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German Pages 374 Year 2014
Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Arie Rip, Uwe Schimank, Peter Weingart (Hg.) Neue Governance der Wissenschaft
Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Arie Rip, Uwe Schimank, Peter Weingart (Hg.)
Neue Governance der Wissenschaft Reorganisation – externe Anforderungen – Medialisierung
Die dieser Publikation zugrundeliegende Förderinitiative »Neue Governance der Wissenschaft« wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Herausgebern.
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Inhalt E INFÜHRUNG Die BMBF-Förderinitiative »Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft« Monika Wächter | 9
Die neue Governance der Wissenschaft Zur Einleitung Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Uwe Schimank, Peter Weingart | 15
T EIL 1: W ANDEL DER G OVERNANCE -R EGIME VON H OCHSCHULEN Zwischen Selbstverwaltungs- und Managementmodell Umsetzungsstand und Bewertungen der neuen Steuerungsinstrumente in deutschen Universitäten Jörg Bogumil, Martin Burgi, Rolf G. Heinze, Sascha Gerber, Ilse-Dore Gräf, Linda Jochheim, Maren Schickentanz | 49
Reaktionen auf Evaluationen Die Anwendung neuer Steuerungsinstrumente und ihre Grenzen Jochen Gläser, Thimo von Stuckrad | 73
Wie effektiv ist die Leistungsorientierte Mittelvergabe in der Hochschul medizin? Zwischenbilanz ein Jahrzehnt nach ihrer Einführung René Krempkow, Uta Landrock | 95
Auch Breiten- statt nur Spitzenförderung Warum EPSCoR ein Vorbild für die DFG sein könnte Gerd Grözinger, Nadin Fromm | 113
T EIL 2: B EDEUTUNGSZUWACHS EXTERNER A NFORDERUNGEN Governance von Ressortforschungseinrichtungen Tobias Bach, Axel Philipps, Eva Barlösius, Marian Döhler | 139
Regionale Vernetzung von Hochschulen Knut Koschatzky, Miriam Hufnagl, Henning Kroll, Stephanie Daimer, Friedrich Dornbusch, Nicole Schulze | 163
Innovationsförderung durch geistiges Eigentum? Passungsprobleme zwischen unternehmerischen Wissensinvestitionen und den Schutzmöglichkeiten durch Patente Stefan Böschen, Barbara Brandl, Bernhard Gill, Michael Schneider, Philipp Spranger | 183
›Uneingeladene‹ Partizipation der Zivilgesellschaft Ein kreatives Element der Governance von Wissenschaft Peter Wehling, Willy Viehöver | 213
Governance in der Wissenschaft unter einer Gender-Perspektive Birgit Riegraf, Lena Weber | 235
T EIL 3: M EDIALISIERUNG ALS K ONTEXTBEDINGUNG Neue Governance und die Öffentlichkeit der Hochschulen Frank Marcinkowski, Matthias Kohring, Andres Friedrichsmeier, Silke Fürst | 257
Medien, Fächer und Politik Wie Medien forschungspolitische Entscheidungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beeinflussen Bernd Blöbaum, Andreas M. Scheu, Annika Summ, Anna-Maria Volpers | 289
Medialisierung der Neurowissenschaften Bedeutung journalistischer Medien für die Wissenschafts-Governance Hans Peter Peters, Joachim Allgaier, Sharon Dunwoody, Yin-Yueh Lo, Dominique Brossard, Arlena Jung | 311
Die Herstellung und Darstellung von Wissen unter Medialisierungsbedingungen Eine vergleichende Betrachtung von Mathematik, Zeitgeschichte und Molekularbiologie Martina Franzen, Simone Rödder | 337
Autorinnen und Autoren | 363
Einführung
Die BMBF-Förderinitiative »Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft« Monika Wächter
Der vorliegende Sammelband beinhaltet die Ergebnisse aus 13 Forschungsprojekten, die im Rahmen der Fördermaßnahme »Neue Governance der Wissenschaft« zwischen 2009 und 2013 bearbeitet wurden. Bei der Fördermaßnahme handelt es sich um die zweite Phase unter dem Dach der Förderinitiative »Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft«, die im Jahr 2001 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet wurde. Eine erste Phase wurde unter dem Titel »Wissen für Entscheidungsprozesse« in den Jahren 2003 – 2008 durchgeführt. Das vom BMBF zur Verfügung gestellte Fördervolumen betrug insgesamt rund 15 Millionen Euro. Die Umsetzung der beiden Förderphasen wurde jeweils durch einen wissenschaftlichen Beirat begleitet. Den Mitgliedern des Beiratskreises »Neue Governance der Wissenschaft« obliegt die Herausgeberschaft des vorliegenden Bandes. 1
W ARUM DIE F ÖRDERINITIATIVE ? Im Wissenschaftssystem finden seit den 1980er Jahren dynamische Veränderungsprozesse statt, deren besseres Verständnis von großer Bedeutung sowohl für die Wissenschaftspolitik als auch für die Wissenschaft selbst ist. Vor diesem Hintergrund ergriff das BMBF als ein zentraler Akteur im deutschen Wissenschaftssystem die Initiative und adressierte im Jahr 2000 an einen Kreis ausge-
1 | Neben Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Arie Rip, Uwe Schimank und Peter Weingart war Sabine Maasen von Sommer 2008 bis Anfang 2011 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats.
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wiesener Expertinnen und Experten 2 der deutschen Wissenschaftsforschung die Bitte um Sondierung entsprechenden Forschungsbedarfs. Das Ergebnis führte zu der Einschätzung, dass sowohl die aktuelle Verfasstheit des Wissenschaftssystems in seiner Wechselwirkung mit der Wissenschaftspolitik als auch das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Praxis vertiefender Untersuchungen bedürften. Konkret wurden drei thematische Schwerpunkte identifiziert, die weiter verfolgt werden sollten. Diese waren: •
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Wissenschafts- und Forschungspolitik, wobei die Fragen aufgeworfen wurden, inwieweit Wissenschaft den Politikbetrieb störe, anrege oder legitimiere, wie Agendasetting funktioniere und wie das deutsche Wissenschaftssystem im internationalen Vergleich positioniert sei; (Neue) Formen der Wissensproduktion, mit Fokussierung auf die Frage nach der Leistungsfähigkeit interdisziplinärer Forschungsansätze bei der Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen; Evaluationen im Wissenschafts- und Forschungssektor als ein Steuerungsinstrument von zunehmender Bedeutung.
Es erging die Empfehlung, eine Förderinitiative mit doppelter Zielstellung zu entwickeln. Mit dem Instrument der Projektförderung sollten die genannten Forschungsfelder bearbeitet und die Ergebnisse für die Wissenschaftspolitik und das Wissenschaftsmanagement aufbereitet werden. Darüber hinaus sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die deutsche Wissenschaftsforschung zu stärken, deren Situation sich dispers und kleinteilig darstellte. Neben einzelnen Arbeitsgruppen an diversen Forschungseinrichtungen konnten nur wenige Institutionen mit einem Schwerpunkt im Bereich der Wissenschaftsforschung identifiziert werden, darunter das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und die Universität Bielefeld mit dem Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT). Um die Kontinuität und Stabilität des Forschungsbereiches zu gewährleisten, wurde eine Verbesserung der institutionellen Verankerung dringend empfohlen (BMBF, internes Protokoll vom 19.12.2000). Das BMBF kam den Empfehlungen des Expertengremiums nach, indem es im Jahr 2001 eine Reihe von Expertisen zur Sondierung vorhandener Forschungspotenziale und -schwerpunkte beauftragte und im Jahr 2003 eine erste Förderbekanntmachung veröffentlichte.
2 | Soweit in den folgenden Beiträgen des Sammelbandes nur die männliche Form von Funktionsträgern verwendet wird, ist selbstverständlich immer auch die weibliche Form eingeschlossen.
»Forschung zum Verhältnis von Wissenschaf t, Politik und Gesellschaf t«
V ON ›M ODE 2‹ ZU ›G OVERNANCE DER W ISSENSCHAF T‹ Die beiden Förderphasen, die im Verlauf der Förderinitiative durchgeführt wurden, spiegeln eine Schwerpunktverlagerung der Problemfelder im Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft wider. Während zum Zeitpunkt der ersten Bekanntmachung im Jahr 2003 Fragen der Wissensproduktion und der wissenschaftlichen Politikberatung im Vordergrund standen, rückten in den darauffolgenden Jahren verstärkt strukturelle Aspekte des Wissenschaftssystems ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Feld der wissenschaftlichen Politikberatung hatte sich Ende der 1990er Jahre zu einem zentralen Thema der Wissenschaftsforschung entwickelt. Die Beratung der Politik mittels wissenschaftlicher Expertise fand über einen langen Zeitraum hinweg in eher diskreter Weise und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt statt. Die Ressortforschungseinrichtungen der einzelnen Ministerien waren allenfalls Insidern ein Begriff, Beratungsgremien wie der »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« (besser bekannt als »Rat der Wirtschaftsweisen«) gaben ihre regelmäßigen Empfehlungen ab, ohne dass dies mehr als eine kurzfristige Medienbeachtung nach sich zog. Dies änderte sich seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wissenschaftliche Innovationen und ihre potentiellen Anwendungsmöglichkeiten, z.B. im Bereich der Bio- und Gentechnologie, der Stammzellforschung oder der Nanotechnologie, sorgten für heftige Kontroversen in der Öffentlichkeit, und auch in der wissenschaftlichen Politikberatung kam es immer häufiger zu widersprüchlichen Empfehlungen. Derartige ›Expertenstreits‹ wurden gerne von den Medien aufgegriffen, was wiederum den öffentlichen Diskurs verstärkte. In diesem Kontext sorgten wissenschaftsintern die Arbeiten der österreichischen Soziologin und Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny für Aufsehen, die zusammen mit Michael Gibbons, Peter Scott und weiteren Kollegen ein neues Konzept zur Beschreibung der zeitgenössischen Produktion von Wissen vorlegte, das unter dem Begriff ›Mode 2‹ bekannt wurde (Gibbons et al. 1994). 3 Der damit angestoßene Diskurs verlangte nach fundierten Analysen und wurde im Rahmen der ersten Förderphase mit dem Titel »Wissen für Entscheidungsprozesse« aufgegriffen. 4 3 | Die Autorinnen und Autoren nehmen damit eine Abgrenzung zur traditionellen Form der Wissensproduktion vor, deren Ziel in der Erzeugung abgesicherten wissenschaftlichen Wissens besteht und von ihnen als ›Mode 1‹ bezeichnet wird. ›Mode 2‹ hingegen ist problemorientiert, in hohem Maße kontextsensibel und bezieht auch das Wissen außerwissenschaftlicher Akteure (sog. Praxis- oder Laienwissen) ein. Da nicht nur gesichertes, sondern auch gesellschaftlich relevantes Wissen produziert werden soll, werden Qualität und Relevanz nicht mehr ausschließlich von wissenschaftlichen Institutionen beurteilt. 4 | Die Ergebnisse aus zwölf Forschungsvorhaben sind in dem Sammelband »Wissensproduktion und Wissenstransfer. Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit« (Mayntz et al. 2008) nachzulesen.
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Ende der 1990er Jahre begannen Diskussionen um Veränderungen in den organisatorischen und institutionellen Strukturen des Wissenschaftssystems, die seitdem mit wachsender Intensität und zunehmenden Kontroversen geführt werden. Gesamtgesellschaftliche Trends wie Ökonomisierung, Medialisierung und Transnationalisierung machen vor dem Wissenschaftssystem nicht halt und wurden zu Triebkräften von Reformprozessen. Dies hat dazu geführt, dass das über einen langen Zeitraum hinweg ausbalancierte Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch der Wissenschaft auf weitreichende Autonomie und dem staatlichen Steuerungsanspruch aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Während die Reformanstrengungen mit anhaltender Dynamik vorangetrieben werden, wächst bei allen beteiligten Akteuren das Bedürfnis nach Zwischenbilanzen und Orientierungswissen. Diese Situation gab den Anlass, eine zweite Förderphase vorzubereiten, für welche die Überschrift »Neue Governance der Wissenschaft« gewählt und die folgenden inhaltlichen Ziele benannt wurden: •
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Vertiefung des Verständnisses der Transformationsprozesse im Wissenschaftssystem auf Basis empirisch angelegter Fallstudien oder im Rahmen vergleichender Untersuchungen; Verbesserung des Verständnisses komplexer Wirkungsmuster mittels der Nutzung und Weiterentwicklung von Erkenntnissen und Konzepten der neueren Governance-Forschung; Beurteilung der Konsequenzen der Veränderungsprozesse für die Wissenschaftspolitik und Formulierung von Ansatzpunkten für neue wissenschaftspolitische Maßnahmen; Auswertung internationaler (Erfolgs-)Modelle der Steuerung von Forschung in Hinsicht auf Übertragungsmöglichkeiten für die nationale Wissenschaftspolitik.
Als Hilfestellung für die Antragstellenden erarbeitete der wissenschaftliche Beirat ein Hintergrundpapier zur Bekanntmachung, mit dem sowohl der Problemaufriss skizziert als auch die Erwartungen an Forschungsergebnisse konkretisiert wurden. Darüber hinaus wurde der Zugang zur Governance-Perspektive geöffnet (http://pt-dlr-gsk.de/de/749.php). Die Bekanntmachung wurde im Frühjahr 2008 unter dem Titel »Neue Governance der Wissenschaft« veröffentlicht und fand mit ca. 100 eingehenden Projektvorschlägen eine gute Resonanz in einschlägigen Forscherkreisen. Die Auswahl der geförderten Projekte erfolgte anhand transparenter Evaluationskriterien und mit Unterstützung unabhängiger Expertinnen und Experten. Bewährte Elemente der ersten Förderphase wurden beibehalten: die Ernennung eines wissenschaftlichen Beirats, der Empfehlungen zur Ausrichtung der Fördermaßnahme gibt, beim Transfer der Forschungsergebnisse unterstützt und die Qualität der Forschungsarbeiten im Auge hat; regelmäßige Präsentation und
»Forschung zum Verhältnis von Wissenschaf t, Politik und Gesellschaf t«
Diskussion von Zwischenergebnissen im Rahmen von Statusseminaren sowie die Unterstützung des Austauschs von thematisch benachbarten Projekten (›Clusterbildung‹).
K URZE B IL ANZ AUS S ICHT DES P ROJEK T TR ÄGERS Wie bereits angesprochen, wurden mit der Förderinitiative »Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft« aus förderpolitischer Sicht zwei Ziele verfolgt: zum einen die Produktion von wissenschaftspolitisch relevanten Erkenntnissen und Empfehlungen, zum anderen eine Stärkung der Wissenschaftsforschung in Deutschland. Das Erreichen der ersten Zielstellung wird u.a. mit den beiden Büchern belegt, die im Rahmen der Förderinitiative entstanden. Darüber hinaus fand die Expertise einzelner Forscherteams punktuell Eingang in wissenschaftspolitische Diskurse und Entscheidungsprozesse. Einschränkend ist anzumerken, dass mit den Forschungsprojekten nicht alle relevanten Themen in Bezug auf eine »Neue Governance der Wissenschaft« abgedeckt werden konnten, wobei insbesondere die Frage nach der Einbindung des deutschen Wissenschaftssystems in inter-, supra- und transnationale Bezüge ein gewichtiges Desiderat darstellt. Was die Stärkung der deutschen Wissenschaftsforschung betrifft, lässt sich ohne Zweifel sagen, dass mittels der Förderinitiative ein spürbarer Impuls gegeben werden konnte. Durch die mehrjährige Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Programmzusammenhang entstand eine flexible Netzwerkstruktur, die aufgrund individueller Kontakte und Arbeitsschwerpunkte durchaus auch eine europäische und internationale Dimension aufweist. Auch eine Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses konnte realisiert werden. Allein in der zweiten Förderphase »Neue Governance der Wissenschaft« sind gut 20 Doktorarbeiten entstanden. Die Doktorandinnen und Doktoranden setzten im Übrigen die Problematik »Promovieren im Projektzusammenhang« auf die Agenda. In mehreren Workshops diskutierten sie mit dem wissenschaftlichen Beirat und dem Förderer über das Spannungsverhältnis, das sich daraus ergibt, dass mit der Qualifikationsarbeit sowohl ein Beitrag zu einer vorgegebenen Problem- und Fragestellung als auch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung erbracht werden muss. Während die institutionelle Basis, die notwendig ist, um zentrale Themenschwerpunkte der Wissenschaftsforschung kontinuierlich zu bearbeiten und gleichzeitig die Theorie- und Methodenentwicklung voranzutreiben, weiterhin prekär ist, zeichnet sich eine positive Entwicklung ab, die für die Zukunft von Bedeutung sein könnte. Die Rede ist von Anknüpfungspunkten zur Hochschulforschung, die sich im Verlauf der Fördermaßnahme »Neue Governance der Wissenschaft« ergaben. Mit der Untersuchung von Effekten des New Public Management in deutschen Hochschulen (siehe insbesondere Teil 1 in diesem Band)
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öffnete sich ein gemeinsames Forschungsfeld. In der Hochschulforschung stellt sich die Situation nicht unähnlich derjenigen in der Wissenschaftsforschung dar, wenngleich die wissenschaftliche Community größer ist und es eine Reihe von Instituten gibt, die eigens zum Zweck der Beobachtung des Hochschulsystems eingerichtet wurden. Möglicherweise ergibt sich aufgrund anstehender Reformprozesse in diesen Instituten die Gelegenheit, eine gemeinsame Basis für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung zu entwickeln. Derartige Prozesse sind jedoch von vielerlei Unwägbarkeiten abhängig und erfordern in der Regel einige Jahre Zeit. Währenddessen gilt es in der Wissenschaftsforschung nach Wegen zu suchen, um das Erreichte zu sichern und dabei auch Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses zu unterstützen.
L ITER ATUR Gibbons, Michael/Limoges, Camille/Nowotny, Helga/Schwartzmann, Simon/Scott, Peter/Trow, Martin (Hg.) (1994): The new production of knowledge: The dynamics of science and research in contemporary societies. London: Sage. Mayntz, Renate/Neidhardt, Friedhelm/Weingart, Peter/Wengenroth, Ulrich. (Hg.) (2008): Wissensproduktion und Wissenstransfer. Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Bielefeld: transcript. http://pt-dlr-gsk.de/de/749.php: Homepage der BMBF-Förderinitiative »Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft«.
Die neue Governance der Wissenschaft Zur Einleitung Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Uwe Schimank, Peter Weingart
Das Wissenschaftssystem befindet sich seit den 1980er Jahren in einem tiefgreifenden Wandel. Hierzu haben zahlreiche Faktoren beigetragen, unter anderem die Globalisierung der Wirtschaft, gerade in forschungsintensiven Branchen, die zunehmende Europäisierung von Innovationspolitiken und -systemen, die Verknappung finanzieller Ressourcen für die Grundfinanzierung der staatlich getragenen Forschungseinrichtungen, insbesondere der Universitäten, die gleichzeitig einen steigenden Studierendenzulauf zu verkraften haben, sowie endogene Veränderungen von Forschungspraktiken in vielen Feldern, etwa die Erfordernisse größerer und interdisziplinärer Kooperationszusammenhänge. Diese und weitere Entwicklungen haben, so die Ausgangsthese dieses Bandes, weitreichende und bislang nur unzureichend verstandene Auswirkungen auf die Wissenschaft und die Wissenschaftspolitik. Um die Reichweite und die Folgen dieser Wandlungsprozesse analytisch erfassen und empirisch fokussieren zu können, ist es sinnvoll, das Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Autonomie und staatlicher Steuerung als Ausgangspunkt zu nehmen. Der Autonomieanspruch der Wissenschaft, ihre Unabhängigkeit von politischen, religiösen und wirtschaftlichen Einmischungen, ist konstitutiv für das moderne Wissenschaftsverständnis. Dieser Anspruch war aber seit den frühneuzeitlichen Anfängen der Ausdifferenzierung einer autonomen Wissenschaft stets umkämpft, gefährdet und umstritten – und dies auch innerhalb der Wissenschaft selbst (vgl. Hagner 2012). Wie weit darf, kann oder muss diese Autonomie gehen? Wo findet sie ihre Grenzen an den Leistungserwartungen anderer gesellschaftlicher Teilbereiche an wissenschaftliche Forschung, nicht zuletzt der Wirtschaft? Wie können gesellschaftliche Ängste vor den Risiken der Forschung und der Anwendung ihrer Erkenntnisse mit den Autonomieansprüchen der Wissenschaft vereinbart werden? Wie kann die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft in der Konkurrenz um knappe – und immer knapper werdende – Ressourcen, insbesondere finanzieller Art, gesichert werden? In diesem Band soll nicht der wechselvollen weltweiten Geschichte dieser Kampfzone von autonomer Wissenschaft
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und ihrer gesellschaftlichen Umwelt nachgegangen werden. Vielmehr sollen die gegenwärtigen – und sich für die Zukunft bereits abzeichnenden – Entwicklungen umkämpfter Autonomie der Wissenschaft in Deutschland in den Blick genommen werden – im Horizont dessen, was sich auch in anderen Ländern des Westens seit einigen Jahrzehnten abspielt. Denn Deutschland ist keineswegs Vorreiter, vielmehr in vielen Hinsichten eher Nachzügler dieser Entwicklungen. In diesem Einleitungskapitel soll in mehreren Schritten in diese Thematik eingeführt werden. Zunächst werden die jüngsten Transformationen der Wissenschaft und des Verhältnisses von Wissenschaft und staatlicher Steuerung skizziert und das Konzept der »Neuen Governance von Wissenschaft« erläutert. Danach werden auf dieser – hier nur ganz knapp umrissenen – konzeptionellen Grundlage die drei Themenfelder vorgestellt, die in den Beiträgen dieses Bandes im Mittelpunkt stehen und ihn strukturieren. Den ersten Schwerpunkt bildet die neue Governance der Hochschulen. Für diese Schwerpunksetzung gibt es gute Gründe: Die Hochschulen sind – zumindest in Deutschland – die zentralen Organisationen wissenschaftlicher Forschung, und sie standen in den vergangenen zwanzig Jahren im Fokus umfangreicher staatlicher Reformbestrebungen. Den zweiten Schwerpunkt bilden die verschiedenen Kontextbezüge der Wissenschaft zu ihrer gesellschaftlichen Umwelt, und im dritten Schwerpunkt werden am Beispiel der ›Medialisierung‹ der Wissenschaft exemplarisch Veränderungen in den Kontextbedingungen der »neuen Governance von Wissenschaft« thematisiert. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, sei explizit vorangestellt, dass in diesem Band nicht der Standpunkt vertreten (oder unterstellt) wird, dass wissenschaftliche Autonomie, gleichgültig, wie weit sie geht und in welchen Hinsichten sie beansprucht wird, etwas eo ipso Gutes und vorbehaltlos zu Verteidigendes sei. Das käme nicht nur einer unreflektierten Übernahme eines Standpunkts gleich, der nur von einer Seite des Spannungsverhältnisses vertreten wird (und selbst dort durchaus umstritten ist); es wäre auch voreilig, weil solche Bewertungen überhaupt erst auf der Grundlage sorgfältiger Analysen von Ist-Zuständen, ihrem Zustandekommen und ihren möglichen Weiterentwicklungen getroffen werden sollten. Genau um solche Analysen, die fundierte Bewertungen erst ermöglichen, soll es in diesem Band primär gehen. Die insgesamt 13 Beiträge zeigen, dass Wissenschaft und Wissenschaftspolitik mit der »neuen Governance der Wissenschaft« Neuland betreten haben – und das mit ungewissem Ausgang. Die Beiträge liefern instruktive Einblicke in einen Veränderungsprozess, der noch keineswegs abgeschlossen ist und dessen Folgen sich noch nicht eindeutig und endgültig ermitteln lassen. Entsprechend zurückhaltend sind die Autoren mit praktischen Empfehlungen und Ratschlägen, womit nicht gesagt ist, dass nicht auch Praktiker von den empirischen Befunden der einzelnen Projekte profitieren können.
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1. TR ANSFORMATIONEN : V ON DER GESTEUERTEN A UTONOMIE ZUR G OVERNANCE DER W ISSENSCHAF T Nicht nur die Wissenschaft, auch die Wissenschaftspolitik muss sich im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch weitreichender Autonomie der Wissenschaft einerseits, wissenschaftspolitischer Prioritätensetzung und Regulierung von Forschung andererseits bewegen. Die lange Zeit gebräuchlichen Konzepte und Instrumente der Wissenschaftspolitik haben ihre Ausprägung in einem Arrangement der ›gesteuerten Autonomie‹ gefunden, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete und sowohl seitens der Wissenschaft als auch seitens der Politik lange Zeit als tragfähig und sachgerecht eingestuft wurde. Seit mittlerweile etwa dreißig Jahren haben dann an beiden Polen des Spannungsverhältnisses von (staatlicher) Steuerung und (wissenschaftlicher) Autonomie Veränderungen stattgefunden, die zusammengenommen auf weitreichende Transformationen des bisherigen Arrangements hinauslaufen. Zum einen wird die Autonomie der Forschung aus verschiedensten Gründen prekär und gesellschaftlich problematisiert; zum anderen wird es immer schwieriger, wissenschaftliche Forschung zielgerichtet zu steuern. Drei analytisch unterscheidbare, faktisch oft untrennbar miteinander verwobene Entwicklungen sind hier zusammengekommen: (1) interne Veränderungen des Wissenschaftssystems als Gegenstand staatlicher Steuerung, (2) Veränderungen des staatlichen Steuerungssubjekts und (3) Veränderungen der gesellschaftlichen Erwartungen an das Wissenschaftssystem und der gesellschaftlichen Kontextbedingungen, unter denen es operiert. Das Wissenschaftssystem hat sich schon seit den 1980er Jahren in vielen Hinsichten gewandelt, ohne dass diese Veränderungen staatlich intendiert oder initiiert worden wären. Ungeachtet dessen haben sich dadurch aber die Bedingungen für eine staatliche Steuerung grundlegend verändert (vgl. Mayntz 1996; Grande 2001). Solche Veränderungen lassen sich zweifellos nicht nur im Wissenschaftssystem beobachten, sie sind dort aber besonders markant und folgenreich. Gegenstand der Wissenschaftspolitik sind längst nicht mehr einzelne Forscher, Forschungsorganisationen oder Unternehmen, sondern in mehrerlei Hinsicht ›entgrenzte Kooperationsverbünde‹. Dies gilt •
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territorial: mit der Globalisierung der FuE von Unternehmen und der Herausbildung transnationaler Forschungskooperationen zwischen Unternehmen und staatlichen Forschungseinrichtungen (vgl. Grande/Häusler 1994; Grande 1999); funktional: mit der zunehmenden Vernetzung von Forschung und industrieller Anwendung in integrierten »user-producer chains« (Lundvall 1992) bzw. »idea-innovation networks« (Hage/Hollingsworth 2000; vgl. Moulaert/Hamdouch 2006); sozial: mit der zunehmenden Einbeziehung von ›Laien‹ in wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Entscheidungsprozesse, sei es in neuartigen For-
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men der – zumeist uneingeladenen – »participatory governance« (Wehling/ Viehöver in diesem Band), sei es in Form von Hochschulräten, Ethikkommissionen und anderem mehr. Diese Entgrenzungsprozesse wurden bereits in den 1990er Jahren in den Konzepten der »mode 2«-Forschung (Gibbons et al. 1994) oder der »triple helix« (Etzkowitz/Leydesdorff 1997; Etzkowitz 2008) reflektiert. Sie lassen sich als »Re-Kontextualisierung der Wissenschaft in die Gesellschaft« (Rip 2011) interpretieren, durch die neue Akteure und Institutionen in die Wissensproduktion einbezogen und die Interaktionen des Wissenschaftssystems mit seiner gesellschaftlichen Umwelt intensiviert wurden. Parallel dazu hat sich der Staat als Akteur der Wissenschaftssteuerung grundlegend gewandelt. Hierbei wirken allgemeine »Transformationen des Staates« (Leibfried/Zürn 2006) und veränderte Bedingungen der Wissensproduktion zusammen. Im Zuge der Herausbildung transnationaler Innovationspolitiken wird •
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territorial die nationale Forschungspolitik in transnationale Forschungsräume (›transnational spaces of innovation‹) integriert, in denen nationalstaatliche Grenzen und Zugehörigkeiten keine Rolle mehr spielen – am ambitioniertesten im »Europäischen Forschungsraum« (Jansen 2012), der im Übrigen weit über die Grenzen der EU-Mitgliedsstaaten hinausreicht; funktional der Handlungsbereich der Wissenschafts- und Techniksteuerung weit über den engen Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik hinaus ausgeweitet und in mehr oder weniger umfassende Konzepte der Innovationspolitik integriert, in denen ein immer umfangreicherer Instrumentenkasten von ›harten‹ und ›weichen‹ Steuerungsinstrumenten zum Einsatz gebracht wird (für die EU vgl. Grande 1999; 2001; Borrás 2003); sozial eine zunehmende Vernetzung von öffentlichen und privaten Akteuren, Organisationen und Programmen in einer »systemischen Innovationspolitik« (OECD 1999, 2005) propagiert und initiiert.
Gleichzeitig – und teilweise als Folge dieser Entwicklungen – sind die gesellschaftlichen Erwartungen an wissenschaftliche Forschung immer stärker gestiegen. Dies läuft in vier Hinsichten darauf hinaus, dass die bisherige Autonomie der Wissenschaft hinterfragt und labiler wird: •
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Erstens werden Autonomiegefährdungen von außen, vor allem durch eine um sich greifende Ökonomisierung und ›Medialisierung‹ der Wissenschaft (vgl. Weingart 2005) diagnostiziert, also das Eindringen wissenschaftsfremder Gesichtspunkte in Forschungsentscheidungen. Zweitens wird zunehmend – und nicht im Widerspruch zum gerade Erwähnten – von der Wissenschaft eingefordert, die Autonomie des ›Elfenbeinturms‹ partiell in einer gesellschaftlich funktionalen Weise zurückzunehmen und
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zu einer neuen Balance von autonomer und ›relevanter‹ Forschung zu finden (vgl. Weingart 2001). Drittens wird auch das gesellschaftliche Gefährdungspotenzial autonomer Forschung in Gestalt von vielerlei Arten von Risiken für andere Lebensbereiche zunehmend gesellschaftlich thematisiert und problematisiert (vgl. Beck 1986). Viertens schließlich werden sich häufende Betrugs- und Fälschungsfälle in der Wissenschaft als Autonomieversagen interpretiert und kritisiert, also als mangelnde interne Selbstregulierung.
All diese Transformationen haben zur Folge, dass Wissenschaftspolitik es heutzutage mit immer komplexeren Regelungsstrukturen zu tun hat, in denen unterschiedliche Regelungsmechanismen (Hierarchie, Märkte, Netzwerke u.a.) auf neuartige Weise kombiniert werden. Diese Transformationen erfordern, so der Ausgangspunkt der in diesem Band gesammelten Beiträge, einen grundlegenden Perspektivwechsel in der Wissenschaftspolitik: von ›science policy-making‹ der alten Schule zur heute allmählich Kontur gewinnenden ›governance of science‹. Dessen sozialwissenschaftliche Durchdringung ist in wichtigen Aspekten noch klärungsbedürftig – und genau hierzu will dieser Band beitragen.
2. K ONZEP TIONELLE G RUNDL AGEN DER G OVERNANCE -F ORSCHUNG Zu diesem Zweck sollen insbesondere Erkenntnisse und Konzepte der neueren Governance-Forschung für das Verständnis des Wissenschaftssystems und der Wirkungsbedingungen der Wissenschaftspolitik genutzt werden. Die Governance-Forschung hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem der dynamischsten und ergiebigsten Forschungsgebiete in den Sozialwissenschaften mit einem breiten Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten entwickelt (vgl. Benz 2007 et al.; Schuppert 2005; Mayntz 2009; Benz/Dose 2010; vgl. zusammenfassend Grande 2012). Während sich die Politikwissenschaft unter diesem Begriff zumeist mit ›neuen Formen des Regierens‹ innerhalb und jenseits des Nationalstaats beschäftigt, analysieren Ökonomen unter demselben Leitbegriff die Effizienz von Märkten und die interne Organisation von Unternehmen (›corporate governance‹), Soziologen beschäftigen sich mit den Mechanismen sozialer Koordination, Verwaltungswissenschaftler untersuchen die Reorganisation der öffentlichen Verwaltung und Juristen thematisieren beispielsweise unter dem Stichwort ›regulatory governance‹ Veränderungen in der Steuerungsfunktion des Rechts. Trotz dieser Vielfalt gibt es zumindest fünf Merkmale, die die verschiedenen Varianten und Anwendungsformen von Governance gemeinsam haben und die den konzeptionellen Kern des Governance-Konzepts bilden:
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Das erste Merkmal ist ganz offensichtlich die besondere Betonung nicht-hierarchischer Formen der Produktion öffentlicher Güter. Im Mittelpunkt der Governance-Forschung steht eine explizite Kritik an der Hierarchie als Koordinationsmechanismus, am hierarchisch-bürokratischen Staat, an hierarchischen Organisationen und an hierarchischer Planung. Damit verbunden ist, zweitens, eine Kritik am Staat als dem exklusiven Produzenten öffentlicher Güter. Für die Governance-Konzepte charakteristisch ist die empirische Beobachtung, dass nicht-staatliche Akteure und Organisationen und das Zusammenwirken von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in verschiedensten Formen der ›public-private-partnership‹ oder der ›participatory governance‹ an Bedeutung gewinnen. Diese Kritik an Hierarchie als Steuerungsprinzip und die Einbeziehung privater Akteure in die Produktion öffentlicher Güter wird, das wäre das dritte gemeinsame Merkmal, als eine notwendige Folge zunehmender gesellschaftlicher Interdependenzverdichtung interpretiert. Solche Interdependenzen bestehen zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen (z.B. zwischen Bildung und Wirtschaft), aber auch zwischen verschiedenen territorialen Handlungsebenen (z.B. der EU und ihren Mitgliedstaaten) und zwischen verschiedenen Politikfeldern (z.B. Wissenschaft, Umwelt, Verkehr, Energie). Aufgrund dieser zunehmenden Interdependenzen, die sich u.a. in Gestalt territorialer und funktionaler Entgrenzungen zeigen, hat viertens die Komplexität politischen Handelns erheblich zugenommen. Dies gilt für die Akteurskonstellationen und institutionellen Architekturen, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, aber auch für die Problemkonstellationen, die Gegenstände solcher Entscheidungen sind. All dies hat schließlich fünftens zur Folge, dass die Notwendigkeit von Koordination (also Handlungsabstimmung) und, darüber noch hinausgehend, Kooperation (als verabredete Zusammenarbeit verschiedenster Akteure) erheblich zunimmt. Koordination und Kooperation sind Schlüsselbegriffe der Governance-Forschung. Im Kern besteht das gemeinsame Ziel der empirischanalytischen Ansätze in der Governance-Forschung darin, die Bedingungen für die Koordination von gesellschaftlichen Aktivitäten zur Problembewältigung und für kooperative Problemlösungen zu identifizieren und zu reflektieren.
Mit dem Begriff ›Governance‹ werden folglich »alle Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich also wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen können« (Benz et al. 2007: 9) bezeichnet. Alle Governance-Konzepte teilen die Prämisse, dass sich die Bedingungen für die politische Bewältigung gesellschaftlicher Regelungsprobleme grundlegend gewandelt haben. Für die Produktion öffentlicher Güter, wie sie wissenschaftliche Erkenntnisse darstellen, lautet die zentrale These der Governance-Forschung: Diese öffentlichen Güter
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müssen unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen auf eine andere Art und Weise produziert werden, als dies in den staatszentrierten Politikkonzepten, wozu auch das Arrangement ›gesteuerter Autonomie‹ gehörte, angenommen wurde. Die Governance-Konzepte reflektieren somit aus unterschiedlichen Blickwinkeln strukturelle Veränderungen in modernen Gegenwartsgesellschaften. Die vielfältigen Wurzeln und Anwendungsgebiete der Governance-Forschung sind nicht zuletzt Ausdruck der Tatsache, dass dieser Wandel offensichtlich alle Ebenen und Aufgabenbereiche von Politik und Verwaltung erfasst hat. Im Mittelpunkt der Governance-Forschung steht eine Trias von drei Grundtypen der Handlungskoordination, die sich mit unterschiedlicher Begrifflichkeit in der Literatur findet: ›Markt‹ bzw. ›Wettbewerb‹, ›Gemeinschaft‹ (bzw. ›Clan‹, Netzwerk und Verhandlung) und ›Organisation‹ bzw. ›Hierarchie‹ (vgl. Benz et al. 2007). Diesen Grundtypen lassen sich jeweils spezifische Governance-Instrumente und -Mechanismen zuordnen. Die leistungsorientierte Mittelvergabe in Universitäten beispielsweise ist ein Instrument, um Wettbewerb innerhalb einer Organisation (zwischen Fakultäten, Departments und einzelnen Wissenschaftlern) zur vermeintlich optimalen Allokation von knappen Ressourcen zu nutzen. Verhandlungssysteme können zur konsensorientierten Lösung von Kooperationsproblemen eingesetzt werden; und Netzwerke bilden sich als vertrauensbasierte Mechanismen zur Bewältigung von Interdependenzen. Diese Governance-Typen basieren auf einer Reihe von elementaren Koordinationsmechanismen. Schimank (2007) unterscheidet in diesem Zusammenhang drei elementare Formen der Handlungskoordination: die wechselseitige Beobachtung, die zu einseitiger oder gegenseitiger Anpassung der Akteure führen kann; die wechselseitige Beeinflussung, bei der die Handlungsabstimmung durch den gezielten Einsatz von Einflusspotenzialen (Macht, Geld, Wissen etc.) erfolgt; und schließlich das wechselseitige Verhandeln, das in verschiedenen Formen des Tausches und der netzwerkförmigen Koordination erfolgt. 1 Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die verschiedenen Governance-Instrumente und -Mechanismen in der Realität nicht isoliert vorkommen, sondern in jeweils spezifischen Kombinationen und unter je spezifischen Kontextbedingungen. Sie bilden zum einen Governance-Regime, womit ›komplexe Regelsysteme‹ gemeint sind, in denen unterschiedliche Governance-Instrumente und -Mechanismen zusammenwirken. In diesem Zusammenhang vertritt Wiesenthal die These, dass »jeder einzelne Mechanismus für sich genommen problematisch [ist]« (Wiesenthal 2000: 62), aber die einzelnen Koordinationsmechanismen in der Lage sind, ihre jeweiligen Schwächen gegenseitig auszugleichen. Daraus folgt, dass Governance-Mechanismen erst durch Kombination mit Elementen der anderen Koordinationsweisen ihre volle Leistungsfähigkeit erreichen: »Markt, 1 | Solche Typologien von Governance-Formen und -Mechanismen schließen in der Regel hierarchische Formen der Handlungskoordination mit ein, auch wenn sie sich begrifflich von diesen abgrenzen.
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Gemeinschaft und Organisation bezeichnen nicht die ›besten‹ Koordinationsweisen, sondern sind aufgrund der Überlegenheit aufgaben- und kontextspezifischer Kombinationen lediglich Koordinationsmedien ›zweiter Wahl‹« (Wiesenthal 2000: 62). Die Funktionsweise und Leistungsfähigkeit von Governance wird jedoch nicht nur durch Kombination von Governance-Mechanismen beeinflusst, sie hängt auch von den Kontextbedingungen dieser Mechanismen, von ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Einbettung, ab. Zu diesen Kontextbedingungen zählt der Grad der Internationalisierung von Wissenschaft und Wirtschaft, die Struktur des jeweiligen politischen Systems (insbesondere seine demokratische Qualität), aber auch die Rolle der Medien bzw. der Öffentlichkeit. Am Beispiel der Medien lässt sich dies exemplarisch veranschaulichen. Als Anknüpfungspunkt können die oben skizzierten elementaren Koordinationsmechanismen, insbesondere die ›gegenseitige Beobachtung‹ und das ›Verhandeln‹, genommen werden. Die Medien können erhebliche Auswirkungen auf diese elementaren Koordinationsmechanismen haben: Sie verstärken offensichtlich die Wirkung gegenseitiger Beobachtung. Mehr noch, in komplexen Interaktionssystemen ist gegenseitige Beobachtung nur noch medial vermittelt denkbar – und damit natürlich auch der Eigenlogik des Mediensystems unterworfen. Zugespitzt formuliert: Wenn man wissen will, wie gegenseitige Beobachtung als Governance-Mechanismus funktioniert, dann muss man das Mediensystem als Kontextfaktor in die Analyse mit einbeziehen. Auch im Fall von Verhandlungen können Medien gravierende, wenngleich eher problematische Wirkungen haben (vgl. Grande 2000). Verhandlungen sind zwar ohne Medien möglich (man könnte sogar sagen: besser möglich), ihre Präsenz kann sich aber erheblich auf den Verlauf und das Ergebnis von Verhandlungen auswirken. Entscheidend ist auch hier, dass die Medien eine kontingente Kontextbedingung von Governance mit potenziell weitreichenden Folgen darstellen. Diese Kontextfaktoren von Governance wurden in der einschlägigen Forschung bislang noch nicht systematisch berücksichtigt, obwohl sie, wie die Beiträge zur Medialisierung der Wissenschaft in diesem Band zeigen, von entscheidender Bedeutung sein können. Hier liegt, über die Konkretisierung des Governance-Konzepts für die Wissenschaftsforschung hinaus, ein wichtiger konzeptioneller Beitrag dieses Bandes für die Governance-Forschung allgemein. Die empirische Governance-Forschung kann folglich, wie auch die einzelnen Beiträge dieses Bandes zeigen, auf unterschiedlichen Analyseebenen ansetzen: der (Mikro-)Ebene einzelner Governance-Instrumente und Mechanismen; der (Meso-)Ebene von Governance-Formen (Markt, Gemeinschaft, Hierarchie); der (Makro-)Ebene von Governance-Regimen mit ihren unterschiedlichen Kombinationen von Regelungsmechanismen; und schließlich der Kontextbedingungen von Governance. In jedem Fall interessiert sie sich für die Entstehungsbedingungen, die Funktionsweise und die Leistungsfähigkeit von Governance, sowie für Veränderungen in den verwendeten Instrumenten und den Kontextbedingungen ihrer Nutzung.
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3. G OVERNANCE WISSENSCHAF TLICHER F ORSCHUNG Was heißt Governance im Bereich der wissenschaftlichen Forschung (vgl. Jansen 2010)? Hier ist zunächst wichtig, sich als Rahmenbedingung dieser Governance kurz zu vergegenwärtigen, wie Erkenntnisproduktion in wissenschaftlichen Fachgemeinschaften vor sich geht (vgl. Gläser 2006; Gläser/Lange 2007). Es handelt sich um eine dezentral koordinierte kollektive Wissensproduktion, die auf wechselseitiger Beobachtung beruht. Jeder Akteur – sei es ein Individuum oder eine Forschergruppe – entscheidet im Modell der wissenschaftlichen Autonomie selbst darüber, welche Forschungsprobleme er wie angeht. Dabei spielen die Wahrnehmung des publizierten Wissensstandes, der offenen Probleme und denkbaren Wege der Problembearbeitung ebenso eine Rolle wie die jeweilige Position im Wissenschaftssystem und die bisherige Forschungslaufbahn. So entstehen aus unabhängigen Problemwahlen und Problembearbeitungen neue Erkenntnisse (in Gestalt von Publikationen oder Patenten), die den Wissensstand ergänzen, aber auch völlig ignoriert werden können. Dieser Produktionsmodus, der gerade bei den besonders wichtig genommenen Problemen viele konkurrierende Bemühungen und dadurch nicht selten auch Mehrfachentdeckungen hervorbringt, ist »der besonderen Unsicherheit wissenschaftlicher Produktion angemessen« (Gläser/Lange 2007: 439). Weil niemand auch nur halbwegs sicher wissen kann, welcher Weg zum Ziel führt, sind multiple Parallelaktionen funktional – geradezu nach dem Motto: Je ineffizienter, desto effektiver! Diesem eigentümlichen Modus wissenschaftlicher Wissensproduktion müssen die Governance-Strukturen der Wissenschaft entsprechen. Das gilt zuallererst für deren Organisationsformen. Nicht nur Universitäten, auch Forschungsinstitute sind in mehreren Hinsichten spezielle Organisationen (vgl. Musselin 2007), weichen also vom Standardbild formaler Organisation, wie es durch Unternehmen ebenso wie durch staatliche Verwaltungen geprägt wird, ab (vgl. Meier/ Schimank 2010): •
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Es handelt sich, erstens, um »Expertenorganisationen« (Pellert 1999), die den Wissenschaftlern als Professionellen eine hochgradige Autonomie der Arbeitsbewältigung gewähren und gewährleisten müssen (vgl. Mintzberg 1983). Denn Forschung weist, wie gerade dargestellt, ein »Technologiedefizit« (Luhmann/ Schorr 1979: 118-124) in dem Sinne auf, dass die wesentlichen Handlungsvollzüge keiner algorithmischen Vorplanung unterworfen werden können, sondern hierfür nur Heuristiken existieren. Zweitens sind die verschiedenen Struktureinheiten und Arbeitsprozesse in Wissenschaftsorganisationen sehr lose gekoppelt (vgl. Weick 1976). Auch das muss so sein, um die Dezentralität und Unabgestimmtheit der Entscheidungen über Problemwahlen und Wege der Problembearbeitung zu gewährleisten. Es gibt keine ausgeprägten und dauerhaften kooperativen oder gar auf »sequential« oder »reciprocal interdependence« (Thompson 1967: 54f.) hin-
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auslaufenden Formen der Zusammenarbeit zwischen Forschern derselben Organisation. Die Wahrscheinlichkeit, Kooperationspartner außerhalb der eigenen Organisation zu finden, ist oft größer, und auf jeden Fall werden die Publikationen eines Forschers eher von anderen Forschern außerhalb als von Kollegen innerhalb der Organisation, der er angehört, rezipiert. Erkennbar sichern Freiräume für Professionalität, verbunden mit loser Kopplung, die basale Autonomie wissenschaftlicher Forschung. Diese ist erforderlich, um den geschilderten Modus der Erkenntnisproduktion unter irreduzibler hochgradiger Unsicherheit zu ermöglichen. Jede Governance-Struktur, die den wissenschaftlichen Fachgemeinschaften und den Wissenschaftsorganisationen durch Wissenschaftspolitik auferlegt wird, muss diesen Produktionsbedingungen Rechnung tragen, um sich nicht dysfunktional auf den Erkenntnisfortschritt auszuwirken. Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Bezugsrahmens finden sich im vorliegenden Band nun aus empirischer Forschung hervorgegangene Beiträge, die das deutlich gewordene grundsätzliche Spannungsverhältnis von Autonomie der Wissenschaft einerseits, Außeneinwirkungen auf die Wissenschaft andererseits vor dem Hintergrund der angedeuteten Transformationen der zurückliegenden Jahrzehnte in drei Richtungen genauer ausloten: (a) Governance der Hochschulen: In einem ersten Teil werden mit Blick auf die Hochschulen als in mehreren Hinsichten zentralem Sektor des Wissenschaftssystems, in dem die eingangs angesprochen Transformationen nicht nur in Deutschland derzeit besonders ausgeprägt zu beobachten sind, Governance-Reformen und deren Auswirkungen auf die Forschung vertieft behandelt. (b) Kontextirritationen: Im zweiten Teil werden verschiedene aktuelle Problemkonstellationen aufgegriffen, die in einem tatsächlichen oder potenziellen Spannungsverhältnis zu Autonomieansprüchen der Wissenschaft stehen. Hier werden dann auch, unter anderem als Vergleichsfolie, andere Wissenschaftsorganisationen wie die Einrichtungen der Ressortforschung und Forschung betreibende Unternehmen in die Untersuchungen einbezogen. (c) Medialisierung als Kontextfaktor: Im dritten Teil wird mit der Medialisierung ein sehr prominenter Kontextfaktor exemplarisch vertieft betrachtet. Die zunehmende Bedeutung der Medien wird seit geraumer Zeit auch in der Wissenschaftsforschung diskutiert und problematisiert. Diese Debatten zeigen, dass die Medialisierung eine nicht mehr ignorierbare Rahmenbedingung der Wissenschafts-Governance ist, deren systematische empirische Analyse noch aussteht.
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4. R EFORMEN : D IE NEUE G OVERNANCE DER H OCHSCHULEN Die Betrachtung der Governance von Hochschulen muss zunächst zwei weitere Besonderheiten dieses Organisationstyps, auch im Vergleich zu anderen Wissenschaftsorganisationen, berücksichtigen: •
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Hochschulen sind organisationale Anarchien, die durch »garbage can decisionmaking« geprägt sind (Cohen et al. 1972; Cohen/March 1974). Dabei gehen Entscheidungssituationen, zu bearbeitende Probleme, Alternativen der Problembearbeitung und Entscheidungsbeteiligte nur lose Verbindungen miteinander ein, die letztlich stark dadurch bestimmt sind, wer und was mehr oder weniger zufällig zur selben Zeit am selben Ort ist. Einer übergreifenden, langfristig angelegten Planung der organisationalen Governance sind so sehr enge Grenzen gesetzt. Hochschulen sind durch ein organisatorisches Nebeneinander von Forschung und Lehre gekennzeichnet, wobei es unter den institutionellen Bedingungen des deutschen Hochschulsystems regelmäßig zu einem Verdrängungsdruck der Lehre auf die Forschung kommt (vgl. Braun/Schimank 1992; Schimank 1995). Das gilt sowohl zeitlich als auch mit Blick auf die Ressourcen der Grundausstattung und stellt eine bedeutsame Randbedingung der möglichen Auswirkungen von Governance-Strukturen auf die Forschung dar.
Die nationalen Hochschulsysteme sind durch komplexe Governance-Regime gekennzeichnet, die sich generell in fünf analytischen Dimensionen charakterisieren lassen (vgl. de Boer et al. 2007): •
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• • •
staatliche Regulierung der Hochschulen, also Konditionalprogrammierung insbesondere in Haushalts- und Personalangelegenheiten sowie hinsichtlich der Studien-, Prüfungs- und Kapazitätsordnungen; Außensteuerung der Hochschulen durch den Staat oder durch andere Akteure wie etwa Hochschulräte, an die er Steuerungsbefugnisse delegiert – wobei Steuerung Zweckprogrammierung, etwa nach Art von Zielvereinbarungen, meint; akademische Selbstorganisation der Hochschulen, insbesondere über Fachbereichsräte und Senate; hierarchische Selbststeuerung der Hochschulen durch Leitungsorgane – neben Rektoraten bzw. Präsidien auch Dekane; Wettbewerb in und zwischen Hochschulen, wobei insbesondere um Ressourcen, Reputation, Personal und Studierende konkurriert werden kann.
Man kann – in Anlehnung an Wiesenthal (2000) – jede dieser fünf Dimensionen als einen Schieberegler verstehen, der graduell herauf- und heruntergefahren werden kann; und alle fünf Dimensionen zusammen bilden dann, nach Art eines
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Gleichrichters, den ›Governance-Equalizer‹, der sich als sehr brauchbar erwiesen hat, um die Governance-Regime nationaler Hochschulsysteme im Wandel und im Vergleich untereinander zu charakterisieren (vgl. Schimank 2009). Nimmt man Deutschland genauer in den Blick, ist zu konstatieren, dass das traditionelle Governance-Regime der deutschen Hochschulen durch eine Kombination von starker akademischer Selbstorganisation – seit den 1970er Jahren durch die ›Gruppenuniversität‹ noch weiter ›versäult‹ – mit hoher Autonomie der einzelnen Professoren auf der einen und starker staatlicher Regulierung auf der anderen Seite geprägt war. Dies war eine eigentümliche Mischung aus Etatismus und gemeinschaftlicher Selbststeuerung, ein äußerst langlebiger, aus dem Preußen des frühen neunzehnten Jahrhunderts stammender historischer Kompromiss zwischen Staat und Professorenschaft. Die anderen drei Governance-Mechanismen waren hingegen eher schwach ausgebildet. Demgegenüber will New Public Management (NPM), das seit den 1990er Jahren Einzug in die deutschen Universitäten gehalten hat, genau diese anderen drei Mechanismen stärken: die hierarchische Selbststeuerung der Universitäten durch Dekane und Rektoren in Verbindung mit einer Intensivierung der Außensteuerung durch staatliche Instanzen und Adressaten sowie des Wettbewerbs. Parallel dazu sollen Maßnahmen der Deregulierung (Haushalts- und Personalrecht, Genehmigung von Studiengängen und Prüfungsordnungen) und der Beschneidung des Einflusses akademischer Selbstorganisation erfolgen. Damit verbunden ist die Herausbildung neuer Gruppen von hochschulpolitischen Akteuren inner- und außerhalb der Universitäten: die Professionalisierung der Leitungsrollen, was deren organisationsbezogene Gestaltungsfähigkeit überhaupt erst konstituiert, die Schaffung von neuen Managementrollen in den Hochschulen – etwa Studiengangs- oder Qualitätsmanager (vgl. Krücken et al. 2010) – sowie die Etablierung von neuen Arten von Organisationen im Umfeld der Universitäten wie etwa Evaluationsund Akkreditierungsagenturen. Auf dieser Linie sind dann auch in Deutschland nach einer längeren Phase des bloßen Redens tatsächliche Governance-Reformen eingeleitet worden (vgl. Lange/Schimank 2007; Schimank 2009). Das Gesamtbild ist – bei einheitlichen, auf der Linie von NPM liegenden Grundtendenzen – bei genauerem Hinsehen nach wie vor sehr uneinheitlich, was nicht nur daran liegt, dass der deutsche Föderalismus sechzehn unterschiedliche Landeshochschulgesetze mit entsprechend vielen Varianten von Regelungen bei einzelnen Governance-Instrumenten wie beispielsweise der Hochschulräte hervorgebracht hat und auch die weiteren hochschulpolitischen Maßnahmen wie etwa die Einführung leistungsorientierter Zuweisungen von Teilen der Grundausstattung auf deutlich unterschiedliche Weisen erfolgt sind (vgl. Hüther 2010). Hinzu kommt, dass auch innerhalb der einzelnen Hochschulen die Entschiedenheit, mit der insbesondere die Hochschulleitungen das Heft in die Hand genommen und den neuen formalen Regelungen gegen die überkommene Konsenskultur der akademischen Selbstverwaltung Geltung verschafft haben, sehr unterschiedlich ist. Ob solche Differenzen
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sich im Laufe der Zeit abschleifen oder dauerhaft halten werden, bleibt abzuwarten. Der Beitrag von Bogumil et al. in diesem Band zeigt den Umsetzungsstand dieser Reformen in Deutschland umfassend und differenziert auf (siehe ferner: Bogumil et al. 2013). Eine solche Bestandsaufnahme des Umbaus der Governance-Strukturen des deutschen Hochschulsystems ist der notwendige erste Schritt, auf den dann aber die Frage folgt: Welche funktionalen und dysfunktionalen Effekte hat NPM in der jeweils realisierten Ausprägung auf die Bedingungen und die Charakteristika der Forschung, die an den Hochschulen betrieben wird? Hierzu gibt es bisher nicht viel mehr als die Versprechungen der Proponenten von NPM, die auf eine Reihe von zu erwartenden Effizienz- und Effektivitätssteigerungen hinweisen, sowie die Befürchtungen vieler Wissenschaftler, die genau umgekehrt neben vielen Effizienzverlusten vor allem davon ausgehen, dass der auf sehr weitgehender akademischer Freiheit des individuellen Wissenschaftlers beruhende Typus der von curiositasMotiven getriebenen anwendungsfernen Grundlagenforschung massiv gefährdet sei. Nach wie vor existieren nur wenige empirische Untersuchungen, die zumindest ansatzweise tatsächliche Effekte über anekdotische Evidenz hinaus aufzeigen. Bogumil et al. geben einige Hinweise zur Wirkung der neuen Governance der Wissenschaft an den deutschen Hochschulen, die allerdings im Rahmen ihrer Untersuchungsanlage zwangsläufig noch an der Oberfläche bleiben müssen. So scheinen monetäre Instrumente der Forschungssteuerung oft wenig wirksam zu sein – entweder, weil sie zu geringe Anreize darstellen oder weil die Wissenschaftler eher intrinsisch motiviert sind und auf finanzielle Anreize nicht reagieren. Allerdings ermöglichen Zielvereinbarungen, die auf die Verbesserung von Forschungsmöglichkeiten abstellen (z.B. Ausstattungsverbesserungen und größere Zeitfenster für Forschung), es, die intrinsische Motivation von Forschern anzusprechen. Ein zweiter Befund von Bogumil et al. ist, dass die Einschätzungen der Effekte vieler Steuerungsinstrumente sich stark zwischen den involvierten Akteuren unterscheiden. So gehen die Bewertungen der leistungsorientierten Zuweisung von Mitteln der Grundausstattung (LOM) durch Rektoren, Kanzler, Dekane und Professoren deutlich auseinander. Professoren erblicken in der LOM keine signifikanten Anreize, auch Dekane stufen diese als gering ein, während Kanzler und Rektoren beträchtliche Effekte sehen. Umgekehrt nehmen Professoren und Dekane deutlich häufiger Konflikte um die Ressourcenverteilung innerhalb der Hochschule wahr, während Kanzler und Rektoren dies nicht beobachten. Mindestens die folgenden Charakteristika der Forschung wären hinsichtlich möglicher Effekte von NPM genauer in den Blick zu nehmen: • • • •
die Qualität gemäß innerwissenschaftlichen Standards, die Responsivität gegenüber außerwissenschaftlichen Relevanzerwartungen, die Freiheit der Themenwahl, die Möglichkeit zur Verfolgung unorthodoxer Perspektiven,
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die Freiheit der Wahl von Kooperationsformen und -partnern, einschließlich der Freiheit zur Einzelforschung, die Publikationspraktiken sowie die Verbindung von Forschung und Lehre.
Der Beitrag von Krempkow und Landrock betrachtet ein zentrales Instrument von NPM – die schon erwähnte Leistungsorientierte Mittelzuweisung (LOM) – hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Drittmitteleinwerbung und Publikationsperformanz der medizinischen Forschung an den deutschen Hochschulen. Vor einigen Jahren war eine Untersuchung dieses Instruments noch zu dem Schluss gelangt, dass auf der Arbeitsebene der Hochschulen praktisch kaum Effekte zu verzeichnen sind (vgl. Minssen et al. 2003). Krempkow und Landrock finden hingegen deutliche Effekte, was wohl weniger daran liegt, dass das Instrument nunmehr länger seine Wirkung entfalten konnte, sondern vor allem am betrachteten Wissenschaftsgebiet, der Medizin. Dort wurde die leistungsorientierte Mittelzuweisung in Deutschland flächendeckend eingeführt und ein hoher Anteil der Grundausstattung auf diese Weise verteilt. Neben einigen angestrebten, als funktional eingestuften Effekten sind auch dysfunktionale Effekte zu verzeichnen, so dass sich eine gemischte Bilanz ergibt. Bedenkenswert ist etwa die Interpretation der Autoren, dass der beobachtete negative Effekt von Evaluationen auf die Forschungsperformanz darauf zurückgeht, dass diese eine übersteigerte Konkurrenzorientierung innerhalb von Fakultäten erzeugen können. Aber nicht aus jedem Drittmittelprojekt können hochrangige Publikationen hervorgehen. Ähnlich wie auch Bogumil et al. kommen Krempkow und Landrock zu dem Ergebnis, dass nur wenige Befragte die Ziele der LOM als erreicht sehen. Am ehesten sei dies für die Stärkung von Wettbewerbsorientierung und die Schaffung von Transparenz der Fall. Ob Leistungsverbesserungen erzielt werden, wird kontrovers gesehen. Als unerwünschte Effekte werden hingegen die Maximierung der Zahl von Publikationen statt deren qualitative Optimierung, die Tendenz zur Mainstream-Forschung sowie die Zunahme von Konflikten um Ko-Autorenschaften aufgeführt. Gläser und von Stuckrad widmen sich in ihrem Beitrag der Frage, wie Universitäten – in Gestalt ihrer Leitungen – auf externe Evaluationen ihrer Forschung reagieren. Auch solche Evaluationen gehören zum Kernbestand von NPM – ob es nun um Rankings und Ratings, um indikatorbasierte leistungsorientierte Mittelzuweisungen durch die Ministerien oder um die Beteiligung an der Exzellenzinitiative geht. Die Autoren zeigen auf, dass die Vorstellung, Hochschulleitungen hätten mittels solcher Leistungsinformationen einen entscheidenden Hebel für einen steuernden Durchgriff auf die an ihren Hochschulen betriebene Forschung bekommen, naiv ist, weil weiterhin verschiedene kontingente, also prinzipiell wegdenkbare, aber auch strukturelle, in den dargelegten Eigenheiten wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion begründete Limitierungen existieren. Als ausschlaggebend dafür, dass eine Hochschulleitung überhaupt auf Evaluationsergebnisse reagiert, finden Gläser und von Stuckrad zwei Bedingungen: die
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Aufmerksamkeit des Ministeriums und die Erwartung von Konsequenzen innerhalb der Universität. Was Hochschulleitungen auf der Wissensbasis von Evaluationen allerdings verstärkt tun, ist ›Portfolio-Management‹ im Sinne einer Herausarbeitung von Forschungsschwerpunkten ihrer Hochschule – und diese Profilbildung hat die Reduktion oder gänzliche Abschaffung anderer Forschungsfelder als Kehrseite. Für die längerfristigen Auswirkungen dessen auf das nationale und internationale Gesamtspektrum der Forschungslandschaften in den großen Wissenschaftsgebieten kommt es darauf an, ob Hochschulleitungen sich an den tatsächlichen, vermutlich stark divergierenden Forschungsstärken der eigenen Hochschule orientieren oder aber forschungspolitischen Moden folgen, die dann überall, auch wo es überhaupt keine fachlichen Voraussetzungen dafür gibt, den Ausbau von ›Zukunftsfeldern‹ wie die Nanotechnologie nahelegen – und dies zu Lasten ›kleiner‹ Fächer und vermeintlich veralteter Forschungsgebiete. Grözinger und Fromm werfen angesichts der im Rahmen von NPM noch weiter forcierten Bedeutung von Drittmitteleinwerbung in ihrem Beitrag die Frage auf, ob die großen Forschungsfördereinrichtungen, in Deutschland vor allem die DFG, nicht als ein gewisses Gegengewicht zu ihrer Exzellenzorientierung bei der Drittmittelvergabe auch ein Förderinstrument auflegen sollten, das gezielt weniger leistungsstarke Einrichtungen und Forscher fördert. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass es für die Leistungsfähigkeit des gesamten Forschungssystems wichtig wäre, dass mit einem bestimmten Anteil der Fördermittel Leistungsschwächere gezielt bei der Stärkung des eigenen Potenzials unterstützt werden und so verhindert wird, dass der ›Matthäus-Effekt‹ eine Polarisierung der Forschungslandschaft in ›ewige Gewinner‹, die sich dann auch nicht mehr anstrengen müssen, und ›ewige Verlierer‹, für die sich keine weitere Anstrengung mehr lohnt, bewirkt. Um diese Vermutung zu überprüfen, untersuchen Grözinger und Fromm ein genau so – nämlich auf Regionen ohne Spitzenuniversitäten – angelegtes Förderinstrument der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) in seiner Konzeption, seinem Einsatz und seinen Wirkungen. Ihre Befunde könnten durchaus nahelegen, auch für Deutschland über eine solche Maßnahme, wie man sie etwa komplementär zur Exzellenzinitiative hätte anlegen können, nachzudenken. Die in diesem ersten Teil des Bandes präsentierten Beiträge sind sicherlich auch zusammengenommen noch nicht mehr als punktuelle Sondierungen der Auswirkungen von NPM auf die Forschung; und dies bliebe auch bei Berücksichtigung weiterer bereits vorliegender Studien der bisherige Stand. In der Verschiedenartigkeit der empirischen Zugänge und theoretischen Perspektiven können die Beiträge jedoch exemplarisch Anregungen dafür geben, wie weitere Forschungen voranschreiten könnten.
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5. I RRITATIONEN : N EUE GESELLSCHAF TLICHE A NFORDERUNGEN AN DIE W ISSENSCHAF T Die Betrachtung der Hochschul-Governance im ersten Teil des Bandes konzentriert sich hauptsächlich auf die Auswirkungen hochschulpolitisch induzierter Governance-Reformen in diesem Sektor des Wissenschaftssystems – letztlich stets mit dem Blick auf das Spannungsverhältnis von Autonomie der Forschung auf der einen, politischer Forschungssteuerung, auch durch Gestaltung von Governance-Regimen, auf der anderen Seite. Damit kommt der außerwissenschaftliche gesellschaftliche Kontext insoweit in den Blick, wie er durch die Hochschulpolitik repräsentiert und an die Wissenschaft herangetragen wird. Im zweiten Teil werden weitere Irritationen der Autonomieansprüche von Wissenschaft behandelt, die sich auch jenseits dieses aus der Ressortzuständigkeit herrührenden Hauptkanals der Beeinflussung von Wissenschaft eingestellt haben, meist mehr oder weniger über die Politik vermittelt oder zumindest angestoßen. Als Irritationen sind hier im Übrigen nicht immer gleich Probleme oder gar Krisen gemeint; es genügt, dass überkommene Handlungspraktiken nicht mehr einfach weitergeführt werden können, sondern die Akteure der Wissenschaft sich und ihr Handeln ändern müssen; und natürlich – dies sei nochmals wiederholt – werden diese Irritationen hier nicht schon deshalb, weil sie Änderungsdruck erzeugen, und auch nicht automatisch hinsichtlich der Richtungen, in die dieser Druck geht, als negativ eingestuft, auch wenn dies teilweise oder in manchen Fällen sogar überwiegend die Sicht der Wissenschaftsakteure sein mag. Die vier oben unterschiedenen Autonomieprobleme wissenschaftlicher Forschung (gefährdete Autonomie, gesellschaftlich nicht hinreichend funktionale Autonomie, gesellschaftlich riskante Autonomie, selbstschädigende Autonomie) haben vielfältige Wechselbeziehungen untereinander. So ist etwa die selbstschädigende Autonomie in erheblichem Maße ein Auswuchs der anderen drei Probleme, und die riskante Autonomie ist auch eine Nebenfolge des Bemühens, mehr ›relevante‹ Forschung zu betreiben. Keines dieser vier Probleme kann also isoliert voneinander behandelt werden. Für sich genommen und als Syndrom reflektieren sie Irritationen, die aus dem breiteren gesellschaftlichen Kontext stammen, in den die Wissenschaft eingebettet ist. Alle vier Arten von Autonomieproblemen gehen somit außer auf endogene Dynamiken der Wissenschaft auf deren intersystemische Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen – insbesondere zur Wirtschaft, zu den Massenmedien, zum Bildungssystem sowie natürlich zur Politik – zurück. Hier sind prinzipiell Themen wie die Auswirkungen des Bologna-Prozesses, der Transferorientierung, der Ökonomisierung und der Medialisierung auf die Autonomie und Leistungsfähigkeit der Forschung zu nennen. Die Beiträge, die im nun vorzustellenden zweiten Teil dieses Bandes zu finden sind, greifen sich allerdings Irritationen heraus, die eine Stufe unterhalb solcher Großtrends angesiedelt und damit nicht nur analytisch und empirisch präziser handhabbar sind, sondern vor
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allem auch gegenstandsbezogen Stellschrauben betreffen, die von relevanten Akteuren zu Gestaltungszwecken genutzt werden können (vgl. Scharpf 1977). Koschatzky et al. betrachten in ihrem Beitrag die Hochschulen in ihrer Einbettung in das regionale Umfeld, insbesondere hinsichtlich des Wissens-, Personal- und Technologietransfers in die regionale Wirtschaft. Dies ist ein schon länger beobachtetes Phänomen, weil ja die Universitätsneugründungen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre in Deutschland gezielt regionalisiert wurden, um nicht nur den Studierenden ›entgegenzukommen‹, sondern auch regionalen Interessenten an der Forschung der Hochschulen. Hier handelt es sich somit um eine erwünschte Irritation: die Öffnung der Hochschulen für ihr regionales Umfeld. Ob nun NPM darauf hinwirkt, dass diese Hinwendung zur Region stärker wird, ist eine offene Frage und unterscheidet sich womöglich auch nach Fächern und Hochschulart. Der entscheidende Mechanismus wäre hierbei in den festgelegten oder vereinbarten Performanzkriterien zu sehen. Koschatzky et al. finden unter anderem, dass regionale Aktivitäten der einzelnen Fachbereiche und Professoren sich kaum von der Hochschulleitung steuern lassen; mehr als generelle Anreize und entsprechend ausgerichtete Zielvereinbarungen sind nicht möglich. Eine dezidierte regionale Ausrichtung des Forschungsportfolios dürfte nach alldem insbesondere bei denjenigen Hochschulen, Fächern und Wissenschaftlern anzutreffen sein, die sich in der überregionalen, insbesondere der internationalen Konkurrenz weniger Chancen ausrechnen, was aber umgekehrt nicht bedeuten muss, dass nicht auch eine nationale oder internationale Ausrichtung mit einer Bedienung regionaler Anfragen einhergehen kann. Der Beitrag von Riegraf und Weber behandelt eine ganz andere – gesellschaftspolitisch ebenfalls erwünschte – Art von Irritation, die in den letzten Jahrzehnten immer stärker nicht nur die Organisationen der Wissenschaft, sondern alle Lebensbereiche erfasst hat: die Forderungen und dann auch zunehmend rechtlich auferlegten Ge- und Verbote, die ein Gender Mainstreaming herbeiführen sollen. Diese Forderungen wurden sehr oft nicht nur als wissenschaftsfremd, sondern geradezu als kollidierend mit wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit dargestellt. Obwohl sich Gender Mainstreaming inzwischen als anerkannte Zielgröße gesellschaftlicher Entwicklung in allen Lebensbereichen durchgesetzt hat, gab es Befürchtungen, dass die Umgestaltung der Governance in Richtung NPM die gerade in Gang gekommene Förderung der Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft ausbremsen könnte. Denn der zunehmende Konkurrenzdruck könnte – so die Überlegung – insbesondere bei Personalentscheidungen (einschließlich der Doktorandenförderung) zum einen männliche Entscheider dazu bringen, wieder stärker auf einen scheinbar ›bewährten‹ männlichen Wissenschaftler-Habitus zu setzen, der sich sowohl in bestimmten Formen des Auftretens als auch darin niederschlägt, dass Männer als ›belastbarer‹ gelten, weil sie Partnerschaftsund Familienarbeit eher abwälzen können. Gesichtspunkte vermeintlicher wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit könnten also mit Gleichstellungsforderungen kollidieren. Zum anderen könnte man sich vorstellen, dass Nachwuchs-Wissen-
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schaftlerinnen, solche Arten von Personalentscheidungen antizipierend sowie auch tatsächlich partnerschaftlich und familiär stärker belastet, verstärkt auf diese Karriere verzichten. Nimmt man noch hinzu, dass NPM auch Deregulierung bedeutet, bestimmte personalrechtliche Regulierungen aber Frauenrechte erst verankert haben, erscheinen solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen. Riegraf und Weber zeigen nun aber, ohne solche Befürchtungen gänzlich vom Tisch zu wischen, dass tatsächlich größtenteils eine gegenteilige Entwicklung eingetreten zu sein scheint: NPM kann auch im Sinne von Gender Mainstreaming wirken. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Gleichstellungsbemühungen und -erfolge zu einem nicht mehr vernachlässigbaren Wettbewerbsfaktor werden, Hochschulen oder Projekt-Antragsteller also mit Frauenförderung punkten können. Wenn etwa in der Exzellenzinitiative oder bei SFB-Anträgen bei der DFG dargelegt werden muss, wie man dafür sorgen wird, dass z.B. Doktorandinnen bei der Betreuung von Kleinkindern unterstützt werden, oder wenn schlicht die Anzahl weiblicher Antragsteller ein Kriterium ist, an dem ein SFB-Antrag – wie gut auch immer er inhaltlich sein mag – in der Konkurrenz mit anderen, die in diesem Punkt mehr zu bieten haben, scheitern kann, wird Gender Mainstreaming durch NPM geradezu forciert. Dass Gleichstellungsgesichtspunkte ein derartiges Gewicht besitzen und bei aller Betonung von rein wissenschaftlicher Exzellenz der Forschung auch weiterhin behalten, setzt freilich voraus, dass sie politisch und rechtlich noch stärker institutionalisiert werden und der gesellschaftliche Druck – beziehungsweise das Umdenken – in dieser Richtung nicht nachlässt. Die Beteiligung privater Akteure ist eines der zentralen Merkmale der neuen Formen von ›Governance‹. Eine solche ›participatory governance‹ besitzt im Bereich der wissenschaftlichen Forschung noch immer ein erhebliches Irritationspotenzial. Die elitistische Variante des Modells wissenschaftlicher Autonomie, wie sie von Robert Merton (1985) und Michael Polanyi (1962) vertreten wurde, basierte auf der »Idee einer sozialen und epistemischen Abgrenzung von allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens« (Hagner 2012: 29). In einer solchen Perspektive muss die Einbeziehung von ›Laien‹ in wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Entscheidungsprozesse als äußerst problematisch gelten, weil auf diese Weise vermeintlich sachfremde Gesichtspunkte Eingang in die Wissenschaft finden. Seither hat das Modell wissenschaftlicher Autonomie selbst eine Neuinterpretation erfahren und die strikte Trennung der Wissenschaft von ihren ›Nutzern‹ und von gesellschaftlichen ›Laien‹ gilt längst als anachronistisch – und das, wie der Beitrag von Wehling und Viehöver zeigt, zu Recht. Wissenschaft und Technologie gehören zu den Bereichen, in denen partizipative Verfahren der Bürgerbeteiligung frühzeitig entwickelt und in einer Vielzahl von Varianten erprobt wurden (vgl. bereits Renn et al. 1993). Deshalb kann in diesem Bereich bereits auf eine große Erfahrung mit verschiedensten Verfahren der Beteiligung von Bürgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren zurückgegriffen werden. Inzwischen zeigt sich, wie Wehling und Viehöver in ihrem Beitrag betonen, eine »merkliche
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Ernüchterung über die Ergebnisse und Wirkungen solcher Verfahren« (in diesem Band: 219) der ›eingeladenen‹ Beteiligung. Aus diesem Grund konzentrieren sie sich in ihrem Beitrag auf neue Formen der ›uneingeladenen‹ Partizipation der Zivilgesellschaft in zwei Bereichen: der Biomedizin und der Nanotechnologie. Im einen Fall geht es um das Engagement von Patientenvereinigungen für die Erforschung seltener Krankheiten, im anderen Fall um die Aktivitäten von Umweltund Verbraucherorganisationen für die Analyse der ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Anwendung von Nanotechnologien. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung sind in zweierlei Hinsicht instruktiv. Zum einen zeigen sie überzeugend, »dass Gruppierungen aus der Zivilgesellschaft auch und gerade dann eine wichtige, produktive Rolle spielen können, wenn sie sich aus eigenem Antrieb und in selbstorganisierter Weise an der Entwicklung und Gestaltung von Forschung und Technologie beteiligen« (in diesem Band: 213). Gerade unter den Bedingungen einer Wissenschafts-Governance, die aufgrund ihrer Orientierung an quantitativen Leistungsindikatoren eine immer stärkere Neigung zur Mainstreamforschung hat, können zivilgesellschaftliche Gruppen wesentlich dazu beitragen, dass unorthodoxe, aber möglicherweise innovative Fragestellungen nicht vernachlässigt werden. Zudem können Patientengruppen aufgrund ihrer eigenen Expertise und Erfahrung als ›epistemisches Korrektiv‹ für die etablierte Forschung bei der Bewertung von Forschungsergebnissen fungieren. Wehling und Viehöver zeigen in ihrem Beitrag aber auch, dass zivilgesellschaftliche Partizipation »keineswegs immer erfolgreich [ist] – und selbstverständlich ist sie auch nicht in allen Fällen produktiv und normativ unproblematisch« (in diesem Band: 227). Dennoch plädieren sie dafür, dass die Wissenschafts- und Technologiepolitik das Potenzial dieser neuen Partizipationsformen verstärkt nutzt und fördert. Ein altbekanntes Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Autonomie und politischer Anbindung und Instrumentalisierung der Wissenschaft findet sich im Feld der Ressortforschung – also bei jenen Einrichtungen, die im Geschäftsbereich eines Ministeriums ressortbezogene Forschungsfragen bearbeiten, um die politische Entscheidungsproduktion mit wissenschaftlicher Expertise zu versorgen oder der Ressortklientel, etwa den Landwirten, wissenschaftliche Serviceleistungen zur Verfügung zu stellen. Hier hat frühere Forschung das Bild eines nur schwer zu bewältigenden dauerhaften Spannungsverhältnisses gezeichnet (vgl. Hohn/Schimank 1990), das der Beitrag von Bach et al. deutlich relativiert. Zwar ist die inter-organisatorische Beziehung zwischen Ressortforschungseinrichtung und Ministerium prinzipiell spannungsgeladen; dies kann jedoch durch geeignete intra-organisatorische Maßnahmen in den Ressortforschungseinrichtungen weitgehend entschärft werden – insbesondere durch eine interne Arbeitsteilung zwischen eher ressortbezogenen und eher wissenschaftsbezogenen Einheiten. Beide dürfen freilich nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern müssen einander wechselseitig beobachten und beeinflussen, um die hybride Natur des spezifischen Typs von wissenschaftlichem Wissen, der Ressortforschung in kognitiver Hinsicht ausmacht, in Ko-Produktion hervorzubringen.
