnehmungen sich vorzustellen, einem Jeden sehr nahe gelegt, und leistet sogar seine guten, vortrefflichen Dienste im Erkenn tnissprocess, wenn der Mensch nur nicht vergisst, dass das Bild eben nur ein Bild und Veranschaulichungsmittel ist für ein ganz Anderes. In diesem Sinne kann auch der Begriff das Abstracte genannt werden, wenn man nur nicht aus dem Bilde, das diese Bezeichnung wiedergiebt, herausgeht und ζ. B. bei der logischen Section eines Dinges des Glaubens lebt, man habe die Eigenschaft vom Dinge real abstrahirt. Macht man nun denjenigen, welche in ihrem Satze vom Ding und seinen Eigenschaften offenbar die logische Section als reale Section betrachten, etwa in recht handgreiflicher Weise den Fehler klar, indem man vielleicht sagt: die Eigenschaft, d. i. den Begriff grün von dem Baumblatt abstrahiren, bedeute doch nicht, grün vom Blatt abschaben, denn das Blatt sei auch nach dem Geschäft der Abstraction noch grün — so werden sie wohl einstimmig dagegen protestiren, einen solchen Fehler begangen zu haben, und doch ist er in ihrem eigenen Fall ganz derselbe, wenn er gleich versteckter erscheint. Denn sie leben der Meinung, dass das Ding selbst, wenn seine Eigenschaften weggedacht werden, d. h. weggenommen gedacht werden, noch übrig bleibe; dass die Eigenschaften real abgetrennt werden könnten, ohne das Ding als solches in seinem Sein zu zerstören. Diese Eigenschaften aber gehören in Wirklichkeit untrennbar zum Ding, denn sie sind ja das Ding als Begriff; daher ist auch keine reale Trennung der Eigenschaften vom Dinge möglich, ohne eben das Ding selbst aufzuheben. Wenn ich aber eine Eigenschaft des Dinges für sich denke, sie logisch dem Ding als sein Prädicat im Urtheil gegenüberstelle, so darf ich sie desshalb doch nicht ansehen als ein Reales, das zum Dinge hinzuk o m m t , sondern muss sie vielmehr als ein Reales, welches mit der Wahrnehmung das reale Ding erst a u s m a c h t und

t)as T)ing und seine Eigenschaften.

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ohne welches das Ding eben nicht das Ding sein könnte, auffassen. Sobald man daher von den Eigenschaften des Dinges redet, so kann es nur in dem Sinne mit Recht geschehen, dass man unter den Eigenschaften das Ding s e l b s t und zwar als Begriff versteht; von ihnen aber abstrahiren und dann doch noch ein Ding behalten wollen,· heisst das Ding als Wahrnehmung zum Ding selbst, welehes doch erst Wahrnehmung und Begriff sein kann, hinaufphantasiren, bei welcher Beschäftigung man sich nicht wundern darf, wenn die Wirklichkeit dem Reichc der Phantasie Platz macht. Auf solchem phantastischen Wege aber sind alle diejenigen gewesen, welche über die Eigenschaften des Dinges hinaus dieses Reale noch weiter bestimmen zu müssen meinten, und in den selbstverständlich vergeblichen Bemühungen, n e b e n den Eigenschaften auch noch das denselben als „stummen Diener" hinzuphantasirte „Ding" selbst zu erkennen, voll Resignation schliesslich sich mit der blossen Erkenntniss der Eigenschaften begnügten und sangen: „In's Innere der Natur dringt kein erschaff'ner Geist; glückselig, wem sie nur die äussere Schale weist". Ein richtiges Moment lag in diesem Suchen nach dem wirklichen Ding, nemlich die Wahrheit, dass man im Begriff nicht das Ding völlig, sondern eben nur als Begriff, habe; man ahnte, es gehöre noch etwas dazu, in den Eigenschaften besitze man dasselbe nicht ganz. Dasjenige aber, was allerdings noch fehlte, war eben das Ding als W a h r n e h m u n g , nicht aber etwa ein Ding n e b e n den Eigenschaften, d. i. neben dem Ding als Begriff; in diesem letzten Punkte liegt der Irrthum jener resignirenden Phantasten, und ich halte es mit G ö t h e , welcher denselben zurief: „Natur hat weder Kern Noch Schale, Alles ist sie mit Einem Male". — Das Ding, die Natur, die Wirklichkeit, die Welt, oder wie man es sonst nennen will, ist W a h r n e h m u n g und Begriff z u g l e i c h . — 16*

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Wirklichkeit mid Wahrheit.

Mit dem Falschen, das Ding nemlich h i n t e r der „Schale" zu suchen, welches eine rohe phantastische Einkleidung des Wahren, dass das Ding in dem Begriff, d. i. in den Eigenschaften nicht völlig als Erkenntniss gegeben ist, bildet, haben Andere auch dieses Wahre völlig über Bord geworfen und erklärt, das reale Ding sei nichts anderes als ein bestimmter Complex von Eigenschaften. Es möchte schwer halten zu entscheiden, wer von Beiden weniger schlecht berathen ist, der, welcher das Ding als Wahrnehmung schlechthin für ein Ding hinter dem Ding als Begriff ansieht, oder derjenige, welcher das Ding als Wahrnehmimg neben dem Ding als Begriff einfach leugnet. Der letztere, welcher meint, das reale Ding sei ein Complex von Eigenschaften, ist wenigstens ebenfalls in dem Irrthum, der die logische Section als eine reale Section des Realen behandelt, gefangen. Wenn ich aber die l o g i s c h e Analyse eines bestimmten Bewusst-Seienden „Ding" vornehme, so kann ich unmöglich mit derselben zu Ende sein, sobald ich seine verschiedenen Eigenschaften gewonnen habe, sondern als Rest bleibt mir noch das Wahrnehmungsein; und diejenigen, welche in der That das Geschäft mit Aufzählung der „Eigenschaften" beendet wissen wollten, analysiren eben nicht das Bewusst - Seiende „Ding", welches Wahrnehmung und Begriff ist, sondern allein das Ding als B e g r i f f , woraus sich dann allerdings das von ihnen gewonnene Resultat vollkommen erklären lässt. Es wird auch dies wieder unter den allgemeinen Fehler von der Objectivirung der Begriffe zu rechnen sein. Das Ding als Wahrnehmung ist eben Wahrnehmung und nicht Begriff, wesshalb es kein Wunder nehmen darf, dass es als solches nicht wieder als Begriff in unserer Erkenntniss auftritt, sondern nur als Wahrnehmung; aber diese letztere ist doch nicht minder Erkenntniss des Seienden als der Begriff. Das ist eben das Verwunderliche in Ansehung dieser Verirrung, dass ihre Anhänger, welche durchaus sensualistisch angehaucht sind, gerade das Moment der W a h r n e h m u n g an dem Ding gegenüber dem Moment des Begriffs unbeachtet lassen und allein

Das Wirkliche ist Wahrnehmung und Begriff.

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den Begriff des Dinges in der E r k e n n t n i s s zur Geltung kommen lassen wollen. In dem Suchen nach dem, was wirklich ist, vergessen sie den wirklichen Boden, welchen die Wahrnehmung als primäres Bewusst-Seiendes bildet und auf welchem sie ja selbst stehen, mit in Rechnung zu ziehen und als Wirkliches mitzuzählen. — Das Ding für einen Complex von Eigenschaften ansehen, es selbst also für nichts anderes als Begriff erklären, heisst einzig und allein den Begriff für das Wirkliche ausgeben, wogegen doch die Erkenntnisstheorie, so energisch sie die Realität des Begriffs auch betont und verficht, zu Gunsten der Wahrnehmung Protest einlegen muss, denn das Wirkliche ist die Wahrnehmung und ihr Begriff. Wenn es nun aber heisst: das Reale, die Welt, ist Wahrnehmung und Begriff, so muss der Mensch sich auch hier hüten, nicht der Sucht, Begriffe zu Dingen zu machen, zu verfallen, und er wird ihr nur entgehen können, wenn er sich dessen bewusst bleibt, dass das Ding Wahrnehmung und Begriff, die Wahrnehmung aber kein Begriff und der Begriff keine Wahrnehmung ist. Die Welt als Wahrnehmung und Begriff ist ja nicht aus ihnen als den beiden Theildingen zusammengeleimt, sondern das Seiende ist Welt, insofern es wahrgenommen und begriffen ist. Das Seiende, welches Wahrnehmung geworden und das, welches Begriff geworden ist, sind durchaus nicht etwa als zwei Seiende, die als Welt zusammengebunden wären, von einander real unterschieden, sondern ein und d a s s e l b e S e i e n d e w i r d p r i m ä r als W a h r n e h m u n g und s e c u n d ä r als Begriff b e w u s s t ; die Art des Erkennens ist eine andere im ersten und eine andere im zweiten Fall, aber die zweite fusst durchaus auf der ersten; es sind wohl zwei Acte des Erkennens, aber in ihnen wird ein und dasselbe Seiende bewusst. Die W a h r n e h m u n g i s t d a s p r i m ä r e , i h r Begriff d a s s e c u n d ä r e E r k e n n t n i s s e l e m e n t zu nennen, wenn wir unter Erkenntniss überhaupt das bewusstgewordene Seiende oder das Reale verstehen wollen. Sie sind so innig mit ein-

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Wirklichkeit und Wahrheit.

ander verknüpft, dass es unmöglich ist, dem Einen das Prädicat der Wirklichkeit geben und dem Anderen dasselbe vorenthalten. Wer die Begriffe für real erklärt, muss der Wahrnehmung das Gleiche zugestehen, und wem die Wahrnehmung das Wirkliche ist, der kann ihren Begriff nicht für unwirklich erklären. Weil nun das Wirkliche Wahrnehmung und Begriff ist, so kann man sich kurz ausdrücken, das Wirkliche seien die Dinge oder die Welt, welche ja Wahrnehmung und Begriff ist; dabei würde vielleicht am ehesten der Versuchung, den Begriff für sich als ein Ding anzusehen, aus dem Wege gegangen sein, ohne auf der anderen Seite fürchten zu müssen, dass die Realität des Begriffes Schaden litte. Gerade den Vertheidigern der Wirklichkeit des Begriffes ist die Formel: „das Wirkliche ist die Welt" wohl vor Allem zu empfehlen, weil sie leichter noch als die Gegner in die platonische Begriffsplastik gerathen und das logische Fürsichsein des realen Begriffs als einen r e a l f ü r sich seienden Begriff, d. h. als ein Ding auffassen. Dieses Verwechseln aber von Begriff und Ding ist ein so constanter Zug des menschlichen Geistes, dass mir die sorgfältigste Selbstbeobachtung vor groben Irrthümern bewahren kann; die meisten falschen Auffassungen des Seienden, die vielen metaphysischen Systeme, welche unsere Zeit als Träumereien in die Geschichte verweist: sie sind alle über der Realität des Begriffs gestrauchelt und haben ihn zum Ding gemacht: als abschreckendes Beispiel kann unserer Zeit in instructiver Weise dienen Schopenhauer's Auffassung der Welt als Wille. Gegen diesen Hang zur Begriffsplastik, welcher in's Erkenntnissgebiet sich hinüberzuspielen jederzeit bereit ist, suchen wir nach einem festen Halt, der uns über das Wirkliche als Wirkliches orientirt, und auf Grund dessen wir die Verobjectivirung des Begriffs zurückweisen und vermeiden können; mit anderen Worten, wir fragen: welches ist das Kriterium der Wirklichkeit? Dieses Kriterium ist das W a h r n e h m e n ; Alles, was real zu sein behauptet, muss sich als

Das Kriterium der Wirklichkeit.

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Wahrgenommenes legitimiren. Der reale Begriff nun als solcher ist nicht zugleich Wahrnehmung, kann also als Ding nicht wahrgenommen worden sein, obwohl er an einem Dinge sich als realer erweist, d. h. an ihm als der Wahrnehmung dem Ich gegeben ist. Das Wahrnehmen ist Kriterium der Wirklichkeit, und daher ist die Wahrnehmung sowie das, was an dem Seienden als Wahrnehmung durch das secundäre begriffliche Erkennen gegeben ist, wirklich; damit wird sowohl aller Anmassung derer, welche den Begriff als reales Ding behaupten möchten, auf's Gründlichste gesteuert, als auch dem realen Begriff sein Anrecht auf die Wirklichkeit voll und ganz bewahrt. Die Wahrnehmung aber bleibt der Anker, an dem sich alle Erkenntniss zu halten hat, und was sich als angebliche Erkenntniss von ihr getrennt hat, gehört der Wirklichkeit nicht an. So ist die Wahrnehmung, was nemlichdas Seiende als Reales, mit welchem sich eben das Erkennen beschäftigt, angeht, das Fundament der Erkenntniss, und Wahrnehmung und ihr Begriff machen das Gesammtgebiet der Wirklichkeit aus. Begriff und Wahrnehmung sind demnach die E r k e n n t n i s s elemente, dieses das primäre, jenes das secundäre; mit ihnen operirt das Ich im Urtheilen und stellt seine Erkenntniss dar in logischen Synthesen, welche wir Urtheile nennen; die Bestandteile des Urtheils sind stets entweder Wahrnehmung (Vorstellung) und Begriff oder Begriff und Begriff, und je nachdem das Subject eine Wahrnehmung oder ein Begriff ist, heisst das Urtheil entweder Wahrnehmungs- oder Begriffsurtheil, ist demnach entweder particular oder allgemein. Ein gültiges Urtheil heisst ein wahres Urtheil, ein ungültiges dagegen ein falsches. Erst für das Urtheil sind die Begriffe wahr und falsch zu verwerthen und keineswegs auf die Erkenntnisselemente Wahrnehmung und Begriff anwendbar. Diese Behauptung aber bedarf der näheren Begründung. Während W i r k l i c h k e i t ein e r k e n n t n i s s t h e o r e t i sches Verhältniss des Seienden zum Ich bezeichnet, enthält der Begriff W a h r h e i t ein logisches Verhältniss des

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Wirklichkeit und Wahrheit.

U r t h e i l s zum Wirklichen; wirklich ist das Seiende, insofern es als Wahrnehmung und Begriff bewusstseiend wird, wahr das logische Gebilde, wenn seine Synthese dem Wirklichen entspricht, d. h. wenn es entweder von einer Wahrnehmung oder von einem Begriff etwas aussagt, was entweder an der Wahrnehmung oder an dem realen Begriff erkannt ist. Wenn diese Sätze richtig sind, so folgt daraus, einmal, dass wir das S e i e n d e als Wirkliches haben müssen, wenn wir von Wahrheit wollen reden können, und dann, dass uns das Wirkliche v o r h e r gegeben sein muss, bevor wir Wahres haben können. Was den ersteren Punkt betrifft, so zeigen nun auch Wirklichkeit und Wahrheit eine solche Verwandtschaft mit einander, dass die letztere in ihrer bestimmten Fassung wenigstens von jener bedingt ist, da sie durch das Wirkliche eben auf das S e i e n d e abzielt. Wenn für die Kantianer das Reale nicht identisch ist mit dem Seienden („Ding an sich"), so erhält der Begriff Wahrheit dadurch einen Knick, weil nun die wahren Urtheile, welche allerdings dem „Realen" entsprechen, nicht auch dem Seienden entsprechen können. Für die Bestimmung dessen, was Wahrheit ist, hat dies freilich direct keine Bedeutimg, da der Kantianismus doch das „Reale" für das Ich gerettet hat, wohl aber ist dasselbe von grösstem Belang für die Bestimmung des Erkenntnisswerthes, welcher den wahren Urtheilen zukommt, da E r k e n n t n i s s eben das Seiende selbst betrifft. Wahrheit nemlich im eigentlichen Sinne, welche sich auf das Wirkliche als S e i e n d e s bezieht, kann nur diejenige Erkenntnisstheorie behaupten, welche das Reale mit dem Seienden identisch erklärt, und eine solche ist direct nur der Monismus, indirect derjenige Dualismus, welcher das Reale d. i. das Bewusst-Seiende als Wahrnehmung und Begriff für ein Bild des Seienden ansieht. Alle übrigen Erkenntnisstheorien werden, gleich wie sie nur ein Surrogat-Seiendes haben, auch nur eine Surrogat-Wahrheit kennen. Abgesehen von dem erkenntnisstheoretischen Unterschiede,

Das Gebiet der Wahrheit.

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welcher in der Auffassung des „Realen" und seines logischen Verhältnisses zu der erkenntnisstheoretischen Voraussetzung „Seiendes" besteht, ist wenigstens unter Allen darin völlige Einhelligkeit, dass Wahrheit ein Verhältniss zum Wirklichen bezeichne, und zwar die „Uebereinstimmung" eines Productes des Ich mit dem Wirklichen. In Betreff des anderen Punktes aber, in welchem ich forderte, dass das Wirkliche dem Ich vorher gegeben sein müsse, bevor dieses das Wahre haben kann, wird der Monismus mit seiner Zustimmung dem Dualismus, welcher dieses leugnet, schroff gegenüberstehen. Der Widerspruch würde nicht aufkommen, wenn der Dualismus dem Monismus beipflichtete, dass nur das Urtheil das Prädicat wahr erhalten könnte. Urtheilen ist ein logisches „ T h e i l e n " des ursprünglich Einen, sei es nun einer Wahrnehmung (Vorstellung) im Wahrnehmungsurtheil, sei es eines Begriffs im Begriffsurtheil; das Urtheil d. i. die Aussage als solche betrachtet, erweist sich als logische S y n t h e s e , während es, unter dem erkenntnisstheoretischen Gesichtspunkt betrachtet, eine logische oder erkenntnisstheoretische A n a l y s e genannt werden muss. Würde nun das Wahre im Gebiet des Urtheils allein gesucht werden, so wäre es, wenn wir allein die wahren Urtheile, welche als solche ein Verhältniss zum W i r k l i c h e n haben, in's' Auge fassen, für Jeden selbstverständlich, dass man Wirkliches vorher besitzen müsste, bevor man wahre Urtheile, die ja eben durch logische Section des Wirklichen (Wahrnehmung und Begriff) erst entstehen, gewinnen, also Wahres haben könnte. Andererseits würde auch in diesem Fall jene Definition der Wahrheit als der Uebereinstimmung eines Productes des Ich mit dem Wirklichen völlig zur Geltung kommen, da das Urtheil als solches ein Product des Ich ist. Doch der Dualismus begnügt sich hiermit nicht, sondern steckt das Gebiet der Wahrheit weiter aus, indem er neben dem Urtheil auch noch die Erkenntnisselemente Wahrnehmung und Begriff hineinnimmt. Die Controverse, welche hier vorliegt, ist, wie man sofort erkennen wird, die einfache Folge

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Wirklichkeit und Wahrheit.

jenes fundamentalen Unterschieds von Monismus und Dualismus in Ansehung von Wahrnehmung und Begriff einerseits und dem Seienden andererseits, ob nemlich das BewusstSeiende das Seiende selbst oder ein Bild desselben im Ich sei. Die weiter oben gegebene Kritik des Dualismus in Betreff dieser Grundanschauung könnte an dieser Stelle nun einfach in's Gedächtniss gerufen werden, um die Berechtigung des Dualismus, Wahrnehmung und Begriff in's Gebiet der Wahrheit zu versetzen, zu verurtheilen. Bei der Wichtigkeit der Sache aber, sowohl was die Frage nach dem Wahrheitsgebiet, als auch besonders, was die allgemeine erkenntnisstheoretische Grundlegung angeht, scheint es mir angezeigt, die Gelegenheit nicht bei Seite zu schieben, um ausser jener Kritik noch aus der Untersuchung über den möglichen Umfang des Begriffs Wahrheit selbst Gründe zu gewinnen, welchc den monistischen Standpunkt noch mehr befestigen und den Dualismus aus dem Felde schlagen können. — Was zunächst das secundäre Erkenntnisselement, den Begriff anlangt, so ist es in der dualistischen Erkenntnisstheoric gang und gäbe, von wahren und falschen Begriffen zu reden, und im täglichen Leben wird gleichfalls dieser Gewohnheit durchaus gefröhnt. Orientirt man sich nun zuerst beim Sprachgebrauch, indem von dem wissenschaftlich formulirten Dualismus noch abgesehen wird, so tritt es bald zu Tage, dass hier die Meinungsverschiedenheit gegenüber dem Monismus im Grunde nur scheinbar vorhanden ist. Denn „einen wahren Begriff von etwas haben" will doch nur bedeuten, in der logischen Synthese des Urtheils einen Begriff von einer Wahrnehmung oder einem Begriff aussagen, welcher wirklich an ihr oder an ihm gegeben ist; hier ist kurzweg dem einen logischen G l i e d e der Synthese das Prädicat wahr beigefügt, welches eigentlich nur der S y n t h e s e selbst gehört, und jener Satz will nichts anderes sagen, als „ein wahres Urtheil von etwas besitzen". In gleicher Weise bedeutet die Redensart: „mit falschen Begriffen operiren", das, was correcter ausgedrückt heisst: „falsch mit Begriffen operiren", d. i. ein falsches Urtheil fallen.

Der „wahre" Begriff.

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Im gewöhnlichen Leben kann nun eine etwas laxe Bezeiclinung hingehen, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch dagegen muss sie ohne Umstände vernichtet werden, es sei denn, dass für dieselbe eine wissenschaftliche Richtung in die Schranken tritt, um sie vor dem Vorwurf der Incorrectheit zu schützen und den Begriffen das Prädicat wahr und falsch zu retten. Dies Letztere zu thun, sieht sich der erkenntnisstheoretische Dualismus genöthigt, da er den Begriff als ein Bewusst-Seiendes im Ich, welches dem Seienden ausser dem Ich als dessen Erkenntnisscorrelat entsprechen soll, bezeichnet; dieses Bewusst-Seiende, welches ja in erkenntnisstheoretischer Beziehung angeblich ü b e r e i n s t i m m t mit jenem Anderen, dem Seienden, muss demzufolge das Prädicat wahr für sich in Anspruch nehmen. Der Begriff ist nach dem Dualismus ein Product des Ich; rein als solches betrachtet, kann er nicht „wahr" heissen, denn Wahrheit bezeichnet ein Verhältniss; dasjenige, zu dem nun der Begriff ein erkenntnisstheoretisches Verhältniss haben soll, ist, indem Seiendes und das Ding vom Dualismus unbesehen als gleichbedeutend aufgefasst werden, das Merkmal oder die Eigenschaft des Dinges. Die Uebereinstimmung des Begriffes mit dem Merkmal rein als solchem müsste nun dem Begriff die Bezeichnung wahr eintragen; dies ist aber keineswegs der Fall. Der Begriff grün ζ. B. heisst nicht desshalb im System des Dualismus wahr, weil er das Bewusstseinscorrelat des Merkmals grün, sondern weil „grün" Merkmal dieses B l a t t e s ist, der Begriff grün also, nicht mit einer Eigenschaft überhaupt, sondern mit der Eigenschaft dieses Dinges übereinstimmt. Es kommt hier demnach zweierlei für den Dualisten in Betracht, um dem Begriff das Prädicat wahr beilegen zu können, einmal das Merkmal als solches und dann das Ding, dessen Merkmal es ist. Diese doppelte Beziehung ist wohl zu beachten, weil sie den Unterschied zwischen der Wahrheit des Urtheils und der angeblichen des Begriffs klar hervortreten lässt. Ein Wahrnehmungsurtheil ζ. B., d. i. also ein UrtheU,

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Wirklichkeit und Wahrheit.

in welchem von einer bestimmten Wahrnehmung ein Begriff ausgesagt ist, zeigt, wenn es wahr genannt wird, nur eine einfache Beziehung, nemlich die Beziehung desjenigen, was in der logischen Synthese enthalten ist, zu der Wahrnehmung, über welche das Urtheil gefallt wird, und es handelt sich hier nicht auch noch um die Beziehung und Vergleichung der beiden oder des einen Gliedes der logischen Synthese in Ansehung des Seienden, sondern eben allein üm die Uebereinstimmung der logischen Synthese selbst mit dem bewusstgewordenen Seienden. Jndem aber der Begriff von Seiten des Dualismus wahr genannt wird, so wird damit, wie ich gezeigt habe, eine doppelte Beziehung hereingenommen, diejenige zum Merkmal und die zum „Dinge" des Merkmals, und, wenn man es nun genauer besieht, so ist die letztere nicht nur das den Ausschlag Gebende, sondern sogar das allein Bestimmende, dass der Begriff w a h r genannt wird. Fasst man dies eben näher in's Auge, so ergiebt sich denn auch, dass von einer Uebereinstimmung des B e g r i f f e s und des D i n g e s selbst nicht wohl die Rede sein kann, und jene B e z i e h u n g des Begriffes auf das Ding entpuppt sich als die l o g i s c h e S y n t h e s e des Begriffs und der b e s t i m m t e n Wahrnehmung „Ding"; der Begriff trägt also auch hier, wie ich oben beim alltäglichen Sprachgebrauch nachwies, die Bezeichnung wahr, welche correcterweise dem Wahrnehmungsurthei], in welchem er zum Ding in Beziehung gesetzt wird, allein zukommen kann. Derjenige erkenntnisstheoretische Dualismus nun, welcher nur Ein Seiendes und Eine Welt kennt, wird zugestehen müssen, dass er unter dem „ w a h r e n B e g r i f f " im Grunde die w a h r e S y n t h e s e des B e g r i f f s mit einer Wahrnehmung respective mit einem Begriff verstehe, dass demnach die „Uebereinstimmung" auf die Synthese, d. i. auf das Urtheil, dessen eines Glied eben jener Begriff ist, zu beziehen sei. Wer von den erkenntnisstheoretischen Dualisten aber der Zweiweltentheorie huldigt, hat mit P i a t o n noch den Ausweg, und kann, diese Theorie vorausgesetzt, dem Begriff das Prädicat „wahr" retten dadurch, dass er den Begriff als das

Die „wahre" Wahrnehmung.

