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German Pages 196 [243] Year 2015
Öffentliche Wissenschaft
Theorie Bilden Band 4 Hannelore Faulstich-Wieland, Hans-Christoph Koller, Karl-Josef Pazzini, Michael Wimmer (Herausgeber im Auftrag des Fachbereichs Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg)
Editorial Die Universität ist traditionell der hervorragende Ort für Theoriebildung. Ohne diese können weder Forschung noch Lehre ihre Funktionen und die in sie gesetzten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen. Zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung besteht ein unlösbares Band. Auf diesen Zusammenhang soll die Schriftenreihe »Theorie Bilden« wieder aufmerksam machen in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden. Dabei ist der Zusammenhang von Theorie und Bildung in besonderem Maße für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung, ist doch Bildung nicht nur einer ihrer zentralen theoretischen Gegenstände, sondern zugleich auch eine ihrer praktischen Aufgaben. In ihr verbindet sich daher die Bildung von Theorien mit der Aufgabe, die Studierenden zur Theoriebildung zu befähigen. In dieser Schriftenreihe werden theoretisch ausgerichtete Ergebnisse aus Forschung und Lehre von Mitgliedern des Fachbereichs publiziert, die das Profil des Faches Erziehungswissenschaft, seine bildungstheoretische Besonderheit im Schnittfeld zu den Fachdidaktiken, aber auch transdisziplinäre Ansätze dokumentieren. Es handelt sich dabei um im Kontext der Fakultät entstandene Forschungsarbeiten, hervorragende Promotionen, Habilitationen, aus Ringvorlesungen oder Tagungen hervorgehende Sammelbände, Festschriften, aber auch Abhandlungen im Umfang zwischen Zeitschriftenaufsatz und Buch sowie andere experimentelle Darstellungsformen.
Peter Faulstich (Hg.)
Öffentliche Wissenschaft Neue Perspektiven der Vermittlung in der wissenschaftlichen Weiterbildung
DGWF Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudien e.V.
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INHALT Peter Faulstich Vorwort: Vermittlung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft..........................7 Peter Faulstich Öffentliche Wissenschaft ...............................................................................................11 Andreas W. Daum Popularisierung von Wissenschaft im 19. Jahrhundert .........................................33 Wilhelm Filla Volkstümliche Universitätskurse – Ein historisches wie aktuelles Modell der Wissenschaftsverbreitung..............51 Klaus Taschwer Vom Kosmos zur Wunderwelt – Über Popularwissenschaftliche Magazine einst und jetzt ...................................73 Annette Noschka-Roos, Jürgen Teichmann Populäre Wissenschaft in Museen und Science Centers......................................87 Hans-Dietrich Raapke, Christiane Brokmann-Nooren, Ina Grieb, Martin Beyersdorf Seminarkurse.................................................................................................................. 105 Bernhard Christmann „Dazwischen“. Intermediäre Institutionen und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Weiterbildung ................................. 119 Burkhard Lehmann Public Science Remote – oder Popwissenschaft aus der Ferne? .................... 137 Martin Beyersdorf, Klaus Pape Kooperationsstellen Hochschulen/Gewerkschaften – Öffentliche Wissenschaft?! ......................................................................................... 147
Christiane Brokmann-Nooren KinderUniversität – eine neue Aufgabe für die wissenschaftliche Weiterbildung?.......................... 163 Hannelore Faulstich-Wieland Beiträge wissenschaftlicher Weiterbildung: Frauenstudien............................. 171 Felizitas Sagebiel SeniorInnenstudium..................................................................................................... 189 Karl Weber Forschungsbezug in der universitären Weiterbildung....................................... 211 Autorinnen und Autoren...............................................................................................237
PETER FAULSTICH Vorw ort: Vermittlung zw ischen Wissenschaft und Gesellschaft
Die Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium (DGWF) stellt sich mit dem – fortzusetzenden – Vorhaben „Öffentliche Wissenschaft“ in einen anspruchsvollen, erweiterten und „entgrenzten“ Kontext. Damit sind weitreichende Ansprüche verbunden: Beizutragen zu der theoretischen Diskussion um das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft; aufzuzeigen, was wissenschaftliche Weiterbildung leisten kann in Transferprozessen; einzugreifen in die politische Debatte um die Notwendigkeit der Partizipation der Bürger bei der Entwicklung von Wissenschaft. Nun muß dies selbstverständlich eingeschränkt werden: Es gilt einige Anstöße zu geben, die weitere Fragen öffnen. Dies betrifft den Stellenwert von Wissenschaft für die gesellschaftliche Entwicklung, die Klärung unterschiedlicher Begriffe von Wissenschaft, die Verfassung von Öffentlichkeit als fragiler und diffuser Institution, den Stellenwert von Vermittlungsagentur und Weiterbildungsinstitution, die Perspektiven von Transformationsprozessen und anderem mehr. Die Relevanz dieser Probleme muss nicht betont werden. Insofern legen wir Anstöße vor, welche weitergeführt werden sollen: Nach einem Einordnungsversuch, wird zurückgegriffen auf die Tradition einer Popularisierung von Wissenschaft, welche im 19. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt hatte. Andreas Daum belegt schlüssig die Notwendigkeit dieser Bestrebungen, zeigt, dass dieses ein eigenes Tätigkeitsfeld darstellt und führt an aktuelle Diskussionen heran. Dies gelingt auch Wilhelm Filla am Beispiel der „volkstümlichen Universitätskurse“ in Wien. Die Universitätsausdehnung als Form der Wissenschaftspopularisierung ist sowohl ein historisch gewichtiges Beispiel, als auch gleichzeitig Anstoß für aktuelle Bemühungen im Rahmen eines Kooperationsprojektes initiiert vom Verband Wiener Volksbildung, der Universität 7
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Wien und der Stadt Wien „University meets public“, das an die Vorläufer anknüpft. Popularität und die Verbreitung von Wissenschaft war immer schon nicht nur eine Frage von Weiterbildung, sondern ein spezifischer Literaturzweig, wie Klaus Taschwer am Beispiel der Wissensmagazine zeigt. Die gerade gegenwärtig wieder stark im Kommen begriffenen Zeitschriften, welche sich populärwissenschaftlichen Formaten widmen, haben ebenfalls eine lange Vorgeschichte, welche zurückgeführt werden kann, bis auf die ersten Monatsschriften der Aufklärung. Für die Wissenschaftsvermittlung in den Printmedien zeichnet sich ein neuer Boom ab. Einen anderen „Kanal“ der Wissensverbreitung stellen die Museen dar. Eine der wichtigsten Institutionen Deutschlands ist zweifellos das Deutsche Museum in München, das von Annette Noschka-Roos und Jürgen Teichmann als Beispiel herangezogen wird, um die Entwicklung unterschiedlicher Museumskonzepte darzustellen. Es geht um unterschiedliche Gewichte zwischen Lernen und Erleben. In der Erwachsenenbildung kann nach sporadischen Beispielen zu Beginn des 19. Jahrhunderts – Fichte und Alexander von Humboldt werden immer wieder genannt – eine kontinuierliche Vermittlungsarbeit bezogen auf Wissenschaft zurückgeführt werden auf die Tätigkeit der „Tutorial classes“ im Rahmen der „University extension“ seit 1876 und auf die von Wilhelm Filla dargestellten „volkstümlichen Hochschulkurse“. In Deutschland war diese Entwicklung eher schwierig und hat erst mit den „Seminarkursen“ in Verbindung mit der Universität in Göttingen seit 1955 Dauer erhalten. Verbunden ist dies mit Willi Strzelewicz, der ein eigenes Konzept einer Bildungsarbeit zwischen Hochschul- und Erwachsenenbildungseinrichtungen entwickelte, welches über vereinzelte Vortragsveranstaltungen hinaus ging. Diese Ansätze werden in Oldenburg und Hannover weitergeführt, sind aber mittlerweile eingeordnet in ein breites Spektrum von Hochschulaktivitäten in der Weiterbildung, welche von Öffnungen für Gasthörer bis hin zu systematisch organisierten weiterbildenden Studiengängen geht. In diesem Spektrum haben Einrichtungen der wissenschaftlichen Weiterbildung an Hochschulen eine besondere Form als „intermediäre Institutionen“ erhalten. Bernhard Christmann zeigt die Schwierigkeit, diese Zwischenlage zu institutionalisieren und immer wieder neu zu stabilisieren und verweist auf ihren besonderen Stellenwert als Verbindung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Aktivitäten der wissenschaftlichen Weiterbildung greifen mittlerweile zurück auf moderne Medien wie E-Learning und Internet. Dabei bleibt allerdings die Grundfrage, welche Burkhard Lehmann aufgreift, nach wie vor zu klären, inwieweit wissenschaftliche Weiterbildung über einen spezifischen
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VERMITTLUNG ZWISCHEN W ISSENSCHAFT UND GESELLSCHAFT
Adressatenkreis von Absolventen von Hochschulen hinaus auch zur Verbreitung von Wissen beitragen kann. Dies ist explizit Aufgabenstellung der „Kooperationsstellen Hochschulen Gewerkschaften“, welche ausgehend von der Debatte über die öffentliche Verantwortung von Wissenschaft seit Ende der 1970er Jahre eingerichtet worden sind. Diese haben ein problematisches Verhältnis zu den Hochschulen einerseits, wie auch zu den Gewerkschaften andererseits. Übergänge zwischen zunächst getrennten Institutionen zu schaffen, erweist sich hier als besonders schwierig, da die internen Strukturen der getrennten Partialsysteme deutlich auseinanderfallen. Auch zu anderen sozialen Bewegungen, so der Frauenbewegung, erweist sich das Verhältnis von Wissenschaft als problematisch. Hannelore FaulstichWieland belegt Versuche, eine doppelte Erweiterung von Hochschulbildung zu erreichen: zum einen für einen breiteren Kreis von Adressatinnen, zum andern hinsichtlich der Öffnung für neue Themen, welche aus dem etablierten Hochschulbetrieb vorher ausgeschlossen waren. Dies kann auch auf andere Adressaten, Seniorinnen und Senioren, bezogen werden. Felizitas Sagebiel beschreibt ausführlich die Entwicklung von Hochschulangeboten zur Weiterbildung von Älteren. Sie belegt die Schwierigkeiten, welche Hochschulen haben, sich diesem Teilnehmendenkreis zu öffnen und dessen Interessen aufzunehmen. Am anderen Ende der Alterspyramide haben in der letzten Zeit Kinderuniversitäten erhebliche Resonanz erreicht. Christiane Brokmann-Nooren spiegelt die Begeisterung, welche von den jüngsten an Wissenschaft Interessierten gezeigt wird. Dies ist für Hochschulen sicherlich zum einen eine Strategie von Öffentlichkeitsarbeit, zum andern wird damit aber auch ein Zugang zur Wissenschaft geschaffen, welcher später fortwirken kann. Abschließend fragt Karl Weber noch einmal nach dem spezifischen Profil der Hochschulen in der Weiterbildung. Es könnte der Forschungsbezug sein; bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass dies für die unterschiedlichen Hochschularten und vor allem für verschiedene Fächer sehr differenziert gesehen werden muss. Es könnte sogar sein, dass der Bezug auf Forschung zunehmend schwieriger wird, da einerseits die Ausschließlichkeit der Universitäten in diesem Feld sich auflöst und Wissenschaft in den Kontext externer Institutionen entgrenzt wird, andererseits gerade die Hochschulforschung eine Exklusivität erhält, welche sich gegen Weiterbildungsaktivitäten sperrt. Wir legen mit den vorliegenden Beiträgen Diskussionsanstöße vor, von denen wir hoffen, dass sie weitergeführt werden und dass damit das schwierige Problem der Umsetzung und Verbreitung von Wissenschaft in ein helleres Licht gestellt werden kann und gleichzeitig die Notwendigkeit der Teilhabe breiter Bevölkerungskreise unterstrichen wird. Insofern kann man dieses Vorhaben als ein Projekt in der Tradition von Aufklärung begreifen. 9
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Es ist üblich geworden, in wissenschafts-, hochschul- und weiterbildungspolitischen Diskussionen auf den tiefen Graben zwischen spezialisierter, disziplinärer Forschung und deren öffentlicher Wahrnehmung und Verbreitung, politischer Umsetzung oder ökonomischer Verwendung hinzuweisen. Je schneller die Wissenschaftsproduktion voranschreitet, desto breiter wird die Kluft zur Wissensdistribution. Der wachsende Umfang wissenschaftlicher Informationen behindert eine breitere Rezeption über einen kleinen Kreis einschlägiger Experten hinaus. Wissenschaftliche Weiterbildung könnte ihrem Anspruch nach Brücken schlagen zwischen Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit, zwischen Wissensvermittlung und Erfahrung, zwischen organisiertem und informellem Lernen, zwischen Hochschule und Gesellschaft, zwischen Experten und Publikum. Dazu müssen allerdings das Aktivitätsspektrum an den Hochschulen wesentlich erweitert und andere Wege – über Seminare, Kurse, Programme und Studiengänge hinaus – gesucht werden. Zum Teil kann sich diese Suche auf ein Rückerinnern stützen. Im Entstehen von Erwachsenenbildung stand die Aufgabe, Teilhabe an naturwissenschaftlich-technischem Wissen zu ermöglichen, außer Frage. Zum einen waren wissenschaftliche Fragen selbstverständliche Themen der Erwachsenenbildung – z.B. in den Lesegesellschaften, den Arbeiterbildungsvereinen, den Ansätzen zur Verbreitung der Volksbildung. Zum anderen umfasste „Volksbildung“ ebenso selbstverständlich die Arbeit von Museen und Bibliotheken, auch Sternwarten, Zoos und botanischen Gärten. Aufklärung gegen Aberglauben, Unvernunft und Dummheit war Devise einer an Fortschrittsglauben gebundenen Wissenschaft. Später erst, im Prozess des Rückzugs in eine immer dunkler werdende Innerlichkeit, erhielt „Popularisierung“ einen negativen Beigeschmack. In der Folge sind Wissenschaftlichkeit und ganzheitliche An11
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eignung auseinander getreten. Einerseits wurde sinnliche Erfahrung als Erkenntnisquelle abgewertet, andererseits verlaufen Forschungsprozesse zunehmend basiert auf abstrakt-mathematisierten Modellen, also selbst entsinnlicht. Entsprechend erfolgen Weiterbildungsbemühungen oft kognitiv reduziert und blenden emotionale Aspekte aus. Kompensiert wird dieses Problem partiell durch Erlebnispädagogik, welche aber in Gefahr schwebt, nun umgekehrt auf den Event und den Kick zu setzen, das Verstehen aber zu vernachlässigen.
1. Wissenschaftsvermittlung als Bildungsaufgabe In einer bis in die Poren von Technik durchzogenen Gesellschaft ist das Begreifen wissenschaftlich-technischer Phänomene zentrales Moment des Weltverständnisses. Vermitteln zwischen Alltagsbewusstsein und technologischer Entwicklung ist vorrangige Bildungsaufgabe. In eine einprägsame Formel gebracht hat dies Heinz-Joachim Heydorn (1916-1974), der „Bildung als Verfügung des Menschen über sich selbst“ (Heydorn 1972: 120) reflektiert hat. Daraus folgert Heydorn: „Die dringlichste Bildungsaufgabe besteht darin, das Bewusstsein des Menschen von sich selber auf die Höhe der technologischen Revolution zu bringen“ (ebd.: 122). Es geht also um Vermitteln und Aneignen von Wissenschaft und Technik. Allerdings hatte Wissenschaftsorientierung in der Erwachsenbildungstradition lange Zeit schlechte Karten. Zwar gibt es von Anfang an in der Geschichte der Erwachsenenbildung einen Bezug zur Aufklärung und ein spannungsreiches Verhältnis zur Universität als institutionalisierter Form der Entwicklung von Wissenschaft. Unterschwellig wurde aber später über weite Strecken das „Eigentliche“ von Erwachsenenbildung romantisierend jenseits von Wissen gesucht. Leben und Wissenschaft wurden in einen Gegensatz gestellt. Dabei entspricht eine szientifische Reduktion von Wissenschaft als ein Sammeln scheinbar wertneutraler, sachorientierter und interessenloser Erkenntnisse – reziprok – einer komplementär irrational aufgeladenen Lebenspraxis eingebunden in die scheinbaren Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten des Alltags. Ergebnis ist ein gestörtes Verhältnis von Erwachsenenbildung und Wissenschaft – besonders zu Naturwissenschaft und Technik. In der Tradition der Aufklärung dagegen führte der Weg zu menschlicher Bildung und gesellschaftlicher Gestaltung vorrangig über Wissenschaft, die – so der Anspruch – auf einer Vernunft beruhte, die sich gegen unbegriffene Mächte wandte und diese kritisch hinterfragte. Für die Entfaltung der Persönlichkeit, indem das Individuum sich seiner konkreten Lebenslage vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Interpretationen der Wirklichkeit auf der Hö-
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he der Zeit vergewissert, ist demgemäß aktive Aneignung von Wissenschaft unverzichtbar. In dieser Linie gilt es, Wissenschaft zu begreifen als die der Moderne angemessene Form der Interpretation von Welt. Dadurch erst erhält sie ihren Stellenwert für das Problem Bildung. Allerdings wird auch dies wieder doppelt problematisch: Einerseits entzieht sich Wissenschaft vielfach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrer Orientierungsfunktion. Andererseits ist die Vermittlung von Wissenschaft zur Bildung unter dem Stichwort „Popularisierung“ in Verruf gekommen und unter dem Stichwort „Vulgarisierung“ zu einem Non-Thema geworden.
2. Kulturaneignung bezogen auf Wissenschaften und Technik Das war nicht immer so. Im Entstehen von Erwachsenenbildung war Vermittlung wissenschaftlichen Wissens als Aufgabe unbefragt. Naturwissenschaftliche Fragen waren selbstverständliche Themen der Aufklärung, die in ihrer Legitimation auf nationalökonomischen Nutzen insbesondere neuer Erkenntnisse über die Natur und deren Umsetzungen in Technik abstellte. In ihrer szientifischen Form scheinbar sachlich gegebener Resultate schien Wissenschaft verfügbar. In dieser Tradition des Versuchs umfassender Kulturvermittlung scheint eine mögliche Einheit von Wissensaneignung und sinnlicher Erfahrung auf. Die Idee der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert zielte in erster Linie auf eine Kritik der Religion, des Aberglaubens und der Unwissenheit (Ewald 1790). Sie war getragen von einer Gleichzeitigkeit von bürgerlichem Öffentlichkeitsverlangen, seinen Bestrebungen nach politischer Emanzipation, liberalen Bildungsbemühungen und einem gewaltigen Aufschwung der Naturwissenschaft. „Naturkunde“ sollte zum Gemeingut des Volkes – auch der Bauern – werden . Historiographische Signale einer zweiten Welle nach der idealistischen und romantischen Kritik senden im 19. Jahrhundert die Namen Alexander von Humboldt, Ludwig Büchner, Ernst Haeckel oder Karl Vogt. Die Kosmosvorträge Alexander von Humboldts 1827/1828 waren eines der frühesten und bekanntesten Beispiele des Versuchs, ein breites Publikum, das vom König Friedrich Wilhelm III. bis zum Maurermeister reichte (Hamel/Tiemann 2004, 11) anzusprechen. Für die Volksbildung wichtig wurde – obwohl weniger bekannt – z.B. Emil Adolf Roßmäßler (1806-1867) (Faulstich 2003, 67). Als Mitglied des Paulskirchen-Parlaments, ein alter 48er, und als Professor für Zoologie an der Forstlichen Hochschule Tharandt suspendiert und des Hochverrats angeklagt, widmete er der „Reform der Volksbildung“ auf der Grundlage der Naturwissenschaften sein weiteres Lebenswerk. 13
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Seine Ambitionen gipfelten im Januar 1859 im Aufruf für ein „Landesmuseum für vaterländische Naturgeschichte und Industrie“ in Leipzig und – nach den Feierlichkeiten anlässlich des Todes von Alexander von Humboldt im gleichen Jahr – im Aufruf für die sich dann schnell verbreitenden „HumboldtVereine“. Seit 1861 beeinflusste Roßmäßler die Aktivitäten des Leipziger Arbeiterbildungsvereins und richtete 1862 als einer von drei Vertrauensmännern des den ersten allgemeinen deutschen Arbeiterkongress vorbereitenden Zentral-Komitees „Ein Wort an die deutschen Arbeiter“, in dem er naturwissenschaftliche Bildungsbemühungen unterstrich. Roßmäßler war ein Beispiel für das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausweitende riesige Spektrum von Aktivitäten. Aus fürstlichen Naturaliensammlungen und Raritätenkammern wurden öffentliche Naturkundemuseen. Zoologische und Botanische Gärten wurden gegründet und öffentliche Planetarien und Aquarien wurden zu Publikumsattraktionen. Institutionen der Volksbildung widmeten sich schwerpunktmäßig der naturkundlichen Bildung. Eine Auswahl (Daum 2002, 169, Faulstich 1982): 1859 1871 1888 1890 1893 1897 1899
Humboldt-Vereine Gesellschaft zur Verbreitung der Volksbildung Urania Comenius Gesellschaft Ausschuss für volkstümliche Universitätsvorträge Wien Volkstümliche Hochschulkurse München, Jena, Leipzig Verband für volkstümliche Hochschulkurse von Hochschullehrern des deutschen Reiches
Die Volksbildungsbestrebungen waren aber noch wesentlich breiter angelegt und umfassten literarische und künstlerische Aktivitäten, wie sich z.B. mit der Gründung der Freien Volksbühne Berlin 1891 belegen lässt. Publizistische Aktivitäten waren ebenso umfassend und erfolgreich, wie „Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart“ seit 1903 zeigt. Die Zeitschrift Kosmos beruft sich in ihrer ersten Nummer ausdrücklich auf Alexander von Humboldt als den letzten universalen Geist, „der noch das gesamte Gebiet der Naturwissenschaften seiner Zeit zu beherrschen vermochte“, und die „Heutzutage“ (1903! P.F.) unvermeidbare Notwendigkeit, „sich auf gewisse Zweige zu beschränken“: „Um bei dieser Spezialisierung das Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, soll unser ‚Kosmos‘ ein Führer sein für die Gebildeten […], die Lücken in ihren naturwissenschaftlichen Kenntnissen durch bildende Lektüre auszufüllen“ (Kosmos 1903, H. 1).
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Mittlerweile in Konkurrenz mit P.M. Magazin, Bild der Wissenschaft und GEO erschien natur & kosmos 2003 im 100. Jahrgang. 2005 kamen die Magazine Süddeutsche Zeitung Wissen und Zeit Wissen gleichzeitig auf den Markt und verweisen auf eine große Nachfrage.
3. „Popularisierung“ Zielpunkt in der aufklärerischen und auch noch in der neuhumanistischen Tradition war die sich harmonisch entwickelnde Persönlichkeit, die soviel Welt als möglich mit sich verband. Popularisierung galt Kant frühaufklärerisch als Einheit von Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit. „Scholastik“, gelehrte Wissenschaft, und „Popularität“, verständliche Volksaufklärung, werden nicht als Gegensatz gesehen, sondern Klarheit und Nachvollziehbarkeit gelten gerade als Beweis für die Tiefe der Erkenntnis. Deutlich macht dies Kant in der Einleitung zur „Logik“: „Denn um der popularen Vollkommenheit willen, – dem Volke zu gefallen – muß die scholastische Vollkommenheit nicht aufgeopfert werden, ohne die alle Wissenschaft nichts als Spielwerk und Tändelei wäre. […] Denn wahre Popularität erfordert viele praktische Welt- und Menschenkenntnis, Kenntnis von den Begriffen, dem Geschmacke und den Neigungen der Menschen, worauf bei der Darstellung und selbst der Wahl schicklicher, der Popularität angemessener, Ausdrücke beständige Rücksicht zu nehmen ist. – diese wahrhaft populare Vollkommenheit der Erkenntnis ist in der Tat eine große und seltene Vollkommenheit, die von vieler Einsicht in die Wissenschaft zeigt“ (Werke III: 473f.).
Die frühbürgerliche Wissenschaftsgläubigkeit wurde aufgefangen im Modell des deutschen Bildungsidealismus, wie es etwa Wilhelm von Humboldt, Fichte und Schelling enthusiastisch formulierten. Einflussreich für die Politik seiner Zeit und für die spätere Rezeption war vor allem Wilhelm von Humboldt, der 1792 in einem Bruchstück eine „Theorie der Bildung“ skizzierte. Er diskutiert das Problem, welche Fähigkeiten „die verschiedenen Fächer der menschlichen Erkenntnis zur ihrer glücklichen Erweiterung voraussetzen; den ächten Geist, in dem sie einzeln bearbeitet, und die Verbindung, in die sie alle miteinander gesetzt werden müssen, um die Ausbildung der Menschheit, als ein Ganzes, zu vollenden“ (Werke I: 234). Wenn die Auswahl der Fächer dem Zufall oder untergeordneten Absichten überlassen bleibt, so erscheint Wissen unnütz und unfruchtbar für den Geist. „Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner
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Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will“ (ebd.: 235). „Rein und in seiner Endabsicht betrachtet ist sein Denken immer nur ein Versuch seines Geistes, vor sich selbst verständlich, sein Handeln ein Versuch seines Willens, in sich frei und unabhängig zu werden, seine Geschäftigkeit überhaupt nur ein Streben, nicht müssig zu bleiben. Bloss weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders, als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, NichtMensch, d.i. Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt als möglich zu ergreifen, und so eng, als er nur kann, mit sich selbst zu verbinden“ (ebd.: 235).
In diesem Prozess kommt einem emphatischen Begriff von Wissenschaft, als Grundlage für einen Geist, der sich zwar in einzelnen „Geschäften“ ausprägt, aber eben über sie hinausgeht, eine zentrale Rolle zu, indem diese durch das entdeckte und systematisierte Wissen die Einsicht in die inneren Prinzipien und die strukturellen Zusammenhänge der Welt, von Natur und Gesellschaft eröffnet. Wissenschaft wird in der Einheit der spekulativen Philosophie des deutschen Idealismus eingebunden. Fraglos ist in dieser Idee von Bildung individuelle Freiheit jenseits von gesellschaftlichem Status mitgedacht. Dies war aber immer noch rückgebunden an Aneignung und Vermittlung von Wissen, bezog sich jedoch auf einen Begriff von Wissenschaft, der den Erwerb von Wissen relativierte. Damit, im Prozess des Rückzugs in die Innerlichkeit der Person, erhielt „Popularisierung“ von Wissenschaft einen negativen Beigeschmack. Sie wurde in eine Dichotomie von Laien und Klerikern/ Experten gestellt, wobei eben die Gefahr besteht, dass das Wissen am Leben vorbeigeht oder aber verdünnt wird.
4. Wissenschaft und Öffentlichkeit Um nun eine Einheit von Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit, von Wissensaneignung und Erfahrung ansatzweise rückzuholen, braucht man einen Begriff von Wissenschaft, der dem Alltagswissen nicht entgegengestellt ist, sondern Übergänge ermöglicht und Grenzzonen öffnet. Der Stellenwert von Wissenschaft in der Gesellschaft und für individuelle Bildung ist in den letzten zweihundert Jahren immer brisanter geworden. Zunehmend gibt es ein Auseinanderdriften zwischen wissenschaftlicher Produktion und ihrer Rezeption in der Öffentlichkeit.
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4.1 Wissenschaftskonzepte Wissenschaft ist nach wie vor und immer mehr ein spezialisiertes System sozialer Kommunikation, das sich als besondere soziale Welt aus anderen gesellschaftlichen Kontexten herausgelöst hat. Sie besteht auf relativer Autonomie, interner Organisation und wehrt unmittelbare Einflüsse auf die Produktion ihrer Ergebnisse ab. Wissenschaft geht in riskanter Weise in Distanz zur Gesellschaft. Ihre Zielsetzung kann gefasst werden als sich ständig erneuernder Versuch der Begründung von Wissen durch die Frage nach Wahrheit, wobei selbst wieder fragwürdig ist, was „Wissen“ und was „Wahrheit“ ist. Nichtsdestoweniger macht die Bezugnahme auf den Wahrheitsdiskurs die Besonderheit des Wissenschaftsprozesses aus – sogar noch in seiner Leugnung im „radikalen Konstruktivismus“. Gleichzeitig ist Wissenschaft als Institution von gesellschaftlichen Ressourcen abhängig. Dies gefährdet ihre Integrität. Vorsichtig vage formuliert Friedhelm Neidhardt: „Vorhandene Forschungen legen die Folgerung nahe, dass allzu enge Verknüpfungen von Wissenschaft und Praxis, zum Beispiel symbiotische Verhältnisse von Forschung und Industrie, Befangenheit auslösen können, die der Wahrheitsfindung nicht unbedingt dienlich sind“ (Neidhardt 2002: 26). Wissenschaft wird subventioniert und somit abhängig, obwohl sie den letztendlichen Beweis für ihren Wert meist erst nachträglich erbringen kann. Unterstützung und Gewährleistung von Wissenschaft wird notgedrungen als Vorschuss und auf Kredit gegeben – in erheblichem Umfang: Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland betrugen 2003 insgesamt 53,3 Mrd. € (Bundesregierung 2005: 1). Brauchbarkeit und Nützlichkeit wissenschaftlicher Resultate dagegen erweisen sich erst im Nachhinein. Da es in der Wissenschaft um neues Wissen geht, ist ein Scheitern des Forschens immer möglich. Das Funktionalitätsversprechen gegenüber Ökonomie und Politik impliziert immer ein Vertrauensproblem. Dies verschärft sich, je größer der Umfang der notwendigen Ressourcen wird. Entsprechend hat Wissenschaft ein wachsendes Legitimationsproblem. Auf diese Frage antworten die verschiedenen Konzepte von Wissenschaft unterschiedlich. Das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft wird in systemtheoretischen, pragmatistischen und reflexiv-praktischen Ansätzen verschieden modelliert. Das kann – um nicht das ganze Feld der Wissenschaftsforschung (Überblick Felt et al. 1995) aufzurollen – am Beispiel dreier Ansätze gezeigt werden: Peter Weingart, Jörg Strübing und Pierre Bourdieu. Peter Weingart untersucht im Anschluss an die systemtheoretischen Ansätze von Niklas Luhmann (1992) die Besonderheit von Wissenschaft als Kommunikationssystem und den Zusammenhang zwischen epistemischen und institutionellen Strukturen. „Der Nachweis sozialstruktureller Selektionsmechanismen in der Wissenschaftskommunikation stellt deren universalis17
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tischen Charakter infrage“ (Weingart 2003: 81). Damit verstärken sich Zweifel an der Autonomie wissenschaftlicher Entwicklung. Der Nachweis, dass soziale statt epistemische Argumente für die Schließung wissenschaftlicher Kontroversen verantwortlich sind, scheint „zu belegen, dass sich wissenschaftliches Wissen nicht prinzipiell von anderen Wissensformen unterscheidet und sein epistemologischer Sonderstatus nicht zu rechtfertigen sei“ (ebd.). Weingart sucht deshalb nach einer Neuorientierung in der Wissenschaftssoziologie. Er geht davon aus, dass es die besonderen Regeln des Kommunikationsprozesses sind, „die die für wissenschaftliches Wissen spezielle ‚Härtung'“ erklären (ebd.: 82). Er konstatiert eine „Irreduzibilität der Wissensproduktion auf das Politische. […] Selbst die Produktion von Ideologien findet im Kontext und in den Formen der Wahrheitskommunikation statt“ (ebd.: 83). An die Stelle der Diskussion über gesellschaftliche Einflüsse auf die Erzeugung und Verwertung von Wissen tritt – so Weingart – die theoretisch ambitioniert Frage nach den „strukturellen Kopplungen“ des Wissenschaftssystems mit anderen Teilsystemen der Gesellschaft (ebd.: 87). Diese „strukturellen Kopplungen“ werden untersucht im Verhältnis von Wissenschaft und Politik, von Wissenschaft und Wirtschaft sowie von Wissenschaft und Medien. Dabei legt die differenztheoretische Perspektive zunächst wichtige Einsichten in die Besonderheiten von Wissenschaft frei. Allerdings schlägt dies um, wenn durch eine Reifizierung der Differenzen die konkreten Prozesse, die hinter der „strukturellen Kopplung“ stehen, kaum noch erklärbar werden. Die systemtheoretische Begriffsstrategie führt dann zwangsläufig in selbstproduzierte Paradoxien. Weingart sucht nach einer erweiterten Perspektive mit dem Konzept der „gesellschaftlichen Wissensordnung“. Damit sind gesellschaftliche Arrangements der Produktion und Diffusion von Wissen gemeint, die über die Normierung und Zertifizierung die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Wissensbeständen regulieren. „In den Wissensordnungen finden Auseinandersetzungen über die Verfügung von Wissen, über Definitionsmacht und über die Legitimität von Wissensansprüchen, kurz über die Grenzen zwischen Wissenschaften und anderen Teilbereichen in der Gesellschaft und der Wissensformen statt“ (ebd.: 139). Eine solche Verschiebung des Analyserahmens macht es möglich, Wissenschaft als epistemologisch besonderes Wissen im Verhältnis zu anderen Wissensformen zu begreifen. Dazu allerdings ist es notwendig, die dualen Codes der Systemtheorie zu verlassen und die konkreten Prozesse zu betrachten. Die Wissenschafts- und Techniksoziologie kann mittlerweile auf ein ganzes Spektrum theoretischer Ansätze zurückgreifen. Neben prominenten Positionen, welche sich auf die „Kritische Theorie“ oder die „Systemtheorie“ beziehen, gibt es Konzepte angelehnt an die „Theorie der rationalen Wahl“, den „Neo-Institutionalismus“, den „Sozialkonstruktivismus“, die „Akteur-Netz18
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werk-Theorie“ u.a. Demgegenüber hat – zumindest in Deutschland – die pragmatistisch bzw. interaktionistisch orientierte Wissenschaftsforschung eher eine Randrolle eingenommen. Einen Überblick über diesen Ansatz der Wissenschaftsforschung findet man bei Jörg Strübing, der zusammenfassend fragt: „Was charakterisiert nun den pragmatistisch-interaktionistischen Ansatz in der Wissenschafts- und Technikforschung?“ (Strübing 2005: 250). Er spitzt dies auf vier Grundannahmen zu: 1. Zunächst wird angenommen, „dass alle wissenschaftlichen Fakten, Befunde und Theorien sozial konstruiert sind“ (ebd.). 2. „Eine zweite Basisannahme des symbolischen Interaktionismus ist die, dass es keine Trennung zwischen kognitiven und sozialen Aspekten von Wissen gibt“ (ebd.). 3. „Auch Wissenschaft- und Technikentwicklung lassen sich sinnvoll nur als Arbeit betrachten“ (ebd.). 4. „Die vierte Annahme schließlich ist eine Konsequenz der dritten: Wissenschaft und Technikentwicklung seien als Arbeit, als Institution und als Wissen nichts essenziell anderes als andere Bereiche der Gesellschaft“ (ebd.). „Wissenschaft ist in pragmatistisch-interaktionistischer Perspektive nicht primär Institution, System oder Organisation, sondern eine Vielzahl in unterschiedlicher Weise miteinander verknüpfter Prozesse des Arbeitens, in dem fortwährend nicht nur Wissen, sondern auch Organisationen, Institutionen und materielle Artefakte hervorgebracht, bewahrt und modifiziert werden. […] So entstehen soziale Welten oder Praxisgemeinschaften, die ebenfalls nur als Prozesse Bestand haben, also fortgesetztem Wandel unterliegen, zugleich aber ein höheres Maß an Beständigkeit implizieren als einzelne Interaktionen zwischen zwei oder mehr Akteuren“ (ebd.: 349).
Pierre Bourdieu (1998) versucht über die systemische und interaktionistische Perspektive hinaus in reflexiv-praktischer Absicht, Strukturen eines selbstgeregelten Austauschs in der Wissenschaft als Form der Reflexion einzuführen. Dabei greift er zurück auf den für ihn zentralen Begriff des Feldes als einem relativ autonomen Mikrokosmos, in welchem Kämpfe um die Bewahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren stattfinden. Solche Felder verfügen über mehr oder weniger ausgeprägte Autonomie (ebd.: 18). Sie erhalten Grade von Unabhängigkeit je nachdem, wie weit äußere Zwänge – Herkunft und Umfang von Geldern, Verordnungen, Vertragsbestimmungen, Forschungsaufträge – durchschlagen oder aber gebrochen werden durch eine interne „Übersetzungsmacht“ (ebd.: 19). Diese „Brechungsstärke“ (ebd.) strukturiert die Felder im sozialen Raum Wissenschaft. Festgelegt wird diese Struktur durch die jeweilige Verteilung wissenschaftlichen Kapitals (ebd.: 21). Es geht um Kämpfe, um Anerkennung und auch um Macht.
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Bourdieu unterscheidet zwei Sorten wissenschaftlichen Kapitals: Auf der einen Seite eine institutionelle Macht, die verknüpft ist mit der Besetzung hervorgehobener Stellen in Institutionen, mit der Leitung von Forschungseinrichtungen und Abteilungen, Mitgliedschaften, Gutachtertätigkeiten usw. (ebd.: 31). Auf der anderen Seite gibt es „persönliches“ Prestige (ebd.), welches auf der Anerkennung und Wertschätzung für die Angesehensten eines Wissenschaftsbereiches basiert. So ergibt sich einerseits eine kleine Oligarchie von Wissenschaftsadministratoren und -politikern mit Verfügungsgewalt über Stellen, Gelder, Verträge usw., andererseits eine international angesehene, berühmte, anerkannte Forschungstheokratie der „Besten“, die aber kaum Macht besitzen (ebd.: 36f.). Bourdieu benutzt diese Sichtweise, um die verschiedenen Blickwinkel auf das wissenschaftliche Feld zu verstehen. „Weit davon entfernt, […], einem Relativismus den Weg zu ebnen, […], erlaubt es die Konstruktion des Feldes, die Wahrheit verschiedener Stellungen zu verstehen und die Grenzen der Gültigkeit unterschiedlicher Stellungnahmen aufzuzeigen“ (ebd.: 40). Bourdieu kennt dieses Feld selbst bestens: „Die üblichen Orte der Auseinandersetzung und des Gruppengesprächs, die kleinen Diskussionskreise, wo Gerüchte und Klatsch die Runde machen, die Parteien, Verbände und Gewerkschaften, wo alle self deceptions kollektiver Verteidigungsstellungen wirksam werden, die Komitees und Kommissionen, wo Fehleinschätzungen und fromme Wünsche die Runde machen, wo die hölzerne Sprache der Bürokratie gebietet, lassen eine echte Erörterung wissenschaftlicher Fragen kaum zu, sondern ersetzten sie nur allzu leicht durch Denunzierung oder Politisierung“ (ebd.: 58).
Die Warnung vor der unmittelbaren „Politisierung“ (ebd.) des wissenschaftlichen Feldes soll es ermöglichen, an einer „ungeschminkten, aber nicht enttäuschten Sicht der Wissenschaft“ (ebd. ) festzuhalten. Bourdieu plädiert für eine „Realpolitik“, an die Strukturen, in denen sich Kommunikation erfüllt, selbst Hand anzulegen (ebd.: 59). „Nur so lässt sich jenes Ideal verwirklichen, dass als Wirklichkeit der Kommunikation auftritt, durch ein politisches Handeln spezifischer Art, nämlich in der Lage, in spezifischen sozialen Widerständen gegen Vernunft geleitete Kommunikation, gegen einen aufgeklärten Diskurs entgegenzutreten“ (ebd.).
Dies könnte als eine handlungsleitende Maxime für alle, welche im Wissenschaftsbereich arbeiten, geltend gemacht werden. Die Forderungen nach stärkerer Partizipation und umfassenderer Kontrolle durch außerwissenschaftliche, politische Institutionen und Akteure wird immer stärker. Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Produktion und gesellschaftlicher Diffusion von Wissen wächst, je mehr sich wissenschaftli20
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che Kommunikation gegenüber der politischen Öffentlichkeit abschließt, nur noch eine interne Fachöffentlichkeit anspricht, Spezialsprachen entwickelt und sich um gesellschaftliche Relevanz kaum noch bemüht. Dies erhöht die Spannungen und die Geldgeber, repräsentiert durch Staat und Unternehmen, erheben ihre Ansprüche.
4.2 Öffentlichkeitsmodelle Seit moderne Wissenschaft Innovationszentrum gesellschaftlicher Aktivitäten geworden ist, hat sich dieses Verhältnis zunehmend prekarisiert. Während Forscher einerseits und Zuschauer und Hörer andererseits in einer bürgerlichen Öffentlichkeit während des 18. Jahrhunderts eine gemeinsame öffentliche und wissenschaftliche Praxis darstellen konnten, wird durch die zunehmende Besonderung von Wissenschaft und ihre dadurch entstehende institutionelle und personelle Identität eine Trennung von Experten und Publikum vollzogen. Wissenschaftliche Kommunikation wird in Fachdiskussionen und Fachjournale verlagert und dient nur noch den engeren Mitgliedern der „Scientific Community“. Dadurch wird das Popularisierungsproblem überhaupt erst gestellt. Die Verselbstständigung von Wissenschaft gegenüber Öffentlichkeit macht es notwendig, spezifische Vermittlungsagenturen zu institutionalisieren. Dies waren zunächst die Lesegesellschaften, dann die naturkundlichen Vereine und die populären Vorträge bekannter Wissenschaftler. Es geht darum, ein Massenpublikum zu erreichen. Die zunehmend komplexer und abstrakter werdenden Fragen wissenschaftlichen Forschens und dadurch bedingter Mangel an Anschaulichkeit einerseits macht solche Bemühungen immer schwieriger. Auf der anderen Seite steht die Auflösung der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihre Ersetzung durch eine massenmedial gestützte Demokratie. Die einprägsamste Begriffsbestimmung „Bürgerlicher Öffentlichkeit“ findet sich immer noch bei Jürgen Habermas (1962): „Bürgerliche Öffentlichkeit lässt sich vorerst als die Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute begreifen; diese beanspruchen die obrigkeitlich reglementierte Gewalt alsbald gegen die öffentliche Gewalt selbst, um sich mit dieser über die allgemeinen Regeln des Verkehrs in der grundsätzlich privatisierten aber öffentlich relevanten Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit auseinander zu setzen. Eigentümlich und geschichtlich ohne Vorbild ist das Medium dieser Auseinandersetzung: das öffentliche Räsonnement“ (Habermas 1962: 38).
Öffentlichkeit ist demgemäß ein Ort der Kritik, das Forum, auf dem Meinungen ausgetragen und Entscheidungen vorbereitet werden. Sie schiebt sich zwischen Staat und Gesellschaft und konstituiert „eine Sphäre des Gemein-
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wesens, der allgemeinen Volksangelegenheiten in idealer Unabhängigkeit von den besonderen Elementen des bürgerlichen Lebens“ (Marx zit. n. Habermas 1962: 137). In der Rhetorik der Demokratie besitzt Öffentlichkeit eine besondere Dignität als letzte Instanz der Entscheidungsfindung. Die politischen Prozesse sollen nicht geheim, zugänglich, also offen sein (Gerhards/Neidhardt 1991: 32). Der „soziale Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas 1962: 157) wird ausgelöst durch Tendenzen der Majoritätendemokratie, die auf ein erweitertes Publikum rekurriert, das nicht nur aus den bürgerlichen Privateigentümern besteht, sondern alle Bevölkerungsschichten berücksichtigen muss. Dies provoziert Eingriffe des Staates in die private Sphäre und die permanente Intervention im staatlich regulierten Kapitalismus. Dem entspricht eine Transformation in eine massenmedial konstruierte Form der Öffentlichkeit, welche fortbestehende Ausbeutung und Unterdrückung durch Manipulationsstrategien zu überdecken und aufzufangen versucht und Teilhabe breiterer Schichten an Öffentlichkeit kommerziell begrenzt. Dies muss nicht durch bewusste Lüge oder Verdrehung erfolgen, sondern die Massenmedien sind selbst Teil des Verblendungszusammenhangs, den sie erzeugen. Öffentlichkeit wird dem Umfang nach immer weniger durch direkte Kommunikation hergestellt. Habermas konstatiert: „Der Kommunikationszusammenhang eines räsonierenden Publikums von Privatleuten ist zerrissen“ (ebd.: 268). Der Austausch von Wissen und Meinen ist nicht mehr gebunden an Gespräch, Rede und Zuhören. Ihr Forum ist nicht mehr durch Eigentum, Bildung und Geschlecht definiert – zumindest nicht ausschließlich. Schon die Popularisierungsdiskussion im 19. Jahrhundert war getragen durch Printmedien: Buch, Broschüre, Zeitschrift. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind die elektronischen Massenmedien (Radio, Film, Fernsehen, Internet) dazugetreten. Dies konstituierte eine völlig veränderte, in Partialforen zerfallende und verbreiterte Öffentlichkeit. Die mediale Öffentlichkeit konstruiert ihre Themen selbst, und sie sind organisierten Interessen unterworfen. Die Legitimationsmuster der massendemokratischen Herrschaftsstrukturen erweitern gleichzeitig die Partizipationsansprüche, die sich auch auf Wissenschaft richten. Wissenschaft wird damit zum Berichterstattungsgegenstand einer weitgehend kommerzialisierten Medien- und Kulturindustrie. Diese ist interessiert an als Neuigkeiten verkaufbaren Meldungen. Umgekehrt kann Wissenschaft die Medien nutzen, um sich Aufmerksamkeit und in der Folge Ressourcen zu sichern (Weingart 2003: 115). Dies verschiebt auch die Kommunikationsformen innerhalb der Wissenschaft, indem die Medien für Prioritäts- und Dominanzansprüche instrumentalisiert werden. Beide Seiten tendieren zu einer Katastrophenkommunikation, die spektakuläre Warnungen präferiert: Waldsterben, Ozonloch, Klimawandel, Aids und Klonen – z.B. „Öffentlichkeit kann 22
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sich empören“ (Gerhards/Neidhardt 1991: 32) –, Korruption, Studentendemonstrationen, angeblich verschwendete Steuermittel. Da über wissenschaftliche Ressourcen im politischen Interessenkonflikt entschieden wird, sind Image und Präsenz von Wissenschaftlern und Disziplinen in den Medien mitentscheidende Faktoren für Mittelzuweisung. Die Medien verfügen aber über eine unkalkulierbare Eigendynamik, welche sich der direkten Steuerung entzieht. Sie entwickeln interne, relativ autonome Konstellationen, Prioritäten und Manipulationsstrategien. Ihre Macht generieren sie, indem sie das knappe Gut Aufmerksamkeit lenken und verteilen. Durch Fokussierung von Aufmerksamkeit verleihen sie Bekanntheit und Prominenz. Vermittelt durch die massenmediale Präsenz dringen politische Machtstrategien in den wissenschaftsinternen Wahrheitsdiskurs. Mit den internen Kriterien von Wissenschaft hat dies meist wenig zu schaffen. Während einige – auch schillernde – öffentliche Wissenschaftler auf dieser Welle reiten, gilt nach dem Ethos der Wissenschaft Publizität oft als anrüchig und geschmacklos. Beides sind Fehlentwicklungen. Vielmehr muss Wissenschaft in der Demokratie ein Interesse daran haben, dass Prioritätenund Ressourcenentscheidungen auf der Grundlage vernünftiger Argumente gefällt werden. Dazu benötigen die am Entscheidungsprozess beteiligten, d.h. sowohl die politischen Akteure als auch ein demokratisches Publikum, Wissen über Wissenschaft. Dies zu verbreitern, zugänglich und öffentlich zu machen, ist Aufgabe von Wissenschaft selbst. In der Konsequenz begibt sich Wissenschaft auf die „Agora“ , wie Nowotny et al. (2004) eine Form der Öffentlichkeit als Raum in dem die Transformation von Wissenschaft in gesellschaftlich „robustes“ Wissen durch Kontextualität stattfindet, bezeichnen. Dieser neue öffentliche Raum bezieht wissenschaftliche Expertise als entscheidenden Mechanismus der Mediation mit ein. Dabei verändern sich die Wissensformen selbst: von einem als zuverlässig angesehenen, von Experten produzierten, hin zu einem gesellschaftlich „robustem“ Wissen. Dies ist zum einen stets unvollständig, besonders in dem Sinn, dass es heftig umstritten ist. Zum anderen müssen die Grenzen immer wieder neu ausgehandelt und neu interpretiert werden. Um, in den Worten von Nowotny et al., den epistemologischen Kern mit „robustem Wissen“ aufzufüllen, bedarf es des Rückgriffs auf eine Vielfalt von Traditionen, die sich in Bildern der Wissenschaft darstellen. Geprüft wird die Robustheit im Rahmen der „Agora“, wobei Vertrauen und Partizipation wechselseitige Prozesse sind, welche unabdingbar bleiben.
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5. Öffentliche Wissenschaft Es geht um neue und intensivierte Kommunikationsstrukturen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Dies kann verfolgt werden in der Perspektive „Öffentliche Wissenschaft“. Vorliegende Modelle haben unterschiedliche Reichweiten. Prämisse aller Vermittlung ist gegenseitige Information über Probleme, Resultate und Strategien. Allerdings beschränkt sich dies oft auf eine bloße Erzeugung von Akzeptanz. Um die gegenseitigen Aversionen aufzuheben, bedarf es eines kontinuierlichen Dialogs. Überraschenderweise gibt es immer wieder Ansätze breiterer Diskussion von Wissenschaftsthemen in den Massenmedien. Zum Beispiel ist in der Auseinandersetzung mit Stammzellenforschung eine lebhafte Debatte entfacht. Wenn man Habermas‘ resignativ stimmenden „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) gelesen hat, kann man positiv erstaunt sein über ein solches Musterbeispiel für den öffentlichen Diskurs in einem demokratischen Gemeinwesen. Die Diskussion zeigt die merkwürdige Ambivalenz medienvermittelter Wissenschaftsresultate: Einerseits werden durchaus relevante Themen aufgegriffen, andererseits wird dem wissenschaftsfernen, kulturkonsumierenden Publikum ein Schauspiel wissenschaftlich räsonierender Akteure vorgeführt mit unnachprüfbaren Argumenten und aufgeladener Rhetorik, reduziert auf news und stories. Das Beispiel zeigt die große Reichweite und die erhebliche Schwierigkeit der Aufgabe, Wissenschaft und Öffentlichkeit zu vermitteln.
5.1 Vermittlungsstrategien Öffentlichkeit ist nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen Verhältnissen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. In einem umfassenden Konzept von Transfer als beiderseitigem Austausch erhält die alte Theorie-Praxis-Frage ihre gegenwärtige Form – nicht mehr nur als punktuelle Anwendung, sondern als kontinuierliche Vermittlung. Es geht um Versuche, wissenschaftliche Aktivitäten sowohl in Forschung als auch in Lehre auf gesellschaftliche Probleme zu beziehen und umgekehrt wissenschaftliche Impulse für eine verbesserungswürdige Wirklichkeit zu geben. Dies betrifft alle Disziplinen. Nicht nur Technik und Naturwissenschaften werden gefordert, sondern selbstverständlich auch die Wirtschaftswissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, sogar die Philosophie oder Theologie und sicher auch die Erziehungs- und Bildungswissenschaft. Es gibt keinen Wissenschaftsbereich, der aus der Vernetzung mit gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen ausgeschlossen wäre. Ein umfassendes Konzept des Wissenschaftstransfers beinhaltet Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Weiterbildung bezogen sowohl auf mögliche Verwendung wissenschaftlichen Wis24
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sens als auch auf Aufklärung über Wissenschaft – durchaus in einem emphatischen, in der Tradition der Idee stehenden Sinn. Der stärkere Rückbezug auf gesellschaftliche Problemlagen ist angesichts intensivierter Zugriffsversuche durch Politik und Ökonomie für den wissenschaftsspezifischen Wahrheitsdiskurs durchaus riskant. Die schwierige Leistung von Wissenschaftstransfer ist es, Mittellagen zu organisieren. Hochschulen dürfen, wenn sie ihren Wissenschaftsanspruch behalten wollen, einerseits nicht zu verlängerten Werkbänken der Unternehmen werden, gleichzeitig darf aber andererseits kein erneuter Rückzug in den Elfenbeinturm erfolgen. Es geht um relative Autonomie wissenschaftlichen Denkens, dass sich der unmittelbaren Umsetzung und Verwertung entzieht. Versuche, Forschungsprozesse unmittelbar kommerziellen oder politischen Strategien unterzuordnen, erzeugen selbst Transferhemmnisse. Mit dieser Diskussion um Wissenschaftstransfer werden Grundfragen des Selbstverständnisses von Wissenschaft aufgeworfen. Ihr zentrales Moment, die Suche nach Wahrheit, wäre durch direkte Indienstnahme für außerwissenschaftliche Interessen gefährdet. Wenn also über verschiedene Positionen hinweg letztlich unbestritten ist, dass hier unabweisbare Anforderungen vorliegen, ist dies durchaus riskant. Es wird ein Prozess der Selbstreflexion und der Aktivitätenbegründung angestoßen. Dies trifft innerhalb des laufenden Wissenschaftsbetriebs auf konkurrierende Begründungsmodelle mit widerstreitenden Legitimationsannahmen. Unterschiedliche wissenschaftstheoretische und -politische Hintergrundannahmen variieren auf divergierenden Theorie-Praxis-Verhältnissen. Eine pragmatisch reflektierte Transferstrategie benötigt einen Wissenschaftsbegriff, der die Trennung von Technologie und Reflexionstheorie überwindet. Nur so kommen die verschiedenen Dimensionen von Leistungen, welche von Transferaktivitäten zu erwarten sind, ins Blickfeld. Dies führt dazu, Rezeptillusionen zu vermeiden. Die Vorstellung, die Wissenschaft habe fertige Antworten auf gesellschaftliche Fragen, hat sich als Illusion erwiesen. Falsch ist auch die Vorstellung einer Transferkaskade, nach der Wissenschaft eine Quelle des Wissens sei, die dann überfließend sich in Unternehmen und Verwaltungen ergießt. Demgegenüber erzeugt Wissenschaft selber die Fragen, auf welche sie die Antwort gibt. Die Produktion von wissenschaftlichen Resultaten und deren Verwendung als Technologie macht zweifellos die Erfolgsgeschichte moderner nomologischer Wissenschaft aus. Ein Großteil unserer Lebenszusammenhänge beruht auf den Resultaten solcher Transformations- und Transferprozesse, welche zunehmend beschleunigt, gleichzeitig verstetigt und institutionalisiert werden. Gleichzeitig müssen Transferstrategien die Beschränktheit von Instrumentalität reflektieren. Technische Probleme werden durch wissenschaftliche Forschung niemals vollständig und prognostisch gelöst. Es entstehen Nebenfolgen und daraus resultierend eine anschwellende Risikodebatte, die ökologi25
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sche und soziale Probleme der Wissenschaft anlastet. Damit werden Rückbezüge und Reflexion z.B. bezogen auf Probleme der Technikabschätzung angestoßen. Auch in Transferprozessen ist Wissenschaft also nicht nur Technologielieferant und Kompetenzproduzent. Über instrumentelles Eingriffswissen und praktische Handlungsfähigkeit hinaus organisiert sie die Möglichkeit von Wahrheitssuche. Dies impliziert nicht nur szientifische, sondern auch ethische Diskussionen. Erst damit findet ein konzeptionell geklärter Pragmatismus von Wissenschaftstransfer seine Basis. Es geht bei den Anforderungen an Wissenschaftstransfer und dessen Konzepten nicht nur um ein Effizienz-, sondern auch um ein Legitimationsproblem von Wissenschaft. Je größer das Gewicht von Wissenschaft für gesellschaftliche Entwicklung, je höher ihr Anteil an ökonomischen Ressourcen, desto stärker wachsen auch die an ihre Funktion und Leistung gestellten Anforderungen.
5.2 Publizität oder Partizipation Unter dem Stichwort „Popularisierung“ hat das Problem der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit eine lange Tradition, die in immer neuen Varianten auftaucht. Die vorerst letzte Bewegung ist ausgelöst worden durch den im Auftrag der Royal Society 1985 vorgelegten „Bodmer-Report“: „The Public Understanding of Science“ (PUSH). Der „PUSH“ geht in zwei Richtungen: „The report suggested not only that scientists now had a duty to go out and communicate the benefits of science to a wider public, but also that a more ‚scientifically literate‘ public would be more supportive of scientific research programs and more enthusiastic about technological innovations“ (Sturgis/Allum 2004: 55).
Angesichts des verbreiteten wissenschaftlichen Unwissens und drohenden Misstrauens oder sogar der Wissenschaftsfeindlichkeit werden Risiken für technologische Innovationen befürchtet. Auch in Deutschland wurde entsprechend 1999 auf Initiative des „Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft“ der „Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“ gegründet. Die Bürger sollen in die Lage versetzt werden, an öffentlichen Diskussionen über wissenschaftliche Prioritäten teilzunehmen. „Scientific literacy“ soll dies ermöglichen. Allerdings reicht Wissen über Resultate und Methoden von Wissenschaft dafür nicht aus. Diese Problematik hat sich ausgeweitet und bezieht Kontext und Transfer mit ein:
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„Rather, what is needed is continuing involvement and dialogue among scientists and various sectors of the public about science- and technology-related issues. Involvement and dialogue should be regarded as essential not only to the continuing vigour of the scientific enterprise itself, but also to the social and economic vitality and well-being of economies and societies throughout the world. Establishing and maintaining public dialogue requires, at a minimum, that scientists themselves become actively engaged in reaching out to a wider public to engage in what has been referred to as ‚civic science‘“ (OECD 1997).
Die Diskussion wird erweitert zu „Public Engagement in Science and Technology“ (PEST). Betont wird die Notwendigkeit der Vermittlung eines individuelle Erlebnisse übersteigenden kulturellen Wissens. Hinter der Kontroverse verbirgt sich ein reales Problem, nämlich die Tatsache, dass Wissenschaft immer deutlicher unser Leben bestimmt und ihm gleichzeitig fremd bleibt und sogar immer entfernter wird. Es entsteht eine unaufhebbare Lücke zwischen der Masse wissenschaftlicher Einzelerkenntnisse und der Kraft, diese zu begreifen, jedenfalls dann, wenn man einem stoffbezogenen Begriff von Wissen hinterher rennt. Ergebnis kann dann nur eine hoffnungs- und atemlose Resignation gegenüber einer anwachsenden Flut diffuser Informationen sein. Aber auch eine für die „niederen“ „Stände“ oder „Schichten“ zurechtgemachte „volkstümliche“ Bildung unterliegt zurecht dem Vorwurf der Vereinfachung und Verflachung – dies war der Kern der Popularisierungskritik. Die Spaltung zwischen Eingeweihten und Unwissenden, zwischen Priestern und Laien ist zutiefst hierarchisch und elitär. Das dichotome Modell, das Wissensformen nach der Dimension exklusiv versus populär trennt, vereinfacht unzulässig das Kontinuum von Übergängen zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen. Wenn die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens in „linearen Modellen“ (Felt et al. 1995: 248) interpretiert wird, so scheint es im Kaskaden-Modell, als ob ein von Experten erzeugtes, genuin wissenschaftliches Wissen vereinfacht und verständlich gemacht hinunterflösse zu den Laien. Diese Defizit-Annahme wurde auch bei PUSH noch unterstellt. Dies übersieht aber, dass wissenschaftliches Arbeiten immer lebensweltlich rückgebunden ist und Erkenntnisse im Prozess eines kollektiven Diskurses über konkurrierende Hypothesen erzeugt und bestätigt werden. Es folgt daraus eine Kontext-Annahme (Sturgis/Allum 2004). Die intellektuellen Praxen der Wissenschaftler sind gekennzeichnet durch ein ambitioniertes Ensemble von Ideen, Theorien, Methoden und Normen durchdrungen von Aushandlungen, Opportunismus, Mikropolitik und Rhetorik. Bezogen auf Öffentlichkeit zeigt Wissenschaft eine doppelte Schwäche: Öffentlichkeitssucht und Öffentlichkeitsflucht. Wissenschaft braucht einerseits öffentliche Anerkennung, zu viel und vorschnelle öffentliche Präsentation aber verdirbt den Ruf. Einsicht in die Kontingenz wissenschaftlicher Er-
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kenntnisproduktion erlaubt es nicht nur, sondern erfordert es sogar, dass öffentliche Rechnungslegung und Einschätzung erfolgen. Bei aller Problematik medienüberformter und massenmedialer Formen von Öffentlichkeit gibt es für die Demokratie keine Alternative als Foren der Partizipation zu öffnen. Dazu muss „Öffentliche Wissenschaft“ eine Basisexpertise ermöglichen, um Teilhabemöglichkeiten am Diskurs zu gewährleisten. Dies ist nicht in der Dichotomie von Wissen versus Nicht-Wissen fassbar, sondern erfordert sich erweiternde Grade von Aneignung. Statt des Kaskaden-Modells, wie es auch noch in vielen Transferstrategien unterstellt wird, ist ein Diskurs-Modell angemessener. In den Aktivitäten des Wissenschaftstransfers lernt man schnell, dass es nicht darum geht, fertiges Wissen weiterzugeben, sondern gegenseitiges Problemverständnis zu entwickeln und gemeinsam Theorie-Praxis-Fragen zu bearbeiten (Faulstich 1995). Nachweisbar sind bis hin zu Beispielen aus der Bio- oder der Nanotechnologie neue Formen der Wissenserzeugung, -verteilung und -verwendung. Diskutiert wird ein neuer Modus der Wissensproduktion, der die Rolle von Wissenschaft verändert einordnet. Wissenschaft in einem traditionellen Verständnis (Modus I) wurde erzeugt in etablierten Institutionen und ist gekennzeichnet durch ein Ensemble von Ideen, Theorien, Methoden und Normen. Die neue Form der Wissenserzeugung (Modus II) breitet sich aus und erstreckt sich auf die kontinuierliche Kombination und Rekonfiguration von Wissensbeständen in unterschiedlichen Problemkontexten. Sie wird vielfach in komplexen Netzwerken vollzogen, in denen kein Akteurstyp per se die dominante Rolle übernimmt. Generierung, Diffusion und Implementation von Wissen ist dann ein Prozess der Interaktion zwischen vielen Beteiligten. Transfer in einem Diskurs-Modell wird somit zu einer Pflichtaufgabe des Wissenschaftsbetriebs selbst. Demgegenüber dominiert ein szientifischer Begriff von Wissenschaft, der das Gegebene in abstrakte Theorien fasst, Faktizität wiederholt und einem instrumentellen Zugriff unterwirft. Dass diese Art von Wissenschaft und ein ambitionierter Bildungsbegriff in ein problematisches Verhältnis geraten, ist naheliegend. Eine bildende Interpretation von Wissenschaft (Benner 1995: 3, 259) erfordert also auch einen reflektierten Begriff von Wissenschaft selbst. Von daher entscheidet sich die Frage, ob und wie Wissenschaft in der Erwachsenenbildung in einem bildungstheoretisch reflektierten Sinn angeeignet und vermittelt werden kann
5.3 Vermittlungsagenturen Die Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu schlagen, wird zur Aufgabe von Vermittlungsagenturen im Spektrum von Massenmedien und Lerninstitutionen. Dabei geht es bei Vermittlung zunächst um Information, 28
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um die Kenntnis, was überhaupt im Wissenschaftsbereich geforscht wird, welche Gegenstände aufgenommen werden und wie es mit der Brauchbarkeit der Ergebnisse bestellt ist. Dies erfolgt allerdings in dieser Intention als bloße Weitergabe an ein passives Publikum. Stattdessen wird zunehmend ein verändertes Modell der Wissensproduktion und -distribution gewichtiger: der Modus 2 (Gibbons 1994). „Statt Einbahnstraßenkommunikation treten nunmehr gemeinsame Lernprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis in den Mittelpunkt des Interesses“ (Bender 2001: 10). Dies beschreibt auch die Arbeitsweisen der Einrichtungen für wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen. Dabei ergibt sich ein grundlegendes Spannungsverhältnis: Wissen wird zunehmend zu einer Ressource gesellschaftlicher Innovations- und Modernisierungsprozesse, zugleich zerbricht aber das Monopol des Wissenschaftssystems auf die Erzeugung und Verwaltung von Expertise. Es ist zu akzeptieren, dass die Akteure im Anwendungsfeld den jeweiligen Praxisbereich oft genauer kennen als die Untersuchenden im Forschungsfeld. Daraus entsteht eine neue Form der Verschränkung von Wissensproduktion und gesellschaftlicher Praxis, bei der Vermittlung, Beratung und auch Weiterbildung einen Platz zwischen den Stühlen als intermediäre Institutionen erhalten. Es resultieren Probleme, die als Paradoxien der Anwendung bearbeitet werden. Wolfgang Bonß geht „Jenseits von Verwendung und Transformation“ den Strukturproblemen der Verwissenschaftlichung in der „zweiten Moderne“ nach (Bonß 2003: 37-52). Er unterscheidet drei Phasen: Noch bis 1980 war zentrales Stichwort der Debatte das „TheoriePraxis-Verhältnis“. Es ging um Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse. Dies wurde abgelöst durch die Diskussion um „Wissenschaftstransfer“, wobei eine Transformation wissenschaftlichen Wissens notwendig akzeptiert würde. In einer dritten Phase der „Verwissenschaftlichung“ entsteht ein Diskurs zwischen je eigenen „Communities“, in denen Wissen nach spezifischen Logiken situationsadäquat selektiert wird. Entsprechend stellt sich die Frage nach der Partizipation bei der Gestaltung wissenschaftlicher Forschungen, was Information der Adressaten impliziert, aber weitergeht. Um zu einer Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Beteiligten zu kommen, sind wesentlich umfassendere Vermittlungsfunktionen aufzunehmen: Über Popularität hinaus geht es um Partizipation. Dies wird aber auch schon deshalb notwendig, weil das Kaskaden-Modell von wissenschaftlicher Produktion und anschießender Diffusion so nicht mehr funktioniert. Die Orte wissenschaftlicher Forschung haben sich aus den Forschungseinrichtungen heraus vernetzt mit wissenschaftlichen Bemühungen in Unternehmen, Verwaltungen und sogar in verschiedensten Initiativen. Diese Produktionsweise des „Mode 2“ betrifft sowohl die Themen, als auch die Methoden wissenschaftlichen Arbeitens. Das Kaskaden-Modell wird ersetzt durch das Dialog-Modell, das sicherstellt, dass die sterile Abgeschlossenheit 29
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des Elfenbeinturms aufbricht und gesellschaftliche Fragen mitbearbeitet werden können. Wenn dies nicht der Fall wäre, hätte Wissenschaft zunehmend ein Innovationsproblem, nämlich von relevanten Problemen abgeschnitten zu sein. Durch diese Tendenzen wird der Dualismus von Wissenschaft und Gesellschaft, von Forschung und Vermittlung aufgebrochen. Vielmehr sind die Übergänge zu akzentuieren, welche es möglich machen, gesellschaftliche Probleme in ihrer Komplexität aufzunehmen. Ein solcher Ansatz wird am entschiedensten modelliert durch eine pragmatistische Forschung über Wissenschaftsentwicklung und Vermittlung. Dabei ist das gesamte Spektrum der Vermittlungsagenturen ins Blickfeld zu nehmen. Einbezogen werden Bibliotheken und Archive, Kunst-, Kultur-, Gewerbe-, Arbeits- und Naturkundemuseen, Zoos, Botanische Gärten und Science Centers, Radio, Fernsehen und Film, Presse, Zeitschriften und Buch bis zu Erwachsenenbildungseinrichtungen. Hier ist die besondere Bedeutung von Weiterbildung zu unterstreichen, welche Vermittlung nicht nur auf passive Rezeption reduziert, sondern eine Aneignung durch die Beteiligten didaktisch unterstützt. Zugänge durch Teilhabe am Wissen zu schaffen, steht unvermeidlich in der umstrittenen Tradition der Aufklärung. Angesichts sich ausbreitender Fundamentalismen wird eine neue „Apologie“ der Aufklärung überlebenswichtig.
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Wissensgesellschaft, PISA und PUSH: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden wir täglich mit Schlagworten konfrontiert, die verdeutlichen, dass der Umgang mit Wissen in den Mittelpunkt des Selbstverständnisses unserer post-modernen Gesellschaft gerückt ist. Mehr denn je sind private wie staatliche Institutionen darum bemüht, Wissen zu generieren und zu verwalten. Zunehmend werden akademische, industrielle und politische Ressourcen mobilisiert, dieses Wissen sozial zu verankern, es öffentlich zu vermitteln und ökonomisch nutzbar zu machen. Manches spricht dafür, von einem neuen, wissensdominierten Zeitalter zu sprechen. Eine solche Zuschreibung mag in optimistischer Fortschrittsemphase geschehen oder mit zivilisationskritischer Skepsis gepaart sein. Dabei wird oft übersehen, dass das Pendeln zwischen den polaren Reaktionsweisen von Hoffnungen auf und Ängsten vor der Verbreitung von Wissen alles andere als neu ist. Tatsächlich besitzt dieses Verhaltensspektrum eine lange Geschichte, spätestens seit sich Wissen mit Gutenberg und Kopernikus von exklusivem Besitz in inklusive Deutungsangebote verwandelt hat, die Weltbilder verändern können. Auch das Bemühen, Wissen und Gesellschaft bewusst zueinander in Beziehung zu setzen und diese Beziehung als pädagogische und soziale Herausforderung zu thematisieren, hat sich historisch entwickelt. Die Geschichte dieses Bemühens lieȕe sich in vielfältigen Schattierungen nachzeichnen – von den ‚biblia pauperum‘-Darstellungen auf mittelalterlichen Kirchenportalen, welche die Kirchgänger in den rechten Glauben einweisen sollten, über die Flugblätter der Reformationszeit und die sogenannte Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts bis zu darwinistischen Populärschriften um 1900, zur Hygieneerziehung im nachfolgenden 20. Jahrhundert und den Wissenschaftsmagazinen heutiger Fernsehanstalten. Eine besonders aufschlussreiche 33
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Variante in diesem schillerndem Spektrum bilden die ausdrücklichen Versuche, Wissenschaft zu popularisieren (Daum 2002). Sie gelangten zu einer erstaunlichen Blüte im ‚langen neunzehnten Jahrhundert‘ , in der sich die erste Form einer Wissensgesellschaft anzudeuten begann (Blackbourn 2003; Szöllösi-Janze 2004).
