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German Pages VI, 199 [200] Year 2020
Digitale Kultur und Kommunikation
Patrick Bettinger Kai-Uwe Hugger Hrsg.
Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik
Digitale Kultur und Kommunikation Band 6 Reihe herausgegeben von Kai-Uwe Hugger, Universität zu Köln, Köln, Deutschland Angela Tillmann, Fakultät 1, IMM, FH Köln, Köln, Deutschland Theo Hug, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich
Ein wesentliches Kennzeichen gegenwärtiger Gesellschaft ist das Ineinandergreifen von digitalem Medienwandel und fortdauernden sozialen, kulturellen und kommunikativen Transformationsprozessen. Die Buchreiche „Digitale Kultur und Kommunikation“ beleuchtet diesen Wandel aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Anhand ausgewählter interdisziplinärer theoretischer und empirischer Beiträge beschäftigt sich die Reihe mit der Frage, wie sich digitale Kultur und Kommunikation heute darstellt und welche Folgen daraus für die Individuen, das zwischenmenschliche Zusammenleben und die Gesellschaft erwachsen.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/10740
Patrick Bettinger · Kai-Uwe Hugger (Hrsg.)
Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik
Hrsg. Patrick Bettinger Universität zu Köln Köln, Deutschland
Kai-Uwe Hugger Universität zu Köln Köln, Deutschland
ISSN 2512-0719 ISSN 2512-0727 (electronic) Digitale Kultur und Kommunikation ISBN 978-3-658-28170-0 ISBN 978-3-658-28171-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Laux Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis
Praxistheorien in der Medienpädagogik – Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Patrick Bettinger und Kai-Uwe Hugger Digitalisierung und Digitalität im Kontext von medialem Habitus und Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Ralf Biermann Bildung als kollektive Selbst- und Welttransformation. Eine praxistheoretische Per-Version. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Valentin Dander Praxistheoretisch informierte partizipative Mediendidaktik – Erörterung am Beispiel von Open Educational Practice(s) im Sinne eines ‚Doing-mediatizied-participatory-learning‘. . . . . . . . . . . . 61 Kerstin Mayrberger Code As You Are? – Über kreative Praktiken des Codings und deren Bedeutung für Subjektivierungsprozesse. . . . . . . . . . 87 Dan Verständig Zur Materialität medialer Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Matthias Wieser Körperpraxis und Körpererfahrung – praxistheoretische und pragmatistische Perspektiven auf Medienbildung und Körperwissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Lucia Sehnbruch und Rüdiger Wild
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Medien und Sozialisationsforschung – ein praxeologischer Ansatz. Langzeitstudie zur Rolle von Medien bei sozial benachteiligten Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Ingrid Paus-Hasebrink Doing Culture in Online-Rollenspielen – eine praxistheoretische Perspektive auf Umgehen mit Misserfolg in Gruppen als Teil der Gaming Culture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Kerstin Raudonat und Nicola Marsden Das Smartphone in der berufsvorbereitenden Bildung junger Erwachsener – Empirische Erkundungen aus praxistheoretischer Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Lukas Dehmel und Sebastian Zick Hinweise zu den Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Praxistheorien in der Medienpädagogik – Einleitung Patrick Bettinger und Kai-Uwe Hugger
Begriffe wie soziale Praxis, Praxeologie oder Theorie sozialer Praktiken lassen sich seit einigen Jahren zum festen Inventar sozial- und kulturwissenschaftlichen Denkens zählen und sind dabei, sich dementsprechend auch in der Medienpädagogik zu etablieren. Nachdem bereits vor rund 20 Jahren ein „Practice Turn“ (Schatzki et al. 2001) zeitgenössischer Theoriebildung ausgerufen wurde, hat sich das Feld der Praxistheorien beständig weiterentwickelt. Nicht zuletzt hat Schatzki (2002) mit seinen Arbeiten zu Beginn der Jahrtausendwende einen wesentlichen Grundstein für die jüngeren Praxistheorien gelegt. Ein ähnlich wegweisender und viel zitierter Beitrag, der die „Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken“ systematisch zusammenfasst, legte etwa zur gleichen Zeit Reckwitz (2003) vor. Als zentrale Merkmale der praxeologischen Theoriefamilie bezieht sich Reckwitz auf folgende Punkte: „Tatsächlich geht es diesen um ein modifiziertes Verständnis dessen, was ‚Handeln‘ – und damit auch, was der ‚Akteur‘ oder das ‚Subjekt‘ – ist; gleichzeitig und vor allem aber geht es ihnen um ein modifiziertes Verständnis des ‚Sozialen‘“ (ebd., S. 282). Theorien sozialer Praktiken verweisen auf eine epistemologische Position, die Sozialität als etwas begreift, das aus Bündeln von „Doings“ und „Sayings“ (Schatzki 2002, S. 73) besteht und demnach im
P. Bettinger (*) · K.-U. Hugger Universität zu Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] K.-U. Hugger E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_1
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handelnden Vollzug hervorgebracht wird.1 Praxistheorien wenden sich von strukturalistischen sowie subjektivistischen Ansätzen ab und schlagen einen Weg ein, der individuelles ‚Tätigsein‘ und gesellschaftliche Ordnungen als unmittelbar aufeinander bezogene Komponenten des Sozialen in den Mittelpunkt rücken. Praktiken bringen Sozialität hervor, sind aber gleichfalls wiederum sozial situiert und kulturell geprägt. Dem praxeologischen Paradigma zufolge bewältigen wir unseren Alltag auf Grundlage von praktischem, uns nicht unmittelbar reflexiv zugänglichem Wissen. Mit Hörning (2004, S. 19) gesprochen lässt sich festhalten: „Theorien sozialer Praktiken interessieren sich für das Hervorbringen von Denken und Wissen im [Herv. i. O.] Handeln, weniger für das kognitive Vorwissen und noch weniger für das präsente Bewusstsein der Akteure“. Ein schon klassisch zu nennender Impuls dieser Sicht auf das Soziale geht auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu und den von ihm maßgeblich entwickelten Habitus-Ansatz zurück. Habitusformen, so Bourdieu (1979, S. 165), stellen im Sinne eines durch Sozialisation erworbenen Systems „dauerhafter Dispositionen [Herv. i. O.], strukturierte Struktur, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken“ dar und sind damit als „Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen“ zu begreifen. Im Sinne einer inkorporierten „Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix [Herv. i. O.]“ (ebd., S. 169) gehen Habitusformen auf kollektiv geteilte Existenzbedingungen zurück und schaffen auf impliziter Ebene angelegte, gemeinsame Muster – einen je spezifischen sozialen Sinn (Bourdieu 1993). Den Habitus und die darauf bezogenen Praktiken grenzt Bourdieu damit deutlich von einer handlungstheoretischen Position ab, die „das Handeln für die mechanische Folge äußerer Ursachen hält“ (Bourdieu 2017, S. 177) sowie von Ansätzen, die davon ausgehen, dass Akteur*innen „frei, bewußt und […] with full understanding“ (ebd.) auf Basis kalkulierter Erfolgschancen handeln. Nach wie vor stellen diese Annahmen – wenngleich mit unterschiedlichen Abwandlungen und Erweiterungen infolge der an Bourdieus Position geäußerten Kritik – einen wesentlichen Grundpfeiler der praxistheoretischen Debatte dar. Die zentrale Figur, welche Praxistheorien auszeichnet, rekurriert auch in jüngeren Ansätzen auf die hohe Relevanz von sozial bedingtem, implizitem Wissen als Ausgangspunkt von Praktiken anstelle des rational und kalkuliert agierenden Individuums oder der bloßen Ableitung von Handlungen bzw. Handlungsoptionen aus übergeordneten gesellschaftlichen Strukturgefügen. Praktiken verweisen auf
1Kritisch
zu dieser Betonung von Performativität als Konstitutionsbedingung von Sozialität siehe Seyfert (2019, S. 140 ff.).
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ihre historischen Entstehungszusammenhänge (i. S. v. Sozialisationskontexten) und bringen zugleich als situierte Tätigkeiten inkorporierte Geschichte in Verbindung mit den Bedingungen ihrer gegenwärtigen Vollzugswirklichkeit. Praxistheorien gehen dabei grundsätzlich von einem relationalen Verständnis des Sozialen aus, indem das Zustandekommen von Kultur und Gesellschaft als performatives Zusammenspiel impliziter Wissensordnungen, Körperlicher Ausführung, und dinglichen Artefakten konzipiert wird (Reckwitz 2003). Dementsprechend ist die Art und Weise der sozialen Sinnproduktion aus praxeologischer Perspektive als relationaler Akt zu begreifen, indem Sinn als In-Beziehung-Setzen unterschiedlicher Größen konzipiert wird aus denen Praxisformen hervorgehen (Hillebrandt 2014, S. 95 ff.). Eine relationale Perspektive lässt sich, etwa bei der Position Bourdieus, auch hinsichtlich der Annahme eines interdependenten Wechselverhältnisses von Individuum und sozialem Raum konstatieren sowie dem Verhältnis der unterschiedlichen Kapitalsorten zueinander. Die dabei adressierte Perspektive auf Formen des Zusammenwirkens heterogener Elemente bilden die analytische Heuristik, die praxistheoretische Ansätze sowohl in theoretischer als auch empirischer Hinsicht interessant macht.
1 Erziehungswissenschaftliche Anschlüsse an das Feld der Praxistheorien Beim Blick auf die zahlreichen praxistheoretisch ausgerichteten Publikationen der jüngeren Vergangenheit zeigt sich, dass dieser Theoriestrang sich durch umfassenden Erneuerungen und Weiterentwicklungen etablierter Konzepte auszeichnet (bspw. Alkemeyer et al. 2015; Hillebrandt 2014; Schmidt 2012; Schäfer, 2016). Dabei lässt sich unter anderem feststellen, dass diese Entwicklung über die Soziologie hinaus auch in anderen Disziplinen Resonanz findet, wie etwa der Kommunikations- (z. B. Gentzel 2015; Pentzold 2015) oder Medienwissenschaft (z. B. Dang-Anh et al. 2017; Gießmann 2018; Münker 2013). Auch in der Erziehungswissenschaft werden regelmäßig die Potenziale praxistheoretischer Ansätze diskutiert (z. B. Berdelmann et al. 2019; Budde et al. 2018; Liebau 2009; Rosenberg 2011; Wigger 2007, 2009). Inwiefern die Arbeiten Bourdieus erziehungswissenschaftliche Perspektiven anreichern können, lässt sich gut im Sammelband von Rieger-Ladich und Grabau (2017) erkennen. Besonders deutlich werden hier die analytischen Potenziale für ungleichheitsbezogene Fragestellungen, die unterschiedliche institutionelle und außerinstitutionelle Bereiche kritisch in den Blick zu nehmen erlauben. Zudem wird ersichtlich, dass aber auch bildungs- und subjektivierungsbezogene Fragen
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mit Bezug auf Bourdieus umfangreiche Studien bearbeitbar sind. Wie vielfältig praxistheoretische Zugänge für erziehungswissenschaftliche Perspektiven sein können, machen insbesondere die Beiträge in Budde et al. (2018) deutlich. Hierbei wird betont, dass eine praxeologisch ausgerichtete Erziehungswissenschaft „auf die soziale Praxis des Pädagogischen bzw. pädagogische Ordnungen [fokussiert] und hierbei grundlegende epistemologische Erweiterungen für eine gehaltvolle Erfassung erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen vor[nimmt]“ (Bittner et al. 2018, S. 10). In den drei Bereichen Wissen, Materialität und Subjektivierung werden folglich die theoretische und empirische Möglichkeiten ausgelotet, praxeologisch fundierte Ansätze mit zentralen erziehungswissenschaftlichen Begriffen wie Lernen, Bildung, Erziehung oder Sozialisation zu verknüpfen. Dabei wird deutlich, dass praxistheoretische Ansätze ihr Potenzial insbesondere daraus schöpfen, den Blick für die Komplexität und Pluralität des Pädagogischen sensibilisieren zu können. Mit Blick auf die erwähnten Debatten über praxistheoretische Anschlussstellen in der Erziehungswissenschaft fällt auf, dass sich bislang noch kein systematischer Überblick über die Möglichkeiten finden lässt, welche Praxistheorien – und insbesondere die neueren Entwicklungen in diesem Feld – für dezidiert medienpädagogische Fragestellungen bieten. Es fällt auf, dass Begriffe wie Medien oder Digitalität in den oben genannten erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Praxistheorien nicht thematisiert werden. Bislang finden sich im medienpädagogischen Diskurs lediglich punktuell Bestrebungen, praxistheoretische Ansätze an medienpädagogische Fragen zu knüpfen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit praxeologischen Positionen vor dem Hintergrund medienpädagogischer Debatten zu führen. Dies überrascht durchaus, da andere sozialwissenschaftliche Anschlüsse der Medienpädagogik durchaus vertraut sind, wie einschlägige Handbücher und Überblicksbände zeigen (Sander et al. 2008; Schorb et al. 2017). Aus medienpädagogischer Sicht weisen praxistheoretische Ansätze auf unterschiedlicher Ebene Anregungspotenziale auf, die nachfolgend kurz skizziert werden sollen. Während lange Zeit, insbesondere in der Bourdieu-Rezeption, die Routinehaftigkeit und Persistenz von Praktiken im Mittelpunkt stand (und dementsprechend vor allem Fragen gesellschaftlicher Reproduktion geeignet erschienen, auf der Grundlage von Praxistheorien befriedigend beantwortet werden zu können), rücken seit einigen Jahren auch Fragen der Abweichung, der Instabilität und der Re-Formierung von Praktiken (Schäfer 2013) bzw. habituelle Transformationen (Rosenberg 2011) in den Vordergrund. Zudem wird die Forderung formuliert, Eigensinn und Subjektivierungstheorien konzeptionell stärker zu berücksichtigen (Alkemeyer et al. 2015). Damit eröffnen sich gerade für die Erziehungswissenschaft – und respektive die Medienpädagogik – Potenziale,
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neben Fragen wie etwa der Reproduktion von Ungleichheit oder der Beharrlichkeit von Machtverhältnissen verstärkt auch Veränderungsprozesse und die Entstehung von Neuem, Subversion und Widerständigkeit in den Blick zu nehmen. Durch die Fokussierung auf mediale Praktiken in actu werden gegenwärtige Medienkulturen in ihren facettenreichen Wirklichkeiten erforschbar. So kann etwa das Problem des ‚Verschwindens‘ von Medien in ihrem Vollzug (Krämer 2008, S. 28) bzw. die „multiple Opazität“ (Roberge und Seyfert 2017, S. 9) von Algorithmen über die Fokussierung auf Praktiken handhabbar gemacht werden, da durch die hierbei eingenommene Perspektive auf Prozesshaftigkeit und die Berücksichtigung unterschiedlicher (menschlicher und nichtmenschlicher) Entitäten an eben dieser prozesshaften Herstellung sozialer Realität mediale Logiken beobachtet und dadurch rekonstruiert werden können. Praxistheoretische Ansätze bieten hier die Möglichkeit, die Frage nach der Verwobenheit von Menschen und Medien fundiert zu beantworten (Allert und Asmussen 2017; Jörissen 2015) und ermöglichen es somit, gerade mediale bzw. medienkulturelle Transformationen in ihrer Bedeutung für die Erziehungswissenschaft zu erschließen. Zudem sind Theorien sozialer Praxis für den in der Medienpädagogik bislang wenig beachteten Zusammenhang von Körper und Medien geradezu prädestiniert, da sie Körperlichkeit als essenzielle Analysedimension begreifen (Klemm und Staples 2018; Rode und Stern 2019). Besonders interessant erscheinen theoretische und methodologische Entwicklungen im Feld der Praxistheorien, die im Sinne einer poststrukturalistischen Wendung Praktiken nicht nur als bloße Reproduktion verstehen, sondern insbesondere deren Fragilität und Instabilität in den Mittelpunkt rücken (Schäfer 2013), wodurch sich aus erziehungswissenschaftlicher und respektive medienpädagogischer Perspektive Potenziale für Bildungsprozesse eröffnen. Die in diesem Kontext diskutierten Anschlüsse neuerer Praxistheorien, etwa zur Akteur Netzwerk-Theorie (Wieser 2012) oder zu diskursanalytischen Ansätzen (Wrana 2012a, b) sind in der Medienpädagogik bislang nur punktuell rezipiert worden (z. B. Bettinger 2016; Dander 2015). Neben dem theoretischen Gehalt, das Praxistheorien für medienpädagogische Analysen bieten, erweist sich das Spektrum der empirischen Zugänge auf praxeologischer Basis als vielfältig, was durch einschlägige Sammelbände (z. B. Brake et al. 2013; Schäfer et al. 2015) und interdisziplinär ausgerichtete Arbeiten (Elias et al. 2014) deutlich wird. Für die medienpädagogische Forschung scheinen damit zahlreiche Anschlussmöglichkeiten gegeben, die vielfältigen Forschungsfelder praxeologisch zu fundieren. Unabhängig vom konkreten Forschungsgegenstand steht dabei zunächst die Frage im Zentrum, wie sich medien- und praxistheoretische Ansätze verknüpfen lassen und worin die analytische Stärke einer solchen Verbindung liegt.
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2 (Pädagogische) Praktiken im Kontext digitaler Medialität Seit einiger Zeit sind im Schnittfeld von Medien- und Praxistheorien deutliche Annäherungsversuche auszumachen, die nachfolgend bezüglich der Frage nach den Möglichkeiten einer medienpädagogischen Bezugnahme betrachtet werden sollen. Diese gegenseitige Öffnung vonseiten der medien- und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, welche bislang eher durch gegenseitiges Desinteresse in Erscheinung traten, weist fruchtbare Tendenzen auf, die auch für die Fragen nach Lernen, Bildung, Erziehung oder Sozialisation und dem Stellenwert digitaler Medialität relevant sind. Insbesondere wurden vonseiten der Siegener Medienwissenschaft in den letzten Jahren Überlegungen zu einer praxeologischen Medientheorie erarbeitet. In diesem Zusammenhang identifiziert etwa Gießmann (2018, S. 95) deutliche Bestrebungen der Medienwissenschaft, an Praxistheorien anzuschließen: „Die Medienwissenschaft nähert sich gegenwärtig, nicht zuletzt angesichts der Allgegenwart digitaler Praktiken und Formate, dem älteren sozialwissenschaftlichen practice turn [Herv. i. O.] an – nicht in Form einer simplen Übernahme, sondern je nach Position mit einer gewissen Vorsicht oder sogar Skepsis, historischer Gründlichkeit, medienökologischem Interesse, Erkundung von Wahrnehmungspraktiken oder in Gestalt einer Grundlagenfrage an die interdisziplinäre Konstitution.“
Ähnliches findet sich auch bei Dang-Anh et al. (2017, S. 7), die von einer praxistheoretischen Wende in der Medienforschung sprechen und Medienpraktiken2 als „situativ, körperlich, zeichenhaft, prozessual, medienübergreifend, infrastrukturiert, historisch und sozio-kulturell“ charakterisieren. Das von Gießmann (2018, S. 96) zugrunde gelegte Medienverständnis verweist auf die auch für Praxistheorien große Bedeutung der performativen Dimension sowie auf die technisch-materielle Dimension die auch durchaus eine instrumentelle Komponente enthält und sowohl soziale Persistenz als auch Transformierbarkeit ermöglicht: „Medien lassen sich einerseits als etwas begreifen, das fortwährend wechselseitig in Aktion neu hergestellt wird, als eine Praxis, die immer im Werden begriffen ist. Andererseits sind Medien als diejenigen Techniken und Infrastrukturen auffassbar, mit denen Gesellschaften und Kulturen ihre medialen Praktiken über längere Zeiträume tradieren und transformieren.“
2Zu
den unterschiedlichen Bedeutungen von Medienpraktiken siehe auch der Beitrag von Wieser in diesem Band.
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Gießmann differenziert schließlich zwischen drei miteinander verzahnten Grundelementen einer Praxistheorie der Medien, die er als Praktiken „des Koordinierens, Delegierens und Registrierens/Identifizierens“ (ebd., S. 98) bezeichnet. Diese Differenzierung stellt für ihn eine Heuristik für die Beschreibung und Analyse vielfältiger Medienpraktiken dar, deren Kennzeichen auch darin besteht, „kein menschliches Privileg mehr“ (ebd., S. 109) zu sein, sondern vielmehr eine KoOperation unterschiedlicher menschlicher und technisch-medialer Elemente. Auch Schüttpelz (2013) lässt in seiner Akteur-Medien-Theorie (AMT) deutliche praxistheoretische Konvergenzen erkennen. In einer medienwissenschaftlich informierten Lesart der Latour’schen Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), die selbst wiederum deutliche Bezüge zu praxistheoretischen Basiskonzepten aufweist (Reckwitz 2014), entwirft Schüttpelz ein Konzept von Medialität welches er als irreduziblen Zusammenhang aus technisch-materieller, semiotischer und sozialer Dimension begreift. Auch in diesem Ansatz steht die Frage im Mittelpunkt, wie und an welcher Stelle Medien in Handlungsketten in Erscheinung treten und so einen Unterschied bewirken. Ein weiteres aus der Medienwissenschaft kommendes Konzept zur Integration von Medien- und Praxistheorie findet sich bei Meier (2014), der auf den Stilbegriff fokussiert und diesen im Anschluss an die Sozialsemiotik als kontextbedingte und multimodale Zeichenpraxis versteht. Für Meier stehen die Stil-Praktiken der Auswahl, Formung und Komposition im Mittelpunkt der von ihm entwickelten Methodologie. Diese drei Komponenten sind wiederum im Zusammenhang mit den für sie relevanten Handlungsfeldern und Diskursen zu betrachten (ebd., S. 200). Im Unterschied zu Gießmann und Schüttpelz, deren Ansätze deutlich von post-anthropozenztrischen Überlegungen des New Materialism inspiriert sind, steht bei Meier stärker der Mensch als Träger von Praktiken und ausführende Instanz im Mittelpunkt. Auch von soziologischer Seite kommend, können unter dem Dach der Praxistheorien vermehrt Versuche einer integrativen Theoriebildung ausgemacht werden, die an medientheoretische Konzepte anknüpfen. Der Kultursoziologe Reckwitz (2006) macht etwa in einer historischen Rückschau darauf aufmerksam, inwiefern mediale Praktiken einen wesentlichen Anteil an der Transformation von Subjektkulturen der Moderne haben. Hierzu referiert er unter anderem auf Walter Benjamin und spricht von einem komplexen Zusammenhang der „Hybridität medialer Praktiken und des Subjekts, das sich in ihnen formt“ (ebd., S. 103). Moderne Medienpraktiken sind laut Reckwitz als Techniken zu verstehen, die einer „Ästhetisierung des Subjekts“ (ebd., S. 104) dienen, wobei Medienkulturen sich durch ein Nebeneinander widersprüchlicher Subjektivierungsweisen auszeichnen:
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P. Bettinger und K.-U. Hugger „So trainieren die audiovisuellen Medien der Angestelltenkultur das Subjekt sowohl in einem ‚normalisierenden‘ Vergleich der ‚performances‘ von Subjekten, in dem, was Benjamin eine Haltung des ‚Testens‘ äußeren Verhaltens auf seine Akzeptanz und Perfektion nennt, damit auch in einem Realismus-Sinn, der sich an das visuell Beobachtbare hält. Zugleich ziehen sie im Subjekt einen skopophilen Voyeurismus heran, eine ästhetisch-affektive Aufladung der visuellen Darstellung von Subjekten und Objekten (einschließlich der eigenen Person), einen libidinösen Sinn für attraktive Oberflächen. Schließlich enthält auch die digitale Kultur eine Doppelstruktur: Sie übt das Subjekt in einem ästhetischen, experimentellen ‚exploring‘ in visuell-textueller Opulenz und zugleich in einer quasi-markförmigen, elektiven Haltung der Entscheidung zwischen Optionen (ebd.).“
Impulse aus der Medientheorie nehmen auch Wagner und Stempfhuber (2015) auf. Sie verweisen auf das Potenzial der Medientheorien, „eine Reflexion auf die technische und mediale Bedingtheit von sozialen Transformationsprozessen“ (ebd., S. 70) zu ermöglichen. Hierzu beziehen sie sich unter anderem auf die medienwissenschaftlichen Arbeiten von Krämer, denen sie empirisches Potenzial zuschreiben, um insbesondere „nach den spezifischen Kontexten des Sichtbar- und Unsichtbar-Werdens zu fragen“ (ebd., S. 73), welches Medien charakterisiert. Zudem rekurrieren sie auf die Annahme, dass ‚neue Medien‘ sich durch die Generierung von Unbestimmtheitsräumen auszeichnen, welche erst im praktischen Tun ihre konstitutive Kraft entfalten. Wagner und Stempfhuber sehen in dieser Unbestimmtheit von Medien „einen Hinweis darauf, dass sie in konkreten empirischen Kontexten dazu in der Lage sind, eingeschliffene Unterscheidungen wie etwa die von technologischer Determiniertheit und kreativem Handeln […] zu problematisieren“ (ebd., S. 74). Dies zeigen die Autor*innen anhand von drei Beispielen und gelangen so zu der Einsicht, dass gerade die Prozesse des Unsichtbar-Werdens von digitalen Technologien im praktischen Vollzug von soziologischem Interesse sind, da an diesen Punkte charakteristische mediale Unterscheidungslogiken zum Tragen kommen (wie etwa zwischen Privatheit und Öffentlichkeit) und gerade die Unbestimmtheit digitaler Medien die Basis für deren Anschlussfähigkeit an vielfältige Praktiken schafft. Wenngleich sie nicht explizit im Vordergrund stehen, stellen Praxistheorien auch für Roberge und Seyfert (2017) ein zentrales Bindeglied ihrer Vorstellung von algorithmisierter Kultur dar. Die Autoren skizzieren Parallelen zwischen algorithmisierten Abläufen und sozialen Praktiken: „Ebenso wie Praktiken zeichnen Algorithmen sich durch rekursive und stark verinnerlichte Routinen [Herv. i. O.] aus“ (ebd., S. 23). Hierbei heben sie jedoch hervor, dass eine Fokussierung auf Praktiken zur Erschließung von Algorithmuskulturen nicht (nur) Reproduktion erklärbar macht, sondern gerade auch Abweichungen der Routine.
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Hierdurch lasse sich der Trugschluss „algorithmischer Objektivität“ (ebd., S. 24) umgehen, da algorithmische Prozesse als sozial situiert begriffen werden müssen wodurch sich auch „Unbeständige Aushandlungen, Abweichungen, Fragilität und eine Neigung zum Scheitern“ (ebd., S. 25) als Merkmale von Algorithmuskulturen offenbaren. Algorithmische Logiken und Logiken der Praxis sind fester Bestandteil unseres Alltags und stehen in einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang, wodurch sich ein kontingenter Raum für kulturelle Aushandlung und Bedeutungsstiftung eröffnet. Die oben exemplarisch skizzierten Ansätze machen deutlich, dass Praktiken in unserer Gegenwart in elementarer Weise eine digital-mediale Dimension umfassen. Wenngleich diese Ansätze sowohl in medien- als auch praxistheoretischer Hinsicht je unterschiedliche Schwerpunkte setzen, teilen sie die grundsätzliche Absicht, Medien nicht nur als statische Vermittlungsinstanzen oder als materielle Manifestation der Kommunikation zu verstehen. Stattdessen betonen sie im Anschluss an praxeologische Positionen die Performativität, Operativität und Mehrdimensionalität sozio-medialer Gefüge und bieten somit analytische Konzepte, die anstelle eines präskriptiven Medienverständnisses die dynamischen und komplexen Relationierungsprozesse von Menschen und Medien in den Vordergrund rücken. Anstatt von den gegenständlichen Medien auszugehen, rücken die Ansätze Medialität in den Mittelpunkt. Dieser ‚shift‘ geht mit der Setzung einher, sich von einem gegenständlichen, festgeschriebenen Medienbegriff abzuwenden und stattdessen die Vollzugswirklichkeiten medialer Konstitutionsformen zu betrachten. Somit wird „die essentialistische Frage, was Medien sind, in die Frage danach, wie Medien verfahren“ (Jäger 2015, S. 110) transformiert. Die damit umrissene Position macht zudem auch die anthropologischen Bezüge des Medialen deutlich, denn die Blickverschiebung hin zu Medialität und die damit verbundene Hinwendung zur Performativität kommt nicht ohne einen Einbezug des ‚menschlichen Faktors‘ aus. Anders formuliert: Von Medialität auszugehen macht nur dann Sinn, wenn diese nicht in einer isolationistischen Betrachtungsweise mündet, sondern die sozialen Praktiken, Artefakte und Infrastrukturen gleichermaßen berücksichtigt – kurz: wenn Medialität als situiertes Konzept angelegt wird. Zudem lässt sich – um den Bezugsrahmen im Hinblick auf gegenwärtige medienkulturelle Ausprägungen weiter zu konkretisieren – fragen, wie Medialität im Hinblick auf Digitalität verstanden werden kann. Jörissen (2014, S. 505) sieht die Besonderheit des Digitalen einerseits durch eine „Steigerung der Komplexität medialer Architekturen, andererseits durch die Vervielfachung und Verbreitung medialer Optionen der eigenen, individuellen Artikulation in neuen Öffentlichkeitsgefügen“ gegeben. Unter Bezugnahme auf den medienphilosophischen Ansatz von Mersch hebt Jörissen
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die Besonderheit des Materiellen hervor, die im Mediatisierungsprozess zum Vorschein kommt und sich dadurch auszeichnet, dass „Materialität durch das Ereignis des Erscheinens überdeckt wird“ (ebd.). Das Besondere an digitaler Medialität ist nun, dass dieses materielle Moment von Mediatisierungsprozessen auf Grundlage der technischen Möglichkeiten der Digitalität in neuer Weise de- und recodiert wird. Auf Grundlage der entsprechenden miteinander vernetzten medientechnologischen Infrastrukturen und Ökologien zeichnet sich digitale Medialität somit durch eine spezifische Erweiterung der „Möglichkeitsbedingungen menschlicher Artikulation“ (ebd., S. 511) aus. Der hier nachgezeichnete Rekurs auf Praktiken im Kontext digitaler Medialität hebt zugleich, wenn auch mit unterschiedlicher Deutlichkeit, die Notwendigkeit einer rekonstruktiv- prozessanalytischen Empirie zur Erschließung konkreter Phänomene hervor. Das Repertoire praxistheoretischer Analysevarianten (Schäfer et al. 2015) kann hier mit vielen Anknüpfungspunkten aufwarten, medienpädagogischer Forschung neue Impulse zu geben – wenngleich auch hier die oben erläuterten medientheoretischen Anknüpfungspunkte einer methodologischen Einordnung bedürfen. Praktiken im Kontext digitaler Medialität zu untersuchen – soviel machen die vorangehenden Ausführungen deutlich – bedarf mehr als eine additive Erweiterungslogik praxeologischer Methoden. Vielmehr gilt es, die anthropomediale Gestalt gegenwärtiger Existenzweisen (Voss et al. 2019) in ihrer Komplexität ernst zu nehmen und neue Wege zu finden, diese im Rahmen medienpädagogischer Forschung und Theoriebildung fruchtbar zu machen. Der vorliegende Sammelband unternimmt einen ersten Versuch, sich diesen Aufgaben anzunähern indem er das Feld praxistheoretischer Positionen vor dem Hintergrund medienpädagogischer Fragestellungen ausleuchtet und einen Überblick über theoretische und empirische Arbeiten bietet, die unterschiedliche Möglichkeiten aufzeigen, produktive Brückenschläge zwischen Medienpädagogik und Praxistheorie herzustellen. Die Beiträge machen das breite Spektrum möglicher Anknüpfungspunkte deutlich, wodurch mögliche Weiterentwicklungen sowie bestehende Desiderate im adressierten Schnittfeld skizziert werden.
3 Überblick über die Beiträge 3.1 Theoretisch-konzeptionelle Zugänge Der erste Teil des Bandes richtet das Augenmerk auf theoretisch ausgerichtete Zugänge mit unterschiedlichen Schwer- und Bezugspunkten zu (medien-) pädagogischen Diskursen und Arbeitsfeldern. Die Beiträge verdeutlichen die
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Breite des praxeologischen Theoriearsenals und leisten dabei zweierlei: Erstens stellen sie Verbindungen zwischen erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen und Praxistheorien her und beziehen diese – zweitens – auf digital-mediale Zusammenhänge und Problemstellungen. Hierbei werden unterschiedliche Facetten praxistheoretischer Autor*innen hervorgehoben und in einem medienpädagogischen Kontext diskutiert. Im Vordergrund stehen bspw. Überlegungen zum Verhältnis von Habitus und Feld, spezifische Praxisformen medienpädagogischer Settings, die pädagogische Bedeutung der Materialität medialer Praktiken sowie Fragen nach Möglichkeiten der Einbindung von Körperlichkeit. Ralf Biermann befasst sich in seinem Beitrag Digitalisierung und Digitalität im Kontext von medialem Habitus und Feld mit der Frage, inwiefern das Konzept des medialen Habitus durch eine Erweiterung im Anschluss an die Bourdieu’sche Feldtheorie Möglichkeiten zur Analyse von Fragen der Bildung im Kontext der Digitalität bietet. Hierzu bezieht sich der Autor auf den Kontext der Schule und stellt dar, wie sich durch eine solche feldanalytische Erweiterung etwa ( bildungs-) politische Kämpfe, mediale Strukturen und damit verschränkte Praktiken der Akteur*innen untersuchen lassen. Biermann geht dazu auf die Verbindung zwischen Habitus und Feld ein und erläutert, wie dieses Verhältnis als digital durchdrungen verstanden werden kann. Der Autor entwickelt schließlich einen analytischen Rahmen, anhand dessen sich erforschen lässt „wie Akteur*innen im Schulsystem ihre Praxis generieren und welche Hindernisse und Potenziale damit verbunden sind“, wobei dezidiert die Frage der digitalen Verfasstheit dieser Praxis zu berücksichtigen ist. Ebenfalls mit Bezug auf Bourdieus Feldtheorie erörtert Valentin Dander in seinem Beitrag Bildung als kollektive Selbst- und Welttransformation. Eine praxistheoretische Per-Version die Frage nach den Möglichkeiten der Veränderung von Feldern im Zusammenhang mit Bildung als habitueller Transformationsprozess. Er spürt dieser Fragestellung ausgehend von der These nach, Habitustransformationen nicht nur als Flexibilisierungs- und Anpassungsleistung zu verstehen, sondern als Impulse für Veränderungen von Feldstrukturen. Dander geht dieser Frage am Beispiel politischer Bildung nach und bezieht sich auf kollektive Praktiken, welche das Potenzial besitzen können feldimmanente Logiken und Machtverhältnisse zu verändern. Hierbei plädiert er für eine Betrachtung von Bildung als Verschränkung von Habitus- und Feldtransformation und diskutiert diesen Aspekt vor dem Hintergrund der digital-medialen Durchdringung politischer Felder, wobei er exemplarische Medienpraktiken beschreibt, denen er transformatorische Potenziale attestiert. Kerstin Mayrberger widmet sich in ihrem Beitrag Praxistheoretisch informierte partizipative Mediendidaktik – Erörterung am Beispiel von Open
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Educational Practice(s) im Sinne eines ‚Doing-mediatizied-participatory-learning‘ der Frage, wie offene und partizipative Lehr-/Lern-Formen praxeologisch fundiert werden können. Hierzu geht die Autorin zunächst dezidiert darauf ein, welche praxistheoretischen Aspekte sich für (medien-)didaktische Perspektiven als besonders relevant darstellen. Konkretisiert werden diese Überlegungen schließlich mit Bezug zum Ansatz einer partizipativen Mediendidaktik. Mayrberger diskutiert die Potenziale und Herausforderungen einer solchen praxeologischen Grundlegung, die den Aspekt der Koaktivität als eine alternative Sicht auf Lernumgebungen betont, schließlich am Beispiel von Open Educational Practice(s). Dabei hebt sie hervor, dass eine solche umfassende und breit angelegte Herangehensweise neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Lernumgebungen bietet, welche die Voraussetzungen für die Entwicklung partizipativer Lernpraktiken darstellen können. Im Beitrag von Dan Verständig mit dem Titel Code As You Are? – Über kreative Praktiken des Codings und deren Bedeutung für Subjektivierungsprozesse wird eine praxeologische Sicht auf den Umgang mit Softwarecode entworfen, wobei insbesondere Formen der performativ-ästhetischen Gestaltung und deren subjektivierungs- und bildungstheoretische Implikationen im Vordergrund stehen. Ausgehend von der Annahme einer engen Verflechtung von menschlichen Praktiken und digitalen Softwarearchitekturen begreift Verständig Code als Bestandteil von sozialen Aushandlungsprozessen. Am Beispiel des Creative Coding zeigt er, wie sich im Spannungsfeld zwischen technologischen Rahmenbedingungen und künstlerischer Interpretation Subjektivierungsprozesse entfalten, die auf neuen Artikulationsoptionen digitaler Medialität beruhen. Der Autor entwickelt seine Position unter anderem vor dem Hintergrund des sprachphilosophischen Fundaments von Code und Performativität wobei er zeigen kann, dass aus dem tentativen Zusammenspiel von Mensch und digitaler Technologie komplexe Sinndeutungs- und Reflexionsoptionen emergieren können, die spezifische Bildungspotenziale aufweisen. Matthias Wieser befasst sich in seinem Beitrag Zur Materialität medialer Praktiken mit dem Zusammenhang von Dinglichkeit und Medialität im Kontext des Digitalen. Wieser differenziert hierbei zwischen zwei Strängen von Medienpraktiken als Forschungshaltung: Einerseits werden Medienpraktiken – u. a. geprägt durch die Cultural Studies – als Praktiken mit Medien im Sinne von der Nutzung von Medien durch Menschen begriffen. Auf der anderen Seite sieht Wieser Ansätze, die stärker durch die Position der Akteur-Netzwerk-Theorie gekennzeichnet sind, dementsprechend weniger anthropozentrisch argumentieren und mehr auf die Materialität der Medien sowie deren Agency eingehen. Auf dieser Grundlage legt Wieser schließlich dar, inwiefern ein prozessualer Bildungsbegriff notwendig erscheint wobei insbesondere mit Blick auf die zweite
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von ihm dargelegte (neomaterialistische) Sicht auf Medienpraktiken die Notwendigkeit eines Bildungsbegriffs erkennen lässt, der nicht subjektzentriert ist, sondern stärker heterogene ‚Seinsweisen‘ in dem Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Lucia Sehnbruch und Rüdiger Wild setzen sich in ihrem Beitrag Körperpraxis und Körpererfahrung – praxistheoretische und pragmatistische Perspektiven auf Medienbildung und Körperwissen mit dem Zusammenhang von Körper, Medien und Bildung auseinander. Ausgehend von einer kurzen historischen Rückschau auf Konzeptionen von Körperlichkeit im Spiegel der (Bildschirm-) Mediengeschichte, beschreiben sie die sich in Praktiken entfaltenden und kulturell etablierten Wechselwirkungen von Körperwissen und Maschinenwissen wobei sie auf die paradoxe Figur der „körperlosen Inkorporierung“ aufmerksam machen. Dabei verweisen sie mit Blick auf Fragen der Bildung auf die Notwendigkeit, die hier wirksamen Machtmechanismen zu berücksichtigen, die sich oft nur unterschwellig zu erkennen geben, gleichwohl aber die Medienpraktiken entscheidend mitformen. Am Beispiel des Selfies veranschaulichen Sehnbruch und Wild wie Medialität, Sozialität, Körperlichkeit und das durch Social-Media-Konzerne geprägte Machtgefüge in einem gegenseitigen Verweisungszusammenhang stehen. Hierauf Bezug nehmend stellen sie dar, wie im Rahmen habitueller Persistenz eine pragmatistische Erweiterung die Möglichkeit bietet, ein differenziertes Verständnis von Medienbildung zu entwickeln, indem neben vorreflexiven Aspekten der Praxis auch reflexive Komponenten stärker Berücksichtigung finden. Der zweite Teil des Bandes beleuchtet empirische Perspektiven im Anschluss an praxistheoretische Ansätze. Anhand von drei Beiträgen werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich Medienpraktiken in unterschiedlichen medienpädagogischen Zusammenhängen als empirischer Bezugspunkt eignen und welche Forschungsstrategien und methodischen Zugänge sich für eine praxistheoretisch informierte medienpädagogische Forschung anbieten. Ingrid Paus-Hasebrink widmet sich in ihrem Beitrag dem Thema Medien und Sozialisationsforschung – ein praxeologischer Ansatz. Langzeitstudie zur Rolle von Medien bei sozial benachteiligten Heranwachsenden. Sie legt dar, wie sich ausgehend von einer praxistheoretischen Herangehensweise der sinnhafte Umgang mit Medienrepertoires in den Blick nehmen lässt, und zugleich eine Einordnung der sozialen Einbettung unterschiedlicher habitualisierter Mediennutzungsmuster möglich wird. Die Autorin zeigt, wie eine solche praxeologische Mediensozialisationsforschung durch den langfristigen Blick auf die Arrangements der alltäglichen Lebensführung Einblicke in langfristige ( Medien-) Sozialisationsprozesse ermöglicht. Dies veranschaulicht Paus-Hasebrink am
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Beispiel einer Studie aus der integrativen Familienforschung und verdeutlich dabei, wie eine praxistheoretisch fundierte Analyse komplexe Prozesse auf Mikro-, Meso- und Makroebenen in einen Zusammenhang bringen kann. Auf dieser Grundlage kann die Autorin darlegen, inwiefern gerade im Falle sozial benachteiligter Familien umfassende und abgestimmte Förderkonzepte notwendig sind. Mit ihrem Beitrag Doing Culture in Online-Rollenspielen – eine praxistheoretische Perspektive auf Umgehen mit Misserfolg in Gruppen als Teil der Gaming Culture fokussieren Kerstin Raudonat und Nicola Marsden auf den Bereich der Computerspiele. Sie zeigen am Beispiel eines Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG) wie eine praxistheoretische Perspektive in Verbindung mit der Culture-inclusive Action Theory ein vertiefendes Verständnis der Spielhandlungen ermöglicht. Die Autorinnen legen hierzu dar, inwiefern Gaming Culture im Sinne von ‚Kultur als Praxis‘ begriffen werden kann, wodurch sich Computerspiele in ihren jeweiligen sozialen Zusammenhängen in den Blick nehmen lassen. Raudonat und Marsden legen hiervon ausgehend dar, wie bestimmte Spielhandlungen als komplexe und vielfältige Form sozialer Praxis beschrieben werden können, bei der situationale und individuelle Aspekte zusammenkommen. Mit Bezug auf den analytischen Rahmen der Culture-Inclusive Action Theory und dem Beispiel des Umgangs mit Miss erfolg im Spiel zeigen sie schließlich, wie sich die beobachteten Praktiken auf dieser Grundlage differenziert auf unterschiedlichen Ebenen beschreiben und theoretisch einordnen lassen. Lukas Dehmel und Sebastian Zick befassen sich in ihrem Beitrag Das Smartphone in der berufsvorbereitenden Bildung junger Erwachsener – Empirische Erkundungen aus praxistheoretischer Perspektive mit der Frage, wie sich im Zusammenhang mit Smartphones pädagogische Ordnungen konstituieren. Auf Basis einer ethnografischen Studie im Bereich der berufsvorbereitenden Bildung vollziehen sie Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen beteiligten Akteur*innen nach. Die Autoren legen hierzu zunächst Bezüge zwischen dem Konzept pädagogischer Ordnungen und einer von der Akteur-Netzwerk-Theorie inspirierten Perspektive dar, die insbesondere den Stellenwert von Artefakten für pädagogische Zusammenhänge in den Mittelpunkt rückt. Mit dem daraus abgeleiteten Zugang fokussieren sie auf die sozio-medialmateriellen Praxis des untersuchten Feldes und zeigen anhand exemplarischer Fallanalysen von zwei Skateboardworkshops, wie der Aufforderungscharakter des Smartphones und menschliche Interaktionen miteinander verwoben sind und insofern von einem hybriden Akteur*innenkonzept ausgegangen werden kann, die pädagogische Ordnungen in unterschiedlicher Weise prägen.
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Der vorliegende Sammelband wäre ohne die Mitwirkung verschiedener Personen sehr wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Wir möchten daher zunächst dem Springer Verlag in Person von Frau Stefanie Laux für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Buches und die Begleitung des Prozesses herzlich danken. Zudem gilt unser Dank Paul Weinrebe für seine sorgfältigen Korrekturen und redaktionellen Bearbeitungen der Beiträge.
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Digitalisierung und Digitalität im Kontext von medialem Habitus und Feld Ralf Biermann
Zusammenfassung
Mit dem Konzept des medialen Habitus wurde in der Vergangenheit eine individuelle Perspektive auf das Medienhandeln eingenommen. Der Beitrag greift dies auf und erweitert diese Betrachtung um die Feldtheorie und die Begrifflichkeiten Digitalisierung und Digitalität. Am Beispiel Digitaler Bildung in der Schule wird erläutert, in welchen Bereichen dieses komplexe Konstrukt Anwendung finden kann und worin die Vorteile liegen. Schlüsselwörter
Digitaler Habitus · Medialer Habitus · Digitalität · Digitalisierung · Algorithmen · Algorithmizität
1 Einleitung Mit der Zustimmung des Bundesrates Mitte März 2019 wurde der DigitalPakt Schule beschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt, rangen die Beteiligten darum, wie der Bund den Ländern für die Digitalisierung der Schule Gelder zur Verfügung stellen kann. Primär geht es auch hier um die technische Ausstattung, was an die 2012 eingestellte Initiative „Schulen ans Netz“ erinnert, als es um den Zugang
R. Biermann (*) Otto-von-Guerike-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_2
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der Schulen zum Internet ging. Dass reine Ausstattungsinitiativen nicht zum gewünschten Ziel führen, wurde schon früher bemängelt (vgl. exemplarisch Kommer und Biermann 2012, S. 77). Inwiefern nun Qualifizierungen einzelner Lehrer*innen allein ausreichen, die Zustände an den Schulen effektiv zu verändern, bleibt zunächst offen. Als eine Möglichkeit, dieses Themengebiet gewinnbringend zu beforschen, schlage ich eine Perspektive vor, die die Schule in einen komplexen Zusammenhang stellt und diverse Aspekte berücksichtigt, um theoretisch geleitet ein umfassendes empirisches Bild der digitalen Praxen und Ihrer Entwicklung zu erhalten. Ziel des Beitrags ist es daher, eine konzeptionelle Perspektive auf Bildung im Horizont der Digitalität einzunehmen, die an das Konzept des medialen Habitus sowie der Feldtheorie nach Bourdieu anschließt.
2 Digitale Bildung Bereits 1984 prangte auf dem Titelblatt des Magazins Spiegel (Ausgabe 47/19841) die Schlagzeile: „Revolution im Unterricht. Computer wird Pflicht.“ Seither sind 36 Jahre vergangen. Betrachtet man die Entwicklung in dieser Zeit, dann fällt es im Rückblick durchaus schwer, von einer Revolution zu sprechen. Vielmehr können die Projekte und Vorhaben zur Digitalisierung der Schule als ein schleichender Prozess beschrieben werden, der vor allem zahlreiche Bemühungen zeigt, die aber nur teilweise oder bruchstückhaft nachhaltig integriert wurden. Die Widerstände gegen die Neuerungen scheinen nicht gering zu sein. Im Gegensatz dazu sind digitale Medien im (nicht-schulischen) Alltag und der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen längst angekommen und zu einem festen Bestandteil geworden (vgl. exemplarisch die KIM- und JIM-Studien des Forschungsverbundes Südwest). Es stellt sich somit die Frage, wie man diese Widerstände greifen und erklären kann.
3 Die Perspektive des medialen Habitus Das Konzept des medialen Habitus (Biermann 2009; Kommer 2010; Kommer und Biermann 2012) basiert auf den Arbeiten, die im Rahmen des Freiburger Forschungsprojektes „Medienbiographien mit Kompetenzgewinn“ an der Pädagogischen Hochschule Freiburg durchgeführt wurden. In der ersten
1https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21113394.html
12.5.2019.
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Projektphase (Kommer 2010) wurden unter anderem Lehramtsstudierende zu ihren Mediennutzungsgewohnheiten und Ausprägungen von Medienkompetenz befragt und bei der Produktion von multimedialen Präsentationen beobachtet. Ein Teil des Forschungsinteresses lag in diesem Kontext bei der Einschätzung von Potenzialen digitaler Medien für den Unterricht. Bemerkenswert war dabei die ablehnende Haltung mediendidaktischer Integrationsbemühungen durch die angehenden Lehrer*innen. Mit dieser auffälligen negativen Zuschreibung und mit den erhobenen medienbiographischen Daten ergab sich eine Habitusformation, die es erlaubte, Gründe für den bis dahin kaum stattfindenden Medieneinsatz im Unterricht zu eruieren. Um sicherzustellen, dass diese Muster nicht nur aufgrund der Stichprobe zustande kamen, wurden zudem ca. 1.200 Lehramtsstudierende mittels eines quantitativen Fragebogens zu ihrem medialen Habitus befragt (Biermann 2009). Die Ergebnisse bestätigten weitgehend die in der qualitativen Studie gewonnenen Erkenntnisse. Die Analyse mit Hilfe des medialen Habitus erlaubte es so, theoretisch und empirisch fundiert Aussagen zu Hindernissen bei der Integration digitaler Bildung in der Schule zu treffen. Das Konzept ist in den letzten Jahren immer wieder aufgegriffen und auf andere Bereiche bezogen worden: Erwachsenenbildung (Bolten 2018), Lehramtsausbildung (Bäsler 2019), Volksschule (Mutsch 2012) oder Kindergartenkinder (Swertz et al. 2014). Gemeinsam ist allen Beiträgen ein Blick auf einen pädagogischen Tätigkeitsbereich und der Frage nach dem Grad der Integration von Medien in das entsprechende Setting über die Betrachtung der Habitus der Pädagogen*innen. Der Begriff des medialen Habitus basiert auf den Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1982, 2006 usw.). In dessen umfangreichen Werk nimmt der Begriff des Habitus eine zentrale Stellung ein. Bereits in den ersten wissenschaftlichen Arbeiten in Algerien beschreibt er zwei Seiten des Sozialen. Das generative Prinzip organisiert die Praxis, d. h. dass vorhandene, bis zu diesem Zeitpunkt ausgebildete Dispositionsgefüge Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata (strukturierte Struktur) beinhaltet, derer wir uns in unserem Alltag bedienen und daraus Handlungen entwickeln (strukturierende Struktur). „Der Habitus setzt sich aus Dispositionen zusammen. Die Disposition kommt in einer Anzahl ähnlicher Situationen zur Anwendung. In diesen Situationen tendiert man zu einer bestimmten Handlungsweise. Aber keine einzelne Situation ist deduktiv mit einer bestimmten Disposition verknüpft, und keine Disposition legt eine Handlungsweise bzw. Handlungskette exakt fest.“ (Rehbein 2006, S. 92)
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Die Dispositionen werden im Verlauf der Biographie und Sozialisation aufgrund der gemachten Erfahrungen z. B. in der Familie verinnerlicht bzw. inkorporiert. Damit ist zugleich auch bedeutsam, was wir auf der einen Seite alles an Potenzialen besitzen und auf der anderen Seite welchen Grenzen wir ausgesetzt sind. Mit dem Habitus klassifizieren wir und werden zugleich klassifizierbar. „In den Dispositionen des Habitus ist somit die gesamte Struktur des Systems der Existenzbedingungen angelegt, so wie diese sich in der Erfahrung einer besonderen sozialen Lage mit einer bestimmten Position innerhalb dieser Struktur niederschlägt.“ (Bourdieu 1982, S. 279)
Um den Habitus zu beschreiben, ihn sozusagen für die Analyse in eine Form zu gießen und ihn greifbarer zu machen, helfen die Kapitalsorten. Zu unterscheiden sind insgesamt vier Formen: Ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Letzteres nimmt jedoch eine Sonderstellung ein. Das ökonomische Kapital sind Geld, Besitztümer, Aktien etc. und lässt sich in andere Kapitalformen transformieren. Das kulturelle Kapital ist in drei unterschiedlichen Formen präsent. Als inkorporierte und körpergebundene Kultur kann es als Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten beschrieben werden, die fest mit der Person verbunden sind. Sind diese kulturellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten über einen Bildungstitel wie z. B. einen Hochschulabschluss zertifiziert, spricht man von institutionalisiertem kulturellen Kapital während das objektivierte kulturelle Kapital für bestimmte Objekte wie z. B. ein Gemälde steht (vgl. vertiefend hierzu Bourdieu 1983). Das symbolische Kapital beschreibt Bourdieu indifferent. Einmal ist es mehr so etwas wie Renommee und Ansehen (Müller 2016, S. 54 bzw. Bourdieu 1993, S. 245), ein andermal ist es eine besondere Konfiguration eines der anderen Kapitalsorten, die in einem Feld besonders hervortreten oder verlangt werden (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 151). Wenn die Ausformung des Habitus bzw. von Kapitalsorten mit den Existenzbedingungen verbunden ist, dann hat die Ubiquität digitaler Medien in der Alltagswelt der Menschen eine wesentliche Bedeutung für die Konfiguration von Dispositionen. Dies bedeutet, dass das Medienhandeln mit der Erfahrungswelt der Menschen tief verwurzelt ist. Medienkompetenz, verstanden als kulturelles Kapital, lässt eine analytische Perspektive auf habituelle Muster zu, die sowohl individuelle Ausprägungen der Medienkompetenz als auch pädagogische Handlungsoptionen bzw. -notwendigkeiten aufzeigt. Wie bei einer Verortung der Akteur*innen im sozialen Raum erfolgt eine solche ebenso im digitalen Raum. Die Verwobenheit von digitalen und nicht-digitalen ist dabei als grundlegend anzusehen (nicht wie z. B. bei der Diskussion um reale und virtuelle Welt).
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Hier setzt auch der mediale Habitus an, indem er die Verwobenheit des medialen mit dem nichtmedialen herausstellt: „Unter medialem Habitus verstehen wir ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Zuschreibungen fungieren und die im Verlauf der von der Verortung im sozialen Raum und der strukturellen Koppelung an die mediale und soziale Umwelt geprägten Ontogenese erworben werden. Der mediale Habitus bezeichnet damit auch eine charakteristische Konfiguration inkorporierter, strukturierter und zugleich strukturierender Klassifikationsschemata, die für ihre Träger in der Regel nicht reflexiv werden. Der mediale Habitus ist Teil des Gesamt-Habitus einer Person und aufs engste mit diesem verbunden“. (Kommer und Biermann 2012, S. 86)
Der mediale Habitus ist ein Konzept, was über die Rezeptionsstudien hinausgeht, indem er unter anderem auch biographische, distinktive und strukturelle/ gesellschaftliche Aspekte erfasst, und ein umfangreiches analytisches Werkzeug zur Betrachtung von Medienphänomenen darstellt. Es integriert dabei Medienkompetenz als kulturelles Kapital und Medienbildung (Jörissen und Marotzki 2009) als Möglichkeit der Beschreibung von Transformationsprozessen des (medialen) Habitus (Biermann 2013 sowie Bettinger 2018). Die Aspekte von Bildung als Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen bieten eine Möglichkeit zu der immer wieder auftauchenden Frage nach der Veränderbarkeit des Habitus. Gerade vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten ablehnenden Haltung der angehenden Lehrpersonen muss geklärt werden, unter welchen Bedingungen und wie man diesen verändern kann, wenn man den bisherigen Status Quo verändern möchte. Der Habitus stellt zunächst ein stabiles System von Mustern dar. Mit dem Begriff der Hysteresis bzw. Beharrlichkeit des Habitus ist der Schutz vor Veränderungen verbunden, der zur Lesart des Habituskonzepts führte, dass dieses ein menschliches Wesen beschreibt, dass in seinen Handlungen und Denkweisen starr und deterministisch ist. Dieser Sichtweise wird hier widersprochen, denn Veränderungen des Habitus werden als möglich angesehen und vor dem Hintergrund von Modernisierungsprozessen gerade für Bildungsprozesse relevanter (siehe exemplarisch von Rosenberg 2011). Gerade in Beziehung zum Feld zeigt sich, dass im Habitus auch eine gewisse Flexibilität liegt bzw. liegen muss: „Erstens, der Habitus realisiert, aktualisiert sich lediglich in der Beziehung zu einem Feld, wie auch ein und derselbe Habitus je nach Zustand des Feldes zu höchst unterschiedlichen Praktiken und Stellungnahmen führen kann. […] Zum zweiten: Der
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R. Biermann Habitus, Produkt sozialer Konditionierungen, folglich einer Geschichte (im Gegensatz zum Charakter), ist in unaufhörlichem Wandel begriffen, sei es, daß er sich verstärkt, und zwar immer dann, wenn die inkorporierten Erwartungsstrukturen auf Strukturen von Chancen stoßen, die mit den Erwartungen objektiv übereinstimmen, sei es, daß er sich grundlegend verändert, wenn das Erwartungsniveau, die Anspruchslage sich erhöht oder aber sinkt (was zu sozialen Krisen führen kann).“ (Bourdieu 1989, S. 406 f.)