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mit einem „Ideending" übereinstimmende Bewusstseinscorrelat behandelt. Der Begriff würde dann als das Bewusstseinsbild jenes „Dinges" der anderen Welt angesehen und als solches wahr genannt werden können. Ueber die problematische Wahrheit aber käme derselbe bei der einmal gegebenen Sachlage unseres Erkennens nicht hinaus, weil ja ausser dem Begriff jenes Ideending uns nicht noch auf andere Weise gegeben ist, um den Vergleich zwischen Begriff und Ideending zur Erforschung ihrer Uebereinstimmung anheben zu können. So sieht sich demnach der eine Dualismus mit der Wahrheit seiner Begriffe in's rein Problematische hineingedrängt, während der andere dem Monismus Recht geben muss, dass nicht der Begriff, sondern nur das Urtheil, dessen logisches Glied der Begriff ist, wahr genannt werden kann; diesen letzteren Dualismus hindert dann freilich sein Standpunkt, mit dem Monismus noch weiter darin einzustimmen, dass der Begriff nun entweder das Prädicat real oder dasjenige ideal zugetheilt bekomme, da ja nach ihm der Begriff als reines Bewusstseinsproduct des Ich stets ideal sein muss. Wir haben nun gesehen, dass der angeblich wahre Begriff desshalb so genannt wird, weil er, auf das Ding bezogen, sich nach der Meinung des Dualismus als das dem Merkmal des Dinges entsprechende „innere Sein" erweise. Bei Licht besehen ist aber das Ding nichts Anderes als die bestimmte Wahrnehmung, und der Begriff demnach nichts Anderes als der für sich gedachte Begriff an dieser Wahrnehmung selbst; die Vergleichung des für sich gedachten Begriffs mit dem Merkmal des Dinges müsste also nicht etwa die Uebereinstimmung Zweier, sondern das zweimalige Denken Eines und Desselben, also die Identität von Begriff und „Merkmal" zu ihrem Resultat haben. Immerhin konnte aber der Schein einer Zweiheit wohl aufkommen, weil im einen Mal der Begriff für sich, im anderen derselbe jedoch als Merkmal an der Wahrnehmung dem denkenden Ich gegeben ist. Dieser Schein nun ist indess da nicht einmal vorhanden, wo der Dualismus auch

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Wirklichkeit und Wahrheit.

noch die Wahrnehmung selbst in den Umfang des Begriffs der Wahrheit einschliessen will. Nach der dualistischen Voraussetzung müsste allerdings vor Allem die Wahrnehmung auf das Prädicat wahr Anspruch machen können, da sie ja ganz besonders das Bewusstseinsbild des Seienden oder, wie der Dualismus sagt, des Dinges sein soll; man hätte hier also, wenn sich die Sache so verhielte, das Verhältniss der Uebereinstimmung einfach und klar vor sich. Nur Schade, dass sich hier wieder dieselbe Schwierigkeit oder vielmehr die Unmöglichkeit der Vergleichung zeigt, wie ich sie oben für den Begriff, insofern er das Bewusstseinsbild des Ideendinges sein sollte, hervorgehoben habe. Nicht freilich als ob das angeblich der Wahrnehmung correlate »Ding" wie jenes Ideending ausserhalb unserer Erkenntnisswelt zu denken wäre, sondern weil die bestimmte Wahrnehmung und das Ding, wie oben der Begriff und das Merkmal des Dinges, nicht Zwei, sondern Eines, also identisch sind. Und hier fehlt nun selbst der Scheiü der Zweiheit, weil die Wahrnehmung nicht noch etwa logisch für sich, abgesehen vom Dinge, vom Ich gehabt werden kann. Desshalb ist auch in diesem Fall nicht einmal eine scheinbare Vergleichung möglich, und dies hat seinen Grund natürlich in der I d e n t i t ä t der bestimmten Wahrnehmung und dessen, was Ding genannt wird. Aber selbst gesetzt den Fall, dass die Wahrnehmung Bild des Dinges wäre, so würde eine Vergleichung, die den Zweck hat, die Wahrheit dieses Bildes zu eruiren, ja vollkommen unmöglich sein, da das Ich nie das Ding, sondern stets das Bild desselben allein vor sich hätte, und demnach höchstens zwei Bilder, die in zwei Acten des Wahrnehmens gewonnen wären, mit einander auf ihre Uebereinstimmung prüfen könnte. Eine Wahrnehmung logisch für sich, abgesehen vom Seienden, kann das Ich nie haben; denn Wahrnehmen ist diejenige Thätigkeit des Ich, in Folge deren dem Ich durch Empfindung das Seiende Bewusst-Seiendes ist; dieselbe setzt also sowohl den empfindungsfähigen Menschen wie auch das Seiende als das den Eindruck Machende voraus; fehlt dem-

Die „wahre" Vorstellung.

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nach dies Letztere, so ist Wahrnehmen unmöglich und das Ich kann keine Wahrnehmung besitzen, so empfindungsiahig der Mensch auch sein mag. Dasjenige, was man die logisch für sich gegebene Wahrnehmung im eigentlichen Sinn nennen könnte, ist die Vorstellung, welche das Ich nun aber nicht etwa durch Reproducirung der W a h r n e h m u n g , d. i. des bewusstgewordeneu Seienden selbst gewinnt, sondern durch Reproducirung des W a h r n e h m e n s , d. i. jener Beziehung, welche das erkennende Ich durch Empfindung zu dem den Eindruck machenden Seienden inne hatte. Wenn nun auch von der Wahrnehmung keineswegs in gegründeter Weise die Bezeichnung „wahr" gebraucht werden kann, da jene entweder, sobald man auf dem Boden des Monismus steht, wegen ihrer Identität mit dem Realen auf diese Prädicirung keinen Anspruch machen, sondern einzig und allein, will man einmal einen Pleonasmus begehen, den Titel „ r e a l " erhalten kann, oder vom dualistischen Standpunkt aus nur in höchst problematischem Sinne wahr zu nennen ist, — so dürfte es vielleicht doch scheinen, dass die Vorstellung ein gewisses Recht auf den Titel der Wahrheit beanspruchen könnte. Denn es lasst sich nicht leugnen, dass, wenn auch die Wahrnehmung nicht unter den Begriff des Wahren fallen kann, sondern vielmehr unter denjenigen des Realen allein fällt, die Vorstellung dennoch eine ganz andere Stellung in dieser Frage einnimmt. Ja gerade vom Standpunkt des Monismus scheint es noch vielmehr als von demjenigen des Dualismus aus geboten, die Vorstellung, welche mit der Wahrnehmung ohne Zweifel verglichen werden kann, in dem Falle wahr zu nennen, wenn sie mit der Wahrnehmung, die im monistischen Sinne das bewusstgewordene Seiende ist, übereinstimmt. Indess auch gegen diesen Versuch erheben sich gewichtige Bedenken. Wenn im Vorstellen das Seiende als solches, wie es im Wahrnehmen gegeben ist, aufträte, so könnte der Dualismus die Vorstellung mit ebenso viel und ebenso wenig Berechtigung wahr nennen, wie er der Wahrnehmung diesen Titel leiht; der Mo-

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Wirklichkeit und Wahrheit.

nismus aber sähe sich ohne Weiteres genöthigt, wie Wahrnehmung und Seiendes, so auch Vorstellung und Seiendes für identisch zu erklären. Nun habe ich aber früher gezeigt, dass Vorstellen eine rein logische Thätigkeit sei, in welcher allein die rein e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e Beziehung zum Seienden, welches als Wahrnehmung gegeben war, r e p r o d u c i r t wird, nicht aber etwa das Seiende selbst als solches; als Vorstellung ist also das Seiende nur in seiner rein erkenntn i s s t h e o r e t i s c h e n B e z i e h u n g secundär dem Ich gegeben. Da nun der Act des Vorstellens vom Act des Wahrnehmens ein deutlich verschiedener ist, und daher die Resultate derselben, Wahrnehmung und Vorstellung, wenigstens unterschiedene sind, so ist allerdings ein Zusammenhalten und Vergleichen derselben möglich. Unter Vorstellung wird natürlich in diesem Zusammenhang nur diejenige verstanden, welche das Ich durch Reproduciren deijenigen Beziehung, die es zum Seienden als der Wahrnehmung inne hatte, besitzt. Wenn jetzt der angestellte Vergleich zwischen einer Wahrnehmung und einer Vorstellung zeigt, dass sie die gleiche Erkenntniss enthalten, so kann trotzdem die Vorstellung noch nicht wahr heissen, und zwar vom dualistischen Gesichtspunkt aus betrachtet noch viel weniger, als dieses dem Monismus etwa möglich wäre. Denn der Dualismus hält ja jene Vorstellung nicht wiederum für ein neu producirtes Bild der Wahrnehmung, die nach ihm selbst schon Bild ist, sondern einfach für die reproducirte Wahrnehmung, so dass er in dem Falle, wo Vorstellung und Wahrnehmung sich als „gleich" erweisen, wohl zwei Acte des Ich, ein Produciren und ein Reproduciren, indess nur Ein Bild des Seienden, also die I d e n t i t ä t von Wahrnehmung und Vorstellung constatiren wird. Diese „Gleichheit" kann also selbstverständlich direct der Vorstellung das Prädicat wahr nicht eintragen, sondern nur indirect, wenn jene „gleiche" W a h r n e h m u n g als eine wahre, d. i. als ein dem Seienden völlig entsprechendes Bewusstseinsbild sich erwiesen haben könnte. Wie durchaus aussichtslos aber der

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Das wahre Urlheil.

Versuch des Dualismus, einen solchen Erweis für die Wahrnehmung zu liefern sei, habe ich oben ausgeführt. Der Monismus seinerseits, wenn er Wahrnehmung und Vorstellung vergleicht und sie „gleich" findet, ist ebenfalls gehindert, die letztere wahr zu nennen, trotzdem die beiden ihm keineswegs als „gleiche" die vom Dualismus behauptete Identität zeigen. Die Wahrnehmung hat ja im monistischen Sinn die Bedeutung des bewusstgewordenen Seienden, sie zeigt also eine Seins- und eine Erkenntniss-Beziehung auf, und ist in Folge dessen niemals identisch mit der Vorstellung, als welche das Seiende nur allein in seiner ErkenntnissBeziehung wieder dem Ich gegeben ist. Aber dennoch muss auch der Monismus zwischen der Wahrnehmung lind ihrer Vorstellung eine Gleichheit constatiren, insofern nemlich das Ich in dem Wahrnehmen die gleiche erkenntnisstheoretische Beziehung zum Seienden inne hatte wie im Vorstellen. Dieser Umstand kann indess noch nicht berechtigen, diejenigen Vorstellungen, welche in erkenntnisstheoretischer Hinsicht der Wahrnehmung, d. i. dem Realen, gleich sind, unter den Begriif Wahrheit zu bringen; damit dieses geschehen könnte, müsste in der Vorstellung selbst zugleich eine Beziehung auf das Reale, dem sie erkenntnisstheoretisch gleich ist, enthalten sein, was aber eben nicht der Fall ist. Das, was den Titel Wahrheit erhalten soll, muss schon in sich s e l b s t eine B e z i e h u n g zu demjenigen enthalten, dem sein I n h a l t entspricht. Weil sich dies aber, wenn ich auch von einem bestimmten erkenntnisstheoretischen Standpunkte ganz absehe, weder an der Wahrnehmung noch am Begriif noch an der Vorstellung findet, so ist es nicht angezeigt, dieselben mit dem Prädicat „wahr" zu versehen, denn das ihnen zukommende Prädicat müsste dem Stand der Sache nach anstatt „wahr" einzig richtig „real" oder „ideal" lauten. Jene Beziehung zu dem Entsprechenden selbst kann aber allein das Urtheil in sich enthalten, in welchem eben als logischer Synthese das Prädicat auf das Subject (sei es eine Wahrnehmung oder ein Begriff) als angeblich an ihm gege-

ßehmke, Die Welt als Wahrnehmung u. Begriff.

X7

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Wirklichkeit und Wahrnehmung.

benes Merkmal bezogen wird und welche Beziehung der gegebenen Wahrnehmung oder dem gegebenen Begriff (dem Urtheilssubject) entweder entspricht oder nicht entspricht. D a h e r darf auch nur das U r t h e i l Anspruch machen auf das P r ä d i c a t der W a h r h e i t , und zwar kommt dieses ihm nur desshalb mit Recht zu, weil es eben im Subject, sei dasselbe nun Wahrnehmung (Vorstellung), sei es Begriff, schon das Ganze enthält, in dieser Beziehung als wahres Urtheil demnach auch eine Analyse genannt werden kann, wie ich das früher in Betreff sowohl des Wahrnehmungsurtheils als auch des Begriffsurtheils auseinandergesetzt habe. Weil aber „wahr" Alles heissen muss, was in sich die Beziehung zu dem, welchem sein Inhalt entspricht, selbst enthält, so hiesse es das Gebiet der wahren Urtheile ungebührlich einschränken, wenn zu denselben nur diejenigen gezählt werden dürften, deren logische Synthese einem Realen, sei es nun einer Wahrnehmung oder einem realen Begriff, entspricht. Das Gebiet des Wahren wäre freilich in der That nicht grösser, wenn wir keine anderen, das Prädicat im Subject wirklich enthaltenden, Urtheile hätten als solche, deren Subject entweder eine Wahrnehmung (reale Vorstellung) oder ein realer Begriff ist; nun kommt aber zu diesen noch die grosse Zahl der Urtheile hinzu, welche als Subject eine ideale Vorstellung oder einen idealen Begriff haben, und die nicht weniger den Titel wahr beanspruchen können, wenn nemlich in ihrer logischen Synthese den Subjecten ein Begriff als Prädicat beigelegt wird, "welchen sie in der Wirklichkeit besitzen. So ist das Urtheil: „der Kentaur ist halb Ross, halb Mensch", nicht minder wahr als das Urtheil: „der Körper ist ausgedehnt", oder dasjenige: „dieses Blatt ist grün". Das dem Inhalt dös wahren Urtheils Entsprechende können also nicht bloss die primären und secundären Erkenntnisselemente, Wahrnehmung und ihr Begriff, sondern vielmehr alle Bewusstseinselemente des Ich überhaupt, Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff, d. i. die Gesammtheit des Realen und Idealen sein. Wenn ich nun kurzweg den Inhalt des

Das Erkenntnissurtbeil.

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wahren Urtheils das Wahre nenne, so kann ich behaupten: Wahres und Wirkliches stehen keineswegs in einem derartigen Verhältniss, dass alles Wahre Wirklichem entsprechen müsse; und gesetzt den Fall, ich hätte ein wahres Urtheil, welches zum Subject ein Wirkliches hat, so gründete sich die W a h r h e i t des Urtheils nicht darauf, dass es W i r k l i c h e m entspricht, sondern vielmehr darauf, dass es einem dem Ich gegebenen B e w u s s t s e i n s e l e m e n t , welches in diesem Fall freilich'das Wirkliche, sei es Wahrnehmung, sei es Begriff, wäre, e n t s p r i c h t . Es ist ein falsches Vorgehen, dem Wahren schon an und für sich das Merkmal „dem Wirklichen entsprechend" zu imputiren, und der kurzgefasste Ausdruck: „was wahr ist, das ist wirklich", bleibt ein falsches Urtheil; und dieses letztere ist auf dem Boden des Dualismus, welcher die Begriffe Wahrheit und Wirklichkeit mit einander vermengt, gross gezogen und hat, wenn man die verkehrte Auffassung von der Wahrnehmung etc. als dem Bilde des Wirklichen, auf Grund welcher jenes Urtheil einen gewissen Sinn erhalten kann, bei Seite setzt, nur den wahren Sinn, welcher allerdings bedingungslos anzuerkennen ist: was wirklich ist, das ist wirklich. Etwas anders verhält es sich mit dem Gegentheil des Wahren, dem F a l s c h e n ; dieses hat stets dasjenige Verhältniss zum Wirklichen, welches sich in dem Urtheil darstellen lässt: was falsch ist, das ist nicht wirklich; aber die W a h r h e i t dieses Urtheils beruht auch wiederum nicht darauf, dass jenes Falsche speciell nicht dem W i r k l i c h e n entspricht, sondern dass es dem Wirklichen, insofern es als B e w u s s t s e i n s e l e m e n t Subject des Urtheils ist, nicht e n t s p r i c h t . Dies schliesst in sich, dass das Falsche nicht nur im Widerspruch mit dem Realen, sondern überhaupt mit dem Bewusstseinselement, mag dasselbe Reales oder Ideales sein, steht. Der Umstand, dass von allen wahren Urtheilen diejenigen mit Recht in den Vordergrund des menschlichen Interesses gerückt sind, deren Wahrheit eine Beziehung zum Realen darstellt, mag nicht wenig dazu beigetragen haben, Wahrheit 17*

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Wirklichkeit und Wahrheit.

und Wirklichkeit zusammenfallen und die Begriffe wahr und wirklich vertauscht werden zu lassen, wie ja Letzteres bei den Erkenntnisselementen Wahrnehmung und Begriff, dem Realen, welches oft „wahr" genannt zu werden pflegt, geschieht. Wahrheit hat rein für sich betrachtet in der That keine Beziehung zur Wirklichkeit in sich. Die Sache ändert sich aber, wenn an die Stelle des Begriffs Wahrheit derjenige tritt, welcher ebenfalls häufig mit ihm völlig zusammengeworfen wird, nemlich: wahre E r k e n n t n i s s ; unter diesen Begriff fallen eben nur diejenigen wahrenUrtheile, deren Inhalt den E r k e n n t nisselementen Wahrnehmung und Begriff, d. h. also dem Wirklichen, entspricht. Das Erkennen hat es ja nur mit dem Realen zu thun, und die wahren Erkenntnissurtheile beziehen sich daher allein auf das Wirkliche, ihre Wahrheit hat also rein für sich betrachtet schon eine Beziehung zur Wirklichkeit in sich. Wahre Urtheile überhaupt sind demnach alle diejenigen, deren logische Synthese übereinstimmt mit demjenigen Bewusstseinselement, das im Urtheil Subject ist; wahre Erkenntnissurtheile sind diejenigen wiederum unter den wahren Urtheilen, deren Inhalt dem realen Bewusstseinselement, sei es der Wahrnehmung oder dem realen Begriff, entspricht. Der erkenntnisstheoretische Monismus kann nun „die Namenerklärung der Wahrheit, dass sie nemlich die Uebereinstimmung der Erkenntniss mit ihrem Gegenstande sei", aufnehmen, wenn in dieser Definition „Wahrheit" gleich wahren Erkenntnissurtheilen, „Erkenntniss" gleich Urtheil und „Gegenstand" gleich Realem, (Wahrnehmung und realem Begriff), sein soll. Das Gebiet der Wahrheit oder der wahren Urtheile ist aber damit willkürlich verengert, und obwohl die Erkenntnisstheorie vor Allem ihr Interesse an den Erkenntnissurtheilen hat, so scheint es doch nicht angezeigt, da, wo sie die grosse Frage: was ist Wahrheit? zu beantworten strebt, die Antwort nur auf dem eigentlichen Erkenntnissgebiete zu suchen, weil gar zu leicht dadurch wieder eine schiefe Auffassung der Wahrheit einschleichen könnte, indem man der-

Das Wahre.

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.selben überhaupt schon ohne Weiteres eine Beziehung zur Wirklichkeit imputirte. In dem Vorhergehenden habe ich nun vorerst die nöthigen Vorarbeiten zu der Frage: was ist Wahrheit? gemacht, vorausgesetzt dass man nemlich in derselben „zu wissen verlangt, welches das a l l g e m e i n e und s i c h e r e K r i t e r i u m der Wahrheit einer jeden Erkenntniss sei". Um diese Frage präcis stellen zu können, schien mir die vorhergehende Untersuchung nicht zu umgehen zu sein, denn ich war eingedenk jenes Kantischen Wortes: „Wenn die Frage an sich ungereimt ist und unnöthige Antwort verlangt, so hat sie, ausser der Beschämung dessen, der sie aufwirft, bisweilen noch den Nachtheil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten und den belachenswerthen Anblick zu geben, dass Einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der Andere ein Sieb unterhält". In einer solchen misslichen Lage befinden sich diejenigen, welche beim Suchen nach dem Kriterium der Wahrheit unterlassen haben, zuvor zu untersuchen und festzustellen, was denn überhaupt den Titel der Wahrheit erlangen könne; für dieses Letztere einfach die Erk e n n t n i s s aufzustellen, erregt Bedenken, weil man einerseits damit noch nicht orientirt ist, ob darunter Wahrnehmung (Vorstellung), Begriff und Urtheil zugleich, oder nur allein das Urtheil zu verstehen sei, und weil man andererseits das Wort Erkenntniss in eine so innige Beziehung zum Wirklichen zu setzen gewohnt ist, dass es ein Pleonasmus zu sein schiene, wollte man der Erkenntniss noch das Wort „wahr" vorsetzen; denn eine f a l s c h e Erkenntniss ist nach der üblichen Auffassung des Wortes „Erkenntniss" eben keine Erkenntniss. Vor Allem nun wird eine sorgfaltige Vorarbeit dazu beitragen, den Sinn der Frage: „was ist Wahrheit?" genau zu bestimmen, so dass man dann an das gewünschte allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit nicht F o r d e r u n g e n s t e l l t , die s c h l e c h t e r d i n g s n i c h t e r h o b e n w e r d e n können. Wenn K a n t über die Vorfrage nicht so leicht hinweggegangen wäre mit den Worten: „die Namenerklärung der Wahrheit,

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Wirklichkeit und Wahrheit.

dass sie nemlich die Uebereinstimmung der Erkenntniss mit ihrem Gegenstand sei, wird hier geschenkt und vorausgesetzt", und wenn er den Begriff Wahrheit einer näheren Untersuchung unterzogen und genauer bestimmt hätte, was „Erkenntniss" und „Gegenstand" bedeuten solle, so würde er vielleicht auf einen richtigeren Weg gekommen sein und die Möglichkeit, ein allgemeines Kriterium der Wahrheit zu finden, nicht verneint haben. Um den Irrthum, in welchem K a n t angesichts der beregten Frage befangen war, aufzudecken, sehe ich mich genöthigt, die hierher gehörige Stelle aus der „Kritik der reinen Vernunft" anzuführen: „Wenn Wahrheit in der Uebereinstimmung einer Erkenntniss mit ihrem Gegenstande besteht, so muss dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden; denn eine Erkenntniss ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelteu könnte. Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen ohne Unterschied ihrer Gegenstände gültig wäre. Es ist aber klar, dass, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntniss (Beziehung auf ihr Object) abstrahirt und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt sei, nach einem Merkmal der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntniss zu fragen, und dass also ein hinreichendes und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne. Da wir oben schon den Inhalt einer Erkenntniss die Materie derselben genannt haben, so wird man sagen müssen: von der Wahrheit der Erkenntniss der Materie üach lässt sich kein allgemeines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst widersprechend ist." *) Beim Lesen des ersten der angeführten Sätze wird gewiss ein Jeder die genaue Bestimmung dessen, was das Wort „Er*) Transcendentale Logik, Einleitung III: Von der Eintheilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialektik. —

Kant's „Wahrheit".