1. Popularisierung als historisches Phänomen und methodische Herausforderung Der Begriff der Popularisierung ist älter als das 19. Jahrhundert. Doch es waren die ersten Jahrzehnte dieser Epoche, die diesen Begriff an jenen der Wissenschaft koppelten. Damit wurden zwei Grundstrukturen der modernen Gesellschaft zueinander in Beziehung gesetzt: die Ausbreitung einer Massenöffentlichkeit einerseits und die Entstehung eines forschungsintensiven, an Universitäten beheimateten und um immer spezielleres Wissen bemühten Wissenschaft andererseits, d.h. einer Wissensform, die sich in Disziplinen auffächerte, in Laboratorien und Seminaren institutionalisierte und über Rekrutierungsmechanismen und Fachorgane professionalisierte (Daum 2004). Von Beginn an war die Spannung offenkundig, die dieser Beziehung und damit der Wortverbindung ‚Wissenschaftspopularisierung‘ innewohnte; sie hat sich bis heute bewahrt. Die Balance zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft, aber auch die Überlappung zwischen beiden Bereichen, haben sich seither gleichermaȕen in moralischen und politischen wie in pädagogischen Fragen ausgedrückt: Ist es nicht verwerflich, Spezialwissen einem gröȕeren Publikum zu vermitteln, da dieser Versuch unweigerlich zu Trivialisierungen führt? Kann es sich eine Gesellschaft leisten, Wissen bereit zu stellen, das leichthin zur Ideologiebildung und politischen Manipulierbarkeit der Massen missbraucht werden kann? Wie lässt sich überhaupt Wissenschaft öffentlich machen, und mit welchen Mitteln können komplexe Sachverhalte in bedingungslos verständliches Wissen, das sich auch der nicht-wissenschaftlichen Erfahrung erschlieȕt, übersetzt werden? Es ist möglich, die Geschichte der Wissenschaftspopularisierung entlang dieser Achse von Trivialisierungsvorwurf, Ideologieverdacht und didaktischer Herausforderung zu schreiben. In eine solche Erzählung weben sich unweigerlich zeitgenössische Verheiȕungen ein. Wissenschaftspopularisierung versprach für viele Zeitgenossen im 19. Jahrhundert als einer Phase rapider Modernisierung, einen „Schlüssel zur modernen Welt“ (Schwarz 1999) bereitzustellen – sei es genährt aus der Bildungseuphorie des Liberalismus, gespeist aus szientistischen Zukunftsentwürfen bis hin zum Genre der science-fiction-Literatur oder ausgehend von Utopien eines neuen Menschen, die religiösen Charakter annehmen konnten, oft rassistisch aufgeladen waren 34
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und am Fin de Siècle aufblühten (Berentsen 1986; Weingart/Kroll/Bayertz 1988; Küenzlen 1994). Popularisierung von Wissenschaft bedeutete im 19. Jahrhundert – und darüber hinaus – immer auch, über diesen Vorgang kontrovers zu diskutieren und die ‚gute‘ gegen die ‚schlechte‘ Popularisierung auszuspielen. Um so erstaunlicher ist es, daȕ keine wirkliche „Theorie der Popularität“ (Greiling 1805/2001) entwickelt oder auch nur versucht wurde. Vielmehr wurden Popularisierungsbekenntnisse und -empfehlungen zumeist in der Praxis der Wissensvermittlung formuliert, auch wenn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Diskussion um Wissensdidaktik einsetzte; sie konzentrierte sich allerdings auf den Schulunterricht (Scheele 1981). Diese Praxisorientierung trug dazu bei, dass Popularisierung sich zunehmend auf unterschiedliche soziale Adressatengruppen hin orientierte und damit segmentierte. Sie wurden zum Anliegen von Arbeiterbildung und bürgerlichen Vereinen im protestantischen Milieu, artikulierten sich in Anleitungsbüchern für Hobbyforscher und fanden sogar Eingang in Parlamentsdebatten, so in den Jahren zwischen 1877 und 1883, als um den Einzug des Darwinismus in den deutschen Schulunterricht gestritten wurde (Bayertz 1985). Hier deutet sich eine zweite mögliche Achse der Popularisierungsgeschichte an: Man kann diese als Versuch begreifen, die Spezialisierung von Wissen aufzufangen und auf die Ausdifferenzierung der Gesellschaft mit neuen Angeboten ganzheitlicher Weltdeutung zu antworten. Dabei wird die Diskussion um das ‚ob‘ und ‚wie‘ der öffentlichen Vermittlung von Wissenschaft bereits vorausgesetzt. In den Mittelpunkt rücken die Versuche des 19. Jahrhunderts und späterer Phasen, Spezialwissen im öffentlichen Raum – sei es die Elektrotechnik, Embryonenforschung oder ethnologische Funde – als unabdingbare Teile einer Ganzheitsvorstellung auszuweisen. Diese Tendenz hat sich historisch in einer Vielzahl häufig konkurrierender Formen ausgedrückt: Popularisierung ist in den Dienst neuer Kosmologien und ‚natürlicher Schöpfungsgeschichten‘ gestellt worden, wie es etwa die zwischen 1900 und 1920 vielgelesenen Schriften des Berliner Literaten Wilhelm Bölsche unternahmen. Sie wurde zum Programm von Weltanschauungsvereinigungen, von monistischen, holistischen und ökologischen Konzepten. Es ist bislang kaum beachtet worden und wird in der Öffentlichkeit zumeist übersehen, dass schon im 19. Jahrhundert auch die etablierten Religionen begannen, Wissenschaft für ihre Zwecke zu popularisieren. In einer solchen Perspektive können überaus wirkungsmächtige, aber weithin vergessene Ansätze der Wissensvermittlung neu entdeckt werden. Unweigerlich stellt sich damit die Frage, welches Wissen eigentlich den Gegenstand von öffentlicher Vermittlung im 19. Jahrhundert bildete, womit eine dritte Achse der Popularisierungsgeschichte benannt ist. Diese ließe sich auf den ersten Blick durchaus als Geschichte der Vermittlung wissenschaftli35
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cher Erkenntnisse, wie sie von Gelehrten und an Universitäten hervorgebracht wurden, an ein nicht-wissenschaftliches Publikum beschreiben. Gehörten etwa astronomische und botanische Fragen schon lange zu den bevorzugten Themen von Laienaufklärung, so traten nach 1800 die moderne Geologie und die Biologie in den Vordergrund. Um 1900 faszinierten die Entdeckung der Röntgenstrahlen und die Elektrotechnologie die Menschen (Wolfschmidt 2002). Oft genug prägten kräftige Metaphern und die rhetorische Emphase, die Mauern des ‚Zopfgelehrtentums‘ niederreiȕen zu wollen, die zeitgenössische Plädoyers zur Popularisierung. Auch widmeten sich zahlreiche neue populärwissenschaftliche Zeitschriften der Aufgabe, von jüngsten Entwicklungen in den sich seit der Jahrhundertmitte immer mehr verästelnden akademischen Disziplinen zu berichten. Insofern bewahrte Popularisierung den Bezug auf die institutionalisierte Wissenschaft. Doch das zweipolige Modell von akademischer Wissensproduktion einerseits und nicht-wissenschaftlicher Rezeption andererseits ist aus mehreren Gründen unzureichend. Ein solches Diffusionsmodell wird der Vielzahl von Wissensformen und deren Wandelbarkeit im 19. Jahrhundert empirisch nicht gerecht. Methodisch stöȕt es rasch an Grenzen, indem es den Blick auf die unzähligen Mischformen von Wissensvermittlung und die Eigendynamik populären Wissens versperrt. Zum einen berief sich popularisiertes Wissen ebenso auf akademisch generiertes Wissens, wie es Erfahrungswissen aufsog. Dies war z.B. der Fall, wenn es um meteorologische und agrarische Themen ging, oder auch bei der sogenannten Tierseelenkunde, die von populären Medien bis weit in das 20. Jahrhundert gehegt, von der Verhaltensbiologie aber als unwissenschaftlich gebrandmarkt wurde. Popularisierung konnte Wissensbestände einschlieȕen, die spätere Generationen und die nachfolgende szientistische Wissenschaftslehre aus dem Kanon legitimer Wissenschaft ausgeschlossen haben: Phrenologie und Mesmerismus, Okkultismus und Spiritismus (Cooter 1984; Winter 1998; Treitel 2004). Im Prozess der Ausgrenzung solcher Wissensformen aus dem, was als Wissenschaft bezeichnet wurde, spielte sich daher in der Popularisierungsdiskussion oft eine Auseinandersetzung um die legitimen Formen, d.h. um die Autoritätsansprüche und Geltungsbedürfnisse, von Wissen ab. Eingedenk solcher Ausgrenzungsstrategien übersieht das zweipolige Diffusionsmodell zum anderen, dass sich im öffentlichen Raum die drei idealtypischen Konstanten von Wissenschaft, Vermittlung und Publikum zunehmend ausdifferenzierten und dabei vielfach überlappen konnten. Unbestreitbar legte der Anspruch auf Öffentlichkeit die Axt an die Wurzel eines elitären Wissenschaftsverständnisses und bereitete zahlreichen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen. Aber das Bild gerade vom deutschen Gelehrten, der sich jeder Popularisierung entgegen gestemmt habe, ist auch eine Karikatur. Viele deutsche Akademiker engagierten sich seit der Blütezeit organisierter Volksbildungsbestre36
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bungen, d.h. seit den 1870er Jahren, um die öffentliche Präsentation von Bildung. Gleichzeitig fächerten sich die Vermittlungsmedien und -prozesse auf. Sie nahmen teil an der Entwicklung der modernen Mediengesellschaft und schufen populäre Wissensräume, in denen Unterhaltung und Belehrung, Wissenschaftsvermittlung und fiktionale Dramatisierung ineinander flossen und die Grenzen zwischen akademischen Disziplinen obsolet wurden. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts präsentierte z.B. ein kommerzielle Bühne in Berlin dem groȕstädtischen Publikum ein ‚Wissenschaftliches Theater'. Mit Hilfe ausgeklügelter Diorama- und Lichteffekte setzte das Urania-Theater Reisen in die Erdgeschichte und zu fremden Kontinenten in Szene (Daum 2002: 178-182). Zu gleicher Zeit florierten Tier- und Naturgeschichten in literarischen Erzählungen und vereinnahmten Literaten offensiv die moderne Wissenschaftslehre ebenso wie Wissenschaftler begannen, Sachprosa als literarische Herausforderung zu begreifen (Pörksen 1986; Michler 1999). Auch wurden die meisten wissenschaftlichen Experten selbst zu Laien in Disziplinen auȕerhalb ihres Fachbereiches und damit potenziell zu Rezipienten von Popularisierungsbestrebungen. Nicht zuletzt spielte das Publikum eine aktive Rolle in den Prozessen der Popularisierung. Die heterogenen Leserschaften populärer Wissenschaftsprosa markierten über Leihbibliotheken, mit ihrem Kaufverhalten, oder mit Leserbriefen an Naturkundemagazine öffentliche Erwartungshaltungen und konnten Trends setzten. Mitglieder in Naturschutzvereinigungen und Amateurforscher schufen ihre eigenen Wissensräume und konnten damit lokale und regionale Bedeutung erlangen, mitunter sogar internationale Bande knüpfen. Vor diesem Hintergrund lässt sich Popularisierung als interaktiver Vorgang der öffentlichen Kommunikation, Präsentation und Transformation von Wissen verstehen, bei dem der Bezug auf ein Publikum im Vordergrund steht. Im Zentrum dieses Vorganges stand häufig das idealtypische Bemühen, wissenschaftliche Erkenntnisse an ein öffentliches Publikum zu vermitteln. Legitimationsstrategien ebenso wie Kritiken von Popularisierung entwickelten sich in Bezug auf den Umgang mit Wissenschaft in der Moderne. Popularisierung als gesellschaftliches Phänomen kann damit historisch in dem Zeitalter von Massenöffentlichkeit, sich ausdifferenzierendem Medienmarkt und moderner Wissenschaft situieren werden. Versuche, den Begriff universal und epochenübergreifend anzuwenden oder durch ein vages Konzept der „expository science“ zu ersetzten, das jegliche Kommunikation von Wissen einfangen will und damit historische Trennschärfe verliert, stoȕen rasch an Grenzen (Shinn/Whitley 1985; Kretschmann 2003). Allerdings ging Popularisierung keineswegs in Wissenschaftsvermittlung entlang der Abstufung von akademischer Wissensproduktion und nichtwissenschaftlicher Rezeption auf. Die Akteure der Kommunikationsprozesse, die Wahl der Präsentationsformen, deren Adressatenbezug und die entschei37
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dende Umstand, dass solche Präsentationen in öffentlichen Räum erfolgten und damit der Dynamik der expandierenden Mediengesellschaft ausgesetzt waren, bewirkten, daȕ sich Wissen durch Popularisierung stets wandelte (Cooter/Pumfrey 1994). Aus evolutionsbiologischen Details konnten neue Schöpfungsgeschichten gebastelt werden, aus botanischen Belehrungen konnte Novellen entstehen, ökologische Erkenntnissen konnten sich in Dorfgeschichten verwandeln und astronomische Befunde religiös gedeutet werden. Modernitätsemphase als auch anti-moderne Kritiken schlossen popularisiertes Wissen ein.
2. Zeit – Raum – Form Versteht man Öffentliche Wissenschaft nicht nur als spektakuläre Herausforderung der Wissensgesellschaft, sondern als Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung, dann lassen sich manche Aufgeregtheiten relativieren. Das Thema entpuppt sich als Teil einer reichen Tradition von Wissenskultur. Popularisierung kann so die noch immer erstaunlich hartnäckigen, negativen Konnotationen abstreifen. Dies gilt besonders für Deutschland, einem Land, das stereotyp, aber nicht ganz zu Unrecht als der Wissenschaftsvermittlung besonders abgeneigt erscheint. Tatsächlich kann der deutsche Sprachraum auf eine überaus originelle, vielfältige und selbst international ausstrahlende Populärwissenschaft, gewiss oft genug angefeindet, zurückblicken. In ihrer Genese verkörperte Wissenschaftspopularisierung einen demokratischen Anspruch auf Wissen und formulierte ein partizipatorisches Bildungsverständnis. Ob und wie diese reichhaltige, im öffentlichen Bewusstsein noch weitgehend verschüttete Tradition wieder entdeckt und nutzbar gemacht werden kann, hängt allerdings weitgehend davon ab, wie offen der historische Blick ist. Folgt man z.B. dem bekannten Modell bürgerlicher Öffentlichkeit, das Jürgen Habermas entwickelt hat, so erscheinen Spätaufklärung und Frühliberalismus zwischen 1750 und 1850 als Ideal, auf das eine lange Phase der Degeneration unter der Dominanz einer manipulativen Meinungsindustrie folgte (Habermas 1962/2004). Gleichermaȕen konzentrieren sich viele Studien zur ‚public science‘ in England auf die Phase vor dem Einsetzen der modernen Massengesellschaft (Shapin/Schaffer 1985; Stewart 1992; Golinski 1992). Die eigentliche dynamische Phase der Wissenschaftspopularisierung nach 1848 gerät damit aus dem Blick. Sie ist lange als Geschichte der Erwachsenenbildung beschrieben worden – von der deutschen Gesellschaft für Verbreitung von Volkbildung, die 1871 gegründet wurde, bis zur ‚University Extension‘Bewegung in England und Skandinavien am Jahrhundertende (Dräger 1975; Dräger 1979-84; Jeismann/Lundgreen 1987; Berg 1991). Eine solche, wichtige Institutionengeschichte verliert leicht sowohl das zeitgenössische Vermitt38
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lungsspektrum, als auch die breit gestreute Adressatenschaft von Popularisierung aus dem Auge; letztere schloss um 1900 Männer, Frauen und Kinder ebenso ein wie Arbeiter, Aristokraten und das Wirtschaftsbürgertum. Auch der Versuch, die Popularisierungsgeschichte entlang der Verbreitung des Darwinismus zu schreiben (Kelly 1981; Bayertz 1983), führt zu Verkürzungen. Dass der Darwinismus ein dominierendes Thema in den populären Medien seit 1860 war, ist so völlig unstrittig. Aber weder ging Popularisierung in diesem Leitthema auf, noch waren es ausschlieȕlich oder gar dominierend Darwinisten, welche ihre Erkenntnisse öffentlich machten, auch wenn sie häufig besonders aggressiv auftraten (Engels 1995; Engels 2000; Daum 2002). Folgt man einem Verständnis von Popularisierung, das die Interaktion von Kommunikation, Präsentation und Transformation von Wissen betont und Populärwissenschaft als ein weitgespanntes mediales und kommunikatives Netzwerk begreift, dann entschlüsselt sich deren Geschichte in ihrer ganzen gesellschaftlichen Dynamik. Trotz politischer Restriktionen konnten sich in Deutschland ein Vereinswesen und eine kritische, literarische Öffentlichkeit bereits vor 1848 ausbreiten. Beides wurde von liberalen, frühsozialistischen und freireligiösen Intellektuellen genutzt, um sich und andere mit historischen Forschungen, aber auch dem ambitionierten Empirismus einer sich als analytisch verstehenden Naturwissenschaft vertraut zu machen. Volksbildung wurde immer mehr zu einer Konstante in der liberalen Hoffnung, durch Bildung soziale Spannungen zu entschärfen (Langewiesche 1992; Tenorth 1998). Bezeichnenderweise wurde der Begriff ‚populärwissenschaftlich‘ erstmals von freireligiösen und liberalen Publizisten in der Zeit der Revolution von 184849 verwendet. Von nun an bezog sich Popularisierung in Begrifflichkeit und Praxis vor allem auf die Naturwissenschaften, die eine undogmatische Erklärung von Welt versprachen (Daum 1998). Die vom junghegelianischen Schriftsteller und demokratischen Mitglied des Paulskirchenparlaments Wilhelm Jordan redigierte Zeitschrift Begriffene Welt pries 1849 nicht zufällig die „beobachtende und experimentelle Forschung“, welche „die Dinge in ihrem Bestandtheile, die Erscheinungen in ihre Ursachen zerlegt“ (Begriffene Welt 1849: 174). Nach der Unterdrückung der Revolution waren es zumeist von staatlicher Seite misstrauisch beäugte Demokraten und Liberale, die in der Wissenschaftspopularisierung eine Chance erblickten, ein rationales Weltbild zu verbreiten und gegen herrschende Orthodoxien zu argumentieren. Nicht selten gerann der Bezug zur modernen Naturwissenschaft zur Hoffnung auf Erlösung: Popularisierung wurde zum Vehikel einer neuen Offenbarung. Der radikale Empirismus der ‚begriffenen Welt‘ verband sich im öffentlichen Raum mit einem oft freireligiös aufgeladenen Heilsversprechen. Für den deutschkatholische Prediger Heribert Rau waren die „siegreich vordringenden Naturwissenschaften“ ein „Evangelium der Natur“, das zu lesen den Anbruch einer 39
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„glücklicheren Zukunft“ versprach (Rau 1857: 631, 17). In spezifischen postrevolutionären Kontext wurde im populären Raum naturwissenschaftlicher Empirismus zu einer teilweise resakralisierten Weltanschauung umgeformt. Eine ähnliche Transformation von Wissen im Prozess der Popularisierung erfuhren die Ideen des polyglotten Universalgelehrten Alexander von Humboldt (1869-1859). Dessen Monumentalwerk Kosmos war am Ende der 1850er Jahr im wesentlichen abgeschlossen und galt schon Zeitgenossen als wissenschaftlich teilweise überholt. Im öffentlichen Raum dagegen entfaltete Humboldts Idee eines in sich geordneten, über Forschungen ebenso wie durch Naturgenuss erfahrbarenen Kosmos als Naturganzen eine ungeheure Wirkung. Eine wahre „‚Kosmos-Literatur‘“ (Klencke 1853: IX) entstand, und mit ihr schwappte eine Welle populärwissenschaftlicher Naturgeschichten über den deutschen Buchmarkt. In der Dynamik des öffentlichen „Massenmarktes“ (Hans Rosenberg) nach 1850 wurde die Kosmosidee zudem zum Ausgangspunkt für die Gründung zahlreicher Kosmos-Vereine. Am Jahrhundertende trug sie in einer erstaunlichen Renaissance dazu bei, das darwinistische Modell eines ‚Kampfs um Dasein‘ abzufedern und zu ästhetisieren (Daum 2000). Die von der Geschichtsschreibung der Erwachsenenbildung lange übersehenen Humboldt-Vereine verdeutlichten, dass sich Wissenschaftspopularisierung keineswegs allein in universitätsnahen Kontexten oder im groȕstädtischen Publikum entwickelte. Vielmehr wurden Naturvereine in der Provinz, abgelegene Kleinstädte und Heimatmuseen, ja selbst die Dorfschänke, in der sich interessierte Naturalisten trafen, d.h. lokale und regionalen Räume mit jeweils eigenen natürlichen und personellen Ressourcen, zu wichtigen kommunikativen Strukturen von Popularisierung (Secord 1994; Inkster 1998). Nicht zuletzt aufgrund des Fehlens eines nationalen Kommunikationsraumes blieb Popularisierung bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches oftmals eine Berufung: zur Weltanschauung stilisiert, aber ohne feste institutionelle Basis. Sie wurde vorwiegend von liberalen und Dissidentenmilieus angenommen, entbehrte einer professionellen Didaktik, streute indes bereits regional weit aus. Niemals wurden mehr Naturvereine in Deutschland gegründet als im Jahrzehnt zwischen 1860 und 1870 (Daum 2002: 85-191). Die Ideenvielfalt dieser ersten ‚take-off‘-Phase der Popularisierung ist in vielerlei Hinsicht bis heute unerreicht. Die Aquarienkunde wurde als Bestandteil der bürgerlichen Interessenwelt ebenso propagiert wie die Anlage von Naturkundemuseen und die Verbesserung des naturwissenschaftlichen Schulunterrichts. Mancher Naturkundler zog mit Bildtafel, die z.B. Fossilienfunde zeigten, durchs Land, und Darwins Entwicklungslehre wurde zum Thema von Diskussionsabenden in Vereinslokalen. Bot diese Popularisierungsphase noch vielfach Improvisationen und war rhetorisch dafür umso ehrgeiziger um Legitimation bemüht, so wurde Öffentliche Wissenschaft nach 1871 ausdifferenziert und professionalisiert. Popula40
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risierung in ihren verschiedenen Ausprägungen wurde zur Institution. Ein engmaschiges Netz von Buch- und Zeitschriftenpublikationen, Verlagsinitiativen, Vortragsorganisationen und lokalen Initiativen bis hin zur Gründung Zoologischer Gärten (Rieke-Müller/Dittrich 1998; Rothfels 2002) überzog den deutschen Sprachraum. Die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung (gegründet 1871), die Berliner Humboldt-Akademie (1878) und ihre noch stärker auf praktische Publikumsansprache bemühten Pendants, die Urania (1888) und die Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (1894), nach 1900 dann die Kosmos-Gesellschaft für Naturfreunde (1903) und die Rhein-Mainische Volksakademie (1905) wurden zu fixen Gröȕen in der Öffentlichkeit der Städte, um nur wenige Beispiele zu nennen. Im Rückblick ist die Diversifizierung des literarischen Marktes besonders eindrucksvoll. In der Phase zwischen Revolution und Reichsgründung waren viele populärwissenschaftliche Zeitschriftenprojekte mangels finanziellem Rückhalt schon nach wenigen Jahren gescheitert. Eine Generation später konnten bildungsbürgerliche Leser aus protestantischen Kulturzeitschriften von den neuesten Entwicklungen in der Biologie erfahren. Die Gartenlaube berichtete ebenso über Forschungsreisen wie technologische Zeitschriften. Anleitungsbücher zum Selbststudium und ‚naturwissenschaftliche Plaudereien‘ für Kinder waren gleichermaȕen im Buchhandel erhältlich. Spätestens um 1890 hatte sich Öffentliche Wissenschaft zu einem Feld professioneller Initiativen verfestigt und in einem Netz von populärwissenschaftlichen Medien und Institutionen ausgebreitet. Sie erhob bei aller Vielfalt einen legitimen Anspruch, eigenständige diskursive und institutionelle Räume zu schaffen. Öffentliche Wissenschaft setzte sich damit ebenso die vom universitären Betrieb ab wie später von der sogenannten ‚big science‘, in der sich Grundlagenforschung und industriellem Ressourcen verflochten. Und doch verlief diese Entwicklung weder linear noch ohne Spannungen, und sie ging auch nicht schlicht in der quantitativen Ausdehnung auf. Vielmehr wandelten sich zwischen dem frühen 19. und dem 20. Jahrhundert Begründungsmuster und gesellschaftliche Selbstverortung. Die ältere These von dem Wandel von einer extensiven zu einer intensiven Volksbildungsarbeit um 1890 kann diesen Prozess nicht erklären (Balser 1959; Langewiesche 1989). Der post-revolutionäre Popularisierungsschub war stark von einem Demokratieverlangen geprägt. Öffentliche Wissenschaft positionierte sich als anti-autoritäre Kraft. Mit der Expansion der modernen Massengesellschaft nach 1870, in der sich gesellschaftliche Interessen aller Couleur organisierten, entpolitisierte sich Popularisierung in Deutschland insofern, als sie sich von Dissidentenmilieus löste und professionalisierte. In der Krise des deutschen Liberalismus verlor sich die anfängliche Fortschritts- und Bildungsemphase (Bollenbeck 1994). Aber das ist nur eine Facette, denn neue Politisierungsund Legitimierungsversuche setzten ein. Sie segmentierten sich jetzt zum ei41
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nen entlang sozialer und weltanschaulicher Verwerfungen. Schon 1869 überraschte eine neue populärwissenschaftliche Zeitschrift, Natur und Offenbarung, das Publikum mit dem Bekenntnis zu einer „katholische[n] Naturwissenschaft“ und nahm sich zwei Jahre später der „Forderung auf Popularität“ an (Natur und Offenbarung 13, 1867: 9; und 15, 1869: 2). Spätestens am Ende des Jahrhunderts grenzten sich katholische und protestantische, sozialistische und selbst konservative Gruppen mit jeweils eigenen Popularisierungsversuchen voneinander ab. Zum anderen kommerzialisierte sich Öffentliche Wissenschaft seit 1870 in einem zuvor unbekannten Ausmaȕe. Belehrung gegen Entgelt, Subskription von Magazinen und Serienpublikationen, populärwissenschaftliches ‚multitasking‘, wie es etwas die Kosmos-Gesellschaft mit einer ganzen Bandbreite kommerzieller gestreuter Bildungsangebote vorführte: solche Tendenzen führten dazu, dass Popularisierung sich in die moderne Konsumwelt einpasste. Erneut und nun um so mehr wurde sie mit Trivialisierungsvorwurf und Ideologieverdacht belegt. Man kann es als eine Antwort sowohl auf die Segmentierung und Pluralisierung als auch auf die Kommerzialisierung der Populärwissenschaft verstehen, dass in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg erneut ganzheitliche Modelle wissenschaftlicher Weltaneignung eine Blühte erlebten. Modernität war unüberschaubar geworden und die sozialreformerisch-liberale Emphase frührer Jahre verblasst. ‚Kultur‘ wurde zum neuen Leitbegriff. Publizisten wie Wilhelm Bölsche und Raoul Francé sahen nun in der Popularisierung der Naturwissenschaften ein Vehikel zur „Humanisierung“ von Wissenschaft wie Gesellschaft, gelte es doch „die Fäden zwischen Geistesbildung und Naturwissen, zwischen Volksseele und Naturforschung“ neu zu knüpfen (Bölsche 1913: 196; Natur 1, 1910: 1).
3 . Ak t e u r e Fragt man danach, wann wo und wie im 19. Jahrhundert popularisiert wurde, so ergibt sich – wie unsere Skizze gezeigt hat – eine Fülle von Beobachtungen, aus denen sich Fäden in die heutige Zeit spannen lassen. Das gilt nicht weniger, wenn man den Blickt auf die Akteure der Öffentlichen Wissenschaft lenkt. Allerdings ist es nicht einfach, die personellen Trägerschichten zu erfassen. Einige wenige, prominente Vorkämpfer des fortschrittlichen Wissenschaftsglaubens sind noch heute bekannt: Ernst Haeckel (1834-1910) zum Beispiel, der deutsche Zoologe und Verfechter einer monistischen Weltanschauung, sein Zeitgenosse und Gegner Rudolf Virchow (1821-1902) oder der englische Darwinist und Verfechter eines Agnostizismus, Thomas Huxley (1825-1895), ein besonders offensiv auftretender Anhänger der Evolutionslehre. Unserer Elterngeneration mag Brehms Tierleben noch vertraut sein; 42
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aber wer könnte noch sagen, wer Alfred Brehm (1829-1884) eigentlich war und wie aus diesem Pfarrerssohn einer der beliebtesten popularisierenden Schriftsteller seiner Zeit wurde? Hier scheint ein Paradox auf, das noch im 21. Jahrhundert nachwirkt: Popularisierte Wissenschaft spielte im öffentlichen Leben eine enorme Rolle und konnte dank der zunehmenden medialen Verbreitung die Weltbilder ganzer Generation mitprägen. Die Akteure hinter diesen Bemühungen – Zeitschriftenredakteure und Wanderredner, Vorstände von lokalen Naturvereinen, Populärschriftsteller und Kuratoren von Museen – blieben jedoch oftmals hinter den Fassaden der sich ausbreitenden Mediengesellschaft verborgen. Sie wurden nicht nur schlicht vergessen und von einer Wissenschaftsgeschichtsschreibung übergangen, die sich auf die Entwicklung von Disziplinen und akademische Heroen konzentriert hat. Diese Vermittler fanden sich auch oft genug von der institutionalisierten Wissenschaft ausgegrenzt und mit dem Vorwurf des Dilettantismus konfrontiert. Wer im Zuge der Professionalisierung von Wissenschaft keinen Ruf auf eine Professur erhielt, wurde schnell zum Amateur abgestempelt und musste das Popularisieren als mühseligen Broterwerb betreiben. Und doch gehören die Popularisierer, gerade die vergessenen, in das Zentrum einer Geschichte der Öffentlichen Wissenschaft (Daum 1995 und 2002: 377-458). Sowohl die Chancen als auch die Grenzen, die sich aus den Popularisierungsbemühungen ergaben, spiegeln sich in der personellen Trägerschicht. Zwischen Aufklärung und Kaiserreich war diese Gruppe äuȕerst heterogen. Viele protestantische Pfarrer sahen in der Popularisierung der Naturgeschichte einen Weg, das Werk Gottes zu verkünden; auch die beliebten englischen Bridgewater Treaties verfolgten dieses Ziel (Topham 1992). Dagegen nahmen sich linksliberale Intellektuelle der Wissenschaftsvermittlung an, um eine Gesellschaftsreform zu voranzutreiben; und viele fanden eher zufällig oder aus politischer und finanzieller Not, z.B. im erzwungenen inneren oder äuȕeren Exil, den Weg zur Wissenschaftsvermittlung. Im letzten Jahrhundertdrittel änderte sich dies merklich. Popularisierung wurde allmählich zum Beruf, der im sich verdichteten Medienmarkt durchaus Möglichkeiten bot, kontinuierlich als Zeitschriftenautor oder Vortragsredner zu arbeiten. Die konnte auch von den ersten Generationen der Universitätsabgänger genutzt werden, die seit den 1860er Jahren an den sich spezialisierenden Wissenschaftsinstituten studiert hatten. Nach 1890 wurden aus dem Popularisieren endgültig eine omnipräsente Profession, auch wenn es ihr an den üblichen Merkmalen einer berufsständischen Organisation mangelte. Die Wissenschaftsvermittler waren überall zur Stelle, wo die deutsche Gesellschaft ihre Wissensbedürfnisse organisieren und anbieten wollte: in Zeitungsstuben und naturkundlichen Magazinen, in Volkshochschulkursen und Arbeitervereinen.
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Vor diesem Hintergrund würde es daher zu kurz greifen, Wissenschaftsvermittlung allein oder auch nur vorwiegend als Anliegen weniger „public scientists“ (Frank A. Turner) zu verstehen, die – wie Rudolf Virchow oder Emil Du Bois-Reymond – als ebenso ehrwürdige wie ehrgeizige Ordinarien ihre kulturelle Prominenz dazu nutzten, an die Öffentlichkeit zu appellieren, um Ressourcen und Anerkennung für ihre wissenschaftlichen und weltanschaulichen Positionen zu gewinnen (Bayertz 1985; Lenoir 1992: 18-52). Wenn das 19. Jahrhundert ein wissenschaftsgläubiges Zeitalter wurde, dann nicht zuletzt aufgrund des mühseligen, aber von einer erstaunlichen Kreativität geprägten Einsatzes für eine Öffentliche Wissenschaft, der von Hunderten von Vermittlern alltäglich geleistet wurde. Hier liegen die Ursprünge des heutigen Wissenschaftsjournalismus. Dabei kann nicht übersehen werden, dass sich auch viele Universitätslehrer an popularisierenen Aktivitäten beteiligten. Allerdings blieb in Deutschland – anders als etwa in England – Wissenschaftsvermittlung im deutschsprachigen Raum fast ausschlieȕlich ein Männerdomäne (Shteir/Gates 1997; Schwarz 1999: 124-129).
4. Perspektiven Seit den 1990er Jahren hat das Interesse an der komplexen Geschichte der Wissenschaftspopularisierung immer mehr zugenommen. Für die heutige Wissensgesellschaft und unsere Versuche, Öffentliche Wissenschaft als Herausforderung anzunehmen und mit ihr verantwortlich und positiv umzugehen, ergeben sich daraus enorme Chancen. Zum einen führt die historische Reflexion dazu, eine noch immer kaum bekannte, ungemein reichhaltige Tradition zu entdecken. Sie bietet nicht nur zahlreiche Anregungen zur konkreten Gestaltung von Wissenschaftsvermittlung. Darüber hinaus ist ein Bewusstsein solcher Traditionslinien dazu geeignet, unsere heutige Identität im Verhältnis zu moderner Wissenschaft zu hinterfragen und zu erkennen, dass Teilnahme an den vielschichtigen Vorgänge von Popularisierung dieses Verhältnis entscheidend geprägt hat und noch immer prägt. Schlieȕlich kann ein historisches Bewusstsein viele, noch immer vorhandene negative Urteile über Popularisierung und Popularisierer als geschichtlich bedingt und damit nicht wesensmäȕig begründet enthüllen. Versteht man solche abschätzigen Stereotype als Teil einer konkreten geschichtlichen Entwicklung, dann kann deren Analyse dazu beitragen kann, sie auch zu demytologisieren. Zudem ist die historische Analyse selbst nicht statisch, sondern gewinnt ihrerseits neue Leitperspektiven aus der Wissensgesellschaft und neuen Erkenntnissen etwa der Wissenssoziologie und Wissenschaftsforschung. Vermehrt wird auch nach den Mehrdeutigkeiten popularisierter Wissens gefragt. Wenn etwa der Darwinismus keineswegs die Popularisierungsgeschichte do44
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minierte, welche konkurrierenden Weltbilder wurden dann über Öffentliche Wissenschaft formuliert? Solche Fragen können scheinbar lineare Fortschrittserzählungen aufbrechen und das Konzept von ‚Moderne‘ als Erfolgsgeschichte hinterfragen. Dabei dürfte das Verhältnis von Religion und Wissenschaft erneut zur Sprache kommen. Die alte Vorstellung, dass sich im 19. Jahrhundert in der Öffentlichkeit ein unversöhnlicher Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion abgespielt habe, ist von der Wissenschaftsgeschichte längst in ihren ideologischen Verhärtungen entlarvt worden (Brooke 1991; Wilson 2002). Wenn in jüngster Zeit, vor allem in den USA, wieder öffentlich um die Evolutionsbiologie gestritten und deren Popularisierung von konservativen Varianten eines ‚Creationism‘ als gefährlich gebrandmarkt wird, dann kann ein historisch verfeinertes Wissen unmittelbar nützlich sein. Es dürfte zeigen, dass im 19. Jahrhundert moderne Naturwissenschaft keineswegs nur von Atheisten und Religionskritikern öffentlich gemacht wurde, sondern in unterschiedliche weltanschauliche Positionen einging. Wir leben indes nicht nur in einer Wissens- sondern auch in einer visuellen Gesellschaft. Sie hat nicht nur einen vielbeschworenen „iconic turn“, sondern ein neues Bemühen hervorgebracht hat, eine „Bild-Anthropologie“ (Belting 2002) zu entwickeln und damit die Bildorientierung als Grundlage menschlichen Daseins neu zu betonen. Dies kann für die Erforschung der Popularisierungsgeschichte nicht folgenlos bleiben. Sie löst sich inzwischen von der Betonung des Textes als dominantem Medium der Vermittlung und bezieht stärker die visuellen Dimensionen von Wissenschaftsvermittlung ein. Auf diese Weise wird nach der ästhetischem Komponente in der Formulierung von Wissen und dessen Präsentation (Daston/Galison 1992; Jones/Galison/Slaton 1998) gefragt. Man kann noch darüber hinausgehen: So neuartig manche Computeranimation heute erscheint – öffentliches Verständnis von Wissenschaft war historisch immer auf metaphorische Aneignung und die Kraft von Bildern angewiesen. Sie hat sich oft genug über Schaustellungen und Inszenierungen von Wissen vermittelt, vom anatomischen Theater der frühen Neuzeit über Wanderschaubühnen bis zum Urania-Theater um 1900 (Raichvarg 1993; Nadis 2005). Die performative Dimension von Popularisierung stellt mithin ein zukunftsträchtiges Thema dar. Zudem lohnt es sich gerade im Zeitalter der „Globalisierung“, Popularisierung historisch auf ihre nationalen Ausprägungen, aber auch die internationale Ausstrahlung und transnationale Transfers hin zu untersuchen. Popularisierung war bereits im 19. Jahrhundert ein internationales Phänomen. Wissen – z.B. über evolutionsbiologische Themen – wurde keineswegs nur über soziale, sondern auch über nationale Grenzen hinweg vermittelt. Es präsentierte und wandelte sich dabei in unterschiedlichen Wissenskulturen auf jeweils eigene Art im öffentlichen Raum, sei es im Rom des jungen italienischen Nationalstaates, in den Arbeitervierteln von Buenos Aires oder im bolschewisti45
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schen Russland nach der Oktoberrevolution. Oft waren es die heute vergessenen Vermittler, die dabei aus lokalen Initiativen heraus transnationale Bande knüpften – das Berliner Urania-Theater etwa schaffte es vor dem Jahrhundertwende, in der New Yorker Carnegie Hall aufgeführt zu werden, und Ernst Haeckels Monismus fand seine Anhänger auch in den USA (Béguet 1990; Barrancos 1996; Bensaude-Vincent/Rasmussen,1997; Daum 2001; Andrews 2003). Der Satz, dass Wissen keine Grenzen kennt, ist ein schönes Bonmot – leider aber in dieser Form alles andere als universal gültig. Die Geschichte der Popularisierung zeigt, dass das Bemühen, neue Räume von und für Wissen zu schaffen sowie die Grenzen von Wissenschaft in der Öffentlichkeit transparent zu halten, zu den grundlegenden Traditionen unseres heutigen Zeitalters zählt.
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WILHELM FILLA Volkstümliche Universitätskurse – Ein historisches w ie aktuelles Mode ll der Wissenschaftsverbreitung
Wird Wissenschaftspopularisierung unter einem historischen Blickwinkel betrachtet, steht in den deutschsprachigen Ländern die aus England kommende Universitätsausdehnungsbewegung im Mittelpunkt des Interesses. Dazu liegt eine breite, wenn auch nicht allzu bekannte Literatur vor. Diese spezifische Form der institutionellen Wissenschaftspopularisierung, für die wir den Begriff Wissenschaftsverbreitung vorziehen, weil er in keiner Weise abwertend konnotiert ist, liegt auch eine der „Wurzeln“ der Volkshochschulen – in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Weitgehend vergessen beziehungsweise unaufgearbeitet ist eine zweite Traditionsrichtung der Wissenschaftsverbreitung, die ebenso wie die Universitätsausdehnung international wirkte und die auch unter aktuellen Gesichtspunkten von Bedeutung ist: die Urania-Bewegung. Sie hat sich von Berlin ausgehend, am Ende des 19. Jahrhunderts zu etablieren begonnen. Institutionell gleichsam dazwischen steht als dritte Traditionsrichtung der Wissenschaftsverbreitung die – für Deutschland – hervorragend aufgearbeitete Tätigkeit von Vereinen und Einzelinitiativen, die institutionell überaus breit und inhaltlich sowie methodisch vielfältig angelegt war. Dazu kommt noch die besonders massenhafte mediale Wissenschaftsverbreitung durch Bücher und vor allem Zeitschriften. (Daum 1998)1 Diese mehrgliedrige Tradition der historischen Wissenschaftsverbreitung steht wiederum in einer unmittelbaren Tradition, die ins 18. Jahrhundert zurückreicht (Tschopp 2004). Auf die Vielfalt der Traditionslinien der Wissen1 Einen größeren Zusammenhang stellt Carsten Kretschmann (Hg.) (2003) her. Zur medialen Wissenschaftsverbreitung vgl. Klaus Taschwer (1997). 51
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schaftsverbreitung hinzuweisen erscheint deshalb erforderlich, weil sie in der historischen Entwicklung inhaltlich und zum Teil personell miteinander verwoben waren, in der Analyse bisher aber überwiegend nur isoliert voneinander dargestellt wurden. Es gibt überdies eine vierte Traditionsrichtung der Wissenschaftsverbreitung, die in der Wissenschaft von der Erwachsenenbildung weitgehend außer Acht gelassen wird, der aber in Praxis und Theorie vor allem auf sozialwissenschaftlichem Gebiet bedeutende Leistungen attestiert werden können und die sich ungefähr zur selben Zeit wie die anderen Traditionslinien zu entwickeln begonnen hat: die Arbeiterbildung. Die Erforschung der Geschichte der Wissenschaftsverbreitung bedürfte beim erreichten Forschungsstand weit mehr als bisher eines integrativen Blicks, der auf die unterschiedlichen Entwicklungsstränge gerichtet und diese miteinander zu verbinden in der Lage ist. Eingedenk dieser grundlegenden Problematik wird im Folgenden der Blick auf die Universitätsausdehnung gerichtet. An ihr zeigt sich neben der Vielfalt der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnenden modernen Volks- und Erwachsenenbildung einer ihrer weiteren Grundzüge. Sie war, obwohl lokal organisiert, zu einem guten Teil ein interkulturelles institutionelles „Transfer-Produkt“. Das gilt für die aus Dänemark kommende Volkshochschule, für die Urania und im Besonderen für die Universitätsausdehnung, die in mehreren und noch vielfach unerforschten Ausdehnungsphasen eine nahezu weltweite und heute kaum mehr bekannte Verbreitung erfuhr. Die Transfer-„Produkte“ unterscheiden sich aber von den ursprünglichen Modellen.
1. Personell-soziale Bedingungen für die Entstehung der University Extension Für die Entstehung der Universitätsausdehnung in England spielten vorrangig drei Faktoren eine entscheidende Rolle, die in etwas geänderter und abgeschwächter Form Jahrzehnte später bei der Entstehung der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ in Wien ebenfalls maßgeblich waren: –
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Universitätsinterne Reformbestrebungen, da es in England um die Mitte des 19. Jahrhunderts die beiden ebenso traditionsreichen wie reformbedürftigen, in Konservativität erstarrten und auf gesellschaftlich Privilegierte ausgerichteten Universitäten Cambridge und Oxford sowie Colleges mit geringer Reputation gab. Anforderungen, die aus der weiblichen Emanzipationsbewegung – und später – aus der Arbeiterbewegung kamen und – als subjektiver Faktor –
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das Engagement eines jungen pionierhaften Wissenschaftlers mit hoher Organisationskompetenz: James Stuart. Ihm folgten weitere Pioniere, die für die nachhaltige Entwicklung der University Extension in Großbritannien maßgeblich wurden.
Einer königlichen Untersuchungskommission, die 1850 die Universität Oxford prüfte, wurde der Vorschlag unterbreitet, Lehrstühle und Dozenturen in den größeren Industriestädten zu schaffen. Begründet wurde dies mit der Einsicht, es sei unmöglich, die bildungsbedürftigen Massen zur Universität zu bringen, es müsse aber möglich sein, die Universität zu ihnen zu bringen. Überlegungen dieser Art hätten bei weitem nicht ausgereicht, um mit der University Extension eine der bedeutendsten Initiativen in der Geschichte der internationalen Volks- und Erwachsenenbildung zu starten. Dazu mussten artikulierte Interessen und Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen kommen und dazu musste es Pioniere geben, die in der Lage waren, Bildungskonzepte in die Realität umzusetzen. Mit der Universitätsausdehnung war, durchaus in kritischer Auseinandersetzung mit den bestehenden Universitäten, ursprünglich zweierlei gemeint. Zunächst ganz unspezifisch universitäre Erwachsenenbildung im Sinn einer Öffnung der Universität für mehr Studierende. Darüber hinaus wurde unter „Universitätsausdehnung“ auch die innere Entwicklung der Universitäten verstanden, insbesondere die Einbeziehung neuer Wissenschaftsbereiche in Forschung und Lehre. Erst in der Folge wurde der extra-murale Aspekt der Universitätsausdehnung betont, das Überspringen der „Mauern“ der Universität mit universitären Bildungsangeboten. Die entscheidenden, unmittelbaren Impulse für die erste University Extension in England gingen von einem Volksbildungspionier aus, der heute in den deutschsprachigen Ländern kaum bekannt ist: James Stuart (1843-1913) (Cooke 1998). Stuart, der mit 23 Jahren in Mathematik promovierte, war nicht der erste, der einschlägige Vorschläge formulierte, aber er konnte sie als erster in Praxis umsetzen. So etwas wie die „University Extension“ lag in den Jugendjahren Stuarts in England und Schottland in der „gesellschaftlichen Luft“. 1867 unternahm Stuart auf Einladung des „North of England Council for Promoting the Higher Education of Woman“ eine Tournee mit volkstümlichen Vorträgen. Auf Ersuchen dieses Vereins, Vorträge über die Kunst des Lehrens zu halten, schlug er vor, dies in fachspezifischen Modellvorstellungen zu demonstrieren. Er hielt noch im gleichen Jahr volkstümliche Vorträge über Astronomie an acht Abenden in mittelenglischen Städten, die ob seines großen didaktischen Geschicks zu einem durchschlagenden Publikumserfolg wurden. Als immer mehr Vortragswünsche an ihn herangetragen wurden, konnte er dem nicht mehr entsprechen. Daher schlug er eine ständige Einrich53
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tung zur Organisation solcher Vorträge vor. Die dafür am besten geeignete Einrichtung schien ihm die Universität zu sein. Am 23. November 1871 stellte Stuart an die Universität Cambridge den Antrag, volkstümliche Hochschulkurse in ihren Lehrplan aufzunehmen und sie als eine wesentliche Aufgabe der Universität anzusehen. In einer Denkschrift führte Stuart Argumente für seinen Plan an, die teilweise sehr „heutig“ klingen. Es sei eine Pflicht, dem Bildungsbedürfnis weiter Kreise Befriedigung zu verschaffen und „daß irgendein solches System, das die Vorteile der Universität über das Land verbreiten will, nötig ist, um der Universität mit Rücksicht auf die Bildung des Landes diejenige Stellung zu erhalten, die sie bisher eingenommen hat, um ihrer Hand auch ferner jenen tiefgreifenden Einfluß zu sichern, den man ihr doch gewiß wünschen muß“ (Schultze 1897, zit. nach Altenhuber 1995: 24).
Stuart konnte die Universität überzeugen, so dass der akademische Senat der Universität Cambridge ein „Syndicate for Local Lectures“ einrichtete, das nach einer zweijährigen Erprobungszeit in eine feste Institution umgewandelt wurde.
2 . Au s d e h n u n g d e r U n i v e r s i t y E x t e n s i o n i n P h a s e n Im Oktober 1873 fanden die ersten von der Universität Cambridge organisierten Vortragskurse in Nottingham, Leicester und Derby statt. Das Interesse daran übertraf alle Erwartungen. Bereits im dritten Jahr der neuen Volksbildungsaktivität stieg die Zahl der HörerInnen in der neuen Einrichtung auf 17.000. Bald folgten andere Universitäten dem erfolgreichen Beispiel: 1876 London, wo zunächst eine „Gesellschaft“ die Organisation übernahm, 1878 die Universität Oxford und 1886 die Universität Manchester. Dabei handelte es sich um die erste Ausdehnungsphase der University Extension – vorerst nur auf englischem Boden. Heinrich-Wilhelm Wörmann weist auf eine – im Vergleich zu Deutschland und das gilt ebenso für Österreich – englische Besonderheit hin, die den hohen Stellenwert der University Extension in ihrem Mutterland dokumentiert. In England fiel das Entstehen neuer Universitäten und Colleges mit den Anfängen der universitären Erwachsenenbildung zusammen. Das geht so weit, „daß das erste Engagement der Universitäten in der Erwachsenenbildung ein Teil des umfassenden Reform- und Expansionsprozesses der englischen Universitäten gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewesen ist. Bei einer Reihe von Universitäts- bzw. Collegeneugründungen spielte die University 54
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Extension, vor allem der University of Cambridge, sogar eine Vorreiterrolle.“ (Wörmann 1985: 50) Das englische Modell der University Extension war inhaltlich und methodisch klar strukturiert. „In der Regel dauerten die Kurse sechs bis zwölf Wochen, pro Woche gab es je einen Vortragsabend. […] Unterrichtsgegenstände waren Geschichte, Nationalökonomie, Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften und Themen aus Literatur und Kunst. (...) Zur Einführung erhielten die Kursteilnehmer eine Inhaltsangabe in Form von gedruckten Leitsätzen (Syllabus). Jeder Kursabend bestand aus einem einstündigen Vortrag und der daran anschließenden, einstündigen Klasse. Die Klasse diente der Vertiefung des Stoffes durch Aussprache mit den Hörern und durch zusammenfassende Wiederholungen“ (Altenhuber 1995: 25).
Nach ihrer ersten Verbreitung trat die Universitätsausdehnung in eine zweite Phase ein, die sich zunächst auf Schottland und Irland und in weiterer Folge auf Englisch-sprachige Länder in Übersee erstreckte: Australien, die USA und Kanada. (Reich 1897)2 Emil Reich, der zu den bedeutendsten Pionieren und Mäzenen der Wiener Volksbildung zählte, hielt zu den US-amerikanischen Aktivitäten fest: „So anerkennenswert alle diese Bestrebungen sind, so verlangen gleichwohl auch in Amerika die Freunde der Sache Staatsunterstützung und Staatsaufsicht, um Charlatanismus fernzuhalten und allen Bevölkerungsschichten gleichmäßig gerecht zu werden“ (Reich 1897: 123).
Für die zweite Ausdehnungsphase wird noch berichtet, dass die Universität Madras in „Britisch“-Indien trachtete, die junge Bildungs-Institution „einzubürgern“. Ebenso kam es zu einschlägigen Aktivitäten am Kap der guten Hoffnungen im Süden Afrikas. Wie und durch welche Medien und Personen wurden Informationen über erfolgreiche Universitäts-Ausdehnungsprojekte verbreitet, wie und von wem wurden sie rezipiert und in eine institutionalisierte Praxis umgesetzt und wie wurden die transferierten Institutionen im Transfer-Prozess aufgrund der jeweils unterschiedlichen sozio-kulturellen und ökonomischen Voraussetzungen und der Unterschiede in den Universitäten verändert? In diesem Zusammenhang wären auch die gesellschaftlichen Interessen und Träger der Universitätsausdehnung länderspezifisch zu analysieren. Erst in der dritten Ausdehnungsphase gelangte die University Extension auf den europäischen Kontinent, zunächst ab 1892 an Universitäten Belgiens. 2 Der Autor stützt sich auf englische Literatur zur University Extension. Weiters Wörmann 1985: 91-106; Schäfer (1988): 16-39. 55
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Die größte Bedeutung auf dem Kontinent erlangte die Universitätsausdehnung in Wien, wo nach einer ersten Initiative im Jahr 1893 die Einrichtung der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ (VUV) 1895 an der Universität Wien ins Leben gerufen wurde. Sie sprang – in etwas geänderter Form – auf dem Gebiet des heutigen Österreich nach Graz und Innsbruck über. Bald nach Wien entwickelte sich in einem komplizierten Prozess die Universitätsausdehnung in Deutschland, beruhte aber weitgehend auf privaten Initiativen einzelner Hochschullehrer und erlangte nicht die Wiener Bedeutung. In der Habsburger Monarchie kam es in einer vierten Ausdehnungsphase zur Schaffung von Volkstümlichen Universitätsvorträgen und -kursen unter anderem noch in Prag, in Czernowitz und in Budapest. Auch in Krakau hat es eine solche Einrichtung gegeben. Hier war aber nicht die Universität selbst der Veranstalter, sondern der Verein Volksuniversität, der Abteilungen in PrzemyĞl, Tarnow, Lemberg und anderen Orten einrichtete. Noch vor Prag wurden von der deutschen Technischen Hochschule in Brünn 1898 Volkstümliche Universitätsvorträge ins Leben gerufen. Ein Jahr später war es an der tschechischen Universität Prag so weit. Die deutsche Universität Prag stieß 1902 zur Universitätsausdehnungsbewegung hinzu. (Altenhuber 1998: 63) Nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat es auch in Kroatien und Slowenien Ansätze für eine Universitätsausdehnung gegeben, wobei die erste slowenische Universität erst 1919 gegründet wurde. (Klapan 1999; Jug 1999)
3. Vergleichende Beurteilung der Universitätsausdehnung Für die konkrete Entwicklung der Universitätsausdehnung spielten unter anderem Unterschiede der Arbeiterbewegung in verschiedenen Ländern eine Rolle. Sie war in England viel früher organisiert und aktiv, aber nicht marxistisch, sondern reformistisch geprägt, so dass die Universitätsausdehnung – auch – Teil der Arbeiterbewegung wurde. In Deutschland wie in Österreich bildete sich die Arbeiterbewegung später heraus und war dominant marxistisch, so dass sie sich selbst eine differenzierte Bildungsbewegung schuf, um nicht von „bürgerlicher Bildung“ abhängig zu werden. Dazu kommt die unterschiedliche universitäre Rolle der Universitätsausdehnung in England und Deutschland. „Die University Extension, verstanden als universitäre Erwachsenenbildung, isoliert von der allgemeinen Entwicklung des englischen Universitätswesens zu betrachten, kann zu Fehleinschätzungen führen, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige 56
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Übertragbarkeit dieses Ansatzes. Die Ursachen für das Scheitern einer Institutionalisierung volkstümlicher Hochschulkurse an deutschen Universitäten liegen nicht zuletzt im vorschnellen Versuch, die englische University Extension auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Die Frage nach der Legitimation einer institutionalisierten University Extension im engeren Sinne stellte sich […] in England anders dar als in Deutschland. Dort stand die University Extension im Zusammenhang mit dem Entstehen neuer Universitäten bzw. Colleges, in Deutschland dagegen fand die ‚Universitätsausdehnung‘ als Privatangelegenheit einiger Wissenschaftler und Studenten im wesentlichen außerhalb des institutionellen Rahmens der Universitäten statt“ (Wörmann 1985: 51).
In den 1890er Jahren wurde in Deutschland die University Extension zum Anlass genommen, zu diskutieren, ob populäre Bildungsarbeit mit wissenschaftlichem Anspruch betrieben werden könne, wobei zwei Argumente, die auch anderswo vorgebracht wurden, in den Vordergrund traten. Popularisierung bedeute sachliche Verflachung und die Orientierung an subjektiven und sich wandelnden Bedürfnissen bedeute einen Angriff auf das Objektivitätsgebot der Wissenschaft. (Meilhammer 2000: 89) In Deutschland verbreitete sich vor dem Ersten Weltkrieg bei den Befürwortern der University Extension eine gewisse Resignation, als sich abgezeichnet hatte, dass die deutschen Universitäten trotz Petitionen und vielfältiger Bemühungen nicht bereit waren, die Trägerschaft dafür zu übernehmen. (Meilhammer 2000: 312) Die Universitätsausdehnung in Wien positionierte sich zwischen der in England und Deutschland. Sie war zwar eine Einrichtung der Universität, die aber damit nicht institutionell ausgeweitet werden sollte. Ihre Lehrer, vorwiegend Privatdozenten, taten weitgehend aus Eigeninitiative und auch aus materiellen Überlegungen mit. Vom konservativen Universitätsbetrieb wurde das gar nicht gerne gesehen. Jedenfalls brachte die Mitwirkung an der Universitätsausdehnung in Wien keine akademische Reputation mit sich. Obwohl die didaktisch-methodische Qualifizierung der Lehrenden im Rahmen der Universitätsausdehnung erheblich war, spielte sie für die Lehrtätigkeit an der Universität keine nennenswerte Rolle. Paradoxerweise ist die Wiener Institution „weniger als Ausdehnung der Universität in Richtung Bevölkerung, sondern vielmehr als Ausdehnung bereits bestehender Volksbildungsaktivitäten auf den Boden der Universität“ (Stifter 1998: 14) zu verstehen.
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4. Das Wiener Modell der Volkstümlichen Universitätsvorträge In Wien konnten Volkstümliche Universitätsvorträge in einem zwei Jahre dauernden Prozess als Einrichtung der Universität etabliert werden. Hauptinitiator und Organisator war der damals junge, an der Wiener Universität als Privatdozent wirkende Historiker Ludo Moritz Hartmann (1865-1924), dessen Leistungen für die Entwicklung der modernen Volksbildung in Österreich von niemandem übertroffen wurden.3 Die Initiatoren der Volkstümlichen Universitätsvorträge stützten sich auf in England gemachte Erfahrungen, die in Wien durch Medien und Publikationen bekannt wurden, wobei dieser Erfahrungstransfer von England nach Wien und in andere Städte bis heute nicht eingehend untersucht wurde. Ebenso konnten sie sich, insbesondere Hartmann, auf einschlägige Aktivitäten im 1887 gegründeten Wiener Volksbildungsverein, der heute üblicherweise als erste österreichische Volkshochschule gilt, stützen. Auf Hartmanns Anregung hin wurde das Vortragsangebot im Volksbildungsverein für einige Jahre zu länger dauernden „Unterrichtscursen“ weiter entwickelt. Dies kam einer volksbildnerischen Methodenrevolution gleich. Mit ihnen verbunden war die erste Sozialstatistik der Wiener Volksbildung im Kursbereich. Damit setzte eine empirische Tradition ein, die sich auch bei den Volkstümlichen Universitätsvorträgen niederschlug. (Filla 2004)4 Am 16. Dezember 1893 überreichten 53 Universitätslehrer aller Fakultäten der Universität Wien, darunter 37 ordentliche Professoren, dem akademischen Senat eine Eingabe mit dem Anliegen, eine Statutenkommission für die Organisation volkstümlicher Lehrkurse durch die Universität einzurichten und beim „hohen Ministerium für Kultus und Unterricht“ um eine jährliche Subvention von 6000 Gulden einzukommen. (Keilhacker 1929: 30f.) Das weitere Prozedere ging zunächst rasch vor sich. Das unter liberaler Führung stehende Ministerium für Cultus und Unterricht genehmigte die neue Bildungsinstitution aber erst mit Erlass vom 14. Oktober 1895 und gewährte 3 Vgl. Joseph (1921): S. 17. Zu Ludo Moritz Hartmann gibt es eine vergleichsweise breite Literatur aus den letzten zwei Jahrzehnten, die den Historiker, Volksbildner, Politiker, kurzzeitigen Diplomaten und „Auch-Soziologen“ biografisch und von seinem vielfältigen Werk her – ohne in Apologie zu verfallen – analysiert, vgl. Fellner (1985); Filla et al. (1992); Herholt (1999). Von Hartmann vgl. L. M. Hartmann (1895). 4 Zu den Leitern der ersten „Unterrichtscurse“ gehörte et al. Carl Grünberg, der Jahrzehnte später als erster Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt und in dieser Funktion Vorgänger von Max Horkheimer, bekannt wurde, vgl. Penck/Hartmann (1904). Neben Geschlecht, Beruf und Alter wurde bei den Volkst(h)ümlichen Universitätsvorträgen zunächst sogar die „Vorbildung“ der Teilnehmenden erhoben. 58
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die erbetene Subvention. Dieser Tag ist als Gründungstag der Volkstümlichen Universitätsvorträge anzusehen, die sich in der Praxis rasch zu Kursen entwickelten. Die Leitung der Volkstümlichen Universitätskurse wurde dem „Ausschuß für volkstümliche Universitätsvorträge der k.u.k. Universität Wien“, einem rein universitären Organ, dem Vertreter aller Fakultäten angehörten, übertragen. Vorsitzender wurde der Rektor der Universität Anton Menger. Ziel der Volkstümlichen Universitätsvorträge, deren Programm nicht in das amtliche Vorlesungsverzeichnis aufgenommen wurde, war „die Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung jener Volkskreise, welchen bisher die akademische Bildung unzugänglich war“ (Statut für die Einrichtung volksthümlicher Universitätsvorträge durch die Wiener Universität, zit. n. Altenhuber 1995: 133). Ausdrücklich war von „wissenschaftlicher Ausbildung“ die Rede, da wissenschaftliche Bildungsarbeit mit Laien für möglich gehalten wurde. Es ging, wie dies im § 2 des „Statuts“ festgehalten wurde, um die populäre Darstellung wissenschaftlicher Inhalte. Wissenschaftliches Wissen sollte „systematisch und auf wissenschaftlichem Niveau vor allem den weniger gebildeten Kreisen, der Masse der Arbeiter und kleinen Angestellten, vermittelt werden“ (Altenhuber 1987. 165). Ein Blick in die ersten Sozialstatistiken zeigt, dass dies – alles in allem genommen – von der Struktur der Teilnehmenden her, ansatzweise gelang. Interessant ist, dass bereits bei den ersten 25 Vorträgen, bei denen 2.557 Teilnehmende gezählt wurden, 5,6 Prozent nur eine Volksschule und weitere 8,6 Prozent nur eine Bürgerschule (Hauptschule) besucht hatten.5 In der Folge ist dieser Anteil sogar gestiegen. Explizit von einer Behandlung ausgeklammert wurden im § 2 des „Statuts“ – ganz im Sinne der Neutralität der bürgerlich-liberalen Volksbildung – Themen und Fragen, „auf die sich die politischen, religiösen und socialen Kämpfe der Gegenwart beziehen oder deren Behandlung zu Agitationen Anlass geben könnte“. Vorrangiges Bestreben der Exponenten der Volkstümlichen Universitätsvorträge war es, die Lehrtätigkeit so anschaulich wie möglich zu gestalten und durch Demonstrationen aufzulockern. Dieses Bestreben führte sogar zur Entwicklung einer eigenen, längst vergessenen Veranstaltungsform: dem Wanderkurs. Mit den Volkstümlichen Universitätsvorträgen in Wien sind eine Reihe von Besonderheiten und Entwicklungen verbunden, die sie aus einem aktuellen Blickwinkel interessant und teilweise sogar anschlussfähig machen. Für die Volkstümlichen Universitätsvorträge wurde das vermutlich erste Qualitätssicherungs-Dokument der österreichischen Erwachsenenbildung ent5 Statistik der Hörer der Volksthümlichen Universitäts-Curse in den Jahren 1895/ 96, 1896/97, 1897/98, Kopie im Österreichischen Volkshochschularchiv. Kart. 130/1. Die Angaben unterscheiden sich etwas von den veröffentlichten Berichten der Volkst(h)ümlichen Universitätsvorträge. 59
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wickelt, wenngleich der Begriff „Qualität“ im Zusammenhang mit Volksbildung unbekannt war. Bereits 1895 wurde nämlich eines der methodischen Hauptprobleme der Volksbildung erkannt: die Heterogenität der Teilnehmenden. Der Ausschuß für die Volkstümlichen Universitätsvorträge arbeitete für das Arbeitsjahr 1896/97 „an die Herren Vortragenden“ gerichtete methodische Richtlinien aus, die vor allem auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit der Darstellung zielten. Dazu kam die Selbsttätigkeit der HörerInnen als weiter gehendes Ziel, zu dessen Realisierung auch Handbibliotheken dienen sollten. Bildungsmethodisch können die „Richtlinien“ als erster Ansatz zu angeleitetem selbstorganisiertem Lernen und damit als frühes Dokument moderner Erwachsenenbildung gelesen werden, zumal der Unterricht zur Vertiefung und Erweiterung des Wissens und zur Ermunterung der HörerInnen zu selbstständigem Weiterstudium dienen sollte. (Bericht über die volksthümlichen Universitätsvorträge 1897: 159) Letzteres war mehr idealtypisch gedacht als gängige Bildungspraxis. Dem diente auch die 1901 gegründete, anfangs wöchentlich erscheinende populärwissenschaftliche Zeitschrift „Wissen für Alle“, die bald nach ihrer Gründung von der „Vereinigung österreichischer Hochschuldozenten“ herausgegeben wurde und in der die Texte Volkstümlicher Universitätsvorträgen veröffentlich wurden, die deren hohes Niveau deutlich machen. Diese Publikationen wären eine systematische Analyse wert, um mehr über die tatsächlichen Inhalte der Volkstümlichen Universitätsvorträge aussagen zu können, zumal Taschwer ihren „belehrenden Charakter“ andeutet (Taschwer 1997: 45). Die Volkstümlichen Universitätsvorträge waren als Einrichtung der Wiener Universität letztlich eine staatliche Institution, wobei der Staat als Subventionsgeber auftrat und sie nicht auf eine gesetzliche Basis stellte. Als universitäre Einrichtung standen sie außerhalb der dominierenden rechtlichen Struktur der Volks- und Erwachsenenbildung, dem Vereinswesen. Vom „Empiriker“ Ludo Hartmann angeregt, wurde im Arbeitsjahr 1903/04 eine Gesamterhebung bei allen HörerInnen der Volkstümlichen Universitätsvorträge in Wien durchgeführt, die als Beginn der in Fachpublikationen veröffentlichten empirischen Sozialforschung in der österreichischen Volksbildung verstanden werden kann, wenngleich die Implementierung der Sozialstatistik für „Unterrichtscurse“ bereits 1890 im Wiener Volksbildungsverein vorgenommen wurde. (Bericht über die Vereins-Thätigkeit 1891: 3845) Mit den Volkstümlichen Universitätsvorträgen wurde, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg, um 1900 erstmals versucht, Prüfungen auf freiwilliger Basis einzuführen, wovon die HörerInnen nur in geringem Maße Gebrauch machte, so dass dieses Angebot eingestellt wurde. Von den Volkstümlichen Universitätsvorträgen gingen unmittelbare Impulse für die wesentlichste institutionelle Innovationen in der Wiener Volks60
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bildung aus: Die Gründung der Volkshochschule Volksheim. Sie wurde von Hörern eines Philosophiekurses 1900 angeregt und 1901 bereits realisiert. (Reich 1926: 1f.) Mit einer Volkshochschule sollte, so der ursprüngliche Wunsch, eine intensivere und ganzjährige Bildungstätigkeit möglich werden. Die Volkstümlichen Universitätsvorträge waren ab 1901 Teil eines in sich gegliederten und hierarchisch strukturierten Gefüges der bürgerlich-liberalen Wiener Volksbildung – die konzeptionell durch das Kriterium der Neutralität verbunden und damit von der gleichfalls hierarchisch strukturierten Arbeiterbildung unterschieden war.6 Taschwer hat auf zum Teil paradox anmutende Gründe für das in Wien hoch entwickelte Gefüge von Volksbildungseinrichtungen unter dem vorrangigen Blick auf die Volkstümlichen Universitätsvorträge hingewiesen. Es waren dies vor allem die Rückständigkeit der dadurch reformbedürftigen Universität, die schlechte soziale Stellung der de facto unbezahlten Universitätsdozenten und die offizielle Geringschätzung der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem enormen Aufschwung befindlichen Naturwissenschaften, die zu einem Produktionsfaktor wurden. Alles das brachte für die Universitäten einen Reform- und Legitimationsbedarf mit sich, dem sie intern nicht nachkamen. Und vor allem die zum Produktionsfaktor gewordenen Naturwissenschaften galt es über die Wissenschaften hinaus zu verbreiten. (Taschwer; Broda 1979) Während es aber „in Deutschland nach 1860 zu einem radikalen Kurswechsel in der staatlichen Wissenschaftspolitik kam und die finanziellen Mittel für die Ausstattung naturwissenschaftlicher Forschungslaboratorien vervielfacht wurden, änderte sich in Österreich aufgrund der Wissenschaftsskepsis des Kaisers und der ihm unterstellten Bürokratie nur wenig“ (Taschwer: 9). Die Erarbeitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde der privaten Initiative von Wissenschaftlern überlassen. Mit der neuen Einrichtung der Volkstümlichen Universitätsvorträge sollte dem quantitativ stark gewachsenen „Mittelbau“ eine Einkommensquelle eröffnet, didaktische Qualifizierungsmöglichkeiten geboten und die öffentliche Verankerung der Universität betont werden. Anders und zugespitzt formuliert: Volksbildung wurde zu einer Herausforderung für die Universität und zu einem Ferment für ihre Veränderung, die inneruniversitär auf Widerstand 6 Zu diesem Gefüge der Wiener Volksbildung zählte der Wiener Volksbildungsverein, der lange Zeit hauptsächlich nur Vorträge und kulturell-künstlerische Veranstaltungen durchführte, die 1897 gegründete Wiener Urania, der 1900 gegründete „Verein für Abhaltung wissenschaftlicher Lehrkurse für Frauen und Mädchen ATHENÄUM“, der mit seinem anspruchsvollen Programm bis etwa 1918 Bestand hatte, sowie das 1901 gegründete Volksheim, das sich nicht Volkshochschule nennen durfte. Dazu käme der in diesem Kontext noch nicht analysierte Volksbüchereisektor. Zu Unterschieden und Parallelen von bürgerlich-liberaler Volksbildung und Arbeiterbildung vgl. Filla (2001): 703ff. 61
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stieß. Mit den Volkstümlichen Universitätsvorträgen wurde aber, anders als in England, weit mehr ein Modell für die Kooperation von Universität und Volksbildung geschaffen als eine institutionelle Ausdehnung der Universität. Die Entstehung und Entwicklung der rasch hohes Niveau erreichenden bürgerlich-liberalen Volksbildung mit den Volkstümlichen Universitätsvorträgen als einem lange Zeit wesentlichen Teil, hatte auch vielfältige politische und sozio-ökonomische Ursachen, die an dieser Stelle nur angedeutet werden können, deren Kenntnis aber erforderlich ist, um gegenwärtige Anknüpfungsbemühungen in einer entgrenzten und von wachsender Konkurrenz bestimmten Weiterbildungslandschaft angemessen beurteilen und analysieren zu können. Ökonomisch handelte es sich vor dem Ersten Weltkrieg um eine stabile Prosperitätsperiode. Politisch war durch das Scheitern des organisierten politischen Liberalismus Mitte der neunziger Jahre (Machergreifung der Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat) ein liberales Potenzial frei geworden, das sich der Bildung und Kultur zuwandte und einschlägige Aktivitäten vielfach als Ersatzhandlung für Politik verstand. (Schorske 1982) Die jüdische Binnenmigration in der Monarchie führte in Wien zu massenhaften Assimilationsbestrebungen, die vorrangig über Bildung, Wissenschaft und Kultur verliefen.7 Von den aufkommenden neuen Massenbewegungen waren zwei ausgesprochen bildungsorientiert: die in diesem Kontext immer wieder analysierte Arbeiterbewegung, die sich im Austromarxismus eine eigene bildungstheoretische Grundlage schuf und die – in diesem Zusammenhang – von der Forschung bisher vernachlässigte Frauenbewegung.8 Exponentinnen ihres „gemäßigten“ wie ihres „radikalen“ Flügels waren über Jahre hinweg in der Volksbildung aktiv und die Volksbildung hatte lange Zeit eine Ersatzfunktion für Frauen, die in Österreich vom universitären Studium besonders lang ausgeschlossen waren.9 Die Volksbildung stand dagegen vom Beginn ihrer modernen Phase an Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen offen, wenngleich sie unterrepräsentiert blieben. Mit der bürgerlich-liberalen Volksbildung wurde ebenso wie mit der Arbeiterbildung eine gesellschaftliche Demokratisierungsfunktion verbunden, die umso wichtiger war, als das allgemeine Männerwahlrecht erst 1907 und das der Frauen erst 1919 eingeführt wurde. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit verband die genannten sozialen Bewegungen und den Liberalismus ein aus7 Aus der breiten Literatur zur Thematik vgl. Beller (1993); Botstein (1991); Rozenblit (1988). 8 Aus der Literatur zur historischen Frauenbewegung vgl. Anderson (1994); Fischer/Brix (1997). 9 Die Philosophischen Fakultäten öffneten Frauen den Zugang zu einem ordentlichen Studium 1897, die Medizinischen 1900, die Juridischen 1919 und die Katholisch-theologischen Fakultäten erst 1946. 1907 konnte sich mit Elise Richter erstmals eine Frau habilitieren. 62
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geprägter und wissenschaftszentrierter Fortschrittsoptimismus. Bildung wurde dabei ein hoher Stellenwert eingeräumt, auch im Hinblick auf die Verbesserung der Verhältnisse. Daher waren ExponentInnen des Liberalismus, der Frauen- und der Arbeiterbewegung in führenden Funktionen in der Volksbildung tätig. Gesellschaftliche Ziele von Bildung waren jedoch durchaus unterschiedlich definiert: im Sinne von Emanzipation der Benachteiligten, aber ebenso sozial-integrativ. „Der kämpferische Unterton, der die frühe liberal-neutrale Volksbildung in ihrer Beziehung zu Wissen und Macht mitunter begleitet hatte, wurde im Prozess ihrer Akademisierung durch die Betonung der ‚Neutralität‘ und ‚Objektivität‘ der Bildungsarbeit ersetzt. Im Gefolge der gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung der Universitäten und dem gestiegenen Einfluss der Naturwissenschaften wurde Wissen im Bildungsreformdiskurs zunehmend weniger als Gegenmacht zu Besitz und Herrschaft betrachtet denn als logisch-rationales Verfahren zur technischen Beherrschung der Natur und zur Planung gesellschaftlichen Fortschritts. Dergestalt hatte sich das Wissen in Form von universitärer Bildung und Technologie selbst in Macht und Besitz verwandelt“ (Stifter 1998: 23).
Die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens wurde als Notwendigkeit und – Ausdruck des großen Bildungsoptimismus – als prinzipiell vermittelbar betrachtet. Mit „Popularisierung“ wurde – und wird – versucht, die Öffentlichkeit für Wissenschaft zu gewinnen und auf diese Weise Politik für Wissenschaft zu betreiben, wobei Respekt vor Wissenschaft dabei ein Subziel darstellt, das, und darüber wurde und wird volksbildungsintern kaum je diskutiert, mit der prinzipiell kritischen Rolle von Wissenschaft (auch sich selbst gegenüber) kollidiert. Ebenso ausgeblendet wurde und wird die Neukonstruktion von wissenschaftlichem Wissen im Prozess der „Popularisierung“. „In der Popularisierung wird wissenschaftliches Wissen aus dem Entstehungskontext […] herausgelöst und in einen sozialen Kontext eingebettet. Dadurch werden Verbindungen zwischen wissenschaftlichem Wissen und dem sozialen Umfeld konstruiert, das wissenschaftliche Wissen muss in andere gesamtgesellschaftliche, aber auch persönliche Wissens- und Erfahrungskontexte eingeordnet werden, und somit entsteht eine ‚vergesellschaftete‘ Neuinterpretation dieses Wissens“ (Felt 2002: 49).