In Ergänzung den bisher bearbeiteten subjektiven Sichtweisen des medialen Habitus soll deswegen die Feldtheorie den Blick ergänzen und sowohl Dynamiken der Praxis wie auch Veränderungen bzw. Beharrlichkeiten des Habitus analytisch integrieren. Zudem wird das Handeln in ein übergeordnetes soziales Gefüge in Beziehung gebracht, das der Formel „[(Habitus) (Kapital)] + Feld = Praxis“ (Bourdieu 1982, S. 175) oder kürzer „Struktur – Habitus – Praxis“ (Müller 2006, S. 42) folgt. Damit werden – bezogen auf Schule – über die Subjektperspektive hinaus Einflüsse auf die Praxis analytisch greifbar.
4 Grundlagen der Feldtheorie Mit der Feldtheorie ergänzt Bourdieu den Habitus um einen Analyseaspekt, bei dem vor allem die Dualität von Habitus und Feld die Praxis der Akteur*innen hervorbringt. Mit einem Feld wird ein relativ autonomer Raum beschreiben, der einen Mikrokosmos darstellt, in dem eigene soziale Gesetze gelten, die allerdings nicht ganz losgelöst vom Makrokosmos der Gesellschaft existieren. Während Bourdieu bei „Die feinen Unterschiede“ (1982) noch die Positionierung im sozialen Raum im Vordergrund stand, nutzt er den Feldbegriff, um spezifische gesellschaftliche Formationen sowie ihre Eigenheiten und Mechanismen zu beschreiben. Es existieren verschiedene Publikationen von Bourdieu, in denen er die Analysen unterschiedliche Felder beschreibt: das wissenschaftliche Feld, das ökonomische Feld, das Feld der Kunst usw. (Zur Übersicht der Werke siehe Fußnote 22 in Bourdieu und Wacquant 2006, S. 124). Hierbei zeigt sich, dass Bourdieu seine Begriffe im Forschungsprozess entwickelt und beschreibt. Das bedeutet, dass die Definitionen nicht für sich allein entwickelt werden können, sondern dass diese innerhalb eines theoretischen Systems, in dem sie verwendet werden, mit Bedeutung gefüllt werden müssen (ebd., S. 125). Wenn die Begriffe also im Kontext von Forschung entwickelt wurden, verdeutlicht dies, wieso man in den Werken Bourdieus keine einheitlich verwendete Definition findet. Somit
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kann das, was unter Feld verstanden werden kann, hier nur in Ansätzen erläutert und in Bezug auf die o. g. Intention des Beitrags erklärt werden. Die grundlegendste Beschreibung eines Feldes ist die Analogie zum Kräftefeld, in dem Akteur*innen um Macht, bessere Positionen, Einfluss auf das Feld usw. kämpfen. Es geht also darum, die Verhältnisse zu bewahren, wenn man ein angestrebte/attraktive Position in der Feldstruktur innehat. Oder aber darum diese im Sinne eigener Interessen zu verändern, wenn man seine Position verändern bzw. verbessern will. Anders formuliert geht es um die Relationen in dem Feld: „Analytisch gesprochen wäre ein Feld als ein Netz oder eine Konfiguration von objektiven Relationen zwischen Positionen zu definieren. Diese Positionen sind in ihrer Existenz und auch in den Determinierungen, denen sie auf ihnen befindlichen Akteure oder Institutionen unterliegen, objektiv definiert, und zwar durch aktuelle und potentielle Situationen (situs) in der Struktur der Distribution der verschiedenen Arten von Macht (oder Kapital), deren Besitz über den Zugang zu den in diesem Feld auf dem Spiel stehenden spezifischen Profiten entscheidet, und damit auch durch ihre objektiven Relationen zu anderen Positionen (herrschend, abhängig, homolog usw.)“ (ebd., S. 127 Herv. im Original)
Der Zugang zum Feld selbst wird durch Anforderungen an eine spezifische Konfiguration von Kapital geregelt. Diese kann zugleich als Grundlage dafür angesehen werden, um in dem Feld grundlegend handlungsfähig zu sein. Die geforderte Konfiguration kann z. B. durch Bescheinigungen wie Zeugnisse, Bildungstitel wie Hochschulabschlüsse oder im Falle eines sozialen Netzwerkes über Follower, Likes etc. belegt werden. Das bedeutet auch, dass das Feld eine spezifische Logik in Verbindung mit den Anforderungen an die Kapitalkonfiguration besitzt. Mit der individuellen Konfiguration handeln Akteur*innen dann im Feld: „Die Struktur des Feldes wird in jedem Augenblick vom Stand der Machtverhältnisse zwischen den Spielern bestimmt: Man kann sich das so vorstellen, daß jeder Spieler Stapel von verschiedenfarbigen Jetons vor sich liegen hat, die den verschiedenen Kapitalsorten entsprechen, die er besitzt, so daß seine relative Stärke im Spiel, seine Position im Raum des Spiels und auch seine Spielstrategien, also das, was man sein «Spiel» nennt, die mehr oder weniger riskanten, mehr oder weniger vorsichtigen, mehr oder weniger konservativen oder subversiven Züge, die er ausführt, zugleich von der Gesamtmenge seiner Jetons und von der Struktur seiner Jetonstapel abhängt, von dem Gesamtumfang und der Struktur seines Kapitals […].“ (ebd., S. 128 f. Herv. im Original)
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und weiter: „Die Spieler können spielen, um ihr Kapital, ihre Jetons, zu vermehren oder zu erhalten, sich also an die unausgesprochenen Spielregeln und die Notwendigkeiten der Reproduktion von Spiel und Einsätzen halten; sie können aber auch darauf hinarbeiten, die immanenten Regeln des Spiels ganz oder teilweise zu verändern, beispielsweise den relativen Wert der Jetons oder die Wechselkurse zwischen den verschiedenen Kapitalsorten, und zwar durch Strategien, die darauf angelegt sind, die Unter-Kapitalsorte, auf der die Macht ihrer Gegner beruht […] zu entwerten und diejenige Kapitalsorte aufzuwerten, mit der sie selbst besonders gut ausgestattet sind.“ (ebd., S. 129)
Je mehr die Akteur*innen im Feld selbst bestimmen können, was für eine Kapitalausstattung eine Rolle für die Teilhabe im Feld spielt, desto unabhängiger ist es. Anders formuliert: Sein eigenes nicht von der Legislative beschlossenes Gesetz zu haben, heißt autonom von äußeren Einflüssen zu sein. In den Praxen werden die Anforderungen an die Kapitalkonfiguration(en) also ständig neu ausgehandelt. Je autonomer ein Feld von äußeren Einflüssen ist, desto freier dürften diese Prozesse ablaufen. Da Felder einen gesellschaftlichen Ausschnitt darstellen, sind sie nie gänzlich autonom, sondern immer auf das Ganze bezogen und davon abhängig (Bourdieu 1998, S. 18). Der Grad der Autonomie ist deshalb von besonderer Bedeutung, da er beschreibt, wie sich Einflüsse von außen auf das Feld auswirken und welche Freiheiten die Akteur*innen bei der Entwicklung von Strategien im Umgang damit entwickeln. Wie wir noch sehen werden, kann dies von entscheidender Bedeutung für die Konstitution der Struktur eines Feldes sein. Politische Entscheidungen und Gesetzesvorhaben können weitreichende Folgen haben, indem sie die Rahmenbedingungen für die ‚Kämpfe‘ vorgeben und Sanktionsmöglichkeiten für Abweichungen etablieren. Für eine Feldanalyse bedeutet dies als erstes, zunächst in Anlehnung an Bourdieu den Bezug des Feldes zum Feld der Macht und damit den Grad der Autonomie zu betrachten (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 136). „Zweitens muß man die objektive Struktur der Relationen zwischen den Positionen der in diesem Feld miteinander konkurrierenden Akteur*innen oder Institutionen ermitteln. Drittens muss man die Habitus der Akteur*innen analysieren, die Dispositionssysteme, die sie jeweils durch Verinnerlichung eines bestimmten Typs von sozialen und ökonomischen Verhältnissen erworben haben und für deren Aktualisierung ein bestimmter Lebenslauf in dem betreffenden Feld mehr oder weniger günstige Gelegenheiten bietet.“ (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 136).
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5 Feldgrenzen und Autonomie Die Reichweite der Felder ist damit noch nicht geklärt. Wie weit reichen die spezifischen Logiken eines Feldes und welche Autonomie besitzt es gegenüber anderen Feldern? Beck et al. (2013) erläutern in ihrem Beitrag wie das Zusammenspiel von medialem Habitus, medialem Kapital und medialem Feld aussehen kann. In Bezug auf das journalistische Feld werden hierbei die Produktionsseite (professionelle Journalist*innen und Medienproduzent*innen etc.) und das Medienhandeln der Nutzer*innen im Feld der Medien aufeinander bezogen. Dazwischen befinden sich noch Bürger*innenmedien und Laienjournalist*innen. Der mediale Habitus in dem Feld der Medien beschreibt also auf der einen Seite einen professionellen Habitus und auf der anderen einen „Rezipienten“-Habitus, die sich durch distinktive Geschmacksmuster (im Sinne von bildungs- und unterhaltungsorientiert) differenzieren lassen. Die Position im Feld wird dann durch das mediale Kapital bestimmt, das eine spezifische Konfiguration aus den anderen Kapitalsorten darstellt. Vor dem Hintergrund der Intention der Autor*innen, speziell das journalistische Feld zu betrachten, leuchtet die Vorgehensweise und Argumentation ein. Für die hier vorgesehene Darstellung eines medialen Habitus in Verbindung mit der Feldtheorie verkürzt diese Herangehensweise den analytischen Blick. Indem unterschiedliche Felder in dem Feld der Medien zusammengeführt werden (eben Produzenten und Rezipienten) gehen die Aspekte der Einflussnahme der Felder untereinander verloren. Nutzt man die bei Beck et al. vorgeschlagene Perspektive auf ein Feld der Medien, vernachlässigt man die Autonomie bzw. Abhängigkeiten von Feldern sowie auch deren historische Entwicklung. Ein Beispiel rund um die begriffliche Verwendung von Sozialisation soll dies präzisieren: Familie, Peergroup und Schule werden als Sozialisationsinstanzen bezeichnet, die man im Laufe des Lebens als spezifische Phasen durchläuft. Zugleich kann man Sie als Felder bzw. Subfelder interpretieren. Quer zu diesen Instanzen und sich zugleich überlagernd befinden sich die geschlechtsspezifische Sozialisation und auch die Mediensozialisation mit unterschiedlichen Wirkstärken in die Instanzen hinein. Das Feld der Medien und das Feld der Familie (vgl. hierzu die Ausführungen von Bourdieu 1998, S. 126 ff. und insbesondere S. 131) stehen hierbei in einer Relation, die durch unterschiedliche
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Verbindungen gekennzeichnet ist. Genau hier ist m. E. die Stärke der Feldtheorie zu sehen, indem beispielsweise die unterschiedlichen Beziehungen und Einflüsse zwischen den Feldern analysiert werden können2.
6 Digitalisierung und Digitalität im Kontext von Habitus und Feld Pointiert geht es bei der Digitalisierung von Feldern zunächst um bisherige Betrachtungen der Feld- und Habitustheorie, die um aktuelle Diskussionen rund um die konstitutive Bedeutung von Digitalität für das menschliche Handeln und insbesondere Bildung (Verständig 2017) erweitert wird. Zu unterscheiden sind hier die Digitalisierung als Prozess des Wandels von Analog- auf Digitaltechnik (z. B. das Erfassen und Speichern von Daten auf Festplatten) und Technisierung des Alltags sowie Digitalität als kulturelles Zusammenspiel von menschlichen und als Erweiterung bisheriger Betrachtungen von technischen Akteur*innen, aus dem sich Praxen entwickeln. Das bedeutet, dass die o. g. Formel Habitus + Feld = Praxis um Aspekte der Digitalisierung und Digitalität erweitert werden muss. Felder können dabei einen unterschiedlichen Grad der Digitalisierung bzw. Digitalität aufweisen. Mit Bezug auf Stalder (2017) kann der Grad selbst mit den drei Perspektiven Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität beschreiben werden. Das bedeutet, dass vor dem Hintergrund von Modernisierungsprozessen und Digitalisierung der Gesellschaft Praxen im Zusammenspiel von Habitus und Feld(ern) entstehen, die zunehmend durch die Digitalität mitbestimmt werden und somit Relationen zwischen den Akteur*innen verändern und habituelle Muster transformieren. Als Folge verändern sich Positionen im sozialen Feld abseits bisheriger Mechanismen der Positionierung. Distinktionsprozesse werden hier über spezifische Merkmale ergänzt. Beispielhaft sei hier auf Likes, Bewertungszahlen etc. verwiesen, die über das Quantifizieren des Sozialen (Mau 2018) eine Objektivität vorspielen und entsprechend als digitales oder Teil des symbolischen Kapitals bezeichnet werden können. Ergänzend zu den oben beschriebenen drei Schritten der Feldanalyse erscheint daher notwendig, die Digitalisierung und die Digitalität des Feldes stärker bei der
2Interessant wäre hier besonders die Analyse der Reaktion der CDU auf das Rezo-Video, da hierbei das politische Feld, das Feld der Medien und – wenn man so weit gehen möchte – das (Sub-)Feld der YouTube-Influencer konkurrieren und kooperieren.
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Analyse zu berücksichtigen. Hier kommt auf der einen Seite der mediale Habitus ins Spiel, indem individuelle mediale Praxen, Einstellungen etc. beschrieben werden. Auf der anderen Seite muss die Feldanalyse um strukturale Elemente ergänzt werden, mit deren Beschreibung zum Beispiel der Grad der Digitalisierung erfasst wird, die zugleich die Basis für eine Kultur der Digitalität darstellt3. Hierzu gehören auch die Betrachtung rechtlicher Rahmenbedingungen, die für das Handeln im Feld reglementierend sind (z. B. Medienrecht, Urheberrecht in Form der jeweiligen Gesetze). Hinzu kommt die technische Ebene, was an Technik vorhanden und somit möglich ist. Wichtig ist dabei aber auch ganz im Sinne einer Kultur der Digitalität (Stalder 2017), dass die kulturellen Praktiken und Aushandlungsprozesse in den Blick genommen werden. Eine meines Erachtens verkürzte und für die Analyse unzureichende instrumentelle Sicht auf die Technik vernachlässigt die Potenziale, die mit dem Konzept des medialen Habitus verbunden sind, indem lediglich eine technokratische Perspektive eingenommen wird. Daneben spielt eine Rolle, wie Algorithmen in den Handlungsprozess des Feldes wirken. Nach Allert und Asmussen (2017) handelt es sich hierbei um komplexe Verflechtungen, die nicht allein aus technischer Sicht heraus betrachtet und erschlossen werden können: „Algorithmen und daten-getriebene Technologien werden zunehmend konstitutive Akteure in Gesellschaft und Bildung und transformieren diese. Es reicht nicht, diesen Phänomenen mit technischem Know-How zu begegnen. Technische Objekte sind beteiligt an der Herstellung von Situation, in denen wir uns befinden, da unsere Aktivitäten mit ihnen konstitutiv verwoben sind, bzw. wir in Praktiken konstitutiv auf sie verwiesen sind.“ (Allert und Asmussen 2017, S. 30)
Habitus und Feld in einer digitalisierten Welt sind somit auch in ihrer Wechselwirkung zur digitalen Technologie zu betrachten. Dies bedeutet, dass Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster in ihrer Ontologie eng mit den medialen Praxen und somit auch dem Medialen selbst verbunden sind. Die Technik als
3Es sei hier noch kurz auf die Probleme der Digitalen Bildung in der Schule insgesamt verwiesen. Der Grad der Digitalisierung kann in der Schule zumeist als gering beschrieben werden. Entsprechend sind kulturelle Praxen im Sinne von Stalder auch wenig ausgeprägt. Ganz anders dagegen verhält es sich rund um den Bereich des eSport, an dem sich die Merkmale einer Kultur der Digitalität sehr gut aufzeigen lassen. Der Grad der Digitalisierung fungiert m. E. mehr als eine Differenzbetrachtung im Kontext einer Feldanalyse und weniger als ein hartes Muster von Übergängen einzelner Phasen, die exakt voneinander getrennt werden können.
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solche tritt in den Hintergrund, ohne ihren konstitutiven Charakter zu verlieren. Die Aushandlungsprozesse in der Kultur der Digitalität werden durch Algorithmen unterstützt und beeinflusst. Daraus ergibt sich, dass die Betrachtung des medialen Habitus auf der Ebene der rudimentären Praxis mit diesen Aspekten im Kontext eines spezifischen Feldes ergänzt wird. Interessant werden diese Aushandlungsprozesse vor allem dann, wenn es um die Transformation des Habitus als Bildungsprozess geht (Biermann 2013; Bettinger 2018). Letzteres kann mit der Strukturalen Bildungstheorie bzw. dem Konzept der Medienbildung beschrieben werden und geht damit über die bei der Schulforschung gängigen Perspektive auf Lernprozesse hinaus, da Selbst- und Weltverhältnisse im Zentrum des Interesses stehen (Marotzki 1990 sowie Jörissen und Marotzki 2009).
7 Die Schule als Praxis-Feld Digitaler Bildung Bezieht man die Feldtheorie auf die Arbeiten, die im Zusammenhang des oben erwähnten Freiburger Projekts entstanden sind (Kommer 2010; Biermann 2009; Kommer und Biermann 2012), dann kann das Schul- und Bildungssystem bzw. Schule als ein Feld bzw. Subfeld betrachtet werden (zur Differenzierung von Feld und Subfeld und die damit verbundenen Eigenlogiken siehe Bourdieu und Wacquant 2006, S. 135). Die Besonderheit des Feldes ergibt sich aus den Rahmenbedingungen, die für dasselbe konstitutiv sind und sich historisch entwickelt haben. Mit dem Feldbegriff ist der Vorteil verbunden, dass gesellschaftliche Teilbereiche betrachtet und analysiert werden können. Diese Teilbereiche sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bestimmte Regeln haben, nach denen das Agieren im Feld strukturiert wird. Sie haben sozusagen eine jeweils eigene Logik. Nach den bisherigen Ausführungen bedarf es, um Digitaler Bildung in der Schule in seiner Komplexität näher zu kommen, einer empirischen Berücksichtigung unterschiedlicher Ebenen und Phasen. Diese können als unterschiedliche (berufs-) biographische und sozialisationsrelevante Abschnitte angesehen werden: 1. Um zu verstehen, wie der Habitus sich entwickelt hat, bedarf es zunächst der (medien-)biographischen Perspektive. Auf der Ebene der biographischen Vorerfahrungen spielen relevante Erfahrungen im Kontext von Familie und Peers eine Rolle. Es gilt hier herauszufinden, welchen Grund- oder Ausgangshabitus (z. B. sei hier die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung in der Familie genannt) eine Person entwickelt hat mit der sie in die Lehramtsausbildung eintritt. Damit sind Fragen verbunden, wie passgenau der Habitus zu den Anforderungen
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an die Lehrtätigkeit ist. Das kann sowohl analytisch vor dem Hintergrund realer Anforderungen des Berufs der Lehrerin bzw. des Lehrers als auch auf die Wahrnehmung der Akteur*innen bezogen werden. Das Lehrer*innenbild dürfte durchaus auch relevant für die Berufswahl sein, denn die meisten Schüler*innen sind wohl kaum mit Berufsbildern so vertraut wie mit dem Lehrer*innenberuf, den sie ja aus ihrer anfänglichen Bildungskarriere kennen. 2. Auf der Ebene der Hochschulausbildung wird die Fokussierung auf Habitus einerseits und Hochschule als Feld andererseits wichtig. Wenn es also darum geht, künftige Lehrer*innen auf eine digitale Schule vorzubereiten, dann bedarf es einer entsprechenden technischen und personellen Ausstattung an den Hochschulen, sowie entsprechender verpflichtender Module mit dem Ziel der Förderung von medienpädagogischer (Blömeke 2000) und mediendidaktischer Kompetenz. Eine Verankerung in den Studien- und Prüfungsordnungen über die Modulhandbücher dürfte hier zielführend sein. In den Praxisphasen des Studiums müssten diese Inhalte und Praxen dann zudem integriert und reflektiert werden. Dies soll auch dabei helfen, den möglichen Praxisschock durch unzureichende Vorbereitung auf die Berufspraxis abzumildern. Insgesamt wird hier durch die Hochschulausbildung institutionalisiertes und inkorporiertes kulturelles Kapital ausgeformt, mit dem erst der Zugang zum Feld Schule ermöglicht wird4. 3. Mit dem Referendariat als Vorbereitung auf die Praxis ist die dritte Ebene angesprochen. Hier sind Unterstützungsleistungen über die Schule möglich und die Integration medienpädagogischer und mediendidaktischer Inhalte in die Prüfungsformen. Abgesehen von dem besonderen Status dieser Phase der Bewährung, sind hier auch die Merkmale der vierten Ebene wie z. B. Landesschulgesetze etc. zu berücksichtigen. 4. Die letzte Ebene ist die der Berufspraxis als Lehrperson. Neben den zu beobachtenden Relationen der Akteur*innen im Feld bzw. im Subfeld selbst sowie deren Kapitalausstattung sind auch weitere Aspekte relevant: Grundlegend sind hier die Landesschulgesetze5 zu nennen, die z. B. den Auftrag der Schule, den Geltungsbereich, basale Vorgaben für den Unterricht und die Einstellung des Personals usw. beinhalten. Von besonderer Bedeutung sind
4Ein Beispiel für die Regulierung der Lehramtsausbildung durch den Staat ist die Lehramtsprüfungsordnung des Landes NRW. Hier wird den Hochschulen per Gesetz der Rahmen der Lehrer*innenausbildung vorgegeben. 5Siehe exemplarisch für N ordrhein-Westfalen https://www.schulministerium.nrw.de/docs/ Recht/Schulrecht/Schulgesetz/Schulgesetz.pdf (17.4.2019).
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diese, da sich daraus auch partiell die Autonomie des Feldes manifestiert. Das Bildungswesen bzw. die Schule können als hochgradig abhängig vom Feld der Macht (hier die jeweilige Landespolitik) angesehen werden. Ergänzt wird dies durch die Lehrpläne der jeweiligen Schulformen und Fächer. Die technische/ digitale Infrastruktur wie Internetanbindung, Rechner, Tablets, Wartung, Pflege etc. stellen Rahmenbedingungen dar, die für eine digitale Bildung basal sind. Eine digitale Lernkultur in der Schule kann sich nur entwickeln, wenn die Technik vorhanden ist. Auf Grundlage der Feldtheorie und des medialen Habitus kann mithilfe dieser Ebenen detailliert erforscht werden, wie Akteur*innen im Schulsystem ihre Praxis generieren und welche Hindernisse und Potenziale damit verbunden sind. Es stellt sich die Frage nach der Logik des Feldes, indem man hier spezifisch darauf eingeht, welche Rolle Digitale Bildung im Kontext von Schule spielt und wie sie zur Praxis bzw. den Habitus in Verbindung steht. Zentral ist dabei, dass neben der Digitalisierung als technischer Prozess auch die Digitalität als ein kulturelles Handeln in den Blick genommen wird und damit der Blick auf eine Schule frei ist, die Schüler*innen auf eine digitalisierte Welt vorbereitet.
8 Fazit Die bisherige Nutzung des Konzepts des medialen Habitus (s. o.) beschränkte sich auf die individuellen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster bzw. Kapitalausstattung, um beispielsweise die Einstellungen zur Digitalisierung der Schule – primär verstanden als Ausstattungsinitiative und Integration in vorhandene Arbeitsmuster – zu erfassen und mögliche Widerstände zu erklären. Dieser wichtige erste Schritt gewinnt an Tiefe und Erklärungskraft mit der Nutzung der Feldtheorie. Damit wird es möglich, (Schul)Praxis und (Schul)Kultur umfangreich zu beforschen und die exklusive Betrachtung des Habitus zu überwinden. Damit ist eine Orientierung an der Formel Habitus + Feld = Praxis verbunden, die – wie oben gezeigt wurde – auf vielfältigen Ebenen und Phasen empirisch nutzbar sein kann. Die weiterführende Integration von Digitalisierung und Digitalität in diese Perspektive aktualisiert die H abitus-Theorie Bourdieus und berücksichtigt darüber hinaus aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse, die sich dann in der aktualisierten Formel „(Habitus + Feld) * Digitalisierung = Kultur/Praxis der Digitalität“ widerspiegelt. Darin finden sowohl technische Entwicklungen wie auch die damit verwobenen sozialen Praxen bezogen auf den Habitus und das Feld Berücksichtigung.
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Damit wird die bisher vorherrschende und begrenzte Sichtweise auf ein instrumentelles Lernen durch Digitalisierung in der Schule vermieden und die weitreichen Transformationsprozesse in gesellschaftlichen Feldern im Sinne einer Kultur der Digitalität berücksichtigt. Mit Anschluss an eine Kultur der Digitalität ergeben sich für die Feldtheorie neue Aspekte im Hinblick auf die Logiken des Feldes selbst und daran anschließend auf die Positionierung von Akteuren im Feld, indem immer wieder soziale Aushandlungsprozesse stattfinden. Für digitale Bildung bedeutet dies aber auch, dass sie im Sinne einer strukturalen Medienbildung (Jörissen und Marotzki 2009) nur schwer planbar und regulierbar ist, da es nicht mehr um eine technische Struktur und ihrer didaktischen In-Gebrauchnahme geht, sondern um kulturelle Praktiken, mit denen Subjektivierungsprozesse verbunden sind, bei denen der Umgang mit Unbestimmtheit im Vordergrund steht (vgl. hierzu in Bezug auf Stalder 2017 die Ausführungen von Allert und Asmussen 2017, S. 29 f.). Nutzt man hingegen den Begriff der Digitalen Bildung, wie er von der Kultusministerkonferenz genutzt wird, dann handelt es sich dabei um eine Akkumulation kulturellen Kapitals im Sinne einer Medienkompetenzförderung bzw. Wissensvermittlung. Die Perspektive ist hier entscheidend, wie die oben aktualisierte Formel in Forschungsprozessen Verwendung finden kann. Mit der hier ersten vorgelegten Beschreibung eines Verständnisses von Habitus, Feld und Digitalisierung/Digitalität entsteht somit ein komplexes Konstrukt, das vor dem theoretischen Hintergrund eine umfangreiche und gezielte Analyse von Digitaler Bildung in der Schule sowohl auf einer Ebene der einzelnen Schule als Subfeld wie auch übergeordnet im Feld des Bildungswesens erlaubt. Das Konzept des medialen Habitus wird so durch die Feldtheorie und die Aspekte Digitalisierung und Digitalität gewinnbringend ergänzt und aktualisiert. Mit Blick auf die Phasen bzw. Ebenen kann durchaus gefragt werden, inwiefern die Schülerinnen und Schüler eine Kultur der Digitalität als Parallelwirklichkeit im Kontext der Schule leben oder ob sich diese beiden Welten annähern.
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Bildung als kollektive Selbstund Welttransformation. Eine praxistheoretische Per-Version Valentin Dander
Allein machen sie dich ein (Ton Steine Scherben 1971) Natürlich sind die Dinge nicht ganz so simpel, aber ich denke doch, daß dies eine ganz allgemeine, für den gesellschaftlichen Raum insgesamt geltende Aussage ist […]. (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 140)
Zusammenfassung
Der vorliegende Text besteht in einer theoretischen Befragung praxeologischer Theoriebausteine mit einem Fokus auf Pierre Bourdieus Werk. Zum einen wird gefragt, wie eine Deutung von Bildung als Habitustransformation im bildungstheoretischen Diskurs um eine dezidiert politische Perspektive ergänzt werden könnte, welche die Bildungsprozesse Einzelner in enger Verschränkung mit der Transformation von Feldern und des sozialen Raums selbst in den Blick nimmt. Zum anderen verschiebt sich mit dem Einbezug politischer Praktiken das Interesse von Transformationsprozessen Einzelner hin zu kollektivem Geschehen. Diese in Bezug auf Bourdieu und Praxistheorien zumindest zum Teil verkehrenden (‚per-versen‘) Überlegungen bearbeiten demnach den Zusammenhang von Bildung und kollektiver politischer Praxis mit dem Ziel, Welt zu verändern. Der Beitrag plädiert für die
V. Dander (*) Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_3
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Inklusion einer politischen, gesamtgesellschaftlichen Perspektive in praxistheoretisch orientierten, empirischen und theoretischen Praktiken und tritt damit gegen Positionen an, die einer politischen Neutralisierung von Praxistheorien zuarbeiten. Schlüsselwörter
Pierre Bourdieu · Politische Bildung · Medienbildung · Praxistheorie · Idealer Durchschnitt · Habitustransformation · Feldtransformation
1 Einleitung Der vorliegende Text besteht in einer zweifachen, vorwiegend theoretisch zu verortenden Versuchsanordnung respektive Befragung praxeologischer Theoriebausteine mit einem Schwerpunkt auf Pierre Bourdieus Theorie der Praxis und seiner Rezeption in der Bildungstheorie. Ausgehend von einer Verteidigung seiner ‚strukturalistischen Restbestände‘ werden Überlegungen angestellt, um seine Relevanz für Bildungstheorien an der Schnittstelle zur Politischen Bildung auszuloten. Zum einen soll hierbei erkundet werden, inwieweit im bildungstheoretischen Denken und Weiterdenken eine einseitige Deutung von Bildung als Habitustransformation sensu ‚Anpassung an ein Feld‘ vorliegt. Insofern der Bildungsbegriff traditionell eine Schwerpunktsetzung auf dem individuellen Subjekt und seiner Entwicklung, Veränderung oder Transformation aufweist, liegt diese Fokussierung auf die Transformation von (individuellen) Habitus nahe. Gleichwohl verstellt eine solche individualistische Deutung möglicherweise den Blick auf eine dezidiert politische Perspektive, welche die Bildungsprozesse Einzelner in enger Verschränkung mit der Transformation von Gesellschaft bzw. von einzelnen gesellschaftlichen Feldern oder sozialen Räumen in den Blick nimmt. Anstatt also Habitustransformationen als eine – wenn auch ambivalente (Rosenberg 2011, S. 325) – Flexibilisierungs- oder Anpassungsleistung zu begreifen (ebd., S. 80 ff.), wäre erstens danach zu fragen, wie und unter welchen Bedingungen ein politisierter Habitus erlangt werden kann, der bspw. eine Position zu beziehen erlaubt, welche auf Veränderung von Gesellschaft oder einzelnen Feldern zielt. Zweitens stellt sich die Frage, ob oder inwieweit ausgehend von einer solcherart erlangten Position und Zielsetzung sowie den entsprechenden politischen Praktiken eine solche Transformation im Ansatz gelingen kann und auf welche Weise hierdurch eine vielleicht bildungsförmige Verschränkung von Habitus- und Feldtransformation stattfinden könnte. Eine solche
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Bewegung eröffnet, je nach Zuschnitt des gewählten Bildungsbegriffs, eine Perspektive auf Bildung, in welcher die Grenzen eines einseitigen, individuellen Transformationsprozesses überschritten würden. Zum anderen verschiebt sich mit dem Einbezug politischer Praktiken das Interesse von Entwicklungs-, Veränderungs- oder Transformationsprozessen Einzelner hin zu solchen Prozessen, die von Beginn an als kollektiv zu denken wären. Inwieweit also könnte eine solche wechselseitige Transformationsbewegung von Habitus und Feld als kollektiver (Bildungs-)Prozess konzipiert werden? Diese in Bezug auf Bourdieu und Praxistheorien zumindest zum Teil verkehrenden (‚per-versen‘) Überlegungen bearbeiten demnach den Zusammenhang von ‚Bildung‘ durch Politisierung und kollektive politische Praxis mit dem Ziel, „die Welt [zu] verändern“ (Emde et al. 2017). Der Text tritt somit einerseits gegen manche Positionen an, die einer politischen Neutralisierung von Praxistheorien zuarbeiten – welche wiederum als symptomatisch für eine generelle Tendenz einer „Neutralisierung der Pädagogik“ (Bernhard et al. 2015) und Entpolitisierung von Wissenschaft gelesen werden können–, und plädiert andererseits für die Inklusion einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive in praxistheoretisch orientierter Forschung. Wie im Folgenden argumentiert wird, lässt sich der Impetus des vorliegenden Textes insbesondere durch die Arbeiten Bourdieus fundieren. Gleichwohl weist der Text selbst zumindest eine nennenswerte Leerstelle auf, insofern er den praxistheoretischen Anspruch, der Praxis selbst das Primat der Forschung zuzuschreiben und aus dieser Theorie zu generieren (Hillebrandt 2014, S. 23 f.), nicht einlösen kann.
2 Praxistheoretische Standardsituationen Praxistheorien beziehen sich auf verschiedene Denktraditionen, die auf spezifische Weise in Dialog miteinander gesetzt werden. Der Soziologe Frank Hillebrandt etwa benennt mit dem Marxismus, Wittgensteins pragmatischer Sprachphilosophie, der Ethnomethodologie und mit poststrukturalistischem Denken vier theoretische Stränge in seiner Einführung (2014, S. 31 ff.) – ergänzt werden könnten die Science and Technology Studies oder die Actor-Network-Theory. Hieraus resultiert u. a. die Schwierigkeit, diese verschiedenen Ansätze in einer kohärenten Sozialtheorie abgeschlossen zu systematisieren (ebd., S. 8 ff.). Darüber hinaus gilt praxistheoretischem Denken theoriegeleitete, deduktiv operierende Forschung aufgrund ihrer zentralen Prämissen als problematisch und verdächtig, was Hillebrandt zum Ausgangspunkt für die Skizze eines „praxistheoretische[n] Soziologiestils“ nimmt (ebd., S. 26), der sich u. a. dadurch auszeichne, das
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Forschen und das Produzieren wissenschaftlicher Erkenntnis selbst als kontingente Praxisform mit zu reflektieren. Was gegenwärtig in verschiedenen fachwissenschaftlichen Feldern als Praxistheorie/n – und spätestens seit 2001 als „Practice Turn“ (Schatzki et al. 2005; 2001 erstveröffentlicht) verhandelt wird, zeichnet sich durch einige Annahmen aus, die im Folgenden mit Blick auf den thematischen Zuschnitt des vorliegenden Sammelbandes nur knapp nachgezeichnet werden: „Statt Kultur als Mentalität, Text oder Bedeutungsgewebe kognitivistisch zu verengen, oder sie als fragloses Werte- und Normensystem strukturalistisch zu vereinnahmen, wird in anti-mentalistischer und entstrukturierender Weise von Kultur als Praxis gesprochen.“ (Hörning und Reuter 2004, S. 10)
Auf diese Weise werde das „Kulturelle“ mit dem „Sozialen“ verbunden (ebd.), mit einem Interesse daran, was jeweils, innerhalb gewisser Spielräume, anders gemacht werde. Diese Spielräume, diese Kontingenz, diese Verunreinigung der bzw. durch Praxis formulieren ein forschungsleitendes Primat, welches den Fokus auf routinisierte und/oder kreative Anteile situativen Tuns (‚doing‘) richtet. Doch „[n]icht jede Hantierung, nicht jedes Tun ist schon Praxis. Erst durch häufiges und regelmäßiges Miteinandertun bilden sich gemeinsame Handlungsgepflogenheiten heraus, die soziale Praktiken ausmachen.“ (ebd., S. 12) Mit dieser Ausrichtung verorten sich praxistheoretische Ansätze zwischen subjektivistischen und objektivistischen Theorien: „Praxis ist als Scharnier zwischen dem Subjekt und den Strukturen angelegt und setzt sich damit von zweckorientierten und normorientierten Handlungstheorien gleichermaßen ab. Praxis ist zugleich regelmäßig und regelwidrig, sie ist zugleich wiederholend und wiedererzeugend, sie ist zugleich strategisch und illusorisch. In ihr sind Erfahrungen, Erkenntnisse und Wissen eingelagert, manchmal sogar regelrecht einverleibt. Doch die Erfahrungen, die Erkenntnisse und das Wissen werden in der Praxis immer wieder neu eingebracht, erlebt und mobilisiert.“ (ebd., S. 13; Herv. im Orig.)
Diese Art und Weise das Sozio-Kulturelle zu denken setzt weder das autonome Subjekt, noch eine determinierende Struktur als allein herrschendes Organisationsprinzip des Sozialen oder des Kulturellen, sondern fragt nach dem Zusammenhang der verschiedenen ‚Ebenen‘ im Kreuzungspunkt der Praxis: „A central core, moreover, of practice theorists conceives of practices as embodied, materially mediated arrays of human activity centrally organized around shared practical understanding“ (Schatzki 2005, S. 11).
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In ihrem „Glossar zur Praxistheorie“ liefern Erhard Schüttpelz und Christian Meyer (2017) aus medienwissenschaftlicher Perspektive eine terminologische Systematisierung. In der Verkettung von Begriffen wie Kooperation, Interaktion, Handlung, Technik, Routine, Praktiken und Praxis besteht der Clou darin, dass in letzter Instanz alle auf Praxis – verstanden als das „in einer wechselseitigen Verfertigung befindliche Geschehen“ (ebd., S. 158) – zurückzuführen seien. Praktiken kennzeichnen die Autoren im Unterschied zur Praxis als „wechselseitig verfertigte gemeinsame Abläufe“ (ebd.). Technik wird als ein weiterer Schritt der Stabilisierung oder Institutionalisierung gefasst und bestimmt als „die wiederholbare Verfertigung der Wiederholbarkeit (wechselseitig verfertigter) gemeinsamer Abläufe“ (ebd., S. 162). Auch betonen Schüttpelz und Meyer die Differenz zwischen Praktiken und Routinisierung: „Praktiken können nicht durch ‚Routine‘/Routinen (oder Habitus) erklärt werden (nur umgekehrt)“ (ebd., S. 163; Herv. im Orig.; vgl. auch S. 159)1, wodurch in dieser praxistheoretischen Variante das Primat der ausführenden Improvisation gegenüber verfestigten Strukturaspekten unterstrichen wird. Wenngleich Schüttpelz und Meyer hier implizite Kritik an Pierre Bourdieu – respektive an der Erklärkraft seiner Habitustheorie – formulieren, so stellen dessen Arbeiten doch einen der zentralen Bezugspunkte praxistheoretischen Denkens und Forschens dar. Interessant und brisant zugleich ist Bourdieus Werk u. a. aufgrund seiner in sich ambivalenten Verfasstheit. So arbeitet Hilmar Schäfer (2011, S. 63) heraus, „wie Bourdieus Theorie der Praxis zwischen einer grundsätzlichen Anerkennung der Instabilität von Praxis, der Offenheit und Heterogenität von Struktur auf der einen Seite und der Konstruktion homogener Einheiten auf der anderen Seite schwankt und somit auf halbem Wege zwischen der Öffnung seiner Theorie zu poststrukturalistischen Positionen und einer strukturalistischen Konstruktion von Geschlossenheit stehen bleibt.“
Diese Widersprüchlichkeit oder Inkohärenz in Bourdieus Werk macht Schäfer insbesondere am Habituskonzept fest, welches zwar grundsätzlich wandelbar sei (vgl. dazu bildungstheoretische Anschlüsse in Abschn. 4 dieses Beitrags). Diese Dynamik komme jedoch in Bourdieus Studien nicht ausreichend zur Geltung (ebd., S. 70, 73), weshalb er überwiegend als „Theoretiker der Stabilität“ (ebd., S. 63)
1Zur
Relation bzw. der engen Verschränkung von Regelhaftigkeit und Logik der Praxis vgl. auch Schulz-Schaeffer (2004).
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gelesen werde. Diese Ausrichtung von Bourdieus Forschung begründet Schäfer mit dessen Interesse für die „Erklärung sozialer Reproduktion von Ungleichheit“ (ebd., S. 73). Insbesondere am Koinzidenzverhältnis von Habitus und sozialer Welt bzw. Feld zeigt Schäfer diese Relation von Stabilität und R e-/Stabilisierung, indem ein Auseinanderklaffen der Relation, etwa durch eine Veränderung des Feldes, weniger als individuelles, situatives und kontextualisiertes Phänomen, sondern als homogene, klassenspezifische, gesellschaftliche Krise interpretiert werde (ebd., S. 74 ff.). In der Folge markiert er einige in Bourdieus Arbeiten angelegte Aspekte, die eine poststrukturalistische Lesart und Forschungsperspektive betonen können, ohne dadurch soziale Stabilität prinzipiell zu verneinen (ebd., S. 79 ff.): Wird davon ausgegangen, dass einzelne Individuen sich nicht nur in einem Feld, sondern in sich prinzipiell konflikthaft überlagernden Feldern bewegen, müsste die Nicht-Angepasstheit von Habitus an Felder anstatt eines Sonderfalls als Standardfall angenommen werden. Daraus könnte sich eine „Dynamisierung und Heterogenisierung des Habituskonzepts“ (ebd., S. 81) ergeben. Auch plädiert Schäfer für eine Betrachtung von Feldern als weniger abgeschlossene soziale Gebilde, deren Logiken sich nicht auf wenige Kapitalsorten reduzieren lassen, sondern grundsätzlich widersprüchlich und umkämpft verfasst seien. Dieser letzte Aspekt wird im folgenden Abschnitt eingehender beleuchtet.
3 Umkämpfte Felder Auch wenn, wie wir oben sahen, die empirischen Studien Bourdieus diesen Aspekt unterbelichteten, haben wir es bei seiner Feldkonzeption lediglich mit der Annahme einer relativen Stabilität zu tun. Das Feld bestimmt er zunächst relativ statisch „als ein Netz oder eine Konfiguration von objektiven Relationen zwischen Positionen“ (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 127). Diese relationalen Positionen, so sagt er weiter im zitierten Interview, konfigurieren eine gewisse Objektivität, „und zwar durch ihre aktuelle und potentielle Situation […] in der Struktur der Distribution der verschiedenen Arten von Macht (oder Kapital), deren Besitz über den Zugang zu den in diesem Feld auf dem Spiel stehenden spezifischen Profiten entscheidet, und damit auch durch ihre objektiven Relationen zu anderen Positionen (herrschend, abhängig, homolog usw.).“ (ebd.)
Verschiedene soziale Felder (das künstlerische, religiöse, ökonomische etc.) unterliegen hierbei differenziellen Logiken. In ihrer sich überlagernden Gesamtheit ergeben diese relativ autonomen Felder ausdifferenzierte Gesellschaften
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(ebd.) und weisen „dynamische […] Grenzen“ auf (ebd., S. 135). Zugleich bestimmt Bourdieu Felder jedoch als „ein Feld von Kämpfen um den Erhalt oder die Veränderung der Konfiguration dieser Kräfte. Darüber hinaus ist das Feld als eine Struktur von objektiven Relationen zwischen Machtpositionen die Grundlage und Richtschnur der Strategien, mit denen die Inhaber dieser Positionen individuell oder kollektiv versuchen, ihre Position zu erhalten oder zu verbessern und dem Hierarchisierungsprinzip zum Sieg zu verhelfen, das für ihre eigenen Produkte am günstigsten ist.“ (ebd., S. 132; Herv. im Original)
Kurz gesagt: „In einem Feld gibt es Kämpfe, also Geschichte.“ (ebd., S. 133) Es wird somit deutlich, dass die relative Stabilität von Feldern in konkreten Kämpfen aufrechterhalten werden muss – oder angefochten werden kann. Zudem nennt er selbst die Möglichkeit kollektiver Anstrengung, um sowohl die Distribution der Positionen als auch die Spielregeln eines Feldes selbst zu transformieren. Dies macht Bourdieu in der Metaphorik der Spieler*innen deutlich, die ihre Jetons in einer solchen, je feldspezifischen Logik einsetzen (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 129). Die in strategischen wie auch unbewussten, körperlichen etc. Praktiken hervorgebrachten Feldstrukturen sowie das sich im Vollzug stets sedimentierende, graduell institutionalisierte Regelwerk markieren demnach das Spielfeld und die Spieloptionen der Spielenden. Felder erscheinen zwar bis zu einem gewissen Grad als skalierbar, sind jedoch zumeist ‚über‘ lokalen Situationen und Interaktionen anzusiedeln.2 Gerade dieser doppelte Blick auf (relative, dynamische und offene) feldspezifische oder gesellschaftliche Zusammenhänge und auf situatives Praxisgeschehen
2Zugleich
muss angemerkt werden, dass die Kategorie des Feldes bei Bourdieu keine klar definierte darstellt: „Der häufige Gebrauch von Analogien deutet darauf hin, dass der Feldbegriff bei Bourdieu eher eine Konzeptmetapher (Henrietta Moore) als ein klar definierter Begriff ist.“ (Rehbein und Saalmann 2009, S. 100) „Man möchte nun fragen, wo die Grenze eines Feldes ist. Ganz allgemein gesprochen endet ein Feld – für Bourdieu wie für die Theorie des Magnetismus – dort, wo die Feldeffekte aufhören […]. Die Grenzen sind variabel und hängen von den Kräfteverhältnissen auf dem Feld und zwischen den Feldern ab.“ (ebd., S. 101) Auch können Felder ‚vertikal‘ gegliedert sein: „Wenn man die ‚schwarze Kiste‘ Unternehmen öffnet und hineinblickt, findet man darin nicht Individuen, sondern abermals eine Struktur, jene des Feldes des Unternehmens, das relative Autonomie gegenüber den aus der Position im Feld der Unternehmen herrührenden Zwängen besitzt.“ (Bourdieu 2002, S. 209) Dies schreibt Bourdieu in einem Text, der zunächst über „Das ökonomische Feld“ im Sinne wirtschaftswissenschaftlicher Theorien einsteigt und somit ein drittes Niveau des ökonomischen Feldes eröffnet.
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gleichermaßen – in Überwindung der „Alternative zwischen atomistischer und interaktionistischer Sichtweise“ mittels des Feldbegriffs (Streckeisen 2014, S. 247; vgl. auch Bourdieu 2002, S. 198) – lässt ihn sich ähnlich von den im folgenden Zitat genannten ‚Großtheoretikern‘ differenziell abheben, wie umgekehrt jüngere praxistheoretische Arbeiten den strukturierenden, quantifizierenden, gesamtgesellschaftlichen Anteil in Bourdieus Denken problematisieren (siehe 2.). Bourdieu selbst kennzeichnet die „Schwierigkeit meiner Position im soziologischen Feld“ wie folgt: „Einerseits kann es so aussehen, als stünde ich den ‚Großtheoretikern‘ (vor allem den Strukturalisten) insofern nahe, als ich immer wieder das große strukturelle Gleichgewicht betone, das nicht auf die Interaktionen und Praktiken reduzierbar ist, in denen es sich manifestiert; andererseits fühle ich mich Forschern verbunden, die die Dinge aus der Nähe betrachten“ (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 145).
4 Praktiken im idealen Durchschnitt Wie wir bei Schatzki oder auch Schüttpelz und Meyer gesehen haben, wird Praxis bzw. werden Praktiken grundsätzlich zwar als ein wechselseitiges und überindividuelles Geschehen betrachtet. Hierdurch wird der Blick der Tendenz nach auf Szenen und Situationen des Alltags gelenkt (vgl. auch die Eingangsszene in Schüttpelz und Meyer 2017). Meier (2004, S. 66 f.) zitiert eine Aussage, die diese Blickrichtung auf den Punkt bringt: „Praxistheorien leiten einen quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen an“ (Reckwitz 2003, S. 298). Ähnlich lässt sich die Differenzierung von Alkemeyer et al. (2015, S. 30) lesen, wonach als ‚Praxis‘ die Teilnehmendenperspektive im Geschehen rekonstruiert werde, wohingegen mit ‚Praktiken‘ eine ‚Totale‘ auf die Bühne gerichtet werde, die das gesamte Geschehen erfasse. Während sie dafür plädieren, beide Blickrichtungen – Praxis/Improvisation und Praktiken/Routinen – zur Geltung kommen zu lassen, verblüfft doch die vermeintliche (wenn auch metaphorische) ‚Totalität‘ der (Kamera-) Perspektive in deutlicher Differenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Verhältnisbestimmung, die hierbei unberücksichtigt bleibt. Entgegen einer solchen Perspektive beharrt Meier (2004, S. 66 f.) darauf, die zentralen Bourdieu’schen Kategorien Kapital, Feld und Habitus unter wechselseitiger Bezugnahme beizubehalten. Dies begründet er damit, dass eine Selbstbegrenzung auf eine solche Mikrologik „Differenzierungsprozesse sowie Ungleichheits- und Machtverhältnisse“ (ebd., S. 67) nicht in einer Weise in den kritisch-analytischen Blick bekommen könne, wie es Bourdieu vollzog: bezogen
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auf gesellschaftliche Konstellationen, auf eine wie auch immer im Detail geartete gesamtgesellschaftliche Bezugsgröße ‚sozialer Raum‘.3 In dieser Stoßrichtung könnte die Marx’sche Linie erneut gestärkt werden, die bezüglich ihrer Verortung zwischen determinierender Struktur und potenten, Geschichte machenden Subjekten gleichfalls als ambivalent zu beschreiben ist (Demirović 2010, S. 158 ff.).4 Alex Demirović setzt sich in einem Aufsatz mit dem Verhältnis von ‚Struktur‘ und ‚Handlung‘ in Marx‘ Werk auseinander (2010) und stellt dieser, seiner Auffassung nach missverständlichen Dualität mit Marx eine dritte Kategorie gegenüber, die er als für das Kapitalverhältnis zentral erachtet: den gesellschaftlichen ‚idealen Durchschnitt‘: „Die Bildung von Durchschnitten ist ein entscheidendes Merkmal des Kapitalverhältnisses selbst, da es sich um eine auf privater Warenproduktion beruhende Produktionsweise handelt. Im Einzelfall handeln alle frei, sie beobachten sich wechselseitig, bilden Erwartungen und Erwartungserwartungen über das Handeln anderer aus und versuchen, ihre Chancen zu optimieren. Weil ihnen alles als ungewiss erscheint, versuchen, [sic!] sie die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen zu berechnen, also Durchschnitte und Risiken zu antizipieren und sich darauf einzustellen. Erst indem sie in bestimmten Quanten vorkommen, bilden die Einzelereignisse Durchschnitte. Der Durchschnitt selbst wird gerade zur Macht über den unmittelbaren Produzenten.“ (ebd., S. 167 f.)
Diese Referenzgröße, der ideale Durchschnitt (einer ‚Gesellschaft‘ oder eines sozialen Raums), lässt sich alleine aus lokalen Interaktionen und Situationen
3Dass
die Weiterarbeit mit diesen Theoriebausteinen nicht notwendig in einer gesellschaftspolitischen, herrschaftskritischen Stoßrichtung vollzogen werden möchte, verdeutlicht der Artikel „Praxistheorie“ von Frank Hillebrandt im „Handbuch Soziologische Theorien“ von Kneer und Schroer. Zwar werden zunächst u. a. Bezüge zu Marx und den Cultural Studies sowie zu Bourdieu aufgemacht. In der Folge wird jedoch argumentiert und mehrfach belegt, dass die politische Positionierung und Ungleichheitsfokussierung Bourdieus als „entscheidende Engführung“ angesehen werden, „die überwunden werden muss“ (Hillebrandt 2009, S. 388), um eine generalisierte soziologische Theorie errichten zu können. Ein Selbstverständnis als intervenierende und, dem Anspruch nach, gesellschaftsverändernde Wissenschaft würde damit zumindest infrage gestellt, womöglich ausgelöscht. 4Vgl. dazu die Feuerbach-Thesen (Marx 1958) bzw. umgekehrt etwa die wiederkehrende Formulierung „hinter dem Rücken“ der Beteiligten im ersten Band von „Das Kapital“ (Marx 1890, S. 59; 121; 179; 221; 385 usw.). Zu letzterem vermerkt Daniel Burghardt (2018, S. 224): „Mit dem Verständnis der Selbstverwertung des Werts als einem verselbständigten Prozess […] bezieht sich die Neue Marx-Lektüre [die sich eng an Marx‘ Kapital orientiert; VD] auf die Marxsche Wendung vom automatischen Subjekt […]. Dadurch scheint der Kapitalismus gegenüber subjektiven Kritikformen weitestgehend immun […].“.
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nicht gewinnen, sondern bedarf einer empirischen Grundlage, die kaum anders als quantitativ zu erheben ist. Dass Bourdieu an zahlreichen Stellen seine Differenz zu Marx markierte (Streckeisen 2014, S. 250 ff.), sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Theorie der Kapitalsorten in mancher Hinsicht durchaus in Anlehnung an Marx‘ „Das Kapital“ konzipiert ist. In seiner Habilitationsschrift zur „Soziologische[n] Kapitaltheorie“ bezieht sich Peter Streckeisen (2014, S. 230 ff.) bei dieser Feststellung auf einen bekannten Artikel Bourdieus, in welchem dessen Kapitaltheorie 1983 in deutscher Sprache dargelegt wurde, und stellt fest, dass diese der Arbeitswertlehre folgt, auf die sich auch Marx stützt. Denn darin findet sich eine Passage, in der die Äquivalenz der verschiedenen Kapitalsorten auf abstrakter Ebene begründet wird: „Die universelle Wertgrundlage, das Maß aller Äquivalenzen, ist dabei nicht [sic!] anderes als die Arbeitszeit im weitesten Sinne des Wortes. Das durch alle Kapitalumwandlungen hindurch wirkende Prinzip der Erhaltung sozialer Energie läßt sich verifizieren, wenn man für jeden gegebenen Fall sowohl die in Form von Kapital akkumulierte Arbeit als auch die Arbeit in Rechnung stellt, die für die Umwandlung von einer Kapitalart in eine andere notwendig ist.“ (Bourdieu 1983, S. 196)5
Gleichwohl gerate nach Streckeisen die vertiefte Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Kapital bei Bourdieu relativ kurz. Im genannten Artikel werden kulturelles und soziales Kapital en detail entfaltet, dem ökonomischen Kapital hingegen wird kein eigener Abschnitt gewidmet (ebd.). So schließt Streckeisen (2014, S. 233): „Die fehlende Analyse des ökonomischen Kapitals zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk Pierre Bourdieus.“. Wird das kapitaltheoretisch zentrale Werk Bourdieus, „Die feinen Unterschiede“ (1987, S. 212 f.), und darin insbesondere die schematisch-topologische Darstellung des sozialen Raums herangezogen, fällt eine deutliche Differenz zu Marx‘ Bestimmung von Kapital ins Auge: Während Marx in seinem Hauptwerk mehr als deutlich macht, dass die besondere Ware ‚menschliche Arbeitskraft‘ als variables Kapital ins Werk gesetzt werden kann und in dieser Rolle eine besondere, nämlich die mehrwertstiftende Position im kapitalistischen Produktionsprozess einnimmt (vgl. etwa Marx 1890, S. 214 ff.), schlägt der Faktor Arbeitskraft bei Bourdieu nicht sichtbar als ökonomisches Kapital zu
5Bezeichnenderweise
fiel in einer deutschsprachigen Neu-Veröffentlichung just diese Passage der Redaktion der Herausgeber des Handbuchs Bildungs- und Erziehungssoziologie ‚zum Opfer‘ (Bourdieu 2012, S. 240; in: Bauer et al.).
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Buche.6 Auf etwas ähnliche Weise, über die Hintertür der dem kulturellen Kapital verwandten Kategorie des Humankapitals (Bourdieu 2002, S. 192; Streckeisen 2014, S. 240 ff.), werden zwar Befähigung und Qualifikationen – und damit auch die eigene Positionierung im ökonomischen Feld resp. auf dem Arbeitsmarkt – in die Theorie ‚eingepreist‘. Die ökonomische Macht, und damit einhergehend auch die politische, die mit (mehr oder weniger spezialisierter) Arbeitskraft verbunden ist (vgl. in Kritik an Marx anhand operaistischer Positionen Frings 2017, S. 88), wird in Bourdieus Vorträgen/Texten zum politischen Feld und zu Streiks jedoch getrennt davon verhandelt (vgl. etwa Bourdieu 2013b). Am klassischen Beispiel des Kampfs um die Länge des Arbeitstags (Marx 1890, S. 245 ff.) oder von Lohnerhöhungen lässt sich diese eigenwillige Leerstelle verdeutlichen: Im ökonomischen Feld gilt Bourdieu ökonomisches Kapital (Einkommen und Vermögen) als Mittel der Wahl. In diesem Spiel haben demnach Reiche und Kapitalist*innen die ‚besseren Karten‘ auf der Hand. Schließen sich jedoch Arbeiter*innen mit ihrem Interesse an einem kürzeren Arbeitstag oder einer Lohnerhöhung zusammen und werfen bspw. ihre aggregierte Spielkarte ‚Streik‘ in die Tischmitte, können sie Einfluss auf die Spielregeln und Kräfteverhältnisse des ökonomischen Feldes nehmen. Historisch betrachtet haben wir es hier mit keinem rein hypothetischen, sondern mit einem sehr konkreten Beispiel zu tun, dem wir heute in Deutschland den erst etwa 100 Jahre alten Acht-Stunden-Tag verdanken. Wie im zweiten Abschnitt dargelegt wurde, ist die kollektive Bemühung um Feldtransformation bei Bourdieu nichtsdestotrotz angelegt – und an Eigen- oder Gruppeninteressen gebunden. Analog zu konkurrierenden Kapitalist*innen bei Marx besteht das ‚Spielziel‘ in der Akkumulation von Kapital (Marx 1890, S. 591 ff.; 1893, S. 485 ff.), wenn auch hinsichtlich der verschiedenen Kapitalsorten entsprechend differenziert. Anhand der Bourdieu-Lektüre lasse sich, so Markus Rieger-Ladich „Emanzipation als eine soziale Praxis fassen, die zwar durchaus individuelle Momente der Überschreitung kennt, die aber eben auch mit der Inkorporierung von Herrschaftsverhältnissen rechnet […]. Den Bemühungen einzelner müssen somit nicht nur Häresien und Inkongruenzen in der Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse korrespondieren; sie müssen sich auch gegenseitig verstärken – und auf diese Weise das Gewicht einer kritischen Masse erreichen können.“ (Rieger-Ladich 2017, S. 358)
6Sollte
mir hierzu eine Stelle im Werk Bourdieus entgangen sein, bin ich für Hinweise dankbar. Die Lektüre zumindest einiger einschlägiger Texte ergab keine ‚Suchergebnisse‘ (Bourdieu 1983, 1987, 2002, 2013a). Im Abschnitt „Das ökonomische Feld als Kampffeld“ beschreibt Bourdieu bspw. ausschließlich Kräfteverhältnisse und Kämpfe von Unternehme(r)n untereinander und annulliert somit implizit den bei Marx so zentralen Widerspruch von Arbeit und Kapital (Bourdieu 2002, S. 201 ff.).