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kenntniss" sagen soll, lebhaft vermissen. Ich nehme an, es solle so viel heissen als E r k e n n t n i s s u r t h e i l , d. i. dasjenige Urtheil, welches zum Subject ein bewusstgewordenes Seiendes, Reales, sei es Wahrnehmung (Vorstellung), sei es Begriff, hat*). Ein solches Urtheil ist mm nach K a n t falsch, wenn es mit dem „Gegenstand", auf den es bezogen wird, nicht übereinstimmt: dies ist richtig und einleuchtend; weniger klar aber ist, was überhaupt bei der Untersuchung über Wahrheit der Satz, „wenn Wahrheit in der Uebereinstimmung einer Erkenntniss mit ihrem Gegenstande besteht, so muss d a d u r c h d i e s e r G e g e n s t a n d von a n d e r e n u n t e r s c h i e d e n werden", leisten soll, und wie die in ihm enthaltene Folgerung berechtigt sein kann. K a n t behauptet hier, dad u r c h , dass eine Erkenntniss mit i h r e m Gegenstande ü b e r e i n s t i m m e , müsse derselbe von anderen unterschieden werden: dies ist ungereimt, denn nicht in der U e b e r e i n s t i m m u n g der „Erkenntniss" mit dem „Gegenstande", sondern darin, dass der „Gegenstand" e r k a n n t ist, liegt der Grund, „dadurch" jener von anderen „Gegenständen" unterschieden wird. Man wird bemerken, wie wichtig an diesem Orte die präcise Bestimmimg des gebrauchten Wortes „Erkenntniss" sei, durch welche ja auch die „Uebereinstimmung" erst klar fixirt wird. In meiner Auffassung würde sich die Sache so feststellen, dass das U n t e r s c h i e d e n w e r d e n eines Gegenstandes von den anderen bedingt ist durch das E r k a n n t w e r d e n , das will sagen: durch das Bewusstwerden des Seienden als Wahrnehmung und Begriff, und dass der Inhalt der „Erkenntniss" d. i. des Erkenntnissurtheils als logischer Synthese ü b e r e i n s t i m m t mit dem bewusstgewordenen Seienden. Was aber K a n t s Darstellung angeht, so. wird ihr gegenüber der Verdacht wach, dass er in einem und demselben Satze das *) Würde K a n t unter „Erkenntniss" etwa auch die Wahrnehmung verstehen, so kann ich zur Rückweisung dieser Ansicht auf meine früheren Ausführungen in diesem Capitel, welche die Bezeichnung der Wahrnehmung als der „wahren" bekämpfen, verweisen.

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Wirklichkeit und Wahrheit.

"Wort Erkenntniss in zweifachem, ja in dreifachem Sinne gebraucht: als bewusstgewordenes Seiendes („Uebereinstimmung der Erkenntniss mit dem G e g e n s t a n d e " ) , als Act des Erkennens, durch den das Seiende bewusst wird („dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden muss") und als Urtheil („denn eine Erkenntniss ist falsch"). Und nur dann, wenn dieser verschiedene Gebrauch des einen Wortes zu Grunde gelegt würde, könnte mit dem Kantischen Satz ein Sinn verbunden werden. Dieser verschiedene Gebrauch Eines Wortes kann aber doch nicht von Kant gehandhabt worden sein, und daher steht man vor seinem Satze als vor einem „ungereimten", weil das Unterschiedenwerden eines Gegenstandes von den anderen mit dem V e r h ä l t n i s s der W a h r heit, welches doch nicht ein Verhältniss von „Gegenständen" zu einander ist, durchaus nichts zu thun hat. Nicht minder ungereimt ist aber der andere Satz: „denn eine Erkenntniss ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas e n t h ä l t , was wohl von anderen G e g e n s t ä n d e n gelten könnte". Ein falsches Erkenntnissurtheil, d. h. eine mit dem „Gegenstande", dem Realen, nicht übereinstimmende logische Synthese, ist diejenige Aussage, welche einen Begriff einer Wahrnehmung oder einem Begriff zulegt, den sie oder er nicht an sich hat; diese Synthese ist also unter allen Umständen falsch, und es ist nicht die Möglichkeit einzusehen, dass sie mit anderem Realen übereinstimmen könnte, da sie* ja eben nicht dieses „andere Reale", sondern das Reale (Wahrnehmung oder Begriff), mit dem sie nicht übereinstimmt, a l l e i n zum Subject hat und daher auf dieses allein bezogen werden kann. Denn das, „worauf die Erkenntniss bezogen wird", kann allein dasjenige, was als S u b j e c t im Urtheil auftritt, sein; wird also das Subject ein anderes, oder, wie K a n t sagt, der Gegenstand ein anderer, so ist die „Erkenntniss", d. i. das Erkenntnissurtheil mit seinem Inhalt eben nicht dasselbe, sondern ein a n d e r e s ; von einer falschen „Erkenntniss" kann daher schlechterdings nicht gesagt werden:

Kant's „Wahrheit".

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„ob sie gleich etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte". „Schwäne sind weiss": wird dieses Urtheil als Begriffsurtheil gefasst gleich: „alle S c h w ä n e sind weiss", so erweist es sich als ein falsches, wenn es etwa mit einer Wahrnehmung „Schwan" nicht übereinstimmt, d. i. wenn diese das Merkmal weiss nicht aufweist, was angesichts cles schwarzen Schwans sich ergeben würde. In diesem Fall ist und bleibt aber das Urtheil als Be g r i f f s urtheil ein falsches, und es kann nicht „wohl von anderen Gegenständen" trotz der Existenz weisser Schwäne gelten, da der „Gegenstand" auf welchen der Inhalt sich bezieht, nicht die Wahrnehmung sondern der Begriff Schwan ist. Soll aber das Urtheil „Schwäne sind weiss" ein Wahrnehmungsurtheil sein, so ist dasselbe angesichts schwarzer Schwäne nicht falsch, da das Subject desselben eben nicht die Wahrnehmung „schwarzer Schwan" ist, sondern die „Erkenntniss" auf die W a h r n e h m u n g „weisser Schwan" „bezogen ist". Man muss hier wohl beachten, was das „Bezogenwerden" allein bedeuten kann. Ich habe oben auseinandergesetzt, dass in der logischen Synthese, welche Erkenntniss-Urtheil genannt wird, das Ich einen Begriff auf ein Reales, sei es Wahrnehmung sei es realer Begriff, bezieht, und dass allein diese B e z i e h u n g eine wahre und eine falsche genannt sein kann, je nachdem eben das als Subject auftretende Reale den Prädicatsbegriff an sich hat oder nicht. Nicht der Begriff als solcher also, welcher auf das Subject bezogen wird, kann den Titel wahr oder falsch erhalten, sondern nur die Beziehung, welche in dem Urtheil enthalten ist und zu ihrem „Gegenstand" das Reale als Subject des Urtheils hat. Daher ist mit dem Ausdruck: „eine Erkenntniss ist falsch" nur dann ein Sinn zu verbinden, wenn „Erkenntniss" so viel sagen will, als Erkenntnissurtheil, und ebenso hat der Satz eine „Erkenntniss" wird auf einen „Gegenstand" bezogen nur einen Sinn, wenn hier „Erkenntniss" gleichbedeutend ist mit „Begriff", und „Gegenstand" mit „Wahrnehmung" oder mit Be-

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Wirklichkeit und Wahrheit.

griff; denn es ist unmöglich, dass ein Urtheil auf einen „Gegenstand" bezogen werde, dies kann nur mit dem Begriff geschehen. Wenn es im Sprachgebrauch trotzdem ζ. B. heisst: „dies Urtheil bezieht sich oder wird bezogen auf jenen Gegenstand", so will das nichts Anderes sagen, als: der Prädicatsbegrifi' wird auf jenen, das Subject bildenden, Gegenstand, bezogen oder, was gleichbedeutend ist, jener Gegenstand bildet das Subject des beregten Urtheils. In dem Kantischen Satz: „eine Erkenntniss ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt", ist demnach wiederum „Erkenntniss" in zweierlei Sinn, nemlich als „Urtheil" („eine Erkenntniss ist falsch") und als Begriff („bezogen wird") gebraucht. Diese Vermengung von Begriff u n d U r t h e i l , die Verwechselung also von E r k e n n t n i s s e l e m e n t und logischer S y n t h e s e in dem Einen Wort „Erkenntniss" hat für K a n t meines Erachtens den Grund abgegeben, dass er über die Möglichkeit, ein allgemeines Kriterium der Wahrheit zu entdecken, aburtheilte. Sie brachte ihn zunächst dazu, den unbestreitbaren Umstand, dass eine „Erkenntniss" d. i. ein Begriff, wenn er nicht auf den einen „Gegenstand" bezogen werden darf, dennoch wohl von anderen „Gegenständen" gelten, d. i. auf sie richtig bezogen werden kann, und den nicht minder sicheren Umstand, dass eine „Erkenntniss" d. i. ein U r t h e i l falsch ist, wenn es mit dem „Gegenstand" nicht übereinstimmt als Grund zu benutzen, um zu erklären, dadurch, dass eine „Erkenntniss" mit ihrem Gegenstande übereinstimmt,, müsse dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden. Während hier, wo von Uebereinstimmung mit dem Gegenstande die Rede ist, „Erkenntniss" nur Urtheil bedeuten dürfte, spielt jene „Erkenntniss", welche gleich „Begriff" gefasst wird, mit hinein, und auf diese Weise kommt es zu der verwunderlichen Folgerung: „so muss dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden". Denn in der That ist es der Begriff, welcher stets den „Gegen-

Kant's

„Wahrheit"

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stand", das Reale (ζ. Β. die Wahrnehmung), bestimmt, d. i. von Anderem unterschieden sein lässt, ζ. B. die Wahrnehmung zur bestimmten Wahrnehmung erhebt oder den unbestimmten Gegenstand zum bestimmten macht. Dadurch aber erhält zugleich jener Ausdruck „Uebereinstimmung einer Erkeiuitniss mit ihrem Gegenstande" neben dem Sinn „Uebereinstimmung der logischen Synthese mit dem Realen", noch den anderen, und zwar dem erkenntnisstheoretischen Dualismus entnommenen, Sinn: „Uebereinstimmung des Bewusst-Seienden als B i l d e s mit dem Seienden". Indem nun zu dieser Vermengung von Begriff und Urtheil noch die dualistische Auseinanderzerrung des Bewusst-Seienden und Seienden hinzukommt, kann K a n t zu jenem Satz gelangen: „Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen o h n e U n t e r s c h i e d i h r e r G e g e n s t ä n d e gültig wäre". Aber selbst vom dualistischen Standpunkt ist dieser Satz nicht zu verstehen: die „Erkenntnisse", wenn darunter auch die dualistische „Wahrnehmung" und der dualistische „Begriff" verstanden würden, wären doch B i l d e r von „Gegenständen", die sich also wie die Gegenstände unterschieden und in denen die Gegenstände selbst spiegelbildlich unterschieden würden; von dem „Unterschied ihrer Gegenstände" könnte man bei solchen „Erkenntnissen" demnach nicht absehen, oder sonst würden die Erkenntnisse selbst zugleich gestrichen; jener Kantische Satz hat unter dieser Auffassung der „Erkenntnisse" folglich gar keinen Sinn. Sollen aber etwa die fraglichen „Erkenntnisse" U r t h e i l e sein, die demnach als wahre Erkenntnissurtheile mit „Gegenständen", welche ihr Subject bilden, übereinstimmen würden, so lässt sich wiederum mit K a n t s Satz kein Sinn verknüpfen, da das „ohne Unterschied der Gegenstände d. i. der Urtheilssubjecte" hier zugleich das „ohne Unterschied der „Erkenntnisse" d. i. „Urtheile" fordert", also ein allgemeines Kriterium der Wahrheit deshalb nicht möglich sein würde, weil gar nicht V e r s c h i e d e n e s , Mehreres, vorhanden wäre, welchem Allem es gemein sein könnte.

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Wirklichkeit und Wahrheit.

Nun hat es den Anschein, als ob ich hier nur K a n t s eigene Ansicht ausführe, da er gerade erklärt hat, dass es ungereimt sei, nach einem allgemeinen Kriterium der Wahrheit zu suchen; indess behaupte ich durchaus nicht, dass dies ungereimt sei, wohl aber die Kantische Ansicht, dass dieses allgemeine Kriterium nur da gesucht werden könne, wo Kant, es allein möglich denken kann. K a n t findet nemlich solches Suchen überhaupt ungereimt, „weil man bei einem a l l g e m e i n e n Kriterium von allem Inhalt der Erkenntniss (Beziehung auf ihr Object) abstrahirt und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht". Man steht hier wiederum vor Hieroglyphen: „Inhalt der Erkenntniss (Beziehung auf ihr Object)"! Was heisst dies? Ist der I n h a l t der Erkenntniss die B e z i e h u n g auf ihr Object, was heisst dann hier „Erkenntniss"? Es kann dann nichts Anderes sein als der Prädicatsbegriff des Urtheils, da dieser allein „bezogen werden" kann; doch diese Interpretation wiederum kann nicht richtig sein, da weder „vom Inhalt des Begriffs abstrahirt" werden kann, ohne Alles, was eben der Begriff ist, zu streichen, noch auch „Wahrheit" grade den I n h a l t des Begriffs angeht. Also wird „Inhalt der Erkenntniss" wohl heissen Inhalt des Erkenntnissu r t h e i l s ! Dieser Inhalt ist nun in der That die B e z i e h u n g (des Prädicatsbegriffs) auf ein Reales („auf ein. Object"), und Wahrheit geht gerade diesen Inhalt an; aber unter diesen Umständen kann nicht, wie K a n t offenbar in der Nebeneinanderstellung andeuten will, „Inhalt der Erkenntniss" gleich „Beziehung der Erkenntniss (des Urtheils) auf ihr Object" sein, da eben nur der Begriff im Urtheil, nicht aber die den Inhalt des Urtheils bildende Beziehung selbst b e z o g e n wird „auf ihr Object". Das Urtheil überhaupt enthält ja eine Beziehung des Prädicats zum Subject (oder in K a n t ' s Sprache zum „Object"), und Wahrheit kommt dem Urtheil zu, wenn seine Synthese übereinstimmt mit der Analyse des Subjects; wahres Erkenntnissurtheil ist dann dasjenige, welches übereinstimmt mit der Analyse des Realen, oder kurz gesagt, mit d e m Realen, wel-

Das wahre Erkenntnissurtheil.

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ches hier Subject ist. Will man nun die Wahrheit eines Urtheils prüfen, so kann dies selbstverständlich nicht geschehen, wenn das Urtheil nur als l o g i s c h e Synthese in's Auge gefasst wird, denn es handelt sich darum, das Verhältniss des Urtheilsinhalts zum „Gegenstand" in Bezug auf Uebereinstimmung zu prüfen. Das Urtheil, abgesehen von diesem Verhältniss betrachtet, kann ich wohl für sich prüfen, ob in ihm die Gesetze logischer Synthese überhaupt erfüllt seien, aber solche logische Prüfung berührt nicht die Frage der W a h r h e i t dieser logischen Synthese; das allgemeine Kriterium der Wahrheit kann daher auch durchaus nicht in der logischen Widerspruchslosigkeit und logischen Gesetzmässigkeit des Urtheils liegen, denn Wahrheit ist ein V e r h ä l t n i s s b e g r i f f . Ein allgemeines Wahrheitskriterium müsste also auf dasjenige Verhältniss gehen, welches der Inhalt aller wahren Urtheile zum „Gegenstande", der Subject des Urtheils ist, aufzeigt; dies ist aber eben das Verhältniss der Uebereinstimmang denn dieses allein ist überhaupt das allen wahren Urtheilen Gemeinsame; daher kann das allgemeine Kriterium des wahren Urtheils nichts anderes als eben die Uebereinstimmung desselben mit dem das Subject bildenden „Gegenstände" sein, mag dieser nun Wahrnehmung (reale Vorstellung), realer Begriff oder Ideales sein. K a n t verlangte offenbar von einem allgemeinen Kennzeichen der Wahrheit zu viel und Unmögliches, und verneinte demgemäss dasselbe, weil er die Unmöglichkeit, es am Urtheil selbst zu finden, einsah; er wurde hierzu verleitet, indem er nicht die wahren Urtheile insgesammt, sondern nur die wahren Erkenntnissurtheile seiner Untersuchung über die Wahrheit zu Grunde, legte. Dadurch kam zu dem allgemeinen auf die Wahrheitsfrage überhaupt sich richtenden Interesse sofort das andere, welches speciell auf die Erkenntniss geht, hinzu. Die zwei Punkte, dass im wahren Erkenptnissurtheil der Begriff richtig bezogen ist auf das Subject, und dass er, weil im Subject, das ein Reales ist, enthalten, ein realer ist, waren ihm auf diese Weise in Einen zusammengeschmolzen. Nun

270

Wirklichkeit und Wahrheit.

erhielt die Frage nach dem Kriterium der Wahrheit einen doppelten Inhalt, es handelte sich nemlich für K a n t um die Kennzeichnung sowohl der W a h r h e i t des U r t h e i l s , als auch der R e a l i t ä t des bezogenen B e g r i f f s ; und so kam es denn, dass K a n t auch das Wort Erkenntniss in doppeltem Sinn, einmal gleich „Urtheil" und zweitens gleich „Begriff", verwendete. Sobald nun die Frage allein auf die wahren Erkenntnissurtheile sich richtet, wird sich selbstverständlich das Interesse vor Allem der Untersuchung über die Realität des Prädicatsbegriffs als Merkmals des Subjects zuwenden, da ja schon in dem Resultat derselben die Untersuchung über die Wahrheit des U r t h e i l s gleichsam mit abgethan i s t Diese Realität ist das, was Ean.t die „materielle (objective) Wahrheit der Erkenntnisse" nennt, uiret sie. eben veranlasst ihn in seiner Untersuchung über die „Wahrheit" der Erkenntnisse^ toil der „Beziehung auf ihr Object" vornehmlich zu handeln. Weil nun die Sache in Ansehung der wahren Erkenntnissurtheile*) solchergestalt liegt, so kann man ihnen gegenüber die Doppelfrage nach dem Kriterium der Wahrheit und Wirklichkeit in deijenigen nach dem Kriterium der Wirklichkeit, kurzweg behandeln. Und nun kehrt hier die Frage wieder: Giebt es ein allgemeines Kriterium, einen für alle wahren Erkenntnissurtheile gültigen Probirstein, der uns zeigt, dass sie wahr sind und Erkenntniss enthalten? Dieser allen Erkenntnissurtheilen gemeinsame Probirstein ist die E r f a h r u n g . Ich verstehe aber unter Erfahrung sowohl das primäre als auch das secundäre Erkennen, also das Wahrnehmen und das Begreifen; das Object der Erfahrung ist demnach sowohl das primäre als auch das secundäre Erkenntnisselement, d i. also die Wahrnehmung und der reale, an der Wahrnehmung gegebene, Begriff. Wie die Erkenntniss überhaupt aus Wahrnehmung (realer Vorstellung) und realem Begriff als ihren *) Der Ausdruck «wahre Erkenntnissurtheile" leidet nicht etwa an dem Gebrechen wie derjenige: „hölzerner Pantoffelmacher". —

Das Kriterium der Wahrheit des Erkenntnissurtheils.

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Elementen besteht, so ist natürlich die Erfahrung der einzig richtige Probirstein der Erkenntnissurtheile, denn nur durch die Erfahrung ist dem Ich eben das Reale, auf welches ja die Erkenntnissurtheile gehen, gegeben und daher auch nur durch sie die Realität und damit zugleich die Wahrheit des Inhalts jener Urtheile zu erkennen. Dass wir nun häufig Erkenntnissurtheile, seien es nun Wahrnehmungs- oder Begriffsurtheile, wenn sie unwahr sind, durch Vergleichung mit wahren Erkenntnissurtheilen, vor Allem mit solchen, die Begriffsurtheile sind, schon in ihrer Unwahrheit erkennen aus dem Widerspruch, in welchem sie zu den wahren stehen: weist nicht etwa auf ein zweites, noch neben der Erfahrung gegebenes, Kriterium der Wahrheit der Erkenntnissurtheile hin. Denn wir haben vielmehr hier nur ein abgekürztes Verfahren, die Unwahrheit zu eruiren, vor uns, da eben das wahre Erkenntnissurtheil, welches zum Vergleichen herangezogen wird, füglich die Erfahrung in diesem Punkte vertreten kann, so dass die Nichtübereinstimmung mit diesem Urtheil der Nichtübereinstimmung mit dem durch die Erfahrung Gebotenen durchaus gleichkommt. Freilich wird bei diesem abgekürzten Priiftmgsverfahren die W a h r h e i t des zum Vergleich stellvertretend herangezogenen Urtheils als Erkenntnissurtheils einfach vorausgesetzt; dann aber dient es nicht nur dazu, um die Unwahrheit von Erkenntnissurtheilen überhaupt zu constatiren, sondern auch, um gewisse Wahrnehmungsurtheile und Begriffsurtheile dieser Classe in ihrer Wahrheit zu erkennen, nemlich einmal diejenigen Wahrnehmungsurtheile, welche als Spezialfälle eines wahren Erkenntnissurtheils, das eben Begriffsurtheil ist, auftreten, und zweitens diejenigen Begriffsurtheile, welche sich ebenfalls als Spezialfälle eines die Erkenntniss darstellenden wahren Begriffsurtheils erweisen, insofern nemlich ihr Subjectsbegriff den Subjectsbegriff des zum Vergleich herangezogenen Begriffsurtheils als Merkmal hat und beider Urtheile Prädicat ein und derselbe Begriff ist. Immerhin aber ist diese Prüfungsart nur eine die durch

272

Wirklichkeit und Wahrheit.

die Erfahrung direct norzunehmende Prüfung stellvertretende, deren abgekürztes Verfahren auch nicht für alle angeblich Erkenntniss enthaltenden Urtheile ausreicht, für diejenigen Wahrnehmungs- und Begriffsurtheile nemlich nicht, welche sich nicht als in einem Subordinationsverhältniss zu einem schon bewahrheiteten Begriffsurtheil stehend erweisen; solche Urtheile verlangen zu ihrer Bewahrheitung die directe Begründung durch die Erfahrung. Erfahrung ist also die letzte Instanz, auf die alle wahren Erkenntnissurtheile abstellen und zurückgehen müssen, gleich wie die Wahrnehmung das Erste der Erkenntniss und der Quell aller Erkenntniss ist. Erfahrung kann aber diese Instanz sowohl für die Wahrnehmungs- als auch für die Begriffsurtheile aus dem Grunde bilden, weil sie nicht etwa die blosse Wahrnehmung, wie der Empirist meint, sondern auch den Begriff als „Object" d. i. als dem Ich gegebenes R e a l e s umfasst. — Aber Erfahrung ist nicht nur der allgemeine und allein gültige Prüfstein der wahren Erkenntnissurtheile, sondern sie bestimmt auch in Ansehung des Idealen die reale Unmöglichkeit, respective die reale Möglichkeit der idealen Vorstellungen und Begriffe, ja sie setzt sogar innerhalb der realen Möglichkeit solcher Vorstellungen und Begriffe die Unwahrscheinlichkeit und Wahrscheinlichkeit derselben fest. Die „Wahrscheinlichkeit" ist nun nicht anzuwenden auf die Urtheile in der Weise, dass dieser Begriff etwa zwischen Wahrheit und Unwahrheit, welche zwei Begriffe ja nur auf U r t h e i l e anwendbar sind, einzuschieben wäre; ein Urtheil ist entweder wahr oder unwahl·, tertium non datur. „Wahrscheinlich" geht vielmehr allein auf die idealen B e w u s s t s e i n s e l e m e n t e , welche in ihrem logischen Verhältniss zu dem durch Erfahrung gebotenen Realen nicht nur nicht in Widerspruch stehen (d. i. real möglich sind) sondern dem logischen Verhältniss zufolge für die zukünftige Erfahrung als real mehr oder weniger gefordert werden. Für die Erkenntniss erhält demnach die Wahrscheinlichkeit ihre Stellung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit und kann desshalb

Die Controle des Wabrnehmens.