Die Volkstümlichen Universitätsvorträge erreichten vor dem Ersten Weltkrieg ihren quantitativen wie qualitativen Höhepunkt. In der Zwischenkriegszeit konnten sie an ihre einstige Bedeutung nicht mehr anknüpfen und verloren zunehmend an Bedeutung. Dafür waren rückschrittliche Entwicklungen an der Universität ebenso verantwortlich wie die Konkurrenz durch die in Wien besonders wissenschafts-zentrierten Volkshochschulen, die in ihren eigenen
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Häusern überdies milieubildend wirken konnten. 1938 verlieren sich ihre Spuren überhaupt.
5. Parallelen zur Gegenwart Der Grazer Historiker Helmut Konrad hat vor einigen Jahren augenscheinliche Ähnlichkeiten in der sozio-kulturellen Entwicklung rund um die beiden letzten Jahrhundertwenden aufgezeigt und daraus große Vermittlungsaufgaben für die Wissenschaft abgeleitet. „Und in diesem Vermittlungsprozeß hat die Erwachsenenbildung eine wichtige Funktion.“ (Konrad 1998: 16) Neben sehr allgemeinen Parallelen in der gesellschaftlichen Entwicklung zur Zeit der beiden letzten Jahrhundertwenden ist die Situation der Wissenschaften und der Universitäten und ihre gesellschaftliche Einbettung sowie die Erwachsenenbildung gegenwärtig grundlegend von der um 1900 unterschieden. Trotzdem wurde etwas mehr als hundert Jahre nach Gründung der Volkstümlichen Universitätsvorträge mit dem Kooperationsprojekt „University Meets Public“ in Wien etwas Vergleichbares begonnen. Dabei handelt es sich um eine im Herbst 1998 vertraglich bekräftigte Kooperation zwischen der Universität Wien und dem Verband Wiener Volksbildung, der Dachorganisation der 18 Wiener Vereinsvolkshochschulen. Dritter institutioneller Partner ist die Stadt Wien, die das auf Dauer angelegte Kooperationsprojekt materiell fördert.
5.1 University Meets Public Diese neue institutionalisierte Form der Verbreitung universitären Wissens über die Universitäten hinaus – seit 1998 sind als Kooperationspartner die Technische Universität, die Universität für Bodenkultur, die Veterinärmedizinische Universität, die neue Medizinische Universität sowie die Universität für Musik und Darstellende Kunst hinzugekommen – wurde von Beginn an explizit in die Tradition der Volkstümlichen Universitätsvorträge und die Kooperation der frühen Wiener Volkshochschulen mit Universitäten, oder präziser, mit zahlreichen UniversitätslehrerInnen gestellt. University Meets Public stellt wie die Volkstümlichen Universitätsvorträge keine Verbreiterung der institutionellen Basis der Universität dar und hat auch keine vergleichbare gesellschaftliche Basis, wohl aber eine Verankerung in der Wissenschaftspolitik der Stadt Wien. Im „Kooperationsvertrag“ aus dem Jahr 1998 heißt es unter anderem, dass die Universität Wien und der Verband Wiener Volksbildung eine grundsätzliche Übereinkunft treffen, „ihre traditionsreiche Zusammenarbeit in Form einer weitreichenden Kooperation neu zu beleben“. Die beiden Bildungsein64
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richtungen sollen durch Vernetzungen durchlässiger werden, die Popularisierung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse fördern und eine neue qualitative Initiative im Bereich der Erwachsenenbildung setzen. Es geht aber auch darum, das Problem der schlecht informierten StudienanfängerInnen durch die Nutzung von Synergieeffekten zu minimieren und „durch die Planung und Durchführung gemeinsamer kultureller Projekte eine neue Dimension der Berufsfortbildung auf dem Kunst- und Kultursektor zu schaffen“.10 Bereits aus diesem Gründungsdokument gehen neben dem Traditionsbezug deutliche Unterschiede zu den Volkstümlichen Universitätsvorträgen hervor, wie sie auch im – zeitgeistigen – Namen der neuen Aktion zum Ausdruck kommen: –
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Es geht um eine Veränderungsperspektive für beide Institutionen, die Universität und die Volkshochschule, die allerdings durch die nicht konkretisierte Forderung nach Durchlässigkeit unverbindlich bleibt. Es geht um eine qualitative erwachsenenbildnerische Initiative und die „Popularisierung“ neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, wobei nichts über die Lehrenden und ihre Qualifikationsvoraussetzungen (zum Beispiel Habilitation) ausgesagt wird. Es handelt sich um keine Einrichtung der Universität, die „nur“ als Kooperationspartner involviert ist. Dafür ist, im Gründungsdokument unerwähnt, mit der Stadt Wien als Financier ein dritter Partner im Bunde, der bei den Volkstümlichen Universitätsvorträgen völlig fehlte. Andererseits gibt es keine Mittel durch den Staat11, der auch kein Interesse zeigt. Eine ganz neue Zielsetzung ist die Information von StudienanfängerInnen sowie – neben und zusätzlich zur Wissensvermittlung – eine Berufsfortbildung im Kunst- und Kultursektor auf universitärem Niveau.
University Meets Public startete im Sommersemester 1999 mit 28 Vortragenden, die an sieben Volkshochschulen über Themen aus den Naturwissenschaften, den neuen Technologien und aus dem Bereich Gesundheit und Medizin sprachen und damit 1.014 BesucherInnen erreichten (Verband Wiener Volksbildung 2003). Das Angebot war für die Öffentlichkeit neu und ungewohnt. Für den inneren Betrieb der Volkshochschulen waren die neuen Aktivitäten unvertraut. Das Leitungspersonal war – teilweise – nicht auf die Kooperation mit WissenschaftlerInnen orientiert. Die Aktion drohte zu einem Flop zu werden und provozierte eine massive Kritik, die phänomenologisch nicht daneben lag, 10 Kooperationsvertrag zwischen Universität Wien und Verband Wiener Volksbildung vom 26. November 1998. Vgl. Ludwig (1999): 27-29. 11 Gegenwärtig wird die Aktion von der „Bildungs-“ und der Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien mit je 10.000 Euro im Jahr gefördert. 65
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aber mit ihren überzogenen Angriffen, öffentlich geförderte Erwachsenenbildung in Frage stellte und sich damit für Kommunikation ungeeignet erwies (Pfabigan 1999: 17). Der Verband Wiener Volksbildung reagierte mit einer Vorwärtsstrategie, begann die Aktion mit Managementmethoden zu professionalisieren und durch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und Werbung zu unterstützen. In der Folge wurde die – dominant naturwissenschaftliche – Themenpalette erheblich ausgeweitet, populärer und lebensnäher sowie um nicht-naturwissenschaftliche Disziplinen ergänzt, die Zahl der mitarbeitenden Volkshochschulen und die Zahl der Vortragenden je Semester mehr als verdoppelt und auch weitere in Wien situierte Universitäten für die Mitarbeit gewonnen. Die Identifikation leitender VolkshochschulmitarbeiterInnen mit der Aktion ist gestiegen und der Vorsitzende des „Verbandes“ steht professionell, aber völlig ungewöhnlich für Volkshochschulen, auch in der Öffentlichkeit für diese Aktion. Das quantitative Bild, das jüngste Statistiken zeigen, hat mit dem Beginn der Aktion außer dem gleichen Namen nur wenig gemeinsam. Die jüngste detaillierte Statistik für das Wintersemester 2004/05 weist 227 angebotene Veranstaltungen mit folgender thematischer Struktur aus: Alte Geschichte (15%), Feminismus (5%), Medizin/Gesundheit/Psychologie/Biologie (34%), Musik/Literatur/Kunst/Philosophie (8%), Naturwissenschaften (19%), Soziologie/Ethnologie/Sprachwissenschaft (13%), Technik/Architektur/Stadtplanung (4%), Wirtschaft (1%) und Zeitgeschichte/Politik/Recht (4%). Die Durchführungsquote beträgt 89 Prozent oder 203 Veranstaltungen. Die Zahl der TeilnehmerInnen liegt mit 2.347 im Schnitt der letzten Jahre. Die durchschnittliche Teilnahmezahl ist aber mit 12 deutlich geringer als die der Volkstümlichen Universitätsvorträge.12 Trotz der inzwischen breiten Fächer- und Themenpalette weisen die Naturwissenschaften noch immer einen relativ großen Anteil am Gesamtprogramm von University Meets Public auf, wenn man ihn mit der völligen Marginalisierung der Naturwissenschaften in den Programmen der österreichischen Volkshochschulen vergleicht. Dies stellt allerdings kein auf Österreich beschränktes Phänomen dar. (Stadler 2002) Das Projekt University Meets Public, dem bereits nach einigen Semestern attestiert wurde, dass es sich „recht gut entwickelt“ (Taschwer 2000: 13), ist – gemessen an den Volkstümlichen Universitätsvorträgen – mehr und weniger zugleich. Weniger, was die Zahl der Teilnehmenden vor 1914 betrifft, weniger im Hinblick auf die Intensität der Lehrveranstaltungen (gegenwärtig weit mehr Vorträge gegenüber der früher dominanten Bildungsform Kurs) und et12 Angaben laut Mail von Elisabeth Brugger an den Verfasser vom 30. Juni 2005. Vgl. weiters Wissenschaftsbericht der Stadt Wien 2004 2005: 185f. Die Aufnahme von University Meets Public in den offiziellen „Wissenschaftsbericht“ der Stadt verdeutlicht die Bedeutung und den Charakter dieses Projektes. 66
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was weniger im Hinblick auf das – formale – Qualifikationsniveau der Lehrenden, die bei University Meets Public alle Ebenen der Universität umfassen. Die Volkstümlichen Universitätsvorträge waren überdies durch die enge Kooperation mit dem Verbreitungsmedium „Wissen für Alle“ gleichfalls mehr als University Meets Public. Die Kooperation mit der Universität geht aber aktuell viel weiter als beim historischen Modell, weil mit der „Werkstatt Kunstberufe“ auch „berufsorientierte Qualifikationen auf Universitätsniveau“ vermittelt werden, die Kinomanagement, Fernsehdokumentation und Film, Verlagswesen, Buchhandel, Dramaturgie und einschlägige Publikationen umfassen (Werkstatt Kunstberufe 2005). Die Aktivitätenpalette von University Meets Public ist auch weiter und tendenziell umfassender als die der Volkstümlichen Universitätsvorträge, da begonnen wird, breitenwirksame Bildungsanimation zu betreiben, beispielsweise mit den aus Deutschland kommenden „Physikanten“ (Timm 2005). Ü13 berdies wird ansatzweise Wissensgenerierung versucht und eine qualifizierte Publikationstätigkeit zu schwierigen Materien aufgebaut, mit der über veranstaltete Erwachsenenbildung hinaus in eine breitere Öffentlichkeit gewirkt wird – zumindest potenziell.14 Eine Parallele zwischen den Volkstümlichen Universitätsvorträgen und University Meets Public besteht darin, dass die Initiative zu den beiden langfristig angelegten Aktionen eher von der Volks- und Erwachsenenbildung ausgegangen ist, die von Seite der Universitäten auf- und angenommen wurden. Eine weitere Parallele ist organisatorischer Art: ein zentraler Organisationskern für beide dezentral operierenden Einrichtungen.
5.2 Abschließende Einschätzung Im Unterschied zu den Volkstümlichen Universitätsvorträgen ist University Meets Public auch im weiteren Sinn nicht mit sozialen Bewegungen verbunden. Das Projekt ist aber Ausdruck und mitprägendes Element einer Wissen13 Das Buch Ash/Stifter 2002 ist das Ergebnis des vom 18. bis 20. November in Kooperation mit University Meets Public stattgefundenen Rudolf-GoldscheidSymposiums, das dem vergessenen Wiener Privat- und Universalgelehrten Rudolf Goldscheid gewidmet war und das in einer breiten Kooperation von Institutionen an der Universität Wien, im Wiener Rathaus und in der Volkshochschule Wiener Urania durchgeführt wurde. 14 In der Edition Volkshochschule des Verbandes Wiener Volksbildung ist soeben erschienen Josef Tomiska (2005): Die Werkstatt der Natur. Eine moderne Einführung in die Quantentheorie, Wien. Der Autor ist Professor am Institut für Physikalische Chemie der Universität Wien und „Mitarbeiter der ersten Stunde“ bei University Meets Public“. Im Herbst 2005 erschien von diesem Autor in der gleichen Reihe der Band „Das Kosmische Spiel. Die verständliche Welt der Relativitätstheorie“. 67
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schaftsstrategie der öffentlichen Hand, in dem Fall der Stadt Wien, die allerdings nicht losgelöst von politischen Großorganisationen zu sehen ist. (Das für Bildung zuständige Ministerium negiert das Projekt weitgehend.) In dieser Orientierung an Erfordernissen der öffentlichen Hand liegt ein Ansatz, der unverkennbaren Marginalisierung von Erwachsenenbildung im Allgemeinen und der Volkshochschulen im Besonderen entgegenzuwirken. Anders als die Volkstümlichen Universitätsvorträge, die lange Zeit in ein wissenschaftsgläubiges und bildungsoptimistisches städtisches Teilmilieu eingebettet waren, ist gegenwärtig Wissenschaftsskepsis weit verbreitet – und das trotz zahlreicher „wissenschaftspopularisierender“ Medien und Aktivitäten. Das geht so weit, dass einzelne Spitzenwissenschaftler ein fehlendes „Wissenschaftsklima“ in Österreich beklagen (Weinberger 2003: 138), auch wenn diesem Begriff mangels einschlägiger Forschung keine empirische Evidenz zukommt. Nicht mediale, sondern veranstaltete Wissenschaftsverbreitung im Rahmen großer Einrichtungen der Erwachsenenbildung wird aber auf Dauer gesehen nur Entwicklungschancen haben, wenn es – jenseits der Lösung von Finanzierungsfragen – gelingt, ein integriertes Modell zu entwickeln, das verschiedenste Bildungsformen und -elemente einbezieht und aufeinander abstimmt, das in der Lage ist, über traditionelle Erwachsenenbildung hinaus in eine breite Öffentlichkeit zu wirken und das ansatzweise auch wissensgenerierend wirkt. Letzteres sollte vor allem durch eine wissenschaftliche Durchleuchtung und Reflexion der eigenen Aktivitäten möglich werden, wie das in Deutschland seit einigen Jahren besonders durch das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung auf richtungsweisende Art erfolgt (Nuissl 2002; Conein et al. 2004). Das grundlegende Problem der Wissenschaftsverbreitung im Rahmen von Erwachsenenbildung liegt, und gerade darüber gilt es zu reflektieren und zu forschen, nicht so sehr in der Notwendigkeit der Vereinfachung und Veranschaulichung bei der Vermittlung und Aneignung von wissenschaftlichen Inhalten, sondern in einer grundsätzlichen Differenz zwischen Wissenschaft und Erwachsenenbildung. Wissenschaft ist prinzipiell kritisch, auch sich selbst gegenüber und daher auf Verunsicherung angelegt. Erwachsenenbildung zielt dagegen letztlich auf die Vermittlung gerade auch intellektueller Sicherheiten, in dem sie „Haltegriffe“ für das individuelle und soziale Leben bietet. Dies gilt für Erwachsenenbildung selbst dann, wenn sie Reflexionswissen thematisiert.
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Literatur 50 Jahre Wiener Volkstümliche Universitätsvorträge, (1945), unveröff., ungez. und undat., Manuskript, Wien, Kopie im Besitz des Verf. Altenhuber, Hans (1987): „Die Wiener Universitätsausdehnung um 1900 – ein neues Modell der Volksbildung“. In: Erziehung und Unterricht – Österreichische Pädagogische Zeitschrift 137 (3). Altenhuber, Hans (1995): Universitäre Volksbildung in Österreich 1895-1937 (Publikationen zur Erwachsenenbildung, Bd. 1.), Wien. Altenhuber, Hans (1998): „Universitäre Volksbildung in Zentraleuropa“. In: Wilhelm Filla, Elke Gruber, Jurij Jug (Hg.): Erwachsenenbildung von 1848 bis 1900 (VÖV-Publikationen 14), Innsbruck. Anderson, Harriet (1994): Vision und Leidenschaft. Die Frauenbewegung im Fin de Siècle Wiens, Wien. Ash, Mitchell G./Stifter, Christian H. (Hg.) (2002): Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Von der Wiener Moderne bis zur Gegenwart (Wiener Vorlesungen – Konversatorien und Studien, Bd. 12), Wien. Beller, Steven (1993): Wien und die Juden 1867-1938 (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek, Bd. 23), hg. v. Helmut Konrad, Wien/Köln/Weimar. Bericht über die Vereins-Thätigkeit im Jahre 1890, erstattet in der am 18. April 1891 abgehaltenen Jahresversammlung (1891), Allgem. nied.-österr. Volksbildungs-Verein – Zweigverein Wien und Umgebung, Wien. Bericht über die volksthümlichen Universitätsvorträge im Studienjahr 1896/97, (1897), Wien. Botstein, Leon (1991): Judentum und Modernität. Essays zur Rolle der Juden in der deutschen und österreichischen Kultur 1848 bis 1938, Wien/Köln. Broda, Engelbert (1979): „Warum war es in Wien um die Naturwissenschaft so schlecht bestellt?“. In: Wiener Geschichtsblätter 34 (3), S. 89-107. Conein, Stephanie/Schrader, Josef/Stadler, Matthias (Hg.) (2004): Erwachsenenbildung und die Popularisierung von Wissenschaft. Probleme und Perspektiven bei der Vermittlung von Mathematik, Naturwissenschaften und Technik, Bielefeld. Cooke, Anthony (1998): „James Stuart and the Origins of English University Extension“. In: Martha Friedenthal-Haase (Hg.): Personality and Biography in the History of Adult Education, Vol. II: Biographies of Adult Educators form Five Continents. Studies in Pedagogy, Andragogy, and Gerontagogy, hg. von Franz Pöggeler. Vol. 38, Frankfurt a.M./Berlin/ Bern/New York/Paris/Wien, S. 815-830. Daum, Andreas W. (1998): Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914, München.
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KLAUS TASCHWER Vom Kosmos zur Wunderw elt – Über Popularw issenschaftliche Magazine einst und jetzt
Wissenschafts- bzw. Wissensmagazine boomen, egal ob im Fernsehen oder am Zeitschriftenmarkt. Anfang Dezember 2004 erschienen nahezu zeitgleich die neuen Wissensmagazine der Süddeutschen Zeitung und der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit – die beiden jüngsten Produkte in einem ohnehin schon dicht besetzten Zeitschriftensegment. Im deutschen Fernsehen kämpfen mittlerweile rund ein Dutzend Sendungen mit populärwissenschaftlichem Zuschnitt regelmäßig gegeneinander um die Quoten. Und weil die gar nicht schlecht aussehen, geben längst nicht mehr die öffentlich-rechtlichen Sender den populärwissenschaftlichen Ton an, sondern Privatsender wie PRO 7 und RTL 2. Mit 1,75 Millionen deutschen Sehern beim täglichen Wissensmagazin Galileo und zwei Millionen beim Sonntagsmagazin Wunderwelt führt Pro 7 Mitte 2005 die Rangliste beim Wissens-TV an, das – ähnlich wie die beiden neuen Magazine – „Wissenschaft“ im Titel beharrlich vermeidet. Dass die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen auch der Unterhaltung der Massen dienen kann, hat eine lange Tradition, die in Deutschland spätestens mit der Aufklärung einsetzt: Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts etwa zogen Elektrisierer und Instrumentenmacher durch die Lande, führten ihre neue Experimente vor und verbanden dabei geschickt Popularisierung, Spektakel und Geschäft (Hochadel 2003). Eine entscheidende Zäsur in der öffentlichen Vermittlung von Wissenschaft in Deutschland Alexander von Humboldts öffentliche Vorlesungen an der Universität Berlin dar. Stießen diese Vorträge schon vor Ort auf großen Andrang, so war das Publikum der gedruckten Fassungen dieser Vorträge – Humboldts „Kosmos“, das aus seinen öffentlichen Vorlesungsreihen hervorging – noch ungleich größer. Die 73
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Kosmos-Bände zählten zu den meistgelesenen Büchern des 19. Jahrhunderts und galten als der Inbegriff populärer Wissenschaft. Im Kielwasser dieses enormen publizistischen Erfolgs kam es Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer nachhaltigen Verbreiterung des Angebots im populärwissenschaftlichen Buch- und Zeitschriftenwesen: Bald war bei den Zeitgenossen von einer „ungeheuren Menge so genannter populärer Bücher über Naturwissenschaft“ die Rede, und damit im Zusammenhang stand eine gewisse Professionalisierung der publizistischen Wissenschaftspopularisierung. Hier soll im Folgenden ein kursorischer Überblick gegeben werden, wie sich dieses Feld vor 1900 formierte, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zu internationalen Entwicklungen gab und wie es sich unmittelbar nach 1900 entwickelte. Dabei stehen nicht zuletzt programmatische Fragen und solche nach der Auflage und nach den kommerziellen Strategien im Zentrum. Am Ende dieses Rückblicks auf rund 150 Jahre populärwissenschaftliche Zeitschriften steht dann ein kurzer Ausblick in die Gegenwart.
1. Frühe populärwissenschaftliche Zeitschriften im internationalen Vergleich Waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Anschluss an Humboldts „Kosmos“ Bücher die ersten populärwissenschaftlichen Medien mit höherer Auflage, so kamen aber bald auch Zeitschriften dazu, in denen es auch um die Vermittlung von Wissenschaft ging: Die erste Zeitschrift mit Massenauflage, die einigermaßen in dieser Genre fiel, war das 1833 erstmals erschienene Pfennig-Magazin, das nach eigenen Angaben schon bald mehr als 30.000 Abonnenten „aus allen Ständen“ zählte. Diesen hohen Verbreitungsgrad verdankte die Zeitschrift nicht zuletzt dem günstigen Preis, mit dem auch schon in ihrem Titel geworben wurde. Ihre Nachfolgerin wurde Die Gartenlaube, die 1853 gegründet worden war, 1855 bereits eine Auflage von 42.000 erreichte und diese ein Vierteljahrhundert auf über 400.000 Stück steigern konnte (Kellen 1925: X). Auch wenn in Die Gartenlaube die Popularisierung von naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Kenntnissen im Zentrum stand, war sie doch keine populärwissenschaftliche Zeitschrift im engeren Sinne. Die damalige Bezeichnung für Magazine dieser Art lautete Familien- bzw. Hauszeitschrift oder eben: Unterhaltungsblatt. Die ersten genuin populärwissenschaftlichen Blätter, die auch schon im Titel eine Wissenschaftsbezug herstellten, erschienen dann zwischen 1850 und 1870 in etwa zur gleichen Zeit wie in den meisten Ländern Europas. Und ebenfalls ziemlich europaweit kam es dann in den Jahren zwischen 1880 und 1890 zu einem Höhepunkt der populärwissenschaftlichen Publizistik – zumindest was die Anzahl der einschlägigen Zeitschriftentitel angeht. Es kam 74
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zu ständigen Neugründungen von einschlägigen Magazinen, die allerdings zumeist nur von kurzer Dauer waren. Das späte 19. Jahrhundert war, so lässt sich auf Basis des Datenmaterials aus verschiedenen europäischen Ländern vorweg sagen, so etwas wie das goldene Zeitalter des populärwissenschaftlichen Zeitschriftenmarkts (Bensaude-Vincent und Rasmussen 1997). Die international vergleichenden Untersuchungen lassen aber auch den Schluss zu, dass es weniger der jeweilige Modernisierungsgrad eines Landes war, mit der die Gründung von Zeitschriften erklärt werden kann, die sich die Wissenschaften und ihre Popularisierung zum Thema machten. Der nämlich war in den verschiedenen untersuchten europäischen und außereuropäischen Ländern in dieser Zeit denkbar unterschiedlich. In Portugal beispielsweise, das Mitte des 19. Jahrhunderts rund drei Millionen Einwohner hatte, wovon 80 Prozent Analphabeten waren, gab es im Jahr 1850 47 (populäre) Wissenschaftszeitschriften. Ähnliches galt auch für Brasilien, wo 90 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnten, sich aber dennoch eine in den Städten konzentrierte Populärwissenschaftskultur herausbildete. Allem Anschein nach waren es also allgemeine Entwicklungen der medialen Produktions-, Verbreitungs-, aber auch Profitbedingungen, die zur Proliferation der populärwissenschaftlichen Zeitschriftentitel führten. Tatsächlich erfuhr das Pressewesen durch die Einführung des Rotationsdrucks 1863 einen entscheidenden technologischen Innovationsschub: Von nun an konnten die Auflagen der Bücher und Zeitschriften bei sinkenden Kosten erhöht werden. Dazu kam, dass es durch den Ausbau des Verkehrsnetzes möglich wurde, diese Druckerzeugnisse sehr viel schneller in sehr viel größeren Räumen zirkulieren zu lassen und dadurch eine sehr viel größere Leserschaft zu erreichen. So zeigt sich trotz geringer zeitlicher Verschiebungen bei einem vergleichenden Blick auf den Buch- und Zeitschriftenmarkt verschiedener europäischer Länder eine ähnliche Entwicklung: Zwischen 1875 und 1900 erhöhte sich die Buchproduktion in nahezu allen Ländern zumindest um das Eineinhalbfache. Noch stärker wuchs das Volumen der Zeitschriftentitel. In Frankreich vergrößert sich ihre Zahl von 2074 im Jahr 1855 auf das mehr als Dreifache im Jahr 1900, nämlich auf 6736, in Deutschland von 2400 (1870) auf 4221 im Jahre 1914. Und in Österreich versechsfachte sich die Zahl der Zeitschriften innerhalb dieses Zeitraums (Charle 1997: 108f.). Für den populärwissenschaftlichen Bereich gibt ein Blick in das Zeitschriftenadressbuch „Sperling“ erste Aufschlüsse über die Entwicklung: Zwischen 1892 und 1914 verzeichnete es insgesamt 44 Zeitschriften als populärwissenschaftlich, von denen die Hälfte bereits vor 1891 gegründet worden war.
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2. Populärwissenschaft als Geschäft: Der Verlag Hartleben Ein typisches Beispiel für die kommerzielle Neuorientierung des Buch- und Zeitschriftenwesens vor 1900 war der 1803 in Wien gegründete Verlag Hartleben Bereits in den 1870er-Jahren erkannte man dort die Zeichen der Zeit und schränkte das belletristische Programm mit Ausnahme der dort verlegten Romane von Jules Verne zugunsten von populärwissenschaftlichen Schriften ein. Bei Hartleben erschienen in der Folge zahlreiche naturwissenschaftliche und technische Handbücher, Enzyklopädien und Lexika, Fachbücher für verschiedene Handwerke und für Agrikultur. Ergänzt wurde dieses umfangreiche Programm durch illustrierte populärwissenschaftliche Periodika wie Neueste Erfindungen und Erfahrungen auf allen Gebieten der Technik, der Gewerbe, Industrie, Chemie, der Land- und Hauswirthschaft (seit 1874), Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik (seit 1878) und der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Der Stein der Weisen. Unterhaltung und Belehrung aus allen Gebieten des Wissens (seit 1879). Die Verlagerung des Verlagsgeschäfts von der Belletristik auf das populärwissenschaftliche Sachbuch seit den 1870erjahren entsprach einer offenkundigen Marktlücke in eben diesem Bereich, die sich lange als Goldgrube erweisen sollte. So hieß es 1895 im Verlagsprogramm, dass sich die Firma „der Belletristik mehr und mehr entfremdet, dagegen zahlreiche Gebiete der Wissenschaften und der Technik in ihr Programm aufgenommen“ habe. Und im Programm des Jahres 1909 hatte der Verlag bloß noch „einen Grundgedanken und den Zweck: das Wissen zu popularisieren“ (Innerhofer 1996: 32ff.).
3. Nationale Differenzen in der Popularisierung Die Blattlinien der populärwissenschaftlichen Zeitschriften in Europa waren zu jener Zeit recht ähnlich: Die sollten der Erwachsenenbildung dienen, jeglichen Obskurantismus bekämpfen und die Bevölkerung über neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse am laufenden halten. Dennoch gab es erhebliche nationale Differenzen, die vor allem damit zu tun hatten, dass die Initiative von unterschiedlichen Personenkreisen ausging. Während es etwa in England vor allem die Wissenschaftler selbst waren, die sich um die Popularisierungsagenden kümmerten und selbst entsprechende Artikel und Bücher schrieben – unter ihnen so prominente Forscher wie der Physiker und Chemiker Michael Faraday (1791-1867), der Zoologe Thomas Huxley (18251895) oder der Physiker John Tyndall (1820-1893) – hatte sich beispielsweise in Frankreich bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Gruppe von pro76
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fessionellen Wissenschaftsautoren formiert, die von ihren populärwissenschaftlichen Artikeln und Büchern zum Teil auch leben konnten (SheetsPyenson 1985). Eine wichtige Differenz zwischen Frankreich und England war – trotz des ähnlichen wissenschaftlichen Professionalisierungsgrades – aber auch der unterschiedliche institutionelle Hintergrund für die Wissenschaftspopularisierung: Während in Frankreich das Collège de France im 19. Jahrhundert ein elitistisches Quasi-Monopol über alle wissenschaftlichen Aktivitäten ausübte und die Grenzen zwischen legitimer und illegitimer wissenschaftlicher Praxis sehr eng zog, war die 1831 gegründete British Association for the Advancement of Science sehr viel offener und hatte sowohl ‚hohe‘ wie ‚niedere‘ Wissenschaftsvermittlung zum Ziel. Die ‚niedere‘ Popularisierung hat auf der einen Seite dazu gedient, die Laien zu informieren, die sich zwar für Wissenschaft interessierten, aber eben keine Fachleute waren. Die zweite, ‚höhere‘ Form der Popularisierung von Wissenschaft betraf die ‚transdisziplinäre‘ Vermittlung von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen an Kollegen aus anderen Disziplinen (Knight 1986: 128ff.). Diese unterschiedlichen personellen und organisatorischen Hintergründe waren wohl auch mit Ausschlag gebend dafür, dass die populärwissenschaftlichen Zeitschriften recht unterschiedliche Schwerpunkte hatten. Während in Frankreich der kommerzielle Hintergrund zu einer eher praktischen, anwendungsorientierten Form der Popularisierung wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse führte, war man in England bestrebt, die Naturwissenschaften in ihrer ganzen Breite darzustellen und auch Wissenschaft als ‚Weltanschauung‘ zu vermitteln. Diese englische Art war vom Ideal der ‚Republik der Wissenschaften‘ geprägt, in dem Wissenschaft für alle verfügbar und die Öffentlichkeit Teil einer gemeinsamen wissenschaftlichen Kultur sein sollte. Dazu gehörte auch, dass Laien dazu ermuntert wurden, selbst Wissenschaft zu praktizieren – und zwar nicht nur jene Beobachtungswissenschaften, in der auch heute Amateurwissenschaftler verbreitet sind wie in der Astronomie oder der Botanik, sondern auch eigenes Experimentieren in Chemie oder Physik.
4. Das Wissen für Alle – Volksbildung macht Populärwissenschaft Im deutschsprachigen Raum siedelte man sich in Sachen Populärwissenschaft um 1900 irgendwo zwischen England und Frankreich an, wobei man in Österreich eher den englischen Weg einschlug. Die in Wien und Umgebung sehr einflussreiche wissenschaftliche Volksbildungsbewegung aus jener Zeit war eng mit der Universität verbunden und wurde vor allem von Wissen77
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schaftlern getragen. Entsprechend stand von den deutschsprachigen populärwissenschaftlichen Zeitschriften jener Zeit keine der Universität und der Erwachsenenbildung so nahe wie Das Wissen für Alle, eine Zeitschrift, die 1900 in Wien gegründet wurde. Sie ging auf eine Initiative des Wiener Zeitungsverleger Moritz Szeps zurück, der sich bereits in den beiden von ihm gegründeten Tageszeitungen, dem Neuen Wiener Tagblatt und dem Wiener Tagblatt um die Vermittlung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bemüht hatte. Szeps war bei seiner Zeitschriftengründung vor allem von zwei Motivationen getragen: Auf der einen Seite sah er die moralische Verpflichtung, Wissenschaft für breitere Bevölkerungskreise publizistisch zu erschließen. Auf der anderen stand sein kommerzielles Interesse, mit solch einem Blatt zur rechten Zeit und mit den richtigen Autoren auch am Markt bestehen zu können. Das war durch die 1895 in Wien angelaufenen volkstümlichen Universitätskurse wesentlich leichter geworden, da nunmehr professionelle Schreiber bzw. brauchbare Texte in Form der schriftlichen Fassungen einiger Hochschulkurse und Vorträge vorhanden waren. Die Anbindung an diese wichtige Einrichtung der Wissenschaftspopularisierung (Altenhuber 1995; Taschwer 2005) hatte aber natürlich auch noch andere Folgen – wie etwa den zum Teil besonders ‚belehrenden‘ Charakter der Artikel, die in dieser Hinsicht anscheinend kaum redigiert wurden. Der inhaltliche Rahmen der Zeitschrift war dreigeteilt. Ihr erster Abschnitt wurde regelmäßig mit volkstümlichen Vorträgen bestritten. Im zweiten Teil der zunächst wöchentlich erscheinenden Schrift gab es eine „populärwissenschaftliche Rundschau“, die aus etwas längeren Artikeln, aber auch aus kleineren Notizen bestand. Der dritte Teil hieß schließlich „Die Rast nach der Arbeit“ und wollte „dem Bedürfnisse der Erholung Rechnung tragen und Werken der Phantasie, sofern diese Werke dem Wesen unserer Wochenschrift entsprechen, Raum geben“. Dieser Vorgabe gemäß begann man in der ersten Nummer mit der Veröffentlichung des eben erst von Steven Spielberg wieder verfilmten Romans „Der Krieg der Welten“ von H.G. Wells. Daran anschließend war Platz für „sportliche Notizen“, die indes weniger mit Sport als mit der Vermittlung von praktisch anwendbaren Kenntnissen insbesondere im Bereich der Technik zu tun hatten. Im Zentrum stand dabei „Der elektrische Amateur“ – eine unregelmäßig erscheinende Kolumne, in der technische Apparaturen vorgestellt wurden. Im Vergleich zu ähnlichen Zeitschriftenprojekten fällt beim Durchblättern von Das Wissen für Alle der vergleichsweise starke paternalistische Charakter des Blattes auf, dessen Redaktion davon auszugehen schien, dass die Leser ihrer Zeitschrift vom gebotenen Inhalt überfordert sein könnte. In diese Richtung deutet auch ein programmatischer Aufsatz in der zweiten Nummer der Zeitschrift, in dem unter dem Titel „Wie man mit Nutzen liest“ 78
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etwas befremdlich anmutende Kalkulationen angestellt werden, wie die Rezeption der Zeitschrift aussehen könnte. Der Vorschlag des gut meinenden Ratgebers: sich täglich eine halbe Stunde lang Zeit reservieren, um eine einzige Seite „mit aller Gemächlichkeit und mit gehöriger Aufmerksamkeit gewissenhaft durchzunehmen“. So sei es möglich, in einer Woche „mit dem täglichen Zeitaufwande von einer halben Stunde zwei inhaltsreiche Vorträge“ kennen zu lernen. Das mache in einem Monat acht und in einem Jahre ein volles Hundert von Vorträgen. Das Resümee des Autors: „Welch eine bedeutende Erweiterung der Bildung und des Wissens also mit einem verhältnismäßig so geringen Aufwande von Zeit, von Mühe und von Aufmerksamkeit.“ Im Jahr 1909 ging die Zeitschrift völlig in den Besitz der Vereinigung österreichischer Hochschuldozenten über, die bereits seit Anfang 1906 als Herausgeberin der Zeitschrift gewirkt hatte. Aus dem ersten Editorial des Jahres 1909 jedenfalls lässt sich ablesen, dass man der kommerziell zugkräftigen Befriedigung von Sensationsgier zugunsten der Seriosität keine Chance lassen wollte: „Nicht gering fürwahr ist die Zahl populärwissenschaftlicher Zeitschriften; seine Eigenart weist aber dem Wissen für Alle eine besondere Stellung unter denselben an. […] Fern von allem Sensationsbedürfnis sucht ,Das Wissen für Alle‘ in ernster Sachlichkeit seiner Aufgabe gerecht zu werden. Wer teilnehmen will an der Arbeit der Wissenschaft, wer Zugang sucht zu den Schätzen, die sie verwaltet, dem bietet sich in dem Wissen für Alle ein zuverlässiger Führer“ (DWA 1909: 1; Hervorhebungen im Original).
Kommerziell betrachtet, war das wohl nicht ganz die richtige Entscheidung – jedenfalls musste die Zeitschrift im Jahr 1913 ihr Erscheinen wieder einstellen. Über die Verbreitung von Das Wissen für Alle und die Leser der Zeitschrift weiß man vergleichsweise wenig, gewisse Aufschlüsse gibt allenthalben die Leserbriefecke. Allein in einer einzigen Nummer finden sich Leserbriefe aus den Städten Reval, Lemberg, Tarnopol, Odessa und Trumau, was darauf schließen lässt, dass die Zeitschrift weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war und gelesen wurde (DWA 1901: 832). Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass Das Wissen für Alle alles andere als alle erreichte. Im Adressbuch der deutschen Zeitschriften wurde sie über die Jahre hinweg mit einer Auflage von 3.000 Stück geführt.
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5. Das Modell Kosmos Weitaus erfolgreicher als Das Wissen für Alle war die Zeitschrift Kosmos, die vier Jahre nach dem Wiener Magazin von Euchar Nehmann und Walther Keller ins Leben gerufen wurde. Rund zehn Jahr zuvor hatten die beiden die Franckh’sche Verlagshandlung übernommen und suchten nach neuen Chancen für das Geschäft. Sie fanden die boomenden Naturwissenschaften und gründeten 1903 unter dem Motto „Wissen und Bildung für das ganze Volk“ 1903 die „Kosmos Gesellschaft der Naturfreunde“. Ein Jahr später erschien erstmals die dazu gehörige Zeitschrift, deren Ziel es war, naturwissenschaftlich fundierte Informationen für jeden leicht verständlich zugänglich zu machen. Kosmos setzte mit seiner Verbreitung völlig neue Maßstäbe. Während die eigentlichen populären Wissenschaftsmagazine – mit Ausnahme der Hausund Familienblätter – bis zur Jahrhundertwende allenfalls vierstellige Auflagenzahlen erreichten, erschloss Kosmos in nur wenigen Jahren völlig neue Leserkreise. Die Auflage im ersten Jahr betrug 7.800 Exemplare, hatte vier Jahre später bereits 66.000 Stück erreicht, ehe sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs 100.000 Stück betrug. Ende der Zwanzigerjahre wurden 185.000 aufgelegt – ein Wert, der dann bis zum Zweiten Weltkrieg konstant blieb. Diese Zeitschrift veränderte die Rahmenbedingungen auch insofern, als erstmals eine Redaktion mit zahlreichen professionellen Wissenschaftsjournalisten für ein einziges Magazin arbeitete. Rund um die erfolgreiche Zeitschrift florierte auch die Buchproduktion des Verlags, die auf alle Bereiche naturwissenschaftlicher und naturkundlicher Publikationen umgestellt wurde. Dazu kamen in den folgenden Jahren Jugendliteratur und ab den 1920er-Jahren dann sogar eine eigene Lehrmittelabteilung: Aus den ersten Kosmos Baukästen und Lehrspielzeugen entwickelten sich die erfolgreichen Kosmos Experimentierkästen (Pfitzer 1999). Mit der Erfolgsgeschichte der Zeitschrift zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es auch zu einer Umstrukturierung des populärwissenschaftlichen Zeitschriftensektors im deutschsprachigen Raums: Das Angebots an ‚genuin‘ populärwissenschaftlichen Zeitschriftentiteln verkleinerte sich spätestens nach dem Ersten Weltkrieg, einiger weniger Marktführer hingegen – wie allen voran Kosmos – konnten bisher ungeahnte Auflagenzahlen erreichen. Hatte das Zeitschriftenadressbuch „Sperling“ zwischen 1892 und 1914 insgesamt 44 Zeitschriften als populärwissenschaftlich ausgewiesen – die Hälfte davon war übrigens bereits vor 1891 gegründet worden – so fielen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nur noch drei Zeitschriften unter diese Kategorie, nämlich Kosmos, die österreichische Zeitschrift Die Bildung und die Zeitschrift Urania. Die Urania wurde 1924 in Berlin gegründet und war das zweite populärwissenschaftliche Blatt jener Zeit mit Massenauflagen bis zu 80
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40.000 Stück. Sie etablierte sich nicht nur als kommerzielle, sondern aufgrund ihrer radikalen Kritik an der bürgerlichen Wissenschaft auch als gesellschaftspolitische Konkurrenz zum Kosmos (Hopwood 1996).
6. Populärwissenschaft und Volksbildung nach 1900 Vergleichen wir die Entwicklung des populärwissenschaftlichen Zeitschriftenwesens mit jener der Erwachsenenbildung jener Zeit, so finden sich zwei interessante Parallelen: In beiden Bereichen waren die Jahrzehnte um 1900 das Gründungszeitalter, und ähnlich wie das frühe Volksbildungswesen war auch der frühe Zeitschriftenmarkt von erheblichen Diskontinuitäten gekennzeichnet: Viele Magazine bestanden nur über einige wenige Monate hinweg, veränderten mehrmals den Namen und entsprechend auch ihr Layout bzw. auch die inhaltliche Ausrichtung. Dieser Aufbruchsstimmung entsprach zugleich auch der institutionelle und weltanschauliche Bedeutungsgewinn der Naturwissenschaften in eben dieser Zeit. Nach 1900 bildeten sich in beiden Bereichen die entscheidenden Institutionen bzw. Medien heraus: die bis heute bestehenden Volkshochschulen bzw. Zeitschriften wie eben Kosmos, die sich nach der Fusion mit der Zeitschrift Natur heute allerdings natur+kosmos nennt. Rund um den Ersten Weltkrieg, so lautet die These, haben sich die Rahmenbedingungen für populärwissenschaftliche Praxis verändert – und zwar dahingehend, dass die laienhafte wissenschaftliche Tätigkeit auf einige wenige Gebiete beschränkt wurde. Laientum in der Wissenschaft war allenfalls noch im Bereich der Tier- und Pflanzenbeobachtung sowie in der Astronomie legitim bzw. konnte in diesen Fächern ‚kommerzialisiert‘ werden. Doch auch diese letzten Residuen von Amateurwissenschaft scheinen in dieser Zeit mehr und mehr von der Wissenschaft kolonialisiert worden zu sein – bedingt nicht zuletzt durch die weitere Spezialisierung und Professionalisierung der Wissenschaften, wie sie für diese Zeit übereinstimmend von Soziologen wie Max Weber oder Helmuth Plessner beschrieben wurden (Weber 1986; Plessner 1985). Aber auch Schriftsteller mit einem Sensorium für die Umbrüche der Zeit gaben der Marginalisierung des Laien als ‚wissenschaftlicher Entdecker‘ literarischen Ausdruck – so wie Franz Kafka in der wahrscheinlich kurz nach dem Ersten Weltkrieg verfassten Erzählung „Der Riesenmaulwurf“ (Kafka 1983). Kafka lässt darin einen städtischen Kaufmann von dessen vergeblichen Bemühungen berichten, einem Dorfschullehrer zu wissenschaftlicher und öffentlicher Anerkennung zu verhelfen, nachdem dieser angeblich einen Riesenmaulwurf entdeckt hatte. Vor allem aufgrund seiner Herkunft aus dem 81
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Dorf und in Ermangelung einer akademischen Ausbildung gibt sein an sich sensationeller Fund bloß den Stoff für eine Lügengeschichte ab, die für Gespött sorgt. Alle Bemühungen des Erzählers, dem ‚Entdecker‘ zu seinem Recht zu verhelfen, sind zum Scheitern verurteilt und verschlechtern bloß die Situation des Dorflehrers. Dem Amateurwissenschaftler kann einfach nicht (mehr) geholfen werden: „Die Schrift des Studenten, die einen so seltsamen Fall verteidigt hätte, wäre vielleicht lächerlich gemacht worden. Ihr seht hier an dem Beispiel der landwirtschaftlichen Zeitschrift, wie leicht das geschehen kann, und wissenschaftliche Zeitschriften sind in dieser Hinsicht noch rücksichtsloser. Es ist auch verständlich, die Professoren tragen viel Verantwortung vor sich, vor der Wissenschaft, vor der Nachwelt, sie können sich nicht jeder neuen Entdeckung gleich an die Brust werfen“ (Kafka 1983: 177).
Nach und nach scheint auch in diesem Bereich, eines der letzten Refugien für wissenschaftliche Betätigung von Laien, das Zeitalter des Dilettantismus zu Ende zu gehen. In den Worten eines andere Dichters jener Zeit, nämlich von Christian Morgenstern: „Doch die Wissenschaft, man weiß es, achtet nicht des Laienfleißes!“
7. Epilog: Populäre Wissen(schaft)smagazine heute Ziemlich genau hundert Jahre, nachdem 1904 mit der Zeitschrift Kosmos eine neue Ära der populärwissenschaftlichen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum anbrach, zeichnet sich bei der Wissenschaftsvermittlung in Printmedien ein neuer Boom ab – und damit einhergehend neue Trends. War die gesamte Zeitungsbranche zum Beginn des 21. Jahrhunderts durch Anzeigenrückgänge und die Konkurrenz des Internets in eine veritable Krise geschlittert, so erwiesen sich Wissenschaft- und Technologiemagazine als weitgehend krisenresistente Wachstumsmärkte. Traut man den einschlägigen Branchenberichten, dann erfreuen sich Wissenschafts-, Medizin- und Technikthemen in allen Medien zunehmender Beliebtheit: Fernsehsender entwickeln neue Wissenschaftsformate, neue Magazine werden gegründet und in den Printmedien nimmt die Berichterstattung über das Neueste aus der Forschung immer mehr Platz ein: Science sells (Hornig 2003; Müller 2004). Dabei schien es noch vor Jahren, dass das Feld der klassischen populärwissenschaftlichen Magazine mit Zeitschriften wie Bild der Wissenschaft, Spektrum der Wissenschaft, Geo, P.M. und nicht zuletzt natur+kosmos, das aus einem Zusammenschluss des 1904 gegründeten Magazins Kosmos mit 82
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der Umweltzeitschrift Natur hervorging, ohnehin schon gut bestellt wäre. Nach einer Gründungswelle in den Siebzigerjahren, in denen die meisten der genannten Magazine aber auch „Die Sendung mit der Maus“ erstmals erschienen, herrscht zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein weiteres Mal Aufbruchstimmung. Noch vor den beiden Wissensmagazinen der Zeit und der Süddeutschen Zeitung erschien erstmals die deutsche Lizenzausgabe von Technology Review, das erstmals die Nische eines Technologiemagazins besetzte, aber ebenfalls einen starken Wissenschaftsteil hat. Die beiden neuen Wissensmagazine erscheinen im Vergleich dazu wie Klone – und weisen in ihrer Er: Beide sind mit einer sechsstelligen Startauflage angetreten, kosten rund fünf Euro, wollen informieren und zugleich unterhalten und haben alles, was sich für ein Magazin gehört: Rubriken und Kolumnen, Porträts und Buchbesprechungen, Fotostrecken und Graphiken. Und: akademische Wissenschaft spielt da – ähnlich wie im Fernsehen – alles andere als die Hauptrolle. Sehr viel wichtiger ist, dass die Texte sehr gut geschrieben sind, die Bildgestaltung opulent ist und man den Leser und die Leserin thematisch bei der eigenen Lebenswelt abholt – egal ob mit einer Geschichte über Tampon-Entwickler, die Anti-Falten-Lüge, Grippeviren oder eben die Espressomaschine und die Mikrowelle. Doch nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Wissen(schaft)sberichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert. Hatten sich die früher oftmals selbst aus der Wissenschaft stammenden Autoren am Ideal der Wissenschaft orientiert und tendenziell eher akademischsperrige Artikel verfasst, so sind sie mittlerweile viel näher beim Leser, wie Winfried Göpfert, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der FU Berlin beobachtet. Was außerdem auffällt: Die PR beginnt, einen größeren Einfluss auf die Wissenschaftsberichterstattung zu nehmen. Und bizarre oder kuriose Erkenntnisse – beispielhaft etwa die Ig-Nobel-Preise für Forschungen, die nicht wiederholt werden sollten – oder originellen Wissenshäppchen erfreuen sich besonderer Beliebtheit (Müller 2004). Ist die sich abzeichnende Entwicklung gerade auch im Vergleich zu Wissenschaftspopularisierung vor 100 Jahren schlecht und bedenklich? Wie sollte denn Wissenschaft und ihre (oder andere) Erkenntnisse sonst zeitgemäß vermittelt werden? Wissenschaftsforscher und -historiker, die den Naturwissenschaften und der Technologie immer schon mit einer gewissen Ambivalenz gegenüberstanden, schlagen seit Jahren vor, die Öffentlichkeit doch darüber zu informieren, wie Wissenschaft selbst funktioniert, welche Fehler sie mitunter begeht, dass Forscher auch nur Menschen sind und irren können oder dass die Expertenmeinung nicht immer der Weisheit letzter Schluss sein muss. Denn nur so könne möglichen Fehlentwicklungen vorgebeugt werden und die Wissenschaft besser als bisher der Gesellschaft dienen (Shapin 1991). Grundsätzlich geht es darum, vom überkommenen Konzept der Popu83
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larisierung wegzukommen, dass die Journalisten bloß in die Rolle der Übersetzer bzw. Vermittler drängte (Kohring 1997). Die genannten Ansprüche der Wissenschaftsforschung müssen auf der einen Seite freilich erst einmal umgesetzt werden – und zwar nicht für ein akademisch geschultes Publikum, sondern eben gerade für eines, das vom hohen Unterhaltungsniveau bzw. von den poppig aufbereiteten Beiträge der Wissensmagazine in TV und den Printmedien verwöhnt ist. Der Bestseller, der ‚Science in Action‘ wissenschaftssoziologisch oder -historisch korrekt aber eben auch für die breite Masse vermittelt, ist freilich noch nicht geschrieben. Auf der anderen Seite hat sich in den Wissensmagazinen durch die weniger starke Orientierung an den Wissenschaften selbst ohnehin auch eine gewisse Distanz zu den Experten hergestellt, wenn auch nicht immer eine kritische. Und so ist es nur symptomatisch, dass der Begriff Wissenschaftskritik bis heute eine ganz andere, weitaus negativere Konnotation hat wie etwa die Begriffe ‚Kunstkritik‘, ‚Theaterkritik‘ oder ‚Musikkritik‘. Aber es wäre gerade dieser unvoreingenommene Zugang, der den Wissenschaftsjournalismus im 21. Jahrhundert von der Wissenschaftspopularisierung der Zeit um 1900 positiv unterscheiden könnte.
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ANNETTE NOSCHKA-ROOS, JÜRGEN TEICHMANN Populäre Wissenschaft in Museen und Science Centers
Wissenschaftlich technische Museen gelten wie Universitäten, Akademien und andere zentrale Forschungsinstitutionen als Autoritäten des Wissens in der Gesellschaft – allerdings als Autoritäten „öffentlichen Wissens“. Neben wissenschaftlichen Texten und personaler Kompetenz wird im Unterschied zu den übrigen genannten Institutionen ihr Einfluss vor allem durch die Exponate – dreidimensionale Objekte verschiedener Struktur und Bedeutung – verkörpert. Museen sind als Bildungsinstitutionen für eine breite Öffentlichkeit konzipiert. Für Deutschland gilt, dass Museen (sämtlicher Richtungen) zusammen mehr Besucher aufweisen als alle Sportveranstaltungen. Dabei ist die Hälfte der heute bestehenden Museen erst nach 1920 gegründet worden (Niemann 1996: 21, 25). Science Centers, die eine bestimmte Art von Objekten bevorzugen, angelsächsisch „hands on“ genannt, also vom Besucher selbst durchzuführende Experimente, Demonstrationen, spielen in Deutschland erst seit einigen Jahren eine wachsende Rolle. Ihr Höhenflug geht zurück auf das Exploratorium in San Francisco, das 1969 gegründet wurde. Allerdings hat das Deutsche Museum in München schon seit seiner Grundsteinlegung 1903 „hands on“ – Wissenschaft/Technik und historische Exponate zu vereinen versucht. „Öffentlichkeit“ als Adressat wissenschaftlich-technischer Museen war in ihren ersten Ursprüngen nicht angesprochen – auch nicht im Ursprung von Wissenschaft und wissenschaftlich begründeter Technik. Museen entstanden vielmehr aus – meist fürstlichen – Privatsammlungen seltener, ungewöhnlicher bis kurioser Objekte. Zwar liegen die Ursprünge solcher Sammlungen schon im Hochmittelalter, doch erst die Renaissance mit ihrer „Entdeckung der Welt und des Menschen“ schuf breitere Grundlage für solche Unternehmungen. In der Spätrenaissance des 16. Jahrhunderts entstanden berühmte 87
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Sammlungen etwa am Kaiserhof in Wien, auf Schloss Ambras in Innsbruck oder in Dresden. Im 17. Jahrhundert, mit dem Beginn der Aufklärung, tauchen vermehrt Schriften auf, die betonen, dass Bücherwissen für Bildung (und Forschung) nicht ausreicht, sondern durch Objektsammlungen zu ergänzen sei. Gottfried Wilhelm Leibniz etwa betonte den Lehrcharakter solcher Sammlungen. August Hermann Francke richtete Ende des 17. Jahrhunderts ein Museum für Unterrichtszwecke an seinem berühmten Pädagogicum in Halle ein. Das erste für die breite Allgemeinheit konzipierte wissenschaftlichtechnische „Museum“ war das in der Französischen Revolution gegründete Conservatoire des Arts et Métiers in Paris 1794. Es stellte – sakral überhöht – den wissenschaftlich technischen Fortschritt des menschlichen Denkens und Handelns dar. Schon 1806 wurde ihm eine mittlere technische Schule für Handwerkerausbildung angegliedert, später auch für höhere technische Bildung. Das erste für ein breites Publikum konzipierte naturwissenschaftliche Museum in Deutschland, das Naturkunde-Museum Senckenberg in Frankfurt von 1817, unterrichtete schon ab 1826 „lernbegierige Knaben“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland auch erste „Gewerbemuseen“. Die Neugründung von wissenschaftlich-technischen Museen in Europa in dieser Zeit ist auch ein Produkt des Konflikts zwischen wachsender Industriegesellschaft und traditionellem Bürgertum. In Deutschland waren Volksbildungsbewegung und schließlich Reformpädagogik maßgeblich am Propagieren naturwissenschaftlich/technischer Allgemeinbildung, in Ergänzung zur Schule, beteiligt – durch haptischen Zugang in Museen und anderen Volksbildungsstätten (etwa der Urania in Berlin ab 1886). Die Gründung des Deutschen Museums in München 1903 stand schließlich im Schnittpunkt von vier geistigen Strömungen, einer volksbildungsdemokratischen, einer reformpädagogischen, einer staatsbürgerlich-nationalpolitischen und einer traditionell aufklärerisch-positivistischen (Teichmann/ Noschka-Roos/Weber 2003: 363f). Daraus ergaben sich der starke Impetus des Museums, weit über die nationalen Grenzen hinaus, aber auch der Kern für handfeste Konflikte. So sind etwa die berühmten Druckknopfexperimente des Deutschen Museums, die auch schon in der Urania ab 1886 vorhanden waren, museumsdinglich gewordener Topos des Satzes: „wie prompt die exakte Wissenschaft und noch mehr die exakte Technik auf alle Unsachlichkeit, Oberflächlichkeit, Bequemlichkeit antwortet“, den Georg Kerschensteiner in seinem berühmten Aufsatz für das Deutsche Museum 1925 äußerte (Kerschensteiner 1925: 50). Doch darf man diesen Ausspruch nicht isoliert sehen. Er stand diesen simplen Aktionselementen sehr kritisch gegenüber und sah das gesamte Museum als haptische Lehrplankonstruktion. So gab es auch variablere Demonstrationen und damals modernste Medien (etwa den Film)
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oder raffiniert variierte schon länger erfolgreiche Medien, wie etwa das Diorama.
1. Neue Konzepte der Besucherorientierung und des Erlebnismuseums Im Vergleich zur Gründungszeit des Deutschen Museums haben sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten tief greifende Änderungen vollzogen, die die Vermittlung von naturwissenschaftlich-technischen Inhalten in Museen vor neue Herausforderungen stellten. Das Konzept des Museums als Lehrund Bildungsanstalt ist einerseits durch die – insbesondere angelsächsische – Museumsforschung ab den 1960er Jahren stark in Zweifel gezogen worden. (Noschka-Roos: 1984). So werden Museen als Massenmedien eingestuft, wie Zeitschriftenwesen, Hörfunk, Fernsehen, in denen Lerneffekte, wenn überhaupt, nur als bestätigende zu schon vorhandenem Vorwissen entstehen (was immerhin auch schon etwas wäre). Vorherrschen würde „Informationsshopping“. Es fehlten – nach dieser Auffassung – im Museum zum Lernen wie in Schule – – – –
eindeutige Lernziele, Aufgeschlossenheit der Teilnehmer diesen Zielen gegenüber, eigene auf diese Lernziele ausgerichtete Aktivität der Teilnehmer, die Möglichkeit der Rückkopplung zwischen Teilnehmern, Vermittlern und den dazugehörigen Symbolen, – ein durch die Situation geschaffener Lerndruck, – eine der Lernsituation entsprechend aufbereitete Exponatstruktur, – eine eindeutige Gruppensituation gleicher Vorbildung, (Graf/Treinen 1983: 125) Schulpädagogen haben andererseits darauf hingewiesen, dass es auch andere Lernanlässe (bezogen auf Lernziele) als nur nach dem Schema Mittel/Zweck/ Funktion bezogene gäbe, dass auch die Schule solch Kriterien oft genug nicht erfülle, dass es Eindrücke gäbe, die das Museum, aber gerade nicht die Schule vermitteln könne, dass Langzeiteffekte durch Besucherforschung meist nicht evaluierbar wären (Fingerle 1992: 17). Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass „informelles Lernen“ (im Gegensatz zum formellen Lernen in der Schule) im Umfeld eines Museums im allgemeinen sehr viel schwieriger ist. Welche Rolle kann ein naturwissenschaftlich-technisches Museum des 21. Jahrhunderts überhaupt bezogen auf Lernen und Bildung spielen? Abgesehen von Gruppen- oder Einzelbesuchern, die zu bestimmten Lernzwecken ins Museum kommen, wählen die meisten ihre Mußezeit für einen Gang ins Muse89
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um. Die Wirkung eines solchen Besuchs ist ganz anders als bei thematisch zum Lernen motivierten Museumsinteressenten. Generell kann ein Museumsbesuch nach persönlichkeitsbezogenen, sozialen und objektbezogenen Faktoren gegliedert werden (Falk/Dierking 1992:2): Die Persönlichkeit von Besuchern bringt zunächst Voraussetzungen mit, die nur bestimmte affektive, haptische oder kognitive Erfahrungen zulassen. Die Erkenntnis Friedrich Nietzsches: Verstehen heiße Wiedererkennen, ist von der modernen konstruktivistischen Pädagogik zu einer ausführlichen Theorie des Verständnisses beim Lernen ausgebaut worden, die wesentlich auf Vorerfahrungen jedes Lernenden aufbaut. Der soziale Kontext ist beim Museumsbesuch genauso wichtig wie der persönlichkeitsbezogene und wird bei Museumsplanungen meist zu wenig berücksichtigt: Wie wirken Gruppen aufeinander (etwa der Freund, der der Freundin die Informatik erklärt (oder umgekehrt), Vater und Mutter, die ihren Kindern eine Wochenendfreude bieten wollen)? Wie wirken Führungen, Theatervorführungen – oder wie könnten sie wirken –, wenn sie in Dialogform geführt werden? Der objektbezogene Kontext beschränkt sich nicht nur auf die Fachinhalte bzw. die Objekte einer Ausstellung, sondern beinhaltet auch die WegFührung, die Versorgung der unmittelbaren Bedürfnisse in einem Museum wie Essen und Trinken. Vor dem Hintergrund dieses Faktorengefüges fordern Falk/Dierking eine „visitor oriented perspective“ (Falk/Dierking 2000) und eine Analyse der interagierenden individuellen, sozialen und Dingwelt bezogenen Faktoren und ebenso der zeitlichen Ereignisse, da sie zu einem je individuellen „Museumserlebnis“ führen. „Lernen“ und „Erleben“ diskutieren Falk/Dierking als zwei sich gegenseitig bedingende Begriffe, ist doch das Lernen ein individuell gesteuerter und aktiver Prozess, bei dem nicht nur kognitive, sondern auch emotionale, haptische, soziale und eine Vielfalt anderer Faktoren in einem komplexen Zusammenspiel wirksam werden.1 Die „konstruktivistische Wende“ (Hein 1995) und die damit einhergehende stärkere Beachtung der subjektiven Seite im Lernprozess – dient als Folie zur Begründung einer „Besucherorientierung als Leitziel der Museumsarbeit“ (Graf 2000). Das „neue Paradigma“ (Lepenies 2003) bzw. der „Paradigmenwechsel“ (Graf 2003) der Museums- und Ausstellungsarbeit ist jedoch nicht als eine einseitige Funktion zu sehen, die andere, konstitutive Aufgaben des Museums vernachlässigt: „Besucherorientierung bedeutet Differenzierung des Profils eines Museums nach seinen eigenen Stärken und seiner Angebote nach 1 Dieses 2000 mit dem Zeitfaktor weiter ausgebaute Modell nennen die Autoren inzwischen „free-choice-learning“, vgl. Falk, John/Dierking, Lynne (2002): Lessons without limit: How free-choice-learning is transforming education. Walnut Creek. 90
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Interessensschwerpunkten der Adressaten, aber nicht das Plebiszit durch die Besucher“ (Graf 2003: 75). Besucher zu gewinnen ist in Zeiten leerer öffentlicher Kassen und dem damit verbundenen Legitimationsdruck zwar ein durchaus berechtigtes Motiv, aber es geht nicht darum „Quote“ zu machen (Schäfer 2000), wie auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der Museen“ ausgeführt worden ist. Dieses Podium widmete sich folgender Fragestellung: „Museen sind […] ein Stück in die Marktwirtschaft getrieben worden, ein Trend, der nach 1989, nach dem Wegfall von verunsichernden Alternativen in politischen und gesellschaftlichen Systemen, allgemein auch vor der Kultur nicht Halt gemacht hat. Sind die Strategien einer neuen Besucherbezogenheit geeignet, das Museum fit zu machen und wird das Konkurrenzsystem, der Wettbewerb, der dadurch erzeugt worden ist, die Museen zukunftsträchtiger machen?“ (Siebenmorgen 2000: 21)
„Strategien einer neuen Besucherbezogenheit“, „Besucherorientierung“ – sind das am Ende Begriffe, die eher mit marketingorientierten Konzepten zu verknüpfen sind? Folgt man der Genese des Begriffs der Besucherorientierung, läßt sich feststellen, dass dieser auf den ersten Blick enge Zusammenhang so nicht zutrifft. Beispielsweise sprechen Autoren aus der Museumsbranche in einem Beitrag, der sich mit den Grundlagen für Marketing-Management an staatlichen Museen auseinandersetzt, von „besucherbezogenem Angebot“ (Dube/Schauerte 1989), erwähnen andere Autoren aus der Besucherforschung in ihrem Bericht über die Marketing-Strategien europäische Museen den Begriff mit keinem Wort und führen erst später aus, wie dieser Prozess zweifellos vor dem Hintergrund ökonomischer, gesellschafts- und kulturpolitischer Faktoren zu sehen ist (Schuck-Wersig/Wersig 1992; Schuck-Wersig/Wersig 1996). Demgegenüber ist auffallend, dass der Begriff in der amerikanischen Besucherforschung in einem lernpsychologischen und nicht in einem betriebswirtschaftlichen Kontext auftaucht. Gibt es darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen Besucherorientierung und dem mit einem Atemzug genannten Begriff des „Erlebnismuseums“? Zur Beantwortung soll diese Entwicklungslinie kurz skizziert werden. Bis in die 1960er Jahre war der Fokus der Museen auf den Ausbau, den Erhalt und die wissenschaftliche Bearbeitung der Sammlung gerichtet. Es wurde daher die These der „relativen Autonomie“ formuliert, für die sich der gesellschaftliche Auftrag in der Bewahrung und Präsentation des kulturellen Erbes erschöpfte, wobei die Präsentation einer wissenschaftlichen Taxonomie unterlag, die sich nur für den Experten erschloss, wie Treinen in einer DFGDenkschrift überzeugend ausführte (Treinen 1974). Diese DFG-Denkschrift läutete eine Wende in der Museumspolitik ein oder kann auch als deren Aus91
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druck verstanden werden. Der gesellschaftliche Auftrag der Museen wurde neu formuliert und die Funktion als „Bildungsstätte“ (Klausewitz 1975) oder als „Lernort contra Musentempel“ (Spickernagel/Walbe 1976) durchaus kontrovers diskutiert. Solche Tagungsthemen belegen schlaglichtartig, dass das Museum, einem demokratischen Selbstverständnis folgend, seine Sammlung für alle und nicht nur für Experten zu präsentieren hat. Manche gingen schon damals so weit (Rohmeder 1977), das Museum als Kompensationsstätte für sozial Benachteiligte einzufordern, wie es gegenwärtig beispielsweise an Museen in Großbritannien geschieht (Anderson 1997). Drei Phasen (Expertensammlung, Bildungsangebot, Erlebnismuseum) sind unterscheidbar, die sich in zwei Schritten ablösten: Vom Fachduktus zum Bildungsduktus: Nach der Abkehr vom Musentempel, einer fachlich konzipierten, objektorientierten Sammlung für Experten, die an Erläuterungsmaterial allenfalls Beschriftungen benötigte, folgte der Lernort. Mit der Gründung von museumspädagogischen Zentren und mit den ersten für diese Aufgabe eingerichteten Stellen wurde die Museumspädagogik institutionalisiert. Doch nach wie vor handelte es sich in vielen Fällen noch um fachlich konzipierte Sammlungen, die mit verschiedenen Materialien und Programmen begleitend erschlossen wurden. Als Publikum fungierte eine demokratische Öffentlichkeit, doch faktisch bildeten vor allem Schüler und Kinder sowie zum Teil Touristen das Hauptzielpublikum. Diese Etappe warf neue pädagogische Fragen auf. Denn eine lediglich fachlich konzipierte Sammlung für den Besucher zu übersetzen, bedeutete in manchen Fällen, sich des Systems einer „Einbahnstraßendidaktik“ oder einer „Top-down-Methode“ zu bedienen, da Besucher mit ihren Interessen und Vorkenntnissen nicht ernst genommen werden konnten. Schon in dieser Zeit wurde die Forderung nach einer Besucherforschung laut, um über die spezifischen „Lern“bedingungen, über Publikumswünsche im Museumskontext aufklären zu helfen (Treinen, 1981; Klein/Bachmayer, 1981). Vom Bildungsduktus zum Dienstleistungsduktus: Das Erlebnismuseum gilt als Leitbegriff der gegenwärtigen, dritten Etappe, der sich vor dem Hintergrund der „betriebswirtschaftlichen Wende“ der Museen entwickelte und die Besucherorientierung als Leitziel der Museumsarbeit formuliert (Graf 2000). Die damit einhergehende stärkere Reflexion der Austauschbeziehungen zwischen Museen einerseits und den Besuchern andererseits (Kotler 1999), rückte die Besucher nicht als Empfänger, sondern als Kunden mit ihren Wünschen, Interessen, Neigungen ins Blickfeld (Doering 1999). Schäfer hält dazu fest, „dass man Besucherorientierung nicht mit Einschaltquoten verwechseln darf, wie das gelegentlich beim Fernsehen geschieht, um Werbeeinnahmen zu erzielen. Museen müssen sich an der Qualität der Konzepte orientieren und diese Konzepte dann aber so durchzuführen versuchen, dass sie ihr Publikum in der richtigen Art und Weise – ihre Stoffe und Themen, ihre Botschaften ver92
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mittelnd – auch erreichen“ (Siebenmorgen et al. 2000: 21). Charakteristikum vieler dieser Konzepte ist, dass es sich um thematisch konzipierte Ausstellungen auf fachwissenschaftlicher Basis handelt. Sie sind nicht mehr nur nach fachwissenschaftlichen Kategorisierungssystemen gegliedert und geordnet. Inszenierungen i.S. eines ganzheitlichen Erlebnisses wurden als neue Ausstellungssprache entwickelt, eine Sprache, deren Grammatik oder poetische Regeln noch nicht ausformuliert sind (Waidacher 1996). Ebenso hat in dieser Etappe ein Ausbau an Materialien und Programmen stattgefunden, wie beispielsweise die „Lange Nacht der Museen“, „Theatertage in Museen“ usw. Alle drei idealtypisch getrennten Etappen sind nicht i.S. einer genetischen Reihe zu betrachten, in der die letzte das nun beste und einzige darstellt. Alle drei Modelle enthalten notwendig zu beachtende, konstitutive Elemente in der besucherfreundlichen Vermittlungstätigkeit eines Museums. Der Betonung der Sammlung in der ersten Etappe entspricht die Faszination und Einmaligkeit der Objekte, die nach wie vor viele Besucher motivieren, in Museen zu gehen und zu den Erinnerungsinhalten zählen trotz neuer Medien, Inszenierungen usw. Der Vermittlungsauftrag, der sich in der Diskussion des Museums als Lern- oder Bildungsort in der zweiten Etappe artikulierte, gilt inzwischen vielen als selbstverständliche und gleichberechtigte Funktion; sie ist der Bildung und nicht dem Markt verpflichtet. Der mehr empirisch begründete und vielleicht weniger idealisierte Blick öffnete sich in der dritten Etappe, in der Besucher als Partner, Abnehmer oder Nutzer mit Rücksicht auf ihre Wünschen oder Interessen Beachtung finden. Den Dreiklang von Sammlung/Vermittlungsauftrag/Besucher sollte man sich stets vergegenwärtigen, um Misstöne zu vermeiden, die bei einseitiger Betonung der Sammlung, des Auftrags oder der Besucher entstehen. Im ersten Fall würde das bedeuten, das Museum nach wie vor als elitäre Stätte für Eingeweihte zu begreifen; im zweiten Fall könnte es dazu führen, mit der Vorrangstellung eines marktorientierten Vermittlungsauftrags die Sammlung nach Modeströmungen auszubauen; im dritten Fall läge die Gefahr, marktschreierische Themen aufzugreifen, um „Quote zu machen“ und die Sammlung zu vernachlässigen. Doch was bedeutet diese Entwicklung für naturwissenschaftlich-technische Museen? Der allgemeine museologische Trend findet in den naturwissenschaftlich-technischen Museen eine besondere Ausformung, vor dem Hintergrund boomender Science Center, die den Erlebnisaspekt stärker betonen und damit als konkurrierende Einrichtung für Museen gelten könnten (Nahrstedt 2004). Doch sowohl naturwissenschaftlich-technische Museen wie die Science Center stehen vor der je nach ihren Bedingungen ganz unterschiedlich zu beantwortenden Aufgabe, aktuelle naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen zu thematisieren, zu vermitteln; auch hier zeichnen sich neue
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Entwicklungen ab, die parallel zur museologischen Entwicklung einher gehen und die sich auf der konkreten Handlungsebene gegenseitig bedingen
2. Von PUS zu PUR Neuere Konzepte des „PUR“, Public Understanding of Research, betonen, Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht nur in einen Dialog zu bringen, sondern ein vertieftes Verständnis für den Prozess der Forschung zu erzeugen, m.a.W. zu verstehen, wie Forschung (und auch technische Entwicklung) arbeitet und welche gesellschaftlichen, ethischen und politischen Rückwirkungen daraus resultieren. Hierin wird ein entscheidender Unterschied zu „PUS“, dem Public Understanding of Science, gesehen, die, so die kritische Bilanz, eher eindimensional die Kenntnis der Fakten und Prozesse favorisiere und an einem wenig dem Dialog förderlichen Konzept des Laien-Experten-Status festhalte (Chittenden et al. 2004). Was entwickelt sich aber wirklich bei Forschern oder einer Forschergruppe im zeitlichem und sozialem Zusammenhang? Wie läuft der Weg von Idee und Experiment zu kodifiziertem Wissen oder technisch genutztem Produkt? Dafür müssen wohl ziemlich neue Darstellungsformen unter Einbezug aller Medien und der Besucher als Dialogpartner gefunden werden. In den konzeptionellen Ansätzen von PUR geht es neben kulturellen und Demokratie-bezogenen Begründungen verstärkt darum, größtmögliche Teile der Öffentlichkeit am Prozess der Produktion und Nutzung von Wissen in der modernen Wissensgesellschaft zu beteiligen. Um dies zu gewährleisten haben sich in jüngster Zeit verschiedene Kommunikationswege entwickelt (Conein 2004): Beispielsweise wurde das „Science Entertainment“ insbesondere im Bereich der privaten Fernsehsender zu einer wichtigen Programmsäule ausgebaut. Renommierte Tages- und Wochenzeitungen legen eigene Wissensmagazine auf oder pflegen zumindest eine Seite mit aktuellen Informationen aus Naturwissenschaft und Technik. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich ebenso die Inhalte und Methoden der Wissensvermittlung verschoben, und die institutionellen Barrieren beginnen zu bröckeln. Die Museen kooperieren in strategischen Partnerschaften mit den Medien. Die Schulen suchen mit Projektarbeit und Laborbesuchen einen für Schüler konzeptionell und methodisch attraktiven Anschluss an aktuelle Themen aus Naturwissenschaft und Technik. Dabei wird der „Ex-Kathedra-Modus“ zugunsten des „dialogischen Prinzips“ aufgehoben (oder zumindest problematisiert), da nicht mehr nur die Vermittlung naturwissenschaftlich-technischer Inhalte im Vordergrund steht, sondern ebenso deren gesellschaftliche Relevanz. Vor diesem Hintergrund sind neuere Entwicklungen in naturwissenschaftlich-technischen Museen zu werten: Mit innovativen Formaten und Präsenta94
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tionsmethoden versuchen Museen das Dilemma zu lösen, aktuelle Themen aus Naturwissenschaft und Technik mit dem vergleichsweise „trägen“, durch lange Vorläufe der Planung und des Aufbaus zeitintensiven Medium der Ausstellung zu kommunizieren. Nicht nur naturwissenschaftliche Phänomene und Prinzipien sollen erklärt, sondern auch der Kontext erläutert und die Folgen veranschaulicht und zur Diskussion gestellt werden. Die ehedem nach fachwissenschaftlichen Kriterien organisierten Ausstellungen machen zunehmend thematischen Konzepten Platz, die nicht zuletzt alltagsrelevante Perspektiven einbinden – ergänzt durch Programme und Zusatzangebote, die Besuchern die Möglichkeit bieten, die Praxis der Forschung kennen zu lernen, z.B. in eigens installierten Labors oder in der Diskussion mit eingeladenen Experten. Dieser Forumscharakter findet beispielsweise im Deutschen Museum darin seinen Ausdruck, dass verschiedene Großforschungseinrichtungen (Helmholtz-Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft oder Deutsche Physikalische Gesellschaft) im Rahmen von Sonderausstellungen ihre rezenten Forschungsergebnisse zur Schau und zur Diskussion stellten mit eigens dafür geschulten Wissenschaftlern. Ebenso ist das vom Deutschen Museum eingerichtete „Zentrum für Neue Technologien“ zu erwähnen, das aktuelle, gesellschaftlich besonders relevante Forschungsfelder in Sonderausstellungen aufgreift und im Rahmen von Begleitprogrammen zur Diskussion stellt. Andere Museen, wie beispielsweise das Science Museum in London bieten dem Publikum im jüngst eröffneten Welcome Wing die Präsentation von „current science“ und das zugehörige „Dana-Centre“ organisiert Debatten über kontroverse Themen in Naturwissenschaft und Technik; ebenso versuchen das finnische Science Center „Heureka“ mit seinen Sonderausstellungen oder das Bostoner Museum of Science mit seiner neuen Abteilung „Current Science & Technology Center” ein kontextuelles Verständnis des Charakters moderner naturwissenschaftlicher und technischer Forschung veranschaulichen. Im engen Zusammenhang mit dieser Fokussierung auf „das Neue“, die in der museologischen Diskussion als Paradigmenwechsel gewertet wird, stehen die Museen vor der Aufgabe, neben den sonst üblichen Presseverlautbarungen neue Formen der Zusammenarbeit mit den Medien zu finden. So wurde beispielsweise der Fernseh-Wissenschaftsjournalist Rangar Yogeshwar im Deutschen Museum Bonn als Moderator engagiert, oder es war jüngst in einem bundesweiten Magazin eine Fotostrecke über Exponate der Sonderausstellung „Leben mit Ersatzteilen“ des Deutschen Museums zu finden. Viele Museen nutzen zudem mittlerweile das Internet, um nicht nur Informationen zum Besuch bekannt zu geben, sondern auch um Sammlungsinhalte und Forschungsergebnisse vorzustellen, um mit interaktiven Angeboten und anderen Dialogelementen den Kontakt zu den Nutzerinnen und Nutzern zu suchen. Parallel dazu entwickelte die Besucherforschung eine stärker nutzerorientierte Perspektive, die darauf abzielt, die Ausstellung nicht so sehr als Produkt 95
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in ihren Wirkungsmechanismen zu untersuchen – einst definiert als attracting, holding and learning power (Screven 1985) –, sondern den Wirkungsprozess der Wissensvermittlung beim Besucher selbst: Welche Interessen und Vorkenntnisse lenken den Blick und wie lässt sich die Interaktion zwischen Besucher und Ausstellung erfassen und beschreiben beziehungsweise verbessern i.S. eines Abbaus von Kommunikationsbarrieren durch schwierige Texte, unverständliche Versuchsanleitungen usw.? Welche dialogfördernde Elemente lassen sich einbauen, insbesondere vor dem Hintergrund des Faktums, dass Museumsbesuche oft ein soziales Ereignis darstellen? Diese Perspektiven lassen sich auch für andere Knotenpunkte im Netzwerk des schulischen und außerschulischem Lernens wiederfinden. Betrachtet man die Subjekt-Objekt-Relation bzw. die Lernender-Lerngegenstand-Beziehung, so lässt sich generell eine subjektorientierte Wende konstatieren. Der Lerngegenstand, bzw. die Objekte werden nicht mehr isoliert, sondern vernetzt bzw. kontextualisiert präsentiert. Was bedeutet das für Museen?