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Wichtig dafür, dass einer Ressortforschungseinrichtung eine solche Balance gelingt, ist freilich, dass sie ihre Einbettung in die jeweiligen wissenschaftlichen Fachgemeinschaften nicht verliert. Mindestens die dauerhafte kompetente Rezeption des Erkenntnisfortschritts der an Hochschulen und anderswo betriebenen Forschung ist unerlässlich, besser ist noch eine eigene Beteiligung an dieser Erkenntnisproduktion, die sich in Publikationen und einer entsprechenden fachlichen Reputation niederschlägt. Dafür reicht die gelegentliche ›Verjüngung‹ durch die Rekrutierung von Nachwuchswissenschaftlern nicht aus; auch die erfahrenen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Ressortforschungseinrichtungen müssen sich auf dem Stand der Forschung halten. Während die bisherigen Beiträge sich insbesondere mit – tatsächlichen oder vermeintlichen – Autonomiegefährdungen im Bereich der Wissensproduktion beschäftigt haben, untersuchen Böschen et al. neue Probleme der Autonomiegefährdung bei der Aneignung von Wissen. Mit dem Entstehen konkurrierender globaler Wissensökonomien haben die verschiedenen Möglichkeiten und Strategien der Aneignung von Wissen durch Unternehmen eine neue Bedeutung erhalten. Dabei konkurrieren nicht nur Unternehmen, sondern auch unterschiedliche Wissens- und Wissensaneignungsregime. Während in der vorherrschenden Meinung ein möglichst homogenes, globales Patentregime einen optimalen Schutz des ökonomisch relevanten Wissens garantieren soll, betonen Kritiker die Notwendigkeit der ›Eigenständigkeit der Regulierten‹ und die Bedeutung einer selbstständigen, branchenspezifischen Ausgestaltung von Innovationsregimen. Böschen et al. entwickeln in ihrem Beitrag unter Rückgriff auf das Governance-Konzept eine breitere Sicht auf Wissensarbeit und Innovation. Am Beispiel zweier Branchen, der Pflanzenbiotechnologie und des Maschinenbaus, identifizieren sie eine Vielfalt der Formen des Wissensschutzes. Sie zeigen, dass »Unternehmen abhängig von ihrer Größe, der Komplexität des Wissens und ihrer Stellung in der globalen Wertschöpfungskette ihre Optionen des Wissensschutzes in ganz unterschiedlicher Weise realisieren, da sie verschiedenen Konkurrenzsituationen ausgesetzt sind« (in diesem Band: 185). Dabei zeigen sich zudem bemerkenswerte Unterschiede zwischen den untersuchten Branchen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich erkennbar, »dass es einen ›one best way‹ des Schutzes ökonomisch interessanten Wissens nicht gibt« (in diesem Band: 204). Angemessener, so Böschen et al., sei ein »patchworkartiger Wissensschutz« (in diesem Band: 205), der den »heterogenen Funktionserfordernissen unterschiedlicher Branchen und technologischer Binnenstrukturen gerecht wird« (in diesem Band: 204).
6. K ONTE X TFAK TOREN : D IE M EDIALISIERUNG DER W ISSENSCHAF T Im dritten Teil des Bandes wird eine der ganz wichtigen Kontextveränderungen wissenschaftlicher Forschung, die gesellschaftliche Medialisierung, vertiefend
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betrachtet. Damit wollen wir ihrer großen Bedeutung gerade für die Wissenschaft gerecht werden; diese Schwerpunktsetzung ist aber auch exemplarisch zu verstehen, etwa mit Blick auf weitere Veränderungen in den Kontextbedingungen des Wissenschaftssystems wie die Ökonomisierung oder die Internationalisierung, die in diesem Band nicht behandelt werden. Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, dass die Gesellschaft seit einiger Zeit sehr stark von den Medien geprägt wird. Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig. Sie liegen zum einen in den gestiegenen Mitgestaltungsansprüchen der Bevölkerung in den Massendemokratien, die von den Medien durch einen stetigen Nachrichtenfluss bedient werden. Zum anderen sind Ursachen auch in der Veränderung der Medienlandschaft selbst zu suchen, so etwa in der weitreichenden Ökonomisierung der Medien. Aufgrund der hochdifferenzierten Angebotssituation im Medienbereich nimmt hierbei der Kampf unterschiedlicher Medienanbieter um die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu. Denn vor allem auf diese Weise können die für die Finanzierung von Medienangeboten nötigen finanziellen Ressourcen beschafft werden. Die Sichtbarkeit in den Medien – unabhängig von Inhalten – ist geradezu zu einem Wert an sich geworden. Das Mitteilungs- und Darstellungsbedürfnis der Bürger, das in den ›new social media‹ eine korrumpierende Plattform findet, hat sein Pendant im Selbstdarstellungsmandat öffentlicher Institutionen. Was als demokratisch gebotene Transparenz und Rechenschaftspflicht eingefordert wird, erhält nun – so auch unter dem Einfluss von NPM – ein von der Funktion der Informierung der Öffentlichkeit abgelöstes Eigenleben in Gestalt von Marketing-, PR- und Werbemaßnahmen mit ihren entsprechenden Produkten. Diese Entwicklung hat nach der Wirtschaft mittlerweile auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen erfasst, die in besonderer Weise von öffentlichen Mittelzuweisungen und damit von öffentlicher Zustimmung abhängen. Die Selbstdarstellung in den Medien gilt, so zumindest der oberflächliche Eindruck, auch für Wissenschaftsorganisationen als unerlässlich und wird in der Konkurrenz der Einrichtungen untereinander mit dem Ziel der Profilierung eingesetzt. Durch die Etablierung von staatlich moderierten Wettbewerbsprozessen müssen sich Forschungseinrichtungen und Universitäten institutionell positionieren und profilieren (›Exzellenzinitiative‹). Positionierung erfordert übergreifendes Organisationsmanagement, und dazu gehört auch der Aus- wie Auf bau von Führungs- und Kommunikationskapazitäten. Aufgabe der neu entstehenden Kommunikationsabteilungen ist nicht mehr allein die Wissenschaftskommunikation, sondern auch die Analyse der Wahrnehmung einer Organisation in ihrem Umfeld wie ihre Positionierung in einem wie auch immer bezeichneten Markt. Die einmal geschaffenen Kommunikationsgefäße müssen genutzt werden, und der Einsatz wirkt auf die Organisation zurück, so durch die Schaffung von Kommunikationsstellen auf allen Ebenen. Vor diesem Hintergrund ist es eine geradezu folgerichtige Entwicklung, dass das sogenannte ›outreach‹, d.h. die Kommunikation mit der allgemeinen
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Öffentlichkeit, nicht nur für die Bewertung einer Forschungseinrichtung oder Universität von Relevanz ist, sondern mehr und mehr auch zum Kriterienkatalog der individuellen Leistungsmessung in den Universitäten gehört. Auch von den Forschungsförderungseinrichtungen wird erwartet, dass Forschungsbefunde einer allgemeineren Öffentlichkeit in geeigneter Weise präsentiert werden. Es werden sogar spezifische Förderinstrumente eingeführt, um die Wissenschaftler für die Nichtfachkommunikation zu aktivieren. Medientrainings oder Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Kommunikationskompetenzen im Rahmen der Nachwuchsförderung gehören heute zum Standardprogramm. Kurz: Die Kommunikation wird als eine Ressource zur Erlangung organisations- oder gar wissenschaftsinterner Einflusspositionen gesehen und genutzt. Der Ausbau wissenschaftsexterner Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten bzw. -orte beeinflusst dann die wissenschaftsintern gültigen Kommunikationsregeln wie -normen, wenn die Gestaltung von entsprechenden Veranstaltungen und Maßnahmen durch Dritte, also vor allem durch wissenschaftsexterne Anbieter, unter Marktbedingungen erfolgt. Dieser vielfältige Bezug auf die Massenmedien wirft die Frage auf, welche Auswirkungen er auf die Wissenschaft hat, die doch eigentlich eine ganz andere Kultur darstellt. Noch bis vor nicht langer Zeit galt: Interne Kommunikation geschieht in von Fachkollegen betrauten Medien. Fachkommunikation erfolgt durchgängig schriftlich, sie ist sprachlich spezialisiert und richtet sich an jeweils differenzierte und durch die vorgängige Wahl zumeist auch bekannte Fach-Öffentlichkeiten. Diese verfügen über die Möglichkeit einer Rückmeldung. ›Eigenwerbung‹ bzw. PR in eigener Sache unterliegt dem organisierten Skeptizismus und ist tabuisiert. Vor allem aber galt bzw. gilt: Kommunikation nach ›außen‹ in die allgemeine Öffentlichkeit wird, wenn sie überhaupt praktiziert wird, als der relevanten Reputationsbildung nicht zuträglich und deshalb eher als lästige Nebenbeschäftigung betrachtet. Dass sich dieses traditionelle Bild von Wissenschaft verändert hat, ist allenthalben nachvollziehbar. Welche Veränderungen jedoch tatsächlich stattgefunden haben und welche Auswirkungen sie auf die Wissenschaft, auf die Standards der Wissensproduktion, auf das Verhalten von Wissenschaftlern und Universitäten haben, ist bislang weitgehend der Spekulation überlassen. Der Zusammenhang von Medialisierung und Governance der Wissenschaft stellt sich darüber her, dass erstere ganz neue Plattformen für wechselseitige Beobachtung schafft, die ein elementarer Governance-Mechanismus auch der Wissenschaft ist (vgl. Schimank 2007). Medialisierung verstärkt und fokussiert offensichtlich wechselseitige Beobachtung. Mehr noch: In komplexen Handlungszusammenhängen steht indirekte, medial vermittelte wechselseitige Beobachtung im Zentrum und ist damit natürlich auch der Eigenlogik des Mediensystems unterworfen. Die These einer zunehmenden Medialisierung der Wissenschaft besagt vor diesem Hintergrund, vereinfacht ausgedrückt, dass die Orientierung der Wissenschaftler an den Relevanzkriterien der Massenmedien potenziell einen Konflikt zwischen dem Wahrheitscode der Wissenschaft und den
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Nachrichtenwerten der Medien darstellt, der im Extremfall zu einer Erosion der wissenschaftlichen Standards der Wissensproduktion führen kann (vgl. Weingart 2001: 232-283; 2012). Die naheliegenden Fragen sind: • •
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Wie verbreitet ist die Orientierung an den Medien sowohl unter Wissenschaftlern als auch in wissenschaftlichen Organisationen wie Universitäten? Kommt es tatsächlich zu dem angenommenen Konflikt oder lassen sich unterschiedliche Reichweiten des Zugriffs der Medialisierung auf das Organisationsverhalten von Universitäten bzw. auf das Verhalten von Wissenschaftlern und damit auf den Forschungsprozess feststellen? Welche Auswirkungen hat die Medienorientierung auf die Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik und damit indirekt auf die Legitimität der Wissenschaft?
Hinsichtlich des Ausmaßes der Orientierung an den Medien seitens der Wissenschaftler bzw. wissenschaftlicher Organisationen liegt eine Reihe von Untersuchungen vor. Peters et al. (2008) haben in einer früheren Untersuchung unter Stammzellforschern und Epidemiologen – zwei mit großer medialer Aufmerksamkeit bedachten Forschungsgebiete – die Anpassung seitens Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen »an die Erfordernisse medialer Kommunikation« erforscht. Dabei haben sie zumindest in diesen Gebieten einen »hohe[n] Stellenwert der medialen Wissenschaftskommunikation sowohl innerorganisatorisch als auch bei den individuellen Wissenschaftlern, die Institutionalisierung und Anbindung von Medienkontakten an Leitungsrollen sowie die Adaption der kommunikativen Selbstdarstellung an die mediale Logik mit der Konsequenz einer Relevanzkonstruktion über außerwissenschaftliche Bezüge« (Peters et al. 2008: 289) gefunden – in ihren Augen alles Indizien für eine Medialisierung der Wissenschaft. In ihrem Beitrag zum vorliegenden Band widmen sich Marcinkowski et al. der Frage, »wie sich die Hochschulen in der Öffentlichkeit positionieren, unter welchen Bedingungen sie sich umgekehrt an den Kriterien öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung orientieren und wie sich diese neue Orientierung in der Hochschul-Governance auswirkt« (in diesem Band: 258). Sie konstatieren eine intensivierte Medienorientierung der Hochschulen als Ergebnis eines »indirekten Politisierungseffekts« (in diesem Band: 279). Medienorientierung ist zentrales Element einer allgemeinen Öffnung der Hochschulen gegenüber der Öffentlichkeit, und nicht nur der Hochschulen, sondern »aller relevanten Akteure und Entscheider« (in diesem Band: 279). Anstelle demokratisch-institutioneller Verfahren nehmen die Medien die Vermittlung von Erwartungen der Öffentlichkeit wahr. Diese Entwicklung steht im engen Zusammenhang mit den Reformen der letzten zwei Jahrzehnte, die u.a. die Zurückdrängung der staatlichen Detailsteuerung zugunsten einer Steuerung durch Stakeholder in den Hochschulräten vorsahen. Dadurch wurden die Universitäten ein Stück weit ›autonom‹, wenngleich sie nach wie vor dominant durch den Staat finanziert werden. Durch diese autonome Posi-
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tion sind die Universitäten aber angehalten worden, und dies wird durch NPM verstärkt, sich auch mit anderen Stakeholdern zu befassen. Zudem sind Hochschulen, um die Unterfinanzierung auszugleichen, verstärkt auf die Einwerbung von Drittmitteln angewiesen. Dies macht öffentlichkeitswirksame Maßnahmen notwendig, und zwar nicht nur gegenüber den politischen Instanzen, sondern auch gegenüber den Drittmittelzuwendern. Die dadurch entstandene »neue Medien- und Öffentlichkeitsorientierung der Hochschulen« impliziert mithin eine »Verschiebung politischer Funktionen« (in diesem Band: 280). Medienorientierung ist also vielerorts integraler Bestandteil des neuen Governance-Regimes. Der mögliche Konflikt zwischen Medienorientierung und Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Qualitätsstandards ist ebenfalls Gegenstand systematischer Analyse geworden. Die Einschätzungen, ob die Medialisierung sich auch auf die Forschung selbst auswirkt und nicht nur das Spiel auf der Vorderbühne bleibt, fallen uneindeutig aus. Trotz widersprüchlicher Ergebnisse der Untersuchung der Neurowissenschaften von Peters et al. ziehen die Autoren die Schlussfolgerung, dass direkte Medialisierungseffekte »gelegentlich vorkommen mögen, dass aber die Antizipation von medialer Resonanz kein allgemein verbreitetes oder einflussreiches Kriterium in den Entscheidungskalkülen von Neurowissenschaftlern beim Design von Forschung oder bei der Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften ist und keinesfalls die Praxis der Forschung oder der Publikation prägt« (in diesem Band: 330). Die divergierenden Ergebnisse der bisherigen Studien sind zum einen darauf zurückzuführen, dass sie mit unterschiedlichen Methoden erhoben wurden, und zum anderen darauf, dass sie sich auf jeweils ein einziges Forschungsgebiet beschränken. Es fehlt, wie Franzen und Rödder in ihrem Beitrag schreiben, »ein systematischer Vergleich der Resonanz von Medialisierungsprozessen in der Wissenschaft, der ihrer Binnendifferenzierung in Disziplinen mit ihren entsprechenden Fachgemeinschaften Rechnung trägt« (in diesem Band: 339). Genau dieses Desiderat adressieren die beiden Autorinnen mit ihrem Projekt, das drei ganz unterschiedliche Fachkulturen – Mathematik, Zeitgeschichte und Molekularbiologie – vergleicht. Auf diese Weise wird es möglich, unterschiedliche Ausprägungen von Medienorientierung zu identifizieren, ausgehend von der Annahme, dass Medialisierung nicht flächendeckend alle Wissenschaftsgebiete in gleicher Stärke erfasst, sondern differentiell wirksam wird u.a. abhängig von der den Gebieten zuteilwerdenden öffentlichen Aufmerksamkeit. Erwartungsgemäß fällt die Medienresonanz in den untersuchten Fachkulturen sehr unterschiedlich aus. Das entscheidende Kriterium ist »die unterschiedliche Integrationsfähigkeit der fachwissenschaftlichen Themen in öffentliche Debatten« (in diesem Band: 352). Relevant sind dabei auch die wissenschaftsinternen Kommunikationsstrukturen und -kulturen. In der Zeitgeschichte, in der die Monographie immer noch zu den Standards gehört, werden Publikationen in den Qualitätsmedien aufgegriffen. Zugleich gehört es zu ihrer Fachkultur, dass auch die Wissenschaftler selbst in den Qualitätsmedien publizieren. So haben sich in den Qualitätsmedien dafür sogar eigene Rubriken im Kulturteil etablieren können.
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Die Forschungsthemen, an denen das politische Interesse besonders groß ist, wie z.B. die Stammzellforschung, treffen auch auf besonders große mediale Resonanz, und die Spannung zwischen Medienorientierung und wissenschaftlichen Standards ist dort am deutlichsten. Auch hier ist die Eigenlogik des Journalismus zu beachten. Forschungsbefunde können auf den einschlägigen medizin- oder naturwissenschaftlich ausgerichteten Wissenschaftsseiten Beachtung finden. Diese Berichterstattung erfolgt zwar zumeist durch fachwissenschaftlich qualifizierte Journalisten, also nicht durch die Wissenschaftler selbst, aber die Berichterstattung selbst ist stark an den wissenschaftsinternen Qualitäts- und Publikationsregeln orientiert. Wenn aber wissenschaftliche Themen auch politisch relevant werden, so diffundieren sie durch die Medien, werden also z.B. auch im Politik- oder Wirtschaftsteil behandelt – dann aber in der Regel von nicht fachlich ausgebildeten Journalisten. Hier werden die Primärforscher dann zumeist zu opportunen Zeugen und als solche auch durch politische Akteure herangezogen, die Forscher und Befunde entsprechend ihren politischen Interessen kommunikativ verwenden. Die mögliche dysfunktionale Folge kann ein Glaubwürdigkeitsverlust der betreffenden Wissenschaftler oder ihres Wissenschaftsgebiets sein. Blöbaum et al. fragen in ihrem Beitrag direkt nach der Bedeutung der Medien in wissenschaftspolitischen Entscheidungsprozessen und konstatieren, dass die über die Medien vermittelte wechselseitige Beobachtung zugleich die Grundlage für Bemühungen der Beeinflussung von Politik ist. Dann ist die Politik Adressat der strategischen Darstellung der Wissenschaft in den Medien. Medienpräsenz wird, so die verbreitete Auffassung unter den Befragten, als Instrument öffentlicher Legitimation von Wissenschaft und Politik betrachtet. Es entspricht auch den Ergebnissen der Studie von Marcinkowski et al., dass die Hochschulleitungen der medialen Darstellung ihrer jeweiligen Universitäten eine größere Bedeutung beimessen als die Wissenschaftler, weil erstere ihre vor allem auf die Institution ausgerichteten Managementaufgaben unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen mit Blick und unter Bezug auf wissenschaftspolitische wie wissenschaftsfördernde Akteure wahrnehmen müssen. Die Medien vermitteln – zumindest in der Wahrnehmung der beteiligten Seiten – die Erwartungen von Gesellschaft und Politik an die Wissenschaft und umgekehrt deren Reaktion auf sie in Gestalt von einschlägigen Selbstdarstellungen. In dieser Funktion repräsentieren die Medien eine unspezifische, aber generalisierte Öffentlichkeit, der gegenüber sich geöffnet zu haben die Legitimität der Wissenschaft stärkt.
7. P ERSPEK TIVEN DER W ISSENSCHAF TSFORSCHUNG Die Beiträge des vorliegenden Bandes versorgen den Leser, wie die Vorschau hoffentlich deutlich machen konnte, mit einer Fülle an interessanten empirischen Befunden und theoretischen Interpretationen zur neuen Governance der Wissenschaft. Dennoch ist es unvermeidlich, dass zahlreiche Themen und Fragen, die
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genauso einschlägig sind wie die hier behandelten, ausgeklammert bleiben. Das gilt auch für eine Reihe von Folgefragen, die sich aus den Projekten dieser Förderinitiative ergeben. Wir möchten am Ende nur kurz und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit auflisten, welche Problemstellungen für die Governance-Forschung im Wissenschaftssystem aus unserer Sicht noch ungeklärt sind und auf eine Bearbeitung warten. Zu diesen Themen zählen: •
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Komplexität: Die Analyse der Wirkungen einzelner Instrumente oder Organisationsmuster auf wissenschaftliche Forschung kann, wie verschiedene Beiträge in diesem Band vorführen, nur der erste Schritt sein. Sie muss zur Analyse komplexer Governance-Regime und ihrer Auswirkungen führen, also das Zusammenwirken verschiedener Governance-Mechanismen zum Gegenstand der Forschung machen. Dies ist nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hat auch eine eminent praktische Bedeutung für die Wissenschaftspolitik: Welche Wechselwirkungen – Kompatibilitäten und Inkompatibilitäten – der gleichzeitigen Betätigung verschiedener Stellschrauben auf die Leistungsfähigkeit von Governance-Regimen lassen sich ausmachen? Turbulenzen: Wenn man komplexe Governance-Regime ins Zentrum der Analyse stellt, gerät noch ein weiterer Aspekt in den Blick, der die Governance der Wissenschaft derzeit kennzeichnet: die gleichzeitige Veränderung verschiedener Governance-Instrumente in allen Bereichen des Wissenschaftssystems einerseits, vieler relevanter Kontextbedingungen von der Finanzierung über die Rechtsformen und die öffentliche Wahrnehmung bis zur territorialen Reichweite von Forschung und Forschungsorganisation andererseits. Dies hat in der Summe zu erheblichen Turbulenzen im Wissenschaftssystem geführt, deren längerfristige Auswirkungen auf die Wissenschaft noch unklar sind. Die Wissenschaftspolitik scheint unter diesen Bedingungen einen Hang zum Aktionismus und zur Übersteuerung entwickelt zu haben, ohne dass sie bereits ausreichendes Wissen über die Folgen ihrer zahlreichen Interventionen besitzen würde. Macht: Die neuen Governance-Regime im Wissenschaftssystem müssen auch daraufhin untersucht werden, welche neuen Machtbasen innerhalb der Wissenschaft und im Verhältnis von Staat und Wissenschaft entstanden sind. Die Machtvergessenheit nicht nur der Steuerungs-, sondern auch der GovernanceDiskussion hat Renate Mayntz (2001) zu Recht kritisiert. Zu fragen wäre etwa: Haben die nationalen oder internationalen Eliten der Fachgemeinschaften an Macht gewonnen (vgl. Whitley 2010), oder gibt es innerhalb der Hochschulen neue, quer zu den traditionellen Machtstrukturen liegende Machtbasen wie die Sprecher von Clustern oder SFBs? Welche Machtasymmetrien gibt es in Forschungsnetzwerken? Internationalisierung: Die eingangs – auch als Europäisierung – erwähnte räumliche Erweiterung der Handlungs- und Steuerungszusammenhänge, die wissenschaftliche Forschung heute kennzeichnen, wird noch immer unzureichend verstanden. Welche Möglichkeiten der Einwirkung auf wissenschaft-
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liche Forschung hat die nationale Forschungspolitik noch, wenn Forschung in transnationalen Netzwerken durchgeführt wird, deren Zusammensetzung und Arbeitsweise sich nicht an nationalen und supranationalen Zuständigkeiten orientieren? Wie lassen sich solche transnationalen Forschungsräume effektiv koordinieren? Ökonomisierung: Auch wenn der »kurze Traum immerwährender Prosperität« (Lutz 1984) längst ausgeträumt ist und sich das Wissenschaftssystem schon seit geraumer Zeit an leere Kassen, knappe Ressourcen und eine permanente Überforderung mit Aufgaben gewöhnt hat, ist zu befürchten, dass sich die finanziellen Rahmenbedingungen erheblich verschlechtern werden. Durch den anstehenden Übergang zum »Konsolidierungsstaat« (Streeck 2013) mit seinem obersten Ziel des Schuldenabbaus werden die Gestaltungsspielräume auch der Wissenschaftspolitik enorm verengt. Dabei ist es unerheblich, ob der Zwang zum Sparen durch die Finanzmärkte, politischen Druck von außen oder Selbstbeschränkungen in der Verfassung erzeugt wird. In Deutschland dürften sich spätestens mit dem Inkrafttreten der Schuldenbremse in den Bundesländern die finanziellen Vorzeichen in der Wissenschaftspolitik grundlegend verändern. Unter diesen Bedingungen ist zu befürchten, dass die ohnehin prekäre Autonomie der Wissenschaft erneut thematisiert und in Frage gestellt wird. Gleichzeitig stellt sich jedoch auch die Frage, ob sich die ›Wissensgesellschaft‹ überhaupt eine Stagnation, geschweige denn einen Rückgang ihres primären Produktionsfaktors leisten kann.
Diese Liste von Themen und Forschungsproblemen ist zweifellos stichworthaft, unsystematisch und wohl auch unvollständig, sie sollte aber deutlich machen, dass das Anregungspotenzial des Governance-Konzepts für die Wissenschaftsforschung auch weiterhin beträchtlich sein wird. Zentrale Fragen der neuen Governance der Wissenschaft sind noch unbeantwortet, einige sogar gänzlich unbearbeitet. Deshalb ist es auch für eine Gesamtbilanz der neuen Governance der Wissenschaft zu früh. Erst eine Betrachtung, die all diese und noch weitere Aspekte einbezieht, könnte zu einer Beurteilung der Gesamt-Leistungsfähigkeit der neuen Governance der Wissenschaft vorstoßen. Die bislang übliche Fokussierung auf einzelne Governance-Instrumente vernachlässigt nicht nur die jeweiligen Wechsel- und Nebenwirkungen zwischen ihnen, sondern auch die höchst variablen Kontextbedingungen. Erst wenn diese umfassend berücksichtigt werden, könnte eine detaillierte und differenzierte Bilanz der neuen Governance der Wissenschaft erstellt werden. In diesem Zusammenhang müssten dann aber auch die Bewertungsmaßstäbe thematisiert werden, an denen sich die ›Leistung‹ des Wissenschaftssystems und seiner Governance bemessen lässt. Wie die wissenschaftssoziologischen und wissenschaftspolitischen Debatten in der Vergangenheit gezeigt haben, dürften die Auseinandersetzungen darüber das Feld der wissenschaftlichen Diskussion weit überschreiten – und sicherlich auch den Rahmen der Governance-Forschung.
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Teil 1: Wandel der Governance-Regime von Hochschulen
Zwischen Selbstverwaltungsund Managementmodell Umsetzungsstand und Bewertungen der neuen Steuerungsinstrumente in deutschen Universitäten Jörg Bogumil, Martin Burgi, Rolf G. Heinze, Sascha Gerber, Ilse-Dore Gräf, Linda Jochheim, Maren Schickentanz
1. E INLEITUNG In den Sozialwissenschaften wird seit geraumer Zeit ein Wandel der Staatlichkeit debattiert und mit dem Begriff Governance verbunden (vgl. Genschel/Zangl 2007; Heinze 2009). Im Fokus der Governance-Perspektive steht die Vorstellung, dass neben staatlichen Regelungsmechanismen auch Selbstregelungsmechanismen in der Steuerung und Koordination gesellschaftlicher Subsysteme wirken (vgl. Benz 2004; Mayntz 2004). Hieran angelehnt werden in der Hochschulforschung zwei idealtypische Governance-Regime unterschieden: das Selbstverwaltungsmodell, welches als traditionelles Governance-Regime des deutschen Universitätssystems betrachtet wird, und das Managementmodell, welches nach dem Leitbild des New Public Management (NPM) für ein reformiertes Universitätssystem steht. In diesem Beitrag wird untersucht, ob das deutsche Universitätssystem eher dem Selbstverwaltungs- oder dem Managementmodell entspricht. Außerdem werden anhand von Einschätzungen verschiedener Akteure die Wirkungen der einzelnen Governance-Mechanismen auf die Performanz von Universitäten dargestellt. Dadurch ergeben sich erste Hinweise darauf, ob die aktuelle Steuerungskonfiguration des deutschen Universitätssystems sich dazu eignet, Leistungssteigerungen herbeizuführen und ob die neuen Steuerungsinstrumente tendenziell im Sinne der mit ihnen verbundenen Intentionen wirken. Zurückgegriffen wird auf Ergebnisse des Projektes »Neue Steuerung von Universitäten – Evaluierung von Governance-Reformen des deutschen Universitätssystems« (vgl. hierzu ausführlich Bogumil et al. 2013) 1, 1 | Das Forschungsprojekt »Neue Steuerung von Universitäten – Evaluierung von Governance-Reformen des deutschen Universitätssystems« wurde von einer interdisziplinären
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in dessen Rahmen sowohl eine Analyse der Landeshochschulgesetze (vgl. auch Burgi/Gräf 2010) als auch umfangreiche quantitative und qualitative Befragungen2 vorgenommen wurden. Im Folgenden werden zunächst die Idealtypen des Selbstverwaltungs- und Managementmodells kurz vorgestellt. Anschließend werden der Implementierungsstand und Bewertungen der Wirkungen der neuen Steuerungsinstrumente präsentiert. Abschließend werden mögliche Konsequenzen für die Wissenschaftspolitik diskutiert.
2. D AS G OVERNANCE -R EGIME DES DEUTSCHEN U NIVERSITÄTSSYSTEMS Das NPM ist kein konkretes Reformmodell, welches einen bestimmten klar abgrenzbaren Satz an Instrumenten umfasst, sondern ein Reformleitbild. Abstrakt lässt sich NPM als ein Formwandel der Staatlichkeit begreifen, innerhalb dessen zum einen die staatlichen Regelungsmechanismen und zum anderen auch die Selbstregelungsmechanismen verändert werden sollen. Der Wandel der Staatlichkeit im Universitätssystem durch NPM-orientierte Reformen zielt auf eine Transformation der Governance-Strukturen vom Selbstverwaltungs- zum Managementmodell hin. Diese Governance-Regime setzen sich aus unterschiedlichen staatlichen Regelungsmechanismen und Selbstregelungsmechanismen zusammen. So dominieren im Selbstverwaltungsmodell die beiden GovernanceMechanismen staatliche Regulierung und akademische Selbstorganisation. Das Managementmodell ist hingegen eine Konfiguration aus zielbezogener Außensteuerung durch externe Stakeholder, hierarchisch-administrativer Selbststeuerung und Wettbewerb (vgl. Schimank 2009). Staatliche Regulierung bezeichnet das Ausmaß staatlicher Detailsteuerung durch Hochschul- und Haushaltsrecht. Kennzeichnend sind u.a. vielfältige Genehmigungsvorbehalte und Interventionsmöglichkeiten der Ministerialverwaltung und eine kameralistische Input-Steuerung. Die Beziehung zwischen Staat und Hochschulen ist also hierarchisch. Forschungsgruppe aus Politikwissenschaftlern, Soziologen und Juristen unter der Leitung von Jörg Bogumil, Rolf G. Heinze, Martin Burgi und Manfred Wannöffel an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. 2 | Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde eine bundesweite, standardisierte Umfrage unter Rektoren, Kanzlern, Dekanen, Hochschulratsmitgliedern (jeweils Vollerhebungen) und Professoren (Teilerhebung) durchgeführt. Bei der Erhebung konnten hervorragende Rücklaufquoten erzielt werden. So haben sich 45 % der Rektoren, 63 % der Kanzler, 45 % der Dekane, 34 % der Hochschulratsmitglieder und 39 % der Professoren an der Umfrage beteiligt. Ausführliche Projektergebnisse finden sich bei Bogumil et al. 2013.
Zwischen Selbstver waltungs- und Managementmodell
Dieser staatliche Regelungsmechanismus wird im Selbstverwaltungsmodell mit einem starken Selbstregelungsmechanismus kombiniert, der akademischen Selbstorganisation. Während der Staat vor allem die Haushalts- und Personalangelegenheiten regelt, sind Forschung und Lehre akademische Angelegenheiten und unterliegen der akademischen Selbstverwaltung.3 Im Managementmodell sind dagegen die Mechanismen zielbezogene Außensteuerung durch externe Stakeholder, hierarchisch-administrative Selbststeuerung und Wettbewerb dominant. Der Mechanismus der zielbezogenen Außensteuerung durch externe Stakeholder bezieht sich auf die Außenbeziehungen von Hochschulen zu den Stakeholdern Staat und Gesellschaft. Im Hinblick auf den Staat bedeutet zielbezogene Außensteuerung, dass er nicht, wie im Rahmen der staatlichen Regulierung, über Struktur- und Prozesssteuerung steuert, sondern sogenannte leistungsorientierte Steuerungsinstrumente, wie Zielvereinbarungen oder formelgebundene Mittelvergabe, einsetzt (vgl. Schimank 2000; Ziegele 2008). Bei der zielbezogenen Steuerung durch die Gesellschaft handelt es sich um einen gesellschaftlichen Selbstregelungsmechanismus. Er unterscheidet sich vom Selbstregelungsmechanismus der akademischen Selbstorganisation dadurch, dass nicht exklusiv wissenschaftliche Professionen, sondern andere gesellschaftliche Akteure in die Governance von Hochschulen einbezogen werden. Dies soll vor allem durch Hochschulräte erfolgen. Mitglieder dieses Gremiums müssen auch hochschulexterne Persönlichkeiten sein. Durch diese erhofft man sich eine Öffnung der Hochschulen gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft und die Generierung externen Sachverstands (vgl. Gerber 2009; Burgi/Gräf 2010). Der Selbstregelungsmechanismus hierarchisch-administrative Selbststeuerung bezeichnet im Wesentlichen die Stärkung der monokratischen Leitungsorgane (Rektoren, Kanzler, Dekane) in Hochschulen zuungunsten von Kollegialorganen (Senate, Konzile, Fakultätsräte). Um ihre erweiterten Handlungsspielräume nutzen zu können, benötigen die monokratischen Leitungsorgane aber auch einen administrativen Unterbau, welcher im Hinblick auf die Aufgabe der Steuerung und Koordination professionalisiert ist und über Instrumente verfügt, welche für diese Aufgabe geeignet sind. Insgesamt zielt dieser Mechanismus auf eine Transformation des lose gekoppelten Systems Hochschule mit Dominanz der operati3 | Die Trennung von staatlichen und akademischen Angelegenheiten lässt sich jedoch nur idealiter aufrechterhalten. De facto lassen sich staatliche und akademische Angelegenheiten nicht stringent trennen. Beispielsweise handelt es sich bei der Berufung eines Professors um eine akademische Angelegenheit; diese Angelegenheit ist jedoch zugleich staatliche Angelegenheit, weil die Berufung auch finanzwirksam wird; somit bestehen auch hier zumindest Genehmigungsvorbehalte der Ministerialverwaltung. Diese Verkoppelung von staatlichen und akademischen Angelegenheiten erzeugt für den Staat also auch die Möglichkeit die Hochschulen im Bereich der akademischen Angelegenheiten zu beeinflussen (vgl. Brinckmann 1998; Burgi/Gräf 2010).
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ven Ebene (vgl. Weick 1976) in eine stärker hierarchische Organisation (vgl. Krücken/Meier 2006). Den wichtigsten Bestandteil des Managementmodells bildet der Governance-Mechanismus Wettbewerb. Wettbewerb kann zum einen als gesellschaftlicher Selbstregelungsmechanismus betrachtet werden, stellt aber zum anderen einen staatlichen Regelungsmechanismus dar. Im öffentlichen Sektor kann das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage häufig keinen Wettbewerb erzeugen, deshalb setzt der Staat Instrumente ein, um quasi künstlich Wettbewerb zu erzeugen. Durch derartige Steuerungsinstrumente kann der Staat auch mitbestimmen, anhand welcher Kriterien wissenschaftliche Leistungen bewertet werden (vgl. Bogumil et al. 2008). Dies ist ein entscheidender Unterschied zum Wettbewerb im Rahmen akademischer Selbstorganisation, in dem exklusiv Wissenschaftler Leistungskriterien festlegen. Eine neue Qualität erhält der Wettbewerb im Managementmodell auch, weil es nicht mehr nur um Wettbewerb zwischen einzelnen Wissenschaftlern geht, welcher dem Wissenschaftssystem inhärent ist, sondern um einen Wettbewerb von Hochschulen als Organisationen.4 Die explizierten Governance-Mechanismen sind abstrakte Kategorien. Um diese einer empirischen Erfassung zugänglich zu machen, wurden sie im Rahmen des Projekts so operationalisiert, dass den Mechanismen konkrete neue Steuerungsinstrumente zugewiesen wurden (vgl. ausführlich Bogumil et al. 2013). Dadurch wird es möglich zu analysieren, inwieweit für die einzelnen Governance-Mechanismen ein Bedeutungsgewinn oder -verlust zu verzeichnen ist.5 Die Ergebnisse werden im Folgenden anhand der Governance-Mechanismen dargestellt.
4 | Dies wird zum Beispiel darin deutlich, dass sich politische Programme, wie bspw. die Exzellenzinitiative, direkt an Organisationen und nicht an Einzelwissenschaftler richten. Exzellent ist nicht ein einzelner Wissenschaftler, sondern eine Hochschule als Ganzes. 5 | Wohlgemerkt handelt es sich dabei nur um eine Analyse, die formal anhand der Kompetenzverteilung zwischen verschiedenen Akteuren und der formalen Implementierung neuer Steuerungsinstrumente untersucht, inwieweit ein Wandel vom Selbstverwaltungs- zum Managementmodell zu beobachten ist. Eine vollständige Analyse müsste auch das tatsächliche Verhalten und die informellen Regeln der Akteure im Umgang mit neuen Kompetenzen und neuen Steuerungsinstrumenten einbeziehen (vgl. Meyer/Rowan 1977; Ostrom 2007). Beispielsweise muss ein Rektor, der umfängliche Kompetenzen erhalten hat, diese nicht unbedingt für hierarchische Steuerung und Koordination nutzen, sondern kann Entscheidungen trotzdem im Wesentlichen den formal geschwächten Kollegialorganen überlassen.
Zwischen Selbstver waltungs- und Managementmodell
3. W ANDEL VOM S ELBST VERWALTUNGSMODELL ZUM M ANAGEMENTMODELL? 3.1 Wettbewerb Beim Wettbewerbsmechanismus können Instrumente unterschieden werden, welche im Verhältnis Staat-Hochschulen und hochschulintern eingesetzt werden. Auf der Ebene Staat-Hochschulen wurden wettbewerbsbezogene Steuerungsinstrumente umfangreich implementiert. 91 % der Universitäten geben an, Zielvereinbarungen mit dem Land abgeschlossen zu haben und 89 %, dass sie durch ein Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe Ressourcen erhalten (vgl. Tabelle 1). Wettbewerb hat als staatlicher Regelungsmechanismus im deutschen Universitätssystem also wesentlich an Bedeutung gewonnen. Tabelle 1: Umsetzungsstand neuer Steuerungsinstrumente in deutschen Universitäten Zielvereinbarungen zwischen Staat und Hochschulen Formelgebundene Mittelvergabe zwischen Staat und Hochschulen Hochschulinterne Zielvereinbarungen – zwischen Hochschulleitung und Fakultäten – zwischen Fakultätsleitung und fakultätsinternen Organisationseinheiten Hochschulinterne formelgebundene Mittelvergabe – zwischen Hochschulleitung und Fakultäten – zwischen Fakultätsleitung und fakultätsinternen Organisationseinheiten Studiengebühren6
Quelle: Eigene Erhebungen
Ja 91 %
Nein 9 %
N 55
89 %
11 %
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75 % 26 %
25 % 74 %
80 77
96 % 91 %
4 % 9 %
82 76
60 %
40 %
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6
Die Einschätzungen zu den Performanzwirkungen des Wettbewerbsmechanismus werden im Folgenden für die Ebene Staat-Hochschulen exemplarisch anhand von Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe präsentiert. In Abbildung 1 ist dargestellt, inwieweit die landesseitige formelgebundene Mittelvergabe in verschiedenen Performanzdimensionen Wirkungen entfaltet. Deutlich wird, dass dieser neue staatliche Regelungsmechanismus von den befragten Rektoren 6 | Mittlerweile gibt es nur noch in Bayern und Niedersachsen Studiengebühren, wobei in Bayern diese zum Wintersemester 2013/2014 wegfallen. Auch Niedersachsen plant eine Abschaffung, diese soll jedoch frühestens zum Sommersemester 2014 geschehen. 7 | Die Schaubilder und Tabellen beziehen sich allesamt auf die Umfragen, die in Fußnote 2 dargestellt sind. Welche Akteure befragt wurden, geht aus der jeweiligen Abbildung hervor.
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und Kanzlern weitgehend positiv eingeschätzt wird. Insbesondere im Hinblick auf quantitative Leistungsindikatoren, wie Drittmittel und Absolventenzahlen, sehen Rektoren und Kanzler stärkere Leistungsanreize durch externe Mittelvergabeverfahren. Anders stellt sich die Situation im Hinblick auf qualitätsbezogene Indikatoren dar. So sehen nur 31 % der Rektoren und 34 % der Kanzler Anreize zu einer Qualitätssteigerung in der Lehre. Ebenso sehen die Befragten eher eine Verschlechterung der staatlichen Steuerungsmöglichkeiten. Abbildung 1: Wirkung der landesseitigen formelgebundenen Mittelvergabe
Quelle: Eigene Erhebungen
Auch hochschulintern hat der Wettbewerbsmechanismus einen Bedeutungsgewinn erfahren. Wie Tabelle 1 verdeutlicht, werden Zielvereinbarungen und Finanzierungsformeln vor allem auf der Ebene Universitätsleitung-Fakultäten intensiv eingesetzt. Zwischen Dekanat und fakultätsinternen Organisationseinheiten kommen Zielvereinbarungen wesentlich seltener zum Einsatz, die formelgebundene Mittelvergabe wird aber als Steuerungsinstrument genutzt. Bezieht man die Angaben nicht auf die Anzahl der Universitäten, sondern auf die Anzahl der Fakultäten, werden diese Ergebnisse gestützt. Während 67 % der Dekane (n = 251) angeben, ein Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe in ihrer Fakultät einzusetzen, geben nur 12 % der Dekane an, in ihrer Fakultät Zielvereinbarungen abzuschließen. Insgesamt weisen diese Ergebnisse in der Summe trotzdem auf eine hochschulinterne Stärkung des Governance-Mechanismus Wettbewerb hin. In Abbildung 2 sind die Mittelwerte der Einschätzungen von Rektoren, Kanzlern, Dekanen und Professoren zu den Wirkungen der universitätsinternen formelgebundenen Mittelvergabe in verschiedenen Performanzdimensionen abge-
Zwischen Selbstver waltungs- und Managementmodell
bildet. Wie deutlich wird, werden die Effekte im Bereich Forschung und bezogen auf quantitative Indikatoren von den Befragten tendenziell positiv eingeschätzt, während Wirkungen auf die Lehre und bezogen auf qualitätsbezogene Indikatoren tendenziell weniger stark ausgeprägt sind. Deutlich wird auch eine weitgehend gleichförmige Bewertung der Akteure, wobei das Niveau der Zustimmung teilweise beträchtlich differiert. Im Schnitt sehen Dekane und Professoren dieses neue Steuerungsinstrument skeptischer als Rektoren und Kanzler, beurteilen die Anreizfunktion aber dennoch in vielen Dimensionen mehrheitlich positiv. Abbildung 2: Wirkung der formelgebundenen Mittelvergabe zwischen Universitätsleitung und universitätsinternen Organisationseinheiten
Quelle: Eigene Erhebungen
Bei der Beurteilung, ob Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe und Zielvereinbarungen wirklich Leistungsanreize setzen und somit mehr Wettbewerb initiieren, ist auch die Ausgestaltung der Instrumente zu beachten. So müssen in Zielvereinbarungen nicht zwangsläufig Ziele vereinbart werden, welche leistungs-
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bezogen sind, sondern es kann auch die Implementierung von Verfahren geregelt werden. Auch in Finanzierungsformeln können anstelle von leistungsorientierten auch belastungsorientierte Indikatoren eingesetzt werden (vgl. Jaeger et al. 2005). Zumindest für die formelgebundene Mittelvergabe zwischen Universitätsleitung und Fakultäten kann gezeigt werden, dass der Intention nach leistungsorientierte gegenüber belastungsorientierten Kriterien dominieren. So wird in 90 % der Universitäten angegeben, dass Drittmittel ein Kriterium der Mittelvergabe bilden, gefolgt von Indikatoren zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (77 %) und Absolventenzahlen (74 %). Mit einigem Abstand folgen dann belastungsorientierte Indikatoren wie Personal (55 %) und Studierendenzahlen (55 %). Auch auf der Ebene einzelner Professoren wird versucht, Leistungsanreize zu setzen. Zu nennen ist hier die leistungsorientierte Vergütung im Rahmen der W-Besoldung. Mit den Zielen Verbesserung der Effektivität und Qualität von Forschung und Lehre sowie Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen wurde die Bundesbesoldungsordnung W bis zum 1. Januar 2005 bundesweit verpflichtend für alle neu berufenen Professoren eingeführt (vgl. Detmer/Preißler 2006; Koch 2010). Bereits heute wird ca. ein Drittel aller Professoren nach der neuen Ordnung besoldet (Detmer 2011: 183). In der Bewertung ihrer Wirkungen durch die befragten Akteure unterscheidet sich die W-Besoldung8 deutlich von anderen Steuerungsinstrumenten. Ähnlich wie bei den anderen Instrumenten werden die Effekte auf die Lehre geringer als auf die Forschung eingeschätzt. Bemerkenswert sind jedoch deutliche Unterschiede in den Einschätzungen von Dekanen und W-besoldeten Professoren auf der einen und Kanzlern auf der anderen Seite. Sowohl die Dekane als auch die Professoren in der W-Besoldung schätzen die Wirkungen deutlich schlechter ein als die Kanzler. Bei keiner Wirkungsdimension liegt der Mittelwert bei den Dekanen und W-besoldeten Professoren im positiven Bereich. Derartig deutliche Differenzen bezüglich der Einschätzungen der Performanzwirkungen zwischen Akteursgruppen finden sich bei keinem anderen von uns untersuchten Steuerungsinstrument. Dies kann als Indiz dafür betrachtet werden, dass die W-Besoldung zumindest in der breiten Masse der W-besoldeten Professoren keine Anreize zu Leistungsverbesserungen setzt. Insgesamt ist Wettbewerb sowohl als staatlicher Regelungsmechanismus als auch als Selbstregelungsmechanismus gestärkt worden. Dies ist an der bemerkenswert hohen Umsetzung von Zielvereinbarungen und Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe sowohl auf der Ebene Land-Hochschulen als auch auf den unterschiedlichen universitätsinternen Ebenen zu erkennen. Der Formwandel der Staatlichkeit hat also zu einer Zunahme der staatlichen Steuerungs- und Koordinationskapazitäten geführt. Gleichzeitig spricht der hohe Umsetzungs-
8 | Fragen zur Leistungsorientierten Vergütung richteten sich ausschließlich an Professoren, die in der W-Besoldung eingruppiert sind.
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stand von Wettbewerbsinstrumenten innerhalb von Hochschulen dafür, dass auch die Selbstregelungsmöglichkeiten der Hochschulen zugenommen haben. Abbildung 3: Wirkung der W-Besoldung
Quelle: Eigene Erhebungen
3.2 Zielbezogene Außensteuerung Wie im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt wurde, werden von staatlicher Seite umfangreich Instrumente, wie Zielvereinbarungen und Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe, eingesetzt. Im Hinblick auf den externen Stakeholder Staat spricht dies für eine Zunahme der Bedeutung des Mechanismus der zielbezogenen Außensteuerung. Die Gesellschaft soll über die Einführung von Hochschulräten an der Governance der Hochschulen beteiligt werden. In 14 Bundesländern ist rechtlich festgelegt, dass die einzelnen Hochschulen einen Hochschulrat einrichten müssen. Bremen ist das einzige Bundesland, dessen Landeshochschulgesetz keine Implementierung eines Hochschulrats vorsieht. Brandenburg weist die Besonderheit eines Landeshochschulrats auf, der nicht für einzelne Hochschulen, sondern für alle Hochschulen im Bundesland zuständig ist. Wird die formale Einführung eines Hochschulrats als Indiz dafür betrachtet, dass die zielbezogene Außen-
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steuerung durch die Gesellschaft gestärkt wurde, kann eine Stärkung dieses gesellschaftlichen Selbstregelungsmechanismus in nahezu allen Bundesländern festgestellt werden. Eine tiefergehende Analyse darüber, ob dieser Governance-Mechanismus an Bedeutung gewonnen hat, erfordert jedoch eine Betrachtung der Kompetenzen, Zusammensetzung und Arbeitsweisen von Hochschulräten. Während sich das Aufgabenspektrum schwerpunktmäßig auf die Bereiche Strategie und Haushalt fokussiert, lässt sich eine hohe föderale Varianz bei der Ausgestaltung im Einzelnen und der Mitwirkungsintensität des Aufgabenspektrums beobachten. So weisen ein Drittel der Länder dem Hochschulrat hier rein konsultative Tätigkeiten, wie z.B. Beratung und Empfehlung, zu, zwei Drittel der Länder lassen hingegen dem Hochschulrat Aufsichtsfunktionen und Entscheidungsbefugnisse zukommen (vgl. Burgi/Gräf 2010). In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Länder haben die Hochschulräte ebenso in personellen Entscheidungen, wie z.B. bei der Wahl bzw. Abwahl der Hochschulleitung, eine große Einflussmöglichkeit. Die Kompetenzverteilung ist dabei im Detail in den einzelnen Landeshochschulgesetzen sehr unterschiedlich geregelt. Bedeutender ist jedoch, dass die alleinige Existenz von Hochschulräten bereits eine Kompetenzverlagerung im Binnenverhältnis der Hochschule und im Außenverhältnis zum Staat bewirkt. Denn die Kompetenzen, die der Hochschulrat wahrnimmt, sind ganz überwiegend ehemalige Senatskompetenzen bzw. Aufsichtsrechte, die vormals die Ministerien wahrgenommen haben. Mit der Implementierung eines Hochschulrats, dessen Tätigkeiten nicht nur auf eine rein konsultative Funktion beschränkt sind, ist somit in der Regel eine Schwächung des Senats und des Staates verbunden, vorausgesetzt es wurden bspw. dem Ministerium keine neuen Genehmigungsvorbehalte eingeräumt. Somit kann insgesamt davon gesprochen werden, dass vom Aspekt der Kompetenzen betrachtet, der Mechanismus der Außensteuerung durch die Gesellschaft gestärkt wurde. Wenn Hochschulräte dazu dienen sollen, gesellschaftliche Perspektiven in die angebliche ›Elfenbeintürme‹‚ Hochschulen einzubringen, dann müssten sie zu erheblichen Anteilen nicht mit Personen aus dem Wissenschaftssystem, sondern aus anderen gesellschaftlichen Bereichen besetzt werden (vgl. Hüther 2009). Werden die Ergebnisse unserer Befragung zur Verteilung externer Hochschulratsmitglieder auf verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betrachtet, zeigt sich, dass 41 % der Befragten dem Bereich Wissenschaft, 36 % dem Bereich Wirtschaft, 16 % Interessengruppen und 7 % anderen Tätigkeiten angehören. Wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass nur vier Bundesländer einen rein extern besetzten Hochschulrat vorsehen und für alle anderen Bundesländer die Beteiligung von Hochschulinternen optional oder sogar verpflichtend ist, wird deutlich, dass in Hochschulräten zu beträchtlichen Anteilen auch Wissenschaftsvertreter an der Governance von Hochschulen partizipieren. Hinweise auf einen in der Tendenz eingeschränkten Einfluss von Hochschulräten lassen sich auch vor dem Hintergrund ihrer Arbeitsweisen machen. So er-
Zwischen Selbstver waltungs- und Managementmodell
gab unsere Befragung, dass Hochschulräte im Durchschnitt lediglich viermal im Jahr für durchschnittlich vier Stunden tagen. Die zeitlichen Ressourcen, um einen signifikanten Einfluss auf hochschulische Entscheidungen zu nehmen, sind für Hochschulräte somit deutlich eingeschränkt. Ist somit im Hinblick auf die Kompetenzen von Hochschulräten eine Stärkung des externen Stakeholders Gesellschaft zu erkennen, muss vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse zur Zusammensetzung und den Arbeitsweisen von Hochschulräten diese Aussage relativiert werden. Der wissenschaftsexterne Einfluss auf die Governance von Hochschulen hält sich deutlich in Grenzen. Im Rahmen unserer Befragung von Hochschulratsmitgliedern wurden diese nach der Wirkung von Hochschulräten in einigen, in der Diskussion häufig genannten Wirkungsdimensionen gefragt. Aus ihrer Perspektive tragen die Hochschulratsmitglieder zum Gewinn externen Sachverstandes bei, auch eine Verbesserung der Entwicklung von strategischen Zielen der Hochschule sehen sie als relativ deutlich realisiert an. Die Hochschulratsmitglieder schätzen ihren Einfluss auf die interne Entscheidungsfindung in Hochschulen also als bedeutsam ein. Im Hinblick auf die Außenbeziehungen und ihre Kontroll- und Aufsichtsfunktion sind sie jedoch skeptischer. Ein großer Anteil sieht eine effektive Kontrolle der Umsetzung von Entscheidungen als nicht gegeben an. Eine Mehrheit der Hochschulratsmitglieder sieht des Weiteren eher marginale Effekte im Hinblick auf eine Verbesserung der Stellung ihrer Hochschulen im Wettbewerb um Sponsoren und Drittmittel. Abbildung 4: Wirkung von Hochschulräten aus Sicht von Hochschulratsmitgliedern
Quelle: Eigene Erhebungen
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3.3 Staatliche Regulierung Für eine Beurteilung des Mechanismus staatliche Regulierung sind die Kompetenzen der Ministerialverwaltung maßgeblich. Im Hinblick auf finanzielle Kompetenzen ist relevant, ob die Hochschulen immer noch extern durch eine kameralistische Titelwirtschaft gesteuert werden oder ob sie durch Globalbudgets größere Handlungsspielräume erhalten haben. Unserer Befragung zufolge erhalten 89 % der Universitäten ein Globalbudget vom Land und haben sich somit gänzlich oder partiell von der kameralistischen Titelwirtschaft lösen können. Im Hinblick auf die finanziellen Kompetenzen der Ministerialverwaltung kann dies als ein Bedeutungsverlust staatlicher Regulierung gewertet werden. Aber in den meisten Bundesländern wird neben Globalbudgets immer noch ein beträchtlicher Anteil der Finanzmittel für Hochschulen im Rahmen einer kameralistischen Titelwirtschaft bewirtschaftet. Insgesamt ist also eine Aufweichung, aber nicht eine Aufgabe der kameralistischen Titelwirtschaft zu beobachten (vgl. Lanzendorf/Pasternack 2009). Die Betrachtung der sachlichen Kompetenzen verdeutlicht teilweise wesentliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. So kann die Ministerialverwaltung in sechs Bundesländern grundsätzliche und bindende Entscheidungen im Hinblick auf Struktur- und Entwicklungspläne treffen und den Handlungsspielraum der Hochschulen somit beträchtlich einschränken. In anderen Bundesländern sind die Kompetenzen der Ministerialverwaltung im Hinblick auf Struktur- und Entwicklungspläne wesentlich moderater ausgestaltet. Dort wird häufig lediglich die Vorgabe gemacht, dass die Struktur- und Entwicklungspläne mit der Landeshochschulentwicklungsplanung abgestimmt werden sollten (vgl. Hüther 2010). Dass die Ministerialverwaltung immer noch über viele Möglichkeiten verfügt, um die Handlungsspielräume der Hochschulen zu beschränken, wird im Hinblick auf die Verabschiedung und Änderung der Grundordnung und Personalentscheidungen, wie die (Ab-)Wahl der Hochschulleitung, aber auch bei der Berufung von Professoren deutlich. Trotz der überwiegenden Übertragung des Berufungsrechts auf die Hochschulen behalten die Ministerien häufig ein Vetorecht. Bei Organisationsentscheidungen lässt sich hingegen ein allmählicher Rückzug des Staates erkennen. So unterliegen die Einrichtung, Veränderung oder Schließung von Fakultäten, Betriebseinheiten oder sonstigen Organisationseinheiten nur noch in drei Bundesländern Genehmigungsvorbehalten. In den anderen Bundesländern variiert die staatliche Einflussnahme von einer mittelbaren Steuerungsmöglichkeit über Zielvereinbarungen bis hin zu bloßen Anzeigeerfordernissen. Bei der Einrichtung, Veränderung oder Schließung von Studiengängen ist die Einflussnahme der Ministerialverwaltung etwas deutlicher. In knapp der Hälfte der Bundesländer verfügen die jeweiligen Ministerien noch immer über Genehmigungsvorbehalte.
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Trotz der Abschaffung von einigen Genehmigungsvorbehalten und der Übertragung von einigen Kompetenzen auf die Hochschulen kann eine tiefgehende Schwächung des Mechanismus der staatlichen Regulierung nicht beobachtet werden. Insgesamt verfügt die Ministerialverwaltung in vielen Bundesländern noch über ein hohes Maß an formalen Kompetenzen. Die Bedeutung des Regelungsmechanismus staatliche Regulierung ist also nach wie vor groß.
3.4 Akademische Selbstorganisation und hierarchisch-administrative Selbststeuerung Die Mechanismen der akademischen Selbstorganisation und hierarchisch-administrativen Selbststeuerung werden im Folgenden in der Zusammenschau betrachtet. Dies ist sinnvoll, weil eine mögliche hochschulinterne Hierarchisierung nur dann angemessen analysiert werden kann, wenn untersucht wird, welche Kompetenzen monokratische Leitungsorgane im Verhältnis zu Kollegialorganen innehaben. Da bislang noch keine systematischen Analysen zu den Kompetenzen von Dekanen und Fakultätsräten vorliegen, erfolgt eine Beschränkung auf die Betrachtung der Kompetenzen von Rektoren und Senaten. Bezüglich der Aushandlung von Zielvereinbarungen mit der Ministerialverwaltung verfügt die Hochschulleitung in den meisten Bundesländern über das Entscheidungsrecht. Im Hinblick auf Zielvereinbarungen mit dem Land ist in der Tendenz also eher eine Stärkung der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung gegenüber der akademischen Selbstorganisation festzustellen. Weniger deutlich stellt sich das Bild im Hinblick auf Struktur- und Entwicklungspläne dar. In elf Bundesländern bestehen bei den Struktur- und Entwicklungsplänen erhebliche Kompetenzen der Hochschulleitung bzw. des Hochschulrats, aber in sechs Bundesländern ist der Senat für die Aufstellung und den Beschluss über die Struktur- und Entwicklungspläne verantwortlich. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass die Handlungsspielräume der Akteure in den Hochschulen durch die Genehmigungsvorbehalte der Ministerialverwaltung bei Struktur- und Entwicklungsplänen eingeschränkt werden. Die Bestimmung über die Einrichtung, Veränderung und Schließung von Fakultäten stellte im Hochschulrahmengesetz innerhalb der Hochschulen eine alleinige Kompetenz des Senats dar. Nunmehr verbleibt diese Kompetenz in weniger als der Hälfte der Bundesländer beim Senat. Mit Ausnahme von Berlin (dort ist der Hochschulrat zuständig) entscheiden die Hochschulleitungen über die Existenz von Fakultäten oder anderen Organisationseinheiten. Allerdings sind die Hochschulleitungen in ihren Entscheidungen nicht vollkommen frei. Sie unterliegen der staatlichen Kontrolle, die sich v.a. in Genehmigungsvorbehalten äußert. Die anderen Organe haben schwächere Mitwirkungsbefugnisse. Es kann also festgehalten werden, dass in einigen Bundesländern die hierarchisch-administrative Selbststeuerung signifikant gestärkt wurde und in anderen Bundesländern nach wie vor der Schwerpunkt auf der akademischen Selbstorganisation
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liegt. Auch bezüglich der Einrichtung, Veränderung oder Schließung von Studiengängen ist die alleinige Zuständigkeit des Senats aufgeweicht worden, indem anderen Akteuren, wie der Hochschulleitung oder dem Hochschulrat, Kompetenzen in diesem Bereich zugestanden wurden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die akademische Selbstorganisation geschwächt und die hierarchisch-administrative Selbststeuerung gestärkt wurde. Der Grund für die Schwächung des Senats ist auch darin zu sehen, dass diese von zwei Seiten aus erfolgt – vom Hochschulrat und von der Hochschulleitung her. Die klassische Satzungszuständigkeit, d.h. vor allem die Kompetenz für die Beschlussfassung über den Erlass und die Änderung der Grundordnung, verbleibt beim Senat. Die hochschulinterne Verteilung von Finanzmitteln wurde im Zuge der NPM-orientierten Hochschulreformen vor allem zur Kompetenz der monokratischen Leitungsorgane, während parallel dazu die Einflussmöglichkeiten der Kollegialorgane verringert wurden. Gleichzeitig hat die Ministerialverwaltung in den meisten Bundesländern keine direkten Möglichkeiten, in die hochschulinterne Mittelverteilung einzugreifen. Die Stärke der Hochschulleitung im Hinblick auf die Mittelverteilung wird daran deutlich, dass sie viele administrative Steuerungsinstrumente, wie Zielvereinbarungen, Finanzierungsformeln oder Globalbudgets, implementiert hat (vgl. Tabelle 1). Die Grundsätze und die Kriterien der Mittelverteilung werden in den meisten Bundesländern von der Hochschulleitung bestimmt. Im Hinblick auf die Mittelverteilung lässt sich somit eindeutig eine Stärkung des Mechanismus der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung beobachten. Ein noch höheres Gewicht erhält dies dadurch, dass parallel dazu der Mechanismus der akademischen Selbstorganisation in diesem Bereich an Bedeutung verloren hat und dadurch, dass die Ministerialverwaltung über keine wesentlichen formalen Kompetenzen zur Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Hochschulleitung verfügt. Freilich ist die Ministerialverwaltung als größter Geldgeber der Hochschulen und im Zuge von Zielvereinbarungen und Verfahren der formelgebundenen Mittelvergabe, wenn auch nicht direkt, dann doch zumindest indirekt, dazu in der Lage, auch die hochschulinternen Finanzverteilungsentscheidungen zu beeinflussen. Für eine Stärkung der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung spricht ebenfalls die forcierte Professionalisierung der Hochschulverwaltung. Als Indiz hierfür kann die Einführung von neuen Verwaltungs- und Serviceeinheiten betrachtet werden. An 95 % der Hochschulen wurden in den letzten zehn Jahren derartige Organisationseinheiten eingerichtet. Aufgrund der föderalen Varianz der Kompetenzverteilung zwischen Hochschulleitung und Kollegialorganen ist eine Aussage zur Entwicklung dieser Governance-Mechanismen schwierig. Es zeichnen sich jedoch Bereiche (wie beispielsweise die Kompetenzen bei der Ausgestaltung der Grundordnung) ab, in denen in den meisten Bundesländern das Selbstverwaltungsmodell konserviert wurde. Hier sind die Handlungsspielräume der Kollegialorgane weitgehend er-
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halten geblieben, werden aber oftmals durch die Kompetenzen der Ministerialverwaltung eingeschränkt. Insbesondere die Kompetenzen der Hochschulleitung im Hinblick auf die Verteilung von Finanzmitteln verdeutlichen eine umfangreiche Stärkung des Mechanismus der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung. Der Senat hat seine Kompetenzen im Hinblick auf finanzielle Fragen weitgehend abgeben müssen und die Ministerialverwaltung hat, zumindest formal gesehen, keine bedeutenden Möglichkeiten, die Handlungsspielräume der Hochschulleitung in diesem Gebiet zu beschränken. In der Zusammenschau kann eine tendenzielle Stärkung der hierarchischadministrativen Selbststeuerung zuungunsten der akademischen Selbstorganisation beobachtet werden. Diese Veränderung der Formalstruktur schlägt sich auch in der Aktivitätsstruktur nieder. So sehen die Rektoren und Kanzler ihre Handlungsmöglichkeiten zur Beeinflussung des Profils der Universität in Forschung und Lehre als erweitert an. Im Hinblick auf die Forschung wird diese Einschätzung auch von den Dekanen und Professoren geteilt. Bezüglich des Profils in der Lehre sind die Einschätzungen hinsichtlich einer Stärkung der Hochschulleitung aber wesentlich moderater ausgeprägt als die Einschätzungen der Universitätsleitungen (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Wirkung des Ausbaus der Kompetenzen der Universitätsleitung
Quelle: Eigene Erhebungen
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3.5 Gesamteinschätzung der Performanzwirkungen Betrachtet man die Wirkungen der NPM-orientierten Reformen aus der Sicht der befragten Akteure insgesamt (Abbildung 6), so spiegelt sich die schon für einzelne Instrumente beobachtete Einschätzung eines positiven Effektes auf die Forschung auch in der Gesamteinschätzung wider. Ebenso ist zu beobachten, dass die Effekte auf die Lehre zwar auch positiv bewertet werden, aber im Vergleich zu den Effekten auf die Forschung deutlich schwächer. Dabei lässt sich eine weitgehende Gleichförmigkeit der Einschätzungen von Rektoren, Kanzlern und Dekanen im Hinblick auf die unterschiedlichen Wirkungsdimensionen erkennen. Zudem lassen sich aber auch teilweise deutliche Niveauunterschiede in den Einschätzungen erkennen, wobei die Rektoren und Kanzler die Wirkungen neuer Steuerungsinstrumente im Durchschnitt positiver bewerten als die Dekane. Abbildung 6: Gesamteinschätzung der Wirkungen des Modernisierungsprozesses
Quelle: Eigene Erhebungen
Bezüglich ihrer eigenen Steuerungsmöglichkeiten sehen Rektoren und Kanzler durchaus positive Wirkungen. Die Dekane sehen im Durchschnitt zwar auch eine Verbesserung ihrer Steuerungsmöglichkeiten, jedoch stellt sich deren Einschätzung deutlich moderater dar als die Einschätzungen der zentralen Ebene im
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Hinblick auf die eigenen Steuerungsmöglichkeiten. Ein beträchtlicher Anteil der Dekane sieht keine signifikanten Verbesserungen im Hinblick auf eigene Steuerungsmöglichkeiten. Effekte auf die Effizienz der Leistungserbringung werden von allen befragten Akteuren eher skeptisch beurteilt. Die Mehrheit der befragten Akteure sieht keine Verbesserung der Haushaltslage durch neue Steuerungsinstrumente. Jenseits dieser im Großen und Ganzen positiven Einschätzung der Wirkungen von neuen Steuerungsinstrumenten sind auch die Transaktionskosten der Hochschulreform in Rechnung zu stellen. Eine erste Einschätzung dieser ist auf der Grundlage von den in Abbildung 7 dargestellten Bewertungen von Rektoren, Kanzlern und Dekanen zu den im Rahmen der Hochschulreformen aufgetretenen Konflikten und dem Verwaltungsaufwand möglich. Das Ausmaß an Konflikten zwischen den verschiedenen abgefragten Ebenen und Akteuren ist nach Einschätzung der Befragten tendenziell gering. Allerdings weichen die Mittelwerte bei den einzelnen Items vom Durchschnittswert 2,5 nur geringfügig ab; ein bedeutender Anteil der Befragten sieht also durchaus eine Zunahme von Konflikten durch die Hochschulreformen als gegeben an. Am deutlichsten wird dies bei den Konflikten zwischen Universitätsleitung und universitätsinternen Organisationseinheiten; in etwa die Hälfte der Dekane sieht hier abweichend von Rektoren und Kanzlern eine Zunahme von Konflikten (vgl. bereits Abbildung 5). Abbildung 7: Verwaltungsaufwand und Konfliktniveau
Quelle: Eigene Erhebungen
Einen Hinweis auf hohe Transaktionskosten der Reform geben die Einschätzungen der Akteure zu dem mit neuen Steuerungsinstrumenten verbundenen Verwaltungsaufwand. Sowohl in der Universitätsleitung als auch in den Fakultäten
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sehen die Befragten eine Zunahme des Verwaltungsaufwands. Den deutlich positiven Effekten im Hinblick auf die Performanz stehen aus Sicht der Akteure also relativ hohe Transaktionskosten gegenüber. Auch in den Fallstudien wird von allen befragten Professoren und Dekanen universitätsübergreifend auf den enormen Anstieg an Bürokratie durch Zielvereinbarungen, Berichtswesen oder aufwändige Akkreditierungsverfahren hingewiesen.
4. F A ZIT — H YBRIDE G OVERNANCE -S TRUK TUREN IM DEUTSCHEN U NIVERSITÄTSSYSTEM Betrachtet man die formale Implementierung neuer Steuerungsinstrumente, ist ein Formwandel der Staatlichkeit im deutschen Universitätssystem zu erkennen. Dieser stellt sich aber nicht als Funktionsverlust des Staates dar, sondern ist durch veränderte Steuerungsformen des Staates gekennzeichnet. Auf der einen Seite sind wesentliche Einflussmöglichkeiten erhalten geblieben (Finanzausstattung der Universitäten, weitgehende Konservierung der staatlichen Handlungsspielräume in Form von Genehmigungsvorbehalten in den meisten Bundesländern), auf der andere Seite entstehen durch Zielvereinbarungen und leistungsorientierte Mittelverteilungen des Landes neue Einflussmöglichkeiten, die den Rückzug des direkten ministerialen Eingriffs kompensieren. Eine stärkere Autonomie der Universitäten durch Globalbudgets, Berufungsrechte und organisatorische Eigenständigkeit muss also nicht mit geringeren staatlichen Einflussmöglichkeiten einhergehen. Insgesamt sind zudem sowohl der Mechanismus der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung als auch der Wettbewerbsmechanismus deutlich gestärkt worden. Wettbewerbselemente sind sowohl zwischen als auch innerhalb der Universitäten deutlich ausgebaut worden. Die Gesellschaft als externer Stakeholder hat über die Hochschulräte zwar an Einfluss auf die Universitäten gewonnen, wird aber die Zusammensetzung von Hochschulräten betrachtet, ist der gesellschaftliche Einfluss eindeutig zu relativieren, da hier nach wie vor Vertreter aus dem Wissenschaftsbereich dominieren. Insgesamt scheint die zielbezogene Außensteuerung durch die Hochschulräte eher von untergeordneter Bedeutung zu sein. Innerhalb der Universitäten haben die Rektorate ohne jeden Zweifel zulasten von Senaten und Fakultäten an Macht gewonnen, so dass eine Stärkung der hierarchisch-administrativen Selbststeuerung gegenüber der akademischen Selbstorganisation festzustellen ist. Im deutschen Universitätssystem sind hybride Governance-Strukturen zwischen den Idealtypen des Selbstverwaltungs- und Managementmodells zu konstatieren. Ein nach wie vor starker Staat steht neben einer wesentlich gestärkten Universitätsleitung, einer Stärkung von Wettbewerbselementen und einer Schwächung der akademischen Selbstorganisation. Freilich handelt es sich hier nur um eine Momentaufnahme. Einerseits kann es sich noch um eine Übergangsphase
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vom Selbstverwaltungs- zum Managementmodell handeln, aber die Konservierung des Mechanismus der staatlichen Regulierung spricht eher dagegen. Zum anderen sagt die formale Implementierung dieser neuen Steuerungsformen noch nichts über die gelebte Realität in den Universitäten aus. Aus der Modernisierungsforschung ist bekannt, dass es vielfältige Möglichkeiten einer Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur oder anders formuliert von ›rules-in-form‹ und ›rules-in-use‹ gibt (vgl. Meyer/Rowan 1977; Ostrom 2007). Formale Strukturen und Prozesse müssen sich nicht in der Veränderung von tatsächlichem Verhalten niederschlagen. Zudem existieren immer auch informelle Regeln, welche von den formalen Regeln abweichen. Wesentliche Faktoren, welche Verhaltensänderungen in Universitäten verhindern können, sind in der Zielambiguität von Universitäten zu sehen, welche durch die Reformen nicht verringert wurde. Wenn Akteure in Universitäten ihre Ressourcen durch NPM-orientierte Reformen gefährdet sehen, kann dies deren mikropolitisches Widerstandspotenzial aktivieren. Da rein hierarchische Steuerung nur idealtypisch funktioniert, sind empirisch auch Fälle zu beobachten, in denen neue Steuerungsinstrumente trotz formaler Implementierung de facto keine Veränderungen bewirken und die Muster der akademischen Selbstorganisation unverändert informell weiter bestehen oder informell neben den Regelungsmechanismen des Managementmodells koexistieren. Unsere beiden Fallstudien liefern gute Beispiele sowohl für unterschiedliche Implementationsstadien als auch für die unterschiedliche Nutzung bereits implementierter Steuerungsinstrumente (vgl. Bogumil et al. 2013). Diese Unterschiede sind zum einen auf exogene Erklärungsfaktoren, wie die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen, zurückzuführen, aber auch endogene Faktoren, wie z.B. die inneruniversitäre Akteurskonstellation, spielen eine bedeutende Rolle. Der Implementationsstil nimmt erheblichen Einfluss auf die Wirkung der neuen Steuerung. Dabei können die Steuerungsinstrumente vor allem dann ihre Wirkung entfalten, wenn die Implementation partizipative Elemente enthält. Bezüglich der Effekte des Formwandels der Staatlichkeit auf die Performanz von Universitäten können in der Summe positive Effekte (aufgrund der Einschätzung verschiedener Akteure) beobachtet werden. Sowohl die Gesamtbewertung der Reform als auch die Ergebnisse zu den Wirkungen von einzelnen Verfahren legen nahe, dass vor allem im Bereich der Forschung Leistungsanreize verstärkt und Leistungssteigerungen realisiert wurden. Die Einschätzungen zu den Wirkungen auf die Lehre deuten ebenfalls auf eine Verstärkung von Leistungsanreizen und Leistungsverbesserungen hin. Jedoch ist der Effekt den Einschätzungen der Befragten folgend in der Lehre deutlich geringer als in der Forschung. Die Einschätzungen zu einzelnen Instrumenten, wie der formelgebundenen Mittelvergabe, sind dabei als durchaus repräsentativ für die Einschätzung der Wirkungen von hier nicht dargestellten Instrumenten, wie Zielvereinbarungen, zu betrachten. Das einzige Instrument, welches keine positiven Wirkungen auf die
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Leistungen in Forschung und Lehre hat, scheint die W-Besoldung zu sein. Zumindest sieht die breite Masse der W-besoldeten Professoren und Dekane keine zusätzlichen Leistungsanreize durch die W-Besoldung. Den tendenziell positiven Effekten auf Leistungen in Forschung und Lehre stehen aber nicht zu vernachlässigende Transaktionskosten gegenüber. Diese fallen vor allem in Form eines Anstiegs des Verwaltungsaufwandes an. Zudem zeigen die Ergebnisse der beiden Fallstudien, dass die befragten Professoren – unabhängig von der generellen Einstellung zum Modernisierungsprozess und vom eigenen Universitätskontext – zwar eine Zunahme des Wettbewerbs, insbesondere um Drittmittel, konstatieren, aber auch ›beklagen‹. Dabei wird sowohl auf die zunehmende Komplexität des Antragswesens beim Drittmittelwettbewerb als auch auf die hohen Kosten und Frustrationen durch abgelehnte Anträge hingewiesen. Zudem wird kritisch nachgefragt, ob es sinnvoll sein kann, wenn die ›besten Köpfe‹ zunehmend weniger forschen, sondern Anträge schreiben oder Forschungsmittel verwalten. Hier deuten sich Problemlagen eines möglicherweise überzogenen Wettbewerbsstrebens an, ein Wettbewerb, bei dem man zudem nur begrenzt gewinnen kann, da viele parallel, wenn auch nicht gleichmäßig, ihren Drittmittelanteil steigern.