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allein auf ideale Bewusstseinselemente, nicht aber auf logische Synthesen (Urtheile) Anwendung finden. Die Wahrscheinlichkeit wird aber dem Bewusstseinselement zuerkannt auf Grund der Erfahrung, und zwar zeigt die Wahrscheinlichkeit ein allgemeines und ein spezielles Verhältniss zur Erfahrung an, einmal nemlich dasjenige der Widerspruchslosigkeit dos Idealen mit der Erfahrung und zweitens das der möglichen Identität mit dem „Object" einer zukünftigen Erfahrung; tier Grad dieser möglichen Identität oder der Wahrscheinlichkeit wird, wie sie selbst überhaupt, auf die Erfahrung gegründet. Wo nun immer die Erfahrung und ihr Inhalt, sei es als Kriterium der Wahrheit der Erkenntnissurtheile, sei es als Werthmesser des Idealen für die E r k e n n t n i s s , Anwendung findet, geschieht es mit vollgültiger Berechtigung, weil sie ja das Reale präsentirt; denn das Erkennen hat zum Object das bewusstgewordene Seiende oder Reale, und an diesem Realen eben allein kann sich die Wahrheit derjenigen Urtheile, welche sich auf das Wirkliche beziehen, und die desshalb Erkenntnissurtheile heissen, legitimiren. Daraus folgt, dass die Erkenntnisstheorie ebensoviel, wenn nicht noch mehr, Gewicht als auf die Frage: was ist Wahrheit? auf die andere: was ist Wirklichkeit? legen muss, und es wird einleuchten, dass nicht in jener, sondern vielmehr in dieser Frage der eigentliche Grund der Erkenntniss zur Untersuchung gezogen wird, und dass diese es ist, welche für das aufmerksame Ohr aus der anderen so berühmten Frage: was ist Wahrheit? heraustönt und beantwortet werden will: an dem Wirklichen misst sich erst die Wahrheit des Erkenntnissurtheijs. Die Prüfung des Realen aber kann in nichts Anderem als im Wahrnehmen selbst gegeben sein; alles Reale muss als Kennzeichen an sich tragen entweder, dass es selbst Wahrnehmung, oder dass es an der Wahrnehmung als realer Begriff gegeben sei. So ist denn Wahrnehmung als das erste Bewusst-Seiende, welches den Anfang und den Quell aller Erkenntniss bildet, auch Κ eh in k o , Die Welt «la Wahrnehmung n. Begriff.

JQ

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Wirklichkeit und Wahrheit.

die letzte Garantie für die Erkenntniss überhaupt, und selbst der Begriff, welcher zwar seinerseits erst das Seiende als Wahrnehmung in das volle Licht der Erkenntniss setzt und daher die Blüthe der Erkenntniss genannt zu werden verdient, hat seine Zugehörigkeit zur Erkenntniss, seine Realität, aus der Wahrnehmung herzuleiten. Und wie Wahrnehmung das erste Bewusst-Seiende ist, über das hinaus es nicht noch ein primitiveres giebt, so ist sie auch aller Erkenntniss und der wahren Erkenntnissurtheile, letzte Instanz, über die hinaus nicht noch etwa eine allerletzte vorhanden ist, auf welche sich wiederum die Wahrnehmung als Erkenntniss zu stützen hätte. Wahrnehmung ist stets wirklich, aber die bestimmte Wahrnehmung („Ding") kann als solche ein „Schein" sein, wenn das Ich zur Wahrnehmung einen, sei es idealen, sei es realen, Begriff hinzudenkt, welcher an ihr nicht gegeben ist. Von diesem Schein die bestimmte Wahrnehmung zu befreien, ist nun begreiflicherweise ein unbedingtes Erforderniss, da die Wahrnehmimg im Erkenntnissprocess und in der Erkenntnissprüfung eine so grundlegende und ausschlaggebende Rolle zu spielen berufen ist. Zweifach ist die Forderung, welche in dieser Beziehung von der Erkenntnisstheorie zum Behufe der sicheren Fundamentirung des Ecksteins aller Erkenntniss, der Wahrnehmung, gestellt wird, nemlich einerseits das w i e d e r h o l t e W a h r n e h m e n e i n e s und d e s s e l b e n E r k e n n e n d e n und andrerseits das W a h r n e h m e n e i n e s u n d d e s s e l b e n S e i enden S e i t e n s V i e l e r . Hierdurch wird allein eine wirksame Controle ermöglicht werden. Solche Befreiung der Wahrnehmung vom Schein, welcher letztere durch Vererbung und durch die eigene faule Vernunft den Einen mehr, den Anderen weniger, gefangen hält, ist die eine der Hauptaufgaben, welche die wissenschaftliche Arbeit der Menschen überhaupt sich stellt; sie wird freilich nicjit mit einem Schlage vollendet, das Bewusstseinsfeld lässt sich nicht auf einen Strich reinfegen, um als tabula

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Das Seiende und die „Erscheinung".

rasa sich der nicht vom Schein getrübten Wahrnehmung anzubieten. Nur langsam kann man das Unkraut aus dem Waizen herausziehen, aber die sichere Arbeit belohnt die Ausdauer und schützt schon bald vor dem schlimmsten Versehen, so dass man wenigstens nicht zugleich mit dem Schein entweder die Wahrnehmung oder den realen Begriff als angebliches Unkraut der Erkenntniss auch fortwirft. Der Tag der völligen Befreiung vom Schein wäre aber dann herangekommen, wenn das Ich keine andere logische Synthese mehr machen und zu machen im Stande sein würde, als die, welche aus der reinen Analyse der Wahrnehmung hervorgegangen wäre.

11. Das Seiende und das Ich. Seiendes und Ich sind die nothwendigen Voraussetzungen des Bewusstseins überhaupt, und die Erkenntniss f o r d e r t für ihre eigene Existenz die Möglichkeit einer Bewusstseinsbeziehung zwischen dem Ich und dem Seienden selbst; ohne diese ist alle angebliche Erkenntniss Illusion, denn E r k e n n t n i s s bedeutet das bewusstgewordene, d. i. das in Bewusstseinsbeziehung zum Ich getretene S e i e n d e . Eine Erkenntnisstheorie, welche an die Spitze ihres Systems den Satz stellt: „das Seiende ist dem Ich ein ewiges X, d. h. es tritt nie zum Ich in Bewusstseinsbeziehung", hat sich damit gleich anfangs für bankerott erklärt. In diesem Fall befindet sich die Kantische Philosophie, welche freilich in etwas weniger schroffem, die Sache verschleierndem Ausdruck erklärt, das Ich erkenne die Dinge nicht „wie sie sind, sondern wie sie ihm erscheinen". Dieser Ausdruck schillert; sein eigentlicher Sinn ist: das Ich kann die Dinge, d. i. das Seiende nicht erkennen; der Zusatz: „nicht wie sie sind, sondern wie sie ihm erscheinen", legt aber eine Auffassung wenigstens nahe, 18*

276

Das Seiende und das Ich.

welche mit den Worten durchaus

nicht

verbunden

werden

dürfte, die Auffassung nemlich, als ob irgendwie die Dinge dennoch erkannt würden, „nur eben nicht, wie sie sind". Bei oberflächlicher Aufmerksamkeit kann mau vielleicht sich in die Täuschung verstricken und meinen, es sei durch jenen Satz von dem Erkennen der Dinge „nicht wie sie sind, sondern wie sie erscheinen" in der T h a t

eine

Erkenntniss

noch immerhin nicht undenkbar gemacht, da doch angeblich d i e D i n g e s e l b s t zum Ich in Beziehung treten sollen, denn es heisst: „die D i n g e erscheinen". Näheres Zusehen aber belehrt bald über die Selbsttäuschung, welche besonders durch die Verwendung des Wortes „Dinge" bewirkt sein m a g ; denn dieses Wort schillert, weil es in jenem Kantischen Satz die erkenntnisstheoretische Voraussetzung „ S e i e n d e s " bezeichnen soll und doch einem Jeden, K a n t nicht ausgeschlossen, ein geläufiges

Wort

für unsere

„Erscheinungen"

ist.

„äusseren

Vorstellungen"

oder

Dieses Beides kreuzt sich in dem

Sinne des Auffassenden und daher nimmt er zunächst keinen Anstoss daran:

ich erkenne

sondern wie sie erscheinen.

die Dinge

nicht

wie sie sind,

Sobald man aber den schillern-

den Ausdruck „Dinge" mit dem hier in keiner Weise verständlichen des Seienden vertauscht, dass in jenem

Kantischen

Satz

miss-

so wird man inne,

entweder

kein

Sinn

oder

schliesslich nur derjenige, das Seiende trete also zum Ich in keine Bewusstseinsbeziehung, enthalten sei.

Wiederhole man

nur den Satz mit dieser einzigen Wortänderung: „ich erkenne das Seiende, nicht wie es ist, sondern wie es mir erscheint", und ich bin überzeugt, dass man sich von dem Satze abwenden wird mit dem Seufzer, man könne in ihm keinen Sinn entdecken. etwas zum

Denn

„ich

erkenne

Bewusst - Seienden";

etwas" heisst: zu

„mir wird

diesem aber wird

das

„etwas" nun natürlich nur, wenn ich es erkenne, wie es i s t , d. i. grade als dieses „ e t w a s " ; Fall,

wäre nemlich das nicht der

so würde das „etwas" eben n i c h t erkannt, also nicht

Bewusst-Seiendes

werden.

Mit. dem Satze:

„ich

erkenne

das Seiende, wie es mir erscheint", ist daher kein Sinn zu

Das Seiende als Erscheinung.

277

verbinden, wenn das „wie es erscheint" im Gegensatz stehen soll zu „wie es ist". Wenn ich das Seiende erkenne, so erkenne ich es eben, wie es i s t , oder sonst erkenne ich es n i c h t ; „das Seiende (Ding), wie es ist", kann hier nur ein blosser Pleonasmus sein anstatt des einfachen „das Seiende". Will man nun aber die Erkenntniss dennoch an das Wort „Erscheinen" knüpfen, so kann dies nur geschehen, wenn man „Erscheinen" und „Bewusstwerden" in Ansehung des Seienden für gleichbedeutende Worte erklärt; dann ist freilich zuzugeben, dass ich das S e i e n d e erkenne, wenn und sow e i t e s mir e r s c h e i n t , aber selbstverständlich kann dabei ein solcher Gegensatz: „nicht wie es ist, sondern wie es mir erscheint", keineswegs gedacht werden. „Wie es i s t " und „ w i e es e r s c h e i n t " bezeichnen ja dann das Seiende nicht etwa in zwei verschiedenen Seinszuständen (auf solchen Widersinn würde der Kantianismus, will er anders, was Erk e n n t n i s s heisst, nicht Preis geben, hinauskommen müssen), sondern können nur die Erkenntniss respective als s e i e n d und als zum Ich in B e w u s s t s e i n s b e z i e h u n g s t e h e n d darstellen. Freilich gäbe es einen Ausweg, um jenes Kantische Dogma widerspruchslos erscheinen zu lassen, indem man nemlich den Process des Erkennens für einen Seinsprocess erklärte, wodurch aber freilich das Wort „Erkennen" in anderem Sinn gebraucht würde als dies gewöhnlich der Fall ist. Erkennen würde nun so viel heissen als: „vom Seienden einen Eindruck bekommen und des letzteren sich bewusst werden"; „ich erkenne das Seiende, nicht wie es ist, sondern wie es mir erscheint", hiesse also dann: „ich werde mir eines Eindrucks, welcher angeblich vom Seienden in mir bewirkt ist, bewusst, dieser ist aber nicht ein Abdruck des Seienden, sondern eben nur eine Wirkung desselben". Dass man aber auf diese Weise sich gänzlich um das, was Erkenntniss heisst, gebracht sehen würde, liegt auf der Hand; daher sehen sich auch alle Kantianer, weil sie eben doch Erkenntniss nicht verneinen wollen, dazu gedrängt, die E r s c h e i n u n g

278

Das Seiende und das Ich.

zum Erkenntniss-Seienden zu proclamiren: die Erkenntniss ist ihnen nun factisch die seiende E r s c h e i n u n g , d. h. (was der Kantianismus freilich nicht Wort haben will) das ers c h e i n e n d e , d. i. bewusstgewordene, Seiende selbst. Im Erkenntnissprocess muss al§o, wenn anders von einem solchen überhaupt soll geredet werden können, das Seiende selbst bewusst werden; der Process aber ist dann natürlich kein Seinsprocess, wesshalb auch in demselben nicht mit dem Seienden als solchem eine Veränderung vor sich geht, oder gar etwa nach demselben das Seiende als ein anderes erscheint als vor dem Erkennen. Dieser Erkenntnissprocess oder, wie man ihn auch im Blick auf das Seiende nennen könnte, dieser Bewusstseinsprocess ruft vielmehr nur die Veränderung hervor und schafft das Neue, welches als die zwischen dem erkennenden Ich und dem Seienden hergestellte B e z i e h u n g auftritt: das Ich knüpft also auch im Erkenntnissprocess keine Seinsbeziehung, sondern eine Bewusstseinsb e z i e h u n g an mit dem Seienden, dieses letztere wird daher in demselben, ohne eine Seinsveränderung irgendwie einzugehen, zum Bewusst-Seienden. Da der Kantianismus das Seiende für ein Erkenntnisse erklärte, demselben also die Möglichkeit, Erkenntniss zu sein, vollkommen nnd rundweg absprach, so war freilich damit ganz gründlich das Streben nach Erkenntniss von seinem Widersacher, der Skepsis, befreit, aber leider erscheint dieser „gute" Dienst, der dem Erkennen geleistet wurde, von der Art, in welcher jener Bär dem Menschen beistand, da er, um eine Fliege aus dessen Gesicht zu verscheuchen, ihm mit einem Felsstück den Schädel zerschmetterte. Der Zweifel wurde eben von K a n t durch die proclamirte V e r z w e i f l u n g an jeglichem Erkennen ausgetrieben. Allerdings machte sich aber auch bei diesem Philosophen bald das Gesetz des horror vacui wieder geltend, und das, was zur Hinterthür herausgeschoben war, kam vorne, wenn auch nicht unter dem Titel des Seienden, so doch unter demjenigen der Erscheinung, aber immerhin mit dem wichtigen Erkenntnisstitel des Seienden, nemlich mit

Erkenntnisstheorie und Metaphysik.

279

demjenigen des R e a l e n , zugleich ausgestattet, wieder herein. Die erkenntnisstheoretische Voraussetzung vom Seienden, welche als solche selbst von K a n t , der doch die Möglichkeit, dass sie Erkenntniss werde, verneinte, seinem „Erkenntnissprocess" untergeschoben wurde, hat im Laufe der philosophischen Entwickelung viel Unbill ertragen müssen durch den Dogmatismus, das will sagen: durch die vorlaute Metaphysik, welche leider der Erkenntnisstheorie unbesonnen vorausgeeilt war. Da sind dann auf diese erkenntnisstheoretische Voraussetzung schon von vornherein metaphysische Bestimmungen des Raums und der Zeit, der Bewegung und der Veränderung, des Geistseins u. s. w. angewandt, und, je nachdem die Auswahl für das Seiende getroffen wurde, war dieses damit zugleich, sei es zu einem Wahrnehmung-X, das nur im Denken als Begriff erkannt würde, sei es zu einem Begriff-X, das nur im Wahrnehmen als „Ding" gegeben wäre, gestempelt. Welcher Theil des dem Seienden als Wahrnehmung und Begriff unzweifelhaft ganz zukommenden Gebietes des Erkennens nun auch immer abgeschnürt wurde durch vorlaute metaphysische Constructionen, so ward stets das übrigbleibende Erkenntniss-Seiende als „Ding" vorgestellt. Denn auch diejenigen, welche dafür halten, das Seiende werde dem erkennenden Ich nur als Begriff gegeben, sehen dieses Wahrnehmung-X doch als „bestimmte Vorstellung", d. i. als Ding an, indem sie eben dem eingewurzelten Hang, Begriffe zu verdinglichen, nachgeben. Wollte man aber die Frage aufwerfen, was denn wohl verderblicher für die Theorie des Erkennens sich zeigen würde, der Kantianismus oder die vorlaute Metaphysik, welche letztere entweder zum Sensualismus oder zum Rationalismus führt, so wird diese Frage in der allgemeinen, was besser sei, Wissenstod oder allfälliger Irrthum, mit beantwortet werden können. Ich halte dafür, dass die Antwort ohne Zögern zu geben ist und zu Gunsten der vorlauten Metaphysik ausfallen muss; denn beim irrenden Menschen ist doch immerhin die Möglichkeit, auf den rechten. Weg zu kommen, noch nicht aus-

280

Das Seiende und das Ich.

geschlossen, während der Tod aller solchen Hoffnung ein Ziel setzt. Schon der Selbsterhaltungstrieb wird die Erkenntnisstheorie daher bei der Wahl, das Seiende entweder für ein Erkenntniss-X oder doch wenigstens für mögliches Erkenntnissobject zu erklären, zu Letzterem greifen lassen. — Vor den Irrthümern und Einflüsterungen metaphysischer Dogmatik in Betreffdes Seienden wird sich aber die Erkenntnisstheorie auch ohne die Kantischen, jede Erkenntniss zur Illusion machenden, Schutzvorrichtungen zu hüten wissen, indem sie überhaupt alle sich etwa herandrängenden dogmatischen Sätze über das Seiende an die Seite stellt, und zunächst der rein erkenntnisstheoretischen Frage in Betreff des Seienden, wie nemlich dieses b e w u s s t werde, allein Raum giebt. Erst wenn dies festgestellt und demnach erkannt ist, dass das Seiende als W a h r n e h m u n g und Begriff dem Menschen Erkenntniss wird, wenn die W e l t als W a h r n e h m u n g und B e g r i f f für das Reale (gegenüber dem Idealen als Vorstellung und Begriff) erklärt ist, kann es wissenschaftlich gestattet sein, an die metaphysische Frage: „was ist das Seiende?" heranzutreten, da die von der dogmatischen Metaphysik unbeeinflusste Erkenntnisstheorie für die Antwort auf jene Frage die einzig sichere Direction zu geben im Stande ist, und ohne diese Direction alle Metaphysik die Grenze des Realen und Idealen zu überschreiten und in's Gebiet des Idealen sich zu verlieren bei jedem Schritt Gefahr läuft. Metaphysik als Wissenschaft erhält aber auch von der Erkenntnisstheorie zunächst das Gebiet angewiesen, welches der Wissenschaft überhaupt, da diese ja weiter nichts als Erkenntniss enthalten will, allein eingeräumt werden kann, nemlich das Gebiet der Wirklichkeit, wie es als Wahrnehmung und Begriff dem erkennenden Menschen gegeben wird und gegeben werden kann. Jeder Schritt über dieses Gebiet hinaus führt aus der Erkenntniss, also auch aus der Wissenschaft hinaus. Wenn sich dann die Metaphysik daran macht, die Frage „was ist das Seiende?" zu beantworten, so bewahrt dieselbe

Metaphysik.

•281

Erkenntnisstheorie, welche ihr das Wissenschaftsgebiet angewiesen hat. sie vor der Einseitigkeit, sei es die Wahrnehmung allein für real, den an der Wahrnehmung gegebenen Begriff als solchen aber für ideal zu erklären, sei es die Wahrnehmung als solche auf Schein beruhend zu denken und den Begriff allein für das Seiende zu halten. Denn die Erkenntnisstheorie beweist in Betreff des ersten Falles, dass, wenn die bestimmte Wahrnehmung als real erkannt ist, damit zugleich die Realität des Begriffs, welcher die Wahrnehmung zur bestimmten macht, ohne allen Zweifel mitgegeben ist, und dass die Leugnung der Realität des Begriffs auch zugleich der Realität seiner Wahrnehmung den Garaus machen muss. Sie zeigt ferner, dass gegen die Realität des Begriffs einzig nur das Vorurtheil sich geltend machen kann, welches fälschlicherweise den Begriff, weil er f ü r s i c h nicht als W a h r n e h m u n g gegeben ist, als realen streichen zu müssen meint, das Vorurtheil also, welches Wahrnehmung und Reales zu Wechselbegriffen machen möchte. Was aber den zweiten Fall angeht, so beweist hier wiederum die Erkenntnisstheorie, dass, wenn der Begriff für ein Seiendes erklärt wird, auch die Wahrnehmung, an der er gegeben war, dasselbe Prädicat erhalten muss, und dass die Erklärung, die Wahrnehmung sei „Schein", selbstverständlich auch ihren Begriff zum „Schein" stempeln wid. Die Erkenntnisstheorie zeigt endlich, dass jene Gegner, welche den Begriff aus dem Gebiet des Realen streichen, wohl insofern Recht haben, als sie gegen die phantastische Verobjectivirung des Begriffs Front machen, dass sie aber ihrerseits in's andere Extrem verfallen, indem sie den Begriff überhaupt in's Gebiet des Idealen versetzen. Die Erkenntnisstheorie stellt also die Metaphysik auf den Boden, auf welchem das Seiende, mit dem eben sich diese als Wissenschaft zu beschäftigen hat, als Wahrnehmung und Begriff anzusehen und das Eine nicht weniger als das Andere für real zu erklären ist. Zugleich wird aber die Metaphysik stets von ihr daran erinnert, dass, wenn das Seiende als Wahr-

282

Das Seiende und das Ich.

nehmung und Begriff gegeben ist, dieses nicht so zu denken sei, als ob Wahrnehmung und Begriff die zwei Τ heile seien, in welche das Seiende zerlegt werden könne; vielmehr muss die Metaphysik stets beachten, dass Wahrnehmung und Begriff die primäre und secundäre Bewusstseinsform des Seienden sind, welche, die eine auf Grund der anderen gewonnen und in die andere hineingesponnen, zusammen die volle menschliche Seinserkenntniss repräsentiren. Und wenn dem Menschen es auch möglich und nöthig ist, den Begriff für sich zu denken, so warnt die Erkenntnisstheorie doch davor, dieses logische Fürsichsein zum r e a l e n Fürsichsein zu m a c h e n , d. h. den Begriff zu verobjectiviren. Weil man als denkender Mensch das Seiende als blosse Wahrnehmung nie für sich haben kann, was in der Natur der Sache liegt, sondern stets Wahrnehmung und Begriff, d. i. die bestimmte Wahrnehmung oder ihre Vorstellung, das Ding also für sich hat, so ist man eben nie, wenn etwa auch geahnt wurde, dass das Seiende aus Wahrnehmung und Begriff bestände, darauf verfallen, bei der phantastischen realen Section des Seienden, dasselbe in Wahrnehmung und Begriff zu zerlegen, sondern man gelangte stets zu diesen S t ü c k e n : das Ding und sein Begriff. Damit aber beging man, wie die Erkenntnisstheorie lehrt, einen doppelten Fehler, nicht nur, dass man aus der logischen Section eine reale machte, sondern auch dass man den Begriff selbst noch doppelt setzte, da doch das „Ding" schon ebenfalls Wahrnehmung und Begriff ist. Die Frage der Metaphysik nun richtet sich auf das Seiende nicht als bestimmte Wahrnehmung (dies ist vielmehr das Geschäft der sogenannten Einzel- oder Fachwissenschaften), sondern als Begriff, und ihr thut daher der gute Rath der Erkenntnisstheorie doppelt Noth, auf dass sie nicht unbemerkt den Begriff als Ding behandele, und Wahrnehmung dann etwa für „Schein" erkläre. Denn an diesem Fehler leiden mehr oder weniger alle historisch gewordenen Metaphysiken und sie kommen daher auch mehr oder weniger mit dem QueJl aller Erkenntniss, mit der Wahrnehmung, in Conflict. Sie suchten