3. Die Rolle der Objekte Wie wird Wissenschaft/Technik durch dreidimensionale Objekte lebendig? Exponate leben nicht von alleine, so sehr auch ihre Dreidimensionalität sie von der Vermittlung von Lehrbuchwissen, Bildinhalten und sonstiger „Flachware“ (wie der Museumsjargon despektierlich definiert) abhebt. Sie sind aus ihrem Forschungs- oder sonstigen Verwendungskontext gerissen und müssen im Museum „inszeniert“ werden. Sie sind damit als „materielle Kultur“ Zeichen für etwas. Je eindringlicher diese Zeichenhaftigkeit ist, je mehr Sinne sie anspricht, desto lebendiger werden die Objekte dem Besucher. Die moderne Perzeptionsforschung zeigt, dass Sinneserfahrungen und aktives Tun sich gegenseitig verstärken. Es gibt verschiedene Kategorisierungen dieser Zeichenhaftigkeit. Dinge können Indizien, Exempel, Modelle und Metaphern sein (Parmentier 2001). Sie können aber auch, wenn man die Theorie der Semiotik verlässt, Partner einer offenen Begegnung werden, in der der Besucher an und für sich „tote“ Objekte zu einem ihm passenden Leben erweckt. Das lässt sich über Vielfalt, etwa chaotisch fantasievoll wie im Exploratorium in San Francisco, bis didaktisch geordnet, wie im Deutschen Museum, über Aktionsmöglichkeiten (hands on), und Museumsdesign beeinflussen. Als Indizien wirken Objekte, wenn sie auf etwas dingliches verweisen, mit dem sie selbst nicht identisch sind, zum Beispiel die Magdeburger Halbkugeln von Otto von Guericke aus dem 17. Jahrhundert auf den berühmten Versuch zum leeren Raum des Magdeburger Bürgermeisters. Als Exempel wirken Objekte, wenn sie eine Klasse von Objekten vertreten, zum Beispiel 96
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ein Spiegelteleskop alle diese für die Astronomie des sichtbaren Lichts wesentlichen Instrumente. Modelle sind ähnliche Abbildungen von Originalobjekten, etwa das Funktionsmodell einer Pkw- Federung. Dinge als Metaphern weisen über die dreidimensionale Realität hinaus. Das gilt auch für die Magdeburger Halbkugeln als Symbol für die scheinbare Allgewalt des Experimentierens – selbst zum „Nichts“ gab es nun Versuche. Das kann bis zur mythischen Wirkung gehen, etwa beim ersten Auto mit Benzinmotor von Carl Benz als Symbol der Motorisierung, der Leistungsfähigkeit eines industriell expandierenden Deutschlands, ja als Ursprung der modernen Mobilität überhaupt. Meist besitzen Objekte diese verschiedenen Wirkungsebenen gleichzeitig. Das gilt auch für Demonstrationen und „hands on“-Experimente. Auch sie können eine Klasse von Versuchen vertreten, etwa zur Temperaturmessung oder Modellcharakter haben, etwa ein Versuch zur Erklärung der Kräfte in einem Brückenbogen. Doch stellt sich hier öfter eine offene Begegnung ein, als bei den nicht experimentell zugänglichen Objekten. Die Zeichenhaftigkeit der zum tun anregenden Objekte ist nicht generell fixiert. Das unterschiedliche Interesse des Besuchers, die unterschiedlichen Erfahrungen beim „interaktiven“ Tun können leichter verschiedene Wirkungen hervorrufen, als es für unveränderliche Objekte gilt. Doch ist eine solch offene Begegnung auch bei klassischen Museumsobjekten möglich. Dann ist sicher die maximale pädagogische Wirkung eine Ausstellung gegenüber (oder ergänzend zu) curricularem lernen in üblichen Bildungsinstitutionen erreichbar. Es muss eine Balance gefunden werden zwischen angemessen gezielter Präsentation (mithilfe modernen Ausstellungsdesigns, pädagogisch und medial geschickter Erläuterungen, Zusammenstellen von sinnvollen Objektgruppen, Inszenierung eines ganzen Ereignis-, Wirkungs- oder Bedeutungszusammenhangs) und Offenheit dieser Präsentation für die Fantasie des Besuchers. Nur ein Beispiel: die bloße Zurschaustellung eines Objekts bewirkt entweder gar nichts – wenn das Objekt, da zum Beispiel zu speziell, total unbekannt ist, sagen wir, eine erste Elektronenröhre – oder sie zementiert die metaphorisch-mythische Wirkung, etwa beim ersten Auto mit Benzinmotor.
4 . Au s s t e l l u n g e n a l s P u b l i k a t i o n e n Ausstellungen öffentlicher Museen sind „Publikationen“, die an die breite Öffentlichkeit gerichtet sind, um Allgemein- und teilweise auch Fachbildung zu vermitteln – allerdings auch an ein Fachpublikum, um neue wissenschaftliche Einsichten unterschiedlicher Art vorzulegen. In wissenschaftlich/technischen Museen gehört die Aufbereitung des entsprechenden historischen und aktuellen naturwissenschaftlich/technischen Fachwissens für die Zwecke einer Ausstellung in den Bereich von PUS. Ähnlich wie die Medien übersetzen Museen 97
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dabei nicht einfach Wissenschaft, sondern schaffen mit den Methoden der Wissenschaft neues Wissen. Dazu sind gleichzeitig historische, aktuell wissenschaftliche Forschungsansätze und solche von „Vermittlungs“-Wissenschaften nötig. Die durch Ausstellungen vermittelte Wissenschaft verändert diese nach didaktischen, entwicklungspsychologischen, medienkritischen und anderen museologischen Prinzipien. Durch diese Veränderung werden neue Anschauungsinhalte, Formen und Beziehungsmuster entwickelt und erweitert. Diese Aufbereitung für eine allgemeine Öffentlichkeit ist eine genuine wissenschaftliche Aufgabe. Hier spielen Darstellungen, die möglichst viele Sinne der Besucher ansprechen, eine besonders wesentliche Rolle. Die Aufbereitung ist zugleich eine Publikation neuer Erkenntnisse für entsprechende – museologisch interessierte – Fachleute. Sie gibt Antworten auf disziplinäre Leitfragen wie etwa: Mit welchen Mitteln und wie originell wird Wissenschaft und Technik in Ausstellungen umgesetzt? Dazu zählen die besuchergerechte Textaufbereitung und Gestaltung, die Objektauswahl und -präsentation (Einzelansichten, Ensembles, Inszenierung etc.), spezifische Kombinationen didaktischer Hilfsmittel (Experimente, Demonstrationen, Modelle), der Bezug von Inhalten zu Ausstellungsarchitektur und -design etc. Historisch ausgerichtete technische Museen erforschen und dokumentieren die Entwicklung von objektbezogener Naturwissenschaft und Technik und publizieren die Ergebnisse dieser Forschung in Form von Ausstellungen. (In der Tat ist die historische Kontextualisierung der Objekte ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Arbeit der Konservatoren, auch bei der direkten Planung einer Ausstellung.) Im Deutschen Museum steht dieser Anteil gleichwertig neben der Aufbereitung aktueller Forschungsergebnisse. Ausstellungen bieten andererseits Überblicks- und Orientierungswissen, das in dieser Form von der fachwissenschaftlich organisierten Forschung und Lehre nicht hergestellt und vermittelt werden kann. Sie liefern damit – gezielt geplant vom Museum – neue Erkenntnisse, die die Grenzen fachwissenschaftlicher Forschung überwinden helfen. Dabei werden transdisziplinäre und technologieübergreifende Entwicklungsmuster und Bezüge deutlich (etwa Elektronik in den verschiedensten Bereichen der Technik, Design über die einzelnen Objektkategorien hinweg, Einsatz bestimmter messtechnischer Verfahren und Erkenntnisstrukturen innerhalb einer Naturwissenschaft und in verschiedenen Naturwissenschaften). Dieses Überblicks- und Orientierungswissen ist insbesondere wesentlich für Laienbesucher, da es Zusammenhänge vermittelt, die innovatives Denken anregen – und jeder Fachwissenschaftler oder Fachhandwerker ist in allen nicht ihn betreffenden Fachbereichen selbst Laie. Das Ergebnis kann eine affektive Befriedigung, d.h. eine des Gemüts sein. Es kann ein „Erlebnis“ werden, sogar eine „Begegnung“. Je vielfältiger die sinnliche Erfahrung über Objekte zu der Persönlichkeit des Besuchers und der Augenblicksstimmung und -erwartung passt und je stringenter sie in soziale 98
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Kontexte eingebunden wird, desto wahrscheinlicher sind solche Begegnungen. Die vielfältige sinnliche Erfahrung fördert vor allem die affektive Komponente der Begegnung: Man ist „berührt“, „angeregt“, hat Spaß, Vergnügen. Die Vielfalt behindert – umgekehrt – aber auch kognitiv konsequentes Lernen. Sinnliche Begegnung kann aber zur kreativen Anregung dienen: Kreativität braucht Lernen und Muße. Sie braucht vielfache Anregung sowie Leitlinien: vom bekannten über das fremdere zum überraschend/erstaunenden. Die Vielfalt der sinnlichen Erfahrung darf und kann keine Lehrplankonstruktion sein. Sie darf aber auch nicht beliebig oder enzyklopädisch daherkommen: Objekte, Inszenierungen, ganze Ausstellungen müssen erzählen können. Am besten wirkt eine soziale Einbindung durch Führungen, die möglichst dialogisch angelegt sind und möglichst im Sinnverband aufeinander aufbauen. Das war ein wesentlicher Grund für das Deutsche Museum, im Jahr 1974 das Kerschensteiner-Kolleg zu gründen, eine Fortbildungsinstitution mit Hoteltrakt und Studienräumen direkt im Museum, die in mehrtägigen Seminaren Museumsbegegnungen anregt, vertieft nachbereitet – insbesondere für Multiplikatoren (Lehrer, Ausbilder, Lehrerbildner, Lehrerstudenten, Museumspädagogen, in neuerer Zeit auch Familien an Wochenenden), die ihre Erfahrungen weiter vermitteln können. Unmittelbare Ziele des Kerschensteiner Kollegs waren und sind: – – – –
Der Ausblick aus dem jeweiligen Fachgebiet zu anderen Disziplinen um Übersicht und interdisziplinär übergeordnete Erkenntnisse zu gewinnen Naturwissenschaft und Technik im Unterricht mit neuen aktuellen Impulsen zu versehen Geschichte von Naturwissenschaft und Technik als neuen pädagogischen Handlungsraum zu entdecken Den Lernort Deutsches Museum besser kennenzulernen und effektiver für Schüler, Auszubildende, Studentengruppen einzusetzen.
Zwischen 1976 und 2004 besuchten etwa 40.000 Multiplikatoren aus dem Inund Ausland das Kolleg. Darüber hinaus gibt es, schon seit 1911, Reisestipendien für Schüler, Auszubildende und Studierende, die dann ebenfalls das Kolleg nutzen. Ferner sind die Familienwochenenden hervorzuheben, die z. B. in Kooperation mit der Münchner VHS veranstaltet werden und zu einem bestimmten, für Kinder wie für Eltern interessanten Themenschwerpunkt einladen. Das Bewusstsein, in einer „Wissensgesellschaft“ zu leben, von ihr immer stärker beeinflusst zu werden und immer komplexeres verstehen zu müssen, um politisch-gesellschaftliche Entscheidungen treffen zu können, stärkt die Bedeutung der wissenschaftlich/technischen Museen als Bildungsorte. Seit den 1990er Jahren bietet das Deutsche Museum deshalb neue Bildungsveran99
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staltungen für das allgemeine Publikum an. Zunächst sind die populären wissenschaftlichen Abendvorträge neu begründet worden. Als“ Wissenschaft für jedermann“ werden seit 1994 Themen aus dem Gesamtspektrum von Naturwissenschaften und Technik durch prominente, pädagogisch versierte Wissenschaftler vorgestellt. Parallel werden seit dem Jahr 2000 verstärkt neue Darstellungsformen von Wissenschaft und Technik erprobt: zum Beispiel Märchen für Kinder vor Originalobjekten des Museums. Die schnelle Alterung des Wissens hat für die Ausstellungen Konsequenzen gebracht: nach wie vor ist das Deutsche Museum kompetent für Basisinformationen und für historisches Wissen (das ja auch rascher zunimmt). Daneben kann nur in ausgewählten Bereichen vertieftes Fachwissen dargestellt werden. Alle Erfahrungen mit Multiplikatorengruppen in der Fortbildung stärken diese These: Je größer die Lücken in Spezialbereichen des Wissens werden – auch in historischen Bereichen – umso wesentlicher wird diese Basis- und Übersichtsbedeutung gesehen. Sie schließt insbesondere die Vermittlung grundsätzlicher Zusammenhänge, Überblicke, interdisziplinäre Anregungen mit ein. So wird etwa öfters betont, wie wesentlich man der Verbreitung von Elektrik und Elektronik in der gesamten Technik nachgehen könne, wie wesentlich man physikalisches und/oder chemisches Grundlagenwissen in unterschiedlichsten Bereichen von Wissenschaft/Technik studieren könne, oder auch wie sehr technische Großobjekte – von Kraftmaschinen bis zu Flugzeugen – vergleichende Reflexionen anregen können. Auch auf Fragen wie die technische Entwicklung von einfachen, speziellen zu immer komplexeren, umfassenderen Objekten oder Systemen lief, lässt sich in einem solchen Museum am besten antworten. Dabei kann auch besonders wesentlich sein, die Autorität von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen als letztgültige Aussagensysteme in Frage zu stellen. Zu oft noch wird in der Öffentlichkeit exakte Wissenschaft und Technik als logisch und empirisch abgesichertes Wissen schlechthin gegenüber unsicherem Meinungsstreit in anderen Lebens- und Wissensebenen betrachtet. Doch schienen Dampfmaschinen, die heute nur als Fossilien bestaunt werden, einmal auch letztgültiges Wissen zu sein, ebenso ein konstantes ewiges Weltall oder die Unzerstörbarkeit des Atoms. Das heißt, ein historisches technisches Museum konfrontiert auch mit der Vergänglichkeit naturwissenschaftlich-technischer Autorität. Auch dies kann mitunter als Erlebnis vermittelt werden – etwa wenn der, in der Vergangenheit einmal selbstverständliche, Arbeitsalltag von Bergleuten, oder von Stahlarbeitern in „Puddelhütten“, präsentiert wird. Der Erlebnisaspekt ist in einem Museum, das Geschichte, Gegenwart und Zukunft verbindet, am vielseitigsten darstellbar. Dagegen kann ein rein historisches Technikmuseum gründlicher, vielseitiger und differenzierter etwa die 100
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sozialgeschichtliche Dimension von Technik verdeutlichen. Science Centers bieten ihrerseits Erlebnis durch „Interaktion“ pur. Im Unterschied zu Großbritannien oder den USA sind Science Centers in Deutschland noch viel zu selten, aber mit sehr interessanten Konzepten vertreten (Haller: 2001; Fiesser 2000). Sie könnten in unterschiedlichsten Spielarten (auch mit technischnaturwissenschaftlichen Originalobjekten) dezentrale‚ öffentliche Erlebnisräume für Wissenschaft und Technik werden.
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ANNETTE NOSCHKA-ROOS, JÜRGEN TEICHMANN
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HANS-DIETRICH RAAPKE/CHRISTIANE BROKMANN-NOOREN/ INA GRIEB/MARTIN BEYERSDORF Seminarkurse
Mit den „Seminarkursen in Verbindung mit Instituten und Seminaren der Universität“ wurde 1955/56 – also vor 50 Jahren – in Göttingen der erste auf Dauer geplante Versuch unternommen, die nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland weitgehend zum Erliegen gekommene Mitarbeit der Universität an der Erwachsenenbildung wieder aufzunehmen. Die Zusammenarbeit dieser beiden Zweige des öffentlichen Bildungswesens hat in Deutschland anders als etwa in England eine gebrochene Tradition. In England hatte sich schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts, unter anderem wegen der Absicht neue Universitäten zu gründen, die „university extension“ entwickelt, die außerhalb der Universitätsmauern eine umfangreiche Vorlesungstätigkeit entfaltete. Um die Jahrhundertwende trat dann daneben – und zwar in engem Zusammenhang mit den politischen und sozialen Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterschaft – die schnell an Bedeutung gewinnende Tätigkeit in den „Tutorial Classes“ in Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und der „Workers Educational Association (WEA)“. Beide Bewegungen wurden zur Grundlage der „Extra Mural Departments“ an fast allen englischen Universitäten. Unter anderen Voraussetzungen wurde in den 1890er Jahren versucht, etwas Ähnliches in Österreich und Deutschland ins Leben zu rufen. Dank der Initiative und Bemühungen des Historikers Ludo Moritz Hartmann wurden 1895 an der Wiener Universität und später auch an anderen österreichischen Hochschulen die „volkstümlichen Hochschulkurse“ institutionell verankert. Sie entwickelten schnell eine weitreichende Wirksamkeit und fanden gute Resonanz in der Bevölkerung. Für die Hochschulkurse in Deutschland konnte dagegen der offizielle Rückhalt in den Universitäten nicht erreicht werden. So
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blieben die Kurse die Sache einzelner ProfessorInnen, wenngleich viele und berühmte Gelehrte dabei waren (Überblick Faulstich 1982). Wahrscheinlich waren die „volkstümlichen Hochschulkurse“ in ihrer damaligen Gestalt – zumeist Vorlesungen aus der akademischen Perspektive – zu sehr ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, während schon ganz andere, auch antirationale Tendenzen sich durchsetzten. Mit der Hoffnung, dass man die Probleme der Zeit meistern helfen könnte, wenn man die ‚Volksmassen‘ aufklärte und ihnen von den ‚Gütern‘ der bürgerlichen Bildung mitteilte, stieß man auf tiefes Misstrauen einerseits von Seiten der Arbeiterschaft und andererseits von einer „Neuen Richtung“ in der Erwachsenenbildung, in der romantisch-völkische Stimmungen schnell sich ausbreiteten. In Deutschland unterblieb so die notwendige Neuorientierung für die Mitarbeit der Universität in der Erwachsenenbildung, die in England schon zu Beginn des Jahrhunderts stattgefunden hatte. Die deutsche Universitätsausdehnung ist in den politischen und sozialen Umwälzungen am Ende des Ersten Weltkrieges auf der Strecke geblieben und schnell in Vergessenheit geraten. Geblieben ist für lange Zeit das durch diesen Bruch aufgerissene Misstrauen zwischen Universität und Erwachsenenbildung. Der Neuanfang mit den Seminarkursen knüpfte zwar an die Traditionen der deutsch-österreichischen Universitätsausdehnung an, aber mit anderen Grundsätzen und in neuen Formen. Die schon damals fällige Revision wurde gleichsam nachgeholt. Die Arbeit der Extra Mural Departments der englischen Universitäten und besonders die Erfahrungen in den „Tutorial- und Sessional- Classes“ konnten dabei in vielerlei Hinsicht als Muster dienen. Die meisten der ersten Lehrkräfte der Seminarkurse haben intensiv das englische Vorbild an Ort und Stelle studiert.
1. Neuanfang in Göttingen Für die Seminarkurse hat von Beginn an als charakteristisch der Grundsatz gegolten, dass sie interessierten Erwachsenen außerhalb der Universität in Erwachsenenbildungseinrichtungen die Gelegenheit geben, unter Anleitung von Universitätslehrkräften in kleineren Arbeitsgruppen über längere Zeit gründlich und systematisch mit eigenem Studium sich in einem Sachgebiet fortzubilden und den neueren Stand der Forschung kennen zu lernen. Für das Gelingen der Arbeit mit den Göttinger Seminarkursen waren einige wichtige Voraussetzungen maßgebend: 1. Anfangs haben wenige und dann immer mehr Professoren der Universität die Arbeit aktiv gefördert, indem sie selbst in den Kursen mitwirkten oder
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SEMINARKURSE
geeignete jüngere Wissenschaftler aus ihrem Forschungszusammenhang als Lehrkräfte vorschlugen. 2. Das Niedersächsische Kulturministerium hat die Seminarkurse mit eigener Initiative voll unterstützt und – besonders wichtig – von Beginn an die finanzielle Sicherung durch einen besonderen Etatposten übernommen. 3. Von Anfang an wurde ein hauptamtlicher Leiter angestellt und das Sekretariat für Seminarkurse eingerichtet, sodass eine zentrale Kontakt- und Organisationsstelle für die an der Arbeit Beteiligten vorhanden war. 4. Ebenfalls von Beginn an gab es einen kleinen Stamm von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei der zwangsläufig hohen Fluktuation bei den nebenberuflichen Kräften haben sie vor allem die Kontinuität der Kursusarbeit gewahrt, indem sie die neu hinzu kommenden wissenschaftlichen Kräfte beraten und in ihre Arbeit eingeführt haben. Außerdem bestand dadurch die Möglichkeit, im Zusammenhang mit der praktischen Erfahrung in der Kursusarbeit die Erwachsenenbildung selbst zum Gegenstand der Forschung zu machen. Für die Arbeit in Seminarkursen waren folgende Prinzipien bestimmend: –
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Die Seminarkurse werden nur von wissenschaftlichen Kräften geleitet, die aktiv in der Universität mitwirken. Die Beschränkung nur auf die aktiv in der Forschungsarbeit Mitwirkenden ist die unerlässliche Bedingung für die Beteiligung der Universität an dieser Form der Erwachsenenbildung und sie schafft zudem in relativ hohem Maße die Gewähr dafür, dass nicht nur Stoff aus zweiter Hand vermittelt, sondern mit der Denk- und Fragehaltung des Forschers gelehrt wird. Die Seminarkurse sind langfristige Kurse mit einer Dauer von 20 Doppelstunden. Eine Verkürzung der Kursusdauer hätte die gründliche Erarbeitung eines Sachgebietes in der Weise, wie sie für eine wissenschaftliche Bearbeitung erforderlich ist, möglicherweise nicht gewährleistet. Die im Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe, Denkmodelle und Forschungsmethoden durchweg ungeübten Kursusteilnehmerinnen und Kursusteilnehmer brauchen neben der Gewinnung von Kenntnissen vor allem eine hinreichend lange Einübung in die Verwendung des ‚Instrumentariums‘. Manche Kurse wurden de facto bedeutend länger dadurch, dass sich Fortsetzungskurse anschlossen. Dennoch ließ sich dieses Prinzip nicht auf Dauer und generell durchhalten. Kürzere Kursusdauer von bis zu wenigstens zehn Doppelstunden wurde späterhin akzeptiert. Die Seminarkurse arbeiten in kleinen Gruppen, in denen die aktive Mitarbeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Diskussion, Literaturstudium, Referaten oder eigenen kleinen Forschungsprojekten eine wichtige Rolle spielt. Ohne Frage haben die Volkshochschulen und anderen Er107
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wachsenenbildungseinrichtungen auch mit eigenen Kräften Kurse und Arbeitsgemeinschaften in ähnlicher Form organisiert. Die Seminarkurse hatten daneben aber meistens eine Sonderrolle mit ergänzender Funktion inne und haben wahrscheinlich auch öfter eine Vorbildfunktion für die Arbeit der Erwachsenenbildungseinrichtungen gehabt. Die Seminarkurse stellen also einen besonderen Typus der Bildungsarbeit mit Erwachsenen dar, sind aber keine Bildungsorganisation neben anderen. Denn die Zentralstelle – früher Sekretariat für Seminarkurse – tritt nicht als Veranstalter am Kursort auf. Vielmehr wählen die Leiterinnen und Leiter der örtlichen Erwachsenenbildungseinrichtungen – in der Regel Volkshochschulen – selbst die Seminarkurse aus und fordern sie an als Ergänzung ihres Angebotes. Die Zusammenstellung eines Angebotskataloges war deshalb eine wichtige Aufgabe der Zentralstellen.
2. „Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung“ In Göttingen wurde die erste Kontaktstelle für Seminarkurse 1955 eingerichtet, die dann später von der Universität als „Zentralstelle für auswärtige Seminarkurse“ übernommen wurde. Auch von den Universitäten Berlin, Frankfurt, Freiburg, Köln, Mainz, Münster, Kassel, Hamburg, Hannover und anderen sind in der Folgezeit in zum Teil größerem Umfang Seminarkurse ähnlich wie von Göttingen aus durchgeführt worden. Aber nur dort, wo institutionelle Vorkehrungen durch die Einrichtung von Kontaktstellen getroffen wurden, bekam die Mitwirkung der Universitäten in Form der Seminarkurse Kontinuität. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Gründung des Arbeitskreises Universitäre Erwachsenenbildung (AUE) 1968 in Hannover, der zunächst nur das gemeinsame Dach für die vorhandenen Kontaktstellen abgab und erst in der Folgezeit eigene Initiativen und Projekte in Angriff genommen hat. 1973 hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung in ihrem Bildungsgesamtplan die Errichtung von „Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung“ an den Hochschulen vorgesehen und das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat dafür Projekte eingerichtet, so zum Beispiel in Oldenburg. 1976 ist dann im Hochschulrahmengesetz des Bundes im § 2, Absatz 3 bestimmt worden: „Die Hochschulen dienen dem weiterbildenden Studium und beteiligen sich an Veranstaltungen der Weiterbildung. Sie fördern die Weiterbildung ihres Personals“. Damit hatten die Seminarkurse einen gesetzlichen Rahmen bekommen, aber daneben waren weitere Aufgaben angeführt, die in der Zukunft deutlicheres Gewicht bekamen.
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SEMINARKURSE
In der Folgezeit konzentrierte sich die Arbeit mit den Seminarkursen mehr und mehr auf den norddeutschen Raum. Zumal die niedersächsischen Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung – 1990 waren es neun – haben gegenüber denjenigen anderer Bundesländer einige gemeinsame Merkmale, die sich so bewährt haben, dass andernorts häufiger von dem „Niedersächsischen Kontaktstellenmodell“ gesprochen wurde. Alle diese Kontaktstellen haben – wenn auch im Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt – den Charakter von Zentralen Einrichtungen der Hochschulen. Sie unterstehen direkt der Leitung der Hochschule, und die wissenschaftliche Zuständigkeit wird jeweils durch eine besondere Senatskommission wahrgenommen. Die Zentralstellen haben zumindest über einen längeren Zeitraum ihren eigenen, im Haushalt ausgewiesenen Bestand an wissenschaftlichem und Verwaltungspersonal sowie ihre eigenen Haushaltsmittel. Was leistet die Universität durch ihre Mitarbeit an der Erwachsenenbildung für die Bevölkerung? Bei der Versorgung der Bevölkerung mit einem hinlänglichen Weiterbildungsangebot lassen sich im wesentlichen drei unterschiedliche und typische ‚Defizite‘ feststellen: soziale, regionale und curriculare Defizite (Strukturplan Weiterbildung 1975). Mit sozialen Defiziten ist gemeint, dass größere Teile und Gruppen der Bevölkerung in der Weiterbildung unterrepräsentiert waren oder sind. Deshalb wurden z.B. einzelne Seminarkurse an bestimmte Zielgruppen adressiert, um mit auf diese Gruppen zugeschnittenen Themen einen bestimmten Personenkreis zu interessieren. Andererseits wurde die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen an den Kursen generell sehr sorgfältig kontrolliert, um das Angebot darauf abzustimmen oder steuernd einzuwirken. Die Seminarkurse konnten selbstverständlich nicht allein der Weg zum Abbau sozialer Defizite sein. Die Seminarkurse haben eher den örtlichen Einrichtungen neue TeilnehmerInnen aus sozial gerade nicht benachteiligten Bevölkerungsgruppen erschlossen, die bisher möglicherweise kein sie interessierendes Angebot in der Weiterbildung gefunden hatten. Bei den Seminarkursen zeigte sich verstärkt, was generell für die Erwachsenenbildung gegolten hat, dass nämlich ein relativ hoher Anteil der TeilnehmerInnen eine höhere Schulbildung oder einen Hochschulabschluss hatte. Für die Anerkennung der Weiterbildungseinrichtungen am Ort war das sicher von Bedeutung. Anfangs hatte zudem etwa die Hälfte der Seminarkurs-TeilnehmerInnen noch nicht vorher an Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen. Auch später hat der Anteil dieses Personenkreises noch relativ hoch gelegen. Die regionalen Defizite besonders in ländlichen Gebieten deckten sich häufig mit den curricularen Defiziten. Noch in den 1960er Jahren hatten die meisten Erwachsenenbildungseinrichtungen – sofern es nicht Internate waren – kaum oder keine pädagogischen MitarbeiterInnen. Auch gab es in den meisten kleinstädtischen und ländlichen Bereichen keine Lehrkräfte für Fragen 109
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von Politik, Gesellschaft und Erziehung. Den örtlichen Dozentenstamm bildeten vielfach die Lehrkräfte für Sprachen, Bürotechniken und Ähnliches. Die ersten längerfristigen Kurse für politische Bildung, für Zeitgeschichte, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Soziologie oder pädagogische Fragestellungen waren deshalb in vielen Einrichtungen die Seminarkurse der Universitäten. Volkshochschulen oder andere Einrichtungen, die neue Arbeitsgebiete entwickeln wollten, haben deshalb ebenfalls auf die Seminarkurse mit ihrer breiten Angebotspalette zurückgegriffen. Inzwischen haben sich die Volkshochschulen und anderen Einrichtungen selbst so ausgebaut und differenziert, dass sie die Seminarkurse nicht mehr in dem Maße zum ‚Defizitausgleich‘ brauchen. Von daher hat sich dann auch ein Struktur- und Funktionswandel für die Kontaktstellen ergeben.
3. Weiterentwicklung Etwa von den 1980er Jahren an waren die Seminarkurse nur noch ein Teil der Aufgaben der Zentralstellen für wissenschaftliche Weiterbildung. Bei den Seminarkursen waren sie häufig nur Vermittler der Kooperation zwischen Universität und Erwachsenenbildung. Nun traten sie auch selbst als Anbieter und Organisator von weiterbildenden Studien auf, ohne die Seminarkurse aufgegeben zu haben. Inzwischen hatte das Land Niedersachsen seine finanzielle Unterstützung für die wissenschaftliche Weiterbildung der Hochschulen zurückgezogen und das verringerte die Attraktivität für die Erwachsenenbildungseinrichtungen. Größere Einschnitte zeigen sich Ende der 1990er Jahre – insbesondere in Niedersachsen, nachdem in anderen Bundesländern die Tradition der Seminarkurse in bildungsdemokratischer Tradition bereits früher abgebrochen war. Mit mehrfachen Novellen des niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetzes wurden die Ausgaben ‚gedeckelt‘ (d.h. es wurden faktisch Höchstförderbeträge für die Partner in der Erwachsenenbildung festgelegt) und es wurden Bildungsarten festgelegt, die unterhalb des ‚Deckels‘ eine besondere Förderhöhe beanspruchen konnten. Immerhin ist es in diesen bildungspolitischen Auseinandersetzungen gelungen, die Seminarkurse als besonders förderungswürdig beizubehalten (wie z.B. politische Bildung, Frauenbildung, ökologische Bildung) und die gemeinsame pädagogische Verantwortung von Hochschulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen sicher zu stellen. Trotz dieser kleinen Erfolge wurde die Nachfrage durch die Erwachsenenbildungsträger geringer und die Hochschulleitungen propagierten neue Tätigkeitsschwerpunkte, insbesondere mit Blick auf Drittelmitteleinwerbung, auf Kontakte zur Wirtschaft und Öffentlichkeitswirksamkeit. Vor diesem Hintergrund beendeten die Universitäten Göttingen, Osnabrück und Lüneburg ihr 110
SEMINARKURSE
Engagement bei den Seminarkursen. Letztlich sind die Standorte Hannover und Oldenburg noch aktiv. Braunschweig hat sich im Wesentlichen auf das Tagungs- und Kongressmanagement festgelegt. Hannover hat die engagierten Lehrenden aus Göttingen und Lüneburg übernommen.
4. Entwicklung in Hannover Im Jahr 2004 wurden ausgehend von Hannover 233 Seminarkurse mit mehr als 3.000 Teilnehmenden durchgeführt; dass Volumen betrug mehr als 4.300 Unterrichtsstunden. Thematisch lassen sie sich wie folgt gliedern (in der Rangfolge der Nachfrage; Beyersdorf 2005): 1. Supervision 2. Geschichte 3. Coaching 4. Kulturelle Weiterbildung 5. Psychologie/Gesundheit 6. Philosophie 7. Erziehungswissenschaften 8. Sozialwissenschaften 9. Mediation (auch im interkulturellen Bereich) 10. Religion 11. Wirtschaftswissenschaften 12. Angebote für Frauen 13. Naturwissenschaften/Technik/Medizin/Ökologie 14. Rechtswissenschaften In der inhaltlichen Entwicklung über die Jahre hinweg wird deutlich, das unterschiedliche „Sorgethemen“ auch für die Seminarkurse zentral waren: von der ‚technischen Welt‘ über Frieden, Umwelt und Ökologie bis zur Gesundheit (Beyersdorf 1999). Klassische wissenschaftliche Themen aus den Wissenschaftsdisziplinen treten deutlich in den Hintergrund und auch die Orientierung am wissenschaftlichen Arbeiten selbst ist weniger vertreten. Das Profil zeichnet sich durch eine stärkere ‚Anwendungsnähe‘ des wissenschaftlichen Wissens für Tätigkeitszusammenhänge in Beruf und Freizeit aus. Neben den thematischen Veränderungen lassen sich folgende Entwicklungen in Hannover feststellen: –
Die ursprünglich typische Form von 40 Unterrichtsstunden findet nur noch sehr selten als Bildungsurlaub statt. Die Kurse haben sich deutlich verlängert, wie z.B. für die Aneignung von „Beratungs- und Coaching111
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Kompetenzen“, oder sie haben sich dramatisch verkürzt, wie z.B. Tagesseminare zum wissenschaftlichen Archivieren für Regionalhistoriker. Die Teilnehmenden kommen stärker als früher mit tätigkeitsorientierten Erwartungen. Sie wollen sich wissenschaftliches Wissen für ihre Handlungsvollzüge aneignen. Dazu passen auch Veranstaltungsangebote wie – die FrauenAkademie als zweijährige Veranstaltung (inzwischen der achte Jahrgang) und – das Schlüsselkompetenzen sowie Changemanagement (einjährige Kurse für Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen, EU-gefördert). Es wird mit weniger PartnerInnen der Erwachsenenbildung mehr kooperiert. M.a.W.: Weniger Nachfrager bestellen mehr. Zugleich nehmen Lehrende der Hochschulen direkten Kontakt mit der Erwachsenenbildung auf und wählen nicht (mehr) den Weg über die Zentrale Einrichtung; so können sie Honorare frei verhandeln – ohne die rechtlichen Vorgaben des Landes für die Seminarkurse. Die Lehrenden kommen teilweise noch aus dem (verschwindenden) Mittelbau der Hochschulen, überwiegend aber aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Für die pädagogische Arbeit zeigt dieser mehr Engagement und Offenheit für unterschiedliche Zielgruppen; und er zeigt oft mehr Enthusiasmus bei der Vermittlung der ‚eigenen‘ wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Beteiligung von ProfessorInnen liegt unter der 10-Prozent-Marke. Mit PartnerInnen der Erwachsenenbildung und darüber hinaus werden neue Rahmungen geschaffen. Gemeinsam mit der Lernenden Region Weserbergland, der VHS Schaumburg und der Universität Hannover wird seit dem Jahre 2003 unter dem Namen „Historische Universität Rinteln“ eine Sommeruniversität durchgeführt, die sich allgemein an BürgerInnen der Stadt Rinteln und für die Berufs- und Studienorientierung an SchülerInnen der Abgangsklassen der regionalen Schulen wendet. Allein mit dieser Veranstaltung werden in einer Woche ca. 200 Personen mit einem vielfältigen Programm (inkl. Kunst und Kultur) erreicht. Am Gasthörerstudium nehmen an der Universität Hannover durchschnittlich 750 Personen pro Semester teil; viele davon gehören zur gleichen (Ziel-)Gruppe wie die Teilnehmenden der Seminarkurse. Der Unterschied ist allerdings, das nur ein Teil der Veranstaltungen unmittelbar für die Zielgruppe konzipiert wird, wie z.B. bei den Begleitveranstaltungen für Studienprogramme (Kulturwissenschaften, Ästhetische Bildung und Gestaltung, Förderung des Ehrenamtes).
Diese Entwicklung in Hannover macht deutlich, dass sich die Seminarkurse in einem langfristigen Transformationsprozess befinden. Sie stehen nach wie vor 112
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in einer bildungsdemokratischen und in einer wissenschaftlichen Tradition, orientieren sich aber immer stärker an Märkten und an den LernerInnen selbst. Möglicherweise ist dies ein Grund dafür, dass sie innerhalb der Hochschullandschaften, die zunehmend vom Streben nach Profil und Exzellenz geprägt sind, aus Sicht der Hochschulleitungen weniger bedeutsam sind.
5. Entwicklung in Oldenburg Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren waren die Seminarkurse das Modell einer „Öffnung der Hochschulen“ in der Region. Dies trifft insbesondere die Nordwestregion Niedersachsens, die erst durch die Gründung der Universität Oldenburg 1975 eine Hochschule vor Ort erhielt. Die Anzahl der nachgefragten Kurse stieg beständig und hatte zu Beginn der 1990er Jahre ihren Höchststand erreicht (Brokmann-Nooren 1989, 1991). Langsam nahmen die Zahlen der vereinbarten und der dann auch durchgeführten Kurse in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ab. Wurden im Jahre 1992 noch 489 Seminarkurse durchgeführt, so sank diese Zahl bis 1995 auf etwa 300 Kurse pro Jahr; auch das Unterrichtsstundenvolumen der Kurse sank bis Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich (12.700 Ustd. in 1991; 10.000 Ustd. in 1995; vgl. BrokmannNooren in diesem Band). Nach der Novellierung des niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetzes vom 17.12.1996 erfolgte ein erneuter Einbruch der Kurszahlen, der sich in Oldenburg bei etwa 100 Kursen pro Jahr einpendelte und dann nochmals gesunken ist. Nur noch 77 Seminarkurse wurden in 2004 beim Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Oldenburger Uni angefordert, lediglich 60 davon kamen tatsächlich zustande. Der Fokus liegt bei diesen Kursen ganz eindeutig bei den geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen, Inhalte aus den Naturwissenschaften oder der Ökonomie kommen überhaupt nicht vor. Mit 16 regionalen Volkshochschulen wird über die Seminarkurse derzeit noch kooperiert; auffallend hierbei ist, dass keine der Erwachsenenbildungseinrichtungen in Oldenburg selbst in diesem Kontext mehr mit der Universität zusammenarbeitet. Wenn die Seminarkurse tatsächlich ein „Auslaufmodell“ sind, wie wird dann die „Öffentliche Wissenschaft“ in Oldenburg mit Leben gefüllt? Bereits ab Mitte der 1980er Jahre wurden parallel zum noch starken Engagement in der Seminarkursarbeit andere Modelle der „Öffnung der Hochschule“ erprobt und etabliert. Verschiedene langfristige berufsbegleitende Weiterbildungsangebote (mit Schwerpunkten im psycho-sozialen, pädagogischen, interkulturellen und frauenpolitischen Bereich) wurden konzipiert und durchgeführt. Es ist zukünftig davon auszugehen, dass Hochschulen sich primär als Träger beruflicher Qualifizierung profilieren und ihre Angebote entsprechend ausweiten werden. Es ist jedoch nicht das Konzept des Zentrums für Wissen113
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schaftliche Weiterbildung, sich auf berufliche Qualifizierung zu reduzieren. Hochschulen, die öffentlich finanziert werden, haben auch die Verpflichtung, ihr Wissen so breit wie möglich nach außen zu vermitteln, d.h. auch im Kontext politischer, kultureller und allgemeiner Weiterbildung. Auch Zielgruppen, die nicht in der Lage sind, hohe Teilnehmergebühren zu bezahlen, haben ein Anrecht auf eine Beteiligung an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Diskussionen. Durch verstärkte Initiativen und kontinuierlichen Ausbau im Arbeitsfeld Gasthörstudium kamen an Wissenschaft Interessierte ab Mitte der 1980er Jahre in immer größerer Zahl direkt in die Hochschule, um sich hier vor Ort über Neues aus der Forschung aus erster Hand zu informieren. Der „Umweg“ über die Kooperation mit Erwachsenenbildungseinrichtungen, wie er in den Seminarkursen beschritten worden ist, war fortan in vielen Bereichen nicht mehr nötig, wenn man an Wissenschaft partizipieren wollte. Wobei der entscheidende Unterschied darin liegt, dass Gasthörende sich an reguläre Universitätsveranstaltungen anpassen müssen. Im Seminarkurs standen die Teilnehmenden und ihre Interessen und die sich daraus ergebende Didaktik im Vordergrund. Dieses „Defizit“ wird ansatzweise ausgeglichen durch speziell auf Gasthörende abgestimmte Angebote. Während im Seminarkursmodell die Lehrenden zu den Teilnehmenden fuhren, d.h. auch hochschulferne Regionen die Möglichkeit hatten, wissenschaftliche Weiterbildung anbieten zu können, ist das Gasthörermodell eher begrenzt auf den Hochschulstandort. Hier kann allerdings festgestellt werden, dass Gasthörende erhebliche Anreisewege zur Universität in Kauf nehmen und selbst ein 100 km von der Universität gelegener Wohnort kein Hinderungsgrund ist, sich einzuschreiben. Trotz dieses gestiegenen Engagements der Hochschule in eigene Weiterbildungsangebote, wurde die Kooperation mit den regionalen Erwachsenenbildungsträgern nicht eingestellt, es wurden allerdings andere Wege gesucht und gefunden, die neben der Seminarkursarbeit auch weiterhin in Kooperation beschritten wurden. Einige Beispiele für derartige Oldenburger Aktivitäten können genannt werden: –
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Mit der „Ländlichen Erwachsenenbildung“ (LEB) wurden im Rahmen der EU-Programme Horizon oder EQUAL, Projekte, die berufliche Integration von Migranten und Migrantinnen zum Inhalt hatten, durchgeführt. In einem ESF-geförderten Projekt zur Kompetenzerweiterung von weiblichen Führungskräften konzipiert das ZWW für das Bildungswerk ver.di geeignete Seminare. Im Rahmen einer Fortbildungsreihe zur „Qualifizierung von Nebenberuflichen für die Erwachsenen- und Weiterbildung“ unterstützt die Universi-
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tät die regionalen Erwachsenenbildungseinrichtungen bei der Qualifizierung ihrer Dozentinnen und Dozenten. Der „Erwachsenenbildungs-Roundtable“ holte alle regionalen Erwachsenenbildungseinrichtungen an einen Tisch, um gemeinsam über bildungspolitische Themen und Trends zu diskutieren.
All dies sind Beispiele von Kooperation jenseits des Seminarkursmodells. Für die Zukunft öffnen sich vor allem im Bereich des Übergangs von der Schule bzw. vom Beruf zur Hochschule neue Kooperationsmöglichkeiten. Hier steht der „Bologna-Prozess“ der Entwicklung eines europäischen Hochschulraums noch am Anfang.
6. Zentralstellen als wissenschaftliche Lernzentren Im Jahre 2004 hat sich der „Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung (AUE)“ in „Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium (DGWF)“ umbenannt. Dies reflektiert die veränderten Aufgabenzuschnitte im Kontext „Lebenslangen Lernens“ und der Studienreform in Rahmen des „Bologna-Prozesses“. Bereits Mitte der 1990er Jahre war deutlich geworden, dass der AUE und die Kontaktstellen ‚zwischen‘ dem tertiären und dem quartären Bildungsbereich agieren (Dikau 1996; vgl. den Beitrag Christmann in diesem Band). Im AUE und fürderhin in der DGWF hat sich die „Arbeitsgruppe Einrichtungen“ etabliert. Die zentralen Einrichtungen verstehen sich zunehmend als wissenschaftlichen Lernzentren an Hochschulen, die für die unterschiedlichsten Zielgruppen ein breites Spektrum an Themen und Veranstaltungsformen vorhalten. Das Aufgabenprofil zeigt sich wie folgt: Bedarfsanalysen, Programmplanung, didaktische Beratung, Methodenberatung, Medienbereitstellung, Qualitätssicherung, Dozenten-Vermittlung, Unterstützung bei der Kursentwicklung, Unterstützung bei der Entwicklung von eLearning-Konzepten, Kontaktherstellung, Lernberatung, Personalberatung, wissenschaftliche Begleitung, Finanzierungsberatung und Forschungsrecherchen.
7. Öffentliche Wissenschaft und die Seminarkurse Die Seminarkurse haben die ersten Brücken zwischen den Institutionen der Universität und der Erwachsenenbildung über jenen tiefen Graben geschlagen, der vor allem während der Zeit der Weimarer Republik zwischen der akademischen Welt und der volkstümlichen Erwachsenenbildung der breiten Bevölkerung entstanden war. Es gab erhebliche Vorbehalte zwischen Univer115
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sitäten und Erwachsenenbildungseinrichtungen. Demgegenüber stand die Idee, allen Menschen, auch jenen ohne akademische Vorbildung und ohne Zugangsberechtigung zur Hochschule, eine Chance zu geben, in Kontakt mit wissenschaftlichem Arbeiten zu kommen. Dabei waren nicht nur die Ergebnisse der Wissenschaften, sondern auch das wissenschaftlich-methodische Denken von Bedeutung. Die Seminarkurse haben deutlich gemacht, dass weder der Transfer der traditionellen akademischen Lehrform der Vorlesung in die Erwachsenenbildung einen solchen Brückenschlag schaffte, noch die Erwachsenenbildung aus eigener Kraft aus ihrer im Zuge völkisch-romantischer Bewegungen entstandenen Tradition herausfand. Die Seminarkurse waren mit ihrer Besonderheit, Wissenschaft in seminaristischer Lehrform auf die Bedürfnisse der Erwachsenen abzustellen ein Brückenelement, das sich an mehreren Stellen auf lange Zeit hin als tragfähig erwiesen hat. Willy Strzelewicz – Initiator und erster Leiter der Göttinger Seminarkurse – hat 1959 ausführlich die Funktion der Wissenschaft in der Erwachsenenbildung dargelegt. Bildung sei nicht ohne Wissen und Wissen nicht ohne Wissenschaft zu haben. Deshalb müssten auch Wissenschaft und Universität an der Bildungsarbeit beteiligt sein. Wissenschaft gibt – so Strzelewicz – keine Antwort auf die Tolstoische Frage: „Wie sollen wir leben, was können wir tun?“ Aber sie leistet nach Ansicht Max Webers – den Strzelewicz zitiert – dreierlei: „Sie sagt dem Menschen, welche Mittel er anwenden und welche Wege er beschreiten müsse, um bestimmte Ziele zu erreichen, sie lehrt ihn denken und folgern und sie verhilft ihm zur Klarheit über die Voraussetzungen und die Folgen seiner Entscheidungen und seines Handelns“ (zit. Strzelewicz 1986: 28). Darin liege der eminente Wert des Kontaktes zwischen Wissenschaft und Erwachsenenbildung, dass bei der Wahrheitsprüfung in der kontinuierlichen wissenschaftlichen Diskussion zu unterscheiden gelernt wird zwischen den Motiven und Gründen, aus denen Theorien aufgestellt werden und denjenigen Gründen, aus denen sie für wahr gehalten werden können. So könnten religiöse Bindungen, politische Parteilichkeiten, ökonomische oder andere Interessen entlarvt werden. Es käme darauf an, dass sich die Menschen unter dem Postulat der Demokratisierung bei schnell sich wandelnden Lebensbedingungen auf Grund eigener Urteilsfähigkeit orientieren und entscheiden können. Wenn „die Erwachsenenbildung dabei helfen will und soll, so braucht sie ihrerseits die Hilfe von Seiten der Wissenschaft. […] Am Beispiel der Wissenschaft intellektuelle Rechtschaffenheit zu begreifen, besagt, in seinen Urteilen vorsichtiger zu werden und sie unter Umständen so lange aufzuschieben, bis man zureichende Gründe für ihre Bewahrheitung kennt. […] Wer intellektuell rechtschaffen urteilt, der geht daran, alle autoritär vorgegebenen Auffassungen neu zu überprüfen. […] Am Beispiel der Wissenschaft intellektuelle Rechtschaffenheit zu üben heißt also, den Menschen
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den Anforderungen einer sich demokratisierenden industriellen Gesellschaft gewachsen zu machen“ (Strzelewicz 1959: 4-6).
Der Zusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis und der Methode ihrer Gewinnung darf nicht verloren gehen, damit die Nachprüfbarkeit erhalten bleibt. Wissenschaftliche Weiterbildung vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch die ‚Produktionsbedingungen‘ wissenschaftlichen Wissens. Ein anderer wichtiger Punkt liegt auf der Seite der Universität. Die meistens jüngeren WissenschaftlerInnen sehen sich in Weiterbildungsaktivitäten mit den Fragen und Problemen von Nicht-Fachleuten konfrontiert und müssen sich darauf einstellen, wenn sie nicht über die Köpfe der Leute hinweg reden wollen. Es kann also der Vermittlungsprozess nicht nur ein Prozess der Lehre von Wissenschaft sein, sondern er muss auch als ein Prozess des Lernens von Wissenschaft durch die TeilnehmerInnen reflektiert werden. Die Lehrenden müssen lernen, auch von den Lernenden her zu denken, von deren Alltagserfahrungen und Denkmustern her und müssen diese dann mit den wissenschaftlichen Denkformen konfrontieren. Es müssen die Voraussetzungen der TeilnehmerInnen mit reflektiert und der Inhalt der Wissenschaft methodisch daraufhin transponiert werden. Das ist kein leichtes Unterfangen, aber es erwies sich als falsch zu glauben, dass Wissen und Wissenschaft auf schnellem Weg gleichsam durch Knopfdruck zu transferieren sei. In den Seminarkursen ist eine besondere Didaktik entwickelt worden. Lern-Interessen sind zumeist eng verknüpft mit gesellschaftlichen Interessen, zum Beispiel Veränderungen und anstehende Innovationen im eigenen Berufsfeld oder Problemsituationen im sozialen Umfeld etwa der Familie. Von daher kann sich Didaktik nicht auf Belehren beschränken, sondern muss die Voraussetzungen und Bedingungen, die Interessen und Bedürfnisse des Lernens mit einschließen. Die Planung der Lehr- und Lernprozesse erfordert einerseits eine sorgfältige Methodik und andererseits eine geplante Offenheit, damit die Lernenden das Wort zu Diskussion, zu Frage und Kritik bekommen können. Das meiste von dem hat heute generell in die Didaktik der Erwachsenenbildung und der wissenschaftlichen Weiterbildung Einzug gehalten. Die Erfahrungen in den Seminarkursen haben jedenfalls in vielen Fällen als Muster gewirkt, um so etwas wie „Öffentliche Wissenschaft“ auf den Weg zu bringen.
Literatur Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung e.V. (AUE) (1985): Wissenschaftliche Weiterbildung als Transferstrategie. Zentrale Hochschuleinrichtungen als Institutionen der wissenschaftlichen Weiterbildung, Ab117
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schlusstagung des Projektes „Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung,. Hannover. Beyersdorf, Martin (Hg.) (1999): Zur Zukunft der – wissenschaftlichen – Weiterbildung. 30 Jahre Sekretariat für Seminarkurse – 20 Jahre Zentrale Einrichtung für Weiterbildung der Universität Hannover. Dokumentationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung, Hannover. Beyersdorf, Martin (2004): „Adults in German Higher Education“. In: Robin, Mark/Pouget, Mireille/Thomas, Edward: Adults in Higher Education, Learning form Experience in the New Europe, Oxford/Bern/Berlin/Bruxelles/Frankfurt a.M./New York/Wien. Beyersdorf, Martin (Hg.) (2005): Arbeitsbericht der Zentralen Einrichtung für Weiterbildung 2004, http://www.zew.uni-hannover.de/module-pagesetterviewpub-tid-14-pid-55.html Brokmann-Nooren, Christiane/Claßen, Karin/Schnieders, Rolf (1989): 15 Jahre Seminarkurse in Zahlen, Oldenburg. Brokmann-Nooren, Christiane (1991): „Siebzehneinhalb Jahre“ – Wissenschaftliche Weiterbildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg. Dikau, Joachim/Nerlich, Bruno P./Schäfer, Erich (Hg.) (1996): Der AUE an der Schnittstelle zwischen tertiärem und quartärem Bildungsbereich – Bilanz und Perspektive. Festschrift aus Anlass des 25jährigen Bestehens des AUE, Bielefeld. Faulstich, Peter (1982): Erwachsenenbildung und Hochschule, München. Kontaktstelle für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Oldenburg: (1978): Universität und Erwachsenenbildung. Abschlußbericht 19741977, Projekt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Informationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung, Heft 9. Oldenburg. Raapke, Hans-Dietrich/Skowronek, Helmut (1962): Seminarkurse – Die Mitarbeit der Universität an der Erwachsenenbildung, Mitarbeit von Horst von Gizycki und Joachim Leuschner, Hannover. Strzelewicz, Willy (1959): Seminarkurse. Die Mitarbeit der Universität an der Erwachsenenbildung. Ein Göttinger Bericht, Göttingen. Wiederabgedruckt: Göttinger Beiträge zur Universitären Erwachsenenbildung, Sonderheft 2/1985. Strzelewicz, Willy (1986): „Popularisierung in der Erwachsenenbildung als soziokulturelles Problem“. In: Ruprecht, H. et al.: Erwachsenenbildung als Wissenschaft, Weltenburger Akademie, S. 20-41.
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BERNHARD CHRISTMANN „Dazw ischen“. Intermediäre Institutionen und ihre Bedeutung für die w issenschaftliche Weiterbildung
1. Einleitung In zahlreichen Veröffentlichungen und hochschulpolitischen Empfehlungen wird die Weiterbildung als eines der zentralen Aufgaben- und Handlungsfelder der Hochschulentwicklung hervorgehoben. Implizit ist diesen Empfehlungen die Annahme, dass die Hochschulen als Ort der forschungsbasierten Wissensproduktion in besonderem Maße dazu befähigt und aufgerufen seien, dieses Wissen zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen bereit zu stellen. Wissenschafts- oder Wissenstransfer als erneuerte Form des Theorie-PraxisDialoges bedeutet hier, „wissenschaftliche Aktivitäten sowohl in Forschung als auch in Lehre auf gesellschaftliche Probleme zu beziehen“ (Faulstich 2005: 10). Die Prozesse und Verfahren von Forschung und Wissenschaft funktionieren jedoch nach immanenten Regeln, die u.a. eine Ablösung bzw. Distanz von unmittelbaren Verwendungs- und Verwertungszusammenhängen beinhalten. Einerseits ist also zu warnen vor der falschen Annahme, Ergebnisse von Forschung und Wissenschaft seien fertige Konzepte zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen. „Bei der Gegenüberstellung von Erwartungen an die wissenschaftliche Weiterbildung und umgekehrt ihrer Leistungsfähigkeit aufgrund der internen Besonderheiten der Wissensproduktion wird deutlich, dass nicht davon auszugehen ist, dass sich Wissenschaftsorientierung bruchlos in Praxisfelder übersetzten lässt. Transfer zwischen Wissenschaftsentwicklung und -anwendung ist ein komplexer Prozess“ (ebd.). 119
BERNHARD CHRISTMANN
Was andererseits bedeutet, dass dieser Transfer spezifischer Arbeitsweisen und Kooperationsformen bedarf, um damit die Differenz zwischen den nach unterschiedlichen Regeln agierenden Sphären zu ‚überbrücken‘ und somit den propagierten positiven Effekt dieser Vermittlung zu bewerkstelligen. Diese Funktion der Vermittlung wird – ganz allgemein – so genannten ‚intermediären Institutionen‘ zugeschrieben. Der Ausdruck ‚intermediär‘ bedeutet zwischen zwei Dingen, ein Zwischenglied bildend, dazwischen befindlich. „Intermediarität bezeichnet vermittelnde und koordinierende Aufgaben zwischen nicht in Kontakt befindlichen gesellschaftlichen Bereichen“ (Brödel 2004: 1). Aus dieser Zwischenlage begründet sich eine spezifische Vermittlungsaufgabe: „Intermediäre [als Personen oder Institutionen] arbeiten an den Grenzen unterschiedlicher sozialer Systeme. Sie übernehmen Schnittstellenfunktionen. Intermediäre gestalten Übergänge zwischen relevanten gesellschaftlichen Handlungsfeldern […]. Dieses ‚Dazwischensein‘ charakterisiert auch den Handlungsauftrag von Intermediären. Sie stellen Verbindungen her, sie vermitteln und vernetzen gesellschaftliche Kräfte“ (ebd.: 2).
Diese erste Rollenbeschreibung der Intermediäre verweist auch auf die Gefahr einer beliebigen oder gar inflationären Verwendung des Begriffs (Verbindungen herstellen, Vernetzungen aufbauen, Vermittlung gewährleisten usw. sind alltäglicher Sprachgebrauch) und wirft damit Fragen auf nach dem Spezifischen und Substanziellen von Intermediarität: Welche gesellschaftlichen Bereiche und Handlungsfelder sind nicht in Kontakt, sollten dies aber sein? Warum und zu welchem Zweck sollten Kontakt und Übergänge zwischen diesen Bereichen hergestellt werden? Wieso können diese Bereiche nicht selbständig in Kontakt treten, falls es einen Bedarf oder Sinn dafür gibt? Worum geht es bei dieser Vermittlung, was ist der Gegenstand des Intermediären? Warum bedarf es dieses vermittelnden Zwischengliedes, der Schnittstellenfunktion also des Intermediären als Aufgabe, Funktion oder gar Institution? Ist das ‚Dazwischen‘ aufgrund der spezifischen Ausprägung der zu vermittelnden Bereiche und des Gegenstandes dieser Vermittlung eine auf Dauer angelegte Funktion? Zur Klärung dieser Fragen werden in einem ersten Schritt an ausgewählten Beispielen Anlass, Zielsetzung, Struktur und Leistungen intermediärer Kooperationen verdeutlicht. Die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten dieser Beispiele werden herausgefiltert, um prägende und verallgemeinerbare Charakteristika intermediärer Institutionen benennen zu können. In einem zweiten Schritt wird dann der Versuch unternommen, diese Merkmale auf die Besonderheiten wissenschaftlicher Weiterbildung und die sie organisierenden ‚Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen‘ anzuwenden, um zu klären, 120
„DAZWISCHEN“. INTERMEDIÄRE INSTITUTION UND WISSENSCHAFTLICHE W EITERBILDUNG
inwieweit es sich auch hierbei um intermediäre Organisationen handelt bzw. handeln sollte. Abschließend wird nach der Zukunft des Intermediären speziell für die wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschule gefragt.
2. Wissenschaftstransfer als An f o r d e r u n g u n d P r o b l e m – B e i s p i e l e Beispiele, die im Kontext von Hochschule und Wissenschaft angesiedelt sind, verdeutlichen, die intermediäre Funktion des Wissenschaftstransfers. Die Einrichtung von Kooperationsstellen Wissenschaft Arbeitswelt (vgl. den Beitrag von Beyersdorf/Pape in diesem Band) basiert auf einem Anspruch an die Hochschulen als Institution, zur Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme beizutragen. „Mit der Einrichtung von Kooperationsstellen […] zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Wissenschaft eine gesellschaftliche Bringschuld gegenüber abhängig Arbeitenden hat und dass demzufolge arbeitnehmerbezogene Forschung ein eigenständiges wissenschaftliches Tätigkeitsfeld darstellt“ (Färber et al. 2003: 1).
Dabei geht es nicht darum, nur „punktuell zwischen Wissenschaft und Gewerkschaften Kontakte herzustellen, sondern einen langfristigen Prozess der Zusammenarbeit zu organisieren und zu moderieren, Wissenschaft und Praxis so miteinander zu vermitteln, dass ein reflexiver Prozess der Wissensgewinnung und Wissensaneignung entsteht“ (Kock 2002: 152).
Hierbei ist man sich der unterschiedlichen ‚Kulturen‘, gewachsenen Strukturen und Interessenlagen der Kooperationspartner bewusst, die im Prozess einer produktiven Zusammenarbeit zu beachten sind. „Die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft einerseits, der Praxis in Betrieben und Verwaltungen andererseits können und sollen dabei nicht aufgehoben werden. Ermöglicht werden soll jedoch eine Zusammenführung von wissenschaftlichem und praktischem Wissen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme.“ (Kock 2001: 2)
Bei der Kooperation zwischen akademischer Forschung und Industrie geht es ganz allgemein „um den Beitrag wissenschaftlich-technologischer Forschung zur Entwicklung zukunftsträchtiger technischer Innovationen und zur Sicherung wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit“ (Schulz-Schaeffer et al. 1997: 91). Das Ziel der Innovation durch Kooperation besteht darin, „Information aus unterschiedlichen Quellen zu nützlichem Wissen über Gestaltung, Her121
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stellung und Verkauf neuer Produkte und Prozesse zu verarbeiten und umzuwandeln“ (ebd.: 91). Die Notwendigkeit intermediärer Kooperation ergibt sich nun daraus, „dass das extern vorhandene innovationsrelevante Wissen einerseits nicht schnell genug unternehmensintern reproduziert werden kann, andererseits aber sein Nutzen nicht hinreichend genau bestimmbar ist, um es marktförmig austauschen zu können“ (ebd.: 98).
Als problematische bzw. hemmende Faktoren für diesen Transfer werden jedoch genannt (ebd.: 96): –
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dass weder der Zugang zum Stand der Forschung noch die anwendungsbezogene Adaption neuen generischen Wissens einfache Prozesse des Transfers und der Diffusion von Information darstellen, dass es häufig beträchtlicher Forschungskapazitäten bedarf, um Wissen, das öffentlich zugänglich gemacht worden ist, verstehen, interpretieren und abschätzen zu können, dass generell die Rezeption extern erzeugten Grundlagenwissens ein voraussetzungsreicher und kostenträchtiger Interaktionsprozess ist.
Im Kontext der Entwicklung so genannter Lernender Regionen (Überblick Faulstich/Zeuner 2001) wird von einem engen „Zusammenhang zwischen der Prosperität einer Region und der in ihr vorhandenen innovativen Milieus“ (Bootz/Scholz 2004: 5) ausgegangen und konstatiert, dass sich erfolgreiche Regionen „durch eine enge Kooperation zwischen Politik, Administration, Unternehmen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen“ auszeichnen, durch die „Synergien erreicht und Innovationen ausgelöst werden“ (ebd.). Die Erfahrung zeige jedoch, dass innovatorische Prozesse nicht mehr nur als technologische Input-output-Relationen wahrgenommen werden sondern als ‚eingebettet‘ in das regionale Zusammenspiel von Institutionen, Normen und Werthaltungen sowie ökonomischen Produktionsbedingungen. Damit wird zugleich unterstellt, „dass regionale Lernkulturen gestaltbar sind, dass gerade auf die bereits genannte spezifische Form der Verflechtung aller endogenen Faktoren bewusst Einfluss genommen werden kann“ (ebd.). Diese Befunde zeigen, dass Forschung in der Regel nur indirekt auf Innovationsprozesse einwirkt und Kooperationsbeziehungen mit externen Partnern dementsprechend nicht als triviale Prozesse des Transfers erfasst werden können. Die Kooperationsbeziehungen zwischen heterogenen (individuellen oder kollektiven) Akteuren mit jeweils eigenständigen und möglicherweise divergierenden Interessen, Zielen und Orientierungsmustern sind durch Erwar-
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„DAZWISCHEN“. INTERMEDIÄRE INSTITUTION UND WISSENSCHAFTLICHE W EITERBILDUNG
tungsunsicherheit gekennzeichnete und nur in geringem Maße formal organisierbare Austauschsituationen. Insgesamt verweisen diese Gegebenheiten auf die Notwendigkeit intermediärer Kooperation. Zu klären ist daher, wie intermediäre Kooperation strukturiert ist, d.h. welche charakteristischen Merkmale sie aufweist, die geeignet sind, trotz schwieriger Voraussetzungen den Transfer zu realisieren.
3. Merkmale intermediärer Kooperationsbeziehungen Die Kooperationsstellen Wissenschaft Arbeitswelt verstehen sich als intermediäre Einrichtungen, die sich systematisch zwischen den anderen regionalen Akteuren bewegen, um zu vermitteln. „Sie stellen Verbindungen zwischen den Akteuren her und halten sie aufrecht, sie machen die jeweiligen Handlungslogiken und Handlungskontexte der Akteure transparent, im Dialog arbeiten sie die Handlungsrelevanz von wissenschaftlichem Wissen einerseits, die theoretische Bedeutung konkreter Handlungskontexte andererseits heraus, organisieren Diskussionen über gemeinsame Ziele und den Austausch von Erfahrungen, initiieren und begleiten gemeinsame Projekte“ (Kock 2002: 159).
Diese intermediäre Rolle wird vor allem darin gesehen, dass Fachleute aus beiden Bereichen gemeinsam an Fragestellungen arbeiten, zu deren Lösung theoretische Überlegungen und praktische Arbeit jeweils für sich nicht in der Lage wären: „Dabei geht es uns […] um eine reflexive Organisation des gesamten Prozesses. Praktische Probleme sollen schon in die Erarbeitung der wissenschaftlichen Fragestellung einfließen. Der Forschungsprozess soll rückgekoppelt werden mit denen, über die geforscht wird. Die Ergebnisse sollen schließlich gemeinsam in praktische Problemlösungen umgesetzt werden, was wieder neue Fragestellungen aufwerfen könnte“ (Kock 2001: 1).
Auch die Lernagenturen sehen intermediäres Handeln als notwendige Bedingung, die erforderlichen Innovationen durch koordinierte Aktionen regionaler Akteure, gezielte Interventionen und die Moderation von Entscheidungsfindungen überhaupt zu ermöglichen. Intermediäres Handeln bzw. ‚Intermediäre‘ (als Personen oder Institutionen bzw. ‚Agenturen') werden „mit dem hohen Anspruch, regionale Lernkulturen zu verändern/zu gestalten, zu einem Schlüsselbegriff, der diesbezügliche Handlungsmöglichkeiten bzw. das Öff123
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nen von Handlungsräumen impliziert. Im Ergebnis wirken Intermediäre auf die Anschlussfähigkeit und Verknüpfung unterschiedlicher institutionaler Eigenrationalitäten hin“ (Brödel 2004: 10).
Typisch ist dabei, dass es sich um innovative Leistungen zur Schaffung von Kooperationsräumen handelt, die noch nicht als standardisierte Dienstleistungen in diesem Bereich oder in dieser Region etabliert sind (ABWF 2004). Hierzu versuchen die Lernagenturen über die Bereitstellung von Kommunikationsräumen, die Initiierung von Kommunikations- und Diskussionsprozessen die Bereitschaft zu einer intensiveren Zusammenarbeit zu wecken, um neuartige Lernansätze erproben zu können. Dabei erweitern diese Agenturen „die Rollenpalette klassischer Netzwerkmoderation durch folgende Punkte: – Einfluss nehmen auf die Zusammensetzung der Netzwerkteilnehmer – Themen und Innovationen einbringen – Netzwerkarbeit in regionale Zusammenhänge setzen – Wissen über Entscheidungsabläufe und -strukturen zur Verfügung stellen – Ergebnisse des Netzwerkes und ihre Umsetzungsmöglichkeiten werten“ (Jutzi 2004: 4).