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Nur mittelbar ließe sich hingegen in der von Bourdieu eher rational konzipierten Feldlogik (und also auch jener der Spielenden) erklären, warum besser gestellte Arbeiter*innen mit regulären Verträgen sich in einem Unternehmen dafür einsetzen sollten, dass etwa Leiharbeiter*innen ihnen in puncto Stundenlohn, Arbeitsplatzsicherheit o.ä. gleichgestellt werden. Hiermit wäre bei Bourdieu ein weiteres Fragezeichen markiert – jenes der Solidarität oder Solidarisierung über die Grenzen empirischer sozialer Klassenkonfigurationen hinweg. Auf welche Weise stehen nun aber diese politischen Prozesse in Verbindung mit bildungstheoretischen Anschlüssen an Bourdieus Praxeologie?
5 Bildung als kollektive, transformative Praxis Ebenso wie Felder bei Bourdieu als lediglich relativ stabil konzipiert wurden, ist der Habitus als grundsätzlich transformabel aufzufassen. In der bildungstheoretischen Rezeption wurde die Dynamik von Habitus aufgegriffen und als ‚Habitustransformation‘ in erziehungswissenschaftliche Begriffe übersetzt, welche etwa durch misslingende Passung von Habitus und Situation/Feld initiiert werden könne (Rosenberg 2017; unter Einbezug von Medialität Bettinger 2018, S. 146 ff.). Angesichts von „Trends der Selbstorganisation und Selbstökonomisierung“ (Rosenberg 2017, S. 309), bspw. im Feld schulischer Bildung, markiert von Rosenberg zugleich die Ambivalenz von Habitustransformationen, deren Anpassungsleistungen keineswegs in allen Fällen als wünschenswert erscheinen. Die sozialen Subjekte sind solchen Bedingungen nicht völlig ohnmächtig ausgeliefert, ihnen wird bereits bei Bourdieu ein gewisser Spielraum zugestanden: „Die sozialen Subjekte sind keine ‚Teilchen‘, die von äußeren Kräften mechanisch angezogen oder abgestoßen werden. Vielmehr sind sie Kapitalbesitzer und haben entsprechend ihrem Lebenslauf und der Position, die sie im Feld aufgrund ihres Kapitalbesitzes (Volumen und Struktur) einnehmen, eine Neigung, aktiv auf den Erhalt oder eben den Umsturz der Kapitaldistribution hinzuarbeiten.“ (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 140)
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage formulieren, ob die im Sinne von Bildung erstrebenswertere Bewegung an einer solchen Stelle nicht darin bestehen könnte, eine Transformation eines Feldes oder gar der (Welt-)Gesellschaft herbeizuführen, anstatt Bildung als (zumindest teilweise) Anpassungsleistung zu begreifen. Wenn bereits Habitustransformationen als seltene Ereignisse oder Prozesse zu beschreiben sind, so muss sich mit Bezug auf die (hergestellte)
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Transformation von Feldern oder Gesellschaft jedoch umso mehr die Frage stellen, ob diese nicht sehr unwahrscheinlich sei. Genau hier setzt der doppelte Blick auf Reproduktion und Produktion des Sozialen (und Kulturellen) ein: Es ist unwahrscheinlich, aber es ist nicht unmöglich. Wie solche Prozesse möglichst wahrscheinlich werden können – diese Frage wäre unter dieser Perspektive eine, die sich eine gesellschaftspolitische Pädagogik in Forschung und Bildungspraxis stellen müsste. Ein Exkurs in den Kreuzungsbereich von Bildung und Ökologie kann hier möglicherweise zur Inspiration dienen: Im Bereich der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) lassen sich Konzepte auffinden, die – in Verbindung mit Politischer Bildung – die oben genannten Aspekte in den Vordergrund rücken. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind globale Entwicklungstendenzen, mit denen ein nachhaltiger Umgang zu finden sei. Ziel von darauf gerichteten Bildungsbemühungen sind zwar auch je individuelle Transformationen, en gros sind diese Bemühungen jedoch auf die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gerichtet. Im Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2011, S. 24) ist in der BNE seit 2011 der Terminus „Transformative Bildung“ in Diskussion. International gestärkt durch die Agenda 2030 der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN Generalversammlung 2015) wird damit vor dem Hintergrund globaler „Megatrends“ wie Klimawandel, Demokratisierung oder Urbanisierung (ebd., S. 35 ff.) die Absicht formuliert, den großen Aufgaben der Menschheit und des Planeten gemeinsam zu begegnen und dies auch im Bildungssektor zur Kernaufgabe zu machen. Anders als in etablierten transformatorischen Bildungstheorien bezieht sich die „große Transformation“ (WBGU 2011, S. 87) hier auf eine „sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft“, die notwendig sei, um eine „zukunftsfähige Entwicklung“ der Welt zu ermöglichen (Seitz 2017, S. 162; vgl. auch Brand 2019, S. 80, 2017, S. 24). Nachhaltigkeit wird hierbei nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale Fragen bezogen, wie in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN deutlich wird: Wohlstand wird hier genauso genannt wie Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion oder Frieden.7 Gleichzeitig zeichnen sich die genannten politischen Dokumente durch eine präsente Governance-Perspektive aus, die zu einer dünnen theoretischen Fundierung des
7In
manchen Fällen wird die große Transformation darüber hinaus profit- und wachstumskritisch als „Heraustransformation aus dem Kapitalismus insgesamt“ verstanden (Brand 2017, S. 25).
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Bildungsbegriffs führe (Singer-Brodowski 2016, S. 14).8 Zudem wird im WBGUGutachten weniger mit einem Prozessbegriff von Bildung, denn mit einem institutionellen Verständnis operiert – als Beispiel wird überwiegend schulischer Unterricht angeführt (WBGU 2011, S. 375). Trotzdem wird in der Gesamtanlage deutlich, dass Bildung nicht lediglich als Transformationsprozess Einzelner betrachtet werden kann, sofern (Welt-)Gesellschaft als radikal umfassender Kontext einbezogen wird: „Es geht damit um die demokratische Veränderung der imperialen Lebensweise hin zu einer solidarischen. […] Prozesse, in denen sich eine solidarische Lebensweise gesellschaftlich verallgemeinert, vollziehen sich gleichzeitig als Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen und als Selbstveränderung des Denkens und Handelns der Menschen. […] [D]ie imperiale Lebensweise [hat] sich in das Begehren und in die Körper vieler Menschen eingeschrieben – Alternativen entstehen daher auch aus der politischen Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensweise und dem Zulassen alternativer Erfahrungen“ (Brand 2017, S. 34).9
Vielmehr bestünde eine so verstandene (politische) Bildung u. a. darin, anhand zu vermittelnder wissenschaftlicher Wissensbestände über diese ‚große Transformation‘ eine Haltung auszubilden, die ein auf eine sozial-ökologische Transformation gerichtetes, alltägliches und dezidiert politisches Tun erlaubt. Insofern wäre Bildung nicht notwendig auf eine Flexibilisierung individueller Selbst- und Weltverhältnissen beschränkbar (vgl. etwa Jörissen und Marotzki 2009; bzw. kritisch Zulaica y Mugica 2018, S. 232 ff.), sondern auf kritische (und überindividuelle) Positionierungen auszuweiten (Ferraro 2020).10
8Vgl.
hierzu das Gutachten des WBGU (2011, S. 376), in dem es heißt, es sei „offen, wie genau Transformationsbildung und transformative Bildung in der Wissensvermittlung zu gewichten und auszugestalten sind. Grundsätzlich scheint aber klar, dass Bildung eine Mischung aus kritischem Verständnis der Probleme und Prozesse, Ziele und Werthaltungen sowie aus Handlungswissen vermitteln sollte.“. 9Klaus Seitz (2017, S. 167) hält präzisierend und praxistheoretisch anschlussfähig fest. „Die entscheidende Sozialisationsinstanz für eine zukunftsfähige Entwicklung ist eine veränderte gesellschaftliche Alltagspraxis.“. 10Demnach gelte es, „die Gesellschaft als Teilhaber am Transformationsprozess zu verstehen und ihr in Zukunft auch in der Bildung Partizipation zu ermöglichen. Nur wenn der Mensch sich als aktiver Faktor des vermittelten Kontextes versteht, kann er auch die transformative Kraft seiner Handlungen begreifen. Entsprechende Bildungsstrukturen sind hierfür wesentliche Voraussetzung.“ (WBGU, 2011, S. 24).
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Diese Überlegungen gilt es nun wieder auf Bourdieus Habitus- und Feldtheorien sowie schließlich auf Medienbildung zu beziehen: Mit der Relevanz von Kollektivität für die politische Praxis und damit einhergehende Transformationsbewegungen im Sinne einer „kollektiven Konversion“ bei Bourdieu beschäftigt sich Christian Grabau (2017). Ausgehend von geteilten Krisenerfahrungen sowie der als analog oder homolog erfahrenen, strukturellen Deklassierung könne eine bislang unhinterfragte Einwilligung in herrschende Weltbilder delegitimiert und können neue Weltbilder entwickelt werden. Dabei seien die Akteure auf neue Orte gemeinsamer Erfahrung sowie auf bestehende Gegen-Diskurse als Interpretationsschablonen angewiesen. Dieser Prozess der Politisierung könne schließlich, so Grabau, in Form kollektiver Praktiken eingeübt und verstetigt werden. Zugleich verschieben sich mit einer solchen kollektiven Praxis der Reinterpretation oder Verweigerung (Grabau führt Besetzungen, Demonstrationen oder Streiks als Beispiele an) die feldimmanenten Relationen und Kräfteverhältnisse (ebd., S. 321 ff. bzw. Bourdieu 1988, S. 257 ff.). Die theoretisch-konzeptionellen Überlegungen lassen sich bis hierhin wie folgt zusammenfassen: Wenn Habitus wie Felder als plural verfasst, aufeinander bezogen und transformierbar aufgefasst werden, lassen sich Bildungsprozesse nicht auf Habitustransformationen begrenzen, sondern können respektive müssen in Verschränkung mit Feldtransformationen gedacht werden. Der Sprung zur Transformation einer Weltgesellschaft, wie in der Agenda 2030 der UN angestrebt, ist freilich weit entfernt von lokalen, situativen Praktiken, ist aber nicht grundsätzlich auszuschließen (und angesichts der globalen Herausforderungen vielmehr geboten). Der Prozess der Politisierung wäre als eine Einübung (und also Um-Übung von Habitus) zu begreifen, welche sich vor dem Hintergrund geteilter Krisenerfahrungen in teilgeschützten Räumen vollziehen. Anhand der akkumulierten, kollektivierten Kapitalreserven – im Falle eines Streiks etwa das gemeinsame ökonomische Kapital der Arbeitskraft, das dem Produktionsprozess entzogen werden kann – können im Ringen um Regeln und Grenzen eines Feldes die Kräfteverhältnisse verschoben werden. Auf diese Weise wird eine Feldtransformation denkbar, die, eng verbunden damit, eine Habitustransformation der Beteiligten zur Voraussetzung wie auch zur Konsequenz hätte. Ein solcher Prozess ließe sich (zumindest auch und versuchsweise) als transformative politische Bildung bezeichnen.
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6 Transformative politische Bildung durch das mediale Prisma Um an diesem Punkt ankommen zu können, musste der Aspekt der Medialität bislang gänzlich vernachlässigt werden. Es bleibt demnach im letzten Abschnitt die Frage zu stellen, auf welche Weise diese Überlegungen Relevanz für medienpädagogische Forschung und Bildungspraxis entfalten können. Zunächst ist festzuhalten, dass sowohl die Verzahnung von Politischer und Medienbildung als auch der Einbezug der makrotheoretischen Dimension letzthin an verschiedenen Stellen Fürsprache erfuhren (bspw. Aßmann et al. 2016; Dander 2018; Gapski et al. 2017; Niesyto 2017). Begründungen für solche Forderungen werden zeitdiagnostisch und phänomenbezogen vorgetragen und beziehen sich u. a. auf digitale Überwachung, die Kommerzialisierung und Kapitalisierung des Internets, die ökologische Frage sowie menschenfeindliche Nutzung von Online-Plattformen (Dander i. E.). Hiermit lässt sich der Versuch motivieren, auch in praxistheoretischen Ansätzen in der Medienpädagogik ‚Gesellschaft‘ und ihre im weiteren Sinne politische Gestaltung als Referenzrahmen zu stärken. Gleichzeitig weist Bourdieus Feldtheorie in Bezug auf ‚die Medien‘ Fragen auf, die etwa Nick Couldry in einem Text zur Verknüpfung der Feldtheorie mit der englischsprachigen Mediatisierungsforschung vermerkt. So konstatiert er eine Leerstelle der Feldtheorie darin, mediale „cross-field effects“ oder „transversal effects“ – etwa von Medieninstitutionen oder anderer Spieler*innen durch „media capital“ – analytisch zu fassen (Couldry 2013, S. 7 f.). Der Begriff „media meta-capital“ „points to one of the key ways in which media flows transform everyday social action: through the transformation of what count as resources for action, and particularly as legitimate bases for recognition within particular settings.“ (ebd., S. 10)
Würden mediale Kräfteverhältnisse, wie Couldry vorschlägt, in Analogie zu Feldern der Macht als eine Art Meta-Kapital aufgefasst, könnten Medien auf Makroebene in ihrer Macht beschrieben werden, anderen Kapital- bzw. Machtformen Macht zuoder abzusprechen (ebd., S. 9). Eine solche Betrachtungsweise zielt insbesondere auf institutionelle und organisationelle Aspekte der Medien(macht), vernachlässigt jedoch situative Medienpraktiken oder die kulturanalytische Dimension der Medialität. Nichtsdestotrotz lassen sich hiermit Plattformpolitiken von SNS, die Bedeutung von Klick- oder Abo-Zahlen von ‚Influencer*innen‘ oder allgemein journalistische
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Rationalitäten in ihrer Wirksamkeit durch ‚transversal effects‘ auf soziale Felder im Bourdieu’schen Sinne beschreiben.11 Ob Medien-Kapital als Meta-Kapital metaphorisch ‚über‘ anderen Feldlogiken stehen soll, sei hier dahingestellt. Dass medienspezifische – d. h. medienkulturelle und -technische statt medienorganisationelle – Feldlogiken transversal zu feldspezifischen Logiken verlaufen, scheint jedoch einleuchtend. Eine abschließende Spurensuche soll nun gegenstandsbezogen Einsätze und Beispiele für medienbezogene Praktiken und Prozesse der Kollektivierung und Politisierung, die möglicherweise mit einer Transformation von Selbst (Habitus) und Welt (Feld bzw. sozialem Raum) einher gehen und an welchen die Spezifik ihres Zusammenhängens mit Momenten von Medialität in Ansätzen erkennbar wird. Erfahrungen vergemeinschaften: Am Beispiel der massenhaften Nutzung der Hashtags #aufschrei, #metoo, #metwo oder #unten wurde offenbar, auf welche Weise das mit/teilen von Erfahrungsberichten über alltäglichen Sexismus, Rassismus oder Klassismus es ermöglichte, die strukturelle Dimension des Phänomens sichtbar zu machen. Dies erleichtert es Betroffenen oder Mitlesenden, individualisierende Schuldzuschreibungen auf dieser erfahrungsbasierten (‚empirischen‘) Grundlage zurückzuweisen. Erfahrungen von Diskriminierung oder Deklassierung werden vergemeinschaftet und weisen auf virtuelle (weil noch nicht aktualisierte) Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen, Klassen etc. hin, um die Gemeinschaftsbildung stattfinden kann. Die Beteiligungsschwellen für diese mediale Form der Vergemeinschaftung von Deklassierungserfahrungen sind zunächst sehr niedrig, müssen nicht unter Klarnamen vorgetragen werden und können darüber hinaus zu Folgepraktiken jenseits des Internets führen (Dolata 2018, S. 55). Auch wenn es sich in diesem Raum des Einübens neuer Praktiken (diskriminierende Erfahrungen öffentlich machen) um keinen physikalischen Raum handelt, ist die Wahrscheinlichkeit auf Personen zu treffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, höher als im lokalen Umfeld (wie freilich auch jene, auf diametrale Positionen zu treffen, welche wiederum diskriminierend vorgetragen werden können). Algorithmen und andere Medientechniken taktisch nutzen: Werden Techniken mit Schüttpelz und Meyer (2017, S. 162) als „die wiederholbare Verfertigung der Wiederholbarkeit (wechselseitig verfertigter) gemeinsamer Abläufe“ aufgefasst, so können etwa algorithmische Techniken auf Online-Plattformen für
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(2013, S. 12 f.) schlägt in der Folge vor, inspiriert durch Norbert Elias, über den Begriff der Figurationen die emergenten und sich historisch verfestigenden Potenziale von konkreten Medienpraktiken begrifflich zu fassen. Diese Linie wird hier nicht weiterverfolgt.
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die Intervention in Debatten genutzt werden. Hashtags stellen ein mögliches Beispiel dar – auch, wenn unter #überRechteReden und einem trending Hashtag live zu einer Talkshow mit AfD-Beteiligung kritisch kommentierend getwittert wird –, andere Optionen sind die Arbeit mit Screenshots von rechten Beiträgen, um deren Klickzahlen möglichst gering zu halten. Ein ganz anderes Beispiel wäre die „weit verbreitete Praxis der Dummy-Eingaben“ in softwarebasierten, betrieblichen Kontrollsystemen (Raffetseder et al. 2017, S. 239). Raffetseder und Kollegen führen die Eingaben wahlloser Zeichenfolgen als Beispiel dafür an, wie die gewünschte maximale kybernetische Kontrolle durch die Endanwender*innen unterlaufen wird. Während dieses Vorgehen noch individuell stattfinden mag, schlossen sich Fahrer*innen der ride-sharing-Plattformen Uber und Lyft zusammen, um ihre Apps zu überlisten. Sie meldeten sich kurz vor der Rushhour simultan von der App ab, simulierten damit einen Mangel an verfügbaren Fahrzeugen und meldeten sich wieder an, als daraufhin das Preisniveau durch die Software entsprechend angehoben worden war (Hersi Issa 2019). An diesem Beispiel kann gezeigt werden, dass – ähnlich wie am Streik als akkumuliertes ökonomisches Kapital der Lohnarbeiter*innen weiter oben ausgeführt – mediales Kapital nicht notwendig an einzelne machtvolle Positionen gekoppelt sein muss, sondern in kollektiver Form im Kampf um Feldlogiken und -grenzen eingesetzt werden kann. Mediale Räume schaffen und um sie kämpfen: Eng mit dem ersten Punkt verbunden ist das Angebot medialer Räume, in denen ein solcher Austausch praktiziert werden kann. Dies kann in der Öffentlichkeit stattfinden, aber auch im teilgeschützten (z. B. geschlechtshomogenen) Rahmen, wie schon zu Frühzeiten sozialer Medien am Beispiel LizzyNet erforscht (Tillmann 2014). Gleichzeitig ist es bedeutsam, etwa Hate Speech im Internet zu begegnen und nicht nur mit Rückzug zu reagieren. Insbesondere dann, wenn hasserfüllte Rede systematisch und zu politischen Zwecken eingesetzt wird, ist es wichtig, möglichst kollektiv zu reagieren. Je nach Fall greifen andere Gegenstrategien (Baldauf et al. o. J.). Solidarische Praktiken üben und globale Zusammenhänge verständlich machen: Anders als von Bourdieu nahegelegt, gilt es gerade auch solidarische Praktiken erfahrbar zu machen und zu üben, die nicht entlang von Interessen der eigenen Gruppe oder sozialen Klasse operieren – oder im Modus eines Tauschgeschäfts („Ich helfe dir, du hilfst mir“). Gerade dann, wenn politische Themen verhandelt werden, die keine unmittelbar spürbaren Auswirkungen auf z. B. mitteleuropäische Gesellschaften haben (Klimawandel, Produktion digitaler Medientechnik etc.), die aber nach Antworten auf globaler Ebene verlangen, müssen andere Prinzipien greifen als genuine Gruppeninteressen. Hierin liegt womöglich eine der zentralen (Bildungs-)Herausforderungen unserer Zeit.
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Die genannten Taktiken und Praktiken beziehen sich zunächst auf alltägliche Situationen. Sie bestehen im Wesentlichen darin, lokale soziale Räume entstehen zu lassen, in welchen ein Geschehen wie die zuvor erarbeitete Folie von (politischer Medien-)Bildung als kollektiver Habitus- und Feldtransformation wahrscheinlicher werden kann. Der in diesem Text vorgestellte Ansatz plädiert für eine enge bildungstheoretische Verschaltung von individuellen mit kollektiven und gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Einfacher ist eine solche Konzeption für politische (Medien-)Bildung aufrechtzuerhalten, insofern dem Politischen in den Momenten der Kollektivierung, Politisierung und Welttransformation ein hohes Maß an Bedeutsamkeit zugesprochen werden kann. Als deutlich fragiler erweist sich der Anspruch, dass sie als allgemeine Anforderung an Bildungsprozesse zu gelten habe. Offen bleibt ebenso, welche Konsequenzen der erarbeitete theoretischkonzeptionelle Rahmen für professionelles pädagogisches Handeln mit sich führt. So lassen sich organische Situationen, wie oben illustrierend angeführt, kaum in non-formalen (geschweige denn formalen) Bildungs-/Settings reinszenieren. Mit Blick auf die erziehungswissenschaftliche Medienforschung lässt sich betonen, dass dieser konzeptionelle Rahmen einen Versuch darstellt, einen „schielenden Blick […]“ (Dander et al. 2020, S. 10) auf (situative) ‚Praxis‘ und (gesamtgesellschaftliche) ‚Strukturen‘ gleichermaßen zu einzunehmen. Ob die beispielhaft angeführten Taktiken und Praktiken wie auch die theoretische Grundierung in dieser scheinbaren Eindeutigkeit Bestand haben können, dem gilt es schließlich in empirischen Studien nachzugehen.
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Praxistheoretisch informierte partizipative Mediendidaktik – Erörterung am Beispiel von Open Educational Practice(s) im Sinne eines ‚Doing-mediatizied-participatorylearning‘ Kerstin Mayrberger Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag erörtert, in welcher Weise soziales Handeln unter den Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität, hier spezifiziert auf mediatisiertes Lehr- und Lernhandeln, als Praktiken im Sinne einer praxeologischen Perspektive aufgefasst und durch eine (partizipative) mediendidaktische Brille interpretiert werden können. Dafür werden praxistheoretische bzw. praxeologische Begriffe und Grundlagen ausgeführt und aus mediendidaktischer Perspektive betrachtet. Fazit ist hierbei, dass über diese Perspektive eine theoretische Anbindung der partizipativen Mediendidaktik an soziologische Überlegungen möglich ist. Schlüsselwörter
Mediendidaktik · Partizipation · Praxistheorie · Open Educational Practices · Hochschulbildung
K. Mayrberger (*) Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_4
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1 Irgendwas mit Medienhandeln – eine Problemstellung Für die Medienpädagogik in einer umfassenderen Sicht ist der Gedanke einer Auseinandersetzung mit einem sozialen Handeln in Medienwelten und Reflexion von Medienpraxis im Sinne einer aktiven Medienarbeit traditionell ein etablierter Gegenstand. Allerdings orientierten sich Ideen bis heute verstärkt und vorwiegend an Handlungstheorien. Bezüge auf Praxistheorien und eines entsprechenden Praxisbegriffs erfolgen erst seit relativ kurzer Zeit. Um diesen Umstand zu illustrieren, sei hier exemplarisch auf das Vortragsmanuskript von Dieter Spanhel (2000) vom GMK-Forum 2000 verwiesen, der im Zuge seiner Überlegungen zu einer notwendigen allgemeinen Theorie der Medienpädagogik – die bis heute als Desiderat gelten kann – dafür plädiert, die Medienpädagogik als Handlungswissenschaft (weiter) zu konzipieren und mit Blick auf einen umfassenden und einheitlichen Rahmen an anthropologische Grundüberlegungen anzuknüpfen. Ausgangspunkt wäre dann die „Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu den Medien“, die sich in zwei leitende Fragen konkretisiere, die nach der Bedeutung von „Medien und die moderne Medienentwicklung für das Menschsein heute“ (…) sowie die Bedeutung von „Medien und die mediengeprägte Alltagswelt für den curricularen Bildungsprozess des Menschen“ (Spanhel 2000, S. 1) fragen – wobei die Reflexion der Rolle und implizit auch des Medienbegriffs hier integriert wird. Spanhel plädierte dafür, Medienpädagogik „als eine Handlungswissenschaft zu konzipieren, die vom Menschen und damit von anthropologischen Grundfragen“ (ebd., S. 5) ausgehe, um sich in einer möglichst systemtheoretisch fundierten Theoriebildung unabhängiger von jeweils neuen Technologien aufstellen zu können. Mit der systemtheoretischen Brille plädiert Spanhel dann: „Gefordert ist eine Praxistheorie, um mit D. Benner zu sprechen, vom medienpädagogischem Handeln (ausgerichtet auf empirische Forschung) und für medienpädagogisches Handeln (ausgerichtet auf Orientierungshilfen, Wertmaßstäbe, Handlungsalternativen, Konzepte für die Lösung praktischer Probleme, auf Begleit- und Evaluationsforschung)“ (Spanhel 2000, S. 5). Deutlich wird hier das missverständliche Verhältnis von Handlungs- und Praxistheorie. Es ist davon auszugehen, dass hier – anders als im vorliegenden Beitrag und Sammelband – eher von einer Praxistheorie im Verständnis einer Theorie mit notwendigem Bezug zum Praxisfeld ausgegangen wird. Mit Bezug auf den hier verfolgten partizipativen Zugang stellt die knapp umrissene medienpädagogische Position, am Beispiel der Rede Spanhels illustriert, hierbei sehr gut dar, weshalb sich im Anschluss an den sogenannten „practice
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turn“ (Schatzki et al. 2001), ebenfalls auf soziale Handlungen konzentrierend, die Perspektive der Praxistheorien oder Praxeologie ausdifferenziert hat (vgl. u. a. für eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Perspektiven auf Praxis Schulz-Schaeffer 2010). Demnach konstruiere sich das Soziale in großen Teilen aus (tendenziell) nicht intendierten inkorporierten Praktiken unter Einbezug von Körperlichkeit und Materialität (vgl. ausführlicher Abschn. 2). Und wenngleich erste theoretische und empirische Arbeiten aus praxeologischer Perspektive oder mit praxeologischer Theoriebrille zum Medienhandeln als Verbindungselement zwischen formalen und informellen Lernkontexten (Aßmann 2013) oder hinsichtlich einer entsprechend ausgerichteten Medienbildung (Bettinger 2018) vorliegen, so bleiben Fragen offen. Beispielsweise erscheint es mit Blick auf die noch fehlende Breite vorliegender theoretischer und empirischer Arbeiten im Feld der Medienpädagogik für den vorliegenden Beitrag besonders relevant aus erziehungswissenschaftlich-mediendidaktischer Perspektive der Frage nach der Rolle von – soweit im konstruktivistischen Sinne überhaupt möglich – (Nicht-) Intentionalität und (nicht-)routinemäßiges Tun in Lehr- und Lernsituationen grundlegend nachzugehen. Dabei sei hier kurz eingeordnet, dass wenn hier von Mediendidaktik die Rede ist, ein über die traditionelle Perspektive auf die Theorie und Praxis von Lehren und Lernen hinausgehendes Verständnis vorliegt, dass das Spektrum von eher intendierten Lernumgebungsgestaltungen bis hin zu nicht-intendierten, beiläufigen Lehr- und Lern-Interaktionen in ihrer jeweiligen informellen Umgebung umfasst. Im vorliegenden Beitrag soll daher thematisiert werden, in welcher Weise soziales Handeln unter den Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität, hier spezifiziert auf mediatisiertes Lehr- und Lernhandeln, als Praktiken im Sinne einer praxeologischen Perspektive aufgefasst und durch eine (partizipative) mediendidaktische Brille interpretiert werden können. Nachfolgend wird dafür die hier skizzierte Problemstellung aus einer mediendidaktischen Perspektive nunmehr prägnanter erörtert und es werden mögliche Passungen und weitere Diskussionspunkte für eine praxeologisch informierte mediendidaktische Theoriebildung und Forschung aufgezeigt. Diesem Ansatzpunkt – das sei vorweg genommen – liegt bei aller kritischer Betrachtung dieser theoretischen (Meta-)Ebene in dieser ersten systematischen Annäherung, grundsätzlich eine konstruktive Offenheit gegenüber der praxeologischen Sichtweise im mediendidaktischen Kontext auf soziales Handeln in Form von Praktiken zugrunde (vgl. dazu bereits Bellinger und Mayrberger 2019). Diese wird nachfolgend anhand des Ansatzes einer partizipativen Mediendidaktik konkretisiert und am Beispiel einer Offenen Bildungspraxis in Form von Offenen Bildungspraktiken bzw. Open Educational Practices (OEP) systematisch aufgezeigt.
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Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich dafür in vier Schritte: Zuerst werden praxistheoretische bzw. praxeologische Begriffe und Grundlagen mit Blick auf mediendidaktisch relevante Aspekte dargestellt (Abschn. 2). Zweitens wird der Ansatz einer partizipativen Mediendidaktik im Sinne einer potenziell partizipativen mediendidaktischen Praxis skizziert und am Beispiel von Varianten offener Bildungspraktiken oder OEP exemplarisch konkretisiert (Abschn. 3). Anschließend erfolgt eine kritische Erörterung möglicher Passungen der beschriebenen Perspektiven hinsichtlich Überschneidungen und differenzierenden Eigenheiten (Abschn. 4). Final wird im Sinne einer ausgewählten praxistheoretischen Perspektive in der Medienpädagogik gefolgert, wo Chancen und Grenzen für das Verhältnis einer praxeologischen und partizipativen mediendidaktischen Perspektive hinsichtlich der weiteren Theoriebildung und der Forschung liegen und ein vorläufiges Fazit gezogen (Abschn. 5). Pointiert formuliert, erörtert der vorliegende Beitrag im Rahmen der gebotenen Kürze eine erste Annäherung an eine praxeologisch informierte partizipative Mediendidaktik im Sinne einer transdisziplinären Perspektive einer kritisch-konstruktivistischen Mediendidaktik (Mayrberger 2019) – oder um Teile des Fazits an dieser Stelle vorwegzunehmen, den theoretischen und empirischen Rahmen für die Analyse eines Doing-mediatizied-participatory-learning.
2 Perspektive von Praxeologie oder Praxistheorien In diesem Abschnitt werden die für die vorliegenden Ausführungen, und weil sie bisher nicht als selbstverständlich rezipiert und bekannt in der Medienpädagogik vorausgesetzt werden können, als sinnvolle Anknüpfungspunkte erachteten Begriffe und Grundannahmen auf Basis einschlägiger Einführungs- und Grundlagenbeiträge einer interdisziplinär ausgerichteten praxistheoretischen Perspektive im Kontext von Sozial- und Kulturwissenschaft zusammengefasst (u. a. Reckwitz 2003; Hillebrandt 2009; Schäfer 2016; Alkemeyer 2017; Hirschauer 2017; Schmidt 2017) – wohl wissend, dass es sich an dieser Stelle lediglich um eine erste Annäherung handeln kann und es weiterer, differenzierender Ausführungen bedarf. Die Theorieentwicklung der Praxistheorien nimmt als einen Ausgangspunkt Bezug auf den Praxisbegriff von Marx der diesen nah an das sinnliche alltägliche Handeln des Menschen ansetzt, während neuere praxistheoretische Strömungen in den Sozialwissenschaften auf Arbeiten von Bourdieu (1979) und Giddens (1984) rekurrieren (vgl. ausführlicher zur Theorieentwicklung bei Schmidt 2017, S. 335 ff. sowie Schäfer 2016, S. 9 ff.). Die bis zur Jahrtausendwende vorliegenden
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empirischen und methodologischen Zugänge in Form von Erkenntnis- und Forschungsstilen charakterisiert Schmidt als praxeologische Orientierungen, „die schließlich programmatisch ausformuliert als Practice Turn in Contemporary Theory [Hervorhebung im Original] (Schatzki et al. 2001) weithin wahrgenommen und diskutiert werden“ (Schmidt 2017, S. 336). Entsprechend liegen gegenwärtig Varianten praxeologischer Forschungsprogramme und Theorieprojekte vor, doch ließe sich nicht von der einen Praxistheorie sprechen. Ähnlich bezeichnet Schäfer (2016, S. 9) Praxistheorie „als eine heterogene, aber dennoch definierbare Theoriebewegung. […] Praxistheorie wird dabei als ein Feld verstanden, dessen Konturen sich umreißen lassen, dessen Grenzen jedoch fließend sind“. Vor diesem Hintergrund erscheint es zuvorderst sinnvoll zu erläutern, worum es dieser Perspektive genau geht und was über die Varianten hinweg aus praxeologischer Perspektive unter Praxis und was unter Praktiken verstanden wird, um im weiteren Verlauf eine Konvergenz hinsichtlich OEP und einer partizipative Mediendidaktik erörtern zu können. Unter Rückgriff auf Schäfer (2016, S. 10) lässt sich grundlegend festhalten, dass Praxistheorie soziales Handeln als eingebettet in sozial zirkulierende und inkorporierte Wissensordnungen begreift und sich damit kritisch gegen das lange vor allem in der Soziologie vorherrschende funktionalistische Paradigma wendet. Vielmehr versuche Praxistheorie die Integration zwischen interpretativer und strukturalistischer Kulturtheorie herzustellen und diesen Grat in der Auseinandersetzung mit der Rolle von Kultur, Produkten und vor allem Prozessen konstruktiv zu nehmen. Hier wird beispielhaft auf das Konzept des Habitus von Bourdieu verwiesen, dass laut Schäfer (2016, S. 11) als „theoretisches Scharnier“ fungiere, weil „dessen sozial angeeignete Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata gleichermaßen strukturiert sind und strukturierend wirken“. Auf Ansätze im Feld der Praxistheorien trifft zu, dass „‚Praktiken‘ die fundamentale theoretische Kategorie bilden“ (ebd.) und mit dieser Perspektive etablierte philosophische wie soziologische Gegensätze und Differenzierungen in Struktur und Handlung, Regel und Anwendung oder Gesellschaft und Individuum sowie Makro- und Mikroperspektive überwinden zu suchen. Handlungen werden demnach in einer Praxistheorie nicht isoliert betrachtet, sondern als Zusammenhang gesehen und begriffen, weshalb sich die Frage, was unter einer Praxis verstanden wird, nur relational beantworten ließe. „Die Identität einer Praxis ist demnach abhängig von ihrem Verhältnis zu anderen (auch vergangenen) Praktiken und vom sozialen Kontext, in dem sie auftritt“ (Schäfer 2016, S. 11, vgl. dazu das sehr gut illustrierende Beispiel der Praxis des Heiratens, die sich aus verschiedensten vor allem religiös motivierten Verhaltens- und Handlungsweisen konstituiert, ebd., S. 12). Bedingungen einer Praxis sind durchaus dynamisch, und können sich
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entsprechend mehr oder weniger schnell ändern und damit zur Transformation einer Praxis beitragen, doch kann die soziale Praxis selbst nicht durch Einzelne beliebig umdefiniert werden. „Praktiken sind das Tun, Sprechen, Fühlen und Denken, das wir notwendig mit anderen teilen. Dass wir es mit anderen gemeinsam haben, ist Voraussetzung dafür, dass wir die Welt verstehen, uns sinnvoll darin bewegen und handeln können. Praktiken bestehen bereits, bevor der/die Einzelne handelt, und ermöglichen dieses Handeln ebenso wie sie es strukturieren und einschränken. Sie werden nicht nur von uns [Hervorhebung im Original] ausgeführt, sie existieren auch um uns herum [Hervorhebung im Original] und historisch vor uns [Hervorhebung im Original]. Sie zirkulieren unabhängig von einzelnen Subjekten und sind dennoch davon abhängig, von ihnen aus- und aufgeführt zu werden“ (Schäfer 2016, S. 12).
Hirschauer (2017, S. 91) stellt differenziert dar, wie mit dem Aufkommen der Praxistheorien eine Verschiebung vom Begriff der Handlung zu dem der Praxis erfolgt ist, und stellt grundsätzlich fest: „Die Begriffe Praxis und Praktiken stehen primär für eine neue Art, das Handeln zu konzipieren, indem sie dessen körperlich tätige Seite sowie eine vom Akteur dezentrierte Verteiltheit von Tätigkeiten hervorheben“. Entsprechend werde „das Handeln in Praxistheorien in Abgrenzung zu rationalistischen und intentionalistischen Handlungstheorien materialistischer verstanden“ (ebd.) und praktisches Handeln weniger als Ausführen individueller Intentionen gesehen, sondern als „eine körperlich vollzogene Koaktivität in Wechselwirkung mit anderen Entitäten“ (ebd.). Mit diesem materialistischen Blick kennzeichne „Praxis menschliches Handeln und Verhalten [Hervorhebung im Original]“ […] und insofern gilt: „Handeln ist auch ‚sich verhalten können‘“ (ebd., S. 92), womit Praxistheorien einen anderen Ansatzpunkt als Handlungstheorien wählen. Hirschauer (2017, S. 91 f.) differenziert so auch unter Rückgriff auf Reckwitz zwischen Praxis und Praktiken wie folgt: „Der Begriff der Praxis ist also von vornherein körperzentriert gedacht – wie vor ihm nur der Begriff der ‚Arbeit‘ und parallel zu ihm der der Performativität. ‚Praxis‘ ist der körperliche Vollzug [Hervorhebung im Original] sozialer Phänomene, sie besteht letztlich aus ‚Körperbewegungen‘ (Reckwitz 2003, S. 290). ‚Praktiken‘ sind bestimmbare Formen [Hervorhebung im Original] dieses Vollzugs: Typen von Aktivitäten, Weisen des Handelns, Verhaltensmuster, Interaktionsformen. Menschliches Handeln und Verhalten – d. h. Praxis – findet also im Rahmen von Praktiken statt, d. h. im Rahmen von kulturell vorstrukturierten ways of doing [Hervorhebung im Original], in deren Verlaufsmuster sich Handelnde bei ihrem Tun verwickeln. Insofern sind Praktiken ‚Kulturtechniken‘ (Reckwitz 2010, S. 188)“.
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Hierbei betont Hirschauer (2017, S. 92) weiter, dass ebendieses kulturell kompetente Verhalten auf drei Ressourcen basieren könne: „den gekonnten Einsatz des sozialisierten Körpers [Hervorhebung im Original], den geschickten Gebrauch von Dingen [Hervorhebung im Original], und den korrekten Gebrauch von Zeichen [Hervorhebung im Original]. Und es gibt Praktiken, in denen das körperliche Agieren [Hervorhebung im Original] (etwa der Kampf), das Hantieren mit Dingen, oder das Kommunizieren [Hervorhebung im Original] (der Gebrauch von Zeichen) im Vordergrund stehen“. Hirschauer (ebd., S. 92) macht in seinen Ausführungen ebenso deutlich, dass mit zunehmender theoretischer Profilierung die Begriffe Praxis und Praktiken nunmehr als neuere Grundbegriffe der Soziologie neben das Handeln und Verhalten sowie die Interaktion und Kommunikation treten würden. So stellt er an anderer Stelle in diesem Zusammenhang nochmals deutlich heraus, dass das unternehmende Handeln von Individuen von der Vorstellung einer Koaktivität mit anderen Entitäten abgelöst werde (siehe ebd., S. 93). Aufgrund ihrer Relevanz für mediendidaktische Fragestellungen zur Gestaltung von Umgebungen, ein partizipatives Lernen und eine geteilte offene Bildungspraxis werden die Ausführungen zur Koaktivität an späterer Stelle noch weiter ausgeführt (Abschn. 4). Schäfer (2016, S. 12) stellt mit Bezug auf Schatzki heraus, dass von der Praxistheorie eine einseitige Perspektive abgelehnt würde, die entweder von Strukturen oder einer Gesellschaft ausgehe, die das Individuum in irgendeiner Form einschränke oder aber, dass sich das Soziale oder die Gesellschaft allein aus individuellen Einzelhandlungen zusammensetze. Vielmehr „resultieren sowohl Sozialität als auch Individualität aus Praktiken“, weshalb hier eine integrative Perspektive verfolgt wird. „Verändern sich die Formen von Praktiken (historisch oder lokal), so verändert sich das ‚Wesen‘ der Individualität respektive der Gesellschaft“ (Schäfer 2016, S. 12 f.). Entsprechend der vorherigen Schlaglichter lässt sich, Schäfer folgend, das Feld der Praxistheorien und des Praxisbegriffs zusammenfassend durch folgende Charakteristika kennzeichnen (vgl. ausführlicher ebd.): • eine Ankerkennung der jeweiligen Kontextualität und Relationalität des Handelns, die zum geteilten Sinn einer Praxis in einer Kultur beitragen, in dem ein Verhältnis zwischen Vorkommen, Verteilung und Erfahrbarkeit von Praxis sowie Aneignung, Ausführung und Erfahrung dieser besteht. • eine Verortung des Sozialen zwischen vielfältigen Beziehungen in Bezug auf Raum und Zeit, die sich nicht auf Normen noch auf relationale Entscheidungen reduzieren ließe.
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• eine fundamentale Berücksichtigung der Prozessperspektive sozialer Ordnung in Form der Zeitlichkeit des Sozialen, weshalb Praxis in ihrem Verlauf analysiert werden müsse. • eine grundlegende Berücksichtigung der Körperlichkeit des Sozialen, da sowohl das präreflexive Verstehen einer sozialen Praxis oder Situation wie auch das kompetente Ausführen von situativ angemessenen Praktiken auf implizites Wissen bauen. • eine Berücksichtigung der Materialität des Sozialen, die es erlaubt über die Ebene sprachlicher Bedeutung hinweg im Sinne einer diskursiven Praxis ebenso die Ebene der materiellen Aspekte des Sozialen zu erfassen und zu analysieren; dazu wird die Relevanz und der Gebrauch von beispielsweise Artefakten, Technologien, Räumen, Medien und Bildern gezählt (auf den vielfach von diversen Autoren in diesem Zusammenhang benannten passenden Bezug u. a. zur Akteur-Netzwerk-Theorie soll an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden). Folglich lässt sich mit Blick auf mögliche Forschungsperspektiven festhalten, dass eine Form sozialer Praxis nach diesem Verständnis immer auf den zum jeweiligen Zeitpunkt geteilten Praktiken basiert. Daraus ergibt sich, dass eine der Kernaufgaben von Praxistheorien darin liegt, „Differenzen zwischen sozialen Praktiken herauszuarbeiten“ (Schäfer 2016, S. 12). Um diese Praktiken in dem hier beschriebenen Sinne untersuchen zu können, verfolgen Praxistheorien vorrangig den Anspruch, diese in Anlehnung an die Ethnomethodologie dicht zu beschreiben und soziale Praxis in erster Linie induktiv zu rekonstruieren, anstelle mithilfe der in der Soziologie üblicheren strukturleitenden und deduktiven Herangehensweise vorzugehen. Um den hier formulierten Anspruch die Praktiken und Praxis in den Mittelpunkt und vor allem Ausgangspunkt der Untersuchung zu stellen, gerecht zu werden, erfolgt eine interdisziplinär orientierte Hinwendung zu qualitativ-empirischen Methoden und Methodologien wie auch zu gegenstandsorientierter Theoriebildung. Kennzeichnend dafür ist eine enge Verschränkung von Theorie, Methodologie und Empirie, wie sie stimmig zur Praxistheorie erscheint. Denn diese verfolgt, so Schäfer (vgl. ebd., S. 14) das übergreifende Ziel, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen – allerdings wird einschränkend davon ausgegangen, dass die bessere Passung dann erfolgt, wenn man zuerst induktiv an der Praxis und nicht abstrakt und deduktiv an der Theorie ansetzt und diese dann versucht an der Praxis rückzubinden und abzubilden. Die Praxistheorien versuchen diesem Anspruch innerhalb der zentralen Charakteristika durch hohe begriffliche und methodische Offenheit unter Bearbeitung vielfältiger Forschungsfragen zu ermöglichen. Z usammenfassend
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stellt Schäfer (vgl. ebd., S. 14) weiter zusammenführend heraus, dass trotz (leichter) Divergenz praxeologischer Ansätze diese „stets eng verbundene Perspektiven einnehmen, die entweder stärker die Verteilung von Praktiken (etwa in einem Diskurs oder einem Feld) oder die körperliche Aneignung und kompetente Ausführung von Praktiken fokussieren. Doch unabhängig davon, ob die zirkulierende Dimension von Praxis oder – etwa mit dem Begriff des ‚impliziten Wissens‘ – die inkorporierte Dimension von Praxis betont wird, hängen diese stets zusammen und sind nicht ohne Bezug aufeinander denkbar“. Diese aufgezeigten Ausprägungen von Praktiken stellen für eine vor allem auf Partizipation und Beziehungen rekurrierende Mediendidaktik einen relevanten Anker dar – auch wenn es darum geht Mediendidaktik weiter zu verstehen und sie potenziell in zeitgemäßen Varianten auch als Bezugsrahmen für informelles Lernen in Betracht zu ziehen.
3 Perspektive einer partizipativen Mediendidaktik An dieser Stelle wird in Auszügen der Ansatz und das Strukturmodell einer partizipativen Mediendidaktik (vgl. ausführlicher Mayrberger 2019) knapp vorgestellt (Abschn. 3.1) sowie in diesem Rahmen der Stellenwert und das Konzept offener Bildungspraktiken bzw. OEP (vgl. ausführlicher Mayrberger und Hofhues 2013 sowie Bellinger und Mayrberger 2019) skizziert (Abschn. 3.2). Dabei werden beispielsweise implizit nachfolgende Fragen leitend mitgedacht: Wie erfasst man eine partizipative Praxis und Varianten entsprechender Praktiken eines partizipativen Lehrens und Lernens? Und wie lassen sich konkreter OEP oder eine offene Bildungspraxis als Beispiel für eine aktuelle mediendidaktisch relevante Perspektive theoretisch wie empirisch verorten sowie identifizierte Desiderate hinsichtlich OEP (siehe Bellinger et al. 2018 sowie Bellinger und Mayrberger 2019) praxistheoretisch begegnen?
3.1 Partizipative Mediendidaktik Mediendidaktik wird hier aus primär erziehungswissenschaftlicher Perspektive und entsprechend im Anschluss an die Medienpädagogik und Allgemeine Didaktik verortet und in deren Schnittfeld im Sinne einer allgemeinen Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens mit und über (vor allem digitalen) Medien in einer mediatisierten Welt betrachtet (vgl. differenzierter Kap. 2 und 7 in Mayrberger 2019). Neben einer klaren disziplinären und fachwissenschaftlichen Verortung
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wird Mediendidaktik auch als Querschnittsaufgabe innerhalb der Erziehungswissenschaft gesehen (z. B. im Verhältnis zu den Fachdidaktiken, der Schulpädagogik, der Erwachsenbildung oder auch Hochschuldidaktik). Diese doppelte Positionierung der Mediendidaktik verstärkt, dass sie sich auch und zunehmend durch Interdisziplinarität und gar Transdisziplinarität auszeichnet (z. B. in Bezug auf die Informatik, Rechtswissenschaft, Philosophie, Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaften, Psychologie oder eben auch die Soziologie). Für die vorliegende Betrachtung erscheint genau die potenzielle Transdisziplinarität von integrierten didaktischen und soziologischen Perspektiven auf die Mediendidaktik wertvoll – hier konkretisiert am mediendidaktischen Ansatz zum partizipativen Lehren und Lernen und später konkretisiert an OEP. Ebenso wertvoll, doch hier weniger im Fokus, steht konsequenterweise ein Kontext der sich mit Bedingungen von Digitalisierung (eher im Sinne von Technisierung) und Digitalität (eher im Sinne von kulturellen Praktiken) beschreiben lässt (u. a. Stalder 2016) und Bezug zur medienkulturellen und kommunikationswissenschaftlichen Metaperspektive einer (tief greifenden) Mediatisierung in Form von kommunikativen Praktiken im Zuge eines stetigen Medienwandels nimmt (u. a. Krotz 2017; Hepp 2018). Eckpfeiler einer partizipativen Mediendidaktik als transdisziplinär agierende (Teil-)Disziplin der Erziehungswissenschaft stellen Normen und Werthaltungen dar, die sich in einer offenen, d. h. auf Förderung von Selbstbestimmung und Lernendenorientierung ausgerichteten Lehr- und Lernkultur ausdrücken. Weiter stellen Mündigkeit, Emanzipation sowie Persönlichkeitsbildung für ein auf Beziehungsgestaltung Wert legendes Handeln in einem demokratischen Wertesystem wesentliche Eckpunkte eine partizipativen Mediendidaktik dar, weshalb sie auch als Variante einer kritisch-konstruktivistischen Mediendidaktik betrachtet wird (vgl. ausführlicher Kap. 6 und 7 in Mayrberger 2019). Diese mediendidaktische Perspektive versucht mit Blick auf unterschiedliche disziplinäre Einflüsse eine (eher traditionell medienpädagogisch motivierte und auf Persönlichkeitsentwicklung und kompetentes Medienhandeln zielende) handlungsorientierte und (eher psychologisch motivierte auf das Design medialer Angebote abzielende) gestaltungsorientierte Perspektive gleichermaßen zu berücksichtigen (vgl. differenzierter Mayrberger 2019, S. 115 ff.). Hierbei kann sie der Idee einer integrativen Mediendidaktik gerecht werden, wie sie bereits Tulodziecki (2011, S. 18) in den frühen 1970er Jahren als hilfreiche und aussichtsreiche Kombination eingeschätzt hatte: „In diesem Zusammenhang verband sich mit dem Begriff der Mediendidaktik auch die Hoffnung, eine Polarisierung zwischen verschiedenen Strömungen – von einer ‚harten‘ Unterrichtstechnologie bis zu Ansätzen einer kritisch-kommunikativen Mediendidaktik – zu vermeiden und
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diese in ein Gesamtkonzept von Mediendidaktik zu integrieren“ (vgl. auch hier ausführlicher Kap. 6 bei Mayrberger 2019). Der Ansatz einer partizipativen Mediendidaktik hat sich aus ersten Überlegungen zur Begriffsbestimmung und Rolle von Partizipation im Zuge der mediendidaktischen Einbindung von sozialen Medien und Öffnung von Lernumgebungen für Angebote des Social Webs heraus entwickelt – hier insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Widerspruch einer verordneten Partizipation im Zuge mediendidaktischer Szenarien in formalen Bildungskontexten wie Schule und Hochschule (Mayrberger 2012; sowie zur empirischen Exploration Mayrberger und Linke 2014). Für den vorliegenden Ansatz wurde mit Bezug auf das graduell durch Fremd- oder Selbstbestimmung gekennzeichnete Lehren und Lernen in einem Partizipationsmodell ein Partizipationsraum festgeschrieben, der tatsächliche Partizipationsvarianten ausweist (vgl. Abb. 1 sowie ausführlicher Kap. 6 und 8 in Mayrberger 2019). Die Setzung des Zielbildes einer tatsächlichen Partizipation steht entsprechend für Formen der Mitwirkung, Mitbestimmung und Selbstbestimmung und die damit einhergehende Beschreibung des jeweiligen Verhältnisses von mindestens zwei Akteur*innen oder Personen zueinander sowie deren Machtverteilung im Zuge von Entscheidungsprozessen im L ehr-Lernprozess, die von der Bereitschaft und Fähigkeit abhängen, Verantwortung für die Prozesse im Handlungsraum Lehre abzugeben und zu übernehmen. Partizipation ist hier aus didaktischer Perspektive im Zusammenhang von Kommunikation, (sozialer) Interaktion, Kollaboration, Kooperation und den damit
Abb. 1 Partizipationsmodell einer partizipativen Mediendidaktik
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einhergehenden Beziehungen in dieser mediendidaktischen Perspektive als ein strukturbestimmendes Element zu verstehen. Im entsprechenden heuristischen Strukturmodell einer partizipativen Mediendidaktik stellt daher der sogenannte Partizipationsraum neben dem sogenannten Medienbalken, der diverse Perspektiven auf Medien entlang im Modell benannter Bedingungsebene bündelt und so zu einem mediatisierten Partizipationsraum beiträgt, einen der beiden tragenden Strukturelemente dar, die miteinander im Zusammenhang stehen (vgl. Abb. 2 sowie ausführlicher in Kap. 8 Mayrberger 2019). Der Partizipationsraum ist im heuristischen Strukturmodell auf der Bedingungsebene der Akteurinnen und Akteure angebunden beziehungsweise aufgehängt und liegt zugleich über den Bedingungsebenen Interpersonalität und Bildungskontext (formal bis informell). Personale Beziehungen im Kontext der Akteur*innen, zu denen hier neben Personen in Form von Lehrenden und Lernenden auch Technologien, die Organisation aber auch weitere Akteure (z. B. Dinge) oder ausdifferenzierte mögliche Akteur*innengruppen (z. B. weitere Personen in Form von Bürger*innen) zählen können (wie im Modell mit drei Punkten als Platzhalter gekennzeichnet), werden in den vorliegenden Ausführungen als konstitutives Element ebendieses Partizipationsraumes betrachtet. Der Partizipationsraum ist mit Blick auf den Medienbalken im Kontext des Metaprozesses einer Mediatisierung zu sehen. Ein solcher Partizipationsraum birgt das Potenzial über Beziehungen partizipative Handlungsweisen und (kommunikative) Interaktionsformen als bestimmbare Formen von Praktiken partizipativen Lernens sich vollziehen zu lassen (im Sinne eines Doing-mediatizied participatory-learning). Dabei wird hier von einer tatsächlichen Partizipation im Zuge von Praktiken partizipativen Lernens ausgegangen, die sich als Kontinuum aufeinanderfolgender Praktiken im gemeinsamen Lehr- und Lernprozess formieren können und die der Partizipationsraum in ihrer Konstitution unterstützen soll. Der Partizipationsraum steht im Sinne der Ausführungen Hirschauers mit Bezug auf Reckwitz demnach für eine spezifische soziale Praxis – eine partizipative Praxis des Lehrens und Lernens im Kontext möglicher Varianten partizipativer Praktiken. Der Partizipationsraum, so die Annahme einer partizipativen Mediendidaktik, wird wiederum durch die Bedingungsebene Gesellschaft stärker kontextualisiert, als dass partizipative Praktiken Einfluss auf diese Bedingungsebene nähmen, weshalb der Partizipationsraum auch nicht umfassend und gleichermaßen über alle Bedingungsebenen gelegt wurde. Der Medienbezug des Partizipationsraums erfolgt mit Blick auf Medien als komplexes Element in diesem mediendidaktischen Ansatz über das Konstrukt des sogenannten Medienbalkens, der über alle Bedingungsebenen hinweg liegt und damit auch in den Partizipationsraum greift.