Die Metaphysik „Materialismus"

•283

nach dem Bleibenden, Unveränderlichen, Ewigen des Seienden, und anstatt sich zu genügen, dasselbe in dem Begriff zu haben, phantasirten sie sich Begriffsdiüge zusammen. Diesen Fehler aber haben nicht blos etwa die Philosophen von Fach, sondern überhaupt Alle begangen, die irgendwie Metaphysik zu treiben sich bemiissigt fühlten, nicht zum wenigsten jene flache Masse der Materialisten, welche die phantastischen Constructionen der Spiritualisten und anderer Philosophen ihrerseits zu verhöhnen pflegten. Wer in einem Glashause sitzt, soll auf die Vorübergehenden nicht mit Steinen werfen, und wer im gleichen Spital krank liegt, soll sich vor den Leidensgenossen nicht seiner Gesundheit rühmen. Was ist denn die Materie anders als ein Begriff, der Stoff anders als ein Begriff? Wo ist denn je die Materie oder der Stoff in seinem angeblichen realen Fürsichsein gegeben? Wahrnehmungen, die den Begriff Stoff an sich tragen, giebt es allerdings, wir nennen sie Dinge, aber Wahrnehmungen, die als solche nur den Begriff Stoff repräsentirten, sind Hirngespinnste, wie sie der Spiritualismus nicht phantastischer geliefert hat. Eine in naiverer Weise mit dem Erbfehler der denkenden Menschheit spielende Metaphysik als der Materialismus, der in aller Gemüthsruhe die grössten erkenntnisstheoretischen Purzelbäume macht und der Wahrnehmung links und rechts den Gehorsam kündigt, lässt sich wohl schwerlich finden, darum wähle ich ihn hier aus den vielen Metaphysiken heraus, um die erkenntnisstheoretischen Sünden der Metaphysik überhaupt am „Phantom" zu demonstriren. Dass der Stoff ein realer Begriff ist, wer wollte das leugnen; der Begriff Stoff ist identisch mit dem Begriff „räumlich", alles Seiende, was räumlich ist, können wir daher auch als Stoff bestimmen, und wenn wir. erklären, das Ding ist räumlich, so heisst dies mit anderen Worten: „Das Ding ist Stoff". Dieses Urtheil ist aber, wenn es Wahrheit enthalten soll, nicht so zu interpretiren: „Das Ding ist nichts Anderes als Stoff", oder, wie D e m o k r i t sagt: „das Ding ist nichts Anderes als ein Compo-

284

Das Seiende und das leb.

situm von Atomen", denn in diesem Fall wäre schon der Begriff Stoff und der Begriff Atom verdinglicht. Auch das Demokritische Atom ist ja ohne Zweifel Begriff, denn es kann weder wahrgenommen noch vorgestellt, sondern nur gedacht werden, oder aber, wenn die Atome angeblich vorgestellt werden, so sind sie in Wahrheit nicht mehr sie selbst, nemlich keine A t o m e . Aber die A^erobjectivirung des Begriffs Stoff ist nicht die einzige Sünde, welche der Materialismus auf diesem Punkte begeht, denn dazu kommt, dass er dem einzelnen Ding alles Andere, was es für Bestimmungen sonst noch als Wahrnehmung an sich trägt, abdecretirt als etwas, das „eigentlich" nicht zu ihm gehöre; eine zweite Begriffsverobjectivirung reiht sich also an die erstere, nemlich die des „eigentlichen Dinges" oder „Dinges an sich" d. i. des B e g r i f f s „ r ä u m l i c h e Wahrnehmung". Wenn ich nun wieder auf den Satz „das Ding ist nichts Anderes als Stoff" zurückgreife, so kann ich trotz dem soeben Gesagten mit dem Satze einen Sinn verbinden, so bald ich ihn interpretiren darf: „alle räumlichen Wahrnehmungen d. h. Dinge, haben nichts Anderes als den Begriff Stoff „gemeins a m " . Aber der Materialismus fasst denSatz so: „alle Dinge sind „eigentlich", „an sich", nichts Anderes als „Stoff", und so gefasst, schlägt der Satz der Wahrnehmung selbst frech in's Gesicht, denn man muss sich doch schon mit dem metaphysischen Schnupftuch die Augen verbunden haben, wenn man den Muth gewinnen kann zu behaupten, jedes Ding sei nichts Anderes als Stoff, habe keine anderen Eigenschaften an sich als die der Räumlichkeit. Da hilft dem Materialismus auch nicht,. zu Gunsten seiner Ansicht auf die mögliche Zerlegung der Dinge hinzuweisen, denn so weit uns eine solche reale Section auch möglich ist und aus einem Dinge viele Dinge gemacht sind, stets zeigt jedes dieser einzelnen Dinge sich nicht als Stoff überhaupt, sondern als ein b e s t i m m t e r Stoff und ist also jederzeit noch etwas Anderes als „Stoff".

Das Interesse der Erkenntnisstheorie an der Metaphysik.

285

Hier möchte nun der Materialismus triumphirend ausrufen: „Zugegeben; aber diese anderen Bestimmungen zeigen sich doch eben am Stoif!" Dies ist nun vielleicht nur ungenau von ihm ausgedrückt, oder aber es liegt dem Triumphwort noch eine dritte erkenntnisstheoretische Sünde zu Grunde, und Letzteres ist wahrscheinlich! Jene Bestimmungen zeigen sich nemlich in der That an dem Dinge als W a h r n e h m u n g und repräsentiren mit dem Begriff Stoff zusammen das D i n g a l s B e g r i f f ; wenn aber gesagt wird, die Bestimmungen zeigen sich am Stoff, so wird damit wieder Ding und Stoff identificirt und der Stoff (Begriff) mit dem Ding (Wahrnehmung und Begriff) zusammengeworfen. Diese Identificirung aber gebiert die dritte Sünde gegen die Erkenntnisstheorie, indem nemlich nun auch noch Seie n d e s und Stoff identificirt werden, womit allerdings dann der Höhepunkt des metaphysischen Hexensabbaths erreicht ist. Die materialistische Dogmatik lautet jetzt kurz und bündig: das Seiende sind die Dinge, der Stoff ist das Seiende, also: der Stoff sind die Dinge. Der Erkenntnisstheoretiker aber wird sowohl die erste als auch die zweite Prämisse des Syllogismus mit gutem Grund beanstanden und als falsches Urtheil zu beweisen wissen. Das erkannte Seiende ist freilich das Reale, das Reale sind aber nicht nur die Dinge, d. i. die räumlichen Wahrnehmungen, sondern alle bestimmten Wahrnehmungen überhaupt, und daher macht nicht schon der reale Begriff Stoff jenes Seiende aus, sondern, wie ich gezeigt habe, erst alle Wahrnehmungen und realen Begriffe zusammengenommen. Die Verobjectivirung des Begriffs, die Dingansichphantasie und die Verkümmerung des Begriffs des Seienden zum identischen Begriff mit einem speciellen verobjectivirten Begriff sind aber nicht etwa Fehler des Materialismus allein, sondern dieses Fehlerkleebatt ist jeder dogmatischen Metaphysik eigen und zwar aus dem Grunde, weil diese der Direction der selbstständigen Erkenntnisstheorie, welche das Reale als Wahneh-

286

Das Seiende und das Ich.

mung und Begriff aufzeigt, nicht unterstellt worden ist. Dann geschieht es eben, dass das Seiende, welches doch nach der Ansicht dieser Metaphysiker keineswegs ein Erkenntniss - X ist, ihnen dennoch ein Unbekanntes bleibt, da sie an dessen Stelle eine Phantasievorstellung setzen, mit der sie guten Muthes gegen die Wahrnehmung, diese einzige Quelle wirklicher Erkenntniss, ankämpfen. Immerhin tragen sie alle ein Körnchen Wahrheit mit sich herum, insofern nemlich ihrer Phantasievorstellung vom Seienden ein realer Begriff, welcher also zum Seienden gehört, wenigstens zu Grunde liegt, und an diesen Umstand knüpft sich auch die Hoffnung, dass die grosse Arbeit der speculirenden Metaphysiker trotz alledem nicht umsonst gewesen sei, sondern dass die Wahrheiten, welche ihre Speculationen trotz alledem enthalten, wenn sie in dieser ihrer dogmatischen Form auch zu einander in schneidenden Gegensatz treten, doch als Bausteine einer gesunden Metaphysik verwerthet werden können, nachdem die Erkenntnisstheorie vorerst den Boden für dieselbe bereitet hat, ohne ihrerseits von jenen dogmatischen Voraussetzungen beeinflusst zu sein. Es ist nun nicht Aufgabe der Erkenntnisstheorie, die Grundlinien der metaphysischen Wissenschaft zu ziehen; die Resultate der erkenntnisstheoretischen Untersuchung freilich werfen ihr Licht voraus in das Gebiet der Metaphysik, man hat sich aber streng zu hüten, der Verlockung nachzugeben tmd metaphysische Probleme in Angriff zu nehmen, bevor jene Untersuchung völlig zum Abschluss gebracht ist. Die Erkenntnisstheorie besitzt für die Metaphysik aber doch schon insofern lebendiges Interesse, als ihre eigenen Cirkel eben gar leicht durch eine wilde Metaphysik gestört werden können und sie selbst das wohlbegründete Recht hat, den Boden für die gesunde Metaphysik zu beschaffen. Da ist es denn vorzüglich ihr Geschäft, das wilde Gestrüpp, welches den Boden bedeckt, auszuroden und insbesondere jenes wuchernde Unkraut, die verobjectivirten Begriffe, gründlich zu beseitigen. Denn welche Metaphysik man auch betrachten wird und wie

Das „Fürsichsein" des realen Begriffs.

287

verschiedenartig die einzelnen mit Fehlern behaftet sein mögen, so führen doch alle Fehler auf die Yerobjectivirung der Begriffe als auf die Ursünde zurück. Andererseits hat die Erkenntnisstheorie im Kampf gegen diese Verdinglichung die realen Begriffe aber in ihrer Realität ebenso energisch zu schützen und auf diese Weise das Seiende nach rechts und links vor Verkümmerung zu bewahren. Mit dieser ihrer propädeutischen Arbeit macht die Erkenntnisstheorie es dem Metaphysiker möglich, seine Aufgabe, das Seiende überhaupt als Begriff zu gewinnen, unbeirrt von den Lockungen jener Erbsünde durchzuführen; denn sie zeigt ihm, dass, wie der Begriff nur allein allgemein, so auch allein nur beharrlich sei, allgemein und beharrlich aber nicht etwa als Wahrnehmung, sondern an den W a h r n e h m u n g e n eben als Begriff. Es ist nemlich zu beachten, dass die Bestimmungen „allgemein" und „beharrlich" dem Begriff zukommen, nicht, wenn man ihn logisch für sich betrachtet, sondern nur in seinem Verhältniss zu den Wahrnehmungen. Indem aber die Erkenntnisstheorie dem Metaphysiker auch noch diesen Fingerzeig giebt, muss doch in demselben, das Bewusstsein erstarken, dass ein reales Fürsichsein des Begriffs eine Ausgeburt der Phantasie sei, da die Beharrlichkeit und Unveränderlichkeit desselben, welche den metaphysischen Begriff ja schmücken sollen, nur in seiner Verknüpfung mit dem Seienden als Wahrnehmung gegeben sein kann; das reale Fürsichsein aber darf immer nur Einem beigelegt werden, nemlich dem Seienden als W a h r n e h m u n g u n d Begriff. Man erkennt nun die Blindheit der dogmatischen Metaphysiker, welche gerade den verkehrten Weg einschlugen, wenn sie, um die Beharrlichkeit ihrer Begriffe zu retten, dieselben verobjectivirten, und so ein reales Fürsichsein im metaphysischen Wolkenkukuksheim denselben verschaffen zu müssen glaubten, während jene Beharrlichkeit den Begriffen grade eben nur deswegen zukommt, weil sie kein reales Fürsichsein haben, und weil sie reale Merkmale des Seienden als Wahrnehmung sind.

288

Das Seiende und das Ich.

Die Verkehrung des logischen Fürsichseins des realen Begriffs in das reale Fürsichsein des als Begriff gegebenen Seienden ist auch die Veranlassung geworden zu jener in der Geschichte der Philosophie so mannigfaltig hervortretenden DingansicTiphantasie. welche in dem metaphysischen Satze gipfelte: die Dinge an sich sind das Seiende. Es liegt in diesem Satze allerdings eine Wahrheit, denn die „Dinge an sich" d. i. die B e g r i f f e der Dinge, welche letztere ja W a h r n e h m u n g und Begriff sind, repräsentiren sicherlich Seiendes; aber sie allein machen doch nicht das Seiende aus, weil sie eben nicht die „Dinge" sind. Man muss sich nothwendig klar werden, dass, wo immer wir von dem Ansich eines Dinges sprechen, der Begriff, und nicht (las Ding als solches zur Sprache kommt, indem hier das Ding nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet und allein der Begriff desselben, welcher aus der Betrachtung resultirt, logisch für sich gegeben ist. Die Ansich-Betrachtung eines Dinges fasst nemlich nicht das Ding, wie es uns überhaupt als bestimmte Wahrnehmung gegeben ist, auf, sondern sieht grade von bestimmten Seinsverhältnissen, in welchen das Ding real da ist, und von den Merkmalen desselben, die aus diesen Seinsverhältnissen resultiren und dem Ding nicht minder zu eigen gehören wie die anderen Merkmale, ab und stellt nur die anderen Merkmale heraus; diese letzteren aber sind für sich doch keineswegs identisch mit dem als bes t i m m t e W a h r n e h m u n g gegebenen Seienden, welches ja erst „das Ding" ist. In welche „Tiefen" dogmatischer Metaphysik die controlirende und regulirende Erkenntnisstheorie sich auch versenken mag, überall stösst sie auf jene Spukgestalten, welche eine falsch ausgeübte metaphysische Behandlung des Seienden geboren hat; überall sieht sie die logische Section des Seienden als reale Section verwerthet, das logische Fürsichsein des Begriffs in's reale Fürsichsein .verkehrt und demgemäss dann noch eine „eigentliche" Seinswelt aufgestellt neben die Welt als Wahrnehmung und Begriff. Diese Zweiweltentheorie

289

„Was ist das Ich?"

aber grade ist und bleibt der Todfeind der Erkenntnisstheorie; denn wenn es wahr sein sollte, dass die Welt als Wahrnehmung und Begriff eine doch

nur

„Welt

ein

„Erscheinungswelt" ( e i n Wort,

Euphemismus

an sich",

für Scheinwelt

d. i. die W e l t

als

Begriff,

das

ist*) und die die

Seinswelt

wäre, so würde dieses Dogma, wie die Geschichte zeigt, Stück um

Stück

von

der

Erkenntnisstheorie

wegnagen,

bis

man

*) Schein ist ein falsches U r t h e i l über das Sein. Der Dualist ist geneigt, dieser monistischen Interpretation die andere entgegenzusetzen: Schein ist falsches Sein; man muss es ihm überlassen, mit dem Begriff „falsches Sein" einen Sinn zu verbinden; für den Monismus steht es fest, dass Scheinen nicht ein falsches Sein, sondern ein falsches Meinen ist; Schein ist die falsche Synthesis eines Begriffs zu einer bestimmten W a h r n e h m u n g . — Ausser K a n t nun haben alle Erkenntnisstheoretiker, welche der Zweiweltentheorie huldigten und bekanntlich die „eigentliche" Seinswelt, sei es ganz sei es theilweise, in die andere als Bruchtheil derselben hineinfallen Hessen, mit Abzug dieses Bruchtheils die andere für eine Welt des Scheins erklärt, indem in diesem Punkte Spiritualisten und Materialisten im trauten Verein dem Wahrnehmen den Erkenntnisscredit kündigten. K a n t riss dagegen die Welt als Wahrnehmung und Begriff und das Seiende völlig auseinander, ihm konnte also die erstere nur Schein sein; denn, während vom Menschen nach Meinung des Sensualismus zur Welt als Wahrnehmung die Welt als Begriff, oder nach Ansicht der Rationalisten zur Welt als Begriff die Welt als Wahrnehmung fälschlich hinzugeflickt würde, erklärte K a n t sowohl das Eine wie das Andere als dem wahrnehmenden und denkenden Ich entsprungen; ihm musste daher sowohl Wahrnehmung, als auch Begriff auf S c h e i n beruhen, denn in seiner Erscheinungswelt konnte er auch nicht das Geringste dem Seienden vindiciren. Wenn er aber nun von seiner „Erscheinungswelt" dies odium des Scheins dadurch abwehren wollte, dass er ihr Dasein als eine Wirkung des Seienden auf den afficirbaren, wahrnehmenden und denkenden Menschen hinstellte, so hätte der Zweck doch nur dann erreicht werden können, wenn er ζ. B. die „äussere Erscheinung" für einen bestimmten Z u s t a n d dieses Menschen, den er natürlicherweise dann doch als „Seiendes" ansehen musste, erklärte; als ä u s s e r e E r s c h e i n u n g dagegen konnte sie nur auf Schein sich gründen. Dies Letztere, nemlich „äussere Erscheinung" in Wirklichkeit als Zustand des Ich zu denken, setzte aber, wie erwähnt, wieder voraus, dass wenigstens dieser Mensch nicht „Erscheinung" sondern Seie n d e s wäre — und so sieht man sich im Kantianismus im ewigen Cirkel von Sein zum Schein und vom Schein zum Sein herumgedreht. — R e h m k e , Die Welt als Wahrnehmung α. Begriff.

JQ

290

Das Seiende und das Ich.

schliesslich, wie bei K a n t , nichts mehr von einer Theorie der Erkenntniss in der Hand hätte, sondern in Wahrheit die angebliche Erkenntnisstheorie in eine Theorie des S c h e i n s umgewandelt wäre. Gegen solche Gefahren giebt es nur e i n e Rettung, dass nemlich die Menschheit sich wieder darauf besinne, wie Anfang und alleiniger Quell der Erkenntniss d. i. des zum Bewusstsein kommenden S e i e n d e n die Wahrnehmung sei, und wie ferner auf Grund der Wahrnehmung der Mensch das Seiende, welches ihm als Wahrnehmendem primär gegeben ist, secundär als B e g r i f f erkennt und besitzt, und so eine volle Erkenntniss dann sein eigen nennt in dem als Wahrnehmung und Begriff bewusstgewordenen Seienden. Wenn auf diese Weise erst einmal der tiefgründende Irrthum, dem Begriff ein reales Fürsichsein anzudichten, beseitigt ist, was allerdings schwer hält, denn, wie gesagt, ein kleiner Piaton steckt in jedem Menschen, — dann w7ird man, wie ich glaube, ein leichtes Spiel haben mit dem Irrthum, welcher das Extrem des ersteren bildet und dem Begriff überhaupt die Realität abstreitet. Denn die Feindschaft gegen die Realität des Begriffs ist doch nur aus Gegensatz gegen die allerdings zu verurtheilende Verobjectivirung des Begriffs entsprungen; sobald also diese aufgehoben ist, wird man mit Grund von der anderen Seite keinen Anstand nehmen können, den Begriff als R e a l e s anzuerkennen, mit welchem der denkende Mensch als l o g i s c h e m F ü r s i c h operirt und mit welchem er als erkennender so operiren muss. ' Während nun die Erkenntnisstheorie dafür Sorge trägt, dass der Wissenschaft das Seiende unverkümmert und unbeschnitten als Wahrnehmung und Begriff legitimirt wird, so dass von dem Realen nichts zum Idealen gestempelt, von dem Idealen nichts zum Realen hinzufingirt werden kann, ist sie, die Wissenschaft vom Erkennen, in einem Punkte, wie es scheint, ihrerseits genöthigt, in die Wissenschaft vom Sein überzugreifen, um sich Rechenschaft geben zu können über die Frage: was ist das Ich? Denn, wenn auch die Untersu-

291

Kant's Inconsequenz in Betreff des Ich.

chung. Avas das Seiende sei, nicht mehr in den Bereich der Erkenntnisstheorie gehören mag. so scheint doch für sie, welche darstellen will, wie das Seiende e r k a n n t werde, die Orientirung über das E r k e n n e n d e , welches wir Ich nennen, nicht zu umgehen zu sein. Diese Nöthigung ist jedoch in Wirklichkeit keine unbedingte, denn nur unter bestimmten Voraussetzungen fordert die Frage: „was ist das Ich?" ihre Erledigung i n n e r h a l b der Erkenntnisstheorie, wenu nemlich diese letztere das Ich nicht allein als das logische Subject des Erkenntnissprocesses auffasst, sondern als ein S e i e n d e s , welches dann also auch durch den Process nicht nur eine Bewusstseinsänderung, nicht nur eine Aenderung seiner erkenntnisstheoretischen Beziehung zum Seienden, sondern auch eine S e i n s ä n d e r u n g angeblich erfahrt. Der erkenntnisstheoretische Dualismus demnach, welcher ja den Erkenntnissprocess nicht als einen Bewusstseins-, sondern als einen Seinsprocess ansieht, hat die unbedingte Verpflichtung, sich im Eingang seiner 'Erkenntnisstheorie Rechenschaft darüber zu geben, was das Ich, welches im Erkennen den angeblichen Seinsprocess durchmacht, sei und welche Wohnungsverhältnisse das Ich aufzeige, um die „Erkenntnissbilder" placiren zu können. Und eine gleiche Anforderung ist an den Kantianismus zu stellen, welcher ja die Welt der Erkenntniss von dem Seienden selbst scheidet und sie zu einem Product von Sinnlichkeit und Verstand des Ich herunterschraubt. Diese beiden Arten von Erkenntnisstheorie werden sich dadurch in dieselbe Lage versetzt sehen, in welcher sich überhaupt eine durch metaphysische Bestimmungen beeinflusste Erkenntnisstheorie befindet; denn die zu beantwortende Frage: was ist das Ich? ist eben für sie doch nur eine specielle der allgemeinen Frage: „was ist das Seiende?" Wer diese letztere freilich zurückstellt, wird auch jene nicht vor Erledigung der erkenntnisstheoretischen Aufgabe: „wie wird das Seiende bewusst?" zur Beantwortung bringen; dass aber der Dualist und der Kantianer dazu dennoch gezwungen werden, möchte schon allein den bestimmten

19*

292

Das Seiende und das Ich.