Beim Wissenschaftstransfer zwischen Forschung und Industrie werden vier Merkmale der innovationsbezogenen Kooperation als besonders bedeutsam hervorgehoben (Schulz-Schaeffer et al. 1997: 99.): Informalität, Personengebundenheit, Vertrauensbasiertheit und Reziprozität: –
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Wenn intermediäre Kooperation jeweils dort entsteht, wo formal abgesicherte Strukturen der Handlungskoordination nicht greifen, so ist intermediäre Kooperation per definitionem informell. Persönliche Beziehungen sind offensichtlich geeignet, Erwartungsunsicherheit zu reduzieren, weil sich auf ihrer Basis Vertrauen und Reziprozität erzeugen lässt. Vertrauensbasiertheit verweist auf die gemeinsam geteilte Erwartung, dass für beide Seiten der langfristige Nutzen der Aufrechterhaltung der Kooperationsbeziehung den kurzfristigen Vorteil opportunistischen Verhaltens übersteigt. Reziprozität funktioniert als ein Verhältnis wechselseitiger Verpflichtung, das durch Vorleistungen und Gegenleistungen konstituiert wird. Stimmen die Kooperationspartner darin überein, dass sich die jeweiligen Leistungen im Durchschnitt ausgleichen, entsteht ein stabiles Reziprozitätsverhältnis.
„Alle diese Merkmale sind darauf ausgerichtet, Handlungserwartungen wechselseitig zu stabilisieren und gegen Enttäuschung abzusichern und wir vermuten, dass es 124
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im wesentlichen diese vier Merkmale sind, die die Struktur intermediärer Kooperation bestimmen.“ (ebd.)
4. Zwischenresümee: Intermediäres Handeln Begründet wird intermediäre Kooperation – – –
auf der gesellschaftlichen Ebene als Bringschuld der Hochschulen im Sinne einer allgemeinen Zukunftssicherung, auf der Gemeinwesenebene als Partizipation im Sinne der Entwicklung demokratischer und sozialer Strukturen der Gesellschaft, auf der ökonomischen Ebene als Notwendigkeit der Partizipation an wissenschaftlicher Erkenntnis im Sinne der Produktentwicklung und der Sicherung wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit.
Verbindendes Element dieser Erwartungs- und Forderungshaltung ist die angenommene spezifische Leistungsfähigkeit von Forschung sowie die aufgrund ihrer politischen und professionellen Verfasstheit grundsätzliche Öffentlichkeit von Prozess und Ergebnissen der Wissenschaft. Problematisiert wird intermediäre Kooperation auf den Ebenen – – –
unterschiedlicher Vorstellungen zu Fragestellungen, Zielsetzungen und Ergebnisverwertungen von Forschung, sich widersprechender professioneller Standards und kognitiver Orientierungsmuster der (potenziellen) Kooperationspartner, nichttrivialer Prozesse des Transfers und der Diffusion von Wissen.
Seriöse und zielorientierte Auseinandersetzungen mit diesen ‚trennenden‘ Merkmalen sind eine Bedingung der Möglichkeit fruchtbarer intermediärer Kooperation. Sinnvoll und notwendig ist intermediäres Handeln –
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auf der gesellschaftlichen Ebene als analysierende Tätigkeit zur Identifikation eines Bedarfs, der durch etablierte Institutionen und standardisierte Leistungen aufgrund deren Selbstverständnis und Kompetenz nicht befriedigt wird, auf der subjektiven oder personalen Ebene als vermittelnde und koordinierende Tätigkeit zwischen Personengruppen, die aufgrund kognitiver oder sozialer Prägungen oder gewachsener und beharrender Organisations125
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strukturen zur kooperativen Bearbeitung solcher Problemlagen eigenständig (bilateral) nicht in der Lage sind, auf der objektiven Ebene als analysierende und koordinierende Tätigkeit bezüglich des ‚Gegenstandes‘ der, in Form vorfindlicher Informationen, Wissensbestände und- formen sowie institutioneller Strukturen, zur Befriedigung des Bedarfs einer spezifischen Transformation und Vermittlung bedarf.
Der bezogen auf Strukturen eher informelle Charakter der Kooperation, die Pflege persönlicher Beziehungen zur Reduzierung von Erwartungsunsicherheiten, die durch Vertrauen basierte Gewissheit eines langfristigen Nutzens und die wechselseitige Verpflichtung von Leistung und Gegenleistung sind charakteristische Merkmale intermediärer Beziehungen. Das Spezifische intermediären Handelns ist somit gekennzeichnet durch die Eröffnung eines Handlungs- und Produktionsraumes, der sowohl den Gegenstand als auch die Akteure der Kooperation umspannt, und durch die Verbindung stiftende Vermittlung zwischen den Akteuren und der Akteure zu ihrem intermediären Gegenstand. Es geht also um „die Generierung intermediären Wissens durch ein grenzüberschreitendes Handeln“ (Brödel/Bremer 2002: 196).
5. Wissenschaftliche Weiterbildung als intermediäres Handeln Mit der wissenschaftlicher Weiterbildung wird an die Hochschulen seit geraumer Zeit ein Aufgabengebiet herangetragen, dem durch die Form der Lehre als Wissensvermittlung und dem Forschungsbezug als spezifisches Merkmal der Wissensproduktion eine hohe Affinität zu den Kernaufgaben der Hochschule unterstellt wird. Forschungsbezug wird durchgängig als das spezifische Merkmal hochschulgetragener wissenschaftlicher Weiterbildung und damit auch als Unterscheidung zu anderen Anbietern von Weiterbildung ausgegeben. Die spezifischen Anforderungen der wissenschaftlichen Weiterbildung im Hinblick auf Problem- und Nachfrageorientierung der Angebote, erwachsenengerechte Didaktik und einer auf Anwendungsbezug ausgerichteten Vermittlung führen zu vergleichbaren Schwierigkeiten der kooperativen Gestaltung dieses Transfer wie in den erläuterten Beispielen. Es ergeben sich daher spezifische Anforderungen an eine intermediäre Kooperation zur Realisierung von Angeboten wissenschaftlicher Weiterbildung. Die Handlungsebenen der Akteure wissenschaftlicher Weiterbildung, die man im Sinne der Ermöglichung des Transfer unter den beschriebenen Restriktionen auch als Interventionsbereiche deklarieren kann, beziehen sich 126
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zum einen darauf, „Gelegenheitsstrukturen für den Erwerb von Wissen und Können zu schaffen“ und zum zweiten wird mit diesen Interventionen in der Weiterbildung beabsichtigt, „die Wirksamkeit von Lehr- und vor allem Lernprozessen zu erhöhen“ (Weber 1996: 42). Zur Schaffung der Strukturen zählen die Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten, curriculare, zeitliche, organisatorische und didaktische Strukturierung der Programme, Bekanntmachung der Angebote, Regelungen des Zugangs und der Abschlüsse, Festlegung der Entgelte usw. Der Gewährleistung der genannten Prozesse dienen u.a. die Strukturierung des Curriculums nach lernpsychologischen Gesichtspunkten, die weiterbildungsdidaktische Beratung und Qualifizierung der Lehrenden, die Evaluation der durchgeführten Veranstaltung (ebd.). Hervorzuheben ist, dass beide Ebenen der Intervention, die Schaffung von Strukturen und die Gewährleistung von Prozessen, dem eigentlichen Prozess des Transfers, der Aneignung von Wissen in individuellen und kollektiven Lehr-Lern-Situationen und der Verwendung von Wissen in Arbeitszusammenhängen, vorgeschaltet sind bzw. ihn begleitend verlaufen. Intervention und Transfer sind die originären Handlungsfelder der wissenschaftlichen Weiterbildung. Ergänzt man die Interventionsbereiche um den der Forschung als wesentliche Voraussetzung der wissenschaftliche Weiterbildung, so kann man zusammenfassend feststellen, dass sich die hochschulgetragene Weiterbildung im Zusammenhang ihrer Institutionalisierung in verschiedene Kontexte ausdifferenziert hat (ebd.): die Produktion von Wissen (Erarbeitung durch Forschung, Rezeption und Konsolidierung), die Aufbereitung von Wissen (Planung und Realisierung von Weiterbildungsprogrammen in spezifischen Lernarrangements), die Vermittlung und Aneignung von Wissen (Lernprozess) und die Verwendung von Wissen. „Jeder dieser Kontexte stellt einen Handlungszusammenhang dar, der durch verschiedene Akteure mit spezifischen Interessen, Ressourcen und Orientierungen konstituiert wird“ (ebd.).
Die Durchdringung dieser Handlungsebenen durch die Beschäftigten der Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen ist in ihrer bisherigen Entwicklung und Professionalisierung in sehr unterschiedlichem Maße angegangen und realisiert worden. Damit unmittelbar verbunden ist die unterschiedlich ausgeprägte Schaffung intermediärer Beziehungen als notwendige Vermittlungsvoraussetzung.
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5.1 Weiterbildungsbedarf und -planung: Vermittlung zwischen unterschiedlichen Erwartungshaltungen Bei der Beantwortung der Frage nach dem Weiterbildungsbedarf, die eine Zielsetzung der Weiterbildungsveranstaltung ebenso intendiert wie die inhaltliche Gestaltung, stoßen die Weiterbildungsplaner nicht selten sowohl auf Seiten der Wissenschaftler als potenziell Lehrende als auch bei den Praktikern als potenziell Lernende auf spezifische, sich widersprechende Perspektiven und Erwartungshaltungen die in den jeweiligen Handlungszusammenhängen verwurzelt sind. Dies drückt sich sowohl aus auf der Ebene einer angemessenen Problembeschreibung als auch der daraus abgeleiteten Erwartungshaltung an die Problembehandlung. Berufstätige stehen in der täglichen Notwendigkeit, konkrete Probleme in je spezifischen Kontexten durch angemessene Anwendung von Wissen effektiv zu lösen, d.h. unter möglichst minimalem Einsatz jeder Art von Ressource. Beruferfahrung führt vor diesem Hintergrund zur Entwicklung von Handlungsroutinen, die unter kontinuierlicher Einbindung von neuem Wissen über längere Zeiträume erfolgreiches Handel garantieren können. Weiterbildungsbedarf entsteht, wenn durch weitergehende Veränderungen in der erforderlichen Wissensstruktur oder den organisatorischen Abläufen wesentliche Veränderungen eintreten, die diese Handlungsroutinen in erheblichem Maße außer Kraft setzen. Die Erwartungshaltung an eine ‚passende‘ Weiterbildung ist geprägt von der Vorstellung, die entstandene ‚Lücke‘ zu schließen und die erforderliche Handlungsroutine möglichst rasch wieder herzustellen. „Richtet man bei der Planung von Angeboten wissenschaftlicher Weiterbildung sein Suchsystem nun alleine auf solche ‚Passung‘ aus, dann geht ein wichtiges Potenzial verloren. Denn es ist unbestritten, dass Perspektivwechsel oder eine Vervielfachung von Perspektiven für die Bewährung in (komplexen) Handlungssituationen produktiv sind“ (Wittpoth 1996: 257).
Auf Seiten der Forschung und der Wissenschaftler wird dagegen nicht selten eine Beobachterrolle kultiviert, ohne in den Feldern, auf die sich ihre Forschungsarbeit bezieht, Erfahrungen als Handelnde erworben zu haben. Dies kann dazu führen, dass gegenüber den Problemlagen und Fragestellungen aus der beruflichen Praxis Unverständnis herrscht, denn aus der „Beobachterperspektive, die im Wissenschaftsbereich gepflegt wird, stellen sich viele solcher Probleme ganz anders dar, unter Umständen werden sie auch gar nicht oder nicht als Problem gesehen“ (ebd.). Hinzu kommt, dass differierende kognitive Orientierungsmuster der Kooperierenden in der Praxis zu Aushandlungsproblemen führen. So ist die Lo-
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yalität akademischer Wissenschaftler der eigenen Organisation gegenüber geprägt durch die Übereinstimmung mit der kognitiven und sozialen Matrix einer Forschungsgruppe bzw. einer ‚scientific community‘ im speziellen bzw. mit grundlegenden Normen und Reputationsregeln des Wissenschaftssystems im allgemeinen. In der sachlichen Dimension ist das akademische Ziel der Erlangung neuer und verallgemeinerungsfähiger wissenschaftlicher Aussagen dem der anwendungsspezifischen Entwicklung und Nutzung von Wissen in beruflichen Zusammenhängen entgegengesetzt. Diese Differenzen führen zur Entstehung „einer Kulturlücke oder eines Mangels an Verständigung selbst in solchen Interaktionen, die ein annehmbares Maß an Erfolg vorweisen können“ (Schulz-Schaeffer et al. 1997: 93). Weiterbildungsbedarf lässt sich also weder durch einen simplen Ist-SollVergleich bei Vertretern der Berufspraxis abfragen noch ist er durch die schlichte Bereitstellung von Forschungsergebnissen auch nur annähernd zu befriedigen. „Lernanlässe entstehen aus der Diskrepanzerfahrung zwischen vorhandenen Problemen und notwendigen Kompetenzen“ (Faulstich 2005: 42). Die Beschreibung dieses Weiterbildungsbedarfs ist ein eigenständiger Prozess der Analyse von Ursachen, Rahmenbedingungen und Einzelaspekten des beruflichen Kontextes, die zu veränderten Anforderungen an Beruftätige geführt haben oder auch prospektiv gesehen führen können. Ebenso erfordert die Suche nach anschlussfähigen Ergebnissen der Forschung zur Bearbeitung der aufbereiteten Problemlagen als auch die Einbindung dafür geeigneter Wissenschaftler ein aktives und zielorientiertes Vorgehen. Die Durchführung dieser Analysen sowie die Aufbereitung der Ergebnisse in Form von Problem-, Ziel- und Inhaltsbeschreibungen für ein Weiterbildungsprogramm, sind eine originäre Leistung der Beschäftigten der Weiterbildungseinrichtung. Je nach Ausprägung der Veränderung oder Neuerung in einem Praxisfeld wird eine solche Analyse durchaus Form und Umfang eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes annehmen. „Für den Wissenschaftsbetrieb resultieren daraus Anregungen, die etablierten Routinen zu überprüfen, um die immer wieder entstehende Kluft zwischen wissenschaftlicher Theorie und gesellschaftlicher Praxis zu schließen. Umgekehrt werden auf der anderen Seite die scheinbaren Selbstverständlichkeiten der Arbeitswelt und der Berufstätigkeit mit Fragen und Ergebnissen wissenschaftlicher Erkenntnis konfrontiert“ (Faulstich 1994: 180). Diesen ‚Perspektivwechsel‘ immer wieder zu betreiben ist also in erster Linie eine Anforderung an die Weiterbildungsplaner. Ihre Aufgabe besteht darin, Kommunikationsformen zu entwickeln, die solche Suchbewegungen möglich machen. Die Analyse weiterbildungsrelevanter Entwicklungen und Rahmenbedingungen in Kooperation mit Vertretern und Institutionen der Berufspraxis, die Vermittlung des so aufbereiteten Weiterbildungsbedarfs an potenzielle Lehrende, die daran orientierte kooperative Planung und Gestaltung von Weiter129
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bildungsangeboten sowie die auf Austausch und Dialog ausgerichtete Werbung von Teilnehmenden sind wichtige Ebenen des intermediären Handelns der Weiterbildungsexperten zur Entwicklung und Vermarktung von Angeboten.
5.2 Aneignung und Verwendung von Wissen: Vermittlung und Transformation Bezieht sich der Begriff der Intervention auf die Schaffung von Strukturen, die Angebote der Weiterbildung überhaupt ermöglichen und auf die Gewährleistung von Lehr-Lern-Prozessen, so bezieht sich der Begriff der Transformation in erster Linie auf Wissen. „Gemeint ist damit die Verwandlung und Neuschaffung von Wissen, also den aktiven Umgang und die Re-Interpretation von Wissen“ (Weber 1996: 43). An diesem Vorgang sind alle Akteure der Weiterbildung beteiligt: „die Lehrenden transformieren Wissen, wenn sie dieses vermittlungsfähig zurichten. Die Lernenden tun dasselbe, wenn sie es sich aneignen und wenn sie es in ihrem Arbeitszusammenhang nutzen“ (ebd.). Dies ist ein anspruchsvoller und voraussetzungsreicher Prozess. Wissensproduktion durch Forschung ist im herkömmlichen Verständnis eine komplexe Verbindung von Ideen, Methoden, Normen, Praktiken, Instrumenten und institutionellen Voraussetzungen. Sie ist aus der Suche nach allgemeingültigen Erklärungsprinzipien hervorgegangen und ist typischerweise in wissenschaftlichen Disziplinen mit ihren disziplininternen kognitiven und sozialen Hierarchien organisiert. Forschungsprobleme werden meist stark durch die Interessen der jeweiligen akademischen Gemeinschaft von Spezialisten bestimmt. Wissenschaftliches Wissen unterscheidet sich daher von anderen Arten des Wissens „durch den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Im Gegensatz zum Erfahrungswissen, das an die Person sowie an die jeweilige Situation vor Ort gebunden ist, kann wissenschaftliches Wissen von verschiedenen Akteuren in verschiedenen Zusammenhängen angewandt werden“ (Kock 2002: 146).
Aufgrund der spezifischen Form seiner Produktion ist es kontextabstrahiert und erst einmal die Antwort auf eine wissenschaftsimmanent gestellte Frage. Es gibt also keine direkte ‚Passung‘ zwischen diesem Wissens und einem in anderen gesellschaftlichen Sphären bestehenden Anforderung. Berufspraktische oder alltagspraktische Kompetenz besteht u.a. darin, wissenschaftliche Wissensbestände auf konkrete Problemlagen anwenden zu können. Dies erfordert zuerst eine Erfassung des Problems in seinem spezifischen Kontext, der prägend für die Problemlage ist. In der Anwendung auf 130
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diese Problemlage erfährt das wissenschaftliche Wissen eine Kontextualisierung im Sinne der Lösung eines spezifischen Problems. Dieser Transfer ist die originäre Leistung dessen, der das Wissen anwendet. Diese Differenz zwischen ‚Theorie und Praxis‘ lässt sich nicht auflösen; für die wissenschaftliche Weiterbildung bedeutet dies „den Spagat zwischen forschungsbasierter (und daher angebotsorientierter) Expertise und flexibler nachfrageorientierter Weiterbildungskompetenz“ (Pellert/Cendon 2005: 228) zu bewältigen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Lernen und Anwenden: „Lernen ist die Aneignung von Möglichkeiten erweiteter Weltverfügung; Anwenden erfordert Umsetzung in gegebenen, aber gestaltbaren Rahmenbedingungen. Der Erfolg von Weiterbildungsbemühungen steigt in dem Maße, wie es den Teilnehmern gelingt, die im Lernen erworbenen Kompetenzen im Handeln in Alltagskontexten und Arbeitssituationen umzusetzen und anzuwenden.“ (Faulstich 2005: 41)
Wenn also Lernen keine passive Aufnahme von ‚Stoff‘ ist, sondern aktives Herstellen von Wissen, dann hat Lehren die Aufgabe, Lernen von Wissen zu vermitteln. Durch diesen Fokus auf Wissen als Thema des Lernens stellen sich die Besonderheit des andragogischen Handelns dar als (vgl. zum Folgenden: Faulstich 2002: 7): –
– –
Vermittlung von Lernen, indem die Selbsttätigkeit der Lernenden ausgehend von ihren Intentionen bei der Bearbeitung der Themen eingebracht werden kann, Form des sozialen Handelns, da es sich immer am Handeln anderer orientiert, gleichberechtigtes Handeln der Interaktionspartner.
Hauptaufgabe der Lehrenden ist insofern, „die Distanz zwischen Thematik und Adressaten zu überbrücken, zwischen Lerngegenstand und Lernendem zu vermitteln“ (ebd.), was die intermediäre Position der Lehrenden deutlich hervortreten lässt. Da Lehrende an Hochschulen mit einer solchen Sicht auf Wissen, Lernen und Anwenden nicht vertraut sind, ist es Aufgabe der Beschäftigten der Weiterbildungseinrichtung, die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Prozess des Lernens und Anwendens gemeinsam mit den Lehrenden zu gestalten. Es ergibt sich also eine weitere intermediäre Vermittlungsebene, in der die Weiterbildungsplaner gemeinsam mit den Lehrenden ausgehend von den Ergebnissen der Bedarfsanalyse die inhaltliche und didaktische Gestaltung der Weiterbildungsveranstaltung erarbeiten. Ist die intermediäre Position der Lehrenden die zwischen Thematik und Lernenden so ist in diesem (vorgeschalteten) 131
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Prozess die intermediäre Position der Weiterbildungsexperten die zwischen Weiterbildungsbedarf und Weiterbildungsveranstaltung einerseits und den Lehrenden andererseits: diese sollen in die Lage versetzt werden, ihre Forschungsergebnisse adressatengerecht (also inhaltlich und didaktisch) aufbereitet in den Vermittlungsprozess einbringen zu können. Es ergeben sich mehrfach verschränkte Perspektiven eines Analyse-, Reduktions- und Vermittlungsprozesses, in den die Weiterbildungsexperten und die Lehrenden mehrfach intermediär eingebunden sind. Mit der prozessbegleitenden Qualitätssicherung durch Evaluation ergibt sich als eine weitere intermediäre Ebene die der Überprüfung und Bewertung von Intentionen, Zielen, Inhalten und Gestaltung der Weiterbildung und zwar aus der jeweiligen Perspektive aller Akteure; intermediär ist dieser Prozess insofern, als mit den Schlussfolgerungen aus seinen Ergebnisse eine mögliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Ergebnis der Weiterbildung verbessert werden kann und zwar in Kooperation mit Lehrenden und potenziellen Teilnehmenden.
5.3 Verschränkung von Weiterbildung und Forschung: Intermediäre Produkte Der bisher geschilderten Praxis der wissenschaftlichen Weiterbildung liegt trotz aller Anstrengungen und Erfolge einer problemgerechten intermediären Gestaltung der Angebote ein eher hochschulzentriertes Wissenschaftsmodell zugrunde. Die Hochschule gilt in dieser Annahme als wichtiger, in einzelnen Fachbereichen als ausschließlicher Ort der Wissenschaftsproduktion. Auch die Form der Weiterbildung und damit der Wissensvermittlung und des Transfers ist selbst unter Beachtung und Umsetzung wichtiger erwachsenendidaktischer Prinzipien überwiegend traditionell. Zur Zeit ist jedoch zu beobachten, „dass sich die konventionelle Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft einerseits und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft andererseits durch neue Kommunikations- und Kooperationsmuster auflösen“ (Faulstich 2005: 7). Die Prozesse der Wissensproduktion, -verteilung und -anwendung lösen sich aus den überkommenen Strukturen und erfolgen zunehmend in interdisziplinären und institutionsübergreifenden Zusammenhängen. In der Folge „treten gemeinsame Lernprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis in den Mittelpunkt des Interesses“ (ebd.), womit auch Impulse für eine Entwicklung der Arbeitsweise der wissenschaftlichen Weiterbildung als „Strategie des reflexiven Transfers“ (ebd.) beschrieben sind. Damit kommt eine bisher in der wissenschaftlichen Weiterbildung wenig genutzte Form von Wissensproduktion und -transfer in den Blick: die der kooperativen Projekte. Möglich sind z. B. „kleinere Forschungs- oder Entwick132
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lungsprojekte, die aus der wissenschaftlichen Weiterbildung entstehen und mit den Praktikern selbst in ihren Handlungszusammenhängen durchgeführt werden“ (Wittpoth 1996: 257). Eine weitere Möglichkeit wäre, in Weiterbildungsprogramme Forschungskomponenten systematisch einzubauen, und zwar in einem größeren Umfang als dies üblicherweise im Rahmen von Abschlussarbeiten möglich ist (Weber 1996: 50). Projektarbeiten im Rahmen des Weiterbildenden Studiums, die eine entwicklungsrelevante Problemstellung aus dem beruflichen Umfeld der Teilnehmer aufgreifen und unter wissenschaftlicher Anleitung bearbeitet werden, ermöglichen gleichermaßen die Bearbeitung forschungsrelevanter Aspekte als auch die Aneignung neuen Wissens durch die Teilnehmer und dessen Transfer in die Praxis. Konkret wird diese durch Aushandlungsprozesse geprägte Zusammenarbeit am Beispiel des Transfers Wissenschaft Industrie durch die Erstellung und Modifikation von Prototypen, wobei hier nicht nur der Prozess als intermediär bezeichnet wird sondern auch das hierin gemeinsam entwickelt Produkt (vgl. im Folgenden Schulz-Schaeffer et al. 1997: 108). In der Kooperation zwischen akademischer Forschung und Industrie sind Prototypen zugleich konkretisierte Konzepte und abstrakte Produkte. Dadurch eröffnen sie sowohl dem akademischen wie dem industriellen Partner die Möglichkeit, die Kooperation auf der Basis der jeweils eigenen, akademischen bzw. industriellen Forschungsorientierung zu bewerten. Dies aber ist die Voraussetzung dafür, hinsichtlich der jeweiligen Innovationsbeiträge zu übereinstimmenden Bedeutungszuweisungen zu gelangen, und damit die Voraussetzung intermediärer Kooperation auf der Basis reziproken Austauschs. Prototypen sind in dem Sinne intermediäre Produkte, als sie sowohl der akademischen wie auch der industriellen Forschungsorientierung bestimmte Spielräume offen lassen. Einerseits bezieht die Prototypenentwicklung noch nicht den vollen Umfang der Variablen ein, der für die endgültige Produktreife erforderlich ist, und trägt damit dem akademischen Forschungsinteresse an den grundlegenderen Funktionszusammenhängen einer neuen Technologie Rechnung. Andererseits aber muss die Entwicklung hinreichend viele Parameter berücksichtigen, so dass es möglich wird, zukünftige Anwendungspotenziale abzuschätzen und ein Bild der Anforderungen an die weitere Produktentwicklung zu erlangen. Eine derart verstärkte „Verschränkung der Weiterbildung mit der Forschung […] führt dazu, dass das Aufgabenfeld in der Weiterbildung insgesamt anspruchsvoller wird“ (Weber 1996: 51). Die Weiterbildungsexperten schalten sich über die Entwicklung relevanter Themenstellungen aktiv in den Prozess der Vermittlung zwischen Forschung und Weiterbildung ein. Die Anforderungen an Kooperationsbeziehungen werden anspruchsvoller, es gilt „Organisationen auf Zeit zu etablieren sowie Kommunikation und Interaktion zwischen unterschiedlich strukturierten Systemen zu ermöglichen“ (ebd.), mit 133
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anderen Worten, intermediäre Strukturen zu schaffen und professionell zu organisieren.
6 . Au s b l i c k Wissenschaftliche Weiterbildung ist keine einfache Brücke, welche die ‚Lücke‘ zwischen Praxis und Wissenschaft elegant schließen könnte. Sie ist vielmehr ein voraussetzungsreicher und kontinuierlicher Prozess der sorgfältigen Analyse von weiterbildungsrelevanten Entwicklungen in Praxis und Wissenschaft und deren Vermittlung zu forschungsgeleiteter Wissensproduktion. Wissenschaftliche Weiterbildung entsteht in Netzwerken und kooperativen Arbeitszusammenhängen, die in aller Regel erst einmal aufgebaut werden müssen. Die Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen sind intermediäre Institutionen. Sie sind dies nicht per Definition sondern durch ihr Handeln und ihre intermediäre Vermittlung zwischen den sachlichen Ebenen des Bedarfs, der Gestaltung und des Transfers von Wissen als intermediärem Produkt und den persönlichen Ebenen der beteiligten Akteure. Ihre ‚Partner‘ im engeren Sinne sind Wissenschaftler als Wissensproduzenten und Lehrende und die Lernenden als ‚Suchende‘ und Anwender neuen Wissens. Die zuletzt als problematisch beschriebene Situation der ‚Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen‘ (Beyersdorf 2005), ergibt sich aus ihrer faktischen Stellung im System Hochschule, dessen spezifische Produktionsbedingungen von Wissenschaft sie zwar mit dem Ziel eines Transfers intermediär zu wenden versuchen, denen sie aber selbst weitgehend äußerlich geblieben sind. Die immer wieder propagierten bildungswissenschaftlichen Aufgaben der Bedarfsanalyse, der Curriculumentwicklung, der erwachsenengemäßen Didaktik und der Evaluation, die neben ihrer originären Funktion der Entwicklung und Durchführung von Weiterbildungsangeboten auch – und sei es nur aus strategischen Gründen – ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Reputation im eigenen Hause erbringen könnten, fallen nicht selten dem Übermaß an zu bewältigenden organisatorischen Aufgaben zum Opfer. Darüber hinaus steht die Praxis der wissenschaftlichen Weiterbildung angesichts der aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen, die mit dem ‚BolognaProzess‘, der Ökonomisierung, der zunehmenden Autonomie und der wissenschaftlichen Profilierung (Exzellenz) der Hochschulen schlaglichtartig umrissen sind, vor großen Herausforderungen. Der nicht zuletzt in diesem Zusammenhang anstehende Entwicklungsund Forschungsbedarf in der wissenschaftlichen Weiterbildung (Faulstich 2003: 88) ist eine originäre Aufgabe der Einrichtungen für Weiterbildung, die sie jedoch angesichts ihrer aktuellen Situation nicht alleine bewältigen kön134
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nen. Notwendig und sinnvoll sind Forschungsverbünde und Netzwerke, die sich aus Einrichtungen für Weiterbildung und ausgewiesenen Forschungsinstituten der Erwachsenenbildung rekrutieren. Kooperative Entwicklungs- und Forschungsaktivitäten im Kontext der Aufgaben wissenschaftlicher Weiterbildung erweitern das Spektrum intermediärer Kooperationen um eine wesentliche und zukunftsweisende Komponente; sie schärfen das Profil der Einrichtungen für Weiterbildung als eigenständige aber integrale Institution der Hochschule.
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BURKHARD LEHMANN Public Science Remote – ode r Popw issenschaft aus de r Fe rne?
Unser blauer Planet, WAS IST WAS mit Professor Haber oder die Sendung Querschnitte mit Hoimar von Ditfurth hat ein Millionenpublikum gebannt im Fernsehsessel verfolgt. Es war nicht nur Zeuge sondern zugleich Adressat und Nutznießer einer Popularisierung der Wissenschaften mit Hilfe telemedialer Möglichkeiten, die das Fernsehen bot. Das Genre der Popularisierung ist insofern keineswegs neu und auch nicht der Versuch, Bürgern, die nicht mit der Wissenschaft und ihren Verfahrensweisen umgehen bzw. vertraut sind, in deren Denkweisen, Ergebnisse und Entdeckungen einzuführen. Neu ist, dass wir es gegenwärtig mit einem ausgeprägten Trend zur Popularisierung der Wissenschaften zu tun haben. Man ist fast schon geneigt, von einer Art „Popkultur der science“ zu sprechen. „Von ‚Abenteuer Wissen‘ über ‚Galileo‘ bis hin zu ‚W wie Wissen‘ kann der interessierte Fernsehzuschauer von einer Wissenschaftssendung zur nächsten zappen“ (Hof 2005: 13). Magazine und Buchreihen vermitteln alltagstauglich aufbereitete Einblicke in die Welt des wissenschaftlichen Wissens (das Magazin Zeitwissen der Wochenzeitung Die ZEIT, das Magazin Wissen der Süddeutschen Zeitung – als „Oldie“ unter den Populärmagazinen hinlänglich bekannt ist die Psychologie Heute) und in Veranstaltungszyklen wie das „Jahr der Physik“, „der Chemie“ oder das „Einsteinjahr“ werden dem Laienpublikum Einsichten in das leben des Elfenbeinturms gewährt. Verstärker dieses Trends waren u. a. die TIMSS- und auch die PISA-Studie. Vor allem die im internationalen Vergleich festgestellten schwachen Leistungen von Schülerinnen und Schülern deutscher Schulklassen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern haben eine regelrechte Popularisierungswelle ausgelöst. Kinderuniversitäten (vgl. den Beitrag von Brockmann-Nooren in diesem Band) und ähnliche Projekte sollen bereits
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die Kleinen an wissenschaftliches Denken heranzuführen, ihre Neugier und den Forscherdrang wecken. Dass das Thema inzwischen auch die Erwachsenenbildung erreicht hat, belegt die von Conein et al. (2004) vorgelegte Arbeit zu „Erwachsenenbildung und die Popularisierung von Wissenschaft“. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Popularisierungswelle mit leichter zeitlicher Verzögerung nun auch bei der wissenschaftlichen Weiterbildung angekommen ist, in deren Rahmen Fernstudium und E-Learning bedeutende Vermittlungsformen sind (Bloh/Lehmann 2005). Die Kernfrage allerdings ist, ob sich gerade die wissenschaftliche Weiterbildung mit ihren Formvarianten einem Genre bzw. einer Aufgabe annehmen sollte, die von den Medien bisher offenbar mit Erfolg in Angriff genommen wurde.
1. Fernlehre Das Fernstudium hat schon lange die Schmuddelecke verlassen, in die es gestellt worden war und hat sich in der Etage arrivierter Vermittlungsformen eingenistet (Russell 2001). Es steht gleichberechtigt neben der traditionsreichen Präsenzlehre und wird von einer Vielzahl von Menschen mit Erfolg in Anspruch genommen. Man kann sogar sagen, dass die Fernlehre gegenwärtig eine bemerkenswerte Konjunktur hat und davon profitiert, dass digitale Bildungsmedien, die unter dem Label E-Learning firmieren, zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Nah- und Fernunterricht führen (Tait/Mills 1999; Ó Súilleabháin 2004). Um es vorweg zu sagen: nicht jeder Einsatz von E-Learning ist gleichbedeutend mit Fernlehre und diese ist nicht zwingend die Vorform technologiegestützten Lehrens und Lernens, auch wenn es manchmal so scheinen mag. Angesichts der ausgeprägten Konjunktur von Fernstudium und E-Learning geht es heute an vielen Stellen weniger darum, die Leistungsfähigkeit und Ebenbürtigkeit des Fernstudiums gegenüber Skeptikern und face-to-face-Apologeten unter Beweis zu stellen, als vielmehr darum, denkbare Überschätzungen bzw. Überbewertungen des Fernstudiums abzuwehren, die dem Konzept der Fernlehre eher schaden als nützen. Die Reduktion der Aneignung von Wissen auf die Lektüre von vorgeblich sorgsam didaktisierten (Fernlehr-) Materialien ist kein Ersatz für eine 90-minütige Vorlesung oder ein klassisches Oberseminar. Lesen und Schreiben, das im Fernstudium dominiert, konkurriert nicht mit Diskutieren, Zuhören und Üben. Und nicht jeder, der sein Wissen erweitern möchte, ist in der Fernlehre gut aufgehoben. Die häufig benutzte Grobformel, dass das Fernstudium ein selbstgesteuertes Lernen sei (wobei manchmal noch konzidiert wird, dass es sich um ein angeleitetes Selbststudium handelt), unterschlägt nur all zu leicht die Tatsache, dass 138
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Selbststeuerung eine hoch voraussetzungsreiche Kompetenz beschreibt, die längst nicht ubiqitär unterstellt werden kann und zumeist mühevoll erarbeitet werden muss (Friedrich 1999). Das spricht keinesfalls gegen das Fernstudium als Vermittlungsform, wohl aber gegen mögliche Omnipotenzphantasien, die mit ihm verbunden werden. Das Fernstudium hat stets einen definierten Zweck und eine wohl umrissene Zielgruppe. Unter diesen Voraussetzungen entfaltet es ein enormes, undispensierbares Potenzial. Und diese Potenzial liegt vor allem im Bereich der Weiterbildung, die hier – argumentationstechnisch – auf die wissenschaftliche Weiterbildung eingeschränkt werden soll. Das Fernstudium selbst ist keine wissenschaftliche Weiterbildung; es ist lediglich eine Form, in der sie angeboten wird. Diese Behauptung gilt in gleicher Weise für E-Learning. Auch E-Learning beschreibt keine Weiterbildung, es ist lediglich die Bezeichnung für den Einsatz digitaler Bildungsmedien, in welchem Bereich auch immer. Das Fernstudium als eine bedeutsame Formvariante des Lehrens und Lernens für spezifische Adressatengruppen verhält sich gegenüber den vermittelten Inhalten weitgehend neutral. Was mit seiner Hilfe transportiert wird oder werden kann, ist in keinem Handbuch nachzulesen, steht auf keinem Beipackzettel oder einer Gebrauchsanweisung. Trotzdem gibt es in formaler Hinsicht gewisse Inhalts-Affinitäten. Das heißt, das Fernstudium weist eine Art Wahlverwandtschaft zu allen „Textwissenschaften“ auf. Alles, was in schriftlicher Form kommuniziert und distribuiert werden kann, ist im Grundsatz fernstudiengeeignet. Das liegt daran, dass das Trägermedium dieses Studiums auch heute noch das schriftliche Lehrmaterial ist, das im Fernstudienjargon zumeist als Fernstudienbrief bezeichnet wird. Technische Disziplinen können zwar grundsätzlich auch transportiert und vermittelt werden, bedürfen aber naturgemäß der extensiven Ergänzung durch Praktika, Übungen etc. Daran hat auch das Aufkommen digitaler Bildungsmedien bislang wenig geändert. Die verfügbaren Simulationen oder „Remote-Laboratories“ sind zwar ambitionierte Versuche, aber längst kein vollwertiger Ersatz für die Invivo-Übungen im Labor. Was zumindest fehlt, ist der stechende Geruch, der entsteht, wenn im Chemielabor Buttersäure entweicht und die Nasenschleimhaut traktiert. Man mag ja einwenden, dass dieser Geruch einen verhältnismäßig geringen Erkenntniswert hat, der Erfahrungswert ist indessen unschätzbar und bislang nicht in Form von Bits und Bytes zu haben.
2 . „ Al l e n M e n s c h e n a l l e s l e h r e n “ w i e d e r e n t d e c k t Der Diskurs um die Teilhabe an wissenschaftlichem Wissen, so aktuell er auch erscheinen mag, ist keineswegs neu (Beitrag von Daum in diesem Band) 139
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und hat in Johann Amos Comenius gewissermaßen einen prominenten Vorläufer. Schon vor mehr als 400 Jahren stellte er die Forderung auf, „allen Menschen alles lehren“ (1992). Ein solcher Universalitätsanspruch schließt selbstverständlich die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens mit ein. Vielleicht konnte Comenius diesen ambitionierten Anspruch, der geradezu tollkühn klingt, auch nur deshalb formulieren, weil das Universum des verfügbaren Wissens seiner Zeit eher relativ überschaubar war und es vor allem darauf ankam, die sozial definierten Schranken des Zugangs zum Wissens zu überwinden. Spätestens jedoch seit der Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems gerät der Anspruch unter Druck. Nicht jeder kann mehr alles wissen und mehr noch: Wissenschaft, so scheint es, tritt der Lebens- bzw. Alltagswelt als eine Art von Fremdkörper gegenüber, abgeschottet in den Mauern eines so genannten Elfenbeinturms. „Wir fühlen“ – schreibt Wittgenstein in seinem Tractatus – „daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind“ (1977: 114). Ähnlich äußert sich Husserl in seiner berühmten Abhandlung über die „Krisis der europäischen Wissenschaften“ (1976). Einem solchen empfundenen Verlust der Lebensbedeutsamkeit der Wissenschaften widersprachen auf der anderen Seite jene wissenschaftlich induzierten Innovationen, die gerade am Beginn des industriellen Zeitalters das Gesicht der Gesellschaft nachhaltig veränderten. So war es gerade im 19. Jahrhundert „der Aufstieg der Naturwissenschaften und die damit einhergehende Umsetzung des neuen Wissens in technischen Neuerungen, die zur großen Herausforderung für die Zeitgenossen wurden. Die Konfrontation mit dem Neuen erfolgte damals um so unvermittelter, als Bildungsniveau und Vorkenntnisse weit niedriger und geringer waren als im ausgehenden 20. Jahrhundert und die bevorstehende oder erfolgende Umgestaltung der Welt um so radikaler erscheinen musste“ (Schwarz 1999). Es entstand das Vermittlungsproblem, für das eine angemessene Lösung gefunden werden musste. Das Mittel der Wahl bestand in der Methode der Popularisierung von Wissenschaft gleichsam als Form einer besonderen Kommunikationsstrategie: „Das Mittel, mit dem eine möglichst große Zahl von Menschen erreicht und mit den Veränderungen in Naturwissenschaften und Technik vertraut gemacht werden sollte, war die Popularisierung“ (Schwarz 1999). Wie Simon schreibt, hat man auf diese Weise „erfolgreich die Dampfmaschine und die Wirkung der Schutzimpfung erläutert. So hat Alexander von Humboldt in der Singakademie der wissensdurstigen Berliner Bevölkerung die Wunder der fremden Länder und Kontinente beschrieben“ (Simon 2001).
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Ein Vermittlungsproblem ganz anderer Art intonierte in den 1960er Jahren die studentische Protestbewegung. Unter dem Label „Demokratisierung der Wissenschaft“ klagte sie erneut das Popularisierungsmotiv ein und verband damit die Vorstellung, dass Wissenschaft als gesellschaftliche Veranstaltung sich nicht nur den demokratische Spielregeln als Institution zu unterwerfen habe, sondern dass ihre Ergebnisse gleichsam allen gehören sollen. Diese mit Vehemenz vorgetragene Forderung beruhte letztlich auf einem Missverständnis, denn wie Mittelstraß schreibt, ist Wissenschaft demokratisch und undemokratisch zugleich. Undemokratisch ist sie in dem Sinn, dass ihre Ergebnisse nicht zur Abstimmung stehen und über Fragen der Wahrheit nur nach definierten Regeln entschieden wird. Demokratisch ist sie als Teil einer demokratischen Gesellschaft, „weil sie ebenso wie demokratische Verfassungen im politischen Raum durch gleiche Freiheiten definiert ist, vor allem durch die Freiheiten der wissenschaftlichen Fragestellung, der Methodenwahl, der Theoriewahl und der öffentlichen Verbreitung“ (Mittelstraß 2001).
Eine freie Wissenschaft zu befreien ist ebenso wenig möglich wie deren Verfahren und Ergebnisse der Erkenntnisgewinnung zu einem Akt von Wahlen zu machen. In den Zeithorizont der Protestbewegung fällt zugleich der von Strzelewicz propagierte Ansatz, der „Popularisierung als Vermittlung des wissenschaftlichen Denkens und Forschens in der Erwachsenenbildung“ (Strzelewicz 1960). Strzelewicz sieht sich als Teil einer aufklärerischen Tradition, die, getragen vom Glauben an die Vernunft, in der Teilhabe an Wissenschaft die Fortsetzung eines Prozesses sieht. Das Topos der Aufklärung ist aber selbst fragwürdig geworden und kann kaum mehr dafür herhalten, Popularisierung anzuleiten im Sinne einer Teilhabe an wissenschaftlichem Wissen. Was bleibt ist das dumpfe Gefühl, dass den Mitgliedern einer auf Technik und Wissenschaft gegründeten Gesellschaft die Einsicht und das Verständnis in die elementaren Bausteine der Sozietät fehlt und eine Art von Geisteselite sich immer weiter vom Alltagsverstand entfernt. Letztlich ist dies ein Problem von „In- und Exklusion“, wie man in Terms der Systemtheorie formulieren könnte. Inwieweit eine solche Vermutung zutrifft, müsste empirisch ergründet werden.
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3. Zur Methode der Popularisierung Popularisierung ist nicht unbedingt „Gottschalkisierung“ der Wissenschaften, wie man angesichts des gegenwärtigen Trends meinen könnte. Sie besteht nach Auffassung von Simon in einem „Verstehenskonzept. Die wissenschaftlichen Sachverhalte sollen möglichst schlicht dargestellt werden, so dass sie auch ein Laie verstehen kann. Wissenschaftliches Wissen soll in alltägliche Sprache und alltägliche Verständlichkeit transformiert werden. Was in diesem Zusammenhang Verstehen bedeutet, wird meistens nicht weiter reflektiert. Man hofft, daß sich bei Einhaltung bestimmter Regeln das Verstehen selbständig einstellt. Diese Regeln lassen sich leicht lernen. Es sind kurze Sätze zu bilden und sauber definierte Begriffe zu verwenden. Fremdwörter sollen möglichst vermieden, die Fachterminologie entweder erläutert oder ausgeblendet werden. Keine mathematischen Formeln anschreiben, keine Referate über Kontroversen und keine unnötigen Problematisierungen vortragen. Einfach und klar“ (Simon 2001: 4).
Der anempfohlene Sprachstil ist nur eine der Maßnahmen zur Popularisierung – man könnte auch sagen, zur mundgerechten Aufbereitung des wissenschaftlichen Wissens. Mit Blick auf das angloamerikanische Konzept des „Public Understanding of Science“ gibt es ein ganzes Repertoire von Vorschlägen, das dem angestrebten Zweck dienen soll: – – – – – – – – – – – – –
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„öffentliche Vorlesungen Volkshochschulkurse Schulklassen-Patenschaften von Wissenschaftler Tage der offenen Tür Wissenschafts-Straßenfeste/-Ausstellungen/-Festivals Wissenschafts-Theater/-Comedy Förderung von Wissenschaftsmuseen, Science-Centers Preise für populäre Wissenschafts-Kommunikatoren (Wissenschaftler und/oder Journalist) Konsensuskonferenzen Trainingsprogramme oder Praktika für Wissenschaftler Trainingsprogramme oder Praktika für Journalist Verbesserung der Öffentlichkeits- und Pressearbeit wissenschaftlicher Einrichtungen Begleitforschung“ (Göpfert 2004: 184).
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Die Erwachsenenbildung, die sich der Aufgabe der Popularisierung der Wissenschaften verschrieben hat, will offenbar nicht nur Dolmetscher sein. Sie versteht unter Popularisierung einen Akt der Transformation. „In dem Prozess der popularisierten Verbreitung eines als objektiv und dauerhaft angenommenen wissenschaftlichen Wissens fungiert die Erwachsenenbildung/Pädagogik nicht nur als unselbständiges Mittel, sondern zugleich als (Neu-)Produzent von Wissen; und zwar, was seinen kognitiven Inhalt angeht ebenso wie im Hinblick auf seinen Objektivitätsanspruch“ (Kade/Seitter 2002: 32).
Daran könnte grundsätzlich auch wissenschaftliche Weiterbildung anschließen, die, – und das mag ein Vorteil sein – einen unmittelbaren Zugang zu den Quellen und Produktionsstätten des wissenschaftlichen Wissens herstellen kann.
4 . Ak a d e m i s c h e s L i f e - L o n g - L e a r n i n g Fernstudium und E-Learning sind grundsätzlich Aspiranten, die in den Dienst der Popularisierungsaufgabe gestellt werden können, Teilhabe an Wissenschaft für ein interessiertes Publikum im Segment der Weiterbildung zu betreiben. Die Vereinnahmung für ein bildungspolitisches Motiv ist der Fernlehre keineswegs fremd. Insbesondere die Gründung von Fernuniversitäten ging stets mit dem Bestreben einher, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen den regulären Weg der akademischen Bildung nicht eingeschlagen haben oder konnten, gewissermaßen eine zweite/dritte Chance einzuräumen. Das bekannteste Beispiel dafür ist die „Open University“ in England, in deren Namen bereits das Programm anklingt: Offener Zugang zu einer höherwertigen Bildung. Und in der Tat gibt es bereits einige vorzeigbare Beispiele, die in der Welt der elektronischen Medien entwickelt worden sind und sich die Popularisierungsidee zu eigen gemacht haben. Zu nennen sind hier u.a. die „Kampagne der Chemie“, ein interaktives netzgestütztes Portal oder dasjenige von „Science life” vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, in dem es um die Vermittlung von Perspektiven moderner Biotechnologie und Gentechnik geht. Darüber, welche Resonanz diese Portale erfahren und welchen Nutzen sie gestiftet haben, können an dieser Stelle leider keine Aussagen gemacht werden. Die Beispiele demonstrieren lediglich, dass Teilhabe an Wissenschaft und das Bemühen, Akzeptanz herzustellen, auch mit den modernen zur Verfügung stehenden Mitteln des Lehrens und Lernens organisiert werden kann. Offen ist indessen die Frage, ob es überhaupt Aufgabe der wissenschaftlichen Weiterbildung und damit von Fernstudium und E-Learning sein kann 143
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oder soll, quasi als Transmissionsriemen zwischen der Wissenschaft einerseits und dem Bürger andererseits zu wirken. Offenkundig handelt es sich dabei um die Restitution einer Aufgabe, die die Weiterbildung wiederentdecken müsste, da sie das Popularisierungsthema längst hinter sich gelassen hat. Dies wird deutlich, wenn man die man Entwicklungslinien der Weiterbildung nachzeichnet: „Von der Aufklärung des Volkes durch Wissenschaft, von der Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Beförderung des Gemeinwohls sind schließlich der Dritte Bildungsweg und die arbeitsmarktorientierte Erwachsenenpädagogik übrig geblieben. Nicht „Bildung macht frei!“ heißt die Losung heutzutage, sondern „lifelong learning“. An die Stelle der Volksbildung ist die Einübung von Fähigkeiten zur Selbststeuerung des Lernens getreten, um dem Arbeitsbürger zu ermöglichen, mittels lebenslangen Lernens arbeitsmarkttauglich zu bleiben“ (Simon 2001).
Es ist bedenkenswert, ob ein mehr oder weniger zartes Pflänzchen wie die wissenschaftlichen Weiterbildung, häufig zitiert und selten praktiziert, zum Bannerträger eines ambitionierten Revivals werden soll. Das wirft zunächst die Frage danach auf, was wissenschaftliche Weiterbildung überhaupt soll, für wen sie produziert und unterhalten wird. Es geht um das Selbstverständnis dieses Appendices von Hochschulen, die ihre Noblesse vor allem in der Forschung sehen und sich als Bannerträger des Fortschritts gerieren, eingedenk manchen Obskurantismus, der unter diesem Etikett verbreitet wird (Sokal/ Bricmont 1999). So ist also zu aller erst die Fragen zu beantworten, was wissenschaftliche Weiterbildung will und welchen Sinn und Zweck sie verfolgt.
5. Wissenschaftliche Weiterbildung Der Diskurs um die wissenschaftliche Weiterbildung hat etwas Quälendes. Er ist von jahrzehntelangen Bemühungen getragen, das Proprium herauszuarbeiten, das wissenschaftliche Weiterbildung von dem Anderen unterscheidet. Es ist letztlich ein Ringen um Identität unter den jeweils obwaltenden sozial- und auch wissenschaftspolitischen Bedingungen. Betrachtet man die Empirie der wissenschaftlichen Weiterbildung, kommen durchaus Zweifel auf, ob der anhaltende Diskurs schon zu einem fruchtbaren Selbstverständnis beigetragen hat. Manches Programm, das von Hochschulen angeboten wird, unterscheidet sich kaum von dem einer ambitionierten Volkshochschule und wird gleichwohl als wissenschaftliche Weiterbildung „verkauft“. Ein zukunftsweisender Ansatz, der aus der Misere der Positionsbestimmung führen könnte, ist, wissenschaftliche Weiterbildung grundsätzlich als das Life-Long-Learning-Angebot für Akademiker aufzufassen. Besondere 144
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Relevanz kommt hier dem „Bologna-Prozess“ zu und mit ihm die Möglichkeit, postgraduale Lehrangebote zu unterbreiten, die von Akademikern wahrgenommen werden können. Wissenschaft produziert in erster Linie für Wissenschaftler und nicht für Laien, und wissenschaftliche Weiterbildung für jene, die die Pforten der Alma Mater hinter sich gelassen haben, und nach einiger Zeit auf den Entwicklungsstand gebracht werden möchten, der nötig ist, um sich im akademisch geprägten Berufsleben behaupten oder reorientieren zu können. Diese Aufgabe konsequent anzunehmen ist für die Einrichtungen, die sich der wissenschaftlichen Weiterbildung verschrieben haben, Herausforderung genug. Eine Ausweitung des Aufgabenspektrums ist vermutlich wenig hilfreich, zumal sich die wissenschaftliche Weiterbildung damit einer Domäne nähert, die vom Wissenschaftsjournalismus längst besetzt worden ist (Göpfert/RußMohl 2000). In diesem Sektor arbeiten Profis, die es verstehen, das Unverständliche allgemeinverständlich zu machen, die einen Diskurs bzw. Dialog zwischen Wissenschaft und Alltagswelt anbahnen können. Das Feld ist also bereits bestellt, in das die wissenschaftliche Weiterbildung mit Fernstudium und E-Learning als Formvarianten des Lehrens und Lernens für Erwachsene vorrücken könnte. Vielleicht ist die Weiterbildung in Namen der Wissenschaft gut beraten, sich auf ihr „Kerngeschäft“ zu konzentrieren und sich von Zumutungen frei zu halten, die nicht zur Profilbildung oder -schärfung beitragen.
Literatur Bloh, E./Lehmann, B. (2005): „Neue Medien als dynamisierender Faktor der hochschulischen Weiterbildung“. In: Jütte, W./Weber, K. (Hrsg.): Kontexte wissenschaftlicher Weiterbildung. Entstehung und Dynamik von Weiterbildung im universitären Raum, Münster/New York (in Vorbereitung). S. 157ff. Blumenberg, H. (1998): Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M. Comenius, J. A. (1992): Große Didaktik. Die vollständige Kunst allen Menschen alles zu lehren, Stuttgart. Conein, S./Schrader, J./Stadler, M. (2004): Erwachsenenbildung und die Popularisierung von Wissenschaft, Bielefeld. Friedrich, H. F. (1999): Selbstgesteuertes Lernen – sechs Fragen, sechs Antworten, Soest. Göpfert, W. (2004): „Starke Wissenschafts-PR – armer Wissenschaftsjournalismus“. In: Müller, C. (Hg.): Science Pop. Wissenschaftsjournalismus zwischen PR und Forschungskritik, Graz/Wien.
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Göpfert, W./Ruß-Mohl, S. (Hg.) (1996): Wissenschaftsjournalismus, München. Hof, C. (2005): Popularisierung der Wissenschaft. In Weiterbildung, 4,5, S. 12-15. Husserl, E. (1976): Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Den Haag. Kade, J., Seitter, W. (2002): „Wissensgesellschaft – Forscherhabitus – Erwachsenenbildung/Weiterbildung“. In: DIE 9, S. 31-33. Kampagne der Chemie: http://www.elementunsereslebens.de/aufruf.asp?link= alltag&id= Mittelstraß, J. (2001): Woran scheitert die Kommunikation über Wissenschaft? http://www.wissenschaft-online.de/sixcms/list.php?article_id=572 948&page=fe_seiten&skip=7 Ó Súilleabháin, Gearóid (2004): The convergence of Traditional Higher Education and E-Learning. Organisational, Societal, Technological and Pedagogical Trends, Ziff Papiere 125. Zentrales Institut für Fernstudienforschung (Hg.), Hagen. Russell, T.L. (2001): The No Significant Difference Phenomenon. Schwarz, A. (1999): Der Schlüssel zur modernen Welt, Stuttgart. Science life: http://www.bmbf.science-live.de/ Simon, D. (2001): Popularisierung, Partizipation, Proselyten, http://www. wissenschaft-online.de/sixcms/list.php?article_id=572948&page=fe_seiten &skip=9 Sokal, A./Bricmont, J. (1999): Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaft mißbrauchen, München. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (2002): „Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“ (Memorandum). In: DIE, 9, S. 38ff. Tait, A./Mills, R. (1999): The convergence of distance and conventional education, London/New York. Wittgenstein, L. (1977): Tractatus logico-philosophicus. Logische-philosophische Abhandlung, Frankfurt a.M.
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MARTIN BEYERSDORF, KLAUS PAPE Kooperationsstellen Hochschulen/ Ge w e rkschaften – Öffentliche Wissenschaft?!
1. Hochschule und Gewerkschaft – Nähe und Distanz Hochschulen und Gewerkschaften sind eigenständige Systeme mit eigenen Aufgaben, Regeln und Ritualen. Ihre Funktionen haben sich im Laufe ihrer Geschichte immer wieder verschoben, wurden neu- und reinterpretiert – und beide Institutionen hatten immer wieder zahlreiche Berührungs- und Überschneidungsbereiche. Die relativ starke Abgrenzung von Hochschulen und Gewerkschaften zwischen ihrem Innen und Außen führt leicht zu einer Fremde und Fremdheit. Hochschulen als öffentliche Anstalten können ironisierend als ‚beschützte Werkstätten‘ bezeichnet werden, beansprucht die Wissenschaft doch eine relative Freiheit von unmittelbaren Verwertungszwängen und sind die dort Tätigen in ihren Denk- und Versuchslaboratorien für die Freiheit des (wissenschaftliche) Geistes vor ‚Angriffen des Draußen‘ zu beschützen. Auch Gewerkschaften sind geprägt durch die Abgrenzung – nicht nur gegenüber der Seite der Arbeitgeber, der Anteilseigner oder schlicht des Kapitals. Abgrenzung erfolgt zwischen Organisierten und Nicht-Organisierten, zwischen gewerkschaftlichen und nicht-gewerkschaftlichen (ungleich: allgemeinen) Themen, zwischen richtigen und falschen (politischen) Positionen, zwischen abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen usw. Zugleich waren Gewerkschaften und Hochschulen oft füreinander attraktiv. Es gab und gibt noch verbindende Utopien und Visionen eines besseren Lebens und einer besseren Welt, die gemeinsame soziale und politische Verantwortung für die Zukunft. Mit dem Erstarken von Wissen als Produktivkraft trat die Funktion der (gesellschaftlichen und kulturellen) ‚Teilhabe‘ aus Sicht 147
MARTIN BEYERSDORF, KLAUS PAPE
der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in den Hintergrund; wichtiger erschienen die formale Bildung (Abschlüsse und Qualifikationen) sowie eine Forschung und Wissensproduktion in gewerkschaftlicher Orientierung. Vom Staat und vom Kapital finanzierte Wissenschaft unterlag aus dieser Perspektive einem doppelten (Ideologie-)Verdacht: ‚neutrale‘ staatlich finanzierte (Grundlagen-)Forschung greift – auch wegen der starken Abkoppelung der Hochschulen von anderen Systemen – nicht in gesellschaftliche Konflikte ein und das Kapital kauft sich mehr oder weniger unmittelbar das, was es – sei es nun als ‚Heuschrecke‘, ‚scheues Reh‘ oder ‚Bulle und Bär‘ – braucht. Kritische Wissenschaft und kritische Gewerkschaftler reichten sich in diesen Kontexten nicht erst in den 1970er Jahren die Hände. An die Geschichte der Arbeiterbildungsvereine und – vielleicht auch personalistisch romantisierend – das Konzept der Arbeitslager (Rosenstock-Huessy 1977) sei hier erinnert; gemeinsame Projekte wurden realisiert mit allen Bevölkerungsgruppen, mit Arbeitern, Wissenschaftlern und Arbeitgebern – intendiert ohne Anschauung von Status und Hierarchie. Über diese grundlegenden und auch die personenbezogenen Aspekte hinaus gab es in der Geschichte der Bundesrepublik viele weitere Entwicklungen, die die Attraktivität und die Bande zwischen den Hochschulen und den Gewerkschaften stärkten. Allemal zu nennen sind die neuen sozialen Bewegungen, die immer – mehr oder weniger weit – auch bis in die Gewerkschaften als alte soziale Bewegungen hineinreichten und die zugleich öffentliche Meinung und Entwicklung mit geprägt haben: die Studenten- und Schülerbewegung, die Anti-AKW und die Friedensbewegung, die Ökologie- und die Gesundheitsbewegung, die Frauen- und – viel später – die Männerbewegung. Interessant sind dabei nicht nur die Setzung neuer gesellschaftlicher Themen und Aktionsformen, sondern die prinzipielle Entgrenzung des Politischen und des Privaten. Mit den neuen sozialen Bewegungen entwickelte sich eine Forderung und später auch eine Praxis von Gegenwehr, Gegengesellschaft und Gegenöffentlichkeit, die eine ‚am Normalen und am Wachstum‘ orientierte Politik (des politischen Systems und der großen Institutionen) oftmals tief greifend hinterfragte. Die Hochschulen waren ein (Entstehungs- und Praxis-) Ort der neuen sozialen Bewegungen, die gesellschaftliche ‚Sorgethemen‘ platzierte, ihre Diskussion veranlasste und Perspektiven einforderte. So wurden ‚Verantwortung für die Zukunft‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ prägende Begriffe – gerade auch für das Selbstverständnis und für die Praxis der Gewerkschaften als alte soziale Bewegungen. In den 1970er Jahren entwickelte sich die Öffnung der Hochschulen mit der extramuralen Erwachsenenbildung besonders dynamisch. Durch viele große Universitäten wurden Seminarkurse angeboten, indem Lehrende ihre Vorträge und Seminare in Volkshochschulen und bei anderen Trägern abhielten (vgl. Beyersdorf 2002 und Raapke in diesem Band). ‚(Mehr) Bildung für 148
KOOPERATIONSSTELLEN HOCHSCHULEN/GEWERKSCHAFTEN
alle‘ war das Konzept, um der ‚Bildungskatastrophe‘ (Picht/Edding) entgegen zu treten. Dieses allgemein und politisch bildende Konzept wurde später ergänzt durch Technologietransferstellen, die wissenschaftliches Wissen und wissenschaftliche Kompetenz spezifizierteren Institutionen und Zielgruppen zur Verfügung stellten (und stellen). Ein Pendant findet sich heute noch bei den Gewerkschaften in den Technologieberatungsstellen. Technologie- und Transferstellen pflegen an vielen Hochschulstandorten nach wie vor einen regen Austausch im Sinne gemeinsamer sozialer Verantwortung und gesellschaftlicher – auch regionaler – Entwicklung. Aus der Perspektive von Gewerkschaften sind Hochschulen heute in erster Linie wissenschaftliche Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, die wesentliche Voraussetzungen für die hochwertige Qualifizierung von zukünftigen Arbeitnehmer leisten, wobei das frühere Misstrauen ‚Studenten von heute sind die Chefs von morgen‘ so nicht mehr gilt. Andererseits werden sowohl Gewerkschaften als auch die Betriebs- und Personalräte – wie die abhängig Beschäftigten – insgesamt mit dem wissenschaftlichen Output der Hochschulen in vielfältiger Hinsicht konfrontiert, sei es als praktische Umsetzung in Form neuer Technologien (Anlagen und Maschinen) oder in ‚ideologischer‘ Form als handlungs(an)leitende Theorien. Nicht zu vergessen die ‚Produzenten‘ an den Hochschulen, also das wissenschaftlich wie auch das nichtwissenschaftliche Personal, die unter bestimmten, mal guten, mal weniger guten Bedingungen ihre Arbeit als abhängig Beschäftigte (und damit potenzielle Gewerkschaftsmitglieder) erbringen. In den Gewerkschaften ist heute bekannt, dies ist auch, aber nicht nur Folge der zunehmenden Akademisierung von Haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsverantwortlichen, dass mit dem Strukturwandel hin zur ‚Wissensgesellschaft‘ die Bedeutung von Hochschulen eher zu- als abnehmen wird. Dieser Bedeutungszuwachs gilt ebenso für eine gute Hochschulausbildung. Deshalb sind Gewerkschaften an einer guten und praxisorientierten Hochschulausbildung interessiert, die – so ihre Forderung – zugleich arbeitsweltliche Fragen und Themenstellungen mit einschließt. Die Mitarbeit gewerkschaftlicher Vertreter als so genante Praxisvertreter in Akkreditierungsagenturen für die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master sind aus Sicht der Gewerkschaften folgerichtig. Wesentlich schwieriger erscheint dagegen die Aufgabe, die Richtung und Inhalte wissenschaftlicher Forschung im Sinne einer arbeitsorientierten Wissenschaft mitzugestalten. Hierzu gehört als eine grundlegende Voraussetzung die Diskussion über die Demokratisierung der Wissensproduktion, eine alte, aber immer noch aktuelle gewerkschaftliche Forderung (Kaßebaum 2003), die in der zurzeit herrschenden politischen Konstellation allerdings eher eine geringe Realisierungschance hat. Ohne nun die Geschichte der Attraktivität(en) von Hochschulen und Gewerkschaften weiter schrittweise durchzugehen und die oftmals auch perso149
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nenabhängige Nähe von Hochschulen und Gewerkschaften darzustellen, seien zwei weitere, jüngere Entwicklungen benannt: –
–
In den 1990er Jahren richten sich die Hochschulen in ihren Profilierungsprozessen verstärkt an der Wirtschaft und an den Märkten aus. Dabei wurden Gewerkschaften als ein Teil von Wirtschaft und Wirtschaften (re-)identifiziert. Dadurch bekamen sie neue Bedeutungsgehalte aus Sicht der Hochschulen: sie können ein Türöffner nicht nur für die ‚kritische Wissenschaft‘ im Sinne der Beschäftigten sein, sondern für alle, die einen wirtschaftsorientierten Zugang suchen. Mit dem Bologna-Prozess werden durch das Studienziel „Beschäftigungsfähigkeit“ der Bachelor- und Masterstudiengänge das Ausbildungs- und das Beschäftigungssystem enger aufeinander bezogen. In Akkreditierungsprozessen für Studiengänge müssen Hochschulen darstellen, wie sie auf die Berufstätigkeit vorbereiten und wie sie zugehörige Schlüsselkompetenzen ('Soft Skills') vermitteln; bis zu 15% der Studieninhalte müssen auf Schlüsselkompetenzen entfallen. Dabei kommen, wie oben angedeutet, Gewerkschaften als ‚zweiter Seite der Wirtschaft‘ neue Aufgaben im Austausch zwischen Arbeitswelt und Wissenschaft zu.
Welche Rolle spielten die, zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten gegründeten, Kooperationsstellen in dieser Gemengelage? Prinzipiell lassen sich zwei bzw. drei Fokussierungen unterscheiden: 1. Forschungsorientierung, 2. Dienstleistungsorientierung und 3. Vernetzung (in Forschung und Arbeitswelt). In einfacher Betrachtung könnte man hier eine wechselseitige Öffnung konstruieren z.B. durch – – – –
Erleichterung des Hochschulzugangs für ‚bildungsferne Gruppen‘ (z.B. Zweiter Bildungsweg) sowie Verbesserung der Studienfinanzierung, öffentliche Vorträge von Wissenschaftler ‚für alle‘ außerhalb der Hochschulen (‚extramural‘), die Einladung aller Interessierter in (hinter) die Mauern der Wissenschaft (Gasthörerstudium oder Sommer-, Winter- und Kinderuniversitäten), Etablierung von Transfereinrichtungen, die weniger Köpfe (Menschen), sondern eher Themen und Konzepte transportieren.
Bei einer Bezugnahme auf wissenschaftliche Weiterbildung geht es nicht nur um eine Vermittlung systematischer Erkenntnisse, sondern gerade um die 150
KOOPERATIONSSTELLEN HOCHSCHULEN/GEWERKSCHAFTEN
Vermittlung ihrer Produktion im Rahmen von Nachvollzug und eigenem (exemplarischen) Tätigwerden. Wissenschaft wird in Teilen für Interessierte so öffentlich und verstehbar als auch verständlich. Die konzeptionelle Lernerperspektive sichert allerdings noch nicht die Rückbindung des Öffentlichen und Alltäglichen in die Wissenschaft selbst, da der ‚Rücktransport‘ über die Hochschullehrenden höchstens individuell und seltenst institutionell gesichert ist. Vor diesem Hintergrund strategischer und konzeptioneller Verbindungen zwischen Wissenschaft/Hochschule und Arbeitswelt/Gewerkschaften weitet sich die Aufgabe zu einem vernetzten Lernen. Dieses ist umso notwendiger, – – –
„je dynamischer sich der Aufgabenbereich verändert, je größer die Komplexität (d.h. die Zahl der Faktoren und Wechselwirkungen) ist, je unübersichtlicher ist Aufgabe ist (d.h. je mehr mit unkalkulierbaren Nebenwirkungen und Folgen zu rechnen ist)“ (Siebert 2003b: 62).
Für vernetztes Lernen legt Siebert (ebd.: 60) ein Vierfelder-Schema vor, welches für die Öffentliche Wissenschaft und die Kooperationsstellen vier Betrachtungsweisen enthält. Vernetzung der
Lernorte, Bildungsangebote
Fächer, Disziplinen (Themen, M.B., K.P.)
biographische Deutungsmuster, Lernstile
Verwendungssituationen
Diese Dimensionierung von Vernetzung wird bei den Empfehlungen zu den Perspektiven der Kooperationsstellen zur Förderung der Öffentlichen Wissenschaft wieder aufgenommen.