5. K ONSEQUENZEN FÜR DIE W ISSENSCHAF TSPOLITIK Auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Untersuchung werden im Folgenden mögliche Konsequenzen für die Wissenschaftspolitik kurz angerissen. Eines unserer zentralen Ergebnisse ist, dass die neuen Steuerungsinstrumente in der Wahrnehmung der befragten Akteure größtenteils im Sinne ihrer ursprünglichen Intentionen wirken. Insofern sich diese ursprünglichen Intentionen nicht verändern, besteht somit kein Grund für radikale Veränderungen der aktuellen Steuerungsinstrumente oder gar für eine Rückkehr zum alten Steuerungsmodell. Dagegen erscheinen inkrementelle Veränderungen neuer Steuerungsinstrumente im Sinne von Nachsteuerungen an verschiedensten Stellen als sinnvoll (z.B. W-Besoldung, Kompetenzen von Hochschulleitungen, Hochschulräten und Senaten, Ausgestaltung von Zielvereinbarungen). Vor allem verursachen die neuen Steuerungsinstrumente einen enormen Verwaltungsaufwand. Der Modernisierungsprozess bewirkt eine Zunahme von Bürokratie in Form von (überzogenem) Controlling und Qualitätssicherung sowie Berichtspflichten zwischen den verschiedenen Ebenen des Universitätssystems (Land, Universitäten, Fakultäten, Professoren). Dieser neue Aufwand führt auch zu neuen Mitarbeiterstellen vor allem in der Hochschulverwaltung. Vor diesem Hintergrund sollte überlegt werden, wie der Verwaltungsaufwand u.a. durch eine Verringerung von Berichtspflichten reduziert werden kann. Controllingsysteme müssen schlanker werden, indem man sich auf Wichtiges und Steuerungsrelevantes konzentriert. Je knapper Zielvereinbarungen formuliert sind, desto eher
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lassen sie sich auch kontrollieren und desto weniger unnötige Berichte werden produziert. In diesem Bereich gibt es den größten Handlungsbedarf. Des Weiteren zeigt sich, dass die neuen Steuerungsinstrumente tendenziell eher in der Forschung als in der Lehre ihre Wirkungen entfalten. Damit korrespondiert, dass neue Steuerungsinstrumente eher auf die Quantität als auf die Qualität von Leistungen eine Wirkung haben. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Quantität von Leistungen wesentlich besser als deren Qualität messbar ist. Vor allem wird dies in der Lehre deutlich. Während es für die Leistungen in der Forschung durchaus Maßzahlen gibt, welche die Qualität von Leistungen erfassen sollen, z.B. Publikationsindizes oder nach Gebern differenzierte Drittmittel, gibt es bislang so gut wie keine Maßzahlen für die Qualität von Leistungen in der Lehre. Soll in Zukunft auch versucht werden, wettbewerbsbezogene Anreize für Qualitätsverbesserungen in der Lehre zu schaffen, müssen Indikatoren für die Qualität in der Lehre entwickelt werden. Insgesamt zeigt sich, dass externer Druck durch die Landesregierungen Anstoß zur Durchführung von Reformen ist. Allerdings reicht externer Druck allein nicht aus. Dort, wo innerer Handlungsdruck und die Bereitschaft zur Veränderung in stärkerem Ausmaß vorhanden sind, verstärken sich die Reformbemühungen. Die Umsetzung der Reformen ist stark akteursabhängig. Dort, wo intern kein Reformdruck besteht oder nur langsam aufgebaut werden kann, sind Widerstand und Reformskepsis gegen die Neuregelungen wahrscheinlich. Zudem scheint die Finanzsituation der Universitäten wichtiger als die rechtlichen Rahmenbedingungen durch Landeshochschulgesetze zu sein. Wenn es durch die Einführung und konsequente Durchführung von leistungsorientierter Mittelvergabe und Zielvereinbarungen zu einem Anstieg der Ressourcen kommt, also Reformgewinne erzielt werden können, wird Autonomie und Wettbewerb positiver beurteilt, so dass Reformen eher realisiert werden können. Stellt sich jedoch heraus, dass sich mehr ›Leistung‹ nicht lohnt, kann der Reformwille schnell erlahmen. Allerdings gibt es, wie oben erwähnt, auch Grenzen einer Anreizsteuerung durch mehr Wettbewerb im Wissenschaftssystem.
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Reaktionen auf Evaluationen Die Anwendung neuer Steuerungsinstrumente und ihre Grenzen Jochen Gläser, Thimo von Stuckrad
1. W IRKUNGSBEDINGUNGEN NEUER S TEUERUNGSINSTRUMENTE Die deutschen Universitäten sind heute mehr Evaluationen ihrer Forschung ausgesetzt, als man zunächst annehmen würde. Evaluationen werden von einer Vielzahl von Instanzen und mit ganz unterschiedlichen Zielen durchgeführt. Einige Rankings werden z.B. von Zeitungen angeboten und sollen vor allem die Auflage steigern. Andere Evaluationen informieren über staatliche Mittelzuweisungen an die Universitäten, und wieder andere, bspw. durch den Wissenschaftsrat durchgeführte ad-hoc-Evaluationen, werden mit dem Ziel durchgeführt, Informationen zur Verbesserung der Forschung bereitzustellen. Die Zunahme von Evaluationen erklärt sich aus ihrer Rolle als wichtiges neues Steuerungsinstrument im Kontext des New Public Management. Evaluationen sollen dazu beitragen, dass die Detailsteuerung der Hochschulen durch eine Überwachung ihrer Leistungen ersetzt werden kann, und den Wettbewerb zwischen Hochschulen anregen (vgl. Whitley und Gläser 2007). Gleichviel mit welcher Intention im Rahmen von Evaluationen Aussagen über die Forschungsleistung von Universitäten getroffen werden, stellt sich die Frage, ob und inwieweit in Universitäten auf solche Signale reagiert wird und reagiert werden kann. Diese Frage berührt die Autonomie und Handlungsfähigkeit der Forschungsgovernance von Universitäten, deren Ausweitung seit Beginn der 80er Jahre in vielen Ländern Europas das erklärte Ziel von Hochschulreformen ist. Die mehr als dreißigjährige Geschichte der Hochschulreformen unter dem Paradigma des ›New Public Management‹ zeigt allerdings, dass die beabsichtigten Veränderungen nur teilweise erreicht werden. In der Hochschulforschung werden gegenwärtig drei Gründe für diese Unvollständigkeit von Reformprozessen diskutiert. Erstens seien manche hochschulpolitischen Reformbestrebungen inkonsequent, weil der Staat letztlich die Universitäten doch nicht in die Unabhängigkeit entlassen will oder dies aufgrund seiner Verpflichtung dem Steuerzahler gegenüber gar nicht kann. Zweitens werden Widerstände gegen Reformprozesse in den Universitäten
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diskutiert, in denen sich gerade aufgrund ihrer traditionellen Verfasstheit Reformen schwer durchsetzen lassen. Drittens richtet sich die Aufmerksamkeit auf Eigenschaften von Forschung und Lehre, die deren Steuerbarkeit ganz grundsätzlich beschränken. 1 Die Beobachtung unvollendeter Reformen und die Suche nach Gründen dafür erinnern ganz stark an die Diskussion der Reformen der 60er und 70er Jahre (vgl. Scharpf 1987). Die von Scharpf identifizierten Grenzen der damaligen institutionellen Reformen werden in unserem Beitrag wieder aufscheinen. Zugleich wird ein neues Thema deutlich: Die Protagonisten der neuen Steuerungsinstrumente müssen diese nicht nur gegen andere, sondern gewissermaßen auch gegen sich selbst durchsetzen. Es ist keinesfalls immer klar, wer die neuen Steuerungsinstrumente will und wer gegen ihre Einführung oder Anwendung ist. Diesen Themen wollen wir in unserem Beitrag für ein zentrales Instrument des New Public Management – Evaluationen universitärer Forschung – nachgehen. Die Handlungsmöglichkeiten der Universitäten lassen sich an der Reaktion auf Evaluationen gut beurteilen, weil viele externe Evaluationen den Zweck haben, Entscheidungen des universitären Forschungsmanagements zu beeinflussen (vgl. Wissenschaftsrat 2008). Wir analysieren die Reaktionen ausgewählter deutscher Universitäten auf Evaluationen ihrer Forschung und identifizieren Handlungsbegrenzungen, die durch das aktuelle Stadium des Reformprozesses in Deutschland selbst erzeugt werden und deshalb langfristig überwunden werden können, und solche, die gar nicht der Kontrolle der Akteure unterliegen, sondern in Eigenschaften des Forschungsprozesses selbst oder in kaum veränderbaren institutionellen Rahmenbedingungen begründet sind.2 1 | Zur Halbherzigkeit staatlicher Reformen am Beispiel der Niederlande siehe Westerheijden et al. (2009). Widerstände gegen Reformprozesse in Universitäten haben Bauer und Henkel (1998), Clark (1998, 2004), Kogan et al. (2006), Anderson (2008) und Moscati (2008) beschrieben. Eigenschaften des Forschungsprozesses, die dessen Steuerbarkeit beschränken, diskutieren Musselin (2007), Whitley (2008) und Gläser (2011). 2 | Die Überwindbarkeit einiger Handlungsbeschränkungen lässt sich aus internationalen Vergleichen ablesen (siehe z.B. Lange/Schimank 2007; Lange/Gläser 2009). An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass wir den Begriff ›Handlungsbegrenzungen‹ rein technisch verwenden und die Vor- und Nachteile einer weitergehenden Autonomie der Universitäten und stärkerer interner hierarchischer Steuerung völlig außer Acht lassen. Ob sich die Qualität von Forschung und Lehre – um nur ein mögliches Bewertungskriterium heranzuziehen – tatsächlich erhöht, wenn die hierarchische Steuerungsfähigkeit der Universitäten maximiert wird, ist umstritten. Eine solche Leistungsstärkung ist bisher in Ländern mit einer größeren Steuerungsfähigkeit der Universitäten nicht überzeugend nachgewiesen worden. Empirische Untersuchungen zur Governance der Forschung weisen z.B. auf eine Homogenisierungstendenz in der Forschung und auf eine Tendenz der Trennung von Forschung und Lehre hin, deren Folgen für die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems bislang nicht abgeschätzt werden können (vgl. Gläser et al. 2008; Meier/Schimank 2009).
Reaktionen auf Evaluationen
Wir wollen mit unserem Beitrag der Diskussion über Hochschulreformen eine Perspektive auf die Rahmenbedingungen für die Implementierung von Instrumenten des New Public Management hinzufügen. Unter Rahmenbedingungen verstehen wir Faktoren, die im Entscheidungsprozess nicht sichtbar oder nicht gestaltbar sind, aber die Folgen von Entscheidungen mit prägen. Wir greifen für unsere Diskussion auf empirische Ergebnisse einer Untersuchung der Reaktionen deutscher Universitäten auf externe Evaluationen ihrer Forschung zurück. Da die von uns beobachteten Handlungsbeschränkungen jedoch allgemeinere Ursachen haben, treten sie nicht nur im Kontext von Evaluationen auf, sondern scheinen generell die Einführung von neuen Steuerungsinstrumenten zu beeinflussen. Unsere Untersuchung bietet damit auch eine komplementäre Perspektive zu den Wahrnehmungen des Umsetzungsstandes der neuen Steuerungsinstrumente, die Bogumil et al. in diesem Band berichten. Wir ergänzen die Beobachtung, dass zahlreiche neue Steuerungsinstrumente eingeführt wurden, durch die Analyse der ›gelebten Realität‹ – der Wirkungsweise und Wirkmächtigkeit – spezifischer Instrumente in ausgewählten Situationen. Es zeigt sich, dass es nicht ausreicht, die Instrumente zu besitzen – man muss sie auch anwenden wollen und können.
2. C HAR AK TERISTISCHE E VALUATIONSSITUATIONEN FÜR DEUTSCHE U NIVERSITÄTEN Ob und wie Universitäten auf diese Evaluationen reagieren, hängt vor allem von der Art der durch die Evaluation bereitgestellten Informationen, den an die Evaluationen geknüpften Erwartungen und den mit ihnen verbundenen Konsequenzen ab. Wir haben in sechs Universitäten mit Angehörigen der Universitätsleitungen, Dekanen, Institutsdirektoren und Professoren gesprochen. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Disziplinen, in denen das Forschungsrating des Wissenschaftsrates durchgeführt wurde (Soziologie, Chemie, Elektro- und Informationstechnik, Anglistik/Amerikanistik). In die Erhebung eingeschlossen wurden alle Evaluationen, die in diesen Disziplinen in den vergangenen Jahren durchgeführt worden sind. Die Breite unserer Ergebnisse ist deshalb deutlich geringer als die der flächendeckenden Befragung, die Bogumil et al. (in diesem Band) durchgeführt haben. Deshalb konnten wir an ausgewählten Stellen in die Tiefe gehen und Beurteilungen der neuen Instrumente mit Rekonstruktionen ihrer Anwendung in konkreten Evaluationssituationen verbinden. Unsere empirische Untersuchung konzentrierte sich auf die Rekonstruktion von Evaluationsprozessen und Reaktionen darauf mittels leitfadengestützter Experteninterviews. 3 3 | Wir verzichten hier auf eine weitergehende Beschreibung der Untersuchungsmethodik, die wir anderenorts publiziert haben (vgl. von Stuckrad/Gläser 2012).
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Wir haben in unserer Untersuchung drei charakteristische Evaluationssituationen identifizieren können, die jeweils spezifische Reaktionen der Universitäten ausgelöst haben. Die Universität wird evaluiert, und sie reagiert – nicht. In einer überraschend großen Zahl von Fällen reagieren die Universitäten überhaupt nicht auf Evaluationen. Das kann aus zwei Gründen geschehen. Erstens wurden Evaluationen überhaupt nicht wahrgenommen. Im Interview auf das Forschungsrating des Wissenschaftsrates in der Chemie angesprochen, antwortete ein Dekan: »Es gab da eine Evaluation?« Wusste man an den Universitäten von der Existenz internationaler Rankings, war das Abschneiden der eigenen Universität oft nicht bekannt. Diese ›Blindheit‹ der Universitäten bezog sich auf internationale Rankings, bei denen es wegen deren Verwendung öffentlich zugänglicher Daten ja auch keine Erfahrung einer aktiven Teilnahme gibt, aber auch auf die Forschungsratings des Wissenschaftsrates. Diese Evaluationen bildeten häufig keine für die Universitäten relevanten Umweltereignisse und wurden nicht beobachtet. Wir haben hier also den Fall von Evaluationen, die für die Universitäten irrelevant sind, weil sie entweder gar nicht wahrgenommen werden oder weil keiner der wichtigen Akteure innerhalb oder außerhalb der Universität irgendwelche Ziele mit ihnen verbindet. Das heißt nicht, dass nicht z.B. im Falle des Forschungsratings ein gutes oder schlechtes Abschneiden später einmal als Argument in Verhandlungen zwischen Fachbereichen und der Universitätsleitung auftauchen kann. Das Übersehen von Evaluationen oder ihre Wahrnehmung als irrelevant führte jedoch dazu, dass sie keine Handlungen in den Universitäten auslösten. Ein zweiter Grund für das Ausbleiben von Reaktionen war, dass Evaluationen zwar wahrgenommen, aber lediglich als Bestätigung eigenen Wissens und eigenen bisherigen Handelns interpretiert wurden. Das geschah immer dann, wenn Evaluationen positiv ausfielen und durch keinen der Akteure in der Universität als Anlass zum Handeln konstruiert wurden. Das schließt ein, dass auch die Landesregierung an die Evaluationen keine Erwartungen knüpften oder ihre Erwartungen erfüllt wurden. Allen Situationen, in denen Universitäten nicht auf Evaluationen reagierten, war gemeinsam, dass die jeweiligen Landesministerien ihrerseits die Evaluation nicht beobachteten, keine Interessen bezüglich des Abschneidens ihrer Universitäten mit ihnen verbanden oder ihre Erwartungen erfüllt sahen. Zugleich handelte es sich um Evaluationen, die keine Konsequenzen oder – im Falle der LOM – nur schwache finanzielle Konsequenzen für die Universitäten hatten.4 Diese beiden Bedingungen ›übertrumpften‹ alle anderen. 4 | Die finanziellen Konsequenzen der leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) an die Universitäten sind wegen deren geringen Anteils am Haushalt oder zusätzlicher Kappungs-
Reaktionen auf Evaluationen
Die Universität wird evaluiert, und sie bekämpft die Evaluation. Einige Evaluationen lösten bei den Universitäten Delegitimierungsstrategien aus, die darauf gerichtet waren, die Validität der Evaluationsergebnisse in Frage zu stellen. Diese Strategien betrafen vor allem die internationalen und nationalen Rankings (siehe dazu auch Weingart/Maasen 2007). Die internationalen Rankings (Times Higher Education Supplement – THES – und ›Shanghai Ranking‹) spielen für die Landesministerien kaum eine Rolle (Dekan: »Die freuen sich sicher, wenn wir im Shanghai Ranking auftauchen, verlangen das aber nicht von uns.«). Die nationalen Rankings (das CHE-Forschungsranking und das DFGFörderranking) werden dagegen in den Landesministerien wahrgenommen (Prorektor Forschung: »Ich bin mir sicher, dass man darüber wusste. Aber Bezug wurde darauf nie genommen.«). Den Einschätzungen der Interviewten zufolge werden diese Rankings durch die Ministerien beobachtet und aus ihnen gewonnene Informationen mitunter bei Entscheidungen über Investitionen herangezogen. Deshalb gibt es z.B. bei den CHE-Rankings auch die Erwartung seitens der Ministerien, die Universitäten mögen sich daran beteiligen. Daraus entstanden Konflikte, wenn die Wissenschaftler in der Universität die Methodik der CHE Rankings angriffen und die Informationen als inkorrekt zurückwiesen, die Universitätsleitung jedoch die Erwartung des Landesministeriums wahrnahm, die Universität möge sich weiter am CHE Ranking beteiligen. Die Universitätsleitung konnte die weitere Teilnahme durchsetzen, obwohl alle Akteure in der Universität die Evaluationsinformation als inkorrekt wahrnehmen.5 Diese Auseinandersetzung wiederholte sich in einem Fall mit jedem neuen CHE-Ranking und immer gleichem Ergebnis. Delegitimierungsstrategien haben wir dann beobachtet, wenn der Evaluation wegen einer spezifischen Erwartung der Landesministerien in der Universität Relevanz zugeschrieben wurde, die betroffenen Wissenschaftler aber in der Lage waren nachzuweisen, dass die Evaluation akademischen Standards widersprach. Diese Argumentation – und der Verweis auf den mit einer Beteiligung am CHERanking verbunden Aufwand – konnten nicht entkräftet werden, wurden jedoch durch die Wahrnehmung der ministerialen Erwartung kompensiert. Deshalb be-
grenzen meist gering. Generell haben wir beobachtet, dass Universitäten zwar auf das Einrichten der LOM reagiert haben, indem sie ihrerseits interne LOM-Systeme einführten, ihr Abschneiden in der LOM aber nicht Gegenstand von Erwartungen der Landesministerien war und auch keine Reaktionen in den Universitäten auslöste. 5 | Unlängst hat die Deutsche Gesellschaft für Soziologie die Methodik des CHE-Rankings grundsätzlich kritisiert und allen Soziologieinstituten geraten, sich selbst aus dem Ranking zurückzuziehen und dies auch ihren Universitäten nahe zu legen (siehe Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Juni 2012: www.soziologie.de/uploads/media/ Stellungnahme_DGS_zum_CHE-Ranking_Langfassung.pdf).
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teiligten sich die Universitäten an für inkorrekt gehaltenen Evaluationen, reagierten aber nicht darauf. Die Universität wird evaluiert und versucht, ihre Forschung zu verbessern. Widersprechen die aus Evaluationen abgeleiteten Signale stärkeren Erwartungen des Ministeriums, dann lösen sie organisationalen Wandel in den Universitäten aus. Die Erwartungen der Landeshochschulministerien konzentrierten sich auf wenige Evaluationen. Sie waren bezüglich der Exzellenzinitiative am stärksten und wurden häufig in Form geplanter Beteiligungen und Erfolge in die Zielvereinbarungen zwischen Landeshochschulministerien und Universitäten aufgenommen (Prodekan: »In einer Zielvereinbarung mit dem Ministerium stand, dass wir einen Antrag einbringen müssen.«). 6 Auch mit den durch die Ministerien in Auftrag gegebenen Evaluationen (des Wissenschaftsrates und der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen) wurden starke Erwartungen verbunden (Prodekan: »Nach dem Zwischenbericht [des Wissenschaftsrates] gab es schon Reaktionen im Ministerium. Es gab da einen unheilvollen Brief.«). In den meisten von uns untersuchten Fällen musste organisationaler Wandel jeweils gegen die Intentionen der überwiegend an der Erhaltung des Status quo interessierten Professoren durchgesetzt werden.7 Die Professoren verfügen im Normalfall über genügend Einfluss, um Interventionen in ihre Forschung und die sie tragenden Strukturen zu verhindern. Damit unter diesen Bedingungen Veränderungen möglich waren, mussten zwei Dinge geschehen. Erstens musste der Einfluss der Professoren reduziert werden. Das geschah immer dann, wenn externe Gutachter in einem den akzeptierten akademischen Standards entsprechenden Peer Review Forschungsleistungen kritisierten und Änderungen der Forschung empfahlen. Zweitens ging eine solche Einschränkung des Einflusses der Professoren mit einer Ausweitung des Einflusses der Universitätsspitze einher, die durch externe Erwartungen der Landesministerien gespeist wurde.
6 | Wir haben die Exzellenzinitiative in unsere vergleichende Betrachtung von Evaluationen aufgenommen, weil in allen drei Förderlinien Planungen von Universitäten zu zukünftigen Forschungsinhalten und Organisationsstrukturen der Forschung evaluiert werden und die Universitätsleitungen viel stärker in die Vorbereitung und das Zustandekommen der Projekte sowie die Verarbeitung der Ergebnisse einbezogen waren als bei der ›normalen‹ drittmittelgeförderten Verbundforschung. 7 | Wir haben nur in einem Fall eine Situation gefunden, in denen eine externe Evaluation eine ursprünglich in der Minderheit befindliche Gruppe von Professoren gestärkt hat, die Veränderungen durchsetzen wollten. Dass Evaluationen auch benutzt werden können, um bottom-up-Prozesse der Veränderung von Forschungsprofilen zu lancieren, zeigen Meier/Schimank (2010) am Beispiel der Evaluationen der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen.
Reaktionen auf Evaluationen »Diese Forschungszentren sind ja entstanden, weil wir in der Exzellenzinitiative nicht zum Zuge gekommen waren und das Ministerium dann sagte: Hier habt ihr Mittel, jetzt macht etwas, damit ihr beim nächsten Mal etwas hinkriegt.« (Ein Dekan)
Der Einfluss der Professoren auf ihre eigenen Forschungsinhalte reicht aber auch in diesen Sonderfällen häufig aus, um inhaltliche Veränderungen ihrer Forschung zu vermeiden. In einem unserer Fälle reagierte die Universitätsleitung auf das Scheitern aller eingereichten Anträge, indem sie die vorhandenen Forschungsschwerpunkte so umbenannte, dass sich die Namen stärker an von ihr wahrgenommenen externen Erwartungen orientierten. Die die Forschungsschwerpunkte tragenden Wissenschaftler wurden daran nicht beteiligt und reagierten ihrerseits nicht auf die Umbenennung. So entstand auf der Organisationsebene ein Etikettenschwindel in Form einer Anpassung der Benennung von Formalstrukturen ohne korrespondierende Veränderungen in der Forschung. In einem zweiten Fall kam es dagegen auch zu Veränderungen der Forschung. Ausgangspunkt der Reaktion war die starke Erwartung des Landesministeriums, die Universität möge ein in der ersten (erfolglosen) Runde der Exzellenzinitiative nicht beteiligtes Fach in der zweiten Runde berücksichtigen. Diese Erwartung wurde in eine Zielvereinbarung mit der Universität aufgenommen. Die Universität reagierte darauf mit einer Strukturveränderung. Die Universitätsleitung und einige Dekane sahen die ausgebliebene Beteiligung des Faches als Defizit und konzipierten ein intrauniversitäres Forschungszentrum, dessen Formalstruktur von als erfolgreich wahrgenommenen Einrichtungen anderer Universitäten übernommen wurde. Wie im oben beschriebenen Fall wurde auch hier das neue Forschungszentrum zunächst ohne Beteiligung der Wissenschaftler gegründet. Während die Universitätsleitung die Reaktion lediglich mit dem Ziel verband, externe Erwartungen zu erfüllen, wollten die involvierten Dekane jedoch die mit der neuen Struktur verbundenen Chancen für eine Veränderung der Forschung ausnutzen, für die sie zusätzliche Ressourcen bereitstellte. Die Professoren reagierten darauf mit mehreren fachübergreifenden Initiativen und Anträgen zur Förderung im Rahmen des neuen Zentrums. Obwohl die geförderten Vorhaben als wenig stabil und in den personellen Besetzungen stark fluktuierend beschrieben wurden, führte eines der durch das Zentrum geförderten Projekte zum Zeitpunkt der Untersuchung zur erfolgreichen Beantragung einer Forschergruppe. Die Einrichtung des Forschungszentrums stimulierte auf diese Weise eine inhaltliche Veränderung der Forschung, wenn auch über einen längeren Zeitraum sowie mit relativ hoher Unsicherheit über Stärke und Richtung der Veränderung. Ein drittes Fallbeispiel ist die weitgehende Umgestaltung der Forschung einer Fakultät, die als Reaktion auf eine ad-hoc-Evaluation des Wissenschaftsrates erfolgte. In diesem Fall gab es eine Minderheit von Professoren, die die Forschungsleistungen und Profilierung ihrer Fakultät als unzureichend ansahen, sich aber gegen die an der Erhaltung des Status quo interessierte Mehrheit, die auch den Dekan stellte, nicht durchsetzen konnten. Als die Evaluation durch eine Gut-
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achtergruppe des Wissenschaftsrates ähnliche Defizite diagnostizierte und einschneidende Maßnahmen des Landesministeriums befürchtet wurden, bildete die Fakultät eine Strukturkommission, die nun mit Unterstützung des Dekanats und der Universitätsleitung die Empfehlungen der Gutachtergruppe in einen Strukturplan übernahm und diesen umsetzte. Die bislang an der Erhaltung des Status quo interessierten Professoren schlossen sich dem neuen Projekt an oder zogen sich aus der Debatte und dem Umgestaltungsprozess zurück. Ein Vergleich dieser Evaluationssituationen macht es möglich, die Faktoren herauszuarbeiten, von denen abhängt, ob und wie die Universitäten gegenwärtig auf Evaluationen reagieren. Unter den Erwartungen externer Akteure sind nur die Erwartungen der Landeshochschulministerien bezüglich der verschiedenen Evaluationen für die von uns interviewten Universitätsangehörigen relevant. Die Kontrolle der Finanzierung der Universität und die Möglichkeit, über Zielvereinbarungen und andere Kanäle in die Strukturen und Prozesse der Universitäten hineinzuwirken, machen die Landeshochschulministerien nicht nur zum wichtigsten, sondern sogar zum einzig relevanten externen Akteur, gegenüber dem sich die Universitäten legitimieren müssen und dessen Erwartungen sie deshalb erfüllen wollen. »Da gab es natürlich das Interesse des Rektorats, die Daseinsberechtigung der Hochschule zu stärken und dem Ministerium ein Signal zu geben: Wir benutzen euer Geld, um damit etwas in Sachen Bundesexzellenz zu erreichen.« (Ein Prorektor Forschung) »Wenn wir da im Ergebnis nicht liefern, werden wir von unserem Ministerium verhauen.« (Ein Rektor)
Handlungserwartungen der Ministerien stärken den Einfluss der Hochschulleitungen, da diese unter Verweis auf mögliche negative Konsequenzen für die Universität auf Veränderungen bestehen und den Veränderungsprozess führen können. Dieser Gewinn an Einfluss reicht aber nicht aus. Er muss entweder mit einem Veränderungswillen der Professoren oder mit einem Einflussverlust der an der Erhaltung des Status quo interessierten Professoren einhergehen. Letzterer tritt immer dann auf, wenn negative Bewertungen von Forschungsleistungen das Ergebnis einer den akademischen Standards der evaluierten Disziplin entsprechenden Evaluation sind. Das sind in allen Disziplinen Evaluationen, die auf Peer Reviews beruhen. In den Naturwissenschaften und insbesondere in der biomedizinischen Forschung könnten aber auch auf Zitationsanalysen basierende Evaluationen diese Funktion erfüllen.
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3. N EUE I NSTRUMENTE TREFFEN AUF TR ADITIONELLE H ANDLUNGSBEGRENZUNGEN Im vorangegangenen Abschnitt schienen bereits drei für unsere Fragestellung relevante Aspekte auf. Es zeigt sich, dass die Hochschulreformen den Universitätsleitungen in der Tat neue Handlungsmöglichkeiten einräumen. Die Ausnutzung dieser Möglichkeiten orientiert sich aber – ganz wie das frühere Handeln – ausschließlich an den Erwartungen der Landesministerien, die auch starke und präzise Erwartungen an ihre Hochschulen adressieren können. Die Entscheidungsfindung und das Implementieren von Entscheidungsergebnissen in den Universitäten sind noch immer spezifischen Beschränkungen unterworfen. Diese Beschränkungen wollen wir jetzt genauer charakterisieren, indem wir Situationen betrachten, in denen Interessenkonflikte zwischen den in die Entscheidung einbezogenen Akteuren auftraten. Wir beginnen mit Situationen, in denen Universitätsleitungen oder Dekane Leistungsdefizite wahrgenommen haben und darauf zu reagieren versuchten, in denen also das ›Handeln Wollen‹ der Akteure nicht, das ›Handeln Können‹ aber sehr wohl eingeschränkt war. Einige Evaluationen ermöglichen es der Universität, die Institute oder Professoren zu identifizieren, die für ein schlechtes Abschneiden verantwortlich sind. Diese Informationen kommen häufig wenig überraschend, sind aber im Gegensatz zu früherem Erfahrungswissen formalisiert, zumindest halböffentlich, und häufig extern legitimiert. Direkt auf so identifizierte Institute oder Professoren einzuwirken, um eine Verbesserung von Forschungsleistungen zu initiieren, ist nach wie vor unmöglich. »Die [individuellen Ergebnisse im Wissenschaftsrats-Rating] sind im Dekanat bekannt, da sind wir noch am Überlegen, wie wir damit umgehen. Ich weiß, bei anderen Universitäten wird das quasi an die Tür gehängt oder im Internet gepostet, wir machen das hier nicht, wir nehmen das nur zur Kenntnis, wenn es ganz katastrophal wäre, dann würde ich als Prodekan mal mit dem Kollegen sprechen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe noch kein so Gespräch geführt, ich habe jetzt vielleicht mal eins auf der Liste demnächst irgendwann. Mir graut es so ein bisschen davor, ja, weil es ist schon ein Hineinregieren in die Souveränität eines Kollegen, wo ich irgendwie denke, es ist unangenehm. Ja, weil so funktioniert ja eigentlich der Beruf eines Hochschullehrers. Außerdem kann ich ja sowieso nichts anderes machen als einen moralischen Apell zu platzieren. Ich kann ja schlecht sagen: Jetzt forschst Du aber mal besser!« (Ein Dekan)
Auch finanzielle Anreize für eine Leistungsverbesserung bleiben in der Regel wirkungslos, da deren Volumen als zu gering wahrgenommen wird (Professor: »Wissen Sie, das macht bei mir tausend Euro an Sachmitteln pro Jahr aus. Glauben Sie, das hat Motivationsfunktion?«). Eine Ausnahme bilden hier möglicherweise die medizinischen Fakultäten, in denen die durch die LOM vergebenen Summen erheblich sein können und für die Finanzierung von zusätzlichen
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Stellen ausreichen (siehe dazu Krempkow/Landrock in diesem Band). Umverteilungen in diesem Ausmaß beeinflussen die Forschung ganz unmittelbar, da sie den Gewinnern zusätzliche Projekte ermöglichen und die Forschungsmöglichkeiten der Verlierer erheblich beschränken. Es lässt sich aber aus wissenschaftssoziologischer Perspektive auch für diese Umverteilung bezweifeln, dass sie Wissenschaftler zu besserer Forschung motiviert (vgl. Gläser 2012). In den von uns hauptsächlich untersuchten nichtmedizinischen Fakultäten beschränken sich finanzielle Anreize stets auf einen Teil der Sachmittelausstattung, der im Vergleich zu den häufig ohnehin einzuwerbenden Drittmitteln vernachlässigbar klein ist. Eine zweite neue Strategie der Universitätsleitungen wird in dem oben stehenden Zitat angedeutet. Einige Evaluationen ermöglichen es, Informationen über die Forschungsleistungen auf Institute oder Individuen zuzurechnen und öffentlich zu machen. Diese Strategie bringt einen universitätsinternen Reputationsverlust, der aber unseren Interviews zufolge keine Veränderungen auslöst. »Die Universitätsleitung legt bei unseren Klausurtagungen immer Folien mit kopfgenauen Leistungstabellen auf. Die Ergebnisse überraschen niemanden und diejenigen, die gemeint sind, gehen da einfach nicht hin.« (Ein Dekan)
Wenn es so schwierig ist, die existierende Forschung zu verbessern, dann liegt es nahe, stattdessen andere, hoffentlich bessere Forschung in die Universität zu holen. Das ist in der Tat eine verbreitete Strategie, die sich in der Schaffung neuer und der Umgestaltung bestehender Universitätsstrukturen sowie bei der Rekrutierung von Professoren beobachten lässt. »Also primär ist es die Berufungsstrategie und die Beeinflussung der Ausrichtung dieser Leute und der Passfähigkeit in Fakultäten und Umfeld. Das ist das stärkste Steuerungsinstrument überhaupt.« (Ein Prorektor – Forschung)
Die Möglichkeiten für die Leitungen, auf Leistungsdefizite durch Strukturveränderungen zu reagieren, sind unzweifelhaft gewachsen. Die Leitungen können heute unilateral Strukturen einrichten oder verändern. Ob allerdings solche Strukturveränderungen auch die anvisierten Veränderungen der Forschung nach sich ziehen, hängt wieder von den Interessen der Wissenschaftler ab. Veränderungen in der Forschung sind am wahrscheinlichsten, wenn die neuen Strukturen wenigstens zum Teil mit neuem Personal gefüllt werden. Die stärkste Ausweitung des Handlungsspielraums der Universitätsleitung lässt sich bei der Rekrutierung von Professoren beobachten. Nachdem ihnen in vielen Landeshochschulgesetzen das Berufungsrecht übertragen wurde, können die Universitätsleitungen jetzt Einfluss auf die Denomination von Professuren und auf deren Besetzung nehmen. Wir haben solche Einflussnahmen im Kontext der Exzellenzinitiative und als Element von Profilierungsbestrebungen beob-
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achtet. In einer der untersuchten Universitäten ließ die Universitätsleitung keine Ausschreibung passieren, bei der der Bezug der Denomination zum angestrebten Universitätsprofil nicht erkennbar war. »Dieses neue Rektorat hat festgelegt, dass sie bei jeder Neuberufung, die gemacht wird, nicht mehr nur die Stellendefinitionen nehmen, sondern da muss jede Professur irgendwie auch Bezug zum Universitätsprofil haben und wenn nicht, dann geht sie wieder zurück.« (Ein Institutsleiter – Soziologie)
Gleichzeitig wurde aber deutlich, dass die Darstellung der Bezüge zum Forschungsprofil der Universitäten durch Berufungskommissionen manipuliert werden können. »Und es gibt so einige klassische Themengebiete, die abgedeckt werden müssen. Wenn ein Nachfolger gesucht wird, dann kann in dem Ausschreibungstext nicht nur dieses Gebiet stehen, sondern es muss immer explizit an einen dieser Forschungsschwerpunkte angehängt werden, was manchmal mit einem bisschen Strecken, sage ich mal, nur möglich ist. Auf einer Konferenz hat dann mal einer gesagt, was ist das denn für eine komische Ausschreibung.« (Ein Institutsleiter – Chemie)
Die Einflussnahme der Leitungen auf die Besetzung der Professuren ist also geringer, als es die bloße Verteilung formaler Entscheidungsrechte (Berufungsrecht beim Rektorat) nahelegt, und die durch die berufenen Professoren dann durchgeführte Forschung ist der Einflussnahme der Leitungen wiederum völlig entzogen. Damit sind die Beschränkungen für das ›Handeln Können‹ der Universitätsleitungen und Dekane bei der Veränderung der Forschung skizziert. Unsere Untersuchung zeigt auch, dass Evaluationen Ausnahmesituationen schaffen können, in denen diese Handlungsbeschränkungen überwunden werden. Wenn Erwartungen der Landesministerien bezüglich der Forschungsleistungen nicht erfüllt werden, legitimiert das zumindest interne Verhandlungen der Universitätsleitung über Veränderungen. Wann immer die Universitätsleitung aus externen Ereignissen eine Bedrohung der Legitimität oder Ressourcenbasis der Universität konstruieren kann, erhöht das ihren Einfluss und die Legitimität hierarchischen Entscheidens. Wenn die Leitungen zusätzlich auch noch Einfluss aus den wissenschaftlichen Gemeinschaften ›borgen‹ können (was vermittelt über Peer Reviews möglich ist), dann verschieben sich die Machtverhältnisse in den Universitäten zeitweise so, dass Leitungen Veränderungen wie die oben beschriebenen auslösen können. Eine zweite Beschränkung der Forschungsgovernance besteht aber darin, dass die Leitungen und Dekane häufig gar nicht eingreifen wollen. Dieser Steuerungsverzicht lässt sich nicht allein aus der Antizipation der genannten Hindernisse erklären. Wir haben vielmehr beobachtet, dass die Leitungen die Ausnutzung der ihnen gebotenen Handlungsmöglichkeiten als nicht angemessen empfanden.
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Die folgenden beiden Zitate illustrieren die Position eines Dekans, der darauf verzichtet, an seiner Fakultät ein LOM-System einzuführen: »Hochschullehrer sind Individualisten. Wenn Sie Individualismus jetzt noch weiter fördern, das ist dann eher eine soziologische Fragestellung, wenn Sie das noch weiter fördern dadurch, dass Sie jetzt extrem leistungsorientierte Mittelvergaben planen und das auch sehr auffällig und deutlich tun indem Sie sagen: Wir haben hier eine Evaluierung der Lehre, wir haben hier eine Evaluierung der Forschung, wir haben hier eine Evaluierung der Zitierungen, wir haben die Zahl der Promovierten, dann schaffen Sie ein Klima, das sehr problematisch ist. Das ist meine Überzeugung und deswegen mache ich sowas hier nicht, obwohl ich es ja theoretisch durchziehen könnte. […] Das ist natürlich unauffälliger, wenn am Ende zehn Kollegen beschlossen haben, Sie dürfen da rein oder nicht, als wenn der eine Dekan, der vielleicht nur kurze Zeit Primus inter Pares ist, diese unpopulären Entscheidungen fällen muss. Also wenn Sie so etwas anstreben, müssen sie die Personalstrukturen auch so machen, dass sie quasi einen Profi-Dekan haben, dessen Beliebtheit ihm völlig egal sein kann. Mit den augenblicklichen Strukturen, dass der Dekan jemand ist, der immer mal wieder gewählt wird, aber irgendwann auch wieder zurückgeht, will man solche Entscheidungen nicht treffen.«
Der zitierte Dekan betont hier vor allem die interne Norm des ›Nichtangriffspakts‹, die traditionell die wichtigste Ursache für Entscheidungsblockaden an deutschen Universitäten ist. Der Dekan ist noch immer primus inter pares und verhält sich als Mitglied der Fakultät und nicht als deren Leiter. Eine zweite, die Nichteinmischung begründende Norm ist die der Autonomiewahrung in wissenschaftlichen Gemeinschaften. Da die autonome Entscheidung über Forschungsthemen und Herangehensweisen als Erfolgsbedingung für die Forschung gilt, gibt es eine Norm, diese Autonomie nicht anzutasten. Dazu gehört auch eine Norm, Leistungen der Kollegen nicht öffentlich zu bewerten (vgl. Schimank 2004).
4. D IE ›H ÄRTE ‹ VON L IMITIERUNGEN INTR AUNIVERSITÄRER G OVERNANCE Obwohl die neue Gesetzgebung den Universitätsleitungen und Dekanen weitergehende Rechte einräumt, bleiben die Reaktionen auf Forschungsevaluationen hinter dem durch die Reformen möglich Gemachten zurück. Unsere empirischen Beobachtungen des Umgangs von Universitäten mit externen Evaluationen ihrer Forschung verweisen vor allem auf drei Gruppen von Faktoren. Erstens bleibt die eingangs erwähnte fortgesetzte Einflussnahme des Staates, der trotz aller Beteuerungen, die Autonomie der Universitäten steigern zu wollen, der wichtigste handlungsbeeinflussende Faktor für die Universitäten. Zweitens beschränken die gleichfalls in der Einleitung genannten Widerstände in den Universitäten, die die Macht der an der Aufrechterhaltung des Status quo Interessierten verdeutlichen,
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die tatsächliche Nutzung des größeren Einflusses. Und drittens verweist das – aus international vergleichender Perspektive zu diagnostizierende – Anfangsstadium der Reformen in Deutschland darauf, dass einige Handlungsbeschränkung diesem frühen Stadium geschuldet sind und im Zuge fortgesetzter Reformen verschwinden könnten. Gerade die letztgenannte Bedingung wirft eine interessante Frage auf: Welche der Faktoren, die gegenwärtig die Effektivität der intrauniversitären Forschungsgovernance begrenzen, lassen sich durch weitere Reformen ausräumen, und welche sind besonders ›hart‹ und produzieren Grenzen, an die auch Hochschulsysteme mit einer viel längeren Reformgeschichte stoßen? Um diese Frage vergleichend beantworten zu können, wollen wir nun ein ›Ranking‹ von Limitierungen intrauniversitärer Governance anhand ihrer Widerständigkeit gegen Reformen konstruieren (Abbildung 1). Diese Faktoren lassen sich noch einmal daran unterscheiden, ob sie durch den politischen und rechtlichen Kontext erzeugt werden, in dem die Reformen stattfinden, oder ob sie auf Eigenschaften des Objekts der Reformen zurückgeführt werden können. Abbildung 1: Ranking von Limitierungen der universitären Forschungsgovernance anhand ihrer ›Härte‹ (Formbarkeit durch politische Entscheidungen)
1. Intransparenz der Forschungsprozesse für die Forschungsgovernance Auf Rang eins setzen wir eine Handlungsbegrenzung, die wir nicht empirisch beobachtet haben. Sie ist auch von anderen noch nicht beobachtet worden, und
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es liegt vermutlich in ihrer Natur, dass sie nur indirekt aus misslungenen Versuchen einer Gestaltung der Forschung abgeleitet werden kann. Es gibt mittlerweile überzeugende theoretische Argumente dafür, das Fehlen von Wissen über den Zusammenhang von Bedingungen und Ergebnissen der Forschung in die Interpretation der Forschungsgovernance mit einzubeziehen (vgl. grundsätzlich dazu Scharpf 1987: 134-135). Solche Argumente liefern die Charakterisierung der Forschung als ›intransparenter‹ Prozess (vgl. Musselin 2007), die Aussage, dass die Fachgemeinschaften wegen der der Forschung inhärenten Unsicherheiten die ›Kontrollzentren‹ der Forschung bleiben (vgl. Whitley 2008: 35-36) und die Unterscheidung zwischen scientific communities als den eigentlichen das wissenschaftliche Wissen produzierenden Kollektiven und formalen Organisationen als Unterstützungsstrukturen und Schnittstellen (vgl. Gläser/Lange 2007, Gläser 2011). Im Kern laufen diese Argumente darauf hinaus, dass das Wissen darüber, wie man die Produktion spezifischen Wissens veranlassen kann, nur im Forschungsprozess selbst vorliegt und damit nur sehr begrenzt für die Governance der Forschung erschlossen werden kann. 2. Begrenzte hierarchische Durchgriffsmöglichkeiten Die hierarchischen Durchgriffsmöglichkeiten der Leitungen sind nach wie vor gering. ›Einmischungen‹ der Universitätsleitungen in die Angelegenheiten der Fakultäten sowie der Universitäts- und Fakultätsleitungen in die Angelegenheiten der Institute werden durch die geltenden formalen Regelungen nach wie vor stark beschränkt. Eine wichtige Ausnahme davon bilden vielerorts Berufungen, in denen die Universitätsleitungen heute Veto-Positionen einnehmen. Deren Ausübung ist jedoch wiederum an Informationen geknüpft, die Universitätsleitungen selbst nur eingeschränkt selbst erzeugen bzw. kontrollieren können (siehe 1. Intransparenz). Warum erreicht diese Beschränkung Rang zwei, obwohl ihre Überwindung eines der erklärten Ziele des Reformprozesses ist? Es gibt Hinweise darauf, dass die ›hierarchische Selbststeuerung‹ der Universitäten (vgl. Lange/Schimank 2007) in Deutschland aus prinzipiellen rechtlichen Gründen viel weniger ausgeweitet werden kann als in anderen Ländern. Die Hierarchisierung des Forschungsmanagements an deutschen Universitäten wird durch die grundgesetzlich verankerte Forschungsfreiheit (vgl. Artikel 5, Absatz 3 GG) begrenzt. Instruktiv ist hier eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 20.7.2010; 1 BvR 748/06), in der die weitgehende Bündelung von wissenschafts- und forschungsrelevanten Kompetenzen beim Dekanat im Hamburgischen Hochschulgesetz (§§ 90 und 91) für unvereinbar mit der grundrechtlich gesicherten Forschungsfreiheit erklärt wurde. Im Kern stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Universitäten nur solche organisationalen Strukturen und Regelungen ausbilden können, die den Trägern der Wissenschaftsfreiheit, also den Professoren, den Einsatz ihrer fachlichen Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in der Universität absichern (vgl. Bundesverfassungsgericht 2010). Wenn diese
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Rechtslage bestehen bleibt, dann wird ein Grad der Hierarchisierung des universitären Forschungsmanagements, wie er z.B. in den Niederlanden, in Australien oder in einigen britischen Universitäten beobachtet werden kann, in Deutschland nicht erreicht werden. 3. Das ›Festhalten‹ des Staates an der Detailsteuerung Eine dritte Limitierung des Reformprozesses, die nur schwer überwindbar scheint, ist die Abhängigkeit der Universitäten von staatlicher Detailsteuerung. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die deutschen Universitäten trotz gewachsener Autonomie gebannt auf ihre Hochschulministerien schauen und deren Erwartungen größte Bedeutung beimessen. Ob Universitäten Evaluationen als solche ernst nehmen, ob sie ihre Leistungen als problematisch ansehen und was sie diesbezüglich tun, hängt vor allem von den Erwartungen des Ministeriums ab. Auch unter den Bedingungen von Globalhaushalten, Personalhoheit und Autonomie in Strukturfragen: Die nahezu vollständige finanzielle Angewiesenheit der Universität auf ihre Landesregierungen schafft ein starkes Abhängigkeitsverhältnis. Da der Staat dem Steuerzahler gegenüber rechenschaftspflichtig ist und die Wahrung des Budgetrechts des Parlaments eine Kontrolle der öffentlichen Ausgaben notwendig macht, hat der Staat ein Eigeninteresse an fortgesetzter Kontrolle. Deshalb ist schwer zu sehen, wie dieses Abhängigkeitsverhältnis aufgehoben werden könnte. Hinzu kommt, dass die Landesregierungen ein Interesse daran haben müssen, die Hochschulen weiter im Detail zu steuern. Bildung, Wissenschaft und Kultur gehören zu den wenigen in die Hoheit der Länder fallenden Aufgaben und sind damit identitätsstiftend für Länderparlamente und Landesregierungen. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass sich die Länder im Interesse der Autonomiesteigerung der Universitäten aus dieser Domäne zurückziehen. 4. Lehre Unter den von uns identifizierten Handlungsbeschränkungen fehlt bislang eine allen Bemühungen um eine Veränderungen der universitären Forschungsgovernance gemeinsame Rahmenbedingung: die Lehre. Der zweite zentrale Leistungsprozess der Universität, der die Existenz der Universitäten und damit ihrer Forschung überhaupt erst legitimiert (vgl. Schimank 1995), erscheint auf den ersten Blick als eine starke Handlungsbeschränkung, da er Aufmerksamkeit und Ressourcen bindet. Die Erfordernisse der Lehre konkurrieren mit denen der Forschung und haben auch häufig Priorität. Dennoch erreicht die Lehre in unserem Ranking nur Platz vier. Es deutet sich an, dass der Einfluss der universitären Lehre auf die Forschungsgovernance ambivalent ist, weil die Lehre in einigen Fällen sogar als Ressource für die Forschungsgovernance dienen kann und sich ihre limitierenden Wirkungen in anderen Fällen als überwindbar erweisen. Als Ressource dient die Lehre, wenn die Verschränkung von Lehr- und Forschungsaufgaben Einflusskanäle für die Forschungsgovernance eröffnet, die z.B. Deputatsverminderungen einsetzen kann,
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um ›gewünschte‹ Forschung zu stimulieren. Die limitierenden Wirkungen der Lehre erweisen sich als überwindbar, weil Entscheidungen über die Forschung immer häufiger ohne Berücksichtigung der Lehre getroffen werden. Dazu tragen gerade die häufigeren und folgenreicheren Forschungsevaluationen bei. So wurde z.B. in den von uns geführten Interviews auf Spannungen zwischen den Lehraufgaben der Universitäten und der rein forschungsorientierten Besetzung von Lehrstühlen im Kontext der Exzellenzinitiative hingewiesen. Andere Autoren beobachten Tendenzen einer Separation von Forschung und Lehre und einer Umverteilung von Lehraufgaben auf forschungsschwächere Wissenschaftler (vgl. Meier/Schimank 2009). Wie weit sich Tendenzen der Trennung von Forschung und Lehre fortsetzen und wie sie die Universitäten insgesamt verändern werden, lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen. 5. Ressourcenknappheit Die Möglichkeiten der Universität, durch Ressourcen zu steuern, sind stark begrenzt. Es gibt nur wenige ›freie‹ Mittel, die durch die Universitätsleitungen oder Dekane zu Steuerungszwecken nach spezifischen Kriterien vergeben werden können. Selbst wenn durch weitere Reformen die Kontrolle der Ressourcenallokation und der Personalausstattung vollständig den Universitäten übertragen wird, wie das z.B. in Australien der Fall ist, bleibt jedoch das Problem der Unterfinanzierung der Universitäten. Mit Ressourcenallokation steuern kann nur, wer Ressourcen hat. Das australische Beispiel zeigt, dass Knappheit die Signalwirkung auch starker LOM-Systeme wirkungsvoll konterkariert (vgl. Gläser 2008). 6. Entscheidungskulturen Der durch uns beobachtete Steuerungsverzicht der Leitungen wird vor allem durch tradierte Interaktionsmuster und Entscheidungskulturen verursacht. Ungeachtet gewachsener formaler Entscheidungsrechte dominieren oft traditionelle Ansichten darüber, auf welcher Ebene eine Entscheidung gefällt werden sollte (nämlich auf der niedrigstmöglichen). Eine Ursache dafür ist die in den meisten untersuchten Universitäten fortbestehende Rotation im Amt des Dekans, das für zwei Jahre nebenamtlich ausgeübt wird. Diese Rotation mit anschließender Rückkehr in die Fakultät lässt das kollegiale Prinzip der Steuerung de facto fortbestehen. Hinzu kommen fortbestehende Kollegialitätsnormen und tradierte Muster der Entscheidungsfindung. Wir setzen die traditionellen Entscheidungskulturen auf den sechsten Rang, weil sie im Zuge der Reformen in gewissem Maße überwunden werden können, wie die Beispiele anderer Länder zeigen. Allerdings würden raschere Reformen wenig dabei helfen (vgl. auch dazu schon grundsätzlich Scharpf 1987: 144-148). Kultureller Wandel in Universitäten beruht zumindest zum Teil auf Generationswechseln und individuellen Lernprozessen, die sich nicht oder nur unter Inkaufnahme erheblicher Reibungen beschleunigen lassen. Auch sind nicht alle Elemente traditioneller Entscheidungskulturen durch Reformen überwindbar.
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Das ›Nichteinmischungsgebot‹ der Fachgemeinschaften kann zwar durch Professionalisierung von Dekanen und Hochschulleitungen in seiner Wirkung abgeschwächt werden, wird aber das Entscheidungsverhalten aller Leiter beeinflussen, die zuvor als Wissenschaftler sozialisiert wurden.
5. A USBLICK : P ORTFOLIOMANAGEMENT ALS NEUER G LEICHGE WICHTSZUSTAND Trotz eines mehr als eine Dekade andauernden Reformprozesses sind die Handlungsmöglichkeiten der Universitäten in der Gestaltung ihrer Forschung nach wie vor stark beschränkt. Nur wenn starke spezifische Erwartungen – Erwartungen, aus denen eine Bedrohung der Legitimation oder Ressourcenversorgung der Universität bzw. ihrer Untereinheiten konstruiert werden kann – eine Evaluation zu einem für die Reputation und Legitimität der Universität zentralen Ereignis machen und diese Evaluation zugleich den epistemischen Standards der Fachgemeinschaft für Validität entspricht, kommt es zu einer zeitweiligen Verschiebung der internen Einflusskonstellationen zugunsten einer Stimulierung organisationalen Wandels. Unsere Untersuchung gestattet im Kontext internationaler Erfahrungen Schlussfolgerungen über den weiteren Reformpfad und die Form der Forschungsgovernance, die der entstehenden Einflusskonstellation in den Universitäten entspricht. Bezogen auf den Reformpfad stellt sich vor allem die Frage, wie ein Zustand erreicht werden kann, in dem die formale Umverteilung von Entscheidungsrechten zwischen den Akteuren in der Universität zu einer tatsächlichen Umverteilung von Einfluss auf Forschung und darauf basierenden neuen Entscheidungsmustern führt. Hier glauben wir zu sehen, dass die von uns beobachteten ›Ausnahmesituationen‹, in denen die Universitätsleitungen Einfluss von den Ministerien ›borgen‹ und externe Evaluationen nach den akademischen Standards der Professoren deren Einfluss reduzieren, zukünftige stabile Einflusskonstellationen und Entscheidungsmuster vorwegnehmen. Wir erwarten eine Umverteilung von Einfluss durch die Verstetigung der Ausnahmesituationen. Damit werden sich gegenwärtig beobachtbare Handlungsbegrenzungen überwinden lassen, soweit das ihre ›Härte‹ erlaubt. Werden die gegenwärtig an deutschen Universitäten beobachtbaren Handlungsbegrenzungen überwunden – was unter den beschriebenen ›Ausnahmebedingungen‹ geschieht –, dann lässt sich als am weitesten gehende Reaktion der Universitäten auf externe Erwartungen ein ›Management von Forschungsportfolios‹ beobachten, d.h. das Investieren in bestimmte Fachgebiete. Universitäten können ›Portfoliomanagement‹ betreiben, ohne Forschungsprozesse inhaltlich gestalten zu müssen. Sie müssen lediglich Wissenschaftler, die auf dem zu stärkenden Gebiet arbeiten, rekrutieren und mit Ressourcen ausstatten. Selbst dann kann aber nicht als gesichert gelten, dass die ›gewünschte‹ Forschung bzw. die
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antizipierten Qualitätsausweise wie Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen oder Erfolge in der Exzellenzinitiative tatsächlich erbracht werden. Das ›Portfoliomanagement‹ beginnt sich in deutschen Universitäten als Reaktion auf Evaluationen und auf die Erwartung von Profilbildung durch die Landesministerien herauszubilden (siehe auch Schiene/Schimank 2007; Meier/ Schimank 2010). Es ist ein instruktives Beispiel für die Möglichkeiten und (strukturellen) Grenzen der Beeinflussung der Forschung durch die Universitäten. Die Reaktionen der Universitäten auf Evaluationen zeigen nämlich deutlich, was die Universität nicht kann: Sie kann auf ein nachgewiesenes (und intern akzeptiertes) Leistungsdefizit bzw. Leistungsziel nicht damit reagieren, dass sie die Forschung der negativ bewerteten Wissenschaftler verbessert. Die Wahrnehmung, dass man existierende Forschung kaum verbessern kann, löst das Bestreben aus, andere Forschung zu schaffen – in der Hoffnung, dass diese dann besser sein werde. Wegen unzureichender Leistung kritisierte Forschung wird mit anderen Forschungen in einem neuen Profil verbunden, Ressourcen werden auf andere, ›bessere‹ Forscher umverteilt, und es werden ›bessere‹ Forscher rekrutiert. Dieses Ausweichen zeigt vielleicht am deutlichsten, dass der universitären Governance Grenzen gesetzt sind. Die Einflussnahme auf die Forschung muss dort haltmachen, wo die für eine gezielte Einflussnahme erforderlichen Informationen nur im Forschungsprozess selbst verfügbar sind und nicht für Managementscheidungen externalisiert werden können. Wie internationale Erfahrungen belegen, wird das ›Portfoliomanagement‹ – das differentielle Investieren in Forschungsgebiete – zum dominanten internen Modus der Forschungsgovernance. Es lässt allerdings neue Governance-Probleme entstehen. Es beruht auf Informationen über Forschungsinhalte, die die Universitätsleitungen verarbeiten müssen, aber nicht generieren können. Wie beschaffen sie sich das erforderliche Wissen? Wenn sie einfach ›Marktsignalen‹ folgen und andere Akteure kopieren, kann das leicht zum ›Marktversagen‹ führen, z.B. weil alle das Gleiche tun und die Diversität der Forschung reduzieren (siehe die Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz zu den kleinen Fächern, HRK 2007). Auch das Verhältnis zur Lehre, die raschen Wechseln von Portfolios gegebenenfalls nicht folgen kann, wird sich verändern. Schließlich werden Universitäten auch erstmals mit der Aufgabe konfrontiert, bestimmte Forschungen zu eliminieren, bevor die sie tragenden Akteure die Universität verlassen haben. Administrative Lösungen für solche Probleme lassen sich in anderen Ländern sehr gut studieren – die Rückwirkungen auf die Inhalte von Forschung und Lehre sind dagegen nicht bekannt und werden gegenwärtig auch nicht untersucht.
Reaktionen auf Evaluationen
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Wie effektiv ist die Leistungsorientierte Mittelvergabe in der Hochschul medizin? Zwischen bilanz ein Jahrzehnt nach ihrer Einführung 1 René Krempkow, Uta Landrock
Betrachtet man die im Zuge der Umgestaltung der Mittelvergabe eingeführten Wettbewerbselemente an Hochschulen, so nimmt die Leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM) eine zentrale Stellung ein. Über ihre Wirksamkeit ist allerdings bis dato wenig bekannt. Für die Untersuchung von Auswirkungen der LOM eignet sich die Hochschulmedizin in Deutschland in besonderer Weise. Denn seit der Implementierung von LOM-Modellen an den ersten medizinischen Fakultäten ist gut ein Jahrzehnt vergangen. Die LOM ist dort mittlerweile flächendeckend etabliert. Zudem geht es an den medizinischen Fakultäten um höhere finanzielle Beträge als in anderen Fachbereichen. Die resultierenden Beobachtungen bezüglich der LOM – positive wie negative – sind ohne Zweifel auch über die Medizin hinaus von Interesse. Dieser Beitrag zieht eine Zwischenbilanz und untersucht beabsichtigte und nicht-beabsichtigte Auswirkungen der LOM. Darüber hinaus werden Steuerungsimpulse thematisiert, die mit der LOM konkurrieren.2 Wichtige Parameter der statistischen Analysen sind das Drittmittelaufkommen und die Publikationsleistungen medizinischer Fakultäten. Ergebnisse erster Analysen waren Anlass, die Wirksamkeit der LOM in Frage zu stellen, da die Merkmale verschiedener LOM-Modelle nicht mit den beabsichtigten Effekten einhergingen. Bei 1 | Dieser Beitrag basiert auf Vorträgen zur 6. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung im Mai in Wittenberg sowie zur Tagung der Sektion Organisationssoziologie der Deutschen Ge sell schaft für Soziologie im Juni 2011 in Dortmund. Wir möchten den Diskutanten dieser Tagungen für ihre Anregungen und natürlich den Organisatoren für die Möglichkeit zur Präsentation danken. 2 | Damit ordnet sich unsere Studie zumindest teilweise ein in frühere Studien z.B. von Braun (1994), die auch die sozialen Prozesse, institutionellen Besonderheiten und die Interaktion der verschiedenen Akteure mit ihren jeweiligen Eigeninteressen in den Fokus zur Erklärung von Leistungslücken der Universitätsmedizin nahmen.
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René Krempkow, Uta Landrock
einer breiteren Betrachtung der Governance3 insgesamt lassen sich aber durchaus beabsichtigte Effekte finden. Mit unseren Ergebnissen hoffen wir Hinweise dafür zu geben, wie und unter welchen Bedingungen LOM-Modelle die intendierten Ziele erreichen und gleichzeitig nicht-intendierte Effekte vermieden werden können.
1. A NNAHMEN ZU E FFEK TEN DER LOM ALS G OVERNANCE -I NSTRUMENT Die Grundidee des New Public Management (NPM) besagt, dass outputorientierte Steuerung effektiver ist als staatliche Vorgaben. Auch mit der Konzeption von LOM-Modellen befasste Akteure gehen davon aus, dass die stärkere Gewichtung eines Kriteriums in der LOM-Formel sich in der Leistung der Empfänger der LOM-Mittel widerspiegelt. So sollte beispielsweise die stärkere Gewichtung des Faktors ›Drittmittel‹ zu einer höheren Einwerbung von Drittmitteln führen. Die Ausgestaltung der LOM könne, so die Annahme, gerichteten Einfluss nehmen. Dagegen hegen Beobachter z.B. aus der Wissenschaftssoziologie zum Teil grundsätzliche Zweifel, ob eine Steuerung der Wissenschaft auf diese Weise möglich ist (z.B. Gläser/von Stuckrad in diesem Band). Über tatsächliche bzw. empirisch erfassbare Effekte von Steuerungsversuchen mittels LOM ist allerdings bisher national wie auch international (vgl. Butler 2010, WR 2011) wenig bekannt. Auch jüngere empirische Befunde bieten keine eindeutigen Antworten darauf, ob derartige Steuerungsversuche Effekte haben und ob sie dann tatsächlich zu höheren Leistungen führen oder inwieweit nichtintendierte Effekte auftreten. So werden einerseits höhere Drittmittelaufkommen von Einrichtungen als Belege erfolgreicher Steuerung eingeordnet (vgl. z.B. Auspurg et al. 2008, Hilzenbecher 2010). Andererseits werden Matthäus-Effekte (»Wer hat, dem wird gegeben.«) als Beispiele für nicht-intendierte Effekte der Steuerung über Drittmittelindikatoren angeführt (vgl. z.B. Jansen et al. 2007, Zechlin 2008, Münch 2008, Jansen et al. 2009). 4 In welchem Verhältnis Steuerungs- und Matthäus-Effekte zueinander stehen, untersuchen wir am Beispiel der LOM – ihrer Ausgestaltung, Wahrnehmung und Effekte.5 Die nachfolgend vorgestellten Untersuchungen in Bezug auf Drittmittel und Publikationen an medizinischen Fakultäten Deutschlands basieren auf Analysen statistischer Daten 3 | Wir vertreten hier ein relativ breites Verständnis von Governance als Perspektive (zurückgehend u.a. auf Mayntz 2005, ausführlicher zu unserer Sichtweise vgl. Schulz 2010). 4 | Von Görtz et al. (2010) gingen darüber hinaus der Frage nach, welche Effekte eine effektiv umgesetzte LOM auf ergebnisoffene Forschung in den von ihnen untersuchten Forschergruppen der Astrophysik, Nanowissenschaft und Ökonomie hat. 5 | Für die Unterstützung beim Zustandekommen des Beitrages durch ihre Mitarbeit in diesem Projekt möchten wir uns herzlich bedanken bei Jörg Neufeld, Patricia Schulz und Verena Walter (iFQ Berlin).
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
der Landkarte Hochschulmedizin (s. Fraunhofer ISI 2007, 2010) und ergänzenden Internetrecherchen, der amtlichen Hochschulstatistik und einer Befragung der Fakultäten.6
2. E FFEK TE DER LOM AUF DIE D RIT TMIT TELPERFORMANZ Ein Ziel der Analysen ist es zu untersuchen, welche intendierten und nicht-intendierten Auswirkungen die LOM auf das Drittmittelaufkommen7 an medizinischen Fakultäten zeigt. Dabei werden Merkmale der LOM-Modelle (wie Leistungskriterien und deren Gewichtung), der LOM-Implementation (Zeitpunkt der Einführung, Änderungen und Evaluationen) und Strukturmerkmale der Fakultäten, Publikationsintensität und finanzielle Ausgangsbedingungen in die Betrachtung einbezogen (Landeszuführ ungsbeträge und Investitionsbeträge). Darüber hinaus werden Zusammenhänge mit weiteren Struktur merkmalen der Fakultäten wie der Einführung von Forschungsdekanen überprüft. Nachfolgende Abbildung 1 stellt die oben genannten Zusammenhänge schematisch dar. Abbildung 1: Analysemodell zum Drittmittelauf kommen medizinischer Fakultäten
Grafik: Eigene Darstellung (angelehnt an Nickel 2007)
Zentrale Hypothesen haben wir in nachfolgender Übersicht (Abb. 2) dargestellt. 6 | Für die freundliche Bereitstellung der Daten möchten wir uns herzlich bedanken bei Elmar Brähler, Universität Leipzig, für eine Beschreibung der Befragung vgl. Brähler/Strauss (2009). 7 | Dies bezeichnet verausgabte Drittmittel je Professur 2003-2005.
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René Krempkow, Uta Landrock
Abbildung 2: Hypothesen für Zusammenhänge von LOM und Drittmittelauf kommen Modellmerkmale der fakultätsinternen LOM: Eine höhere Gewichtung von LOMKriterien hängt positiv mit späterer Performanz in diesem Bereich zusammen (z.B. Drittmittel). Seit einem längeren Zeitraum eingeführte und damit vermutlich stärker etablierte, geänderte (und damit vermutlich fortentwickelte) sowie auf Evaluationen basierende LOM-Systeme gehen mit höheren Leistungen einher. Wechselwirkung mit anderen Leistungsdimensionen: Eine höhere Publikationsperformanz hängt positiv mit der Drittmittelperformanz zusammen (vice versa). Strukturmerkmale der Fakultät: Längere Amtszeiten der Dekane8 gehen mit einer höheren Performanz der betreffenden Fakultäten einher. Input/Ausgangsbedingungen: Höhere Investitionen und Landeszuführungsbeträge (LZB) an die betreffenden Fakultäten sind förderlich für die Forschungsleistungen und damit auch für die Drittmittelperformanz.
Die Ergebnisse unserer Analysen9 zeigen, dass entgegen den o.g. Erwartungen, die auf Annahmen von Protagonisten der LOM (vgl. z.B. Hilzenbecher 2010) zurück gehen, bei mehreren untersuchten Merkmale der LOM-Modelle kein signifikanter Zusammenhang mit dem aktuellen Drittmittelaufkommen je Professur besteht. Dies betrifft die Gewichtung der Drittmittel im LOM-Modell, den Zeitpunkt der Einführung und die Änderungen der LOM. In signifikantem Zusammenhang mit dem Drittmittelaufkommen stehen allerdings der Grad der Evaluationsbasierung der LOM und die Publikationsaktivität. Darüber hinaus finden sich in mehreren (nicht in allen) statistischen Modellen zwar signifikante, aber weniger starke Zusammenhänge einer längeren Amtszeit von Dekanen mit der Höhe des Drittmittelaufkommens. Und schließlich zeigt sich, dass die finanziellen Ressourcen der Fakultät (hier gemessen am Gesamtbudget) mit dem Drittmittelaufkommen zusammenhängen.10 Nachfolgende Tabelle 1 zeigt den Grad der Korrelationen.11 8
8 | Sie werden als Proxy-Indikatoren für die Etablierung und Wertschätzung dieser Funktion verwendet. 9 | Dies waren in diesem Falle multiple Regressionsanalysen. 10 | Die Ergebnisse unserer Modellrechnungen erwiesen sich insgesamt als stabil, das Modell 4 hat mit einem korrigierten R2 von 0,61 und akzeptablen Toleranzwerten der Kollinearitätsstatistik die höchste Erklärungskraft bei zugleich sparsamsten Variableneinsatz. Es wird daher von uns favorisiert. Zuvor wurden die abhängigen Variablen auf annähernde Normalverteilung geprüft (mittels Kolmogorov-Smirnov-Test bzw. Shapiro-Wilk-Test und Q-Q-Diagrammen), welche bestätigt wird. 11 | Das korrigierte R-Quadrat in der ersten Zeile der Tabelle steht als Maß für die Erklärungskraft der Modelle. Die standardisierten Beta-Koeffizienten in den nachfolgenden
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
Tabelle 1: Standardisierte Beta-Koeffizienten für Regressionsmodelle mit der abhängigen Variable verausgabte Drittmittel je besetzter Professur 2003-2005 (in T€): Variablen: Gewicht Drittmittel in LOM Forschung (in %) Einführungszeit (vor 2000=1, nach 2000=0)12 Änderungen der LOM ab 2004 (Ja=1, Nein=0) Basieren die Mittelzuweisungen Ihrer Fakultät auf Evaluationsverfahren? (1=Fo, 0=Fo+Le)13 Publikationen pro Wissenschaftler 2003-05 Amtszeit Dekan (in Jahren) Gesamtbudget 2003-05 (LZB+Investit., in €)
Modell 1 (Korr. R2 =.57***)
Modell 2 (Korr. R2 =.59***)
Model 3 (Korr. R2 =.61***)
Modell 4 (Korr. R2 =.61***)
–.10
–.09
–
–
.12
.13
.13
–
.05
-
–
–
–.50***
-.52***
–.50***
–.48***
.43**
.52***
.44***
.43***
.29
.30**
.26**
.28**
.41**
.44**
.41***
.38***
Daten: Landkarte Hochschulmedizin 2007; Brähler 2009; eigene Recherchen 2010
In weiteren Modellvarianten (hier nicht dargestellt) haben wir überprüft, inwieweit sich die Ergebnisse durch die Einbeziehung weiterer Strukturmerkmale verändern. 14 Außerdem erfolgte eine separate Einbeziehung der Investitionen und des Landeszuführungsbetrages. In allen Modellen bestätigen sich die wesentlichen Zusammenhänge bezüglich der Basierung auf Evaluationsverfahren, der Publikationsaktivität und der Ressourcenausstattung. Lediglich die Amtszeit der 12
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Zeilen sind ein vergleichbares Maß für die Erklärungskraft der einzelnen Variablen. Für alle gilt: Je näher am Wert 1, desto aussagekräftiger die Ergebnisse. Die Bezeichnungen ***/**/* hinter den Zahlen werten bedeuten Signifikanz auf dem 1-/5-/10-Prozent-Alphafehler-Niveau. (Signifikanz-Angaben wären streng genommen bei unserer Vollerhebung nicht notwendig, sind aber üblich.) 12 | Zur Dichotomisierung wurde zwecks ähnlicher Gruppengröße der Median-Split angewandt. 13 | Ursprünglich wurde erwartet, dass eine Evaluationsbasierung positive (vs. keine) Effekte hat. Allerdings gaben alle Fakultäten an, dass ihre Mittelzuweisungen auf Evaluationsverfahren basieren. Der eine Teil basiert auf Evaluationsverfahren für Forschung, der andere Teil für Forschung und Lehre. 14 | Dies betrifft das Vorhandensein von Forschungs dekanen und Kooperations- vs. Integrationsmodell.
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René Krempkow, Uta Landrock
Dekane weist in einigen Modellvarianten geringere und nicht signifikante Effekte auf. 15 Damit zeigen auch die Ergebnisse weiterführender Analysen, dass sich die stärksten Effekte für die Evaluationsbasierung der LOM und die Publikationsaktivitäten finden. Dass größere Publikationsaktivitäten mit höheren Drittmitteln einhergehen, ist ein erwartbares Ergebnis und deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien. Auch für die Evaluationsbasierung der LOM wurden Effekte erwartet. Allerdings finden sie sich hier in zunächst unerwarteter Richtung: Denn spezifische, auf einer Evaluation der Forschung basierende Mittelzuweisungen gehen nicht mit höheren Drittmitteln einher. Vielmehr ist es eine auf umfassenderen Evaluationen der Forschung und Lehre basierende Mittelverteilung. Nach Gesprächen mit Fakultätsleitungen und Geschäftsführungen in medizinischen Fakultäten bieten sich hierzu v.a. zwei mögliche Interpretationen an: Erstens könnte eine größere Anzahl von Einzelevaluationen (je separat für Forschung, Lehre, Nachwuchsförderung usw.) nachteilig gegenüber einem umfassenderen aufeinander abgestimmten Gesamtkonzept von Evaluationen sein, wie es in jüngerer Zeit verstärkt gefordert wird. Dies entspräche auch der teilweise geäußerten Kritik der ›Evaluitis‹ an Hochschulen (vgl. z.B. Frey 2008), die u.a. auf eine (zu) große Anzahl unabgestimmter Einzelmaßnahmen abzielt. Zweitens könnte es auch sein, dass die hier erfasste Variable zu Evaluationsverfahren nicht die ›eigentliche‹ Ursache ist, sondern nur Ausdruck einer dahinter stehenden, abstrakteren Dimension. Möglicherweise könnte diese als Strategiefähigkeit oder noch weiter gefasst als Leistungskultur der Fakultät umschrieben werden: Denn ein umfassenderes aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept an Evaluationen wäre als Teil einer Gesamtstrategie zur Fakultätsentwicklung plausibel. 16 Hier müssen dies zunächst Vermutungen bleiben, die in weiteren, auch qualitativen Analysen zu überprüfen wären. Der positive Effekt einer längeren Amtszeit der Dekane auf das Drittmittelaufkommen entspricht den deutlich angestiegenen durchschnittlichen Amtszeiten bei inzwischen wesentlich häufiger hauptamtlich ausgeübter Tätigkeit als Dekan in der Medizin und lässt auf eine deutlich höhere Attraktivität des Amtes schließen, als dies von anderen Disziplinen an deutschen Universitäten berichtet wird. Zusammen mit den im Zuge der Einführung des NPM ausgeweiteten 15 | Darüber hinaus ließ sich mit weiteren Modellen unter Einbeziehung verausgabter Drittmittel je wiss. Mitarbeiter (in Tausend Euro) sogar eine noch höhere Erklärungskraft erzielen (korr. R2=.79). Hierbei wiesen dieselben drei Variablen wie zuvor die höchsten Beta-Koeffizienten auf (Gesamt budget 2003-2005, Ba sier ung der Mittelzuweisung auf einem Evaluationsverfahren, Publikationen je wiss. Personal). Wir entschieden uns für die Drittmittel je Professur, da meist diese als Indikator in der LOM verwendet werden. 16 | Hierzu passt auch der u.g. Zusammenhang der Dekane-Amtszeiten mit dem Drittmittelauf kommen, denn bei längeren Amtszeiten wird es als leichter angesehen, umfassendere Strategien zu entwickeln und umzusetzen (vgl. z.B. Scholkmann et al. 2008).