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Abb. 2 Heuristisches Strukturmodell einer partizipativen Mediendidaktik
Die partizipative Mediendidaktik lässt sich aufgrund zentraler überschneidender Merkmale wie Partizipation, Digitalisierung und Offenheit wie auch Open Education oder Open Pedagogy mit (Hegarty 2015) als übergreifende konzeptionelle Variante von Open Educational Practice oder einer offenen Bildungspraxis einordnen. Offenheit zeichnet sich nicht nur, aber in diesem Zusammenhang besonders durch
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die Verwendung von offenen, freien Bildungsressourcen oder Open Educational Resources (OER) einschließlich offener und transparenter Interaktion sowie der Idee einer Kultur des Teilens aus. Denn Offenheit oder openness zielt auf die bedeutende Rolle der Haltung aller Beteiligten im Sinne eines „acts of generosity, sharing, and giving“ (Wiley 2010, S. 16 sowie kritisch erörtert am Beispiel von schulischem Unterricht Bock und Tribukait 2019) ab. Mit praxistheoretischer Brille wäre hierbei präziser von der Idee eines auf Teilen ausgelegten Handelns und Verhaltens, statt von einer Haltung, zu sprechen, das partizipative Praktiken konstituiert. Eine Bereitschaft zum Teilen (z. B. Abgeben wie Annehmen von Materialien verbunden mit Zuständigkeiten, Tätigkeiten etc.) korrespondiert in diesem Sinne mit einer tatsächlichen Partizipation, bei der es um das Teilen von Verantwortung für die zum mediendidaktischen Setting passenden Handlungsweisen und Verhaltensmuster geht, die wiederum damit eine spezifische Form von Praktiken partizipativen Lernens (im Sinne eines Doing- mediatizied-participatory-learning) bestimmen, und darüber hinaus auf eine partizipative mediendidaktische Gestaltungs-Praxis hinauslaufen. Man könnte gar von Participatory Open Educational Practices (POEP) sprechen, um den durchweg impliziten Fokus auf Partizipation explizit sichtbar zu machen, da Partizipation unter dem Begriff Openness häufig bereits subsummiert wird und damit mitunter verkannt wird, wie anspruchsvoll partizipative Praxis für alle Akteur*innen ist.
3.2 Offene Bildungspraktiken (OEP) und Offene Bildungspraxis (OEP) Wurde über die letzte Dekade hinaus von OEP gesprochen, so wurde und wird bis heute immer noch zuvorderst die Rolle von OER als mehr oder weniger konstituierendes Element betont. Hierbei konnten im Zuge einer systematischen Literaturanalyse auf einem Spektrum von einem engen (vorwiegend auf OER fokussierten) und einem weiten (vorwiegend auf das pädagogische und didaktische Konzept fokussierten) Verständnis von OEP differenziert werden; stellenweise wird auch von OEP als Rahmenwerk oder Dachbegriff gesprochen (vgl. für einen Überblick ausführlicher Bellinger und Mayrberger 2019). Auch wurde wissend um dieses missverständliche Verhältnis von OER und OEP bereits dafür plädiert, statt übergreifend von einer Open Pedagogy bei einer engeren Sicht auf OER sogleich von einer OER-Enabled Pedagogy (Wiley und Hilton 2018) zu sprechen, um Unterschiede hinsichtlich der konzeptionellen Reichweite zu verdeutlichen. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Debatte um das, was OEP alles (nicht) meint, wurde allerdings deutlich, dass das Verständnis
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von Praxis oder practices wie es im Begriff OEP bereits bezeichnend verwendet wird, eher pragmatisch, denn theoretisch fundiert und differenziert betrachtet wird. Entsprechend kamen Bellinger und Mayrberger (2019) auch zu dem Ergebnis ihrer Untersuchung, dass hierfür eine praxistheoretische Perspektive sowohl auf die konzeptionelle Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung wie auch einer entsprechend motivierten mediendidaktischen Forschung gewinnbringend sein könnte. Daher wird von ihnen folgende praxistheoretisch informierte Begriffsbestimmung von OEP (hier exemplarisch für den formalen Bildungskontext Hochschule) vorgeschlagen, die es theoretisch wie mithilfe passender Forschungsvorhaben weiter zu entwickeln gilt: „OEP sind – unter einer praxistheoretischen Perspektive – als partizipative mediendidaktische Gestaltungs-Praxis an Hochschulen zu fassen, welche Lehrende und Lernende gleichermassen [sic] als Akteure offener Lehr-Lernpraktiken und -architekturen versteht. Weiter sind OEP im Anschluss an die Theorien sozialer Praxis ein ‚typisiertes, routinisiertes und sozial ‚verstehbares‘ Bündel von Aktivitäten‘ (Reckwitz 2003, S. 289), das auf der Grundlage inkorporierten Wissens einer impliziten Logik folgt (Bourdieu 1979, 1993) und sich in spezifischen Formen des Zusammenwirkens von Handlungen, Körpern und (medialen) Artefakten, respektive OER, manifestiert. OEP werden damit sowohl vonseiten inkorporierter als auch in Artefakten materialisierter Wissensbestände her begriffen (Reckwitz 2006, S. 107), die das Handeln anleiten. Insofern stellen sich OEP als Handlungsvollzüge dar, die ihre Sinnhaftigkeit erst im Vollzug innerhalb eines bestimmten sozialen Kontextes erkennen lassen und einer Logik der Praxis folgen (Bourdieu 1998), die im Zuge der (Hochschul-)Sozialisation erworben wurde“ (Bellinger und Mayrberger 2019, S. 40 f.).
Die von Bellinger und Mayrberger vorgeschlagene Begriffsbestimmung umfasst vor dem Hintergrund der durchgeführten Analyse von Forschungsarbeiten zu OEP im europäischen Raum wichtige Merkmale von OEP. Sie biete zugleich einen konzeptionellen Anker im Ansatz einer partizipativen Mediendidaktik wie in Theorien sozialer Praktiken (u. a. Reckwitz 2003). Fasst man nun die partizipative Mediendidaktik, wie hier vorgenommen, zugleich auch als mögliche Variante eines weiten OEP Verständnisses im Sinne einer partizipativen mediendidaktischen Gestaltungs-Praxis, die durch Praktiken partizipativen Lehren und Lernens kontextualisiert wird, können OEP im engeren Verständnis aus einer praxeologischen Perspektive als Varianten dieser Praktiken betrachtet werden. Problematisch ist hierbei, dass aufgrund der etablierten Verwendung des englischen Begriffs Open Educational Practices bisher kaum theoretisch trennscharf zwischen OEP im Sinne von Singular oder Plural also zwischen Offener Bildungspraxis oder Offenen Bildungspraktiken unterschieden wird. Eine solche konsequente Trennung ist allerdings aus einer praxistheoretischen Perspektive zwingend nötig.
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Einer partizipativen Mediendidaktik geht es zwar um einen hohen Grad an Partizipation sowie um die Gestaltung entsprechend offener Lernumgebungen unter den Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität, die den Lernenden und Lehrenden Raum für ihr (gemeinsames) Lernhandeln lassen, doch können partizipative Lernpraktiken auch unabhängig von der Debatte um Offenheit im Sinne der Verwendung von OER und freier Lizenzierung und offenen Zugängen von Bildungsmaterialien oder Bildungsmedien gesehen werden – wenngleich der Kontext offener Bildungspraxis enorm förderlich auf den mediendidaktischen Ansatz einzahlt. Aus diesen Überlegungen heraus wäre zu prüfen, inwiefern Openness mit Blick auf die Rolle von Zugang und Partizipation ganz im Sinne eines sozialen und kulturellen Wandels klarer umrissen werden sollte und das Partizipative Lernen im Zuge der Debatten um Open Education und OEP noch viel stärker betont werden sollte solange das Feld sich noch formal am Ordnen ist.
4 Potenziale und Herausforderungen praxistheoretischer Ansätze für eine partizipative Mediendidaktik am Beispiel von Koaktivität und Open Educational Practice(s) Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten im Rahmen der gebotenen Kürze ausgewählte Grundzüge einer praxistheoretischen Perspektive sowie einer neu entwickelten partizipativen Mediendidaktik dargestellt wurden, erfolgt jetzt entlang der Koaktivität eine Erörterung von möglichen Potenzialen und Herausforderungen praxistheoretischer Ansätze für eine partizipative Mediendidaktik sowie hinsichtlich Anknüpfungspunkten einer möglichen transdisziplinären Bearbeitung von entsprechenden Forschungsfragen. Koaktivität als analytische Perspektive kann dazu beitragen, OEP verstanden als offene Bildungspraxis im Zusammenhang mit Teilen, Partizipation und Offenheit zu untersuchen, die sich operativ in Forderungen nach mehr kollaborativen und kooperativen Arbeits- und Lernformen ausdrücken. Herausforderung stellt hierbei dar, dass wie eingangs dargestellt, gerade Hirschauer mit Rückgriff auf Reckwitz für den Praxisbegriff deutlich die Rolle der Körperzentrierung betont. Also von einem körperlichen Vollzug sozialer Phänomene ausgegangen wird, die sich in Körperbewegungen niederschlagen – die folgerichtig im besten Falle beobachtbar sind. Eine Praktik als bestimmbare Form des Vollzugs eines bestimmten sozialen Phänomens wirft mit Blick auf eine Offene Bildungspraxis
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und der wesentlichen Kultur des Teilens die Frage auf, was in diesem Zusammenhang als körperlicher Vollzug gelten könnte. Ein Teilen von digital vorliegenden Informationen, Inhalten oder Bildungsmedien beispielsweise in Form von OER ließe sich noch über den physischen oder am Monitor zu beobachtenden Mausklick festmachen, der dazu führt, dass etwas online geteilt zur Verfügung steht. Doch stößt die Medialität und damit Frage von Materialität digitaler Artefakte schnell an ihre Grenzen, die es gerade forschungsmethodologisch neu auszuloten gilt (siehe dazu Bettinger 2020). Mit Blick auf OEP als Rahmen für sowohl informelle Lernprozesse bis hin zu formaleren Lehr- und Lernprozessen ist als weitere Chance und zugleich Herausforderung festzuhalten, dass vor allem eine sozial- und lernpsychologische Betrachtung gemeinsamer Lernformen (in formalen Unterrichtssituationen) von der Idee einer möglichen kognitiven Ko-Konstruktion getragen wird. Denn im Zuge einer Orientierung an konstruktivistisch orientierten Lerntheorien spielt die gemeinsame Erarbeitung und Herstellung von Wissen in Form von Ko-Konstruktion, Kollaboration und bisweilen auch Kooperation eine Rolle. Und genau genommen ist eine OEP ohne die Bereitschaft des Teilens und damit dem Herstellen einer Ko-Interaktion nicht möglich (vgl. ausführlicher Kap. 6 in Mayrberger 2019). Die praxeologische Perspektive auf Koaktivität eröffnet nun neben einer kognitionspsychologischen Sicht eine alternative soziologische Sicht auf Aktivitäten im Rahmen von Lernumgebungen. Entsprechend anschlussfähig erscheint daher die praxeologische Perspektive hinsichtlich der Koaktivität, wie sie von Hirschauer (2017, S. 93) umschrieben wird: „Die soziologisch bekannteste Form von Koaktivität sind Interaktionen. Man kann sie praxistheoretisch als eine Form verteilten Handelns [Hervorhebung im Original] begreifen. Ihr besterforschter Fall sind Gespräche.“
Hierbei seien sowohl sprachliche wie nicht-sprachliche Interaktionen von Relevanz. Darüber hinaus stellt Hirschauer (ebd., S. 94) heraus, dass durch das vorliegende praxeologische Verständnis von Koaktivität auf Praktiken gleichermaßen der Handlungsraum begründet und über die beteiligten Personen hinaus geöffnet werden könne: „Wenn man auf Menschenseite die Intentionalität zugunsten niedrigstufiger Aktivitäten herunterfährt und ihre Alleinautorschaft am Handeln durch dessen ‚Verteilung‘ zurücknimmt, dann lässt sich das Handeln auch für andere Partizipanden öffnen, die in eine Praktik involviert sind: für Artefakte (i. S. der Akteur-Netzwerk-Theorie), situative Settings, Tiere, Texte und selbsttätige körperliche Prozesse. Wenn menschliche Handelnde viele Dinge nur anstoßen oder geschehen lassen, so lässt sich eben
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K. Mayrberger auch umgekehrt fragen, wie materiell vorstrukturierte Settings Menschen handeln lassen. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich von den ‚inneren Aufforderungen‘ (den Motiven) oder den verbalen Aufforderungen generalisierter Anderer (den Normen) zu den situativen Umständen, die uns Handlungen nahelegen. Situationen sind mit Dingen, Menschen und Zeichen angefüllte Gelegenheiten, die uns etwas tun machen oder lassen.“
Aus mediendidaktischer Sicht können im Zuge von Lernumgebungen oder konkret im hier thematisierten Partizipationsraum potenziell situative Koaktivitäten entstehen, die sich in mediatisierten Praktiken partizipativen Lernens ausdrücken (können), wie sie hier als partizipative und zugleich kritisch-konstruktivistische Perspektive einer Mediendidaktik vorgestellt wurden. Insbesondere erlaubt eine Berücksichtigung der soziologischen Sicht mit dem Konzept der Koaktivität eine Ergänzung oder auch Verschiebung der psychologischen Sicht auf Ko-Konstruktion hin zu Ko-Aktivitäten innerhalb eines beobachtbaren Handlungsraums. Diese Verschiebung erscheint im Zuge einer sozial-konstruktivistischen Perspektive auf das Lernen, die vor allem die Prozesse in der komplexen gemeinsamen Lern- und Lehrsituation zu beobachten und zu beschreiben sucht und weniger die psychologisch kognitiven Prozesse rückschließend erklären will, besonders mit Blick auf empirische Forschungsvorhaben hilfreich. In beiden Fällen bleibt allerdings das Problem zu lösen, wie gerade in mediatisierten Handlungsräumen eine passende beobachtbare Performanz von Praktiken ermöglicht werden kann. Es wird hier davon ausgegangen, dass eine partizipative Mediendidaktik sich mit ihren bildungswissenschaftlichen Anknüpfungspunkten über weitere interdisziplinäre Anschlüsse in Theorie und Empirie als transdisziplinär ausgerichtete bildungswissenschaftliche Teildisziplin und zugleich quer liegendes Forschungsfeld weiterentwickeln wird können. Die Stärke wird hierbei weniger in einer Gestaltungsorientierung unter Einbezug von Instruktionsdesign und Blick auf die Erstellung von Bildungsmedien und deren Optimierung hinsichtlich des Wissenserwerbs gesehen. Vielmehr wird das Potenzial in der Gestaltung umfassender Lernumgebungen gesehen, die einen Partizipationsraum bereitstellen, innerhalb dessen sich partizipative Lernpraktiken entwickeln können, die zugleich Koaktivitäten ermöglichen. Aus diesem Grund erscheint die Perspektive, die Hirschauer (2017) eröffnet eher anschlussfähig: Nicht lediglich das Subjekt mit seinen inneren Prozessen steht im Fokus, sondern auch und darüber hinaus die Lernumgebungen unter Verwendung von Artefakten wie auch die jeweils vorherrschenden Normen werden zu einer situativen Aufforderung und zu einem Umstand. An dieser Stelle lässt sich wieder das Beispiel OEP sehr gut anführen. Denn OEP verstanden als offene Bildungspraktiken können im Grunde nicht existieren ohne
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eine normenbasierte Kultur des Teilens und einer entsprechenden, sozialen, rechtlichen und technischen Bereitstellung von OER, die nach Wiley (2017) auch alle fünf Kriterien von Openness erfüllen. Ebenso steht je nach enger oder weiter Perspektive auf OEP auch die Frage im Raum, inwiefern im engeren Verständnis Praktiken von OEP erst eine OEP im weiteren Sinne als Praxis kontextualisieren oder eine vorhandene Praxis zur Ausformung weiterer Praktiken führe. Aus mediendidaktischer Sicht steckt dahinter die zusätzliche Frage, „wie materiell vorstrukturierte Settings Menschen handeln lassen“ (Hirschauer 2017, S. 94) oder vereinfacht gesagt Technologien und Bildungsmedien die Gestaltung der Lernsituation (mit-)bedingen oder umgekehrt. Nimmt man darüber hinaus Hirschauers Schlussfolgerungen auf, so fließt an dieser Stelle zusammen, was sich durchaus als mediendidaktische Kernidee in Tradition von Medienpädagogik und Allgemeiner Didaktik verstehen lassen kann: Die Gestaltung komplexer Lern- und Bildungsräume nunmehr nicht nur mit, über und durch Medien, sondern sogleich umfassend betrachtet in einer mediatisierten Welt unter Einbezug unterschiedlichster Formen von Artefakten, Zeichen und Akteuren. Insbesondere erscheinen dabei die nachfolgenden Ausführungen Hirschauers (2017, S. 94) sehr anschlussfähig, um den potenziell praxeologischen Beitrag zu einem (partizipativen Lern-)Kulturwandel zu begründen, wenn er ausführt, wie situierte Koaktivitäten zu einer kulturellen Praktik verstetigt werden können und damit hier einer „Vorstellung vom Handeln als eine sich selbst fortspinnende Praxis“ (ebd., S. 94) gefolgt wird. „Mit unserem Handeln vollziehen wir also nicht nur soziale Tatsachen (i. S. der Ethnomethodologie), wir bilden zugleich ein je spezifisches Selbst aus. […] Wenn Akteure in der Praxis einen Habitus erwerben, so trägt diese tiefe körperliche Sozialisiertheit umgekehrt auch zur Verstetigung der Praxis bei. Die Praktizierenden erwerben in ihr einen praktischen Sinn für ein Tun, nämlich die Empfänglichkeit, die Geneigtheit und die Kompetenz, diesem praktischen Tun gewissermaßen handelnd zu erliegen. Den Praktiken als Formen des Handelns entsprechen Formen des Selbst. Man schlüpft in sie hinein und kommt – mehr noch als beim Einnehmen von Rollen – verändert aus ihnen heraus: ein kontinuierlicher psychophysischer Umbau des Handelnden durch seine eigene Praxis“ (ebd., S. 94).
Diese Ausführungen geben den wichtigen Hinweis darauf, dass beispielsweise für die Schaffung einer Kultur des Teilens oder einer partizipativen Kultur das Erleben einer entsprechenden Praxis – mit allen damit verbundenen positiven wie negativen Praktiken – nötig ist, um eine kulturelle Weiterentwicklung zu erfahren. Zugleich zeigt sich auch als Herausforderung, dass nicht jedes Handeln intendiert ist, das zur Kulturentwicklung beiträgt und daher das nicht-intendierte Tun im
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Kontext von Lernprozessen noch zu wenig Beachtung in (medien-)didaktischen Überlegungen findet. Entsprechend bleibt mit Blick auf Mediendidaktik die Aufgabe bestehen durch die Gestaltung von Handlungsräumen eben solche Bedingungen zu schaffen, dass entsprechend potenziell nicht-intendierte wie auch intendierte Praktiken gefördert werden und ein Erleben stattfinden kann – und zwar genau genommen unabhängig vom formalen, non-formalen oder informellen Lernkontext (vgl. dazu eine erste Exploration die das Erleben von partizipativem Lernen im schulischen Unterricht herausarbeiten konnte von Mayrberger und Linke 2014). Hirschauer (2017, S. 95) stellte in diesem Kontext bereits selbst fest, dass Handlungserfahrungen sich im oben genannten Sinne auch nach außen kehren können, denn ein „jedes Tun hat eine stets mitlaufende kommunikative [Hervorhebung im Original] Seite, mit der es anzeigt, was [Hervorhebung im Original] für ein Tun es ist“ und sich durch diese körperliche Selbststeuerung und gerichtete Aktivität von einem einfachen Verhalten unterscheidet: „Auf der Basis dieser elementaren Selbstexplikation entfaltet das praktische Handeln ein stummes Vormachen, eine öffentliche Schauseite: Es führt seinem Publikum vor Augen, wie etwas geht, es sozialisiert also andere. Dass Lernen außerhalb von spezifisch erzieherischen Settings ‚einfach so‘ stattfinden kann, liegt eben daran, dass es ‚didaktische‘ Nebeneffekte allen Handelns gibt“ (ebd.).
Die von Hirschauer aus soziologischer Sicht herausgestellten Nebeneffekte stellen wiederum aus medienpädagogischer Perspektive wesentliche Ankerpunkte für eine mediendidaktische Professionalisierung und konkrete Professionalität im Lehr- und Lern-Zusammenhang dar, die sich noch stärker als bisher Fragen von informellem Lernen annimmt. Es lässt sich also mit der praxeologischen Brille argumentieren, weshalb ein Lernkulturwandel maßgeblich durch die Sozialisation der beteiligten Personen – auch aber nicht nur in formalen Bildungskontexten – erfolgt. Oder um es konkret zu formulieren: Ein partizipatives Lehren und Lernen ist dann möglich und anschlussfähig, wenn eine tatsächliche Partizipation durch ein Tun bzw. Doing der Verantwortungsabgabe der Lehrenden und ein Tun bzw. Doing der Verantwortungsübernahme der Lernenden für den Lernprozess mit seinen Artefakten erfolgt. Auf diese Weise kann auch eine OEP gelingen – wie auch misslingen – und sich entsprechend in ausdifferenzierten Praktiken darstellen. Über die hier erörterten Schlaglichter lassen sich zumindest knapp zusammengetragen weitere gemeinsame Anknüpfungspunkte nennen, die an anderer Stelle nochmals ausführlicher beleuchtet werden müssten. So erscheint gerade die Konkretisierung der Beziehungsgestaltung mittels Handeln, Interaktion und
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Kommunikation innerhalb des Partizipationsraums mit praxeologischer Brille für eine weitere Fundierung hilfreich (vgl. u. a. Hirschauer 2016). Ebenso erscheint aus mediendidaktischer Perspektive eine erneute Auseinandersetzung mit der sowie die Verhältnismäßigkeit zwischen der viel beschriebenen Differenzierung zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene wichtig, wie sie auch im Rahmen des Forschungsprogramms der Mediatisierung gepflegt wird, doch aus praxeologischer Perspektive offenbar neu zu bewerten wäre (u. a. Schatzki 2016). Darüber hinaus ist es gerade aus Perspektive der Materialität angebracht, im Anschluss an bisherige medienpädagogische Arbeiten (u. a. Aßmann 2013; Bettinger 2018) im Zuge einer partizipativen Mediendidaktik den sogenannten Medienbalken und damit die Rolle von Technologien und (Bildungs-)Medien mit einem entsprechenden Anschluss an die Akteur-Netzwerk-Theorie zu reflektieren. Entsprechend erscheint es sinnvoll, eine Verbindung zu kommunikativen Praktiken, wie sie in einer tiefgreifenden Mediatisierung im Kontext kommunikativer Figurationen gesehen werden können, weiter zu vertiefen und in dieser Hinsicht den Medienbalken umfassend zu reflektieren (vgl. Mayrberger 2020). Vor diesem theoretischen Hintergrund erscheint besonders eine methodologische und methodische Ausdifferenzierung einer Praxis mediatisierten partizipativen Lehren und Lernens vielversprechend. Hierfür kann gut für den eher formalen Bildungskontext an bestehende erste Ausführungen zu einer praxeologischen Unterrichtsforschung (u. a. Breidenstein 2009) wie auch mit Blick auf informelle Bildungskontexte an eine medienpädagogische Mediatisierungsforschung (u. a. Wolf und Wegmann 2020) angeknüpft werden.
5 Folgerungen und Fazit für eine praxistheoretisch informierte partizipative Mediendidaktik und eines Doing-mediatizied-participatory-learning Die vorangegangenen Ausführungen stellen in einem ersten Ansatz deutlich heraus, dass sich mediendidaktische Fragen eines zeitgemäßen mediatisierten Lehren und Lernens – hier konkretisiert am Beispiel von OEP – unter Berücksichtigung der soziologischen Perspektive auf Praxistheorie sehr tragfähig betrachten und weiter entwickeln lassen. Es ist anzunehmen, dass auch eine mediendidaktische Perspektive für die Weiterentwicklung des Feldes in der Soziologie durch Theorie und Empirie beitragen kann – insbesondere was Fragen der Transformation oder des Kulturwandels im Kontext des Lehrens und Lernens unter den Bedingungen der Digitalisierung und Digitalität angeht.
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K. Mayrberger
Das gewählte Beispiel OEP zeigt dabei sehr gut auf, dass die Praxistheorie hilfreich ist für die weitere begriffliche Schärfung zwischen dem was OEP mit Praktiken und mit Praxis meint – bisher wird der Begriff sehr undifferenziert für alle Fälle im Plural genutzt. Ein breites Verständnis von Mediendidaktik fokussiert heute nicht mehr nur die alleinige Nutzung oder Verwendung von Medien, Technologien oder Bildungsmedien. Im Zuge der kulturellen Entwicklungen rückt im Bereich von Lehren und Lernen eine zunehmende Prozessorientierung in den Fokus, die ähnlich dem Blick auf Praktiken, keinen Schlusspunkt im Interaktionsprozess setzt oder sieht, sondern Varianten von Lernprozessen Raum gibt. Am Beispiel von OEP lässt sich sehr gut darstellen, dass diese Perspektive gut anschlussfähig an die derzeitig interdisziplinär ausgerichtete praxeologische Theoriebildung ist. Und umgekehrt die Praxistheorie zur Weiterentwicklung von zumindest der hier spezifisch vorliegenden Perspektive auf Mediendidaktik, die sich auch als kritisch-konstruktivistisch versteht, grundlegend beitragen kann. Andere traditionelle allgemeine oder mediendidaktische Ansätze sind gesondert zu prüfen, da Aspekte wie Intentionalität im Lernprozess in diesen jeweils unterschiedlich bewertet wird. Daher lässt sich hier durchaus für eine transdisziplinäre Bearbeitung von Fragen mediatisierten partizipativen Lehren und Lernens plädieren, die auf diese Weise umfassender betrachtet werden können. Insgesamt kann als Fazit aus Sicht des Ansatzes einer partizipativen Mediendidaktik festgehalten werden, dass nicht nur eine Handlungsorientierung neben einer Gestaltungsorientierung von konstituierender Relevanz ist (siehe dazu besonders Kap. 6 in Mayrberger 2019), sondern mit der praxeologischen Perspektive die partizipative Mediendidaktik und konkreter die Perspektive auf OEP nochmals in sehr passender Weise grundlegend theoretisch an soziologische Überlegungen angebunden werden kann. Auf diese Weise lässt sich der Anspruch die partizipative Mediendidaktik als Form einer kritisch-konstruktivistisch orientierten Mediendidaktik zu begreifen breiter begründen. Insbesondere mit Bezug auf das praxeologisch angelegte Forschungsprogramm ergeben sich tragfähige Verknüpfungen, sodass hier gar eine transdisziplinäre Weiterentwicklung entsprechender Perspektiven auf ein mediatisiertes Lehren und Lernen unter den Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität erfolgen kann – und insbesondere hinsichtlich entsprechender Forschungsfragen erfolgen wird, um beide theoretischen Perspektiven gegenstandsorientiert analytisch zu fundieren und systematisch auszudifferenzieren.
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Code As You Are? – Über kreative Praktiken des Codings und deren Bedeutung für Subjektivierungsprozesse Dan Verständig
Zusammenfassung
Code und Software strukturieren, transformieren und limitieren die lebensweltlichen Räume, soziale Beziehungen, Kunst und Kultur. Dabei sind es zumeist menschliche Akteure, die Software Code entwickeln und die Umgebungen zur Entwicklung von Software erst bereitstellen, verändern und damit erst jene Handlungsspielräume eröffnen. Im Beitrag wird der Fokus auf kreativ-ästhetische Praktiken rund um Creative Coding und die daran anschließenden (sub-)kulturellen Bedeutungsebenen gelegt, um so auf den Eigensinn, die Widerstandsfähigkeit und das Kreative innerhalb der relationalen Beziehungen von Code und Subjekt hinzudeuten.
Schlüsselwörter
Creative Coding · Bildung · Processing · Generative Kunst · Selbstexpression
D. Verständig (*) Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_5
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D. Verständig
1 Einleitung Die kreative Auseinandersetzung mit der Welt zur freien Entfaltung der eigenen menschliche Kräfte war schon immer geprägt von Werkzeugen und Technologien, die es uns ermöglicht haben, die Welt, wie wir sie sehen, zu beschreiben, festzuhalten und in ganz unterschiedlichen Formen zu schaffen bzw. zu reproduzieren. Digitale Medien sind dabei ein fester Bestandteil unserer Lebenswelt geworden und haben sich in ganz unterschiedlichen Ausprägungen in alltägliche Handlungsvollzüge eingeschrieben. Entgegen bisheriger Medientechnologien, wie dem Buchdruck, dem Fernsehen oder Film unterscheiden sich die digitalen Medien jedoch nicht mehr in den Produktionstechnologien, da sie auf der universalen Sprache des Binärcodes aufgebaut sind. Nach Münker (2013) sind es vielmehr die Nutzungspraktiken, die als wesentliches Distinktionskriterium der Digitalen Medien herangezogen werden können, denn entgegen der gemeinsamen technologischen Grundlage und den Produktionsbedingungen des Digitalen, gehen aus ihnen verschiedene soziokulturelle Ausprägungen hervor und erst daraus resultiert auch die Komplexität der Digitalen Medien. Diese besondere Qualität des Digitalen lässt sich auch bei Reckwitz (2017) entlang seiner Untersuchung zu einem tief greifenden Strukturwandel der Gesellschaft vorfinden: So nehmen die digitalen Technologien aufgrund ihrer Grundverfasstheit den „Stellenwert einer allgemeinen Infrastruktur zur Fabrikation von Singularitäten an“ (ebd., S. 229), aus denen komplexe Verflechtungen des Digitalen mit dem Sozialen hervorgehen. Diese komplexen Verflechtungen haben zur Folge, dass der Gedanke, sich gegenüber oftmals unsichtbaren algorithmischen Systemen autonom zu verhalten und Algorithmen, Code oder Software dem Subjekt gegenüberzustellen, infrage gestellt werden kann (Allert und Asmussen 2017). Gleichzeitig ermögliche der spielerische Umgang mit dem Digitalen neue Einsichten in die digitalen Architekturen und trage so zur Ermöglichung transaktionaler Bildungsprozesse bei, wie es in Anlehnung an Nohl (2011) von Allert und Asmussen in praxeologischer Perspektive gefasst wird (Allert und Asmussen 2017, S. 28). Versteht man eine Praktik nach Schatzki (1996, S. 89) als „a temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings“, dann wird recht schnell deutlich, dass eine Perspektive auf die Praktiken, die in der Auseinandersetzung mit Medien im Allgemeinen und Programmcode1 1Damit
ist ein Gegenstandsbereich in der Softwareentwicklung gemeint, der sich unter anderem und im Wesentlichen aus Quelltext und Maschinencode beschreiben lässt. Es geht hierbei nicht um eine holistische Perspektive auf Software, die das Resultat von Programmcode zwar sein kann, jedoch nicht zwangsläufig sein muss. Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit nur von Code gesprochen. Gemeint ist dabei der Quelltext, der von Menschen produziert wird.
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im Besonderen liegen, von gesteigerter Bedeutung für die Betrachtung von Bildungs- und Subjektivierungsprozessen im digitalen Zeitalter sind. Im Hinblick auf die Verflechtungen von Code und Subjektivierungsweisen sowie die systematische Erforschung des Gegenstandsbereichs schlägt Seaver (2017) vor, Code und Algorithmen weniger als vom Subjekt losgelöste Artefakte, sondern vielmehr als algorithmische Systeme und damit als Kultur und nicht nur in Kultur präsent zu beschreiben. Das Programmieren ist dabei mehr als nur ein einsamer Handlungsvollzug und Prozess individueller geistiger Anstrengung, sondern eingebettet in kommunikative Praktiken des Austauschs über Programmierstile, Problemstellungen, Lösungsstrategien und deren Effizienz sowie Ästhetik2. Damit wird gezielt auf die tiefen Verflechtungen menschlicher Praktiken mit digitalen Architekturen abgehoben und Code als Bestandteil sozialer Aushandlungsprozesse begriffen. In einer solchen Perspektivsetzung eröffnen sich neben den rein funktionalen Betrachtungen von Code und Software weitere Ansatzpunkte, die auch politische, ästhetische und künstlerische Praktiken mit, durch und über Code in den Blick nehmen und dabei schließlich auch einen Zugang zur vertiefenden Thematisierung von Prozessen der Subjektivierung ermöglichen. In diesem Beitrag soll es weniger um die Anschlusspraktiken als vielmehr die kreativ-ästhetische Auseinandersetzung mit Code im Schaffensprozess selbst gehen und das in einer spezifischen Lesart, wenn auf Subjektivierungsprozesse einerseits abgezielt und nach Lern- und Bildungspotenzialen andererseits gefragt wird. Der Beitrag ist dabei in zwei wesentliche Teile gegliedert. In einem ersten Schritt sollen die Reichweiten und Grenzen von Code am Beispiel von Creative Coding betrachtet und im Schnittfeld von Medien- Sprechakt- und Praxistheorie verortet werden. Hierbei wird explizit auf Programmcode im Sinne von Quellcode abgehoben, um Praktiken der politischen, ästhetischen und künstlerischen Artikulation mit, über und durch Code gezielt zu adressieren. In einem zweiten Teil soll es darum gehen, die zunächst herausgearbeiteten Aspekte ins Verhältnis zum Kreativen zu setzen. Dabei geht es zunächst darum, die subjekttheoretischen Implikationen hervorzuheben, die sich aus der Qualität von Code als Text ergeben, um diese schließlich auch hinsichtlich der medienpädagogischen Relevanz diskutieren zu können.
2Hier
kann in Anlehnung an Knuth (1997 [1968]) von der Kunst des Programmierens insofern gesprochen werden, als hier die ästhetische Erfahrung in der Gestaltung bzw. Schaffung von Code gemeint ist. Knuth selbst bezeichnet das Programmieren in seinem ersten Band als „an aesthetic experience much like composing poetry or painting“ (ebd., V).
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D. Verständig
2 Creative Coding Unter Creative Coding lässt sich ein breites Spektrum von Auseinandersetzungen mit Computern, Code und jüngst auch mit Digitalen Medien fassen. Die Programmierung wird hierbei nicht in der klassischen Form genutzt, um zuvor definierte Problemstellungen zu lösen und einen funktionalen Ablauf zu entwickeln, sondern um etwas zum Ausdruck zu bringen. Der künstlerische Ausdruck liegt in der durch formale Mittel erzeugten Sinnerfahrung, die eine ästhetische Erfahrung ermöglicht. Die geschaffenen Begegnungen können klassischer Weise über das Bühnenbild, Schauspiel oder Videoinstallationen erfolgen und beherbergen oftmals auch ein mehrdimensionales Kommunikationsangebot an das Publikum. Bemerkenswert ist dabei, dass Code selbst überhaupt als Kunstwerk in Betracht gezogen werden kann, schließlich handelt es sich im Grunde lediglich um Text, der ohne die nötigen technischen Rahmenbedingungen nicht einmal zur funktionalen Entfaltung kommt. Bereits 1999 wurde im Rahmen der ARS Electronica das Linux Projekt in der Kategorie.net mit der goldenen Nica ausgezeichnet, um darüber nicht nur die Arbeit an einem Gemeinschaftsprojekt zu würdigen, sondern auch die Diskussion darüber anzuregen, ob Quellcode selbst ein Kunstwerk sein kann (MacKenzie 2005, S. 78).3 Der Hintergrund war hier nicht nur die Erstellung von Code, sondern die Thematisierung der Wirkung, die durch eine offene und freie Verbreitung ermöglicht wurde und nicht zuletzt vom Austausch der Menschen untereinander lebt. Der Quellcode als Text kann aufgrund seiner besonderen Qualität direkten Einfluss auf technische Umgebungen haben und somit Sinneserfahrungen dementsprechend auch als ästhetische Erfahrungen ermöglichen. Peppler und Kafai (2008) verwenden in ihren Betrachtungen zu Creative Coding den recht weiten Begriff der Medienkunst, um alle kreativen Praktiken des Schaffens einzubeziehen, die sich auf künstlerisch-ästhetische Weise elektronischen, digitalen, rechenbasierten oder kommunikationstechnologischen Möglichkeiten zur Expression bedienen. Sie thematisieren dabei unter anderem die visuelle Entwicklungsumgebung Scratch, die sich über ihre Einsteigerfreundlichkeit auszeichnet, da man
3Zwar
ist die von MacKenzie (2005) zitierte Begründung der Juryentscheidung nicht mehr verfügbar, jedoch bietet die Pressemitteilung vom 29. Mai 1999 des Nachrichtenportals linux today noch Einblicke. Diese ist unter folgender URL verfügbar und gibt Aufschluss über die Intention der Jury: https://www.linuxtoday.com/news/1999052900305ps (zugegriffen am 16. Mai 2019).
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Mithilfe von Bausteinen und Blöcken einzelne Abläufe programmieren kann. Man muss sich damit also nicht tief in die Syntax der Programmierung einsteigen und kann stattdessen über ein visuelles Interface einfach Objekte und Befehle hin und her ziehen, um sein Programm zu schaffen. Dieses Prinzip der visuellen Gestaltung über Blöcke findet sich auch bei der Singleboard Programmierung mit dem Calliope oder dem BBC micro:bit und eignet sich somit auch für Zielgruppen mit einer geringen technischen Affinität, um spielerisch zu ersten Ergebnissen durch Coding zu kommen. Kreativität ist ein grundlegendes Merkmal des Menschseins. Historisch gerahmt mit dem Konzept der Neugier oder Curiosità bei Aquin (vgl. hierzu Bös 1995) werden Aspekte der Welterkundung in unterschiedlichen fachdisziplinären Perspektiven belegt und über die Wahrnehmungsweisen der menschlichen Sinne thematisiert. Seien es Farben, Stoffe oder akustische Eindrücke, die uns dazu verhelfen, die Welt und das Selbst zu beschreiben. Zum umfangreichen Repertoire dieser Möglichkeiten der Wahrnehmung treten im digitalen Zeitalter nun auch verstärkt Algorithmen und Code, die dafür sorgen, dass wir die Digitalen Medien in ihrer ganzen Heterogenität erst erfahren und uns dadurch ins Verhältnis zur Welt setzen können. Code kann gewissermaßen als kleinerster Gemeinsamer Nenner in einer Kultur der Digitalität (Stalder 2016) beschrieben werden. Seien es Anschlusspraktiken im Umgang mit Software unterschiedlichster Art, die beispielsweise über digitale Kunst entlang von Bild- sowie Videobearbeitung im Besonderen oder dem Spiel mit dem digitalen Text im Allgemeinen abzeichnen:4 Die Auseinandersetzung mit den digitalen Technologien hat zur Folge, dass eben jene Infrastrukturen, die sich der Sichtbarkeit entziehen, über kreative Auseinandersetzungen (erneut) sichtbar und thematisierbar gemacht werden.
2.1 Zum Verhältnis von Softwarekunst und generativer Kunst Mit einer recht weit gefassten Definition von Medienkunst, die auch digitale Kunst einbezieht, wird dementsprechend auch der später auf der Transmediale 2001 gegründete Begriff der Softwarekunst einbezogen. Software wird dabei als eigenständiges Werk verstanden. Dabei spielen die Funktionalität sowie die
4Die
schließt auch Anschlusspraktiken an Soziale Medien ein, wie sie bei Allert und Asmussen (2017) unter anderem am Beispiel des „Likens“ eigener Facebookbeiträge beschrieben werden (ebd., S. 34).
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Effizienz des Codes selbst eine untergeordnete Rolle (Arns 2007). So hat beispielsweise die Künstlerin mez die selbsterfundene Kunstsprache M[ez]ang. elle hervorgebracht, die sich im Schnittfeld von ASCII-Kunst und Programmiersprachen bewegt, indem beispielsweise Verschachtelungen und gängige Notationen der boolschen Algebra in die Sprache einfließen. Sie spielt dabei nicht nur mit der Syntax sondern auch auch mit den Bedeutungslagerungen und schafft stellt darüber Ambivalenzen und Interpretationsrahmen aus einer grundlegend formalisierten Logik her (vgl. hierzu auch Cramer 2001; Breeze 2011). Softwarekunst kann damit auch als die Fokussierung auf die Lyrik im Code beschrieben werden, die auch Elemente der Poesie in sich vereint und dadurch spezifische Formen der medialen Artikulation hervorbringen kann. Die semantische Aufladung der Sprache ergibt sich, wie nachfolgend gezeigt werden kann, aus den verschiedenen Ebenen der Zeichenlogik. So bietet folgende Zeile mehrere Lesarten an: „::Art.hro][botic][scopic N.][in][ten][dos][tions::“. Daraus kann nun „arthroscopic/art robotic/Arthrobotic/horoscopic and Nintendos/intentions or DOS“ gelesen werden.5 Aus einer historischen Entwicklung heraus betrachtet ist neben der Softwarekunst vor allem der Bereich der generativen Kunst von einiger Relevanz, wenn man sich heutigen Ausprägungen des Creative Codings zuwendet und auf die Funktionalität des erstellten Codes abzielt. Begründet ist dies durch das Aufkommen der Demoszene. Diese entwickelte sich schon in den 1980er-Jahren, dabei ging es um die Entwicklung von Programmen, die sich meist in Form von musikalisch unterlegten Echtzeit-Animationen zeigten, jedoch nicht nur auf diese Formate beschränkt waren. Die besondere Relevanz ergibt sich daraus, dass die Entwicklung des Codes einerseits über Heimcomputer stattfinden konnte und andererseits hierüber auch (sub-)kulturelle Abgrenzungsbewegungen und Aushandlungen über die eigene Zugehörigkeit in technischer Hinsicht als auch sozialer Perspektive stattfanden. Neben der technischen Frage, auf welcher Plattform für welche Umgebung mit welchen Mitteln man etwas entwickeln möchte, fand auf sozialer Ebene die Positionierung und Zugehörigkeitsbestimmung von Individuen zu unterschiedlichen Gruppierungen statt, wobei unterschiedliche Werte ausgehandelt und vertreten wurden (Hartmann 2017, S. 100 ff.). Über Festivals, wie das FILE (Electronic Language International Festival) in Brasilien, der Transmediale in Deutschland oder dem schon erwähnten Prix Ars Electronica in Österreich und
5Dieses
Beispiel stammt aus einem Interview von Aria Dean mit Mez Breeze, veröffentlicht am 15. Dezember 2016. URL: http://rhizome.org/editorial/2016/dec/15/mezangellean-online-language-for-codework-and-poetry/.
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später auch Foren und Plattformen im Internet wurden jene Kunstwerke publiziert und einer weiten Öffentlichkeit zugeführt, um so die Basis für die Auseinandersetzung und Diskussion mit und über digitale Kunst zu schaffen. Folgt man Arns (2007), dann gibt es einige zentrale Unterscheidungskriterien zwischen Softwarekunst und generativer Kunst, die auch für die Diskussion von selbstexpressiven Artikulationen von gesteigerter Bedeutung sind.6 Bei Arns (2007) lassen sich verschiedene Definitionen von generativer Kunst systematisiert aufeinander bezogen vorfinden, so lässt sich der Begriff nach Galantar (2003) zunächst wie folgt fassen: „künstlerische Praktiken, in denen der Künstler ein System verwendet, zum Beispiel einen Satz von Regeln natürlicher Sprachen, ein Computerprogramm, eine Maschine oder eine andere prozessuale Erfindung, die, in relativ autonome Bewegung versetzt, zur Schaffung eines abgeschlossenen Kunstwerkes beiträgt.“ (Galantar 2003 zitiert nach Arns 2007).
Hervorgehoben wird hier das Zusammenspiel von Mensch und Maschine, das in praxeologischer Perspektive auf mehreren Ebenen analysierbar wird. Zunächst stellt sich hier der regelbasierte Umgang mit einem System als komplexe Verflechtung mit den Sinndeutungsprozessen der Künstler*innen dar. Daneben wird hier auf die Autonomie und Unabhängigkeit abgestellt, aus der sich dann ein abgeschlossenes Kunstwerk ergebe. Beide Aspekte sind auch hinsichtlich der hier diskutierbaren Subjektivierungsweisen von Interesse, da die Umsetzung stets auch die Aushandlung mit den technologischen Rahmenbedingungen einerseits und der Exploration eigener Sinneseindrücke andererseits ist. Unter Rückbezug auf Cox (2002) werden noch weitere Aspekte des Prozessualen deutlich, die sich gleichzeitig auf Unbestimmtheit im Ergebnis des Prozesses und die Fragen der Autorenschaft beziehen: „In broad terms, ‘generative art’ is applied to artwork that is automated by the use of a machine or computer, or by using instructions to define the rules by which the artwork is executed. After the initial parameters have been set by an artist-programmer the process of production is unsupervised, and as such, ‘self-organising’. Work unfolds in ‘real-time’, according to the properties of the technology employed or the particular circumstances in which the instructions are carried out. The outcome of this process is thus unpredictable, and could be described as being integral to the apparatus or situation, rather than solely the product of individual human agency or authorship.“ (ebd., S. 8)
6Eine
systematische Gegenüberstellung von generativer Kunst und Software Kunst hat Inke Arns unter folgender URL entwickelt http://www.medienkunstnetz.de/quellentext/98/.
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Indem Cox auf die Unbestimmtheit des Resultats hinweist, macht er auf einen interpretativen Raum in der Auslegung von Code aufmerksam, der aufgrund des Zusammenspiels und der Rekonfiguration unterschiedlicher Faktoren und Parameter zu einem grundlegend anderen Erscheinungsbild führen kann. Dieses Zusammenspiel der numerischen Werte, wird dann direkt an die Rezipienten transportiert, was zu unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen führen kann, zumindest jedoch eine Dynamik im Werk nahelegt, die es ermöglicht unter verschiedenen zeitlichen, örtlichen und anderen äußeren Rahmenbedingungen das Werk auch multidimensional zu lesen. Gleichzeitig muss das Werk im Sinne des medialen Produkts dementsprechend nie exakt gleich sein, wie die drei folgenden Beispiele nochmals verdeutlichen sollen (Abb. 1, 2 und 3). Während das erste Werk in seiner geometrischen Grundstruktur nahezu immer gleich zu bleiben vermag und ohne weitere Farbeindrücke auskommt, sind sowohl die geometrischen Anordnungen als auch die der verschiedenen Farbbereiche im zweiten Bild freier umgesetzt, die hin zum dritten Bild nochmals
Abb. 1 Modellierung einer Uhr basierend auf visuellen Wellen – eine Arbeit des FlickrNutzers wezside 3000 basierend auf einer Vorlage aus dem Buch Generative Art von Matt Pearson (2011)
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Abb. 2 Generative Art Pattern von Dmitri Posudin
zugespitzt wurden. Die Bilder stehen für sich genommen und in keinem Verhältnis zueinander, sie sind alle drei von unterschiedlichen Künstlern, ihre Heterogenität verdeutlicht allerdings die Freiheitsgrade, die dem Code eingeschrieben sind und deuten damit auf den Möglichkeitsraum zur expressiven Entfaltung hin. Aktuell lassen sich Praktiken des Creative Codings sowohl hinsichtlich der generativen Kunst als auch der Softwarekunst in den Sozialen Medien, wie Twitter oder Instagram vorfinden. Entscheidend dabei ist jedoch, dass nicht unbedingt das Werk an sich im Zentrum steht, sondern vor allem auch der Entstehungsprozess mit den jeweiligen Ideen und Umsetzungswegen thematisierbar wird. Dementsprechend wird diese Form der Kunst als prozesshaft eingeordnet. Sie unterscheidet sich insofern von der Kategorie der Softwarekunst, indem bei der generativen Kunst die Funktionalität und Effizienz von Code durchaus eine entscheidende Rolle spielen. So ging es in der frühen Demoszene noch darum, mit möglichst geringem Aufwand und unter minimalem Speicherverbrauch beeindruckende und originelle Umsetzungen eigener Ideen zu realisieren und sich mit dem Code gegen eine Intentionalität im Sinne der funktionalistischen Programmierung zu wenden.
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Abb. 3 Generative art – pic.2 von Sergey Horo
Im Hinblick auf die Entwicklung von Code kann hier Processing als einschlägige objektorientierte Sprache mit integrierter Entwicklungsumgebung genannt werden. Processing wurde 2005 in der Kategorie Net Vision/Net Excellence ebenfalls mit einer goldenen Nica des Prix Ars Electronica ausgezeichnet und stellt einen schlanken, flexiblen und offenen Rahmen zur bildgebenden Gestaltung dar. Mit dem Ziel schnell und einfach visuelle Produkte zu programmieren, richtet sich Processing in erster Linie an Programmieranfänger*innen, Gestalter*innen, Designer*innen und Künstler*innen. Dies zeigt sich auch am Umfang und den Merkmalen des Editors, dessen eingebettete
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Klassenbibliotheken vorrangig auf die Herstellung von audiovisuellen Artefakten ausgelegt ist. Wenngleich Processing nicht so niederschwellig zu erlernen ist wie Scratch, bietet es durch die Vielzahl an bereits integrierten Beispielen eine umfangreiche Dokumentationsbasis eine zugängliche Grundlage, um sich über Code auszudrücken und beim Creative Coding schnell zu Ergebnissen zu kommen.
2.2 Performativität des Codes Code im Sinne von Programmcode ist von einer besonderen Qualität geprägt, da er als Text selbst verschiedenen Regeln der Strukturierung unterliegt und darüber hinaus die Grundlage für die Ausführung von Prozessen und Abläufen bildet. Dementsprechend zirkuliert Code auch innerhalb unterschiedlicher sozialer und kultureller Sphären. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Free and Open Source Software Bewegung, bei der es nicht bloß um die Schaffung von Programmcode geht, sondern auch um die Identifikation mit der Idee von Freiheit und Offenheit und den dementsprechenden Werten (Kelty 2013; Coleman 2009, 2013). Performativität kann hierbei zunächst in Anlehnung an die Begründung der Sprechakttheorie nach Austin (2009) eben nicht nur als die Beschreibung von Dingen, sondern vielmehr als besondere Kategorie sprachlicher Äußerungen, der Sprachhandlung gefasst werden. Das gesprochene Wort symbolisiert somit, über den spezifischen Bezug hinaus, eine größere gesellschaftliche Tragweite. Sprecher*innen handeln, indem sie durch das Wort eine gesellschaftliche Konvention geltend machen. In dieser Lesart lässt sich auch die umfangreiche Auseinandersetzung mit Code durch Lessig (1999) beschreiben. Ausgehend von der Sprechakttheorie entwickelt Arns (2007) die Überlegungen, dass dem Code die Qualität eines illokutionären Sprechakts zugesprochen werden könne, indem Handlungen durch die Kraft der Worte ausgeführt werden: „Insofern, als hier ‘Sagen‘ und ‚Tun‘ zusammenfallen, ließen sich also Programmiercodes als illokutionäre Sprechakte bezeichnen. Sprechakte können nach Austin auch Handlungen sein, ohne jedoch unbedingt effektiv sein zu müssen (das heißt ‚glücken‘ zu müssen). Scheitern oder missglücken diese Handlungen, stellen sie verfehlte performative Äußerungen dar.“ (ebd., o. S.)
Dabei macht Arns unter Rückbezug auf Butler (1998, S. 31) darauf aufmerksam, dass eine geglückte performative Äußerung eben nicht durch die Ausführung definiert sei, sondern damit eine bestimmte Kette von Effekten auslöse:
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Bleibt man jedoch bei der grundlegenden Bezugnahme von Code und Performativität, dann lässt sich die direkte Auswirkung, die das geschriebene Wort, die geschriebene Variable oder Zeile Code nicht nur auf den technischen Kontext wirkt, sondern gleichsam in Form von Programmiersprachen auf die technologischen Rahmenbedingungen wirkt und das in zweifacher Weise: Erstens wird Code auf einer funktionalen Ebene nur dann erfolgreich kompiliert, wenn die Syntax stimmt und sich exakt den Vorgaben gemäß verhält. Dabei ist jedoch noch nicht garantiert, dass der Code in Form der Software dann auch final auf der jeweiligen Hardware läuft und sich so verhält, wie intendiert. Wie auch Dekker (2018, S. 83) unter Rückbezug auf Chun (2011, S. 79) festhält, ist Code durch seine strukturelle Einbettung ambivalent, aus dem eben keine klare Anweisungskette hervorgeht, die dann neutral übersetzt und ausgeführt wird. Zweitens beeinflusst der Code aufgrund dieser Ambivalenz das technische Umfeld selbst durch seine Existenz oder besser gesagt Abwesenheit, denn im Moment der Ausführung (execution) und Übersetzung in Maschinensprache verliert sich der Quellcode in der Maschine. Der Quellcode kommt also erst dann zur vollen Entfaltung, wenn er ausgeführt wird und damit nicht mehr existent ist (Chun 2011, S. 24 f.). Im Prozess der Übersetzung in Maschinensprache werden auch etwaige Zeichen und Symbole, wie etwa Kommentare, Anmerkungen oder bestimmte Variablenoder Funktionsnamen, aus dem Text entfernt, die zwar für die Sinngebung der programmierenden Akteure von Bedeutung sind, jedoch nicht für die Maschine. Während Cox et al. (2001) konstatieren, dass der ästhetische Wert von Code in der Ausführung dessen und nicht einfach in seiner geschriebener Form liegt, führt Arns (2001) die Überlegung an, dass schon das Wissen um die potenzielle Ausführbarkeit und Performativität von Code im Verhältnis zur tatsächlichen Ausführung von gesteigerter Bedeutung für die Auseinandersetzung des Einzelnen mit Code sein kann. Damit wird Performativität zumindest in der Softwarekunst zu einem zentralen Gegenstand der Auseinandersetzung, da es entgegen der Fokussierung auf eine möglichst effiziente Umsetzung um die an die Software anschließenden Erfahrungen und Eindrücke geht. Aus praxeologischer Perspektive ist jedoch ein weiterer Aspekt eines solchen Zugriffs von Bedeutung, denn folgt man den Arbeiten Austins und später Searle, dann sind performative Sprechakte wirklichkeitskonstruierend und nicht wahr
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oder falsch, wie es Schuegraf (2008, S. 68) unter Rückbezug auf folgendes Zitat von Krämer (2001) festhält: „Eine performative Äußerung […] stellt nichts fest, sondern ist der faktische Vollzug eben jener Handlung, die sie sprachlich beschreibt. Eine performative Äußerung konstituiert, was sie konstatiert.“ (Krämer 2001, S. 37)
Krämer setzt damit und in weiteren Arbeiten (Krämer 1998, 2002, 2004) die sprachphilosophischen Arbeiten Austins in einen medientheoretischen und kulturwissenschaftlichen Kontext. Bezogen auf Code lassen sich die Implikationen dessen wie folgt genauer erläutern. Unabhängig davon, ob Code ausgeführt wird oder der sprachlichen Expression und sozialen Interaktion dient, ist er nicht nur ein digitales Artefakt oder ein Bestandteil einer Entität, sondern vielmehr Text, dem schon in seiner Beschaffenheit Werte eingeschrieben sind, die dann auch verbindliche soziale und gesellschaftliche Konsequenzen haben können. So hat beispielsweise die Verurteilung durch eine*n Richter*in direkte Konsequenzen auf die verurteilte Person, da sich der Ausspruch, also der Sprechakt der Verurteilung zu einem Strafmaß auswirkt. Dies kann natürlich nur funktionieren, wenn gesellschaftliche Konventionen, auf die sich der Richter*innenspruch der Verurteilung bezieht, auch gegeben sind. Die Durchsetzungsfähigkeit des Rechts kann dabei in die Ausführbarkeit des Codes übersetzt werden. Zugleich werden damit einige Grenzen dieser Übersetzungsleistung deutlich, denn die Auslegung des gesprochenen Wortes erfolgt beim Menschen im Rahmen von Sinndeutungsprozessen, nicht jedoch auf der Seite der Maschine. Diese Unterscheidung ist mit Blick auf die aktuell geführten Debatten um Künstliche Intelligenz von einiger Bedeutung, da über die statistische Auswertung und Mustererkennung – von Sprache und Text – die Spielräume der Auslegung modelliert und simuliert werden können, es sich dennoch um eine automatisierte und regelbasierte Festlegung dieser Auslegungen handelt, deren Umdeutungspotenziale zwar mit steigender Rechenleistung erhöht werden. Jedoch kann eine solche Potenzialentfaltung nicht vorausgesetzt werden, wenn man die anthropologischen Konsequenzen der automatisierten Entscheidungsfindung ernst nimmt, denn die digitalen Technologien bringen bestimmte Affordanzen mit sich, die gewisse Handlungsvollzüge ermöglichen und andere nicht. Für die Betrachtung von Subjektivierungsprozessen ist nicht nur das Gelingen von Relevanz, sondern eben auch das Scheitern eines performativen Sprechakts, denn dies ist zumindest bei Austin ein zentraler Bestandteil menschlichen Handelns. Übertragen auf die Produktion von Code heißt das, dass hier sowohl potenzielle Funktionsabläufe, als auch die Dysfunktionalität mitgedacht wird
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und sich hieraus ein Möglichkeitsraum der gestalterischen und technisch-affinen Umsetzung verschiedener Wege ergibt, die individuelle Konstruktionsprozesse durch die Implementation von sozialen Werten und Normen, sowie die Auslassung spezifischer Sichten, bewusst oder unbewusst integriert und damit Systeme der Ordnung bestätigt oder durchkreuzt.