2. Kooperationsstellen zwischen Ar b e i t s w e l t u n d W i s s e n s c h a f t Kooperationsstellen sind intermediäre Einrichtungen an verschiedenen bundesdeutschen Hochschulen. Sie sind einerseits Anlaufstelle und Ansprech151
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partner im universitären Raum für Gewerkschafter, Personal- und Betriebsräte sowie Beschäftigte, andererseits vermitteln sie für wissenschaftliche Hochschulangehörige und Studierende Kontakte, Personen und inhaltliche Fragestellungen in die gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereiche. Die Kooperationseinrichtungen nehmen somit eine „Scharnier- bzw. Brückenfunktion“ zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt wahr, sie vermitteln, moderieren und initiieren Fragestellungen und Themen zwischen den akademischen und „gewerkschaftlich-betrieblichen“ sowie „-regionalen“ Kulturen (www.koopera tionsstellen.de, die Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kooperationsstellen, 5.7.2005 (BAG)). In Deutschland existieren mittlerweile 20 Kooperationsstellen Hochschule und Gewerkschaften. Eingerichtet wurden die ersten von ihnen in den 1970er Jahren (u.a. in Bremen, Bochum, Oldenburg und Saarbrücken), vorwiegend in so genannten „Reformuniversitäten“ bzw. Gesamthochschulen, die einen eher praxisorientierten Forschungsansatz verfolgten. Diese Hochschulen bzw. deren Leitungen traten dafür ein – wenn auch nicht ohne erhebliche inner- wie außeruniversitäre Widerstände – sich den Problemen der Arbeitnehmer und der Arbeitswelt zu öffnen und ihren Beitrag zur Lösung von arbeitsweltlichen Problemen als gesellschaftliche Aufgabe anzusehen. Die damals sich etablierende ‚arbeitsorientierte Wissenschaft‘ hat allerdings mittlerweile an Schwung verloren, vor allem in den Sozialwissenschaften, aber auch in den anderen Wissenschaftszweigen (Zeuner 2003). Geblieben sind die Kooperationsstellen, wobei jede Kooperationsstelle ihre eigene Geschichte und damit auch ihr eigenes ‚Gesicht‘ hat (DGBBundesvorstand o.J.). So unterschiedlich die jeweiligen historischen Entstehungsgeschichten der einzelnen Kooperationsstellen sind (Bamberg et al. 1979), so unterschiedlich sind ihre Personalausstattungen, ihre konkreten organisatorischen Formen, ihre Finanzmittel und Arbeitsschwerpunkte. Die Anzahl der mitarbeitenden Personen liegt zwischen ein und mehr als zehn wissenschaftliche Angestellte. Die jeweilige (Rechts-)Form reicht von einer Abteilung eines Hochschulinstituts bis zum eingetragenen Verein. Dieser Umstand macht sich auch in der Ein- bzw. Anbindung an die Hochschulen bemerkbar, so existiert an der Universität Bremen ein gemeinsames Institut mit der dortigen Arbeitnehmerkammer, anderen Orts sind die Kooperationsstellen als Stabsstelle beim Universitätspräsidium angesiedelt oder sie sind als Teil eines Instituts bzw. einer zentralen Einrichtung (z.B. für Weiterbildung) zugeordnet. Dem entspricht die räumlichen Verortung der Kooperationsstellen, die meistens an den Hochschulen platziert sind, andere wiederum wie z.B. in Hamburg haben ihren Sitz bei einer Landesbehörde oder wie in Osnabrück bei einem gewerkschaftlichen Bildungsträger. Die Finanzierung erfolgt in der Regel durch die kooperierenden Hochschulen und die Gewerkschaften, die vermehrte Einwerbung von Drittmitteln (da öffentliche Mittel Zuflüsse 152
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bekanntlich eher rückläufig sind) und/oder – wie z.B. bei den niedersächsischen Kooperationsstellen – durch eine anteilige Grundfinanzierung des entsprechenden Bundeslandes. Während die meisten Kooperationsstellen für eine Hochschule (so etwa die drei Kooperationsstellen an den Berliner Universitäten oder die Kooperationsstellen in Dortmund und Darmstadt) zuständig sind, ist die Zuständigkeit bspw. bei den niedersächsischen Kooperationsstellen häufig auf mehrere Hochschulen verteilt (z.B. in Braunschweig vier und in der Region HannoverHildesheim sieben Hochschulen). Seitens der Gewerkschaften sind in der Regel der DGB auf Regions- bzw. Bezirkebene sowie die Mitgliedsgewerkschaften in die Kooperation eingebunden. Eine Ausnahme stellt hier die „Gemeinsame Arbeitsstelle der RuhrUniversität“ in Bochum dar, die neben der Ruhr-Universität die IG Metall als alleinigen Kooperationspartner hat. Ein weiterer Sonderfall stellt wieder Niedersachsen dar, wo an allen fünf Kooperationsstellen neben dem DGB auch die Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“ (regional und überregional) inhaltlich und finanziell beteiligt ist. Soweit zu einigen der markantesten Unterschiede zwischen den verschiedenen Kooperationsstellen. Wo liegt nun das Gemeinsame dieser Einrichtungen? Dass die Arbeitswelt permanent im Wandel begriffen ist, kann jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer tagtäglich spüren. Ebenso die daraus resultierenden Konsequenzen, vor allem im Bereich von Qualifikation und Qualifizierung von Arbeitskräften und der sich daraus ergebenden Neustrukturierung der (beruflichen) Weiterbildung. Lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen seien hier als Schlagworte genannt. Die Aufarbeitung dieses ständigen Wandels gehört ebenso auf die Forschungsagenda möglichst vieler Fachgebiete wie die konkrete Ausgestaltung einer humanen und sozialen Arbeits-, Um- und damit der gesamten Lebenswelt. Arbeitsweltliche Kooperationspartner sind für diesen Fokus von Forschung unerlässlich. So sind, neben den Betrieben und Unternehmen, in erster Linie die Gewerkschaften und die betriebliche Interessensvertretung der Arbeitnehmer die wichtigsten Akteure auf diesem Feld und damit quasi natürliche Kooperationspartner engagierter Forscher (Braukrowitz 2003). Gleichzeitig können die gewerkschaftlichen Vertreter, die sich aktiv in die Kooperationsarbeit einbringen, mit dazu beitragen, die notwendige regionale Einbindung der Hochschulen bzw. deren Forschungsergebnisse und ‚know how‘ zu gewährleisten. Hier ergänzen sich Hochschulen und Gewerkschaften in idealer Weise; stehen die einen eher im internationalen Wettbewerb, so sind die anderen stärker im regionalen Arbeits- und Wirtschaftsraum verankert. Sozial-innovative Anstöße zeichnen das vielfältige, weit gespannte Aufgabenfeld und die Themen der Kooperationsarbeit aus:
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betriebliche Gestaltungskonzepte in organisatorischer und technischer Hinsicht, Beratung beim betrieblichen Arbeitsschutz, Hilfestellungen beim betrieblichen Umwelt- und Gesundheitsschutz, speziell Umwelt- und Gesundheitsmanagement, Erörterung und Entwicklung regionaler Verkehrs-, Energie- und Wasserkonzepte, Entwicklung von Qualifikations- und Weiterbildungsprogrammen, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des zusammenwachsenden Europas, soziale Kompetenz fördernde Weiterbildung, Lehre, Organisationsberatung, Forschung und Publikationen (Wissenschaftsdienstleistungen) u.a. (siehe: www.kooperationsstellen.de)
So mannigfaltig das Themenspektrum, so unterschiedlich sind auch die Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Kooperationsstellen: Beratung und Gutachten, Workshops und Tagungen, Forschungs- und Umsetzungsprojekte, Publikationen und Internetportale, Seminare, Vorträge, Praktika, Arbeitskreise usw. Kooperationsstellen verstehen sich jedoch nicht als ‚Einbahnstraße‘ oder simple Transfereinrichtungen, die fertige wissenschaftliche ‚Rezepte und Lösungen der Praxis‘ zur Verfügung stellen, sondern als Begegnungs- und Arbeitsstellen gleichberechtigter Kooperationspartner zum gegenseitigen Nutzen. Neue Erkenntnisse und Handlungsstrategien, neue Aspekte und Gesichtspunkte sollen beide Seiten entdecken; der Zugang zur betrieblichen und gesellschaftlichen Praxis soll wissenschaftliche Theorien und Methoden ebenso befruchten, wie umgekehrt gewerkschaftliches, betriebliches oder regionales Handeln durch wissenschaftliche Reflexionen, Erkenntnisse oder Vorgehensweisen differenzierter und erfolgreicher ausfällt (www.kooperations stellen.de). Will man die dargestellten organisatorischen und inhaltlichen Formen der derzeitigen Kooperationsstellen einteilen, so können grob zwei Arten von Kooperationsstellen identifiziert werden. Dies sind zum einem die eher forschungsorientierten und zum anderen die eher dienstleitungs- und serviceorientierten Kooperationsstellen: Zu den forschungsorientierten Einrichtungen gehören in aller Regel diejenigen, die mit mehr Personalstellen ausgestattet und eng in die Hochschulen (Institute, Fachbereiche, Fakultäten) eingebunden sind (u.a. die Einrichtungen in Bremen, Dortmund, Hamburg und Berlin). Stärker forschungsorientierte Einrichtungen finden sich bei Färber (2003); aber auch diese zeigen, dass Vernetzung bei ihnen eine zentrale Aufgabe im Rahmen eines „Wissenschafts-Praxis Dialoges“ darstellt.
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3. Praxis einer Kooperationsstelle Die im Juli 2001 eingerichtet Kooperationsstelle Hochschulen & Gewerkschaften für die Region Hannover-Hildesheim ist eine der neueren Einrichtungen dieser Art. Sie gehört von der personellen (eineinhalb Personalstellen inkl. Verwaltung) und finanziellen Ausstattung sowie bezüglich der Vielfalt der kooperierenden Hochschulen (insgesamt sieben) zu den dienstleistungsorientierten Kooperationsstellen. Beteiligt von der Hochschulseite sind die Universitäten in Hannover und Hildesheim, die beiden örtlichen Fachhochschulen, die Medizinische Hochschule Hannover, die Evangelische Fachhochschule und die Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Der DGB auf regionaler wie auf Bezirksebene und die Bildungsvereinigung Arbeit & Leben sind die gewerkschaftlichen Kooperationspartner. Als Schwerpunktthemen wurden von den Kooperationspartnern die Themenfelder – – –
Informationstechnologien/Multimedia, Gesundheit/Sozialpolitik und Geschichte/Kultur
definiert, wobei sich die konkrete Arbeit jedoch nicht ausschließlich auf diese Bereiche beschränkt. Im Folgenden sollen fünf Arbeitsfelder der konkreten Kooperationsarbeit in Hannover skizziert werden (Pape 2005).
3.1 SCIENCE-D@Y Der SCIENCE-D@Y ist die Jahresveranstaltung der Kooperationsstelle Hannover-Hildesheim, auf der Aspekte der Arbeit einem breiterem (Fach-)Publikum präsentiert werden. Diese Fachtagung ist jeweils einem der Kernthemen der Kooperation gewidmet. Mit der Auswahl von Themen und Referenten wird – anknüpfend an den „Wissenschafts-Praxis Dialog“ – das Ziel verfolgt, Impulse für die weitere regionale Entwicklung zu geben sowie die Bildung von neuen regionalen Netzwerken zu fördern. Hierzu werden zur gemeinsamen Diskussion Interessierte aus Hochschulen, Gewerkschaften, Politik und Verwaltung aus der Region eingeladen. Mit Teilnehmenden aus den oben genannten Zielgruppen spricht die Kooperationsstelle bei diesen Tagungen wichtige regionale Multiplikatoren an um sich in den regionalen Diskurs über die zukünftige Regionalentwicklung aktiv zu beteiligen und sich als kompetenter Ansprechpartner zu positionieren. Die Themen der drei bisher durchgeführten Veranstaltungen waren:
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„Zwischen Technik und (Er)-Leben: der Faktor Mensch“ (Rudel 2002), „Gesunde Utopie – kranke Region“ zur Entwicklung des regionalen Gesundheitswesens und „Innovative Region – wissenschaftliche, ökonomische und politische Rahmenbedingungen der Region Hannover – Hildesheim“ mit einem Fokus auf die Chancen einer (zukünftigen) Metropolregion.
3.2 Betriebsbesichtigungen Einen guten Einblick in die zukünftige Arbeitswelt bieten für Studierende die seit dem Sommersemester 2003 von der Kooperationsstelle angebotenen Betriebsbesichtigungen in hannoverschen Betrieben. Die Möglichkeit, sich ausführlich über das gastgebende Unternehmen, seine MitarbeiterInnen und die Produkte bzw. Dienstleistungen zu informieren, wird sehr gut von den Studierenden angenommen und als eine Bereichung ihres Studiums angesehen. Bedingt durch eine kleine Gruppengröße (in der Regel zwischen zehn bis 20 Personen) wird auf die individuellen Fragen der Teilnehmenden eingegangen. Neben dem Einblick in die betriebliche Realität wird zunehmend die Gelegenheit von den Studierenden genutzt, sich über die Arbeitsmöglichkeiten in den einzelnen Unternehmen zu unterrichten. In der Regel stehen auch die betreffenden Betriebsräte zur Verfügung, um Fragen nach den Arbeitsbedingungen und Einstiegsgehältern zu beantworten. Mit diesem Angebot wird ein nicht unerheblicher Beitrag zur Berufsorientierung von Studierenden geleistet. Dies sehen auch die Hochschulen so, die diese Angebote der Kooperationsstelle gerne aufgreifen und an die Studierenden in entsprechender Form weiterleiten.
3.3 Beratung für Studierende Wie in vielen anderen Hochschulstandorten beteiligt sich die Kooperationsstelle in Hannover an der gewerkschaftlichen Studierendenarbeit, wobei die Kooperationsstelle vorwiegend eine koordinierende und beratende Funktion hat. Bereits 1995 wurde an der Universität Hannover das Hochschulinformationsbüro (HIB) vom DGB mit dem Ziel gegründet, Studierende über arbeitsund sozialrechtliche Fragestellungen zu beraten und bei Problemen in ihren studienbegleitenden Tätigkeiten qualifizierte Informationen anzubieten. Unterstützt werden mit diesem Beratungsangebot zugleich die gewerkschaftlichen Bemühungen, den zukünftigen akademischen Arbeitsnehmer die Bedeutung und Wichtigkeit von sowohl betrieblicher als auch gesellschaftlicher Interessensvertretung verständlich zu machen. Vor allem die Vermittlung von Praktikumplätzen durch das HIB und die anschließende Betreuung von Studierenden während ihres betrieblichen Prak156
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tikums durch engagierte Betriebsräte können Gewerkschaften eine gewichtige Rolle bei der Berufsorientierung von jungen Studierenden spielen.
3.4 Netzwerk Aufbewahren Die Bearbeitung des Schwerpunktthemas Geschichte erfolgt aktuell durch das Projekt „Aufbewahren“. Ziel des Projektes ist es, vorhandene historische Materialien der hannoverschen Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur ‚zukunftssicher‘, d.h. sowohl inhaltlich als auch räumlich, aufzubewahren. Dies betrifft in erster Linie die verstreut vorhandenen Archivmaterialien wie Dokumente, Bücher, Broschüren, so genannte ‚graue Literatur‘, Mikrofilme, Nachlassbestände bedeutender Persönlichkeiten der (auch regionalen) Arbeiterbewegung. Mit seiner Arbeit will das Projekt zugleich die Grundlagen für weitere wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet legen. Beteiligt am Projekt sind einerseits gewerkschaftsnahe Einrichtungen wie z.B. die Otto-Brenner-Akademie und das Gewerkschaftsarchive an der Universitätsbibliothek Hannover und andererseits kommunale und öffentliche Archive und Einrichtungen aus der Region Hannover wie das Stadtarchiv Hannover und das Historische Museum. Mit dem Aufbau eines stabilen Netzwerkes zwischen den beteiligten Institutionen ist es der Kooperationsstelle als Projektmanagerin gelungen, einen kontinuierlichen Informationsaustausch untereinander zu gewährleisten. Als erstes gemeinsames Vorhaben wurde die Herausgabe einer Broschüre im Herbst 2005 realisiert, in der die vorhandenen Archivbestände in der Region Hannover wissenschaftlich dokumentiert sind.
3.5 EU – Projekt AUSTER Seit dem 1. Juli 2005 führt das Netzwerk der niedersächsischen Kooperationsstelle das Projekt „Auster – Arbeit Und Wohlstand Im Erweiterten Europa“ durch. Dabei handelt es sich um ein Kommunikationsprojekt zum Abbau von Ängsten und Vorurteilen über Arbeitsplatz- und Wohlstandsverlust durch Betriebsverlagerungen in die EU-Erweiterungsländer oder durch Migration von Arbeitskräften aus den Erweiterungsländern. Im Verlauf des Projektes wird mit vielfältigen Aktivitäten wie Informationsveranstaltungen, Workshops, Seminaren, Fachtagungen sowie Unterrichtsmaterialien und einer Internetpräsentation versucht, einen Beitrag zur Versachlichung der aktuellen und kontroversen Diskussionen um die EU Erweiterung zu leisten. Die Veranstaltungsreihen vermitteln dabei in erster Linie wissenschaftliche Informationen über die europäischen Mitglieds- und Bewerberländer, deren Wirtschaftsstrukturen und Sozialdaten, Arbeitsmärkte und Sozialsysteme.
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Durch die Einbindung der Sozialpartner und insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Unternehmen, die in engen wirtschaftlichen Beziehungen zu den neuen Mitgliedsstaaten stehen, werden die Hoffnungen und Sorgen der konkret Betroffenen thematisiert. Dabei werden auch alternative Lösungsstrategien auf wissenschaftlicher Grundlage diskutiert, die einen Ausbau des europäischen Sozialmodells verlangen.
3.6 Kooperationsstellenarbeit als Netzwerkarbeit Analog zu anderen Kooperationsstellen gestaltet sich die Arbeit in Hannover – wie kurz dargestellt – aus einem Mix vielfältiger Aktivitäten und Arbeitsformen. Die Durchführung von Veranstaltungen gehört ebenso dazu, wie Beratungsleistungen und Projektarbeit. Kooperationsarbeit ist dabei in erster Linie Netzwerkarbeit, mit der Kooperationsstelle als Netzwerkknoten im Geflecht von Arbeitswelt und Wissenschaft. Wer in und mit Netzwerken arbeitet weiß, dass der Netzaufbau und die Netzpflege Zeit in Anspruch nimmt. Mit der Aufnahme der Arbeit in Hannover wurde der Aufbau von Kontakten zu interessierten und aufgeschlossenen Personen sowohl in den Hochschulen als auch in den Gewerkschaften intensiv betrieben und nach nunmehr zweieinhalb Jahren zeigen diese Anstrengungen erste Früchte. Bevor sich z.B. Betriebe Studierenden öffnen, bedarf es einer intensiven Überzeugungsarbeit nicht nur bei den beteiligten Betriebsräten (weniger bei den Gewerkschaften!), sondern auch bei den Geschäftsleitungen. Für beide Betriebsparteien sind damit zunächst zusätzliche Arbeiten verbunden, ohne dass ein Nutzen sofort erkennbar ist. Auch die Studierenden selbst und die HochschuldozentInnen müssen von dem Zusatzgewinn einer Aktivität der Kooperationsstelle erst mal überzeugt werden, zumal mittlerweile eine große Anzahl von diversen (Erlebnis-)Angeboten von Einrichtungen an und um die Hochschulen herum auf die Studierenden einströmt. Nicht verschwiegen werden darf außerdem, dass nicht unerhebliche Vorurteile gegenüber Gewerkschaften die Platzierung des Kooperationsstellenangebotes belasten können. Die Erfahrung lehrt aber, dass diese Vorurteile bei einem direkten Kontakt zwischen Studierenden oder Hochschuldozenten einerseits und Gewerkschaften bzw. Betriebsräten andererseits meistens verschwinden und sie in der Regel schnell als kompetente Ansprechpartner der „zweiten Seite der Wirtschaft“ angesehen werden. Durch den Einbezug von weiteren, nicht zu den Kooperationsparteien gehörenden Akteuren – wie beim SCIENCE-D@Y oder bei der Projektarbeit – erweitert sich die „Zweierbeziehung“ zu einem Dreieck von Hochschulen, Gewerkschaften und regionalen Akteuren. Damit ist die Bedingung der Mög-
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lichkeit geschaffen, einen weiteren Pfad von wissenschaftlicher Wissensvermittlung in die Gesellschaft (und in Gegenrichtung) zu nutzen.
4. Perspektiven Der größte Umbau der Hochschulen in ihrer Geschichte u.a. durch die neuen Studienstrukturen, Internationalisierung und Ökonomisierung erzwingt geradezu eine neue Perspektive auf die Arbeitswelt. Kooperationsstellen als intermediäre Einrichtungen können konzeptionell wesentliche Aspekte für eine ‚geläuterte‘ Öffentliche Wissenschaft absichern und weiter entwickeln. Gewerkschaften als zweite Seite der Wirtschaft stehen selbst in einem historischen Umbruchprozess. Enttraditionalisierung, Globalisierung, ‚schleichende‘ und ‚umfassende‘ Ökonomisierung usw. schwächen die Gewerkschaften; Gewerkschaften haben zwischen 1991 und 2003 ein Drittel der Mitglieder verloren – der Organisationsgrad von Beschäftigten liegt durchschnittlich nur noch bei 20%. Hier helfen keine anlassbezogenen Öffentlichkeiten, die sich schnell wieder verflüchtigen. In seiner Streitschrift „Wozu noch Gewerkschaften?“ plädiert Negt (2004) für – – – –
erweiterte gewerkschaftliche Handlungsfelder, die Mandatserweiterung auf Kultur und Sozio-Kultur, einen neuen Begriff des Politischen (auch: Öffentliches Interesse), die Entdeckung und Erschließung außerbetrieblicher Erfahrungsräume.
„Die selbstverschuldete kulturelle Verarmung der Gewerkschaften rührt mittlerweile an den Grundfesten der gewerkschaftlichen Identität“ (ebd. 148). Eine solche Diagnose könnte man auch für (viele) Hochschulen stellen. Zudem sind die von Negt formulierten Imperative gewerkschaftlichen Handelns zur Stärkung des Politischen und des Kulturellen auf die Hochschulen als Bildungseinrichtungen übertragbar: „Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Gemeinwesen“ (ebd. 162). Und mit dem Verweis auf das Gemeinwesen wird die Idee der (DGB-)Ortskartelle zum Einbezug der ‚außerinstitutionellen Lebensräume‘ wieder belebt. Eine zu scharfe Abgrenzung der Berufs- und Arbeitswelt führe auch zu Ausgrenzungen. Wenn Vernetzung Gegenstand und Praxis von Kooperationsstellen ist – unabhängig davon, ob sich diese forschungs- oder dienstleistungsorientiert ausgerichtet sind –, dann ergeben sich aus dem Vierfelderschema von Siebert folgende Perspektiven für Kooperationsstellen im Sinne Öffentlicher Wissenschaft: – Lernorte und Bildungsangebote
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Die Lernorte Hochschule und Arbeitswelt sind unter Berücksichtigung ihrer ‚soziokulturellen Rahmung‘ thematisch, institutionell und personell zu vernetzen. Die Bildungsangebote müssen die unterschiedlichen Welten erschließen und real zugänglich machen. Fächer, Disziplinen, Themen Die Gegenstände vernetzenden Lernens ergeben sich aus den Welten von Hochschule und Arbeitswelt unter besonderer Berücksichtigung von Berufsfähigkeit und Berufsgestaltung selbst. Nicht nur das einzelne Thema ist wichtig, sondern seine Bearbeitung mit den Aspekten unterschiedlichen Wissensformen, ihrer Produktion(-sbedingungen) und der wechselseitigen Beeinflussung. Biographische Deutungsmuster und Lernstile Die Erschließung unterschiedlicher Lebens-, Arbeits- und Lernwelten fordert zum Perspektivenwechsel und zu ‚Beobachtungen zweiter Ordnung‘ (Siebert 2003c) heraus. Die damit einher gehende Relativierung verfestigter biographischer Deutungsmuster und Lernstile fördert bei allen Beteiligten den reflektierten Umgang mit Unterschiedlichkeit (‚Diversity’) als kulturelle Leistung und den Verzicht auf vorschnelle, restriktive und regressive Bewertungen und ‚Lösungen'. Es geht um Komplexitätserhöhungen, nicht um Komplexitätsreduktion in unübersichtlichen Kontexten. Verwendungssituationen Die Verwendungssituationen vernetzenden, durch Kooperationsstellen arrangierten Lernens sind zumindest in den drei Dimensionen Person, Sache und Institution zu fassen. Es geht um die Stärkung der Person (Bedeutung des Lernprozesses und Funktionen des Nutzens), die Klärung der Sache durch perspektivreiches Ausdeuten und die Entwicklung der beteiligten Institutionen – hier: Hochschulen und Gewerkschaften – zu ‚lernenden Organisationen‘.
Dies können dann kleine Schritte sein für die Lebensentfaltung und den weiten Wurf von Oskar Negt: Nur die in der Kultur aufgehobene menschliche Würde hat keinen Preis in der allumfassenden Ökonomisierung. Und die menschliche Würde selbst wird erst Zentrum der Auseinandersetzungen von Arbeitswelt und Wissenschaft, von Hochschulen und Gewerkschaften, wenn beide als kulturelle und geschichtliche Leistungen von den dort Tätigen betrachtbar, lernbar und gestaltbar werden. Anklänge an die Geschichte der Räte und der Selbstverwaltung sind nicht zufällig (Gubitzer 1989).
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Literatur Bamberg, Hans-Dieter/Kröger, Hans Jürgen/Kuhlmann, Reinhard (Hg.) (1979): Hochschulen und Gewerkschaften. Erfahrungen, Analysen und Perspektiven gewerkschaftlicher Kooperationspraxis, Köln. Bergmann, Klaus/Frank, Günther (Hg.) (1977): Bildungsarbeit mit Erwachsenen, Handbuch für selbstbestimmtes Lernen, Reinbek bei Hamburg. Beyersdorf, Martin (2002): „extramural – lokal – global. Arbeitsbereiche der Hochschulweiterbildung im Wandel“. In: Cordes Michael/Dikau, Joachim/Schäfer, Erich (Hg.): Hochschule als Raum lebensumspannender Bildung. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur, Regensburg, S. 100109. Beyersdorf, Martin (2003): „Nachhaltigkeit und die wissenschaftliche Weiterbildung“. In: Schäfer Erich/Zinkhahn, Bernd/Pietsch, Klaus-Dieter (Hg.): Die Weiterbildung in der Bildungsgesellschaft unter dem ökonomischen Paradigma. Perspektiven für die Ausrichtung der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung, Jena, S. 69-80. Braukrowitz, Andrea (2003): „Wandel der Arbeitswelt – Herausforderungen für die Wissenschaft. Arbeitsorientierte Forschung als Handlungsfeld für Kooperationsstellen“. In: Färber Christiane/Kock, Klaus/Mußmann, Frank/Schlosser, Irmtraud (Hg.): Kooperation Wissenschaft Arbeitswelt. Geschichte, Theorie und Praxis der Kooperationsstellen, Münster, S. 92116. Bundesarbeitsgemeinschaft der Kooperationsstellen (BAG) (2005): www. kooperationsstellen.de Cordes, Michael/Dikau, Joachim/Schäfer, Erich (Hg.) (2002): Hochschule als Raum lebensumspannender Bildung. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur, Regensburg. DGB-Bundesvorstand (o.J.): Regionale Zusammenarbeit von Hochschulen und Gewerkschaften. Arbeitserfahrungen der Kooperationsstellen Hochschule/Gewerkschaften, Düsseldorf. Färber, Christiane/Kock, Klaus/Mußmann, Frank/Schlosser, Irmtraud (Hg.) (2003): Kooperation Wissenschaft Arbeitswelt. Geschichte, Theorie und Praxis der Kooperationsstellen, Münster. Gubitzer, Luise (1989): Geschichte der Selbstverwaltung, München. Kaßebaum, Bernd (2003): „Gewerkschaften und Hochschulen – eine schwierige Beziehung mit Zukunft“. In: Färber, Christiane/Kock, Klaus/Mußmann, Frank/Schlosser, Irmtraud (Hg.) (2003): Kooperation Wissenschaft Arbeitswelt. Geschichte, Theorie und Praxis der Kooperationsstellen, Münster, S. 57-68.
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CHRISTIANE BROKMANN-NOOREN KinderUniversität – eine neue Aufgabe für die w issenschaftliche Weiterbildung?
Als Herbert Grönemeier in den 1980er Jahren mit seinem Song „Kinder an die Macht“ die Hitparaden stürmte, wollte er die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik wahrscheinlich nicht wirklich auf den Kopf stellen. Er wollte vielleicht eher eine Bevölkerungsgruppe ins Scheinwerferlicht rücken, die von allen gesellschafts-, wirtschafts-, sozial-, familien- und sonstigen politischen Entscheidungen mitbetroffen ist, ohne jedoch daran beteiligt zu sein. Wenn heutige Entscheidungen Entwicklungen in Gang setzen, dann hat vor allem auch die nachwachsende Generation, die heutigen Kinder, die Folgen dieser Prozesse zu tragen. Dies gilt nicht nur für alles, was auf der „politischen Bühne“ geschieht, sondern auch für das, was durch Forschung und Entwicklung, durch Wissenschaft in Gang gesetzt und verändert wird. Und auch in diesem Handlungsfeld, der Wissenschaft, kamen Kinder so gut wie gar nicht vor. Dies hat sich, zumindest für den Wissenschaftsbereich, geändert: Die Universitäten haben die Kinder entdeckt. Mit dem Start der ersten „KinderUni“ am 4. Juni 2002 hat die Eberhard Karls Universität Tübingen gemeinsam mit dem Schwäbischen Tageblatt eine Initiative losgetreten, die sich seitdem über das Bundesgebiet ausgebreitet hat. Zwischen Kiel und München, Köln und Dresden weist die zentrale Internetseite „www.die-kinder-uni.de“ für das Sommersemester 2005 insgesamt 54 Standorte aus, an denen KinderUni-Veranstaltungen stattfinden. Auch im benachbarten Ausland (z.B. in Wien und Rom) ist die Idee der Tübinger Universität mittlerweile aufgegriffen worden, so dass auch dort Kinder in den Genuss kommen, eigens für sie konzipierte Universitätsvorlesungen, Seminare, Workshops und Projekte besuchen zu können.
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Was hat nun aber die Kinder-Universität beim Thema „Öffentliche Wissenschaft und wissenschaftliche Weiterbildung“ zu suchen? Dies ist eine ähnliche Frage, wie wir sie in Oldenburg im Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Carl von Ossietzky Universität gestellt bekamen: „Was hat denn eine zentrale Einrichtung für wissenschaftliche Weiterbildung mit der Kinder-Uni zu tun?“
1. KinderUniversität – eine Idee breitet sich aus Die Idee, Universitätsvorlesungen speziell für Kinder anzubieten, wurde zunächst als Projekt der Tübinger Universität und des Schwäbischen Tageblatts verwirklicht: Kindern von acht bis zwölf Jahren wurde mit einer wöchentlichen Vorlesung Tübinger ProfessorInnen ein frühes Studium generale geboten. Ziel dieser ersten Vorlesungen war es, eine „Warum-Frage“ von grundsätzlicher Bedeutung kindgerecht und zugleich wissenschaftlich fundiert zu beantworten. Mit dem Projekt KinderUni wollte sich die Universität mit den Worten von Universitätsrektor Eberhard Scheich als „offene Institution zeigen, mit der man reden kann. Wir wollen dabei auch erkunden, was die jungen Menschen wirklich interessiert.“ Schließlich könne auch in Zeiten des Hochschulmarketings das Werben um zukünftige Studierende nicht früh genug beginnen. Die Universität wolle das Vorurteil des Elfenbeinturms hinter sich lassen, und die Kinder sollen erleben, „dass die Leute, die an der Universität in welcher Funktion auch immer arbeiten, durchaus vernünftige Menschen sind“ (Schwäbisches Tageblatt vom 18. Mai 2002). Das Konzept der Kinder-Uni-Initiatoren in Tübingen ging voll auf: Über 5000 Kinder kamen zur ersten deutschen Kinder-Uni im Jahr 2002. Es kamen aber nicht nur Kinder, sondern auch zahlreiche Medienvertreter nach Tübingen. Dies führte dazu, dass sich die Idee sehr schnell ausbreitete und mittlerweile bundesweit mehr als 70 Universitäten und Fachhochschulen KinderUni-Tage veranstalten oder veranstaltet haben.
2. Die Oldenburger KinderUni und ihre Vorläufer An der Oldenburger Universität sind Kinder und Jugendliche schon seit Jahren keine Seltenheit: Projekte zur Förderung des Interesses von Mädchen für die Naturwissenschaften wurden ebenso durchgeführt wie Hochschulinformationstage für SchülerInnen und Orientierungskurse für Studieninteressierte. Kinder sind in einzelnen Fakultäten seit längerem nicht nur Forschungsobjekte, sondern auch Forschungssubjekte: So hat das Institut für Chemie bereits im März 2002 unter dem Titel CHEMOL (zusammengesetzt aus Chemie und Ol164
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denburg) ein Programm ins Leben gerufen, das Schülerinnen und Schülern der Grundschule die faszinierende Welt der Chemie in einer für sie erlebbaren Form vermittelt. Inzwischen haben mehr als 250 Grundschulklassen in den Laboren von CHEMOL experimentiert. Seit 1999 zeigt ein Team von Studierenden und Lehrenden des Instituts für Physik erfolgreich, dass mit Hilfe des Internets neue und für Kinder besonders ansprechende experimentelle Zugänge zu den Naturwissenschaften möglich sind. In Praxistests mit Grundschulen hat sich das Konzept „Physik für Kids“ erfolgreich bewährt. Es gibt „Mathematische Entdeckungsreisen für Grund- und Vorschulkinder“ und eine „Lernwerkstatt Sachunterricht“, der Landeswettbewerb „Schüler experimentieren“ findet seit 2004 in Oldenburg statt. Die größte nichtkommerzielle Messe für die deutsche Kinder- und Jugendliteratur, KIBUM, wird von der Universität in Kooperation mit der Volkshochschule und der Stadt Oldenburg schon seit 1975 veranstaltet. All diese bereits bestehenden Aktivitäten wurden nach Tübinger Vorbild im Februar 2004 um Vorlesungen für Kinder im Rahmen der ersten Oldenburger KinderUniversität ergänzt. Gemeinsam mit der Stabsstelle „Presse & Kommunikation“ erhielt das „Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung“ (ZWW) den Auftrag, eine KinderUniversität für Oldenburg zu konzipieren und durchzuführen. Für den Arbeitsbereich „Öffnung der Hochschule“ im ZWW war diese neue Aufgabe eine große Herausforderung hinsichtlich der neuen Zielgruppe, nicht aber hinsichtlich der Zielsetzung, Wissenschaft öffentlich zu machen. Im Bereich Gasthörstudium und Studium generale gilt dieses Ziel bereits seit mehr als 20 Jahren und auch die zahlreichen und langjährigen Erfahrungen mit den Seminarkursen zielen in eine ähnliche Richtung: public understanding of sciences and humanities.
3. Die erste Oldenburger KinderUni öffnet ihre Pforten Nach längeren, intensiven Vorbereitungsarbeiten, bei denen es darum ging, interessierte und engagierte ProfessorInnen für eine KinderUni-Vorlesung zu begeistern und die nötige Logistik für eine solche Massenveranstaltung vorzubereiten, öffnete die erste Oldenburger KinderUni am 18. Februar 2004 ihre Pforten. Um die KinderUni in der Region erst einmal bekannt zu machen und Kindern die ersten Schritte in die bisher unbekannte Institution Universität zu erleichtern, wurde der Zugang zur ersten Vorlesung über Schulen geregelt. Die Resonanz bei den eingeladenen Klassen aus Grundschulen und Orientierungsstufen sprengte alle Erwartungen: innerhalb von wenigen Stunden nach Bekanntmachung der Vorlesung „Der kleine Mann im Ohr“ durch die Me165
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dienpartner der KinderUni (Nordwest-Zeitung, NDR1 Niedersachsen und nordwest radio) waren die nahezu 1000 Plätze im Audimax der Universität vergeben. Aufgrund dieser Nachfrage wurde kurzfristig eine Wiederholung der Vorlesung am gleichen Tag angekündigt, die ebenfalls sofort ausgebucht war. Die erste Vorlesung konnte somit von etwa 2000 Acht- bis Zwölfjährigen verfolgt werden und stieß bei der für die Uni ungewohnten Hörergruppe auf Begeisterung. Angereichert durch viele live-Experimente und Visualisierung des Gesagten durch kindgerecht aufgearbeitete Folien und Videoclips gab der Oldenburger Medizinphysiker Prof. Dr. Dr. Kollmeier erste Einblicke in die Hörforschung. Während der Vorlesung, die von einer NDR-Redakteurin moderiert wurde, konnten die Kinder auch Fragen stellen und im Anschluss noch mit dem Professor diskutieren. Ab der zweiten Vorlesung im April 2004 war der Zugang zu den Kinder Uni-Vorlesungen nicht mehr über die Schulen geregelt. Schon Stunden vor den jeweiligen Vorlesungen bildeten sich Warteschlangen vor dem Audimax, und nicht alle Kinder, die die Vorlesung hören wollten, konnten wegen Überfüllung in den Hörsaal eingelassen werden. Jeweils etwa 200 Kinder konnten die Vorlesung jedoch im Foyer des Hörsaalzentrums auf einer Großleinwand verfolgen. Aber selbst da ergaben sich Kapazitätsgrenzen, so dass nach der Sommerpause der Zugang über kostenlose Eintrittskarten geregelt wurde. Dies führte allerdings dazu, dass die Warteschlangen nun zur Ausgabestelle der Eintrittskarten verlagert wurden. Im ersten KinderUni-Jahr wurden in der Zeit von Februar bis Dezember 2004 insgesamt neun Vorlesungen durchgeführt, die alle vor überfülltem Haus (inklusive Großbildschirmplätze) stattfanden. Der Schwerpunkt der Vorlesungen lag im naturwissenschaftlichen Bereich, weil gerade in den Naturwissenschaften durch veranschaulichende Experimente und Versuchsanordnungen („da brummt´s und knallt´s auch mal ordentlich …“) die „Welt der Wissenschaft und Forschung“ vorgestellt und verdeutlicht werden kann. Es wurde Auskunft gegeben darüber, „Warum brauchen Astronauten Raumanzüge?“, „Wo ist oben und wo ist unten im Weltall?“, „Was lässt den Kuchenteig aufgehen und warum sprudelt die Limo?“, „Warum brauchen Häuser einen Mantel?“, „Wer rast durch die Stromkabel?“, eine Mathematikprofessorin zeigte, „Wie man Botschaften verschlüsselt und Zahlencodes knackt“ und zwei JuniorprofessorInnen der Informatik erklärten „Wie Dinos wieder laufen lernen und andere Geheimnisse im Computer“. Mit diesen Wissenschaftsfragen und ihren Antworten wurde das Interesse der „jungen Studierenden“ getroffen: Sowohl die für eine so große Kinderzahl zumeist ungewöhnlich ruhige Atmosphäre während der Vorlesungen als auch die Fragen, die von den „JungwissenschaftlerInnen“ gestellt wurden, zeigen deutlich, mit welcher Neugierde den unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten begegnet wurde und wie intensiv sich die Kinder auf die vermittelten Inhalte einlassen konnten. 166
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Die nach jeder Vorlesung von SchülerInnen des 6. Jahrgangs der HeleneLange-Schule durchgeführte Fragebogenevaluation ergab, das „alles“ bzw. „viel“ verstanden wurde von dem, was die ProfessorInnen erklärt hatten und dass vor allem die Experimente den meisten „sehr gut“ gefallen hatten. Obwohl der Besuch der KinderUni-Vorlesung bei vielen Kindern von Eltern/ Verwandten oder auch FreundInnen oder LehrerInnen initiiert worden war, gaben etwa zwei Drittel der befragten Kinder im Anschluss an die Vorlesungen an, dass sie „zu jeder Vorlesung“ gern wiederkommen würden und weitere 25% wollten „zu bestimmten Vorlesungen“ wiederkommen. Diese Aussagen weisen darauf hin, dass es durch die Vorlesungen gelungen scheint, das Interesse an Wissenschaft zu wecken bzw. zu festigen. Dass es gelungen ist, das Interesse der Kinder während der Vorlesungen derart zu fesseln, hat sicherlich nicht nur mit dem Inhalt, sondern auch mit der Form der Vermittlung zu tun. Während der Vorlesungen wird ja nicht 45 Minuten „vorgelesen“ – das würden die jungen ZuhörerInnen gar nicht zulassen.1 Der Stoff muss dramaturgisch spannend rübergebracht werden, damit der Lärmpegel im Hörsaal nicht zu hoch steigt. Dafür gibt es dann aber auch Zwischenapplaus und Zugabe-Rufe, wenn ein Versuchsaufbau und -ablauf besonders beeindruckend ist: die Kinder reagieren sofort – sowohl auf Positives, als auch auf Negatives. Damit die „Inszenierung“ stimmt, gibt es für fast alle Vorlesungen einen Probelauf, nach dem aufgrund des Feedbacks von einigen Kindern und den OrganisatorInnen zumeist noch ein wenig am „Drehbuch“ gefeilt wird. Nach den Erfolgen des ersten Oldenburger KinderUni-Jahres wurde eine Fortsetzung nicht infrage gestellt, zudem die Sponsoren, die diese Großveranstaltung erst möglich gemacht hatten, auch für das zweite Jahr wieder ihre großzügige Unterstützung angekündigt hatten. Und so wurde für 2005 ein neues Programm aufgestellt, diesmal als eine Mischung aus geistes- und naturwissenschaftlichen Vorlesungen. Die ersten Vorlesungen im „Frühlingssemester“2 waren trotz der Optimierung bei der Kartenausgabe so schnell vergriffen, dass eine Wiederholung der Vorlesungen am gleichen Tag angesetzt wurde. Die „Erfolgsstory“ kann also fortgeschrieben werden.
1 Unseren Erfahrungen zufolge muss ca. alle drei Minuten „etwas passieren“, was den Redebeitrag unterbricht, verdeutlicht, illustriert. Comics, Videoclips, Rollenspiele, szenische Einlagen, kleinere Experimente, bei denen ein paar Kinder auf der Bühne mitmachen können und natürlich größere Versuche bringen Abwechslung und fangen die Aufmerksamkeit der Kinder immer wieder ein. 2 Im zweiten Jahr wurden die Kindervorlesungen komplett in die vorlesungsfreie Zeit verlegt, weil damit Kollisionen mit den Abläufen des „normalen“ Unibetriebes besser vermieden werden konnten und für die zumeist doch recht aufwendigen Vorbereitungsarbeiten für OrganisatorInnen und TechnikerInnen mehr Spielräume vorhanden waren. 167
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4. Und was sagt das inneruniversitäre Umfeld? Dass die Oldenburger KinderUni nach außen, in die Weser-Ems-Region hinein, ein großer Erfolg war und dort auch auf Anerkennung und Zustimmung stieß, wurde bereits deutlich. Wie sieht es damit aber innerhalb der Hochschule aus? Wie sicherlich bei allen größeren Projekten und Initiativen gab es auch für die „KinderUniversität“ UnterstützerInnen und solche, die dieser Idee eher skeptisch gegenüberstanden. Bei letzteren war es häufig die Frage, ob sich eine Hochschule in Zeiten der Studienstrukturreform und schmaler werdender Finanzausstattung ein derartiges zusätzliches Engagement überhaupt leisten könne. Da die KinderUni durch regionale Sponsoren ausgestattet war und somit keine zusätzlichen Kosten verursachte, die an anderer Stelle hätten eingespart werden müssen, konnte derartigen Argumenten schnell begegnet werden. Der Präsident der Universität war ein großer Befürworter der KinderUni und half dabei, dieses Projekt auch inneruniversitär positiv zu kommunizieren. So fiel es den PlanerInnen nicht schwer, genügend „mutige“ ProfessorInnen für die Vorlesungen zu finden und die erste Vorlesungsstaffel auf die Beine zu stellen. Bei diesen Planungsarbeiten konnte auf bereits aus Weiterbildungszusammenhängen bestehende Kontakte zu Lehrenden zurückgegriffen werden, die durch die umfassende Vorbereitungsarbeit für jede einzelne Kindervorlesung noch intensiviert werden konnten. Durch langjährige Erfahrungen im Rahmen der Arbeit mit „Seminarkursen“ war deutlich, dass es nichts „Anrüchiges“ ist, wenn Wissenschaft populär aufgearbeitet wird. Zudem gibt es Informationen zu Forschungsschwerpunkten einzelner ProfessorInnen, und es waren viele Lehrende durch vorherige Medienkontakte hinsichtlich ihrer „Medienwirksamkeit“ bereits bekannt. Dies ist für ein Medienereignis wie die KinderUni3 nicht unerheblich und hat mit Sicherheit zu dem anhaltenden Erfolg maßgeblich beigetragen.
5. „Öffnung der Hochschule“ auch für Kinder – Engagement für zentrale Weiterbildungseinrichtungen? Wenn man sich die gängigen Zielgruppen von Angeboten wissenschaftlicher Weiterbildung an Hochschulen vor Augen führt, dann sind Kinder zunächst 3 Zu jeder KinderUni-Vorlesung gab es im Vorfeld umfangreiche Berichterstattung in Presse und Funk. Auch im Anschluss an die einzelnen Vorlesungen wurden ganzseitige Presseberichte und Radiointerviews und kleine -reportagen publiziert. Alle Vorlesungen wurden zudem für den regionalen TV-Sender O1 aufgezeichnet und werden dort einige Tage nach der Vorlesung wiederholt gesendet. 168
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nicht dabei. Betrachtet man die Initiative mit Blick auf den Bildungsauftrag, den Hochschulen haben, dann lässt sich eine Zuständigkeit der wissenschaftlichen Weiterbildung auch für Kinder durchaus begründen. Wenn wissenschaftliche Weiterbildung dazu beitragen soll, dass eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit, zwischen Elfenbeinturm und Alltag geschlagen werden soll, dann kann man nicht früh genug damit anfangen und dann sind gerade auch Kinder durchaus Zielgruppe der Öffnungsbemühungen. Wenn Kinder schon früh erfahren, dass Hochschulen auch ein Ort der „Verständlichmachung von Welt“ sind, dass es dort spannende Dinge zu entdecken und zu erfahren gibt, dann hat das auch Einfluss auf das spätere Lern- und Weiterbildungsverhalten. Somit sind KinderUni-Veranstaltungen, in denen die Kinder positive Erfahrungen mit der Institution Hochschule machen, ein guter Werbeträger – nicht nur für ein eventuelles Studium, sondern auch für die eigene Weiterbildung. Mit den KinderUni-Vorlesungen wurde ein Aspekt der Hochschulweiterbildung erneut gestärkt, der im Selbstverständnis vieler Weiterbildungseinrichtungen beim „Wettlauf am Markt“ in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten ist: Der Bildungsaspekt. Dieser wird immer häufiger vom reinen Qualifizierungsgedanken verdeckt, überholt oder gar verdrängt. Im Aufgabenfeld „Öffnung der Hochschule“ kann hier gegengesteuert werden, indem die Hochschule das in ihrem Umfeld produzierte Wissen allgemeinverständlich weitergibt. Wenn dies im Rahmen der KinderUni-Vorlesungen durch den Event-Charakter, den diese Großveranstaltungen zugegebenermaßen auch haben, ermöglicht wird, so ist dies eine Möglichkeit, Hochschule als moderne Institution zu präsentieren. Dass Wissenschaft nicht in verstaubten Gelehrtenstuben stattfindet und von daher „grottenlangweilig“ ist, dass haben die jungen BesucherInnen der KinderUni begriffen. Und es gibt immer häufiger Anfragen von Erwachsenen, ob man derartige Veranstaltungen nicht auch für sie anbieten könne. Auch sie würden sich für das, was an der Hochschule geschieht, interessieren, und wenn das dann so verständlich und spannend wie in den KinderUni-Vorlesungen präsentiert werden würde, dann hätten sie vielleicht auch endlich mal die Chance, bestimmte Zusammenhänge zu verstehen oder bis dato ungeliebte (oft naturwissenschaftliche) Fächer besser kennen zu lernen. Die Hochschule hat durch die KinderUnis auch vielen Erwachsenen (zumeist begleitenden Eltern, Großeltern, die die Vorlesungen z.B. auf der Großbildwand verfolgen konnten) Appetit gemacht, sich mit Wissenschaftsfragen auseinander zu setzen. Fragen wie „Wie finden die Vögel den Weg nach Afrika“ oder „Wie kommt das Geld in den Geldautomaten“ sind durchaus solche, deren Beantwortung auch Erwachsene interessiert. Und so machen wir uns in Oldenburg derzeit Gedanken über ein Konzept, (populär-)wissenschaftliche Vorträge auch für Erwachsene anzubieten. Dies wäre beispiels169
CHRISTIANE BROKMANN-NOOREN
weise im Rahmen einer „SamstagsUni“ oder „Uni zur Marktzeit“ eine gute Möglichkeit, Wissenschaft und Region noch dichter miteinander in Kontakt zu bringen und die regionale Anbindung der Universität zu steigern. Das Engagement der wissenschaftlichen Weiterbildung im Bereich der KinderUniversität ist lohnend. Es kann bei der Konzeption, Planung, Organisation und Durchführung derartiger Aktivitäten auf viel Erfahrung zurückgegriffen werden, die auch für KinderUniversitäten eingesetzt werden können. Die MitarbeiterInnen der Weiterbildungseinrichtungen haben zumeist gute Kontakte zu WissenschaftlerInnen verschiedenster Fakultäten, so dass ein breites und alle Wissenschaftsdisziplinen umfassendes Programm zusammengestellt werden kann. WissenschaftlerInnen, die durch ihr Engagement in Weiterbildungsveranstaltungen bereits gewohnt sind, mit anderen Zielgruppen als Studierenden zu arbeiten und damit auch über umfassende Erfahrungen verfügen, wenn Theorie und Praxis aufeinander treffen, können sich zumeist schnell auf die neue Zielgruppe Kinder einstellen. Die Arbeit mit und an der KinderUni ist selbstverständlich ein Engagement, das nicht „mal so nebenbei“ abgewickelt werden kann. Es muss viel Planungs- und Organisationsarbeit geleistet werden, wenn eine derartige Großveranstaltung zu nachhaltigem Erfolg führen soll. In Zeiten, wo verstärkt Weiterbildungseinrichtungen an Hochschulen dazu aufgefordert sind, vollkostendeckend zu arbeiten, stellt sich die Frage, ob sich das Engagement auf „Nebenschauplätzen“ wie der KinderUni überhaupt lohnt. Langfristig gesehen, so scheint es uns, kann diese Frage mit „ja“ beantwortet werden, sind doch die Kinder die AdressatInnen der Hochschule und damit auch der wissenschaftlichen Weiterbildung von morgen. Vor allem dann, wenn dies dem Aufgabenbereich „Öffnung der Hochschule“ zugeordnet wird, in dem ja bereits langjährige und umfassende Erfahrungen vorliegen, Wissenschaft allgemeinverständlich für breitere Bevölkerungskreise transparent zu machen.
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HANNELORE FAULSTICH-WIELAND Beiträge w issenschaftlicher Weiterbildung: Frauenstudien
Im Zusammenhang von Reformen zur Öffnung der Hochschulen bestand ein zentraler Anspruch der wissenschaftlichen Weiterbildung in einer doppelten Erweiterung der Hochschulbildung: Zum einen sollte ein breiterer Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreicht werden als diejenigen, die über einen regulären Hochschulzugang verfügten. Zum anderen sollten andere Inhalte und Themen forciert werden, die angesichts der disziplinären Ausrichtung von Studiengängen sonst kaum Chancen für eine Vermittlung hätten. Beide Zielsetzungen spielten für die Initiierung von Frauenstudien eine herausragende Rolle, so dass an ihnen exemplarisch überprüft werden kann, welche Änderungen im Wissenschaftssystem durch wissenschaftliche Weiterbildung erfolgten. Initiator war in diesem Fall die neue Frauenbewegung, die in der alten Bundesrepublik nach 1968 entstand. Sie wurde zu erheblichen Anteilen von Frauen aus Bildungseinrichtungen, von Lehrerinnen, Weiterbildnerinnen und Frauen aus Hochschulen getragen. Entsprechend richtete sich ein Teil ihrer Aktivitäten auch darauf, in die Institutionen, in denen die Frauen arbeiteten, hineinzuwirken bzw. die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen dort offen standen. Im Kontext der Universität wurde dies durch die Organisierung von mehrtätigen Veranstaltungen realisiert. So fand 1976 an der Freien Universität die erste Berliner Sommeruniversität für Frauen statt. Sie sollte allen Frauen offen stehen und ein neues Verhältnis von Frauenbewegung und Universität schaffen. Man kann sie als Beginn der Frauenforschung begreifen (Faulstich-Wieland 1995). Mit einer Unterbrechung 1981 fanden bis 1983 sieben Berliner Sommeruniversitäten statt. Die aufgeworfenen Themen spiegelten die Auseinandersetzungen innerhalb der Frauenbewegung wider:
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HANNELORE FAULSTICH-W IELAND
– – – – – – –
„Frauen und Wissenschaft“ (1976) „Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte“ (1977) „Frauen und Mütter“ (1978) „Autonomie versus Institution – Über die Leidenschaft und Macht von Frauen“ (1979) „Biederer Alltag – Radikale Träume“ (1980) „Überlebensstrategien“ (1982) „Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma – Wollen wir immer noch alles?“ (1983)
Zunehmend waren die Referate und Diskussionen von der Frage bestimmt, ob Frauen sich in die bestehenden Institutionen einmischen sollten oder ob sie durch die Herstellung und Sicherung autonomer Räume eigene Wege gehen wollten. Diese bedeuteten für einige Frauengruppen auch einen Rückzug in Spiritualität und Innerlichkeit, mit dem ein ihren Bedürfnissen entsprechendes (Frauen-)Leben erreicht werden sollte. Die Sommeruniversitäten fanden zwar im Raum der Universität statt, richteten sich jedoch nicht primär an Akademikerinnen oder Studentinnen, sondern an „alle Frauen“ und beanspruchten auch, allen gerecht zu werden. Das Ende der Sommeruniversitäten hatte zweifellos auch mit der Überforderung zu tun, die in diesem Anspruch zum Ausdruck kommt. Standen zu Beginn der neuen Frauenbewegung noch die einigenden Erkenntnisse aus der Öffentlichmachung privater Erfahrungen – gemäß dem Slogan „das Private ist politisch“ – im Vordergrund und boten die Selbsterfahrungsgruppen gemeinsame Erkenntnismöglichkeiten, so differenzierte sich dies zunehmend aus. Die Ausdifferenzierung fand in zwei unterschiedlichen Institutionalisierungsformen statt: Zum einen entstanden Frauenstudien als wissenschaftliche Weiterbildungen für „Familienfrauen“, zum anderen etablierte sich eine Frauenforschung, von der aus neue interdisziplinär angelegte Studiengänge – Gender Studies – eingerichtet wurden. Beide Stränge – die Frauenstudien für Familienfrauen und die Gender Studies – lassen sich einerseits als wesentliche Beiträge zu einer Veränderung von Öffentlichkeit begreifen, können also als Erfolgsgeschichten gelesen werden. Beide Stränge verweisen aber andererseits auf Probleme, die nach wie vor ungelöst bleiben. Im Folgenden sollen zunächst die weiterbildenden Frauenstudiengänge vorgestellt und miteinander verglichen werden. Im zweiten Schritt geht es um die Veränderungen im wissenschaftlichen Bereich durch die Entwicklung der Frauenforschung bzw. der Gender Studies. Abschließend soll gefragt werden, welchen Beitrag die beiden Stränge der Institutionalisierung von Frauen- bzw. Genderstudien zur Öffentlichkeit von Wissenschaft beigetragen haben und welche Probleme verbleiben.
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BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
1. Frauenstudiengänge An vier Universitäten in Deutschland werden derzeit Frauenstudiengänge als wissenschaftliche Weiterbildung für Frauen angeboten. Die Universität Dortmund war 1981 die erste, die ein solches Angebot einrichtete, es folgten die Universität Hamburg, die Universität Bielefeld und die Universität KoblenzLandau. Die Zielgruppe sind vor allem „Familienfrauen“, die einen beruflichen Wiedereinstieg in Arbeitsfeldern suchen, in denen sie mit Frauen- bzw. mit Gleichstellungsfragen zu tun haben werden. Dauer, Aufbau und Studieninhalte unterscheiden sich in den vier Fällen, so dass im Folgenden eine kurze Beschreibung der Studiengänge erfolgen soll.
1.1 Frauenstudien an der Universität Dortmund 1981 wurden an der Universität Dortmund die ersten „Frauenstudien“ an einer deutschen Universität als weiterbildende Veranstaltung eingeführt (Bruchhagen 1989). 1990 wurde das fünfsemestrige Studium institutionalisiert und kann nunmehr mit dem Zertifikat „Referentin für Frauenfragen in Bildung, Kultur und Politik“ abgeschlossen werden. Aufgenommen werden pro Jahr 60 Teilnehmerinnen, die nicht notwendigerweise ein Abitur haben, aber mindestens 24 Jahre alt sein, über eine abgeschlossene Berufsausbildung plus eine dreijährige berufliche Praxis oder Führung des Familienhaushalts verfügen müssen. Weiterhin müssen sie Praxiserfahrungen in der Frauenarbeit im Beruf und/oder Ehrenamt, in einer sozialen oder politischen Arbeit sowie die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen mit geschlechterrelevantem Inhalt nachweisen. Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen erwirbt das Zertifikat, die anderen absolvieren das Studium ohne Anspruch auf einen Abschluss. Hervorgegangen waren die Dortmunder Frauenstudien einerseits aus verschiedenen Initiativen im Ruhrgebiet, die in den 1970er Jahren eine stadtteilnahe Frauenbildungsarbeit entwickelten, andererseits aus Anregungen von der Berliner Sommeruniversität 1976. Hochschuldozentinnen und in der Bildungsarbeit tätige Frauen aus Dortmund, die an der Sommeruniversität teilgenommen hatten, beschlossen, eine ähnliche Veranstaltung im Ruhrgebiet zu institutionalisieren. Sie sollte auf die „alltägliche Lebenswelt der Frauen im Revier“ bezogen sein (Steenbuck 1985: 5). Die Dortmunder Frauenstudien verorten ihre Herkunft explizit in der Frauenbewegung, in ihrer Selbstdarstellung1 wird betont, die „Frauenstudien sind aus der Neuen Frauen(bildungs-) bewegung hervorgegangen und reagieren auf einen Bedarf nach feministischemanzipatorischer und wissenschaftlicher Weiterbildung für Frauen in der
1 http://www.fb12.uni-dortmund.de/frauenstudien/ 173
HANNELORE FAULSTICH-W IELAND
Region“ (auch Bruchhagen/Steenbuck 2001). Die Studieninhalte der Frauenstudien beziehen sich auf folgende Bereiche (vgl. auch Auflistung): „Theorie: Feministische Perspektive zur Analyse von Problemen der Praxis emanzipatorischer Frauenarbeit. Theoretische und empirische Ergebnisse der Frauenforschung, besonders zu den Problemen des Geschlechterverhältnisses. Praxis: Vermittlung fachlicher Kenntnisse für Bildung, Kultur und Politik. Bearbeitung von Fragen der Professionalisierung, Qualifikationsanforderungen und von Problemlagen einzelner Zielgruppen. Methoden: Methoden, Handlungsstrategien, Handlungskompetenzen zur Vermittlung von Ergebnissen und Erkenntnissen feministischer Analyse in die Praxis.“
Die Veranstaltungen werden nur zum Teil ausschließlich für die Teilnehmerinnen der Frauenstudien angeboten, zum Teil werden die geforderten Leistungsnachweise in regulären Seminaren der Universität Dortmund erworben, die sich für diese Zielgruppe geöffnet haben. Die im Sommersemester 2005 angebotenen Seminare können einen Einblick in die Inhalte der Dortmunder Frauenstudien geben (vgl. folgende Auflistung) – – – – – – – – – – – – – –
Frauenstudien und Geschlechterforschung (Einführungsseminar für Erstsemester) Schreiben als öffentliche Kulturtechnik; Schreibwerkstatt Praktikumsbetreuung – Praxisevaluation Gender mainstreaming in den Gewerkschaften „Unternehmer in eigener Sache“: Neues Bildungsleitbild? Zentrale Begriffe der Geschlechterforschung Einführung in die angewandte Frauen- und Geschlechterforschung Genderkonstruktion und Alltagsbewusstsein Beratung als Dialog Kompetenzen, Qualifikationen und Berufszugang Im Ehrenamt zu „Gottes Lohn“? Bürgerschaftliches Engagement in unterschiedlichen Arbeitsfeldern Warum hat Arbeit zwei Geschlechter? Zu den ökonomischen Konstruktionsbedingungen von Familienarbeit und Erwerbsarbeit Erziehung und Persönlichkeit Psychologische und sozialpolitische Aspekte der Interventionsgerontologie.
1.2 Hamburger Frauenstudien Seit 1987 bietet die „Koordinationsstelle Frauenstudien/Frauenforschung an Hamburger Hochschulen“ die Hamburger Frauenstudien an. Im Wintersemes-
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BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
ter 2003/04 hat das „6. Interdisziplinäre Studienprojekt“ begonnen, es endet im Wintersemester 2005/06, d.h. auch dieses weiterbildende Angebot umfasst fünf Semester. Die Rekrutierung der Teilnehmerinnen zielt wiederum auf Frauen, die ihre Ausbildung oder Erwerbstätigkeit zugunsten von Familienoder Erziehungsarbeit unterbrochen haben. Ein Abitur ist nicht notwendig. Wunschteilnehmerinnen sind für das Leitungsteam solche, „die Lust haben, mit anderen Frauen in kontinuierlich bestehenden Studiengruppen themenübergreifend zu arbeiten“2. Während der fünf Semester werden die ca. 60 Teilnehmerinnen in Studiengruppen zu je 15 zusammengefasst, die von speziell dafür qualifizierten ehemaligen Teilnehmerinnen geleitet werden. „Die Teams begleiten den Lernprozess der Gruppe und auch der einzelnen Teilnehmerin durch kreative Methoden, z.B. Rollenspiel, Lernbiographie etc. und sie fördern Kontakte und kommunikativen Austausch miteinander. Die Teams orientieren sich an den Lernbedürfnissen der Teilnehmerinnen, ermutigen zur Auseinandersetzung mit feministischen Fragestellungen und unterstützen den Findungsprozess für das eigene Thema und die Erstellung der abschließenden Projektarbeit“ (Studienhandbuch3: 5). Die Teilnehmerinnen müssen mindestens sechs Zeitstunden pro Woche anwesend sein. Die Studienangebote der Frauenstudien selbst finden donnerstags und freitags statt. Darüber hinaus können reguläre Veranstaltungen aus dem Frauenvorlesungsverzeichnis als Gasthörerinnen belegt werden. Am Ende ist eine eigenständige theoretische oder praktische Arbeit zu schreiben. Die Teilnehmerinnen können ein Zertifikat oder eine Teilnahmebescheinigung erhalten. Aus dem Angebot der Frauenstudien können die Teilnehmerinnen Schwerpunkte wählen. Ansonsten sollen die Seminare eine Einführung „in Erkenntnisse der aktuellen Frauenforschung, feministische Wissenschaft und Gender Studies“ sein, in denen „verschiedene Formen des Lernens sowie Studien- und Arbeitstechniken eingeübt“ werden. Versprochen wird den Teilnehmerinnen: „In den Frauenstudienseminaren werden unterschiedliche Arbeitsweisen zu Frauenbildung und Frauenforschung mit den Teilnehmerinnen erprobt und für das nächste Studienprojekt weiter ausgebaut. Die bestehenden Geschlechterrollen und die ihnen zugeschriebenen Wertvorstellungen werden in den FST-Seminaren kritisch hinterfragt. Daraus kann sich ein neues Selbstverständnis für die Teilnehmerinnen entwickeln. Ihre so gewonnenen Erkenntnisse eröffnen ihnen neue Perspektiven, z.B. ein
2 http://www.frauenforschung-hamburg.de/frauenstudien/index.htm 3 http://www.frauenforschung-hamburg.de/frauenstudien/studienhandbuch2003.pdf 175
HANNELORE FAULSTICH-W IELAND
geschlechtergerechteres Gesellschaftsverständnis. Daraus können weitere Bildungsund Berufswege entwickelt werden.“ 4
Die Hamburger Frauenstudien zielen also nur sehr bedingt auf eine Wiedereingliederung der Frauen in berufliche Tätigkeiten und damit auf konkrete Arbeitsfelder. Im Vordergrund stehen gemeinsame Erlebnisse in „weiblicher Kultur“ und eine Weitergabe dieser Erfahrungen an die nächsten Teilnehmerinnen eines Frauenstudienprojektes. Die Themen der wöchentlichen „Ringerzählung“ im ersten Semester des noch laufenden Frauenstudiendurchgangs zeigen diese Ausrichtung sehr deutlich (Studienhandbuch: 6): – – – – – – – – – –
„Inana. Eine sumerische Göttin.“ Zwei mögliche Wege zu einer vergessenen Göttinnenkraft, Weibliches Lernen, Gedächtnistraining und der Knoten im Gehirn, Die Mystikerin Hildegard von Bingen, Das Leben der Malerin Luise Preßlau, Jahreszeitenfeste gestern und heute, „[…] dass zum Laufen hilft nicht schnell sein.“ Zeitpraxis und -management im Familienhaushalt, „Affidamento.“ Wie Frauen miteinander umgehen, „Internationales Cafe.“ Ein Gespräch mit Frauen aus anderen Kulturen, Die Lebensgeschichte der Astrid Lindgren, eine Frau der Gegenwart, Reflexion.
Die Inhalte der explizit für die Teilnehmerinnen des Frauenstudiums angebotenen Veranstaltungen beziehen sich wie schon die Themen der „Ringerzählung“ primär auf Frauenleben und Frauengeschichte. Seminartitel (ebd.: 7-20) wie „Weibliches Philosophieren“, „Die weibliche Schöpfungskraft“, „Auf den Spuren unserer Ahninnen“ verdeutlichen, dass die „Anregungen für neue Denkrichtungen und Handlungsperspektiven“ (ebd.: 3) nicht aus der Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen, sondern aus der Beschäftigung mit Formen weiblichen Erlebens kommen sollen.
1.3 FrauenStudien an der Universität Bielefeld Seit 1988 existieren an der Fakultät Pädagogik der Universität Bielefeld FrauenStudien als weiterbildendes Angebot für Frauen ohne Hochschulzugangsberechtigung.5 Zwar haben fast 90 Prozent der bisherigen Teilnehmerinnen Kinder, doch ist eine „Familienphase“ nicht Voraussetzung für die Bewerbung zur Teilnahme an dem Studiengang, wohl aber eine abgeschlossene Be4 http://www.frauenforschung-hamburg.de/frauenstudien/index.htm 5 http://www.uni-bielefeld.de/fstudien/ 176
BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
rufsausbildung und das Mindestalter von 24 Jahren. Der Studiengang dauert sechs Semester und umfasst neben speziellen Angeboten nur für die Teilnehmerinnen des Studiengangs wiederum auch reguläre Lehrveranstaltungen. Bestritten werden die Angebote von neun Fakultäten. Das Studium qualifiziert in einem von drei Schwerpunkten, nämlich Pädagogische Beratung, Politik und Bildungsarbeit oder Umwelt und Gesundheit. Es schließt mit Zertifikat und Titel „Referentin für Frauenfragen“ im jeweils gewählten Bereich ab. Das weiterbildende Studium beansprucht – so die Homepage – den Teilnehmerinnen die Möglichkeit zu eröffnen, „weibliche Lebenszusammenhänge auf der Basis wissenschaftlicher Erklärungsansätze zu reflektieren und neue Perspektiven für ihre individuelle Zukunftsgestaltung zu entwickeln. Dabei knüpft das Lehrangebot an die besonderen Kenntnisse der Teilnehmerinnen aus ihren Erfahrungen in der Familienarbeit, in ehrenamtlicher und beruflicher Arbeit an. Während des Studiums analysieren die Studierenden die Situation von Frauen in verschiedenen Lebensbereichen und deren gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen.“
Als Zielsetzung werden verschiedene berufliche Wege angestrebt: – – –
„Entscheidungssicherheit für eine direkte berufliche Integration bieten, in die Aufnahme eines Regelstudiums (für Frauen ohne Hochschulzugangsberechtigung über eine Einstufungsprüfung) münde n, einen beruflichen ‚Quereinstieg‘ in soziale oder pädagogische Handlungsfelder durch ‚Qualifikationskombinationen‘ eröffnen.“
Ähnlich wie die Dortmunder Frauenstudien signalisiert das zu erwerbende Zertifikat, dass der Studiengang für eine gleichstellungsrelevante Tätigkeit qualifiziert. Die Orientierung ist allerdings breiter angelegt, da die Teilnehmerinnen auch ermutigt werden sollen, in ein reguläres Studium einzumünden oder eine Beschäftigung im breiteren Feld der sozialen und pädagogischen Berufe zu finden.
1.4 Koblenzer Frauenstudien – Wissenschaftliche Weiterbildung für Frauen Der Koblenzer Frauenstudiengang wurde 1993 eingerichtet und ist damit das jüngste Weiterbildungsangebot dieser Art. Er hat ähnliche Zugangsvoraussetzungen wie die anderen Frauenstudien: Abitur ist nicht notwendig, aber eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine dreijährige selbstständige Führung eines Mehrpersonenhaushaltes. Ehrenamtliche Tätigkeit von mindestens zwei Jahren und eingehende Weiterbildungsaktivitäten werden ebenso wie
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eine ausführliche handschriftliche Darstellung der Studienmotivation6 erwartet. Die Zielgruppe sind explizit „Familienmütter“: „Dieses universitäre Weiterbildungsangebot für Frauen trägt vor allem der Bildungsbenachteiligung der heutigen Familienmütter (etwa zwischen 30 und 60 Jahren) Rechnung. Es soll einen universitären Seiteneinstieg für Frauen anbieten, die wegen der Einbindung in die Familie nicht zum Universitätsstudium gekommen sind. Sie haben z.B. ihr Studium bzw. ihre Berufstätigkeit unterbrochen oder sie erfüllen nicht die Eingangsvoraussetzungen zum Universitätsstudium oder wollen einfach zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Start suchen“.
Der Studiengang dauert fünf Semester und umfasst ein Probesemester zur Orientierung sowie zwei Semester Grundstudium und zwei Semester Hauptstudium. Insgesamt sind 64 Semesterwochenstunden zu studieren und zwei Praktika – ein vierwöchiges Blockpraktikum im Grundstudium in Tätigkeitsfeldern mit den Schwerpunkten gesellschaftspolitische Frauenförderung und sozialpädagogische Frauenbildung und ein Fachpraktikum von insgesamt mindestens 40 Stunden in Bereichen der Beratung und Bildung, das einen Schwerpunkt in der Anwendung gruppenpädagogischer und didaktischer Maßnahmen hat – zu absolvieren. Studiengruppen von drei bis fünf Teilnehmerinnen sind als feste Kleingruppeneinheiten durch das Studium gedacht. Die Inhalte des Studienrichtungsangebots sind: – – – –
„Feministische Theorie und Praxis; Weiblichkeit und Identität; Frauenemanzipation; Geschlechterdifferenz und Erziehung; Sexualität und Familie; Frauen in der mittleren Lebensspanne; Frauen und Öffentlichkeit; Frauen und Erwerbsarbeit; Frauen und Recht; Prinzipien und Methoden der Frauenforschung; Geschichte der Frauenbildung und Frauenbewegung“.
Ergänzend können die Teilnehmerinnen aus dem regulären Angebot der Universität Veranstaltungen nach ihren Interessen belegen. Der erfolgreiche Abschluss des Studiums wird mit einem Zertifikat bescheinigt.
1.5 Vergleich der Frauenstudiengänge Vergleicht man die vier Studiengänge, dann lassen sich sowohl Gemeinsamkeiten wie Unterschiede feststellen: Die Adressatinnen sind in allen vier Fällen vor allem „Familienfrauen“. Für die Dortmunder und Koblenzer Studiengänge werden allerdings weiter gehende Voraussetzungen festgelegt: Neben 6 http://www.uni-koblenz.de/fb1/fraustud.html 178
BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
einer abgeschlossenen Berufsausbildung müssen auch bereits Erfahrungen sowohl in frauenpolitischen Arbeitsfeldern wie in geschlechterbezogenen Weiterbildungen mitgebracht werden. Auch in Bielefeld wird eine abgeschlossene Berufsausbildung erwartet. In Hamburg wird dagegen mehr Wert auf die Familienphase gelegt und den Wunsch, danach etwas Neues zu beginnen. Der Bielefelder Studiengang dauert sechs Semester, die anderen drei Studiengänge sind auf fünf Semester angelegt. Alle Studiengänge bieten eigene Veranstaltungen an, integrieren aber auch reguläre Lehrveranstaltungen in die Studienpläne. Die Teilnehmerinnen können in allen vier Fällen ein Zertifikat erhalten, nur in Dortmund und in Bielefeld sind diese Zertifikate jedoch inhaltlich definiert, indem sie die erfolgreichen Teilnehmerinnen als „Referentin für Frauenfragen“ ausweisen. Die Ziele und Inhalte der Studiengänge klingen auf den ersten Blick sehr ähnlich, unterscheiden sich jedoch m.E. sehr deutlich. Der Bielefelder Studiengang zielt hier am ehesten auf eine Integration in eine reguläre akademische Ausbildung sowie auf eine Erwerbstätigkeit im sozialen Bereich. Seine Inhalte sind entsprechend auch auf eine Qualifizierung für diese Tätigkeiten ausgerichtet. Die Besonderheit liegt hier in der Verbindung reflektierter Erfahrung der Frauen im Reproduktionsbereich mit deren Einbringen in soziale Tätigkeitsfelder des Erwerbsbereichs. Der Dortmunder ebenso wie der Koblenzer Studiengang rücken auch die ehrenamtliche Tätigkeit in den Blick. Dabei bearbeiten die Seminarangebote im Dortmunder Studiengang verstärkt auch Aspekte der Geschlechterverhältnisse, während der Koblenzer Studiengang sich mehr auf die Betrachtung von Frauenleben konzentriert. Der Hamburger Frauenstudiengang weicht am stärksten ab von diesen Zielen und Inhalten. Er versteht sich in erster Linie als Initiator für ein Netzwerk von Frauen, die miteinander und füreinander etwas tun wollen. Er dient einer Einführung in als spezifisch weiblich erfahrene Bereiche und darüber einer Aufwertung der Teilnehmerinnen als Zugehörige einer traditionsreichen Frauenkultur – die möglichst an andere Frauen in einem nächsten Durchgang des Frauenstudiengangs weitergegeben werden sollen.
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2. Von der Offenen Frauenhochschule über die Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung zu den Gender Studies Das Ende der Sommeruniversitäten bedeutete keineswegs das Ende der Entwicklung von Frauenforschung. Boten bereits die Sommeruniversitäten – trotz ihres Charakters als Veranstaltungen für alle Frauen – Chancen, sich über Möglichkeiten und Grenzen bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Bearbeitung von „Frauenfragen“ auszutauschen, so wurde diese Entwicklung zunächst fortgesetzt durch Offene Frauenhochschulen. Parallel dazu erkämpften Wissenschaftlerinnen die Einrichtung von Professuren für Frauenforschung und nutzten neben Organisationsformen wie dem Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen in Nordrhein-Westfalen und den Sektionen zur Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bzw. in der für Erziehungswissenschaft die Frauenhochschule als Orte des Austauschs. Der Charakter der Frauenhochschule als offener Veranstaltung bot wichtige Anstöße für die Entwicklung der Frauenforschung. Zugleich geriet sie damit an Grenzen: Je differenzierter die Fragestellungen in der Frauenforschung wurden, desto weniger war es möglich, über alle Disziplinen hinweg gemeinsam daran zu arbeiten oder sich auszutauschen. Insofern wurden nach und nach diese Art von Veranstaltungen abgelöst durch stärker institutionalisierte Formen von Gender Studies.