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
Entscheidungskompetenzen der Dekane könnte dies zur Strategiefähigkeit der (Leitung der) Fakultät beitragen.17 Dass die Gewichtung der Drittmittel im LOM-Modell ebenso wie die Einführungszeit und die Änderungen der LOM nicht mit dem aktuellen Drittmittelaufkommen zusammenhängen, bedarf weiterer Betrachtungen. Unser Ergebnis könnte zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass einige LOM-Modelle Kappungsgrenzen vorsehen (z.B. in Baden-Württemberg, vgl. Krempkow 2010), oder dass Sonderregelungen für einen Teil der Professuren gelten (z.B. Bestandsschutz aufgrund von noch geltenden Berufungszusagen o.Ä.). Wir gehen allerdings nach unseren bisherigen vertiefenden Analysen ausgewählter LOMModelle davon aus, dass solche Kappungen und Sonderregelungen nicht dazu führen dürften, dass dadurch jeglicher (potenzielle) Umverteilungseffekt aufgehoben wird.18 Internationale Erfahrungen zeigen zudem, dass die LOM selbst bei relativ kleinen verteilten Summen das Potenzial haben kann, mit ihren Indikatoren und deren relativem Gewicht starke Triebkraft für institutionelle Prioritäten zu werden, und zwar über die der LOM immanenten Vergleichstabellen und deren Diskussion (vgl. Harris 2007). Voraussetzung hierfür ist, dass – wie in der Hochschulmedizin üblich – die LOM-Kriterien und Ergebnisse bekannt sind. Um die Ergebnisse in Bezug auf die Gewichtung der Drittmittel, aber auch zum Zeitpunkt der Einführ ung und zu Änderungen der LOM besser verstehen und interpretieren zu können, ist weitere Forschung nötig. Als Zwischenfazit der Drittmittelanalysen lässt sich bislang festhalten, dass die Zusammenhänge zwischen LOM und Drittmittelperformanz offenbar zu komplex sind, als dass z.B. das Drittmittelaufkommen direkt über eine höhere Gewicht ung von Drittmitteln in der LOM steuerbar wäre. Betrachtet man allerdings andere Bereiche der Governance (über die o.g. Merkmale der LOM-Modelle hinaus), so sind sehr wohl intendierte Effekte zu verbuchen. Der Einfluss von Publikationsaktivität, Evaluationsbasierung der LOM und der Amtszeit der Dekane entspricht durchaus den Erwartungen. Mit den Effekten der finanziellen Ausgangsbedingungen sind aber auch Belege für das Vorhandensein von Matthäus-Effekten zu konstatieren, wie sie von einigen Skeptikern der LOM antizi17 | So erwähnt König (2011) unter Verweis auf Arthur Benz, dass die (Fähigkeit für eine) strategische Steuerung zu den Reformzielen fast aller Bundesländer gehöre. Die Voraussetzung dafür sei, dass die Zuständigen in den Leitungsebenen der Hochschulen tatsächlich in der Lage sind, strategische Perspektiven zu entwickeln. 18 | In mehreren Bundesländern werden für die Medizin seit einigen Jahren verhältnismäßig große Summen über die LOM verteilt (ausführlicher dazu vgl. Krempkow 2010). Andere Autoren, die Effekte von ausgewählten Bundesländer-LOM-Modellen untersuchten, gehen für größere verteilte Summen bzw. Verteilungsanteile von größeren Steuerungseffekten aus (vgl. König 2011, sowie darin zitierte weitere Autoren). König weist an dieser Stelle aber auch darauf hin, dass Auswirkungen der LOM auf die konkrete Praxis an den Hochschulen bisher kaum dokumentiert wurden.
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piert wurden. Diese Matthäus-Effekte dominieren jedoch entgegen deren Voraussagen nicht, sondern stehen nur ›in Maßen‹ mit dem Drittmittelaufkommen in Zusammenhang (vgl. Hornbostel/Heise 2006).
3. E FFEK TE DER LOM AUF DIE P UBLIK ATIONSPERFORMANZ In einem weiteren Schritt haben wir über die Drittmittelanalysen hinaus Publikationanalysen durchgeführt. Unser Ziel war es herauszufinden, welche Ausprägungen der LOM-Modelle und Merkmale der medizinischen Fakultäten Effekte auf das Publikationsvolumen haben. Publikationen besitzen eine hohe Relevanz, da sie neben den Drittmitteln als wichtigster Maßstab wissenschaftlicher Leistung dienen und insofern Zielgrößen der Outputsteuerung des NPM sind. Basis der Publikationsanalysen ist das bereits dargestellte Drittmittelmodell, wobei einige inhaltliche Anpassungen vorzunehmen sind. 19 Die unabhängige Variable Gewichtung von Drittmitteln in der LOM wird durch die Variable Gewichtung von Publikationen in der LOM ersetzt. Es ist anzunehmen, dass in den medizinischen Fakultäten davon ausgegangen wird, dass eine höhere Gewichtung der Publikationen zu einer stärkeren Performanz in diesem Bereich führt. Als zusätzliche unabhängige Variable wird die Berücksichtigung des Impactfaktors (IF)20 bei Berufungen aufgenommen. Unsere Hypothese hierzu ist: Wenn bereits bei Berufungen von Professoren deren Impactfaktoren berücksichtigt werden, geht das mit einem höheren Publikationsoutput einher. Denn in den Fakultäten wird davon ausgegangen, dass Personen mit höheren Impactfaktoren tendenziell eine höhere Anzahl an Publikationen verantworten. 19 | So ist zu überprüfen, inwieweit die für die Drittmittelanalysen verwendeten LOM- und Strukturmerkmale sowie Ausgangsbedingungen auch für die Publikationen relevant sein können. Dazu wird das Grundmodell anstelle von Drittmitteln mit der Anzahl an Publikationen als zu erklärender Variable verwendet. In der analogen Anwendung dieses Modells werden als unab hängige Variable die verausgabten Drittmittel je Professur 2003-2005 als weitere Leistungsdimension in das Modell aufgenommen. Wir haben uns zu diesem Vorgehen nicht nur entschieden, weil Korrelationen zwischen Drittmitteln und Publikationen bestehen, sondern auch wegen des spezifischen Doppelaspekts von Drittmitteln: Drittmittel sind als Ergebnis erfolgreicher Forschung nicht nur Output variablen, sondern sie können auch als Inputvariablen betrachtet werden (vgl. Hornbostel/Heise 2006, Jansen et al. 2007). Es ist anzunehmen, dass eingeworbene und verausgabte Drittmittel die Forschungsaktivitäten und damit auch den Publikationsoutput erhöhen. 20 | Der Journal Impact Faktor einer Zeitschrift misst, wie oft Artikel aus dieser von anderen wissenschaftlichen Zeitschriften zitiert werden, er ist damit ein Maß für die Wirkung einer Zeitschrift, »für die Bewertung der Publikationsleistung von Wissenschaftlern sind die Journal Impact Factors allerdings nicht geeignet« (Lewandowski 2006). Dennoch werden diese als solche an 27 (von 36) medizinischen Fakultäten verwendet.
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
Die abhängige Variable in den hier vorgestellten Analysen ist (wie die Zielgröße der Steuerung) die Anzahl der Publikationen mit Peer Review 2006-2008 je Professor (als Drei-Jahres-Mittel). Wir haben uns für diesen Zeitraum entschieden, weil wir – an dieser Stelle – von der Annahme ausgehen, dass Veränderungen des Publikationvolumens nicht nur ein zeitlich nachlaufender Effekt von Steuerungsimpulsen, sondern auch des Drittmittelaufkommens sind. 21 Die nachstehende Tabelle 2 enthält die Ergebnisse unserer Analysen:22 Tabelle 2: Standardisierte Beta-Koeffizienten für Regressionsmodelle mit der abhängigen Variable Publikationen mit Peer Review je Prof. 2006-2008 Variablen: Gewicht Publikationen in LOM Forschung (%) Einführungszeit (vor 2000=1, nach 2000=0) Änderungen der LOM ab 2004 (Ja=1, Nein=0) Impactfaktor Berufung (Ja=1, Nein=0) verausg. Drittmittel 20032005 je besetzte Prof. (in T€) Basieren die Mittelzuweisungen Ihrer Fakultät auf Evaluationsverfahren? (1=Fo, 0=Fo+Le) Amtszeit Dekan (in Jahren) Gesamtbudget 2003-05 (LZB+Investit., in €)
Modell 1 (Korr. R2 =.46**)
Modell 2 (Korr. R2 =.48***)
Modell 3 (Korr. R2 =.49***)
Modell 4 (Korr. R2 =.49***)
–.48**
–.50**
–.51**
–.46**
–.19
–.18
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.31*
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Quellen: Landkarte Hochschulmedizin 2007, 2010; Brähler 2009 und eigene Recherchen
Als statistisch signifikant erweisen sich, geordnet nach der Stärke des Einflusses, das Gewicht der Publikationen in der Forschungs-LOM, Änderungen in der LOM, die Drittmittel je besetzter Professur 2003 bis 2005 und die Berücksichtigung 21 | Unser theoretisches Modell enthält auch die Möglichkeit der Rückkopplung, die in noch ausstehenden Analysen zu den Interdependenzen von Input- und Outputfaktoren ausgeschöpft werden soll. Aus diesem Grund haben wir die Resultate von bereits durchgeführten Analysen zu Drittmitteln 2006-2008 hier nicht verwendet. Die Drittmittelanalysen 2006-2008 zeigten relativ ähnliche Resultate wie die für 2003-2005. 22 | Das Grundmodell zur Erklärung der Anzahl der Publikationen mit Peer Review 2006 bis 2008 je Professor ist hoch signifikant und erklärt mit einem korrigiertem R2 von .49 im Modell 4 fast die Hälfte der Varianz der betrachteten Leistungsdimension.
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des Impactfaktors bei Berufungen. Dabei ergeben sich die folgenden Zusammenhänge: Entgegen den Annahmen geht ein geringeres Gewicht der Publikationen in der Forschungs-LOM mit einer höheren Anzahl von Publikationen je Professor einher. Die Höhe der verausgabten Drittmittel je Professor korreliert, wie in unseren Hypothesen formuliert, positiv mit dem Publikationsvolumen je Professor. Wurden dagegen gravierende Änderungen der Fakultäts-LOM vorgenommen, geht das mit sinkendem Publikationsvolumen einher. Die Berücksichtigung von Impactfaktoren bei Berufungen korreliert positiv mit der Anzahl der Publikationen je Professor. Keinen eigenständigen signifikanten Effekt auf die Publikationszahl hat der Einführungszeitpunkt der LOM. 23 Das Gesamtbudget liefert für das Publikationsvolumen – im Gegensatz zum Drittmittelaufkommen – keinen eigenständigen Erklärungsbeitrag. Zusammenfassend ist also zu den Publikationsanalysen festzustellen, dass sich unsere Hypothesen bezüglich des Drittmittelaufkommens und der Berücksichtigung von Impactfaktoren bei Berufungen bestätigt haben. Auch wenn Impactfaktoren kein Maß für die individuelle Leistungsfähigkeit eines Wissenschaftlers sind, so lassen unsere Modelle doch folgende Annahme zu: In Fakultäten, die IF bei Berufungen berücksichtigen, wird die Publikationsperformanz tendenziell gefördert (auch wenn dieser Effekt nicht in allen Modellen signifikant ist). Das Ergebnis, dass mit Änderungen der LOM-Modelle eine Verringerung der Publikationszahlen einhergeht, könnte ein Hinweis darauf sein, dass stabile LOM-Systeme positivere Effekte auf die Publikationsleistungen haben als häufigeren Veränderungen und Anpassungen unter worfene Systeme. Eine alternative Erklärung wäre, dass Fakultäten mit geringeren Publikationszahlen mehr Anstrengungen unter nehmen – einschließlich höherer Gewichtung von Publikationen sowie Änderungen des LOM-Systems; sie erzielen aber weiterhin weniger Publikationen, die Anstrengungen fruchten also (noch) nicht. Der Befund, dass höhere Gewichtungen in der LOM mit geringeren Publikationszahlen je Professor einhergehen, entspricht nicht unseren Hypothesen und kann ein nicht-intendierter Effekt sein. Im Vergleich mit dem bereits vorgestellten Drittmittelmodell ist festzustellen, dass verschiedene Governance-Merkmale für die beiden Leistungsindikatoren Drittmittel und Publikationen unterschiedliche Effekte entfalten. Während für die Drittmittel v.a. die Publikationsaktivität, die Basierung auf Evaluationsverfahren und das Gesamtbudget Effekte zeigten, ist es für den Publikationsoutput die Gewichtung der Publikationen in der Forschungs-LOM. Ein Effekt des Gesamtbudgets wie auf die Höhe der Drittmittel ist für das Publikationsvolumen nicht festzustellen. Nachweisbar ist hingegen ein Zusammenhang zwischen
23 | Die Einführungszeit ist dennoch zumindest indirekt wirksam, da die Entfernung dieser Variable aus dem Modell die Erklärungskraft des Gesamtmodells geringfügig verringern würde.
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
der Höhe der Drittmittel und der Anzahl der Publikationen: Eine Erhöhung des Einen geht mit einer Erhöhung des Anderen einher. Um die Komplexität dieses Zusammenwirkens besser zu verstehen, haben wir weitere Informationen auch zu hochschulexternen Steuerungs- und Governance-Impulsen ausgewertet und zur Verbesser ung der Erklärungskraft in die zuvor dargestellten Untersuchungen zu Effekten der LOM auf die Drittmittel- und Publikationsperformanz einbezogen. So haben wir die Neue-Bundesländer-Förderung des BMBF von 1991 bis 2008 (vgl. BMBF 2007: 3ff.) und die drei Förderlinien der Exzellenzinitiative des Bundes ausgewertet und in unsere Analysemodelle einbezogen. An den Ergebnissen änderte die Berücksichtigung der oben genannten Aspekte nichts Wesentliches.
4. E RKENNTNISSE AUS B EFR AGUNGSDATEN UND BIBLIOME TRISCHEN A NALYSEN Um eine umfassende, multiperspektivische Betrachtung 24 der Auswirkungen der LOM zu ermöglichen, führten wir über die Analysen des Drittmittel- und des Publikationsaufkommens hinaus auch eine Befragung der Wissenschaftler in der Hochschulmedizin durch. Dafür wurde im Sommer 2011 eine standardisierte Onlinebefragung aller Professoren der Medizinfakultäten Deutschlands durchgeführt, an der sich 644 von ihnen beteiligten.25 Wir fragten hierbei, wie sie die jeweils existierenden LOM-Modelle einschätzen und inwieweit sie ihre Handlungen daran orientieren. Das Ziel war es herauszufinden, unter welchen Bedingungen die LOM handlungsrelevant wird. Wir haben zudem die Arbeitsbedingungen, Motive, Interessen und Publikationsstrategien der Akteure identifiziert, um ggf. Veränderungsdynamiken zu erfassen. Darüber hinaus interessierte uns, inwieweit die mit der LOM-Einführung verbundenen Ziele an den einzelnen Fakultäten aus Sicht ihrer Mitglieder durch die LOM erreicht wurden. Und schließlich untersuchten wir, welche Rolle die Wahrnehmung der Leistungsgerechtigkeit der LOM dabei spielt. Relativ wenige Befragte sind der Meinung, dass die Ziele der LOM vollständig erreicht worden sind. Die größten Effekte, so die Ergebnisse der Befragung, hat die LOM bei der Förderung des Wettbewerbs zwischen Einrichtungen und der Verbesserung der Transparenz der Forschungsleistung erzielt. Zurückhaltender fällt die Einschätzung der Zielerreichung der LOM hinsichtlich der Effizienz- so24 | Dies geschah ergänzend zur bereits in den Experteninterviews und Dokumentenanalysen erhoben en Perspektive der Fakultätsleitungen und -verwaltungen. 25 | Dies entspricht einer Rücklaufquote von 25 %. Die Verteilung der Befragten in Stichprobe und Grundgesamtheit der Medizinprofessoren in Deutschland stimmte in zentralen Merkmalen wie Fakultätszugehörigkeit und Geschlechtszugehörigkeit bis auf wenige Prozentpunkte genau überein.
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wie der Qualitätssteigerung der Forschung aus (ausführlicher vgl. Krempkow et al. 2011: 32). Nach weiteren möglichen Wirkungen der LOM befragt, wird sowohl beabsichtigten als auch nicht-beabsichtigten Auswirkungen der LOM zugestimmt. So geben die Befragten mehrheitlich an, dass die Leistungsmotivation durch LOM eher gestiegen sei. Auch die (leistungs-)gerechte Verteilung der Mittel und die Reputationswirkung durch die LOM finden Bestätigung unter den Befragten.26 Zu den nicht-beabsichtigten Auswirkungen der LOM kann man die Einschätzung zählen, dass die LOM ›Mainstreamforschung‹ stärker belohnt, die Produktion vieler kurzer Artikel begünstigt und dass es nun mehr Konflikte um Ko-Autorschaften gibt. Insbesondere die Aussagen, die Publikationsverhalten und Kooperationen betreffen, sollten bei der Weiterentwicklung der LOM berücksichtigt werden, um unerwünschte Effekte zu vermeiden. Im Zuge der Auswertung der Befragung haben wir auch nach Wirkungszusammenhängen gesucht, die den einzelnen Befragten nicht unbedingt bewusst sein können. Im Ergebnis konnten in früheren Studien formulierte und auch hier zugrundegelegte Thesen27 überwiegend bestätigt werden. Dies gilt insbesondere für die Relevanz der Leistungsgerechtigkeitswahrnehmung der LOM, die Diskussion der LOM-Ergebnisse und den Grad der Informiertheit über die LOM für deren Zielerreichung.28 Außerdem gilt dies – in etwas geringerem Ausmaß – auch für die wahrgenommene Reputationswirksamkeit der LOM, sowie für die Einschätzung, dass die LOM Mainstreamforschung belohne. Um die Ergebnisse der Zusammenhangsanalysen zu überprüfen, führten wir zusätzlich Mehrebenenanalysen durch.29 Auch hier zeigte sich, dass die Leistungsgerechtigkeit, der In26 | Dies scheint die weiter vorn erwähnte These von Harris (2007) zu stützen, dass die LOM selbst bei relativ kleinen verteilten Summen Potenziale haben kann, die über finanzielle Umverteilungseffekte hinaus durch die der LOM immanenten Vergleichstabellen und deren Diskussion Effekte haben kann. 27 | Demnach sollten u.a. der Grad der Informiertheit und der Mitgestaltbarkeit sowie die Wahrnehmung der Leistungsgerechtigkeit der LOM relevant für deren Wirksamkeit sein (vgl. z.B. Minssen/Wilkesmann 2003, Schröder 2004, Krempkow 2007, Kamm/Krempkow 2010). 28 | Auch die Organisational-Justice-Forschung zeigte, dass die Gerechtigkeitswahrnehmung eine wesentliche Determinante organisationaler Performanz ist (vgl. Literatur in Kamm/Krempkow 2010). 29 | Wenn sich bei solchen Analysen wesentliche Effekte bestätigen, wäre dies ein zusätzlicher Beleg für ihre Robustheit. Die Grundidee von Mehrebenenanalysen ist: Sie ermöglichen zusätzlich zu den bereits vorgestellten Analysen innerhalb eines Analysemodells die Einbeziehung von Daten auf Individualebene der Forschenden (z.B. der individuellen LOM-Wahrnehmung) unter Berücksichtigung der Clusterstruktur auf Fakultätsebene (z.B. LOM-Modellmerkmale). Darüber hinaus können Einflüsse bestimmter Variablen getestet werden, die nur auf Aggregatebene vorliegen (z.B. LOM-Merkmale auf Fakultätsebe-
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
formiertheitsgrad und die Diskussion der LOM-Ergebnisse signifikante Effekte auf die Zielerreichung haben. Zusätzlich zeigt sich hier ein deutlicher Effekt der Unterscheidung der Befragten nach ihrer Zugehörigkeit zu klinischen/nichtklinischen Fächern: Forschende klinischer Fächer nehmen die Zielerreichung der LOM als signifikant geringer wahr.30 Ein Ergebnis jüngster bibliometrischer Analysen31 zeigt, dass die Publikationszahlen der medizinischen Fakultäten seit der LOM-Einführung in Deutschland zwar gestiegen sind, allerdings in geringerem Maße als weltweit. Zudem dürfte es für klinische Fächer im Vergleich zu den meisten anderen Fächern schwieriger sein, bei häufig verwendeten Publikationsindikatoren wie IF-Summen hohe Leistungswerte zu erzielen. Dies kann als Hinweis auf eine Kollision der Aufgabenbereiche Forschung, Lehre und Krankenversorgung gesehen werden, wie auch in früheren Publikationen bereits berichtet wurde (vgl. z.B. Braun 1994). 32 Eine weitere Erkenntnis aus den bibliometrischen Analysen ist schließlich, dass die Publikationsperformanz medizinischer Fakultäten mit der wahrgenommenen Leistungsgerechtigkeit der LOM an diesen Fakultäten signifikant zusammenhängt: Dies bedeutet, dass eine höhere wahrgenommene Leistungsgerechtigkeit33 nicht nur mit der Wahrnehmung eines höheren Grades an Zielerreichung, sondern auch mit einer höheren Publikationsperformanz der Fakultäten einhergeht.
5. F A ZIT ZU E FFEK TEN DER LOM IN DER H OCHSCHULMEDIZIN Unsere Analysen der Drittmittel- und Publikationsperformanz medizinischer Fakultäten legen bereits in der getrennten Betrachtung der beiden Leistungsindikatoren den Schluss nahe, dass das Zusammenwirken der LOM-Merkmale ne). Es zeigte sich allerdings nach Berechnung mehrerer Mehrebenen modelle, dass die Professoren wahrnehmung zwischen den einzelnen Fakultäten kaum differiert. 30 | Für die rechnerische Durchführung der Mehrebenenanalysen mit Mplus möchten wir Christian Klode (ehemals iFQ Berlin, jetzt Universität Witten-Herdecke) herzlich danken. 31 | Vgl. Beitrag zur Jahrestagung der European Higher Education Society (Krempkow/ Landrock 2012). Weitere (u.a. bibliometrische) Analysen sind im GOMED-Abschlussbericht zu publizieren geplant. 32 | Dieses Thema können wir hier nicht genauer behandeln. Die Kollision der Aufgabenbereiche Forschung und Krankenversorgung wurde aber in unserer Interviewauswertung thematisiert (vgl. Schulz u.a. 2011: 9f.). Zu empirisch im Fall der deutschen Hochschulmedizin mit den verfügbaren Daten nicht nachweis baren (und damit weder positiven noch negativen) Zusammenhängen von Forschungs- und Lehrleistungen auf der Ebene der Fakultätsperformanz vgl. Krempkow (2011). 33 | Ihre Einbeziehung in ein (im Vergleich zum Abschnitt drei dieses Beitrages) erweitertes Modell der Publikationsperformanz erhöht dessen empirische Erklärungskraft zudem noch einmal deutlich.
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unter Berücksichtigung von Struktur- und Ausgangsbedingungen sehr komplex ist und keine direkten Steuerungseffekte einer höheren Gewichtung bestimmter Indikatoren nachweisbar sind. Die medizinischen Fakultäten stehen vor der Herausforderung, dass bei Versuchen der Beeinflussung beider Leistungsparameter neben den intendierten Effekten in starkem Maße nicht-intendierte Effekte auftreten können. Diese Aussage hat auch dann Bestand, wenn Informationen zu hochschulexternen Steuerungs- und Governance-Impulsen ausgewertet und zur Verbesserung der Erklärungskraft in unsere Analysen einbezogen werden. Weiteren Aufschluss über das Zusammenwirken von LOM und Fakultätsperformanz mit anderen Aspekten ermöglichten die Befragung von Wissenschaftlern in der Hochschulmedizin sowie die Zusammenhangsanalysen mit der Einschätzung der Zielerreichung der LOM. So sind insbesondere die Diskussion der LOM-Ergebnisse und die wahrgenommene Leistungsgerechtigkeit der LOM für deren wahrgenommene Zielerreichung relevant. Aufgrund dieser vorgestellten Ergebnisse hätten die in anderen Staaten (wie z.B. in Australien) seit einigen Jahren angewandten Modelle zur systematischen Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgangsbedingungen im Wettbewerb von Hochschulstandorten zumindest für die deutsche Hochschulmedizin möglicher weise größeres Potenzial als bisher angenommen. Die Wirksamkeit von LOM könnte damit gesteigert und nicht-intendierte Effekte vermindert werden (vgl. auch Krempkow/Kamm 2011, Kamm/Krempkow 2010).34 Solche Modelle können aber nicht nur in der Medizin Anwendung finden, sondern sind, wie internationale Erfahrungen in Australien, aber auch in Frankreich (CEREQ 2009) zeigen, potenziell auch in anderen Fächerkulturen anwendbar. Wichtige Voraussetzung hierfür wäre allerdings neben der Eignung der verwendeten Indikatoren, dass die Summe des zu verteilenden Leistungsbudgets ein solches Modell rechtfertigt.35 Unter der Bedingung, dass das LOM-Leistungsbudget als ein ›add on‹ bzw. als zusätzliche Finanzierung zur Basisfinanzierung gestaltet wird, wäre auch eine Akzeptabilität z.B. in den Geisteswissenschaften grundsätzlich vorstellbar.36 Dann könnte man die Übertragbarkeit der vorgestellten Ergebnisse aus der Medizin annehmen und davon ausgehen, dass neben der Informiertheit über die Kriterien der LOM v.a. die Diskussion der LOM-Ergebnisse und die Wahrnehmung ihrer Leistungsgerechtigkeit wichtig für deren wahrgenommene Zielerreichung und damit handlungsleitend 34 | Grundlage bildet ein auf Performanz-Indikatoren angewandtes statistisches Ausgleichsver fahren von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen (u.a. aufgrund unterschiedlicher Fächerzu sammen setzung), mit dessen Hilfe die ›adjusted performance‹ berechnet wird. Die ›adjusted performance‹ ist die Basis der Mittelvergabe (ausführlich Krempkow/Kamm 2011). 35 | Dies dürfte bei z.T. nur niedrigen einstelligen Prozentanteilen des Leistungsbudgets am Gesamt budget nicht der Fall sein (vgl. z.B. König 2011, zu Anforderungen an Indikatoren für Leistungs bewertung und Leistungsanreize vgl. auch Krempkow 2007). 36 | Vgl. z.B. die Ergebnisse zur grundsätzlichen LOM-Akzeptanz in Krempkow (2007).
Wie effektiv ist die Leistungsorientier te Mittelvergabe in der Hochschul medizin?
für die Akteure sind. Mit unseren Ergebnissen hoffen wir daher Hinweise für Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Die LOM und flankierende Governance-Impulse sollten die Forschenden in ihren Vorhaben unterstützen können und möglichst wenig nicht-intendierte Effekte aufweisen.
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Auch Breiten- statt nur Spitzenförderung Warum EPSCoR ein Vorbild für die DFG sein könnte Gerd Grözinger, Nadin Fromm
V ORBEMERKUNG 1 Spätestens seit der Umsetzung der Exzellenzinitiative werden in Deutschland die wachsenden Unterschiede bei der Vergabe öffentlicher Forschungsförderung wieder kritisch diskutiert. Denn die Ergebnisse des Wettbewerbs wie auch aktuelle Forschungsförderrankings machen deutlich, dass sich öffentlich vergebene Forschungsressourcen auf wenige herausgehobene Hochschulen konzentrieren. So geben aktuelle Förderrankings Anlass für wissenschaftspolitische Auseinandersetzungen, die eine Konzentration öffentlicher Forschungsförderung auf einige herausgehobene Hochschuleinrichtungen und ein relatives Zurückfallen anderer Hochschulen, zumeist regionaler Provenienz, kritisieren. In dem vorliegenden Beitrag wird zunächst die Regional- und die Institutionenverteilung von DFGMitteln untersucht. Angesichts der dabei festgestellten Konzentrationswirkungen ließe sich mit Blick auf andere Länder, z.B. die USA, fragen, ob dies nicht als Nachteil für eine Vollausschöpfung des Kreativitätspools eines nationalen Hochschul- bzw. Wissenschaftssystem angesehen werden kann. Vor diesen Hintergrund erscheint interessant, dass die amerikanische National Science Foundation (NSF) das Innovationspotenzial auch an solchen Hochschulen sieht, die im Antragsverfahren der Förderorganisationen im Zeitverlauf weniger erfolgreich Drittmittel für Forschung einwerben konnten. Deshalb startete die NSF ein Programm, das sich zusätzlich eines Regionalansatzes bei der Vergabe von Fördermitteln bedient und durchaus Vorbildcharakter für Deutschland haben könnte.
1 | Der Beitrag enthält Erkenntnisse aus dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt »Sicherung des Kreativitätspools, Verbesserung der Chancengleichheit: Experimental Program to Stimulate Competitive Research (EPSCoR) ein Vorbild für die DFG?«. Einige Ergebnisse wurden bereits im Abschlussbericht sowie in zwei Zeitschriftenbeiträgen publiziert (siehe Fromm/Grözinger 2010; Grözinger 2011).
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Gerd Grözinger, Nadin Fromm
Eine modifizierte Übertragung des Verfahrens auf Deutschland wird im Rahmen des Beitrags diskutiert.
1. Ö FFENTLICHE F ORSCHUNGSFÖRDERUNG IN D EUTSCHL AND DURCH DIE D EUTSCHE F ORSCHUNGSGEMEINSCHAF T (DFG) 1.1 Regionalverteilung In Deutschland besteht ein erhebliches regionales Ungleichgewicht in der Finanzierung von Forschung. Hochschulen in Bundesländern, die relativ finanzschwach sind bzw. die der Wissenschaft weniger Bedeutung als anderen Politikfeldern zuweisen, haben aber zumindest theoretisch eine gewisse Chance, sich von ihren Regierungen unabhängiger zu machen, wenn sie bei der Einwerbung von Drittmitteln besonders erfolgreich sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei die DFG, da hier sowohl vom Auftrag – Grundlagenforschung zu finanzieren – wie von der Größenordnung des Budgets her der einflussreichste Geldgeber für die Hochschulen benannt ist. Der statistische Zusammenhang zwischen den Drittmitteln überhaupt und den DFG-Bewilligungen hat die DFG selbst einmal mit einem r=0,96 angegeben, einem Wert, der »praktisch kaum zu überschreiten« (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2003a: 35) ist. In Tabelle 1 sind die Regionalverteilungen ihrer Gesamtzuwendungen angegeben und zwar in Relation zum »Königsteiner Schlüssel« (K.S.) gesetzt. Der Königsteiner Schlüssel ist im Wissenschaftsbereich der meistgenutzte Standard für eine angemessene Aufteilung der Länder. Er berechnet sich zu zwei Dritteln nach dem aktuellen Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungsgröße. Die Tabelle erklärt sich so (am Beispiel des ersten Werts): Baden-Württemberg erhielt DFG-Zuwendungen von 234.364 Tausend Euro. Der Finanzierungsbeitrag des Landes betrug 78.404 Tausend Euro. Die Zuwendungen minus des Beitrags (155.960 Tausend Euro), geteilt durch alle Netto-Landesbeiträge (887.643 Tausend Euro) und in Prozent ausgedrückt ergeben 17,57. Der K.S. für BW ist 12,74 und stellt die Basis dar. Somit ergibt sich ein Faktorwert von 138. Wegen des Bundesanteils sind die Werte in der Regel positiv, können aber auch ggf. negativ werden. Es geht hier um die ›Nettoverteilung‹, also das, was ein Land nach Abzug seines Beitrags zur (Bund-Länder-finanzierten) DFG erhält. Es zeigt sich eine erhebliche Ungleichheit in der Regionalverteilung. Für die DFG-Mittel insgesamt reicht die Spannbreite der Relation von 10 (Brandenburg) bis 420 (Bremen). Neben den Zuwendungen insgesamt sind noch die besonders wichtigen Programmarten Allgemeine Forschungsförderung, Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs und Exzellenzinitiative angegeben. Nicht berücksichtigt ist der – relativ geringe – Anteil nicht-regionalisierbarer Mittel, etwa für die Geschäftsstelle der DFG.
Auch Breiten- statt nur Spit zenförderung
Tabelle 1: DFG-Mittel nach Bundesländern in Prozent/K.S. * 100 (2008)
BW
Zuwendungen insgesamt
Allg. Forsch. förd.
SFB
Graduiertenkolleg
Exzellenzinitiative
138
128
142
147
191 166
BY
94
93
90
84
BE
272
216
338
176
163
BB
10
42
–28
–07
–00
HB
420
297
480
198
107
HH
167
243
87
198
50
HE
99
113
89
141
108
MV
19
21
04
150
–00
NI
99
97
96
102
91
NW
82
78
103
80
75
RP
39
38
25
131
06
SL
73
103
02
223
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SN
97
103
75
37
22
ST
31
54
22
24
–00
SH
40
58
48
–34
128
TH
56
81
34
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Quelle der Daten: eigene Berechnung nach Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2010)
Bei der detaillierteren Betrachtung ergibt sich, dass in der Allgemeinen Forschungsförderung (›Normalverfahren‹) das Verhältnis relativ am wenigsten verzerrt ist. Hier beträgt die Relation 21 zu 297. Allerdings ist dessen Bedeutung im Schwinden begriffen. Zwar heißt es bis heute: »Die Sachbeihilfe im Normalverfahren bildet den Kern der Forschungsförderung durch die DFG« (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2011a). Und die Einzelförderung im Normalverfahren ist – noch – das relativ finanzstärkste Programm der DFG, dicht gefolgt von den Sonderforschungsbereichen. Aber seine Bedeutung nimmt stetig ab. Wurden 2003 noch 35,1 % der Mittel hierin verausgabt, sank dieser Anteil 2006 auf 31,9 % und 2007 auf 29,3 % (vgl. Wissenschaftsrat 2008: 27).
1.2 Bedeutung von Größe und Sichtbarkeit Die zunehmende Bedeutung der Koordinierten Programme (Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen, Graduiertenkollegs etc.) impliziert auch eine zunehmende Ungleichverteilung zwischen den Universitäten, da sie eine gewisse Größe der Antragsteller voraussetzen. Wird mit Angaben aus dem Forschungsbericht der DFG (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2009)2 für gut 80 Universitäten 2 | Der Beitrag wurde vor der Veröffentlichung des aktuellsten Forschungsberichts Ende Mai 2012 abgeschlossen.
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Gerd Grözinger, Nadin Fromm
eine Korrelation zwischen der Relation der Einzelförderung an der Gesamtförderung und der absoluten Angabe an Fördermitteln berechnet, ergibt dies einen Wert von –0,609**. Das heißt, die Einzelförderung wird vor allem von den relativ drittmittelschwachen Hochschulen genutzt, die anderen haben dagegen Zugriff auf ganz andere, viel ertragreichere Optionen. Welche Bedeutung Größe hat, zeigen detaillierter noch die Ergebnisse einer Berechnung, bei der die absoluten DFG-Einnahmen ausschließlich durch die Zahl der jeweiligen Professorinnen und Professoren in einer Fachgruppe an einer Universität erklärt werden sollen (Tabelle 2). Tabelle 2: Erklärung der DFG-Bewilligungen nach Professorinnen und Professoren (2005-2007) Konstante Professorinnen und Professoren R2 (korr.) N Nachr.: Ø Einn.
Geistes-/Sozialwiss. –3878 125**
Lebenswiss.
Naturwiss.
Ingenieurwiss.
–1311 378**
–7203** 446**
–3431 417**
0,463** 76 90
0,745** 59 361
0,775** 70 308
0,485** 67 339
** = signifikant auf der 1 %-Ebene Quelle der Daten: eigene Berechnung nach (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2009)
In jedem Fall ist dabei ein positiver und hochsignifikanter Zusammenhang gegeben, der die Verteilung auch zu erheblichen Anteilen erklären kann. Das allein wäre noch wenig verwunderlich, mehr wissenschaftliches Personal sollte zu mehr Drittmitteln führen. Aber in allen vier Berechnungen ist die Konstante negativ, dagegen der Wert an zusätzlich eingeworbenen Drittmitteln für eine zusätzliche Wissenschaftlerin oder einen zusätzlichen Wissenschaftler größer als der (nachrichtlich in der Tabelle in der letzten Zeile mit angegebene) Durchschnittswert pro Forscherin bzw. Forscher. Mit anderen Worten: Je besser ein Fachbereich personell besetzt ist, desto relativ stärker wird er von der DFG unterstützt. Große Einheiten werden beim gegenwärtigen System der Forschungsförderung bevorzugt. Und natürlich ist der gefundene Effekt mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschätzt, da die noch kleineren Universitäten im Datensatz fehlen.3
3 | *Exzellenzinitiative. Eine Berechnung auf Hochschulebene wäre wünschenswert. Leider sind die Angaben für dieses Aggregatsniveau nur unvollständig verfügbar, da das Forschungsförderranking der DFG ausschließlich solche Hochschulen in ihren Publikationen namentlich nennt, die oberhalb der 0,5-Millionen-Euro-Förderungsgrenze liegen. Dazu kommt das Problem, Ausgaben für Programmtypen nicht nach Fächergruppen aufteilen zu können. Auch auf Anfrage waren detailliertere Daten leider nicht erhältlich.
Auch Breiten- statt nur Spit zenförderung
Diese Bevorzugung größerer Einrichtungen macht sich auch in einer Strukturkonstanz über die Zeit bemerkbar. Die von der DFG mitgeteilten Informationen für die Perioden 1991-95, 1996-98, 1999-2001, 2002-04, 2005-07 ergeben für die gut 40 darin enthaltenen Hochschulen Rangordnungskorrelationen von 0,746** bis 0,956**. (Deutsche Forschungsgemeinschaft 1997, 2000, 2003b, 2006, 2009). Tabelle 3: Rangordnungen der 20 einnahmestärksten Hochschulen Jahre Hochschulen TH Aachen U München U Heidelberg TU München FU Berlin U Freiburg U Karlsruhe U Erl.-Nürnberg U Göttingen HU Berlin U Köln U Frankfurt a.M. U Bonn U Tübingen U Münster U Konstanz U Würzburg TU Dresden U Stuttgart TU Darmstadt
91-95
96-98
99-01
02-04
1 2 4 3 5 10 6 13 8 29 21 19 15 12 25 28 14 35 7 26
2 1 4 3 13 15 14 8 11 9 19 25 12 6 23 30 10 24 5 22
1 2 6 3 13 11 10 5 15 9 16 18 12 4 19 29 8 20 7 25
2 1 3 9 10 11 6 7 12 5 18 20 13 8 15 34 4 20 14 25
05-07 mit Exz.* 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
05-07 ohne Exz. 2 1 3 7 5 12 9 4 8 6 13 19 15 11 16 31 10 14 21 22
Exz. 3 Linie. X X X X X X X X X -
Quelle der Daten: eigene Berechnung nach Deutsche Forschungsgemeinschaft (1997, 2000, 2003b, 2006, 2009).
Tabelle 3 gibt beispielhaft die Rangordnungen der 20 einnahmestärksten Universitäten über die verschiedenen Zeiträume wieder. Die Reihung der Namen geschah dabei nach der Position in der letztaufgeführten Periode 2005-2007, einschließlich der bereits gezahlten Mittel aus der Exzellenzinitiative. Schon dieser Ausschnitt zeigt eine relative Strukturkonstanz. Rangordnungen überzeichnen dabei sogar noch etwas das Bild. Denn im mittleren und unteren Bereich der Tabelle, da, wo also noch relativ viel an Bewegung über die Zeit zu sehen ist, sind die Unterschiede in den Summen nicht mehr allzu hoch. Während etwa der Sprung von Platz 1 (TH Aachen mit 257 Millionen Euro) zu Platz 10 (HumboldtUniversität zu Berlin mit 153 Millionen Euro) eine Differenz von 104 Millionen
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Euro ergibt, beträgt der Unterschied der HU Berlin zur TU Darmstadt auf Platz 20 (106 Millionen Euro) nur noch 47 Millionen Euro. Und von der TU Darmstadt zu Platz 30 (Universität Jena mit 69 Millionen Euro) sind es 37 Millionen Euro, von dort wieder zu Platz 40 (Universität Leipzig mit 52 Millionen Euro) nur noch 17 Millionen Euro.
1.3 Die E xzellenzinitiative Mit der Exzellenzinitiative, die neben den üblichen DFG-Verfahren etabliert wurde, war durchaus die Hoffnung verbunden, dass Originalität vielleicht Tradition übertrumpfen könnte. Michael Zürn, selbst Mitglied der Gemeinsamen Kommission der Initiative, beschreibt aber als Problem, dass vorab eben nicht geklärt wurde: »Ist die Exzellenzinitiative ein offener Wettbewerb mit den besten Anträgen für die überzeugendsten Zukunftsplanungen, oder geht es primär darum, anhand von Leistungsindikatoren die Besten anhand ihrer Leistungen in der Vergangenheit auszuwählen?« (Zürn 2010: 224). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass es gute Gründe für die Annahme gibt, dass sich vor allem doch die Verstärkung des bereits Bewährten durchgesetzt hat. Basis ist die Dritte Linie der Exzellenzinitiative, erfreulich offen als ›Zukunftskonzepte‹ betitelt. Tabelle 3 gibt in der letzten Spalte die Gewinner wieder (durch ein X gekennzeichnet) und in der vorletzten Spalte die Rangziffern für die DFG-Förderung 2005-2007 ohne Mittel der Exzellenzinitiative. Schon bei dieser deskriptiven Darstellung ist die Übereinstimmung beeindruckend: Gewinner waren bekanntlich die Universität München, hier Platz 1 im Ranking, die TH Aachen, Platz 2, die Universität Heidelberg, Platz 3, die FU Berlin, Platz 5, die TU München, Platz 7, die Universität Göttingen, Platz 8, die Universität Karlsruhe, Platz 9, die Universität Freiburg, Platz 12 und, erstaunlicherweise, die Universität Konstanz, Platz 31, die bisher bei den Forschungsrankings weniger häufig vertreten ist. Obwohl die Universität in den 60er Jahren ausdrücklich als Forschungsuniversität gegründet wurde, damals ironisch ›Klein-Harvard‹ genannt, und bei einer Gewichtung mit der Anzahl der Professorinnen und Professoren sich sofort um viele Rangplätze verbesserte. Auf diese Gewichtung wurde hier verzichtet, da dies wegen der unterschiedlichen Fächerzusammensetzung wieder zu anderen Ungenauigkeiten führt. Tabelle 4: Erklärung des Erfolgs bei der Exzellenzinitative (Dritte Förderlinie) N Sign. Cox und Snell R2 Nagelkerkes R2
1. Runde – Bereinigt 82 0,002 0,296 0,592
Hopefuls – Bereinigt 73 0,003 0,256 0,547
Hopefuls – Gesamt 73 0,002 0,212 0,452
Quelle der Daten: eigene Berechnung nach Deutsche Forschungsgemeinschaft (2009)
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In Tabelle 4, Spalte eins ist das Ergebnis einer Logistischen Regression dargestellt. Erklärt werden soll der Erfolg bei der dritten Förderlinie, den ›Zukunftskonzepten‹ allein aufgrund der DFG-Bewilligungen in der Periode 2005-2007 (hier dann natürlich ohne Exzellenzmittel, also um diese ›bereinigt‹). Nagelkerkes Pseudo-R 2, das meistbenutzte Maß bei Logistischen Regressionen und in etwa dem R2 einer normalen Regressionsgleichung vergleichbar, ergibt für die Gewinner der ersten Runde recht hohe 0,592. Das heißt, man konnte mit den Daten der von der Exzellenzinitiative unabhängigen DFG-Einwerbungen den Erfolg der Zukunftskonzepte durchaus mit einer gewissen Zuverlässigkeit vorhersagen. Und dies, ohne dass bei der Kalkulation irgendeine Information über die Qualität der Anträge eingeflossen ist. Dass überhaupt noch so viel unerklärte Varianz übrig ist, verdankt sich zu einem guten Teil der vergleichsweise sehr kleinen Konstanzer Universität, die natürlich bei der Verwendung absoluter Einnahmen einen Sonderfall darstellt. Die Berechnung ohne Konstanz durchgeführt, erhöht Nagelkerkes Pseudo-R 2 auf 0,712. Gilt diese Vorhersagekraft auch noch für die nächste Runde? Die Erwartungen sind zunächst gedämpft. Zum einen sind nun weitere drei Jahre vergangen. Die Daten der DFG für den dafür besser geeigneten Zeitraum 2008-2010 waren aber zum Zeitpunkt der Berechnung noch nicht veröffentlicht. Zwar ist ein hoher statistischer Zusammenhang zwischen diesen beiden Perioden zu erwarten, aber doch auch eine gewisse Veränderung im Detail. Zum anderen ist wegen der oben angesprochenen abgeschwächten Differenzen bei der Summe der Drittmittel die Varianz bei den Hinzutretenden aus der ›zweiten Reihe‹ geringer, was die Sicherheit der Voraussage weiter tangieren dürfte. In der zweiten Phase der Exzellenzinitiative wurden im März 2011 weitere Universitäten ausgewählt, ihre ›Zukunftskonzepte‹ einzureichen. Diesmal hießen die Gewinner: HU Berlin, Universität Bochum, Universität Bremen, TU Dresden, Universität Köln, Universität Mainz, Universität Tübingen. Diese ›Hopefuls‹ kämpfen dann mit den Gewinnern der ersten Phase um eine beschränkte Anzahl an Erst- oder Weiterfinanzierungen. Es wurden auch hier Logistische Regressionen durchgeführt, und zwar mit dem gleichen Datensatz, diesmal aber um die Gewinner der ersten Runde bereinigt (deshalb die Veränderung bei N). Zunächst wurde als Basis wieder die DFG-Mittel ohne solche der Exzellenzinitiative genommen. Aber man könnte auch argumentieren, dass diese Zuflüsse für Graduiertenschulen und Exzellenzcluster in 20052007 wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg in 2011 waren. Es wurde deshalb zusätzlich auch eine Berechnung für alle DFG-Mittel (›Gesamt‹) berechnet. Schließt man die Gewinner der ersten Runde aus und errechnet man die Rangordnungen neu, so wird deutlich, dass auch bei den ›Hopefuls‹ obere Ränge dominieren. Wirklich überraschend ist nur, dass die Universität Erlangen-Nürnberg schon zum zweiten Mal nicht reüssierte, sie belegt immer Platz 1 in der neuen Reihung (der erste Wert ist ›Bereinigt‹, der zweite ›Gesamt‹). Die positiv beschiedene HU Berlin hat – bereinigt wie insgesamt – Platz 2, die Universität
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Tübingen 4 und 6, die Universität Köln 5 und 3, die TU Dresden 6 und 9, die Universität Mainz 9 und 13, die Universität Bochum 10 und 14, die Universität Bremen schließlich 15 und 16. Bei den Regressionen ergeben sich Werte für Nagelkerkes R 2 von 0,547 und 0,452, zwar etwas geringer, aber gar nicht so weit entfernt von der Treffsicherheit bei der Vorhersage der Gewinner der 1. Runde. Die Exzellenzinitiative belohnt also durchgängig diejenigen Einheiten zusätzlich, die auch in der Vergangenheit bei der Einwerbung von DFG-Mitteln besonders erfolgreich waren. Diese starke Präferenz der Entscheiderinnen und Entscheider für bereits Erfolgreiche scheint schon ein implizites Wissen der Universitäten darzustellen. Denn die Anzahl der Bewerbungen für die zweite Runde der Exzellenzinitiative ging drastisch zurück. Wurden in der ersten Phase 580 Antragskizzen eingereicht, waren es in der zweiten Phase nur noch 227 (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2011b). Das ist ein Rückgang von über 60 %.
1.4 Konzentration und Effizienz Im Konstatieren einer zunehmenden Ungleichverteilung bei den DFG-Mitteln ist natürlich noch keine Aussage enthalten, inwieweit eine Konzentration von öffentlichen Forschungsmitteln nicht vielleicht gerechtfertigt sei. Gibt es auch in der Wissensproduktion eine Skalenökonomie, ähnlich wie bei der Herstellung vieler Konsumgüter? Und wären dann die Quantität und/oder die Qualität forscherischen Outputs größenabhängig? Man darf hier skeptisch sein. Im Folgenden wird kurz auf drei neuere Studien hingewiesen, die sich mit unterschiedlichen Methoden und Gegenstandsbereichen dieser Frage näheren. Sie sollen nicht belegen, dass ›Klein‹ immer besser als ›Groß‹ ist, sondern exemplarisch zeigen, dass eine Unterfinanzierung kleinerer Universitäten durchaus als Unterausschöpfung des Kreativitätspotenzials gedeutet werden kann. Eine Autorengruppe untersuchte die Arbeitsbedingungen hochkreativer Forscher anhand von 20 vorher sorgfältig ausgewählten Fallgruppen in zwei naturwissenschaftlichen Feldern: der Nanotechnologie und der Humangenetik. Eines der zentralen Ergebnisse war dabei, dass Größe einen negativen Einfluss ausübt: »We identified small group size as important organizational dimension for the development of creative work. This confirms findings previously reported. […] In fifteen of our twenty case studies, small group size was highly influential for the creative accomplishment; in another four case studies this variable had some influence. The analysis of the case studies indicates that research groups responsible for creative events often start with two people, the group leader and a PhD student or a post-doc. Later on, leaders deliberately limited their groups to no more than six to eight researchers (excluding technicians and other support staff)« (Heinze 2009: 616).
Für ein geisteswissenschaftliches Fach, die Geschichte, hat Richard Münch durch Auswertung von DFG- und CHE-Daten gezeigt, dass zwischen dem Input an
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Forschungsmitteln und dem Output an Veröffentlichungen ein buckelförmiger Zusammenhang besteht, d.h. es gibt eine Optimalgröße der Förderung, danach sinkt der Grenzertrag. Und dieses Optimum wird überschritten: »Die ersten acht von insgesamt 72 im DFG-Förderranking aufgelisteten Fachbereiche vereinigen mit 42,1 Mio. Euro schon die Hälfte der an diese Einrichtungen verteilten Fördergelder auf sich […] Sie erreichen im Durchschnitt aber nur einen Publikationswert von 10,24 pro promoviertem Wissenschaftler […]. Die durchschnittliche Gesamtleistung würde sich mehr dem Optimum des Publikationswerts von 13 pro promoviertem Wissenschaftler annähern, wenn Fachbereiche unterhalb des Scheitelpunkts besser und Fachbereiche jenseits dieses Punktes schlechter ausgestattet wären« (Münch 2010: 349).
Birgit Unger schließlich hat 86 DFG-Graduiertenkollegs untersucht. Outputindikatoren waren abgeschlossene Promotionen sowie andere Publikationen. Mit einer Data Envelopment Analyse konnten optimale Größen bestimmt werden. Für die Natur- und Lebenswissenschaften wurden keine Skaleneffekte festgestellt, kleinere Einheiten und größere unterschieden sich in der Forschungsproduktivität praktisch nicht. Bei den Sozial- und Geisteswissenschaften wurde dagegen ein Optimum bei nur 10-16 Kollegiatinnen und Kollegiaten gefunden (vgl. Unger 2010: 131, 162). Wenn so wenig sichere Nachweise vorliegen, dass die Konzentration von Mitteln auf größere Einrichtungen überdurchschnittlich positive Ergebnisse erzeugen, ist das dann vielleicht der falsche Weg? Und hat man anderswo das Problem eventuell früher erkannt? An einem relevanten Beispiel wird das im nächsten Abschnitt untersucht.
2. D AS US-R EGIONALPROGR AMM EPSC O R »E XPERIMENTAL P ROGR AM TO S TIMUL ATE C OMPE TITIVE R ESE ARCH « 2.1 Zur Entstehungsgeschichte Die Senatoren und Abgeordneten des amerikanischen Kongresses, als Vertreter der Bundesstaaten, sahen Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts die Förderorganisation, wie die National Science Foundation (NSF)4 , in der politischen 4 | Die NSF wurde 1950 vom amerikanischen Kongress gegründet und ist dem Selbstverständnis nach eine wissenschaftsgeleitete und zum größten Teil selbstverwaltete, somit von Ministerien unabhängige Organisation zur Förderung von Forschung. Die NSF organisiert sich in einer fächerorientierten Säulenstruktur und ähnelt damit strukturell weniger der DFG als vielmehr dem BMBF. Die NSF kann als die einzige öffentliche Forschungsförderinstitution in den USA bezeichnet werden, die alle Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen, aber in unterschiedlicher Verteilung bzw. Intensität fördert. Für manche Fachbereiche
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Verantwortung, den Unterschieden bei der Einwerbung von Drittmitteln für Hochschul-Forschung entgegenzuwirken und regten eine allgemeine Förderpauschale an, die allen Bundesstaaten gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden sollte.5 Die NSF sprach sich zunächst gegen die Einführung einer solchen Quotierung der Mittelvergabe mit der Begründung aus, dass ein solcher Regionalschlüssel der bisherigen Ausrichtung nach Leistungskritierien entgegen stehen und das bisherige Verfahren, ausschließlich Spitzenforschung zu prämieren, sehr grundsätzlich in Frage stellen würde: »The NSF should continue to support the presently existing concentrations of scientific R&D activity; this is extremely important to the national welfare. To destroy them because they are successful would be the height of folly« (Hauger 2004: 98). Im Anschluss daran erarbeitete die Förderorganisation einen Programmentwurf, der einerseits Elemente einer Performanzorientierung im Auswahlverfahren beinhaltet, andererseits stärker berücksichtigt, dass die zusätzlichen Mittel zuvorderst den Hochschulen und weniger der Wissenschaftsadministration in den Bundesstaaten zugutekommen. Auf diese Weise und angesichts der Kontextbedingungen schuf die NSF mit dem Programm »Experimental Program to Stimulate Competitive Research« ein moderates Instrument und kam damit einem der wichtigsten Prinzipien ihrer Gründungslegalisierung (1950) nach: »[…] it shall be an objective of the Foundation to strengthen research and education in the sciences and engineering […] and to avoid undue concentration of such research and education« (Hervorhebung d. Verf.).6
und deren Grundlagenforschung, wie zum Beispiel den environmental sciences, gilt die NSF als wichtigste Förderorganisation. Und sie unterstützt auch der Medizin anverwandte Bereiche, wie zum Beispiel Forschung im Bereich der Diagnostik, obwohl sich solche Bereiche formal in das Förderportfolio der National Institute of Health (NIH) eingliedern. 5 | Wissenschaftshistorisch gesehen reicht die Auseinandersetzung darüber, ob die Bewilligung der öffentlichen Forschungsressourcen nun auf Grundlage einer Chancengleichheit durch Regionalverteilung oder leistungsbasiert erfolgt, in den USA bis in die 40/50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück: »As a firm advocate of autonomy and self governance of the scientific community, Vannevar Bush recommended that government funding for research be distributed among universities based on peer-review mechanism. […] Harley Kilgore proposed an alternative plan that emphasized the wide geographic distribution of research capacity as well as political accountability. Bush’s view prevailed […]. However, the political sentiment behind equity-based allocation has never eroded« (Wu, 2009b, 480). So erstaunt es auch nicht, dass das Prinzip der Gleichverteilung bei der Gründung der NSF erneut Berücksichtigung findet: »[I]t is clear that a portion of the funds expended by the National Science Foundation should be used to strengthen the weaker, but promising, colleges and universities, and thus to increase our total scientific potential« (Steelmann-Report »Science and Public Policy« 1947; zit.n. Science & Engineering Indicators 2012). 6 | Legal Act zur Gründung der NSF im Jahr 1950; §1862: Function (e), siehe http://www4. law.cornell.edu/uscode/uscode42/usc_sec_42_00001862----000-.html (Stand April 2012).
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2.2 Entwicklungsverlauf EPSCoR wurde nicht als klassisch politische Strukturhilfe (im Sinne einer spezifischen Projektförderung) für weniger forschungsintensive Bundesstaaten konzipiert, sondern stellt eine begünstigende Form der Kooperation zwischen der NSF als öffentliche Forschungsinstitution und den Bundesstaaten dar. Darüber hinaus bekennt sich die NSF auch weiterhin dezidiert zur leistungsbasierten Bewertung bei der Vergabe öffentlicher Forschungsförderung. Denn die zuvor für berechtigt erklärten Bundesstaaten erhalten durch ein ›Peer-Review‹-Verfahren diese Finanzmittel, um so die Antragsbefähigung und Forschungsaktivitäten der regionalen Hochschulen anzuregen. Lambright nennt es die katalytische Wirkung EPSCoRs, die sich auf die Staaten entfalten soll: »EPSCoR was not intended as an entitlement, but rather as a catalyst« (Lambright 2000: 38). Und entsprechend sind auch die mit EPSCoR verbundenen wissenschaftspolitischen Ziele zu verstehen, welche die NSF, wie folgt, umschreibt: »[…] Increase the R&D competitiveness […] through the development and utilization of the science and technology […] resources residing in its major research universities […]. […] (1) stimulating sustainable S&T infrastructure improvements at the state and institutional levels that significantly increase the ability of EPSCoR researchers to compete for federal and private sector R&D support, and (2) providing means to accelerate the movement of EPSCoR researchers and institutions into the mainstream of federal and private sector R&D support.«7
Der Entwicklungsverlauf des Programms (1979/80-2010) lässt sich in vier Phasen zusammenfassen: (1.) Experimental-Phase (1979/1980-1984/85): Das Programm wird zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren als Maßnahme zur Unterstützung des Programmportfolios der NSF, aber außerhalb der regulären NSF-Programmlinien initialisiert. Fünf Bundesstaaten setzen sich in einem ersten Verfahren durch (Arkansas, Maine, Montana, South Carolina, West Virginia). (2.) Expansions-Phase I (1985-1992/93): Weitere Bundesstaaten werden berechtigt EPSCoR-Gelder zu beantragen. In dem Zeitraum kommen 13 Bundesstaaten plus Puerto Rico hinzu. Die NSF, die sich in den ersten Jahren darauf beschränkt, die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, ohne aktiv in den weiteren Prozess einzugreifen, intensiviert ihre Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten, indem sie ein Komitee und einen Programmdirektor auf Bundesstaatenebene einsetzt. ›StateCommittee/Project Director‹ erarbeiten zum einen die wissenschaftsstrategische 7 | Siehe www.nsf.gov/od/oia/programs/epscor/about.jsp (Stand April 2012), (zitiert nach Matthews 2008: 7).
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Schwerpunktsetzung, mit der sich der Bundesstaat um EPSCoR-Förderung bewerben will. Zum anderen fungieren sie als Mediatoren zwischen Zuwendungsgeber und Mittelempfänger, um die Interessen des Bundesstaates zu vertreten. In dieser Zeitspanne dehnt sich EPSCoR aus: Sechs öffentliche Forschungsfördereinrichtungen gehen dazu über, ihrerseits EPSCoR-ähnliche Initiativen aufzulegen. Zwischen 1989 und 1992 führen ›Department of Defense (DoD), ›Department of Energy (DoE)‹, ›Environmental Protection Agency (EPA)‹, ›National Aeronautics and Space Administration (NASA)‹, ›National Institute of Health (NIH)‹, ›U.S. Department of Agriculture (USDA)‹ ihre eigenen Regionalprogramme ein.8 Insgesamt beträgt im Jahr 2012 die Gesamtheit der Budgets aus DoD, DoE, EPA, NASA, NIH, USDA und NSF für EPSCoR und EPSCoR-ähnliche Programme über 460.1 Millionen Dollar (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: EPSCor and EPSCor-like program budgets, by agency: FY 2001-10 (Millions of dollars) Agency
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
All Agencies DOD DOE EPA NASA NIH NSF USDA
225.3
288.9
358.0
353.3
367.4
367.1
363.1
418.9
437.2
460.1
18.7 7.7 2.5 10.0 100.0 74.8 11.6
15.7 7.7 2.5 10.0 160,0 79.3 13.7
15.7 11.7 2.5 10.0 210.0 88.8 19.3
8.4 7.7 2.5 10.0 214.0 93.7 17.0
11.4 7.6 2.4 12.0 222.0 93.4 18.6
11.5 7.3 0.0 12.5 220.0 97.8 18.0
9.5 7.3 0.0 12.8 218.0 101.5 14.0
17.0 14.7 0.0 15.5 223.6 120.0 28.1
14.1 16.8 0.0 20.0 224.3 133.0 29.0
0.0 21.6 0.0 25.0 228.8 147.1 37.6
DOD = Department of Defense; DOE = Department of Energy; EPA = Environmental Protection Agency; EPSCoR = Experimental Program to Stimulate Competitive Research; NASA = National Aeronautics and Space Administration; NIH = National Institutes of Health; NSF = National Science Foundation; USDA = U.S. Department of Agriculture
Quelle: Science and Engineering Indicators 2012: Tab. 5-A 9
(3.) Stagnations-Phase (1993/94-1999): Den Programmverantwortlichen wird schnell klar, dass sich die ambitionierten Zielstellungen einer Steigerung der Antragsfähigkeit und Wettbewerbsbefähigung der universitären Forschung der betreffenden Bundesstaaten nicht kurz- sondern nur längerfristig realisieren lassen. Zahlreiche Evaluationen zeigen, dass die erhofften Erfolge in Richtung Steigerung der Forschungsperformanz durch gesteigerte Drittmittelquoten zunächst ausbleiben. Die Gemeinschaft der EPSCoR-Staaten und die Programm8 | Bei DoD, DoE, USDA handelt es sich um Ministerien und nicht um Förderinstitutionen wie der NSF oder der NIH. 9 | Die ›Environmental Protection Agency‹ (EPA) und das ›Department of Defense‹ (DoD) haben die Ausschreibung für ihre EPSCoR-ähnlichen Programme für den Zeitraum 20062010 bzw. 2010 ausgesetzt.
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verantwortlichen der NSF modifizieren die Programmstrukturen, um so den Bedürfnissen der Bundesstaaten noch stärker gerecht zu werden, so z.B. längere Laufzeiten der ›awards‹, um die Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu begünstigen. (4.) Leichte Expansions-Phase II (2000-2010): Ausdehnung auf mehr als die Hälfte der amerikanischer Bundesstaaten. Darüber hinaus sind die Bundesstaaten seit 2007 verpflichtet, bevor Mittel des Regionalprogramms in Anspruch genommen werden können, eine Innovationsstrategie zu formulieren, welche alle wissenschaftsgeleiteten Bereiche des Bundesstaates umfasst. Vor diesem Zeitpunkt konnten die Bundesstaaten eine solche Innovationsstrategie während der Projektlaufzeit formulieren. Diese Veränderung kann durchaus als ein Schritt der NSF bewertet werden, die Bundesstaaten noch stärker in die in dem Fall als zentralistisch zu bezeichnende Strategie der ›federal agency‹ einzubinden, um so einen Erfolg von EPSCoR grundsätzlich zu begünstigen. 10 Die NSF begleitet den Prozess mit der Begründung: »[…] include systemic change in state science and technology environments that is critical for the sustained growth of R&D competitiveness and recognizable contribution to state technology-based economic development« (Wu 2009: 479; Hervorhebung d. Verf.).11 Seit 2010/11 werden die EPSCoR-Programme der verbleibenden Förderinstitutionen durch das ›EPSCoR Interagency Coordinating Commitee‹ vertreten. Das EICC tritt in den politischen Verhandlungen z.B. mit den Mitgliedern des amerikanischen Kongresses für die Interessen der EPSCoR-Bewegung ein, so formuliert der Ausschuss die Bitte, dass das Budget EPSCoRs im gleichen Maße prozentual ansteigt wie die Finanzmittel, die der NSF für die Förderung von Hochschul-Forschung zur Verfügung stehen.
2.3 Das Antrags- und Vergabeverfahren Das Programm unterstützte zu Beginn fünf und gegenwärtig 27 Bundesstaaten plus zwei Außenterritorien, das assoziierte Commonwealth Puerto Rico und das 10 | Die Beschreibungen bezüglich der Zusammenarbeit mit der NSF reichen innerhalb der Bundesstaaten von flankierend/unterstützend/bis administrativ aufwendig/restriktiv. Die NSF hat in jedem Fall »the authority to step in and pull the funds«. 11 | Gegenwärtig beinhaltet das Programm komplementär drei Strategien: (a) research infrastructure improvement (RII) grants; (b) co-funding grants; (c) Gelder für den Bereich outreach und workshops. Die EPSCoR Gelder werden u.a. im Rahmen des RII (a) in Form von zwei Typen verteilt. Seit 2010 ist der Typ 1, RII-track1, mit einer Laufzeit von bis zu fünf Jahren und mit bis zu 20 Millionen Dollar ausgestattet und wird jeweils an einen ausgewählten Bundesstaat vergeben. Typ 2, der RII-track2, mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren und mit bis zu 6 Millionen Dollar, wird an einen Forschungszusammenschluss von EPSCoR-Staaten vergeben.
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nichtinkorporierte Territorium der Amerikanischen Jungferninseln. Laut der Programmadministration der NSF bekunden weitere Außengebiete Interesse, an dem Programm teilzunehmen. Damit befinden sich aktuell mehr als die Hälfte der Bundesstaaten der USA in der Programmförderung von EPSCoR. Doch erhalten sie nur knapp 10 % der gesamten Förderbudgets, welche die NSF für die Forschungsförderung (im Zeitraum 2009-2011) verausgabt hat.12 Die Vergabe der EPSCoR-Gelder durch die NSF erfolgt in einem Wettbewerbsverfahren. Dabei erhalten aber nicht landesweit einzelne Anträge von Universitäten oder individuellen Forscher/-gruppen den Zuschlag, sondern zuvor als berechtigt erklärte Bundesstaaten können sich um die zusätzlichen Finanzmittel bewerben. Berechtigt für das Wettbewerbsverfahren sind nur solche Staaten, die in einem Zeitraum von drei Jahren weniger als 0,75 % bei der NSF Forschungsmittel akquirierten (Stand 2012). Die operationale Umsetzung EPSCoRs auf Bundesstaatenebene kann als herausfordernd komplex bezeichnet werden, eben weil es sich dabei nicht um eine zentralisierte Strukturhilfe für weniger forschungsintensive Bundesstaaten, sondern um ein kooperatives Programm zwischen NSF und ausgewählten Bundesstaaten handelt. 13 Ein vom NSF eingeführtes Komitee14 im jeweiligen Bundesstaat übernimmt die interne Vorauswahl der Teilprojekte, die sich als Cluster oder Forschungskooperation bei der NSF bewerben dürfen. Eine solche Vorgehensweise soll ein EPSCoR within EPSCoR begünstigen, »[…] how to avoid undue concentration of resources in one or two universities within an EPSCoR state« (Lambright 2000: 49; Hervorhebung d. Verf.). Das lokale EPSCoR-Büro unter Leitung des EPSCoR-Direktors formuliert die verschiedenen Projekte der Wissenschaftler bzw. Forschergruppen an den örtlichen Hochschulen zu einem Gesamtantrag des jeweiligen Bundesstaates. Die NSF benötigt, ähnlich wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sechs bzw. sieben Monate, um aus dem Pool an Anträgen mithilfe eines ›merit-based review‹ das qualitätsvollste Vorhaben auszuwählen. Dabei erfolgt die Vergabe der Mittel auf Grundlage einer vorher abgestimmten Anzahl an zu vergebenen möglichen ›awards‹. In Abstimmung mit dem ›state comittee‹ übernimmt die regionale EP12 | Und betrachtet man die Verteilung sämtlicher für Forschung und Entwicklung aufgebrachten Finanzmittel aller staatlichen Förderinstitutionen, dann verteilen sich 62 % ausschließlich auf folgende zehn Bundesstaaten: New York, Ohio, Pennsylvania, Florida, California, New Jersey, Illinois, Indiana, Maryland, and North Carolina (vgl. Bennof 2009). 13 | Da die NSF bei Zusage für EPSCoR-Mittel die Einrichtung zentraler Verwaltungsstrukturen auf Bundesstaatenebene fordert, sind die Bundesstaaten in dieser Hinsicht durchaus miteinander vergleichbar. 14 | Das sog. EPSCoR-Komitee setzt sich im besten Fall aus den Senatoren, Vertretern der Landesparlamente und der Industrie sowie der lokalen Universitäten und Colleges zusammen.
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SCoR-Niederlassung die Verteilung der Mittel auf die Teilprojekte und schließt jährliche Zuwendungsverträge über die zu leistende wissenschaftliche Arbeit und Zielvereinbarungen mit den beteiligten Forschern/-gruppen. Darüber hinaus übernimmt das EPSCoR-Büro, das formal rechtlich der lokalen Hochschule zugeordnet sein kann, aber durch eingeworbene EPSCoR-Gelder finanziert wird, die umfassende Administration des Programms. So vermittelt die kleine Zweigstelle zwischen Finanzmittelgebern auf Bundesebene und wissenschaftlichem Mittelempfänger und koordiniert die notwendigen Treffen zwischen den unterschiedlichen Akteuren auf Länderebene. Der erfolgreichen Antragstellung und der Bewilligung eines EPSCoR-›awards‹ geht ein langwieriger Strategieprozess voraus. So berieten u.a. in New Mexico sieben Arbeitsgruppen (mit insgesamt ca. 150 Teilnehmern) über die zukünftigen wissenschaftlichen Schwerpunktthemen des Staates und identifizierten Luftund Raumfahrt, Biotechnologie, Umwelttechnologie, Informationstechnologie und Nanotechnologie als potenzielle Stärken, um sich auf dem nationalen Wissenschaftsmarkt zukünftig positionieren zu können. Zeitgleich zu den Vorbereitungen auf wissenschaftlicher wie administrativer Ebene in den Bundesstaaten fanden Treffen von NSF und den wichtigsten Repräsentanten aus dem betreffenden Bundesstaat statt, um in Kooperation mit der Förderorganisation die bereits erwähnte Innovationsstrategie auszuarbeiten. Eine Schlüsselposition innerhalb der organisationalen Ausgestaltung nimmt der sog. EPSCoR-Projektdirektor ein. Der Autor Henry W. Lambright klassifiziert ihn als die zentrale Figur innerhalb der Organisationsstruktur, weil ihm neben der leitenden Verwaltungs- und Koordinationstätigkeit, den Vorbereitungsarbeiten für eine nächste Auswahlrunde die wichtige Aufgabe zukommt, um so bei den einflussreichen Akteuren innerhalb eines Bundesstaates ein Problembewusstsein zu schaffen, sie informiert und sensibilisiert zu halten und sie in die weiteren Prozesse einzubinden (vgl. Lambright 2000: 38). Dabei ist die Auswahl eines geeigneten Kandidaten, inklusive seiner beruflichen wie privaten Netzwerkkapazitäten innerhalb des Bundesstaates wie seine Kenntnisse über überregionale wissenschaftspolitische Zusammenhänge, für den weiteren Verlauf des Programms sehr bedeutsam.15 15 | Diese Ansicht vertritt ebenfalls eine ehemalige EPSCoR-Direktorin, die nun in der externen EPSCoR-Evaluation für die NSF tätig ist. Sie nennt den Moment des leadership als hochrelevant für die Frage, ob das Programm auf Bundesstaaten-Ebene tatsächlich Erfolg hat und verweist auf den Programmverlauf im Bundesstaat South Carolina. Der anfänglichen Euphorie und Aufbruchstimmung, in der South Carolina awards jenseits der bisher üblichen neun-Millionen-Dollar-Grenze einwerben konnte, folgte eine Zeit der Ernüchterung. So nehmen, nach Auffassung der ehemaligen EPSCoR-Direktorin, die Aktivitäten zum Ausbau EPSCoRs in diesem Bundesstaat ab. Zu diesen Entwicklungen beigetragen hat auch, dass es neben einem Wechsel des EPSCoR-Direktors eine Veränderung im Leitungsstil gegeben habe. Der Autor Henry W. Lambright hat, auch aufgrund seiner lang jährigen
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Erhält ein Bundesstaat den Zuschlag, so sind die Gelder projekt- bzw. ausgabengebunden und werden, trotz einer insgesamt erfolgreichen Antragstellung, jährlich und unter Berücksichtigung der Meilensteinberichte ggf. erneut bewilligt. Das hat zur Folge, dass die Landesbüros die wissenschaftlichen Teilprojekte administrativ teilweise sehr engmaschig betreuen. Die Übertragbarkeit der Gelder ins nächste Jahr erfolgt nur auf Antrag bei der NSF und unter dem Risiko, dass der Überhang beim Budget im nächsten Jahr entsprechend reduziert wird. Sobald Änderungen zur ursprünglichen Vertragsvereinbarung innerhalb der Teilprojekte eintreten, wünscht die NSF, davon in Kenntnis gesetzt zu werden. Bisher traten auch die berechtigten Staaten als Co-Finanziers auf. Diese Regelung wurde aufgrund der globalen Finanzkrise außer Kraft gesetzt. Ursprünglich waren die Bundesstaaten angehalten, zum Beispiel bei einem RII-›award‹, bis zu 50 %, später dann bis zu 20 % komplementär mit zu finanzieren. Bevor eine Zusage durch die Organisation erfolgen konnte, musste die Finanzierung innerhalb des Bundesstaates geklärt sein. Oftmals waren die unterschiedlichen ›stakeholder‹ (Universitäten, NGO, lokale Behörden) innerhalb eines Bundesstaates an der Finanzierung beteiligt.
2.4 Die Programmwirkung: EPSCoR als ein erfolgreicher Agent eines kulturellen Wandels? EPSCoR als einen erfolgreichen Agenten des kulturellen Wandels an den Hochschulen in den betreffenden Bundesstaaten darzustellen, bleibt methodisch problematisch und kann deshalb nicht abschließend beantwortet werden, da sich die Effekte des Programms auf eine veränderte Forschungsorientierung oder eine gesteigerte Antragsfähigkeit sowie die Einwerbung von Drittmitteln nur schwer voneinander isolieren und quantifizieren lassen. Denn bisher sind keine Daten verfügbar, um die Wirkung einer einzelnen Programmlinie auf die gesamte wissenschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bundesstaates statistisch darzustellen. Aber es lässt sich durchaus ein leicht positiver Trend abbilden. So zeigt Abbildung 1, wie die Mittelanteile der EPSCoR-Staaten in der regulären NSF-Programmförderung zugenommen haben. D.h. der Anteil an erfolgreich eingeworbenen Drittmitteln hat sich leicht positiv entwickelt. Auch wenn diese Zahlen noch nicht den Schluss zulassen, dass das Programm zu einer Trendwende in den betreffenden Bundesstaaten beigetragen hat. Die Darstellung unterscheidet zum einen die unterschiedlichen Kohorten (je Eintrittsjahr), andererseits die Entwicklung, welche die EPSCoR-Staaten in den ersten drei bzw. letzten drei Jahren
praktischen Erfahrung mit EPSCoR, wissenschaftlich begründete Überlegungen angestellt, welcher Führungsstil sich für den potenziell erfolgreichen Programmverlauf auf Bundesstaatenebene als günstig erweist (vgl. Lambright 2000: 45).
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(bis 2004) genommen haben (je Bundesstaat/ohne EPSCoR). Von den dargestellten 22 Staaten/Territorien erreichten 20 jeweils eine relative Verbesserung. Abbildung 1: NSF Research Support Funding NSF Research Support Funding Most Recent 3 Year Period
Initial 2 Years in EPSCoR 0.8%
2001
0.7%
1987 Cohort
0.6% 0.5%
1980 Cohort
Cohort 1992 Cohort 2000 Cohort
1985 Cohort
0.4% 0.3% 0.2% 0.1%
Ark
an sas M a So uth ine Car olin We a st Vir gin ia Ala bam a Ken tuc ky Nev ada Nor th Dok ata Okl aho ma Pue rto Ric o Ver mo nt Wy oim ing Ida ho Lou isia na Mis siss ipp Sou i th D ako ta Kan sas Neb ras ka Ala ska Haw aii New Me xico
0.0%
Quelle: Haworth 2008: Folie Nr. 5
Und auch der Vergleich des Publikationsoutputs zwischen EPSCoR- und NichtEPSCoR-Staaten gibt durchaus Anlass für eine positive Einschätzung der Wirkung des Regionalprogramms, wie in Tabelle 6 dargestellt. Tabelle 6: Publikationsoutput nach EPSCoR und Non-EPSCoR-Bundesstaaten Academic S&E article output
S&E doctorate holders in academia
Academic article/1.000 academic doctorate holders
1997
2003
2008
1997
2003
2008
1997
2003
EPSCoR states
16.096
17.479
19.506
41.750
42.890
43.300
386
408
2008 450
Non-EPSCoR
120.251
129.972
146.975
201.710
232.390
244.100
596
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Quelle: Science and Engineering Indicators 2012: Tab. 8-48
Zu der überwiegenden politischen Akzeptanz beigetragen hat, dass EPSCoR von Anfang an wissenschaftlich begleitet wurde. So hat die NSF 1999 von dritter Seite aus eine (positive) Evaluation durchführen lassen (vgl. NSF/EPSCoR 1999), und die ›American Association for the Advancement of Science‹ (AAAS) hat sich ebenfalls mehrfach damit beschäftigt, wieder mit prinzipiell unterstützendem Ergebnis (vgl. Hauger/McEnaney 2000; Teich 1996). Die Evaluationen beschreiben das Programm als Schritt in die richtige Richtung, fordern aber Nachhaltigkeit und Ausweitung des Programms. Vor dem Hintergrund dieser statistischen Kennziffern sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass von EPSCoR eine Aktivierung der Forschungsorientierung sowie eine Schwerpunktsetzung der universitären Forschung in den betreffenden
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Bundesstaaten ausgegangen ist und oftmals die Entwicklung einer allgemeinen Innovationsstrategie bewirkt hat.16 Oftmals stellt das Programm eine der ersten Initiativen in der Richtung vor Ort dar und darf auch als kompensatorisch für kaum existierende politische Rahmenbedingungen, im Sinne eines existierenden »policy body« (Hauger 2004: 106) auf Bundesstaaten-Ebene bezeichnet werden: »[…] [S]ome states have fostered and […] realized the beginnings of a cultural change, extending and linking the resources of the academic S&T community to the values and objectives of local economic and social development.« (Hauger 2004: 111)
Aber die Konstruktion des Programms hat sich nicht robust gegenüber politischer Einflussnahme wie vor allem einer Nutzung der Mittel für traditionellere Zwecke der Regionalentwicklung gezeigt (vgl. Payne 2003). Und so gibt es auch kritische Stimmen, die den ideell und finanziell hohen Aufwand und die Langfristigkeit des Programms in Relation zu der tatsächlich gesteigerten Antragsfähigkeit und den Erfolgen der Forschergruppen im regulären Wettbewerb um öffentliche Forschungsmittel setzen und als zu geringfügig ansehen. Darüber hinaus gibt es erste beobachtbare negativ einsetzende Effekte, die sich aus der fast 30jährigen Laufzeit des Programms ergeben. So stellt Wu einen »[…] disturbing change of reduced financial support for academic research from state governments as a result of EPSCoR« fest (Wu 2009: S. 493). Auf Grundlage der Auswertung eines Panels von 50 Bundesstaaten in einem Zeitraum von 1979-2006 kann der Autor zeigen, dass »[…] with S&T not being at the top of the state agenda, it is not surprising to observe a switch of state resources from academic research to other competing categories if politicians see additional federal money flowing in« (ebd.). Das steht im Widerspruch zu der ursprünglichen Vereinbarung zwischen NSF und amerikanischem Kongress von 1979. Darin forderte die NSF, dass durch ein Programm wie EPSCoR die existierenden Förderstrukturen staatlicher, bundesstaatlicher, institutioneller oder privater Herkunft für die betreffenden Bundesstaaten nicht ersetzt, sondern hinzuaddiert werden, um zusätzliche Finanzmittel bereitzustellen, die bisher durch geringe Drittmittelanteile universitärer Forschung fehlten: »[…] add specific value to the state’s academic infrastructure not generally available through other fundings« (zitiert nach Matthews 2008: 4). Schließlich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass das EPSCoR-Programm ein merkwürdig-unbalanciertes Beteiligungskriterium enthält. Der Schwellenwert ist nämlich auf eine absolute Grenze von (zumeist) 0,7 % der NSF-Mittel 16 | Eine Zusammenfassung der Forschungsschwerpunkte, die aufgrund der EPSCoRMittel in den Bundesstaaten im Lauf des Programms elaboriert wurden und eine Übersicht über die erfolgreichen strukturellen Maßnahmen und zahlreichen universitären Forschungsprojekte ist abrufbar unter: www.nsf.gov/od/oia/programs/epscor/National Conference_2011/EPSCoR%20Presentation%20for%20Natl%20Conf%2010_24%20 small%20Final.pdf (Stand April 2012).