Verdacht gegen die wissenschaftliche Sicherheit ihres Standpunkts wachrufen. Was nun den Kantianismus angeht, so ist er es bekanntlich gewesen, welcher von den beiden Factoren des Erkenntnissprocesses sowohl das Seiende als auch das Ich für Erkenntniss-X ausgegeben hat; ist diese Erklärung Kant's schon in Bezug auf das Seiende sonderbar, so ist sie in Betreff des Ich gradezu wunderbar. „Durch dieses Ich", schreibt K a n t , „welches denkt, wird nun nichts weiter, als ein transcendentales Subject der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädicate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können."*) „Wie ich also sagen könne: Ich, als Intelligenz und d e n k e n d Subject, erkenne m i c h selbst als gedachtes Object, sofern ich mir noch über das in der Anschauung gegeben bin, nur, gleich a n d e r e n P h ä n o m e n e n , nicht wie ich vor dem Verstände bin, sondern wie ich mir e r s c h e i n e , hat nicht mehr auch nicht weniger Schwierigkeit bei sich, als wie ich mir selbst überhaupt ein Object und zwar der Anschauung und innerer Wahrnehmungen sein könne Wir müssen auch vom inneren Sinne zugestehen, dass wir dadurch uns selbst nur so anschauen, wie wir innerlich von uns selbst afficirt werden, d. i. was die innere Anschauung betrifft, unser eigenes Subject nur als E r s c h e i n u n g , nicht aber nach dem, was es an sich selbst ist, erkennen."**) Diese Sätze reissen uns wieder mitten in den Wirbel Kantischer Erkenntnisstheorie hinein: Das transcendentale Subject erkenne man nicht, heisst es, sondern nur die Erscheinung; woher aber weiss man, dass das „gedachte Object, welches in der Anschauung gegeben ist", Erscheinung sei? Weil es mir, sagt K a n t , in der transcendentalen Anschauungsform gegeben ist; woher aber weiss ich, dass dieselbe eine trans*) Kritik d. r. V.: „Von den Paralogismen der reinen Vernunft". **) Kritik d. r. V.. Transcendentale Deduction der reinen Verstandesbegriffe § 24.

Das Ich des erkenntnisstheoretischen Dualismus.

293

endentale Anschauungsform sei? Weil ich, wird erklärt, nur so die Allgemeinheit und Notwendigkeit der aus den Anschauungsformen gewonnenen „Erkenntnisse" begreiflich machen kann. Hat aber diese Allgemeinheit und Notwendigkeit der betreifenden Urtheile ihre Quelle in dieser „reinen Anschauung"? Mit nichten, sage ich, denn ζ. B., wenn ich auf Grund eines bestimmten Dreiecks ein Urtheil gewinne, so könnte es, wenn seine Gültigkeit an der A n s c h a u u n g s f o r m hinge, natürlich allein nur für dieses bestimmte Dreieck und höchstens noch für andere, die ihm an Gestalt und Grösse v ö l l i g g l e i c h wären, gelten; gilt dasselbe aber für alle Dreiecke überhaupt, so kann dies nur daraus erklärt werden, dass die Quelle dieses Urtheils eben der in der Anschauung gegebene B e g r i f f , nicht aber die Anschauungsform als solche ist. Wenn ich indess einmal auch von diesem Fehler absehe, so hat K a n t mit der Behauptung, die transcendentaJen Formen, in welchen das Ich Affectionen anschaut und die angeschauten denkt, e r k e n n e n zu können, seine eigne andere Behauptung, dass uns „das transcendentale Subject der Gedanken" ein E r k e n n t n i s s - X sei und dass wir „unser eigenes Subject nur als E r s c h e i n u n g erkennen", Lügen gestraft. Denn zu d i e s e m s e i n e m a n g e b l i c h e n X „ I c h " g e h ö r e n ja als sein Begriff eben j e n e t r a n s c e n d e n t a l e n F o r m e n des Anscha'uens und Begreif e n s ; das ist doch ausser aller Frage! Man hätte hier dann den eigenthümlichen Fall, den ich einen wunderbaren nennen muss, dass nemlich das „Ich" K a n t ' s sofort unvermittelt als Begriff, nicht aber als Wahrnehmung oder an ihr bewusst würde, ein Fall, der nicht anders als ein Wunder zu nennen ist, da nach dem gewöhnlichen Erkenntnisslauf das Seiende (zu dem ja auch das Kantische Ich nach K a n t gehört) z u n ä c h s t als W a h r n e h m u n g und auf G r u n d d e s s e n als B e g r i f f erkannt wird. Wenn K a n t aber liegenden Widerspruch heit daraus zu erklären, Fehler verfiel, welchen

diesen in seinen beiden Behauptungen nicht gesehen hat, so ist seine Blinddass er in Betreff des Ich in denselben vor ihm und nach ihm so Viele mit

294

Das Seiende und das Ich.

dem Ding an sich oder mit der „Substanz", welche sie für „das Ding" im eigentlichen Sinn hielten, begingen, indem sie „das Ding und seine Eigenschaften" derartig auseinander hielten, dass „das Ding" (Substanz) ein f ü r s i c h g e g e b e n e s R e a l e s sein sollte, an welches sich die Eigenschaften wie an ihren „stummen Diener" anhingen. Wie hier eine Verobjectivirung des Begriffs „räumliche Wahrnehmung" oder des Begriffs „Substanz" Statt fand, so verobjectivirte K a n t in seinem „transcendentalen Subject" eben den Begriff „logisches Subject". Da nimmt es denn nicht Wunder, dass dieses P h a n t a s m a dem Erkennen ein stetes X bleibt, und dass schon K a n t von diesem verobjectivirten Begriff „nicht den mindesten Begriff" haben konnte: denn das Phantasma ist ja kein Seiendes, daher auch keine mögliche Erkenntniss als Wahrnehmung und Begriff. In eine solche Selbsttäuschung nun ist der erkenntnisstheoretische Dualismus freilich nicht gerathen, der es vielmehr für seine Pflicht erkannte, sich allem Anderen voraus mit dem erkennenden Ich als „Seiendem" zu beschäftigen und über das Sein desselben sich Rechenschaft zu geben. Er war es daher auch, von welchem die Erklärung ausging, dass die Psychologie die grundlegende Wissenschaft überhaupt wäre, eine Behauptung, die wenigstens verständlich wird, wenn man sieht, dass selbst die grundlegende philosophische Wissenschaft „Erkenntnisstheorie" nach Ansicht des Dualismus noch der Psychologie als ihres Grundes wiederum bedürfen soll. Dies erscheint durchaus consequent gedacht von Seiten des Dualismus; er aber sieht sich bald in höchster Verlegenheit, wenn er nun dieses sein Ich mit dessen Bewusstseinssaal aufzeigen soll. Es stellt sich heraus, dass nichts von solchem Ich zu finden sei, und wir sehen daher auch die Psychologie des Dualismus, freilich immer unter der Fiction eines „inneren Seins", in Wirklichkeit nur mit den psychischen A c t e n , zu denen allerdings natürlich auch das Erkennen gerechnet werden muss, sich beschäftigen. Diese Beschäftigung aber, so wichtig sie als wissenschaftliche ist, kann offenbar für die Erkenntniss-

Der erkenntnisstheoretische Monismus und das Ich.

295

theorie speciell keine Grundlage schaffen, da diese es ja nicht mit dem realen Act „Erkennen" als solchem, sondern mit dem Bewusstwerden des S e i e n d e n zu thun hat. Die Psychologie ist, wie stets zu beachten ist, eine Wissenschaft von dem bestimmten Seienden, welches wir unter den Begriff „Seele" bringen, sie sucht daher auch das E r k e n n e n als bewusstgewordenes Seiendes zu erforschen; die E r k e n n t n i s s t h e o r i e dagegen ist überhaupt keine Wissenschaft vom Seienden sondern eine W i s s e n s c h a f t vom B e w u s s t - S e i n . Das wissenschaftliche „Object" ist in beiden Wissenschaften daher trotz Allem ein so verschiedenes, dass niemals eine derartige abhängige Verknüpfung, wie sie der erkenntnisstheoretische Dualismus vorgenommen hat, eine Berechtigung erlangen darf. Und doch scheint noch immer an einer Stelle das Gebiet der Psychologie dasjenige der Erkenntnisstheorie zu kreuzen, und diese Stelle ist der menschliche Organismus; denn sowohl die eine als die andere Wissenschaft nimmt ihn in ihre Betrachtung hinein. Die Art und Weise indess, wie dies geschieht, ist eine so durchaus andere, dass auch von hier aus nicht ein Abhängigkeitsverhältniss der Erkenntnisstheorie zur Psychologie geboten sein würde. Denn die letztere benutzt den menschlichen Organismus zur Erklärung der psychischen Acte und sieht sich daher genöthigt, die P r o c e s s e desselben genau zu erfassen, um einen etwaigen Causalzusammenhang zwischen dem organischen und dem psychischen Geschehen zu entdecken, die Erkenntnisstheorie dagegen zieht den menschlichen Organismus in ihren Bereich, um das Bewusst-Sein zu erklären; sie beschäftigt sich nicht mit den P r o c e s s e n des Organismus, sondern mit dem Organismus als gegebenem Realen, d. i. als dem Dinge. Den menschlichen Organismus überhaupt i u r Erklärung des Bewusst-Seiushereinzunehmen, kann natürlich keine Erkenntnisstheorie umgehen; benutzen kann denselben jedoch, ohne inconsequent und ihrem Princip untreu zu werden, nur diejenige Erkenntnisstheorie, welche, wie der erkenntnisstheoretische Monismus oder der Dualismus eines Bacon, das S e i e n d e s e l b s t als

296

Das Seiende und das' Ich.

mögliche Erkenntniss erklärt. Wer aber, wie K a n t , die Erkenntniss des Seienden leugnet, und doch den menschlichen Organismus, welcher ihm dann ja auch, insofern er ihn erkennt, nur E r s c h e i n u n g sein kann, als S e i e n d e s für die Construction seiner Erkenntnisstheorie benutzt, der stellt damit seinem erkenntnisstheoretischen Princip ein Bein; und ich habe desshalb bei anderer Gelegenheit schon darauf hingewiesen, dass sich grade hier der faule Punkt in der Grundlegung Kantischer Erkenntnisstheorie befinde. Um nemlich dasjenige, was er Erscheinung, „empirisch real", nennt, von dem „Hirngespinnst" unterscheiden zu können, ist Kant natürlich auch genöthigt, zum seienden Organismus, welcher Affectionen empfängt, seine Zuflucht zu nehmen; die e m p i r i s c h e Realität der „Erscheinung" knüpft sich ihm also in Wirklichkeit an die angenommene a b s o l u t e R e a l i t ä t des Organismus. Wenn K a n t diesem letzteren nun später nur empirische Realität vindicirt, so ist damit dann die empirische Realität der Erscheinungswelt überhaupt wieder gänzlich in Frage gestellt, und diese könnte erst wieder mit einiger Aussicht behauptet werden gegen den Schein der Illusion, wenn sich ein anderer „Organismus" entdecken liesse als absolut realer, welcher wiederum jenem ersten degradirten Organismus wenigstens die empirische Realität sicherte. Da aber dieser andere„ Organismus" bislang selbst in der viel und nichts sagenden Lange'schen „Organisation" nicht entdeckt worden ist, und, wenn er entdeckt würde, gemäss dem Kantischen Princip nur denselben Weg gehen könnte wie sein Vorgänger, so dass dann wieder ein dritter „Organismus" zur Stütze des Ganzen entdeckt werden müsste, — so könnte sich der Kantianismus vor dem Sturz in den absoluten Illusionismus nur durch die Inconsequenz retten, dass er in dem Organismus des Menschen ein Seiendes „wie es ist" erkannt zu haben erklärte. Der erkenntnisstheoretische Monismus seinerseits setzt zunächst den menschlichen Organismus, wie er „erscheint", als seiend voraus und findet dann diese seine Voraussetzung durch den Verlauf seiner Untersuchung, die aber ihrerseits in ihrem

Der erkenntnisstheoretische Monismus und das Ich.

297

monistischen Resultat, wie man ohne Weiteres einsehen wird, nicht im Geringsten durch jene Voraussetzung beeinflusst worden ist, vollkommen als wahr bestätigt. Während er aber diese seine Annahme, dass der Organismus, dieses nothwendige Mittel des Erkennens, Seiendes sei, als volle Wahrheit erkennen kann, so bleibt doch die grundlegende Hypothese vom Seienden überhaupt ewig Hypothese, die freilich empirisch der Gewissheit durchaus gleichkommt. Was nun das Ich selbst und die Frage: „was ist das Ich?" betrifft, so fallt diese Angelegenheit für den Monismus durchaus nicht in's Gebiet der Erkenntnisstheorie; denn „Ich" ist für ihn ja nur das logische oder erkenntnisstheoretische Subject, welchem das Seiende im Erkenntnissprocess logisches oder erkenntnisstheoretisches Object wird. Dieses „ O b j e c t w e r d e n " des Seienden aber ist es allein, was die Erkenntnisstheorie in Anspruch nimmt, und das Ich, welches logisches Subject ist, erregt als etwaiges Seiendes in keiner Weise das Interesse der Erkenntnisstheorie. Insofern dasselbe sich aber als ein Seiendes erwahren sollte, so fallt es für die Erkenntnisstheorie eben unter das Seiende als Wahrnehmung und Begriff überhaupt, und die specielle Beantwortung: „was ist dieses Seiende, welches „Ich" genannt wird?" ist somit der Specialwissenschaft vom Seienden „Ich", der Psychologie, zuzuweisen. In gewissem Sinne liesse sich nun also sagen, dass die beiden Factoren des Erkenntnissprocesses, Seiendes und Ich, X für die Erkenntnisstheorie seien, insofern diese nemlich weder die Frage: „was ist das Seiende?" noch diejenige: „was ist das Ich?" zu beantworten hat. Zu diesen Fragen steht sie vielmehr nur in derjenigen Beziehung, in welcher sie überhaupt zu allen wissenschaftlichen Fragen und zu allen Wissenschaften vom Realen steht, indem sie nemlich den Forscher nach rechts und nach links vor der Versuchung, Begriffe zu verobjectiviren und die Wahrnehmungswelt zu degradiren, sowie vor der anderen, die Realität der Begriffe zu

298

Das Gebiet des Erkennens.

leugnen, bewahrt und es ihm in's Bewusstsein bringt, das der Forschung offenliegende Seiende, das Reale, sei die W e l t als Wahrnehmung und Begriff.

12. Das Gebiet des Erkennens. AVenn dasjenige unseres Bewusstseinsinhaltes, welches bes t i m m t e Wahrnehmung oder reale Vorstellung oder realer Begriff ist, die Erkenntniss bildet, so wird, da Erkenntniss allein das bewusstgewordene S e i e n d e bedeuten kann, kurz

gesagt

dasjenige Seiende das Gebiet des Erkennens ausmachen, welches Wahrnehmung und Begriff ist oder werden kann.

Da

nun aber Wahrnehmung und Begriff das R e a l e ist, so Hesse sich die soeben gegebene Bestimmung auch folgendermassen ausdrücken:

dasjenige Seiende

welches das Reale ist;

bildet das

unter d e m R e a l e n

Erkenntnissgebiet, oder Wirklichen

würde nemlich dann sowohl das Seiende, welches bewusst geworden

ist,

als

auch

dasjenige,

welches

bewusst

werden

k a n n , begriffen sein*). *) Es ist interessant, den. Ursprung der beiden Wörter real und wirklich, mit denen das bewusstgewordene Seiende ausgedrückt wird, sich klar zu machen. Das von der Scholastik (vgl. R. Eucken: „Grundbegriffe der Gegenwart S. 226) zuerst angewendete Wort real würde in's Deutsche übersetzt heis&en „dinglich"; die Scholastiker knüpften also an die Bedingung des Dinglichseins die Realität, und man erkennt darin als treibenden Grund wieder jenen Hang der menschlichen Natur, welcher auch die realen Begriffe zu verdinglichen trieb. Das Wort „wirklich" dagegen leitet sich her von „wirken", so dass also dasjenige Seiende, welches auf den Menschen w i r k t oder wenigstens wirken kann, „wirklich" genannt wird; unter der „Wirkung" würde die Empfindung zu verstehen sein. So wäre denn hauptsächlich „real", was als Ding, und „wirklich", was durch Empfindung, dem Ich gegeben ist; damit lässt sich aber auch durchaus der Gebrauch heutiger Zeit reimen, wenn man nur den Ausdruck Ding nicht etwa presst, sondern a l l e bestimmten Wahrnehmungen unter ihm befasst sein lässt; denn bewusstgewordenes Seiendes ist das als Ding (Wahrnehmung und Begriff) und am Ding (Begriff) Gegebene, sowie das direct (Wahrnehmung) und indirect (Begriff) durch Empfindung Gegebene.

Reales und Erfahrung.

299

Damit wäre nun, wie es den Anschein hat, inhaltlich noch gar nichts bestimmt, ja es könnte scheinen, als ob diese Erläuterung in blossen Tautologien sich bewege und nur in Auswechselung von Wörtern bestehe: Erkenntniss heisst das bewusstgewordene Seiende, Reales heisst das bewusstgewordene Seiende, also ist das Reale die Erkenntniss. Dieser Tadel aber trifft nicht zu, weil ich das Reale auch inhaltlich bestimmt habe als Wahrnehmung und Begriff, und weil es zudem sich hier nun überhaupt nicht darum handelt, Erkenntniss und Reales in ihrem logischen Verhältniss j u einander zu bestimmen, sondern vielmehr Reales und Seiendes gegen einander zu halten. Wenn gleich alles Reale Seiendes ist, so folgt daraus noch keineswegs, dass alles Seiende Reales sei. Dass die Begriffe Reales und Seiendes inhaltlich nicht zusammenfallen, wird heutzutage nicht so grosses Staunen erregen, seitdem K a n t das R e a l e ganz richtig auf das als W a h r n e h m u n g und B e g r i f f dem erkennenden Ich Gegebene oder, wie er selbst sich ausdrückt, auf die E r f a h r u n g fixirt und die philosophische Welt so an die Unterscheidung beider Begriffe, real und seiend, gewöhnt hat. Die Art und Weise freilich, wie K a n t den Unterschied derselben fixirte, kann vom Monismus nicht gebilligt werden, aber dessenungeachtct gebührt dem grossen Manne voller Dank, alle E r k e n n t n i s s an die E r f a h r u n g wenigstens gebunden zu haben, so dass nun Reales und Erfahrung als Wechselbegriffe anerkannt werden. Der Verwechselung der Begriffe Reales und Seiendes machte K a n t bekanntlich dadurch von seinem Standpunkt aus ein gründliches Ende, dass er sie für disparate Begriffe erklärte; er griff zu diesem Mittel, weil er es für ein n o t w e n d i g e s ansah*), „um die Gültigkeit der sinnlichen Erkenntniss einzuschränken". Ich muss nun gestehen, dass die Nothwendigkeit eines solchen Begriffes, wie K a n t ' s „Ding an sich" einer ist, „um die Sinn*) S. S. 13.

300

Das Gebiet des Erkennens.

lichkeit in Schranken zu setzen", von mir nicht eingesehen wird. Der Monismus sieht sich eben in dieser Angelegenheit K a n t gegenüber in einer eigenthümlichen Lage, indem er zu K a n t ' s Aufstellungen, ich möchte sagen, im gleichen Augenblicke Ja und Nein sagen muss. Wird nemlich abgesehen von der fundamentalen Differenz in Betreff des logischen Verhältnisses von Realem und Seiendem (Ding an sich), so trifft der Monismus mit dem Kantianismus durchaus zusammen in der Behauptung, dass die menschliche E r k e n n t n i s s in ihrem Umfang mit dem Realen sich decke, und dass daher die Erkenntnissurtheile nur allein für das Reale Gültigkeit haben. Aber es ist nicht einzusehen, dass es, um die Erkenntnissurtheile.auf das Reale allein abzielen zu lassen, jenes Grenzbegriffs bedürfe. Gerne will ich einräumen, nicht zwar die Nothwendigkeit, aber wohl die Zweckmässigkeit desselben für eine Zeit, in welchernoch Alles in der Anschauung zweier „Welten", d. h. zweier verschiedener, dem menschlichen Bewusstsein zugänglicher Seienden, gefangen gehalten wurde. Denn als man noch glaubte, dass das „Uebersinnliche" ein Gegenstand menschlichen Erkennens sei, da hatte es sicherlich grossen Werth, auf unsere Erkenntniss als auf die „sinnliche" hinzuweisen, welche demnach in ihren Urtheilen auch nur für das „Sinnliche" Gültigkeit haben könnte, und da mochte die Erklärung, dass das „Ding an sich" nicht unter die „sinnliche" Anschauung zu bringen sei, wohl einen grossen erzieherischen Werth haben und dazu beitragen, dass man von jenen „wissenschaftlichen" Speculationenüber das „Uebersinnliche" abstand und die wissenschaftliche Arbeit allein dem „Sinnlichen" oder Realen widmete. N o t h w e n d i g zur „Beschränkung der sinnlichen Erkenntniss" kann aber der Begriff des Ding an sich, d. i. des unerkennbaren Uebersinnlichen, nur für denjenigen erscheinen, welcher dieses letztere eben nicht streng als „Uebersinnliches", sondern, wenn der Ausdruck gestattet ist, als übersinnliches Sinnliches ansieht, so dass er mit jenem Grenzbegriff in der Hand gleichsam Angesichts seines „Uebersinnlichen" sich sagt: es ginge wohl,

301

Das „Uebersinnliche"

aber es geht nicht; da thun denn allerdings die Zügel Noth. Diese Schutzvorrichtung hat man von sich selbst aus indess nur desshalb erforderlich gemacht, weil man w i l l k ü r l i c h noch eine zweite Welt, d. i. noch ein zweites Seiendes, welches mögliches Reales sein soll,

fingirte.

Wer von dieser Fiction frei

ist, hat auch für keine Sicherheitsmassregeln, wie sie im Ding an sich gegeben sein sollen, zu sorgen, um die Fiction nicht zum Gegenstand seiner Speculation zu machen. Der erkenntnisstheoretische Monismus pflichtet dem Kantianismus nun durchaus bei, dass die menschlichen Erkenntnissurtheile allein auf das als Wahrnehmung und Begriff sich bietende Reale gehen und gehen können, da sie Aussagen von Erkenntniss

sind und Erkenntniss

eben das als Wahrneh-

mung und Begriff bewusstgewordene Seiende oder das Reale ist.

Der Monismus sieht sich aber desshalb keineswegs in

die Lage versetzt, noch einen Grenzbegriff aufzustellen, um sich in Schranken zu halten.

Ohne eines solchen Begriffes

sich zu bedienen, weiss er zwischen Erkenntniss und Hirngespinnst, wie ich früher entwickelt habe, zu unterscheiden und nur das als Erkenntniss anzuerkennen, was sich als Reales legitimirt hat; und, ohne einen solchen Begriff zu Hülfe zu nehmen, vermag er die verobjectivirten Begriffe und die Phantasievorstellungen als Phantasmata zu brandmarken und ausser dem Bereich der Wissenschaft zu halten. Ich behaupte aber ferner auch, dass der Monismus viel leichter und weitaus reiner sich freimacht von allen solchen, die Erkenntnissurtheile beeinflussenden, Phantasmata, als es K a n t mit seinem Dingansichbegriflf vermag.

Das unter dem

Schutze des Ding an sich proclamirte „ n o n l i q u e t " nemlich schützt immerhin solche „Ideen", welchen man um eines persönlichen oder allgemein menschlichen Zweckes willen besonders wohl will, vor der Rumpelkammer des Himgespinnstes, während andere Phantasmata, welche sich dieser Gunst nicht erfreuen, um eines einzigen Umstandes willen, den jene „Ideen" aber in gleicher Weise an sich tragen, nemlich um ihres Widerspruchs willen mit der Erfahrung überhaupt, ruhig unter die Hirnge-

302

Das Gebiet des Erkennens.

spinnste gestossen werden. Dass den letzteren ganz Recht geschieht, bestreitet der Monismus durchaus nicht, er bestreitet aber energisch dem Kantianismus das Recht, über einige wenige Ideen, die mit jenen „Hirngespinnsten" an derselben theoretischen Krankheit leiden, die schützende Hand zu halten. Es ist ein schlechter Grund, der freilich überhaupt im Kantianismus als Satz von der „ m e n s c h l i c h e n O r g a n i s a t i o n " den deus ex machina spielt in allen schwierigen Lagen, — es ist ein schlechter Grund, wenn man die mögliche Realität jener Ideen dadurch zu begründen sucht, dass es in der menschlichen Natur liege, sie zu bilden, und dass der Mensch von ihnen sich nicht frei machen könne. Freiheit, d. i. ein ursachloses Handeln, und Gott, sagt K a n t , seien ζ. B. zwei solcher Ideen; aber hat es denn nicht schon viele Menschen gegeben, die sich von diesen „Ideen" haben frei machen können und frei gemacht haben ganz aus demselben Beweggrunde, welcher die Kantianer bestimmt, anderen Vorstellungen den Abschied zu geben? Und woraus anders resultirt denn die verschiedene Stellungnahme des Kantianismus zu den verschiedenen mit der Erfahrung überhaupt in Widerspruch stehenden Vorstellungen und Begriffen, als aus dem unseligen Grenzbegriff Ding an sich? Derselbe stempelt ja das Reale zur „Erscheinung", und lässt daher die Möglichkeit immer noch offen, dass die „Ideen", wenn sie auch mit der Ers c h e i n u n g s e r f a h r u n g in Widerspruch stehen, ein S e i e n d e s , ein Ansich repräsentiren. Ist dem aber so, dann können die von den Kantianern zu Hirngespinnsten gemachten Vorstellungen mit eben demselben Recht verlangen, als Seiendes in das Ansichregister eingetragen zu werden. Der Monismus seinerseits kommt nie in die Nöthigung, solche Achselträgerei ausüben zu müssen; weil nach ihm das · Reale S e i e n d e s ist, werden sich alle Vorstellungen und Begriffe, die den Anspruch erheben, Seiendes zu repräsentiren, vor den Richterstuhl der Erfahrung begeben müssen, um mit dem Massstab des Realen gemessen und entweder als mögliches Reales oder als Hirngespinnst aus der Prüfung hervor-

Das j-Uebersinnliche" und das Bewusstsein.