3 Bildung und Subjektivierung Versteht man Lern- und Bildungsprozesse nicht als Zielkategorien, sondern eher als produktive Verwicklung (Allert und Asmussen 2017) und die Hervorbringung neuer Perspektiven durch Irritationen oder die Adressierung verschiedener Wahrnehmungsweisen (Jörissen und Marotzki 2009), dann lässt sich Creative Coding zumindest hinsichtlich der Bildungspotenziale als verheißungsvoller Gegenstand beschreiben. Dabei ist das Verhältnis von Bildung und Subjektivierung jedoch keineswegs unproblematisch und in vielerlei Hinsicht voraussetzungsvoll (Schäfer 2019, S. 128 ff.). Für den hier gewählten Gegenstandsbereich des Umgangs mit dem Digitalen allgemein und dem Creative Coding im Besonderen lässt sich jedoch das Spannungsverhältnis von individueller Ordnung, deren Reproduktion oder eben jener Neugestaltung mit der Destruktion des Bestehenden als ein möglicher Überschneidungspunkt von Bildungs- und Subjektivierungsprozessen beschreiben, wie es schon im Umgang mit dem bestehenden Algorithmus bei Allert und Asmussen (2017) beschrieben wird: „Die Interaktion mit dem Algorithmus ist nicht nur epistemisch, sondern auch ontologisch. Das Ausloten der Situation durch unkonventionelle Interaktion ermöglicht, Grenzen und Veränderbarkeit in Erfahrung zu bringen, während dies gleichzeitig die Situation, die Daten, Systeme, Praktiken, das Selbst und die Wirklichkeit transformiert. Das Herumspielen mit dem System, ‚Gaming the System‘,,Machine Research‘, Austricksen, Subversion und Tinkern, die eigensinnige Nutzung, der kreative Akt zur Erkenntnis, das bricolageartige Umnutzen, der produktive Umgang mit Unbestimmtheit sind Formen emanzipativen Handelns mit Technologien, welche sich ko-konstitutiv in unsere Interaktionen und Beziehungen mischen, wenn wir versuchen etwas über ihre Funktionsweise, die wir nicht mehr vollständig erkennen können, in Erfahrung zu bringen.“ (ebd., S. 35)
Das Spiel im Anschluss an die digitalen Technologien und den aus ihnen hervorgehenden Digitalen Medien, das hier als emanzipative Handlung und einen produktiven Umgang mit Unbestimmtheit beschrieben wird, kann auch über die kreativen Praktiken im Umgang mit Code selbst geschehen. Im Code
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n icht-definierte Zustände können somit direkt erkundet und für unterschiedliche Zwecke ausgenutzt und umgedeutet werden. Bildungstheoretisch relevant werden die hier beschriebenen Praktiken schließlich dann, wenn sie im Zusammenhang und ihrem Wechselverhältnis betrachtet werden und erst dann kann die besondere Qualität von Code auch umfassender herausgestellt werden, denn wie es Cox und McLean (2013) auf den Punkt gebracht haben, genügt es nicht, sich nur einem der vielzähligen Aspekte um Code zuzuwenden, um die teilweise emergenten Wirkweisen von Code erfassen zu können: „Saying words or running code or simply understanding how they work is not enough in itself. What is important is the relation to the consequences of that action“ (Cox und McLean 2013, S. 38).
Hieraus lässt sich ein Möglichkeitsraum beschreiben, der sich zwischen Exploration und Produktion bewegt und sicherlich nicht voraussetzungslos eröffnet wird, jedoch durch die besondere Qualität von Code selbst auf veränderte Subjektivierungsweisen hindeutet, die sich durch das Zusammenwirken von Interaktion, Produktion und Anschlusskommunikation ergeben.
3.1 Zwischen Produktion und Unbestimmtheit Die Entwicklung von Software, Programmen oder die Umsetzung von mathematischen Algorithmen, anders formuliert das Produzieren von Code ist nicht nur ein Akt der funktionalistischen Herstellung von digitalen Entitäten, sondern eröffnet gleichzeitig auch Raum zur Selbstexpression, sei es über Kommentare im Code, Anschlusskommunikation über den Code oder Art und Weise, wie der Code selbst verfasst ist. Dies wurde bereits entlang des ambivalenten Charakters von Quellcode und den Verweisen auf Graham (2004), Chun (2011) und Dekker (2018) deutlich. Indem es beim Creative Coding gerade um die Abkehr zur Intentionalität geht, sondern das Explorieren von Möglichkeitsräumen, werden nicht nur bestehende Normen und Regeln eines (technischen) Systems infrage gestellt, sondern auch Aushandlungen über die Bedingtheit des Digitalen angestoßen. Diese Aushandlungen können dann zu neuen Entwicklungsprozessen im Sinne von Rekontextualisierungen durch Code führen, die nicht nur bestehende Ideen reproduzieren, sondern erst in der Auseinandersetzung mit Form, System und Intention neue Perspektiven hervorbringen und damit gar bestehende Ordnungen negieren.
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Cox et al. (2001) halten mit Blick auf die Produktion von Code fest, dass der Akt des Codings selbst als komplexer Prozess zu denken sei, bei dem die Vorstellungskraft des Entwicklers in verschiedener Hinsicht gefordert wird: „Code requires speculation; programmers execute it in their heads asthey write it. Since a programmer’s task is to develop a system which not only uses variables but is variable itself, it is necessaryfor the programmer to be able to know, or at least perceive thestates through which a piece of code moves and how these states inform other operations in order to build a coherent system. A programmer is therefore able to predict and speculate upon howtheir code will behave in most usual circumstances.“ (ebd., S. 169).
Code entsteht jedoch nicht im sozialen Vakuum, sondern ist stets auch eingebettet in sozialen Aushandlungen, individuelle Weltbilder und von gesellschaftlichen Normen und Werten abhängig. Die Werte können jedoch durch und über die Arbeit am Code nicht nur expliziert, sondern zugleich auch umgedeutet werden. Damit unterscheiden sich die Praktiken des Umdeutens von Code grundlegend von diskurstheoretischen Annahmen im klassischen Verständnis kommunikativer Prozesse, da es hier gerade nicht darum geht, bereits bekannte Ansichten oder Positionen zu bewegen oder gar durch eine neue Bedeutungszuschreibung zu negieren, sondern neue Optionalitäten und Einsichten erst durch die Rekonfiguration des Bestehenden hervorgebracht werden (Verständig 2016, S. 220). Ein solches Spiel kann auch unter dem Begriff des Hackings (Levy 2010 [1984]) gefasst werden und kann dann zur Verbesserung bestehender Systeme führen, obwohl es eine Dekonstruktion beschreibt. Dies ist jedoch nicht voraussetzungslos, denn die Prozesse der Umdeutung setzen zumindest unter einer normativen Schablone gelesen, ein Verständnis der bestehenden Ordnungssysteme voraus, zu denen sich das Individuum unter Berücksichtigung des eigenen Zugangs zur jeweiligen Symbolwelt ins Verhältnis setzt, was zur selbstbestimmten Verortung in dieser beiträgt. Daraus ergibt sich eine doppelte Differenz, die exemplarisch für einen tentativen Umgang mit Welt beschrieben werden kann, da digitale Architekturen keineswegs mehr nur separierte, dem Subjekt vorangestellte Objekte sind. Dies betrifft einerseits jene, die Code entwickeln und damit im Prozess des Schaffens mit den Möglichkeiten und Ordnungsstrukturen des jeweiligen Systems und den äußeren Rahmenbedingungen interagieren und andererseits diejenigen, die dann mit der Software als Anwendung umgehen, sich darauf einlassen und sich dementsprechend zwischen den eingeschriebenen Handlungsoptionen und eigenen Umgangsweisen im Anschluss an die Technologie bewegen.
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3.2 Die Freiheit der Gestaltung und das Kreativitätsdispositiv Das kreative Spiel mit Code ist eine Bewegung zwischen dem formalen System der Zahlen und den Freiheiten, der Sinnkonstruktion durch die Schaffung neuer Impulse und damit die Stimulation von Wahrnehmungsreizen, die sich eben nicht auf numerische Werte herunterbrechen lässt, sondern neue Erfahrungsräume erst durch die formalisierte Logik hervorbringt. Coding ist nicht nur hinsichtlich der Verschachtelung durch die verschiedenen Ebenen des Produktionsprozesses von der Programmiersprache hin zur Ausführung auf Hardware immer auch ein Prozess der Sinndeutung. Die im Code eingeschrieben Angebote zur Artikulation über das Digitale stellen dabei einen Möglichkeitsraum dar, der unterschiedlich besetzt werden kann. Die Sichtbarmachung derartiger Praktiken erfolgt dabei stets im Zusammenhang zu einem Publikum. Das Spiel mit dem Code ist aus mindestens zweierlei Gründen immer auch ein Spiel mit dem Publikum. Dies liegt erstens darin begründet, dass Code bei seiner Ausführung auf einer Hardware meist – wenn auch nicht ausschließlich – in Interaktion mit einem User vollzogen wird. Der Mensch also ein Programm oder eine Anwendung nutzt oder zumindest einen automatisierten oder algorithmischen Prozess eines digitalen Artefakts beobachtet bzw. in diesen verwickelt ist. Reckwitz (2016) spricht in diesem Zusammenhang von der Manifestation eines Kreativitätsdispositivs, das sich insbesondere in westlichen Gesellschaften durchzieht und das im Zuge der Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung nahezu omnipräsent erscheint. Sich selbst zu verwirklichen und durch unterschiedliche Technologien (neu) zu erschaffen, ist dabei zu einer gesellschaftlichen Erwartung geworden, die sich eben nicht nur auf qualifikatorische Aspekte, wie die Forderung nach Kreativität in der Schule oder der Berufswelt erstreckt, sondern einzelne Lebensbereiche ganz individuell durchdringt. Dies verdeutlicht er an unterschiedlichen Phänomenen der letzten einhundert Jahre, wie unter anderem der allmählichen Ablösung des Kunstwerks durch das Kunstereignis und unter anderem des sozialen Regimes des stetig Neuen (ebd., S. 249 ff.) oder der Kulturalisierung der westlichen Stadt (ebd.:155 ff.). Ich will mich an dieser Stelle nur in einem recht kleinen Aspekt der umfangreichen Theorie zuwenden. Es geht mir um die von Reckwitz herausgearbeitete Tendenz zur Schaffung neuer Reize, die Inszenierung durch die Besonderung des Einzelnen, wie sie durch die Sozialen Medien sichtbar wird und damit auch auf das Phänomen um Creative Coding bezogen werden kann.
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Ein Beispiel für die beobachtbare Interaktion mit dem Publikum ist der YouTube-Kanal The Coding Train des Entwicklers Daniel Shiffman, der in regelmäßigen Abständen Coding Challenges abhält und in einzelnen Videos verschiedene Themen des Creative Codings, in erster Linie mit Processing, thematisiert. Mit einer Followerschaft von mehr als 800.000 Usern gelingt es ihm offenbar, ästhetisch neuen Reize zu schaffen, die zumindest ein gewisses Publikum ansprechen. Shiffmans Arbeiten oszillieren damit gewissermaßen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen (Reckwitz 2017), indem er sich einerseits den Mechanismen der Plattform YouTube mit der Inszenierung seiner Inhalte und Formate zuwendet und sich damit zunächst zumindest in der Gestaltung von Videovorschaubildern einer gängigen Praxis von großer individueller Schrift des Videotitels und einer Format- und Themenangabe (Coding Challenge, Machine Learning, Learning Processing) widmet. Diese Figuration, die bei Reckwitz auf einer gesellschaftstheoretischen Linie erarbeitet wird, ist insofern für bildungstheoretische Überlegungen anschlussfähig, als hier die Leistung des Individuums hinsichtlich der Positionierung zur Welt, dem Publikum und schließlich sich selbst als eine Suchbewegung beschrieben werden kann, die Reflexionsangebote zur eigenen Entwicklungen zulässt, indem die Frage danach thematisierbar wird, wer man als Mensch sein möchte und wie man dies selbst verkörpern kann7. Formal nehmen derartige mediale Inszenierungen über das Creative Coding daher einen besonderen Stellenwert ein, da ergänzend zum Handeln im Sinne der Produktion von Code und Videomaterial auch das Sprechen über den Code und die Verkörperung seiner selbst innerhalb der Aufführung zusammenkommen. Beim Coding Train werden Überlegungen zur Effizienz eines Lösungswegs medial diskutiert, durch verschiedene Hilfsmittel, wie Tafeln, Skizzen und mathematische Gleichungen grundlegendend erklärt und nachvollziehbar aufbereitet und damit nicht nur die inhaltlichen Themen erörtert, sondern eben jene Praktiken sichtbar gemacht, die einer Idee der agilen Softwarentwicklung zugrunde liegen. Dies wird besonders dann deutlich, wenn Shiffman auf sein
7Bei
dieser von Reckwitz herausgearbeiteten Differenzierung handelt es sich grundlegend um eine philosophische Figur, die auch erkenntnistheoretisch bei Kant gefasst wird und dementsprechend bildungsphilosophische Übertragungen zulässt. Für den hier untersuchten Gegenstand ist der größere argumentative Rahmen, den Reckwitz im Hinblick auf eine Gesellschaft der Singularitäten (2017) aufbaut, jedoch besonders wegen der hier einschlägigen Abhandlung zum Stellenwert des Digitalen von gesteigerter Bedeutung, da sehr pointiert herausgearbeitet wird, wie Algorithmen, Computer und insbesondere das Internet mit seinen Standards „die Logik des Allgemeinen forcieren“ (ebd., S. 232).
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Publikum im Livestream reagiert und damit eine dialogische Position einnimmt.8 Interessant ist dabei auch, dass von Shiffman für die Videos regelmäßig formale Kriterien, wie die Länge des Videos und die maximale Zeit zur Erfüllung einer Challenge aufgestellt werden und er sich selbst einen Countdown oder Timer einstellt9, jedoch diese selbst gesetzten Grenzen im Rahmen des Videos und zugunsten der Lösung des Problems – wie die Länge und Zeitvorgaben – übergehen. Gleichzeitig wird hier nicht nur auf der Ebene des Codings mit diesen Vorgaben gespielt, sondern auch hinsichtlich der Videoproduktion durch Schnitt und Überlagerungen der Bilder auf der Ebene der medialen Gestaltung gearbeitet. Die Kreativität liegt damit nicht mehr nur im Kunstwerk, sondern in der performance des Darbietenden selbst. Reckwitz (2016, S. 211 f.), der über die Form und die transportierten Inhalte eine Unterscheidbarkeit zu anderen Formaten herstellt, beschreibt in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund einer postmodernen Konzeption von Kreativität die Verschiebung des kreativen Prozesses weg von*m Künstler*in hin zu Rezipient*innen: „Der Produktivismus des schöpferischen Subjekts wird damit auf ein Minimum reduziert. An dessen Stelle tritt die Herstellung einer kommunikativen Relation zwischen Idee und Rezipient. In diesem Kontext wird auch der Funktionswandel der Subjektposition des Künstlers in Richtung eines Kurators wie eines Kunsttheoretikers seiner eigenen Arbeiten sichtbar: Immer geht es um die geschickte oder auch gezielt verrätselnde Kommunikation mit dem Rezipienten.“ (ebd., S. 212)
Damit ist diese Entwicklung einerseits eine beobachtbare Praktik der Singularisierung des Einzelnen, die nicht zuletzt an Ausprägungen der p erformance-Kunst unter Einbezug des Codings erinnert. Diese Form der Kommunikation mit dem Rezipienten
8Eine
genauere Analyse der Mikropraktiken kann weiteren Aufschluss über Sinnkonstruktionsprozesse geben und zudem dahinterliegende Paradigmen sichtbar machen. Im Kontext der projektorientierten Softwareentwicklung nimmt Schmidt (2012) beispielsweise jene Beobachtungen bei einer Softwareagentur vor und arbeitet dabei spezifische Formen der Auseinandersetzung mit den Problemlösungsstrategien heraus. Auch er beobachtet, wie Skizzen und Vorabüberlegungen das Grundgerüst eines gesuchten Algorithmus‘ werden und Code damit eine räumlich-figurative Gestalt einerseits annimmt und körperlich-gestisch andererseits wird (ebd., S. 172 ff.). 9Die Videos, gesammelt in der Playlist „Coding Challenges“, weisen ähnliche Strukturmerkmale auf. Es handelt sich zum Zeitpunkt der Betrachtung um 215 Videos, bei denen die Spieldauer massiv schwankt (zwischen 3:42 min und fast 2h; geteilt in mehrere Videos). Siehe hierzu: https://www.youtube.com/watch?v=17WoOqgXsRM&list=PLRqwX-V7Uu6 ZiZxtDDRCi6uhfTH4FilpH.
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wird im Hinblick auf die zuvor dargestellte Performativität von Code selbst zu einem komplexen Sachverhalt, da die Idee und Implementation einerseits und die Rezeption und Aufführung andererseits jeweils unterschiedliche Formen der Verwicklung deutlich werden lassen. Der aus den Coding Challenges entstandene Quellcode wird dann dem Publikum mit der Aufforderung zur Weiterentwicklung und Umgestaltung zur Verfügung gestellt. Hier findet also ein direkter Aufruf zum Remix statt, der die eigene Auseinandersetzung mit dem gesehenen und praktisch erprobten im Video vertiefend ermöglicht und somit auf die von Reckwitz (2016, 2013) angemerkte Produktion individueller Unterscheidbarkeit abstellt und dementsprechend dazu auffordert neue digitale Artefakte zu erschaffen und diese im Sinne des Sharings wieder in die Community zurückfließen zu lassen. Eine solche Sichtbarmachung des Codings, wie sie bei den Coding Challenges vom Coding Train stattfindet und die hierbei beobachtbaren Logiken des Denkens über Code beziehungsweise der problemlösungsorientierenden Praktiken beinhalten Potenziale der Beratschlagung und Aushandlung im Rahmen des Softwareproduktionsprozesses, indem Alternative Lösungen eines Problems eingebettet in einen diskursiven Rahmen thematisiert werden können. Damit erinnern die sozialen Räume des kommunikativen Austauschs an die von Floyd (1989) schon recht früh geforderte dialogische Entwicklung mit dem Fokus auf das Design von Software. Das ist weniger hinsichtlich der heute ohnehin vielfältig etablierten Methoden der Softwareentwicklung bemerkenswert, sondern eher da hierüber eben auch die Aushandlung von Werten und Normen in Abhängigkeit zu Code stattfinden kann. Coding Challenges, wie jene von Shiffman weisen dementsprechend auch hohe Ähnlichkeiten zum Live Coding (Collins et al. 2003) oder „on-the-fly-programming“ auf (Cox et al. 2004), einer Form der darstellenden Kunst, bei der sowohl Code als auch „Programmierer/Künstler/Komponist“ (Wang und Cook 2004) im Zentrum stehen. Beide Formate erfordern Struktur und ermöglichen Improvisation. Beide Formate sind von der Prozessualität und performance abhängig, wie Cox et al. (2004) bezogen auf das Live Coding festhalten: „A live performance that includes authoring code diverges from any perceived determination. Like the initial stages of software development, a performance may be sketched out or planned roughly — the entire performance might be imagined but many of the details are not yet known. Much preparation is done for the start of the performance, but it is only when the performance begins that those details will start to form and inform the performance itself. The guidelines and structures initially developed merely exist as a framework of possibilities, but it is simply not possible at this stage to this as merely a rigid execution of instructions. Without denying the performative elements of a finished piece of code in itself, live-coding is a further development of a performance scenario.“ (ebd., S. 170).
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Wenngleich die Aufführung von improvisierten Praktiken geprägt sein mag, erfordert sie eine strukturierte Vorgehensweise und Vorbereitung, um einerseits die nötigen Schritte erklärend zu besprechen und andererseits einen gewissen Grad der Immersion zu schaffen, um sich mit dem Prozess des Codings und der Schaffung eines Ergebnisses zu befassen. Man kann die Aufführung damit in einem Feld von möglicher Fehlertoleranz und Zielvorstellung ausgehend vom Prozess des Codings fassen. Dies gilt auch für die von Shiffman produzierten und publizierten Videos. Es handelt sich hierbei also um ein kompliziertes Wechselverhältnis zwischen Ordnung und Unordnung, Abschätzbarkeit und Kontingenz, Strukturfolge und Strukturbruch, das sich in der Auseinandersetzung mit Code einerseits und der Aufführung im Sinne vor einem Publikum andererseits darbietet. Das zuvor beschriebene Eintauchen in die Welt des formalen und regelgeleiteten Systems steht dabei der performanten Darbietung gegenüber. Für eine tiefer gehende analytische Betrachtung wäre daher unter Rückbezug auf die Performativität des Codes und die Performanz der Inszenierung in mehrere Aspekte zu unterscheiden. Eine Live-Aufführung ist von anderer Qualität geprägt, als eine produzierte Aufzeichnung, beispielsweise in Form von didaktisch aufbereiteten und vor der Publikation optimierten Videos. Doch gerade hierin liegt unter anderem die besondere Qualität der kreativ-ästhetischen Praktiken des Codings. Es handelt sich hierbei um eine komplexe Verflechtung unterschiedlicher Bereiche, die eine tiefer gehende und systematisch-analytische Betrachtung erforderlich machen, will man zu weitergehenden Aussagen über Bildungs- und Subjektivierungsprozesse beim Coding kommen.
4 Fazit Der Beitrag hat bis hierhin einige Facetten der Komplexität von Praktiken des Creative Codings aufgezeigt, die sich abseits einer im klassischen Sinne produktiven Auseinandersetzung mit Code verorten lassen und gleichsam einige Potenziale für Subjektivierungs- und Bildungsprozesse beinhalten, indem sie die Möglichkeiten der Artikulation und Selbstexpression um die Auseinandersetzung mit Code erweitern. Dementsprechend kann die Auseinandersetzung mit Code eben auch auf einer sprachlich-kreativen Ebene stattfinden, ohne die Funktionalität des Codes selbst als notwendige Voraussetzung zu begreifen. Dies eröffnet spielerische Umgangsweisen bei der Erkundung des Digitalen, die mit minimalen technischen oder gar ohne technische Lösungen auskommen können, um das Digitale erfassen zu können und neue Erfahrungsräume zu gestalten.
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Praktiken des Codings sind weit mehr als reine Produktionsprozesse, wie im Beitrag exemplarisch gezeigt wurde. Für eine bildungstheoretische Anschlussfähigkeit sind jene Phänomene von gesteigerter Bedeutung, da sie auf individuelle Wahrnehmungsweisen abzielen und darüber hinaus einen empirischen Zugang zu Beschreibungs- und Sinndeutungsprozessen in der digitalen Welt liefern. Sichtbar und in besonderer Weise erforschbar werden diese Strukturen in den vernetzten sozialen Räumen, durch unterschiedliche Soziale Medien, wie YouTube, Flickr, Code-Snippet-Plattformen und unter anderem Softwareverwaltungssystemen wie GitHub. Praktiken des kreativen Codings sind damit eingebettet in mediale Vollzüge, die sich entlang verschiedener medialer Strukturen, Formate und unterschiedlichen sozialen Arenen verorten lassen. Grundlegend lässt sich beobachten, dass durch offene, vernetzte Medien mehr und mehr (kommunikative) Räume geschaffen werden, um sich beispielsweise mit niederschwelligem Programmieren oder der avancierten künstlerisch-ästhetischen Artikulation im Sinne der Netzkunst zu befassen. Software entsteht dementsprechend nicht im sozialen Vakuum, sondern ist stets eingebettet in soziale und kulturelle Aushandlungen. Für die Fragen der Bildung ist dies dahin gehend interessant, da die direkte Auseinandersetzung mit Code eine Möglichkeit darstellt, um die oftmals impliziten Strukturen des Digitalen sichtbar zu machen. Creative Coding kann in Anlehnung an die kulturelle Performanz eine Dimension von Kritik erlangen, die sich in bisher unbekannter Qualität niederschlägt. Das künstlerische Schaffen stellt dabei eine Möglichkeit der Exploration und des Kennenlernens sowohl der Welt, die durch digitale Technologien geprägt ist, also auch die Möglichkeit zur Reflexion von Selbstbezügen dar, also die Art, wie wie man die Welt wahrnimmt dar. Es geht beim Creative Coding in einer solchen Lesart dann weniger darum, wie die Maschine Code liest, sondern wie der Mensch den Code deuten können und der Form des Textes Sinn zuschreiben. Dabei handelt es sich um hochgradig individuelle und subjektbezogene Vollzüge, die ein praxeologisch kompliziertes Wechselverhältnis zwischen Form, System und Innovation eingehen.
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Zur Materialität medialer Praktiken Matthias Wieser
Zusammenfassung
Praxistheoretische Herangehensweisen stellen die impliziten Bildungsprozesse der Medienkultur heraus. Diese zeigen sich im alltäglichen ‚Tun‘, der Materialität und Performativität der Medienpraktiken. Der Beitrag fokussiert auf die Frage nach der Materialität medialer Praktiken. Er diskutiert verschiedene Positionen in der Diskussion um Medienpraktiken, zum einen als menschlicher Gebrauch von Medien und zum anderen in der Herausstellung der materiellen Relationalität von Medien und Praktiken. Schlüsselwörter
Medienpraktiken · Materialität · Posthumanismus · Medienbildung
Gegenwärtige Debatten zu Digitalisierung führen viele Aspekte, die aus sozial- und kulturwissenschaftlichen Debatten zur Informatisierung, Postindustrialisierung und Wissensgesellschaft bekannt sein dürften, weiter und wiederholen mitunter auch so manch für obsolet gedachte Idee. Dies betrifft u. a. die vermeintliche Immaterialität digitaler Kultur und ihre Unbildung. Im Folgenden werden diese beiden Annahmen nicht einer empirischen Prüfung unterzogen, sondern ein Umweg über eine theoretische Debatte geschlagen,
M. Wieser (*) Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_6
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die aber auch Antworten zu den beiden genannten Mythen bereithält: Sie stellt die Materialität digitaler Kultur(en) und die damit einhergehenden Bildungsprozesse heraus. Denn entgegen expliziten Lerntheorien oder instrumentalistischer Kompetenzannahmen stellen praxistheoretische Herangehensweisen an digitale Kultur und Kommunikation die impliziten Bildungsprozesse heraus. Diese zeigen sich im alltäglichen ‚Tun‘, d. h. sie sind materiell verkörpert. Eine praxeologische Medienpädagogik folgt aufmerksam den alltäglichen Praktiken medialer Kulturen und ihren Apps, Plattformen und Geräten. Dabei stellt sie deren Materialität und Performativität und letztlich die in der Praxis evozierten Bildungsprozesse mit dem Anspruch heraus: Mit Medien aus den (je spezifischen) Eigenschaften der Medien selbst zu lernen. Dafür beschreibe ich zunächst die akademische Hinwendung zu den Praktiken und der Materialität dergleichen, um mich dann mit der Materialität der Medien zu beschäftigen. Anschließend geht es um die Verbindung des sozial- mit dem medienwissenschaftlichen Diskurs und die Verstrickungen von Medien und Praktiken. In der Diskussion um Medienpraktiken werden zwei Varianten ihrer Theoretisierung herausgestellt: zum einen als menschlicher Gebrauch von Medien und zum anderen in der Herausstellung der Relationalität und Materialität von Medien und Praktiken. Abschließend wird der Beitrag eines solchen praxeologischen Verständnisses für die Medienpädagogik aufgezeigt.
1 Die Materialität der Praktiken Um die Jahrtausendwende wurde auf beiden Seiten des Atlantiks eine praxistheoretische Wende in der Kultur- und Sozialtheorie ausgerufen (Hörning 2001; Reckwitz 2000, 2010; Schatzki 1996, 2002; Schatzki et al. 2001; Turner 1994). Inzwischen liegen auch einige Einführungen und Überblicksbände dazu vor (Hillebrandt 2014; Hörning und Reuter 2004; Schäfer 2016; Schäfer et al. 2015; Shove et al. 2012; Schmidt 2012). Unter diesem Label werden verschiedene sozialund kulturtheoretische Ansätze versammelt wie die Praxistheorie Pierre Bourdieus, die Ethnomethodologie von Harold Garfinkel, die Strukturierungstheorie von Anthony Giddens oder auch die performative Gendertheorie von Judith Butler und die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour und Michel Callon. Andreas Reckwitz (2003) hat früh die „Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken“, welche die genannten Theorien miteinander verbindet, wie folgt bestimmt: Die implizite Logik der Praxis, die praktisches Wissen und Können betont, die Materialität von Praktiken in Körpern und Artefakten sowie das Ineinandergreifen von Routine und Subversion im Ausüben von Praktiken.
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Die Rede von Praktiken ist eine Möglichkeit von der Intentions- und somit Subjektfixierung der Handlungstheorie weg zu kommen, was die Tür für andere Agenzien wie den Körper oder eben auch Artefakte öffnet. Im Praxis- oder Praktikenbegriff treffen sich gewissermaßen ein abgerüsteter Handlungs- und ein aufgerüsteter Verhaltensbegriff.1 Praxistheorien implizieren eine genuin relationale Betrachtungsweise sozialer Phänomene, denn soziale Praxis ist verteilt und kann, im Falle der Akteur-Netzwerk-Theorie, als komplexe Verflechtung heterogener, menschlicher sowie nichtmenschlicher Handlungsträger aufgefasst werden. Praktiken kommen als körperlich-materieller Vollzug in den Blick. Körper und Artefakte sind Träger, oder genauer: Medien, sozialer Praktiken (Hirschauer 2004; Reckwitz 2010, S. 97 ff.). Praktiken verweisen auf Aktivitäten, die man beherrschen kann, indem man sie immer wieder praktiziert. Dadurch unterscheidet sich der Praktiken-Begriff von einem Verständnis, das glaubt, dass man eine Kultur an- oder übernimmt oder dass man eine Technik anwendet. Kultur und Technik als Praxis wird aus- und aufgeführt. Der Verweis auf Praktiken ermöglicht auch die Unterscheidung von Wissen und Handlung zu unterlaufen, weil in ihr beides zusammenfällt (Hörning 2001; Schüttpelz und Gießmann 2015, S. 34). Andreas Reckwitz versteht Praxistheorie als „eine die Empirie anregende Heuristik“ (2016, S. 164). Deren Kernmerkmale fasst er wie folgt zusammen: „Zentral ist, dass der Ort des Sozialen […] in Praktiken gesucht wird, das heißt in körperlich verankerten und von einem kollektiven impliziten Wissen getragenen Verhaltensroutinen. Praktiken bezeichnen damit eine genuin soziale, ‚überindividuelle‘ Ebene, und sie sind gleichzeitig notwendig in den Körpern von Individuen verankert und wirken durch dies hindurch. Dadurch, dass sie von impliziten Wissensschemata abhängen, sind die sozialen Praktiken immer kulturelle Praktiken. Aufgrund ihrer Verankerung in den Körpern und in den Artefakten – die im Zusammenhang der Praktik mit den Körpern auf bestimmte Wiese verbunden sind – sind sie zugleich immer materielle Praktiken.“ (Reckwitz 2016, S. 263, Herv. i. O.)
Für die erste Generation der Praxistheoretiker*innen wie Bourdieu, Giddens und de Certeau sieht Reckwitz die Überwindung des Dualismus von Individualismus und Holismus als zentrales Movens an, während es für eine neuere, zweite Generation – zu der er sich selbst auch zählt – angesichts der vielen Wenden der
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vorliegenden Beitrag wird Praxistheorie, Theorie sozialer Praktiken und Praxeologie weitestgehend synonym verwendet, wie es in der aktuellen Diskussion nicht unüblich ist (Schäfer 2016; Hillebrand 2016). Doch für eine frühe Kritik etwa der Vereinnahmung der bourdieuschen Praxistheorie als Theorie sozialer Praktiken vgl. Meier (2004).
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Kulturtheorien und des „Latour-Effekts“ (Reckwitz 2016, S. 266) viel stärker um die Überwindung des Dualismus von Kulturalismus und Materialismus geht. Vor diesem letztgenannten Hintergrund versteht auch Frank Hillebrandt (2016) Praxistheorie als poststrukturalistischen Materialismus.2 Praktiken lassen sich nicht auf Intentionen, Strukturen, Normen oder Diskurse reduzieren, sondern diese müssen – im Gegenteil – immer wieder aufs Neue erst praktiziert werden, was wiederum nur in Form von und mit Körpern und Artefakten, also materiell, vollzogen werden kann.
2 Die Materialität der Medien Gerade in der deutschsprachigen Medienwissenschaft wurde schon früh in der Fortführung McLuhans und auch der frühen Informationstheorie die Materialität der Medien herausgestellt (Kittler 1986). Dabei wurde die Relevanz der technischen Apparate für das Schreiben, Hören oder Sehen, aber auch ihre kriegerische Herkunft herausgestellt. Medien(technik) so die zentrale Prämisse prägen Kultur und Gesellschaft wesentlicher als die von ihnen vermittelten Inhalte oder die Ideen und Absichten der Kommunikator*innen oder Rezipient*innen. Allerdings neigte diese Position zu technikdeterministischen Verkürzungen eines technischen Apriori. Die Betonung der Autonomie der Medien und der menschlich-gesellschaftlichen Abhängigkeit von Medien hat dabei den Blick für den Umgang mit Medien verstellt (Münker 2013). Zur gleichen Zeit stoß die anglo- und frankophone, interdisziplinäre Wissenschafts- und Technikforschung gewissermaßen seitenverkehrt durch die Auseinandersetzung mit den Praktiken in den Labors und Werkstätten von Naturwissenschaftler*innen und Ingenieur*innen auf den Eigensinn, den Widerstand und auch auf eine gewisse Abhängigkeit von technischen Geräten und Infrastruktur (Latour 1987; Pickering 1992). Die Artefakte, Räume, Infrastrukturen und Devices auf die man traf machten nicht den Eindruck, dass sie bloße Instrumente und einfache Transmitter waren, sondern Medien wissenschaftlicher Erkenntnis und technischer Innovation. Sie transportieren und transformieren zugleich (Latour 2005, S. 37 ff.). Sie sind Mitspieler in der Praxis der Wissenschaftler*innen und Techniker*innen. Artefakte als Medien haben sicher
2Vgl.
auch die Unterscheidung und Diskussion von mikrosoziologischen und (post) strukturalistischen Praxistheorien bei Hirschauer (2016).
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keine alleinige determinierende Kraft, dennoch hinterlässt das Medium eine Spur, prägt die Kommunikation oder Handlung, diszipliniert und ermöglicht bestimmte Dinge. Mit letzteren ist auch die Affordanz von Medientechnologien angesprochen, die das ‚Tun‘ von Artefakten in ihrer Vielfalt einfängt anstatt sie auf eine symbolische Ebene zu reduzieren (Latour 2005, S. 72). Medientechnologische Artefakte halten verschiedene Gebrauchsangebote bereit, die aber erst in der Praxis aktualisiert werden und somit Medium und Nutzer*in entstehen lassen.3 Die Macht der Medialität wird gerne übersehen, weil es gerade die Logik von Medien, wie auch anderer Infrastrukturen ist, unscheinbar zu sein. Um effektiv zu funktionieren, tritt das Medium in den Hintergrund, ist aber durchaus materiell sichtbar – zumindest mehr als ‚die Gesellschaft‘ oder ‚der Markt‘. Dieser Transformation, Übersetzung oder Mediation wurde nicht nur in Wissenschaft und Technik, sondern auch auf den Feldern der Musik und der Medien gefolgt. Musik und Musikgeschmack, Werbung und Radioprogramme werden in einem kollektiven Prozess der Vermittlung, der nicht nur Menschen mit Ideen, sondern auch Artefakten und anderen Dingen verbindet, hervorgebracht (Hennion 2007; Hennion und Méadel 1986, 2013). In seiner Beschäftigung mit musikalischen Amateuren hat Antoine Hennion die Aufmerksamkeit vom Künstlersubjekt auf das musikalische Objekt als Instrument, Klang und Liedstück verschoben. Musikgeschmack ist bei ihm kein soziales Kapital über das ein Subjekt verfügt, sondern eine Aktivität und eine kollektive Technik (Hennion 2007). Musik und Musikgeschmack entstehen erst durch die Vermittlung einer ganzen Reihe an Vermittlern (Instrumenten, Noten, Sprachen, Stilen, Gesten, Szenen, Aufführungen usw.). Musik sollte als Transformation und produktive Kraft ernst genommen werden. Kreativität ist verteilt und Produkt der kunstvollen Fertigkeit oder Arbeit all dieser Vermittler. Zwischen den Affordanzen des Musikinstruments, aber auch etwa der Partitur und dem/der Musiker*in und seiner/ihrer ‚Sozialisation‘ findet eine Vermittlung (médiation) statt, die nicht auf eine der beiden Seiten reduziert werden kann (Hennion 2003). Gemeinsam mit Cecile Méadel erforschte Hennion in den späten 1980er Jahren die alltägliche Medienarbeit in einer Werbeagentur und in einem Radiosender. Die eine Studie löst den Widerspruch von Produkt und Konsument auf, indem es die vielen Zwischenschritte aufzeigt, die bereits bei der Produktion den Konsumenten mit konstituieren und umgekehrt, das Produkt bereits durch verschiedene Techniken
3Mit
Bettinger (2018, S. 120 ff.) im Anschluss an die bourdieusche Praxeologie ließe sich Affordanz als Quasi-Habitus des (Medien)Artefakts verstehen.
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des Einbezugs potenzieller Konsument*innen produzieren (Hennion und Méadel 1986). Die andere Studie zeigt die Produktion der Musik-Hörerschaft in der Arbeit von Radiomacher*innen unter zu Hilfenahme vielfältiger miteinander verbundener Techniken, Technologien, Übersetzungen, Repräsentationen und Verhandlungen über das, was die oder den Radiomusikhörer*in auszeichnet (Hennion und Méadel 2013). Mediationsprozesse sind als materielle und performative Bildungsprozesse zu verstehen. Es sind Prozesse in denen sich musische oder mediale Kollektive bilden, in denen sich kompetente Musiker*innen und Medienproduzent*innen in einem Prozess der wechselseitigen Verfertigung mit verschiedenen Artefakten herausbilden. Der Prozess der Mediation wird in der Akteur-Netzwerk-Theorie materialistisch und pragmatistisch gedacht oder, anders formuliert, als materiell verteilt und performativ aktualisiert. Medienforschung hat sich meist auf die Trias Medienindustrie, Publikum/ Nutzer*in und Medientext konzentriert (Loon 2008, S. 113) und im deutschen Sonderweg auf Medientechnik. Die Akteur-Netzwerk-Theorie will den Prozess der Vermittlung, indem sich Medienindustrie, Nutzer*innen, Text und technisches Objekt miteinander verbinden, analysieren. Gerade im Zeitalter durch und durch mediatisierter Netzwerkgesellschaften und ihrer digitalen Medienkultur erscheint es plausibel und produktiv sich einer solchen Heuristik zu bedienen (Dijck 2013).4 Digitale und Soziale Medien lassen darüber hinaus den Gebrauch ihrer selbst in den Vordergrund rücken (Münker 2013), weil dieser die Inhalte mitbestimmt und die klare Differenz verschiedener Einzelmedien aufgehoben ist. Dadurch geraten die Medienpraktiken im Umgang mit digitalen Geräten und Inhalten in den Blick.
3 Medienpraktiken Stellt man Medienpraktiken in den Mittelpunkt der Untersuchung so verschiebt sich der Blick der Medien- und Kommunikationsforschung sowohl vom Medium, was die klassische Domäne der Medienwissenschaft und ihrer Ahnherren McLuhan und Kittler ist, als auch vom Medieninhalt, was eine Domäne der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, aber auch diskursanalytischer Medienwissenschaft ist.
4Vgl.
z. B. zur Herausbildung und Transformation des Gefüges mobiler Medienkultur Farnsworth und Austrin (2005), Goggin (2009) und Farnsworth (2014).
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„Die praxistheoretische Wende greift in der Medienforschung um sich. Medien werden nicht mehr nur als Objekt, Produkt, Text oder Institution untersucht, sondern mit Perspektive auf Medienpraktiken empirisch erforscht.“ (Dang-Anh et al. 2017, S. 7)
Die Beschäftigung mit Medienpraktiken ist eher mit einer Forschungshaltung als einer strikten Theorie und Methode verbunden, eine Forschungshaltung, die Wie-Fragen dem Was und Warum vorzieht (Dang-Anh et al. 2017, S. 16 f.; Wieser 2012, S. 115). Dennoch lassen sich zwei Stränge der Theorien von Medienpraktiken unterscheiden, deren gemeinsamer Nenner in der Untersuchung medialer Phänomene in ihrem alltäglichen Gebrauch und Einbettung liegt: Zum einen die von Bourdieu und den Cultural Studies beeinflusste Position von Nick Couldry, die auf Praktiken von Menschen mit Medien fokussiert und zum anderen die von den Science & Technology Studies und der Akteur-Netzwerk-Theorie beeinflusste Position von Erhard Schüttpelz, die die Materialität und Agency der Medien einbezieht.
3.1 Mediengebrauch: Praktiken mit Medien Nick Couldry (2012) hat eine praxistheoretische Medienforschung gegenüber funktionalistischen und verhaltenstheoretischen Ansätzen, sowie gegenüber Medienwirkungstheorien und Theorien der politischen Ökonomie von Medien in Stellung gebracht. Medien sollten am besten als Praktiken verstanden werden (ebd., S. 44). Dabei unterscheidet er zwischen Praktiken mit direktem Medienbezug, Praktiken, die Medien mit einbeziehen und Praktiken, deren Möglichkeitsbedingungen durch Medien konditioniert sind (ebd., S. 35). Die zentrale übergeordnete Frage dabei ist, was Menschen mit oder in Bezug zu Medien machen: „A practice approach starts not with media texts or media institutions but from media-related practice in all its looseness and openness. It asks quite simply: what are people (individuals, groups, institutions) doing in relation to media across a whole range of situations and contexts?“ (ebd., S. 37)
Der Ausgangspunkt der Analyse sind somit Medienpraktiken und nicht Medientexte, Medieninstitutionen oder Medienartefakte. Die Vorteile der Praxistheorie à la Schatzki und Reckwitz sieht er darin, dass sie, erstens, Regularitäten und Routinen im menschlichen ‚Handeln‘ mit Medien und ihren Kontexten behandelt. Zweitens sind diese Praktiken sozial in dem Sinne, dass sie gemeinschaftlich sind und auf Konvention beruhen und somit nicht als intentionalistische und
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individualistische Handlungen verstanden werden können. Dabei interessiert ihn auch die Frage nach der Beziehung zwischen Medienpraktiken und allgemeinen menschlichen Bedürfnissen etwa nach Koordination und Interaktion. Drittens, ermöglicht eine Praxistheorie der Medien eine normativ-ethische Dimension. In Bezug auf die Erforschung von Medienpraktiken sieht Couldry Vorläufer in der Publikumsforschung der Cultural Studies und jüngerer Studien der Medienanthropologie. Relevant ist für ihn sowohl die Praxistheorie Bourdieus, die nach den Bedingungen von Praktiken etwa in einem vorbewussten Habitus fragt, als auch die neueren Diskussionen ausgelöst von Theodore Schatzki in denen Praktiken selbst als ordnend-organisierend angesehen werden. Allerdings ist Couldry kritisch gegenüber der Vorstellung, dass soziale Ordnung ausschließlich aus lokalen Praktiken entsteht und betont die Macht von Institutionen auf Praktiken als auch die technischen Affordanzen, die Praktiken formen (ebd., S. 42).5 So sieht er alltägliche Medienpraktiken in einem Spannungsfeld zwischen einerseits kommerziellen Interessen der Ökonomie (Marktlogik) und andererseits in Technik eingeschriebener und somit automatisierter Sozialität (Plattformlogik) (ebd., S. 57 f.). Couldry skizziert eine ganze Reihe an Medienpraktiken, die insbesondere in der digitalen Gegenwart eine Rolle spielen: Suchen, Zeigen, Präsentieren/Vergegenwärtigen und Archivieren (ebd., S. 45 ff.). Suchen ist im Internetzeitalter zu einer wesentlichen Medienpraktik geworden, um sich seinen Weg durch die Informationsangebote zu bahnen. Der erste Weg zu einer Webseite oder bestimmten Informationen führt meist über eine Suchmaschine. Dadurch kommen Praktiken, die das Suchen ermöglichen, in den Blick – etwa das Teilen von Informationen oder auch automatisierte Empfehlungssysteme. Das Zeigen geht bei digitalen Praktiken einher mit Sichtbarkeit und der einfachen Weitergabe und dem Teilen von Bildern oder Videos sowie deren Manipulation oder Verfremdung, sodass eine eigene Dynamik von ‚sich zeigen‘ und ‚gezeigt werden‘ entsteht. Die verschiedenen Formen des Zeigens im Internet bestimmen auch neue Formen des Verhältnisses von Privatsphäre oder sozialem Nahbereich und (Teil)Öffentlichkeit. Mit „Presencing“ verweist Couldry (ebd., S. 50) auf die Praktiken, um eine öffentliche Präsenz aufrechtzuerhalten. Dies betrifft Unternehmen und Organisationen genauso wie Einzelpersonen, die eine Onlinepräsenz und Soziale-Medien-Präsenz haben,
5So
möchte Couldry Praxistheorie quasi in Tuchfühlung zur politischen Ökonomie und zur Akteur-Netzwerk-Theorie halten, wobei letztere gerade auch für eine flache Ontologie steht (Latour 2005, S. 165 ff.). Vgl. zum „methodologischen Situationismus“ auch Hirschauer (2014, S. 118).
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was einhergeht mit Technologien des Selbst und der Selbstvermarktung als auch der wechselseitigen Bewertung und Evaluierung. Archivieren schließlich ist auch zu einer inzwischen ganz gewöhnlichen und (teil)öffentlichen Medienpraktik geworden angefangen von Facebooks Timeline über YouTube als Film- und Fernseharchiv bis hin zu Onlinearchivierung von Privatfotos. Neben diesen medienbezogenen Praktiken sieht Couldry (ebd., S. 53 ff.) auch eine Reihe an komplexeren Medienpraktiken: „keeping up with the news“ (ebd., S. 53), kommentieren, „keeping all channels open“ (ebd., S. 55) und „screening out“ (ebd., S. 55 f.). ‚Auf dem Laufenden bleiben‘ meint die verschiedenen medienübergreifenden Formen sich über Nachrichten im weitesten Sinne in der Öffentlichkeit und somit auch im Alltag zu orientieren. Neben Fernsehnachrichten, Zeitschriften und Tageszeitungen sind Onlinenachrichten, Gratiszeitungen und auch soziale Medien getreten, wobei sich die Frage nach intensiverer oder oberflächlicherer Auseinandersetzung mit öffentlichen Anliegen stellt. Kommentieren ist eine wesentlich digitale Praktik des Selektierens und Herausstellens, die (teil) öffentlich sichtbar, mitunter monetarisiert und archiviert wird. Offenheit gegenüber allen Kanälen verweist auf die ständige Vernetztheit und Erreichbarkeit mittels verschiedener Plattformen und Geräte. Schließlich meint Couldry mit „screening out“ die Praktiken, die dazu dienen just der Informationsflut sowohl in Quantität als auch Qualität Herr zu werden, ihre Menge wie auch ihre unterschiedlichen Formen oder Typen zu kanalisieren, wofür bestimmte soziale und auch technische Formen des Ausblendens genutzt werden. Couldry interessiert sich im Wesentlichen für die Mediengewohnheiten. Die habits und rituals im Umgang mit Medien, die Fragen der Stimme, der Gemeinschaft und Erinnerns in den Vordergrund treten lassen. Medien treten in Bezug zu menschlichen Akteur*innen durch die in ihnen eingeschriebene Sozialität. Dadurch bleiben sie Ressourcen menschlichen Handelns – die routinisiert oder subversiv, inklusiv-partizipativ oder exklusiv-ausschließend genutzt werden können. Sie sind aber keine eigenständigen Agenzien in einem relationalen Gefüge. Letzteres ist mit einem stärker STS-informierten Ansatz der Medienpraktiken verbunden, dem wir uns im folgenden Abschnitt widmen.
3.2 Materialität der Medienpraktiken „essence does not lie in a definition but in a practice, a situated practice that ties a whole range of heterogeneous phenomena in a certain specific way.“ (Latour 2010, S. X)
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Während Couldry Praktiken als menschliches Tun versteht, so lassen sie sich in Anlehnung an die ANT, wie das vorangestellte Zitat Latours verdeutlicht, auch allgemeiner als Verknüpfung verschiedener materieller Körper, menschlicher und nicht-menschlicher Entitäten, begreifen. In diese Richtung weist das Verständnis von Medienpraktiken der Siegener Forschungsgruppe um Erhard Schüttpelz. Demnach sind Praktiken nicht auf den menschlichen Umgang mit Medien begrenzt, sondern umfassen auch den medientechnischen Gebrauch des Menschen. So gesehen wird der Fokus von Couldry auf Beziehungen zwischen Menschen und Medien erweitert um die Materialität und Infrastruktur der Medien (Schüttpelz 2016, insbes. S. 6 ff.). Ein zentraler Begriff dabei ist der der wechselseitigen Verfertigung (Schüttpelz und Meyer 2017).6 „Menschen benutzen und erzeugen Medien, Medien richten ihre Nutzer_innen zu und alle an diesem Prozess beteiligten Akteure arbeiten sich in der alltäglichen Praxis aneinander ab.“ (Dang-Anh et al. 2017, S. 17)
Damit bleiben in diesem Ansatz Medien noch unbestimmter als dies bereits Couldry für sich beansprucht. Während dieser bestimmte Mediengeräte, -texte und -institutionen mittels Praktiken aufschlüsselt und kontextualisiert, bestimmt sich im Siegener und auch ANT-Verständnis das Medium erst in der Praxis. Medien werden erst „fortlaufend und wechselseitig durch die Übergängigkeit von Zielen, Mitteln und Abläufen konstituiert“ (ebd., S. 29).7 Medien sind Assemblagen, agencements, Akteur-Netzwerke oder „Konstellationen von Kulturtechniken und Prozesse einer verteilten und delegierten Handlungsmacht“ (Schüttpelz und Gießmann 2015, S. 8). Die mediale Verfertigung in Praktiken ist somit das Thema dieser Medienpraxistheorie (Dang-Anh et al. 2017, S. 12). „Der Gewinn einer Betrachtung medialisierter Abläufe durch eine ANT besteht gerade darin, nicht vorab festzulegen, wo man ‚die Medien‘ in einer Handlungsverknüpfung findet.“ (Schüttpelz 2013, S. 15)
Wesentliche Merkmale von Medienpraktiken aus dieser Perspektive sind ihre Situativität, Körperlichkeit, Zeichenhaftigkeit, Prozessualität, Medienkonvergenz,
6Ich
habe in diesem Zusammenhang von einer wechselseitigen Aneignung gesprochen (Wieser 2012, S. 103). 7Vgl. auch Hennion (2011); Schüttpelz und Meyer (2017); Schüttpelz und Gießmann (2015, S. 25, 35, 39).
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Infrastrukturiertheit, Historizität und Sozio-Kulturalität (Dang-Anh et al. 2017, S. 7 ff.). Medienpraktiken werden in situ und in actu erfasst, also situationsbezogen in ihrer Ausführung erforscht (Schüttpelz und Gießmann 2015, S. 9; Dang-Anh et al. 2017, S. 18). Medienpraktiken ereignen sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten, die materiell und soziokulturell gerahmt sind. Dennoch ist wichtig festzuhalten, dass Medienpraktiken „über ihren aktualen Vollzug und ihre Situation hinaus“ reichen (Dang-Anh et al. 2017, S. 17), denn Praktiken können „als situative Vollzugsmomente einer übersituativen Praxis verstanden“ werden (ebd., S. 17 f.).8 Letzteres wäre z. B. die Praxis des Telefonierens und ersteres konkrete Praktiken des Telefonierens etwa mittels stationären Telefon, Mobiltelefon oder Internet. Dabei verweist das eine stärker auf eine diachrone, historische Perspektive, während das andere auf eine synchrone und sequenzielle Betrachtung einer Praktik zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten abzielt. Die Körperlichkeit von Medienpraktiken verweist in erster Linie auf die Fertigkeiten des menschlichen Körpers im Umgang mit Medien, so etwa die in der Praxis angesprochenen Sinne und die in Praktiken erlernten Fähigkeiten (ebd., S. 19). In den Blick gerät dadurch die Zurichtung des Körpers durch das Medium und die Zurichtung des Mediums durch die Körper oder eben die wechselseitige Verfertigung als Medialisierung.9 Die Zeichenhaftigkeit von Medienpraktiken verweist auf den in anderen Formen der Medienforschung mitunter verabsolutierten Aspekt von Medien, dass sie etwas repräsentieren vermögen. Erst durch ihre Zeichenhaftigkeit werden Medienpraktiken „intersubjektiv bedeutbar und bedeutsam“ (ebd., S. 20), aber die Zeichen sind auf die Praktiken und eine medial-materielle Körperlichkeit angewiesen. Ein weiteres und wesentliches Merkmal von Medienpraktiken ist ihre Prozessualität, welche Begriffe wie Medientext, Medieninstitution und Medienartefakt schwer e infangen.
8Vgl.
zu dieser Differenzierung von Praktiken und Praxis Hillebrandt (2014, S. 102–111) sowie die vergleichbare Unterscheidung zwischen „practice as performance“ und „practice as entity“ bei Shove et al. (2012, S. 7). 9Vgl. dazu auch den Vorschlag von Stefan Hirschauer – im Zuge seiner Kritik der Vernachlässigung des menschlichen Körpers in der ANT – menschliche Körper „als allzeit automobile, plastische und hochflexible ‚Artefakte‘, die sehr viele Interaktionsvoraussetzungen immer wieder mitbringen (wenn sie denn persönlich erscheinen)“ aufzufassen (Hirschauer 2014, S. 129).
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Prozessualität verweist auf die zeitliche Sequenzialität von Praktiken. Das Erfassen dieses zeitlichen Aufeinanderfolgens vermittelt zwischen der Gegenwart und der Geschichtlichkeit von Medienpraktiken. So kann die Differenz in der Wiederholung nachvollzogen werden, d. h. die routinierte und konventionelle Wiederholung einer Praktik und ihre potenziell subversive oder innovative Performativität. Medienpraktiken, insbesondere digitale, laufen quer zur Vorstellung von Einzelmedien. Was heißt es, wenn unterschiedliche Praktiken wie Musikhören, Fernsehen, sich unterhalten und Nachrichtenlesen nun mit dem gleichen Gerät vollzogen werden? Folgt man den Mittlern (Schüttpelz 2013, S. 19) und den Praktiken, die sie evozieren, dann sieht man wie sich entlang der Vollzugskette personale, technische und semiotische Medien und auch ‚neue‘ Praktiken herausbilden und transformieren.10 Medienpraktiken vollziehen sich auf Grundlage von Medieninfrastrukturen, die sie zurichten und prägen. Meist bleiben Infrastrukturen unsichtbar aufgrund standardisierter und automatisierter Abläufe, die erst bei Störungen sichtbar und zu Problemen werden (Star 2017, S. 429 f.). Auch in diesem Zusammenhang ist eine wechselseitige Verfertigung festzustellen: „Medienpraktiken benötigen gewisse Infrastrukturen, um ‚funktionieren‘ zu können, andererseits bringen Medienpraktiken Infrastrukturen hervor.“ (DangAnh et al. 2017, S. 23). Datafizierung beispielsweise ist ein infrastrukturbedingtes Phänomen digitaler Medienpraktiken. Denn jede Aktion i. d. R. als Klick wird verrechnet und in Beziehung zu anderen in der Medienpraxis erfassten Daten (wie Zeit- und Ortsangabe, benutztes Gerät, zuvor getätigte Aktionen usw.) gesetzt. Die Datenproduktion ist der Nutzung inhärent und bedarf keiner ‚externen‘ Datenerhebung etwa durch Quoten- und Meinungsforschung (Wieser 2013). Anstatt Einzelmedien zu vergleichen, geht es darum Medienpraktiken in Hinsicht auf ihre Infrastrukturen und ihre Öffentlichkeiten zu vergleichen (Schüttpelz und Gießmann 2015, S. 25; Schüttpelz 2016). Infrastrukturen und Öffentlichkeit(en) werden somit nicht vorausgesetzt, sondern ihre prozessuale, praktische Herstellung, Aufrechterhaltung und Transformation als wechselseitige Verfertigung
10Schaut
man sich beispielsweise den Gebrauch von WhatsApp an, dann vermitteln auch in dieser Praxis personale, technische und semiotische Mittler. Analysiert man diese Tätigkeit in actu und in situ, dann offenbart sich die Herausbildung zeigender Formen interpersoneller Bild(tele)kommunikation. Eine Kommunikation in der Bilder oder auch Bildzitate aus vergangener WhatsApp-Kommunikation wechselseitig gezeigt werden, um den Alltag unmittelbar und nahbar zu teilen, worin man eine Transformation von einem diskursiven Kommunikationsmodus schriftlich und mündlicher Kommunikation zu einem zeigend-dokumentarischen sehen kann (Meyer und Meier zu Verl 2017).
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wird zum Gegenstand der Analyse. Mit Blick auf soziale Onlinenetzwerke und Plattformen, wird das Verständnis, dass verteilte Informationen kontinuierlich infrastrukturell bearbeitet und (teil)öffentlich hergestellt werden, deutlich. Die Siegener Forscher*innengruppe um Schüttpelz nimmt also deutlich eine, im Sinne der ANT, symmetrische Perspektive auf Medienpraktiken ein. Diese Abkehr von einer anthropozentrischen Sicht stellt die wechselseitige Verfertigung von Personen, Zeichen und Artefakten bzw. von Infrastrukturen und Öffentlichkeiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Couldry hingegen geht es um den menschlichen Gebrauch von Medien und stellt letztendlich doch wieder der Mensch in den Mittelpunkt der Medienforschung. Gemeinsam ist ihnen durch die Fokussierung auf Praktiken, die Medien gewissermaßen erst auf den zweiten Blick ‚erscheinen‘ lassen.