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fixiert. Und dies gilt unabhängig von der Bevölkerungsgröße des Bundesstaates oder etwa seiner Wirtschaftskraft. Nimmt man versuchsweise einmal die Bevölkerung als Gewichtungsfaktor und berechnet dann den relativen Drittmittelerfolg, dann liegen von den 27 EPSCoR-Jurisdiktionen (noch ohne Iowa und Utah) sechs über dem nationalen Durchschnitt, von den 26 Nicht-EPSCoR-Gebieten aber 14 darunter.17 Würde man – um eine Vergleichbarkeit herzustellen – die 27 Gebiete mit der relativ schlechtesten Position auswählen, wären immerhin neun gegenwärtige EPSCoR-Staaten nicht mehr berechtigt und würden durch andere ersetzt werden.
3. W ISSENSCHAF TSPOLITISCHE S CHLUSSFOLGERUNGEN EPSCoR-Programme haben in den USA erfolgreich dahingehend gewirkt, dass sie einer ›zu starken‹ Regionaldifferenz in der öffentlichen Forschungsförderung zu einem gewissen Anteil kompensatorisch entgegengewirkt haben, damit so Anreize zur Anschlussfähigkeit und zur Aktivierung der Forschungsorientierung gesetzt wurden. Deutschland ist in den letzten Jahren den umgekehrten Weg gegangen: Es hat stärker denn zuvor auf Präferierung leistungsstarker oder stark erscheinender Einrichtungen gesetzt, was zuletzt durchaus kritisch diskutiert wurde (vgl. Auspurg et al.; 2007/2008 sowie Jansen et al. 2009; Münch 2009 etc.). Auch der Wissenschaftsrat warnt deutlich: »Überhaupt ist die inflationäre Verwendung des Exzellenzbegriffs schon im allgemeinen wissenschafts- und förderpolitischen Sprachgebrauch problematisch, da hierdurch zunehmend eben das kaschiert wird, worauf eigentlich aufmerksam gemacht werden soll: eine wirklich herausragende und damit eben auch seltene Leistung. Dabei wird übersehen, dass sich Exzellenz immer auf einer breiten und soliden Basis gründet und erst in Relation zu dieser überhaupt erkennbar wird. Daher sollte die DFG ihren Auftrag weder rhetorisch noch faktisch auf ›Exzellenzförderung‹ verengen und damit verdecken, dass neben der Förderung von Exzellenz eine wichtige Aufgabe der DFG darin liegt, die sehr gute Forschungsbasis Deutschlands in der Breits zu fördern, da ohne diese die Grundlage für die Prozesse der Herausbildung von exzellenten Leistungen fehlt. Der Wissenschaftsrat ermutigt die DFG, diese Haltung offensiv zu vertreten« (Wissenschaftsrat 2008: 15).
Die Suche nach Alternativmechanismen zur Verteilung öffentlicher Forschungsmittel ist deshalb nicht nur legitim, sondern auch geboten und es ließe sich daraus durchaus ein politischer Auftrag für die verantwortlichen Akteure ableiten. In diesem Sinn wird angeregt, seitens der DFG auch in Deutschland ein ›expe17 | Zum Verhältnis von Wirtschaftskraft (gemessen am jährlichen BIP) und den Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung je US-Bundesstaaten, siehe NSF (2009): State Agency Research and Development Expenditures: Fiscal Year 2007, Tab. 7. 15f.
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rimentelles‹ Programm nach US-Vorbild aufzulegen. Eine Verbesserung gegenüber dem amerikanischen Verfahren sollte aber auf jedem Fall darin liegen, ein gewichtetes Kriterium zu benutzen (z.B. der ›Königsteiner Schlüssel‹). Geht man weiter davon aus, dass maximal die Hälfte der Bundesländer empfangsberechtigt sein sollten, kämen (nach Tabelle 1) besonders in Frage: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen, die alle erheblich weniger Mittel erhalten, als es ihrer Bedeutung entspricht. Ob auch die organisatorische Struktur von EPSCoR möglichst direkt übertragen werden sollte, kann dabei offen bleiben. Vorteile wären die enge Einbindung der politischen Entscheidungsgremien auf der Länderebene und dass im Wettbewerbsverfahren herausragende Forschungsanträge prämiert werden, Nachteil eine sehr bürokratische Struktur. Es gibt auch Alternativen dazu. So könnte das ›Niedersächsische Vorab‹18 der Volkswagen-Stiftung ein Vorbild für eine Konstruktion sein, dass Hochschulen berechtigter Bundesländer ein besonderes Zugriffsrecht für ihre Anträge auf eine bestimmte Marge von DFG-Mitteln erhielten. Oder, falls eine Berücksichtigung regionaler Aspekte sich in Deutschland gar nicht durchsetzen ließe, wäre doch wenigstens denkbar, dass Sondermittel als allgemeine Förderpauschale für kleinere und mittelgroße Hochschulen aller Bundesländer bereitgestellt werden könnten. Und es ließe sich potentiell daran anschließen, was mithilfe von Bundesmitteln bereits im Rahmen des Förderprogramms InnoRegio für kleinere und mittlere Unternehmen in den neuen Bundesländern ermöglicht wurde. Im Rahmen des Programms konnten sich Wirtschaftsunternehmen im Bereich der angewandten Forschung in einem Wettbewerbsverfahren um zusätzliche Mittel bewerben, mit gutem Erfolg.19 Es ist ja durchaus verblüffend, dass im wirtschaftlichen Bereich ›Kleine und Mittlere 18 | Satzungsgemäß ist ein festgelegter Teil der zur Verfügung stehenden Fördermittel an Wissenschaft betreibende Institutionen im Land Niedersachsen vorweg zu vergeben. Dieser Teil umfasst den Gegenwert der jährlichen Dividende auf 77,3 Millionen Euro VW-Aktien des Landes Niedersachsen, der der Stiftung aus der Beteiligung des Landes Niedersachsen an der Volkswagen AG zusteht, ferner den Ertrag aus der Anlage von 35,8 Millionen Euro aus einem Vertrag mit dem Land Niedersachsen von 1987 sowie 10 % der übrigen zur Verfügung stehenden Mittel. Über die Vergabe der Fördermittel im ›Niedersächsischen Vorab‹ – etwa 64,2 Millionen Euro waren es im Jahr 2008 – entscheidet das Kuratorium auf der Grundlage von Vorschlägen der Niedersächsischen Landesregierung (vgl. www.volks wagenstiftung.de/foerderung/vorab.html; Stand April 2010). 19 | »Bei knapp einem Drittel der Unternehmen ist jeder zweite Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung tätig. Dies trug dazu bei, dass 44 % der Betriebe in den letzten beiden Erhebungsjahren Patente anmelden konnten und 39 % damit völlig neue Produkte entwickelten. Drei Viertel der Unternehmen exportieren ihre Produkte und konnten ihre Ausfuhren seit 2000 um 73 % steigern« (www.unternehmen-region.de//de/159.php; Stand April 2012).
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Unternehmen‹ Gegenstand positiver öffentlicher Aufmerksamkeit und zahlreicher Förderprogramme sind, in der wissenschaftlichen Forschung nach wie vor aber vorwiegend auf Großeinrichtungen gesetzt wird.
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Teil 2: Bedeutungszuwachs externer Anforderungen
Governance von Ressortforschungseinrichtungen Tobias Bach, Axel Philipps, Eva Barlösius, Marian Döhler
1. E INLEITUNG Ressortforschungseinrichtungen sind typischerweise einem Bundesministerium nachgeordnete Behörden, die es auf wissenschaftlicher Grundlage bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützen (vgl. Barlösius 2010; Philipps 2011, 2012; Bach/Döhler 2012). Zu den Kernaufgaben von Ressortforschungseinrichtungen gehören insbesondere die wissenschaftliche Politikberatung, der Vollzug regulativer Politik (z.B. Produkt- oder Stoffzulassung) und die Erbringung von Dienstleistungen (z.B. Bereitstellung von Information für Adressaten). Wenngleich sich die Einrichtungen hinsichtlich des Stellenwerts dieser Aufgaben z.T. erheblich unterscheiden, ist ihnen gemeinsam, dass sie auch wissenschaftlich tätig sind. Wie viele staatliche oder staatsnahe Wissenschaftsinstitutionen sind Ressortforschungseinrichtungen in ein Geflecht aus Steuerungs- und Koordinationsformen (›Governance‹) eingebunden. Sie weisen die Besonderheit auf, wissenschaftlich zu forschen als auch Wissen für politisch-administrative Entscheidungsprozesse bereitzustellen. Die Forschungsliteratur (vgl. Hohn/ Schimank 1990; Schimank 2006; Weingart/Lentsch 2008; Weingart 2010) charakterisiert dies als doppelte Anbindung an Wissenschaft und Staat, die zur Folge habe, dass Ressortforschungseinrichtungen in einem Spannungsverhältnis potentiell widersprüchlicher externer Anforderungen tätig sind: Durch die Nähe zum Staat drohe den Ressortforschungseinrichtungen eine politische Vereinnahmung, insbesondere durch die Instrumentalisierung der Forschung zu politischen Zwecken und eine die Ressourcen der Einrichtungen (zu) stark beanspruchende Nachfrage nach wissenschaftsbasierten Expertisen, die eine eigenständige Forschung verhindere oder zumindest fühlbar einschränke. Eine zu starke Ausrichtung an der akademischen Wissenschaft führe umgekehrt zur wissenschaftlichen Verselbstständigung, die in einer mangelnden Responsivität für die Belange politisch-administrativer Beratungs- und Unterstützungsanforderungen münde. Als Folge könnten sich die zuständigen Ministerien von ihren Ressortforschungseinrichtungen abwenden. Auch wenn deren Schließung eher unwahrscheinlich sei, so wäre bereits die Abwanderung zu anderen Quellen wis-
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Tobias Bach, A xel Philipps, Eva Barlösius, Marian Döhler
senschaftlicher Expertise mit einem Bedeutungs- bzw. Reputationsverlust der betreffenden Einrichtung verbunden. Dass die meisten Ressortforschungseinrichtungen über viele Jahrzehnte friktionsarm arbeiten, so etwa die Physikalisch-Technische Bundesanstalt seit 1887 oder das Paul-Ehrlich-Institut seit 1896 (vgl. Lundgreen et al. 1986; Hohn/Schimank 1990; Lenoir 1998), deutet darauf hin, dass es ihnen gelingt, das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Staat auszutarieren. Hohn und Schimank (1990) erklären dies damit, dass die Ministerien und Ressortforschungseinrichtungen entweder »auf eine stabile beiderseitige Zurückhaltung einschwenken« (Hohn/Schimank 1990: 341; Schimank 2006) oder sie, dem funktionalen Erfordernis entsprechend, die Erwartungen der Politik in ihrer Forschungsausrichtung berücksichtigen. Wie Ressortforschungseinrichtungen in der Praxis die Doppelanbindung koordinieren und austarieren, ist empirisch kaum untersucht. Das Anliegen des Beitrages ist daher, zu zeigen, wie der Spagat zwischen Forschung einerseits und Beratung der Ministerien andererseits gelingt. Unser Augenmerk liegt darauf, welche verwaltungs- bzw. wissenschaftsspezifischen Steuerungsund Koordinationsformen zwischen Ministerien und Ressortforschungseinrichtungen (inter-organisatorisch) sowie innerhalb der Ressortforschungseinrichtungen (intra-organisatorisch) vorzufinden sind. Hieraus können Schlussfolgerungen gezogen werden, ob tatsächlich ein Spannungsverhältnis zwischen politisch-administrativen und wissenschaftlichen »Leistungsansprüchen« (Hohn/Schimank 1990) besteht und wie innerhalb der Ressortforschungseinrichtungen mit unterschiedlichen externen Anforderungen umgegangen wird. Dass diese Fragestellung nicht nur im Kontext der Governance-Forschung von Interesse ist, sondern auch für die betroffenen Ministerien und Ressortforschungseinrichtungen praktische Relevanz besitzt, hat die Systemevaluation des Wissenschaftsrates (WR) zwischen 2004 und 2010 gezeigt. Während der WR einen »Sonderstatus« (WR 2004: 48) der Ressortforschungseinrichtungen neben dem Wissenschaftssystem ablehnt und dies durch die Auffassung unterstreicht, dass eine qualitativ hochwertige Forschung Voraussetzung für die Erfüllung insbesondere der politikberatenden Aufgaben sei, betont die Bundesregierung die »Besonderheiten« der Ressortforschung. Deren dienende Funktion sei »untrennbar mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verbunden« (Bundesregierung 2007: 3). Gegen die Bestrebungen des WR, die Ressortforschung näher an das Wissenschaftssystem heranzurücken und damit dessen Qualitätsanforderungen gegenüber »den teilweise anders gelagerten Leistungserwartungen der Ministerien« (WR 2010: 14) zu stärken, verweist die Bundesregierung auf das Ressortprinzip. Es läge in der »Verantwortung der einzelnen Ressorts« den Forschungsbedarf »einrichtungsspezifisch« festzulegen, so dass es keinen »Königsweg zur Modernisierung der Ressortforschung« (Bundesregierung 2007: 3) geben könne. Auch wenn diese Auffassungsunterschiede fortbestehen, so hat die mehrjährige Evaluation des WR einen Reflexionsprozess über die Position der Ressortforschung gegenüber der Wissenschaft angestoßen, welcher in der Fachöffent-
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lichkeit wahrgenommen wurde und teilweise auch zu einer Neupositionierung einzelner Einrichtungen geführt hat.
2. G OVERNANCE VON R ESSORTFORSCHUNG : R EGELUNGSSTRUK TUREN DER INTER - UND INTR A ORGANISATORISCHEN S TEUERUNG UND K OORDINATION Governance fassen wir im analytischen Sinne auf als Oberbegriff für unterschiedliche Formen der sozialen Koordination bzw. der Regelung kollektiver Probleme (vgl. Jann 2003; Benz et al. 2007; Mayntz 2008). Dieses weit gefasste Begriffsverständnis stellt die spezifische Wirkungsweise unterschiedlicher sozialer Koordinationsformen, deren empirisches Mischungsverhältnis und die hieraus resultierenden Folgewirkungen in den Mittelpunkt. 1 Im Unterschied zu wissenschaftssoziologischen Arbeiten über (außer-)universitäre Forschung, die einen erweiterten Begriff von Governance verwenden, der teilweise sehr spezifische Koordinationsinstrumente umfasst (vgl. Heinze/Arnold 2008; Jansen 2010), unterscheiden wir zwischen den drei grundlegenden Koordinationsformen Fachgemeinschaft, Wettbewerb und Hierarchie. Die erste Koordinationsform – wissenschaftliche Fachgemeinschaften – zeichnet sich durch anerkannte Regeln der Produktion von Wissen, die starke Bedeutung von Eliten und die Selbstkoordination, z.B. durch das Peer ReviewVerfahren, aus (vgl. Gläser/Lange 2007). Diese Koordinationsform beruht idealtypisch auf wechselseitigen Beobachtungen ihrer Mitglieder und der freiwilligen Befolgung der innerhalb einer Gemeinschaft geltenden Normen (vgl. Benz et al. 2007). Für die Analyse ist demnach zu fragen, inwieweit sich innerhalb der Ressortforschung typische Merkmale dieser Koordinationsform im wissenschaftlichen Produktionsprozess und der Nachfrage und Bereitstellung von wissenschaftlicher Expertise wiederfinden. Die zweite Koordinationsform ist der Wettbewerb, den idealtypisch Konkurrenz um knappe Güter und Anreize zur wechselseitigen Anpassung autonomer Akteure charakterisieren. Als typische Erscheinungsformen werden in der Wissenschaft der Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen Bundesländern und Universitäten oder der zunehmende Wettbewerb um Drittmittel angesehen (vgl. Heinze/Arnold 2008; Jansen 2010). Im vorliegenden Zusammenhang wirft dies die Frage auf, ob und wie zwischen Ministerien und Ressortforschungseinrichtungen sowie innerhalb der Ressortforschungseinrichtungen die Koordinationsform Wettbewerb eingesetzt wird.
1 | In diesem Beitrag benutzen wir in Anlehnung an Benz et al. (2007) den Begriff der Governance-Formen, die als spezifische Kombinationen grundlegender Mechanismen der Handlungskoordination (z.B. wechselseitige Beeinflussung) verstanden werden.
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Hierarchie – die dritte Koordinationsform – wird in der Regel als eher wissenschaftsfern wahrgenommen, da sich die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion nicht oder nur unter Inkaufnahme erheblicher Qualitätsrisiken auf hierarchischem Wege vorantreiben lässt. So werden Ressortforschungseinrichtungen in der Literatur auch primär als wissenschaftliche Organisationen verstanden oder zumindest als solche analysiert (vgl. Hohn/Schimank 1990; Weingart/Lentsch 2008; Barlösius 2010). Die für die Fachgemeinschaft charakteristische Eigendynamik und Selbstkoordination bildet daher einen sinnvollen Ausgangspunkt der Analyse. Im Falle öffentlicher Verwaltungen, zu denen auch die Ressortforschungseinrichtungen zu rechnen sind, steht hingegen Hierarchie als Koordinationsform im Mittelpunkt (vgl. Döhler 2007a). Das gilt insbesondere für die Steuerungsbeziehungen zwischen Ministerien und nachgeordneten Behörden (vgl. Döhler 2007b). Selbst wenn es von Seiten der Ministerien eine intuitive Zurückhaltung im Verkehr mit ihren Instituten geben sollte, steht deren formale Subordination außer Frage. Dass die Forschung von den Ministerien gerne als »aufgabenakzessorisch« gegenüber den Beratungs- und Vollzugsleistungen bezeichnet wird, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass »außerwissenschaftliche Leistungsbezüge« (Hohn/Schimank 1990) für die Arbeitsweise der Ressortforschungseinrichtungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Daher ist anzunehmen, dass letztere deutlich stärker im »Schatten der Hierarchie« (Scharpf 1991: 629) stehen als Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Daraus resultiert die Frage, wie hierarchische Koordination praktiziert werden kann, ohne die Forschung gravierend zu beeinträchtigen. Über diese grundlegenden Koordinationsformen hinaus erweitern wir die Governance-Perspektive, indem wir zwischen einer Außen- und einer Binnenperspektive unterscheiden (vgl. Heinze/Arnold 2008; Jansen 2010). Die Erste bestimmt das Verhältnis zwischen Forschungsorganisationen und formal übergeordneten Einheiten (z.B. Wissenschaftsministerien, Fachgesellschaften) und die Zweite fragt nach den organisationsinternen Entscheidungsstrukturen. Dabei liegt unser besonderes Interesse auf den organisationsinternen Koordinationsformen, die dazu beitragen, die Doppelanbindung an Wissenschaft und Staat zu verknüpfen. Die Analyse geht von der Annahme aus, dass Ressortforschungseinrichtungen die verschiedenen Leistungsbezüge in ihrer Forschung berücksichtigen (müssen). In der Folge ist zu erwarten, dass Ressortforschungseinrichtungen ähnlich wie Forschungsabteilungen in Unternehmen angesichts der multiplen Anforderungen eine »Mehrzahl von Koordinierungs-, Kontroll- und Regulierungsmechanismen« (Grande/Häusler 1992: 343) aufweisen. Beispielsweise existieren in Forschungsabteilungen von Unternehmen abgestufte Formen hierarchischer Steuerung bzw. wettbewerblicher Koordination. Demnach müssen sich die Abteilungen an Vorstandsbeschlüsse halten, haben aber auch Spielraum für autonome Entscheidungen, oder die Forschungsabteilungen konkurrieren um Aufträge. Die nachfolgende Tabelle 1 gibt Beispiele für die drei Koordinationsformen und die Unterscheidung in die inter- und intra-organisatorischen Dimensionen.
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Tabelle 1: Koordinationsformen der inter- und intra-organisatorischen Steuerung von Ressortforschung Hierarchie Über- und Unterordnung, asymmetrische Verteilung von Macht (Prinzipal) und Information (Agent) Inter-organi- Einfluss des satorische Fachministeriums – Dimension Ressortforschungseinrichtungen Intra-organi- Leitung – Mitarbeiter satorische Dimension Merkmale
Wettbewerb Konkurrenz um knappe Güter, Anreize zur wechselseitigen Anpassung
Fachgemeinschaft Befolgung sozialer Normen, Selbstkoordination durch gegenseitige Beobachtung
Ressourcenkonkurrenz mit anderen Einrichtungen
Ermöglichung wissenschaftlicher Autonomie
Stellen- und Ressourcenkonkurrenz
Wissenschaftliche Leistungskriterien
3. F ALL AUSWAHL Für den Beitrag wurden zwei besonders forschungsstarke Ressortforschungseinrichtungen ausgewählt. Sie sind dabei nicht nur durch ihre wissenschaftlichen Beiträge in international anerkannten Fachzeitschriften in der Fachgemeinschaft gut sichtbar, sie stellen zudem in erheblichem Umfang Expertise für politischadministrative Entscheidungsprozesse (Politikberatung) bereit (vgl. WR 2004, 2007). Bei diesen Einrichtungen müsste das als konstitutiv angenommene Spannungsverhältnis zwischen Forschung und Beratung besonders klar auftreten. Es handelt sich zum einen um das Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB), das institutionell beim Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) angesiedelt ist, gleichzeitig aber in einem regelmäßigen Austausch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) steht. Auch wenn das IAB nicht der Fachaufsicht des BMAS untersteht, hat es verschiedene gesetzliche Aufträge zu erfüllen, die zur Ressortverantwortung des BMAS gehören. Zum anderen wird das Johann Heinrich von Thünen-Institut (TI) untersucht, das als agrarwissenschaftliche Forschungseinrichtung zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gehört.2 Beide Einrichtungen bearbeiten politisch besonders relevante und teils umstrittene Themen, die potentiell alle Bürger betreffen (Arbeitslosigkeit, Lebensmittelproduktion und Ernährung) und die auch aufgrund der finanziellen Aufwendungen in den jeweiligen Politikbereichen von erheblicher politischer Bedeutung sind (Arbeitslosenversicherung bzw. steuerfinanzierte Grundsiche2 | Für den Vergleich mit dem IAB wurden zwei sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Institute des TIs berücksichtigt (Institut für Ländliche Räume, Institut für Betriebswirtschaft).
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rung; EU-Agrarpolitik). Schließlich handelt es sich bei der Arbeitsmarkt- und der Agrarpolitik um etablierte Politikfelder, die stark von organisierten Interessen geprägt sind (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Bauernverband, Agrarindustrie). Die agrarwissenschaftliche Forschung war traditionell stark am Bedarf des landwirtschaftlichen Sektors ausgerichtet. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich aber stärker in eine grundlagenorientierte Forschung transformiert. Einen ähnlichen Prozess hat das IAB durchlaufen. Ursache waren in beiden Fällen gestiegene Ansprüche an die wissenschaftliche Qualität der Politikberatung, so etwa im Bereich Lebensmittelsicherheit (vgl. Barlösius 2008) oder der Evaluation arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die eine aufwändige Methodik sowie eine starke Grundlagenorientierung erfordern, um in den zunehmend von konkurrierender Expertise beherrschten Fachdiskursen bestehen zu können. Die empirischen Fallanalysen stützen sich neben Literatur- und Dokumentenanalysen auf 22 Experteninterviews mit Beschäftigten unterschiedlicher hierarchischer Positionen in den beiden Einrichtungen und der Ministerialverwaltung.3
4. D AS S PANNUNGSVERHÄLTNIS IN DEN R ESSORTFORSCHUNGS EINRICHTUNGEN UND IHRE K OORDINATIONSFORMEN Die These, dass Ressortforschungseinrichtungen in ein Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Staat eingebunden sind, müsste sich auf die Erfüllung ihrer Leistungen auswirken. Einrichtungen, die mit einer sehr hohen Beratungsnachfrage konfrontiert sind, müssten einen geringen Forschungsoutput aufweisen, während umgekehrt bei geringerer politischer Nachfrage ein hoher Anteil an Forschungsleistungen zu erwarten wäre. Für die untersuchten Falleinrichtungen lässt sich feststellen, dass der Anteil von Beratungsleistungen und Forschungsbeiträgen am TI weniger differiert als am IAB. Im Vergleich produzierte ein vollbeschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter an den beiden sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten des TI im Jahr 2010 genauso viele wissenschaftliche Veröffentlichungen in SCI/SSCIgerankten Fachjournalen bei gleichzeitig weniger Beratungsleistungen als ein Mitarbeiter am IAB. 4 Konkret hat ein vollbeschäftigter wissenschaftlicher Mit3 | Im Aufsatz beziehen wir uns wiederholt auf diese Interviews, weisen hierauf aber nur explizit hin, wenn einzelne Aussagen wortwörtlich zitiert werden. Des Weiteren wurden zur Verbesserung der Lesbarkeit die mündlichen Aussagen ggf. redaktionell angepasst. 4 | Den Berechnungen liegen Angaben zu erfassten Artikeln im Science Citation Index/ Social Science Citation Index (IAB: 32, LR/BW: 14) sowie Daten über die erbrachten Beratungsleistungen (IAB: 902, LR/BW: 96) und über die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter (IAB: 201,5 VZÄ, LR/BW: 66,3 VZÄ) aus den Jahresberichten (IAB Jahresbericht 2010, TI Jahresbericht 2010) zugrunde. Alle Werte sind auf eine Stelle nach dem Komma gerundet.
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arbeiter am IAB 0,2 referierte Artikel in SCI/SSCI-Journalen und 4,5 Beratungen erbracht.5 Der Output steht in einem Verhältnis von 1:22,5. Am TI entfallen auf einen vollbeschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter ebenfalls 0,2 referierte Artikel, aber nur 1,5 Beratungsleistungen (1:7,5). Dieses Ergebnis veranschaulicht, dass im Gesamteindruck die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den untersuchten Instituten vergleichbar viele wissenschaftlich originäre Beiträge veröffentlichen, aber am IAB es ebenfalls eine höhere Beratungsnachfrage abzuarbeiten gilt.6 Bemerkenswert ist, dass es am IAB trotz höherer Beratungsbelastung gelingt, im gleichen Umfang wie an den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten des TI im Verhältnis zur Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter in internationalen wissenschaftlichen Fachjournalen präsent zu sein. Dieses Ergebnis widerspricht der nahe liegenden Annahme, dass vermehrte Nachfragen durch den Staat in Ressortforschungseinrichtungen eigenständige Forschung und damit die Produktion originären Wissens verdrängt (vgl. Hohn/Schimank 1990; Schimank 2006; Weingart 2010; Weingart/Lentsch 2008). Im Folgenden werden wir untersuchen, wie die Ressortforschungseinrichtungen den unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden versuchen und welches Gewicht die unterschiedlichen Koordinationsformen jeweils einnehmen. Gibt es Anzeichen für Konflikte, die nur durch ein »gegenseitig in Schach halten« (Hohn/Schimank 1990: 340; Mayntz 1985) ausgeglichen werden? Welchen Einfluss haben diese Spannungen auf die Aufgabenerfüllung? Oder sind divergierende externe Ansprüche und Erwartungen derart in der eingesetzten Koordinationsform verankert, dass die Produktion originären Wissens wie auch von Wissen für Entscheidungsprozesse weitgehend spannungsfrei erfolgt? Die Doppelanbindung an Wissenschaft und Staat hätte in diesem Fall keine nachteilige Wirkung auf die Leistungsfähigkeit der Ressortforschungseinrichtungen.
4.1 Inter-organisatorische Koordinationsformen Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht die ministerielle Steuerung der Ressortforschungseinrichtungen, wobei insbesondere auf die Festlegung von Forschungsthemen, die Nachfrage nach entscheidungsrelevantem Wissen und die Vorgaben für Veröffentlichungen eingegangen wird (inter-organisatorische Dimension). Aus der Governance-Perspektive stellt sich insbesondere die Fra-
5 | Das Ergebnis weicht von den Darstellungen im IAB-Jahresbericht 2010 ab, da hier alle wissenschaftlichen Mitarbeiter berücksichtigt wurden und nicht nur diejenigen, die einen Publikationsauftrag haben. Die gleiche Berechnungsgrundlage wurde auch auf die Institute des TIs angewendet. 6 | Das Ergebnis hinsichtlich der Beratungsleistungen ist möglicherweise verzerrt, da der IAB-Jahresbericht 2010 nur die Gesamtzahl der Beratungen ausweist. In der Folge ist ein Abgleich mit den differenziert genannten Beratungsleistungen am TI nicht möglich.
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ge, in welchem Mischungsverhältnis hierarchische Steuerungsformen mit den Steuerungsformen Wettbewerb und Fachgemeinschaft stehen.
4.1.1 Institut für Arbeits- und Berufsforschung Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des IAB stellt ein grundlegendes Merkmal der Einrichtung dar, welches von allen relevanten Akteuren bereits über mehrere Jahrzehnte akzeptiert wird (vgl. Peters 2007). In mehreren formalen Dokumenten (bspw. einer vom Vorstand der BA und der Institutsleitung unterzeichneten »Erklärung zur wissenschaftlichen Unabhängigkeit des IAB« ) wird explizit die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Publikationsfreiheit des IAB bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben unter Verweis auf Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaftsfreiheit) erwähnt. Letzteres kann als ungewöhnlich gelten, weil Wissenschaftsfreiheit im dominierenden juristischen Diskurs mit der Ministerverantwortlichkeit und dem daraus abgeleiteten Prinzip hierarchisch nachgeordneter Verwaltung kollidiert und beschränkt wird (vgl. Bach/Döhler 2012). In einer Kooperationsvereinbarung zwischen BMAS, IAB und BA wird die wissenschaftliche Unabhängigkeit des IAB hingegen auch gegenüber dem BMAS formal bekräftigt. Die Interviews bestätigen, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit des IAB auch in der Praxis gelebt wird. Die Forschungsplanung des IAB kann insgesamt dahin gehend beschrieben werden, dass die Logik der Fachgemeinschaft dominiert. Aus Politik und Verwaltung stammende Themen werden dahingehend überprüft, ob sie einen Anteil an eigenständiger Forschung erfordern, während stärker anwendungsbezogene Fragestellungen häufig über den Weg der externen Vergabe durch das BMAS bearbeitet werden. Mit dem BMAS finden zweimal jährlich »mehr oder weniger informelle« Abstimmungsgespräche zum SGB II und III statt. Diese Gespräche werden als Aushandlungsprozess charakterisiert, in dem gemeinsam mit dem BMAS das Forschungsprogramm des IAB besprochen wird. Von Seiten des BMAS formulierte »Impulse und Anregungen«7 münden durchaus in konkrete Projekte.8 Mehrere Interviewpartner betonen, dass das BMAS für den SGB II-Bereich (Grundsicherung für Arbeitslose) eine erhöhte Aufmerksamkeit besitze und deshalb regelmäßig über Zwischenergebnisse aus der Forschung unterrichtet wird.9 Sie unterstreichen übereinstimmend, dass die Eigenständigkeit des IAB bei der Auswahl von Forschungsthemen auch bei informellen Kontakten nicht in Frage gestellt ist. Es gäbe keinen »Maulkorb« und sei zudem überaus selten, dass das Ministerium auf ein bestimmtes Thema insistiere und dies per 7 | Zitate ohne weiteren Nachweis stammen aus den durchgeführten Interviews. 8 | Darüber hinaus nimmt das IAB auch Anregungen aus dem Vorstand der BA und dem Verwaltungsrat der BA (in dem Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die öffentlichen Gebietskörperschaften vertreten sind) auf. 9 | Im Unterschied zur Forschung zum SGB III ist die Forschung zum SGB II nicht beitragsfinanziert (über die Arbeitslosenversicherung) sondern wird über das BMAS aus dem Bundeshaushalt finanziert.
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Weisung einfordere. Mehrere Interviewpartner bekräftigen, dass bei diesen Gesprächen Themenvorschläge des BMAS daraufhin geprüft werden, ob diese in das Forschungsprogramm passen oder überhaupt einen Forschungsanteil aufweisen. Die Themenvorschläge aus den Fachreferaten seien teilweise sehr kleinteilig formuliert und daher für Forschungsprojekte ungeeignet. In vielen Fällen seien die Projektvorschläge des Ministeriums vom finanziellen Aufwand her durch das IAB nicht zu bewältigen, zumal für die Bearbeitung solcher Projekte üblicherweise nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung steht. Bei der Forschungsplanung wie bei weiteren Projektthemen referiert das IAB auf die Koordinationsform Fachgemeinschaft, einerseits, um eine hierarchische Steuerung bei den Forschungsthemen »abzuwehren«, andererseits, um ministerielle Themenvorschläge in Forschungsfragen zu übersetzen und sie auf ihren Forschungsgehalt zu prüfen. Forschungsprojekte werden dann üblicherweise durch das BMAS im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel als Auftragsforschung vergeben, wobei sich auch das IAB auf solche Ausschreibungen bewerben kann, was häufig in Kooperation mit anderen Forschungsinstituten geschehe (Konsortien). So war das IAB in Kooperation mit anderen Forschungsinstituten an der ca. 10,3 Millionen Euro (vgl. Heyer 2006) umfassenden Hartz-Evaluation beteiligt. Daneben bewirbt sich das IAB auch auf einschlägige Ausschreibungen anderer Ministerien (z.B. Familienministerium) und wirbt im Rahmen thematisch eingegrenzter Forschungsprogramme etwa beim BMBF oder dem EU-Forschungsrahmenprogramm Forschungsmittel ein.10 Hinsichtlich der Auftragsforschung für das BMAS findet auch die Koordinationsform des Wettbewerbs im inter-organisatorischen Verhältnis Anwendung, wobei das IAB über die regelmäßigen Abstimmungsgespräche grundsätzlich eine privilegierte Position besitzt, die dem eigentlichen Wettbewerb vorgelagert ist. Das Verhältnis zum BMAS wird übereinstimmend als sehr gut beschrieben, was nicht auf alle thematisch einschlägigen Fachministerien zutreffe. Das BMAS sei »an Wissenschaft interessiert« und an dem Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis, was sich auch in der starken Zunahme der Evaluation arbeitspolitischer Maßnahmen äußere (vgl. hierzu Heyer 2006; Wagner 2009). Am deutlichsten wurde die zunehmende Nachfrage nach empirisch fundierter Forschung im Zusammenhang mit der Evaluation der Hartz-Gesetze, ebenso wurde die unter der schwarz-gelben Koalition umgesetzte arbeitsmarktpolitische Instrumentenreform intensiv vom IAB wissenschaftlich begleitet (vgl. Heyer et al. 2011). Die Arbeitsmarktpolitik sei ein Bereich, in dem »unglaublich viel Geld für Evaluation ausgegeben wird«. Im Bereich der Evaluation arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen werden öffentliche Aufträge zumeist an private Anbieter vergeben. 10 | Im Zeitraum zwischen 2004 und 2006 wurden ca. 84 % der Drittmittel des IAB beim Bund eingeworben (vgl. Wissenschaftsrat 2007: 38), wozu insbesondere auch Einnahmen für die Hartz-Evaluation zählen, die das IAB im Auftrag des BMAS durchgeführt hat (vgl. IAB 2010: 33).
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Das IAB nimmt in diesem Kontext aber »im Hinblick auf Datenbereitstellung, umfangreiche eigene Forschungsaktivitäten, Ergebnistransfer und Erfahrungsaustausch eine Anker- und Leitfunktion wahr« (Wagner 2009: 126). Dem entspricht, dass das Ministerium das IAB »alleine schon wegen der Größe, dem Datenzugang und zum Teil auch aufgrund […] der methodischen Kompetenz und […] Vielfalt von Themen« als »Leitinstitut« beschreibt. Auf diese Weise gelingt es dem IAB, seinen privilegierten Themen- und Feldzugang zu bewahren. Die Unabhängigkeit des IAB wird weiterhin dadurch deutlich, dass Vertreter des IAB regelmäßig als Sachverständige im zuständigen Bundestagsausschuss bspw. zu Gesetzgebungsvorhaben Stellung nehmen. Bei direkten Anfragen an das IAB findet keine Abstimmung mit dem BMAS statt. Allerdings bekommt das BMAS die Stellungnahme zur Kenntnis. Anders ist die Vorgehensweise bei großen und kleinen Anfragen aus dem Bundestag. Sie werden formal durch das BMAS beantwortet, welches die Anfragen an die BA bzw. das IAB weiterleitet. Sofern das IAB die gestellten Fragen wissenschaftlich fundiert beantworten kann, wird eine entsprechende Stellungnahme an die BA bzw. das BMAS zurückgeleitet, die in die Antwort des BMAS einfließt. Als besonders öffentlichkeitswirksame Publikation des IAB werden in mehreren Interviews die sog. Kurzberichte genannt. Ein Interviewpartner bezeichnet sie als »Flaggschiff« des IAB. Hierbei handelt es sich um in knapper Form allgemeinverständlich aufgearbeitete Forschungsergebnisse, die sich insbesondere an die Fachöffentlichkeit, an Politik und Verbände sowie an die BA »in der Fläche« selbst richten. Die Kurzberichte werden üblicherweise auf der Grundlage bereits vorhandener Publikationen erstellt und entfalten eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung, wobei durchaus Ergebnisse vorgelegt werden, die nicht allen Akteuren »passen«. Allerdings gibt es für die Kurzberichte einen »Vorabinfokreis«, der diese wenige Tage vor Veröffentlichung erhält, um bei externen Anfragen »sprechfähig« zu sein. Auf diese Weise werden die Interessen des BMAS und der BA berücksichtigt, ohne die wissenschaftliche Unabhängigkeit des IAB zu beeinträchtigen. Das IAB bewegt sich traditionellerweise vergleichsweise »offensiv in der (nichtwissenschaftlichen) öffentlichen Diskussion« (Peters 2007: 48) und wurde hierin bislang »in keiner Weise durch BA oder BMA(S) gebremst« (ebd.: 50). Mehrere Interviewpartner konstatieren eine zunehmende Inanspruchnahme des IAB in der wissenschaftlichen Politikberatung. Der Arbeitsbereich des IAB kann als vergleichsweise politiknah bezeichnet werden, was sich insbesondere darin äußert, dass zu Beginn einer neuen Legislaturperiode neue Forschungsthemen an das IAB herangetragen werden und sich die Beratungstätigkeit intensiviert, was vielfach auch kurzfristige Anfragen aus BA und BMAS beinhalte. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit des IAB in Kombination mit qualitativ hochwertiger Beratung erheblich zu seiner Glaubwürdigkeit im politischen Entscheidungsprozess beiträgt. Aus diesem Grund nimmt das IAB Beratungsaufträge nur an, wenn eine entsprechende wissenschaftliche Fundierung vorhanden ist. Als problematisch beschreibt das
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IAB, dass die Qualität von Politikberatung und die »Zufriedenheit« der Beratenen kaum messbar sei. Die steigende Nachfrage nach wissenschaftlicher Expertise wertet das IAB aber als Hinweis dafür, dass die Beratungsqualität den ministeriellen Anforderungen entspricht.
4.1.2 Johann Heinrich von Thünen-Institut Die Grundlagen der Tätigkeit des TI bilden der Gründungserlass, die Satzung, das im Zusammenhang mit der 2008 erfolgten Neuordnung der Forschungseinrichtungen des BMELV beschlossene »Konzept für eine zukunftsfähige Ressortforschung im Geschäftsbereich des BMELV« (BMELV 2008) und der Forschungsplan des BMELV. Letzterer wird »im Dialog mit dem BMELV turnusmäßig an die gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen« (Nieberg 2007: 85) angepasst. Eine laufende Abstimmung mit dem BMELV findet im Rahmen der jährlichen »Fachgespräche« zwischen den einzelnen Instituten und dem BMELV statt, in denen »man in der jeweils zusammenkommenden Runde zurückblickt auf die letzten ein, zwei, drei Jahre und bespricht, wie zufrieden man mit der Qualität des gegenseitigen Austausches und der Ergebnisse war« und auf das kommende Jahr vorausschaut. Es kann sich um größere Runden handeln, meistens sind aber weniger als zehn Personen beteiligt, deren Ziel »eine kritische Bestandsaufnahme […] von beiden Seiten« sei. Im Zusammenhang mit den Fachgesprächen werde von Seiten des TI auch »gemeckert«, wenn der Eindruck entsteht, dass bestimmte Institute »als verlängerte Werkbank benutzt« werden. Anregungen für Themen kommen sowohl vom Ministerium als auch aus den Instituten selbst. Aus Sicht des Ministeriums bestehe eine wichtige Funktion dieser Gespräche darin, dass Forschungsergebnisse »nicht nur einfach im Schreibtisch verschwinden«. Es wird aber auch betont, dass aus Sicht des BMELV die operative Unterstützung des Ressorts Vorrang habe, weshalb für kurzfristigen Beratungsbedarf entsprechende Kapazitäten vorzuhalten sind. Der Beratungstätigkeit für das BMELV wird in diesem Zusammenhang ein Ausstrahlungseffekt auf die Forschungstätigkeit attestiert. Es handele sich dabei um einen »Mechanismus, der unsere Institute am Puls dessen hält, was eigentlich so auf Sicht gebraucht wird«. Ein zentraler Punkt bei den Abstimmungsgesprächen sei die Koordination der zahlreichen Anfragen des BMELV, die häufig kurzfristig zu beantworten sind (vgl. auch Nieberg 2007: 85-86). Nach einer groben Einschätzung sei »vielleicht die Hälfte […] der Tätigkeit in den Instituten sehr eng angebunden […] an kurzfristigen Erkenntnisbedarf des BMELV«. Die Anzahl dieser Anfragen habe in den vergangenen Jahren zugenommen, was auch auf die abnehmende Personalausstattung im Ministerium zurückgeführt wird.11 Diese ergehen häufig in Form von 11 | Der Anstieg von Beratungsleistungen (Stellungnahmen, Gutachten, Recherchen) wurde schon für die wichtigste Vorgängerorganisation des TI, die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) konstatiert (vgl. Nieberg 2007: FN 2, 83). Die beiden hier untersuchten Institute waren Teil des FAL. Die Forschungstätigkeit der FAL (über alle Institu-
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Erlassen, ohne immer den Hintergrund bzw. den Anlass zu spezifizieren (parlamentarische Anfrage, Informationsbedarf des Staatssekretärs usw.). Aus einem der untersuchten Institute wird berichtet, dass kurzfristige Anfragen üblicherweise ohne vorherige Rücksprache mit dem BMELV bearbeitet werden. Bei Anfragen, die eine mehrmonatige Bearbeitungszeit benötigen, finde hingegen eine vorherige Absprache statt (z.B. in Form von Besprechungen im Ministerium). Über Zwischenberichte und vorläufige Fassungen der Endberichte werde ein Feedback des Ministeriums eingeholt. Im agrarökonomischen Bereich liegt eine Besonderheit darin, dass viele Referate des BMELV fachliche Berührungspunkte mit den entsprechenden Instituten des TI haben. Da diese Anfragen innerhalb des BMELV keiner mengen- oder themensteuernden Koordination unterliegen, müsse die Beantwortung teilweise zurückgestellt werden. Das TI habe daher in den vergangenen Jahren auf eine telefonische Vorabklärung gedrängt, zumal auch Fälle aufgetreten seien, »bei denen aus unserer Sicht fachlich unsinnige Aufträge an TI-Institute geschickt werden«. Zudem fordert das TI vom BMELV auch eine Rückmeldung bezüglich seiner Beratungsleistungen ein. Während in der Vergangenheit die Beantwortung von Anfragen des BMELV an das TI häufig entlang von (nicht) vorhandenen Zeitressourcen verhandelt wurde, ist mittlerweile zu beobachten, dass das TI zunehmend auch auf eine Vorabklärung dahin gehend drängt, ob sich die nachgefragten Themen am TI überhaupt wissenschaftlich bearbeiten lassen. Der überwiegende Teil der politikberatenden Tätigkeit im Zusammenhang mit Gesetzgebungstätigkeit bestehe aus der Abschätzung zu erwartender Folgen einzelner Handlungsoptionen oder der Entwicklung verschiedener Handlungsalternativen. Teilweise sei das TI aber auch direkt in die Gesetzesformulierung eingebunden (siehe als Beispiel das »Bundesprogramm ökologischer Landbau«, Nieberg 2007: FN 13, 92) bzw. es wird die Erwartung an das TI herangetragen, konkreter zu formulieren. Die agrarökonomischen Institute des TI sind für diesen Bereich der wissenschaftlichen Politikberatung des BMELV nach Ansicht einer Interviewperson die wichtigsten Ansprechpartner. Generell werde angestrebt, Aufträge des Ministeriums an die Ressortforschungseinrichtungen im Geschäftsbereich zu vergeben, sofern dort die entsprechende Kapazitäten und inhaltlichen Kompetenzen vorhanden sind. Hierauf habe gerade auch der Bundesrechungshof immer wieder gedrängt (siehe auch BMELV 2008). Im Verhältnis zum BMELV spielen wettbewerbliche Formen der Koordination demnach keine bedeutende Rolle. Allerdings wirbt das TI ebenso wie das IAB Drittmittel bei Förderorganisationen und über projektbezogene Ausschreibungen ein. In mehreren Interviews wird die wissenschaftliche Unabhängigkeit des TI betont, die auch in der Satzung des Instituts festgelegt ist, wonach das TI bei te hinweg) orientierte sich »zu etwa 75 % nach den gegenwärtigen Politikberatungs- und Dienstleistungsaufgaben« und war zu 25 % als »Vorlaufforschung« (Nieberg 2007: 83) zu charakterisieren.
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der Erarbeitung wissenschaftlicher Entscheidungshilfen und der Erweiterung wissenschaftlicher Erkenntnisse »wissenschaftlich selbständig« ist. Ähnlich wie beim IAB wird unterstrichen, dass es die »diplomatischen« Herausforderungen zu meistern gelte, Empfehlungen sachlich und nicht »wadenbeißerisch« vorzutragen und auch die Annahmen und Erkenntnisgrenzen stets offenzulegen. Wird einem Ratschlag des TI zu einem politisch umstrittenen Thema nicht gefolgt, wird üblicherweise eine »Sprachregelung« mit dem Ministerium vereinbart, die dem TI ermöglicht, seine wissenschaftliche Position zu vertreten und gleichzeitig die Position der Bundesregierung berücksichtigt. In diesem Zusammenhang spielt die Vertraulichkeit von Forschungsergebnissen eine wichtige Rolle; so sind die Studien der Vorgängerorganisation FAL in der Rückschau alle durch die Auftraggeber freigegeben worden, allerdings üblicherweise erst »nachdem die politischen Entscheidungen getroffen worden sind« (Nieberg 2007: 94). Es wird auch darauf verwiesen, dass das BMELV bei öffentlichen Äußerungen von Wissenschaftlern zu »politisch heiklen Dingen« vorab informiert werden möchte, um bei Anfragen von Journalisten entsprechend vorbereitet zu sein. Im Rahmen der Interviews wurde allerdings nicht auf eine formalisierte Regelung verwiesen, wie sie zwischen IAB, BMAS und BA vereinbart ist. Stattdessen werden Publikationen des TI, die sich an die breite Öffentlichkeit wenden, mit dem BMELV nicht nur zeitlich wie beim IAB, sondern auch inhaltlich koordiniert. Auch daran wird deutlich, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit des TI durchaus umstritten ist und in der Praxis immer wieder auf deren Beachtung hingewiesen werden muss. Das TI (und auch schon die Vorgängerorganisation FAL) haben bei bestimmten Themen versucht, die Politik auf Handlungsbedarf aufmerksam zu machen und hierzu Alternativen aufgezeigt. Allerdings habe das BMELV bei einigen Instituten »sehr viel stärker darauf gedrungen, dass unerwünschte Ergebnisse nach Möglichkeit auch gar nicht erst an die Öffentlichkeit kommen. Hier ist eine deutliche Änderung eingetreten«. Das TI erhalte bspw. durch das BMELV »sehr viel Rückenwind« für das strategische Konzept des TI, das für bestimmte Bereiche auch die Entwicklung von Handlungsoptionen für die politische Gestaltung beinhaltet (vgl. TI 2012: 38-39), was in bestimmten Bereichen »bis vor kurzem noch völlig undenkbar« gewesen sei. Dieser Freiraum wird auch dahingehend interpretiert, dass das BMELV erkannt habe, dass die eigenen Möglichkeiten beschränkt seien, »Lösungen für die Zukunft« zu erarbeiten und daher das TI entsprechend große Freiräume erhalte und auch vom BMELV dazu ermuntert wird, »diesen Weg selbstbewusst zu gehen«. Ein anderer Interviewpartner betont, dass die Autonomie im Verhältnis zum BMELV erarbeitet werden müsse, dass mit der Reform der Forschungsanstalten eine politische Entscheidung getroffen worden sei, den Anstalten thematisch und administrativ größere Freiheiten zu geben (vgl. BT-Drs. 16/6124), dass aber auf beiden Seiten diese neue Rollenverteilung erst eingeübt werden müsse. Das TI gehe auch immer wieder Konflikte mit dem BMELV ein, »sonst ist nämlich unsere dauerhafte Glaubwürdigkeit verloren. […] Diese Diskussionen muss man immer mal wieder
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führen, weil es nicht unbedingt jedem klar ist.« Zieht man den Vergleich zum IAB, kann festgehalten werden, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit des TI zwar formal festgeschrieben ist, in der Praxis aber nicht im gleichen Maße von den beteiligten Akteuren verinnerlicht ist.
4.2 Intra-organisatorische Koordinationsformen Auch wenn die besondere Struktur von Ressortforschungseinrichtungen dazu führt, dass sie sich vermehrt mit anderen Organisationen auseinandersetzen, wollen wir unsere Analyse nicht auf dieses Verhältnis beschränken. Diese Perspektive lässt nämlich weitgehend unberücksichtigt, wie sich Organisationen intern auf externe Anforderungen einrichten. Wir untersuchen daher im Folgenden, wie Ressortforschungseinrichtungen unterschiedliche Leistungsanforderungen in ihrer Arbeit berücksichtigen und forschungsorganisatorisch institutionalisieren. Konkret fragen wir, wie die Forschung und die Bereitstellung von Wissen für Entscheidungsprozesse auf organisatorischer und der Ebene einzelner Wissenschaftler miteinander verknüpft werden.
4.2.1 Institut für Arbeits- und Berufsforschung In Hinblick auf Betrachtungen der inter-organisatorischen Verflechtungen vermitteln die oben beschriebenen Anstrengungen des IAB, die Unabhängigkeit der Einrichtung formal festzuschreiben, den Eindruck, dass sich eine Tendenz zur »wissenschaftlichen Verselbstständigung« (Hohn/Schimank 1990) abzeichnet. Auf längere Sicht könnte eine solche Entwicklung der forcierten Autonomiebestrebung auf eine andauernde Unansprechbarkeit für außerwissenschaftliche Leistungserwartungen hinauslaufen. Das IAB hat jedoch organisationsintern Vorkehrungen getroffen, um den Aufgabenbezug der eigenen Forschung zu sichern. Die Wahl der Forschungsthemen obliegt nicht allein den wissenschaftlichen Interessen der Mitarbeiter, vielmehr müssen die Forschungsvorhaben zu den gesetzlich definierten Aufgaben des IAB passen. Innerhalb der Einrichtung überprüft eine eigenständige Arbeitsgruppe zunächst die intern formulierten Forschungsvorhaben auf ihre Konsistenz und Machbarkeit. In einem weiteren Schritt bewilligt die Leitungsebene nur positiv begutachtete interne wie externe Forschungsanträge, wenn diese inhaltlich zum Auftrag der Einrichtung passen. Diese hierarchische Koordinationsform kommt allerdings nur in einem begrenzten Umfang zum Einsatz. Den Abteilungen und Arbeitsgruppen werden auch Forschungsfreiräume zugestanden. So sind bspw. beim IAB nur größere Projektvorhaben (mit mehreren Mitarbeitern) der internen Begutachtung vorzulegen und eine interne Bewilligung einzuholen. Obwohl das IAB eine klare Forschungsausrichtung beansprucht, wächst der Anteil der Beratungsleistungen am Tätigkeitsvolumen. Die vermehrte Beratungsnachfrage wird von den wissenschaftlichen Mitarbeitern teilweise als Einschränkung oder Belastung empfunden. Die Institutsleitung löst diese Spannungen
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aber nicht nur durch Zurückweisungen von Anfragen auf, sondern unterstreicht innerhalb der Einrichtung die Relevanz von Beratungsleistungen. Damit geht jedoch keine schleichende »politische Vereinnahmung« (Hohn/Schimank 1990) durch die Verdrängung eigenständiger Forschung einher. Es gehört zwar zum Selbstverständnis des IAB, die Themen aus der Forschungsarbeit der Öffentlichkeit vorzustellen. Dazu veröffentlicht das IAB Kurzberichte, die sich mit allgemein verständlichen Ergebnisdarstellungen an einen breiten Leserkreis wenden. Die Wissenschaftler sind aufgefordert, diese Veröffentlichungsform neben anderen praxisorientierten Publikationsformen zu nutzen. Die Publikationsleistungen der wissenschaftlichen Mitarbeiter sollen sich aber nicht nur auf praxisrelevante Veröffentlichungen konzentrieren. Ein Gegengewicht wird durch die Zielvorgabe geschaffen, dass mindestens 0,5 referierte Artikel je wissenschaftlichem »Mitarbeiter mit Publikationsauftrag« pro Jahr erscheinen. Die Mehrheit der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat den Auftrag, in Peer-Review-Zeitschriften zu veröffentlichen. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil ist davon ausgenommen. Insgesamt hat die Mitarbeitergruppe mit Publikationsauftrag die gesetzte Zielmarge in den letzten Jahren fast immer erreicht (vgl. IAB Jahresbericht 2010). Insbesondere der mit einer Zielvorgabe versehene Publikationsauftrag lässt sich als intra-organisatorische Koordinationsform der Fachgemeinschaft begreifen, die den Stellenwert der damit konkurrierenden Beratungsleistungen abschwächen soll. Des Weiteren schafft das IAB auf diese Art und Weise nicht nur die Möglichkeit, die wissenschaftlichen Leistungen seiner Mitarbeiter zu messen, sondern auch zum wissenschaftlichen Reputationserwerb. Die Wissenschaftler sind dadurch angehalten, Beratungsleistungen zu erbringen und in der Fachgemeinschaft sichtbar zu sein. Das IAB setzt weitere Koordinationsformen der Fachgemeinschaft ein. Dazu gehören das Peer Review-Verfahren bei der Begutachtung von internen Projektanträgen durch die Arbeitsgruppe Projektbegutachtung. Die Beurteilung, ob die Anträge wissenschaftlichen Standards entsprechen, erfolgt durch zwei Gutachter. Teilweise werden auch externe Fachkollegen einbezogen. Ebenso sichert das Peer Review-Verfahren die Qualität der wissenschaftlichen Politikberatung des IAB, da es ebenfalls bei der Erstellung von Berichten in den eigenen Reihen zur Anwendung kommt. Auch in diesem Fall werden die Texte einem Begutachtungsprozess unterzogen. Schließlich werden bei der Beurteilung und Rekrutierung von wissenschaftlichen Mitarbeitern am IAB hierarchische und endogene Koordinationsformen der Wissenschaft eingesetzt. So existieren Erwartungen hinsichtlich nicht-wissenschaftlicher und wissenschaftlicher Leistungsmerkmale. Auf die Frage nach den Erwartungen an einen »idealen« Mitarbeiter antwortete ein Interviewpartner folgendermaßen: »Er sollte ein guter Forscher sein, das auf jeden Fall. Er sollte auch in der Lage sein, einer fachfremden Zielgruppe ein Stück weit vermitteln zu können, was seine Forschung beziehungsweise vielleicht noch wichtiger, was seine Forschungsergebnisse für diese fachfremde Gruppe möglicherweise be-
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deuten«. Folglich strebe die Leitung an, »nicht nur die reinen Wissenschaftler zu fördern«, sondern: »Ich brauche jemanden, der mit unterschiedlichen Leuten sehr gut reden kann, aber ich brauche natürlich [auch] jemanden, der von der Forschung her wirklich gut ist.« Die Situation der zumeist befristet beschäftigten Wissenschaftler an universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland macht die Besetzung von dauerhaften Planstellen an Ressortforschungseinrichtungen fast automatisch zu einer wettbewerblichen Koordinationsform, da offene Planstellen eine Möglichkeit bieten, aus befristeten Beschäftigungsverhältnissen auszusteigen. Am IAB bedient man sich bspw. der Konkurrenzsituation und besetzt über Berufungsverfahren Bereichsleitungspositionen. In einer Berufungskommission, ähnlich wie bei universitären Berufungsverfahren als Instrumente der Fachgemeinschaft, sind neben Vertretern der betroffenen IAB Forschungsbereiche ebenso externe Mitglieder vertreten.
4.2.2 Johann Heinrich von Thünen-Institut Der fehlende Konflikt um eine formale Verankerung der »wissenschaftlichen Unabhängigkeit« und der hohe Anteil an Beratungsleistungen für das BMELV könnten den Eindruck vermitteln, dass die untersuchten Institute des TI politisch vereinnahmt sind und eigenständige Forschung und Ausrichtung an der Fachgemeinschaft nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung besitzen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass das TI auf eine aufgabengebundene Forschung achtet. So tragen die Leitungen der Institute dafür Sorge, dass intern geschriebene Projektanträge »ins Institutsspektrum« passen. Doch führt der hohe Stellenwert der Beratungstätigkeiten am TI keineswegs zu einer Verdrängung eigenständiger Forschung. Die politikrelevanten Leistungen haben in der Regel nur Einfluss auf die Tätigkeit festangestellter Wissenschaftler, da sie mit der Beratung und der Koordination und Durchführung von Forschungsprojekten betraut sind. Folglich müssen die Planstelleninhaber ihre eigene Forschung zurückstellen, wenn Beratungsleistungen zu erbringen sind. Zugleich bleiben sie über die Projektleitung mit der laufenden Forschung in Verbindung. Temporär beschäftigte Wissenschaftler in Drittmittelprojekten sind von der Priorisierung der Beratungsleistungen weitgehend unberührt, weil ihre Aufgabe sich auf die Bearbeitung des zugewiesenen Forschungsprojektes konzentriert. In einigen Fällen verwischt diese Trennung aber, da »man natürlich angestellt ist für Projekte und da einfach die Erfüllung der Projektpflichten im Vordergrund steht«. Zugleich habe man »immer die Möglichkeit, praktisch an der Politikberatung teilzunehmen«. Darüber hinaus werden langjährig befristet beschäftigte Wissenschaftler, die über eine entsprechende Expertise verfügen, zu Beratungsanfragen herangezogen. Grundsätzlich trägt die Arbeitsteilung dazu bei, dass die ministerielle Nachfrage nach politikrelevanter Expertise die Forschung in den Instituten nicht vollständig durchdringt. Es verbleiben Freiräume für eigenständige Forschung.
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Die wissenschaftliche Autonomie ist dadurch jedoch noch nicht in gleichem Maße gesichert wie beim IAB. Wissenschaftliche Leistungsmerkmale werden zwar anerkannt und es besteht eine generelle Publikationsfreiheit. Allerdings wird erwartet, dass die Wissenschaftler den Beratungsaufgaben immer einen Vorrang gegenüber wissenschaftlichen Aufsätzen einräumen. So besitzen Gutachten, Berichte und Stellungnahmen eine Priorität gegenüber wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die ausdrücklich erwünscht sind: »Das Primat unserer Forschungsergebnisse muss sein, dass sie einen Real Impact haben. In zweiter Linie einen Scientific Impact und eine Journalfähigkeit.« Diese Priorisierung beeinflusst durchaus das Publikationsverhalten der Ressortforscher in Richtung praxisrelevante Veröffentlichungen. In diesem Aspekt unterscheidet sich die Ressortforschung jedoch nicht von Veröffentlichungen von agrarwissenschaftlichen Lehrstuhlinhabern im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die sich ebenfalls durch einen beachtlichen Anteil an praxisbezogenen Beiträgen auszeichnen.12 Auch bei der Rekrutierung von Wissenschaftlern auf unbefristete Planstellen achten die Institutsleitungen auf nicht-wissenschaftliche Leistungskriterien wie Beratungsaffinität und die Fähigkeit, wissenschaftlich generiertes Wissen einem fachfremden Leserkreis zu vermitteln. Folglich werden vor allem Wissenschaftler auf Dauerstellen übernommen, die sich nicht auf rein akademische Forschung beschränken. Fehlt bei ansonsten geeigneten Wissenschaftlern ein Verständnis für die Politikrelevanz ihrer Tätigkeit, wird ihnen eine gewisse Sensibilität für politische Entscheidungsprozesse durch die Abordnung ins Ministerium vermittelt. Dadurch würden Mitarbeiter »ein Gespür dafür kriegen, wie die [im Ministerium] arbeiten und warum bestimmte Dinge laufen, wie sie laufen«. Bei der Rekrutierung von Wissenschaftlern kommen aber nicht nur politikrelevante Merkmale zum Zuge, ebenso wird die Auswahl von fachgemeinschaftstypischen Instrumenten wie die Vergabe von akademischen Graden und dem Peer Review-Verfahren geprägt. Gerade bei der Besetzung von Planstellen in den untersuchten Instituten wird die wissenschaftliche Eignung über Forschungsleistungen in Form von Veröffentlichungen in referierten Zeitschriften und der Bereitschaft zu oder dem Vorliegen einer Doktorarbeit beurteilt. Die Mitarbeiter sollen bspw. exzellent und durch Publikationen präsent sein. Noch wichtiger werden diese Leistungsmerkmale bei der Verbeamtung. Die Erfassung der »Leistungsfähigkeit« des wissenschaftlichen Personals ist am TI formalisiert. In Zielvereinbarungsgesprächen können die verbeamteten Wissenschaftler vier von sechs Kategorien wählen, in denen sie ihre Leistungen bewertet sehen möchten. Zu diesen Kategorien zählen (1) wissenschaftliche Publikationen und Vorträge, (2) Stellungnahmen, Gutachten und fachliche Berichte, (3) Forschungsaufträge aus Drittmitteln, (4) nationale und internationale Zusam12 | Die Aussage basiert auf einem Vergleich von Veröffentlichungen nach Art der Publikationsorgane (wissenschaftlich versus praxisbezogen) großer agrarwissenschaftlicher Fakultäten mit den ausgewählten Instituten am TI.
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menarbeit, Gremienarbeit, (5) Sonderaufgaben wie die Leitung einer Organisationseinheit, Erarbeitung von Konzepten, Mitarbeit im administrativen Bereich sowie (6) Mitarbeiterführung. Das Spektrum zeigt eindrücklich, dass die Beurteilung nicht nur nach wissenschaftlichen Leistungskriterien erfolgt, sondern sogar die Möglichkeit besteht, wissenschaftliche Bewertungsmaßstäbe gänzlich zu umgehen. Trotz des formalisierten Bewertungsverfahrens am TI hat das forschende Personal das Anforderungsprofil kaum verinnerlicht. Zumindest sind die Bewertungskriterien in Gesprächen über den beruflichen Werdegang kein Thema. Dies lässt darauf schließen, dass das Bewertungssystem für die wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Praxis nur von geringer Bedeutung ist. Unabhängig vom Bewertungssystem wird Planstelleninhabern teilweise aber auch keine klare Vorstellung von den Erwartungen an die eigene Position im Institut und die daran geknüpfte Tätigkeit vermittelt: »Ich war am Anfang auch ein bisschen ratlos darüber, dass ich hier her kam und es gab eigentlich keine konkrete Aufgabe – außer: ›Machen Sie mal!‹« Die Zielvereinbarungen entfalten scheinbar nur geringe Anreize und geben kaum einen Handlungskorridor für die Orientierungen der wissenschaftlichen Mitarbeiter vor.
4.3 Vergleich der Fallbeispiele Ein Vergleich von beiden Ressortforschungseinrichtungen macht deutlich, dass ähnliche Koordinationsformen institutionalisiert wurden. Insgesamt weist deren Mischungsverhältnis große Gemeinsamkeiten auf, wobei hierarchische Koordinationsformen der Ausrichtung an staatlich definierten Aufgaben dienen und fachgemeinschaftliche zur Produktion von wissenschaftlichen Leistungen beitragen. Tabelle 2: Formen der Governance von Ressortforschungseinrichtungen Inter-organisatorische Dimension
Intra-organisatorische Dimension
Hierarchie Forschungsplanung, verbindliche Beauftragung mit Forschungsthemen Veröffentlichungsvorgaben Interne Verfahren der Projektgenehmigung (»Wissenschaft per Dienstweg«)
Wettbewerb Bewahren eines privilegierten Themen- und Feldzugangs
Fachgemeinschaft Teilautonome Publikations- und Themenwahlfreiheit
Konkurrenz um Planstellen
Gegenseitige Begutachtung (Peer Review), Anerkennung eigener Leistungskriterien
Die Übersicht (Tabelle 2) zeigt die eingesetzten Koordinationsformen im IAB und den sozialwissenschaftlichen Instituten am TI. Auf der inter-organisatorischen Dimension stellen die Ministerien durch ihre Beteiligung an der Forschungs-
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planung und der verbindlichen Beauftragung mit Forschungsthemen und Veröffentlichungsvorgaben sicher, dass die Ressortforschungseinrichtungen sie dauerhaft und jederzeit mit Wissen für Entscheidungsprozesse bedienen, ohne dabei in der politischen Handlungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Beim IAB ist im Vergleich zu TI wissenschaftliche Autonomie stärker verankert, was sich in der formal fixierten Einschränkung des ministeriellen Zugriffs dokumentiert. Dass derartige Regelungen beim TI fehlen, kann Verschiedenes bedeuten: Entweder der Zugriff durch das Ministerium fällt insgesamt geringer bzw. weniger hierarchisch aus oder dieser ist im Selbstverständnis der Einrichtung ein Indiz für deren Politikrelevanz und daher kein konfliktbehaftetes Thema. Für die letztere Interpretation spricht, dass am TI eine relativ hohe Nachfrage politikrelevanter Expertise besteht und der ›Real Impact‹ gegenüber dem ›Scientific Impact‹ einen höheren Stellenwert besitzt. Beide Einrichtungen nutzen ihre Alleinstellungsmerkmale, um einen privilegierten Themen- und Feldzugang zu sichern. Damit gelingt es ihnen, sich von anderen Forschungseinrichtungen abzuheben. Zum einen bewahren sie sich damit einen Wettbewerbsvorteil und zum anderen mildern sie durch einrichtungsspezifische Leistungskriterien Anforderungen der Fachgemeinschaft so ab, dass daraus keine Konflikte mit dem vorgesetzten Ressort resultieren. Schließlich dokumentiert sich die Koordinationsform des Wettbewerbs am TI ebenfalls wie am IAB in der Konkurrenz bei der Besetzung von Planstellen und Leitungspositionen. Das Rekrutierungsverfahren sieht kein Nachrücken aufgrund von Dienstjahren oder besonderen Verdiensten in der Einrichtung vor. Vielmehr konkurrieren die internen wissenschaftlichen Mitarbeiter mit externen Bewerbern. In den untersuchten Fällen spielen ansonsten Koordinationsinstrumente des Wettbewerbs keine ausgeprägte Rolle. Sie unterscheiden sich darin von anderen Ressortforschungseinrichtungen mit Dienstleistungsaufgaben, die Haushaltsmittel für eigenständige Forschung wettbewerblich vergeben. Dort konkurrieren die Abteilungen und Arbeitsgruppen um die verfügbaren Mittel. Bei den untersuchten Instituten sind Drittmittel vielmehr von Bedeutung, um die eigene Stelle zu finanzieren oder ein Arbeitsgebiet auf- und auszubauen. Insgesamt zeigen der Einsatz und die Mischung der Koordinationsformen in den untersuchten Fällen, dass es den Ressortforschungseinrichtungen gelingt, Leistungserwartungen der Wissenschaft und des Staates gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Einrichtungen befinden sich demnach nicht in einem beständigen Durchsetzungskonflikt mit der einen oder anderen Anforderung. Durch die Mischung der Koordinationsformen wird das postulierte Spannungsverhältnis (vgl. Hohn/Schimank 1990; Schimank 2006; Weingart/Lentsch 2008; Weingart 2010) weitgehend neutralisiert. D.h., dass Ressortforschungseinrichtungen verschiedenartige externe Anforderungen durch eine multiple Ausrichtung ihrer Organisationsziele nach außen (vgl. auch Bach/Döhler 2012) sowie interne Verfahren und Karrierewege nach innen integrieren. Heterogene Leistungsansprü-
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che miteinander zu vereinbaren, gehört also zur organisatorischen Selbstidentität (vgl. Philipps 2013). Universitäten oder Max-Planck-Institute richten sich dagegen prioritär an akademischen Leistungserwartungen aus, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass externe Erwartungen Konflikte hervorrufen. So hat die politisch gewollte Ausrichtung der Universitäten an privatwirtschaftlichen Kriterien zu Spannungen geführt, die sich z.B. an Spin-offs von Universitäten ablesen lassen. Häufig tun sich diese Organisationen schwer damit, den multiplen Leistungserwartungen gerecht zu werden (vgl. Baumeler 2009; Tunnainen 2005). Die multiple Ausrichtung der Ressortforschungseinrichtungen ist hingegen eine Erklärung dafür, warum trotz der Doppelanbindung an Wissenschaft und Staat kaum Spannungen auftreten. Hätten die Ressortforschungseinrichtungen hingegen eine klare, eindeutige Ausrichtung, wären Spannungen, die aus Interessendurchsetzungskonflikten resultieren, vorprogrammiert und würden auf lange Sicht die Einrichtungen destabilisieren und ihre Leistungsfähigkeit mindern.
5. S CHLUSSFOLGERUNG In dem Beitrag haben wir uns mit inter- und intra-organisatorischer Governance in Ressortforschungseinrichtungen beschäftigt. Ausgangspunkt unserer Analyse war die Doppelanbindung der Einrichtungen zur Wissenschaft und zur Politik. Mit dieser Schnittstellenposition gehen strukturelle und funktionale Widersprüchlichkeiten einher. Diese führen entweder zu permanenten Spannungen und Konflikten oder es gelingt den Einrichtungen, die konträren Erwartungen und Anforderungen zu integrieren und dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Die aufgezeigten Koordinationsformen veranschaulichen, wie die Beziehungen der Einrichtungen extern zu den Ministerien und intern zu den Mitarbeitern ausgehandelt werden, welche Mischungsverhältnisse bestehen und welche Folgewirkungen hieraus resultieren. Die Governance-Forschung hat sich bisher auf die inter-organisatorische Dimension konzentriert. Bleibt man auf dieser Ebene, ist schwer zu verstehen, wie Ressortforschungseinrichtungen die Doppelanbindung an Wissenschaft und Staat intern verarbeiten. Dazu ist es erforderlich, auf die intra-organisatorische Ebene zu wechseln, und die dort etablierten Koordinationsformen zu betrachten. Die untersuchten Fälle zeigen, dass die ministeriellen Anforderungen in eigene institutionelle Verfahren, Prozesse und Kriterien übersetzt werden. So kennzeichnet sich die teilautonome Themenwahl dadurch, dass interne Verfahren der Projektgenehmigung zur Anwendung gelangen, bei denen sichergestellt wird, dass sich die Forschung an den einrichtungsspezifischen Aufgaben ausrichtet. Durch die Möglichkeit, Planstellen anbieten zu können, verfügen Ressortforschungseinrichtungen über wirkungsvolle Anreize, um interne und externe Bewerber für die eigenen Leistungskriterien zu gewinnen. Erwartet werden sowohl wissenschaftliche Fertigkeiten wie auch die Fähigkeit, wissenschaftlich generiertes Wissen an
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fachfremde Zielgruppen zu vermitteln. Diese Anforderungen haben beide Einrichtungen in ihren Leistungskriterien festgeschrieben. Die hier nachgezeichnete Mischung von Koordinationsformen kann die relative Stabilität von Strukturen und Prozessen und die Leistungsfähigkeit von Ressortforschungseinrichtungen erklären. Zwar wurden das IAB und das TI in den letzten Jahrzehnten reorganisiert, die Doppelanbindung blieb davon aber unberührt. Gleichwohl wird von beiden Einrichtungen eine verstärkte Orientierung an den wissenschaftlichen Standards der Fachgemeinschaft erwartet. Eine wesentliche Erklärung dafür, dass trotzdem kein epistemic drift stattfindet, ist darin zu sehen, dass diese Anforderungen an die Koordinationsformen auf der intraorganisatorischen Dimension verankert wurden. Für die künftige Erforschung der Spezifik von Ressortforschungseinrichtungen gilt es daher, die GovernancePerspektive verstärkt auf die intra-organisatorische Dimension zu richten. Insgesamt machen die beiden Fallbeispiele deutlich, dass entweder die Ressortforschungseinrichtungen angemessene Lösungen für das Spannungsverhältnis gefunden haben oder die organisatorische Eigenheit Konflikte durch Doppelanbindung an Wissenschaft und Politik weitgehend unterbindet. Auf der Basis unserer Beobachtungen lassen sich die ausbleibenden Spannungen zu einem erheblichen Teil mit der Herausbildung einer intra-organisatorischen Arbeitsteilung zwischen eher forschungs- und eher beratungsorientierten Mitarbeitern erklären. Es dürfte jedoch eine zu hoffnungsfrohe Position sein, wenn erwartet würde, dass sich diese organisationsinternen Adaptionsmechanismen quasi automatisch herausbilden und so alle auftretenden Probleme lösen. Zunächst gilt es zu bedenken, dass Generalisierungen aus den beiden Fallstudien nur begrenzt möglich sind, da die nach wie vor ungebrochene Bedeutung des Ressortprinzips ebenso wie die unterschiedlich anspruchsvollen und konfliktträchtigen Aufgaben von Ressortforschungseinrichtungen jeweils andere Rahmenbedingungen generieren. Uns scheint jedoch ein Faktor besonders hervorhebenswert, um sich der wissenschaftspolitischen Frage zu nähern, wie eine Kombination aus forschungs- und beratungsstarken Ressortforschungseinrichtungen möglich wird. In beiden Fällen haben externe Anstöße, nämlich die Evaluation des WR im Fall des IAB und die umfangreiche gesetzliche Reorganisation der Agrarforschungsanstalten 2007 im Falle des TI jene Reflexionsprozesse ausgelöst, die sowohl bei den vorgesetzten Bundesministerien wie auch bei den Einrichtungen selbst das Bewusstsein für eine wechselseitige vorteilhafte Interaktion geschaffen oder zumindest verstärkt haben. Dazu gehört nicht nur ein Teilverzicht auf die Durchsetzung eigener Vorstellung über das Verhältnis von Forschung und Beratung, sondern auch die Anerkennung der jeweils spezifischen Anforderungen und Zwänge, in denen sich Bundesministerien bzw. Ressortforschungseinrichtungen befinden. Das ist deshalb keine unrealistische Vorstellung, weil die beiden Fälle verdeutlichen, dass Freiräume in der Forschung keineswegs zulasten der Beratungsleistungen gehen, sondern im Gegenteil deren Qualität zu steigern vermögen.