2.1 Von der Offenen Frauenhochschule zur Einrichtung von Frauenforschungsprofessuren Das Interesse vor allem bei Akademikerinnen an stärker theoretisch ausgerichteten Arbeiten über Geschlecht und Geschlechterverhältnis war mit ein Grund für die Auseinanderentwicklung von Frauenbewegung und Frauenforschung, deren unabdingbarer Zusammenhang zu Beginn und zu Zeiten der Sommeruniversitäten geradezu dogmatisch postuliert wurde. Mit dem Ende der Sommeruniversitäten und der Weiterentwicklung der Frauenforschung entstand ein neuer Bedarf an Austausch, nämlich jener innerhalb von Universitäten. Von der Kontaktstelle für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Kassel7 wurden entsprechend zehn Offene Frauenhochschulen durchgeführt. Dabei handelte es sich jeweils um mehrtägige Veranstaltungen mit Vorträgen und Workshops zu verschiedenen Themen. 1986 bis 1991 fand die Offene Frauenhochschule einmal jährlich statt, danach gab es noch 1993, 1995, 1998 und 1999 entsprechende Treffen. Dokumentationen liegen von sechs dieser Frauenhochschulwochen vor, nämlich: 7 Damals firmierte die Universität noch unter Gesamthochschule Kassel. 180
BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
– – – – – –
1987 Wechselwünsche (Dölle 1987), 1990 Frauen zwischen Ost und West (Sachs/Lindecke 1991), 1991 Women’s Studies in den Niederlanden (Sachs 1992), 1993 Politik der Frauenförderung – Frauenförderung eine brauchbare Politik? (Herlt 1994), 1995 ReVision – Perspektiven feministischer Theorie und Politik der 1990er Jahre (Herlt/Sachs 1996), 1999 INTERaktionen. Formen und Mittel der Verständigung (AndresMüller 2000).
Mit der ReVisionsveranstaltung 1995 sollte ein Rückblick und eine Neupositionierung erfolgen, hatte doch der Wechsel von einem jährlichen zu einem zweijährigen Turnus gezeigt, dass auch die Funktion dieser Art des Austauschs – wie schon jene der Berliner Sommeruniversitäten – nicht mehr eindeutig war und mit nachlassenden bzw. konfligierenden Interessen zu kämpfen hatte. Regine Gildemeister, damals Vizepräsidentin der Universität Kassel formulierte noch einmal den Anspruch auf Interdisziplinarität der Frauenforschung und ihre Verbindung mit der Frauenbewegung: „Von Anfang an war die Offene Frauenhochschule nicht explizit an wissenschaftlichen Disziplinen orientiert, sondern an einem allgemeinen, umfassenden Wissenschaftsbegriff, der in der Tradition der Aufklärung verankert ist. Mit der Offenen Frauenhochschule sollte ein Raum geschaffen werden, in dem Frauen sich mit ihren Themen zur Sprache bringen konnten, öffentlich werden konnten. Frauenforschung sollte eben kein exklusiver Zirkel an der Universität sein, in dem einige engagierte Wissenschaftlerinnen vor sich hin experimentieren und denken. Frauenforschung sollte vielmehr aus den Bedürfnissen der politischen Bewegung der Frauen heraus entwickelt werden und auf diese zurückwirken“ (Gildemeister in Herlt/Sachs 1996: 9). Zu diesem Zeitpunkt war die Auseinanderentwicklung von Frauenforschung und Frauenbewegung jedoch schon offensichtlich: – –
Der Disziplinbezug in der Frauenforschung verstärkte sich, je differenzierter und präziser die Erarbeitungen vorgenommen wurden. Auf Grund der erreichten Veränderungen durch Frauenfördermaßnahmen und Gleichstellungsregelungen gab es immer weniger explizites Engagement im Sinne der bisherigen Frauenbewegung.
Es dauerte dann drei Jahre, bevor die nächste, und ein weiteres Jahr, bis die letzte Offene Frauenhochschule veranstaltet wurde. In dieser standen bereits weniger interdisziplinäre Ansätze und theoretische Forschungsfragen im Mittelpunkt, sondern literaturwissenschaftliche Betrachtungen von Frauenliteratur (Andres-Müller 2000). 181
HANNELORE FAULSTICH-W IELAND
Parallel zu den Aktivitäten der wissenschaftlichen Weiterbildung ging die Entwicklung der Frauenforschung einher mit der Einrichtung von entsprechenden Professuren und der Institutionalisierung von Studiengängen (Faulstich-Wieland 2003). Die ersten acht Professuren wurden in den Jahren 1985 bis 1989 an der Freien Universität Berlin (vier Stellen), der Universität Bielefeld (zwei Stellen) sowie an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main und der Universität Osnabrück eingerichtet. In den folgenden Jahren stiegen die Zahlen dann jeweils um einige pro Jahr an – mit einem Höhepunkt 1992, als 13 Stellen besetzt wurden. Im Frühjahr 2005 gab es insgesamt 108 Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung an bundesdeutschen Universitäten, von denen 97 besetzt waren.8 Als zentrales Merkmale der Frauenforschung wurde von Anfang an ihre Interdisziplinarität betont. Die Forderung nach Interdisziplinarität bedingte sich durch den Anspruch, die herkömmlichen Wissenschaften, die als androzentrisch angesehen wurden, zu verändern. Die gemeinsame Basis eines solchen veränderten Wissenschaftsverständnisses sollte Parteilichkeit für Frauen sein. Die neue, feministische Wissenschaft erhob den Anspruch, „emanzipatorisch, politisch-kritisch und gesellschaftsverändernd“ zu wirken (Kahlert 2001: 7). Der Anspruch der engagierten Frauenforscherinnen zielte dabei in der Regel auf eine Doppelstrategie: Aus der gemeinsamen interdisziplinären Arbeit heraus sollten die jeweiligen Herkunftsdisziplinen verändert, ihr Androzentrismus überwunden werden. Schaut man sich die Zuordnung der existierenden Stellen für Frauen- und Geschlechterforschung an, dann haben nur vier Stellen keine disziplinäre Anbindung, davon sind zwei Gastprofessuren mit wechselnder Besetzung. Mit 22 Professuren in der Soziologie und 16 in der Erziehungswissenschaft sind dies die beiden stärksten Disziplinen. Es folgen die Literaturwissenschaften mit acht Stellen, die Psychologie mit sieben, Politikwissenschaft und Medizin mit jeweils sechs Stellen, Geschichte mit fünf Stellen und Kunstwissenschaften mit vier Stellen. Je drei Stellen sind in den Rechtswissenschaften und in den Wirtschaftswissenschaften, weitere Fächer sind nur mit zwei oder einer Professur vertreten. Der Bezug zu den herkömmlichen Disziplinen überwiegt also gegenüber einer Interdisziplinarität. Auf der anderen Seite konstatiert Ulla Bock, dass die Frauen- und Geschlechterforschung mittlerweile als „Wissensgebiet deutliche Konturen einer wissenschaftlichen Disziplin angenommen hat“ (Bock 2002: 113). Dies spiegelt sich wieder in den Versuchen, Studienangebote mit eigenen Abschlüssen zu entwickeln.
8 http://www.fu-berlin.de/zefrauen/doku/doku_prof_tab_uebersicht.htm 182
BEITRÄGE WISSENSCHAFTLICHER W EITERBILDUNG: FRAUENSTUDIEN
2.2 Gender Studies Zugleich mit den Stellenbesetzungen von Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung oder in deren Folge gab es an einigen Universitäten die Gründung von Zentren für Frauen- und Geschlechterforschung, die in der Regel das Ziel hatten, eigene Studiengänge – Gender Studies – zu etablieren. Die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin listet für Mai 2005 zwanzig mehr oder weniger institutionalisierte Studiengänge auf.9 Jahr des Beginns Universität
1991 1997 1997 1997 1999 2000 2000 2000 2000
2000
2001 2001 2001 2002 2003
Studiengang
Studienschwerpunkt „Pädagogische Frauenforschung“ im Magister-Studiengang Erziehungswissenschaft Humboldt UniMagister-Haupt- und Nebenfach-Studiengang „Geversität zu Berlin schlechterstudien/Gender Studies“ Universität Magister-Nebenfach-Studiengang „Frauen- und GeOldenburg schlechterforschung“ Universität Promotions-Studiengang „Kulturwissenschaftliche Oldenburg Geschlechterstudien“ Universität Studienprogramm „Gender Studies“ Hannover Studienschwerpunkt „Interdisziplinäre Frauen- und TU Berlin Geschlechterforschung" Universität Interdisziplinärer Studienschwerpunkt „GeschlechterHamburg (HWP) verhältnisse/Frauenforschung“ Universität Studieneinheit „Gender Studies“ Regensburg Universität Interdisziplinäres Studienprogramm „Frauenstudien/ Frankfurt Gender Studies“ Universitäten Bielefeld, BoModellstudium Gender Studies (VINGS = Virtual chum, Hannover International Gender Studies) und FernUniversität Hagen Universität Trier Zertifikat „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“ Universität Magister-Nebenfach-Studiengang „GeschlechterforGöttingen schung“ Universität Magister-Nebenfach-Studiengang „Gender Studies/ Freiburg Geschlechterforschung“ Universität Master-Studiengang „Gender und Arbeit“ Hamburg (HWP) Hamburger Magister-Neben-, Wahl-, oder Zusatzfach in DiplomHochschulen studiengängen „Gender Studies“ Universität Osnabrück
9 http://www.fu-berlin.de/zefrauen/doku/doku_studien_daten.html 183
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2003 2003 2003 2003 2005
Universität Marburg Universität Freiburg Freie Universität Berlin Universität Bremen Universität Bochum
Studienprogramm „Gender Studies und feministische Wissenschaft“ Master-Studiengang „Gender Studies /Geschlechterforschung“ Weiterbildender Zusatz-Studiengang „GenderKompetenz“ Zertifikats-Studiengang „Gender Studies/Geschlechterstudien“ Master-Studiengang Gender Studies „Kultur, Kommunikation, Gesellschaft"
Keiner dieser Studiengänge ermöglicht es bisher, ausschließlich Gender Studies zu studieren. Entweder ist das Angebot Teil eines anderen Studiengangs – wie z.B. in Osnabrück – oder es kann nur als Nebenfach (z.B. Göttingen) mit einem disziplinären Hauptfach studiert werden. Oder aber es handelt sich sowieso um einen Aufbaustudiengang zur Promotion (z.B. Oldenburg), zu einem Masterabschluss (z.B. Hamburg) oder zu einem weiterbildenden Zertifikat (z.B. FU Berlin). Am ehesten nähert sich noch die Humboldt-Universität in Berlin mit dem Hauptfach Gender Studies der Aufgabe von disziplinärer Ausbildung an – wobei hier allerdings durch ein zweites Hauptfach in einer traditionellen Disziplin die disziplinäre Verankerung gesichert wird. Es wäre durchaus auch problematisch, eine solche Verankerung nicht mehr herzustellen, wie Erfahrungen aus Kanada zeigen, wo Women’s Studies als Hauptfach bis zur Dissertation studiert werden kann. Die Absolventinnen solcher Studiengänge haben nämlich – anders als die Pionierinnen, die sie mal eingerichtet haben, keine disziplinäre Basis mehr. „If students take Women’s Studies as a major at the undergraduate level, and continue with a master’s and doctoral degree in Women’s Studies, they may have never received training within any given discipline. Can one be interdisciplinary without training in at least one discipline? ‚Inter-‘ means between – between what and what are we interdisciplinary if we are not grounded in anything other than the in-between itself?“ (Margrit Eichler 1996: 5, zitiert nach Pelkner 1998: 131).
Die berechtigte Kritik der Frauenforschung an den wissenschaftlichen Disziplinen ist also nicht einfach überführbar in eine interdisziplinäre Ausbildung, sie bedarf vielmehr umfassender Reflexionen über die Rolle von Disziplinen und deren Entwicklungen.
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3. Frauenstudien und Gender Studies als Öffentliche Wissenschaft? Fragt man abschließend, inwieweit es den Frauenstudiengängen und den Gender Studies gelingt, öffentliche Wissenschaft herzustellen, so lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Zweifellos erreichen die weiterbildenden Frauenstudiengänge Adressatinnen, die mindestens zum Teil ansonsten keinen Eingang in die Universitäten gefunden hätten. Inhaltlich waren die Frauenstudiengänge angetreten mit dem Anspruch, jene Qualifikationen aufzuwerten, die durch Familienarbeit erworben werden. Dies sollte zum einen durch deren Wertschätzung und Anerkennung bei den Frauen selbst erfolgen – gegen die „normale“ Marginalisierung und Abwertung von Haus- und Familienarbeit. Die Erfahrungen in Haus- und Familienarbeit sollten zudem genutzt werden, um Veränderungen in der Gestaltung sozialer und gesellschaftlicher Arbeits- und Lebensbereiche zu bewirken. Der Einsatz der Absolventinnen als „Referentinnen für Frauenfragen“ zielt auf das Einbringen der Verbindung von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit reflektierten persönlichen Erfahrungen in kommunale und betriebliche Entwicklungen. Die Qualifikationen aus der Reproduktionsarbeit sollten aber nicht nur Eingang finden in politische Veränderungen. Sie sollten auch als gleichwertige Leistungen in Bewerbungen um Studien- und Arbeitsplätze berücksichtigt werden. Hier lässt sich zeigen, dass dieser Anspruch mittlerweile Eingang gefunden hat in die Diskussion um die Ausbildung für soziale Berufe. „Informelle Kompetenzen“ sollen dort allgemein anerkannt werden. Allerdings gibt es bisher keine befriedigenden Lösungen, weil die präzise Bestimmung solcher Kompetenzen und ihre Prüfbarkeit fehlen. Allein die Tatsache, Kinder für eine Zeitlang Vollzeit betreut zu haben, sagt noch wenig über die Befähigung dazu oder gar den Transfer der Qualifikation in andere Bereiche aus. Die anfängliche Verbindung von Frauenbewegung und Frauenbildung hatte explizit gesellschaftskritische Impulse, die auf eine Veränderung sowohl der Lebens- und Arbeitsbedingungen wie der Wissenschaft zielten. Hier lassen sich für die Impulse, die mit den weiterbildenden Frauenstudien einhergehen, sehr wohl Erfolge zeigen: Reproduktionsarbeit und Vereinbarkeit von Beruf speziell unter dem Aspekt von sich verändernden Anforderungen im familiären Bereich – nämlich die zunehmende Bedeutung der Pflege alter oder kranker Angehöriger – ist ein Bereich, dessen Bearbeitung im Zusammenhang mit dem Bielefelder Frauenstudiengang eine Form von öffentlicher Wissenschaft voranbringt (Gröning et al. 2004). Hier dienen konkrete Erfahrungen aus dem Lebensbereich vor allem von Frauen zur Erweiterung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in gesellschaftsrelevanter Form. 185
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Die Erweiterung des Blicks vom Frauenleben auf die Geschlechterverhältnisse ist auch theoretisch mit Weiterentwicklungen von Gendertheorien einhergegangen (Becker/Kortendiek 2004, Glaser et al. 2004). Für die Praxis ist im Kontext des Dortmunder Frauenstudiengangs daraus das Konzept des „Managing Diversity & Gender“ entstanden, mit dem Organisationsentwicklungen nicht mehr eingeengt auf Frauenförderung betrachtet werden, sondern Frauenförderung ein Bestandteil des Umgangs mit Heterogenität darstellt (Koall et al. 2002). Fragt man nach der Wirkung der Frauenforschungsprofessuren sowie der mit ihnen verbundenen Gender Studies hinsichtlich der Öffentlichkeit von Wissenschaft, so kann man sicher konstatieren, dass hier Wissenschaftsstrukturen beeinflusst wurden. Wie erfolgreich dies geschah, wird kontrovers eingeschätzt. Heike Kahlert glaubt, dass es der Frauen- und Geschlechterforschung kaum gelungen ist, die jeweiligen Disziplinen zu verändern. Sie schätzt die Doppelstrategie als bisher wenig erfolgreich ein, „was die Effekte auf die traditionelle disziplinäre Ordnung anbelangt“ (Kahlert 2001: 12). Silke Wenk dagegen sieht das ganz anders: „feminist theory has provoked not only a rethinking of the academic structuring of knowledge but also of what each discipline considers as ‚knowledge’” (Wenk 2002: 47). Insgesamt kann man sicher Ulla Bocks Einschätzung für angemessen halten: „Die Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterforschung wie auch die Förder- bzw. Gleichstellungspolitik der Frauen an den Hochschulen bleibt ein ambivalenter Prozess. Die Frauen- und Geschlechterforschung kann als ein neues Wissenschaftsgebiet inzwischen beeindruckende und überzeugende Ergebnisse vorweisen, doch der Dialog zwischen der Frauen- und Geschlechterforschung und dem Mainstream in der Wissenschaft ist noch kaum entwickelt, und das ist ein wesentlicher Indikator für den Grad von Institutionalisierung“ (Bock 2002: 124f.).
Mit dem Bologna-Prozess wird eine vollständige Umstrukturierung der Hochschulausbildung vorgenommen. Die Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengänge ist zwar gedacht als Herstellung einer größeren internationalen Vergleichbarkeit der Studiengänge. Tatsächlich zeichnet sich aber zumindest zunächst eine weit stärkere Unübersichtlichkeit ab. Die Nagelprobe für die Veränderung von Wissenschaft wird sein, inwieweit es gelingt, Sichtweisen und Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung in die BachelorStudiengänge einzubringen. Die Einrichtung von Masterstudiengängen mit entsprechenden Schwerpunkten wird sicherlich erfolgen – inwieweit jedoch der ursprüngliche Anspruch der Frauenstudien und der Frauenforschung auf Öffentlichkeit realisiert wird, hängt stärker davon ab, ob es gelingt, alle oder fast alle Studierende zu erreichen – und nicht die wenigen, die im weiterbil-
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denden Bereich oder in den Masterphasen sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Dies bleibt eine offene Frage.
Literatur Andres-Müller, Heide (Hg.) (2000): INTERaktionen. Formen und Mittel der Verständigung, Königstein/Taunus. Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.) (2004): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden. Bock, Ulla (2002): „Zwanzig Jahre Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterforschung an deutschen Universitäten“. In: Feministische Studien 20 (1), S. 113-125. Bruchhagen, Verena (Hg.) (1989): Frauenstudien. Konzepte, Modelle und Praxis wissenschaftlicher Weiterbildung, Weinheim. Bruchhagen, Verena/Steenbuck, Gisela (2001): „Frauenstudien: Das Dortmunder Konzept“. In: Gieseke, Wiltrud (Hg.): Handbuch zur Frauenbildung, Opladen, S. 473-484. Dölle, Gilla (Hg.) (1987): Wechselwünsche: Offene Frauenhochschule 3.-6. 12.1987, Gesamthochschule Kassel. Faulstich-Wieland, Hannelore (1995): Geschlecht und Erziehung, Darmstadt. Faulstich-Wieland, Hannelore (2003): Einführung in Genderstudien, Opladen. Gildemeister, Regine (1996): „Zur Eröffnung“. In: Herlt, Kerstin/Sachs, Anne (Hg.): ReVision. Perspektiven feministischer Theorie und Politik der 90er Jahre. 8. Offene Frauenhochschule der Universität Gesamthochschule Kassel, Kassel, S. 9-18. Glaser, Edith/Klika, Dorle/Prengel, Annedore (Hg.) (2004): Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft, Bad Heilbrunn/Obb. Gröning, Katharina/Kunstmann, Anne-Christine/Rensing, Elisabeth (2004): In guten wie in schlechten Tagen. Konfliktfelder in der häuslichen Pflege, Frankfurt a.M. Herlt, Kerstin (Hg.) (1994): Politik der Frauenförderung – Frauenförderung eine brauchbare Politik? Ausgewählte Beiträge der 7. Offenen Frauenhochschule, Gesamthochschule Kassel. Herlt, Kerstin/Sachs, Anne (Hg.) (1996): ReVision. Perspektiven feministischer Theorie und Politik der 90er Jahre. 8. Offene Frauenhochschule der Universität Gesamthochschule Kassel, Kassel. Kahlert, Heike (2001): „Transdisziplinarität als Programm: Frauen- und Geschlechterforschung zwischen Sehnsucht nach Einheit und nomadischer Existenz“. In: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 19 (3), S. 3-18.
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Koall, Iris/Bruchhagen, Verena/Höher, Friederike: Managing Diversity & Gender in Theorie und Praxis, Münster 2002. Pelkner, Anna-Katharina (1998): „How to „Discipline” Women’s Studies? Über die Institutionalisierung Feministischer Wissenschaft(skritik) im Kanadischen Hochschulsystem“. In: Feministische Studien 16 (2), S. 125134. Sachs, Anne (Hg.): Women's Studies in den Niederlanden. Dokumentation der 6. Offenen Frauenhochschule. Kassel 1992. Sachs, Anne/Lindecke, Christiane (Hg.): Frauen zwischen Ost und West – Teil 1 und Teil 2. Dokumentation der Offenen Frauenhochschule ǥ90. Kassel 1991. Steenbuck, Gisela (1985): „Geschichte wird gemacht“. In: Bruchhagen, Verena/Steenbuck, Gisela (Hg.): Frauenbildung – Frauenpolitik: Welche Wende wollen wir? Universität Dortmund, S. 3-11. Wenk, Silke (2002): „Women’s and Gender Studies in German Higher Education“. In: Fleßner, Heike/Potts, Lydia (Hg.):Societies in Transition Challenges to Women's and Gender Studies, Opladen, S. 43-49.
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Bildung wird immer noch mit Jugend verknüpft. Doch SeniorInnen studieren an deutschen Hochschulen in wachsender Zahl und stellen damit diesen Stereotyp infrage. 55 Hochschulen bieten ein SeniorInnenstudium an, wobei die Angebote variieren zwischen der Öffnung von einzelnen Lehrveranstaltungen, von eigenen an die Hochschulen angegliederten „Universitäten des Dritten Lebensalters“ bis zu inhaltlich strukturierten Studienangeboten mit einem Zertifikatsabschluss. SeniorInnenstudium verweist einerseits auf den Gewinn der Öffentlichkeit aber auch auf den Gewinn der Wissenschaft. In diesem Sinne wird zunächst 1. seiner organisatorischen Verankerung, der Legitimation der Öffnung der Hochschulen und ihrer Akzeptanz nachgegangen, bevor 2. seine Entwicklungsphasen skizziert werden. Über Modelle in Deutschland und europäischen Ländern sowie nationale und internationale Vernetzungen kann 3. nur ein grober Überblick gegeben werden. Der Stand der Forschung 4. wird bedeutsam für die wissenschaftliche Legitimation der Verankerung der SeniorInnenstudien in den Hochschulen. 5. wird seine besondere Bedeutung für die Emanzipation älterer Frauen theoretisch und empirisch belegt, gleichzeitig werden Theorie- und Forschungslücken diesbezüglich der Geschlechterperspektive aufgezeigt. Lehre mit älteren Studierenden fordert didaktisch heraus 6., beinhaltet aber auch einen besonderen Gewinn, der auf der Basis von Beobachtungen und Erfahrungen beschrieben wird. Der Druck auf SeniorInnenstudien lässt mehrere Zukunftsszenarien aufscheinen, die 7. abschließend skizziert werden.
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1. SeniorInnenstudium als wissenschaftliche Weiterbildung in der Universität Das SeniorInnenstudium ist in Deutschland seit den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst in der Form eines besonderen Gasthörerstudiums entstanden und es sollte ein Stück Bildungsbenachteiligung kompensieren. Die Frage ist, welche neuen Legitimationen die studieninteressierten Älteren geltend machen können und ob diese durchschlagend genug präsentiert werden, um Gegenargumente im Spektrum negativer Altersstereotypen bis zu einem neuen „Ageism“ (Donicht-Fluck 2000: 156) entkräften zu können.
1.1 Der Begriff SeniorInnenstudium Der Begriff SeniorInnenstudium ist vielfach kritisiert worden und die einzelnen Hochschulen, die ihr Studienangebot für Ältere geöffnet haben, haben jeweils sehr unterschiedliche Bezeichnungen gefunden, die sie bevorzugen: „Studium im Alter“ (Münster), „Studium ab 50“ (Bielefeld), „Universität des Dritten Lebensalters (U3L)“ (Frankfurt a.M.). SeniorInnenstudium wie auch die entsprechenden Angebote unter anderen Überschriften enthalten die beiden Elemente SeniorIn und Studium. SeniorIn verweist auf Alter, Generation und damit auf die Zielgruppe der Studienangebote; Studium verweist auf Ausbildung, Bildung, Weiterbildung. SeniorInnenstudium meint aber meist kein Regelstudium für Ältere mit entsprechendem Regelabschluss wie Diplom, Magister, Staatsexamen, neuerdings Bachelor, Master, sondern eine Studienmöglichkeit unterhalb dieser Abschlussarten. Es ist keine Aus- sondern Weiterbildung. Die Regel ist immer noch, dass normale Lehrveranstaltungen für die Zielgruppe älterer Erwachsener geöffnet werden und kaum Extraangebote eingeworben werden. Die Universitäten Frankfurt, Mainz und Ulm sind hier immer noch Ausnahmen. Die weit verbreitete integrierte Struktur impliziert auch die Intergenerationalität des deutschen SeniorInnenstudiums mit ihren besonderen Gewinnen und Problemen (vgl. Kapitel 4-6).
1.2 Altersforschung als Legitimation Für die Rechtfertigung solcher Studienangebote werden gesellschaftliche Bildungs- und Altersvorstellungen geltend gemacht. Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Philosophie werfen den Blick auf jeweils spezifische Aspekte von Alter und Bildung. Unter soziologischer Perspektive ist Bildung im Alter eine Form gesellschaftlicher Partizipation (Kohli/Könemund 2000: 101; Backes/Clemens 1998). Je nachdem ob Alter unter den Defizitkonzepten gesehen wird oder unter symbolisch-interaktionistischer Perspektive Alterstereotype und mögli190
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che Marginalisierung im Zentrum stehen oder aber gesellschaftsstrukturelle Ansätze, wie Ressourcen- oder funktionalistische Alterstheorien, oder die Institutionalisierung des Lebenslaufs wird Bildung im Alter ein anderer gesellschaftlicher Stellenwert zugeschrieben. Unter psychologischer Perspektive geraten „Leistungsvermögen“ und „Intelligenz“ in den Blick (Malwitz-Schütte 2004; Oswald 2000). Die Pädagogik bzw. Erwachsenenbildung sieht Lernen im Zentrum und reflektiert didaktische Erfordernisse und Prämissen (Schäffter 2000) und die Philosophie interessiert v.a. die Sinnfrage, welchen Sinn Bildung und Studium im Alter (Nühlen 2000) haben. Da weder Bildung noch Alter geschlechtsneutrale Begriffe sind (Sagebiel 2000; 2004a; 2004b), müssen auch Legitimierungen und Delegitimierungen des SeniorInnenstudiums unter Geschlechteraspekt betrachtet werden. Geschlecht gilt dabei als soziales Geschlecht, demgegenüber sind biologische Unterschiede unwesentlich. Geschlecht wird als Ergebnis von Sozialisation einerseits und gesellschaftlicher Definition bzw. Zuschreibung andererseits gesehen. Insofern hat jedes europäische Land eigene Verhältnisse der Zweigeschlechtlichkeit, die die Rollenerwartungen und auch den Spielraum bestimmen, Bildungsangebote im Alter wahrzunehmen, so sie denn vorhanden sind.
1.3 Die politische Legitimation Mechthild Kaiser hat schon 1997 voraussehend formuliert: „Weiterbildungsangebote, die nicht auf berufliche oder nachberufliche, ehrenamtliche Qualifikation ausgerichtet sind, deren Nutzen daher nicht unmittelbar einsichtig erscheint, bedürfen in unserer leistungsorientierten Gesellschaft besonderer Legitimation. Das gilt auch und besonders für allgemein bildende Studienangebote für ältere Erwachsene, um gerade heute angesichts der steigenden Zahl von Studierenden in der Erstausbildung bei der Verteilung der ohnehin knappen finanziellen und materiellen Mittel der Hochschulen berücksichtigt zu werden“ (Kaiser 1997: 3).
Zunächst lag Öffnung der Hochschule dagegen im Trend der sozialen Universitäts- und Bildungsreformen der 68er Generation. Kompensation historischbiografischer Bildungsbenachteiligung war der Hauptbeweggrund für die breite Institutionalisierung der Studienangebote für Ältere. Gerade ältere Frauen hatten noch einen besonderen Nachholbedarf, hatten sie doch in der deutlich geschlechtshierarchischen nachfaschistischen deutschen Gesellschaft auch bildungsmäßig zurückstehen müssen. Dass es legitim sei, zu neuen Orten aufzubrechen, dafür hatte auch die zweite westdeutsche Frauenbewegung das Feld bereitet. 191
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2. Phasen des SeniorInnenstudiums in Deutschland In der Geschichte der Altenbildung (Arnold 2000) hat das SeniorInnenstudium nur einen geringen Anteil, zieht doch das außeruniversitäre Bildungsangebot sehr viel mehr ältere Interessierte an. So hat der Alters-Survey nach Kohli/Könemann (2000: 104) ergeben, dass nur 0,5% der 60-85 Jährigen im SeniorInnenstudium studieren. Immerhin gibt es aber nach einer bundesweiten Erhebung, veröffentlicht im „Studienführer für SeniorInnen“ von Saup (2001), 50 Einrichtungen. Sieben Phasen können in der Entwicklung des SeniorInnenstudiums unterschieden werden: 1. Entstehung, 2. Absicherung und Verstetigung, 3. Ausdifferenzierung und Auseinandersetzung um das beste Modell, 4. Veränderung durch die Wiedervereinigung, 5. Institutionalisierung in der Vielfalt, 6. Bedrohung durch umwälzende Prozesse in deutschen Hochschulen und 7. Ökonomisierung.
2.1 Entstehung Die Bildungsoffensive der 1970er Jahre richtete sich zunächst an vernachlässigte Gruppen. Ältere Erwachsene gerieten erst Ende der 1970er Jahre in den Blick. Als Start für die Öffnung der Hochschulen für Ältere kann der internationale Workshop 1979 in Oldenburg angesehen werden. Hier wurde auch das erste spezielle Studienangebot für Ältere realisiert. In den 1980er Jahren war die universitäre Weiterbildung bei den Alten angekommen. „Mitte der 80er Jahre gab es in Deutschland eine breite Bewegung in Richtung von SeniorInnenstudien, d.h. der Öffnung der Hochschulen für Ältere, die das Studium nicht als berufsbezogene Ausbildung verstanden und nutzen wollten, sondern mit anderer, berufsentlasteter Motivation und Zielsetzung an die Hochschulen kamen – wobei die Ansätze der Studienangebote unterschiedlich waren“ (Ronge 2004: 3).
Den fünf internationalen Workshops – 1979 in Oldenburg, 1981 und 1984 in Dortmund, 1987 in Marburg und 1990 in Frankfurt – kommt für die Entstehung, in der Ausprägung und bei der Verfestigung eine entscheidende Rolle zu (Kaiser 1997; Saup 2001). Es fällt auf, dass die Tagungsorte gleichzeitig die Universitätsstandorte waren, an denen Modellprojekte durchgeführt wurden, denen auch konzeptionelle Außenwirkung auf die Institutionalisierung von SeniorInnenstudien in anderen Universitäten zukam.
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2.2 Die personelle Absicherung Mit der Gründung der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung im Alter“ (BAG WiWA) 1985 der KoordinatorInnen und OrganisatorInnen einer Öffnung von Lehrveranstaltungen für Ältere begann ein regelmäßiger jährlicher Austausch. Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre stand im Zentrum häufig die personelle Absicherung des SeniorInnenstudiums, aber auch die individuelle Absicherung der Personen. So war ein zahlenmäßiger Einbruch der Studienorte zu verzeichnen. Auch die Arbeitsbeschaffungsprogramme, die von Hochschulen benutzt wurden, um der sich artikulierenden Nachfrage älterer BürgerInnen nachzukommen, erlaubten nur einmalige Verlängerungen von Personen. Immerhin half das ABM-System solche Initiativen zu starten und auszuprobieren.
2.3 Ausdifferenzierung und Kampf um das beste Modell Obgleich die SeniorInnenstudien sich vor Ort jeweils relativ autonom entwickelten, wurden auf den jährlichen Treffen der BAG WiWA auch häufig Rivalitäten ausgetragen. Es ging nicht nur um die Hochschulinnovation, sondern auch um Karrieren und Konkurrenz. An den konkurrierenden Modellen Tätigkeits- versus Persönlichkeitsbildungsbezug konnte sich die inhaltliche Auseinandersetzung entzünden. Während z.B. das Dortmunder Modell mit dem Studienziel ehrenamtlicher sozialer Arbeit in der Altenhilfe nach Ablauf der Modellzeit (1980 bis 1985) auf Dauer institutionalisiert wurde, wurde das Marburger Modell (1985 bis 1988) nicht fortgesetzt. Dieses hatte die allgemeine Persönlichkeitsbildung im Alter zum Ziel gehabt, ohne Beziehung auf einen späteren ehrenamtlichen Einsatz.
2.4 Die Veränderung durch die Wiedervereinigung Die Wiedervereinigung Deutschlands brachte nicht nur für Ostdeutschland einen totalen Umbruch der Hochschulstrukturen; sie bedeutete für die wissenschaftliche Weiterbildung neue Optionen. Das Studienangebot für ältere BürgerInnen im Osten wurde qualitativ aufgewertet (von den Vortragsreihen SeniorInnenkollegs) und an vielen Hochschulstandorten ein SeniorInnenstudium neu eingerichtet. Durch einen einschneidenden Personalabbau gerade bei AkademikerInnen musste das Angebot anspruchsvolleren Wünschen gerecht werden und Inhalte anbieten, die zu DDR-Zeiten nicht oder weniger zugänglich waren wie westeuropäische Sprachen, Kunst und Literatur. Ältere ostdeutsche Frauen hatten nicht die gleichen Bildungsdefizite wie die westdeutschen Frauen vergleichbaren Alters (Lischka 1997: 174f.). Das SeniorInnen-
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studium bot die Möglichkeit, inhaltlich an der Reflexion der eigenen Geschichte zu arbeiten und dabei auch die persönliche Ebene einzubeziehen.
2.5 Die Institutionalisierung in der Vielfalt Silvia Dabo-Cruz unterscheidet drei Angebotstypen des SeniorInnenstudiums: „Veranstaltungen aus dem regulären Lehrangebot der Universität, in der Regel erweitert durch zielgruppenspezifische Veranstaltungen entweder zur Studieneinführung und -begleitung oder zu bestimmten thematischen Schwerpunkten.“
Davon heben sich ab „strukturierte allgemein bildende Studienprogramme mit Zertifikatsabschluss“ und „strukturierte, für nachberufliche Tätigkeiten qualifizierende Studiengänge mit Zertifikatsabschluss“ (Dabo-Cruz 2000: 189) Solche Angebotstypen wurden in großer Vielfalt an den einzelnen Hochschulorten institutionalisiert und stehen nebeneinander.
2.6 Die Bedrohung durch umwälzende Prozesse in deutschen Hochschulen Die Implementation der Bologna-Beschlüsse (Hörr 2004; Meynen 2004) macht die Integration der Seniorstudierenden schwieriger. Besonders bei den Studienmodellen von SeniorInnenstudien, die unverbindlich strukturiert sind, bringt die Modularisierung starrere inhaltliche Lehrangebote mit sich. Seniorstudierende erscheinen dann als überflüssig und störend. Die Bereicherung der Studien- und Universitätskultur durch engagiertes Bildungsbemühen der älteren Studierenden durch Einbringen ihrer spezifischen Lebens- und Berufserfahrungen droht der stromlinienförmigen Umgestaltung der Regelstudiengänge zum Opfer zu fallen.
2.7 Effizienzsteigerung durch Ökonomisierung Parallel zur Umstellung der Studiengänge und -abschlüsse greift eine zunehmende Ökonomisierung der Regelstudiengänge. Die SeniorInnenstudien könnten deshalb in diese Mühle geraten. Wie der Rektor einer Hochschule formuliert: „Aber die Finanzlage erlaubt es immer weniger, sie auf Steuerkosten im Hochschulsystem sozusagen unauffällig mitzunehmen“ (Ronge 2002: 3).
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3. Modelle des SeniorInnenstudiums Typisierung und beispielhaften Zuordnung der Studienmodelle in Deutschland beruhen auf verschiedenen Dimensionen zur Beschreibung von konkreten Ansätzen von SeniorInnenstudien: Konzeption, Fächer und Studienstrukturen. Die Vergleichssituation in anderen europäischen Ländern und die Entwicklung nationaler und internationaler Vernetzungen der Studienangebote für Ältere bilden den überregionalen Rahmen.
3.1 Dimensionen zur Beschreibung der Modelle und beispielhafte Konkretisierung Die Angebote wissenschaftlicher Weiterbildung für Ältere in deutschen Hochschulen unterscheiden sich konzeptionell, bezogen auf den zugänglichen Fächerkanon und die Studienstrukturen. Die Studienmodelle sind vielfach dargestellt worden (u.a. in Graeßner/Korflür/Veelken 1994; Stadelhofer 1996; Malwitz-Schütte 1998; Becker/Veelken/Wallraven 2000; Sagebiel 2004). Die Zielgruppen mit ihren differenziellen Motivationen (Clennell 1996; Krisam 2002) und der Grad der Integration in die Regellehre sind zentrale Dimensionen der Beschreibung der Studienmodelle. So betont Ronge: „Die Bergische Universität ging besonders weit in Richtung eines fachlich definierten, inhaltlich strukturierten Studienangebots mit Abschlusszertifikat und in der Konzeption, die SeniorInnenstudenten nicht zu separieren, sondern mit den jüngeren „Regel“studenten gemeinsam studieren zu lassen“ (Ronge 2002: 3). Höhn (2000) nimmt für ihre Evaluation des Mannheimer SeniorInnenstudiums die Dimension Integration versus Segregation auf. Unter Integration wird die Verknüpfung mit dem Regelstudium in der Weise verstanden, dass SeniorInnen an den regelmäßigen Lehrveranstaltungen teilnehmen. „Der Vorteil dieses Modells ist es, dass es Chancen des Kontakts zwischen Jung und Alt bietet […] und kostenneutral ist […] Es verlangt allerdings von beiden Seiten Anpassungsleistungen und kann auch einmal zu Konflikten führen“ (Höhn 2000: 455).
Im Unterschied dazu beinhaltet Segregation die Organisation einer selbständigen Institution mit eigenen Lehrveranstaltungen getrennt vom Regelstudium einer Universität. Intergenerationelles Lernen (Gösken/Pfaff/Veelken 2000: 278-281; Steinhoff/Lehmann-Rommel 1998) setzt die Integration in die Regellehre voraus. Bei der Einführung des SeniorInnenstudiums in den deutschen Hochschulen war der potenzielle Gewinn durch den Austausch zwischen den Generationen ein zentrales Argument, das das ‚öffentliche Interesse‘ unterstrich und für die 195
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Beantragung sog. ABM Mittel zur personellen Unterstützung der Einrichtung von SeniorInnenstudien an vielen Orten erfolgreich genutzt werden konnte. Eine Beteiligung an Forschung ist nur bei einigen Modellen explizit angelegt. Das Wuppertaler Konzept des SeniorInnenstudiums sah zunächst eine selbstverständliche Forschungsorientierung vor. Entweder es bestand die Möglichkeit der Beteiligung an Forschungsprojekten Lehrender oder eigene Forschungsideen konnten mit Hilfe selbst erworbener sozialwissenschaftlicher Forschungskompetenzen durchgeführt werden (Sagebiel 2005b). Auch das Konzept der „Universität des 3. Lebensalters“ (U3L) in Frankfurt beinhaltet einen Forschungsbezug und in Ulm ist das ‚forschende Lernen‘ seit vielen Jahren ein zentrales Angebotselement (Stadelhofer 1998a). Kontrovers wurde der Stellenwert der Gerontologie diskutiert (Dabo-Cruz 2000: 189), der besonders in Dortmund und Frankfurt zentral ist. Gemeint war damit, inwiefern die Beschäftigung mit Alter(n)sfragen als genuiner Bestandteil des SeniorInnenstudiums angesehen werden soll. Die Universitäten Wuppertal, Münster, Dortmund, Hannover und die Technische Universität Berlin bieten ein vergleichbar strukturiertes Studienangebot und Abschlusszertifikat. Die Universitäten Bielefeld und Mainz praktizieren demgegenüber wie die Mehrzahl der übrigen Studienangebote in West- und Ostdeutschland eine offenere Struktur. Ulm bietet, u.a. bedingt durch die auf Naturwissenschaften konzentrierte Ausrichtung der Hochschule überwiegend Kompaktveranstaltungen, sog. Frühjahrs- und Herbstakademien, ergänzt durch Projekte forschenden Lernens unter Einsatz von E-Learning Methoden als Weiterbildungsmöglichkeit für interessierte Ältere an. Die Universität des 3. Lebensalters Frankfurt (U3L) nimmt eine konzeptionelle und organisatorische Sonderstellung ein, weil sie ein Studien- und Forschungsangebot als Verein an der Universität realisiert. Das zeitlich erforderliche Engagement trennt die intensiveren Studien von den mehr kursorischen: Nach Saup (2001) wenden 2/3 der Studierenden nur vier Stunden wöchentlich in der Universität auf, wozu noch zwei Stunden Vor- und Nachbereitung kommen, während nur 1/3 mehr Zeit pro Woche investieren. Das „SeniorInnenstudium“ in Wuppertal z.B. umfasst insgesamt 56 Semesterwochenstunden in fünf Semestern. Die Konzeptionen unterscheiden sich auch nach den Funktionen. Während die verbindliche Wahrnehmung eines sozialen Ehrenamtes explizit in Dortmund vorgesehen ist, streben die meisten Angebote eine solche Verwendbarkeit nicht an. Das BANA-Modell (Berliner Modell: Ausbildung für nachberufliche Aktivitäten) in der TU Berlin sieht in drei Tätigkeitsschwerpunkten mögliche Einsatzfelder vor. In Wuppertal wurde ein Passus über das Ehrenamt in der Studienordnung gestrichen. In den neuen Bundesländern (Lischka 1997; Olbertz/Prager 2000; Sosna 2000: 195f.) knüpfte die Entwicklung an die Veteranenkollegs der DDR, die 196
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vor allem medizinische Vortragsreihen innerhalb der Universitäten angeboten hatten. Der Ausbau der SeniorInnenstudien nach der Wiedervereinigung/ Wende erfolgte dann entsprechend Wünschen der Zielgruppe der relativ jungen freigesetzten VorruheständlerInnen.
3.2 SeniorInnenstudium in Europa Brunhilde Arnold und F. Jean Costa haben bereits 1996 einen Überblick über die strukturelle Merkmale von Vernetzung von Angebote im SeniorInnenstudium gegeben (Arnold/Costa 1996). Sie haben die SeniorInnenstudien nach den Kategorien intergenerationell/generationell, nach universitären/außeruniversitären und nach dem Grad der Strukturierung des Lehrangebots sowie der Abschlussmöglichkeiten eingeteilt und mit unterschiedlichen Organisationsformen kombiniert den einzelnen Ländern zugeordnet (Arnold/Costa 1996: 81). Klerque (2000) stellt bei seiner Übersicht über SeniorInnenbildung in Europa fest, dass berufliche Bildung im Rahmen der Diskussion des lebenslangen Lernens den Vorrang hat, während ein „zweckfreies“ SeniorInnenstudium politisch zunehmend als Luxus angesehen wird. In formalen Bildungsangeboten konstatiert er eine „Altersdiskriminierung“ (ebd.: 42). Für Bildungsinteressen Älterer in der erweiterten EU müssen Angebote wissenschaftlicher Weiterbildung entwickelt werden, die Gender mainstreaming (vgl. Kapitel 6) und ‚Age mainstreaming‘ als europäische Strategien gegen Geschlechter- und Altersdiskriminierung (Ageism) beachten.
3.3 Organisationen zur Vernetzung der SeniorInnenstudien Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung für Ältere“ (BAG WiWA) ist der Zusammenschluss der für die wissenschaftliche Weiterbildung älterer Erwachsener verantwortlichen Institutionen wie Hochschulen und mit ihnen kooperierenden Einrichtungen, z.B. „Universitäten des Dritten Lebensalters“ oder SeniorInnenakademien und hat nach dem letzten bundesweiten Studienführer 50 institutionelle Mitglieder (Saup 2001). Sie besteht seit 1985 und wurde 1994 als Arbeitsgemeinschaft in dem damaligen AUE (Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung, jetzt DGWF – Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudien) organisatorisch verankert. Sie ist ein bundesweites Forum für Diskussionen, Erfahrungsaustausch und konzeptionelle Weiterentwicklungen. Für Interessierte an einem SeniorInnenstudium bieten Mitglieder der BAG WiWA individuelle Beratung und Unterstützung hinsichtlich der persönlichen Weiterbildungsmöglichkeiten, Organisation von Arbeitsgruppen, thematische Kompaktangebote (z.B. Akademie-Wochen, Sommeruniversitäten), abschlussorientierte Angebote (nach Fächern bzw. Tätigkeitsfeldern). 197
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Strukturell arbeitet die BAG WiWA in Richtung Öffnung der Lehrveranstaltungen des grundständigen Studiums, um intergeneratives Lernen zu ermöglichen. Gleichzeitig werden Lehrangebote für ältere Erwachsene entwickelt, wobei die Methodik und Didaktik des wissenschaftlichen Arbeitens, auch unter Nutzung neuer Medien konzeptionell entwickelt werden. Die BAG WiWA will neue institutionelle Formen des Studierens im Alter fördern und initiiert Forschungen und Publikationen. Kontakte und Zusammenarbeit bestehen zwischen der BAG WiWA und einschlägigen Vereinigungen auf europäischer und internationaler Ebene. Das LiLL-Netzwerk Learning in Later Life wurde anlässlich einer internationalen Tagung „Zur Produktivität im 3. Lebensalter“ in Ulm 1995 gegründet (Stadelhofer 1996) und wird in Deutschland insbesondere von Ulm aus mit Projekten in Verbindung mit der Nutzung neuer Medien unterstützt (Stadelhofer 2004). Die „Internationale Vereinigung der Universitäten des dritten Lebensalters“ (AJUTA) und die „Europäische Föderation älterer Studierender an den Universitäten“ (EFOS) haben zum Ziel, die Weiterbildung älterer Personen auf universitärer Ebene zu fördern und zur Verbesserung der Lebensqualität und zur sozialen Aufwertung älterer Menschen beizutragen.
4. Zum Stand empirischer Untersuchungen zum SeniorInnenstudium Einen kurzen Überblick über die Forschung/Evaluation der SeniorInnenstudien bis 2000 gibt Silvia Dabo-Cruz (2000: 189). Insgesamt gibt es eine Reihe von quantitativen und qualitativen Einzeluntersuchungen der verschiedenen Modelle des SeniorInnenstudiums, meistens durch das Personal im Rahmen der Organisation und Koordination des Studienangebots mit universitären Eigenmitteln durchgeführt. Neben der üblichen Begleitforschung gibt es auch Forschungen über Auswirkungen des SeniorInnenstudiums bei den Lernenden selbst (Breloer/Kaiser 1997). In Münster wurden zusätzlich Regelstudierende zu ihrer Einschätzung (Lades/Levermann 2001) sowie Lehrende befragt (Evers 2001). Höhn hat die Akzeptanz des SeniorInnenstudiums beim Lehrkörper in der Universität Mannheim erfragt, die gegenüber dem dort praktizierten Integrationsmodell überwiegend positiv ausfiel (Höhn 2000). Eine umfangreichere quantitative Befragung von Seniorstudierenden wurde in Wuppertal vor einigen Jahren als Totalerhebung durchgeführt (Arndt/ Bopp-Schmehl/Sagebiel 1999). 2004 wurde diese Studie repliziert. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Aspekt Geschlechterdifferenzen im SeniorInnenstudium (Sagebiel 2000, 2004a, 2004b). Daten über das Bielefelder „Studium ab 50“ wurden von Magdalene Malwitz-Schütte und Michael Werth gewonnen und regelmäßig fortgeschrieben (Malwitz-Schütte/Werth 1998; 198
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Malwitz-Schütte 2004). In Dortmund wurden parallel zum Modellprojekt Untersuchungen durchgeführt (z.B. Gösken/Pfaff/Veelken 1998) und bei einer 1996 durchgeführten Befragung von Lehrenden eine gemischt positive und skeptische Meinung zum Integrationsprojekt SeniorInnenstudium vorgefunden. Das intergenerationelle Lernen bleibt hier Untersuchungsgegenstand (Gösken/Pfaff/Veelken 2000) wie auch beim Freiburger Konzept (Steinhoff/ Lehmann-Rommel 1998). Schwerpunkte von Forschungen über das Ulmer Modell des SeniorInnenstudiums liegen einerseits auf Fragen der Nutzung der Frühjahrs- und Herbstakademien, andererseits der Struktur und des Zugangs von Internetnutzung seitens von Seniorstudierenden (Stadelhofer 1998; 2000; 2004). Die Dissertation von Mechthild Kaiser von 1997 ist eine qualitative Wirkungsforschung, die mit biografischen Interviews mit Studierenden arbeitet. Von Helga Köhler (2004) wurde auf der Basis von Interviews mit ost- und westdeutschen Seniorstudierenden und Dokumentenanalysen eine Dissertation über Frauen im SeniorInnenstudium geschrieben. Eine vergleichende Untersuchung wurde in mehreren europäischen Ländern von Clennell (1996) in Frankreich, Belgien, Großbritannien und Deutschland durchgeführt. Was fehlt und immer wieder durch Mitglieder der BAG WiWA eingefordert wird, ist eine vergleichende Untersuchung der Modelle der SeniorInnenstudien in Deutschland.
5. Gender Mainstreaming und SeniorInnenstudium Zur Beachtung des Geschlechts und zum Abbau von Diskriminierungen in Europa gibt es die Strategie des Gender Mainstreaming, die den Prozess und die Vorgehensweise bezeichnet, die Geschlechterperspektive in die Gesamtpolitik aufzunehmen. Konkret bestimmt die geschlechtlich unterschiedlich geprägte Biografie älterer Frauen die Bedingungen, Praxis und Perspektiven des Bildungsbedarfs im SeniorInnenstudium (Sagebiel 2000; 2004 a; 2004 b). Um Denkanstöße zu vermitteln wird die Geschlechterperspektive auf Alter und Bildung theoretisch vorgestellt und ihre Tragweite für das SeniorInnenstudium empirisch anhand von Studien in Wuppertal belegt.
5.1 Geschlecht, Alter und Bildung – eine vernachlässigte Perspektive Die Forschungslage bezüglich älterer Menschen und Bildung zur Eröffnung neuer Horizonte unter Geschlechterperspektive ist defizitär. Die verschiedenen relevanten Forschungsbereiche Pädagogik, Gerontologie, Frauen- und Geschlechterforschung blenden jeweils relevante Teilaspekte aus. 199
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Pädagogische Forschung zur Bildung im Alter reflektiert Geschlecht als differenzierenden Faktor von Motivation, Nachfrage und Lernprozess kaum. Im „Handbuch Altenbildung“ (Becker/Wallraven/Veelken 2000) befasst sich nur ein Artikel explizit mir der Geschlechterperspektive (Sagebiel 2000). Gerontologische Forschung dagegen untersucht Alter und Defizite, weniger Potenziale, durchaus auch auf der Folie von Geschlechterdifferenzen (Backes/Clemens 1998; Backes 2000, 2004), vernachlässigt allerdings den potenziellen Einfluss von Bildungsprozessen im Alter . Frauenbildungsforschung, die zahlreiche Untersuchungen zur Frauenbildung vorgelegt hat, vernachlässigt ältere Frauen. Lediglich Frauen mittleren Alters, insbesondere sog. Familienfrauen sind v.a. unter dem Aspekt ‚Wiedereinstieg in den Beruf‘ zum Thema geworden. Der einzige thematisch einschlägige Artikel im Handbuch zur Frauenbildung von Wiltrud Giesecke (2001) von Sylvia Kade bezieht sich nur auf Erfahrungen in Volkshochschulen. Der wissenschaftlichen Weiterbildung älterer Frauen, deren Bildungsbedürfnisse seit ca. 25 Jahren innerhalb der SeniorInnenstudien an den Hochschulen befriedigt werden, wurde erst in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt (Arnold 1996; Sagebiel 2000, 2004a, 2004b; Sagebiel/Arnold 1998).
5.2 Empirische Evidenz von Geschlechterunterschieden im SeniorInnenstudium Die beiden Evaluationsuntersuchungen in Wuppertal (1999 und 2005) beruhen auf Totalerhebungen für die jeweiligen Untersuchungszeiträume (bis 1998 und 1998 bis 2005). Alle in Wuppertal eingeschriebenen Studierenden wurden mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens schriftlich befragt. Der Rücklauf ist beide Male etwa gleich und liegt bei 44% bzw. 46%. Während im ersten Sample 1988 von 124 auswertbaren Fragebogen 2/3 Frauen waren, waren im Rücklauf 2005 absolut mehr Männer (40 Männer und 30 Frauen). Von den soziodemographischen Daten ist für das Studium im Alter insbesondere die Schulbildung interessant. 1998 wie 2005 haben die beteiligten Frauen eine niedrigere Schulbildung. Der Familienstand der Frauen unterscheidet sich nach wie vor deutlich von dem der Männer. Sie sind zu 53% (1998: 45%) verheiratet, während der Prozentsatz bei den Männern mit 90% gleich geblieben ist. Studienhindernisse sind geschlechtlich differenziert: Hielten 1998 v.a. ehrenamtliche Tätigkeiten die Männer vom Studium ab, so sind das 2005 familiäre Belastungen (50%), wobei diese die Frauen noch stärker behindern (70%). Ehrenamtliche Aufgaben hindern jetzt mehr Frauen als Männer beim 200
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Studium (36,7% zu 26,3%). Interessant ist, dass Männer 2005 in dem gleichen Umfang von zu vielen Hobbys abgehalten werden wie Frauen durch ehrenamtliche Aufgaben. Eine wichtige Veränderung liegt darin, dass Schwierigkeiten mit dem Partner 2005 kein Studienhindernis mehr darstellen. Dagegen waren 1998 Partner ein nicht zu unterschätzendes Studienhindernis für nicht allein lebende Frauen. Freunde, die 1998 den mit dem Studium einhergehenden Rollenwechsel bei Frauen mit Skepsis sahen (50%), äußern sich 2005 immer noch in höherem Prozentsatz negativ (27,5%) gegenüber Frauen im Vergleich zu den Freunden der Männer (3,2%). Insgesamt spiegelten die Studienhindernisse 1998 stärker die traditionelle geschlechtshierarchische Arbeitsteilung. Die Belastungen von Frauen und Männern neben ihrem Studium haben sich subjektiv angeglichen, obgleich immer noch 90% der Frauen den überwiegenden Teil der Hausarbeit erledigen und nur 27% der Männer, und auch die zeitlichen Belastungen der Frauen noch erheblich höher zu sein scheinen, z.B. durch Pflege naher Angehöriger. Das Fächerspektrum, das für Frauen interessant ist, ist das gleiche wie das für Männer: Geschichte, Politik, Philosophie, Soziologie und Recht, bei Frauen kommen Literaturwissenschaften und Theologie dazu. Die Diskussion mit jüngeren Studierenden und Lehrenden schätzen Frauen jetzt deutlich schwieriger als die Männer ein, die 2005 angeben, sich stark in den Seminaren zu beteiligen, während Frauen sich eher in der Zuhörerinnenrolle sehen. 2005 bereitet das eigenständige Arbeiten und das Anfertigen schriftlicher Arbeiten knapp der Hälfte der Frauen und Männer mittlere bis starke Schwierigkeiten. Waren 1998 die Familienfrauen die Hauptgewinnerinnen durch das SeniorInnenstudium, so nennen 2005 die Männer eine Reihe von positiven Veränderungen, die vorher mehr Frauen nannten. Beide geben an, neue Fähigkeiten (ca. 60%) erworben zu haben und Wünsche und Gefühle besser zu äußern (1/4 der Befragten) gelernt zu haben. Interessant ist, dass Männer Veränderungen angeben, die traditionell Frauen zugeschrieben werden, z.B. aufgeschlossener zu sein (57,9% zu 42,9% der Frauen), gesteigertes psychisches und physisches Wohlbefinden (57,9% zu 42,9% der Frauen), der eigenen Grenzen bewusster geworden zu sein (55,3% zu 28,6% bei den Frauen), verunsichert in Bezug auf frühere Werte zu sein (18,4% zu 3,6% bei den Frauen). Aber Frauen sind durch das Studium selbstbewusster (46,4% zu 28,9% der Männer) und selbständiger (28,6% zu 5,3% bei Männern) geworden und sind sich ihrer Rolle als Frau bewusster. Einstellungen zum ehrenamtlichen Arbeiten und ihre Veränderung durch das SeniorInnenstudium differieren 2005 nicht mehr so stark. Die persönliche Weiterentwicklung ist Männern wichtiger (31,4% zu 16% bei den Frauen), auch der Abbau der Hierarchisierung zwischen leitenden und ausführenden 201
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Tätigkeiten (34,3% zu 12% bei Frauen), der Spaß an der Arbeit hat bei beiden Geschlechtern hohe Priorität, ist den Frauen aber etwas wichtiger (80% zu 71,4% bei den Männern). Durch das gemeinsame Lernen verbesserte sich die Einstellung gegenüber Jüngeren. Frauen wie Männer geben an, durch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse die Lebensfragen und Probleme der jungen Generation besser zu verstehen (über 70%). Die Hälfte geben 1998 und 2005 an, gegenüber anderen Menschen toleranter geworden zu sein.
6. Didaktik im SeniorInnenstudium – Erfahrungen für die öffentliche Wissenschaft Heterogenität und Erfahrungen, das sind die Herausforderungen an die Lehrenden, die sie mit gruppendynamisch geschulter Wahrnehmung und Gesprächstechniken meistern müssen. Im Zentrum didaktischer Überlegungen steht, ob es gelingt die als Vorteil betonte intergenerationelle Zusammensetzung in Lehrveranstaltungen für den Lehr-/Lernprozess zu nutzen.
6.1 Umgang mit Heterogenität Ältere Studierende und insbesondere Frauen suchen in der Bildung eine Verknüpfung von gelebtem Leben und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ihre Lernprozesse werden dichter, wenn sie die Möglichkeit zum Ausdruck von eigenem Erleben und Gefühlten haben. Dem muss die Hochschuldidaktik Rechnung tragen, d.h. die DozentInnen sollten die Lernprozesse in Gruppen danach ausrichten und die Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Abstraktion und konkreter Erfahrung wagen ohne im bloßen Alltagswissen stecken zu bleiben. Um den unterschiedlichen Zielgruppen mit den unterschiedlich Lebenserfahrungen nach Alter und Geschlecht gerecht zu werden, müssen diese als Potenzial, nicht als Störung verarbeitet werden.
6.2 Erfahrungen mit Lehren und Lernen verknüpfen Um die unterschiedlichen Erfahrungen von Lernen im SeniorInnenstudium einzubeziehen muss eine Interaktions- und Kommunikationssituation geschaffen werden, die offenes „sich Einbringen“ ermöglicht. In der Regellehre, in die das SeniorInnenstudium als weiterbildendes einbezogen ist, wird eine solche Atmosphäre eher selten entstehen, dennoch sollte sie angestrebt werden, und ältere Frauen unterstützen dieses Vorhaben. Die Verbindung von Lernen/Arbeiten und Kommunikation bedeutet für sie keinen Widerspruch – sie legen auch im Unterschied zu den Männern besonderen Wert auf Kontakte im 202
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Studium –, man könnte im Gegenteil eher davon sprechen, dass sie eine besonders kommunikative Studienatmosphäre wünschen und schaffen, die offenen Austausch und damit ein entsprechendes Lernklima prinzipiell erleichtert.
6.3 Gesprächsmethoden – Gruppendynamik Die männlich geprägten Institutionen Universität und Wissenschaft haben im Laufe ihrer Geschichte einseitig auf Männer bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse, Denktraditionen und Strukturen entwickelt (z.B. Fox Keller 1986), die auch in der dominanten Lehrform der Vorlesung ihren Niederschlag gefunden haben. Dagegen müssen Beziehungsorientiertheit, die Verknüpfung von Wissensaneignung mit eigenen Lebenserfahrungen und das intergenerationelle Lernen thematisch und didaktisch „inszeniert“ werden. Didaktisches Handeln nach den Prinzipien der „themenzentrierten Interaktion“ schafft eine Balance von Wissensvermittlung, Bedürfnissen der TeilnehmerInnen und Interaktionen in der Lerngruppe und ermöglicht Spielraum für gruppendynamisches, kooperatives, selbstreflexives Verhalten. Die Moderation erfordert eine Kombination von aktivem Zuhören, fokussierendem Zusammenfassen und daran knüpfend verallgemeinernder theoretisch-analytischer Strukturierung. (Sagebiel 2004b: 36f.). Die besondere Chance der Hochschule als Ort der wissenschaftlichen Weiterbildung für ältere Frauen liegt nicht zuletzt darin, dass die Seniorstudentinnen ihre mit neuen Erkenntnissen angereicherten und so neu strukturierten Lebenserfahrungen an jüngere Frauen weitergeben können und selber Impulse für eine Perspektivenerweiterung aufnehmen.
7. Zukunftsszenarien des SeniorInnenstudiums Dem SeniorInnenstudium als Teil der öffentlichen Wissenschaft muss es gelingen politische Legitimität zu erhalten und zu verstärken. Ökonomisierung der Universitäten heißt in erster Linie Regelung über den Markt. Weil das Lehrangebot wegen der Verknappung öffentlicher Finanzen bei gleichzeitig zahlenmäßig steigender Belastung in den Fächern, die Seniorstudierende nachfragen, enger wird, muss nach Lösungen gesucht werden. Gernot Graeßner hat bereits 1998 auf der Basis von Befragungen in Einrichtungen des SeniorInnenstudiums zwei Szenarien entwickelt, von denen eines in die Richtung Abschlussorientierung, berufliche Verwendbarkeit und Übergang zum Regelstudium ging (Graeßner 1998, 285). Zieht man die gegenwärtige hochschulpolitische Situation heran (vgl. Kapitel 1 und 2), so sind folgende Szenarien denkbar:
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Im Falle eines negativen Szenarios werden Seniorstudierende, deren Weiterbildung als nicht mehr ökonomisch nützlich angesehen wird, aus der Hochschule herausgedrängt. Sie können dann noch in ihrem privaten Verein lernen und forschen, unter Verzicht auf intergenerationellen Austausch. In einem zweiten Szenario bleibt die Studienstruktur erhalten, aber die Preise steigen entsprechend der gestiegenen Gesamtnachfrage für die Seniorstudierenden. In einem dritten Szenario werden in der Hochschule eigene Lehrangebote für Ältere marktförmig, d.h. bei hoher Bezahlung nach Qualität des Lehrangebots angeboten. In einem vierten Szenario gelingt es, ökonomische Argumente aufgreifend durch Diversifikation der Produktpalette neue zusätzliche Legitimation zu erreichen. So könnten außer den allgemein bildenden und tätigkeitsorientierten beschäftigungsorientierte Weiterbildungsangebote für Ältere entwickelt werden. Oder es könnten im Sinne von ‚public sponsoring/public partnership‘ Produkte entwickelt werden, die einen erweiterten Bildungsbegriff implizieren, wie z.B. Bildungsreisen (wie z.B. in Ulm, Bremen schon verwirklicht). Eine andere Perspektive wäre es Heterogenität als „Diversity“ zu lancieren. Integrierte SeniorInnenstudien in Hochschulen ermöglichen die Förderung von Diversity auf unterschiedliche Weise. Die Regelstudierenden, die berufsbezogen ausgebildet werden sollen, haben die Chance sich stärker mit Heterogenität auseinander zu setzen, erwerben damit relevante „soft skills“ und erleben gleichzeitig hautnah die Bedürfnisse einer größer werdenden Konsumentenschicht und deren Sichtweisen. Dies setzt gleichzeitig eine Veränderung der symbolischen Politik in Richtung der Bekämpfung von „Ageism“ und anderen Diskriminierungen all dessen voraus, was als „anders“ definiert ist.
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KARL WEBER Forschungsbez ug in de r universitären Weiterbildung
Wer aus Distanz und mit der damit verbundenen Unschärfe die Entwicklungen der Hochschulen im deutschsprachigen Raum beobachtet, wird – je nach Standort – mit kleinerer oder grösserer Befriedigung feststellen, dass sie in Bewegung sind. Insbesondere der „Bologna-Prozess“ hat als externer Auslöser die Reformbedingungen in den nationalen Hochschulsystemen so verändert, dass diese sich nun leichter reformieren können (Weber 2005a). Der internationale Hochschuldiskurs hat dabei mehr also bloß eine legitimatorische Funktion, er definiert Themen und fördert die Auseinandersetzung über Standards. Bei genauerer Betrachtung der Veränderungen werden auch gewisse Widersprüchlichkeiten sichtbar, mindestens in der Schweiz. Zum einen gibt es Bemühungen, das binäre Hochschulsystem (Universitäten und Fachhochschulen) zu integrieren. Zum anderen sorgt die Politik unbeabsichtigt dafür, dass ihre Ordnungsvorstellungen durch die neue Steuerungspraxis unterlaufen wird: Output-Steuerung, Wettbewerb, erhöhte Autonomie der Hochschulen und Rankings bewirken, dass sich nicht nur die beiden Segmente in der binären Hochschulstruktur dynamisieren, sondern dass sich auch die Grenzen zwischen ihnen verflüssigen. In dieser Situationen werden Fachhochschulen und Universitäten gezwungen sich durch Differenzierung zu positionieren. Die Kontroverse über Eliteuniversitäten, die Selbstbeschreibung der Universität als Forschungsuniversität, die mehr oder weniger informellen nationalen und internationalen Klubs von Universitäten, die sich selber als qualitativ hochstehend einstufen, illustrieren diese Entwicklung. All dies deutet darauf, dass es unter den Hochschulen tatsächlich so etwas wie Wettbewerb gibt und zwar mit allen seinen Begleiterscheinungen: Mit größeren und kleineren Kartellen, mit mehr oder weniger Lauterkeit, mit Kontroversen über die Messung des Erfolgs. 211
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Im Diskurs hat der Wettbewerb auch die wissenschaftliche Weiterbildung erfasst. Dass die Weiterbildung im erheblichen Maße durch die Nachfrage zu finanzieren sei, hat sich als Grundsatz international durchgesetzt. Auch wenn die Teilnehmendengebühren hoch sind, stellt sich jedoch ein Wettbewerb unter den Anbietern nicht von selbst ein. So deuten empirischen Daten darauf hin, dass in der Schweiz der hochschulische Weiterbildungsmarkt genauso wie der Arbeitsmarkt weiterhin stark segmentiert sind. Die Konkurrenz scheint vor allem unter den Anbietern des gleichen Hochschultyps zu spielen, unter den Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen allerdings noch mehr als unter den Universitäten (Weber 2005b). Dennoch sprechen zahlreiche Gründe dafür, dass sich die heute beschränkte Konkurrenz in der hochschulischen Weiterbildung in den kommenden Jahren verstärken wird: Eine Sättigung der Weiterbildungsnachfrage ist nicht erkennbar, in den Hochschulen setzt sich die Vorstellung durch, dass Weiterbildung eine voll zu bezahlende Dienstleistung darstellt. Dieser Modus der Finanzierung macht Weiterbildung zu einem ökonomischen Gut, fördert ihre Dynamik und ihr Wachstum und erschwert ihre hochschulpolitische Kontrolle. Das Upgrading von Beschäftigungspositionen wird sich fortsetzen und mit einer weiteren Internationalisierung des Weiterbildungsmarktes mit ausländischen Anbietern muss nicht zuletzt aufgrund der WTO-Regeln gerechnet werden. In dieser Situation stellt sich für die Universitäten die Frage, wie sie die strukturellen Chancen in der Weiterbildung nutzen, und wie sie sich mit ihren Angeboten auf dem zunehmend umkämpften Markt profilieren und behaupten können. Nach den einleitenden Feststellungen liegt eine Antwort auf diese Frage auf der Hand: Als Einrichtungen, die Wissen rezipieren, produzieren und kommunizieren, sollten die Universitäten ihre Programme klar wissenschaftlich fundieren. Dadurch können sie sich gegenüber andern Weiterbildungsanbietern, insbesondere den Fachhochschulen abgrenzen. Diese naheliegende Antwort soll im Folgenden in Bezug auf die Schweiz auf ihre Plausibilität getestet werden. Zwei Fragen stehen im Vordergrund: In welcher Weise ist universitäre Weiterbildung auf Forschung bezogen bzw. beziehbar, und wie sind die Chancen zu beurteilen, dass dieser Bezug gelingen könnte? Angesichts der gegebenen Strukturähnlichkeit des Hochschul- und Bildungswesens in der Schweiz, in Österreich und Deutschland sind allfällige Befunde vermutlich nicht nur für die Schweiz gültig. Universitäre Weiterbildung wird durch ihren wissenschaftlichen Inhalt bzw. eine entsprechende Fundierung ihrer Programme, die Universität als Trägerin und die Teilnehmenden, welche einen Hochschulabschluss ausweisen, konstituiert. Sie steht in drei Zusammenhängen. Erstens ist sie bezogen auf die Logik der Produktion der Wissenschaften wie sie sich im universitären Raum und seit nun bald mehr als 15 Jahren auch außerhalb vollzieht. Dabei geht es um den Stellenwert des wissenschaftlichen Wissens gegenüber ande212
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ren Wissensformen in der außerwissenschaftlichen Welt. Zweitens bildet sie Teil des Kontexts der Vermittlung und Aneignung von Wissenschaft, der einen real-physischen oder einen virtuellen Charakter oder beides haben kann. Der Vermittlungsprozess selber kann mehr oder weniger systematisch organisiert sein, er kann fremd- oder selbstbestimmt sein. Drittens werden die Potenziale der universitären Weiterbildung auch bestimmt durch die Logik wie sich wissenschaftliches Wissen in der Gesellschaft bzw. in der Arbeitswelt transformiert und wie es dort genutzt wird. Dabei denke ich besonders an die Bedeutung von wissenschaftlichem Wissen für die Bewältigung von Aufgaben, mit denen Angehörige der höheren Berufe und Professionen konfrontiert sind. Alle drei genannten Kontexte sind in einem Prozess der fortschreitenden Differenzierung von Funktionen, Rollen und Organisationen begriffen. Die aufgeworfenen Fragen werden in drei Schritten diskutiert: Zunächst wird gezeigt, welches Profil die universitäre Weiterbildung (Typus des Weiterbildungsangebots und Inhalt) seit den 1990er Jahren entwickelt hat. Dann wird diskutiert, wie sich ihr Kontext verändert hat. Im Vordergrund stehen die Produktionspraktiken in den Wissenschaften wie auch die relative Bedeutung der verschiedenen Wissensformen. Weiter werden der Wandel des Hochschulsystems angesprochen und jener der Arbeitsanforderungen an hoch qualifizierten Arbeitskräfte. Diese Kontextualisierungen der universitären Weiterbildung wird helfen ihre Entwicklungslogik zu verstehen. Schließlich wird drittens diskutiert, welche Herausforderungen die beschriebenen Entwicklungen für die professionellen Weiterbildner und Weiterbildnerinnen an den Universitäten mit sich bringen und welche Handlungsmöglichkeiten ihnen offen stehen.
1. Entgrenzte Kontexte und Praktiken der universitären Weiterbildung seit den 1990er Jahren Dass sich die Innovationszyklen in allen Lebensbereichen gegenwärtig beschleunigen ist weitgehend unbestritten. Ebenso bestehen dezidierte Vorstellungen, dass die Nutzung von Wissen für die Verbesserung existierender und die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, der Druck auf Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Wille immer wieder neues Wissen zu generieren eine wachsende Nachfrage nach neuem Wissen (Drucker 1993; Willke 2001) und damit auch nach universitärer Weiterbildung erzeugen. Zudem wird vermutet, dass mit der Expansion des Hochschulsystems die Universitäten und Fachhochschulen gewissermaßen ihre „natürliche Weiterbildungskundschaft“ ausbilden würden (Wolter 2005).
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Die Erfahrungen haben uns allerdings gelehrt, dass die Erwartungen, welche mit plausiblen Argumenten der universitären Weiterbildung ein hohes Wachstumspotenzial zuschrieben, nicht realisiert werden konnten. In Zeitdiagnosen wird zwar die heutige Gesellschaft als Wissensgesellschaft charakterisiert, aber die universitäre Weiterbildung als Transmissionsmechanismus von neuem wissenschaftlichem Wissen scheint bei der Ausformung dieser Gesellschaft nur eine relativ bescheidene Rolle zu spielen. Dies dokumentieren ihre weiterhin marginale Position an den Universitäten im deutschsprachigen Raum genauso wie das beschränkte Interesse der Absolventen und Absolventinnen der Universitäten nach einem Erstabschluss ein universitäres Weiterbildungsprogramm zu absolvieren (Willich/Minks 2004).