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zugehen. Dem Monismus fehlt durchaus in Ansehung der Vorstellungen des Ich die dritte Rubrik: „möglicherweise Seiendes aber unmögliches Reales" einfach aus dem Grunde, weil ja in Wahrheit alle Vorstellungen des Ich ihren Ursprung, wie schon L o c k e sagte, aus der „einfachen" Vorstellung oder der Wahrnehmung herleiten, wesshalb auch das Seiende, welches sie angeblich repräsentiren, nur das Seiende, welches eben mögliches Reales, mögliche Wahrnehmung und möglicher realer Begriff ist, sein könnte, und daher, wenn sich diese Möglichkeit bei der Probe am Realen als unmöglich erweist, mit sicherer wissenschaftlicher Berechtigung als Hirngespinnst gebrandmarkt wird, ohne dass der Vorwurf, durch diese „dreiste Verneinung" in den „Fehler der Unbescheidenheit" verfallen zu sein, irgendwie angebracht wäre. K a n t hat dem Empirismus solche dreiste Verneinung vorgeworfen; in dieser Beziehung aber ist der Empirist in seinem guten Recht; denn jene in Frage stehenden „Vorstellungen" haben ja so durchaus den allgemeinen erkenntnisstheoretischen Character von Wahrnehmung und Begriff überhaupt, dass sie ohne Gnade dem Wahrspruch des Realen sich fügen müssen. Immerhin aber ist dem Empiristen grade angesichts seiner Haltung gegenüber solchen problematischen Existenzen, wie es die verobjectivirten Begriffe oder sonstigen Vorstellungen und Begriffe der Phantasie sind, ein Vorwurf, ja vielleicht ein Doppelvorwurf nicht zu ersparen. Denn einmal zeigt er sich derartigen Phantasmata gegenüber fast immer geneigt, sofort das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Empirismus ist j a eben die Philosophie des „Bildungsphilisters"; er denkt sehr selten daran, eine Revision seiner „Philosophie" vorzunehmen, sei es dass er ζ. B. den Begriff „Freiheit" untersuche, ob nicht als Kern ein realer Begriff darin enthalten sei, oder dass er einem verobjectivirten Begriff, ζ. B. Geist, sein phantastisches Kleid herunterreisse und als blanken Kern desselben einen durchaus realen Begriff entdecke. In dieser Hinsicht hat der Monismus von seinen eigenen Untersuchungen gelernt, und er

304

Das Gebiet des Erkeimens.

verzweifelt nicht sofort bei einem Phantasma, sondern sucht, wo immer es möglich ist, in demselben etwas Reales zu finden. Der Hauptfehler aber, welcher dem Empirismus angeboren ist, besteht darin, dass er alles Seiende ausser dem Realen schlechterdings leugnet; und das ist nun das Zutreffende in K a n t s Vorwurf, nicht dass der Empirist „Vorstellungen", welche dem Realen widersprechen, „dreist verneint", sondern dass er überhaupt neben dem Realen, also n e b e n dem als Wahrnehmung und Begriff bewusstwerdenden Seienden, anderes Seiendes rundweg leugnet. Bevor ich aber zum Schluss auf die bei Anlass von diesem Fehler des Empirismus aufzuwerfende Frage, ob Reales und Seiendes Wechselbegriffe bilden, oder ob der erstere dem letzteren untergeordnet sei*), eingehe und dieselbe zum Austrag bringe, will ich noch auf einen weiteren Vorzug, welchen der erkenntnisstheoretische Monismus vor der Kantischen Erkenntnisstheorie voraus hat, hinweisen, zumal dieses im engen Zusammenhang mit der soeben angedeuteten Frage steht. Wenn man wiederum einmal absieht von der Differenz, welche zwischen Monismus und Kantianismus obwaltet in Ansehung des „Realen" als „Erkenntniss", so treffen sie beide darin zusammen, dass sie die Möglichkeit eines Seienden ausser dem Realen anerkennen; der Monismus scheidet aber auch in diesem Punkte zweifelsohne und rein j e n e s Seiende vom Realen, während die Beiden bei K a n t in geheimnissvoller Verschlingung auftreten. Diese Verschlingung in Kants System ist nur das Gegenstück jener Verschwommenheit der Auffassung in Betreff der - „Ideen". Wie der Monismus aber dort rundweg alle Vorstellungen, mochten sie repräsentiren, was sie wollten, verneinte, wenn sie nemlich dem Realen wider-

*) Die Frage, ob, wie K a n t meint, Reales und Seiendes disparate Begriffe seien, ist bereits in dem Früheren Gegenstand der Erörterung gewesen und, wie ich glaube, hinreichend der Prüfung unterzogen worden.

Die zwei

305

Seienden.

sprachen,* so erklärt er hier ebenso kurz und klar, dass das Ich von dem Seienden, welches nicht Reales sei oder werden könne, n i c h t s wisse, und dass Vorstellungen, welcher Art sie immer seien, a b s o l u t n i c h t s von jenem Seienden repräsentiren können. Auf Grund seiner Erkenntniss, dass alle Vorstellungen des Ich auf Wahrnehmungen, also auf Reales, als ihren Quell zurückführen, dass dieselben demnach durchaus den a l l g e m e i n e n erkenntnisstheoretischen Character des Realen an sich tragen, und demzufolge natürlich auch, wenn überhaupt auf Seiendes, nur auf dasjenige Seiende gehen können, welches Reales sei oder werden könne, — erklärt der Monismus mit voller wissenschaftlicher Berechtigung, dass das Seiende ausser dem Realen in keiner Weise dem Bewusstsein zugänglich sei. Der Kantianismus dagegen, welcher ja leider an dem non liquet krankt, hält es wenigstens für d e n k b a r , dass es „ein den Ideen entsprechendes Seiendes" gebe, obwohl man sich freilich von solchem Seienden k e i n e n „ B e g r i f f " machen könne. Mit diesem Kantischen non liquet aber, welches für die Wissenschaft in der That ein βδέλυγμα της έρημώσεως ist, muss endlich einmal aufgeräumt werden. K a n t erklärt selbst und mit ihm die Kantianer, von solchem nonliquet-Seiendem könne man sich keinen Begriff machen; wenn man aber dies nicht kann, so wird man sich wohl auch keine V o r s t e l l u n g von demselben machen können: wenn aber Beides nicht, dann wird uns dieses fragliche Seiende ja in k e i n e r Weise bewusst! Also die Ideen, welche wir besitzen, sind weder als Vorstellung noch als Begriff in irgend einer möglichen Weise Repräsentanten dieses Seienden, folglich wären sie, da sie auch dem Realen widersprechen, nun doch selbst vom Kantianismus als Hirngespinnst zu verurtheilen. Das non liquet aber hätschelt trotz alledem weiter mit solchen „unvorstellbaren Vorstellungen" und „undenkbaren Begriffen" herum, die weder im Realen noch im Ansich auch nur einen möglichen Fuss festmachen können. Um nun zu der Frage, welche die Differenz zwischen R e h m k e , Die Welt als Wahrnehmung u. Begriff.

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Das Gebiet des Erkennens.

Empirismus und Monismus beschlägt: ob nemlich ausser dem Realen noch Seiendes angenommen werden dürfe, oder ob Seiendes und Reales (d. i. Reales und mögliches Reales) Eins seien, überzugehen, so wird sich der Monismus nun wohl sofort zu vertheidigen haben, dass er, der soeben noch dem Kantianismus das non liquet vorgeworfen, jetzt seinerseits ein Seiendes, von dem man ebenfalls keine Vorstellung und keinen Begriff haben kann, dennoch neben das bewusstgewordene Seiende zu stellen sich erdreistet. Gegen diesen Vorwurf ist zu bemerken, dass im Monismus das fragliche Seiende nicht als ein bestimmtes Seiendes neben das Reale tritt, sondern nur ganz allgemein als Seiendes hypothesirt wird, wie ja auch zur Grundlegung der Erkenntnisstheorie ein Seiendes angenommen wird, welches letztere aber grade sich durch seine Beziehung zum erkennenden Ich von dem fraglichen ersteren unterscheidet. Von dem ausser dem Realen hypothesirten Seienden wird keine einzige nähere Bestimmung, durch welche dasselbe ja schon in den Bereich möglichen Erkennens gezogen würde, ausgesagt, weil jede Bestimmung dem Realen, der wirklichen Erkenntniss, entnommen sein müsste, denn andere „Bestimmungen" stehen dem erkennenden Ich eben nicht zur Verfügung. Die Aehnlichkeit eines solchen hypothesirten unerkennbaren Seienden mit dem Kantischen Ding an sich ist keineswegs zu verkennen, aber dabei darf man doch nicht den schwerwiegenden Unterschied, welcher zwischen den Beiden besteht, ausser Acht lassen, da jenes Seiende vom Monismus ohne irgend welche mögliche Beziehung zum Ich, das Ding an sich aber von K a n t in ein causales Verhältniss zum afficirbaren Menschen gesetzt und dadurch mit einer Bestimmung des Realen oder Erkennbaren belastet ist, welche es irgendwie dem Dunkel des „Uebersinnlichen" entrückt. Jenes vom Monismus ausser dem Realen d. i. dem bewusstgewordenen Seienden angenommene Seiende hat also gar k e i n e e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e B e d e u t u n g , w e i l es weder e r k e n n b a r i s t noch in i r g e n d e i n e r W e i s e für d e n

307

Das Uebersinnliche und der Empirismus.

Erkenntnissprocess ü b e r h a u p t verwendet werden darf. Man könnte nun versucht sein zu erklären, dass in die vom Monismus hypothesirten zwei Seienden, von denen also das eine unerkennbar, das andere aber im Erkenntnissprocess ein Hauptfactor ist, das Kantische Ding an sich auseinandergelegt wäre; verhielte sich dieses so, dann würde diese Zerlegung eine sehr heilsame genannt werden müssen, da die erwähnten, den zwei Seienden getrennt anhaftenden Bestimmungen das eine Ding an sich, dem sie zusammen dann zugeschrieben würden, zu einem vollkommenen Widerspruch machen müssten. Durch eine solche Zerlegung ist es dann auch erst möglich, der bemitleidenswerthen „Erscheinung" aus ihrem Scheinleben zum Sein zu verhelfen. Vergleicht man dieses monistische Verfahren nun ferner noch mit jener Erkenntnisstheorie, welche von der Ansicht geleitet war, dass wir das Seiende nur theilweise erkennen, wie ζ. B. L o c k e meinte, so hat die Annahme des Monismus auch mit dieser eine nicht geringe Aehnlichkeit. Indess auch hier gilt es, den grossen Unterschied zu betonen, dass Lock a und seine Genossen dasjenige Seiende, welches sie als das unerkennbare erklärten, in des Wortes verwegenster Bedeutung als einen Τ heil ansahen, welcher mit dem erkennbaren Seienden als seinem anderen T h e i l ein in der Phantasie vorgestelltes Ganzes ausmachen sollte. Dagegen eben erklärt mit Recht der Monismus das Seiende, welches bewusst wird, für ein Ganzes, und hütet sich wohl, eine solche erkenntnisstheoretische Bestimmung auf das unerkennbare Seiende, in welcher Weise das auch immer geschehen möchte, mit anzuwenden. Der Monismus hütet sich in jeder Hinsicht überhaupt, dem fraglichen Seienden eine Bestimmung, die angeblich demselben entweder an sich oder in seinem Verhältniss zum bewusstwerdenden Seienden zukommen soll, beizulegen, weshalb er schon mit einigem Bedenken die Erklärung abgiebt, dasselbe sei ein Seiendes n e b e n oder a u s s e r dem ErkenntnissSeienden; denn mit diesen r ä u m l i c h e n , dem Realen ent20*

808

Das Gebiet des Erkennens.

nommenen, Verhältnissbegriffen darf ja nur im Bilde ausgedrückt sein, dass irgendwie noch Seiendes möglich sei. Gegenüber dem Empirismus nun nimmt in vorliegender Frage der Monismus die völlig gleiche Stellung ein, wie sie der Kantianismus inne hat, denn das „Unerkennbare" des Monismus fällt in dieser Hinsicht völlig zusammen mit dem „Ding an sich". Auf dem Gebiet des Erkennens selbst wird aber zwischen dem Empiristen und dem Monisten sogar nicht einmal der Schein eines Gegensatzes, wie ihn das schaukelnde Ding an sich K a n t s im Empiristen immerhin leicht erweckt, aufkommen; das Reale allein ist Erkcnntniss, und eine jede Vorstellung, welche dem Realen widerspricht, kann nicht Seiendes darstellen: so lautet der Grundsatz des Empirismus und des Monismus. Aber es streitet dem Monismus gegen sein wissenschaftliches Gewissen, noch weiter mit dem Empirismus zusammen zu gehen und auch noch zu erklären: das bewusstwerdende Seiende ist einzig das Seiende. Mit gutem Grunde hat K a n t diesen Empirismus in die Schranken gewiesen; denn, wenn des Empiristen Ansicht auch unzweifelhaft wahr ist, dass wir nemlich von Seiendem (dass es sei und was es sei) nur w i s s e n , indem es uns erscheint, das will sagen, indem wir es wahrnehmen und begreifen, so geht eben doch gerade aus dieser unumstösslichen Wahrheit die andere hervor, dass wir angebliches Seiendes, welches unerkennbar sei, d. i., welches Wahrnehmung und Begriff nicht werden könne, weder b e j a h e n n o c h v e r n e i n e n können. Auch diese Stellung eines Unparteiischen aber zwischen den Positiven und Negativen in Ansehung desjenigen Seienden, welches von den Positiven mit Vorliebe das Uebersinnliche genannt wird, nimmt der Monismus sicherer ein als der Kantianismus, was sowohl in Hinsicht auf jenes Seiende selbst, als auch in Bezug auf die Zurückweisung der beiden Extreme zu Tage tritt. Für's Erste ist jenes Seiende hypothesirt; damit ich dies hypothesiren könne, muss ich unumgänglich einen a l l g e m e i n e n Begriff vom Seienden schon besitzen; der Monismus kann sich nun ausweisen, dass ihm diese Bedingung

Das Uebersinnliche und die Phantasievorstellung.

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nicht fohlt, da er im Realen S e i e n d e s und in Folge dessen auch den allgemeinen Begriff des Seienden besitzt. Der Kantianismus dagegen sieht sich hier völlig von allen Hülfsmitteln entblösst, da er nach seiner eigenen bestimmten Aussage in k e i n e r W e i s e Seiendes gegeben haben, demnach auch keinen Begriff v o m S e i e n d e n b e s i t z e n und d a h e r m i t w i s s e n s c h a f t l i c h e m R e c h t k e i n S e i e n d e s h y p o t l i e s i r e n kann*). Das Kantische Ding an sich also kann sich unmöglich als wissenschaftliche Hypothese legitiiniren. Von K a n t ' s Seite wird augenscheinlich mit völlig Problematischem, von Seite des Monismus jedoch mit wissenschaftlich Hypothetischem gegen den Empirismus und gegen dessen Antipoden gestritten. Was dann den Urtheilsspruch nach rechts und links selbst angeht, so zeigt sich allein der Monismus völlig unparteiisch. Der Kantianismus gleicht in dieser Angelegenheit demjenigen Richter, welcher einen streitigen Gegenstand in zwei mathematisch genau gleiche Hälften zerlegt, jedem der fordernden Parteien einfach eine Hälfte zutheiit, und damit seine Unparteilichkeit bewiesen zu haben glaubt. Aber das kann doch nicht als Zeichen der Unparteilichkeit gelten, wenn den Parteien ohne Weiteres Gleiches zugewiesen wird; es gilt für einen unparteiischen Spruch, vor Allem die Forderungen der Parteien in ihrer Berechtigung zu prüfen, und gerade dies lässt sich der Monismus angelegen sein. Sein Resultat ist daher auch nicht eine absolut gleiche Vertheilung der Rechtsansprüche respective der Entziehung von Ansprüchen. Im Grossen und *) Dass Kant dennoch den Begriff des Seienden hat, verdankt er eben seiner Inconsequenz, die „Erscheinung" oder das Reale dennoch unter Umständen als das Seiende zu behandeln. Denn nur aus dem Realen gewinnen wir den Begriff Seiendes, und dies können wir in Wahrheit doch nur, wenn der Begriff Seiendes im Realen enthalten ist. Es zeigt dies die Wahrheit dessen, was ich früher betonte, dass wir in allen erkenntnisstheoretischen Untersuchungen, selbst die erkenntnisstheoretische Voraussetzung vom Seienden eingeschlossen, die Welt des naiven Bewusstseins, welches das Reale für Seiendes anschaut, zum Ausgangspunkt zu nehmen und von ihm für die ersten hypothetischen Grundlagen der Erkenntnisstheorie die Begriffe zu entlehnen haben. —

310

Das Gebiet des Erkennens.

Ganzen allerdings pflichtet er dem Kantischen Urtheilsspruche bei: „weder bejahen noch verneinen lässt sich das Uebersinnliche", aber er sieht sich doch genöthigt, schärfere Saiten gegen die Positiven aufzuziehen und den Negativen in einem Alinea ihre berechtigten Forderungen zu sichern, indem er den Empirismus für durchaus wissenschaftlich dazu berechtigt erklärt, jene b e s t i m m t e n „Vorstellungen" vom unerkennbaren Seienden oder Uebersinnlichen, die ja doch dem erkennbaren Seienden entlehnt und abgeguckt, und daher dem Wahrheitsspruch des Realen zu unterstellen sind, rundweg als s o l c h e zu v e r n e i n e n . So ist es denn erst der Monismus, welcher völlig Ernst macht mit dem Satze: „vom „übersinnlichen" Seienden wissen wir nichts und können wir nichts wissen"; denn wirklich Ernst kann, so paradox es auch klingen mag, nur dann mit dem Spruche gemacht werden, wenn wir selbst ein S e i e n des als E r k a n n t e s besitzen und auf Grund desselben eben gerade w i s s e n einerseits, dass wir vom Uebersinnlichen n i c h t s w i s s e n können und andererseits, dass Sinnliches das Uebersinnliche n i c h t s e i n kann. Und nur so wird dem Kantianischen, alle Wissenschaft zerfressenden, non liquet für immer der Riegel geschoben; dasselbe drängt sich aber sofort ein, wenn mit der Annahme des Kantischen Ding an sich Erkenntniss im eigentlichen Sinn ein für alle Mal verneint wird, da eben das Ding an sich.mit dem besten Beispiel des Nebulosen vorangeht. Die Frage nach dem „Uebersinnlichen" hat für die Erkenntnisstheorie und in Folge dessen für alle Wissenschaft überhaupt ihre bitterernste Seite, und eine auch nur im geringsten schillernde Antwort auf dieselbe führt das Schlimmste im Gefolge; wenn auf irgend einem Punkte, so hat hier die Erkenntnisstheorie, will sie nicht ihr eigenes Grab graben, eine runde bestimmte Antwort zu geben. In dem Suchen nach einer solchen muss man sich aber vor Allem nicht in's Bockshorn jagen lassen durch die Schreckbilder der „Anmassung" und „Unbescheidenheit", auf welche etwa warnend

Die absolute Unerkennbarkeit des „Uebersinnlichen".

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von Anderen hingewiesen wird; es giebt auch eine Species Anmassung, die mit der Bescheidenheit kokettirt. Im gewölinlichen d. i. im praktischen Leben wird es unausrottbar vielleicht und desshalb ohne Weiteres zu dulden sein, dass Sünden gegen die ersten erkenntnisstheoretischen Grundsätze begangen werden. Wie wir uns hier ruhig die Verobjectivirung der realen Begriffe: Kraft und Stoff, Materie und Geist, Wille u. A. m. gefallen lassen müssen, ja derselben uns, die wir etwa jene erkenntnisstheoretischen Grundsätze durchaus kennen, ohne Anstand selber bedienen im praktischen Gebrauch, so wird es im Leben auch mit anderen verobjectivirteo Begriffen oder Phantasievorstellungen gehen, welche etwa „zum Behufe unserer praktischen Angelegenheiten" dienen. Auch sie werden wir ohne A n s t a n d ihren Gang gehen lassen, wenn sie sich als „praktisch" d. h. z w e c k e n t s p r e c h e n d erweisen. Der Gesichtspunkt der Z w e c k m ä s s i g k e i t ist der einzige, unter welchem sie Lebensgarantie besitzen, und sie können daher stets nur mit der sichersten Aussicht auf ihren Tod die Forderung stellen, Erkenntnissrechte zu erhalten. Auch in dieser Sache stimmt der Monismus mit K a n t überein, jedoch natürlich mit der Differenz, dass monistischerseits auch die S e i n s m ö g l i c h k e i t jener „praktischen" Vorstellungen rundweg v e r n e i n t wird. K a n t hat es verschuldet, wenn auch noch heute sogenannte wissenschaftliche Anstrengungen gemacht werden, um die fraglichen „Vorstellungen" als seinsmögliche wenigstens zu retten; hätte er überhaupt Seiendes in seiner Erkenntnisstheorie anerkannt, er würde von sich aus solchen Bemühungen schlechterdings den Riegel geschoben haben durch absolute Verneinung der Seinsmöglichkeit jener „Vorstellungen". Ich habe behauptet, die Frage nach dem Uebersinnlichen habe für die Wissenschaft ihre sehr ernste Seite; es ist dies nicht nur in dem Sinne gemeint, dass die Wissenschaft die volle Unerkennbarkeit jenes hypothetischen Seienden neben der vollen Erkennbarkeit des die Voraussetzung der Erkennt-

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Das Gebiet des Erkennens.

niss bildenden Seienden, d. i. des möglichen Realen, auszusprechen habe, sondern zu gleicher Zeit soll damit betont werden, dass die Wissenschaft gar leicht in ihrem falschen Streben, jene angeblich das Uebersinnliche repräsentirenden Vorstellungen theoretisch zu legitimiren, das im „Sinnlichen" gegebene Ewige und Unendliche, den realen Begriff, übersehe; sie schweift in die Ferne und das Gute Hegt so nah! Dies Letztere richtet sich als Mahnung im Besonderen an die „Wissenschaft" von Gott, an die Theologie. Wenn sie heute fast um den Ruf der Wissenschaft zu kommen droht, so hat sie sich dieses selbst zuzuschreiben und darf nicht die sie beurtheilende Wissenschaft anklagen; und ich sehe nur eine Rettung für die Theologie, wenn sie nemlich wirklich Wissenschaft bleiben, d. h. sich mit Realem beschäftigen will, dass sie ihr „Object" Gott, welches als eine „übersinnliche" Vorstellung auftritt, seines phantastischen Umwurfs entkleidet, den r e a l e n B e g r i f f G o t t als solchen zum Gegenstand ihrer Untersuchung gewinnt und die Verobjectivirung desselben dem „praktischen" Leben allein überlässt und gestattet. So allein kann eine W i s s e n s c h a f t „Theologie" bestehen, denn es ist nicht Sache der Fachwissenschaft, mit einem p r o b l e m a t i s c h e n , einem, wie K a n t sagen würde, nicht einmal real möglichen „ S e i e n d e n " zuarbeiten, sondern ihr „Object" ist allein das bewusstgewordene Seiende, das Reale*). Es wird nun einleuchten, dass nur unter Voraussetzung des bewusstwerdenden S e i e n d e n ein unerkennbares Seiendes hypothesirt werden kann und darf (gegen K a n t ) , und dass das letztere als hypothetisches Seiendes aufgestellt bleiben m u s s (mit K a n t gegen den Empirismus), wenngleich angebliche „Vorstellungen" von jenem hypothetischen unerkennbaren Seienden kurzer Hand als reine Phantasmata zu *) Das e i n z i g e Beispiel von Theologie als W i s s e n s c h a f t , Theologie also, deren „Object" ein R e a l e s (der reale B e g r i f f ist, bietet in unserer Zeit Δ . E. B i e d e r m a n n ' s im wahren wissenschaftlich geschürzte „ C h r i s t l i c h e D o g m a t i k " (Zürich, Füssli & Co. 1869).

einer Gott) Sinne Orell,

Die absolute Uiierkenubarkeit des „Uebersinulichen".