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Regionale Vernetzung von Hochschulen Knut Koschatzky, Miriam Hufnagl, Henning Kroll, Stephanie Daimer, Friedrich Dornbusch, Nicole Schulze
1. P ROBLEMSTELLUNG Während die Rolle, die Hochschulen in ihrer jeweiligen Region spielen, über viele Jahre weitgehend unbeachtet blieb, wird der Aspekt der regionalen Vernetzung inzwischen auch in Deutschland als wissenschaftspolitisch relevant eingeschätzt (vgl. Schiller/Kiese 2010; international z.B. Kitagawa 2004; Goldstein/Glaser 2012). So hat seit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes im Jahr 1998 durch die Zuweisung von Wissens- und Technologietransfer als dritte zentrale Aufgabe neben der Forschung und Lehre die Dimension der regionalen Vernetzung im Prozess der individuellen Strategiebildung einzelner Hochschulen an Bedeutung gewonnen (vgl. Kitagawa 2009; Sondermann et al. 2008). Parallel dazu stehen Hochschulen seit Mitte der 2000er Jahre in zunehmendem Interesse sowohl nationaler als auch regionaler politischer Akteure. Einerseits hat die Intensivierung der Clusterförderung auf Ebene der Bundesländer zu der Erwartung geführt, dass sie sich regional in Netzwerken und Clustern engagieren (vgl. Asheim et al. 2007; Benneworth/Hospers 2008; Koschatzky/Stahlecker 2012). Andererseits werden von Hochschulen auch seitens der Bundesregierung wichtige Impulse für die Herausbildung regionaler Forschungsschwerpunkte erwartet, wie beispielsweise im Rahmen der Förderinitiative Forschungscampus (vgl. BMBF 2011). Noch in jüngerer Vergangenheit stellten solche Vernetzungsaktivitäten für deutsche Universitäten eine weitgehend freiwillige Entscheidung dar, die den Einrichtungen nur in bestimmten Sondersituationen strategische Vorteile brachten (vgl. z.B. implizit Beckmeier/Neusel 1991). Zudem beschränkten sich entsprechende Aktivitäten in weiten Teilen auf politische Netzwerke, die zur Erhaltung oder Verbesserung des regionalen und überregionalen Images der Hochschule erforderlich waren. Im Bereich der wissenschaftlichen Aktivitäten bildeten sich regionalisierte Vernetzungen mit anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen oder Unternehmen, beispielsweise über die Aktivitäten der An-Institute (vgl. Ko-
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K. Koschat zky, M. Hufnagl, H. Kroll, S. Daimer, F. Dornbusch, N. Schulze
schatzky et al. 2008), oder in den letzten Jahren in Form von Zusammenschlüssen von Universitäten und Forschungseinrichtungen (z.B. Karlsruhe Institute of Technology KIT, Jülich Aachen Research Alliance JARA) sowie Kooperationen technischer Universitäten mit Großunternehmen in Form von Campusmodellen (vgl. Rohrbeck/Arnold 2006). Mit der zunehmenden Konzentration staatlicher Fördermaßnahmen auf die Vernetzung zwischen Partnern aus unterschiedlichen Bereichen des Innovationssystems und dem Fokus auf die Herausbildung regionaler, d.h. innerhalb einzelner Bundesländer sich etablierender Netzwerke (vgl. hierzu als Übersicht z.B. Kiese 2012; Koschatzky/Stahlecker 2012; Schiller/Kiese 2010), hat sich für Hochschulen die Situation allerdings grundlegend verändert. Regionale Vernetzungsaktivitäten sind nun für universitäre Akteure aus mindestens zwei Perspektiven strategisch interessant geworden, die durchaus auch in Kombination von Bedeutung sind. Einerseits können sie eine vorteilhafte Positionierung einzelner Fachvertreter oder Disziplinen innerhalb der universitären Selbstverwaltung ermöglichen. Denn selbst wenn ein unmittelbarer wissenschaftlicher Mehrwert eingangs noch unsicher erscheint, erschließen regionale Vernetzungsaktivitäten von Hochschulangehörigen unter Umständen zusätzliche Fördermittel, schaffen Sichtbarkeit und verbessern die wissenschaftspolitischen Handlungsoptionen der Leitung der Hochschule. Andererseits kann die Verfügbarkeit zusätzlicher Ressourcen zum Zwecke der regionalen Vernetzung die Realisierung wissenschaftlicher Kooperationsvorhaben erleichtern. Vor diesem Hintergrund befasst sich dieser Beitrag mit zwei Kernfragen: • •
Erstens, welche Art, Intensität und Ausprägung von regionalen Aktivitäten sind an deutschen Hochschulen überhaupt zu beobachten? Zweitens, welche Auswirkungen bzw. Herausforderungen birgt die zunehmende Betonung regionaler Vernetzung für das strategische Handeln an Universitäten und Fachhochschulen auf der Leitungs-, Dekanats- und Professorenebene in Bezug auf interne Koordinierung und Strategiebildungsprozesse?
Der Beitrag geht von der Annahme aus, dass eine verstärkte Öffnung in die Region neue Handlungsspielräume für Hochschulakteure schafft, die sich mittelfristig auch in Veränderungen der Ressourcenflüsse und die Rolle von Entscheidungsinstanzen innerhalb der universitären Selbstverwaltung niederschlagen wird. Damit ergeben sich neue Anforderungen für die hochschulinterne Steuerung und Koordinierung dieser Aktivitäten sowie an die externe Steuerung von Hochschulen durch die Wissenschaftspolitik.
Regionale Vernet zung von Hochschulen
2. THEORE TISCHE UND EMPIRISCHE H INTERGRÜNDE Aufgrund der in den letzten Jahren gewachsenen Autonomie der Hochschulen ist zu vermuten, dass sich hinsichtlich ihrer Aktivitäten und Handlungsstrategien neue Gestaltungsspielräume eröffnet haben. Diese lassen sich mittels einiger im Rahmen der akademischen Hochschulforschung entwickelten Konzepte näher erläutern. Einige Autoren stellen darauf ab, dass Hochschulen im Rahmen des sich verändernden Governanceumfeldes selbst zu aktiv handelnden Akteuren in ihrer Region werden, während sie früher lediglich Steuerungsobjekt waren und damit, zumindest als Institution, keine entsprechenden Strategien verfolgen konnten (vgl. Krücken 2009; Krücken/Meier 2006; Nickel 2004). In der Wissenschaftsund Innovationsforschung werden in diesem Zusammenhang die Auswirkungen der Entstehung von »entrepreneurial universities« (vgl. Clark 1998; Gibbs 2001), die »boundary spanning roles« (vgl. Youtie/Shapira 2008) neuer universitärer Einheiten sowie die »third role« (vgl. Gunasekara 2004; Westnes et al. 2007) von Universitäten, d.h. ihr aktiver Beitrag zur Regionalentwicklung durch Wissensspillover aus Lehre und Forschungsaktivitäten, diskutiert. Diese Rollenkonzepte und die damit einhergehende gezielte Entwicklung von Strategien zur Durchführung regionaler Aktivitäten (vgl. Abramson 1997; Charles 2003; Gunasekara 2006; Premus 2003) sind für deutsche Hochschulen – im Gegensatz zu den Aktivitätsprofilen bspw. amerikanischer, britischer oder australischer Universitäten – vergleichsweise neu (vgl. implizit z.B. Beckmeier/Neusel 1994). Unter anderem entwickeln sich neue Kompetenzfelder und Aktivitätsprofile, die sich auch in neuen Besetzungsstrategien in den Leitungsstrukturen von Universitäten niederschlagen (vgl. Krücken 2009). Die Frage, welche unterschiedlichen Formen der Koordinierung und Kontrolle von Aktivitäten sich herausbilden, ist angesichts der zunehmenden Differenzierung im Hochschulsystem stark von der bereits bestehenden regionalen Einbindung und dem wissenschaftlichen Profil der betreffenden Universität abhängig (vgl. Boucher et al. 2003; Power/Malmberg 2008). Es ist davon auszugehen, dass die angestoßenen Maßnahmen zur Herausbildung unterschiedlicher Typen von Hochschulen mit institutionell spezifischer regionaler Ausrichtung führen können. Bisher gibt es in diesem Feld kaum empirische Arbeiten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die meisten der entsprechenden strategischen Prozesse entweder noch nicht oder erst kürzlich abgeschlossen wurden (vgl. Krücken et al. 2008). Zur Bestandsaufnahme regionaler Aktivitäten von Hochschulen selbst gibt es bislang nur vereinzelte Überblicksarbeiten. Die regionalwissenschaftliche Forschung fokussiert sich dabei oft auf die mikroökonomisch erfassbaren Effekte des regionalen Engagements von Hochschulen, die implizit vor allem auf die Zusammenarbeit der Hochschulen mit regionalen Unternehmen bzw. Wirtschaftspartnern sowie Humankapitaltransfers zurückgeführt werden (eine Übersicht gibt
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Voß 2004). Es konnte auch gezeigt werden, dass innerhalb dieses allgemeinen Kooperationsmusters Fachhochschulen viel stärker auf ihr räumlich nahes Umfeld ausgerichtet sind als Universitäten (vgl. Fritsch et al. 2007: 79, 128). In welcher Form darüber hinaus Aktivitäten bestehen, wird häufig nicht weitergehend untersucht. Die in diesem Beitrag vorwiegend verwendeten Begriffe ›regionales Engagement‹ bzw. ›regionale Aktivitäten‹ sind daher bewusst weit gewählt, um möglichst viele Varianten hochschulischer Aktivitäten im regionalen Bereich erfassen zu können. Im Einzelnen wurden folgende Begriffe in der empirischen Arbeit verwendet: • •
• •
Regional: Das Umland eines Hochschulstandortes, das in maximal 2 Stunden Fahrtzeit (mit Pkw oder Bahn) erreicht werden kann; Regionale Aktivitäten von Hochschulen: Regionales Engagement von Hochschulangehörigen oder der Hochschule als Institution, das in der Regel auf Interaktionen mit regionalen Partner beruht (regionale Vernetzung); Netzwerk: »Eine Menge von Akteuren, die über eine Menge von Beziehungen mit einem bestimmten Inhalt verbunden sind« (Wald/Jansen 2007: 93); Governance: »Komplexe Regelungsstrukturen, die Handlungen interdependenter Akteure koordinieren« (Jansen 2010: 40).
Um die regionalen Aktivitäten von Hochschulen adäquat abzubilden, ist es erforderlich, Formen regionalen Engagements einzubeziehen, die über die klassischerweise betrachteten Bereiche des Technologietransfers, der universitären Ausbildung sowie der Durchführung von technologisch orientierten Kooperationsprojekten hinausgehen. Eine Grundlage für eine solche Überblicksdarstellung liefern Benneworth et al. (2009), die verschiedene Arten universitären Engagements in der Gesellschaft beschreiben. Obwohl nicht beabsichtigt, bildet sich bei dieser Betrachtung ein regionaler Fokus auf das Engagement heraus, was an der Tatsache liegt, dass gerade in diesen Bereichen »Wissen auf Beinen reist« (Benneworth et al. 2009: 2) und damit viele (aber nicht alle) der Aktivitäten im regionalen Umfeld stattfinden. Auf dieser Basis wurde eine Typologie der universitären Vernetzung entwickelt (vgl. Tabelle 1), die sich an den Kerntätigkeiten Forschung, Lehre, Wissensaustausch und Dienstleistungen orientiert und den folgenden Überlegungen zugrunde gelegt wird.
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Tabelle 1: Typologie universitären Engagements Kerntätigkeiten der Hochschulen
Hauptarten des Engagements R1
Forschung
R2 R3 R4 K1 K2
Wissensaustausch
K3 K4 K5 S1
Dienstleistung
Lehre
S2 S3 S4 T1 T2 T3 T4 T5
Verbund-Forschungsprojekte (im Sinne von TechnologieTransfer in die Wirtschaft) Forschungsprojekte, die einen gemeinsamen Wissensgewinn für alle Partner bedeuten (wechselseitiger Austausch, gemeinsame Wissens- und Wertgenerierung) Auftragsforschung Forschung über solche Gruppen, die ein Feedback an diese Gruppen beinhaltet Beratung Öffentlich geförderte Wissensaustauschprojekte Maßnahmen zum Kompetenzaufbau bei regionalen Akteuren Wissensaustausch durch studentische ›Beratung‹ Beteiligung am öffentlichen und Mediendiskurs Ermöglichung der Mitnutzung universitärer Einrichtungen und Dienstleistungen Unterstützung benachteiligter Gruppen bei der Nutzung der Einrichtungen Intellektuelle ›Experten‹-Beiträge Beitrag zum gesellschaftlichen Leben der Region Unterrichten angemessener Engagement-Möglichkeiten Angewandte bürgerschaftliche (Aus-)Bildung Öffentliche Vorlesungs- und Seminarreihen Weiterbildung für benachteiligte Gruppen Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen
Quelle: übersetzt und leicht abgewandelt auf Basis von Benneworth et al. (2009: 70ff.)
Wie bereits dargestellt, lag eine erste zentrale Zielsetzung des hier beschriebenen Projektes in der empirischen Bestandsaufnahme des regionalen Engagements deutscher Hochschulen, die mithilfe zweier Befragungen realisiert wurde. Hierbei wird insbesondere auf folgende Fragen eingegangen: • •
In welchem Maße werden regionale Aktivitäten von Wissenschaftlern durch hochschulinterne Rahmenbedingungen unterstützt? Profitieren die Hochschulen von den regionalen Aktivitäten ihrer Wissenschaftler? Wenn ja, in welcher Form?
Eine zweite zentrale Zielsetzung lag, wie beschrieben, in der Analyse der Wirkungen auf die internen Steuerungsmechanismen einzelner Hochschulen, insbesondere mit Blick auf Ressourcenflüsse (Mittel, Personal) sowie deren strategische Ausrichtung.
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3. E MPIRISCHE E RFASSUNG DES REGIONALEN E NGAGEMENTS VON DEUTSCHEN H OCHSCHULEN Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beruhen auf zwei umfassenden Befragungen: einem Online-Survey unter deutschen Professoren und einer postalischen Befragung von Rektoren und Dekanen deutscher Hochschulen. Beide Erhebungen wurden zwischen April und Juni 2011 durchgeführt. Die Befragung der Hochschul- und Fakultätsleitungen wurde als Vollerhebung konzipiert. Kontaktdaten der Professoren wurden der Datenbank »VADEMECUM – Stätten der Forschung« entnommen, Kontaktdaten aller deutschen Rektoren und Dekane stammen von der Hochschulrektorenkonferenz sowie vom deutschen Fakultätentag. Nach Ausschluss von Hochschullehrern mit Führungsaufgaben (u.a. Rektoren, Dekane) und weiteren Bereinigungen, stellten Daten von 14.023 Professoren die Basis der Online-Befragung dar. Zusätzlich wurden 1.435 Personen auf der Ebene verschiedenster wissenschaftlicher Fachbereiche sowie 366 Personen auf der Rektoratsebene um die Teilnahme an einer postalischen Befragung gebeten. An der Online-Befragung der Professoren nahmen ca. 1.600 Personen teil, während sich aus den Reihen der Dekane und Hochschulleitungen ein Drittel bzw. nahezu die Hälfte aller kontaktierten Personen beteiligten (482/176). Um das Thema der regionalen Netzwerkbeteiligung durch Akteure deutscher Hochschulen in seiner gesamten Bandbreite erfassen zu können, erfolgte keine Beschränkung der Adressaten nach Fachdisziplinen, Hochschularten oder Größe der Institution. Beide befragten Gruppen wurden mit relativ ähnlichen Fragebögen kontaktiert, wobei der Frage nach der strategischen Bedeutung regionalen Engagements in der Befragung der Hochschul- und Fakultätsleitungen ein größerer Stellenwert eingeräumt wurde. Im Gegensatz dazu interessierten in der Befragung der Professoren eher die konkreten Erfahrungen, aufgezeigt anhand einzelner Beispiele ihres regionalen Engagements. Im Grundsatz deuten die Ergebnisse der Professoren-Befragung darauf hin, dass regionales Engagement unter dieser Personengruppe weit verbreitet ist: Insgesamt gaben über 90 % der Befragten an, gelegentlich (57,4 %) oder oft (33 %) Aktivitäten in ihrer Region auszuführen, die in Bezug zu ihrer Tätigkeit als Hochschullehrer stehen oder sich aus dieser ergeben. Da der Gegenstand der Befragung allerdings bereits aus dem Anschreiben eindeutig zu entnehmen war, scheint es evident, dass sich vorwiegend Hochschullehrer beteiligt haben, die ohnehin über Erfahrungen in diesem Bereich verfügen. Darüber hinaus gaben, trotz des hohen Anteils regionalen Engagements, 51 % der Befragten an, dass die aktuellen Forschungsaktivitäten schwerpunktmäßig die Vernetzung mit internationalen Partnern verfolgen. Weitere 34 % nannten nationale und lediglich 10,2 % regionale Akteure als zentrale Kooperationspartner. Basierend auf der bereits vorgestellten Typologie (vgl. Tabelle 1), wurde die Beteiligung an regionalen Aktivitäten im Rahmen der Befragung in neun Kategorien erhoben, die auf der Ordinate von Abbildung 1 angegeben sind.
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Werden sämtliche Nennungen zusammengezählt, sind neben den Informationsveranstaltungen für die Öffentlichkeit vor allem zwei Tätigkeiten weit verbreitet, die professionelle Akteursgruppen des Innovationssystems adressieren: Forschungskooperationen mit regionalen Einrichtungen sowie Beratungen und Gutachten für regionale Einrichtungen. Zusätzlich wird deutlich, dass vor allem drei Aktivitäten in vielen Fällen mit großer Häufigkeit (mehr als zehnmal) durchgeführt wurden: Unterstützung bzw. Vermittlung der Durchführung studentischer Abschlussarbeiten bei regionalen Unternehmen und Einrichtungen, Informationsveranstaltungen und Weiterbildung für diverse Gruppen (z.B. Schüler, Lehrer, Senioren etc.) sowie allgemein Beiträge zum gesellschaftlichen Leben der Region/soziales Engagement in der Region. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die größere Häufigkeit dieser Tätigkeiten im Vergleich zu Forschungsprojekten oder umfangreichen Beratungsvorhaben auch aus ihrem geringeren Umfang ergibt. Eine größere Häufigkeit lässt sich somit nicht pauschal als größere Bedeutung interpretieren. Die von den befragten Hochschullehrern durchgeführten regionalen Aktivitäten (vgl. Abbildung 1) werden auch von den befragten Hochschulleitungen und Dekane als wichtiger Tätigkeitsbereich erkannt. Jeweils ca. 80 % dieser befragten Dekane und Rektoren beobachteten in den letzten zehn Jahren eine Zunahme regionaler Aktivitäten an ihren Einrichtungen. An Fachhochschulen kommt dieser Trend dabei stärker zur Geltung als an Universitäten: Hier konstatieren 85 % der Rektoren und 75 % der Dekane die Zunahme derartiger Aktivitäten im Vergleich zu lediglich 75 % und 55 % an Universitäten. Abbildung 1: Häufigkeit und Typ regionaler Aktivitäten der letzten fünf Jahre Informationsveranstaltungen und Weiterbildungen für diverse Gruppen (z.B. Schüler, Lehrer, Senioren) Unterstützung der Durchführung studentischer Abschlussarbeiten bei regionalen Partnern Forschungskooperationen mit regionalen Einrichtungen Beratungen und Gutachten für regionale Einrichtungen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben der Region/ soziales Engagement in der Region Temporärer Personalaustausch zwischen Hochschule und regionalen Partnern (z.B. Praktika, Lehraufträge) Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Rämlichkeiten bzw. Services durch Externe Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Maschinen, Geräte bzw. Labore durch Externe 0%
20%
40%
Hochschule/Fachhochschule N=185
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
60%
80%
100%
Universität N=1256
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Aufgrund des eher anwendungsnahen, praxisorientierten Bildungsauftrags der Fachhochschulen ist der Trend hier stärker ausgeprägt, da regionale Aktivitäten schon seit geraumer Zeit zum Portfolio dieser Organisationen gehören. Während spezifische Typen regionalen Engagements im Einzelfall durchaus verschieden motiviert sein können, ist davon auszugehen, dass sich die abgefragten Aktivitätstypen entlang grundlegender Intentionen gruppieren lassen. Vor diesem Hintergrund ist es zielführend, die latenten, d.h. nicht direkt messbaren Strukturen regionalen Engagements analytisch zu bestimmen. Um diese Zusammenhänge statistisch zu erfassen, wurde eine Faktorenanalyse über die in Abbildung 1 dargestellten Variablen durchgeführt. Das auf diese Weise erstell1 te Faktorenmodell erlaubt es, übergeordnete Dimensionen zu identifizieren, die sich als ›grundlegende Intentionen‹ interpretieren lassen. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse können Abbildung 2 entnommen werden. Hierbei wurden die jeweils höchsten Ladungen der Indikatoren auf eine der drei latenten Variablen 2 (›grundlegende Intentionen‹) dargestellt. Abbildung 2: Faktorenanalyse der Formen regionalen Engagements Forschungskooperationen mit reg. Einrichtungen
*0.50
Beratung und Gutachten für reg. Einrichtungen *0,43 Temporärer Personalaustausch zwischen Hochschule und regionalen Partnern (z.B. Praktikanten, Lehre durch externe Dozenten etc.)
*0.44
Zusammenarbeit und Personaltausch
*0.54 Unterstützung bzw. Vermittlung der Durchführung studentischer Abschlussarbeiten bei reg. Unternehmen und Institutionen Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Maschinen, Geräte bzw. Labore durch Externe
*0.57
Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Räumlichkeiten bzw. Services durch Externe
*0.61
Informationsveranstaltungen und Weiterbildung für diverse Gruppen (z.B. Schüler, Lehrer, Senioren etc.) Beitrag zum gesellschaftlichen Leben der Region/ soziales Engagement in der Region
*0.51
Bereitstellung von Ressourcen
Gesellschaftliches Engagement
*0.55
N = 141 = Indikator
*0.57
= geschätzte Faktorladung
= latente Variable
* Dargestellt ist immer die höchte der jeweiligen Faktorladungen; Angemessenheit der Stichprobe nach Kaiser-Meyer-Olkin Kriterium = 0.78
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Berechnungen 1 | Es wurde eine Hauptachsenanalyse mit rechtwinkliger Varimax-Rotation zur Erleichterung der Faktoreninterpretation durchgeführt. 2 | In der Literatur wird diskutiert, ob bei einer Faktorenanalyse die verwendeten Daten intervallskaliert sein sollten. In der Praxis erfüllen Daten diesen Anspruch oft nicht und werden dennoch verwendet. Weil auch unsere Daten ein ordinales Skalenniveau erfüllen, wurde ergänzend eine polychorische Korrelation zur Berechnung der Korrelationsmatrix angewandt. Da diese ähnliche Ergebnisse lieferte, sehen wir bestätigt, dass unser Faktorenmodell unter Verwendung ordinaler Daten robust ist.
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Insgesamt wurden im Rahmen der Faktorenanalyse drei Faktoren identifiziert. Entsprechend der üblichen Vorgehensweise erfolgt dabei die Interpretation von Ladungen ‹0,5 nur vorsichtig. Im Einzelnen lassen sich die beobachteten Faktoren dabei wie folgt bewerten: Zusammenarbeit und Personalaustausch: Der größte identifizierte Faktor vereint die höchsten Ladungen von vier Indikatoren auf sich. Grundsätzlich adressiert diese latente Variable einerseits den bilateralen Austausch über formale und professionalisierte Formen der Zusammenarbeit sowie andererseits den Austausch über den ›Transfer von Köpfen‹ vor allem im Bereich der Ausbildung und Lehre. Somit scheinen formale und professionalisierte Formen der Zusammenarbeit mit einem über Köpfe ablaufenden Austausch einherzugehen, was sowohl für eher langfristige Forschungskooperationen wie auch für eher kurzfristige, dienstleistungsorientierte Aktivitäten zutrifft. Sowohl formale Forschungskooperationen und Beratungsaktivitäten wie auch der Austausch von Humankapital über Studenten, Absolventen und Unternehmensmitarbeiter lassen sich als verschiedene Formen der Nutzung bereits bestehender informeller Beziehungen und damit als an Personen gebundene Trajektorien interpretieren. Bei deren Entstehung kommt räumlicher Nähe eine besondere Bedeutung zu (vgl. Broekel/Binder 2007; Perkmann/Walsh 2009). Bereitstellung von Ressourcen: Als weitere latente Dimension lässt sich die ›Bereitstellung von Ressourcen‹ identifizieren, die durch eine hohe Ladung der abgefragten Variablen zur ›Bereitstellung hochschuleigener Ressourcen‹ sowie zur ›Bereitstellung hochschuleigener Dienstleistungen‹ charakterisiert ist. Diese Dimension kann trotz ihrer spezifischen Eigenschaften als Bestandteil oder auch Ursprung neu entstehender Beziehungen zwischen Hochschullehrern und regionalen Akteuren im Sinne der ersten Dimension interpretiert werden. Eine mögliche inhaltliche Ursache dafür, dass im Rahmen der Faktorenanalyse dennoch eine eigene Dimension entsteht, könnte sein, dass sie, im Gegensatz zu den der ersten Dimension zugeordneten Formen regionaler Aktivitäten, nicht vollständig in Eigenverantwortlichkeit des Professors durchgeführt werden können. Die ›Bereitstellung von Ressourcen‹ bedingt in vielen Fällen eine Abstimmung mit Fakultäten und Universitätsleitung bzw. interne Genehmigungsverfahren, die nicht allein auf Ebene der Institute entschieden werden können.
3 | Die Bestimmung der Faktorenzahl basierte auf theoretischen Überlegungen und geschah unter Zuhilfenahme des Kaiserkriteriums. Nach diesem ist die Zahl der zu extrahierenden Faktoren gleich der Zahl der Faktoren mit Eigenwerten größer eins. Eigenwerte werden berechnet als Summe der quadrierten Faktorenladungen eines Faktors über alle Variablen (vgl. Backhaus et al. 2003).
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Gesellschaftliches Engagement: Die dritte Form regional orientierter Aktivitäten grenzt sich gegenüber den beiden vorhergehenden Dimensionen ab, indem sie weniger an konkreten bilateralen Beziehungen orientiert, sondern eher durch ein breites regionales Engagement gekennzeichnet ist. Dieses drückt sich unter anderem in Aktivitäten aus, die nicht direkt mit spezifischen Kooperationspartnern stattfinden, sondern an breitere Gruppen gerichtet sind, wie z.B. Informationsveranstaltungen und allgemeine Beiträge zum sozialen Leben in einer Region über Expertenbeiträge. Damit einhergehend lässt sich unterstellen, dass hier andere Motive zugrunde liegen. Während in den ersten beiden Dimensionen der direkte Nutzen für Lehre und Forschung im Vordergrund steht, dürften hier neben allgemeinen Motiven, wie die Vernetzung mit anderen Akteuren und dem Wunsch nach Ansehen und Reputation, auch intrinsische Motive eine Rolle spielen, die sich in der bewusst wahrgenommenen Verantwortung für das lokale Umfeld ausdrücken. Während die Initiative für die unter den ersten beiden Dimensionen zusammengefassten Aktivitäten vor allem von einzelnen Hochschullehrern ausgeht, werden die unter Faktor drei zusammengefassten Aktivitäten in vielen nicht geisteswissenschaftlichen Feldern vor allem auf Ebene der Universitäts- bzw. Fakultätsleitungen vorangetrieben. Generell wird der Trend hin zur Verstärkung des regionalen Engagements in allen Fachbereichen beobachtet, wobei er in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Medizin/Gesundheitswissenschaften besonders häufig anzutreffen ist. Auffällig ist, dass insbesondere Entscheidungsträger an Fachhochschulen zu einer solchen Einschätzung gelangen, an Universitäten wird diese Einschätzung hingegen seltener geteilt. Eine Ausnahme bildet das Feld Medizin/Gesundheitswissenschaften. Allerdings können auf der Ebene individueller Wissenschaftler im Disziplinen-Vergleich durchaus einige Unterschiede bezüglich der Aktivitäten beobachtet werden. Abbildung 3 stellt die Mittelwerte der berechneten drei latenten Variablen 4 (Dimensionen) nach Fachbereichen dar. Der Gesamtmittelwert über alle Dimensionen beträgt Null. Die dargestellten Werte bezeichnen die Abweichungen der 5 einzelnen Fächergruppen von diesem Gesamtmittelwert. Besonders augenfällig ist, dass die gemeinsame Rolle von Personalaustausch und Kooperationsneigung (Dimension 1) in den Ingenieurwissenschaften in besonderem Maße ausgeprägt ist. Auch in den Agrar- und Veterinär- sowie den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zeigt sich eine relative Affinität zu dieser Dimension. In den Naturwissenschaften sowie der Humanmedizin und den Ge4 | Eine Faktorenanalyse basiert auf einer Korrelationsmatrix, deren Ausgangsdaten i.d.R. standardisiert (z-transformiert) werden. Angegeben sind die jeweiligen Mittelwerte der Korrelationskoeffizienten. Durch die Standardisierung ist der Gesamtmittelwert Null und die Standardabweichung einer Variablen beträgt eins. 5 | Die Gruppenunterschiede sind signifikant auf einem Signifikanzniveau von < 0,001 % nach Kruskal-Wallis Rang Test (gekennzeichnet durch ***).
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sundheitswissenschaften dagegen ist dieser Bereich weniger prägnant. Die Geisteswissenschaften sind in diesem Kontext am wenigsten aktiv. Die Varianz der Bedeutung der ›Bereitstellung von Ressourcen‹ (Dimension 2) lässt sich recht eindeutig durch die im Vergleich zu den Sozial- und Geisteswissenschaften größere Technikorientierung der Forschungsinhalte in den Natur-, Ingenieur- und Agrarwissenschaften sowie der Medizin erklären. Diese führt erwartungsgemäß zu einer weiteren Verbreitung der Bereitstellung von Ressourcen durch die Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Maschinen, Geräte bzw. Labore durch Externe sowie der Forschungskooperationen mit regionalen Einrichtungen vor allem im Bereich der Humanmedizin, der Gesundheitswissenschaften sowie der Agrarwissenschaften. Die dritte Dimension des gesellschaftlichen Engagements (Dimension 3) hingegen spielt erwartungsgemäß vor allem in den Sozial- und Geisteswissenschaften eine Rolle, wo zusätzlich zu den durch die Fakultäten und die Universitätsleitung initiierten Aktivitäten eine originäre Nähe zu den typischen Forschungsinhalten besteht. Während gesellschaftliches Engagement in den MINT-Fächern oft eher eine ergänzende Funktion einnimmt, kann es in den Sozial- und Geisteswissenschaften eine wesentliche Komponente von Forschungsprojekten darstellen. Die Aktivitäten der Fachhochschulprofessoren, die sich an der Umfrage beteiligt haben, konzentrieren sich größtenteils auf die ingenieurwissenschaftlichen sowie die sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer. Abbildung 3: Ausführung regionaler Aktivitäten an Universitäten nach Fachgruppen 0.4 0.3 0.2 0.1
0 -0.1
-0.2 -0.3
Naturwissenschaften (N = 345)***
Ingenieurwissenschaften (N = 258)***
Zusammenarbeit und Personalaustausch
Humanmedizin AgrarSozialGeistesund wissenschaften und Wirtschafts- wissenschaften Gesundheitsund wissenschaften (N = 320)*** wissenschaften Veterinärmedizin (N = 280)*** (N = 127)*** (N = 53)*** Bereitstellung von Ressourcen
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
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Darüber hinaus stellt sich die Frage, mit welchen regionalen Partnern Wissenschaftler kooperieren. Nach einem konkreten Beispiel gefragt, gaben die befragten Professoren an, am häufigsten mit Personen aus Organisationen zusammenzuarbeiten, die sich von der Struktur her von einer Hochschule unterscheiden. Vorrangig wurden dabei Unternehmen als Partner genannt, wobei dies mit 38,1 % für Universitäten und 61,7 % für Fachhochschulen auch gleichzeitig einen Unterschied zwischen den Hochschultypen deutlich macht (vgl. Abbildung 4). Auch wenn die Aktivitätsprofile, wie oben dargelegt, weniger differenziert zu sein scheinen, so zeigt sich an den Kooperationspartnern, dass die Fachhochschulen offensichtlich aufgrund ihrer traditionellen regionalen Ausrichtung derzeit noch besser mit den regionalen Unternehmen vernetzt sind. Abbildung 4: Kooperationspartner der Hochschulen (Mehrfachantworten möglich) Unternehmen öffentliche Partner (Bund, Land, Kommune) andere Akteure (z.B. Verbände, Kammern, Einzelpersonen) außeruniversitäre Forschungseinrichtungen andere Hochschulen 0% Hochschule/Fachhochschule N = 175
20%
40%
60%
80%
Universtiät N = 1177
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
Die Entwicklung zu mehr regionalem Engagement ist selten als das Ergebnis einer zentral koordinierten Strategie anzusehen. Weniger als 10 % der befragten Dekane bejahen hier einen überwiegenden Zusammenhang (vgl. Abbildung 5). Immerhin mehr als die Hälfte hingegen gibt an, dass die aktuellen Entwicklungen zumindest ›teilweise‹ in Verbindung mit zentral entwickelten Strategien stehen. Demgegenüber fällt die Beurteilung der Effekte zentraler Koordinierungsprozesse seitens der Hochschulleitungen deutlich anders aus: Knapp ein Viertel aller befragten Rektoren (an den Universitäten etwa 20 %) sehen einen überwiegenden Zusammenhang zwischen Strategie und faktischem Handeln, und über 60 % stellen noch einen teilweisen Zusammenhang fest.
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Abbildung 5: Relevanz zentral koordinierter Strategien als Grundlage aktueller regionaler Aktivitäten
Rektoren
Gesamt (N = 157) Hochschule/Fachhochschule (N = 97)
Universität (N = 60)
Dekane
Gesamt (N = 370)
Hochschule/Fachhochschule (N = 192)
Universität (N = 175) 0%
10% 20% 30% 40%
50% 60% 70% 80% 90% 100%
überwiegend
teilweise
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
In Bezug auf die Motivation der Hochschullehrer, sich regional zu engagieren, vermuten wir zwei unterschiedliche Grundmuster: Einerseits kann eine Reaktion auf extrinsische Anreize, die durch die Hochschulleitung oder andere Akteure gesetzt werden, grundlegend sein; andererseits kann auch die intrinsische Motivation des Professors eine entscheidende Rolle spielen. Letztere wird allerdings im Kontext mehrerer Gründe verortet werden müssen, wie u.a. dem zusätzlichen Budget durch die Kooperation oder auch die sozusagen ›unentgeltliche‹ Vergrößerung des Forschungsteams und der Expertise, deren intrinsischer Gehalt vor dem Hintergrund sinkender Grundfinanzierung zu relativieren ist. Um die Frage nach den hochschulinternen Anreizen realitätsnah zu operationalisieren, haben wir sowohl nach der Art als auch den Ebenen, auf denen die Anreizsetzung erfolgt, gefragt (vgl. Abbildung 6). Deutlich wird hierbei einerseits, dass die Setzung von Anreizen für regionales Engagement durch finanzielle wie personelle Boni in deutschen Hochschulen, vor allem an den Universitäten, noch keine gängige Praxis ist. In den Fällen, in welchen die Hochschulleitungen allerdings die Motivation ihrer Professoren für regionale Aktivitäten steigern wollen, geschah dies laut Befragten vor allem durch finanzielle Anreize6 sowie durch ein geringeres Lehrdeputat (dies vor allem in Fachhochschulen). Deutlich wird, wie bereits auf Basis der wahrgenommenen Relevanz zentral koordinierter Strategien vermutet, dass diese Anreize vor allem von der Hochschulleitung ausgehen.
6 | Gründe, die dieses Antwortverhalten mit bedingen, könnten Berufungsverfahren bzw. neuartige Drittmittelabsprachen zur Steigerung der externen Finanzierungsanteile sein.
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Abbildung 6: Anreize für regionale Aktivitäten Universitäten (N = 1093)
Fachhochschulen (N = 170)
0%
0%
Hochschulleitung
Fakultät/Fachbereich
beide Ebenen 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35%
5% 10%
15% 20% 25% 30% 35%
geringeres Lehrdeputat Personalmittel sonstige finanzielle Anreize
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
Angesichts der eher geringen internen Anreizstrukturen für regionales Engagement drängt sich die Frage auf, durch welche externen Akteure die verschiedenen regionalen Aktivitäten finanziert werden. Es zeigt sich, dass Aktivitäten an Fachhochschulen deutlich häufiger von Unternehmenspartnern finanziert werden (60 % zu 44,3 %), was eine anwendungsorientierte Ausrichtung dokumentiert. Die Finanzierung regionaler Aktivitäten von Wissenschaftlern an Universitäten erfolgt demgegenüber häufiger durch Förderprogramme der öffentlichen Hand oder von Stiftungen (z.B. DFG). Positive Auswirkungen regionalen Engagements ergeben sich bezüglich der eigenen Sichtbarkeit/Reputation im regionalen Umfeld, der Vorteile im Hinblick auf Angebote für Studierende (Praktika, Abschlussarbeiten) sowie bezüglich der thematischen Bereicherung der Lehre. Marginale Effekte ergeben sich allerdings in Bezug auf zusätzliche Einnahmen: Lediglich 18,6 % der Befragten gaben an, dass ihr regionales Engagement starke Auswirkungen auf personenbezogene und/oder andere Drittmittel hat. Noch seltener kommt es zu einer Erhöhung der Grundmittelausstattung, obwohl eine solche im Rahmen einer ernsthaften internen Anreizsetzung ja eigentlich zu erhoffen wäre. Ergänzt wird die Motivation mitunter auch dadurch, dass die Professoren durch ihr regionales Engagement ihren Handlungsspielraum innerhalb der Hochschule erweitern können. Dabei ist zu beobachten, dass ein größerer Anteil der Fachhochschulprofessoren von existierenden oder merklichen Effekten berichtet, als dies bei Universitätsprofessoren der Fall ist (vgl. Abbildung 7). Während an Universitäten fast 40 % der Befragten angeben, dass keine Effekte im Hinblick auf Agenda-Setting bzw. die Positionierung eigener Themen entstehen, wird diese Einschätzung von weniger als 30 % der befragten Fachhochschulprofessoren geteilt. Im Hinblick auf Budget-/ Personalentscheidungen ergeben sich im Prinzip die gleichen Muster, nur dass diesbezüglich generell etwas weniger optimistische Annahmen getroffen werden. Fast zwei Drittel der Universitätsprofessoren können diesbezüglich keine positiven
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Effekte erkennen, eine Einschätzung, die mit fast 60 % von einem ähnlich hohen Anteil der Fachhochschulprofessoren geteilt wird. Abbildung 7: Wirkungen auf die interne Governance Im Hinblick auf Budget-/Personalentscheidungen 29,2%
Hochschulen/Fachhochschulen (N = 172) Universitäten (N = 1156)
7%
23,3%
7,4%
Im Hinblick auf die Positionierung eigener Themen oder Agenda-setting im ... Hochschulen/Fachhochschulen (N = 176)
21,1%
43,7%
Universitäten (N = 1194)
19,8%
35,0% 0%
20% kaum
40%
60%
80%
merklich
Quelle: eigene Darstellung auf Basis eigener Erhebungen
Umgekehrt aber ist es so, dass immerhin einer von fünf regional aktiven Professoren durchaus feststellt, aufgrund des regionalen Engagements ›merklich‹ Einfluss auf die Agenda des Instituts/Fachbereichs nehmen zu können. In dieser Hinsicht lassen sich Wirkungen regionalen Engagements auf die interne Governance der Hochschulen feststellen, vor allem in Hinblick auf die Positionierung eigener Themen, während Einfluss auf Budget- oder Personalentscheidungen nicht in einem nennenswerten Umfang beobachtet werden konnte.
4. Z USAMMENFASSUNG Regionale Aktivitäten haben eine Relevanz für die deutschen Hochschulen. Die Mehrheit der befragten Professoren gab an, häufig Aktivitäten im Bereich von Informationsveranstaltungen, Beiträge zum sozialen Leben der Region sowie bei der Vermittlung studentischer Abschlussarbeiten bei regionalen Akteuren durchzuführen. Dabei sind die regionalen Aktivitäten oftmals als heterogene Kooperationen angelegt, d.h. mit Partnern, die andere Funktionen im Wissenschaftssystem erfüllen (z.B. mit Unternehmen, öffentlichen Partnern etc.). Auf der Ebene individueller Wissenschaftler können im Disziplinen-Vergleich einige Unterschiede bezüglich der Aktivitäten beobachtet werden. Die quantitative Varianz der einzelnen Aktivitäten kann hier mitunter durch die eher technischen, transfernahen Forschungsinhalte der Natur-, Ingenieur- und Agrarwissenschaften sowie der Medizin erklärt werden. Diese führen erwartungsgemäß zu einer weiteren Verbreitung der Ermöglichung der Mitnutzung hochschuleigener Maschinen, Geräte bzw. Labore durch Externe sowie der Forschungskooperationen mit regio-
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nalen Einrichtungen als in den Sozial- und Geisteswissenschaften. In den sozialund geisteswissenschaftlichen Forschungsfeldern wiederum findet sich ebenso erwartungsgemäß ein höherer Anteil von Wissenschaftlern, die angeben, zum sozialen Leben der Region beizutragen bzw. sich sozial zu engagieren. Die Befragungsergebnisse deuten darauf hin, dass interne Governance-Zusammenhänge zwischen dem Handeln Einzelner und den Koordinationsbestrebungen der Leitung zwar bestehen, allerdings in der Mehrzahl der Fälle eher impliziter und nicht-bindender Natur sind. Während die Hochschulleitungen mehrheitlich einen Zusammenhang zwischen Strategie und faktischem Handeln sehen, wird dies durch die Dekane deutlich verhaltener eingeschätzt. Eine konkrete Förderung der Aktivitäten einzelner Wissenschaftler über Anreize finanzieller Art oder durch ein verringertes Lehrdeputat erfolgt nur in einigen Hochschulen. Hinsichtlich der Frage, ob regionales Engagement auch Wirkungen auf die internen Steuerungsmechanismen der Hochschulen entfalten kann, zeigt sich, dass immerhin einer von fünf regional aktiven Professoren feststellt, dass er aufgrund des regionalen Engagements ›merklich‹ Einfluss auf die Agenda des Instituts bzw. Fachbereichs nimmt. Wirkungen regionalen Engagements auf die interne Governance der Hochschulen sind am ehesten noch im Hinblick auf die Positionierung eigener Themen zu beobachten, während nur geringe Einflüsse auf Budget- oder Personalentscheidungen feststellbar sind. Die aufgrund der funktionalen Differenzierung im Wissenschaftssystem geäußerte Vermutung, bei Fachhochschulen deutlich mehr regionales Engagement und ein anderes Aktivitätsprofil vorzufinden, bewahrheitete sich so nicht. Allerdings zeigte sich, dass der Trend zu regionalem Engagement hier stärker ausgeprägt ist, die Kooperationsbeziehungen zu regionalen Unternehmen deutlich intensiver sind und die Durchführung studentischer Abschlussarbeiten deutlich häufiger in regionaler Kooperation stattfindet, was wohl dem eher anwendungsnahen, praxisorientierten Bildungsauftrags der Fachhochschulen geschuldet ist. Auch in der Anreizsetzung für regionales Engagement gehen die FHs insofern etwas weiter, als dort die Möglichkeit besteht, das (im Universitätsvergleich hohe) Lehrdeputat semesterweise ein wenig zu reduzieren.
5. S CHLUSSFOLGERUNGEN Zusammenfassend lässt sich somit aus Sicht der Hochschulleitungen feststellen, dass erhebliche Potenziale der strategischen Nutzung regionaler Aktivitäten bestehen und Hochschulen im Rahmen ihrer »dritten Rolle« (vgl. Gunasekara 2004) wiederum wichtige Impulsgeber für die Regionalentwicklung sein können. Allerdings lassen sich diese regionalen Aktivitäten nur sehr unzureichend zentral steuern und sind den Hochschulleitungen oft auch gar nicht umfassend bekannt. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst geboten, dass sich Hochschulleitungen in einem ersten Schritt mit den an ihrer Hochschule vor-
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handenen Vernetzungsaktivitäten vertraut machen, um dann, in einem zweiten Schritt, die Kompetenz regional aktiver Hochschullehrer für die Durchführung strategischer Projekte in Anspruch nehmen zu können. Um hier nicht die gegenteiligen Wirkungen zu erzielen, geht es nicht um die Etablierung neuer bürokratischer Strukturen (vgl. zur Bedeutung informeller Aspekte bei Kooperationen z.B. Liebeskind/Oliver 1988; Bruneel et al. 2010; D’Este/Perkman 2011), sondern um die Schaffung von Anreizmechanismen (wie sie beispielsweise bei Fachhochschulen bereits existieren), die über die Belohnung regionalen Engagements auch zu dessen Dokumentation führen. Dies kann sich beispielsweise in Zulagen im Rahmen der W-Besoldung niederschlagen, in Möglichkeiten, das Lehrdeputat zu verringern (Fachhochschulen) oder aber auch in Zuschüssen für apparative Ausstattung bzw. wissenschaftliches Personal. Eine Grundvoraussetzung zur Entwicklung regionaler Vernetzungsstrategien ist eine intensive Kommunikation über die Potenziale, die sich aus regionalen Kooperationen ergeben, beispielsweise durch akademische Intrapreneure. Sie könnten im Kollegenkreis für ein Projekt begeistern und die Leitungsebene ansprechen, die dann wiederum Ressourcen zur Verfügung stellen kann (vgl. Schneider et al. 2010). Zusätzlich kann festgestellt werden, dass eine klare Aufgabentrennung zwischen Universitäten und Fachhochschulen zumindest mit Blick auf deren regionale Ausrichtung nicht mehr gegeben scheint. Dies bestätigt die vom Wissenschaftsrat (2010) konstatierte ›Entdifferenzierung‹ der Hochschultypen und wirft die Frage auf, ob beide Typen angesichts ihres wachsenden Aufgabenprofils gut damit beraten sind, nun allen Anforderungen gerecht werden zu wollen, oder ob nicht eine (erneute) Differenzierung auf Basis selbst festgelegter Profile einsetzen muss. Aus Sicht der Hochschulpolitik lässt sich festhalten, dass eine wettbewerblich vergebene Programmförderung in Kombination mit regional orientierten Auswahlkriterien wesentlich dazu beitragen kann, die oben benannten Kommunikations- und Organisationsprozesse auf Leitungsebene auch tatsächlich anzustoßen. Dies ergibt sich daraus, dass Rektorate die strategische Bündelung bereits vorhandener regionaler Netzwerke vor allem dann in ihre strategischen Erwägungen mit aufnehmen werden, wenn dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, mittels innovativer Großprojekte auf Hochschulebene erhebliche Drittmittel einzuwerben. Jenseits solcher konkreten Anreizsetzungen erscheint eine Aufnahme regional orientierter Passagen in die Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen als zumindest bedenkenswert, um auch in der Breite nachhaltige Wirkungen zu erzielen.
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Innovationsförderung durch geistiges Eigentum? Passungsprobleme zwischen unternehmerischen Wissensinvestitionen und den Schutzmöglichkeiten durch Patente Stefan Böschen, Barbara Brandl, Bernhard Gill, Michael Schneider, Philipp Spranger
In Wissensgesellschaften wird die Konkurrenz global aktiver Wissensökonomien um aussichtsreiche Wettbewerbspositionen immer härter; es gilt, immer mehr und schneller den Rohstoff ›Wissen‹ zu produzieren. Dieser Prozess stellt die Governance von Innovationen vor neue Herausforderungen, da die Produktion von Wissen nicht nur transnationalen Taktgebern, wie der OECD, ausgesetzt ist, sondern sich gerade in der EU eigenständige transnationale Forschungsräume entwickeln (vgl. z.B. Felt/Wynne 2007). Entsprechend weiten sich die Wertschöpfungsketten der Wissensproduktion aus, weil sich im Zuge von Globalisierungsprozessen wirtschaftliche Wertschöpfungsketten zunehmend funktional verflechten und räumlich expandieren. Dadurch entsteht nicht nur prinzipiell eine ›neue Unübersichtlichkeit‹ von Markt- und Produktionsstrukturen, sondern es verringern sich tendenziell auch die Regelungsmöglichkeiten einzelner Nationalstaaten (vgl. Mayntz 2009: 53ff.). Da Wissen ein eher ›flüchtiges‹ Gut darstellt, ist unter solchen Bedingungen immer weniger von vornherein garantiert, dass der Ertrag der Innovationsleistung denjenigen zukommt, die sie erbracht haben. Nun hat man in kapitalistischen Ökonomien zum Wissensschutz ein ausgeklügeltes System von Rechten geschaffen, dessen stärkstes das Patent darstellt. Patente werden als zentrale Option des Wissensschutzes angesehen und sind im Immaterialgüterrecht (IGR) entsprechend institutionell gefestigt. Zwar wird in der Diskussion vielfach von ›geistigem Eigentum‹ gesprochen, analytisch klarer und ohne naturrechtliche Anklänge ist jedoch der Begriff des Immaterialgüterrechts, den wir im Folgenden – abgekürzt als IGR – verwenden. Das Institut des Patents gilt als universell einsetzbares Instrument zur Stimulierung und Belohnung innovativen Handelns, indem ein temporäres Monopolrecht gewährt wird. In der Zwischenzeit mehren sich jedoch die Stimmen, die diese Form des Wissensschutzes nachdrücklich kritisieren. Nebenfolgen werden benannt, etwa dass die Ausweitung der Patentierung in die Grundlagenforschung hinein dort zu
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Blockaden führen könne (vgl. Heller/Eisenberg 1998), sei es durch unterlassene Weitergabe von Wissen oder aggressive Klagestrategien von Unternehmen gegen Forschungseinrichtungen, die an alternativen Prototypen forschen (vgl. Orsi/Coriat 2005). Auch die Konstitution eines Weltpatentregimes im TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) wird aufgrund ungleicher Verteilung von Innovationschancen kritisiert (vgl. Meier 2005). Im Zuge dieser Debatte wurden ganz andere Formen des Wissensschutzes ins Spiel gebracht, deren prominenteste das Open-Source-Modell mit der General Public Licence darstellt (vgl. Kelty 2011). Vor diesem Hintergrund denkt auch das Europäische Patentamt in der Zwischenzeit darüber nach, wie Szenarien eines künftigen Patentsystems aussehen könnten (vgl. EPA 2007). Dabei werden mögliche Entwicklungspfade skizziert, die im einen Extrem von einer Ausweitung und Homogenisierung bis hin zum globalen Weltpatentregime ausgehen, im anderen aber ebenso eine branchenspezifische Differenzierung von IGR oder gar eine weitreichende Abschwächung von IGR und damit die kollektive Freigabe von Wissen für möglich erachten. Offenkundig steht das etablierte Patentsystem in der Diskussion und befindet sich im Fluss. Gegenwärtig scheint damit eine Gelegenheitskonstellation eröffnet, um die Governance von Innovationen durch IGR zu reflektieren und neu zu justieren. Dadurch besteht die Chance, die weit verbreitete, aber einseitige innovationspolitische Vorstellung von Patenten als ›Allheilmittel‹ zu überwinden und zu einer realistischeren Einschätzung der Bedeutung von IGR für die Produktion und Verwertung innovativen Wissens zu gelangen und auf dieser Grundlage Optionen einer Governance von Innovationen zu entwickeln. Deshalb sollte eine weitsichtige Governance von Innovationen versuchen, die komplexe Verwertungsdynamik von Wissensgütern zu verstehen und so zu gestalten, dass Erträge aus Innovationen angemessen verteilt und zugleich Nebenfolgen des Systems so weit wie möglich begrenzt werden können. Für die Frage der Angemessenheit ist entscheidend, dass die unterschiedlichen Wissensinvestitionen von Unternehmen gleichberechtigt behandelt werden. Der Einsatz expliziten Wissens ist patentierbar, nicht aber Erfahrungswissen, das etwa für die Kontextualisierung von Musterlösungen auf Kundenbedürfnisse gebraucht wird. Durch einseitige Stärkung des Patentschutzes könnte es daher zu einer systematischen Ungleichbehandlung kommen. Die Frage der Angemessenheit kann außerdem beinhalten, dem Problem der patentgestützten Festigung von Monopolstrukturen rechtspolitisch entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund gilt es zuallererst zu explorieren, wie Unternehmen beim Schutz ökonomisch interessanten Wissens vorgehen. Großunternehmen können Patentabteilungen unterhalten, kleine Unternehmen etwa in Nischenmärkten operieren. Der Wissensschutz kann aber auch technologisch erfolgen, indem ein zerstörungsfreier Nachbau verunmöglicht ist oder – wie beim Hybridsaatgut – ein technischer Kopierschutz eingebaut wird. Diese Beispiele verdeutlichen: Unternehmen nutzen nicht nur Patente, sondern diverse Strategien zum
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Wissensschutz. Um bessere Optionen der Governance von Innovationen durch IGR entwickeln zu können, muss man also zunächst die Vielfalt der Formen kennen lernen, mit denen die adressierten Nutznießer von IGR, das sind zumeist Unternehmen, gegenwärtig ihr Wissen schützen. Deshalb rückt unser Projekt Unternehmen in den Mittelpunkt und stellt die doppelte Frage: In welcher Weise schützen und verwerten Unternehmen ihr Wissen? Und: Welche Bedeutung spielen formelle IGR, insbesondere Patente, dabei? Wir versuchen die These zu untermauern, dass Unternehmen abhängig von ihrer Größe, der Komplexität des Wissens und ihrer Stellung in der globalen Wertschöpfungskette ihre Optionen des Wissensschutzes in ganz unterschiedlicher Weise realisieren, da sie verschiedenen Konkurrenzsituationen ausgesetzt sind und es als offen angesehen werden muss, inwieweit sie das etablierte Regime formeller IGR dabei eher unterstützt oder behindert. In einem Wort: Das »Doing Property« (Schubert et al. 2011), die konkreten unternehmerischen Praktiken des Wissensschutzes, gilt es zu verstehen. Wir vermuten also, durch die Linse der Untersuchung von Unternehmen und ihrer Praxis des Wissensschutzes zentrale Aspekte einer Governance von Innovationen durch IGR erschließen zu können. Da diese Frage bisher in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht systematisch behandelt wurde,1 gilt es zunächst, das Problemfeld überhaupt erst durch die Einführung typisierender Unterscheidungen anhand vorläufiger empirischer Befunde zu strukturieren. Dazu soll erstens die Problemstellung einer Innovations-Governance durch IGR aufgefächert werden. Hier rekapitulieren wir nicht nur skizzenhaft die gegenwärtige Diskussion um das (etablierte) Patentregime, sondern präzisieren auch den Fokus des Projektes. Dabei erlaubt das Konzept der Governance, Unternehmen nicht nur als Rechtsunterworfene, sondern auch als kreative Gestalter von rechtlichen und außerrechtlichen Praktiken des Wissensschutzes zu konzipieren. Zweitens möchten wir drei zentrale Variablen einführen, mit denen unternehmerische Praktiken zur Realisierung von IGR in Innovationsregimen untersucht werden können. Es sind dies die Positionierung von Unternehmen in der Wertschöpfungskette, die Größe der Unternehmen sowie die Innovationsformen selbst. Drittens wollen wir unter Anwendung dieser Variablen den Blick auf Konstellationen lenken, wie wir sie in den beiden von uns untersuchten Branchen (›Pflanzenzüchtung/Agrobiotechnologie‹ und ›Maschinenbau‹) empirisch vorfinden. Mittels dieser Perspektive lassen sich die jeweils spezifischen Passungspro1 | Das Thema des Immaterialgüterrechts wurde bisher wesentlich im juristischen und ökonomischen Diskurs behandelt. Einzelne sozialwissenschaftliche Untersuchungen bezogen sich allerdings schon politikwissenschaftlich auf die Etablierung des IGR-Regimes (vgl. für viele: Schneider 2010), der damit einhergehenden Funktionsprobleme oder auf spezifische Einzelkonflikte (vgl. für viele: Biagioli et al. 2011). Das Projektteam versucht hier mit dem Konzept der ›Autorisierung‹ eine Grundlagenperspektive zu entwickeln (vgl. Gill et al. 2012).
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bleme zwischen unternehmerischen Wissensinvestitionen und Regulierungsformen präzisieren. Dabei zeigt sich bei den beiden untersuchten Feldern, dass sich im Fall des Maschinenbaus der Schutz von Wissensgütern ›patchworkartig‹ vollzieht, wohingegen der Bereich der Agrobiotechnologie eher zu monopolartigen Strukturen tendiert. Viertens schließlich ziehen wir einige Schlussfolgerungen für die weitere wissenschaftliche Erschließung dieses vielschichtigen GovernanceFeldes und geben erste Hinweise für eine Governance von Innovationen durch IGR.
1. G OVERNANCE DURCH I MMATERIALGÜTERRECHTE Immaterialgüterrechte (insbesondere Patente) galten und gelten häufig als entscheidendes Instrument der Governance wissensökonomisch interessanten Wissens. Patente setzen gerade mit der Gewährung eines ›temporären Monopols‹ den Anreiz, in ökonomisch interessantes Wissen zu investieren – aber eben nicht in die ›Vorläuferprodukte‹ in Form von allgemeiner Erkenntnis (vgl. Nelson 1959; Arrow 1962). Jedoch wurde seit den späten 1970er Jahren, vor allem mit der Gewährung des so genannten Stoffschutzes auf pharmakologisch wirksame Substanzen, mit einer Reihe von wegweisenden Entscheidungen des Supreme Court sowie schließlich mit dem Bayh-Dole-Act das Tor zur Patentierung von Grundlagenwissen weit aufgestoßen (vgl. Godt 2007). Gegen diese Tendenzen zur Ausweitung und Homogenisierung des Patentschutzes hat sich eine Gegenöffentlichkeit formiert, die vor allem auf die Öffentlichkeit des Wissens und damit seine möglichst bedingungslose Zugänglichkeit pocht sowie alternative Modelle der Autorisierung und Verwertung von Wissen erprobt (vgl. Biagioli 2011). Deshalb soll zunächst ein skizzenhafter Blick auf die Bedeutung und die Kritik von Patenten als Instrument des Wissensschutzes geworfen werden. Darauf aufbauend werden wir Fragen der Governance durch IGR diskutieren, wobei die Eigenständigkeit der Regulierten in den Mittelpunkt rückt: Es sind daher nicht nur die Formen der innovationspolitischen Einflussnahme durch politische Akteure zu beachten, sondern ebenso die Praktiken des Wissensschutzes, des »Doing Property« (Schubert et al. 2011) von Unternehmen. Die wissensökonomische Bedeutung von Patenten verdankt sich sehr unterschiedlichen Gründen: Erstens sind Patente als stimulierende Instrumente der Wissensproduktion zu betrachten. Dies meint nicht allein den Anreiz, dass neues Wissen nur dann erzeugt wird, wenn der Schöpfer dieser Leistungen sicher sein kann, mit seinen Wissens-Produkten auch ökonomische Vorteile zu erlangen (vgl. Machlup 1968). Dies beinhaltet auch die Verbesserung von Anschlussinnovationen, da in den Patentschriften das Wissen offengelegt wird. Zudem können Patente als Instrumente der Wissenskommunikation innerhalb und zwischen Unternehmen genutzt und dabei zu Patentpools vereint werden. All dies erleichtert die Produktion innovativen Wissens. Zweitens lassen sich auf dieser Basis im
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schwierigen Gefüge von Mehrebenensystemen formell einheitliche Systeme der Regulierung von Wettbewerb organisieren, wie dies etwa im TRIPS-Abkommen zum Ausdruck kommt (vgl. Meier 2005). In diesem Sinne wirken IGR als ein Instrument der globalen Regulierung von Wettbewerb. Drittens können Patente zur Gestaltung nationaler Innovationssysteme eingesetzt werden. Dies beinhaltet zum einen, dass Patente für Grundlagenforschung einen Schutz gegen transnationale Konkurrenz und den Abfluss von innovativem Wissen ermöglichen, indem sie starke Anreize für lokale Kooperationen zwischen Universitäten und Firmen darstellen (vgl. Scotchmer 2003). Es zeigt sich zum anderen auch darin, dass aufgrund der guten Zählbarkeit von Patenten, diese als ein (vermeintlich) verlässlicher Indikator gelten, um die Innovationsfähigkeit unterschiedlicher Volkswirtschaften, Branchen oder Firmen zu beurteilen (vgl. Blättel-Mink/Ebner 2009). Allerdings gibt es auch dezidierte Kritik am Instrument des Patents, welche fordert, die Governance durch IGR gezielt maßzuschneidern, um die durch Patente verursachten Blockaden in der Wissensproduktion bzw. die durch Patente hervorgerufenen Marktverzerrungen zu unterbinden. Erstens wird am bestehenden Patentregime kritisiert, dass eine sachlich zu großzügige und in die Grundlagenforschung hineinreichende Patentierung Innovationen blockieren kann, weil dann Grundlagenwissen nicht barrierefrei diffundieren kann (vgl. Nelson 1959; Arrow 1962). Entsprechend schwankend ist hier die Patentpolitik der Industrieländer lange Zeit geblieben (vgl. Lerner 2002). Zweitens zeigen sich spezifische funktionale Probleme eines auf Patente hin orientierten Wissensschutzes (vgl. Godt 2007). Diese können zum einen darin bestehen, dass ›Patentdickichte‹ entstehen, welche aufgrund der Nähe wie schieren Menge der Patente verhindern, dass die jeweiligen innovativen Leistungen einzelner Unternehmen noch voneinander abgegrenzt werden können. Das hebelt nicht den Wissensschutz von innen heraus aus, sondern steigert zugleich die Verwaltungs- und Bürokratiekosten (vgl. EPA 2007). Zum anderen können sich funktionale Probleme darin manifestieren, dass die Prüfdauer von Patenten einen Umfang annimmt, der den Schutz neuen Wissens in Frage stellt (vgl. Schneider 2010). Ein funktionales Problem ist aber auch, dass Unternehmen das Patentsystem zur Wettbewerbsbehinderung missbrauchen, etwa durch eine rein strategische Nutzung von Patenten zum Verschließen von Technologiepfaden für Mitbewerber.2 Drittens wird das Entstehen eines globalen Patentregimes kritisiert. Dabei wird argumentiert, dass sich nach 2 | Es gibt dabei verschiedene Varianten solcher Strategien, um nur zwei zu nennen: Mit so genannten ›U-Boot-Patenten‹ lässt sich die Offenlegung wieder begrenzen, indem man zwar anmeldet, aber die Patent-Erteilung verzögert – so bleibt man gleichsam ›unter Wasser‹ und taucht im Bedarfsfall, wenn ein Konkurrent in diese Technologielinie gehen will, einfach wieder auf und blockiert diesen. Interessant sind auch so genannte ›Patent-Trolle‹, wobei eine Firma Patente hortet, ohne diese für eigene Produkte zu nutzen. Wenn aber ein anderes Unternehmen auf der Basis der geschützten Technologie erfolgreich eine Innovation auf dem Markt platziert hat, werden die Trolle sichtbar und klagen ggf. ihre Lizenzerlöse ein.
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den Zeiten des Kalten Krieges, in denen die USA mit aktivem Technologietransfer zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit nach Hegemonie strebten, sich ab den 1980er Jahren zunehmend ein Regime globaler Standortkonkurrenz etablierte, in dem jede Nation danach trachtet, ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung auch möglichst selbst, das heißt durch Unternehmen im eigenen Land, zu verwerten (vgl. Slaughter/Rhoades 1996, 2004). ›Standortpolitik‹ wird in dieser Sichtweise also als ›Protektionismus‹ wahrgenommen. Nun können aber die Probleme einer Governance durch IGR nicht dadurch behoben werden, dass man einfach auf Patente verzichtet. Dem steht entgegen, dass gerade für direkt auf wissenschaftlichem Wissen basierende Technologien die Option der Patentierung eine für die Kommerzialisierung entscheidende Randbedingung darstellt. Zudem entfiele die Kommunikationswirkung von Patenten, die bei der Sondierung von Märkten und der Kooperation zwischen Unternehmen strategisch genutzt werden kann. Deshalb sollte man zunächst die Bedeutung von IGR für die verschiedenen Innovationsprozesse, aber auch mögliche Blockadewirkungen analysieren. Um einen ersten Einstiegspunkt in die konzeptionellen Überlegungen zu finden, ist es hilfreich, auf einen Strang der industrieökonomischen wie industriesoziologischen Literatur einzugehen, der die Verschränkung von spezifischen institutionellen Randbedingungen und ökonomisch-innovativer Entwicklung direkt adressiert (vgl. z.B. Hall/Soskice 2001): Nationalstaatliche oder branchenbezogene Institutionensysteme werden dabei als komplementäre Ermöglichungsstrukturen von Innovationen angesehen. Diese müssen im Zuge der Globalisierung nicht konvergieren – wie im neoliberalen Diskurs unisono behauptet und von gewerkschaftlicher Seite befürchtet wird –, sondern können davon profitieren, ihre spezifischen institutionellen und kulturellen Standortvorteile weiter auszubauen (vgl. Hall/Soskice 2001; Malerba 2004). Somit unterstützen diese Ansätze grundsätzlich eine Perspektive der Differenz, indem die komparativen Vorteile aufgrund unterschiedlicher Regulationsbedingungen von Volkswirtschaften betont werden (vgl. auch Abelshauser 2012). Allerdings fehlt es bislang an gehaltvoller Empirie zur institutionellen Steuerungsleistung und zu den sozialen Praxen der Nutzung von IGR; ebenso wurden die heterogenen Struktur(en) von Wissensgütern nicht ausreichend berücksichtigt. In diese Richtung gilt es demnach, die genannten Ansätze weiter zu entwickeln, um auch dem Umstand gerecht zu werden, dass gerade innerhalb von Staaten und Branchen die ›Strukturen der Komplementarität‹, etwa von innovationspolitischen Regelungen und unternehmerischem Innovationshandeln, in sich vielschichtiger sind. Um solche ›Strukturen der Komplementarität‹ konzipieren zu können, geben Arbeiten aus dem Kontext der Governance-Forschung wichtige Anregungen.3 Diese Perspektive macht insbesondere auf zwei Aspekte aufmerk3 | Aus der Fülle der Forschungsliteratur, vgl. für viele Benz et al. 2007; Schuppert/Zürn 2008; Schuppert/Voßkuhle 2008; Mayntz 2009. Und mit spezifischem Bezug zu Wissenschaft vgl. Lyall/Tait 2005; Jansen 2009.
Innovationsförderung durch geistiges Eigentum?
sam, die ebenso bei der Aufschlüsselung des Zusammenspiels formeller IGR und unternehmerischer Wissensinvestitionen bedeutsam sind. Die Perspektive der Governance-Forschung lenkt den Blick darauf, dass die Struktur von Regelungsfeldern sich nicht – oder jedenfalls nicht alleine – der Dominanz eines Steuerungszentrums verdankt, sondern vielmehr durch eine polyzentrische Anordnung heterogener Akteure geprägt wird. Die Möglichkeiten zur selbstständigen Ausgestaltung des Regelungsfeldes nehmen in dem Maße zu, in dem Unternehmen über entsprechende interne Kapazitäten zur Aufnahme, Spiegelung oder Umformung von Regelungsansprüchen verfügen. Konzeptionell werden wir diesen Zusammenhang in Kapitel 2 mit der Unterscheidung zwischen großen und kleinen Unternehmen berücksichtigen. In diesem Zusammenhang verdeutlicht die Governance-Forschung auch die Bedeutung von komplexen ›Regelungsarchitekturen‹. Gerade bei der In-Wert-Setzung von Wissensgütern spielt dieser Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Denn Wissensschutz für Unternehmen kann nicht nur durch spezifische rechtliche Schutzoptionen auf ein Wissensgut selbst realisiert werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass Wissen, welches als Humankapital inkorporiert und auf viele Mitarbeiter verteilt ist, unter der Bedingung von relativ langfristigen Arbeitsverträgen gegen Abfluss an die Konkurrenz weitgehend geschützt ist. Außerdem bestehen gerade in Wissensmärkten – auch ohne formelle IGR – erhebliche Markteintrittsbarrieren: Selbst wenn ein potenzieller Konkurrent das Wissen der innovierenden Firma ›anzapfen‹ und ein vergleichbares Produkt (oder Dienstleistung) herstellen kann, so muss er doch zunächst das Misstrauen der Kunden und der Behörden in Hinblick auf Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit überwinden. Denn bei neuem Wissen ist dieses Misstrauen verständlicherweise groß, Wissensgüter wie Arzneimittel, Saatgut, Software usw. werden entsprechend vor Markteintritt immer anspruchsvolleren Prüfungen unterworfen. Eine Governance von Innovationen durch IGR wird sich also nicht allein auf die Untersuchung singulärer Zusammenhänge konzentrieren, sondern wird versuchen, die komplementäre Verschränkung von ›Regelungsarchitekturen‹ in Innovationsregimen zu entschlüsseln. Diese Perspektive legt dann auch nahe, die in rechtspolitischen Kreisen geführte Diskussion um eine ›Maßschneiderung‹ von IGR nach Branchen (vgl. EPA 2007) kritisch zu hinterfragen. Zum einen kann bezweifelt werden, ob ein entsprechend kleinteilig aufgegliederter sektorenspezifischer Schutz durch IGR hilfreich wäre, da die inhärente Komplexität eines solchen Systems sehr groß sein müsste. Zum anderen stellt sich die Frage, was denn überhaupt maßgeschneidert werden kann. Der normativ prinzipiell wünschbaren Berücksichtigung von Branchenbesonderheiten muss die empirische Frage vorausgehen, ob und inwieweit Branchen in sich einheitlich sind. Insofern müsste eine Governance durch IGR eben auch die anderen wirksamen Rechtsnormen sowie die situativ von den Firmen angewandten außerrechtlichen Praktiken berücksichtigen. Erst dann kann sich eine Governance von Innovationen der Ent-
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faltung von möglichen Strategien und Maßnahmen zuwenden, welche als ›Maßschneiderung‹ begriffen werden können.
2. U NTERNEHMERISCHE S CHUT ZSTR ATEGIEN : P OSITIONIERUNG IN W ERTSCHÖPFUNGSKE T TEN , I NNOVATIONSFORMEN UND U NTERNEHMENSGRÖSSE Welche Strategien des Wissensschutzes werden von den Unternehmen gewählt? Unsere Hauptthese, gestützt auf empirische Feldarbeit und vertiefte Literaturrecherche, besagt hier zunächst, dass die Strategien des Wissensschutzes ausgesprochen vielfältig und heterogen sind. Mit Blick auf die unternehmerische Nutzung von Patenten zum Wissensschutz lassen sich etwa folgende vier Aspekte herausstellen: a) Neben Patenten gibt es eine ganze Reihe von funktionalen Äquivalenten, die entweder den Abfluss des Wissens beschränken (z.B. Geheimhaltung, implizites und verteiltes Wissen gekoppelt mit fester Bindung der Wissensarbeiter ans Unternehmen) oder den Marktzugang einschränken (z.B. hohe Fixkosten und daraus resultierende Skalenerträge, Kundenbindung wegen Intransparenz der Wissensqualität). b) Patente werden vielfach nicht als alleiniges Mittel des Wissensschutzes verwendet, sondern – wo möglich – mit funktionalen Äquivalenten gekoppelt, um den Wissensschutz zu verstärken oder überhaupt erst durchsetzen zu können (vgl. z.B. Gallié/Legros 2012). c) Vielfach funktioniert der unternehmerische Wissensschutz ganz ohne Patente. Denn für Unternehmen ist die Durchsetzung von Patenten nicht selten mit einem enormen Aufwand verbunden, weil Verstöße schwer zu überwachen und nachzuweisen sind. d) Patente werden oft gar nicht zum Wissensschutz, sondern zu anderen Zwecken genutzt. Neben der oftmals beklagten Blockade von Mitbewerbern ist hier vor allem die Kommunikationsfunktion zu nennen – es wird transparent gemacht, wer im Unternehmen und außerhalb des Unternehmens an welchen Entwicklungen arbeitet. Aber bei der Diagnose der Heterogenität kann man natürlich nicht stehen bleiben, wenn man – bei aller Buntscheckigkeit der Empirie – dennoch Orientierung schaffen und Handlungsempfehlungen geben will. Was sind also die wesentlichen Faktoren, die erklären, welche Strategien des Wissensschutzes von den Unternehmen gewählt werden? Die Auswahl fällt nicht ganz leicht, weil viele Faktoren infrage kommen und weil sie teilweise überlappen, interagieren und kovariieren. Dennoch erscheinen insbesondere folgende Faktoren bedeutsam für die Differenzierung unternehmerischer Praktiken des Wissensschutzes zu
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sein: Die Position in der Wertschöpfungskette, die Form der Innovation sowie die Unternehmensgröße.
2.1 Position in der Wertschöpfungskette: stromauf versus stromab Mit dem Begriff der Wertschöpfungskette ist gemeint, dass der Marktwert eines Gutes über mehrere Stufen – von den Rohstoffen über verschiedene Vor- und Zwischenprodukte bis schließlich hin zum Endprodukt – generiert wird. Das Konzept ist schon seit langem in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verankert, hat aber neuerdings über die verstärkte Analyse globalisierter Wirtschaftsverflechtungen eine zusätzliche Dimension erhalten: Es handelt sich dann um ein Analyseinstrument der politischen Ökonomie, das die Marktkonzentration und Marktmacht auf den verschiedenen Stufen einer spezifischen Wertschöpfungskette – meist bezogen auf eine Industriebranche – untersucht, um Interessensgegensätze und Machtverhältnisse offenzulegen (vgl. Korzeniewicz/ Gereffi 1994; Gill 2009). Vielfach wird dabei auch die Metapher des Flusses benutzt: Wissensinvestitionen in Produkte oder Dienstleistungen können also eher flussauf (›upstream‹) oder eher flussab (›downstream‹) zum jeweiligen Zielmarkt (der gewissermaßen das Meer bildet) stattfinden. Mit ihren Wissensinvestitionen positionieren sich Unternehmen also entlang der Wertschöpfungskette. Anders als bei einem Fluss haben aber die Oberlieger (wirtschaftlich gesprochen die Anbieter) nicht automatisch mehr Macht als die Unterlieger (Nachfrager), den Wertstrom zurückzuhalten oder in seiner Zusammensetzung zu verändern. Denn genauso wie sich über die Konzentration des Angebots Marktmacht gegenüber den Nachfragern bis hin zum Monopol bilden kann, ist auch umgekehrt die Konzentration der Nachfragemacht bis hin zum Monopson möglich. Daher kann in der Wertschöpfungskette in beide Richtungen Macht und Kontrolle ausgeübt werden. Was bedeutet das nun im Hinblick auf Wissensgüter, das heißt auf Produkte und Dienstleistungen, bei denen Wissen und Innovation einen signifikanten Anteil der Wertschöpfung ausmachen? Hier ist entsprechend zu gewärtigen, dass das neue, innovativ wirkende Wissen an verschiedenen Stellen – eher stromauf oder stromab – in den Wertschöpfungsfluss eingespeist werden kann. Entsprechend ist dann auch die Wirkung von Immaterialgüterrechten, insbesondere Patenten, unterschiedlich. Patente vermitteln ein Monopol auf Zeit und verschieben damit die Macht und mit ihr die Aneignung von Profiten in der Wertschöpfungskette – umso stärker natürlich, je bedeutsamer die Innovationen und die zugrunde liegenden Patente sind. Je weiter stromauf ein Patent vergeben wird und Bedeutsamkeit erlangt, umso mehr kann es eine Vielzahl von weiteren Entwicklungen kontrollieren und in den eigenen Entfaltungsmöglichkeiten und Marktchancen beschränken. Um das zu verstehen, muss man von der Flussmetapher allerdings abrücken oder sie entscheidend modifizieren: Der Fluss hat ein sehr langes und breites Mündungsdelta, oder anders gesprochen, er verzweigt sich laufend. Und anders als bei einem Fluss kann nun ein einzelner Zustrom –
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eine einzelne Grundlageninnovation – das Geschehen in einer Vielzahl von Teilmärkten bestimmen. Man stelle sich etwa vor, ein so grundlegendes Produkt wie eine Schraube sei erst kürzlich erfunden worden und in ihrer Eigenart patentierbar – dann müssten alle Verwender von Schrauben an den Patentinhaber Lizenzgebühren abführen. Das Beispiel mag etwas konstruiert wirken, aber das Cohen/ Boyer-Patent auf eine zentrale Methode der Gentechnik hat tatsächlich der Form – wenn auch nicht dem Umfang nach – diese Wirkung (vgl. NRC 1997). Deshalb wurden früher auch ganz bewusst keine Patente für Entdeckungen der Grundlagenforschung vergeben, eine Regulationspraxis, die sich erst in den letzten 30 Jahren ausgehend vom Bayh-Dole-Act und den USA grundlegend verschoben hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Zuflüssen weiter stromauf im Allgemeinen um eher explizites, kodifizierbares und universelles Wissen handelt. Solches Wissen kann relativ leicht abfließen, andererseits aber recht gut patentiert werden (wenn die Rechtsetzung das erlaubt). Zudem haben die Unternehmen, wenn sie upstream positioniert sind, oft auch weniger funktionale Äquivalente zum Patent, um ihr Wissen zu schützen. Daraus leiten wir die Hypothese ab, dass Unternehmen, Branchen und Länder, deren Wissensclaims tendenziell stärker stromauf positioniert sind, ein gewichtiges Interesse an starken formalen IGR und insbesondere an Patenten haben, die auch auf eher akademisches – also explizites, universelles und grundlegendes – Wissen angewandt werden können.