1.1 Profil universitärer Weiterbildung In der Schweiz befindet sich seit Beginn der 1990er Jahre die universitäre Weiterbildung dank den initiierenden Sondermaßnahmen des Bundes in einem Wachstums- und Strukturierungsprozess. Mit Sonderfinanzierungen hat der Bund bis 1996 die Universitäten und Technischen Hochschulen ermuntert, zentrale Einrichtungen für universitäre Weiterbildung (Koordinationsstellen) zu schaffen und er hat es ihnen gleichzeitig erleichtert, Weiterbildungsprogramme anzubieten. Inzwischen ist eine universitäre Weiterbildungsstruktur entstanden, die konsolidiert und bemerkenswert kohärent ist. Sie lässt sich durch folgende Merkmalen charakterisieren:
Inhaltliches Profil Die angebotenen Programme sind auf einem Kontinuum zu situieren, das durch die beiden Pole „Berufsorientierung“ versus „Funktionsorientierung“ bestimmt wird. Unter berufsorientierten Studiengängen werden solche verstanden, die zur Erschließung und zur Stabilisierung von Berufsfeldern (im Sinne einer aktiven Professionalisierung) beitragen wollen. Dazu zählen Programme wie Public Health, Psychotherapie, Entwicklungszusammenarbeit, Tropenmedizin, Gefängnisseelsorge, Lehrpfarrer, Studien- und Laufbahnberatung, Arbeitsmedizin, Internationales Wirtschaftsrecht, Evaluation usw. Der Zugang zu diesen Studiengängen ist in der Regel an bestimmte fachliche Voraussetzungen und Abschlüsse geknüpft. Fachinhaltliche Elemente und die entsprechende Forschung prägen das Angebot. Die meisten dieser Studiengänge enthalten zudem Erfahrungs- und Reflexionselemente wie z.B. Coaching, Super- und Intervision. Bei den erwähnten Studiengängen handelt es sich zu einem erheblichen Teil um neue Spezialisierungen mehr oder weniger etablierter Professionen. Demgegenüber sind die Universitäten als Organisationen nicht an der Weiter214
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bildung der etablierten Professionen beteiligt: Ärzte und Juristen organisieren ihre Weiterbildung in eigener Regie, Lehrende aus der Universität werden als Dozierende beigezogen, die Definitionsmacht bezüglich der Programme und ihrer Gestaltung liegt bei den Professionen. Dies deutet darauf hin, dass die Universitäten mit ihren Weiterbildungsangeboten durchaus zur Professionalisierung eines Tätigkeitsfeldes beitragen können, ist diese jedoch gelungen, werden sie für die weitere Stabilisierung nicht mehr benötigt. In der Nähe des Pols „funktionsorientierte Weiterbildung“ werden jene Angebote platziert, die sich an Fachleute richten, die an ihrem Arbeitsplatz bestimmte Funktionen zu erfüllen haben. Beispiele dafür sind: General Management, MBA-Programme, Marketing, didaktische Weiterbildungen, Migration, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, Evaluationen planen und begleiten usw. Auch in diesen Programmen stellt der fachinhaltliche Bezug eine wichtige Komponente dar, allerdings nicht auf dem gleichen Niveau wie in den berufsorientierten Studiengängen. Denn die fachliche Zusammensetzung der Teilnehmenden ist in der Regel heterogen. Als Unterform der funktionsorientierten Weiterbildung können eher kürzere Angebote erwähnt werden, die thematisch enge Fragestellungen fokussieren. Zu erwähnen sind beispielsweise Forschungsforen, wie sie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms Bildung und Beschäftigung durchgeführt wurden und in denen der Dialog zwischen den Forschenden und den Praktikern und Praktikerinnen auf der Basis von Forschungsergebnissen systematisch gepflegt wurde (Horvath 2005). Bei der Gestaltung der universitären Weiterbildungsangebote wird kaum ein expliziter Bezug zur Forschung hergestellt. In allen Programmen werden sowohl qualifizierte Hochschullehrende wie auch bewährte Praktiker und Praktikerinnen engagiert. Das Engagement dieser beiden Personengruppen dokumentiert, dass Wissenschaft und Praxis zwei Welten eigener Art repräsentieren. Es wird unterstellt, dass die Hochschullehrenden die Weiterbildung auf dem neusten Stand des fachlichen Wissens durchführen und dass die Praktiker und Praktikerinnen vermitteln können, wie Probleme konkret zu bearbeiten sind und somit für die „best practice“ zuständig sind.
Formale Struktur In der universitären Weiterbildung hat sich nach rund 15 Jahren eine einheitliche formale Struktur durchgesetzt. Vier Stufen werden unterschieden: Teilnahmebestätigung, Zertifikat (10 ECTS), Weiterbildungsdiplom (30 ECTS) und Master of Advanced Studies (60 ECTS). Die konkreten Anforderungen an die Abschlüsse werden von den einzelnen Universitäten festgelegt genauso wie die Verfahren der Qualitätssicherung.
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Finanzierung Die Bereitschaft der Universitäten sich mit eigenen Mitteln in der Weiterbildung zu engagieren, ist gering. Daher akzeptierten diese die Vorstellung, wonach die Weiterbildung vor allem über die Nachfrage zu finanzieren sei, bereitwillig. Dieser besondere Finanzierungsmodus der Weiterbildung hat die Nachfrage mit einer erheblichen Macht ausgestattet: Sie bestimmt, ob ein Kurs zustande kommt, die Anbieter müssen sich in einem erheblichen Maße auf ihre Erwartungen einstellen und vielfältige Dienstleistungen erbringen. Die Definitionsmacht der Anbieter, die nicht ein großes wissenschaftliches Prestige in die Waageschale werfen können, wird geschwächt. In diesem Prozess wird Weiterbildung als Gebrauchwert systematisch und konsequent in einen Tauschwert transformiert (Naidoo/Jamieson 2005: 271). Spannungen mit traditionellen Universitäts- und Wissenschaftsvorstellungen, die mehr auf Reputation und intrinsische Motivation setzen, sind in dieser Situation nicht zu vermeiden. Darüber hinaus stärkt der beschriebene Finanzierungsmechanismus die Autonomie der Weiterbildung im System Universität. Über den Erfolg der Weiterbildung entscheidet in erster Linie nicht die wissenschaftliche Qualität des Programms sondern der Markt. Damit wird die Qualitätssicherung ein Stück weit aus der Universität herausgelöst. Beide beschriebenen Mechanismen lockern den Bezug der Weiterbildung zur Forschung: Der Markterfolg misst nicht die wissenschaftliche Qualität des Programms, sondern eher die Einschätzung seiner Nützlichkeit und die Zufriedenheit der Teilnehmenden. Die Universitäten müssen das anbieten, was die Nachfrage will und nicht das, was sie können und was durch die Forschung gestützt ist. Und schließlich: Die Nachfrage ist sehr oft an „nützlichem“, nicht vorrangig an „wahrem“ Wissen interessiert.
1.2 Entgrenzungen im Raume der Wissenschaften Die Wissensproduktion im Hochschulraum wird vielfältig und Hochschule und Gesellschaft verschränken sich. Beide Entwicklungen stellen die universitäre Weiterbildung vor erhebliche Herausforderungen.
Pluralisierung der Orientierungen und Formen der Wissensproduktion Weder gestern noch heute folgten Produktion und Kommunikation wissenschaftlichen Wissens im universitären Raum nach einer Logik, welche alle Fächer und alle Forschungsfelder gleichermaßen erfasst. Wiederholt wurde daher versucht, die Vielfalt der wissenschaftlichen Praktiken typisierend zu ordnen. Drei solche Ansätze, die zueinander komplementär sind, werden im 216
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Folgenden skizziert und im Hinblick auf ihre Bedeutung für die universitäre Weiterbildung thematisiert. Bourdieu (1988) betrachtet die Dimension der Anwendung in der Wissenschaft und unterscheidet auf einem Kontinuum die beiden Pole „reines Wissen“ (primär theoretische Erkenntnis) und „angewandtes Wissen“ (anwendungsorientiertes Wissen, Gesellschaft). Zwischen diesen Polen lassen sich die Disziplinen positionieren, so befinden sich die Mathematik und die Geschichtswissenschaften bspw. in der Nähe des Pols „reines Wissen", die Rechtswissenschaften oder die Betriebswirtschaftslehre dagegen näher beim Pol „angewandtes Wissen“. Diese Positionierungen beeinflussen offensichtlich auch die Praxis der Kommunikation von Wissen. Während sich die Mathematiker und Mathematikerinnen und die Angehörigen der Geschichtswissenschaft mit ihren Aktivitäten auf dem Markt der „Wissenschaft“ positionieren wollen, ist für die Angehörigen der Betriebswirtschaftslehre der Markt der Praxis wichtiger. So haben empirische Studien gezeigt, dass die Angehörigen der Betriebswirtschaftslehre in ihrem Akquisitions- und Kommunikationsverhalten (Mittelbeschaffung, Publikationen, Teilnahme an Kongressen, Internationalität usw.) in der Forschung erheblich stärker am Praxisfeld orientiert sind als die Angehörigen der Geschichtswissenschaften (Horvath/Wicki/Weber 1997). Eine andere Typologisierung der Disziplinen nehmen Becher/Trowler (2001) vor, in dem sie zwischen konvergierenden, eng verstrickten (ruraler Modus) und divergierenden, lose gekoppelten Disziplinen (urbaner Modus). Charakteristika des ruralen Modus sind gemäß Becher/Trowler u.a. dispers verteilte Humanressourcen, schwache wechselseitige Abhängigkeit, Vielfalt der Gegenstände sowie wenig Akkumulation von Wissen und Theorie, schwache paradigmatische Orientierungen, ergebnisorientierte Kommunikation, langfristige Produktionszyklen und geringe Bedeutung informeller Kontakte. Beispiele dafür sind die Geschichtswissenschaften, die Sprach- und Literaturwissenschaften wie sicher auch die Erziehungswissenschaften. Der urbane Modus zeichnet sich demgegenüber u.a. aus durch eine starke Konzentration der Humanressourcen, durch eine ausgeprägte wechselseitige Abhängigkeit der Forschenden, starke paradigmatische Orientierungen, die begrenzte Zahl von Gegenständen, die kurzfristigen Produktionszyklen sowie intensive informelle und formelle Kommunikation. In diesem Fall denken wir an klassische Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie und Physik. Aber auch die Psychologie kann diesem Typus zugeordnet werden. Mit einem anderen Blickwinkel unterscheiden schließlich Nowotny et al. (2004) zwischen segregierten, hochgradig selbstreferenziellen und integrierten Wissenschaften. Sie benennen damit mehrdimensionale Cluster von wissenschaftlichen Praktiken. Der Übergang von segregierter zu integrierter Wissenschaft wird als Öffnung interpretiert, die Forschenden gehen mehr auf ihre 217
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Umwelt ein, ihre starken kollektivistischen Überzeugungen und die stabilen und abgrenzenden organisatorischen Muster verlieren an Gewicht. An Bedeutung gewinnen demgegenüber Fragen der Gesellschaft, Kriterien der Legitimation von Forschung wie auch der Erschließung neuer Quellen zu ihrer Finanzierung. Damit geht eine Heterogenisierung von Forschungspraktiken und eine gewisse Instabilität von internen und externen Beziehungsmustern einher. Typisch für die integrierten Wissenschaften dürfte gemäß Gibbons et al. (1994) der Modus 2 der Wissensproduktion sein. In diesem Modus werden Wissensproduktion und -anwendung in einem transdisziplinären Kontext organisiert, an dem Wissenschaftler und Fachleute aus der Praxis beteiligt sind. Entsprechende Arbeiten werden in weichen, zeitlich und sachlich begrenzten und institutionell vielfältigen Zusammenhängen realisiert. Praktiken der universitären Wissensproduktion sind demnach je nach Disziplin und Forschungsfeld in unterschiedlichem Maße auf die externe Umwelt bezogen. Hermanowicz (2005) zeigt in seiner Studie, dass offenbar auch innerhalb der Disziplinen erhebliche Unterschiede bei der Außenorientierung bestehen. In einer qualitativen Studie hat er am Beispiel der Physik an amerikanischen Universitäten herausgearbeitet, dass Departemente, die gemäß dem Ranking des National Research Council vor allem unter strukturellen Variablen (z.B. Forschungsmittel, Publikationen, Reputation der Forschenden, Programmgröße usw.) unterschiedliche eingestuft wurden (ebd.: 32f.) auch unterschiedliche Vorstellungen dazu haben, welche Kriterien für den Erfolg im Feld der Physik maßgebend sind. Bedeutsam in unserem Zusammenhang ist, dass jene Departemente, die tiefe oder durchschnittliche Rankings realisieren, dem Wert öffentliches Engagement und Lehre eine relativ große Bedeutung zuschreiben. In Departementen mit hohen Rankingwerten ist die Lehre klar nachgeordnet und stellt ein Appendix der Forschung dar. Als bedeutsamer wird hier die Forschung und das stetige Bestreben, immer wieder einen entsprechenden Erfolg nachzuweisen, eingestuft. Insgesamt zeichnen sich daher die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Departementen mit hohen Rankingwerten durch relativ homogene Vorstellungen bezüglich des Erfolges akademischer Arbeit aus. Sie orientieren sich an einem Elitenmodell, das sich durch eine Priorität für Forschung definiert. Die Angehörigen der Departemente mit den tiefsten Rankingwerten artikulieren demgegenüber ausgesprochen kommunitarische Orientierungen, sie sind bereit auf vielfältige Anliegen einzutreten und weisen individuell multiple fachliche Identitäten auf. Zum Erfolg gibt es nach ihrer Auffassung verschiedene Wege, der Erfolg in der Forschung stellt ein Kriterium neben andern dar. Damit wird deutlich: Spitzenforschung und Weiterbildung sind offenbar nicht komplementär, sondern eher substitutiv. Mit der Außenverflechtung in der Wissensproduktion wird offensichtlich die Überlegenheit des wissenschaftlichen Wissens gegenüber anderen Wis218
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sensformen in doppelter Hinsicht relativiert. Zum einen wird das erzeugte neue Wissen nicht nur unter dem Gesichtspunkt wahr/falsch beurteilt, sondern auch unter jenem nützlich/nicht nützlich. An dieser Beurteilung sind Wissenschaft und Praxis beteiligt. Diese beiden Codes illustrieren das Spannungsfeld, in das die moderne Wissenschaft heute eingebunden ist. Zum andern werden Problemdefinition, Analyse und Entscheide über das Vorgehen in der Wissenschaft meist in interaktiven, nicht nur wissenschaftsbestimmten Zusammenhängen definiert. Auch hier verliert die Wissenschaft einen Teil ihres Einflusses. Im Modus 2 der Wissensproduktion bzw. in der integrierten Wissenschaft kommt es somit zu einer Aufwertung des außerwissenschaftlichen, arbeitsbezogenen Erfahrungswissens, welches durch die Praktiker und Praktikerinnen eingebracht wird. Einiges spricht freilich dafür, dass die Beteiligung universitärer Forscher und Forscherinnen auch in diesen Fällen für die Legitimierung des Wissens weiterhin notwendig ist. Gleichzeitig ist jedoch daran zu erinnern, dass sich daneben die traditionellen disziplinären und selbstreferenziellen Formen der Wissensproduktion erhalten und auch weiterentwickeln (z.B. Physik). Vom Modus 2 zu virtuellen Formen der Erschließung, Produktion und Nutzung von Wissen führt in einer bereits verwissenschaftlichten Welt nur ein kurzer Weg, dessen Logik einseitig durch die Nachfrage bestimmt wird. Zu erwähnen sind hier Möglichkeiten, die sich dank der neuen Infrastruktur an Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnen. Diese ermöglicht transorganisationale Netzwerke virtuellen Charakters, welche die Selbstversorgung mit Wissen gestatten. Die Kultur solcher virtueller Gemeinschaften wird wesentlich durch zwei Prinzipien konstituiert: Erstens ist das Prinzip der horizontalen und freien Kommunikation zu nennen und zweitens jenes der selbstgesteuerten Vernetzung. Dieses unterstellt, dass die Mitglieder von Netzwerken in der Lage sind, ihr Ziel im Netz zu finden oder gegebenenfalls ein neues Netz mit einem spezifischen Ziel zu initiieren (dazu Castells 2005: 66). Es versteht sich von selbst, dass solche Netzwerke für die Erschließung, Kommunikation, Synthetisierung und Verwendung von Informationen und Wissen in konkreten Projektzusammenhängen genutzt werden können. Alle diese Beispiele zeigen, dass die Übergänge zwischen Weiterbildung und andern Formen des Wissenstransfers fließender werden. Dass in diesem Prozess formalisierte universitäre Weiterbildung ganz überflüssig wird, ist eher zu bezweifeln. Der Wissenstransfer stellt nur eine ihrer Funktionen dar. Sicher jedoch ist, dass Interessierte in konkreten Situationen abwägen, ob sie eine formalisierte Weiterbildung besuchen wollen. Deutlich wird auch, dass die Beziehungen zwischen der Universität und der Welt der Wirtschaft und der Gesellschaft zunehmend interaktiv wird und sich in vielen Fällen die Initiative auf die Seite der Nachfrage verschoben hat. Diese interessiert nicht vorrangig, wie die Wissenschaft die Welt deutet. Wichtiger ist ihr, dass Wis219
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senschaft nach Maßgabe wirtschaftlich, politisch oder kulturell definierter Interessen praktisch genutzt werden kann.
Durchlässigkeit im universitären Raum Die veränderten Praktiken in der Wissensproduktion brechen die Exklusivität der Hochschulen als Ort der Wissensproduktion auf und erzwingen ihre Neupositionierung im wissenschaftlichen Feld. Dabei teilen die Universitäten die Wissensproduktion zunehmend mit andern Organisationen (Stichweh 2005: 159). Dass sich inzwischen zahlreiche gesellschaftliche Akteure ihr eigenes Bild von der Wissenschaft machen, stellt Voraussetzungen und Folge dieser Entwicklung dar. Was Wissenschaft wirklich ist, ist gesellschaftlich umstritten. Paradoxerweise kann der Verlust an Exklusivität als ein unbeabsichtigter Effekt des Erfolgs des universitären Modells verbucht werden. Die Universitäten bilden mehr junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus als sie selber beschäftigen können. Dank ihrer wissenschaftlichen Qualifikation und Sozialisation sind diese in der Lage, auch außerhalb der Universitäten wissenschaftlich tätig zu sein, in den Fachhochschulen genauso wie in privaten Instituten und Betrieben. Einiges deutet darauf hin, dass sich die Verschränkung zwischen Universitäten und Gesellschaft nicht überall in gleicher Weise und gleich intensiv vollzieht. Turk-Bicakci/Brint (2005) haben in den USA die Beziehungen zwischen den Universitäten und der Industrie untersucht. Sie stellen fest, dass Forschungsuniversitäten mit guter technischer Infrastruktur, auch im Bereich der Medizin, Erfolgsausweisen bei der Beschaffung öffentlicher Mittel, relativ hohen Aufwendungen pro Studierenden sowie mit spezialisierten Einrichtungen des Wissenstransfers für die Industrie als Kooperationspartner (gemessen an eingeworbenen industriellen Forschungsgeldern, Lizenzen und Lizenzeinnahmen) attraktiver waren als Universitäten, welche über die entsprechenden Voraussetzungen nicht, oder nur teilweise verfügen. Auch konnten sie zeigen, dass – wiederum gemessen an den oben erwähnten Indikatoren – sich zwischen 1991 und 2000 vor allem die Beziehungen zwischen den reputierten Universitäten und der Industrie intensiviert haben. Die Verschränkung zwischen Universität und Gesellschaft variiert darüber hinaus auch zwischen nationalen Hochschulsystemen. Gestützt auf vergleichende Analysen konstruiert Bleicklie (2005: 51f.) zwei Idealtypen von Wissenschaftsregimes. Das „academic capitalist regimes“ zeichnet sich durch intensive Beziehungen zwischen Universitäten und Wirtschaft aus. Ein solches „regime“ kann vornehmlich in den USA beobachtet werden. Das „public managerials regimes“ wird demgegenüber durch politische, administrative und universitäre Akteure gesteuert. Wettbewerbliche Elemente spielen keine do-
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minierende Rolle. Beispiele dafür sind die nordeuropäischen Länder, aber auch die Schweiz (mit Unterschieden nach Universitäten). Eine ganz andere interessante Vision hat Larédo im Zusammenhang mit dem Wandel des französischen Hochschulsystems entwickelt. Larédo postuliert, dass die Periode der Errichtung öffentlich finanzierter Forschungseinrichtungen zu einem Ende gekommen sei und wir nun in die Phase eingetreten seien, in der die Forschungsuniversitäten gewissermaßen zum Knoten der modernen technischen Entwicklung geworden seien. „Nous entrons dans une periode où il s’agit de favoriser l’émergence et le développement des pôles et des ‚districts scientifiques‘ décentralisées“ (Laredo 2005: 124). In diesem Netzwerkmodell ist eine enge Verflechtung der Forschungsuniversität mit ihrer lokalen Umwelt impliziert. Dieses kann allerdings nur dann realisiert werden kann, wenn die Forschungsuniversität über die entsprechenden freien Handlungsspielräume verfügt und sich lokale Initiativen entfalten können. Dieses Modell setzt auf Hybridgemeinschaften von Forschenden mit großer Bereitschaft zur Kooperation und einem ausgeprägten Selbstverständnis als Gruppe. Die Beziehungen zur Gesellschaft werden interaktiv gestaltet (Latour 1987). Gleichzeitig wird in diesem Modell von der traditionellen Vorstellung der Universität mit ihrem breiten akademischen Profil und ihrer Distanz zur Gesellschaft Abschied genommen. Laredo plädiert für den Mut zur Spezialisierung in der Forschungsuniversität und für ihre aktive Rolle bei der Modernisierung der Gesellschaft, als deren Teil er sie definiert. Die skizzierten Entwicklungen lassen vermuten, dass sich an einigen Orten das Interesse an universitärer Weiterbildung abschwächen könnte. In den binären Hochschulsystemen der deutschsprachigen Ländern werden vermutlich die Universitäten u.a. aus Gründen der Abgrenzung gegenüber den Fachhochschulen sich vermehrt über die Forschung zu profilieren versuchen. Der Druck in diesem Feld erfolgreich zu sein, könnte das Interesse und die Möglichkeit sich in der Lehre und besonders auch in der Weiterbildung zu engagieren, schwächen (Wittpoth 2005). Die Tatsache z.B. dass bereits heute die ETH Zürich in der Schweiz, deren Ruf unbestritten ist und die sich selber im Weltrahmen als Top-Universität einstuft, ein im Vergleich mit ihrer Größe geringes Weiterbildungsangebot aufgebaut hat, spricht für die Plausibilität der These. Umgekehrt kann dies auch bedeuten, dass in der Weiterbildung erfolgreiche Universitäten nicht notwendigerweise auch in der Forschung erfolgreich sein müssen und dass Forschung und Weiterbildung, gerade dort wo jene hochkarätig ist, sich tendenziell entkoppeln. Es ist offensichtlich: Die Entgrenzungen in der Produktion des Wissens wie auch im Raum der Universitäten sind folgenreich für den Forschungsbezug in der universitären Weiterbildung:
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Grundsätzliches: Die Attraktivität der universitären Weiterbildung ist vermutlich allein schon deswegen begrenzt, weil wissenschaftliches Wissen nicht mehr als überlegene Wissensform gilt. Wissenschaftliches Wissen ist wie jedes andere Wissen in hohem Maße kontextualisiert (Beck/Bonss 1989; Willke 2001). Akteure der Universität und der Praxis befinden sich daher auf „gleicher Augenhöhe“, jedoch in andern, einander horizontal zugeordneten Welten. Dennoch kann wissenschaftliches Wissen weiterhin dazu beitragen einen neuen, durch Forschung gestützten und wohl begründeten Blick auf vertraute Gegenstände und entsprechende Fragen zu werfen und womöglich einen neuen Horizonte zu öffnen. Eine wohl verstandene universitäre Weiterbildung wird irritieren. Den kulturellen Differenzen Rechung tragen: Eine sinnvolle und realistische Förderung universitärer Weiterbildung trägt den unterschiedlichen Bedingungen in der Wissensproduktion auf Mikro- und Mesoebene Rechnung: Einzelne Disziplinen pflegen eine Kultur des Praxisbezugs, die für die universitäre Weiterbildung genutzt werden kann. Angehörige anderer Disziplinen müssen demgegenüber eher ermuntert und „überredet werden“. Hier bedarf es zusätzlicher Beratungs- und Dienstleistungsangebote. Auch ist nicht zu übersehen, dass in jenen Disziplinen, in denen der paradigmatische Konsens in den theoretischen Orientierungen ausgeprägt ist, die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens wahrscheinlich nur gelingen kann, wenn das Wissen und Können der Teilnehmenden für diese Paradigmen anschlussfähig sind (z.B. Weiterbildung von Ärzten). Demgegenüber sind Disziplinen mit schwacher paradigmatischer Prägung eher in der Lage, sich auf spezifische Erwartungen der Teilnehmenden einzustellen und ganz allgemein besser mit Heterogenität umzugehen. Weiterbildung und andere Formen des Wissenstransfers: Weiterbildung stellt eine Form des Wissenstransfers dar. Dabei handelt es sich nicht um einen intentional, durch die Wissensproduzenten steuerbaren, linearen Prozess. Von der Erzeugung bis zur Nutzung des Wissens finden vielfältige Transformationen, Selektionen und Umdeutungen statt. Dies gilt auch in der universitären Weiterbildung. Dass die Intensität des Transformationsprozesses nach Art des Wissens und nach sozialer Struktur der Teilnehmenden (Profession versus Nicht-Profession) variieren kann, ist offensichtlich. In jüngster Zeit sind zudem Organisationsformen der Erzeugung von Wissen (integrierte Forschung, Modus 2) entwickelt worden, die solchen Transferprozessen nicht nur äquivalent sind, sondern ihn durch das organisatorische Setting systematisieren und gleichzeitig auf die gewünschte Zielsetzung fokussieren. Dadurch soll besonders der Timelag zwischen der Generierung von Einsichten und ihrer Nutzung verkürzt werden.
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Von der Programmlogik zur Nachfragelogik: Das alte Modell der universitären Weiterbildung, in dem der wissenschaftliche Fortschritt die relevanten Themen definierte, ist in vielen Fachbereichen obsolet geworden. Lautete früher die Devise: Wir haben neues Wissen, machen wir etwas daraus, so stellt sich heute die Frage, ob und wie die Wissenschaften bzw. die universitäre Weiterbildung zur Lösung extern definierten Probleme beitragen können. In dieser Umkehrung zeigt sich auch der Dienstleistungscharakter der universitären Weiterbildung und der Forschung. In dieser Situation werden die Forschenden mehr als früher mit Transformationsaufgaben konfrontiert. Nachfrageperspektive pur: Radikalisiert wird schließlich die Nachfrageperspektive unter zwei Voraussetzungen: Das öffentlich produzierte Wissen ist allgemein zugänglich und kann dank der Infrastruktur der Informations- und Kommunikationstechnologien von einzelnen bzw. Netzwerken auch erschlossen und genutzt werden. Unter diesen Voraussetzungen wären Programme der universitären Weiterbildung fast überflüssig, wenn es nicht noch ihre Abschlüsse gäbe.
1.3 Pfad- und Strukturabhängigkeit der universitären Weiterbildung im Bildungssystem Die Dynamik in der universitären Weiterbildung ist eingebunden in die Entwicklungslogik des Bildungssystems allgemein und in den Transformationsprozess im tertiären Bildungsbereich seit den 1990er Jahren. Das schweizerische Bildungssystem ist einem Prozess fortschreitender institutioneller Differenzierung unterworfen, welcher der Logik eines qualifikationsbestimmten und berufsorientierten Pfades folgt und eine enge Koppelung von Ausbildung und Beruf sicherstellt (Müller/Shavit 1998). Wer im dualen System der Berufsbildung auf der Sekundarstufe 2 einen Beruf erlernt, darf relativ sicher sein, nach der Ausbildung eine entsprechende Erwerbsarbeit aufnehmen zu können. Dieser Entwicklungspfad stellt das Ergebnis von Praktiken der Problemlösung dar, wie sie sich in einem historischen Prozess ausgebildet haben. Als pfadabhängig gelten allgemein solche Prozesse, die in hohem Maße durch früher getroffene Entscheide, die sich für Beteiligte und Betroffene als nützlich erwiesen haben, bestimmt werden. Als Folge dieser Pfadabhängigkeit und legitimiert durch die hochschulpolitische Programmatik wonach Universitäten und Fachhochschulen, „gleichwertig, aber andersartig“ seien, ist im hochschulischen tertiären Bildungsbereich eine horizontal und vertikal hoch differenzierte Struktur von Abschlüssen in Erstausbildung und Weiterbildung entstanden, die standardisiert sind. Beide Hochschultypen folgen in grundständiger Ausbildung und Weiterbildung dem identischen institutionellen Entwicklungspfad: Sie bilden Studienprofile aus, die an Berufen oder Berufsfel223
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dern ausgerichtet sind, die Fachhochschulen allerdings ausgeprägter als die Universitäten. Universitäten und Fachhochschulen geben identische Weiterbildungsdiplome ab, die sich allenfalls in ihren Supplementa unterscheiden. Schließlich sind die Weiterbildungsdiplome der Universitäten in der Regel kantonal anerkannt, jene der Fachhochschulen dagegen eidgenössisch. Universitäten und Fachhochschulen sind gegenwärtig in den „BolognaProzess“ involviert und bereiten die Stufung der Abschlüsse vor bzw. haben diese schon umgesetzt. Bereits heute zeichnet sich ab, dass die Praxis der Lehre und des Lernens an den beiden Hochschultypen immer ähnlicher wird. Auch Fachhochschulen verwenden die Währung ECTS, wenn sie auch anders „rechnen“ als die Universitäten. Heute unterscheiden sich die beiden Hochschultypen hauptsächlich noch in zwei Punkten: Erstens betreiben die Fachhochschulen bedeutend weniger Forschung als die Universitäten. Zwar profitieren sie von speziellen Förderungsprogrammen des Schweizerischen Nationalfonds, weiterhin sind jedoch ihre strukturellen Voraussetzungen für Forschung vergleichsweise ungünstig: Hohe Stundendeputate der Lehrenden, zum Teil fehlende Infrastrukturen und fehlender Mittelbau usw. Zweitens repräsentiert der Lehrkörper an den Fachhochschulen ein Humankapital, das sich von demjenigen der Universitäten wesentlich unterscheidet. Gemäß Angaben des Bundesamtes für Statistik weist die Professorenschaft an den Fachhochschulen 2003 folgendes Profil auf (BFS 2003): 21% erwarben an der Universität ein Doktorat oder eine Habilitation, 22% einen außerhochschulischen Tertiärabschluss, 43% einen Universitätsabschluss (außer Doktorat/Habilitation) und von 5% weiß man nicht, welchen Abschluss sie besitzen. Somit lässt sich folgern: Das Profil des Humankapitals der Professoren und Professorinnen an den FH und den Universitäten fällt sehr unterschiedlich aus: Hier dominiert die Theorie- und dort die Praxisorientierung. Allgemein spricht somit einiges dafür, dass die Umsetzung von „Bologna“ zu einer Entdifferenzierung der Lehrprofile der beiden Hochschultypen, besonders in der Weiterbildung, führt. Die skizzierte Entwicklung im Hochschulbereich wirkt sich auf die Möglichkeiten des Forschungsbezugs in der universitären Weiterbildung und ihre Positionierung aus: Forschungs- versus Praxisbezug in der Weiterbildung: Universitätsangehörigen, die in der Weiterbildung engagiert sind, darf ein Forschungsbezug unterstellt werden. Die Weiterbildungsprogramme der Fachhochschulen machen demgegenüber den Praxisbezug stark. Zum einen weil ihre Dozenten und Dozentinnen über eine entsprechende Praxis verfügen und zum andern weil die Fachhochhochschulen in ihren Selbstdarstellungen den Praxisbezug herauszustreichen pflegen. Diese Situation ist für die universitäre Weiterbildung ziemlich problematisch. Zum einen sind Universitätsabsolventen dank ihrer ersten Grundausbildung bereits gut mit Theorie versorgt, sie dürften in den Weiterbildung einen stärkeren Praxisbezug bevorzugen 224
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(vgl. Willich/Minks 2004). Soweit Fachhochschulabsolventen universitäre Weiterbildungsprogramme besuchen, können die Universitäten ihre Stärke, den Forschungsbezug nur bedingt entfalten, weil die Teilnehmenden aus den Fachhochschulen nur bedingt über die notwendigen anschlussfähigen Qualifikationen verfügen. Und wenn die Universitäten diese Stärke dennoch entfalten wollen, müssen sie sehr selektiv sein bei der Zulassung oder Förderangebote zur Homogenisierung der Eingangsqualifikationen bereitstellen. Schließlich stehen dann die Universitäten in einer direkten Konkurrenzsituation, wenn sie die Praxiselemente stark machen.
Wandel der Arbeitsanforderungen an Hochqualifizierte In unserer Gesellschaft verändern sich die Strukturen der Produktion und der Verteilung von Gütern und Dienstleistungen nachhaltig. Die produktionsnahen, wissensintensiven Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung. Die Herstellung von Gütern und Dienstleistungen wird räumlich übergreifend und „just in time“ koordiniert. Unternehmungen beschaffen sich Fachwissen extern und verzichten oft darauf, ihren Wissens- und Könnensbedarf intern zu generieren. Insgesamt ist mit einer Entzeitlichung und -räumlichung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu rechnen. Damit die hier angesprochene neue Produktionsweise gelingen kann, sind Unternehmungen auf eine leistungsfähige Informations- und Kommunikationsinfrastruktur angewiesen. Im bildungspolitischen Diskurs ist man sich einig, dass die mit diesem Wandel verbundene Deregulierung der Wirtschaft, die Beschleunigung der Innovationszyklen, das abstrakter Werden der Arbeit, neue Formen der Arbeitsorganisation, der Wunsch Kosten des sozialen Ausschlusses in Grenzen zu halten (Duke 2002: 26) und der Abbau institutioneller Gewissheiten den Druck auf „lebenslanges Lernen“ als gesellschaftliche Norm aufrechterhalten und verstärken. Diese Norm gilt auch für Hochqualifizierte. Freilich, ist nicht zu übersehen, dass gerade sie dem technischen und wirtschaftlichen Wandel nicht wehrlos ausgesetzt sind, sondern ihn selber mitgestalten und vorantreiben können. Der berufliche Handlungs- und Gestaltungsspielraum starker Professionen ist beträchtlich. Baethge/Baethge-Kinski (1998) haben gezeigt, wie der skizzierte Strukturwandel die Betriebs- und Arbeitsorganisationen in den Unternehmungen verändert und dadurch die Bedingungen unselbständiger Erwerbsarbeit flexibilisiert. Die herkömmliche funktions- und berufsorientierte Organisation dürfte dabei an Bedeutung verlieren. Besonders moderne Unternehmungen im Finanz- und Dienstleistungsbereich verändern ihr stabiles, vertikal integriertes Leistungsprofil. Wichtiger wird die Orientierung am Markt. Deswegen werden vermehrt multifunktionale Unternehmenseinheiten mit ganz unterschied225
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lichen Humanressourcen geschaffen, welche in Marktnähe positioniert werden. Bezüglich der Arbeitsorganisationen verlieren dabei fachspezifische Spezialisierungen entlang bestimmter beruflicher Qualifikationen an Gewicht. Die Aufgaben werden vermehrt kunden- und prozessbezogen gelöst. Dadurch ergibt sich insgesamt eine Auflockerung des herkömmlichen Berufsbezugs im Vollzug der Arbeit. In diesem neuen Organisationstyp wird die Arbeit abstrakter: Der Umgang mit Symbolen gewinnt an Bedeutung. Die Arbeitsanforderungen setzen aber weiterhin fachliches Wissen und Können wie zunehmend auch Allgemeinbildung voraus. Diese stellen eine selbstverständliche Handlungsressource dar. Relevante Wissens- und Könnensbestände werden nun aber weniger im Rahmen einer beruflichen, als vielmehr einer betrieblichen Reproduktionslogik definiert. Der Arbeitsort wird zum Lernort, das Lernen im Vollzug der Arbeit zu einem betrieblichen Imperativ. Gefordert wird überdies eine so genannte Metakompetenz, die gestattet, situativ und aufgabenbezogen das vorhandene Wissen und Können zu erweitern, zu nutzen und diesen Vorgang zu reflektieren. Dieser Wandel setzt sich selbstverständlich nicht tel quel in der Arbeitswelt durch und nicht alle hoch qualifizierten Arbeitskräfte sind ihm gleichermaßen ausgeliefert. Weiterhin gibt es zahlreiche Branchen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den alten Organisationstypus bevorzugen, der auf berufs- und funktionsorientierter Arbeitsorganisation beruht. Hier stellt der Beruf weiterhin den Input für die Arbeitsorganisation dar. Diesen Organisationstyp finden wir in Unternehmungen des herkömmlichen Gewerbe, des klassischen Dienstleistungssektors, im Gesundheits- und Bildungswesen, aber namentlich aber auch in öffentlichen Unternehmungen. Die skizzierten Organisationstypen, welche die beiden extremen Pole eines Kontinuums darstellen, erlauben Branchen und Unternehmungen zu positionieren. Nützlich erscheint mir die Typologie auch zur Beantwortung der Frage, welche Art von Wissensbedarf in den unterschiedlichen Organisationsformen generiert wird und welches die Implikationen für eine forschungsbasierte Weiterbildung sind. Ergänzend zur arbeitsorganisatorischen Perspektive Baethges sei im Anschluss an Stichweh (2004: 155f.) darauf hingewiesen, dass überdies im Bereich selbständiger Erwerbsarbeit das Wissen zweiter Ordnung an Bedeutung gewinnt und sich Tätigkeitsfelder beruflich verfestigen. Im Wissen zweiter Ordnung wird Wissen „dadurch dupliziert, dass die Zusammenhänge in denen es als Beobachtungswissen fungiert, mittels desselben Wissens noch einmal einer kontrollierenden Beobachtung unterworfen werden“ (Stichweh 2004:155). Beispiele dafür sind die Lehranalyse in der Psychoanalyse, Supervisionen in therapeutischen Berufen, Evaluationen, Wirtschaftsprüfungen usw. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass universitäres Wis226
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sen bei der Formierung dieses Wissenstypus durchaus eine Rolle spielt, dass aber seine berufliche Verfestigung außerhalb der Universität, unter der Kontrolle der entsprechenden Professionen erfolgt (vgl. Psychotherapieberufe). Dabei „nabelt“ sich der professionelle wissenschaftliche Diskurs ein Stück weit vom universitären ab und führt ein mehr oder weniger ausgeprägtes Eigenleben. Die Vermittlung der Standards der entsprechenden beruflichen Praktiken erfolgt in Weiterbildungen, die von den Professionen selber organisiert werden. Auch wenn in solchen Fällen ihr Autonomiebestreben nicht zu übersehen ist, wird dennoch auch in Einzelfällen eine universitäre Anlehnung der Weiterbildung gesucht. Hinzuweisen ist auf Initiativen, Psychotherapie und Psychoanalyse im Rahmen der universitären Weiterbildung anzubieten (Universitäten Bern und Zürich). Vereinfacht lässt sich behaupten, dass die Universitäten in den Fachrichtungen Medizin, Rechtswissenschaften, Theologie, Architektur und teilweise auch in den Human- und Naturwissenschaften (Lehrerberufe) sowie den Ingenieurwissenschaften Fachleute ausbilden, deren berufsfachliches Profil in abhängiger Erwerbstätigkeit, auch die Arbeitsorganisation beeinflusst und stabilisiert. Ausbildung und Berufseinstieg sind relativ eng gekoppelt und die Programmatik der Weiterbildung wird wesentlich aus der Perspektive Beruf bzw. Profession formuliert. Wissenschaftliche Wissenspotenziale werden gemäß der Handlungslogik der Profession gefiltert. In der Weiterbildung werden das berufsspezifische Wissen, das entsprechende Können, der Umgang mit unterstützenden Technologien (vgl. Ärzte) wie auch spezifische Sichtweisen und Problemlösungstechniken vermittelt. Weiterbildung ist letztlich darauf ausgerichtet sicher zustellen, dass die Berufsangehörigen die Probleme gemäß den sozio-kulturell definierten Standards der Profession angehen (vgl. dazu u. a. Pillay/McCrindle 2005: 67f.). Sie fördert somit eine gewisse Standardisierung im beruflichen Handeln. Meist findet die Weiterbildung arbeitsplatznah statt. Oft wird sie als Ausbildungsweg (vom Praktikum, über die Assistenz zum Chef) konzipiert und wesentlich durch die Professionsangehörigen gesteuert und kontrolliert. Es ist kein Zufall, dass die Angehörigen dieser Berufe meist in öffentlichen Unternehmungen beschäftigt werden, wo sie trotz aller politischen Bemühungen (z.B. wirkungsorientierte Verwaltungsführung durch Leistungsvereinbarungen) den Marktkräften nicht direkt ausgesetzt sind. Immer mehr Absolventen und Absolventinnen der Universitäten werden in Unternehmungen beschäftigt, die gemäß Baethge/Baethge-Kinski zu den modernen gehören. Die Arbeit ist nahe am Markt organisiert und prozessgesteuert. Die entsprechenden Arbeitsanforderungen sind nicht standardisiert genauso wenig wie die Arbeitsteilung unter den Mitarbeitenden. Diese ergibt sich vielmehr aus den spezifischen Anforderungen von Projekten und den je gegebenen situativen, zeitlichen und finanziellen Bedingungen. Mehr als anderswo gilt der Arbeitsplatz als Lernort. Angesichts der Unterdeterminiertheit 227
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von Arbeitsanforderungen (vgl. Projekt als Arbeitsorganisation) und entsprechenden Handlungsspielräumen sind die Lernchancen am Arbeitsplatz vergleichsweise groß. Wissensdefizite und Wissensbedarf entstehen im Vollzug der Arbeit und werden unter einer betrieblichen Perspektive angegangen. Sofern die Weiterbildung nicht als Betriebsprojekt (z.B. Arbeitsplatzwechsel, Traineeprogramme) organisiert ist, entsteht unter solchen Bedingungen vermutlich ein Bedarf an spezifischer Weiterbildung funktionsorientierter Art. Wird dieser befriedigt, entstehen bei den Mitarbeitenden nicht-standardisierte Qualifikationsprofile. Besser als Berufsorganisationen kann dieser Weiterbildungsbedarf durch Bildungs- allenfalls auch Forschungseinrichtungen gedeckt werden. In entsprechenden Weiterbildungsangeboten können relevante Forschungsergebnisse grundsätzlich leicht einbezogen werden. Wiederum ist zu fragen, welches die Bedeutung der beschriebenen Entwicklung für die universitäre Weiterbildung ist: Funktionsorientierte Weiterbildung als Wachstumsbereich: Der Wandel in der Akademikerbeschäftigung lässt vermuten, dass die Nachfrage nach funktionsorientierter Weiterbildung eher zunehmen wird. Dies hängt mit dem Strukturwandel der Arbeit und der fortschreitenden Deregulierung zusammen. In entsprechenden Weiterbildungsangeboten kann ein Forschungsbezug relativ leicht sichergestellt werden, hat doch die Universität bei derartigen Programmen eine vergleichsweise große Definitionsmacht, auch weil die Nachfrage nicht organisiert ist. Exakt aus diesem Grund ist es anspruchsvoll, in solchen Programmen eine dauerhafte Beziehung zur Nachfrage aufzubauen. Die Inhalte entsprechender Programme werden daher oft situativ definiert und die Programme selber sind nicht auf Dauer angelegt. Professionsorientierte Weiterbildung: In diesem Bereich spielt die Universität – wie bereits erwähnt – eine eher geringe Rolle. Dennoch ist dieses Nachfragepotenzial nicht zu unterschätzen. Zum einen erzeugt der erhöhte Druck, in der Forschung zunehmend nützliches Wissen zu erzeugen, ein Potenzial an Wissen und Können, welches nicht nur für die herkömmlichen Professionen und ihre Weiterentwicklung interessant sein kann. Mit derartigem Wissen und Können ließe sich eine Politik der aktiven Professionalisierung in bestimmten Bereichen sicher stützen. Im Unterschied zur funktionsorientierten Weiterbildung ist jedoch in diesem Falle die Universität auf Partner (z.B. Verbände) in der Arbeitswelt angewiesen. ´
2. Programmatik und Management der universitären Weiterbildung Heute sind die Weiterbildungsprogramme der Universitäten im deutschsprachigen Raum hoch differenziert. Die Programmatik der universitären Weiterbildung ist vielfältig: Teils ist sie dem Aufklärungsgedanken verpflichtet, teils 228
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will sie nützlich sein; teils bezieht sie sich auf bestimmte Professionen, teils steht für sie nur eine bestimmte Funktion hoch qualifizierter Arbeitskräfte im Vordergrund; teils ist sie gebrauchs- und teils tauschwertorientiert; teils begründet sie eine aktive, teils eine passive Professionalisierung. Dank der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich zudem neue Formen der Weiterbildung und neue Zugänge zum wissenschaftlichen Wissen entwickelt, welche die traditionellen universitären Weiterbildungsprogramme konkurrenzieren. Oft werden an einer Universität verschiedene Weiterbildungsmodelle gleichzeitig praktiziert, die in unterschiedlichen historischen Konstellationen entstanden sind. In dieser Ausdifferenzierung von Programmen und Programmatiken spiegelt sich zum einen die ausgeprägte Nachfrageorientierung, die inzwischen die universitäre Weiterbildung erfasst hat. Zum andern hängt sie mit der Differenzierung des Kontextes der universitären Weiterbildung zusammen. Erstens hat sich die Wissensproduktion institutionell entgrenzt und ist auch innerhalb der Universität vielfältiger geworden, oft sind Differenzierungen sogar innerhalb einer Disziplin zu beobachten. Wissenschaftliche und praxisbezogene Wissensmärkte mit je eigener Logik der Wissensproduktion und Qualitätssicherung sind entstanden. Das wissenschaftliche Wissen hat einen Bedeutungsverlust erfahren und die beruflichen Erfahrungen wurden aufgewertet. Zweitens befindet sich der tertiäre Hochschulbereich aufgrund der in den 1990er Jahren eingeleiteten Reformen und des laufenden „Bologna-Prozesses“ in Transformation. Prozesse der Differenzierung wie der Entdifferenzierung sind gleichzeitig beobachtbar. Unübersehbar ist, dass sich eine Hierarchisierung im Hochschulsystem abzeichnet. Sie erfasst sowohl die Fachhochschulen wie die Universitäten und dynamisiert gleichzeitig das Gefüge der Hochschulen im tertiären Bildungsbereich insgesamt. Diese „labile“ Hierarchisierung kann als eine logische Folge des Wettbewerbs und der institutionalisierten Rankings unter den Hochschulen verstanden werden (dazu Bleicklie 2005: 37f.). Drittens strukturiert sich der Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte hauptsächlich in drei Segmenten. Das erste Segment wird wesentlich durch die Professionen reguliert und ist nur bedingt durch Wettbewerb geprägt. Das zweite Segment enthält jene Positionen, die durch politische Entscheide zustande kommen. Das dritte Segment ist ausgesprochen wettbewerblich reguliert, horizontale und vertikale Substitutionsprozesse sind ausgeprägt. Die Wissensbedarfe in den drei Segmenten sind unterschiedlich genauso wie die Definitionsmacht der Universitäten bei der Versorgung der drei Segmente mit wissenschaftlichem Wissen. Professionalisierungs- und Individualisierungsprozesse zeichnen sich gleichzeitig ab. Diese Entwicklungen illustrieren, dass an den Universitäten die Weiterbildung in komplexe Zusammenhänge eingebettet ist, die zu unterschiedlichen Regulierungslogiken in den Programmen führen. 229
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Der universitären Weiterbildung ist somit eine gewisse Unübersichtlichkeit eigen. Die verschiedenen Typen der Weiterbildungsprogramme können sich in unterschiedlicher Weise auf die Forschung beziehen. Wenn dieser Bezug gelingt, partizipiert die Weiterbildung gleichzeitig an den zentralen Werten der Universität, wodurch sich ihr Status im System verbessern könnte. Wie ein solcher Bezug hergestellt werden könnte, hat Donaldson bereits 1992 skizziert. Er sieht drei Möglichkeiten, die Weiterbildung mit der Forschung zu verbinden: Mit den Informations- und Kommunikationsfunktionen spricht er Programmelemente an, die in viele Angebote eingebaut werden könnten. Warum nicht in jedem Programm ein Zeitfenster vorsehen, um auf breiter Basis über den Stand der Forschung im entsprechenden Feld zu informieren und dieses Wissen mit Blick auf das Handlungsfeld der Teilnehmenden diskutieren? Freilich wäre dabei Augenmaß angebracht. Bei der Gestaltung solcher inhaltlichen Elemente müsste dem wissenschaftlichen Status in den jeweiligen Forschungsfeldern Rechnung getragen werden. Wissenschaftlichen Aussagen können auf einem Kontinuum zwischen den Polen „nicht konsolidiert“ und „konsolidiert“ situiert werden. Von konsolidiertem wissenschaftlichen Wissen (und Können) sprechen wir namentlich dann, wenn das Wissen von der jeweiligen Community konsensuell akzeptiert wird. Solche Wissensbestände finden namentlich in Lehrbücher Eingang oder werden auch als praktische Kompetenzen vermittelt. Nicht konsolidierte Wissensbestände werden sehr oft an der Forschungsfront generiert, kontrovers diskutiert und sind noch nicht konsensuell akzeptiert. Interessanter erscheint mir das dritte Element, welches Donaldson diskutiert, die Initiierungsfunktion. Donaldson schlägt vor, Forschungskomponenten systematisch in Weiterbildungsprogramme einzubauen, und zwar in einem größeren Umfang als dies üblicherweise im Rahmen von Abschlussarbeiten möglich ist. Dabei könnten u. a. folgende Vorhaben angegangen werden: Aufarbeitung und Weiterentwicklung von Wissen in Bezug auf den außeruniversitären Wissensbedarf; Sammlung, Strukturierung, Erhaltung und Anwendung Wissen; Evaluation der Anwendung von Wissen; Wissensdiffusion und Dialog mit Wissensmanagern und -verwendern (dazu auch Lindenstein 1995: 156). Welche Möglichkeiten des Forschungsbezugs in der Weiterbildung konkret bestehen, hängt sicher auch ein Stück weit vom Forschungsprofil der anbietenden Hochschule ab. Sicher ist, dass Forschung zur Profilbildung auf bestimmten Segmenten des Weiterbildungsmarktes beitragen kann. Dies vor allem dort, wo die Teilnehmenden über anschlussfähige Qualifikationen verfügen, um das neuste Forschungswissen aufzunehmen und zu verarbeiten. Die von Donaldson erwähnten Aktivitäten sind in Arbeitsteilung mit den Angehörigen der Fakultäten und Institute durchzuführen. Diese werden in 230
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Fragen weiterbildungsrelevanter Forschung unterstützt. Namentlich empfiehlt Donaldson, Raum zu schaffen für die Kooperation zwischen der Universität und der externen Fachwelt und um den Zugang zur Forschung allgemein zu verbessern. Besondere Aufgabe der Weiterbildungseinrichtungen wäre es, Themen für Forschungsprojekte zu identifizieren, Finanzierungsquellen zu erschließen und das Management in der Forschungszusammenarbeit zu übernehmen. Gerade diese Aufgabe wäre angesichts der hohen Komplexität transdisziplinärer wissenschaftlichen Produktionsweise äußerst anspruchsvoll, aber auch spannend. Literatur (u.a. Preedy et al. 1987; Kydd et al. 1997) und Praxis lehren uns, dass sich im Bildungsmanagement in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel vollzogen hat. Wurde früher Bildungsmanagement assoziiert mit tayloristischer Arbeitsteilung, Aufgabenorientierung, Zweckorientierung und hierarchischer Kontrolle, so zeigen inzwischen zahlreiche Erfahrungen, dass ein solcher Managementstil in Bildungseinrichtungen mit ihrer lose gekoppelten Struktur und im Falle der Weiterbildung angesichts der Komplexität der Feldes nicht sehr erfolgreich sein konnte. Zum einen muss das Management den besonderen Merkmalen des Gutes Bildung (z.B. ethische Aspekte, Nachhaltigkeit) Rechnung tragen. Zum andern setzt sich ein transformationaler Managementstil durch, der die Betroffenen einbezieht, ihnen optimale Bedingungen für ihr Handeln schafft und eine Feldnähe sicherstellt. In dieser neuen Managementpraxis spiegelt sich ein Wandel von der äußeren, hierarchischen Steuerung zur inneren (Selbststeuerung), von der Vermittlungs- zur Aneignungspädagogik und von der intentionalen zur Kontextsteuerung. Für die universitäre Weiterbildung und ihr Management bedeutet dies, dass sie sich in einem zunehmend anspruchsvolleren Feld bewähren müssen. Knüpfen wir an die Analyse der Funktionsweisen in Weiterbildungseinrichtungen von Schäffter (1998: 41) an, so können wir sagen, dass auf der Ebene Programmplanung das Management beim Vollzug seiner Aufgaben in zwei komplexe Felder eingebunden ist, die untereinander kaum vermittelt sind und die nach unterschiedlichen Codes funktionieren. Das eine Feld formiert sich um die Nachfrage nach universitärer Weiterbildung. Dazu gehören die Weiterbildung nachfragenden Gruppen, die Arbeitgeber, politisch-öffentliche Akteure, Berufsverbände usw. Also alle jene Stakeholder, die von der Teilnahme an Weiterbildung einen bestimmten Nutzen, sei dieser individueller, sei dieser kollektiver Art erwarten. Entsprechend wird in erster Linie diskutiert wie das Nutzenpotenzial der Weiterbildungsprogramme am besten sichergestellt werden kann. Zum andern bildet sich ein Feld um jene Akteure, welche die Weiterbildungsprogramme inhaltlich verantworten und durchführen. Dazu zählen: Institute, Lehrstühle mit den entsprechenden wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Personen mit administrativen und infrastrukturellen Aufgaben in der Universität und der Weiterbildung. Hier haben wir es, gerade 231
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wenn der Gegenstand der Weiterbildung die Wissenschaft ist, oft mit Akteuren zu tun die sich nicht über Weiterbildung, sondern in erster Linie über Forschung profilieren. In diesem komplexen Handlungsfeld fällt den Professionellen eine anspruchsvolle Verhandlungs- und Vermittlungsfunktion zu.
3. Wissen als Ressource im Management der Weiterbildung Der universitäre Weiterbildungssektor, der wie gezeigt in vielfältiger Weise mit der Forschung, der Lehre, der Arbeitswelt und dem Hochschulsystem verknüpft ist, wird auch in Zukunft seine Dynamik bewahren, weil er sich nur so stabilisieren kann. Die Abstimmung von Erstausbildung und Weiterbildung wird zu einem kontinuierlich zu bearbeitenden Problem und die Konkurrenz auf dem Weiterbildungsmarkt wird wachsen und internationaler werden. Universitäten werden dann in der Lage sein, diese Herausforderungen erfolgreich zu bearbeiten, wenn sie über stabile Strukturen verfügen, die in der Weiterbildung professionelles und wissenschaftsgestütztes Arbeiten ermöglichen. Dies bedeutet, dass Weiterbildung als akademische Aufgabe zu definieren und zu bearbeiten ist. Wissenschaftliches Wissen über Weiterbildung hilft entsprechendes Handlungsvermögen zu konstituieren und stellt einen Erfolgsfaktor dar. Freilich haben an den Weiterbildungsstellen der schweizerischen Universitäten und ETHs, wie unsere Befragung 2004 gezeigt hat, Forschung und Entwicklung einen relativ geringen Stellenwert: Lediglich 17 Prozent der Ressourcen der Kernbelegschaft werden in diese Tätigkeit investiert. Demgegenüber fließen 30 Prozent in die Planung und Steuerung und 32 Prozent in die Administration. Diese Daten zeigen, dass in der Schweiz die universitäre Weiterbildung bis heute kein akademisches Feld eigener Art darstellt und dass an den Weiterbildungsstellen wissenschaftliches Wissen im engeren Sinne als Ressource der Planung wenig verfügbar ist. Angesichts des Wandels in der Weiterbildung und in ihrem Umfeld ist keineswegs sicher, ob ihre professionellen Einrichtungen auf wissenschaftliches Wissen als Ressource verzichten können. Wissenschaftliches Wissen würde erlauben, die Risiken neuer Programme besser einzuschätzen und diese noch präziser auf die Nachfrage einzustellen. In diesem Sinne hätte Weiterbildungsforschung eine unterstützende Funktion für die Planung und wäre zugleich instrumentell. Weiterbildungsforschung könnte aber auch aufklärend für die Professionellen in den entsprechenden Einrichtungen und für alle Beteiligten sein: Sie erleichtert die Distanznahme zur „eigenen“ Praxis, hält das Handeln in der Weiterbildungsplanung auf einem angemessenen Niveau der Komplexität und fördert den Blick bezüglich Grenzen und Möglichkeiten der 232
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Weiterbildung wie auch die Professionalität. Weiterbildungsforschung als Evaluationsforschung unterstützt die Optimierung der Programme wie sie auch reflexive Prozesse in den Weiterbildungseinrichtungen anleiten kann. Schließlich würde Forschung über universitäre Weiterbildung die Legitimation der Weiterbildung im universitären Feld stärken. Eingangs dieses Beitrags wurde die These formuliert, die Universitäten sollten ihre Weiterbildung mit einem Forschungsbezug profilieren. Diese These hat meines Erachtens ihren Plausibilitätstest nur bedingt bestanden. Sie trägt neuen Entwicklungen in der Wissensproduktion und im Hochschulsystem, namentlich den Entgrenzungsprozessen zu wenig Rechnung. Zwar kann ein Forschungsbezug profilierend sein, jedoch nur in bestimmten Weiterbildungsprogrammen und bei bestimmten Zielgruppen. Daher ist davon auszugehen, dass universitäre Weiterbildung auch künftig dann am erfolgreichsten ist, wenn sie sich auf unterschiedliche Bedingungen einlässt. Kompetenter Umgang mit Komplexität ist auch künftig gefragt.
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Autorinne n und Autore n
Beyersdorf, Martin, Dr., Jahrgang 1954, Leiter der Zentralen Einrichtung für Weiterbildung der Universität Hannover, Vorstandsmitglied Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium e.V. – DGWF, Sprecher der Zentralstellen für Weiterbildung der Hochschulen in Norddeutschland, Vorsitzender des Beirats der Kooperationsstelle Hochschulen & Gewerkschaften für die Region Hannover-Hildesheim, Veröffentlichungen u.a.: Zur Zukunft der – wissenschaftlichen – Weiterbildung. 30 Jahre Sekretariat für Seminarkurse – 20 Jahre Zentrale Einrichtung für Weiterbildung der Universität Hannover. Dokumentationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung, Hannover 1999. „Nachhaltigkeit und die wissenschaftliche Weiterbildung“. In: Erich Schäfer/Bernd Zinkhahn/Klaus-Dieter Pietsch (Hg.): Die Weiterbildung in der Bildungsgesellschaft unter dem ökonomischen Paradigma. Perspektiven für die Ausrichtung der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung, Jena 2003. „Adults in German Higher Education“. In: Mark Robin/Mireille Pouget/Edward Thomas (Hg.): Adults in Higher Education, Learning form Experience in the New Europe, Oxford/Bern/Berlin/Bruxelles/ Frankfurt a.M./New York/Wien 2004. Brokmann-Nooren, Christiane, Dr., Jahrgang 1957, Akademische Rätin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Veröffentlichungen u.a.: Christiane Brokmann-Nooren/Ina Grieb/Hans-Dietrich Raapke (Hg.): NQ-Materialien. Handbuch Erwachsenenbildung, Weinheim 1995. Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: „gelehrtes Frauenzimmer“ und „gesellige Gattin“, Oldenburg 1994. Christmann, Bernhard, Dipl.-Ing., Jahrgang 1949, Wissenschaftlicher Angestellter am Weiterbildungszentrum der Ruhr-Universität Bochum, Sprecher 237
AUTORINNEN UND AUTOREN
der Arbeitsgruppe der Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen in der DGWF. Veröffentlichungen: „Das Verhältnis von Hochschule und Weiterbildung. Am Beispiel der Ruhr-Universität Bochum“. In: Paul Ciupke et al. (Hg.): Erwachsenenbildung und politische Kultur in Nordrhein-Westfalen. Themen – Institutionen – Entwicklungen seit 1945, Essen 2003, S. 311-320. „Qualitätssicherung in der wissenschaftlichen Weiterbildung. Das Konzept des Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung (AUE)“. In: Achim Hoppach (Hg.): Qualitätssicherung im Zuge des Bologna-Prozesses, Bielefeld 2003, S. 216-222. Bernhard Christmann/Karen Golle/Klaus Hellermann: „Kompetenzorientierung: Lehren und Lernen im Wandel. Hochschuldidaktik und Studienreform am Weiterbildungszentrum der Ruhr-Universität Bochum“. In: Ulrich Welbers/Olaf Gaus (Hg.): The Shift from Teaching to Learning. Konstruktionsbedingungen eines Ideals, Bielefeld 2005. S. 81-86. Daum, Andreas W., Prof. Dr., Professor für moderne Geschichte an der State University of New York in Buffalo (USA). Nach Promotion und Assistententätigkeit am Institut für Neuere Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Washington, DC, und John F. Kennedy Memorial Fellow an der Harvard University. Forschungsgebiete: Geschichte der Wissenschaftspopularisierung und der bürgerlichen Gesellschaft, Alexander von Humboldt und die transatlantischen Beziehungen seit dem 18. Jahrhundert. Veröffentlichungen u.a.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, München 1998 (2. Auflage 2002). Kennedy in Berlin, Paderborn 2003. Andreas W. Daum/Lloyd C. Gardner/Wilfried Mausbach (Hg.): America, the Vietnam War and the World, Washington, DC 2002. Andreas W. Daum et al. (Hg.): Berlin – Washington, 2006 sowie zahlreiche Aufsätze in deutscher und englischer Sprache. Faulstich, Peter, Prof. Dr., Jahrgang 1946, Langjähriger Leiter der Kontaktstelle für Weiterbildung und des Zentrums für Wissenschaftstransfer an der Universität Kassel, seit 1995 Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Hamburg. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium (DGWF). Veröffentlichungen u.a.: Weiterbildung – Begründungen lebensentfaltender Bildung, München 2003. Ressourcen der allgemeinen Weiterbildung in Deutschland, Bielefeld 2004. Peter Faulstich/J. Ludwig (Hg.): Expansives Lernen, Bartmannsweiler 2004. Peter Faulstich/W. Wittwer (Hg.): Weiterbildungsqualität – zwischen System und Subjekt, Bielefeld 2004. Peter Faulstich/M. Bayer (Hg.): Lerngelder. Für öffentliche Verantwortung in der Weiterbildung, Hamburg 2005.
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AUTORINNEN UND AUTOREN
Faulstich-Wieland, Hannelore, Prof. Dr., Jahrgang 1948, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u.a.: Sozialisation in Schule und Unterricht, Weinheim 2002. Einführung in Genderstudien (Einführungstexte Erziehungswissenschaft Band 12), Opladen 2003. Hannelore Faulstich-Wieland/Martina Weber/Katharina Willems: Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen, Weinheim 2004. Filla, Wilhelm, Universitätsdozent Dr., Jahrgang 1947, Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen – Pädagogische Arbeits- und Forschungsstelle, Studium der Soziologie. Veröffentlichungen u.a.: Zwischen Integration und Klassenkampf. Sozialgeschichte der betrieblichen Mitbestimmung in Österreich, Wien 1981. Volkshochschularbeit in Österreich – Zweite Republik. Eine Spurensuche, Graz 1991. Wissenschaft für alle – ein Widerspruch? Bevölkerungsnaher Wissenstransfer in der Wiener Moderne. Ein historisches Volkshochschulmodell, Innsbruck/Wien/München 2001. Grieb, Ina, Leiterin des Zentrums für Wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Carl von Ossietzky Universität, von 1992-1998 Vizepräsidentin für Lehre der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Veröffentlichungen u.a.: E. Seeber/I. Grieb/M. Kraul/Helene Lange: Die Zukunft ist uns noch alles schuldig, Holzberg 1992. U. Steenken/W. Grams/I. Grieb: Bildungs- und Personalreferenten für Europa?, Oldenburg 1995. C. Brokmann-Nooren/I. Grieb/H. D. Raapke (Hg.): NQ-Materialien. Handbuch Erwachsenenbildung, 1995. Lehmann, Burkhard. Dr., Jahrgang 1954, Geschäftsführer und stellvertretender Leiter des Zentrums für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung an der TU Kaiserslautern. Veröffentlichungen u.a.: E. Bloh/B. Lehmann: „Neue Medien als dynamisierender Faktor der hochschulischen Weiterbildung“. In: W. Jütte/K. Weber (Hg.): Kontexte wissenschaftlicher Weiterbildung. Entstehung und Dynamik von Weiterbildung im universitären Raum, Münster/New York 2005, S. 157ff. B.E. Lehmann/K. Faber: „Bedingungen eines ContentManagement in Bildungseinrichtrungen“. In. B.E. Lehmann, E. Bloh: OnlinePädagogik, Bd. 3, Baltmannsweiler 2005. B.E. Lehmann: „Weiterbildung verkaufen“. In: E. Schäfer/B. Zinkahn/K.-D. Pietsch (Hg.): Die Weiterbildung in der Bildungsgesellschaft unter dem ökonomischen Paradigma, Jena 2005. B.E. Lehmann/E. Bloh (Hg.) Online Pädagogik, Bände 1-3, Baltmannsweiler 2002, 2004, 2005. Noschka-Roos, Annette, Jahrgang 1952, im Deutschen Museum seit 1998 verantwortlich für Besucherforschung und Ausstellungsdidaktik, Tätigkeit für 239
AUTORINNEN UND AUTOREN
verschiedene Institutionen auf dem Gebiet der Besucherforschung und Ausstellungsdidaktik: im Deutschen Museum, Haus der Geschichte Bonn, Geldmuseum der Deutschen Bundesbank, Institut für Museumskunde, Berlin u.a. Veröffentlichungen u.a.: „Besucherforschung am Deutschen Museum. Oder: Tradition verpflichtet“. In:. Annette Noschka-Roos (Hg.): Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation (Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Band 4), München 2003, S. 8-15. „Bausteine eines besucherorientierten Informationskonzepts“. In: U. Schwarz/P. Teufel (Hg.): Handbuch. Museografie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001, S. 88-113. Pape, Klaus, Diplom-Soziologe, Jahrgang 1954, Groß- und Außenhandelskaufmann. Seit 2003 Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen & Gewerkschaften Hannover – Hildesheim, mehrjährige Erfahrung im Bereich berufliche Weiterbildung in einem großen Industrieunternehmen, langjährige Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär. Veröffentlichungen u.a.: Klaus Kittler/Klaus Pape (Hg.): Ausgrenzung und soziale Bewegungen, Hamburg 1999. Kooperationsstelle Hochschulen & Gewerkschaften Region Hannover – Hildesheim 2001 – 2004, Hannover 2005. Klaus Pape (Hg.): „Aufbewahren“ Bestände regionaler Archive zur hannoverschen Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, Hannover 2005. Raapke, Hans-Dietrich, Prof. em. Dr. phil., Jahrgang 1929, Veröffentlichungen u.a.: Willy Strzelewicz/Hans-Dietrich Raapke/Wolfgang Schulenberg: Bildung und Gesellschaftliches Bewußtsein. Eine mehrstufige soziologische Untersuchung in Westdeutschland, Stuttgart 1966. Hans-Dietrich Raapke/ Wolfgang Schulenberg (Hg.): Didaktik der Erwachsenenbildung (Handbuch der Erwachsenenbildung Band 7), hg. von Franz Pöggeler, Stuttgart 1985. Hans-Dietrich Raapke: Erwachsenenbildung. Siebentes Kapitel im Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band VI/I, München 1998. Sagebiel, Felizitas, Dr. phil., Jahrgang 1945, Wissenschaftliche Angestellte an der Universität Wuppertal, Sprecherin der BAG WiWA in der DGWF, Leiterin des SeniorInnenstudiums im Fachbereich Bildungswissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal. Veröffentlichungen u.a. „Life Long Learning und Geschlecht: Evaluation des SeniorInnenstudiums in Wuppertal“. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, 2004. S. 92-109. „Emanzipation und Lebenssinn. Alter, Bildung und Geschlecht“. In: Life Long Learning – Studieren im Alter. Tagungsdokumentation 15 Jahre SeniorInnenstudium an der Universität Wuppertal, Bielefeld 2004. S. 19-46. „Life Long Learning und Geschlecht: Evaluation des SeniorInnenstudiums in Wuppertal“. In: B. Christmann/V. Leuterer (Hg.): Profil und Qualität wissen240
AUTORINNEN UND AUTOREN
schaftlicher Weiterbildung zwischen Wirtschaftlichkeit und Wissenschaft, Hamburg 2004, S. 134-152. Taschwer, Klaus, Dr., Jahrgang 1967, Freiberuflicher „Zwischenschaftler“ in Wien: Mitbegründer und Ko-Leiter von SciMedia, Universitätslehrgang für Wissenschaftskommunikation (seit 2002), Mitherausgeber der Wissenschaftszeitschrift heureka (www.falter.at/heureka; seit 1998), Universitäts- und Fachhochschullektor in Wien und Eisenstadt. Veröffentlichungen u.a.: (Ko-)Autor etlicher Artikel und Bücher zu Themen rund um das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit, zuletzt: Klaus Taschwer/Benedikt Föger: Konrad Lorenz. Biographie, Wien 2003. Wissenschaft für viele, Wien 2005. Teichmann, Jürgen, Prof. Dr., Jahrgang 1941, Leitender Museumsdirektor Hauptabteilung Bildung, Deutsches Museum, München. Veröffentlichungen u.a.: Wandel des Weltbildes, Astronomie, Physik und Messtechnik in der Kulturgeschichte, 4. Auflage, Leipzig 1999. „Das Deutsche Museum. Ein Plädoyer für den Mythos von Objekt und Experiment“. In G. Bayerl/W. Weber (Hg.): Sozialgeschichte der Technik, Münster u.a. 1998, S. 199-208. Weber, Karl, Prof. Dr., seit 1990 Direktor der Koordinationsstelle für Weiterbildung der Universität Bern, von 1998-2004 Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogrammes Bildung und Beschäftigung, Redaktion Zeitschrift Weiterbildung. Zeitschrift für Grundlagen von Praxis und Trends. Veröffentlichungen u.a.: Wolfgang Jütte/Karl Weber (Hg.): Kontexte wissenschaftlicher Weiterbildung, Münster 2005. „Der Bolognaprozess dynamisiert die Hochschulstruktur – Über die Chancen der unbeabsichtigten Folgen eines Reformprozesses“. In: VSH-Bulletin 1 (2005), S. 10-14. “Forschungsfeld wissenschaftliche Weiterbildung“. In: Wolfgang Jütte (Hg.): Studies in lifelong learning (Forschungsbedarf in der wissenschaftlichen Weiterbildung Bd. 5), Münster 2005, S. 17-20. Fritz Osterwalder/Karl Weber, „Die Internationalisierung der föderalistischen Bildungspolitik“. In: Schweiz. Zeitschrift für Bildungswissenschaften 26 (2004), S. 11-32.
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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:
Michael Wimmer Dekonstruktion und Erziehung Studien zum Paradoxieproblem in der Pädagogik Mai 2006, ca. 330 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-469-7
Max Miller Dissens Zur Theorie diskursiven und systemischen Lernens Mai 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-484-0
Bettina Suthues Umstrittene Zugehörigkeiten Positionierungen von Mädchen in einem Jugendverband April 2006, ca. 260 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-489-1
Paul Mecheril, Monika Witsch (Hg.) Cultural Studies und Pädagogik Kritische Artikulationen Februar 2006, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-366-6
Peter Faulstich (Hg.) Öffentliche Wissenschaft Neue Perspektiven der Vermittlung in der wissenschaftlichen Weiterbildung Januar 2006, 244 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-455-7
Hans-Christoph Koller, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Grenzgänge Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane Oktober 2005, 178 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 3-89942-286-4
Autostadt GmbH (Hg.) DENK(T)RÄUME Mobilität Bildung – Bewegung – Halt August 2005, 176 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 3-89942-357-7
Jürgen Budde Männlichkeit und gymnasialer Alltag Doing Gender im heutigen Bildungssystem März 2005, 268 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-324-0
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Thorsten Kubitza Identität – Verkörperung – Bildung Pädagogische Perspektiven der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners März 2005, 352 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-318-6
Andrea Liesner, Olaf Sanders (Hg.) Bildung der Universität Beiträge zum Reformdiskurs Januar 2005, 164 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 3-89942-316-X
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de