4 Medienpraktiken und Bildungsprozesse ‚Und was ist mit Bildung?‘ könnte sich nun abschließend die Frage stellen. Aus der dargestellten praxistheoretischen Perspektive sind Medienpraktiken Bildungsprozesse inhärent, denn Selbst- und Weltbezüge treten in Auseinandersetzung mit Medien und in Medien zutage. Es geht also um einen prozessualen Bildungsbegriff, der Bildung „nicht als Output eines Bildungssystems und auch nicht als Ergebnis von Lernprozessen“ versteht, sondern „als prinzipiell unabgeschlossen-prozesshaftes Geschehen der Transformation von Sichtweisen auf Welt und Selbst.“ (Jörissen 2011, S. 220). Allerdings würde insbesondere aus einer ‚neomaterialistischen‘ oder ‚posthumanistischen‘ Perspektive, wie sie im vorangegangenen Absatz geschildert wurde, von Seinsweisen anstelle von Sichtweisen die Rede sein. Fluchtpunkt eines solchen Denkens ist ein Bildungsbegriff, der nicht auf Selbstbildung eines autonomen Subjekts abstellt, sondern auf die Verbundenheit und Ko-Produktion von ‚Mensch‘, ‚Technik‘ und ‚Natur‘. Die symmetrische Perspektive ergänzt die Vorstellung der Selbstbildung durch Interaktion mit dem Anderen oder der Anderen, um das materielle Andere: „Sein-als-anderes“ (Thiemer 2016, S. 185). Ein so verstandener praxeologischer Ansatz steht der Individuen- oder Subjektzentrierung weiter Teile der Medienpädagogik entgegen: Symmetrie statt Subjektvorrang.11 Oder anders formuliert: Bildung findet nicht im Kopf oder zwischen Köpfen (Jörrissen und Meyer 2015, S. 7 f.), sondern zwischen verschiedenen Körpern statt.
11Vgl.
zu einer symmetrischen Perspektive auf Bildungsprozesse auch Sørensen (2015).
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Das meint ganz allgemein, dass sich in Medienpraktiken Subjekte, Kollektive und auch neue Medien (heraus)bilden. Bildung wird demnach als alltäglich, informell und heutzutage unvermeidlich zunehmend digital betrachtet. Digitaltechnologien als populäre Medien – z. B. Games, soziale Netzwerke, Wearables, Memes und Mapping-Dienste – unterhalten nicht nur, sondern können – gerade in der alltäglichen Medienroutine – auch bilden. In ihnen werden auch aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte ausgetragen und performativ zum Ausdruck gebracht. Medienpraktische Bildung heißt dann nicht die Anwendung spezifischer Tools zu lehren und lernen, sondern bedeutet, erstens, die Bildungsprozesse in alltäglichen Medienpraktiken herauszuarbeiten (Düllo 2011, S. 517 ff.) und, zweitens, von den Tools, Apps und Devices zu lernen wie sie Subjekte und Kollektive bilden (Marres 2017). Die gegenwärtige Transformation der Medienkultur verlangt nach Kompetenzentwicklung und Lernprozessen, die gerne von Bildungsinstitutionen gefordert werden. Was meist dabei übersehen wird, ist das solche Bildungsprozesse bereits stattfinden, und zwar in der alltagspraktischen Aneignung und in soziotechnischen Kollektiven. Denn die Inhalte beruhen auf gemeinschaftlich geteilten und verteilten Wissensformen, bei deren Herstellung und Verbreitung auch technische Akteure etwa in Form von Algorithmen, die automatisierte, taxonomische Kollektivierungen vollziehen (Wehner 2008), wesentlich involviert sind. Bildungsprozesse werden im Prozess der Aneignung und wechselseitigen Verfertigung vollzogen, sowohl technologisch als auch als körperlich-affektives Geschehen, ob als machine learning oder embodied knowledge. Erst in der wiederholten Interaktion werden Bildungsprozesse in Gang gesetzt und offenbaren sich ‚neue‘ oder, präziser formuliert, transformierte Kulturtechniken. Bildung findet in heterogenen Gefügen statt, die durch das allseitige ‚tun‘ beweglich sind und sich verändern.12 In diesem Transformationsprozess entsteht ein praktisches Wissen, das sich zwischen Reproduktion und Transformation, Nutzung und Aneignung, zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Aktivitäten, zwischen Konnektivität und Kollektivität, Differenz und Wiederholung bewegt. Bildungsforschung wird dann zur Kartografie: Dem Nachzeichnen von Praktiken, die Wissen, Subjekte, Medien und andere Dinge werden lassen.
12Patrick Bettinger (2018, insbes. S. 128 ff.) versteht solche Gefüge von Medienbildungsprozessen als Ko-Produktion von personalem Habitus und Quasi-Habitus des Artefakts.
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Körperpraxis und Körpererfahrung – praxistheoretische und pragmatistische Perspektiven auf Medienbildung und Körperwissen Lucia Sehnbruch und Rüdiger Wild 1 Einführung Mit unserem Beitrag verfolgen wir eine zweifache Zielsetzung. Zum einen soll anhand exemplarischer Phänomene der Digitalisierung die Relevanz inkorporierter medialer Praktiken für die Medienbildung aufgezeigt werden, zum anderen wollen wir den damit einhergehenden praxistheoretischen Implikationen eine pragmatistische Perspektive im Anschluss an John Dewey an die Seite stellen. Auf diese Weise wollen wir den von Hilmar Schäfer (2013) beschriebenen praxeologischen Möglichkeiten einer Destabilisierung von im Habitus verfestigten, inkorporierten Dispositionen mit dem Pragmatismus einen weiteren Ansatz hinzuzufügen, der sich vor dem Hintergrund von Bildungsprozessen und umgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen wie der Digitalisierung als produktiv erweist.
L. Sehnbruch (*) Universität Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] R. Wild FernUniversität in Hagen, Hagen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_7
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L. Sehnbruch und R. Wild
2 Der Ausgangspunkt: Blinde Flecken in der Beziehung zwischen Körper und Medien Das Zusammenwirken von Körper und Medien bildet ein komplexes diskursives Spannungs- und Problemfeld. In seiner Erforschung gibt es eine weitgehende kulturwissenschaftliche Leerstelle (vgl. Sehnbruch 2017, S. 25 ff.), der wir uns zunächst widmen wollen. Grundlagentheoretisch bedeutend für die Rekonstruktion strukturbildender Elemente des K örper-Medium-Verhältnisses und hier inkorporierten Wissens sind hierbei insbesondere Bildschirmmedien1 als poietische Körperpraxis. Ein hervorzuhebendes Merkmal des Bildschirms gegenüber anderen Medien liegt darin, dass die Entdeckungs- und Entwicklungsgeschichte des Mediums im direkten Re/Konstruktionszusammenhang körpergebundener erkenntnistheoretischer Fragestellungen steht. Auf das engste mit der Naturwissenschafts-, Technik- und Wahrnehmungsgeschichte verbunden, wird am Bildschirmmedium im umfassenderen Sinne naturalistische Körper- bzw. Selbstforschung betrieben.2 Im Gegenzug entstehen dabei (Bildschirm-)Apparate die Körperfunktionen simulieren, um Wahrnehmungsanschlüsse herzustellen. Als poietische Körperpraxis entwickelt, tritt der Bildschirm als Wahrnehmungstechnik – von der optischen Camera Obscura über die Fotokamera, die Kinematografie, das Fernsehen bis hin zum Computer – in (massenmedialen) Gebrauch und entspricht Techniken des Selbst.3 Ausgangspunkt der Bildschirmgeschichte ist die in naturwissenschaftlichen Kontexten aufkommende Frage nach den Möglichkeitsbedingungen und Voraussetzungen visueller Erkenntnis des Wahrnehmungssubjekts. Der Körper (Sehen und Denken) – darin liegt der originäre Entstehungs- und Entwicklungszusammenhang des Mediums – ist das Objekt experimenteller Forschung. Die
1Unter
dem Begriff Bildschirmmedium wird hier das mediale Interface, der Bildschirm, mit seinem dahinterstehenden Komplex eines Apparatenetzwerks aus verschiedensten Aufnahme-, Wiedergabe- und Übertragungstechniken gefasst. 2In der hier betrachteten Funktion des Bildschirmmediums als poietische Körperpraxis vergegenständlicht sich der von Janich erörterte „Physiologismus“ (Janich 2000, S. 71), der den europäischen Wissenschaftsprozess charakterisiert: „[D]er menschliche Organismus [wird] mit naturwissenschaftlichen Mitteln in Struktur und Funktion beschrieben und erklärt […]“ (ebd.) und „dadurch selbstverständlich in seinen ‚Eigenschaften‘ von der fachspezifischen Aufmerksamkeit und den besonderen Verfahren des Beschreibens und Erklärens geprägt“ (ebd.). 3Vgl. exemplarisch Sehnbruch (2017, S. 109–114, 127 f., 175–182, 334–343).
Körperpraxis und Körpererfahrung …
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entdeckten Experimentalkonstruktionen- bzw. Anordnungen des Bildschirms und der Körper (Optik, Augen, Nerven, Wahrnehmungsphysiologie, Bewusstsein, Gehirn) sind epistemologisch in besonderer Form verwachsen. Die den Körper nachbildenden poietischen Bildschirmartefakte fungieren als ‚Prothesen‘ zur Wahrnehmungsvermittlung- bzw. Verbesserung und Erweiterung des Körpers.4 Die Maschinisierung unseres Körpers (des Sehens, Denkens, Fühlens, Selbstund Fremdwahrnehmens etc.) und die Inkorporierung von Wissen erfolgen bildschirmgeschichtlich dabei in einem sehr komplexen performativen Systemzusammenhang aus • einem in der historisch-epistemologischen Bildschirmgeschichte verankerten Maschinenverhältnis • technischer Selbstforschung (inaugurierte Bildschirmmedien, die Körper- bzw. Sinnesfunktionen (dis-)simulieren und bei denen Mensch und Maschine in eine Analogie gestellt werden),5 ihren erkenntnistheoretischen Diskursen und epistemologischen Vernetzungen, • Techniken des Selbst (als Subjektivierungsformen und Objektivierungsformen), • massenmedialer Bild-, Zeichen- und Wahrnehmungsproduktion (die von den eigentlichen Bildschirmmedien ins Bild gesetzte Welt, das Gezeigte, das materielle Medium als Fenster zu Welt, mit all den hier einfließenden poietischen Forschungs- und Handlungspraxen die Körperpraxen darstellen und Körperwissen generieren),
4Zur
medientheoretischen Grundlegung der Auffassung von Medien als Prothesen vgl. McLuhan (2005). Eine kulturtheoretische Einordnung der technischen Ausweitung des Menschen findet sich bei Hartmann (2003), im Kontext des technologischen Post- und Transhumanismus erörtert z. B. Krüger (2019) Virtualität als „Verfügbarkeit des Unverfügbaren“. Zur diskurskritischen Auseinandersetzung mit der Prothesenthese der Medien vgl. Harrasser (2013) und Sehnbruch (2017, insbesondere S. 74 ff., 126 ff., 207 f., 383 f.). 5Beispielhaft für die Analogisierung von Körper und (Bildschirm-)Maschine im Kontext der im Mittelalter ihren Ausgang nehmenden Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Bildschirmmediums ist die Deutung des menschlichen Lernvorgangs aus der Perspektive des Kognitivismus, der „wie ein klassischer Informationsverarbeitungsprozess ab[läuft]. Es gibt eine Eingabe (…), die das Gehirn als,informationsverarbeitendes Gerät‛ aufnimmt, verbreitet und daraus eine Ausgabe generiert (erzeugt). Auf dieser (…) sehr abstrakten Ebene werden das menschliche Gehirn und ein Computer als äquivalent angesehen“ (Holzinger 2000, S. 133). Vgl. die exemplarische Rekonstruktion der Analogisierung von Körper und (Bildschirm-)Maschine bei Sehnbruch (2017, S. 382 f.).
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• Bildschirmdispositiven (Bildschirmmedien als Wahrnehmungsinstanzen und verschiedensten Strategien der (Un-)Sichtbarmachung bzw. Selbst- und Fremdwahrnehmung, wie z. B. die Dispositive der Maschinisierung, der Optik, des Realismus, der Transparenz, der Differenzbildung oder der Vermessung) • dem Bildschirm als umfassender symbolischer Zeichen- und Zeichnungsmaschine (die Poiesis der Visualisierung, die sämtliche Derivate der Zeichen-, Bild- und Wahrnehmungsgenerierung im Visuellen umfasst und dabei auch die Maschinisierung des Selbst- und Fremdverhältnisses in einem weiten diskursiven Sinne umschließt). Im Zusammenhang der Geschichte des Mediums wird der menschliche Körper sukzessive als Maschinenkörper entdeckt. Die Bildschirmapparate sowie die im Konstruktionszusammenhang der Entwicklung zur Anwendung kommenden poietischen Handlungspraxen (z. B. wissenschaftlich-technische Zeichnung, Praxen der Vermessung und Berechnung) haben Einflüsse auf Diskursbildungen der Körperkonstruktion, der Körperwahrnehmung, des Körperbildes und der Körperpraxen (vgl. exemplarisch Sehnbruch 2019). Der Bildschirm als (symbolische) Maschine konstituiert, prägt und beeinflusst das Welt- und Selbstverhältnis auf vielfache Weise.6 Die unauflösliche Verbindung zwischen Körper und Maschine, die mit dem Bildschirm historisch gegeben ist, hat sich über viele Jahrhunderte tief in die Schichten unserer Gewöhnung gelegt (vgl. Flusser 1996, S. 83). In ihren epistemologischen Bezugskonstellationen hat sich auf mehrfacher Ebene Wissen (über den Körper, seine ‚Funktionsweise‘, den Erkenntniszugang, das Sehen, das Denken, das Sichtbare, den Anderen, die Welt, das Weltbild, das Selbst- und Weltverhältnis und die Maschine) inkorporiert. In den Bildschirmartefakten verkörpert sich dabei Körperwissen, so wie sich in Körperpraxen Maschinenwissen und Bildschirmbilder inkorporieren. Die jedem Bildschirm vorausgesetzten Wissens- und Maschinenbilder über das Sehen und Denken z. B. schreiben sich als epistemische Spur in die Medialisierung ein. Das inkorporierte Körperwissen in Medien wirkt in der medialen Wirklichkeitsproduktion dabei wieder auf unsere Wahrnehmung zurück. Auf eigentümliche
6Beispiel
dafür sind visuell-technische turns in der Bildschirmgeschichte. Der Wandel des technischen Welt- und Selbstverhältnisses erfolgt z. B. im Rahmen eines dynamischen Wechselverhältnisses der Entdeckung einer Maschine zum Sehen, der Entdeckung des Sinnesapparates, des mechanischen Körpers und der Durchsetzung des mechanistischen Weltbildes bzw. technisch geprägtes Bildes von der Welt etc. die strukturell verbunden sind (vgl. Sehnbruch 2017, S. 124–159, 197–239).
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Weise bzw. als Zeichen der mächtigen Funktionslogik und diskreten Materialität des Bildschirms entzieht sich uns das Medium und tritt hinter die vermeintliche Neutralität von Technik zurück. Es ist die Eigenschaft von technischen Medien, den Blick auf sich, als historischen Gegenstand zu verstellen und eine Weltsicht zu eröffnen, „die ihr eigenes Apriori setzt und deshalb keinen Rekurs auf ihre eigene Geschichte mehr zulassen kann“ (Hagen 2005, S. XIX; vgl. Borck 2001). Medien, so können wir „das kulturelle Schema mit Medien charakterisieren – bleiben der blinde Fleck im Mediengebrauch“ (Krämer 1998, S. 74; vgl. ausführlich auch Sehnbruch 2020). Der individuell-lebensalltägliche Mediengebrauch mit all seinen Facetten und Produktivitätsmerkmalen (vgl. Bettinger 2018, S. 103 ff.) ist in eine überkommene (maschinelle) Ordnung und Struktur eingelassen, die den Körper festsetzt, von ihm abstrahiert, ihn negiert und zum Verschwinden bringt. Aus der Perspektive der Praxeologie, die auf den Körper als Grundvoraussetzung von Handlungen schaut, ist dies ein Paradox gerade weil und insofern praxistheoretisch der Vollzug von Praxis einerseits nicht ohne Körper denkbar ist (vgl. Hillebrandt 2014, S. 61–65), der Mediengebrauch jedoch andererseits als Praxisform eine „körperlose Sozialität“ (ebd., S. 61) darstellt. Dies vermag umso bedeutender, als wir im Zuge der Digitalisierung über Bildschirmmedien auch in zunehmender Weise zwischenmenschliche Beziehungen unterhalten, wir interagieren, wir uns selbst gestalten und reflektieren, wir Sender*innen, Akteur*innen und Mitgestalter*innen sind und sich so mehr und mehr Bereiche unserer Lebenswelt (Freizeit, Arbeit) in das Mediale verschieben. Der Bildschirm eröffnet dahin gehend vielfältige Potenziale und Chancen. Die Hochtechnisierung des Sozialen stellt uns jedoch nicht nur vor die Herausforderung der Kultivierung eines demokratiefähigen sozialen Miteinanders ohne unmittelbare körperliche Teilhabe. Vor allen Dingen ist uns auch die Potenzierung der Technisierung bzw. Maschinisierung unserer Erfahrungswirklichkeit an sich wenig bewusst. Dabei ist aus unserer Sicht nicht der Technikdeterminismus, sondern die immer größere Reichweite größtenteils unreflektierter Manipulation und Kontrolle (im Zuge des Mediengenrauchs) als gravierenderes Problem einzuschätzen. Bereits die überkommenen analogen Bildschirmmedien sind als symbolische und dispositive Maschinenmacht wenig in den Fokus der Theoriebildung und Öffentlichkeit genommen worden (vgl. Sehnbruch 2017, S. 379–393). Im Sinne einer umfassenden Medienbildung sollte es z. B. auch darum gehen, diese hintergründigen Machtstrukturen bewusst zu machen, um diskursive Gewohnheitsstrukturen verstören zu können bzw. um Gewohnheiten zu verändern (vgl. Ferrin 2013, S. 37). Die Auseinandersetzung mit der historisch-epistemologischen Entwicklung des Bildschirms stellt einen wichtigen Zugang zu praxistheoretischen
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Perspektiven in der Medienbildung dar. Das Bildschirmmedium als solches ist kein neutraler, passiver Vermittler. Die diskrete Materialität des Mediums, seine Technik, hat eine dispositive Bedeutung, u. a. geht der Erfahrung eine (symbolisch) maschinelle Struktur voraus.
3 Doing media practice: Selfies als Körperbildungspraxis Als eine der neuartigeren Praxen medialer Körperbildung im Zeitalter der Digitalisierung wollen wir vor dem skizzierten Problemhintergrund das Phänomen des Selfies etwas näher beleuchten. Selfies aufnehmen, posten und liken beschreibt eine der Ausformungen interaktionsbasierter Selbstdarstellung, die im Lebensalltag des Gebrauchs sozialer Medien eine elementare Bedeutung erlangt hat. Das werbefinanzierte Netzwerk Instagram z. B., gehört mit seiner über einer Milliarde Nutzer*innen zu einer der weltweit populärsten Plattformen, die primär auf dem Austausch bzw. Teilen von Bildern basiert (vgl. Kneidinger-Müller 2017, S. 73 f.). Als Körperpraxis zeigt sich „Doing Selfie“ (Rosalie 2017) heute auch als Antwort auf unseren maßgeblich von zunehmender Individualisierung und Kontingenz geprägten gesellschaftlichen Wandel, in dem „Suchbewegungen und experimentelle Formen der Existenz“ (Marotzki 1990, S. 29) „zur permanenten Vollzugsform“ (ebd.) unseres Daseins geworden sind. Als Form symbolischer Abarbeitung der „ständig im Raum stehenden Reflexionserfordernis“ (Bettinger 2018, S. 9) birgt die Selfie-Praktik weitreichende experimentelle und kreative Potenziale. Die gestalterischen Möglichkeiten im Prozess der Herstellung eröffnent der Auseinandersetzung des Individuums mit sich, seiner Körperlichkeit, seiner Selbstimagination Freiheiten sich (im gewissen Grad immer wieder neu) zu erfinden, zu gestalten und zu entdecken, gerade auch weil und insofern das medialisierte Körper-Ich im mehr oder weniger augenblicklich ‚sprechenden‘ Spiegel des Anderen (Likes, Posts bzw. Kommentare, Resonanz) steht. Als fluide Materialisierung der Körperpraxis hat ‚Doing Selfie‘ besonders bei jungen Erwachsenen (Hauptnutzer*innen der App), eine zentrale Bedeutung für die Identitäts- bzw. Persönlichkeitsentwicklung und der damit verbundenen Identifikation mit dem eigenen Körper gewonnen.7 In Gestalt von Prosumern – hieran tritt die Veränderung medialer Strukturbildungen (vgl. komprimiert Jörissen
7Vgl.
ausführlicher Kneidinger-Müller (2017), Gojny (2016) und Lovink (2019, S. 158–169).
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2013) beispielhaft am Instagramgebrauch zum Vorschein – wirkt ‚Doing Selfie‘ in gesellschaftliche Transformationsprozesse hinein. In künstlerischer Hinsicht eröffnet ‚Doing Selfie‘ diverse Möglichkeiten die medialisierte Körperpraxis an sich – und damit auch die gesellschaftlichen Reflexionserfordernisse selbst – ästhetisch, historisch, kritisch zu reflektieren und zu diskutieren. Exemplarisch wollen wir hier auf die Bewegung #artselfie des in New York ansässigen Künstlerkollektivs DIS verweisen (vgl. DIS 2014). Digitale Körperbildungspraxen – dafür stehen etwa Selfie-Proteste als Bildpraktiken des Politischen – haben z. B. auch „Formen von zivilgesellschaftlichem Protest, Teilhabe und Zeugenschaft hervorgebracht (…), die maßgeblich von Affekten und von Bildern bestimmt sind“ (Schankweiler 2016, S. 2; vgl. ausführlicher Grohmann et al. 2015). Die gegen Alltagsrassismus protestierende Social Media Initiative #auchichbinindeutschland und die für den Bruch mit Stereotypen und Vorurteilen an Universitäten stehende Initiative #itooamnotredame sind Beispiele hierfür. Noch bevor im Perspektivwechsel auf Begrenzungen des ‚Doing Selfie‘ als Körperpraxis diskursive Strukturen zu problematisieren sind, die der Erfahrung beim Selfie-Akt vorausgehen und Handlungen im Vollzug prägen (z. B. Einflüsse auf Selbst- und Fremdwahrnehmung, Stereotypen- bzw. Phänotypenbildung), ist zu reflektieren, was ‚freie‘ Selbst- bzw. Körperbildung unter gegenwärtig medialen Bedingungen von Big Data heißt. Während das „digitale Netz […] am Anfang als ein Medium unbegrenzter Freiheit gefeiert [wurde]“ (Han 2014, S. 18) hat sich mittlerweile ein hocheffizientes digitales Panoptikum herausgebildet (vgl. ebd., 18 f., Han 2012; Bauman und Lyon 2013). Die digitale Kontrollgesellschaft, so Han, macht gerade intensiv Gebrauch von der Freiheit: „sie ist nur möglich dank freiwilliger Selbstausleuchtung und Entblößung“ (Han 2014, S. 19). Dabei tritt Big Data „nicht nur in Form von Big Brother, sondern auch von Big Deal auf“ (ebd., S. 89), insofern „persönliche Daten […] restlos monetarisiert und kommerzialisiert [werden]“ (ebd.). Damit in der ein oder anderen Form strukturell verbunden, weisen hyperreale Körperbildungsprozesse verschiedene Erosionen auf. ‚Doing Selfie‘ bewegt sich im Spannungsfeld von Authentizität versus Inszenierung. Wir sollen z. B. ‚natürlich‘ wirken, Posing bzw. Profilierung sind unterschwellig jedoch einem Komplex gesellschaftlicher Maßgaben unterworfen (zum Profilierungsdispositiv vgl. Weich 2017). Oft erfolgt z. B. vermittels Bildüberarbeitung eine Orientierung an hyperästhetisierten körperlichen Idealbildern, die in der außermediären Lebenswirklichkeit nicht existieren. In der hierdurch generierten Simulationsschleife nie
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erreichbarer Maßgaben – die umso mächtigere Maßgaben bilden – gibt sich eine der Funktionslogiken des Performativen im Apparatuskomplex des Bildschirms zu erkennen. Unsere körperlose Sozialität beim Mediengebrauch, dies zeigt sich am Beispiel des ‚Doing Selfie‘, untersteht dem neoliberalen Profilierungs- und Selbstoptimierungsdruck (vgl. Lovink 2019, S. 74; Han 2014, S. 43–46; Selke 2016).8 Das in den Wettkampf geschickte getunte Fakie wird mehr oder weniger im Sinne eines radikalen Leistungsprinzips (Ranking, Social Scoring) gelikt bzw. bewertet, womit wir weitgehendst unbewusst am Aufbau eines umfassenden entsolidarisierenden sozialen Klassifizierungssystems mitwirken.9 Mit dem Klick auf den Likebutton per Smartphone, das laut Han eine „digitale Devotionalie“ (Han 2014, S. 23) darstellt, „unterwerfen wir uns dem Herrschaftszusammenhang“ (ebd.) und produzieren diesen mit. Im Kontext unserer medienbildungstheoretischen Position, die darauf zielt, Machtstrukturen zu reflektieren und mit Gewohnheiten überkommener Praxen, Haltungen und Einstellungen zu brechen, gilt es vor allem ins Bewusstsein zu führen, dass die Freiheit des Prosumers mit der Unfreiheit des digitalen Panopticons eingekauft wird und die Rückwirkung der endlos produzierten Differenz zwischen physischem Körper-Ich und seiner diskursiv hyperästhetisierten Idealvorstellung verschiedene Problematiken birgt (z. B. immer weitere Normierung, Maschinisierung, Vermessung, Berechnung, Kontrolle, Druck, Konsumismus, Sexismus), deren Aufklärung gerade jugendliche Hauptnutzer*innen mit noch nicht gefestigter Persönlichkeit und nicht ausgereifter Selbstbestimmung und kritischer Reflexionsfähigkeit bedürfen. Es gilt im Umgang mit Medien ihre sich uns entziehende bedeutungskonstituierende Macht sichtbar zu machen, Medienbildung als Demokratiebildung (u. a. informationelle Selbstbestimmung) stark zu machen und auf dieser Grundlage autonomere (Körper-)Bildungsprozesse mit Medien und damit eine Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen anzuregen, die Partizipation und Mitbestimmung ermöglicht.
8Vgl.
die soziologische Studie des „unternehmerischen Selbst“ von Bröckling (2007). In seiner Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Neoliberalismus spricht Bröckling von einem „Regime der Subjektivierung“ (Bröckling 2007, S. 10) und Imperativ der Kreativität des Individuums als „Zivilreligion des unternehmerischen Selbst“ (ebd., S. 152). 9Vgl. ausführlich Mau (2017, insbesondere S. 49–102) und Bauman und Lyon (2013, S. 28, 36 f., 44, 60 f., 150–161).
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4 Praxis und Erfahrung oder: vom Habitus zur Reflexion und zurück Wie medienbildungstheoretisch hergeleitet und exemplifiziert anhand der Selfiepraxis als einer Entäußerung des Digitalen,10 hinter welcher sich vielfältige Strukturen von Inkorporierungen verbergen, betrachten wir (Medien-)Bildung als einen Prozess der Transformation im Wechselverhältnis von Individuum und Gesellschaft. Auch in praxeologischen bildungstheoretischen Aufschlüssen (z. B. Rosenberg 2011) wird Bildung als Transformation gedeutet, die hier vor allem – im Anschluss an Pierre Bourdieu – am Habitus ansetzt. Mit seinem Habituskonzept hat Bourdieu einen theoretischen Versuch vorgelegt, zwischen sozialen Strukturen auf der einen und den Praktiken von Akteuren auf der anderen Seite zu vermitteln. Bourdieu vertritt die Auffassung, „dass die sozialen Akteure in ihren Handlungen nicht vollkommen frei sind, da sie aufgrund der Inkorporierung sozialer Strukturen Einschränkungen und Grenzen unterliegen, die sie kaum überschreiten können. Diese Grenzen des Handelns sind den Akteuren nicht bewusst, daher werden die meisten Entscheidungen auch nicht nach dem Prinzip der rationalen Wahl getroffen“ (Schäfer 2012, S. 22). Bourdieu wendet sich in seinem Ansatz sowohl gegen einen voluntaristischen Subjektivismus, der die Rolle gesellschaftlicher Voraussetzungen zugunsten eines intentionalen Handelns unberücksichtigt lässt, wie auch gegen einen strukturalistischen Objektivismus, der in jeder Praxis nichts als die performative Aufführung sozialer Strukturen zu erkennen glaubt (vgl. ebd., S. 21). Demgegenüber vereint der Habitus individualistische und gesellschaftliche Bedingungen, indem der ein System von Dispositionen für das Subjekt und seine Praxis bezeichnet, die sich durch die Erfahrungen sozialer Realitäten gebildet haben und im Körperlichen der Person festgeschrieben sind. Habitus meint somit die körperlich verinnerlichten „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1987, S. 101), in denen sich soziale Strukturen wiederfinden und die sich auf die Lebensführung der Individuen auswirken und deren Unterschiede ausmachen. Nun zeichnet es den Habitus aus, dass er relativ träge ist: Ein Individuum kann nicht einfach seinen Habitus abstreifen und durch einen neuen ersetzen, da seine erworbenen Schemata inkorporiert sind und diese somit Differenzen
10Eine weitere Form der digitalen Entäußerung ist z. B. die symbolische Repräsentation des eigenen Selbst in Online-Dating-Portalen, in die das rekursive Verhältnis von Körperpraxen und Medientechnik strukturbildend einfließt und sich an – im Sinne Foucaults – heterotopischen Mustern der Illusion und Perfektion orientiert (vgl. Wild 2017).
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von Individuen bzw. von Gruppen von Individuen klassentypisch markieren. „Auf diese Weise lokalisiert Bourdieu die Reproduktion sozialer Ungleichheit in der Persistenz der inkorporierten habituellen Schemata. Dies wirft die Frage auf, ob damit nicht die Reproduktion der Struktur, die Bourdieu in seiner Diskussion der objektivistischen Position kritisiert hat und durch den Einbezug der subjektivistischen Dimension überwinden wollte, wieder eingeführt wird“ (Schäfer 2012, S. 24). Entsprechend wurde Bourdieus Habituskonzept vielfach als deterministisch kritisiert, weil es immer nur der Statik des Sozialen entspreche und weder gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, noch individuelle Handlungsfreiheit und Bewusstwerdungsprozesse erklären könne (vgl. ebd.). Bourdieu begegnet dieser Kritik, indem er den Akteur*innen durchaus Freiheitsgrade im Handeln zugesteht, nur dass deren Handlungen in der Regel allein innerhalb der Grenzen, denen die Akteur*innen durch ihre Dispositionen unterliegen, vollzogen werden können (vgl. ebd., S. 18). Durch seine körperliche Verinnerlichung kann der Habitus einer Person nur unter enormen Anstrengungen, etwa im Sinne eines Trainings, überwunden und so in Ausnahmefällen eine Veränderung des Habitus herbeigeführt werden (vgl. Bettinger 2018, S. 51). Das unbewusste Begehren einer grundlegenden Habitusmodifikation entsteht vor allem dann, wenn der etablierte Habitus auf neue oder veränderte soziale Realitäten trifft, etwa auf gravierende gesellschaftliche Umbrüche oder wenn z. B. Widersprüchlichkeiten im Habitus durch soziale Auf- und Abstiege entstehen. In solchen Fällen „wird die Spaltung des Habitus jedoch lediglich als Riss zwischen zwei wiederum als homogen konstruierten Einheiten verstanden. Bourdieus Soziologie kennt also nur wenige Ausnahmefälle, in denen Habitus und soziale Welt nicht im Einklang stehen und kann diese nur als temporäre Missverhältnisse oder mit der Residualkategorie des ‚gespaltenen Habitus’ erfassen“ (Schäfer 2012, S. 26). Auch wenn zumindest der Vorwurf des habituellen Determinismus damit zurückgewiesen werden muss (vgl. auch Bettinger 2018, S. 48) und dem Habitus in Bourdieus Konzept durchaus Transformationspotenziale zugesprochen werden können, so sind seine Veränderungsmöglichkeiten doch reduziert auf Ausnahmesituationen oder begrenzt durch die Dispositionen der Individuen. Es stellt sich berechtigterweise die Frage, ob und wie diese tendenzielle Trägheit und Konstanz des praxistheoretisch verstandenen Habitus mit einem auf vielfältigen Transformationen aufbauenden Bildungsverständnis in Einklang zu bringen ist. An dieser Stelle erscheint uns der Bezug auf den Pragmatismus und insbesondere Dewey sinnvoll, der vor knapp hundert Jahren ein Konzept von habits vorgelegt hat, das deutliche Parallelen zu Bourdieu aufweist.
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Nicht nur in Bezug auf gewohnheitsmäßiges Handeln, sondern grundsätzlich – so wollen wir kurz anmerken – zeigen sich verblüffende Analogien in den Intentionen von Pragmatismus und Praxistheorie, sodass eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser beiden Richtungen schon vor einiger Zeit als Forschungsdesiderat erkannt oder auf ihre fruchtbare Nähe hingewiesen wurde (vgl. Schäfer 2012, S. 19; Reckwitz 2003, S. 283; Bogusz 2009). Geeint sind praxeologische und pragmatistische Ansätze vor allem in ihrer Ablehnung einer auf intentionalen und rationalen Handlungsmomenten beruhenden Erklärung sozialer Prozesse und Handlungen. Nicht die individuellen Absichten und Interessen im Rahmen eines normorientierten Handlungsmodells stehen hier im Vordergrund einer Betrachtung sozialen Handelns – wie etwa bei den Handlungstheorien rationaler Wahl –, sondern ein „Verständnis von Handlungen als inkorporierte, präreflexive Routinen“ (Schäfer 2012, S. 20). Damit einher geht der Versuch, den cartesianischen Dualismus zwischen Körper und Geist bzw. Denken und Handeln zu überwinden. Auch individualistische Vorstellungen werden in diesem Zusammenhang von beiden zurückgewiesen. Pragmatismus und Praxistheorien betonen demgegenüber, dass die sozialen Subjekte weniger rational und voraussetzungslos agieren, als vielmehr selbst immer schon durch soziale Gegebenheiten konstituiert sind, die sich maßgeblich auf deren Handlungen auswirken. Auch geht es beiden Ansätzen darum, Handlungen hierbei in erster Linie als Ausdruck von Körperlichkeit zu begreifen (vgl. Dietz et al. 2017, S. 7). Vor diesem Hintergrund geht Dewey davon aus, dass die von ihm bestimmten habits mehr sind als nur individuell internalisierte Routinen (vgl. insbesondere Dewey 1922). Im habit als verkörperte Gewohnheiten verschmelzen nicht nur Körper und Geist und damit Kultur und Natur auf untrennbare Weise (vgl. Laux 2017, S. 174 f.), sie dienen auch als „Scharnier zwischen Individuum und Gesellschaft“ (ebd., S. 175), weil sie das Subjekt in seinen Gewohnheiten als Ausdruck von sozialen Prozessen fassen. Ein Individuum und seine Gewohnheiten können nicht ohne den Hintergrund einer Gesellschaft, der sie entstammen, gedacht werden. Handeln findet nicht isoliert statt, sondern ist immer ein Handeln innerhalb eines sozialen Gefüges. Essenzielles Merkmal von habits ist für Dewey ebenso, dass diese Handlungen im alltäglichen Ablauf habitualisieren und ritualisieren und damit zur Reproduktion von Handlungsschemata führen. Im Normalfall denken wir über diese Schemata in ihrer Ausführung gar nicht mehr nach. Auch habits können so als präreflexive Inkorporationen verstanden werden, doch weisen sie eine größere Offenheit auf, als der praxeologische Habitus, wenn sie auf neue Situationen treffen: Zwar gilt auch für habits, dass diese „in der Interaktion mit signifikanten Anderen im Kontext der Bräuche (customs) und
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Institutionen einer sozio-kulturellen Umwelt“ (Neubert 2012, S. 18) entstehen, doch sind habits für Dewey nicht nur als „passive Gewöhnungen, Routinen und feststehende Gewohnheiten zu verstehen … Der Begriff bezeichnet für ihn vielmehr in erster Linie aktive und dynamische Kräfte, die den Menschen in die Lage versetzen, Handlungsfähigkeit gerade auch angesichts neuer und ungewohnter Situationen zu bewahren. Die damit verbundene Anforderung, „habits“ flexibel zu halten und in einem Prozess lebenslangen Lernens immer wieder zu erweitern und partiell umzuformen, hält Dewey für eine zentrale (auch erzieherische) Herausforderung des Lebens in einer durch zunehmende Dynamik und Mobilität geprägten Industriegesellschaft“ (ebd., S. 18 f.).
Das Potenzial des Pragmatismus für ein praxeologisches Bildungsverständnis der Transformation wird auch von Nohl, Rosenberg und Thomsen (2015) herausgehoben, indem sie die flexiblen und aktiven Eigenschaften der deweyschen habits für ihre lern- und bildungstheoretischen Überlegungen dezidiert aufgreifen und diese im Zusammenspiel mit einem eher veränderungsresistenten praxeologischen Habituskonzept und unter Rekurs auf die praxeologische Wissenssoziologie mit deren Begriff der „Handlungsorientierung“ (Bohnsack 2007) zu einem konsistenten Ansatz verdichten, der nicht nur zur Bestimmung und Differenzierung von Bildung und Lernen beiträgt, sondern auch innerhalb eines erziehungswissenschaftliches Diskurses innovativ praxistheoretische Implikationen mit pragmatistischen Perspektiven verknüpft. Nohl, Rosenberg und Thomsen deuten hierbei habits als funktionale Komponenten eines praxeologisch verstandenen Habitus, die sich aber im Gegensatz zu diesem nicht auf eine Totalität von Selbst- und Weltreferenzen beziehen, sondern lediglich auf „Ausschnitte von Selbst- und Weltbeziehungen“ (Nohl et al. 2015, S. 215). Der Habitus liegt damit auf einer den habits übergeordneten Ebene, von der aus er die situativen Aspekte des Handelns und der Praxis präfiguriert, wohingegen habits konkreter gedacht „zwischen Akteur und Welt innerhalb einer Situation vermitteln“ (ebd., S. 216). Lernen findet für Rosenberg, Nohl und Thomsen vor diesem Hintergrund immer dann statt, wenn sich habits in neuen und unbekannten, nicht unbedingt immer nur als problematisch oder krisenhaft erfahrene Situationen, verändern und als konstitutive Strukturelemente des Habitus auch zu dessen Modifikation beitragen ohne aber diesen als übergeordnete Struktur relevant zu transformieren. Bildung hingegen ist für Nohl, Rosenberg und Thomsen gleichzusetzen mit einer grundlegenden Habitustransformation, die dann stattfindet, wenn nicht nur einzelne habits sich verändern, hinzukommen, wegfallen oder bedeutsam werden, sondern sich ein „Gesamtbündel“ (ebd., S. 233) von habits so stark transformiert, dass es den gesamten Habitus betrifft und das Neue in einer „Phase der
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elevanzverschiebung“ ins „Zentrum der Lebenspraxis“ (ebd., S. 263) tritt, sich R dort verfestigt und in einen schließlich veränderten Habitus mündet. Wie Bourdieu zeigt, sind es vor allem Anpassungsschwierigkeiten des Habitus auf veränderten sozialen Feldern, die zu dessen Transformation führen können. Solchen in stetiger Veränderung begriffenen sozialen und kulturellen Realitäten begegnen wir heute vielfach mit der Digitalisierung, die das Verhältnis von Körper und Medien in immer mehr lebensweltlichen Bereichen als virulent erscheinen lässt. Für Medienpädagogik und Medienbildung ist es nach unserem Dafürhalten unerlässlich, dieses Verhältnis deutlicher ins Bewusstsein zu rücken – gerade auch in Hinblick auf den eingangs beschriebenen paradoxalen Zustand der praxistheoretischen Perspektive eines Verschwindens der Körper hinter ihren eigenen medialen Bezügen. Um dieser körperlosen Inkorporierung im Medienvollzug medienpädagogisch und medienbildungstheoretisch begegnen zu können, erscheinen uns Prozesse der Reflexion, die für praxeologische Sichtweisen kaum Bedeutung als Handlungskonstituenzien aufweisen, in besonderem Maße relevant als Grundlage einer Transformation von habits und infolge dessen auch für eine Reaktualisierung des Habitus.11 Hier zeigt sich die Stärke des Pragmatismus für unser (Medien-)Bildungsverständnis, denn während praxistheoretische Ansätze in ihrer Auffassung von Praktiken als präreflexive Handlungsschemata Reflexion als potenziell handlungsauslösendes oder-formierendes Moment eher unberücksichtigt lassen, betont der Pragmatismus – und hier insbesondere Dewey – ein iteratives „Wechselspiel“ (Dietz et al. 2017, S. 8) von unreflektierten, routinisierten Handlungsabläufen und reflektiertem Handeln zum Zweck der Generierung von Erfahrungen. Reflektiertes Handeln ist für Dewey gerade in neuen, unbekannten und unsicheren Situationen sinnvoll und mündet in einen erweiterten Erfahrungsschatz, der sich diesen Situationen anzupassen weiß. Neue Erfahrungen bewirken veränderte Handlungsweisen, die sich dann wieder als neue präreflexive Routinen in einem erweiterten Handlungsrepertoire etablieren können. Reflexion ist somit für den Pragmatismus eine Grundlage von sozialen und individuellen Veränderbarkeiten und Entwicklungen.
11So
wird auch bei Nohl, Rosenberg und Thomsen das reflexive Moment in der Entwicklung von habits eher nachrangig behandelt. Ein Versuch, Reflexion praxistheoretisch zu deuten, unternimmt Reckwitz, der aus einer praxeologisch-kulturtheoretischen Sicht zeigt, wie Reflexivität in einer als reflexiv verstandenen zweiten Moderne selbst zu einer bedeutsamen Praxis generiert (vgl. Reckwitz 2009).
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Die gegenseitigen Verweisungszusammenhänge von Körper und Medien führen nun aber dazu, dass sich mediale Praktiken bereits derart in Körpererfahrungen eingeschrieben haben (vgl. ‚Selfie-Doing‘), dass Reflexion auch auf einer höheren Ebene, welche Nohl, Rosenberg und Thomsen für den Habitus ausweisen, medienpädagogisch fruchtbar gemacht werden könnte, um den hinter seinen eigenen Medienhandlungen verschwundenen Körper wieder ins Sichtfeld zu befördern und die durch mediale Körperpraxen beeinflusste Körperbildung kritisch zu reflektieren. Denn – so unsere Annahme – erst durch Reflexion als notwendige Bedingung der Möglichkeit sich verändernder Praktiken und einer Habitustransformation gerät Körperpraxis in und mit digitalen Medien in ein produktives medienpädagogisches Bezugsfeld.
5 Schluss Körper und Praxen rekonstruieren und reaktualisieren sich in Medientechnik und Mediennutzung und werden in ihrem Vollzug gleichzeitig von diesen verdeckt. Eine praxistheoretische Perspektive auf Medien scheint aus unserer Sicht besonders geeignet, sich dem komplexen Verweisungszusammenhang von Körper und Medien anzunähern und ihn aus der Verborgenheit heraus auf das Tableau sozial- und kulturwissenschaftlicher Betrachtung zu rücken, gerade weil Praxistheorie auf die Identifizierung von Inkorporierungen abzielt, die sich hinter der wirklichkeitsproduzierenden und das Körpersubjekt jenseits seiner eigenen Simulation ausblendenden Konstituierung des Medialen verbergen. Praxistheoretische Zugänge wären daher geeignet, den blinden Fleck der strukturellen und epistemischen Zusammenhänge von Körper und Medien und die entsprechenden Verflechtungen zu reflektieren und offenzulegen. Doch obwohl Praxistheorien das Ziel verfolgen, Praxen in ihrer Verankerung im Sozialen und eingelagert in diverse, u. a. mediale Materialitäten zu rekonstruieren und ihr somit ein nicht unerhebliches reflexives Potenzial zugesprochen werden kann, werden Reflexionsprozesse handelnder Subjekte als vermeintliches Merkmal intentionaler Handlungsabsichten kaum thematisiert. Dass Reflexionsprozesse aber auch im nicht-internationalen Handlungsvollzug vorstellbar sind, kann der Pragmatismus nach Dewey zeigen. Reflexionen sind für Dewey neben neuen Erfahrungen Grundlage für die Veränderbarkeit von habits, die sich auch auf Habitustransformationen im praxistheoretischen Sinn auswirken können. Der Pragmatismus rückt damit deutlicher als im Habituskonzept den produktiven und konstruktiven Umgang mit sich transformierenden Realitäten in den Vordergrund. Wie habits und Habitus aber auch zueinander stehen mögen – letztlich stellt sich für die Pädagogik
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grundsätzlich die Frage, wie diese zum Zweck von Bildungsprozessen transformiert werden könnten. Im Rahmen der Medienbildung erscheint uns die Sichtbarmachung verankerter medialer Gewohnheiten die sich im Habitus einlagern, als ein erster Schritt: Eine Reflexion impliziten medialen Körperwissens, dessen Diskursivierung, die darauf aufbauende Förderung von Möglichkeiten für neue Körpererfahrungen in und mit Medien und eine sich möglicherweise ausbildende veränderte Körperpraxis sind aus unserer Sicht in besonderem Maße als Aufgabenfeld einer praxistheoretischen Medienbildung zu begreifen, um uns noch/wieder Freiheitsgrade im Praktischen zugestehen zu können, die jenseits das Körperliche determinierender Habitusstrukturen und eines unkritischen und allein reaktiven Medienkonsums zu verorten sind.
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Medien und Sozialisationsforschung – ein praxeologischer Ansatz. Langzeitstudie zur Rolle von Medien bei sozial benachteiligten Heranwachsenden Ingrid Paus-Hasebrink
Zusammenfassung
Ausgehend von einer evidenzbasierten praxeologisch ausgerichteten Perspektive, wie Menschen – auch mit Hilfe von Medien – ihrem Leben Sinn verleihen, diskutiert der Beitrag am Beispiel einer Langzeitstudie zur Mediensozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender die Rolle lebensweltlicher Bedingungen und die Bedeutung ihrer darin eingelagerten Praktiken des alltäglichen Mediengebrauchs. Eine solche Perspektive kann als Ausgangspunkt konkreter Praxiskonzepte zur Förderung und Unterstützung von Mediennutzern und Mediennutzerinnen beim Aufbau von Medienkompetenz dienen. Schlüsselwörter
Praxeologie · Lebenswelt · (Medien-)Sozialisation · Mediengebrauch · Langzeitforschung 1
I. Paus-Hasebrink (*) Universität Salzburg, Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_8
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1 Vorbemerkung Ziel des Beitrags ist es, eine Perspektive vorzustellen, die danach fragt, wie Menschen – auch mit Hilfe von Medien – ihrem Leben Sinn verleihen, um vor diesem Hintergrund wirksame und auf Mediennutzer*innen zugeschnittene Angebote zur Förderung von Medienkompetenz entwickeln zu können. Basis dafür ist der Blick auf den ‚alltagspraktischen Sinn‘ kommunikativen Handelns und seiner Herausbildung und Weiterentwicklung im Zuge der lebenslangen Sozialisation von Individuen in ihrer jeweiligen von der sozialen Lage geprägten Lebenswelt. Mit einer evidenzbasierten praxeologisch ausgerichteten Perspektive auf die Entwicklung kommunikativer, respektive Medienkompetenz können konkrete Praxiskonzepte für die Förderung und Unterstützung von Mediennutzer*innen entwickelt werden. Der Beitrag ist folgendermaßen gegliedert: Er umreißt zunächst das Verständnis von Praxeologie, um darauf aufbauend die zentralen Bausteine des zugrunde liegenden Ansatzes der (Medien-)Sozialisationsforschung näher vorzustellen. Am Beispiel einer zwölf Jahre umfassenden Langzeitstudie (2005 bis 2017) zur Rolle von Medien in der Sozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender in Österreich (Paus-Hasebrink et al. 2019a, b) wird anschließend die Bedeutung einer praxeologisch ausgerichteten (Medien-)Sozialisationsforschung konkretisiert. Der letzte Punkt ist der Frage gewidmet, woran vor diesem Hintergrund wirksame (medien-)pädagogische Konzepte zur Förderung einer umfassenden kommunikativen Kompetenz ansetzen können, die es dem Individuum ermöglichen, sich im kommunikativen Handeln mit anderen im sozialen Zusammenhang bestmöglich einzubringen.
2 Zur Praxeologischen Perspektive Im Mittelpunkt der praxeologisch ausgerichteten Perspektive auf Mediensozialisation steht die Frage, welche Relevanz Medien im Alltag von Heranwachsenden, aber auch von Erwachsenen, in Bezug auf ihre Identitätskonstruktion, ihren Aufbau von Wissen und bei der Wertevermittlung zukommt. Im Kontext der jeweiligen lebensweltlichen Verankerung der bzw. des Einzelnen bestimmen spezifische soziale Zusammenhänge das Spielfeld der Möglichkeiten für ein Individuum, Identität auszubilden, gegebenenfalls zu schärfen oder zu verändern und somit Handlungskompetenz im Alltag zu erwerben und diese möglichst konstant zu halten. Um Prozesse dieser Art analytisch zu fassen und empirisch operationalisierbar zu
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machen, ist ein begrifflicher Rahmen notwendig, der es erlaubt, soziale Zusammenhänge sowohl im Sinne von individuellen biografischen Veränderungen als auch von Veränderungen auf der Meso- und Makroebene zu untersuchen. Dem Beitrag liegt die Annahme zugrunde, dass sich mit einer praxeologischen Perspektive rekonstruieren lässt, wie Heranwachsende in ihren Familien aufwachsen, wie Erwachsene in ihren privaten und beruflichen Alltagskontexten agieren und in ihrem Mediengebrauch1 Medienangeboten vor dem Hintergrund jeweils spezifischer, sich dynamisch verändernden medialen Bedingungen und den damit verbundenen Nutzungsmodi (Hasebrink 2004)2 ‚praktischen Sinn‘ (Bourdieu 1993) verleihen. Darin eingelagert ist ihr Umgang mit spezifischen Medienrepertoires (Hasebrink und Popp 2006). Danach stellen sich Nutzer*innen aus dem gesamten Medienangebot ihr persönliches Repertoire zusammen und integrieren es in ihre bereits bestehenden Repertoires. Mit dem Blick auf die Muster subjektiver Sinngebung (siehe dazu auch Weiß 2013, S. 33), d. h. wie Menschen – und dies auch mit Hilfe von Medien – ihren Handlungen im Alltag Sinn verleihen und spezifische Praktiken ausbilden, erfolgen Forschung und entsprechende Konzeptbildung weder aus einer ‚subjektiven‘ noch ‚objektiven‘ Perspektive. Die Herangehensweise speist sich vielmehr aus der Frage nach dem ‚praktischen Sinn‘, der auf Bourdieus ‚Theorie der Praxis‘ (1979) fußenden Praxeologie. Ins Visier gefasst wird dabei das je individuelle, aber dennoch über die Einzelperson hinaus weisende Lebensumfeld, in dem er bzw. sie agiert bzw. agieren kann. Mitbetrachtet werden also die sozialen Räume bzw. das soziale Milieu. Der Blick gilt Mediennutzer*innen in ihrer jeweiligen Lebensführung, ihrem je spezifischen Alltag und den ihnen tatsächlich oder symbolisch zur Verfügung stehenden sozialen Räumen.
1Mediales Handeln von Individuen wird als Gebrauch von Angeboten vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt verstanden (siehe dazu ausführlicher Paus-Hasebrink 2013). 2Das Modell der Kommunikationsmodi erlaubt die konzeptuelle Unterscheidung der einem Kommunikationsdienst inhärenten jeweiligen technischen, ökonomischen, inhaltlichen, dramaturgisch-ästhetischen Merkmale, die mitbestimmt werden von den je spezifischen Produktionsbedingungen und Angebotsweisen eines medialen Produkts und damit des jeweiligen Gebrauchspotenzials eines Dienstes, und den von den Handelnden geprägten spezifischen Gebrauchsweisen. Die Kommunikationsmodi lassen spezifische Muster von Erwartungen und Gebrauchsweisen der medial Handelnden – also einen speziellen Modus – erkennen, den sie einnehmen, um bestimmte kommunikative Funktionen zu erfüllen (Hasebrink 2004, S. 73).
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2.1 Bausteine der theoretischen Basis Im Folgenden werden die zentralen Bausteine – Lebenswelt und Lebensführung, Habitus, soziales Milieu und soziale Lage – der diesem Beitrag zugrunde liegenden praxeologischen Perspektive kurz vorgestellt (siehe dazu ausführlicher Paus-Hasebrink 2018a).
2.1.1 Lebenswelt, Lebensführung, Habitus, soziales Milieu und soziale Lage Im Zentrum der ‚Theorie der Praxis‘, des ‚praktischen Sinns‘, steht die Frage, wie Menschen ihrem Leben vor dem Hintergrund ihrer Alltagsbedingungen Sinn verleihen. Bourdieus ‚Theorie der Praxis‘ und seine Kategorie des Habitus bilden die Kernaspekte einer im Folgenden näher vorgestellten praxeologisch ausgerichteten Sozialisationsforschung (Paus-Hasebrink 2018a). Bourdieus Habitus-Kategorie bietet das Instrument, um den inneren Zusammenhang von Eigenschaften der sozialen Lage, den ihr zugehörigen Ressourcen und den diesen Ressourcen eingeschriebenen Regeln und Optionen des Handelns in Mustern subjektiver Sinngebung, die für den Mediengebrauch prägend werden, beschreibbar zu machen. Bourdieu fasst den Habitus als inkorporierte soziale Struktur (vgl. Bourdieu 2005, S. 43 ff.) bzw. als „sozialisierte Subjektivität“. Habitus erwächst aus der körperlichen Teilhabe an einer gemeinschaftlichen Handlungspraxis, das heißt, in der kulturell gewachsenen Eingebundenheit in Routinisierungen und Habitualisierungen. Dem Habitus als „generatives Prinzip“ ist die Abstammung aus einer Position im „sozialen Raum“ anzusehen. Diese ist ihrerseits durch die Struktur sozial ungleich zugemessener Bedingungen der Lebensführung bestimmt“ (Weiß 1997, S. 246). Sie stehen im Zusammenhang mit den sozialen Milieus, also den sozialen Räumen, die dem bzw. der Einzelnen tatsächlich oder symbolisch zur Verfügung stehen, den Räumen also, in denen ein Individuum seine ‚Kapitalien‘ möglichst sinnvoll einsetzt. Die je spezifische Zusammenstellung von unterschiedlichen Arten von Ressourcen (Bourdieu und Wacquant 1992), die Bourdieu metaphorisch als ‚Kapital‘ bezeichnet, lassen sich nach vier Ressourcenarten unterscheiden, dem ökonomischem, kulturellen (Bildungskapital), dem sozialen Kapital in Form sozialer Beziehungen und Kontakte und dem symbolischen3 Kapital.
3Laut Bourdieu ist dies „not an independent type of capital within itself, but rather consists in the acknowledgment of capital by the entirety of the peer competitors on a specific field (…). Thus, on a social field, economic, social and cultural capital is converted to symbolic capital“ (zit. n. Walther 2014, S. 10).