2.2 Diskrete versus komplexe Innovationen Der Wissensaufbau ist immer kumulativ, wir stehen also immer schon ›auf den Schultern von Riesen‹, wie Isaac Newton es nannte. ›Diskret‹ ist eine Innovation aber dann, wenn sie nicht auf andere, eventuell rechtlich geschützte Innovationen aufbaut beziehungsweise mit ihnen komplementär verzahnt ist. Diese Überlegung wird insbesondere dann relevant, wenn die anderen, geschützten Innovationen, auf die eine Innovation kumulativ oder komplementär angewiesen sein könnte, von anderen Unternehmen kontrolliert werden. Diskrete Innovationen gibt es insbesondere in der chemischen und pharmazeutischen Industrie; sie beziehen sich dort meist auf einzelne Wirkstoffe oder Wirkstoff klassen, die dann durch Patente oder Patentfamilien geschützt werden (vgl. Federal Trade Commission 2003; Scotchmer 1991). Dabei ist der Begriff natürlich auch graduell zu verstehen: Wenn man ein gentechnisch erzeugtes, also transgenes Konstrukt wie etwa eine über das Bacillus thuringiensis vermittelte Insektenresistenz betrachtet, dann ist diese zwar viel weniger komplex als eine ganze, züchterisch hervorgebrachte Pflanze, deren Performanz auf dem Zusammenspiel von 20.000 bis 60.000 Gene beruht, aber sie beinhaltet dennoch ein gewisses Maß an Komplexität, indem neben dem Gen für den Wirkstoff selbst (das Bt-Toxin) auch Regulationssequenzen aus anderen Herkunftskontexten (zum Beispiel dem Cauliflower Mosaic Virus) eingebaut werden
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und außerdem Verfahren und Instrumente zur Anwendung kommen, die ihrerseits – zum Beispiel durch das oben genannte Cohen/Boyer-Patent – geschützt sein können. Bei der Bestimmung des Komplexitätsgrades kommt es aber, wie schon angedeutet, nicht allein auf den technischen, sondern auch auf den juristischen Sachverhalt an: Saatgut ist zwar im Zusammenspiel der Gene hochgradig komplex, die einzelnen Gene können aber nicht durch IGR geschützt werden, jedenfalls solange sie nicht gentechnisch bestimmt oder verändert wurden. Technische Komplexität ist normalerweise bei downstream-Innovationen gegeben: Es sind dann viele Wissensbäche zusammen geflossen, also viele Einzelmaterialien mit vielen Einzelverfahren zusammengefügt worden, bevor der Strom im Meer mündet, also ein Produkt beim Endverbraucher ankommt. Umgekehrt sind upstream-Innovationen, technologisch besehen, oft eher diskret, wobei aber Ausnahmen vorkommen, wenn zum Beispiel im Laborbereich der Chemie ein neues Syntheseinstrument zur Anwendung kommt, das seinerseits als hochkomplexes Produkt der Maschinenbau- und Elektronikindustrie zu verstehen ist. Technische Komplexität kann nun in zweifacher Weise relevant werden. Zum einen ermöglicht sie Wissensschutz, wenn verschiedene technische Komponenten von ein und demselben Unternehmen kontrolliert werden. Dieses Unternehmen kann dann leicht einzelne Teile oder Blaupausen aus der Hand geben, ohne dass die Technologie in ihrem Zusammenwirken dadurch kopiert werden könnte. So kann dann auch die Fertigung von Modulen an Unterauftragnehmer oder an Betriebsstätten in Niedriglohnländer vergeben werden, ohne dass das Mutterunternehmen die Kontrolle über die Technologie verlieren würde. Insofern kann man diese Strategie auch als Wissensschutz durch Komplexität bezeichnen. Zum anderen ist es aber auch oft der Fall, dass andere Unternehmen ihrerseits Schutzansprüche bezüglich der verwendeten technologischen Komponenten besitzen. Wenn die entsprechenden Schutzrechte aktuell sind, kann es hier zu erheblichen Konflikten und hohen Transaktionskosten kommen, wie das in der Softwarebranche und Elektronikindustrie fast regelmäßig der Fall ist. Insgesamt kann man die Hypothese formulieren, dass exklusive Immaterialgüterrechte, insbesondere Patente für diskrete Innovationen, weniger mit Legitimitätsproblemen und Rechtsstreitigkeiten belastet sind als komplexe Innovationen. Allerdings besteht bei diskreten Innovationen definitionsgemäß auch kaum die Möglichkeit, auf ›Wissensschutz durch Komplexität‹ als funktionales Äquivalent zu formalen IGR auszuweichen. Umgekehrt verhält es sich in komplexen Technologiefeldern: Hier besteht die Möglichkeit des Wissensschutzes durch Komplexität, andererseits kann es zu erheblichen Konflikten mit konkurrierenden Schutzansprüchen kommen. Das heißt jedoch nicht, dass Firmen in komplexen Technologiefeldern nicht patentieren würden: Einerseits sind sie aus Konkurrenzgründen oft gezwungen dies zu tun – oftmals findet ein Wettrüsten um Droh- und Blockadepotenziale statt, um das ›Gleichgewicht des Schreckens‹ aufrecht zu erhalten. Andererseits können sie Patente zugleich in ihrer externen und firmeninternen Kommunikationsfunktion nutzen. Eventuell tendieren sie
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aber auch – wie ein bedeutender Teil der Software- und Elektronikindustrie – zu Open-Source-Strategien, weil sie den Wissensschutz über funktionale Äquivalente, wie etwa komplementäre Bündelung mit kundengebundenen Dienstleistungen, sicherstellen können (vgl. Lerner/Tirole 2005).
2.3 Große versus kleine Unternehmen Große Unternehmen verfolgen andere Schutzstrategien als kleine Unternehmen, und zwar aus drei Gründen. Erstens lohnt es sich nur bei einem absehbar großen Produktionsumfang, explizite Forschungs- und Entwicklungsbemühungen in Angriff zu nehmen, deren Kosten dann auf eine hohe Stückzahl umgelegt werden können (vgl. Arrow 1998). Am Prinzip der hohen Stückzahl können auch kleine, auf Forschung und Entwicklung ausgerichtete Firmen profitieren, wie sie insbesondere im Bereich der Biotechnologie und der Software existieren. Diese treten dann aber regelmäßig als ›Vasallen‹ von großen Produktionsfirmen auf und sollen deshalb dem Bereich großer Unternehmen zugerechnet werden. Umgekehrt ist formale Forschung und Entwicklung bei kleinen Produktionsfirmen selten. Das bedeutet unserem Verständnis nach jedoch nicht, dass kleine Unternehmen deswegen weniger innovativ seien. Jedoch ergeben sich bei kleineren Unternehmen die Innovationen mehr aus dem Produktionsprozess selbst heraus, also aus der direkten Kommunikation zwischen den Firmenangehörigen und aus dem Kontakt mit den Kunden. Kleinere Unternehmen sind im Hinblick auf diese impliziten und kontextbasierten Innovationen sogar im Vorteil, weil sie im Allgemeinen weniger stark bürokratisiert, das heißt in ihren internen und extern Abläufen weniger standardisiert und festgelegt sind. Diese impliziten Innovationen können aber nicht über Patente – die ja für die Offenlegung die Kodifizierung des Wissens voraussetzen –, sondern nur über Markenrechte und außerrechtliche Instrumente wie etwa Kundenbindung oder technische Maßnahmen gegen unlizensierten Abfluss und Konkurrenz geschützt werden. Zweitens haben aus ähnlichen Gründen Patente für große Unternehmen unter Umständen eine wesentliche Kommunikationsfunktion, auf die kleinere Unternehmen in geringerem Maße angewiesen sind. Die Kommunikationsfunktion lässt sich ihrerseits in vier Facetten aufgliedern: Zunächst ist das die Evaluationsfunktion für die Forschungsabteilungen selbst – durch die Erteilung eines Patents wird von einer externen Agentur, nämlich dem Patentamt, bescheinigt, dass eine Erfindung gemacht, also eine Leistung erbracht wurde. Sodann helfen die Patente bei der internen Wissensorganisation in dem Sinne, dass die Kompetenzen der unterschiedlichen Abteilungen eines großen Unternehmens wechselseitig transparent werden. Dies gilt dann auch gegenüber möglichen Kooperationspartnern außerhalb des Unternehmens. Und schließlich haben Patente auch generell eine Werbefunktion, indem große Unternehmen mit ihrer Hilfe ihren technologischen Nimbus zu signalisieren versuchen.
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Drittens besitzen große Unternehmen bei Patentstreitigkeiten eine erheblich höhere Durchsetzungsmacht. Das gilt insbesondere für Patente im Bereich komplexer Technologien mit ihren Überlappungen und unscharfen Rändern. Wenn man nun als großes Unternehmen viele dieser Patente zusammenlegen kann, hat man – jedenfalls im Vergleich zu kleinen Unternehmen – relativ kürzere Außengrenzen bei den Wissensclaims und ist entsprechend weniger angreifbar. Im direkten Konflikt mit einem kleinen Unternehmen hat man selbst mehr Patente, deren Verletzung man reklamieren kann. Aufgrund des breiteren Portfolios ist – nach dem statistischen ›Gesetz der großen Zahl‹ – auch das Prozesskostenrisiko geringer (vgl. z.B. Haedicke 2008). Da man überall auf der Welt Vertretungsagenturen aufrecht erhalten kann, profitiert man auch stärker von einer supranationalen Homogenisierung des Patentrechts, während kleine Firmen erhebliche Schwierigkeiten haben, im Ausland bestehende Schutzrechte in Anspruch zu nehmen und gegen Konkurrenten durchzusetzen. Zusammenfassend kann man also vermuten, dass große Unternehmen – und kleinere Forschungsfirmen in ihrem Umfeld – verstärkt auf Patente zurückgreifen und rechtspolitisch die Ausweitung von Patentierungsmöglichkeiten fordern, während kleinere Produktionsunternehmen auf andere Strategien des Wissensschutzes zugreifen und der Ausweitung von Patentierungsmöglichkeiten skeptisch gegenüber stehen (aber oftmals auch keine Ressourcen für Lobbyarbeit frei haben, weshalb sie regelmäßig verbandspolitisch unterrepräsentiert sind; vgl. Olson 1965). Anhand der genannten Kategorien – Stellung in der Wertschöpfungskette, Form der Innovation und Größe des Unternehmens – sollen also im Folgenden die Strategien des Wissensschutzes im Bereich des Maschinenbaus und der Agrobiotechnologie beschrieben werden.
3. U NTERNEHMERISCHE S CHUT ZSTR ATEGIEN : P FL ANZENZÜCHTUNG UND M ASCHINENBAU IM K ONTR AST Den Annahmen der Industrial Systems of Innovation-Theorie (vgl. Malerba 2004) folgend, liegt es nahe, branchenspezifische Unterschiede bei den Strategien des Wissensschutzes zu erwarten. Entsprechend gingen wir anfangs von einem starken Kontrast aus – zwischen dem Maschinenbau einerseits mit einer deutlichen Orientierung an komplexen Innovationen und einem Wissensschutz über langfristige Arbeitsbeziehungen sowie Geheimhaltung, und der Agrobiotechnologie andererseits mit einem Fokus auf diskrete Innovationen und einem Wissensschutz über Patente. Unsere empirischen Befunde stützen nun diese Kontrastierung teilweise, eröffnen zugleich aber ein differenzierteres Bild. Einerseits beobachten wir sehr unterschiedliche Formen der Etablierung und Durchsetzung von Marktmacht. Zudem werden Komplementaritäten zwischen unterschiedlichen Formen des Wissensschutzes auf jeweils andere, branchenspezifische Weise ge-
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bildet. Andererseits lassen sich in beiden Branchen relativ ähnliche übergreifende Muster von Aneignungsstrategien feststellen; in beiden Bereichen tritt zu Tage, dass vieles, was nicht IGR ist, dennoch wie IGR wirkt (z.B. Risikoregulierungen wie bei der Pharmazulassung, Geheimhaltung, die Bindung von Mitarbeitern oder die Komplexität des Designs). Es wirkt also zentral eine Branchenspezifik, aber nicht allein. Nicht allein der Maschinenbau oder die Saatgutbranche, sondern verschiedene Schutzstrategien, aber auch unterschiedliche Schutzbedürfnisse sind je nach aktuellem technologischem Kontext und Positionierung in der Branche empirisch vorzufinden. In der folgenden Darstellung wollen wir deshalb den Bezug zur Branche primär setzen und die beiden Fallstudienbereiche kontrastieren, zugleich aber auch deren innere Heterogenität hervortreten lassen. Dabei sollen auch die unternehmerischen Praktiken des Wissensschutzes anhand der drei oben skizzierten Variablen ›Position in der Wertschöpfungskette‹, ›Innovationsform‹ sowie ›Unternehmensgröße‹ aufgeschlüsselt werden.
3.1 Pflanzenzüchtung/Agrobiotechnologie Im Saatgutsektor sind traditionellerweise kleine und mittelständische Betriebe dominant, die in der Wertschöpfungskette ›downstream‹, also marktnah für lokale agronomische Kontexte operieren (vgl. Int PA11, PA12, PA13). 4 Eine Sorte stellt dabei eine komplexe Innovation dar. Dies liegt daran, dass bei der Entwicklung einer marktfähigen Sorte die Pflanze zwar zumeist hinsichtlich einzelner Ausprägungen optimiert wird, dabei jedoch genetisch viele Gene und deren Zusammenspiel verändert werden. Entsprechend bedarf im Rahmen der konventionellen Züchtung die Entwicklung neuer Sorten bis zu 15 Jahren. Der Erfolg eines Züchtungsbetriebes ist dabei überdurchschnittlich von einzelnen Personen (den Züchtern) abhängig (vgl. Int PA 13, PA 16), welche den so genannten Züchterblick entwickelt haben und damit über implizites Wissen verfügen, das über lange Jahre von einem erfahrenen Züchter, das heißt in persönlichem Kontakt, erlernt werden muss. In ihren Betrieben genießen Pflanzenzüchter hohe Privilegien wie überdurchschnittliche Bezahlung, teilweise Anteile am Betrieb sowie große Anerkennung und werden zudem in hohem Maße von der Außenwelt abgeschottet. Die Personenbindung an das Unternehmen stellt also die entscheidende Größe 4 | Unsere empirischen Ergebnisse haben wir aus bisher 52 Experteninterviews, der Teilnahme an Konferenzen, Dokumentenanalysen sowie der quantitativen Auswertung von Sortenschutzanmeldungen und Patentdaten gewonnen. Interviewpartner waren Saatgutzüchter, Biotechnologen, Maschinenbauer, Forschungsmanager, Verkaufsleiter und Patentanwälte von großen Unternehmen, Leiter von kleinen Unternehmen sowie Mitarbeiter von Behörden. Die Kennzeichnung der Interviews erfolgt nach den Fallstudien: ›Int PA‹ markiert Interviews, die in der Fallstudie Pflanzenzüchtungsforschung/Agrobiotechnologie durchgeführt wurden, und ›Int MB‹ solche aus der Fallstudie Maschinenbau.
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im Wissensschutz dar. Ein zweiter wichtiger Schutzmechanismus ergibt sich aus der Geschlossenheit der Branche und der starken Neigung zur Kooperation. Die meisten Züchtungsbetriebe arbeiten in Bereichen wie F&E oder Vertrieb kooperativ zusammen und sind dabei zumeist in standespolitischen Interessenvertretungen organisiert. Neben Effizienzvorteilen ermöglicht die enge, kooperative Struktur der Branche auch die soziale Kontrolle der Mitarbeiter und deren Umgang mit firmeninternem Wissen. Außerdem hat sich seit ungefähr 100 Jahren ein branchenspezifisches Immaterialgüterrecht entwickelt (vgl. Leßmann/Würtenberger 2009), das als ›Sortenschutz‹ bezeichnet wird und der Tatsache Rechnung trägt, dass in einer Sorte viele Gene – wenn man so will: viele Wissenspartikel – holistisch zusammen spielen und den Charakter der Sorte ausmachen. Der Züchter genießt nun Anspruch auf den Schutz dieses Zusammenspiels, nicht aber auf die einzelnen Gene. Im Züchterprivileg ist nämlich geregelt, dass andere Züchter diese für ihre Züchtungen weiter verwenden können und keine Lizenzgebühren dafür zahlen müssen. Insofern wird im Sortenschutz die Balance zugunsten der Commons – also dem Wissen über Nutzpflanzen als gemeinsames Erbe der Menschheit – verschoben. Der Schutz des Immaterialgutes wird also traditionellerweise vor allem durch die Komplexität des Wissensguts, die hohe Bindung der Wissensarbeiter sowie durch den Sortenschutz, also ein branchenspezifisches Immaterialgüterrecht, verwirklicht. Die Möglichkeit zur Patentierung einzelner Gensequenzen, wie sie durch die Gentechnik und die neuere Rechtsetzung auf diesem Gebiet eröffnet wurde, vermittelt dem Patentinhaber demgegenüber ein exklusives und daher stärkeres Recht an der Gensequenz: Er besitzt Ansprüche auf Untersagung oder Lizenzgebühren, gleichgültig in welche Sorte die Gensequenz eingekreuzt wird. Entsprechend hat sich mit dem Einzug molekularbiologischer Methoden in die Züchtung ein wichtiger Wandel innerhalb der Branche vollzogen. Entgegen der komplexen Innovationsform herkömmlicher Sortenbildung stellen die Gensequenzen der Herbizidresistenz und der Insektenresistenz, also der gebräuchlichsten Transgene, tendenziell diskrete Innovationen dar. Sie entstanden aus einer wissenschaftlichen Logik im Labor, fernab vom landwirtschaftlichen Kontext. Zwar hat es in der Pflanzenzüchtung bis dahin schon immer eine Verknüpfung wissenschaftlicher und praktischer Wissensbestände gegeben (vgl. Wieland 2004, 2011), jedoch blieb die Pflanzenzüchtung trotz allem ein holistischer, von den praktischen Problemen des Pflanzenbaus getriebener Prozess. Anders nun die Pflanzenbiotechnologie, die sich auf die Hervorbringung diskreter Innovationen fokussiert – und damit das Wissensgut ›Sorte‹ anders programmiert. Diese molekularbiologische Transformation begünstigte zum einen die Patentierung (vgl. Calvert/Joly 2011; Bonneuil 2006); denn erst durch die Erkenntnisse der Molekularbiologie wird es möglich, auch solche Teile der Natur (wie einzelne Gene oder Teile von Genen) mit Eigentumsrechten zu versehen, die sich vorher einer privaten Aneignung entzogen (vgl. Wissen 2005). Zum anderen korrespondiert damit der
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Umbau des wissenschaftlichen Systems in den USA mit einem massiven Abbau der öffentlichen Förderung der Pflanzenzüchtungsforschung. Im Zuge dieser Entwicklung wachsen nicht nur die F&E-Abteilungen in Unternehmen (vgl. Bliss 2007), sondern Unternehmen versuchen, die Pflanzenzüchtung selbst stärker zu integrieren. Mit diesem Wandel beobachten wir die Bedeutungszunahme großer Unternehmen in der Branche. Wo sind diese positioniert, welche Wissensgüter bringen sie hervor und mit welchen Strategien des Wissensschutzes operieren sie? Die implizite und kontextorientierte Wissensbasis in der Pflanzenzüchtung sowie die lokale Logistik der Saatgutvermehrung verhinderten zunächst eine stärker industrielle Organisation. Die ersten Großunternehmungen, wie zum Beispiel Shell, die in den 1970er Jahren in dieses Feld eindringen wollten, stießen die zugekauften Züchtungsbetriebe schnell wieder ab (vgl. Schenkelaars et al. 2011). Als ›second mover‹ investierten – beflügelt durch die Fortschritte der Molekularbiologie – chemische und pharmazeutische Unternehmen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer in den Züchtungssektor (vgl. Brandl, im Erscheinen). Diese Unternehmen brachten die in der chemischen und pharmazeutischen Industrie übliche Praxis des Patentierens, also eine stärkere Form der IGR mit in den Züchtungssektor. Zudem hielten viele kleine universitäre Start-Up-Unternehmen Patente auf spezifische Gene, die jedoch von den großen Konzernen der Saatgutbranche aufgekauft wurden (vgl. Bijman 2001). Die übergreifende Strategie bestand darin, einzelne Gene zu patentieren und sie dann in die Sorten des aufgekauften Pflanzenzüchtungsbetriebes einzukreuzen. Der Antagonismus von Pflanzenbiotechnologie (diskrete Innovation, upstream) und Züchtung lokal angepasster Pflanzen (komplexe Innovation, downstream) wurde in den USA durch vertikale Integration aufgelöst (vgl. Kalaitzandonakes/ Bjornson 1997). In Deutschland, das wie die anderen EU-Länder auf den Anbau von transgenen Pflanzen weitgehend verzichtet, sind die Züchtungsbetriebe bisher selbstständig geblieben (vgl. Int PA 11, PA 16) bzw. ist die Integration in einem Fall in umgekehrter Richtung verlaufen (vgl. Int PA 19): Die biotechnologische Forschung wurde in einen Züchtungsbetrieb integriert. So sind die beiden einzigen derzeit global erfolgreichen Saatgutunternehmen mit einer züchterischen Unternehmenstradition – die deutsche KWS und das französische genossenschaftlich organisierte Züchtungsunternehmen Limagrain – aus Europa, während die US-amerikanischen Unternehmen in diesem Bereich ausnahmelos der Agrochemie entstammen. Aufschlussreich ist darüber hinaus, dass offensichtlich der Besitz eines formalen Immaterialgüterrechts (wie etwa ein Patent auf ein Gen in einer Sorte) im Saatgutsektor als Wissensschutz allein nicht ausreicht, weil die Bauern – also die Abnehmer – das Saatgut auch selbst weiter vermehren können. Monsanto entwickelte ein ausgeklügeltes System der Einbettung der Bauern in ein Beratungssystem, das als ›Doing Property‹ gekennzeichnet werden kann (vgl. Schubert et al. 2011). Das Beratungssystem fungiert zugleich als Überwachungsapparat, um
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die formalen IGR auch praktisch durchzusetzen, mit anderen Worten: die Bauern dazu zu bringen, für die von ihnen verwendete Technologie (z.B. herbizidtoleranten Mais) zu bezahlen. Ökonomischer Erfolg im gentechnisch aufgerüsteten Saatsektor beruht also auch darauf, über die ökonomischen Ressourcen zu verfügen, um formal garantierte IGR praktisch durchsetzen zu können (vgl. Kalaitzandonakes et al. 2011). Dieser Größenvorteil hat – in Verbindung mit der Patentierung des Wissensgutes – insbesondere agrochemischen Konzernen wie Monsanto, Bayer oder Syngenta die Chance eröffnet, von der Upstream-Position aus die Wertschöpfungskette zu durchdringen und damit die Struktur der Branche in Nordamerika neu auszurichten (vgl. Schenkelaars et al. 2011; Kalaitzandonakes et al. 2011). Anders agiert die deutsche KWS Saat AG als eines der beiden größeren Unternehmen im Saatgut-Sektor, die nicht von Chemiekonzernen aufgekauft wurden, sondern auf der Basis ihrer Kompetenz in der Züchtung ihre Selbstständigkeit nicht nur wahren, sondern sich auch erfolgreich ausbreiten konnten. Gemessen am Nettoumsatz ist die KWS das fünftgrößte Unternehmen weltweit, mit einem Anteil von 2,2 % am globalen Saatguthandel, liegt damit aber deutlich hinter den Mitbewerbern Monsanto (17,4 %), Dupont (12,4 %) und Syngenta (6,1 %), (vgl. Schenkelaars et al. 2011: 18). Als einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg und das Größenwachstum kann die Fähigkeit der KWS genannt werden, sich in verschiedene Innovations- und Wissensschutzregime einzufügen. Den Hauptumsatz in den USA macht die KWS mit einer transgenen, herbizidtoleranten Zuckerrübe. In Deutschland dagegen passt sich die KWS als die ungebrochene Marktführerin den bestehenden kooperativen und auf Gentechnik verzichtenden Branchenstrukturen im Saatgutsektor an.
3.2 Maschinenbau Die Branche des Maschinenbaus ist im Vergleich zur Pflanzenzüchtung in sich durch eine viel größere innere Differenzierung und damit durch eine erhebliche Vielfalt von Netzwerken und Kooperationsstrukturen geprägt (vgl. Dertouzos et al. 1989; Dilk 2009). So kommt dem Aspekt der Regionalisierung von Innovationssystemen, welcher eine entsprechende Koordination leichter ermöglicht (vgl. Cooke et al. 2004), im Maschinenbau eine herausragende Rolle zu. Vor diesem Hintergrund fällt der Druck zur Marktkonzentration geringer aus. Im Falle des Maschinenbaus gibt es auch keine sektorspezifische IGR wie beim Saatgut. Das wäre im Maschinenbau wohl auch deutlich schwieriger zu realisieren, weil die Wissensgüter sehr viel unterschiedlicher sind als beim Saatgut. Diese reichen von einzelnen Verpackungsmaschinen bis hin zu Fertigungsstraßen oder landwirtschaftlichen Maschinen. Deshalb greifen im Bereich des Maschinenbaus auch andere Positionierungsstrategien von Unternehmen im Innovationsregime. Die Innovationstätigkeit und damit die Machtstellung in der Wertschöpfungskette beruht nämlich weniger auf Grundlagenforschung in einem radikal neuen Gebiet
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(wie etwa im Falle der Gentechnik für die Pflanzenzüchtung), sondern stärker auf der Entwicklung hin zu komplexen Lösungen in einem reifen Technologiefeld. Der Maschinenbau zeichnet sich durch das Vorherrschen komplexer Wissensgüter aus. Bezogen auf durch Kunden definierte Kontexte bestehen Innovationen in der Re-Konfiguration von Schlüsselkomponenten des Problemlösens (vgl. Hirsch-Kreinsen 1993a; Vieweg 2001; Dilk 2009). Die Produkte werden vielfach nach Kundenspezifikationen entwickelt (39 %) oder als Grundprogramm mit Varianten angeboten (45 %). Zu 64 % werden diese als komplexe Produkte, zu 27 % als Produkte mittlerer Komplexität beschrieben (vgl. Kinkel/Som 2007: 4). Um solche Lösungen entwickeln zu können, kommt vielfach implizitem Wissen eine größere und manchmal die entscheidende Bedeutung zu, weshalb hier auch andere Schutzstrategien als die Patentierung erforderlich sind und praktiziert werden. Jedoch kann man seit den späten 1980er Jahren eine weit gefächerte Durchdringung komplexer Innovationen durch eine wissenschaftsbasierte Vorgehensweise beobachten (vgl. Kalkowski 1996). Nicht mehr nur die ›klassischen‹ Disziplinen des Maschinenbaus bilden die Know-how-Basis, sondern Elektrotechnik und Informatik treten hinzu (vgl. auch Hirsch-Kreinsen 1993b: 77). Korrespondierend zu der Neuprägung komplexer Wissensgüter durch den Einschluss wissenschaftlichen Wissens lässt sich gegenwärtig im Maschinenbau eine Ausweitung der Patentierung nachweisen, die insbesondere von technologieorientierten Großunternehmen betrieben wird. Bei diesen Innovationen werden komplexe Innovationen vielfach gezielt mit diskreten gekoppelt, um zu einer Ausweitung der Innovationsbasis zu gelangen. Das verändert die Spielregeln für die Positionierung von großen technologischen Unternehmen des Maschinenbaus, die vielfach middlestream agieren, also eine Verbindung der beiden Innovationsformen nicht nur bewerkstelligen müssen, sondern darauf gerade ihre Wissensinvestitionen ausrichten. Wird die Abhängigkeit von upstream erzeugtem Wissen größer, dann kann dies aufgrund des Patentschutzes jedoch zu Zugangsbarrieren führen. Diese können Unternehmen etwa zu ›Umweginnovationen‹ zwingen, in anderen Fällen müssen Innovationen sogar trotz aussichtsreicher technologischer Basis aufgegeben werden, wenn Upstream-Patente ganze Pfade verschließen (selbst wenn, wie in dem von uns untersuchten Unternehmen, die blockierenden Patente von den Inhabern selbst nicht wirtschaftlich genutzt wurden) (vgl. Int MB 2). Anders stellt sich die Situation dar, wenn ein Unternehmen downstream (hier: Automobilhersteller) sich aufgrund seiner Marktmacht den Problemen bei der Verknüpfung von Innovationsformen durch Arbeitsteilung entziehen kann. Patente dienen in dem untersuchten Fall dazu, die übergreifenden Innovationslinien zu sichern. Die Entwicklung und Optimierung einzelner Hightech-Bauteile und die dazu erforderliche integrierende Detailarbeit mit entsprechend intensiver Patentierungsaktivität überlässt man den Zulieferern: »Sollen die sich darum streiten« (Int MB 5). Eine größere Rolle kommt Markenrechten zu, da die internen Innovationsaktivitäten darin bestehen, »eher zu designen als zu erfinden« (Int
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MB 5). Im Maschinenbau beobachten wir zwar die intensive Nutzung von Patenten, aber dabei handelt es sich seltener um upstream-Patente. Kleine Unternehmen sind zur Sicherstellung ihrer komplexitätsorientierten Innovationsaktivitäten auf ein Netzwerk von Kooperationen angewiesen und nutzen nur in Ausnahmefällen Patente (vgl. Int MB 2, MB 3). Der Wissensschutz basiert wesentlich auf einer ›doppelten Spezialisierung‹: Zum einen sind die Maschinen stark an den Entstehungskontext, also an das technologische Know-how des Unternehmens gebunden, was Strategien des Human Ressource Managements zum Innovationsschutz attraktiv macht (vgl. Olander et al. 2011; Int MB 3). Zum anderen existiert durch die jahrelangen engen Kundenbeziehungen ein präzises Verständnis für die spezifischen Problemlagen der Kunden und Vertrauensbeziehungen in Netzwerken (vgl. Jansen 2006). Das Design der Technologien ist komplex und stellt selbst schon einen Schutz dar (vgl. Brusoni et al. 2001). Patente hingegen weisen eher einen geringen Nutzen für solche Unternehmen auf, senken im ungünstigsten Fall sogar die Kosten für Konkurrenten, das spezifische Know-how entlang der Offenlegung in der Patentschrift selbst zu entwickeln. Firmen, die stärker Elemente wissenschaftsbasierter Innovationen (Elektronifizierung, Informatisierung sowie Umsetzung neuen physikalischen Wissens) integrieren müssen, nutzen gleichwohl Patente für Schlüsselkomponenten als defensive Strategie (vgl. Int MB 3). Geheimhaltung kodifizierbaren Wissens fügt sich komplementär in die Schutzstrategien ein (vgl. Gallié/Legros 2012). Kleine Firmen operieren oftmals in Nischen und haben allenfalls Patente für einzelne ›betriebliche Schlüsseltechnologien‹ angemeldet. Auch große Unternehmen im Bereich Maschinenbau greifen auf die schon genannten Schutzstrategien zurück, weisen aber eine deutlich intensivere Patentpolitik auf. Dies begründet sich in der schon ausgeführten Verknüpfung von diskreten mit komplexen Innovationen. Deshalb sind die Maschinenbau-Unternehmen auch viel stärker von Sprüngen in der Technologieentwicklung abhängig. Im Falle eines Automobilzulieferers zeigt sich dieser Zusammenhang exemplarisch: Werden neue Linien aufgesetzt, dann werden wenige zentrale Patente eingereicht, geht es um Linienverfeinerung, werden viele Detailpatente angemeldet (vgl. Int MB 4). Häufig eröffnen selbst zentrale Patente keine Monopolstellung, da aufgrund der Technologiekomplexität Mitbewerber ähnliche Ergebnisse auf anderen Wegen realisieren können. Dennoch führt dies zu Oligopolbildung und Marktschließung, die für die Deckung der Investitionen für ›neue Linien‹ als erforderlich erachtet werden (vgl. ebd.). Bei der Linienverfeinerung übernehmen Patente schließlich weniger eine Schutz- als vielmehr eine Positionierungs- wie Kommunikationsfunktionen: Die Signal- und Marketingfunktion der eigenen technologischen ›Fitness‹, das Bereitstellen einer Verhandlungsmasse für Kooperationen, die Nutzung für internes Wissensmanagement wie auch die Anbahnung externer Kooperationen werden dadurch ermöglicht (vgl. Int MB 4; MB 6). Damit korrespondiert, dass in dieser Phase überproportional viele Patente angemeldet werden.
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3.3 Übergreifende Überlegungen Betrachtet man die Strategiebündel von Unternehmen im Überblick, dann können diese – in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Marktmacht – von beiden Enden der Innovationskette her den Markt strukturieren. Zum einen kann bei Monsanto, das im Wesentlichen diskrete Wissensgüter entwickelt, beobachtet werden, wie es sich in umfassender Weise im Saatgut-Sektor eingekauft hat und sich somit die Inklusion komplexer Wissensgüter sicherte. Zum anderen strukturierte der von uns betrachtete Automobilhersteller von der Seite komplexer und anwendungsnaher Innovationen her die Wertschöpfungskette, wobei er auch auf die Inklusion diskreter Innovationen setzt. Dies geschah jedoch nicht durch Integration der Unternehmen, sondern durch Verträge, um so die Konkurrenz unter Technologieanbietern zur Sicherung eigener Marktmacht wie fremden Innovationspotenzials aufrecht zu erhalten. Lenkt man die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang von IGR und Prozessen der Marktkonzentration, dann zeigen unsere Fallbeispiele Folgendes: Starke Immaterialgüterrechte scheinen zwar nicht unmittelbar zur Marktkonzentration zu führen, sie aber gleichwohl zu unterstützen – vor allem die Marktmacht von upstream angesiedelten Unternehmen, die es sonst so nicht geben würde. Es waren nur die großen Unternehmen der Saatgutbranche, die es sich erlauben konnten, größere Aktivitäten in F&E dauerhaft und selbstständig zu unterhalten. Dabei waren und sind sie darauf angewiesen, Technologielinien zu etablieren und diese gegen die Konkurrenz zu behaupten. Über Grundlagenpatente kann die damit verbundene Oligopolbildung einfacher bewerkstelligt werden. Unternehmen, die wesentlich auf komplexe Innovationen setzen, können diese Strategie der Marktkonzentration weniger stark ausspielen. Denn die zugrunde liegende komplexe Technologie lässt prinzipiell das Entwickeln alternativer Pfade weiterhin zu. Folgt das Unternehmen diskreten Innovationen, dann fällt der Effekt der Marktkonzentration durch IGR stärker aus, da die diskrete Technologie stärker marktstrukturierend wirkt. Der Anteil der neun größten Saatgutkonzerne am Weltmarkt betrug 1985 noch 12 % und ist bis 2009 auf 44 % gestiegen (vgl. Schenkelaars et al. 2011: 18; Dalle Mulle/Ruppanner 2010). Die Patentierung von diskreten Innovationen upstream scheint also auf die Strukturierung von Märkten eine nicht unerhebliche Wirkung zu haben. Erstens fördert die Upstream-Patentierung allein diskrete Innovationen, aber nicht die komplexen. Bei letzteren hängt es von der Marktstruktur ab, wie gravierend die blockierende Wirkung von Patenten, mit denen diskrete Wissensgüter geschützt werden, ausfällt. Nun kann man für Deutschland festhalten, dass die Upstream-Patentierung noch nicht Praxis ist. Zwar kann man auch in Deutschland wachsende Kopplungen zwischen universitärer und Unternehmensforschung beobachten, jedoch hat sich die Upstream-Patentierung bisher nicht als Praxis etabliert. Dies zeigt sich in der eher schwachen Stellung von universitären Transferstellen (vgl. Meier/Krücken 2011). Zudem existieren starke Kooperationsstruk-
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turen zwischen den Firmen und damit eine Weitergabe des Wissens in kooperativen Netzwerken. In den USA hat sich die Praxis der Upstream-Patentierung stärker etablieren können, gleichwohl wird an vielen Universitäten der Bayh-Dole Act nicht radikal umgesetzt (vgl. Leydesdorff/Meyer 2010). Zweitens lässt sich mit Blick auf die Befunde in der Biotechnologie schlussfolgern, dass starke IGR in jungen auf wissenschaftlichem Wissen basierenden Branchen als problematisch angesehen werden müssen. Die Unklarheit der Claims, welche als Folge fehlender Möglichkeiten der Kodifizierung von Wissen in noch jungen Wissenschaften gelesen werden kann, kann in Verbindung mit starken IGR bei einer diskreten Innovation zu großen Konzentrationswirkungen innerhalb der Wertschöpfungskette führen.5 Bei älteren Branchen (wie etwa dem deutschen Werkzeugmaschinenbau) mit einem ausgeprägt komplexen Kern schlagen hingegen solche Effekte deutlich weniger durch, da die bereits entwickelte Technologie und die bestehenden Kooperationsbeziehungen im Geflecht der Wertschöpfungskette ein zu großes Reservoir von Innovationsoptionen bereithält, als dass selbst mit Grundlagenpatenten ganze Entwicklungslinien noch zu sperren wären (vgl. Int PA18). Hier sind blockierende Patente lediglich ein Ärgernis, weil sie die Innovationstätigkeit behindern. Das Kapitel beschließend, wollen wir auf die Frage branchenspezifischer Besonderheiten von IGR anhand von zwei Beispielen eingehen. Erstens lässt sich mit dem Sortenrecht eine Form des für die Pflanzenzüchtung spezifischen IGR beobachten. Somit gibt es im Feld der Agrobiotechnologie und Pflanzenzüchtung eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Schutzrechten: Patentrecht versus Sortenrecht. Der Sortenschutz hat dabei, wie oben schon angemerkt, einen holistischeren Ansatz als das Patentrecht, er schützt nicht nur einzelne Gene, sondern das ganze Genom der Pflanze. Andererseits ist er aber beschränkt auf das Genom in seiner gegenwärtigen Ausprägung, d.h., dass andere Züchter die Sorte für weitere Innovationen nutzen können, ohne Lizenzgebühren zu zahlen (Züchterprivileg). Diese Form des Wissensschutzes wird von den mittelständischen Züchtungsbetrieben in Deutschland als sehr positiv bewertet (vgl. Int PA11, PA13, PA14, PA17), während agrochemische Konzerne Patente bevorzugen und ihren Vorrang gegenüber dem Sortenschutz gewahrt sehen möchten. Der Sortenschutz scheint insofern eine Form maßgeschneiderter IGR darzustellen, die beschränkte Profite erlaubt und die Renten relativ gleichmäßig über die Wertschöpfungskette verteilt. Zweitens ist es aufschlussreich, dass seit den 1980er Jahren, also der Zeit des Bayh-Dole-Acts und einer forcierten neoliberalen Ausrichtung auf Konkurrenz, sich der Maschinenbau in Amerika (Werkzeugmaschinen) im Niedergang
5 | Ein Indikator für besonders schwer spezifizierbare Claims ist die hohe Rate an Einsprüchen (sowie der überdurchschnittliche Erfolg derselben) in der Pflanzenbiotechnologie (vgl. Schneider 2011; Harhoff/Reizig 2004).
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befindet.6 Demgegenüber zeigt sich in Deutschland ein Aufschwung des Maschinenbaus durch Integration von Technologie (vgl. Reindl 2002). Dies kann auch als Folge einer auf Kooperation hin ausgelegten Nutzung von IGR interpretiert werden (vgl. Int MB 6, MB 8). In einer differenzierten Praxis des unternehmerischen Wissensschutzes muss also die wachsende Bedeutung von Patentschutz nicht zwangsläufig in einer Verringerung der Kooperation münden.
4. A USBLICK UND POLITISCHE E MPFEHLUNGEN Wenn man die Welt im Sinne von Government durch die Linsen des Patentsystems und der F&E-Statistik betrachtet, stellt man explizites, kodifiziertes Wissen in den Mittelpunkt und wird zu dem Schluss verleitet, dass allein dieses Wissen für Innovationen entscheidend sei. In dieser Sichtweise ist zugleich die Idee impliziert, dass nur Patente den Schutz von Wissen sicherstellen könnten. Dagegen haben wir hier mit Blick auf die Governance von Innovationen einen Ansatz für eine breitere Sicht auf Wissensarbeit und Innovation entwickelt. Demnach müssen die Homogenisierungsbemühungen im Immaterialgüterrecht, wie sie auf europäischer und globaler Bühne zu beobachten sind, kritisch hinterfragt werden. Je zentraler Immaterialgüterrechte politisch verankert sind und je stärker sie vereinheitlicht werden, umso weniger können sie sich in die regional gewachsenen Normenstrukturen einfügen und den heterogenen Funktionserfordernissen unterschiedlicher Branchen und technologischer Binnenstrukturen gerecht werden. Sie dienen dann vor allem großen Firmen, die sich die hohen Bürokratiekosten leisten können. Sie sind im Interesse von Unternehmen, die upstream diskrete Innovationen hervorbringen, aber nicht im Interesse von Unternehmen, die komplexe Innovationen hervorbringen und dabei downstream Wissen komplex rekombinieren. In dieser Bündelung klingen schon spezifische Konsequenzen an, die diese Befunde für die Governance von Forschung durch IGR nahelegen. Als ein erstes Resümee können die folgenden Aspekte hervorgehoben werden: Betrachtet man die Befunde, dann wird vor allem deutlich, dass es einen ›one best way‹ des Schutzes ökonomisch interessanten Wissens nicht gibt. Offensichtlich braucht man für die Innovationspolitik eine empirisch bessere Begründung, bei der eben die Praxis von Unternehmen mit Blick auf den Wissensschutz genau analysiert werden muss – und daraufhin dann die Maßnahmen abzustimmen 6 | Die Gründe für diese Entwicklung sind freilich vielschichtig, korrespondieren aber mit der grundsätzlichen institutionellen wie kulturellen Ausrichtung eines nationalen Innovationssystems. Dabei zeigt sich, dass der Niedergang des Maschinenbaus in Amerika mit Problemen der technologischen Basis, Schwierigkeiten der Gestaltung von Ausbildungswegen technischer Berufe, Dominanz ökonomischen Denkens und auch der Separierung ökonomischer und technologischer Form der Problemlösung begründet werden kann (vgl. Reindl 2002).
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sind. Unsere Befunde zeigen die Bedeutung eines »patchworkartigen Wissensschutzes«, der zum generellen Ausgangspunkt für politische Regelungen genommen werden muss, Schutzoptionen angemessen über die globale Wertschöpfungskette auszubalancieren. Unsere Befunde verdeutlichen, wie Passungsprobleme zwischen Innovationen und der Regulierungsform des Patents in zwei Richtungen ausschlagen können. Zum einen zeigt sich bei komplexen Innovationen, dass die Regulierungsform des Patents vielfach mit der komplexen Struktur so erstellter Wissensgüter nicht korrespondiert und deshalb weniger dem Schutz von eigenen Wissensinvestitionen als vielmehr der strategischen Nutzung gegenüber Mitbewerbern dient. Zum anderen wird deutlich, dass bei weit gefassten und/oder auf Grundlagenforschung bezogenen Patenten, wie wir sie im Bereich der Pflanzenbiotechnologie vorfinden, Konzentrationsprozesse forciert werden, indem große Unternehmen sich upstream positionieren und mittels Patenten breite Innovationslinien für sich beanspruchen können. Bei komplexen Innovationen besteht die Innovation vielfach in der Verknüpfung heterogener Wissensbestände, wobei nicht-kodifiziertem Erfahrungswissen eine besondere Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund muss eine Förderpolitik, die zu einseitig auf patentierfähiges Wissen setzt, zu kurz greifen (vgl. Hahn 2009). Upstream-Patentierung sollte mit Umsicht behandelt werden, denn diese schützt vor allem diskrete Innovationen. Bei chemischen Pharmaka mag das sinnvoll sein, aber bei generalisierbaren Modellen (etwa bei gentechnologischen Verfahren) führt dies tendenziell zur Schließung von Innovationsoptionen (vgl. Pray/Naseem 2005; Jefferson 2006). Vorsicht bei starken Rechten ist insbesondere auch in jungen Branchen geboten. Gerade weil hier die Reichweite der Innovationen, die Vielfalt der Technologiepfade, die betroffenen Wissensclaims sowie das Potenzial zur Entwicklung von Märkten (noch) unbekannt sind, können starke Schutzrechte in Form von Patenten u.U. zu umfassenden Verwerfungen führen (vgl. den Fall Myriad vs. Institut Curie vor dem Europäischen Patentamt: Orsi/Coriat 2005). Das Patent ist als Rechtsinstitut ein Ausschließungsrecht mit vielfach weitreichender und durchschlagender Wirkung. Unsere Ergebnisse geben genügend Anlass zu der Vermutung, dass starke Immaterialgüterrechte die Balance insbesondere in solchen Konstellationen stören, in denen schon starke Ungleichgewichte der Markmacht zwischen den Unternehmen bestehen. Man müsste auch die Effekte reduzierter Input-Förderung erkunden. Seit den 1980er Jahren sind die staatlichen F&E-Ausgaben in den USA und der BRD zurückgefahren worden, während die privaten Investitionen gestiegen sind (vgl. Grupp 2006: 121). Die Innovationskultur Deutschlands gründet auf komplexen und eher downstream operierenden Innovationsregimen (vgl. Malerba 2004). Diese sind weniger von einzelnen zentralen Innovationslinien abhängig (wie bei upstream zentrierten Innovationsregimen) als vielmehr davon, vielfältige und kontextorientierte Problemlösungskonzepte bereit zu stellen. Eine solche
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Bereitstellung profitiert allerdings, wenn die Wissensbestände, auf die dabei upstream zugegriffen wird, relativ frei und flexibel verfügbar sind. Deshalb lässt sich vermuten, dass die Reduktion öffentlicher Forschungsmittel sowie die Patentierbarkeit öffentlich finanzierter Forschung einen negativen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit haben könnten. Dieser Zusammenhang müsste jedoch systematisch untersucht werden, um Anhaltspunkte zu gewinnen, ob ein Umsteuern in der Innovations-Governance unter dem Aspekt der Forschungsförderung hier erforderlich ist. Betrachtet man die Bedeutung des Sortenschutzes im Feld der Pflanzenzüchtung, so unterstreichen unsere Befunde die Bedeutung des Maßschneiderns von IGR (›Tailoring IPR‹). Jedoch gilt es zu bedenken, dass wir es hier mit einer spezifischen Sondersituation zu tun haben. Der Sortenschutz funktioniert als branchenspezifisches IGR, weil alle Innovationen letztlich in dem einen Wissensgut, der Sorte, münden müssen. Für eine Branche wie den Maschinenbau ist eine analoge Konstruktion nicht denkbar, da sich hier die Innovationsanstrengungen nicht gleichermaßen in einem schutzwürdigen Gegenstand bündeln. Deshalb scheint eine Festlegung auf spezifische Modelle von IGR je Branche nicht unbedingt zielführend. Zum einen weil die Branchen in sich sehr heterogen sind, zum anderen weil die Aktivitäten (aufgrund der Globalisierung) entlang sehr unterschiedlicher Jurisdiktionen erfolgen. Gleichwohl dürfte es wichtig sein, die Frage möglicher Modellbildungen zu adressieren. Unsere Arbeiten legen nahe, dass sich solche Modelle jedoch stärker an der Art der jeweiligen Wissensinvestition selbst orientieren müssten. Zieht man die zu erwartenden Probleme der Normbildung und einer entsprechenden Umsteuerung der Praxis des unternehmerischen Wissensschutzes in Betracht, dann dürfte nicht allein die Frage nach einer gesetzgeberischen Modellierung neuer Optionen von IGR im Vordergrund innovationspolitischen Räsonierens stehen. Vielmehr müsste auch die Bedeutung einzelner förderungspolitischer Maßnahmen – wie etwa einer anderen Praxis der Forschungsförderung – wie deren Wechselspiel mit dem unternehmerischen Wissensschutz adressiert werden.
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›Uneingeladene‹ Partizipation der Zivilgesellschaft Ein kreatives Element der Governance von Wissenschaft Peter Wehling, Willy Viehöver
1. E INLEITUNG Allzu oft wird gesellschaftliche Partizipation an Wissenschaft, Technologie-Entwicklung und Forschungspolitik in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung auf Protest gegen umstrittene Technologien wie Kernenergie oder landwirtschaftliche Gentechnik reduziert. Häufig gilt die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen, etwa Umwelt- und Verbraucherverbänden, daher allenfalls im Rahmen institutionell geregelter Verfahren der partizipativen Technikfolgenabschätzung wie Bürgerkonferenzen oder Stakeholder-Dialogen als legitim und produktiv. Demgegenüber möchten wir in diesem Beitrag die These begründen, dass Gruppierungen aus der Zivilgesellschaft auch und gerade dann eine wichtige, produktive Rolle für die Governance der Wissenschaft spielen können, wenn sie sich aus eigenem Antrieb und in selbstorganisierter Weise an der Entwicklung und Gestaltung von Forschung und Technologie beteiligen (vgl. Wehling/Viehöver 2012). Prägnante Beispiele hierfür finden sich in unseren beiden Untersuchungsbereichen Biomedizin und Nanotechnologien: einerseits im Engagement von Patientenvereinigungen für die Erforschung Seltener Krankheiten, andererseits im Einsatz von Umwelt- und Verbraucherorganisationen für die umfassende und methodisch reflektierte Analyse der ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen, die mit der Anwendung von Nanotechnologien einhergehen könnten (vgl. unten Kapitel 4). Im Blick auf diese und ähnliche Beobachtungen wollen wir zeigen, dass es im Sinne einer gesellschaftlich verantwortlichen Governance der Wissenschaft von großem Vorteil sein kann, das Gestaltungspotenzial zivilgesellschaftlicher Akteure forschungspolitisch zu stärken und in neuen Formen und Formaten der Partizipation zu nutzen. Governance der Wissenschaft begreifen wir als einen ›polyzentrischen‹ Prozess, in dem durch eine Vielzahl von Akteuren, in verschiedenen Diskussions- und Handlungskontexten sowie mittels unterschiedlicher Regelungsmechanismen (politisch-rechtliche Rahmensetzung, monetäre Anreize,
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zivilgesellschaftliche Selbstorganisation, diskursive Rahmungen) die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Ökonomie gestaltet werden. In diesem polyzentrischen Handlungs- und Gestaltungshorizont können partizipative Governance-Strukturen und -Prozesse in bestimmten Kontexten und unter bestimmten Bedingungen entscheidende Bedeutung erlangen. Unter partizipativer Governance verstehen wir solche Interaktions- und Regelungsformen, in denen zivilgesellschaftliche Akteure eine eigenständige und eigensinnige Rolle spielen (vgl. Walk 2011: 135), also nicht lediglich als »Governance-Helfer« (Schuppert 2004: 246) für staatliche Akteure fungieren. 1 Im Folgenden möchten wir zunächst in aller Kürze den theoretischen Rahmen unserer Überlegungen skizzieren und die Konzepte der polyzentrischen Governance (Kap. 2) sowie der partizipativen Governance der Wissenschaft (Kap. 3) erläutern. Anschließend illustrieren wir anhand von Beispielen aus den Bereichen Biomedizin und Nanotechnologie, welche produktiven Beiträge die selbstorganisierten Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Gruppierungen zur Governance der wissenschaftlichen Wissensproduktion leisten können (Kapitel 4). Im abschließenden Ausblick schlagen wir als wissenschaftspolitische Folgerung die Erprobung neuer Beteiligungsformen vor, um das Gestaltungspotenzial zivilgesellschaftlicher Akteure gezielter nutzen zu können.
2. P OLY ZENTRISCHE G OVERNANCE UND ZIVILGESELLSCHAF TLICHE S ELBSTORGANISATION Der Begriff polycentric governance wurde bereits in den frühen 1960er Jahren von den Politikwissenschaftlern Vincent Ostrom, Charles Tiebout und Robert Warren eingeführt: »›Polycentric‹ connotes many centers of decision-making which are formally independent of each other. Whether they actually function independently, or instead constitute an interdependent system of relations, is an empirical question in particular cases« (Ostrom et al. 1961 : 831). Das Konzept der polyzentrischen Governance lässt also grundsätzlich offen, ob die jeweiligen Akteure eigenständig und unabhängig voneinander bestimmte Sachverhalte regeln oder ob sie dabei in irgendeiner Weise interagieren und kooperieren. Für unsere Fragestellung ist von besonderer Bedeutung, dass das Konzept polyzentrischen Regierens von Elinor Ostrom und Mitarbeitern erfolgreich auf eine Reihe von Gemeingut-Konflikten angewendet werden konnte, in denen das in Frage stehende Problem sich aufgrund von Markt- oder Staatsversagen nicht lösen ließ oder sich sogar verschlimmerte. Elinor Ostrom (1990, 2010) konnte zeigen, dass zivilgesellschaftliche Selbstorganisation jenseits von hierarchisch aufgebauten staatlichen 1 | Wir verstehen ›Governance‹ aber keineswegs als eine Kategorie der ›Entstaatlichung‹ des Regierens, wohl aber als Abkehr von einer staatszentrierten Auffassung politischen Handelns (vgl. Schuppert 2011: 33f.).
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Entscheidungsstrukturen wie auch von eigennutzorientierten Marktstrukturen möglich ist und zu effizienten und effektiven Lösungen führen kann.2 Zivilgesellschaft verstehen wir im Einklang mit dem überwiegenden Teil der sozialwissenschaftlichen Literatur als eine gesellschaftliche Sphäre »beyond markets and states« (Ostrom 2010). Genauer begreifen wir darunter sowohl eine soziale Sphäre gesellschaftlicher Selbstorganisation und Interessenartikulation als auch einen Diskursraum, der auf politische Debatten und Entscheidungen Einfluss nimmt und etablierte Wissensordnungen oder Problemwahrnehmungen verändern kann. Aufgrund ihrer Fähigkeiten zur Selbstorganisation und Selbstregulation kann die Zivilgesellschaft in vielen Bereichen wichtige Problemstellungen auch ohne Beteiligung staatlicher Institutionen in Angriff nehmen. Das Engagement von Patientenorganisationen, das sich häufig unmittelbar an die Wissenschaft richtet und nur sekundär auf entsprechende Änderungen der staatlichen Forschungspolitik zielt, bietet hierfür ein aufschlussreiches Beispiel. Solche zivilgesellschaftlichen Aktivitäten lassen sich nicht ohne Weiteres in eine staatliche Strategie der »funktionalen Privatisierung von Governance« (Schuppert 2004: 246) einordnen. Sie stellen vielmehr den Versuch zivilgesellschaftlicher Akteure dar, ihre jeweiligen Interessen und Problemwahrnehmungen zu artikulieren und eigene Handlungskapazitäten aufzubauen. Das Ziel (oder faktische Ergebnis) solcher Bemühungen kann zwar »Staatsentlastung« (ebd.) sein, es kann im Gegenteil aber auch darin bestehen, dass staatliche Institutionen stärker oder in anderer Weise als zuvor regulierend eingreifen. Während als legitime zivilgesellschaftliche Akteure oft nur solche Vereinigungen begriffen werden, die sich für das ›Gemeinwohl‹ einsetzen, orientieren wir uns an der von Beate Kohler-Koch vorgeschlagenen ›weiten Definition‹ von zivilgesellschaftlichen Organisationen (ZGO). Danach existiert kein substantieller Unterschied, keine scharfe Trennlinie »zwischen den Organisationen, die für die Belange Dritter oder für allgemeine Rechte und Werte eintreten, und jenen, die sich vornehmlich um die Interessen ihrer eigenen Mitglieder kümmern« (KohlerKoch 2011a: 11). So zeigt sich nach Kohler-Koch etwa bei Patientenvereinigungen eine »untrennbare Vermengung von Eigeninteressen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe mit der Durchsetzung universaler Rechte« (ebd.: 11f.), wie dem Recht auf angemessene medizinische Versorgung.
2 | Vor allem durch diese starke Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation und -regulation unterscheidet sich polyzentrische Governance vom Regieren in Mehrebenensystemen. Bei Letzterem stehen zumeist die Beziehungen zwischen staatlichen Akteuren auf hierarchisch geordneten Handlungs- und Entscheidungsebenen im Vordergrund.
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3. PARTIZIPATIVE G OVERNANCE VON W ISSENSCHAF T UND TECHNIKENT WICKLUNG 3.1 Partizipative Governance — jenseits von Korporatismus und Individualisierung Polyzentrische Regelungsstrukturen bilden wie erwähnt den Rahmen und Hintergrund für die Herausbildung partizipativer Governance-Formen. Das Konzept der partizipativen Governance (participatory governance) ist vor mehr als zehn Jahren im Kontext der allgemeinen Governance-Diskussion formuliert (vgl. Fung/ Wright 2001, 2003; Grote/Gbikpi 2002; Heinelt et al. 2002) und seither immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt worden (vgl. z.B. Greven 2007; Heinelt 2008, 2010; Walk 2008, 2011). Es ist für unsere Überlegungen von besonderem Interesse, weil es im Unterschied zu eher staatszentrierten Governance-Konzepten den Blick auf solche Kooperations- und Regelungsformen lenkt, an denen zivilgesellschaftliche Akteure in entscheidender Weise mitwirken oder die sogar von ihnen initiiert worden sind. Ungeachtet dieses vermutlich weitgehend geteilten Grundverständnisses wird das Konzept ›partizipative Governance‹ bisher jedoch in recht unterschiedlicher Weise verwendet und akzentuiert. Uneinigkeit besteht vor allem darüber, welche (zivilgesellschaftlichen) Akteure woran und in welcher Weise partizipieren oder partizipieren sollen. Etwas zugespitzt lässt sich sagen, dass die Interpretationen des Konzepts sich zwischen zwei Extrempositionen bewegen: Auf der einen Seite steht eine eher korporatistische Auffassung, die ZGO primär als Lobbygruppen oder »Transmissionsriemen zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern« (Kohler-Koch 2011b: 264) auffasst.3 Gegen dieses Verständnis wendet sich eine zweite, individualistische Lesart, die in korporatistischen, institutionalisierten Partizipationsformen eine Tendenz zu technokratischen Governance-Strukturen erkennt und demgegenüber die Beteiligungsrechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger betont. Die bevorzugte Beteiligung von Organisationen erscheint in dieser Sichtweise als schleichende Gefährdung der repräsentativen Demokratie, denn das Recht auf Partizipation werde faktisch abhängig von »the possession of some quality and resources and not on the status as a citizen« (Greven 2007: 241). Wir folgen bei unseren Überlegungen einer dritten, kontextsensiblen Interpretation partizipativer Governance, die sich weder von vorneherein auf die korporatistische Einbindung ausgewählter Organisationen noch auf die individuelle Partizipation der einzelnen Bürgerinnen und Bürger festlegen lassen will (vgl. Heinelt 2008, 2010; Walk 2008). Diese Interpretation geht davon aus, dass zivilgesellschaftliche 3 | Diese Auffassung ist in der Europäischen Union zu beobachten, insbesondere bei der EU-Kommission, die unter partizipativer Governance die selektive Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen in institutionalisierte Beratungsprozesse im Vorfeld politischer Entscheidungen versteht (vgl. dazu kritisch Kohler-Koch/Quittkat 2011).
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Beteiligung in erster Linie neue Spielräume politischen Handelns eröffnet und zur »Neudefinition und Ausweitung demokratischen Selbstregierens« (Heinelt 2008: 179) beitragen kann. Partizipative Governance kann dabei unterschiedliche Beteiligungsformen unterschiedlicher Akteure beinhalten und muss keineswegs auf eine bloße »Pluralisierung der Lobby« (Kohler-Koch 2011b: 241) hinauslaufen. Dass die Partizipation zivilgesellschaftlicher Akteure dennoch immer auch Fragen der Legitimität und Effektivität aufwirft, wird von dieser Interpretation durchaus nicht bestritten, jedoch nicht als grundsätzlicher Einwand, sondern als eine jeweils von Fall zu Fall zu bewertende Frage begriffen. Wir sind dementsprechend nicht der Auffassung, zivilgesellschaftliche Beteiligung müsse notwendigerweise zu mehr demokratischer Legitimität, größerer Transparenz, höherer Rationalität oder ethischer Sensibilität der Governance-Strukturen führen. Allerdings deuten die eingangs erwähnten Beispiele von Patientenvereinigungen und Umweltorganisationen darauf hin, dass zivilgesellschaftliche Akteure wesentliche und von staatlichen oder wirtschaftlichen Instanzen nicht in gleicher Weise zu leistende Beiträge zur Governance von Wissenschaft und Technikentwicklung erbringen können. Dies gilt vor allem für die Artikulation der Interessen und Sichtweisen von betroffenen oder marginalisierten sozialen Gruppen sowie von potenziell verallgemeinerungsfähigen, aber regelmäßig vernachlässigten Zielen wie Umwelt- und Gesundheitsschutz. Solches Engagement ist umso wichtiger, wenn bestimmte Probleme hauptsächlich durch das ›Versagen‹ von Staat und Markt entstanden sind (vgl. Jänicke 1996; Rabeharisoa/ Callon 2002: 63f.). Dies trifft beispielsweise für die meisten Seltenen Erkrankungen zu, deren Erforschung wirtschaftlich in der Regel nicht lukrativ ist, aber über lange Zeit auch staatlicherseits kaum systematisch gefördert worden ist. Mit Blick auf die wissenschaftsbezogenen Aktivitäten von Patientenorganisationen sprechen Vololona Rabeharisoa und Michel Callon sogar von einem ›dritten Weg‹ der Governance von Forschung, der die Einseitigkeiten und Grenzen sowohl staatlicher als auch marktgetriebener Forschungsförderung kompensieren und korrigieren könnte. Zu klären bleibe, »whether this model can be transposed to other fields than health, such as the environment, energy, or food security« (Rabeharisoa/Callon 2002: 64). Zwar schränken wir unser Verständnis von Partizipation aus den oben erwähnten Gründen nicht von vorneherein auf die Beteiligungsformen und -ansprüche organisierter zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Im folgenden Abschnitt möchten wir gleichwohl erläutern, weshalb wir mit Blick auf die Governance von Forschung und Technologie-Entwicklung Formen der kollektiven und selbstorganisierten zivilgesellschaftlichen ›Einmischung‹ (wie sie unter anderem von Patientenvereinigungen praktiziert werden) zumeist für wirkungsvoller halten als die Verfahren der partizipativen Technikfolgenabschätzung (pTA), die in den letzten Jahren im Mittelpunkt der politischen und sozialwissenschaftlichen Aufmerksamkeit gestanden haben.
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3.2 ›Eingeladene‹ und ›uneingeladene‹ Partizipation in Wissenschaft und Technik Dass Verfahren der pTA in den letzten rund 20 Jahren in vielen Ländern erheblich an Bedeutung gewonnen haben, hat vielfältige Gründe, ist jedoch auch eine politische Reaktion auf vorangegangene massive soziale Proteste gegen bestimmte Technologien, vor allem Atomenergie und landwirtschaftliche Gentechnik. Besondere Verbreitung haben das dänische Modell der Konsensuskonferenz und daran angelehnte Formate wie Bürger- und Verbraucherkonferenzen oder PubliForen gefunden. Hierbei beschäftigt sich eine Gruppe von zumeist aus einer Zufallsstichprobe ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern mit einem wissenschaftsund technologiepolitisch relevanten und umstrittenen Thema (Gendiagnostik, Stammzellforschung, Nanotechnologie etc.) und gibt am Ende des Verfahrens eine eigenständige Stellungnahme dazu ab. Daneben spielen so genannte StakeholderDialoge eine Rolle, an denen in erster Linie zivilgesellschaftliche Organisationen teilnehmen. Allerdings werden diese zumeist nur als Vertreter (oder ›Lobbyisten‹) eines spezifischen Ein-Punkt-Interesses (z.B. Vermeidung von Umwelt- oder Gesundheitsrisiken) angesprochen, und weitergehende Fragen nach den Zielen der Technikentwicklung oder alternativen Technologiepfaden und Handlungsoptionen (etwa sozialen Innovationen) werden auf diese Weise faktisch von der Diskussion ausgeschlossen (vgl. Wullweber 2012). Die geläufige Verengung auf den Deutungsrahmen von zu nutzenden ›Chancen‹ und gleichzeitig zu vermeidenden ›Risiken‹ setzt unausgesprochen sowohl die Notwendigkeit als auch die Wünschbarkeit der betreffenden Technologieentwicklung schon voraus und wird daher von zivilgesellschaftlichen Akteuren vor allem in den Debatten um die Nanotechnologie als verfehlt zurückgewiesen (vgl. Miller/Scrinis 2010). Gegenstand der Kritik von ZGO ist auch, dass die behaupteten oder stillschweigend vorausgesetzten wirtschaftlichen Chancen der Nanotechnologie kaum je einer ähnlich rigorosen Plausibilitätsprüfung unterworfen werden wie die Hinweise auf mögliche ökologische Risiken. Zudem könnten im Interpretationsrahmen von ökonomischen Chancen vs. ökologischen Risiken mögliche negative ökonomische oder soziale Folgen des Nanotechnologie-Einsatzes (beispielsweise eine Zunahme globaler sozialer Ungleichheiten) kaum thematisiert werden (vgl. EEB 2009). Gemeinsam ist den erwähnten Verfahrenstypen und -formaten, dass es sich um Varianten einer »invited participation« (Wynne 2007: 107) handelt: Bürger und zivilgesellschaftliche Akteure werden eingeladen, zumeist von staatlichen oder wissenschaftlichen Institutionen, sich im Rahmen organisierter Verfahren an der Bewertung bestimmter Forschungs- und Technologielinien zu beteiligen. Aufgrund ihrer weiten Verbreitung und der teils großen Hoffnungen, die in diese Verfahren gesetzt wurden und werden, 4 sind die pTA-Formate in den letzten Jah4 | Diese Hoffnungen sind allerdings recht unterschiedlicher Natur: Während viele staatliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Akteure auf Akzeptanzsicherung für umstritte-
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ren fast zum Synonym für bürgerschaftliche, zivilgesellschaftliche Partizipation sowie zum vorherrschenden Modell partizipativer Governance der Wissenschaft geworden. In jüngster Zeit macht sich bei zivilgesellschaftlichen Gruppen wie auch in den Sozialwissenschaften jedoch eine merkliche Ernüchterung über die Ergebnisse und Wirkungen solcher Verfahren breit, nicht zuletzt im Feld der Nanotechnologie, wo in den letzten Jahren besonders viele Partizipationsprozesse organisiert worden sind (vgl. z.B. Powell/Colin 2009; Lyons/Whelan 2010; Miller/ Scrinis 2010; Hess 2011; Delgado et al. 2011; Görsdorf 2012). Konstatiert wird, dass diese Verfahren gar nicht leisten, was sie eigentlich ermöglichen sollen, nämlich alternative, nicht schon durch die Sichtweisen der wissenschaftlichen Experten vorgeprägte Handlungsoptionen im Umgang mit den in der Rede stehenden Forschungen und Technologien herauszuarbeiten (vgl. Bogner 2010). Bemängelt wird auch, dass pTA-Verfahren in der etablierten Politik allzu häufig einfluss- und folgenlos blieben (vgl. SRU 2011). Überdies kann unter bestimmten Bedingungen sogar die vielfach geforderte frühzeitige Beteiligung (›upstream engagement‹) problematische Folgen haben: Wenn die Technologie noch weitgehend unbekannt ist, ihre positiven wie negativen Folgen allenfalls in Ansätzen absehbar sind und eine eigenständige gesellschaftliche Debatte sich noch kaum entwickelt hat, können (zu) frühe Partizipationsprozesse die Dominanz von Expertenperspektiven und -vorgaben noch verstärken (vgl. Delgado et al. 2011).5 Vor allem aber wird von den Kritikern als problematisch angesehen, dass viele Formate eingeladener Partizipation, etwa Bürgerkonferenzen, sich an unorganisierte und zuvor kaum mit dem Thema in Berührung gekommene Bürgerinnen und Bürger richten. Nicht selten hat ein bestehendes politisches oder berufliches Interesse an der fraglichen Thematik sogar zur Folge, dass die betreffenden Personen als mögliche Teilnehmer nicht mehr in Betracht kommen. Dass solche Auswahlkriterien der Intensität und Produktivität der Beteiligungsprozesse förderlich wären, wird man kaum annehmen können (vgl. Powell/Colin 2009). Im Hintergrund steht hier ein idealisiertes Verständnis von ›reiner‹ Deliberation, die nicht durch Vorwissen, berufliche Interessen oder politisches Enga-
ne wissenschaftlich-technische Entwicklungen hoffen, versprechen sich zivilgesellschaftliche Gruppen und sozialwissenschaftliche Beobachter von pTA-Verfahren Impulse für eine Demokratisierung der Forschungs- und Technologiepolitik (vgl. Macnaghten et al. 2005). 5 | Dies zeigt, dass die einfache Formel ›je früher, desto besser‹ zu kurz greift. Die Einflusschancen und Wirkungen bürgerschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Partizipation sind nicht allein eine Folge des ›richtigen‹ Zeitpunkts, sondern auch der Kontextbedingungen von Partizipationsprozessen wie der Offenheit der Fragestellung, dem Zugang zum wissenschaftlichen Wissen (und Nichtwissen), den Handlungskapazitäten der zivilgesellschaftlichen Akteure, der Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens etc.
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gement ›verzerrt‹ werden dürfe.6 Doch sowohl demokratie- als auch governancetheoretisch erweist sich dieses Verständnis als fragwürdig (vgl. Braun/Schultz 2010). Denn es begreift gerade diejenigen Eigenschaften und Kompetenzen als Hinderungsgrund für die legitime und erfolgreiche Teilnahme an Partizipationsprozessen, die zivilgesellschaftliche Akteure (ob Bürger oder Organisationen) zu substantieller Beteiligung befähigen würden: artikulierte Interessen, Bereitschaft zu langfristigem (auch politischem) Engagement, eigenständiges Wissen sowie argumentative und kommunikative Fähigkeiten. Dabei verspricht die Partizipation interessierter und organisierter Akteure nicht nur höhere Wirksamkeit als die Teilnahme unorganisierter und thematisch ›unvorbelasteter‹ Bürger, sie muss darüber hinaus auch nicht per se geringere Legitimität besitzen. Denn wie erwähnt verfolgen viele zivilgesellschaftliche Gruppen mit ihren partikularen Organisationsinteressen zugleich verallgemeinerungsfähige soziale Interessen (Recht auf medizinische Versorgung, Schutz der Umwelt etc.) oder artikulieren die Sichtweisen und Bedürfnisse betroffener, häufig auch benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Ob demgegenüber eine durch kontingente Faktoren (gruppendynamische Prozesse, Zeitdruck, subtile Lenkung durch Verfahrens-Moderatoren oder Experten) stark beeinflussbare Stellungnahme einer kleinen Gruppe zufällig ausgewählter, zuvor nicht mit dem Thema vertrauter Bürger höhere repräsentative oder prozedurale demokratische Legitimität beanspruchen kann, lässt sich jedenfalls bezweifeln (vgl. hierzu ausführlicher Wehling 2012). Es ist nicht überraschend, dass diese Probleme und Paradoxien eingeladener Partizipationsverfahren in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der politischen und sozialwissenschaftlichen Debatte wieder stärker zu den Phänomenen und Wirkungen ›uneingeladener‹, selbstorganisierter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an Fragen der Wissenschafts- und Technikentwicklung gelenkt haben (vgl. Wynne 2007; Powell/Colin 2009; Hess 2009, 2010, 2011; Bogner 2010). Darin liegt in der Tat ein wichtiger Perspektivenwechsel, denn wie wir im nächsten Abschnitt verdeutlichen möchten, sind es vor allem Formen der ›uninvited participation‹ zivilgesellschaftlicher Gruppierungen, die wichtige Funktionen für die Governance der Wissenschaft erfüllen.7 Wir sprechen dabei in einer erweiterten 6 | Diese Auffassung findet sich in schwächerer Form auch in komplexeren, mehrstufigen Partizipationsverfahren wie dem von Ortwin Renn und anderen vorgeschlagenen ›kooperativen Diskurs‹ (vgl. Renn/Webler 1996). Dieser Diskurs bezieht zwar in der ersten Phase die Sichtweisen der verschiedenen Akteursgruppen mit ein, setzt dann aber auf Expertendiskussion (Phase 2) und die Deliberation zufällig ausgewählter Bürgerinnen und Bürger (Phase 3), um zu rational begründeten und konsensfähigen Ergebnissen zu kommen. 7 | Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass Verfahren der ›eingeladenen‹ Partizipation irrelevant oder gänzlich überflüssig wären (vgl. Hennen 2012). Sie stellen jedoch nur eine mögliche Form zivilgesellschaftlicher oder bürgerschaftlicher Partizipation dar; zudem sollte ohne normative Vorannahmen empirisch analysiert werden, welche Art von Ergebnissen solche Verfahren tatsächlich erbringen (vgl. Bogner 2010; Görsdorf 2012). Wir
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Perspektive von der polyzentrischen Governance der wissenschaftlichen Wissensproduktion. Damit möchten wir hervorheben, dass Governance der Wissenschaft sich nicht auf die Steuerung (oder Selbststeuerung) von Forschungseinrichtungen beschränkt, sondern das Zusammenspiel vielschichtiger sozialer, kultureller und politischer Prozesse und Interaktionen in Bezug auf die Erzeugung, Bewertung, Verteilung und Nutzung wissenschaftlichen Wissens umfasst.
4. P OLY ZENTRISCHE G OVERNANCE DER W ISSENSPRODUK TION : DIE R OLLE DER Z IVILGESELLSCHAF T Von der polyzentrischen Governance der wissenschaftlichen Wissensproduktion zu sprechen, heißt somit grundsätzlich anzuerkennen, dass die Erzeugung wissenschaftlichen Wissens im Rahmen eines dynamischen und ›vielstimmigen‹ gesellschaftlichen Interaktionsgeflechts stattfindet (vgl. Frickel/Moore 2006). Wissensproduktion wird darin auf vielfältige Weise, sei es direkt oder indirekt, von Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Recht oder Medien sowie von übergreifenden öffentlichen Diskursen und Narrativen (›Wissensgesellschaft‹, ›Risikogesellschaft‹, ›globaler Wettbewerb‹, ›Nachhaltigkeit‹) beeinflusst. Dies bedeutet weder, dass alle diese gesellschaftlichen Bereiche und Akteure gleichermaßen einflussreich sind, noch dass sie für jede wissenschaftliche Entwicklung von Bedeutung sind. Insofern muss man keineswegs in Abrede stellen, dass staatliche Politik und Ökonomie in vielen Fällen die dominierenden Faktoren und Instanzen sind. Ebenso wenig wird bestritten, dass wissenschaftliche Wissensproduktion auf Entwicklungen innerhalb der Wissenschaft bzw. der jeweiligen (Sub-)Disziplinen und scientific communities reagiert und durch diese geprägt wird. Gleichwohl ist es auch von den erwähnten ›externen‹ Einflüssen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen abhängig, was als aussichtsreiches Forschungsgebiet und als dringliche, legitime Fragestellung gilt, was überhaupt erforscht wird und was nicht, wer Zugang zu dem gewonnenen Wissen hat und wie dieses interpretiert und genutzt wird, wie die ›Risiken‹ oder ›Chancen‹ von Forschungsrichtungen wahrgenommen und bewertet werden, welche Bilder und Narrative sich mit bestimmten Forschungen und Technologien verknüpfen. In dieser Interaktionsdynamik zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können zivilgesellschaftliche Akteure drei wesentliche Funktionen für die Governance der wissenschaftlichen Wissensproduktion erfüllen, die sich nur analytisch scharf trennen wollen jedoch weder eine generelle Überlegenheit uneingeladener Partizipation behaupten noch einen unüberbrückbaren Gegensatz konstruieren. Im Schlusskapitel werden wir vielmehr dafür plädieren, in neuartigen Beteiligungsformen die Vorteile eingeladener Partizipation (z.B. Transparenz, Autorisierung durch demokratisch legitimierte Institutionen) mit denen der selbstorganisierten Einmischung (eigene Expertise, langfristiges Engagement, Gestaltungsinteresse etc.) zu kombinieren und wechselseitig zu verstärken.