313

erklären sind (mit dem Empirismus gegen die Positiven und gegen Kant). Aus diesen Sätzen könnte man nun zu folgern geneigt sein, dass der Monismus also doch die von ihm am Kantianismus so gerügten Grenzen des Erkennens nun von sich aus abstecken und proclamiren müsse. Diese Folgerung wäre eine vorschnelle! Der Monismus bleibt stets dabei, dass von einer Grenze nur geredet werden kann, wenn Zwei gegeben sind, also „dass es in der Natur der Sache selbst liegt, ein R e a l e s nur durch ein a n d e r e s R e a l e s begrenzen zu können"*). Diese Bedingungen aber sind hier eben nicht erfüllt: wir haben wohl „zwei" Seiende, ein erkennbares und ein unerkennbares, aber eben nur e i n Reales, während das andere ein fragliches Seiendes ist und bleibt. Es liesse sich hier also nur sagen: v o r a u s g e s e t z t , dass jenes problematische Seiende Seiendes ist, lässt sich von einer Grenze des Erkenntnissgebietes reden. Aber woher soll das Ich den Apparat nehmen, um jenes hypothesirte Seiende zu erwahren? Dasselbe ist ja nach der Hypothese selbst ein unerkennbares; ein Wissen demnach von dem Sein oder Nichtsein desselben ist gänzlich unmöglich, und so zeigt sich als gleichermassen falsch: Grenz e n des Erkermens zu p r o c l a m i r e n , und, dieselben zu vern e i n e n . Die Kühnheit aber, solche Grenzen aufzustellen, wird gradezu zur Tollkühnheit, wenn das fingirte Seiende ein so durchaus problematisches und ne buloses Dasein führt, wie Kant's Ding an sich. Je genauer man sich zunächst die erkenntnisstheoretische Berechtigung einer solchen Hypothese vom „Uebersinnlichen" ansieht und durch die gewonnene Erkenntniss vor einem Ausschreiten sowohl nach rechts als auch nach links bewahrt ist, um so kräftiger wird man auch den Versuchungen, welche uns die Erfahrung selbst bereitet, um Grenzen des Erkennens zu behaupten, Widerstand leisten. Seitdem K a n t in der Naturwissenschaft Mode geworden *)

Siehe S. 14.

314

Das Gebiet des Erkennens.

ist, hat das Dogma von den Grenzen des Erkennens auch aus naturwissenschaftlichen Kreisen Zustimmungsadressen, versehen mit „exacten" Beispielen, erhalten. Allbekannt ist jene Rede von D u b o i s - R e y m o n d : „Ueber die Grenzen des Naturerkennens !" Er ruft keck in die Welt hinaus: ignorabimus! und was giebt ihm die Veranlassung? Der Umstand, dass er nicht zu erklären vermag, wie aus Bewegung Bewusstsein werde. Aber vielleicht ist die Frage selbst falsch gestellt, indem man von einer falschen Voraussetzung ausging! Steht es denn fest, dass aus „Bewegung" Bewusstsein wird, oder ist diese Ansicht nicht vielleicht mit dem gleichen Fehler behaftet, wie jene, welche kantianisch-psychophysisch die Wahrnehmung aus der „Empfindung" werden lassen will und dieses auch nicht b e w e i s e n kann? Wenn man aus Anlass nicht zu beantwortender Fragen das Dogma der Erkenntnissgrenze ohne Weiteres proclamirt, so ist das immer ein vorschneller Schritt. Man ist vor Allem verpflichtet, die Fragen selbst zuerst zu untersuchen, ob sie berechtigt seien oder nicht; und alle jene Fragen des warum und wozu, welche der Mensch stellen kann, sind, wenn Jemand sie nicht zu beantworten vermag, nicht schon ein Beweis von Grenzen menschlichen Erkennens, da sie selbst ebenso wohl ein Product phantastischen Denkens sein könnten, so dass dann um dieses ihres Ursprungs willen natürlich aus der Erkenntniss des Realen keine Antwort für sie zu holen ist. Und wenn auch dieser Fehler den Fragen nicht zu Grunde läge, so steht doch immer noch, wenn man sich eben nicht durch Kantianische oder andere dogmatische Vorurtheile blind machen lässt, die Möglichkeit offen, dass unser Geschlecht, die Jetztzeit, freilich vor einer Grenze des Erkennens stände, die aber ein anderes künftiges Geschlecht zu überschreiten vermögen dürfte. So stellt sich eben Möglichkeit gegen Möglichkeit, und eine einsichtige Wissenschaft wird sich wohl hüten, zur Unzeit am Unrechten Ort einen, sei es positiven sei es negativen, Trumpf auszuspielen; sie wird weder das Wort: ignorabimus

Die absolute Uncrkennbarkeit des „Uebersinnlichen-

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noch das andere: non ignorabimus (wie es ein empiristischer Gegner Dubois-Reymond's, Langwieser, in einer Gegenbroschüre that) in die Welt hinausposaunen da, wo es sich um die Erklärung von Realem handelt. Das Einzige, was der Monismus in der Frage nach dem Erkenntnissgebiet rund und bestimmt aussprechen kann, ist dieses, dass das E n d e des Erkennens mit dem Ende des Realen zusammenfalle. Ob aber dieses Ende eine Grenze sei, das w i s s e n wir nicht: hier wäre also freilich das Wort ignoramus, ja auch das Wort ignorabimus an seinem wissenschaftlichen Platze. Vorwitzige Fragen aber und solche, die aus phantastischem Denken fliessen, bedürfen, um zurückgewiesen zu werden, nicht eines solchen Dogma's von wirklicher Erkenntnissgrenze, sondern können mit einer allerdings weniger glimpflichen Behandlung schon in ihrem eigenen Vorwitz und phantastischen Wesen: erstickt werden. Vom Uebersinnlichen w i s s e n wir nichts: indem der Monismus allein dieses Wort voll und ganz zum Austrag bringt, ist er allein auch fähig, einen endgültigen Frieden im einzelnen Menschen und in der Menschheit in Ansehung der Fragen nach dem Uebersinnlichen herzustellen. Wer immer zum Behufe praktischer Angelegenheiten das Uebersinn]iche bedarf (und nur ein fast auf Null sich reducirender Bruchtheil des Menschengeschlechts wird dieses Bedürfnisses entrathen können), dem fallt der Monismus, sobald Jener zugreifen und in „sinnlichen" Vorstellungen das Uebersinnliche sich im „Bilde" zu eigen machen, d. i. als Basis für sein praktisches Leben verwenden will, nicht, wie es der Empirismus thut, in die Arme, um ihn davon abzuhalten. Er lässt ihn vielmehr friedlich gewähren, aber hört zugleich nicht auf zu warnen, (fass der Mensch nie vergessen dürfe, jene „Vorstellungen" seien nur „sinnliche Bilder" des Uebersinnlichen, d. i. mit anderen Worten, da Uebersinnliches doch nicht im Sinnlichen a b g e b i l d e t sein kann, sie seien in k e i n e r W e i s e Erkenntniss-Repräsentanten des Uebersinnlichen. Diese stete Warnung ist für den Frieden heilsamer und

316

Das Gebiet des Erkenneiis.

nutzbringender als jenes Kantianische non liquet, das seine „Ideen" weder dem „Sinnlichen" noch dem „Uebersinnlichen" zu verkaufen weiss, aber die Seinsmöglichkeit derselben ohne irgend eine andere Berechtigung als diejenige, welche auf die reine Willkür pocht, als offene Frage hinzustellen wagt. Jene Warnung ist heilsamer, denn sie bewahrt in allen Fällen den Menschen davor, dass er auch nur irgendwelchen Versuch mache, die „Bilder" des Uebersinnlichen, jene „Ideen", welche sein praktisches Leben gründen, wissenschaftlich zu sichern, d. h. also sie als „Sinnliches", Reales, auszugeben. Denn wo immer dieser fruchtlose Versuch angestellt wird, da ist es mit jenem Frieden vorbei; die „Vorstellungen" werden nemlich dann dem erkenntnisstheoretischen, nicht aber, wie es allein recht ist, dem „praktischen" Gesichtspunkt unterworfen, und der Z w e i f e l , der ja nur im Gebiet der Erkenntniss, des Realen oder „Sinnlichen", nicht aber in Ansehung des „Uebersinnlichen" eine Aufgabe hat und Anwendung finden kann, ist nun grade gegenüber dem so in's theoretisch „Sinnliche" hereingezwängten „Uebersinnlichen" das Treibende der Versuche zur wissenschaftlichen Constraining des Uebersinnlichen, wenn sich der Mensch auch dieses theoretischen Motives nicht immer klar bewusst wird und es noch viel weniger Wort haben möchte, sobald er etwa darauf aufmerksam gemacht würde. Das G e b i e t des E r k e n n e n s vermag also der Monismus ohne irgend ein hypothetisches Hülfsmittel, wie es Kant im Ding an sich noch für nothwendig erachtete, zu bestimmen, und er weiss dieses Gebiet in dem Realen, d. i. in der W e l t als W a h r n e h m u n g und B e g r i f f , zu entdecken. Auch wird die Hypothese von einem unerkennbaren Seienden, welche der Monismus aufstellt, nicht desshalb erforderlich, lim etwa Grenzen des Erkennens abzustecken, sondern nur, um eine willkürliche, gegen die Principien des Erkennens verstossende, Identificirung vom Seienden überhaupt und Realem, wie sie der Empirismus versucht, zu verhüten. Das hypothesirte „Uebersinnliche", das unerkennbare Seiende, ist aber für die Erkennt-

Die .sinnliche" Erkenntniss.

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nisstheorie in der That ein so reines X, dass sie desselben in keiner Weise für sich und den Erkenntnissprocess benöthigt ist. Wenn vom Uebersinnlichen geredet wird, so ist dasselbe erkenntnisstheoretisch natürlich ein rein Negatives, welches eben ein Seiendes bezeichnet, das nicht real sein d. i. nicht bewusstseiend werden kann. Der Name dieses hypothetischen erkenntnisstheoretisch Negativen ist ein Erbtheil vergangener Jahrhunderte, in welchen auch dies Uebersinnliche als irgendwie mögliches Reales gedacht wurde. Man unterschied dann auch wohl eine „sinnliche" und eine „übersinnliche" oder „geistige" Erkenntniss und theilte in gleicher Weise das Erkennen ein; in dem einen Erkennen sollten die Sinne, in dem anderen der νοΰς, der Geist, der Verstand oder wie immer das Wort hiess, Werkzeug sein. Mit der Unterscheidung kam aber auch zugleich die Werthschätzung der beiden Erkenntnisse auf, und da die zu Grunde liegende metaphysische Anschauung sich für das Uebersinnliche als das „eigentliche Sein" entschieden hatte, so trat natürlich die „sinnliche" Erkenntniss gegenüber der anderen in den Hintergrund. Dieses Erbtheil ging bis in unsere Zeit von einem Geschlecht auf das andere über, und so vielen Schweiss es sich auch hervorragende Philosophen, die Engländer Bacon und Locke an ihrer Spitze, kosten Hessen, um die „sinnliche" Erkenntniss in ihrer erkenntnisstheoretischen Würde zu rehabilitiren, so gelang es ihnen besonders auf dem Continent in der philosophischen Welt dennoch nicht durchzudringen. Es mochte dies an einer, aus der Polemik gegen die „Aristoteliker" leicht erklärlichen, Einseitigkeit ihrerseits liegen, zu Folge deren sie das Wahre in der Ansicht der Gegner in Ansehung der Begriffserkenntniss verkannten. Diese Einseitigkeit aber entwickelte sich immer mehr unter ihren auf sie folgenden Anhängern, welche man bald im reinen empiristischsensualistischen Fahrwasser segeln sah. Die Nachwirkung des Piatonismus andrerseits war auf dem Continent eine so gewaltige, dass wir auch den grossen

318

Das Gebiet des Erkennens.

K a n t noch unter ihr leiden sehen, obwohl er der „sinnlichen" Erkenntniss energisch zu ihrem Recht zu verhelfen suchte. Die „beiden Wurzeln der menschlichen Erkenntniss". Sinnlichkeit und Verstand, mit ihrem ganz gesonderten Erkenntnissapparat zeigen nur zu deutlich, welche Ansicht noch immer durch Vererbung fortwirkte. Die absolute Scheidung von „empirischen" d. h. Wahrnehmungsurtheilen und „apriorischen" d. h. Begriffsurtheilen in Hinsicht auf ihren Ursprung war zu guter Letzt durch nichts Anderes verschuldet, als durch den von P i a t o n der Nachwelt überlieferten absoluten Gegensatz von Wahrnehmung und Begriff. Und, wenn auch K a n t sich fest in das Princip, dass alle unsere Erkenntniss mit der Erfahrung anfangt, hineingestellt hatte, so konnte er doch nicht umhin, dem Piatonismus und der Zweiweltentheorie den Tribut zu bringen, dass er „unserer Erkenntniss" noch das Epitheton der „sinnlichen" zufügte. Er mochte es beabsichtigen oder nicht, immerhin degradirte dieses Epitheton die Erkenntniss in den Augen der von P i a t o n noch immer inficirten philosophirenden Menschheit, wie ja auch die „Erscheinung" nicht vollgültig von den platonisirenden und zugleich kantianisirenden Philosophen als Reales, d. i. als bewusstgewordenes S e i e n d e s angesehen werden konnte, wesshalb sie dem Drange, doch etwas vollgültig „Seiendes" zu haben, bald genug nachgaben und, wenn es gelinde abging, mit dem Ding an sich wenigstens energisch kokettirten. Man konnte in dieser Zeit, gefesselt vom platonischen Dualismus, nicht zu der Einsicht gelangen, dass der Begriff als Seiendes schon in der Wahrnehmung gelegen wäre, und dass man denselben nicht etwa erst, sei es aus einer anderen Welt mit Hülfe des νοΰς zu holen, sei es ihn im Verstand selbst zu s c h a f f e n , sondern eben als denkender Mensch an der Wahrnehmung nur zu e n t d e c k e n hätte. Das eigentliche Danaergeschenk aber, welches K a n t von sich aus der Menschheit hinterlassen hat, das ist seine Ers c h e i n u n g s w e l t ; sie erweckt den Schein, Seiendes zu sein, ist es aber nicht, und sie erweckt den Schein, „Schein" zu sein,

Die „sinnliche" Erkenntniss.

319

ist es aber auch Dicht; denn d a s s uns die „Erscheinung" gegeben sei, hängt nach K a n t nicht vom Ich ab, sondern von dem Seienden „Ding an sich", und wie sie uns gegeben sei, soll nicht im Ding an sich, sondern im Ich begründet sein. Die „Erscheinung" ist demnach eine Vorstellung (Ideales) und ist es auch nicht; sie ist Wahrnehmung (Reales) und ist es auch wiederum nicht; sie ist empirisch „real" und zugleich transcendental „ideal", aber von Seiendem und Erkenntniss ist doch nichts bei ihr zu holen. So stellt die Lehre von der „Erscheinung" den Erkentnisstheoretiker nicht auf einen festen Boden, sondern auf zwei bewegliche Bretter; zieht man ihm das eine weg, so kann er sich allenfalls eine Zeit lang, bis er fällt, mit Einem Beine auf dem anderen aufrecht halten. Die „Erscheinung" selbst aber ist für eine Erkenntnisstheorie nicht Fisch und nicht Fleisch, und wenn sich so Viele doch mit ihr begnügen, so mag ein Hauptgrund dieser sein, dass sie mit dem Wort „Erscheinung" das bewusstgewordene S e i e n d e , welches der Monismus die Wahrnehmung nennt, meinen, und demnach stillschweigend interpretiren: es erscheint d. h. es kommt zum Bewusstsein, wird Bewusst-Seiendes. Wenn sich aber dann gar mit diesem Zwitterding „Erscheinung" ein erkenntniss-theoretischer D u a l i s m u s , wie es gemeiniglich den modernen Kantianern begegnet, verbindet, so ist nun das Schaukelsystem gründlich ausgebildet. Denn indem der Kantianer dem Monismus, welcher allein für die „Erscheinung" der angemessene Boden wäre, obwohl er durch sie dann zum psychologischen Monismus ausgestaltet würde, untreu wird, und die „empirische Anschauung" als ein Bewusstseinsbild der Erscheinung setzt, so macht er die Erscheinung augenscheinlich zum S e i e n d e n ; erkennt er dann aber die Inconsequenz gegen seine Diagansichtheorie, so bleibt ihm nichts Anderes übrig, als die transcendentale Idealität, d. i. das „Vorstellungsein" der „Erscheinung", zu betonen, sie demzufolge mit der „empirischen Anschauung" doch identisch zu setzen und nun gegen seinen Dualismus wiederum inconsequent zu werden.

320

Das Gebiet' des Erkennens.

Trotz alledem aber hat K a n t ' s Erscheinungslehre eine grosse Aufgabe in der Erziehung der philosophirenden Menschheit erfüllt, indem sie von jenen beiden „Erkenntnissen" der früheren Zeit nur die „sinnliche" Erkenntniss als wirkliche Erkenntniss fixirt und die Wahrheit schon im Grunde enthält, dass uns nur als Wahrnehmung und Begriff Erkenntniss gegeben werde. Heute wird man, Dank der Kantischen Erziehung, den Ausdruck „sinnliche Erkenntniss" für einen Pleonasmus ansehen, und von demselben daher um so mehr Umgang nehmen, als er leicht einen sensualistischen Beigeschmack erhalten dürfte; man könnte ihn nemlich in Gegensatz stellen wollen zur „begriff liehen" Erkenntniss und dadurch dann wieder falsche Anschauungen der Vorzeit in's Leben rufen. „Sinnlichkeit" und „Verstand", Wahrnehmung und Begriff, Wahrnehmen und Denken stehen aber zu einander, wenn auch in logischem, so doch nicht in erkenntnisstheoretischem Gegensatz, denn die „sinnliche" und die „begriffliche" Erkenntniss haben eine Quelle, aus welcher das Ich sie geschöpft hat; die Beziehung zum Seienden als Begriff gewinnt das Ich einzig und allein an dem Seienden als WahrnehmungVorstellung und besitzt mittelst des „Verstandes" in dem Begriff eben dasjenige Seiende, zu welchem als Wahrnehmung das Ich vermittelst der „Sinnlichkeit" die primäre und grundlegende Beziehung angeknüpft hat. Am Schlüsse der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft bemerkt K a n t , „dass es zwei Stämme der menschlichen Erkenntniss gebe, die v i e l l e i c h t aus e i n e r g e m e i n s c h a f t l i c h e n , aber uns unbekannten W u r z e l entspringen, nemlich Sinnlichkeit und Verstand". Diese Ahnung einer gemeinschaftlichen Wurzel menschlicher Erkenntniss möchte sich wohl bestätigen können, aber freilich durch ein ganz Anderes und auf einer ganz anderen Seite, als wo K a n t suchte. „Sinnlichkeit" und „Verstand" bilden ja die Vehikel, vermittelst welcher sich das Ich zum Seienden in Beziehung setzt; diese beiden freilich sind als solche völlig geschieden und können

321

Wahrnehmung und Begriff.

kein Gemeinsames aufweisen, ausgenommen, dass sie Werkzeuge des Einen Erkenntnisssubjectes sind. Aber die Erkenntnisse selbst, welche sich in Wahrnehmung (oder, wie K a n t sagt. Anschauung) und Begriff zerlegen lassen, haben, mögen sie nun bestimmte Wahrnehmung-Vorstellung oder Begriff sein, in Wirklichkeit eine „gemeinschaftliche Wurzel", Einen Quell, und dieser ist die W a h r n e h m u n g . Doch über der Rehabilitirung der „Sinnlichkeit" als vollwichtigen Erkenntnissmittels und der Wahrnehmung als alleinigen Anfangs und Quells aller Erkenntniss, und über dem achtungswerthen Streben, von dem auf Wahrnehmung sich gründenden und auf sie fussenden Erkennen überhaupt den Fluch wegzunehmen, welcher in den Augen Vieler auf ihm seit alten Zeiten ruhte, über dem stolzen Bewusstsein endlich, in der W a h r n e h m u n g das S e i e n d e selbst als Bewusst-Seiendes gegeben zu haben, — ist das nothwendige Supplement einer vollen Erkenntniss, das secundäre Erkenntnisselement B e g r i f f , nicht zu vernachlässigen oder gar zu verleugnen als Reales d. i. bewusstgewordenes Seiendes. Dieses Letztere zu betonen, thut vielleicht heutzutage noch mehr Noth, als der „sinnlichen" Erkenntniss, der Wahrnehmung, ihr Recht zu sichern. Die Möglichkeit nemlich, den Begriff für sich zu denken, die Gewohnheit, ihn das Abstracte, das Allgemeine zu nennen, und etwa, wenn man ihn denken will, die Augen zu schliessen und die Ohren zu verstopfen, — dieses im Verein mit der durch Rehabilitirung der „sinnlichen" Erkenntniss erstarkten und nun über ihre Sphäre leicht hinausgreifenden sensualistischen Neigung des Menschen lässt nur zu oft die Realität des Begriffs in unverdientem bedenklichem Lichte erscheinen. Die Anzeichen aber mehren sich, dass der erste Freudensturm über die Einsetzung der „sinnlichen" Erkenntniss in ihr volles Recht vorüber ist und dass daher auch die demselben entspringende Neigung, dem alten „Gegner" der Wahrnehmung, dem Begriff, mit voller Münze heimzuzahlen, was er der Wahrnehmung zugefügt hatte, schon einem ruhigen Bewusstsein des sicheren Besitzthums Platz gemacht hat. Dies I t e h m k e , L>ie Welt als Wahrnehmung u. Begrifl".

21

322

Das Gebiet des Erkennens.

wird zur Folge haben, dass man nicht blind mehr sein will gegen die Rechte des „Gegners", des Begriffs, dass man diesen, gleichwie die Wahrnehmung, als Reales anerkennt und die volle Erkenntniss des Seienden erst gegeben sieht in der W e l t als W a h r n e h m u n g und Begriff.

323

I n h a l t .

Seite

Vorwort

τ

1. Einleitung

1

Das hypothetische Ding an sich

8

Die reine Anschauung

25

2. Das Problem der Erkenntniss

33

3. Das Element der Erkenntniss

41

4. Identität γοη Wahrnehmung und Seiendem

64

5. Die Vorstellung

83

6. Der Begriff

107

Das Seiende als Bewusst-Seiendes ist also Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff

108

7. Die Welt: „Erscheinung" oder Sein

129

8. Das Denken

192

9. Reales und Ideales

215

10. Wirklichkeit und Wahrheit

ι

235

11. Das Seiende und das Ich

275

12. Das Gebiet des Erkennens

298