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Die je spezifische Zusammenstellung dieser Kapitalien ist ungleich verteilt und führt zur Bildung spezifischer sozialer Milieus. Soziale Milieus sind durch grundlegende Anschauungsweisen geprägt, die Angehörige eines Milieus milieuintern teilen und durch die sie sich von jeweils anderen sozialen Milieus unterscheiden (Weiß 1997, S. 259). Darin stellen soziale Milieus ein Portrait der sozialen Gliederung und Struktur der Gesellschaft dar (Weiß 1997, S. 246). Die unterschiedlichen Kapitaltypen bilden sich im Kontext von Erziehung und Sozialisation aus (Bourdieu 1986) und werden mitbestimmt vom sozialen Ort, an dem jeweils bestimmte Handlungsziele und bestimmte Ressourcen wirksam werden, sich bestimmte Habitus ausprägen und damit bestimmte Handlungsmuster jeweils „am Platz“ (Weiß 2000, S. 47) sind. Milieugeprägte Habitus bilden sich in einer gemeinsamen, durch ähnliche existenzielle Hintergründe geprägten gesellschaftlichen Umgebung heraus. Ditton und Maaz heben mit Bezug auf Bourdieu hervor, dass es hoch relevant ist, welche Stellung die Handelnden „im Raum der sozialen Ungleichheit“ (2011, S. 233) einnehmen; damit verbunden ist,, „welche Handlungs- und Reproduktionsstrategien gewählt werden“ (ebd.. Der Entscheidungsspielraum der Akteur*innen sei in Abhängigkeit von der sozialen Position sehr unterschiedlich. Damit bestehe, so die Autoren weiter, „eine enge Verbindung mit sogenannten Erwartungs-Wert-Modellen, in denen die Bereitschaft, ein bestimmtes Verhalten auszuführen (z. B. eine bestimmte Bildungslaufbahn zu wählen), mit der subjektiven Erwartung, durch das Verhalten eine bestimmte Konsequenz herbeiführen zu können, und mit der Wertschätzung der Verhaltenskonsequenz erklärt wird“ (Ditton und Maaz 2011, S. 233). Der Ansatz der praxeologischen (Medien-)Sozialisationsforschung stellt das Subjekt in den Mittelpunkt, dies allerdings ohne strukturelle Dispositionen der alltäglichen Lebensführung zu missachten.4 Diese müssen stets mitgedacht werden; denn in ihnen schlagen sich die „feinen Unterschiede“ nieder (Bourdieu 1996). Sie entwickeln sich in spezifischen sozialen Milieus, die durch grundlegende Anschauungsweisen, die die Angehörigen desselben Milieus weitgehend teilen und wodurch sie sich von den Angehörigen anderer sozialer Milieus
4Mit
Rückbezug auf Bourdieus ‚Theorie des Erzeugungsmodus der Praxisformen‘ könne, darauf weist auch Bettinger hin, „das Problem einer rein subjekt-zentrierten, phänomenologischen Erkenntnisweise“ überwunden werden; diese führe dazu, dass „die gesellschaftliche Bedingtheit des untersuchten Phänomenbereichs nur unzureichend“ (Bettinger 2018, S. 50) erfasst und erklärt werden könnten, „während eine Fokussierung auf die strukturelle Ebene der Gesellschaft die Gefahr birgt, wissenschaftlichen Konstrukten der Welt eine eigenmächtige Wirksamkeit zu unterstellen, ohne deren Erzeugungsprinzipien zu berücksichtigen.“ (ebd.).
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u nterscheiden, mitgeprägt werden. Das soziale Milieu markiert den sozialen Ort, an dem Individuen ihre Erfahrungen machen – mediale wie nicht-mediale –, ihre Identität auf- und ausbauen, Handlungskompetenz erwerben und unter Beweis stellen, sich selbst und ihre Umwelt beurteilen, bewerten und einordnen. Das soziale Milieu wird nach Stefan Hradil (1999, S. 28) geprägt durch die soziale Lage der Einzelperson oder einer Familie und die sie kennzeichnenden Faktoren Einkommen, Beruf bzw. ausgeübte Arbeit, formale Bildung und Wohnsituation. Um die Lebenswelt konkret werden zu lassen, erscheint es nötig, die „Arrangements“ der alltäglichen Lebensführung zu beschreiben, also den Zusammenhang der Tätigkeiten eines Individuums in seinen jeweiligen Lebenssphären. Es gilt also zu eruieren, wie sich mit Bezug auf Kudera und Voß „der Mensch im Alltag mit den verschiedenen Zumutungen und Gegebenheiten arrangiert, die ihm begegnen als Mensch eines bestimmten Geschlechts und Alters, als Berufstätiger, als Familienmitglied, als Zugehöriger privater Kontaktkreise, als Mitglied von Vereinigungen, als Staatsbürger usw., aber auch mit seinen eigenen Interessen und Möglichkeiten, und wie er diese Teilarrangements miteinander in Einklang bringt“ (Bolte 2000, S. 7). Denn in diesen Arrangements bilden sich die Handlungspraktiken von Individuen aus und, als integraler Bestandteil dessen, ihre Kommunikationspraktiken. In der alltäglichen Lebensführung erhält der Mediengebrauch Struktur und Sinn. Das Gesamtkonstrukt der alltäglichen Lebensführung, ob in einer Familie, einer Partnerschaft, einem sozialen Netzwerk, in dem sich Menschen bewegen, begründet die Basis für den Mediengebrauch eines Individuums. In diese Zusammenhänge bringen sich Individuen mit ihren je spezifischen Entwicklungs- bzw. Lebensaufgaben ein (Paus-Hasebrink 2010). In der Auseinandersetzung mit ihren Entwicklungs- bzw. Lebensaufgaben und ihren spezifischen Wahrnehmungs- und Handlungsweisen auf ihre Lebensführung gestalten Menschen nach ihren jeweiligen Anliegen auch ihren Mediengebrauch. Relevanz erhält in diesem Kontext der spezifische Eigen-Sinn, die psycho-sozial geprägte subjektive Perspektive eine/s/r jeden Beteiligten im Rahmen seines jeweiligen Habitus. Der Eigen-Sinn einer Person bestimmt mit, wie sie die von der sozialen Lage geprägten Lebensbedingungen wahrnimmt und ihre eigenen Interessen einbringt. Der spezifische Eigen-Sinn eines Individuums verleiht der „thematischen Struktur“ der Lebenswelt eine ganz spezifische Färbung. Medien als mittlerweile zentraler Bestandteil des Alltags „betten sich in die jeweilige thematische Struktur der Lebenswelt ein“ (Krotz 1991, S. 338). Dabei muss mitbeachtet werden, dass der spezifische Mediengebrauch zum einen mitbestimmt wird von den Grundkoordinaten der täglichen Lebensbewältigung von Individuen, zum anderen aber auch vom Medienangebot und seinen spezifischen Darbietungsformen selbst: Schließlich kann nur genutzt werden, was und in welcher Form es auf dem Markt zur Verfügung steht.
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2.2 Zur Ausbildung (kommunikativer) Praktiken: Das analytische Konzept der Handlungsoptionen, Handlungsentwürfe und Handlungskompetenzen Aufwachsen heute heißt Aufwachsen mit Medien, Sozialisation ist damit auch mediatisierte Sozialisation. Medien sind Teil unserer Alltagspraxis; sie konstituieren den Alltag mit und bringen neue Praktiken hervor – Alltag leben heißt damit auch, mit Hilfe von Medien zu leben. Mit Blick auf Heranwachsende bedeutet dies eine doppelte, sich eng miteinander verflechtende Dynamik: zum einen die sich im Rahmen medial-technischer Wandlungsprozesse, wie etwa Digitalisierung und Konvergenz, dynamisch verändernden Mediendienste und Medienangebote und zum anderen die sich ebenfalls dynamisch vollziehende Entwicklung von Heranwachsenden im Rahmen ihrer Sozialisation. Diese vollzieht sich stets im Kontext ihrer Lebensführung, also ihrer Alltagspraktiken, an ihrem je spezifischen sozialen Ort. Wie aber der tatsächliche Konstitutionsprozess von Beziehungen, die den Sozialisationsprozess tragen, im Zusammenhang der Alltagspraktiken und Aktionen der sozialen Akteur*innen in ihren tatsächlichen Lebensverhältnissen erfasst und beschrieben werden kann, ist gebunden an den Prozess der Transformation von sozialen Strukturen in individuelle Orientierungen eines Individuums im Laufe seiner Sozialisation. Spezifische soziale und individuelle Zusammenhänge bestimmen das Spielfeld der Möglichkeiten für ein Individuum, spezifische kommunikative Praktiken zu entwickeln und so Identität auszubilden und Handlungskompetenz im Alltag zu erwerben und möglichst konstant zu halten. In sozialen Milieus manifestiert sich die habituell geprägte Lebensführung von Individuen, in denen sie, je nach Maßgabe ihrer sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Ressourcen, ihren jeweiligen Lebensentwurf (Weiß 1997, S. 246) zu verwirklichen suchen. Im Kern aller Pläne, Wünsche und Ziele der Lebensgestaltung steht die „Behauptung des Selbst, das sich in der Auseinandersetzung mit den Lebensherausforderungen ausformt“ (Weiß 2013, S. 35). Entscheidend ist dabei, wie das Individuum die ihm aufgrund seines sozialen Milieus zur Verfügung stehenden Ressourcen subjektiv wahrnimmt, seine Pläne und Wünsche vor dem Hintergrund seiner milieugeprägten sozialen Lage ausbildet und dabei die Fähigkeiten entwickelt, seinen Alltag zu gestalten, das heißt, die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Umsetzung seiner Pläne und Wünsche und eigenen Lebensvorstellungen sinnvoll einzusetzen.
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Mit dem Blick auf den ‚praktischen‘ bzw. ‚alltagspraktischen Sinn‘ lassen sich kommunikative Praktiken, wie sie sich im Zuge der Sozialisation herausbilden und stets weiterentwickeln, konzeptionell fassen. Anhand der drei Analysekonzepte Handlungsoptionen, Handlungsentwürfe und Handlungskompetenzen ist der Zusammenhang zwischen sozialem Milieu, das sich nach den Kriterien der sozialen Lage festmachen und empirisch operationalisieren lässt, dem spezifischen Lebensentwurf und den Handlungskompetenzen theoretisch wie empirisch erfassbar. • Handlungsoptionen (sozio-strukturelle Bedingungen, Mediensystem) entsprechen den gesellschaftlich-strukturell bedingten Faktoren des jeweiligen sozialen Milieus. In diese Optionen gehen die Ressourcen des Individuums im Zusammenspiel mit den Regeln der ‚sozialen Felder‘, auf denen es sich bewegt, ein. Handlungsoptionen beschreiben das Ensemble der objektiven Merkmale der sozialen Lage eines Individuums so wie dieses Ensemble für das Subjekt existiert: als geordnetes Arrangement von Ermöglichungen und Beschränkungen des Handelns. • Handlungsentwürfe (subjektive Wahrnehmungen sozio-struktureller Bedingungen) sind die durch das Subjekt selbst vollzogenen Transaktionen der objektiven Merkmale seiner Lebenslage in handlungsleitende Anschauung und subjektive Orientierungen. Sie bezeichnen, was dem Subjekt sinnvoll erscheint – also auch nach welchen Gesichtspunkten es seine Wahrnehmungen und Deutungen der Welt strukturiert. Das sind alle die Ziele und Pläne etwa der Familie bzw. der je Einzelnen, die in einem engen Zusammenhang mit den subjektiven Wahrnehmungen des sozialen Milieus stehen. • Handlungskompetenzen (Ressourcen zur Realisierung der Handlungsentwürfe) bezeichnen – im Sinne Bourdieus – die der Einzelperson zugänglichen materiellen, kulturellen und sozialen Ressourcen als kognitive oder motivationale Voraussetzungen zur tatsächlichen Umsetzung seiner bzw. ihrer Lebensentwürfe. Die Handlungskompetenzen etwa eines Kindes oder seiner Eltern hängen eng zusammen mit ihren Handlungsentwürfen und diese mit den Handlungsoptionen im sozialen Milieu und der sie kennzeichnenden sozialen Lage.
3 Praxeologische (Medien-)Sozialisationsforschung als integrative Familienforschung Den konkreten Ausgangspunkt des Mediengebrauchs bildet die Lebenswelt eines Individuums, etwa eines Kindes in seiner Familie bzw. Kernbeziehungsgruppe, in seinem spezifischen Milieu. Vor diesem Hintergrund lässt sich untersuchen und
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nachvollziehen, wie sich die alltägliche Lebensführung (Kudera 2001), in der von früher Kindheit Mediengebrauch seinen Sinn erhält, ausprägt. Die (Medien-)Sozialisation eines Heranwachsenden ist ein Prozess, der sich in verschiedenen sozialen Zusammenhängen vollzieht, an denen ein Kind oder ein*e Jugendliche*r beteiligt ist. Als prägende Sozialisationskontexte5 erweisen sich in dieser Zeit die Familie mit ihrer je spezifischen Verankerung im sozialen Netzwerk, in dem sich Eltern, Geschwister und vor allem die Heranwachsenden selbst bewegen, Peers und Freunde agieren sowie institutionelle Einrichtungen wie allen voran der Kindergarten und die Schule. In diese Zusammenhänge bringen sich Heranwachsende, wie auch ihre Eltern und Geschwister, aus einer bestimmten Position ein – abhängig von ihrem Alter und Geschlecht und ihrer damit verbundenen kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung, ihren jeweiligen Entwicklungs- und Lebensaufgaben mit ihrem je spezifischen EigenSinn, d. h. die Art wie sie die sozial-strukturell relevanten Faktoren wie Einkommen und Bildung und damit die von der jeweiligen sozialen Lage geprägten Lebensbedingungen wahrnehmen und ihre eigenen Interessen vertreten können. Zur Untersuchung des Mediengebrauchs und (Medien-)Sozialisation Heranwachsender ist also der Blick auf die Lebensführung der gesamten Familie, in der ein Kind aufwächst, vonnöten, um auf diese Weise Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse Heranwachsender im lebensweltlichen Kontext, das heißt mit Blick auf sozio-ökonomische und seine sozio-emotionale Bedingungen, untersuchen und verstehen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, (Medien-)Sozialisationsforschung, wie es sich während des Forschungsprozesses im Rahmen der Langzeitstudie6 stets deutlich gezeigt hat, als integrative Familienforschung anzulegen. Denn kommunikative Praktiken, mediale wie nicht-mediale, lassen sich nur
5Vom
Begriff Sozialisationsinstanz wird zugunsten des Begriffs Kontext Abstand genommen, um der Verflechtung der am Prozess beteiligten Kontexte gerecht zu werden. 6Die Langzeitstudie zur Rolle von Medien in der Sozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender wurde als qualitative Panelstudie von 2005, als die Kinder ca. fünf Jahre alt waren, bis 2017, dem Ende ihrer Jugendzeit, in Österreich durchgeführt. In sechs Erhebungswellen und einer telefonischen Nachbefragung, die jeweils wichtige Entwicklungsphasen vom Kindergartenalter über den Schuleintritt, die mittlere Kindheit, die frühe Adoleszenz bis kurz vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter begleitete, nahmen anfangs 20 und ab der zweiten Erhebungswelle noch 18 Familien teil. In der Studie wurde ein triangulativ angelegtes Methodeninstrumentariums angewendet; Herzstück der Untersuchung waren Leitfadeninterviews sowohl mit den Kindern, und später Jugendlichen, als auch zumindest einem Erziehungsberechtigten.
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als „a contextual framework of a heterogeneous and variable field of domestic practices“ (Ang 2006, S. 165) beschreiben. Bei diesen Praktiken – den Praktiken der Lebensführung – handelt es sich um einen sich dynamisch und affektiv (Laible et al. 2015, S. 35) vollzuziehenden, unter allen Beteiligten stets neu auszuhandelnden und neu zu konstituierenden alltäglichen Prozess der Gestaltung von Familienbeziehungen. Die Familie oder Kernbeziehungsgruppe stellt die Basis für die (Medien-)Sozialisation eines Kindes dar. Wie die Familienmitglieder ihre jeweiligen Lebens- und Entwicklungsaufgaben bewältigen (können) prägt die spezifische Lebensführung der Familie und schlägt sich nieder in ihrem jeweiligen doing family (Morgan 2011; Jurczyk et al. 2014), das heißt, wie die Familienmitglieder konkret zusammenleben, wie ihre Praktiken aussehen, wie sie sich jeweils zueinander in Beziehung setzen, ob mit Respekt und Verständnis füreinander oder eher geprägt von gegenseitigen Verletzungen oder auch Missachtung. Die Art des Zusammenlebens prägt wiederum das Familienklima. Ihm kommt eine „Schlüsselfunktion“ für das Aufwachsen von Kindern zu (Walper und Riedel 2011, S. 15). Im Folgenden werden die eine Familie im Alltag beeinflussenden Faktoren, mithin die Bezüge und Bezugskonstellationen der (Medien-)Sozialisation eines Kindes in ihrer Verflochtenheit, näher vorgestellt: Auf der Makro-Ebene finden sich sozial-strukturell relevante Faktoren wie Einkommen und Bildung der Eltern; sie bestimmen das soziale Milieu von Familien, das heißt ihre von der sozialen Lage geprägten Lebensbedingungen, in entscheidender Weise mit. Dabei gilt es auch im Auge zu behalten, dass sich wandelnde, miteinander in Interdependenz stehende gesamtgesellschaftlich relevante sozio-strukturelle Faktoren eines Landes, seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexte wie die Struktur des Bildungssystems, die gesamtwirtschaftliche Lage eines Landes, der Arbeitsmarkt, familienpolitische Entscheidungen und Gesetze (z. B. Karenzzeiten von Eltern sowie spezifische Familienfördergesetze), die Bereitstellung und Einrichtung von Kindergärten und Schulen oder auch Familien-, Kinder- und Jugend- sowie Freizeiteinrichtungen etc. dem Leben von Familien ihren Rahmen geben und damit die Lebensführung einer Familie mit beeinflussen. Derartige sozio-strukturelle Bedingungen markieren das Feld, in dem Familien, also Eltern, Kinder und Geschwister, leben und in dem sich ein Kind bewegt und zu handeln lernt. Sie bestimmen die je spezifische milieubedingte Lebenssituation mit, in die ein Kind hineinwächst und die seine Sozialisation maßgeblich mitprägt; sie bedeuten „Spielräume“, aber allzu oft auch Restriktionen. Auf der Meso-Ebene, der Ebene der Familie mit ihren spezifischen Beziehungsstrukturen zwischen Eltern und Kind(ern) sowie Geschwistern,
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aber auch Angehörigen der entfernteren Familie wie etwa Großeltern, Tanten und Onkel, die das Familienklima mitprägen können, stellt sich die Frage nach den sozialen Ressourcen jeder einzelnen Familie in Abhängigkeit ihrer makro-soziologischen Verankerung. In diesem Zusammenhang gilt es, die elterlichen Lebensaufgaben (Was bewegt Mütter und Väter jeweils spezifisch? Leben sie in einer Kernfamilie oder getrennt voneinander, etwa in neuen Partnerschaften? etc.), auch die der Geschwister zu eruieren und die Erziehungsressourcen der Eltern sowie die Medienumgangsweisen der Eltern und Geschwister zu untersuchen. Als Teil des sozialen Netzwerks gewinnen auch Freund*innen der Eltern sowie Nachbar*innen und mit zunehmendem Alter der Kinder insbesondere deren eigene Freund*innen und Peers eine große Bedeutung (Paus-Hasebrink und Bichler 2008, S. 165 ff.). Kinder fungieren, so Krappmann (1991, S. 362), füreinander gewissermaßen als „Entwicklungsgenossen”. Mit wem ein Kind am liebsten spielt und spricht, ob es in der Peer-Group Unterstützung und Anerkennung findet oder eher abgelehnt wird und Außenseiter bleibt, welche Interessen Freunde*innen miteinander teilen, ist im Sozialisationsprozess von Kindern hochbedeutsam und nimmt Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Alltags und damit auch auf die Entwicklung von sozialen Beziehungen und, eng damit verbunden, auf das Selbstbewusstsein eines Kindes. Das Gesamtkonstrukt der Lebensführung in einer Familie und des sozialen Netzwerks, in dem sich Eltern, Geschwister und vor allem die Kinder selbst bewegen, stellt die Basis für den Umgang eines Kindes mit Medien dar. Auf der Mikro-Ebene, der Ebene des jeweiligen im Zentrum der Untersuchung stehenden Kindes, stellen die Aspekte Alter und Geschlecht und seine damit verbundenen spezifischen Entwicklungsaufgaben ebenso wie sein davon mitbestimmter Medienumgang einen zentralen Teilaspekt des Gesamtforschungsfeldes dar. Die auf der Mikro-Ebene relevanten Faktoren beeinflussen ihrerseits die Meso-Ebene, die Lebensführung einer Familie, mit, wie diese vice versa die Entwicklung eines Heranwachsenden prägt. Ob es ihm gelingt, die Entwicklungsaufgaben zu meistern, die sich zum Beispiel beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule stellen, oder nicht, ob es das Kind schafft, Fuß in der Klasse zu fassen und Medien ohne besondere Auffälligkeiten zu nutzen, oder ob es Kränkungen, etwa im Kreis der Peers nicht anerkannt zu werden, durch die Nutzung bestimmter, als stark wahrgenommener Medienfiguren quasi als „Stellvertreter*innen“ im Alltag auszugleichen sucht, ist für das Familienklima ein Faktor von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Als stärker darf jedoch der Einfluss der Lebensführung einer Familie auf die Mikro-Ebene des Kindes gewertet werden, da Kinder zwar früh den Alltag in Familien mitprägen, sie jedoch, je nach Alter und Entwicklung, noch weitgehend von der Familie abhängig sind.
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Die Familie setzt mit ihrer je spezifischen Lebensführung den Rahmen dafür, wie ein Kind aufwächst und wie es mit Medien umzugehen vermag bzw. welche Bedeutung es Medien im Laufe seiner Sozialisation zuweist.
4 Umfassende Förderkonzepte sind nötig Wie die Langzeitstudie deutlich gezeigt hat, müssen Förderkonzepte sorgfältig auf die unterschiedlichen lebensweltlichen Bedingungen und die darin eingelagerten Praktiken des Mediengebrauchs abgestimmt werden. Auch sozial benachteiligte Familien können nicht über einen Leisten geschlagen werden. So brauchen zumindest die Familien, die unter besonderen sozio-ökonomischen und/oder sozio-emotionalen Belastungen leiden, weitaus mehr Unterstützung als ihnen allein medienpädagogische Konzepte und Projekte bieten können; sie benötigen Hilfestellung zum Aufbau von umfassenderer kommunikativer Kompetenz. Zwar ist spezielle Internetkompetenz (Livingstone und Helsper 2008), die Fähigkeit, sowohl Geräte als auch Anwendungen (z. B. Filtersoftware) bedienen und Angebote mit Blick auf ihre Chancen und Risiken adäquat nutzen zu können, wichtig, wie sich insbesondere in sozial benachteiligten Familien gezeigt hat (Paus-Hasebrink 2018b). Als integraler Bestandteil einer erweiterten Medienkompetenz setzt aber Internetkompetenz zuallererst die Bereitschaft von Eltern voraus, sich mit den Medienanliegen ihrer Kinder auseinanderzusetzen, und dies mit dem Blick auf die je spezifischen Wahrnehmungsund Verarbeitungsweisen ihrer Kinder, die mit dem Alter, dem Geschlecht und den ganz persönlichen Interessen und Vorlieben ihrer Kinder zusammenhängen. So profitieren vor allem diejenigen Kinder vom Umgang mit dem Internet, bei denen die Eltern-Kind-Beziehung von Nähe, Vertrauen und dem gegenseitigen, verständnisvollen Eingehen beider Seiten aufeinander geprägt ist und deren Eltern sie in ihrem täglichen Tun begleiten, sich für ihre Belange interessieren und sie gleichzeitig nicht mit restriktiven Erziehungsmaßnahmen überziehen (Paus-Hasebrink et al. 2012, 2013; Paus-Hasebrink 2018b). Vor diesem Hintergrund sind bei sozial benachteiligten Kindern vor allem familienorientierte Konzepte nötig, die sowohl auf den Umgang der Eltern mit ihren Kindern als auch – und dies vor allem – auf die Stärkung elterlicher Kompetenz zielen, damit sich Eltern nicht überfordert fühlen, ihren Kindern Vorbild zu sein. Insbesondere die Familien des Panels, die auch nach zwölf Jahren noch eine multiple Deprivation im Alltag erkennen ließen, waren tief greifend überfordert, mit den ihr Familienleben prägenden schwierigen sozio-ökonomischen Bedingungen und sozio-emotionalen Beziehungsstrukturen, oft noch flankiert von schweren
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gesundheitlichen Einschränkungen aufseiten der Eltern oder auch der Kinder, umzugehen. Ihnen, das zeigte sich zuweilen schmerzlich, wäre kaum mit medienpädagogischen Förderkonzepten für Kinder und Eltern zu helfen; sie brauchen sozialpädagogische Hilfe für die gesamte Familie, die auf Konzepten mit sozialpolitischer Fundierung und konsequentem und nachhaltigem Handeln in einem Verbund unterschiedlicher Stakeholder basieren. Denn die Alltagssituation dieser Familien des Panels zeigte sich oft so zugespitzt, dass sich weniger das Fernsehen oder das Internet bzw. der Mediengebrauch insgesamt als Ursache für Familienprobleme erwiesen; vielmehr war der hohe bzw. undifferenzierte Mediengebrauch als eine Folge der angespannten Lebenssituation der Familie zu verstehen. Eingebettet in eine umfassende sozialpädagogische Unterstützung ließe sich auch auf die Vermittlung eines qualifizierten Umgangs mit Medien zielen. Um nachhaltige Veränderungen zu erreichen, ist es aber vor allem nötig, die sozio-ökonomischen und, oft eng damit verbunden, die sozio-emotionalen Bedingungen sozial benachteiligter Familien und der darin aufwachsenden Kinder zu verbessern und damit Kindern auch Raum für ihren Eigen-Sinn zu lassen. Dazu bedarf es des allgemeinen gesellschaftlichen, das heißt auch politischen, Willens und der Anstrengung, die Probleme sozial benachteiligter Familien wahrzunehmen und damit auch Wege zur besseren Kompetenzförderung für die betroffenen Kinder zu ermöglichen.
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Doing Culture in Online-Rollenspielen – eine praxistheoretische Perspektive auf Umgehen mit Misserfolg in Gruppen als Teil der Gaming Culture Kerstin Raudonat und Nicola Marsden Schon seit mehr als zehn Jahren sind digitale Spiele in Deutschland als Kulturgut anerkannt und Computerspielen wird im Kontext des medienpädagogischen Diskurses – wenn auch eher vereinzelt – als spezifisch situierte medial-kulturelle Praktik thematisiert, die als „eine kulturell geprägte, aktive und soziale Auseinandersetzung mit dem Spiel als Artefakt, Regelwerk und Geschichte“ (Schrammel und Mitgutsch 2009, S. 1) zu denken ist. Immer offensichtlicher wird, dass Spielen durchaus nicht alleine Spielen ist und die Auseinandersetzung mit dem Artefakt Computerspiel einen gemeinschaftlichen, einen sozialen und einen kulturellen Aspekt impliziert. So verweisen Begriffe wie ‚Gaming Culture‘ oder auch ‚Videospielkultur‘ darauf, dass sich in und um digitale Spiele Kulturformationen herausbilden, die von Spieler*innen hervorgebracht, gelebt, reproduziert und transformiert werden. Es stellt sich die Frage, welche Praktiken sich etablieren, die entsprechende Labels wie ‚Gaming Culture‘ zugeschrieben bekommen und als Selbstzuschreibung integrieren und ‚diese‘ Kultur im alltäglichen Tun konstituieren, und welche Faktoren dabei zusammenwirken. Zu diesem umfangreichen Forschungsgebiet möchten wir einen Beitrag leisten, indem wir uns mit einem konkreten, abgegrenzten Spielbereich in Online-Rollenspielen am Beispiel des bekannten ‚Massively Multiplayer Online Role-Playing Game‘ (MMORPG) World of Warcraft in einer empirischen K. Raudonat (*) · N. Marsden Hochschule Heilbronn, Heilbronn, Deutschland E-Mail: [email protected] N. Marsden E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_9
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Studie auseinandersetzen. Ziel unserer Untersuchung ist es nachzuvollziehen, auf welche Weise in sozialen Praktiken situationale sowie individuelle Faktoren zusammenkommen und so zur Konstitution und Rekonstitution von Gaming Culture beitragen. Die hier vorgestellte Untersuchung ist die Fortsetzung eines umfangreicheren Forschungsprojekts (vgl. Raudonat 2017) zu sozialem Handeln und sozialen Praktiken im Kontext von Spielen in Gruppen in MMORPGs. Um sich der Komplexität des Forschungsgegenstandes anzunähern und einen differenzierten Blick auf den Gegenstand zu erlangen, nutzen wir zur Analyse der erhobenen Daten unterschiedliche theoretische und methodische Zugänge (vgl. Raudonat und Marsden 2018). Ausgehend von der basalen Betrachtung von Kultur als gelebter Praxis, die es forscherisch aufzuarbeiten gilt, ist eine praxistheoretische Perspektive dem Anliegen dieser Arbeit sozusagen immanent. Diese ergänzend versuchen wir im vorliegenden Beitrag einen handlungstheoretisch geprägten Zugang – die Culture-Inclusive Action Theory (Eckensberger 2012) – für die Arbeit aus einer praxistheoretischen Perspektive auf Kultur heraus anschlussfähig und für die Forschungspraxis nutzbar und fruchtbar zu machen. Die integrative Perspektive unseres Beitrags mag – je nach eigener theoretischer Verortung – experimentell erscheinen, hat sich im Zuge unserer Untersuchung aber durchaus als bereichernd im Hinblick auf die Ergebnisse erwiesen und kann so zu der Diversität der Ansätze, Positionen und Forschungsarbeiten im Hinblick auf praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik beitragen, die in diesem Band vertreten sind. Im Folgenden wird zunächst das Konzept des ‚Doing Culture‘ thematisiert, wobei auf die praxistheoretische Verortung des Kulturbegriffs ebenso wie auf die Integration des Handlungsbegriffs eingegangen wird. Danach wird die soziale Praxis des Raiding sowie der Ansatz der Culture-Inclusive Action Theory (CIAT) vorgestellt. Im Anschluss wird ein Überblick über die Untersuchung sowie deren Ergebnisse im Hinblick auf Umgehen mit Misserfolg dargestellt und abschließend ein kurzes Fazit gezogen. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieses Beitrags, können die Darstellungen nicht zu detailliert ausfallen.
1 Doing Culture im Kontext von Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) Die praxisorientierte Perspektive des ‚Doing Culture‘ betrachtet Kultur im Hinblick auf ihre praktischen Hereinnahmen, ihren alltäglichen Vollzug und ihre Reproduktion (Hörning und Reuter 2004) in und durch Handeln. Diese in der
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Tradition von Judith Butlers Arbeiten zu ‚Doing Gender‘ (u. a. Butler 1990) stehende praxeologische Lesart begreift Kultur als etwas Dynamisches, das im Handeln der Akteur*innen zum Ausdruck kommt und durch selbiges (re-) konstruiert wird. Im Fokus stehen hierbei Handlungen, Praktiken als Bündel von Handlungen resp. Aktivitätsbündel (vgl. Schulz-Schaeffer 2010) bzw. wiederholtes Tun (vgl. Hörning und Reuter 2004) im jeweiligen kulturellen Kontext, die durch diesen Kontext bedingt sind und diesen zugleich wiederherstellen. Der Begriff der Handlung ist in seiner Bedeutung jenseits des alltagssprachlichen Gebrauchs von der jeweiligen theoretischen Perspektive abhängig. So ist Handeln im Sinne der Handlungstheorien verbunden mit dem Element der Sinnhaftigkeit, das wiederum auf anderes wie beispielsweise Zwecke, Überzeugungen oder Normen referenziert1. Im Kontext der Kulturtheorien wird Handeln über die Rekonstruktion von Wissensordnungen erklärt, die eine „kognitiv-symbolische Organisation der Wirklichkeit betreiben“ (Reckwitz 2004, S. 306). Über die Ausdifferenzierung der Kulturtheorien hin zu den Theorien sozialer Praktiken erfährt auch der Handlungsbegriff eine weitere Bedeutungsverschiebung. Diese betrifft allerdings weniger die Frage nach der Definition handlungskonstitutiver Sinnelemente (wie Normen oder Wissensordnungen), sondern „vielmehr die Frage nach der Relation zwischen dem Mentalen und dem körperlichen Verhalten und auf diese Weise die nach dem ‚Ort‘ des Sozialen“ (ebd.). Somit kann Handeln begriffen werden als eine „interessensorientierte oder normfolgende Aktivität, ein schemageleiteter Prozeß oder eine routinisierte Praxis“ (ebd., S. 307). Nach Reckwitz rückt damit die Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis dessen, was ‚Handeln‘ ist, auf neue Weise in den Mittelpunkt. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Vokabulars der Handlungstheorien – von den zweck- und normorientierten Modellen hin zu den Kultur- und Praxistheorien – findet sich bei Reckwitz (ebd.). Im Rahmen der praxistheoretisch-orientierten Perspektive dieser Arbeit wird auf dieser (letztlich im Diskurs befindlichen) Basis Handeln als Element routinisierter Praxis und damit sozialer Praktiken gedacht, das sowohl kulturelle als auch persönliche Hereinnahmen aufweist. Soziale Praktik wird hierbei mit Schatzki (1996, S. 89) als ein „temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings“ verstanden. Nach Reckwitz (2005, S. 98) sei dieser Nexus im Bourdieuschen Sinne bestimmt bzw. organisiert durch einen praktischen Sinn, einen „Komplex von impliziten Interpretationsformen, know how-Wissen und kulturell geformten emotional-motivationalen Zuständen“.
1Dazu ist anzumerken, dass das Element des „Sinns“ u. a. bei Reckwitz (2005) unter Rückgriff auf Bordieus ‚praktischen Sinn‘ zur Erläuterung sozialer Praktiken letztlich doch wieder Einzug hält.
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Der Fokus unserer Betrachtungen liegt auf Praktiken im Spielkontext. Während viele praxistheoretisch orientierte Veröffentlichungen sich von handlungstheoretisch und textualistisch geprägten Perspektiven2 abgrenzen und dabei u. a. auf den Begriff des Handelns zugunsten z. B. der des ‚Tuns‘ oder der ‚Aktivität‘ zur Erläuterung von ‚Praktiken‘ verzichten, ist es im Rahmen dieser Arbeit für die Einbindung der kulturpsychologisch geprägten Culture-Inclusive Action Theory von Lutz Eckensberger von Bedeutung, eine integrierende Perspektive einzunehmen (vgl. Abschn. 3). Der Blick richtet sich dabei auf Vereinbarungspotenzial sowie Chancen zur (gegenseitigen) Ergänzung, um eine Verbindung herzustellen und somit entlang der Linie zwischen handlungstheoretischen und praxistheoretischen Konzepten arbeiten zu können. Integrative Perspektiven werden in der Literatur mit unterschiedlichen Schwerpunkten und im Hinblick auf unterschiedliche Aspekte diskutiert, so beispielsweise von Alkemeyer et al. (2015) in Bezug auf die Einbindung eines Konzepts der Subjektivierung in die Praxistheorien oder von Schulz-Schaeffer (2010) hinsichtlich der Ergänzung eines Konzepts der Situationsdefinition in die Handlungstheorie. Allen gemein ist letztlich das Ziel, dem Forschungsgegenstand und dessen Analyse möglichst gerecht zu werden und vielschichtige Einblicke für eine Erklärung desselben zu erhalten. Über soziale Praktiken konstituiert und rekonstituiert sich Kultur: „Kultur ist dynamisch; […] Es ist vor allem das Handeln der Akteure, das Kultur bewegt“ (Hörning und Reuter 2004, S. 9). So ist mit dem ‚cultural turn‘ Kultur als Prozess, als wiederholende und wiedererzeugende Praxis zu begreifen, in der gesellschaftliche Wirklichkeit eine interaktive Sache des Tuns ist (vgl. Reckwitz 2003 sowie Hörning und Reuter 2004): „Die Praxistheorie begreift die kollektiven Wissensordnungen der Kultur nicht als ein geistiges ‚knowing that‘ oder als rein kognitive Schemata der Beobachtung, auch nicht allein als die Codes innerhalb von Diskursen und Kommunikationen, sondern als ein praktisches Wissen, ein Können, ein know how, ein Konglomerat von Alltagstechniken, ein praktisches Verstehen im Sinne eines ‚Sich auf etwas verstehen‘. Der ‚Ort‘ des Sozialen ist damit nicht der (kollektive) ‚Geist‘ und auch nicht ein Konglomerat von Texten und Symbolen (erst recht nicht ein Konsens von Normen), sondern es sind die ‚sozialen Praktiken‘, verstanden als know-how abhängige und von einem praktischen ‚Verstehen‘ zusammengehaltene Verhaltensroutinen,
2In
textualistischen Ansätze ist die Sozialwelt verknüpft mit Sinnhaftigkeit, allerdings auf einer Ebene jenseits von Körper und mentalen Eigenschaften, nämlich auf einer Ebene von Texten, Zeichensequenzen oder Kommunikation (zum Unterschied der Vokabulare in handlungstheoretischen und textualistischen Ansätzen s. Reckwitz 2004).
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deren Wissen einerseits in den Körpern der handelnden Subjekte ‚inkorporiert‘ ist, die andererseits regelmäßig die Form von routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und von ihnen ‚verwendeten‘ materialen Artefakten annehmen.“ (Reckwitz 2003, S. 289)
So unterscheidet sich das praxeologische Kulturverständnis – Kultur als „know how-abhängige Alltagsroutinen, als kollektiv intelligible soziale Praktiken“ – von einem textualistischen Kulturverständnis, das Kultur als Diskurse, als Texte, als Symbole, als Semantiken begreift (Reckwitz 2005, S. 97). Soziale Praktiken werden zur kleinsten Einheit kulturwissenschaftlicher Analyse. In unserer Arbeit widmen wir uns speziell dem ‚Doing Culture‘ im Kontext sozialer Praktiken bei herausforderndem Gruppenspiel in O nline-Rollenspielen, speziell dem Spielbereich Raid in dem bekannten MMORPG World of Warcraft (vgl. Abschn. 2). Kultur in und um digitale Spiele ist in der Forschung umfangreich thematisiert worden (z. B. Tolino 2010; Mäyrä 2010; Paaßen et al. 2017) und ist nicht als etwas von der als Mainstream konstruierten Kultur Separiertes zu begreifen (Shaw 2010). Vielmehr sind Normen, Werte, Überzeugungen und Symbole, die ‚Gaming Culture‘ im Sinne des Ethnologen Clifford Geertz als „web of meaning“ (Geertz 1973) konstituieren, eingebettet in andere kulturelle Kontexte. Der Ansatz von Geertz (‚culture as text‘) ist den textualistischen Kulturtheorien zuzuordnen, die soziales Leben als ‚lesbaren‘ Text konzeptualisieren; für die Praxistheorien ist er aber aufgrund der Betonung der Mehrdeutigkeit sozialer Ereignisse von Relevanz (vgl. Reckwitz 2005), die wiederum im Rahmen des ‚praktischen Verstehens‘ und der ‚Inkorporation von Wissen‘ in sozialen Praktiken zum Tragen kommen. Diese Sichtweise kommt der Perspektive praxeologisch verorteter Kulturtheorien entgegen, die aus ihrer Konzeption heraus das Verständnis kultureller Differenzen als „komplexe Überlagerung und Aneignung von Wissenselementen verschiedener räumlicher oder zeitlicher ‚Herkunft‘ befördert“ und damit per se skeptisch gegenüber einer „Reifizierung von Sinngrenzen zwischen ‚Sinnsystemen‘ [sind]“ (Reckwitz 2005, S. 99). Dementsprechend ist ‚Gaming Culture‘ nicht als ein festgeschriebenes Sinnsystem zu begreifen, das sich entlang eindeutiger Grenzen von anderen Kulturformationen abgrenzt. Vielmehr manifestiert sich ‚Gaming Culture‘ in den sozialen Praktiken der Spieler*innen, insbesondere im Kontext des Spielens selbst. Differenzen ergeben sich beispielsweise entlang unterschiedlicher Handlungszusammenhänge und Communities im Kontext unterschiedlicher Spiele und/oder Spielgenre. Teil der situationalen Hereingaben im Hinblick auf soziale Praktiken sind u. a. die Bedingungen und Mechaniken des jeweiligen Spiels sowie die sozialen Rahmenbedingungen von Spielsituationen.
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Bevor in Abschn. 3 auf das Analyse-Framework der CIAT eingegangen wird, werden im Folgenden zunächst der Spielprozess im Spielbereich Raid (Raiding) als soziale Praxis thematisiert sowie spielspezifische Rahmenbedingungen zum Verständnis der in Abschn. 4 vorgestellten Untersuchungsergebnisse zu Umgehen mit Misserfolg in Gruppen erläutert. Raiding bildet einen Kontext (unter vielen), in dem Gaming Culture hergestellt, verhandelt und reproduziert wird.
2 Die soziale Praxis des Raiding in World of Warcraft im Kontext von Gaming Culture MMORPGs bieten zahlreiche Möglichkeiten für gemeinsames Spielen und die Bewältigung spielerischer Herausforderungen in Gruppen (Bardzell et al. 2012; Lin und Sun 2015). Dazu zählen in World of Warcraft neben anderen Spielbereichen die Raidinstanzen mit Spielinhalten, die nur in Gruppen zu bewältigen sind. Raidinstanzen in World of Warcraft sind von der Spielwelt abgetrennte Spielbereiche, die mittels temporärer Kopien des Spielbereichs für einzelne Spielergruppen mit einer bestimmten Spieler*innenanzahl ermöglichen, dass verschiedene Gruppen unabhängig voneinander die Spielinhalte dieser Bereiche angehen können. Ausgelegt sind die Inhalte aktuell für Gruppen mit zehn bis dreißig Spielenden, wobei es unterschiedliche Schwierigkeitsstufen gibt und sich die Schwierigkeit zudem an die Zahl der Teilnehmenden anpasst. Von Spielenden werden Raidinstanz sowie Raidgruppe zumeist mit dem Begriff ‚Raid‘ und die zugehörige Aktivität als ‚Raiden‘ bezeichnet. Der Eindeutigkeit halber wird hier nur der gesamte Spielbereich, in dem Raidgruppen in Raidinstanzen raiden, als ‚Raid‘ benannt; die Begriffe Raidinstanz und Raidgruppe werden stets unterschieden. Raids repräsentieren im Bereich des ‚Player-vs.-Environment‘ (PvE) mit die höchste Schwierigkeitsstufe des jeweils aktuellen Spielcontents und stellen besonders hohe Anforderungen an das Spielen in Gruppen. Um erfolgreich zu sein, müssen Raidgruppen sowohl spielerische als auch kommunikative Herausforderungen bewältigen. Erfolg zu haben, bedeutet im Spielbereich Raid in aller Regel das Bewältigen von ‚Boss Encountern‘; dies sind besonders schwierige Gegner*innen oder Gegner*innengruppen, die einer Spielmechanik mit gescripteten Ereignissen folgen. Um die Gegner*innen zu besiegen, müssen sich die Gruppenmitglieder auf eine Taktik einigen, verschiedene Aufgaben verteilen, die es während des Bosskampfes zu erfüllen gilt, und das gemeinsame Spiel koordinieren, wobei die Spielenden nicht selten unter hohem (Erfolgs-, Leistungs- und Handlungs-)Druck stehen. So beschreiben beispielsweise Bardzell et al. (2012) Raiding als komplexe soziale Aktivität, die intensive, hochgradig
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risikobehaftete und komplexe kollaborative Verhaltensweisen umfasst und dabei hohe Ansprüche an die Teilnehmer*innen stellt. Die Bildung und insbesondere Erhaltung von Raidgruppen ist eine Herausforderung: Spieler*innen können sich für das Angehen von Raidinstanzen mit zufälligen anderen Spieler*innen zusammenschließen, vermeiden diese riskikobehaftete Wahl aber oftmals zugunsten des Anschlusses an langfristige Raidgruppen. Solche Gruppen basieren häufig auf ingame-Spielgemeinschaften, den Gilden. Diese bieten oft eine unterstützende Umgebung sowie lohnende Erfahrungen (vgl. z. B. Cockshut 2012; Williams et al. 2006). Sie entwickeln ihre eigenen „Kulturen“ mit unterschiedlichen hierarchischen Strukturen und Führungsstilen (vgl. z. B. Prax 2010) und praktizieren mehr oder weniger strenge, leistungsund erfolgsorientierte Herangehensweisen beim Raiding (vgl. z. B. Bardzell et al. 2012). Raidgruppen treffen sich üblicherweise regelmäßig zu festen Zeiten – nicht unüblich sind pro Woche zwei bis drei Raidtermine á zwei bis drei Stunden. Um im aktuellen Raidcontent Fortschritte zu machen, ist es für die Gruppen von Bedeutung, diese begrenzte Zeit effizient zu nutzen – jeweils im Hinblick auf die Gruppenziele. Diese hängen beispielsweise mit der Gruppenzusammensetzung und der Erfolgsund Leistungsorientierung der Gruppe zusammen. Um in dem festgelegten Zeitrahmen ihre Ziele zu erreichen, versuchen Raidgruppen Störungen zu minimieren, die nicht immanenter Teil des Spielprozesses sind (vgl. Raudonat 2017); dies kann sowohl technische als auch soziale Aspekte betreffen. Kommunikation und Interaktion in Raidgruppen finden in medial vermittelten Situationen unter den damit zusammenhängenden, spezifischen Bedingungen statt. Zur Kommunikation werden hauptsächlich zwei Kommunikationskanäle genutzt: auditive Kommunikation via Voice-Chat-Software und textuelle Kommunikation über den Chatkanal der Raidgruppe. Teil von Raiding ist, unter den Bedingungen computervermittelter Kommunikation mit ihren spezifischen Möglichkeiten und Begrenzungen zu kommunizieren, zu interagieren und Gruppenprozesse zu gestalten.3 Im Zusammenhang mit dem fokussierten Spielbereich Raid und dem damit verbundenen Setting haben sich vielfältige soziale Praktiken entwickelt, in denen sich Gaming Culture vollzieht und auf diese Weise konstituiert bzw. (re-) produziert wird. In diesen kommen sowohl spielspezifische als auch spielunabhängige sowie eher ‚online‘ und eher ‚offline‘ konnotierte kulturelle Hereingaben zum Ausdruck. Zu den angesprochenen Praktiken zählen beispielsweise
3Eine ausführliche Darstellung von Raiding in World of Warcraft sowie dessen Rahmenbedingungen und Implikationen für die soziale Praxis findet sich bei Raudonat (2017).
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die Praktik des Etablierens kommunikativer Bedingungen und die Praktik des Führens und Folgens (vgl. Raudonat und Marsden 2018) sowie die Praktik des Umgehens mit Misserfolg, die in dieser Arbeit anhand der in Abschn. 4 dargestellten Untersuchung ausgeführt wird. Um nachvollziehen und erklären zu können, auf welche Weise in sozialen Praktiken situationale sowie individuelle Faktoren zusammenkommen und so zur Konstitution und Rekonstitution von Gaming Culture beitragen, ist ein Untersuchungsansatz erforderlich, der sowohl die Akteur*innen in Raidgruppen als auch die Komplexität der Situation im Raid möglichst angemessen erfassen kann. Diese Situation ist geprägt von sozialen Aspekten, der jeweiligen Gruppenkultur, den Herausforderungen des Spiels, den technischen Gegebenheiten des Systems, den Interessen und Fähigkeiten der Spieler*innen, den Spezifika der Boss Encounter und zahlreichen weiteren Faktoren sowohl in ihrem Zusammenspiel als auch in ihrer Veränderbarkeit über die Zeit. Hierbei haben wir uns zur Analyse für die Culture-Inclusive Action Theory nach Eckensberger (2012) entschieden, die im Folgenden ausgeführt und im Hinblick auf die Anbindung an eine praxisorientierte Perspektive verortet wird.
3 Culture-Inclusive Action Theory (CIAT) im Kontext einer praxistheoretischen Perspektive Die Culture-Inclusive Action Theory (CIAT) nach Eckensberger (2012) ist ein kulturpsychologisch geprägter Ansatz4, der die Verflechtung von Akteur*innen und soziokulturellen Kontextfaktoren fokussiert und ihrer Analyse und Erklärbarkeit dienen soll. Vor dem Hintergrund des Kulturvergleichs will Eckensberger mit diesem Ansatz zeigen bzw. nachvollziehbar machen, wie Menschen in unterschiedlichen Kontexten Handlungen vollziehen und spezifische Praktiken ausbilden. Für unsere Untersuchung ist insbesondere das differenzierte Analyse-Framework der CIAT von Interesse. In seinem grundlegenden Gerüst zur Analyse unterscheidet Eckensberger (2012) mehrere Dimensionen des Handelns wie Abb. 1 zeigt. Eckensberger unterscheidet zunächst drei Ebenen von Handlungen, die jeweils eine Referenz auf den Kontext (external field of action) und die Handlungsfähigkeit (internal field of action) umfassen. (1) Handlungen ersten Grades sind
4Eine
ausführliche Darstellung und Diskussion der kulturpsychologischen Handlungstheorie von Lutz Eckensberger und der diese Theorie konstituierenden Arbeiten findet sich bei Plath, Graudenz und Breit (2008).
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Abb. 1 Analyse-Framework der Culture-Inclusive Action Theory nach Lutz Eckensberger (2012)
orientiert auf konkrete Situationen („Weltorientierung“), die dadurch gestaltet werden und auf Einzelpersonen und deren Wissen, Wahrnehmung oder Interpretation zurückwirken. (2) Handlungen zweiten Grades sind Reflexionen und Regulationen im Hinblick auf Handlungen ersten Grades („Handlungsorientierung“) und folgen z. B. auf Irritationen und Hindernisse im Rahmen von (1). (3) Handlungen dritten Grades basieren auf Reflexionen von Handlungen zweiten Grades („Orientierung auf Handlungsfähigkeit“) und beziehen sich auf übergeordnete Konzepte wie Handlungsfähigkeit, Systeme, Interpretationsmuster und Kultur. Die drei Ebenen stellen letztlich eine analytische Trennung dar; empirisch können sie in einer Handlung präsent sein. Eine ausführliche Erläuterung des Frameworks und der Dimensionen findet sich bei Eckensberger (2012) sowie bezogen auf soziale Praktiken in Online-Rollenspielen bei Raudonat und Marsden (2018). Die CIAT entstammt einer handlungstheoretischen Theorietradition, weist aber durchaus Anschlussstellen für praxeologische Perspektiven auf. Während in der CIAT als kleinste Analyseeinheit individuelle Handlungen herangezogen werden, lassen sich diese auf überindividueller Ebene zu kulturkonstituierenden Praktiken zusammenschließen, in denen und durch die Akteur*innen Kultur
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als wiederholende und wiedererzeugende Praxis schaffen (vgl. Reckwitz 2003 sowie Hörning und Reuter 2004). Mittels der vorherigen Definition unseres Verständnisses von Handeln im Rahmen dieser Arbeit als ein Element routinisierter Praxis und damit sozialer Praktiken, das sowohl kulturelle als auch persönliche Hereinnahmen aufweist, lässt sich das Verhältnis von Handeln und Praktiken so zueinander ins Verhältnis setzen, dass der Handlungsaspekt über die CIAT aufzuarbeiten ist. Hinzu kommt, dass mittels der CIAT auf strukturierte Weise die Akteur*innen der Analyse zugänglich werden und somit ein Konzept der Subjektivierung integriert wird, das die Leerstelle des laut Alkemeyer et al. (2015) in den Praxistheorien bewusst dünn gehaltenen Konzepts des Subjekts übergangsweise zu füllen vermag – zumindest für analytische Zwecke im Zuge der Forschungspraxis. Auch die Vorstellung eines nicht-prä-praktisch existierenden Subjekts, das aus der körperlich gebundenen Praxis heraus entsteht, verneint nicht, dass beispielsweise individuelle Gefühlslagen oder persönliche Präferenzen in der körperlich ausagierten Praxis zusammenlaufen wie es die CIAT unterstellt (vgl. Abb. 1). Nach Eckensberger (2012) betrachtet der Ansatz, wie Menschen Kultur erzeugen und transformieren und eben dabei selbst Transformation erfahren – eine Perspektive, die in ihrer Wechselseitigkeit mit dem Konzept des Hervorbringens und Entstehens des Subjekts in und durch seine Praxis vereinbar erscheint.
4 Umgehen mit Misserfolg in Gruppen – Untersuchungsvorgehen und Ergebnisse Um sich den zugrunde liegenden Prozessen der (Re-)Produktion von Kultur in dem Fokusbereich sowohl theoretisch als auch empirisch zu nähern, haben wir eine Analyse empirischer Daten aus einer qualitativen Untersuchung des Spielbereichs Raid in World of Warcraft unter Nutzung des Analyse-Frameworks der CIAT vorgenommen. Die Daten entstammen einem früheren Forschungsprojekt (Raudonat 2017) und wurden basierend auf der Grounded-Theory-Methode (GTM) über mehrere Jahre erhoben und für den Zusammenhang dieser Arbeit neu analysiert. Die Daten enthalten Videoaufnahmen, Memos und Screenshots aus teilnehmenden Beobachtungen in verschiedenen Raidgruppen während deren regelmäßiger, wöchentlicher Raids. Zudem umfassen sie sechs semistrukturierte Interviews mit Raidteilnehmer*innen, die gemäß dem Vorgehen der GTM zu verschiedenen Zeitpunkten im Forschungsprozess durchgeführt wurden und unterschiedliche Aspekte des Raiding fokussieren, so z. B. Regeln, Strukturen, Rollen sowie Umgang mit Konflikten, Misserfolgen und Leistungsproblemen.
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Auf Basis des Vorgehens der GTM wurde das Datenmaterial aufgebrochen und konzeptualisiert. Anstatt dabei dem klassischen Kodierparadigma der GTM zu folgen, haben wir die Daten basierend auf dem Framework der CIAT analysiert. Im Zuge des axialen Kodierens wurden so wiederkehrende Konzepte entsprechend der Handlungsebenen geordnet und zu Kategorien verdichtet, wobei personale und kontextuelle Bedingungen soweit möglich erfasst und kodiert wurden. Diese verdichteten Kategorien setzen sich letztlich zusammen aus wiederkehrenden Handlungen und Routinen verknüpft mit kontextuellen und persönlichen Hereinnahmen, und können durchaus als „nexus of doings and sayings“ organisiert in praktischen Sinnkategorien beschrieben werden. In diesem Sinne verstehen wir die Kategorien als soziale Praktiken, die ihrerseits die Praxis des Raiding konstituieren und gestalten. Im Zuge der laufenden Analyse zeigten sich bisher mehrere soziale Praktiken, so u. a. die Praktik des Führens und Folgens und die Praktik der Koordination von Spielhandlungen (s. dazu Raudonat und Marsden 2018) sowie die Praktik des Umgehens mit Misserfolg. Der Praktik des Umgehens mit Misserfolg in Raidgruppen sind fünf Konzepte auf Handlungsebene zuzuordnen. Die Zuordnungen der Konzepte zu den jeweiligen Ebenen (vgl. Abschn. 3) sind der Übersichtlichkeit halber einfach mit (1), (2) oder (3) gekennzeichnet, wobei nicht alle Konzepte Aspekte auf allen drei Ebenen aufweisen. Das Konzept des ‚wipe & recover‘ bezieht sich auf das beim Raiding typische Vorgehen, dass Gruppen Boss Encounter immer wieder angehen, dabei eine Niederlage im Sinne eines ‚Wipes‘ erleiden (alle oder die meisten Avatare der Teilnehmer*innen sind tot), die Avatare wiederbeleben (1), sich erneut kampfbereit machen (1) und diesen abermals angehen (1). Häufig wird in Situationen, die als aussichtslos bewertet werden, beschlossen, die (noch) lebenden Avatare sterben zu lassen (2), um schneller einen neuen Versuch starten zu können. Dies ist zugleich ein Ausdruck der Haltung, dass Misserfolge Teil des Raiding resp. des Spielens an sich sind (3) und ist als eine deutliche Referenz im Hinblick auf ‚Gaming Culture‘ einzustufen. So formuliert z. B. ein Spieler im Interview: „Ich sage mal, was das betrifft haben wir schon zum Teil eine gute Ausdauer. Weil bei manchen Bossen MUSS man sie auch haben, da muss man auch mal zum ich weiß nicht wievielten Male sagen, okay wipen, kommt: nochmal und sonst was. Wenn es dann mal einen Abend gar nicht geht, dann sagt man, okay, pass auf, hier jetzt mal Schluss“. Mit diesem Konzept verbunden sind kontextuelle Faktoren wie das Erleben, dass sich Wipes beim Raiding regelmäßig ergeben, der Schwierigkeitsgrad der Spielsituation sowie die Motivation und Stimmung in der Gruppe. Persönliche Faktoren beziehen sich insbesondere darauf, wie Einzelne mit ihren (durch die Situation angestoßenen) Emotionen umgehen.
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Ein zweites Konzept ist das Unterbrechen von Misserfolgssituationen, indem Spielhandlungen abgebrochen werden (2) – entweder durch eine Pause oder durch den Abbruch des aktuellen Raidtermins. Darauf verweist auch der oben dargestellte Interviewauszug. Eine andere Spielerin bestätigt dies: „Also eigentlich ist es in dem Moment am besten, den Raid abzubrechen, wenn man merkt, okay, da ist die Konzentration im Eimer“. Zu dem Konzept kann auch eine Neuorientierung gemäß der Gruppenziele zählen, sodass Gruppen sich eine andere Herausforderung suchen und z. B. anderen Content angehen (2). Relevante Kontextfaktoren sind hierbei u. a. der Schwierigkeitsgrad sowie die Erfolgsorientierung der Gruppe und Erwartungen im Hinblick auf das Selbstmanagement der Gruppenmitglieder. Persönliche Implikationen ergeben sich u. a. daraus, wie die Situation interpretiert und bewertet wird sowohl im Hinblick auf Gründe für Misserfolge als auch im Hinblick auf die Stimmungslage der Teilnehmer*innen. Ein drittes Konzept ist das Analysieren des Spielverlaufs, das die Analyse von Spieldaten umfasst (1), die von entsprechenden Addons während der Spielhandlungen aufgezeichnet werden. Zu diesem zählen auch Leistungsvergleiche (2) der Teilnehmer*innen untereinander sowie Vergleiche mit anderen Raidgruppen. Was Leistung in diesem Rahmen bedeuten kann, beschreibt ein Spieler so: „das Optimale aus seiner Klasse [Spezialisierung des Spielcharakters mit spezifischem Fähigkeitsrepertoire] herausholen […] und natürlich dieses movement, dass man nicht in irgendwelchen Pfützen steht und man zur rechten Zeit an dem Ort steht, der dafür bestimmt ist“. Das Konzept beinhaltet zudem die Identifikation von situationalen Schwierigkeiten und Problemen (2), die das Erkennen von Problemen und Fehlern beim Gameplay und von schwierigen Spielsituationen integriert. Diese Aspekte verweisen auf Werte innerhalb der Gruppe bezüglich der Fähigkeit und Erwartbarkeit von Verbesserungen sowohl des Einzelnen als auch der Gruppenperformance (3) als grundlegendem Teil von Raiding. Kontextuelle Faktoren sind hierbei die verfügbaren Daten, die Leistungs- und Erfolgsorientierung der Gruppe sowie die spielerischen Fähigkeiten der Teilnehmer*innen. Persönliche Faktoren beziehen sich auf das ‚know how‘ in Bezug auf die Situationsanalyse, die Generierung sowie Evaluation geeigneter Daten und angemessene Schlussfolgerungen (z. B. Ist es nötig, die Strategie anzupassen oder ist es nur eine Frage der Übung?). Ein viertes Konzept ist das Review zur Spielleistung. Dieses umfasst einerseits den Ausdruck von Kritik (2) beispielsweise durch das Aufzeigen konkreter Spielfehler und andererseits das Annehmen oder Ablehnen von Kritik (2). Dazu berichtet z. B. eine Spielerin: „Und dann gibt es aber auch noch die Leistung mit dem Schaden. Nehmen wir mal jemanden, der genau so viel hat vom Gearscore [meint: Wertigkeit der Ausrüstung], also sagen wir mal gleiches Equip
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[entspricht: Ausrüstung] anhat und der eine fährt seine über 40k [Schaden] beim Boss und der andere bloß seine 20k, dann ist [das] optimierungsbedürftig und dann kann man aber auch mit ihm reden und versuchen, irgendwie das rauszuholen“. Ein anderer Spieler ergänzt: „Hey, ist doch in Ordnung, wenn einer etwas sagt, wenn einer etwas falsch macht […], weil daraus kann ich nur lernen. Wenn die Leute das nicht annehmen können, sind sie selbst schuld.“ Hierbei zeigen sich Haltungen im Hinblick auf die Bedeutung des Einzelnen (und dessen Leistung) für die Gruppe (3) sowie die Einschätzung von Kritik als geeignetem Mittel zur Verbesserung der Gruppenperformance (3) als dem Raiding immanente Aspekte. Kontextueller Faktor ist hierbei u. a. die Kritikkultur innerhalb der Gruppe. Persönliche Faktoren betreffen beispielsweise die Angemessenheit beim Ausdruck von Kritik sowie das Anerkennen eigener Fehler und das Bewerten und bei Bedarf Annehmen von Kritik. Ein fünftes Konzept betrifft Veränderungen der Herangehensweise; dies umfasst die Formulierung von Verbesserungsvorschlägen (1) und das Anfordern von Hilfe (1) in der konkreten Situation sowie gegenseitige Hilfe (2) beim Spielen. Hierbei kommen Gruppenwerte im Hinblick auf gegenseitige Unterstützung zum Ausdruck (3). Des Weiteren beinhaltet das Konzept Anpassungen im Hinblick auf die Taktik (2) und die Aufgabenverteilung (2). Dazu formuliert eine Spielerin einen Vergleich zu Standardtaktiken ziehend: „Jede Gilde spielt anders. Man muss das immer auf SEINE Gruppe optimieren“. Auch Anpassungen im Hinblick auf die Gruppenzusammenstellung (2) gehören dazu, was bedeuten kann, Spieler*innen (zeitweise) aus der Raidgruppe zu nehmen oder gegen andere auszutauschen. Eine Spielerin berichtet dazu: „Unser [Name] sagt: Ich weiß, dass ich scheiße bin, aber mir macht des Spiel Spaß. Und so etwas kann man in einer Fun-Gilde tolerieren, aber in einer, die progress-orientiert ist, wiederum nicht“. Kontextuelle Faktoren betreffen u. a. die Erfolgserwartung, den Schwierigkeitsgrad und die verfügbaren Änderungsmöglichkeiten. Persönliche Faktoren beziehen sich u. a. auf Kooperationsbereitschaft und die Bereitwilligkeit zu helfen sowie die Einschätzung der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Gruppe und ihrer Mitglieder. Über alle Konzepte hinweg zeigt sich bezüglich der Praktik des Umgehens mit Misserfolg eine übergeordnete Orientierung auf Fortschritte im Spiel und die Bewältigung von Misserfolgssituationen durch wiederholtes Angehen des Contents. Dies schließt die Haltungen mit ein, dass Misserfolge Teil des Raiding und – weiter gefasst – Teil des Spielens sind und dass Übung und bei Bedarf Kritik zu Verbesserung führen. Letztlich kommt hierin auch die Haltung zum Ausdruck, dass für den Erfolg der Gruppe jeder und jede einen Teil beitragen muss und dass Leistungsvergleiche resp. kompetitives Verhalten – sowohl
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innerhalb der Gruppe als auch im Vergleich zu anderen Gruppen – gewöhnlicher Bestandteil von Raiding sind. Diese Aspekte verweisen auf kulturkonstituierende Elemente, die als kulturelle Einlagerungen von Gaming Culture begriffen werden können, die sich in dem konkreten Spielbereich und seinen Praktiken manifestieren.
5 Fazit ‚Doing Culture‘ im Kontext von Online-Rollenspielen ist ein vielschichtiger Untersuchungsgegenstand, dem sich zu nähern eine ebenso vielschichtige Herangehensweise erfordert. Ausgehend von unserer grundsätzlichen Betrachtung von Kultur als gelebter Praxis haben wir zu diesem Zwecke den Versuch unternommen, den handlungstheoretischen Ansatz der CIAT in eine praxeologisch geprägte Perspektive forschungspraktisch zu integrieren, um nachzuvollziehen, auf welche Weise in sozialen Praktiken situationale sowie individuelle Faktoren zusammenkommen und so zur Konstitution und Rekonstitution von Gaming Culture beitragen. Im Hinblick auf die vorgestellte Untersuchung und deren Ergebnisse hat sich das Analyse-Framework der CIAT als praktisch und ergiebig erwiesen, insbesondere durch seine Ausdifferenzierung auf der zweiten und dritten Handlungsebene, um kulturelle Einlagerungen herauszuarbeiten. So erlaubt unserer Ansicht nach die Analyse auf Basis der CIAT einen empirisch-analytischen Blick auf soziale Praktiken beim Spielen in Raidgruppen und trägt der Bedeutung von Praktiken als wesentlichem Ort der Konstitution des Sozialen (vgl. Reckwitz 2003) unter Berücksichtigung der Akteur*innen und des spezifischen Kontexts Rechnung.
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Das Smartphone in der berufsvorbereitenden Bildung junger Erwachsener – Empirische Erkundungen aus praxistheoretischer Perspektive Lukas Dehmel und Sebastian Zick
Zusammenfassung
Der Beitrag fokussiert die berufsvorbereitende Bildung von jungen Erwachsenen. Er stellt die Frage, wie im Zusammenhang mit Smartphones pädagogische Ordnungen konstruiert werden und greift hierfür auf Überlegungen der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Pädagogik der Dinge zurück. Für die Beantwortung der Fragestellung nutzt der Text videografisches Datenmaterial aus der Berufsvorbereitungspraxis und stellt zwei mit der Objektiven Hermeneutik analysierte Fälle dar, die ein konträres Bild zur Bedeutung des Smartphones für pädagogische Ordnungsbildung zwischen lernförderlichem Nutzen und Ablenkung zeichnen. Schlüsselwörter
Berufsvorbereitende Bildung · Pädagogische Ordnungen · Smartphones · Akteur-Netzwerk-Theorie · Pädagogik der Dinge
L. Dehmel (*) Universität Paderborn, Paderborn, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Zick Europa-Universität Flensburg, Flensburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7_10
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1 Einleitung Smartphones können heute quer durch die gesellschaftlichen Milieus als integraler Alltagsbestandteil gewertet werden. Die permanente Kommunikationsmöglichkeit über die mobilen Endgeräte hat zu einer Entgrenzung von Bildungsräumen geführt, die Lernen und interpersonelle Kommunikation immer und überall ermöglicht. Im Zuge dessen sind auch Bildungsinstitutionen jeglicher Art dazu aufgefordert, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Bisherige erziehungswissenschaftliche Forschung zum Thema gründet vorrangig auf Interviewmaterial (oft in Kombination mit standardisierten Befragungen) mit Lehrkräften und Schüler*innen aus unterschiedlichen Schulkontexten und thematisiert das Smartphone als eine von weiteren mobilen Medientechnologien (vorrangig neben Tablet und Laptop). Einerseits wird ihm hier insbesondere das bereichernde Potenzial zugeschrieben, immer und überall Informationen unbeschränkt abrufen und so in Lehr-/Lernkontexte transferieren zu können (vgl. z. B. Kammerl et al. 2016; Knop et al. 2015; Gutknecht-Gmeiner und Neugschwentner 2012). Auch die Möglichkeit, erarbeitete Inhalte per Kamera zu dokumentieren und über soziale Medien zu teilen wird an verschiedenen Stellen hervorgehoben. Andererseits attestiert bestehende Forschung den Endgeräten aber auch massives Ablenkungspotenzial, was dem Erreichen von pädagogischen Zielen im Weg steht (vgl. ebd.). Die pädagogische Praxis in ihrem Vollzug bleibt bei diesen Betrachtungen bislang weitgehend unberücksichtigt und wird höchstens am Rande thematisiert. Empirische Beobachtungen des Smartphoneeinflusses auf die Herstellung pädagogischer Wirklichkeit bleiben somit desiderabel. Hier möchten wir anknüpfen und die bestehende Lücke mit unserem Beitrag1 ein Stück weit füllen. Dieser Blickwinkel als Teil einer „praxistheoretische[n] Erziehungswissenschaft fokussiert auf die soziale Praxis des Pädagogischen bzw. pädagogischer Ordnungen […]“ (Bittner et al. 2017, S. 10). Um die dem Smartphone zukommende Bedeutung herauszustellen, rücken wir diese Ordnungsverhältnisse in den Mittelpunkt unserer Untersuchung und fragen, wie im Zusammenhang mit Smartphones ebensolche pädagogischen Ordnungen konstruiert werden und welche Rolle das Smartphone dabei erhält. Die aufgeworfene Fragestellung werden wir anhand der Analyse von videografisch erhobenem Datenmaterial beantworten. Es stammt aus der pädagogischen Praxis
1Für
das konstruktive Feedback zu einer früheren Version dieses Textes danken wir den Herausgebern ganz herzlich.
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der Berufsvorbereitung junger Erwachsener und wurde im Zuge der handlungsforschenden Begleitung des Projekts JUMP2 erhoben. Wir verlassen hier bewusst den vielfach beforschten Schulkontext und fokussieren einen Sektor, der von der Medienpädagogik bislang weitgehend ausgeklammert wurde. Das vorgefundene Feld der berufsvorbereitenden Bildung unterscheidet sich hinsichtlich ordnungsbildender Rahmenbedingungen auf vielfältige Weise von schulischen Kontexten (siehe Abschn. 3). Einsätze und Einsetzbarkeiten von Smartphones werden in pädagogischer Praxis ausgehandelt, was folglich ein hochinteressantes Feld für praxistheoretische Rekonstruktionen pädagogischer Ordnungen bereitstellt. Um den theoretischen Horizont abzustecken und die leitenden Relationen zwischen Mensch und Smartphone zu klären, widmet sich dieser Beitrag im nächsten Abschnitt dem Begriff der „Pädagogischen Ordnung“, setzt ihn in Beziehung zu den erziehungswissenschaftlichen Überlegungen Nohls (2011) zur Akteur-Netzwerk-Theorie und beschreibt, wie diese anschlussfähig für (medienpädagogische) Praxistheorie sind (Abschn. 2). Danach unterzieht er das fokussierte Forschungsfeld der Berufsvorbereitung junger Erwachsener mit seinen Besonderheiten einer genaueren Betrachtung (Abschn. 3) und erklärt, wie wir für die Erhebung und die Auswertung des empirischen Datenmaterials vorgegangen sind (Abschn. 4). Im darauffolgenden Abschnitt legt der Text exemplarisch zwei Fälle unserer Analysen dar (Abschn. 5), diskutiert die Ergebnisse und zieht ein Fazit (Abschn. 6).
2 Pädagogische Ordnungen als Akteurnetzwerke Eine Fokussierung pädagogischer Ordnungen setzt pädagogische Praxis zentral. Sie verfolgt dabei das Anliegen, „Erziehungswirklichkeiten daraufhin zu analysieren, wie sie in ihren vielfältigen Ausprägungen und Erscheinungsformen als pädagogische Ordnungsbildungen zu verstehen sind“ (Dörner und Hummrich 2011, S. 172). „Ordnung“ begreift dabei „nichts mehr und nichts weniger als eine ‚Beziehung zwischen Dingen‘“ (Neumann 2010, S. 82). Die Untersuchung pädagogischer Ordnungen beschäftigt sich entsprechend mit den Beziehungen zwischen „pädagogische[n] ‚Dinge[n]‘. Also eine[r] Lehrerin, ein[em] Schüler, eine[r] Tafel, [dem] Lernen [sic]“ (Wrana 2013, S. 56). Wir verstehen pädagogische 2Das
von Interreg Va geförderte dänisch-deutsche Handlungsforschungsprojekt JUMP (Laufzeit 2/2016–7/2020) zielte ab auf die Steigerung der beruflichen und sozialen Integration sozial benachteiligter, gering qualifizierter junger Erwachsener. Nähere Informationen unter: https://www.jump-projekt.eu/cms/profuture1/ [31.08.2020].
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Ordnungen, Wrana folgend, als ebensolche in-Beziehung-Setzungen zwischen Menschen, materiellen Objekten und immateriellen Entitäten, wie ‚dem Lernen‘. Dabei liegt der Fokus bei ihrer Analyse nicht auf einer Vorstellung von starren Relationen, sondern vielmehr auf den performativen Praktiken ihrer Herstellung durch die im Subtext soziomaterieller Praxis in-Beziehung-stehenden Menschen und Dinge, welche immaterielle Entitäten, wie ‚das Lernen‘ überhaupt erst hervorbringen (vgl. ebd., S. 56 ff.). Das ins Zentrum gestellte Smartphone ist ein ebensolches ‚Ding‘, das in Beziehungen zu anderen Dingen und Menschen tritt. Wenngleich seine materielle Beschaffenheit nicht zu vernachlässigen ist, geht die Funktionalität des Smartphones als digitales Medium in diesem Kontext allerdings weit über die materiellen Aspekte seiner Hardware hinaus. „Während sich nicht-digitale Medien über die Wiedergabe in spezifischer physikalischer Form vorliegender Informationen definieren […], kann ein digitales Medium prinzipiell jedes andere (nicht digitale) Medium simulieren“ (Möller 2016, S. 188). Das Smartphone lässt sich in diesem Zusammenhang als eine Art „Konvergenzprodukt der medialen Entwicklungslinien“ (ebd., S. 191) interpretieren, es vereinigt die Funktionen und Darstellungsmöglichkeiten bisheriger Medientechnologien in sich und macht sie ortsunabhängig einsetzbar. Die individuelle Smartphonenutzung lässt sich kaum pauschalisieren, in einer qualitativen Studie zu Studierenden arbeitet Möller (2016) aber gerade diese konvergierenden Nutzungsroutinen als Gemeinsamkeiten heraus. Beispielhaft lässt sich hier das folgende Zitat aus dem Datenmaterial der benannten Studie heranziehen: „Ich nutze das Handy zum Fotografieren, zum Telefonieren, zur Planung meiner Wochen, zur Internetrecherche, Whatsapp, Facebook, zum E-Mails abrufen [sic], zum Musik hören [sic] und vielen [sic] mehr.[…] Außerdem beinhaltet das Smartphone mehrere Geräte wie zum Beispiel den MP3-Player oder die Kamera. So kann man mit einem Gerät mehrere Gerät [sic] zusammen nutzen und miteinander verknüpfen“ (ebd.). Beschäftigt man sich damit, wie das Smartphone in pädagogischer Praxis in Beziehung zu anderen Dingen und Menschen tritt, sind es also insbesondere diese konvergierenden medialen Aspekte, die sich über das Touchscreen-Interface des Smartphones materialisieren und so für die pädagogische Ordnungskonstruktion relevant werden. Wir sprechen im Folgenden daher von einer sozio-medial-materiellen Praxis. Um dieser Verwicklung in der Analyse Rechnung zu tragen und um sich von einem menschzentrierten M ensch-Technik-Verhältnis zu lösen, schlägt Welling zur Bestimmung der Beziehung zwischen Mensch und (mobilem) Endgerät Nohls erziehungswissenschaftliche Reflexionen zu Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) vor (vgl. Welling 2017). Die Prämissen der ANT sowie ihrer Weiterentwicklung entfalten wir im Folgenden für die Klärung unserer Perspektive auf das Verhältnis zwischen Mensch und Technik in der Herstellung pädagogischer Ordnungen.
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Die für diesen Beitrag wohl entscheidendste Annahme der ANT besteht in dem symmetrischen Ordnungsverhältnis zwischen Menschen und (technischen) Dingen. Sie wendet sich somit gegen die dichotome Trennung zwischen beiden und geht weder von einem technikdeterministischen Verhältnis aus, in dem menschliche Verhaltensweisen rein von Technologien bestimmt werden, noch sieht sie technische Artefakte als Instrumente, die durch den Menschen zur reinen Zweckerfüllung eingesetzt und kontrolliert werden (können) (vgl. Latour 2008). Der ANT zufolge sind Menschen und technische Artefakte in ihrem Handeln konstitutiv miteinander verwoben und wirken zusammen als sogenannte Hybridakteure, also als Verbindungen zwischen Menschen und (technischen) Dingen, die innerhalb ihres Handelns im Austausch miteinander stehen (vgl. ebd.; Nohl 2011). Diese Sichtweise der ANT hat immense Konsequenzen für die Betrachtung des Sozialen, da Menschen und Dinge innerhalb ihrer gemeinsamen Praxis als symmetrische Handlungsakteure betrachtet werden. Mit dem Postulat der Symmetrie geht dabei gleichwohl nicht die „Behauptung irgendeiner absurden ‚Symmetrie zwischen Menschen und nicht-menschlichen Wesen‘“ (Latour 2010, S. 131) einher. Entsprechend lässt sich das Latoursche Symmetrieprinzip nicht als Gleichrangigkeit übersetzen, sondern wendet sich vielmehr gegen die Behauptung einer grundlegenden Asymmetrie „zwischen menschlichem intentionalen Handeln und einer materiellen Welt kausaler Beziehungen“ (ebd.). Gerade der Punkt der Intentionalität wird viel diskutiert. Nohl (2011) verweist in diesem Zuge in seiner erziehungswissenschaftlichen Reflexion der ANT zu einer „Pädagogik der Dinge“ im Anschluss an die Kritik nach Rammert und Schulz-Schaeffer (2002) auf genau diese Differenz zwischen beiden Akteursgattungen, der wir uns im Folgenden ebenfalls anschließen: Der Mensch sei, so Nohl, zu intentionalem Handeln fähig und in diesem Zusammenhang dazu in der Lage, Handlungen bewusst zu hinterfragen, eingeschliffene Routinen aufzubrechen und variabel abzuändern, dingliche Aktanten allerdings nicht (vgl. Nohl 2011, S. 40 ff.). Gerade aber die für die ANT konstitutive Verbindung zwischen Menschen und Dingen zu Hybridakteuren wird von Nohl übernommen und als ein reziproker Austauschprozess zwischen beiden verstanden. Für eine praxistheoretische Medienpädagogik bedeutet dies, Medientechnik als wichtigen Faktor für die Herstellung sozio-medial-materieller Praxis anzuerkennen. „Menschliche Handlungsfähigkeit wird dabei weder ausgeklammert noch überhöht“ (Bettinger 2017, S. 16). Nohl konzeptualisiert den Austauschprozess zwischen Menschen und Dingen folgendermaßen: Der dingliche Akteur steckt durch seine materielle (beim Smartphone durch seine medial-materielle) Beschaffenheit den möglichen Handlungsrahmen ab, innerhalb dessen er verwendet werden kann (vgl. Nohl 2011, S. 91 ff.). Der Gegenstand bestimmt somit,
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welche Operationen für das gemeinsame Handeln erlernt und vollzogen werden müssen. Aber „erst im Austauschprozess mit dem Menschen werden die Dinge zu dem, was sie werden“ (ebd., S. 96). Es obliegt menschlichen Akteur*innen, diesen durch den dinglichen Akteur abgesteckten Handlungsrahmen zu deuten und intentional für ihre Zielerreichung (in pädagogischen Kontexten z. B. zur Erreichung eines Lernziels als immaterielles ‚Ding‘ pädagogischer Ordnungskonstruktion) einzusetzen (vgl. ebd., S. 91 ff.). Die sozio-medial-materielle Praxis konstituiert sich dem Dafürhalten der ANT nach in sogenannten Akteurnetzwerken, in denen eine Vielzahl von Menschen und Dingen als Hybridakteure in Beziehungen zueinanderstehen, in Austausch treten und dadurch Praxis hervorbringen (vgl. Latour 2008). Genau diese Netzwerke lassen sich auch einem Verständnis der Pädagogik der Dinge folgend innerhalb pädagogischer Kontexte nach der oben entfalteten Auffassung als pädagogische Ordnungen interpretieren, die im Handeln formiert werden. Wir verwenden beide Begrifflichkeiten im weiteren Verlauf dieses Beitrags daher synonym. Das Interesse der ANT an der prozessualen Verwicklung von Menschen und Dingen qualifiziert sie für die Betrachtung pädagogischer Situationen als eine Spielart sozio-medial-materieller Praxis durch die Brille sozialwissenschaftlicher Praxistheorie (vgl. Wieser 2012, S. 206).
3 Das Forschungsfeld und seine Besonderheiten Das den Fallanalysen zugrunde liegende Material wurde im Interreg-Projekt JUMP erhoben. Bei JUMP (Jobs durch aUstausch, Mobilität und Praxis) handelte es sich um den Zusammenschluss von je zwei deutschen und dänischen Bildungsträgern3 und je einer Universität in Deutschland und in Dänemark4. Das Projekt ist im Bereich der außerschulischen Bildung am Übergang Schule-Beruf zu verorten und zielte praxisbezogen auf die Steigerung der Integration in den Arbeitsmarkt von jungen Erwachsenen ab, die Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieses Übergangs haben. Im Rahmen des Handlungsforschungszusammenhangs (vgl. Zick und Dehmel 2017) waren die beteiligten Universitäten mit projektinterner Evaluation sowie der Konzeption und Durchführung von Weiterbildungsveranstaltungen
3Bei
den teilnehmenden Bildungsträgern handelte es sich in Dänemark um Produktionsschulen und in Deutschland um Anbieter unterschiedlicher Maßnahmen der Berufsvorbereitung (vgl. hierzu auch Zick und Dehmel 2017, S. 4 f.). 4Europa-Universität Flensburg und Roskilde Universitet.
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betraut. Hierfür waren Mitarbeiter*innen und Studierende der Universitäten an sämtlichen Projektveranstaltungen teils aktiv pädagogisch handelnd, teils beobachtend beteiligt. Innerhalb des Projekts wurden den Teilnehmer*innen eine Vielzahl an Aufenthalten im jeweils anderen Land angeboten (siehe Link in Fußnote 1). Eine dieser Aktivitäten stellte die Zukunftswerkstatt dar, innerhalb derer dänische und deutsche Teilnehmer*innen einen viertägigen Aufenthalt auf einem Campinggelände verbrachten und dabei gemeinsam in unterschiedlichen (berufspraktischen) Workshops Ideen, Konzepte und Projekte unter der Überschrift „Gute Arbeit und gutes Leben in der Region“ entwickelten. Im Rahmen einer dieser Workshops ist das zu analysierende Datenmaterial entstanden. Die Frage des Umgangs mit Smartphones in pädagogischer Praxis ist, ohne dass dies zunächst explizit Gegenstand der Begleitforschung gewesen wäre, innerhalb des Projektverlaufs immer wieder virulent geworden. Dabei sind unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Einsatz von Smartphones aufgetreten, sie wurden von den pädagogischen Fachkräften teils als Ablenkung, teils als sinnvoll einsetzbar perspektiviert. Ebenso verschieden waren die Regeln zur Nutzung von Smartphones in den einzelnen am Projekt teilnehmenden Bildungsträgern. Innerhalb der pädagogischen Praxis der Projektaktivitäten, d. h. auch im hier herangezogenen Fall, bestanden wiederum keine einheitlichen oder festgeschriebenen Vorgaben zum Umgang mit Smartphones als immaterielle Konstrukte pädagogischer Ordnungskonstruktion, sodass diese mitunter je nach Institution, Workshop oder Fachkraft variierten und jeweils innerhalb der pädagogischen Praxis ausgehandelt und hergestellt wurden. Das hier vorgefundene Bildungssetting unterscheidet sich dadurch in starkem Maße von bspw. schulischen Kontexten, innerhalb derer pädagogische Ordnungsbildung durch Schulgesetze, Schulordnungen oder ritualisierte Unterrichtsabläufe stark reglementiert ist. Diese Reglementierungen sind innerhalb des hier untersuchten außerschulischen Feldes wenig auffindbar. Zudem schuf das grenzüberschreitende Projekt einen Raum, innerhalb dessen gewohnte oder ritualisierte Regeln und (Ver-)Ordnungen pädagogischer Praxis durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachkulturen5 aus unterschiedlichen Trägern aus unterschiedlichen Ländern irritiert wurden. Auch die teilweise nur geringe oder nicht vorhandene Altersdifferenz zwischen Fachkräften und Teilnehmer*innen entzog sich den in schulischen Kontexten üblichen generationenspezifischen Ordnungsroutinen von erwachsenen Pädagog*innen
5Das
untersuchte Feld zeichnet sich durch eine starke Heterogenität in den Berufsbiografien der Beschäftigten aus.
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und heranwachsenden Lernenden (vgl. Niemeyer et al. 2017). Die Rollen, welche Fachkräfte, Teilnehmer*innen und Smartphones in diesem Prozess einnehmen, wurden unter den gegebenen Vorbedingungen notwendig in der Praxis hervorgebracht.
4 Datenerhebung und -auswertung Das der Untersuchung zugrunde liegende Datenmaterial wurde videografisch von einem*r Feldforscher*in erhoben. Da sich ein Teil der beobachteten pädagogischen Praxis sehr unübersichtlich gestaltete und zudem unter freiem Himmel stattfand (so auch die beiden folgenden Fallbeispiele) ging eine weitere Person mit einem Audioaufnahmegerät ins Feld und positionierte sich in der direkten Nähe der Situationen, in denen das Smartphone in Erscheinung trat. In der Aufbereitung haben wir beide Datensorten schließlich zusammengeführt. Im Zuge der Auswertung beschäftigen wir uns zunächst mit den transkribierten Audiospuren des Aufnahmegerätes und analysieren sie mit der Objektiven Hermeneutik. Diese geht methodologisch davon aus, dass die Ordnung sozialer Wirklichkeit ihren Ausdruck in gesprochener Sprache findet (vgl. Wernet 2009, S. 11) und hebt somit auf die sozialen Aspekte (pädagogischer) Ordnungskonstruktion ab. Um in der Analyse nicht bei diesen rein sozialen Aspekten stehenzubleiben und den Fokus um die zuvor prominent gesetzten sozio-medialmateriellen Gesichtspunkte zu erweitern, beziehen wir das erhobene Videomaterial im Zuge der Interpretation als Kontextwissen um die vertexteten Sprechakte mit ein und kontrastieren die so sichtbar werdenden Austauschprozesse zwischen Menschen und Dingen (insbesondere zwischen Mensch und Smartphone) mit unser vorhergehenden Interpretation. Die Analyse geht also über die reine Interpretation von Sprechakten hinaus. Mithilfe dieser forschungspraktischen Vorgehensweise kann eine Verbindung zwischen den nach wie vor wichtigen sozialen mit den für einen praxistheoretischen Zugang aber genauso zentralen sozio-medial-materiellen Bestandteilen pädagogischer Ordnungskonstruktion geleistet werden. Es sei an dieser Stelle zudem bemerkt, dass die systematische Nachlagerung der Einbeziehung des Videomaterials nicht bedeutet, dass dieses einen geringeren Stellenwert für die Analyse einnimmt. Ganz im Gegenteil gehen wir davon aus, dass es für die Interpretation als Kontextwissen eine absolute Voraussetzung für das Verstehen der rekonstruierten Situation abbildet (diese Annahme des Stellenwertes von Kontextwissen folgt den von Wernet aufgeführten methodologischen Prämissen der Objektiven Hermeneutik; vgl. ebd., S. 21 f.) und als gleichrangig zur vertexteten Sprache betrachtet werden muss, um die sozio-medial-materiellen Aspekte der Situation angemessen aufzuschließen.
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Für die Präsentation der Befunde bestimmten wir denjenigen Zeitpunkt des Videomaterials, der für die Ordnungskonstruktion der pädagogischen Situation entscheidend ist, und fertigten ein schemenhaftes Standbild aus der Vogelperspektive an, das darstellt, wie Personen und Dinge zueinander in Beziehung treten. Diese Form der Ergebnisdarstellung ist durch eine der Datenaufbereitungsvarianten der Erziehungswissenschaftlichen Videografie (vgl. Dinkelaker und Herrle 2009, S. 38 f.) inspiriert. Bei dem praktizierten Vorgehen (Kombination von Objektiver Hermeneutik und Videografie) handelt es sich um ein bislang methodologisch wie methodisch kaum reflektiertes Verfahren (erste Überlegungen hierzu vgl. Hummrich und Meier 2018), welches hier zur Diskussion gestellt werden soll.
5 Exemplarische Fallanalysen Obwohl es dem forschungspraktischen Vorgehen der Objektiven Hermeneutik eigentlich entgegensteht, steigen wir zwecks der besseren Nachvollziehbarkeit mit der Beschreibung des Kontextes in die exemplarische Fallanalyse ein. Beide Fälle sind Teil der pädagogischen Praxis eines dreiteiligen Skateboardworkshops, der innerhalb einer Zukunftswerkstatt des JUMP-Projekts durchgeführt wird. Er beinhaltet 1) das Kennenlernen des Skateboards als Mobilitätsinstrument, 2) das handwerkliche Zusammenbauen und das mechanische Verstehen der unterschiedlichen Komponenten eines Skateboards und 3) die ästhetische Gestaltung zweier Decks (die untere Seite eines Skateboards). Im dritten Teil, der ästhetischen Gestaltung, sind die beiden nachfolgend dargestellten Fälle eingelagert. Der Workshop wird von zwei Pädagogen durchgeführt, die zum Zeitpunkt des Geschehens der nachfolgenden Szene nicht unmittelbar anwesend sind.
5.1 Fall 1 – „ich hätte ne Idee für die Spitze“ Die transkribierte Interaktion findet zwischen einer Teilnehmerin (TwDe1 = Teilnehmerin, weiblich, aus Deutschland, 1; 25 Jahre alt) und einer Studentin (SwDe1 = Studentin, weiblich, aus Deutschland, 1; 22 Jahre alt) statt, die in der Situation eigentlich nur mit Beobachtungsaufgaben betraut ist. TwDe1: ich hätte ne Idee für die Spitze SwDe1: #mhm# [hoher Tonfall] TwDe1: ääähm
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[ca. 5 Sek. Pause mit Tippgeräuschen] SwDe1: jaaa [kurzes Absetzen] kannst du ja machen TwDe1: mhm SwDe1: dann können wir uns den Rest ja überlegen
Bei der ersten Sequenz („Ich hätte ne Idee für die Spitze“) handelt es sich um das Einleiten eines Vorschlags, der von TwDe1 zur Bewertung oder Diskussion an eine übergeordnete Instanz weitergegeben wird, der sie potenziell auch selbst angehören kann. Eine „Idee“ steht im Zusammenhang mit der Lösung eines Problems oder der Bearbeitung einer Aufgabe und bringt einen bislang wenig ausgereiften Vorschlag zu dessen Behandlung zum Ausdruck. Die Teilnehmerin adressiert mit dieser Sequenz die Einzelperson SwDe1 und drängt sie situativ in die Rolle der Pädagogin, indem sie von ihr die der Rolle zugeschriebene handlungslegitimierende Bewertungskompetenz abverlangt. Durch ihre Reaktion („mhm“) akzeptiert Sw1 diese Rolle. Sie formiert somit eine für pädagogische Kontexte typische hierarchische Ordnung, signalisiert Interesse und räumt damit der Teilnehmerin die Möglichkeit ein, ihre Gestaltungsidee vorzustellen. Die für viele pädagogische Kontexte übliche Generationsordnung (zwischen älteren Pädagog*innen und jüngeren Lernenden) wird hier durch die fehlende Altersdifferenz (siehe oben) aufgelöst. Mit dem langgezogenen „Ääähm“ verschafft sich TwDe1 zunächst Zeit, eine Präsentation scheint nicht ad hoc möglich zu sein. Zum Zeitpunkt der Interaktion hält sie ihr Smartphone in der Hand und beugt sich in den nun folgenden fünf Sekunden Pause darüber, ruft ein Bild von keltischen Knoten6 auf und zeigt das Display der Studentin (diese Situation zeigt Abb. 1; die Sprecherinnen sind grau hinterlegt). Dieser Austauschprozess lässt sich innerhalb der vorliegenden Situation wie folgt deuten: TwDe1 und Smartphone bilden in der dargestellten Sequenz einen Hybridakteur. Durch seine medial-materielle Beschaffenheit fordert das Smartphone innerhalb des Austauschs mit der Teilnehmerin ein, den Blick von ihrer Kommunikationspartnerin abzuwenden und es stellt das Internet als Zugang zu online-Wissensbeständen zur Verfügung. TwDe1 nutzt diesen eröffneten Handlungsrahmen, indem sie mittels der durch das Smartphone zur Auswahl stehenden Operationen (diese finden in den Tippgeräuschen ihren auditiven Ausdruck) die Abbildungen von keltischen Knoten abruft. Der Hybridakteur aus Teilnehmerin und Smartphone transferiert auf diese Art und Weise das innerhalb des Workshops eingeforderte ästhetische Wissen in die Situation und macht es im Sinne 6Dass
es sich um keltische Knoten handelt, ist nicht auf dem Videomaterial ersichtlich, konnte aber während der Datenerhebung im Feld wahrgenommen werden.
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Abb. 1 Anordnung im pädagogischen Raum, Fall 1 (TwDe2, 3 usw. = Teilnehmerin, weiblich, aus Deutschland, 2, 3 usw.; TmDe1 = Teilnehmer, männlich, aus Deutschland 1; SmDe1 = Student, männlich, aus Deutschland, 1; UmDe1 = Universitätsmitarbeiter, männlich, aus Deutschland, 1; = Blickrichtung). (Pfeil)
des leitenden pädagogischen Ziels (das Gestalten des Skateboarddecks zum Kennenlernen der Skateboardkultur) als immaterielles Konstrukt nutzbar. Durch die situative Öffnung für die Verwendung des Smartphones findet an dieser Stelle eine Individualisierung der Lehr/Lernsituation statt. Beispielsweise hätten die beiden externen Pädagogen auch Zeitschriften oder Bücher mit Gestaltungsvorschlägen mitbringen können, sodass TwDe1 an eine begrenzte Auswahl von Motiven gebunden wäre. Die Studentin wäre hier die Verwalterin dieses begrenzten ästhetischen Wissens. Der durch das Smartphone hergestellte Handlungsrahmen ermöglicht es nun aber, dass TwDe1 in Ihrer Ideengenerierung nicht an solche vorstrukturierten Wissensbestände gebunden bleibt und nach eigenen Vorstellungen agieren kann. Die auf dem Interface angezeigte Abbildung als das Produkt der gemeinschaftlichen Handlung des Hybridakteurs zeigt TwDe1 nun der Studentin SwDe1 (siehe Abb. 1), die Abbildung wird so zur Grundlage der eingeforderten Bewertung. SwDe1 bestätigt diesen Gestaltungsvorschlag mit der nachfolgenden Sequenz („jaaa [kurzes Absetzen] kannst du ja machen“), TwDe1 verkündet durch ihr
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„Mhm“ die Bereitschaft, die konzeptualisierte Idee nun in die Praxis umzusetzen, also z. B. einen neuen Hybridakteur mit Pinsel und Farben zu bilden. Das bis hierhin konstruierte Akteurnetzwerk spannt sich also zwischen dem Hybridakteur aus Teilnehmerin TwDe1 und Smartphone, Studentin SwDe1, dem in der Mitte befindlichen Skateboarddeck und den Malutensilien (Pinsel, Farben usw.) als Potenziale zur Gestaltung des Skateboards auf. Die übrigen Teilnehmer*innen und auch der das Audioaufnahmegerät haltende Student SmDe1 nehmen zwar nur passiv an der Situation teil, sind, abgesehen von TmDe1, in ihrer Blickrichtung allerdings auf die Interaktion vor ihnen ausgerichtet (siehe Abb. 1). Dadurch integrieren auch sie sich in das pädagogische Akteurnetzwerk. Bei TwDä1 und TwDä2 (Teilnehmerin, weiblich, aus Dänemark, 1, 2) handelt es sich um zwei dänische Teilnehmerinnen, die durch ihre körperliche Anwesenheit auch Bestandteil dieses Netzwerkes werden, durch die Sprachbarriere (als immaterielles Konstrukt) von dem Prozess seiner Konstruktion aber ausgeschlossen sind. In der letzten aufgeführten Sequenz („dann können wir uns den Rest ja überlegen“) wendet SwDe1 ihren Kopf von dem Hybridakteur aus TwDe1 und Smartphone ab und schaut nun in Richtung der Gruppe, sodass hier eine Aufforderung zum Ausdruck kommt. SwDe1 handelt somit weiterhin innerhalb der ihr situativ zugewiesenen Rolle der Pädagogin, die sie nun auch auf die Interaktion mit den übrigen Anwesenden ausweitet.
5.2 Fall 2 – „schreiben tut er aber trotzdem nich“ Die zweite analysierte Szene findet ebenfalls während des gestaltenden Teils des dreigliedrigen Skateboardworkshops statt. Die Anonymisierungen sind dieselben wie im Fall vorher, es handelt sich aber um andere Personen. TwDe2, TwDe3 und TwDe5 sind drei Teilnehmerinnen der Zukunftswerkstatt aus einer der deutschen Einrichtungen, MmDe1 (Mitarbeiter, männlich, aus Deutschland, 1) ist ein pädagogischer Mitarbeiter aus selbiger. Das besprochene männliche Subjekt Marvin („er“; Name anonymisiert) (s. u.) ist der feste Freund von TwDe2, auch in derselben Einrichtung beschäftigt und entsprechend allen an der Interaktion beteiligten Personen bekannt. Im Vorfeld hatte TwDe2 ihr Smartphone aus der Hosentasche genommen, schaut nun auf das Interface und eröffnet währenddessen die transkribierte Interaktion. Danach wendet sie sich zu ihren beiden Kommunikationspartnerinnen TwDe3 und TwDe5. TwDe2: schreiben tut er aber trotzdem nich TwDe5: [ca. 2 Sek. Pause] sind die vielleicht doch noch nich angekommen? TwDe3: doch die sind um halb fünf am Flughafen angekommen
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TwDe2: ja TwDe5: ach ja [kurzes Absetzen] halb fünf MmDe1: ach ja Marco M- äh Marvin is ja in Frankreich ne? TwDe5: ja TwDe3: ja
Die erste Sequenz („schreiben tut er aber trotzdem nich“) bringt eine nicht erfüllte Erwartung der Sprecherin TwDe2 zum Ausdruck. Ein unbenanntes männliches Subjekt müsste eigentlich „schreiben“ und sollte dazu potenziell auch in der Lage sein. Das Ausbleiben tritt für sie irritierend in den Vordergrund, sodass hier ein latenter Vorwurf an das besprochene Subjekt („er“) mitschwingt. An diese Sequenz schließt sich ein Wechsel zur Sprecherin TwDe5 an („sind die vielleicht doch noch nich angekommen?“). Sie stellt eine analytische Nachfrage zur Ergründung der Nichterfüllung und liefert gleichzeitig eine mögliche Erklärung. Diese besteht in der möglicherweise noch stattfindenden Fortbewegung einer Gruppe („die“), der das männliche Subjekt sinnlogisch angehören muss und deren anhaltende Bewegung das Schreiben unmöglich macht, sodass es das Nichtschreiben legitimiert. Dieses Erklärungsmodell wird durch die sich in die Interaktion einschaltende TwDe3 im Folgenden jäh abgelehnt („doch die sind um halb fünf am Flughafen angekommen“). Sie verfügt offenkundig über weitere Informationen zur Fortbewegung der Gruppe, die TwDe5 vorher nicht miteinbezogen hatte. TwDe3 drückt ihr Wissen darüber aus, dass sich die Gruppe zum konkreten, bereits zurückliegenden Zeitpunkt „halb fünf“ am „Flughafen“ als anvisiertem Zielpunkt der Fortbewegung befunden hat, sodass die Möglichkeit der noch nicht erfolgten Ankunft als Begründung für das Nichtschreiben delegitimiert wird. TwDe2 bestätigt im Fortlauf diesen Umstand und die damit verbundene Implikation durch das kurze „Ja“, derer sich nun auch TwDe5 erinnert („ach ja [kurzes Absetzen] halb fünf“) und das Ablehnen des eröffneten Erklärungsmodells akzeptiert. Die bislang unbeteiligte Person MmDe1 schaltet sich nun ein und lenkt die Interaktion inhaltlich in eine neue Richtung. MmDe1 verbalisiert einen Erinnerungsprozess („ach ja“) zum Aufenthaltsort des bislang unbenannten Subjekts „Marvin“ in „Frankreich“. Dieser Aufenthaltsort scheint geteiltes Wissen darzustellen („ist ja in Frankreich“), wofür MmDe1 eine Bestätigung von den adressierten Teilnehmerinnen einfordert. Diese Bestätigung geschieht im Anschluss durch die beiden Sprecherinnen TwDe5 und TwDe3. Abb. 2 zeigt die Situation während des Sprechens der oben dargestellten Sequenz („schreiben tut er aber trotzdem nicht“). TwDe1 ist in ihrer Blickrichtung auf ihr Smartphone ausgerichtet, TwDe3 und TwDe5 haben sich in
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Abb. 2 Anordnung im pädagogischen Raum, Fall 2 (Die Anonymisierungen sind dieselben, wie in Abb. 1; neu hinzukommen MmDä1, 2 = Mitarbeiter, männlich, aus Dänemark, 1, 2; MwDe1, 2 = Mitarbeiterin, weiblich, aus Deutschland 1, 2; EPmDe1 = Externer Pädagoge, männlich, aus Deutschland, 1 [für Durchführung des Workshops verantwortlich]; UwDä1 = Universitätsmitarbeiterin, weiblich, aus Dänemark, 1). (Eigene Darstellung)
Folge der Ansprache durch TwDe2 vom Geschehen der pädagogischen Situation vor ihnen abgewandt und blicken sie an. TwDe2 und Smartphone bilden einen Hybridakteur. Durch seine medial-materielle Beschaffenheit fordert es das Gerät im Austausch mit TwDe2 von ihr ein, den Aufmerksamkeitsfokus von der vor ihr stattfindenden pädagogischen Situation abzuwenden, was dem verfolgten Lernziel (Gestaltung der Skateboarddecks zum Kennenlernen dieser Form von Jugendkultur) entgegensteht. Mit dem Smartphone lässt sich hier ein von ihm ausgehender bzw. durch ihn vermittelter „Aufforderungscharakter“ (van Dyk 2013, S. 62) verbinden, der die volle Aufmerksamkeit von TwDe2 einfordert. Durch die Adressierung der beiden Interaktionspartnerinnen werden auch sie abgelenkt (beide wenden ihren Blick auf TwDe2 und ihr Smartphone). Das im Austausch entstehende Akteurnetzwerk spannt sich zwischen den Hybridakteuren aus TwDe2, dem räumlich weit entfernten Marvin und ihren jeweiligen Smartphones, den Teilnehmerinnen TwDe3 und TwDe5 und dem Mitarbeiter MmDe1 am Rande des Workshopgeschehens auf.
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In der vorliegenden Situation eröffnet das mobile Endgerät der Teilnehmerin den Handlungsrahmen eines ortsunabhängigen Kommunikationskanals zu einem räumlich weit entfernten Hybridakteur aus einem ihr nahestehenden Teil ihrer Peergroup und dessen Smartphone, der es potenziell ermöglicht, diesen in die Konstruktion des Akteurnetzwerks der Situation zu integrieren. Das Ausbleiben des Schreibens als gängige Kommunikationsform über Instant Messaging Dienste oder SMS wird in der Strukturlogik des vorliegenden Falls als symbolischer Ausdruck eines ausbleibenden Beziehungsinteresses verhandelt, was hier einer unbedingt notwendigen Begründung bedarf, um als legitim zu gelten. Die Situation erhält durch die hervorgebrachte Krisenhaftigkeit somit einen emotionalen Charakter, der sich überhaupt erst durch den Austauschprozess mit dem Smartphone konstituiert. Die nachfolgende Interaktion zwischen den drei Teilnehmerinnen (und auch des sich einschaltenden und vom Workshopgeschehen abwendenden Mitarbeiters) zielt auf die situative Ergründung dieses Ausbleibens und bezieht sich folglich auf die mediatisierte Figuration der Beziehungsordnung zwischen TwDe2 und Marvin, stellt aber die Notwendigkeit des Schreibens als Ausdruck einer Interessensbekundung nicht grundsätzlich infrage.
6 Fazit Im Mittelpunkt des Beitrags stand die Frage nach pädagogischen Ordnungsbildungen im Zusammenspiel mit Smartphones als medial-materiellen Akteuren. Dabei haben wir mit der erziehungswissenschaftlichen Reflexion der ANT nach Nohl einen Zugang gewählt, welcher das Zusammenwirken von menschlichen und dinglichen Akteuren als Hybridakteure beschreibt. Wie sich die damit einhergehenden Verknüpfungen von Menschen und Dingen in pädagogischen Akteurnetzwerken ausgestalten können, haben wir anhand der Rekonstruktion zweier Fälle aus der berufsvorbereitenden Bildung untersucht. Dabei zeigen sich zwei konträre Bilder. Wie auch bisherige Forschung zeigt, lässt sich das Potenzial von Smartphones in pädagogischer Praxis nicht klar nach den Seiten „Nutzen“ oder „Ablenkung“ zuordnen (siehe Einleitung). Gleichwohl ging es in der hier vorgeschlagenen Perspektive auch nicht primär um den Nachvollzug des Was des Einflusses von Smartphones auf pädagogische Praxis, sondern darum, wie diese Potenziale in pädagogischer Praxis hergestellt werden. In beiden Fällen lässt sich durch die Hybridakteurbildung aus Mensch und Smartphone eine Entgrenzung der pädagogischen Ordnungen nachzeichnen. Diese Entgrenzung unterstützt in Fall 1 den intendierten Lernprozess, indem im Austausch mit dem Smartphone ein Zugang zu online-Wissensbeständen ermöglicht wird
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und eine Individualisierung hin zur lernenden Person stattfindet. In Fall 2 steht sie der pädagogischen Zweckbestimmung entgegen, da sich die Verhandlung über die via Smartphone ermöglichte, aber ausbleibende und so als mangelndes Beziehungsinteresse verhandelte Integration eines räumlich weit entfernten Mitglieds der Peergroup in das Akteurnetzwerk über das Verfolgen des anvisierten Lernziels legt. Generalisierende Schlüsse über einen abstrakten Einfluss von Smartphones auf Lernprozesse bieten die Rekonstruktionen nicht an. Vielmehr zeigt sich, dass die Frage der Funktion bzw. eines potenziellen Einflusses von Smartphones auf pädagogische Ordnungsbildungsprozesse eben nicht rein „vom Ding aus“ betrachtet werden kann, sondern differente Nutzungen jeweils situationsspezifisch in der Praxis hergestellt werden. Für einen solchen situationssensiblen Blick, der Einsichten in das Zusammenwirken menschlicher und medial-dingliche Akteure in der pädagogischen Praxis ermöglicht, erscheint uns die hier vorgestellte Perspektive als ein geeignetes Verfahren, um komplexe Situationszusammenhänge möglichst detailliert aufzuschlüsseln. Das Zusammenwirken von menschlichem und dinglichem Akteur lässt sich entsprechend als die Konstruktion eines Möglichkeitsraumes begreifen, innerhalb dessen die vom menschlichen Akteur intentionalen, situationsspezifischen sowie routinisierten Aneignungen des medialen Artefakts darüber entscheidet, in welcher Form das Smartphone durch seine Nutzung Einfluss auf pädagogische Praxis nehmen kann. Dies geschieht jedoch nachvollziehbarerweise nicht kontextunabhängig, sondern im Rahmen der Voraussetzungen, welche durch das pädagogische Setting sozial-medial, individuell und räumlich geboten werden. Pädagogische Ordnungsbildung vollzieht sich entsprechend in der Zusammenfügung aus den je subjektiven Aneignungen der Artefakte als Hybridakteurbildungen sowie den Rahmenbedingungen, welche von Pädagog*innen gesetzt werden. Diese sind entsprechend damit konfrontiert, auf den durch H ybridakteurund davon ausgehende Netzwerkbildung entstandenen Möglichkeitsraum in integrierender, disziplinierender, akzeptierender oder ignorierender Weise reagieren zu müssen, ohne dabei pauschal darüber urteilen zu können, ob es sich beim Smartphone um eine „Bereicherung“ oder eine „Ablenkung“ handelt. Um eine situationssensible Perspektive auf die durch das Zusammenspiel von menschlichen und dinglichen Akteuren entstehende Ordnungskonstruktion pädagogischer Praxis zu entwickeln, haben wir videografisches Materials in das methodische Vorgehen der Objektiven Hermeneutik einbezogen. Hierüber konnten wir im Sinne der Kontextuierung (vgl. Wernet 2009, S. 21 f.) auch die Ebene nonverbaler Kommunikation über die räumlich-materielle Positionierung der unterschiedlichen Akteursgattungen als Faktor pädagogischer Ordnungsbildung
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hinzuziehen. Der Einbezug videografischen Materials wäre methodologisch wie methodisch weiterführend zu entwickeln, wobei ein solches Vorgehen u. a. über eine Kombination aus Ethnografie und Objektiver Hermeneutik vielversprechend erscheint (vgl. Hummrich und Meier 2018).
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Hinweise zu den Autor*innen
Bettinger, Patrick, ist Juniorprofessor für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung an der Universität zu Köln. Er promovierte an der Universität Hamburg mit einer praxistheoretisch ausgerichteten Arbeit zur Medienbildungsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der pädagogischen Medientheorie, medienbezogener Lehr- und Lernforschung sowie qualitativen Methodologien und Methoden der Medienforschung. E-Mail: [email protected] Biermann, Ralf, Dr., Mitarbeiter am Institut I: Bildung, Beruf, Medien der Fakultät für Humanwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Mediensozialisation unter der Berücksichtigung milieuspezifischer Ansätze, des Lernens und Lehrens mit neuen Medien in Bildungskontexten sowie der Kommunikations- und Interaktionsformen in virtuellen Welten, insbesondere Digital Games Studies. E-Mail: [email protected]; Web: https://ralf-biermann.de Dander, Valentin, ist Erziehungswissenschaftler und Professor für Medienbildung und pädagogische Medienarbeit an der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam. Er promovierte an der Universität zu Köln mit einer wechselseitigen Verhältnisbestimmung von Medienpädagogik und digitalen Daten. Forschungsinteressen liegen im Feld medienpädagogischer Bildungs- und Wissenschaftstheorie, mit Schwerpunktsetzungen auf Politischer Medienbildung, digitalen Daten, Medien*Kritik und Open Education. E-Mail: [email protected] Dehmel, Lukas (*1992), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Paderborn am Arbeitsbereich für Medienpädagogik und empirische Medienforschung, Institut für Medienwissenschaften; seine Schwerpunkte liegen in der (qualitativen) © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Bettinger und K.-U. Hugger (Hrsg.), Praxistheoretische Perspektiven in der Medienpädagogik, Digitale Kultur und Kommunikation 6, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28171-7
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Hinweise zu den Autor*innen
Forschung zur medienpädagogischen Professionalisierung von Erwachsenenbildner*innen, zu mobilen Medien in unterschiedlichen Lern- und Bildungskontexten und zu Mediatisierungsprozessen in verschiedenen pädagogischen Zusammenhängen. E-Mail: [email protected] Hugger, Kai, ist Professor für Medienpädagogik und Mediendidaktik an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen, Professionalisierung und Verberuflichung der Medienpädagogik sowie Ganztagsschule und digitale Medien. E-Mail: [email protected] Marsden, Nicola, Professorin an der Hochschule Heilbronn in der Fakultät für Informatik, Inhaberin der Forschungsprofessur Sozioinformatik, Heilbronner Institut für angewandte Marktforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender und Diversität in der IT, soziale Wahrnehmung in Designprozessen, Gestaltung kollaborativer Systeme, nutzungsorientierte Entwicklung innovativer Anwendungen, Mensch-Technik-Interaktion, Führung und Zusammenarbeit in der Digitalisierung, Reallaborforschung. E-Mail: [email protected] Mayrberger, Kerstin (*1977), Professorin an der Universität Hamburg, am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Vernetztes, offenes Lernen und Lehren unter den Bedingungen von Digitalität und Digitalisierung, Open Educational Practice(s) (OEP), Digitale Transformation der Hochschulbildung, (Weiter-)Entwicklung des Ansatzes einer partizipativen Mediendidaktik. ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-6836-4199 Paus-Hasebrink, Ingrid (*1952), Universitätsprofessorin i.R. am Fachbe reich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Ihre Forschungs schwerpunkte sind: (Medien-)Sozialisationsforschung, international vergleichende Mediennutzungsforschung, Kinder- und Jugendforschung, AV-Rezeptions-, Genreund Formatforschung, Phänomene der Populärkultur, Medienpädagogik. E-Mail: [email protected] Raudonat, Kerstin, promovierte Erziehungswissenschaftlerin an der Hochschule Heilbronn in der Fakultät für Informatik. Ihre Schwerpunkte und Forschungsinteressen: Interaktion und Lernprozesse in medialen Kontexten, Gender- und Diversitätssensibilität im Kontext der Entwicklung medialer und informatischer Artefakt sowie der Arbeit mit und über Medien, gender- und
Hinweise zu den Autor*innen
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diversitätssensible Medienpädagogik, Schnittstelle Game Studies. E-Mail: [email protected] Sehnbruch, Lucia, Dr., Medienwissenschaftlerin an der Professur für Erziehungswissenschaft der Universität zu Köln und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Wissenschaftlichen Leitung der „Heliosschulen – Inklusiven Universitätsschulen der Stadt Köln“. Lehr- und Forschungsgebiete: Medienbildung und Demokratiebildung, Sozialisation in mediatisierten Lebenswelten, Digitaler Wandel, Medientheorie, Medien- und Techniksoziologie, (Bildschirm)Dispositive, Medien- und Diskursgeschichte. E-Mail: [email protected] Verständig, Dan, ist Juniorprofessor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildung in der digitalen Welt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seine Forschungsschwerpunkte lassen sich in der Betrachtung von Lern- und Bildungsprozessen im Horizont digitaler Medialität verorten. Dabei spielen die digitalen Infrastrukturen eine wichtige Rolle für die Betrachtung von Fragen der Bildung. Damit bewegt sich das Forschungsinteresse im Rahmen von Bildungs- sowie Medientheorie und Algorithmenforschung. E-Mail: [email protected]; Web: https://www.ebdw.ovgu.de Wieser, Matthias, Assoziierter Professor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Fakultät für Kulturwissenschaften, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Medien- und Kommunikationssoziologie, Medien- und Kulturtheorie, Cultural Studies und Science & Technology Studies. E-Mail: [email protected] Wild, Rüdiger, Dr., Vertretungsprofessor für Lebenslanges Lernen unter besonderer Berücksichtigung des non-formalen und informellen Lernens an der Ruhr-Universität Bochum sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Lebenslanges Lernen an der FernUniversität in Hagen. Arbeitsschwerpunkte: Digitale Medienbildung, konstruktivistische und pragmatistische Mediendidaktik, Digitalisierung in der Hochschullehre. E-Mail: [email protected] Zick, Sebastian (*1987), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Flensburg, Arbeitsbereich Erwachsenenbildung, Institut für Erziehungswissenschaften; in seiner Forschung beschäftigt er sich aus qualitativer Perspektive mit politischen und pädagogischen Narrativen von (Bildungs)Mobilität sowie mit Europäisierungs- und Internationalisierungsprozessen in der Erwachsenenbildung und am Übergang Schule-Beruf. E-Mail: [email protected]