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lassen: Sie beteiligen sich erstens an der Gestaltung der Forschungsagenda; ihr Wissen und ihre Handlungskapazitäten bilden zweitens eine wichtige Ressource für die Wissenschaft; ihre Problemwahrnehmungen können drittens aber auch als epistemisches Korrektiv einseitiger wissenschaftlicher Sichtweisen wirken.
4.1 Die polyzentrische Gestaltung der Forschungsagenda Zivilgesellschaftliche Akteure nehmen in vielfältiger und nicht selten recht wirkungsvoller Weise an der Gestaltung der wissenschaftlichen Forschungsagenda teil (vgl. die Beispiele in Frickel et al. 2010). Dieses ›research agenda setting‹ umfasst sowohl Bemühungen, bisher vernachlässigte Themen – Hess (2009, 2010) und Frickel et al. (2010) sprechen von »undone science« – auf die Tagesordnung zu setzen, als auch Versuche, bestimmte Forschungsgebiete von der Agenda zu nehmen oder sie zumindest in geringerem Umfang zu fördern. In der Wahrnehmung von Politik, Wissenschaft und Ökonomie wird die Rolle der Zivilgesellschaft häufig auf diesen letzteren Aspekt reduziert. Damit wird jedoch ein einseitiges Bild einer wissenschafts- und technikfeindlichen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft gezeichnet, das deren produktive Beiträge zur Gestaltung der Forschungsagenda übersieht oder unterschätzt. Diese beschränken sich nicht darauf, für einzelne, unbeachtet gebliebene Themen Aufmerksamkeit und Unterstützung zu finden; vielmehr werden gleichzeitig auch die Kriterien der wissenschaftsinternen wie -externen ›Selektionsfilter‹ in Frage gestellt, nach denen Forschungsfragen als wichtig und lohnenswert oder aber als uninteressant und vernachlässigbar erachtet werden. Denn häufig zeigt sich, dass diese Selektionsmechanismen alles andere als transparent und rational begründet sind: Forschungen unterbleiben beispielsweise, wenn sie als wirtschaftlich nicht lukrativ gelten, wenn sie politisch nicht opportun erscheinen oder keine starken Lobbygruppen sich dafür einsetzen, wenn sie wissenschaftlich als unattraktiv erscheinen, etwa weil sie abseits der vorherrschenden Paradigmen liegen, wenig Reputation und Forschungsgelder versprechen sowie kaum akademische Karrieremöglichkeiten eröffnen. In unseren beiden Untersuchungsbereichen ist das wohl prägnanteste Beispiel für den produktiven Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure zur Erweiterung der Forschungsagenda das Drängen der Patientenorganisationen auf die Erforschung der Seltenen Krankheiten. Diese so genannten ›orphan diseases‹ sind über lange Zeit sowohl von der staatlich geförderten als auch von der marktorientierten medizinischen und pharmakologischen Forschung vernachlässigt worden. Trotz zumeist geringer finanzieller Ressourcen haben Patientenvereinigungen und ihre Dachverbände8 in den letzten rund zehn bis 15 Jahren mit einer Vielzahl 8 | Bereits 1983 wurde der US-amerikanische Dachverband National Organization for Rare Diseases (NORD) gegründet, der europäische Verband EURORDIS (Rare Diseases Europe) besteht seit 1997. Die deutsche Dachorganisation ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) ist 2004 aus dem 1999 gegründeten »Arbeitskreis Seltene Erkrankungen«
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von Instrumenten und Strategien wesentlich dazu beigetragen, Aufmerksamkeit sowohl für die jeweils einzelnen Erkrankungen als auch für die Problematik der ›verwaisten Krankheiten‹ insgesamt zu wecken. Zu diesen Instrumenten zählen Forschungspreise, die Ausschreibung und Anschubfinanzierung von Einzelprojekten, die gezielte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Ausrichtung von medizinischen Kongressen, Öffentlichkeitsarbeit und Spendeneinwerbung. Mittlerweile sind die Seltenen Erkrankungen erkennbar zu einem Thema der medizinischen Forschung sowie der nationalstaatlichen und europäischen Forschungspolitik geworden.9 Aber auch wenn es Patientenorganisationen gelungen ist, ihre Themen auf die Agenda der staatlichen Forschungspolitik zu setzen, bedeutet dies keineswegs, dass sie ihre eigenen Aktivitäten auf diesem Gebiet reduzieren oder einstellen. Viele dieser Gruppen sehen ihre Rolle darin, die Bedürfnisse und Sichtweisen der Patienten und ihrer Angehörigen kontinuierlich in der Forschung und Forschungsförderung zur Geltung zu bringen. So argumentieren etwa die Gründer der sehr erfolgreichen Patientenorganisation PXE International, langfristig angelegte biomedizinische Grundlagenforschung müsse in einem ausgewogenen Verhältnis zu anwendungsorientierter Forschung stehen, damit unmittelbare »health outcomes« (Terry et al. 2007: 158) für die gegenwärtig Betroffenen erreicht werden könnten. Patientenvereinigungen müssten daher versuchen, die so genannte translationale Forschung zu intensivieren und zu beschleunigen. Hierfür seien sie besser geeignet als staatliche Institutionen, da sie flexibler reagieren und schneller Verbindungen zwischen den Patienten und engagierten Wissenschaftlern herstellen könnten (vgl. ebd.). Ähnlich bedeutsam, und wenigstens partiell ebenfalls erfolgreich, sind die Forderungen von Umwelt- und Verbraucherorganisationen nicht allein nach mehr, sondern auch nach anderer, komplexerer und frühzeitiger Risikoforschung im Feld der Nanotechnologie (vgl. hierzu unten Kapitel 4.3 sowie Hess 2010; Wickson 2012). Weniger Erfolg hatten ZGO bisher bei ihren Bemühungen, verbindliche Moratorien für die Entwicklung der Nanotechnologie oder für bestimmte Anwendungen (etwa in Lebensmitteln oder Kosmetika) zu erreichen. Wie David Hess (2010) vermutet, könnten Forderungen nach der Ausweitung und Differenzierung der Forschungsagenda auf geringere Widerstände stoßen als solche nach ihrer Begrenzung. Gleichwohl dürfte die ablehnende Haltung von Umwelt- und Verbraucherverbänden zur Nanotechnologie in Lebensmitteln (vgl. BUND 2008) nicht ohne Einfluss auf die Ausrichtung der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Forinnerhalb der »Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe« hervorgegangen. Inzwischen gehören der ACHSE mehr als 100 zumeist krankheitsspezifische Patientenvereinigungen an. 9 | Das BMBF beispielsweise fördert seit 2003 die Einrichtung von krankheitsspezifischen Netzwerken zu den Seltenen Krankheiten, um nationale Kapazitäten in Forschung und Versorgung zusammenzuführen. Auf europäischer Ebene existiert seit 2007 das Programm »E-Rare« zur Koordination und Verknüpfung der einschlägigen nationalstaatlichen Förderbemühungen.
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schung geblieben sein, auch wenn dies im Einzelnen schwer nachweisbar oder gar messbar sein mag. In jedem Fall sollte man im Sinne einer »antizipierenden Governance« (Barben et al. 2008) der Nanotechnologie die wissenschaftspolitische Rationalität gerade von Kritik und Protest nicht unterschätzen. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hält in seinem Gutachten zur Nanotechnologie Beteiligungsprozesse für unverzichtbar, »um auszuloten, welche nanotechnologischen Anwendungen gesellschaftlich erwünscht, annehmbar, umstritten oder inakzeptabel sind« (SRU 2011: 515).
4.2 Zivilgesellschaftliches Engagement als Ressource für die wissenschaftliche Wissensproduktion In vielen Fällen stellt das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure unter epistemischen, organisatorischen oder legitimatorischen Aspekten wichtige Ressourcen für die wissenschaftliche Wissensproduktion bereit. In epistemischer Hinsicht ist vor allem das alltagsweltliche, lokale oder Betroffenenwissen von Bedeutung, das zivilgesellschaftliche Gruppen in den Prozess der Wissensgenerierung einbringen. So verfügen Patientenorganisationen in der Regel über ein sehr differenziertes und für die medizinische Forschung außerordentlich wichtiges Wissen über die alltäglichen (Versorgungs-)Bedürfnisse der Kranken, aber auch über unterschiedliche Krankheitsverläufe oder die Wirksamkeit von Therapieansätzen. Häufig sammeln und dokumentieren sie dieses Wissen systematisch, sie betreiben »research in the wild« (Callon et al. 2009; Callon/Rabeharisoa 2003) als eine unter Umständen sogar unverzichtbare Ergänzung und Erweiterung des professionellen wissenschaftlichen Wissens. Insbesondere Laborwissen riskiere, so Callon et al. (2009: 10), eine Art von Paralyse »if it refuses to cooperate with research in the wild«. Im Bereich der Nanotechnologie sind es zumeist Umwelt- und Verbraucherorganisationen, die »research in the wild« betreiben. Sie sammeln die vorhandenen Erkenntnisse über ökologische und gesundheitliche Wirkungen von Nanomaterialien oder dokumentieren, welche handelsüblichen Produkte Nanopartikel enthalten. Inwiefern zivilgesellschaftliche Partizipation eine organisatorische Ressource für die Wissenschaft darstellen kann, lässt sich am besten wiederum am Beispiel der Patientenvereinigungen für Seltene Erkrankungen illustrieren (vgl. Panofsky 2011). Wenn diese Gruppen Recherchen im Internet vornehmen oder regelmäßig internationale Kongresse zu ›ihren‹ jeweiligen Krankheiten organisieren, vermitteln sie dabei auch Kontakte und mögliche Kooperationen zwischen verschiedenen Forschungsgruppen, die zwar zu ähnlichen Themen arbeiten, aber gar nicht so selten nichts voneinander wissen.10 Zudem sind Patientengruppen gerade bei den Seltenen Erkrankungen mit nur sehr wenigen Betroffenen unverzichtbar, 10 | Patientenvereinigungen reagieren hierauf nicht selten mit einer Kritik an der aus ihrer Sicht überzogenen Konkurrenzorientierung der Wissenschaft, welche die Kommunikation und Kooperation zwischen Forschergruppen behindere.
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um Forscher und Patienten zusammenzubringen, Blut- und Gewebeproben zu sammeln sowie Teilnehmer für klinische Tests zu gewinnen, aber auch um das Design solcher Tests aus der Perspektive der Patienten zu überprüfen und zu verbessern. Unter legitimatorischen Aspekten schließlich können Patientenorganisationen (ebenso wie Umweltverbände) öffentlich-mediale Aufmerksamkeit und politische Unterstützung für bestimmte Forschungen mobilisieren. Dies gilt auch und gerade für riskante, umstrittene Forschungsrichtungen wie Stammzellforschung und Gentherapien, denen Patientenvereinigungen unter Hinweis auf die Bedürfnisse und Interessen der unmittelbar Betroffenen Legitimation und Dringlichkeit verschaffen können (vgl. Ganchoff 2008). Es liegt nahe, dass diese legitimatorische Rolle insbesondere im Bereich der Biomedizin nicht frei von Ambivalenzen ist, denn sie birgt die massive Gefahr der Instrumentalisierung durch politische, wissenschaftliche und vor allem wirtschaftliche Interessen (vgl. Epstein 2011; Walter/Kobylinski 2011). Diese Gefahr erfordert neben selbstregulativen Maßnahmen von Patientenvereinigungen und ihren Dachverbänden auch rahmensetzende Aktivitäten der staatlichen Politik (beispielsweise im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung von Patientengruppen durch Pharmaunternehmen), auf die wir in diesem Rahmen jedoch nicht eingehen können.
4.3 Zivilgesellschaftliche Akteure als epistemisches Korrektiv der Wissenschaft Wenn zivilgesellschaftliche Gruppierungen wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Sichtweisen auf der Grundlage ihrer je eigenen Erfahrungen und Problemwahrnehmungen als einseitig und unzureichend kritisieren, übernehmen sie die Rolle eines epistemischen Korrektivs für die etablierte Forschung. Besondere Relevanz hat die divergierende Bewertung epidemiologischer und ätiologischer Wissensansprüche in Auseinandersetzungen über die mögliche Verursachung von Brustkrebs durch Umweltfaktoren erlangt. Den Hintergrund und Auslöser bildeten überdurchschnittlich erhöhte Brustkrebsraten in einigen Gegenden der USA, die in den 1990er Jahren zu lokaler Mobilisierung der Betroffenen geführt sowie die Suche nach möglichen umweltbedingten Ursachen (industrielle Altlasten, hohe Luftverschmutzung o.Ä.) motiviert haben (vgl. Brown 2007; Ley 2009; McCormick 2009). Das aus diesen Aktivitäten hervorgegangene so genannte »Environmental Breast Cancer Movement« wendet sich explizit gegen das »dominant epidemiological paradigm« (Brown 2007; Brown et al. 2012) der etablierten Krebsforschung, das genetische Faktoren und den individuellen Lebensstil als entscheidende Krankheitsursachen in den Mittelpunkt rückt.11 Ebenso wird gegenüber der Konzentration des dominanten Paradigmas 11 | Vgl. zu den Forschungsergebnissen, Indizien und Erfahrungen von Patientinnen, auf die sich die Kritik am dominanten epidemiologischen Paradigma stützt, ausführlicher Ley (2009); McCormick (2009); AKF/WECF (2010).
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auf medikamentöse Prävention, Früherkennung und Krebstherapie die Bedeutung der Primärprävention im Sinne des Schutzes vor kanzerogenen Substanzen hervorgehoben. Die von Patientinnengruppen sowie sympathisierenden Ärzten und Wissenschaftlern getragene Bewegung hat sich in den USA nicht ohne Erfolg für öffentliche Förderprogramme zur Erforschung der Zusammenhänge zwischen Krebs und Umweltbelastungen eingesetzt. Etablieren konnte sich auch das von lokalen Initiativen in Massachusetts gegründete Silent Spring Institute, ein Forschungsinstitut, das sich primär der Analyse möglicher Umweltursachen von Brustkrebs widmet und dabei auch innovative methodische Ansätze entwickelt. Zwar haben auch in der Bundesrepublik Deutschland einige zivilgesellschaftliche Gruppierungen mögliche Zusammenhänge zwischen Brustkrebs und Umweltbelastungen thematisiert, verbunden mit Kritik am biomedizinischen Mainstream sowie mit der Forderung nach mehr gezielter Forschung und umweltpolitischer Regulierung (vgl. AKF/WECF 2010). Bisher allerdings finden solche Bemühungen in Deutschland erheblich weniger Resonanz bei Wissenschaft, Politik, Medien, Öffentlichkeit und den Patientinnengruppen selbst als in den USA. Auch im Bereich der Nanotechnologie lässt sich beobachten, wie ZGO als epistemisches Korrektiv der Forschung und Forschungspolitik fungieren. So hat die kanadische ETC Group bereits früh darauf hingewiesen, dass die angestrebten neuartigen Eigenschaften nanoskaliger Materialien auch neue, unvorhergesehene gesundheitliche und ökologische Gefährdungspotenziale mit sich bringen könnten (vgl. ETC Group 2002). Deshalb sei ein Forschungsansatz unzureichend, der von der Unbedenklichkeit der makromolekularen Stoffe auf die Sicherheit auch der entsprechenden Nanomaterialien schließe. Die Risikoforschung zur Nanotechnologie müsse daher nicht nur quantitativ ausgeweitet werden, sondern auch neue, eigenständige Konzepte und Methoden entwickeln, gleichzeitig aber auch das enorme Ausmaß an Ungewissheit und Nichtwissen bei der Risikoabschätzung anerkennen und sich deshalb stärker am Vorsorgeprinzip orientieren (vgl. Wickson 2012). Gegenstand der epistemischen Kritik zivilgesellschaftlicher Akteure an den Einseitigkeiten dominierender wissenschaftlicher Paradigmen ist nicht allein, welche konzeptionellen Zugänge bevorzugt und welche marginalisiert werden. Problematisiert werden vielmehr auch die dahinter stehenden Muster der Forschungsfinanzierung, die Strukturen wissenschaftlicher Reputationszuschreibung oder auch kulturelle, mediale Repräsentationen von Krankheiten wie Brustkrebs, die zur Stabilisierung des ›dominant epidemiological paradigm‹ beitragen (vgl. AKF/WECF 2010; Sulik 2011). Forschungsgelder in der Krebsforschung beispielsweise fließen weit überwiegend in biomedizinische Grundlagenforschung, Früherkennungsmöglichkeiten oder neue Therapieansätze. In diesen Bereichen ist in der Regel wesentlich mehr akademische Reputation zu erlangen als im Feld der Primärprävention oder der zumeist sehr komplexen Erforschung möglicher Umweltursachen (vgl. Proctor 1995). Insofern sind epistemische Fragen eng mit Auseinandersetzungen um die Kriterien des ›research agenda setting‹ verknüpft. Das Ziel epistemischer Kritik wie auch zivilgesellschaftlicher Beteiligung an der
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Gestaltung der Forschungsagenda besteht allerdings weniger darin, lediglich neue dominante Paradigmen an die Stelle der alten zu setzen, sondern Homogenisierungstendenzen entgegenzuwirken, die Vielfalt der Forschungsthemen und -ansätze zu erhöhen sowie die inner- und außerwissenschaftlichen Selektionsmechanismen zu modifizieren und durchlässiger zu machen (vgl. BUND 2012).
5. A USBLICK : N EUE F ORMATE ZIVILGESELLSCHAF TLICHER
P ARTIZIPATION
Die vorangegangenen Ausführungen illustrieren beispielhaft, dass zivilgesellschaftliche Akteure fall- und themenspezifisch wichtige und produktive Impulse für die wissenschaftliche Wissensproduktion und die Gestaltung ihrer Rahmenbedingungen geben können – und dies vor allem dann, wenn sie sich ›uneingeladen‹, selbstorganisiert und aus eigenem Interesse mit Fragen von Forschung und Technologieentwicklung auseinandersetzen. Ein vergleichender Blick auf die beiden Bereiche Biomedizin und Nanotechnologie zeigt indessen auch, dass die Einflusschancen und Wirkungen zivilgesellschaftlicher Beteiligung höchst unterschiedlich sein können.12 Während einige (aber keineswegs alle) Patientenorganisationen durchaus erfolgreich darin sind, Wissenschaftler für die Erforschung bestimmter Fragestellungen zu gewinnen, bleibt der Einfluss von ZGO auf die Entwicklung und Gestaltung von Nanotechnologien bisher begrenzt. Zivilgesellschaftliche Partizipation ist also keineswegs immer erfolgreich – und selbstverständlich ist sie auch nicht in allen Fällen produktiv und normativ unproblematisch. Nicht selten neigen entstehende partizipative Governance-Strukturen zu Intransparenz und Abschottung, kleinere oder weniger organisationsfähige Gruppierungen werden häufig an den Rand gedrängt und finden keinen Zugang zu Entscheidungsprozessen oder medialer Aufmerksamkeit. Für die Wissenschafts- und Technologiepolitik sollte dies dennoch kein Grund sein, die selbstorganisierte Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und das darin liegende Potenzial für eine »epistemische Modernisierung der Wissenschaft« (Moore et al. 2011: 520) zu ignorieren. Sie sollte vielmehr nach Möglichkeiten zu suchen, um dieses Potenzial zu entfalten und die Gefahr dysfunktionaler Effekte zu verringern. Unter dieser Perspektive möchten wir abschließend zwei wissenschaftspolitische Schlussfolgerungen andeuten: i) Ohne die Bedeutung organisierter Partizipationsverfahren in Abrede stellen zu wollen, sollte auch institutionell dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es häufig die eigenständige, selbstorganisierte Beteiligung von ZGO ist, von der wichtige Impulse für Forschung, Technologieentwicklung und For12 | Steven Epstein (2011) verdeutlicht zudem am Beispiel von Patientenvereinigungen, wie schwierig es ist, die Wirkungen und den Erfolg zivilgesellschaftlicher Interventionen angemessen zu definieren und empirisch zu beobachten.
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schungspolitik ausgehen. Dies setzt voraus anzuerkennen, dass Außeneinflüsse auf die Wissenschaft (auch) aus der Zivilgesellschaft (sei es als Mitspieler beim ›research agenda setting‹ oder als epistemisches Korrektiv) durchaus produktiv sein können. Gerade zivilgesellschaftliche Impulse können wesentlich dazu beitragen, problematischen innerwissenschaftlichen Schließungstendenzen wie der Neigung zur Mainstream-Forschung, der Marginalisierung abweichender Paradigmen oder der Vernachlässigung unorthodoxer, aber möglicherweise innovativer Fragestellungen entgegenzuwirken. Dies gilt umso mehr, als manches darauf hindeutet, dass die gegenwärtig vorherrschenden Steuerungs- und GovernanceMechanismen, die sich primär an quantitativen Indikatoren (Publikations- und Zitationshäufigkeit, Rankings etc.) orientieren, solche Tendenzen noch verstärken (vgl. Jansen 2010). Eine an der gesellschaftlichen Relevanz und an der Diversität der Forschung hinsichtlich ihrer Themen, Problemwahrnehmungen, Theorien und Methoden interessierte Wissenschaftspolitik sollte daher bemüht sein, zivilgesellschaftliche Impulse nicht nur zu nutzen, sondern sie auch gezielt zu fördern. ii) Damit gewinnt die Frage nach neuen Partizipationsformen und -formaten an Bedeutung, in denen sich die unabhängigen Sichtweisen, Fragestellungen und Ziele (organisierter) zivilgesellschaftlicher Akteure artikulieren und entfalten können, ohne in einen vorgegebenen diskursiven Rahmen (›Chancen vs. Risiken‹) gedrängt zu werden. Hierfür möchten wir exemplarisch und in aller Kürze zwei Vorschläge skizzieren: Ein erstes neuartiges Partizipationsformat könnte in spezifischen, kleineren Förderprogrammen bestehen, woraus ZGO nach unabhängiger Antragsbegutachtung eigene Fragestellungen in Kooperation mit Wissenschaftlern ihrer Wahl bearbeiten können. 13 Insbesondere für Patientenvereinigungen wäre dies eine geeignete Möglichkeit, um Fragestellungen beispielsweise aus dem Bereich der Versorgungsforschung schnell und unaufwändig untersuchen zu können, die für die akademische Grundlagenforschung ›zu klein‹ und zu wenig attraktiv sind. Doch auch Umwelt- und Verbraucherorganisationen im Feld der Nanotechnologie könnten von einem solchen Partizipationsinstrument profitieren und bislang vernachlässigte Fragestellungen untersuchen (Hess 2009: 324). Ein zweites neuartiges Format hat David Hess (2011) kürzlich unter dem Titel »dissensus conference« vorgeschlagen. Deren Ziel bestünde, anders als bei den von der Konsensuskonferenz abgeleiteten Formaten, nicht darin, bestimmte Forschungslinien oder Technologien unter epistemischen oder normativen Kriterien 13 | Entsprechende Vorschläge sind in Deutschland bereits in den 1970er Jahren formuliert worden (vgl. Bentele 1979) und seither immer wieder aufgegriffen (vgl. zuletzt z.B. Grüber 2006; BUND 2012), aber kaum ernsthaft erprobt worden. Mit der Initiative »Research for CSOs« im 7. Forschungsrahmenprogramm ist die EU jedoch vor einigen Jahren einen ersten Schritt in die angedeutete Richtung gegangen. Diese Initiative sollte es ZGO ermöglichen, zu eigenen Fragestellungen Vorhaben gemeinsam mit Forschungseinrichtungen zu beantragen und durchzuführen.
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möglichst konsensuell zu bewerten. Stattdessen sollen durch die Beteiligung aller relevanten Akteure, insbesondere aber nicht-wissenschaftlicher, zivilgesellschaftlicher Gruppierungen sowie minoritärer und oppositioneller Positionen in der Wissenschaft, die strittigen epistemischen und normativen Fragen, die bestehenden Ungewissheiten und Wissenslücken sowie alternative Handlungsoptionen in einem bestimmten Forschungs- und Technologiefeld öffentlich sichtbar und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden.14 Manifester Dissens wird hierbei nicht als Ausdruck des Scheiterns partizipativer Formate verstanden. Er stellt vielmehr eine wesentliche Ressource dar, um die vorschnelle Schließung der gesellschaftlichen Debatte, die Homogenisierung der wissenschaftlichen Bearbeitung von bestimmten Problemstellungen sowie die Verengung auf spezifische Technologiepfade (etwa auf Atomenergie in der Energieforschung) zu verhindern. Insofern muss die Artikulation und ›Kultivierung‹ von Dissens keineswegs auf die Blockade von (Forschungs-)Politik hinauslaufen. Im Gegenteil, in dem Maße, wie Forschungspolitik die Notwendigkeit und Produktivität von Dissens anerkennt, kann sie nicht nur einseitige Festlegungen vermeiden und plurale Problemzugänge fördern; sie trägt auf diese Weise auch dem Umstand Rechnung, dass sie sich, ebenso wie viele andere Politikfelder, nicht länger auf vermeintliche wissenschaftliche Gewissheiten stützen kann. Die organisatorische Ausgestaltung der angedeuteten neuen Partizipationsformate und -prozesse bedarf zweifellos weiterer Präzisierung. Unabhängig davon scheinen sie uns geeignete Ansatzpunkte zu bilden, um das Selbstorganisationsund Gestaltungspotenzial zivilgesellschaftlicher Akteure weiterzuentwickeln und in transparenter Weise für die Governance der Wissenschaft zu nutzen.
14 | Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu dem von Wolfgang van den Daele und anderen entwickelten und erprobten partizipativen Diskursverfahren (unter anderem zur Gentechnik in Nutzpflanzen), das auf die konsensstiftende Wirkung vermeintlich eindeutiger und unbezweifelbarer empirischer Fakten ausgerichtet ist (vgl. z.B. van den Daele 1996).
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Governance in der Wissenschaft unter einer Gender-Perspektive Birgit Riegraf, Lena Weber
1. E INLEITUNG Erklärtes hochschulpolitisches Ziel der letzten Jahre ist es, ›Exzellenz‹, ›Innovationsfähigkeit‹ und ›Internationalität‹ des Wissenschaftsstandortes Deutschlands zu steigern. Gelingen soll dies über die Einführung von markt- und betriebswirtschaftlichen Organisations- und Steuerungsmechanismen, wie politisch initiierter Wettbewerbe um Drittmittel zwischen den Hochschulen und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, über leistungsabhängige Finanzierungsmodelle oder auch über die Einführung von Globalhaushalten. Ein weiteres wissenschaftspolitisches Ziel der letzten Jahre lautet, der Unterrepräsentanz von Professorinnen im deutschen Wissenschaftssystem entgegen zu wirken. Auch dieses Ziel wird mit dem Argument angesteuert, dass ein wachsender Anteil an Professorinnen wissenschaftliche ›Exzellenz‹, ›Innovationsfähigkeit‹ und ›Internationalität‹ fördere (vgl. z.B. Aiwanger/Jäger 2003; Keil 2011). Aus gleichstellungspolitischer Perspektive spricht vieles für die Verbindung von markt- und betriebswirtschaftlichen Organisations- und Steuerungsprinzipien mit Gleichstellungsmaßnahmen. Über die Integration von Gleichstellungsparametern, zum Beispiel in die leistungsorientierte Mittelvergabe oder in Evaluationssysteme, kann Gleichstellung zum integralen Bestandteil von Wettbewerbssteuerung werden und in der Neuausrichtung des Wissenschaftssystems eine Aufwertung erfahren (vgl. Leicht-Scholten/Wolffram 2010; Roloff 2008, 2002, 1998; Roloff/Selent 2003; Löther/Plöger 2000). Kritikerinnen und Kritiker einer solchen Gleichstellungsarbeit, die an Wettbewerb und betriebswirtschaftlichen Prinzipien ausgerichtet ist, weisen allerdings zu Recht auf Gefahren hin: So können gerechtigkeitsorientierte Ansprüche verloren gehen, die sich nicht oder nicht ohne weiteres in Konkurrenzmechanismen übersetzen lassen (vgl. z.B. Meuser 2004; Roloff/Zimmermann 2000; Riegraf 1996) oder Instrumente und Politiken können aufgrund mangelnder Verbindlichkeit in den Hochschulen wirkungslos bleiben und auf diesem Wege zur »rhetorischen Modernisierung« (Wetterer 2003) verkommen.
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Im Folgenden diskutieren wir, ob und wie sich die mit Gleichstellungskriterien verbundenen Steuerungs- und Organisationsmechanismen im Wissenschaftssystem auswirken. 1 Aus einer Governance-Perspektive betrachten wir die von Bund und Ländern finanzierten Programme auf ihre Wirkmechanismen: die Exzellenz-Initiative und das Professorinnen-Programm. Exemplarisch für die Landespolitik wird die Verbindung der leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) mit Gleichstellungsparametern in Nordrhein Westfalen (NRW) 2 aufgenommen. Zudem werden die Effekte der forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) analysiert. Alle diese Initiativen und Programme zielen vornehmlich auf die Erhöhung des Professorinnenanteils ab. Im ersten Kapitel wird gezeigt, dass eine der größten Barrieren auf dem Weg zur Erhöhung des Professorinnenanteils an Hochschulen in Deutschland darin besteht, Wissenschaftlerinnen nach der Promotion im Wissenschaftssystem zu halten. Diese Stelle der ›leaky pipeline‹ ist bislang allerdings kaum Gegenstand der politischen Interventionen. Im zweiten Kapitel gehen wir der Frage nach, wie sich die einzelnen Programme auf die Erhöhung des Professorinnenanteils auswirken. Dabei stehen folgende Überlegungen im Zentrum: Über politische Programme, in denen Gleichstellungsziele mit Konkurrenzmechanismen um finanzielle und symbolische Ressourcen kombiniert werden, werden immer auch ›Gewinnende‹ und ›Verlierende‹ geschaffen. Diejenigen Universitäten, die in der Exzellenz-Initiative und/oder dem Professorinnen-Programm erfolgreich waren, können ihre Gleichstellungsprogramme ausarbeiten und erhalten einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den anderen Universitäten. Im dritten Kapitel legen wir schließlich den Fokus auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Post-Doc-Phase. Im abschließenden vierten Kapitel werden die Erkenntnisse mit Handlungsempfehlungen verbunden. In der Diskussion konzentrieren wir uns auf Universitäten, über die bislang die meisten Informationen vorliegen.
1 | Wir greifen auf Erkenntnisse der vom BMBF finanzierten Expertise »Eine Analyse neuer Governance-Muster im Wissenschaftssystem unter einer Genderperspektive« (Riegraf 2011) zurück. Dort werden die drei zentralen Forschungs- und Handlungsfelder a) universitäre Leitbilder, b) Unterschiede in Fach- und Arbeitskultur der Disziplinen und c) die Untersuchung der Lebensformen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgearbeitet. 2 | Vgl. hierzu auch das Projekt »Geschlecht und Exzellenz: Eine qualitative Untersuchung universitärer Leitbilder an ausgewählten Universitäten in Nordrhein-Westfalen« (Oktober – Dezember 2011), finanziert durch das Landesministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung in Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen der Untersuchung fanden neun Interviews mit Expertinnen und Experten der Hochschulleitung und Gleichstellungsbeauftragten statt. Weitere Informationen, siehe: http://kw.uni-paderborn.de/institute-einrichtungen/insti tut-fuer-humanwissenschaften/soziologie/personal/riegraf/forschungsschwerpunkte/ aktuell/wissenschaft/.
Governance in der Wissenschaf t unter einer Gender-Perspektive
2. W ISSENSCHAF TLERINNEN IN D EUTSCHL AND : E IN Ü BERBLICK Der leichte Anstieg des Anteils von Wissenschaftlerinnen im deutschen Wissenschaftssystem in den letzten Jahrzehnten verändert das bekannte Bild der horizontalen und vertikalen Geschlechtersegregation kaum: Der Beschäftigungsanteil von Wissenschaftlerinnen wächst zwar etwas an, aber wesentlich langsamer als aufgrund der Anzahl und Qualität ihrer Studienabschlüsse, ihrer Karriereund Berufsorientierung und einer seit Jahren professionell betriebenen Gleichstellungspolitik zu erwarten wäre. Der leichte Anstieg von Wissenschaftlerinnen geschieht auch nicht auf allen Hierarchieebenen, in allen Disziplinen und in allen Forschungsfeldern in gleicher Weise. Der Anteil der Studienabschlüsse von Frauen lag im Jahr 2010 bei ca. 52 % (vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz 2012: 9). Mit jeder weiteren Qualifikationsstufe schrumpft der Frauenanteil: Unter den Promovierten waren 2010 noch 44 % Frauen (vgl. ebd.: 10), unter den Habilitierten finden sich noch 25 % Frauen (vgl. ebd.: 12). Demnach gehen dem deutschen Wissenschaftssystem nach der Promotion die meisten Frauen verloren. Die Post-Doc-Phase stellt für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland das Nadelöhr in der Laufbahn dar und ist offensichtlich bislang besonders eng für Wissenschaftlerinnen. Bei Juniorprofessuren ist der Anteil an Stelleninhaberinnen 2010 mit 38 % noch vergleichsweise hoch (vgl. ebd.: 13). Ob eine Juniorprofessur allerdings in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis einer W2- oder W3-Professur mündet, hängt vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, und je nach Disziplin nochmals unterschiedlich stark ausgeprägt, weiterhin von einer Habilitation ab. Auch diese Stelleninhaberinnen müssen – wenn sie ihre Chancen auf eine Professur in der Konkurrenz mit den Kollegen optimieren wollen – die Enge des Nadelöhrs der Post-Doc-Phase dadurch meistern, dass sie zusätzlich noch ein Habilitationsverfahren durchlaufen (vgl. Lind/Löther 2006; Federkeil/Buch 2007). Der sinkende Frauenanteil setzt sich auf den weiteren Hierarchieebenen fort: Trotz des leichten Anstiegs der Anzahl von Professorinnen ist mit einem Anteil von derzeit 18 %, so die neueste Personalstatistik in der Personalkategorie ›Professur‹, die Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen bei weitem noch nicht erreicht (vgl. Statistisches Bundesamt 2011: 26). Nach wie vor gilt für Deutschland: Die Chancen von Wissenschaftlerinnen, auf eine Professur berufen zu werden, sind je nach Disziplin doppelt bis achtfach geringer als jene für Männer (vgl. Lind 2006, 2004). Ein vergleichender Blick in die anderen europäischen Länder ist zusätzlich ernüchternd: Deutschland weist den sechstniedrigsten Anteil an Professorinnen in der jeweils höchsten Hierarchieebene auf. Schlechter stehen lediglich die Länder Malta, Luxemburg, Zypern, Irland, Belgien und die Niederlande da (vgl. European Commission 2009: 76). Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zeigt sich auch in den Besoldungsgruppen: Professorinnen sind in der höchsten Besoldungsgruppe (C4/ W3) mit lediglich 14 % vertreten (vgl. Statistisches Bundesamt 2011: 27). Neueste
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Untersuchungen geben erste Hinweise darauf, dass sich die geschlechterbezogenen Ungleichheiten mit der Einführung der W-Besoldung nicht aufgelöst haben, sondern sich auch innerhalb einer Besoldungsgruppe weiter fortsetzen. Die Möglichkeiten der Aushandlung von leistungsorientierten Besoldungsteilen in den W-Gruppen scheinen den ›Gender Pay Gap‹ nicht aufzuheben (vgl. Simons/
Hellemacher 2009; Hellemacher 2011). Die Analyse der einzelnen Disziplinen vervollständigt das Bild (vgl. Lind/ Löther 2007). Obwohl der Frauenanteil in bislang eher männlich konnotierten Disziplinen, wie der Veterinärmedizin und – etwas weniger – in Medizin und Biologie, in den letzten Jahrzehnten ansteigt und Frauen in einigen Wissenschaftsbereichen inzwischen die Mehrheit unter den Studierenden und Absolventinnen und Absolventen bilden, setzt sich dies nicht auf den höheren Hierarchieebenen fort (vgl. Lind/Löther 2007). Den höchsten Frauenanteil unter den Professuren weisen im Jahr 2009 die Sprach- und Kulturwissenschaften mit 31 % auf (vgl. Statistisches Bundesamt 2011: 27). In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind knapp 22 % Professorinnen vertreten, während in den Natur- und Technikwissenschaften ihr Anteil nahezu konstant niedrig bleibt. In der Mathematik und den Naturwissenschaften liegt der Frauenanteil unter den Professuren bei 12 % und in den Ingenieurswissenschaften mit 9 % sogar unter der ZehnProzent-Marke. Allerdings haben Absolventinnen der Ingenieurswissenschaften wiederum größere Chancen auf eine Professur zu gelangen als Absolventinnen in den Sprach- und Kulturwissenschaften (vgl. Lind/Löther 2007).
3. W E T TBE WERB UND G LEICHSTELLUNG : EIN S CREENING GLEICHSTELLUNGSPOLITISCHER M ASSNAHMEN Gleichstellungspolitiken in öffentlichen Organisationen erhielten in der Vergangenheit über Gesetzgebungen des Bundes und der Länder eine verbindliche Basis. Sie blieben allerdings der alltäglichen Praxis und dem wissenschaftlichen Kerngeschäft der Einrichtungen unter anderem deshalb relativ fern, weil, wie Edit Kirsch-Auwärter feststellt, die Maßnahmen von den Hochschulleitungen nicht die nötige Unterstützung erhielten (vgl. Hardenberg/Kirsch-Auwärter 2010). Dies mag eine Erklärung für die Erkenntnis von Jutta Allmendinger und Franziska Schreyer sein, dass zwar bedingt durch die Gleichstellungsarbeit der Anteil von Wissenschaftlerinnen leicht angestiegen ist und immer noch ansteigt, aber nach wie vor nicht in dem erwarteten Umfang (vgl. Allmendinger/Schreyer 2005). Die Ausschlussmechanismen gegenüber Wissenschaftlerinnen wurden mit den bisherigen Instrumenten offensichtlich noch nicht umfassend aufgebrochen. In dem neu gestalteten Wissenschaftssystem weiten sich die Handlungs- und Gestaltungsspielräume gerade der Hochschulleitungen aus, die Gleichstellungsarbeit bislang häufig nicht nachhaltig unterstützten. Die Vorgaben des Bundes und der Länder beschränken sich zunehmend auf die Formulierung allgemeiner
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und übergreifender Entwicklungsziele für Wissenschaftsorganisationen, wie zum Beispiel inhaltlich nicht näher spezifizierter ›Exzellenz‹. Die Konkretisierung dieser Ziele, die operative Verantwortung und die – an allgemeine Leistungsziele gekoppelten – Ressourcen werden den Hochschulen und den mit erhöhten Handlungsspielräumen ausgestatteten Hochschulleitungen übertragen. Diese müssen sich wiederum mit ihren Strategien in einem politisch initiierten Wettbewerb um die Zuschreibung von Kriterien wie ›Exzellenz‹ gegenüber anderen Hochschulen durchsetzen. Damit verändern sich auch die institutionellen Kontexte für Gleichstellungsbestrebungen grundlegend (vgl. Aulenbacher/Riegraf 2012; Riegraf/ Weber 2013; Koreuber 2008). Ob Gleichstellung zum integralen Bestandteil der Ausrichtung der Hochschulen wird, ist damit wesentlich von den Rahmenbedingungen abhängig, die den Wettbewerb um finanzielle und symbolische Ressourcen, wie Forschungsgelder, Forschungsprämien, Lehrdeputatsreduktion oder Auszeichnungen, kanalisieren. In der wissenschaftspolitisch richtungsweisenden Exzellenz-Initiative ist Gleichstellung als Auswahlkriterium in die Exzellenzvereinbarung (ExV 2005) von Bund und Ländern aufgenommen: Darin wird die »Eignung der Maßnahme zur Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wissenschaft« (ebd.: 3) gefordert – neben Exzellenz in Forschung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Konzepte zur interdisziplinären Vernetzung, Internationalisierung und Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstitutionen.
3.1 Die E xzellenz-Initiative ›Exzellenz‹ entwickelt sich zum zentralen Begriff in der Konkurrenz der Hochschulen um finanzielle und symbolische Ressourcen (vgl. Gruhlich/Riegraf/Weber 2012; Bröckling 2009; Münch 2009; 2011). Inzwischen gehört es zum Bestandteil der 2004 ins Leben gerufenen Exzellenz-Initiative, dass Universitäten bei der Bewerbung in den drei Programmbereichen Verbundforschung (Exzellenzcluster), Nachwuchsförderung (Graduiertenschulen) und Universitätsleitbilder (Zukunftskonzepte) ihre Gleichstellungsmaßnahmen offen zu legen haben und darüber hinaus weiterführende Gleichstellungskonzepte vorlegen müssen. Dass Gleichstellungsmaßnahmen in den Forschungsprogrammen des Bundes und der Länder weiter forciert wurden, war nicht zuletzt das Resultat der Stellungnahmen ausländischer Gutachterinnen und Gutachter in der ersten Runde der Exzellenz-Initiative. Diese kritisierten an den Anträgen, dass in der Mehrheit das Gleichstellungskriterium unzureichende bis gar keine Berücksichtigung fand (vgl. Koreuber 2008). Nicht zuletzt dieser ›Exzellenz-Schock‹ führte zur weiteren Integration von Gleichstellungskriterien in die Exzellenz-Initiative. Nahezu zeitgleich zur zweiten Runde der Exzellenz-Initiative führte die DFG die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards ein. Beide Programme und Vorgaben wirken sich aufgrund ihres hohen Stellenwertes bei der Konkurrenz
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um finanzielle und symbolische Ressourcen nachdrücklich auf die Aufmerksamkeitsstruktur gegenüber Gleichstellungskonzepten an den Hochschulen aus. Über diese Schleife wird Gleichstellungsarbeit an den Universitäten auf verschiedenen Ebenen – strukturell, personell und reflexiv – angesprochen. Strategische Entscheidungen von Hochschulleitungen verändern sich so tendenziell zugunsten des Gleichstellungsthemas. Unsere Befragungen an Universitäten, von denen alle in mindestens einem Programmpunkt der Exzellenz-Initiative erfolgreich waren und die alle vom Professorinnen-Programm profitieren, zeigen, dass zentrale Gleichstellungsbeauftragte nun als Expertinnen in die Bewerbungsvorbereitung für Projekte in der Exzellenz-Initiative oder für das Professorinnen-Programm hinzugezogen wurden. Ihr Expertinnenwissen war bei Formulierung des Gleichstellungskonzepts gefragt, das als ein Teil der Antragstellung eingefordert wurde. Diese Aufwertung ihrer Arbeit war für viele Gleichstellungsbeauftragte zunächst eine neue und positive Erfahrung. Gleichstellungsstellen entwickelten sich an einigen Universitäten zu einer Art Serviceeinrichtung in Sachen Gleichstellung, ohne allerdings eine zusätzliche Ausstattung für den zum Teil immensen zusätzlichen Arbeitsaufwand zu erhalten. Eine befragte Gleichstellungsbeauftragte beschreibt die veränderte Aufmerksamkeitsstruktur so: »Ich habe mit einer Reihe von Professoren, die bei der Beantragung zentral beteiligt waren, über Gleichstellungsmaßnahmen gesprochen und alle haben versucht, Wissenschaftlerinnen zu bekommen, nicht weil sie unbedingt davon überzeugt sind, sondern weil sie wissen, dass Geldgeber, wie die DFG, das wollen. Insofern gibt es über diese Schleife positive Effekte für Gleichstellungsarbeit.«
Dadurch, dass materiell und symbolisch attraktive Programme und Initiativen, wie die Exzellenz-Initiative, in den Forschungsanträgen Aussagen über Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen einfordern, werden Gleichstellungsfragen auch an denjenigen Universitäten aufgewertet, die sich dem Thema bislang nicht ernsthaft stellten oder eher gering ausgeprägte geschlechtergerechte Strukturen aufwiesen (vgl. Becker et al. 2010). Ob sich die alltägliche Praxis und das wissenschaftliche Kerngeschäft zugunsten von Gleichstellungsaspekten tatsächlich nachhaltig verändern, oder ob es, wie die Kritikerinnen und Kritiker befürchten, bei »rhetorischen Modernisierungen« (Wetterer 2003) bleibt, gilt es allerdings noch abzuwarten. Für die Wirksamkeit, die Reichweite und die Grenzen der Initiativen und Programme ist jedoch entscheidend, dass hoch lukrative Anreizsysteme aufgebaut werden, die letztlich für längerfristige Veränderungen erfolgsversprechender als Sanktionssysteme sind. Bei Sanktionssystemen besteht die Gefahr, dass sich Widerstände und Blockaden innerhalb der Universitäten gegenüber Gleichstellungsmaßnahmen auf bauen. Dies bestätigen die Erfahrungen von befragten Gleichstellungsbeauftragten:
Governance in der Wissenschaf t unter einer Gender-Perspektive »Wir gehen zurzeit so vor: Strukturelle Anreize setzen. Zum Beispiel Zielvereinbarungen mit den Fakultäten. Über die einzelnen Qualifikationsstufen hinweg werden Ziele gesetzt, die innerhalb eines Zeitraumes zu erreichen sind und die Erreichung der Ziele wird belohnt. Das Nicht-Erreichen wird nicht bestraft. Wir haben ein Anreizprogramm zur Berufung von Professorinnen und Anreizprogramme für die Post-Doc-Phase, das finde ich spannend. Abgestimmte Maßnahmen, die auf die strukturelle Seite zielen, sind zudem erfolgreicher als lediglich einzelne Maßnahmen.«
Dass materiell und symbolisch attraktive Anreizprogramme erfolgreicher als Sanktionen sind, zeigen auch die Erfahrungen mit Zielvorgaben und Gleichstellungsquoten. Gesetzlich vorgegebene ›harte‹ Maßnahmen, wie eine verbindliche absolute Gleichstellungsquote für Wissenschaftlerinnen bei Stellenbesetzungsverfahren, werden an den Universitäten häufig mit den Argumenten umgangen, es gelte die Autonomie der Fakultäten und Institute gegen unzulässige Eingriffe ›von außen‹ zu verteidigen. Oder: Festgesetzte Quoten könnten in männerdominierten Fächern aufgrund der ungleichen horizontalen und vertikalen Verteilung der Geschlechter nicht erreicht werden. Ein Universitätskanzler schildert dies für die Physik: »Quoten sind kein Druck, die Politik kann dreißig Prozent beschließen, es würde trotzdem nichts passieren. Selbst wenn die Physik Stellenkürzungen in Kauf nehmen müsste, würde die Physik es aushalten, die lässt sich da nicht korrumpieren. Die würden sagen, dass es keine qualifizierten Frauen gibt, wir berufen nicht einfach eine Frau, nur damit wir Geld bekommen, wir sind da nicht käuflich. So selbstbewusst sind die schon.«
3.2 Das Professorinnen-Programm von Bund und Ländern Um sich auf das vom Bund und den Ländern finanzierte Professorinnen-Programm erfolgreich bewerben zu können, müssen Hochschulen ebenfalls Gleichstellungskonzepte vorlegen. Über die Hälfte der staatlichen Hochschulen bewarb sich auf das im Jahr 2007 ausgeschriebene Programm (vgl. Zimmermann 2012), über das mindestens 200 neue Stellen für Professorinnen geschaffen werden sollten. 82 % der antragstellenden Universitäten, Fachhochschulen und künstlerischen Hochschulen bekommen derzeit über das Programm bis zu drei W2oder W3-Professuren finanziert. Mittlerweile laufen 260 Professuren über das Programm, darunter sind 56 Universitäten beteiligt. Es gibt einige Anzeichen dafür, dass das Professorinnen-Programm zu längerfristigen strukturellen Veränderungen führen kann. Im Zusammenspiel mit den Anforderungen der DFG verschärft sich in einigen Forschungsfeldern, vor allem in Fächern mit einem niedrigen Frauenanteil, wie in den meisten Naturund Ingenieurswissenschaften, derzeit die Konkurrenz um bereits renommierte Wissenschaftlerinnen, deren Verhandlungsspielräume bei Berufungen wiederum größer werden. Einige Hochschulen überdenken in diesem Prozess ihre Re-
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krutierungspraxen und gehen aktiver auf Wissenschaftlerinnen zu. Dazu eine Vertreterin aus einer Hochschulleitung: »Es gibt inzwischen große Konkurrenzen zu anderen Hochschulen. Hochschulen haben Stabstellen für Berufungen eingerichtet, die gezielt gute Frauen suchen und diese ganz gezielt ansprechen. So versuchen sich die Hochschulen auch untereinander gute Frauen abzuwerben, weil jede Hochschule muss ihren Prozentsatz von Professorinnen steigern. Darum bemühen wir uns eben auch; man muss lernen, muss daran arbeiten, um gute Frauen rekrutieren zu können.«
Die nach wie vor anzutreffende Unterstellung, dass ein steigender Anteil an Professorinnen ein Zeichen für eine absinkende Reputation einer Hochschule, einer Disziplin oder eines Fachbereiches ist, wird darüber aufgebrochen. Zugleich besteht die Gefahr, dass sich die Maßnahmen ausschließlich an der Gewinnung und Haltung bereits renommierter Wissenschaftlerinnen ausrichten. Diese Erfolge ändern allerdings wenig an den engen Spielräumen, die durch Belastungen im außerberuflichen Bereich entstehen (vgl. Aulenbacher et al. 2010) und ebenso wenig an exkludierenden strukturellen Mechanismen in der Post-Doc-Phase. In diesem Veränderungsprozess wird die Arbeit der Gleichstellungsakteurinnen und -akteure an den Universitäten durch einsetzende Verteilungskämpfe zwischen den Geschlechtern in neuer Weise herausgefordert, die angesichts insgesamt restriktiver finanzieller Rahmenbedingungen und einer erhöhten Konkurrenzsituation in einigen Bereichen beobachtbar sind. Gleichstellungsbeauftragte müssen in neuer Weise um die Akzeptanz ihrer Arbeit ›vor Ort‹ werben. Eine Gleichstellungsbeauftragte schildert dies folgendermaßen: »Viele Männer haben das Problem, das berichten Kolleginnen immer wieder, dass Frauen so stark umworben werden […] und da haben wir auch wieder ein kommunikatives Problem, dass wir zu wenig erklären, warum das so ist. Wofür das gut ist, dass wir Frauen brauchen oder gemischtere Gruppen. Wir müssen einfach stärker kommunizieren, was daran positiv ist.«
Die Gleichstellungsakteure bemühen dabei häufig Argumentationsfiguren aus dem Bereich des Human Ressource Management, nämlich, dass erst die Einbeziehung vielfältiger Perspektiven und Sichtweisen Innovation ermögliche, die wiederum eine wesentliche Voraussetzung für exzellente Wissenschaft sei. Die Überzeugungsaufgabe müssen die Gleichstellungsbeauftragten an ihren Universitäten angehen, für die sie Rückenwind von politischer Seite benötigen, um die Akzeptanz und Anerkennung von Gleichstellungspolitiken und -initiativen, wie das Professorinnen-Programm, zu fördern.
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3.3 Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Vorgaben der DFG spielen in dem Wettbewerb um materielle und symbolische Ressourcen zwischen den Hochschulen aufgrund der hohen finanziellen und materiellen Anreize und aufgrund ihres Ansehens in der wissenschaftlichen ›Community‹ eine wesentliche Rolle. »Die DFG ist einfach ein riesiger Motor und dahinter verblassen andere Maßnahmen, wie das Land mit seinen Zielvereinbarungen«, so eine Gleichstellungsbeauftragte. Da die wissenschaftlichen Einrichtungen und ihre wissenschaftlichen Beschäftigten in ihrer materiellen Ausstattung und in ihrer Reputation zunehmend von dem Exzellenzkriterium ›Drittmittel‹ abhängen, wirken die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der DFG in hohem Maße in die Hochschulen hinein. Dies zeigt sich in der Äußerung eines Universitätskanzlers: »Die DFG gibt dies nicht als Empfehlung, sondern die DFG erwartet, dass es gemacht wird. Wir erleben bei Begutachtungen von Graduiertenkollegs oder Sonderforschungsbereichen, dass nachgefragt wird. Und es wird auch danach gefragt, wie das denn gelebt wird. […] Im Sinne des Kaskadenmodells der DFG gehen wir so vor: Wie ist der Anteil im Bereich der […] weiblichen Absolventen, beim Master oder dem Diplom, wie ist es dann auf der nächsten Ebene, der Anteil der Frauen im Promotions- und dann im Post-Graduierten-Bereich, und wir versuchen dies nicht nur, sondern da kann man auch Druck ausüben, dass sich auf der nächsten Ebene in etwa die prozentualen Anteile an Frauen widerspiegeln, die in dem Kaskadenmodell zu erwarten sind. Und das leuchtet auch den Physikern ein, das leuchtet jedem ein.«
Das Kaskadenmodell sieht vor, dass sich die Einrichtungen selbst Ziele zur Erhöhung des Anteils an Wissenschaftlerinnen setzen, ausgehend von den Anteilen am weiblichen Nachwuchs auf der jeweils nächst niedrigeren Qualifikationsstufe. Das Modell ist deshalb an den Universitäten weithin akzeptiert, da es die Reputation der DFG als zentrale Forschungsförderungseinrichtung mit Wettbewerbsstrukturen und Gleichstellungsanreizen verbindet.
3.4 Leistungsorientierte Mittelvergabe durch das Land und Gleichstellungsparameter In der leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) durch das Bundesland NRW wird der Anteil an Professorinnen an einer Universität belohnt. Unsere Befragungen zeigen zwar die symbolische Bedeutung dieses Instruments, darüber hinausgehende Steuerungseffekte werden, zumindest für die naturwissenschaftlich-mathematischen Disziplinen, jedoch bezweifelt; also gerade für die Bereiche, in denen Wissenschaftlerinnen in besonderem Maße unterrepräsentiert sind. Im Vergleich zum Professorinnen-Programm, zur Exzellenz-Initiative oder auch zur
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Einzelprojektförderung durch die DFG sind die materiellen Anreize der LOM für traditionell eher drittmittelstarke Fächer viel zu gering, um einen nachhaltigen Steuerungseffekt zu erzielen. Eine Gleichstellungsbeauftragte bringt dies auf den Punkt: »Ich bin bei der internen Mittelverteilung skeptisch, weil es so viele Bereiche gibt, denen es egal ist, ob die 5.000 Euro oder noch höhere Summen mehr haben. In einigen Bereichen, wie in den Philologien, spielen 1.000 Euro eine Rolle. In die mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereiche aber müssten riesige Summen hinein, um auf diesem Wege Gerechtigkeit zu erhalten. Selbst ein Anreiz, wenn ihr eine Frau einstellt, dann kriegt ihr 20.000 Euro, würde die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät null interessieren.«
Die geringe finanzielle Anreizstruktur und die eher niedrige Anerkennung der Gleichstellungsparameter in der LOM unterscheidet dieses Instrument von den Wirkungen der Exzellenz-Initiative, vom Professorinnen-Programm und von den DFG-Vorgaben. Über eine Umverteilung von vergleichsweise kleinen Summen nach quantitativen Parametern, wie der Erhöhung des Anteils an Professorinnen, wird zudem nicht vermittelt, dass Gleichstellung auch das wissenschaftliche Kerngeschäft von Forschung und Lehre der Universitäten betrifft, wie ein Universitätskanzler zum Ausdruck bringt: »Ich glaube nicht, dass dies wirklich einen Steuerungseffekt haben wird. Man muss sich klar machen, dass lediglich zwei Prozent der gesamten Mittel betroffen sind, diese werden dann nach einem solchen Parameter verteilt. Dass der Parameter keine hohe Bedeutung hat, liegt andererseits auf der Hand, weil die Kernaufgaben der Universität nicht Gleichstellung sind, sondern Forschung und Lehre, also muss das im Vordergrund stehen. Zusammengefasst: Als symbolische Bedeutung finde ich dies richtig, sinnvoll und vernünftig, aber der Steuerungseffekt ist eher gering.«
Durch Parametersteuerungen, wie bei der LOM, kommen inhaltliche, strategische und reflexive Aspekte von Gleichstellungskonzepten zu kurz, die wiederum für langfristige Veränderungsprozesse im Wissenschaftssystem zentrale Orientierungsmarken bilden. Eine Gleichstellungsbeauftragte unterstreicht die Bedeutung von Gesamtkonzepten: »Was wir an den Unis brauchen, sind schlaue Gesamtkonzepte und ich denke, man sollte eher schauen, wie die Gesamtkonzepte und die einzelnen Maßnahmen abgestimmt werden und wie eine stärkere Verbindlichkeit in die wissenschaftliche und gleichstellungspolitische Arbeit zu bringen ist.«
Instrumente und Zielvorgaben sind in den Hochschulen schwer zu vermitteln, wenn sie nicht aufeinander abgestimmt sind, wie eine Gleichstellungsbeauftragte erläutert:
Governance in der Wissenschaf t unter einer Gender-Perspektive »Es macht meines Erachtens nach wenig Sinn, mit Ziel- und Leistungsvereinbarungen ein weiteres Steuerungsinstrument einzubringen, was sich von den anderen Instrumenten unterscheidet. Also ich kann nicht das DFG-Konzept in der Uni diskutieren, diesbezüglich Gleichstellungsinstrumente mehrheitlich verabschieden und hab die ganze Uni mitgenommen und drei Monate später kommt das Ministerium mit Zielzahlen in haargenau denselben Bereichen, aber die sehen komplett anders aus. Das geht nicht. Was soll ich denn dann machen?«
Kennzeichen der LOM ist es, dass verbindliche Ziele und Leistungsanforderungen vorgegeben werden, die in einem angegebenen Zeitrahmen erreicht werden sollen und damit Gleichstellungsziele universitätsinternen Evaluierungsprozessen und Controllingprozessen zugänglich gemacht werden. Neben den Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Universitätsleitung und Ministerium etabliert sich das Steuerungsinstrument LOM auch universitätsintern. »Wenn wir die Zielvereinbarungen mit den Fakultäten abschließen, dann müssen die genau sagen, über welchen Zeitraum diese Vereinbarung abgeschlossen wird, wie viel Frauen sie einstellen wollen, wie viel Frauen sie auf eine Professur berufen wollen, das müssen die festlegen und das können wir machen.« (Vertreterin einer Hochschulleitung)
Über die LOM werden zwar verbindliche und in einem vorgegebenen Zeitraum nachprüfbare Vorgaben gemacht, die allerdings mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sind. Im Vergleich zu quantitativen Richtzahlen der LOM, wie Frauenanteile, ist der Erfolg von Maßnahmen, wie Mentoringprogramme, die auf den persönlichen Kontakt zwischen Mentorin und Mentee zugeschnitten sind und sich auf die individuelle Karriereentwicklung konzentrieren, kaum messbar und überprüfbar. Sie gehören vielerorts zur etablierten Praxis der Gleichstellungsarbeit, sind aber nur schwer in materiell interessante Anreiz- und Sanktionssysteme übersetzbar und erfordern von den Akteurinnen und Akteuren eine hohe persönliche Bereitschaft sowie zeitliches und emotionales Engagement zur Umsetzung. Gleichzeitig werden diese Maßnahmen materiell von politischer Seite nicht nennenswert belohnt. Allerdings verspricht die Kombination von ›objektiven‹ und eher ›subjektiv-individuellen‹ Programmbereichen Geschlechtergerechtigkeit am wirksamsten herzustellen. Einerseits müssen Universitäten materiell dazu angeregt werden Strukturen zu verändern und andererseits kontinuierliche Programme zu verankern, die bei den Individuen ansetzen.
4. D IE P OST -D OC -P HASE Vor allem für die Phase nach der Promotion, in der die meisten Wissenschaftlerinnen das Wissenschaftssystem verlassen, gibt es bislang wenig universitätsübergreifende und -spezifische Anreizprogramme. Gerade in dieser ›rush hour‹
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des Lebens führt das Zusammentreffen von Anforderungen des Wissenschaftssystems und Familiengründung, beziehungsweise die Pflege von betreuungsbedürftigen Angehörigen, zu einem erhöhten drop-out von Wissenschaftlerinnen (vgl. Metz-Göckel et al. 2010; 2009; Aulenbacher et al. 2010). Durch die gleichstellungspolitischen Anforderungen von sehr gut ausgestatteten Programmen und Initiativen, wie die der Exzellenz-Initiative, entwickeln einige Universitäten inzwischen Maßnahmen, um der Abwanderung von hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen in dieser Phase entgegenzuwirken, die dort bislang nicht angedacht oder nicht mehrheitsfähig waren. Am Beispiel universitätseigener Kindertagesstätten beschreibt dies ein Universitätskanzler: »Wir versuchen jetzt Gleichstellung an verschiedenen Ecken und Enden anzufangen. Bei Anträgen in der Exzellenz-Initiative, Verbundforschungsanträge oder Anträgen auf Sonderforschungsbereiche sind auch Projektmittel für Gleichstellung bis hin zu Kindergärten enthalten. Dass wir eigene Kindergärten bauen, dagegen haben wir uns bislang mit dem Argument gewehrt, dass dies in staatlicher Verantwortung liegt, aber wir haben gesehen, das nützt ja nichts, wenn der Staat sich zurück zieht und die Profs uns sagen, wenn ihr uns das nicht bietet, dann kommen wir nicht und dann gehen wir woanders hin. Jetzt haben wir das Dual Career und all diese Sachen.«
Zusätzlich geschaffene Anlaufstellen, wie Familienzentren oder ›Dual Career Services‹, adressieren das Thema Betreuungsverpflichtungen, die in einigen Fällen auch gezielt Wissenschaftler mit einbeziehen, wie eine Befragte aus der Hochschulleitung erläutert: »Wir haben im letzten Jahr einen Workshop ins Leben gerufen, in dem wir Doktorandinnen dafür sensibilisieren wollen, dass Karriere wirklich planbar ist, aber sie das andere Thema der Familiengründung nicht vergessen sollten. Es sind Doktorandinnen von allen Fakultäten in diesen Workshops und auch Männer. Es ist ein Workshop der für beide Geschlechter ist, weil wir das wichtig finden, dass das Thema genauso an Männer herangetragen wird, weil wir sehen auch der Mann muss das Bewusstsein bekommen, dass er seine Frau unterstützt und dass es also nicht nur die Aufgabe der Frau ist.«
Zwar kann dies als Versuch gewertet werden, zu zeigen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft kein alleiniges ›Frauenthema‹ ist, sondern alle angeht. Allerdings leben Wissenschaftlerinnen häufiger in Doppelkarriere- bzw. Doppelverdiener-Paaren als ihre Kollegen und sind nach wie vor stärker mit Vereinbarkeitsfragen konfrontiert (vgl. Rusconi/Solga 2011; Lind 2008). Daher sind es mehrheitlich Wissenschaftlerinnen, die aufgrund der teilweise gegenläufigen Anforderungen in Wissenschaft und ›Privatbereich‹ auf ein günstiges familiäres Umfeld angewiesen sind, um die Bereiche Wissenschaft und Familie vereinbaren zu können. Dies schildert auch eine Befragte aus einer Hochschulleitung:
Governance in der Wissenschaf t unter einer Gender-Perspektive »Eine Chemie-Professorin, die vor anderthalb Jahren sehr jung als Professorin berufen worden ist und die in diesem Jahr ihr Kind gekriegt hat, ist nach acht Wochen schon wieder im Dienst. Sie managt sehr viel von zu Hause mit ihrer Mutter, der Mann steht voll dazu. Die Karriere der Frau wurde richtig forciert, die hat überhaupt kein Problem gehabt. Der Mann also gab seinen Job quasi auf und ist hierher gekommen.«
Die widersprüchlichen Verpflichtungen aus wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereichen führen nach wie vor für Wissenschaftlerinnen zu anderen Belastungen in der Post-Doc-Phase als für ihre männlichen Kollegen. In dieser Phase brechen, wie Ergebnisse zahlreicher Studien unter dem Stichwort ›leaky pipeline‹ belegen, hervorragende Wissenschaftlerinnen ihre Karriere zugunsten familiärer Belange ab. Gleichstellungsprogramme sollten daher dort ansetzen.
5. Z USAMMENFÜHRUNG DER E RGEBNISSE UND A USBLICK MIT H ANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Wettbewerbsstrukturen und finanzielle Anreizsysteme mit Gleichstellungsbestrebungen zu verbinden, wie dies mit den forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der DFG und im Professorinnen-Programm geschieht, ist für das deutsche Wissenschaftssystem eine neuartige Entwicklung. Die Nachhaltigkeit, die Reichweite, die Wirksamkeit und die Grenzen der Maßnahmen sind bislang noch nicht gänzlich absehbar. Zumindest materiell sehr gut ausgestattete Programme und große Geldgeberinstitutionen mit hoher Reputation, wie die DFG, scheinen zumindest zur Erhöhung des Anteils an Professorinnen beitragen zu können. Ob dies zu längerfristigen Veränderungen in den gesamten Organisationsstrukturen der Hochschulen führt, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Programme nehmen Gleichstellung bislang in aller Regel lediglich punktuell auf und konzentrieren sich nahezu ausschließlich auf die Erhöhung des Professorinnenanteils und sparen andere Ebenen aus. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Geschlechterthematik auch zukünftig nicht zum Bestandteil von Forschung und Lehre wird, was dem Kerngedanken des EU-weit vorgeschriebenen Gender Mainstreaming widerspricht. Demnach sind Geschlechterfragen Querschnittsaufgaben in Organisationen, die in allen Entscheidungsprozessen, Aufgaben und Bereichen aufzunehmen sind, was an den Universitäten eben auch Forschung und Lehre umfasst. Neue Handlungsspielräume für Geschlechterpolitik sind vor allem in den Universitäten entstanden, die im Exzellenzwettbewerb in der dritten Säule (Zukunftskonzept) erfolgreich waren, da sie zusätzliche Ressourcen für Gleichstellungskonzepte erhielten. Aber auch an den Universitäten, die Graduiertenschulen und Exzellenzcluster einwerben konnten, ist es gelungen, Gleichstellungsarbeit weiter auszubauen und durch gezielte Besetzung der Cluster und Graduiertenschulen den Anteil an Wissenschaftlerinnen zu erhöhen. Diese Gleichstellungs-
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arbeit ist allerdings strukturell weniger nachdrücklich verankert, da die Maßnahmen lediglich über den geförderten Zeitraum von vier Jahren verbindlich eingefordert werden. Den jeweiligen Universitäten ist es dann überlassen, ob und wie sie aufgebaute Gleichstellungsstrukturen darüber hinaus weiterfinanzieren. An denjenigen Universitäten, die in der Exzellenz-Initiative nicht erfolgreich waren, bleibt Gleichstellungspolitik und -arbeit weiterhin prekär, da sie über keine zusätzlichen materiellen und personellen Ressourcen verfügen, die aber gerade benötigt werden, um notwendige Programme und Maßnahmen, wie Mentoring oder flexible Kinderbetreuung, auf- oder auszubauen. Die Verbindung von Wettbewerbsstrukturen mit Gleichstellungskonzepten ist in mancher Hinsicht durchaus erfolgreich, allerdings besteht die Gefahr, dass es zu einem Auseinanderdriften zwischen den ›Exzellenz‹-Universitäten kommt, die zusätzliche Gelder für den Ausbau von Gleichstellungskonzepten erhalten, und den im Wettbewerb nicht erfolgreichen Universitäten, die zunehmend Schwierigkeiten haben, mit weniger materiellen Mitteln Gleichstellungsziele umzusetzen beziehungsweise ihre schlechte Wettbewerbssituation in diesem Bereich zu verbessern. Damit könnten ›unterfinanzierte‹ und im Wettbewerb um finanzielle und symbolische Ressourcen erfolglose Universitäten in einen erneuten Wettbewerbsnachteil geraten. Dies würde bedeuten, dass sich die Karrierechancen, Möglichkeiten und Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen deutlich danach unterscheiden, an welchen Universitäten sie beschäftigt sind. Vor allem Wissenschaftlerinnen, die sich in der für die weitere wissenschaftliche Karriere besonders prekären Post-Doc-Phase befinden, werden sehr unterschiedlich belastende, ermutigende oder entmutigende Arbeitsbedingungen vorfinden (vgl. Rusconi/ Solga 2011; Lind 2010). Ohne diesen weiblichen Nachwuchs wird aber langfristig die Gleichstellung von Männern und Frauen im deutschen Wissenschaftssystem nicht zu gewährleisten sein und auch der Professorinnenanteil wird trotz aller Anreizsysteme aufgrund des fehlenden weiblichen Nachwuchses voraussichtlich nicht langfristig im größeren Umfang ansteigen. Das Ineinandergreifen der forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der DFG, des Professorinnen-Programms und der Exzellenz-Initiative trägt insgesamt sicherlich zu einer veränderten Aufmerksamkeitsstruktur und verstärkten Akzeptanz von Gleichstellungspolitik an den Hochschulen bei. Um ein weiteres Auseinanderdriften der Universitäten bei dem Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft zu verhindern, sind allerdings weniger Wettbewerbsmechanismen in Kombination mit Exzellenzmessung geeignet, sondern es müssen auch strukturelle Veränderungen in der Governance der Wissenschaft etabliert werden, die unabhängig davon auch und insbesondere die Post-Doc-Phase fokussieren. Dabei reicht die Förderung familienbezogener Angebote (vgl. Hirschauer 2012) allein sicherlich nicht aus, da auch Wissenschaftlerinnen ohne Kinder Benachteiligungen, wie männlich geprägten Kooptationssystemen bei Berufungsverfahren und Netzwerken, ausgesetzt sind, die allein über solche Maßnahmen nicht aufgebrochen werden können. Gleichstellungspolitik allein auf den Ausbau
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von Kinderbetreuung zu konzentrieren, zieht eher gegenteilige Effekte für die Gleichstellung nach sich, da andere Benachteiligungsstrukturen nicht mehr aufgezeigt, benannt und angegangen werden. Die Handlungsempfehlungen setzen an sieben Ebenen an: 1. Verbreitung von Gleichstellungsexpertise: Ähnlich wie bestehende Audits für ›familienfreundliche Hochschulen‹ sollte ein Bewertungskatalog an Gleichstellungsmaßnahmen und -instrumenten erstellt werden, in dem ein Spektrum von aufeinander abzustimmenden Maßnahmen, wie Mentoring-Programmen und die Einführung von universitätsinternen Gleichstellungsparametern, aufzunehmen sind. Gewährleistet werden kann darüber, dass Universitäten einen vergleichbaren Umfang an gleichstellungspolitischen Maßnahmen ergreifen und Mindeststandards erfüllen; zugleich sollten die Vorgaben aber so offen gestaltet sein, dass Universitäten Gestaltungsfreiheiten behalten, damit sie auf die spezifischen Bedingungen ›vor Ort‹ reagieren können. Die Maßnahmen müssten auch Aspekte wie Lehre und Verwaltung umfassen, wie die Kompetenzentwicklung von Lehrenden oder Studiengangsentwicklerinnen und -entwickler im Bereich gendersensibler Gestaltung von Strukturen und Interaktionsmustern, um die Benachteiligungsstrukturen in diesen Bereichen anzugehen. Erfolgsversprechende und innovative Gleichstellungspolitiken an den Universitäten, die nicht in den Exzellenz-Programmen vertreten sind, sollten ebenfalls finanziell honoriert werden. 2. Gender Mainstreaming: Genderforschung bietet die wissenschaftliche Grundlage für erfolgreiche Gleichstellungspolitik und -arbeit an den Universitäten, in den einzelnen Disziplinen und über die Disziplinen hinweg. Um die Anerkennung für Genderforschung in den wissenschaftlichen wie wissenschaftspolitischen ›Communities‹ zu erhöhen und um zugleich dem Anspruch gerecht zu werden, Geschlechterfragen als Querschnittsaufgabe zu betrachten, müssen verstärkt Forschungsprojekte in diesem Bereich lanciert werden. Innovative Lehrkonzepte, die Gender-Aspekte auch in nicht sozialoder geisteswissenschaftlichen Studien- und Forschungsfeldern integrieren, sollten ebenfalls über Ausschreibungen unterstützt werden. 3. Fort- und Weiterbildung von Hochschulleitungen: Hochschulleitungen sind in der Verantwortung Gleichstellung als Ziel in strategische Organisationsentwicklungsprozesse einzubinden und diese zu unterstützen. Damit Gleichstellung als ein Organisationsziel fest verankert und von allen Universitätsebenen getragen wird, bedarf es neben eines Organisationsentwicklungsprozesses, in den möglichst alle organisationsinternen Akteure und Akteursgruppen eingebunden sind, finanzieller Ressourcen für Fort- und Weiterbildungen von Hochschulleitungen, um deren Kompetenzen und Wissen in Gleichstellungsmaßnahmen und -politiken zu stärken.
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4. Parametersteuerungen: Leistungsorientierte Mittelvergaben müssen einen hohen finanziellen Anreiz zur Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen bieten, um gerade in den Fächern Steuerungseffekte zu erzielen, in denen Wissenschaftlerinnen in besonderem Maße unterrepräsentiert sind. Gegenwärtig stehen der bürokratische Aufwand und der Erfolg des Steuerungsinstruments in einem Missverhältnis zuungunsten der Steuerungseffekte. 5. Strukturelle Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft: Organisierte Vollzeit-Kinderbetreuung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollte (in Kooperation zwischen Universitäten und Kommunen) nach einer Bedarfserhebung finanziell unterstützt und ausgebaut werden. Weiterhin ist die Gewährleistung von flexibler Kinderbetreuung durch ein flächendeckendes Programm sicherzustellen, um den flexiblen und mobilen Arbeitsanforderungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gerecht zu werden (z.B. Tagungsbesuche, Vortragseinladungen). 6. Nachwuchsförderung: Um den Professorinnenanteil nachhaltig zu steigern, sind Programme nötig, die speziell auf die besonders prekäre Post-Doc-Phase zugeschnitten sind. Dies könnten Post-Doc-Stellen an Universitäten sein, auf die sich Wissenschaftlerinnen mit hervorragenden, innovativen Forschungsprojekten bewerben können, um ihre Forschung und wissenschaftliche Karriere selbständig weiterzutreiben. 7. Juniorprofessuren: Der Frauenanteil unter den Juniorprofessuren ist im Vergleich zu den regulären Professuren vergleichsweise hoch. Damit sich die höheren Frauenanteile auf die nächste Karriereebene fortsetzen und um wissenschaftliche Karrieren in der Post-Doc-Phase planbarer zu machen, bedarf es mehr Juniorprofessuren mit ›tenure-track‹-Option und insgesamt Maßnahmen, die eine verbindlichere Zukunftsplanung in dieser Phase ermöglichen.
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Teil 3: Medialisierung als Kontextbedingung
Neue Governance und die Öffentlichkeit der Hochschulen Frank Marcinkowski, Matthias Kohring, Andres Friedrichsmeier, Silke Fürst
Ein prägendes Element der wissenschaftspolitischen Reformbemühungen in den letzten beiden Jahrzehnten ist der Rückzug des Staates aus der Detailsteuerung von Hochschulen. Daraus ergeben sich vielfältige Konsequenzen, nicht zuletzt ein verändertes Verhältnis von wissenschaftlichen Hochschulen und interessierter Öffentlichkeit. Waren es die Hochschulen über Jahrzehnte gewohnt, dass die Wissenschaftsministerien der Länder gleichsam als institutioneller Puffer zwischen ihnen und den Interessen der gesellschaftlichen Leistungsabnehmer vermittelten, sind sie im neuen Steuerungsmodell nun häufiger und unmittelbarer als jemals zuvor mit den Ansprüchen ihrer gesellschaftlichen Stakeholder konfrontiert. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einer Reihe von Fragen, die sich aus dieser gewandelten Konstellation von Politik, Öffentlichkeit und Hochschulen ergeben. Wie gestalten die Hochschulen ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit? Welche Auswirkungen hat das für die innerorganisatorische Struktur und Kultur von Universitäten und Fachhochschulen? Und welche Rolle verbleibt dem Staat innerhalb der ›New Governance of Science‹? Auf der Basis einer bundesweiten Befragung von Entscheidungsträgern an deutschen Hochschulen lassen sich zwei Trends konstatieren: zum Ersten eine verkappte Politisierung der Hochschulen, die das wissenschaftspolitische Zustimmungsmanagement weitgehend selbst in die Hand nehmen, und zum Zweiten eine sekundäre Medialisierung wissenschaftlicher Organisationen, weil die verantwortlichen Entscheidungsträger zu diesem Zweck das Rollenmodell staatlicher Politik kopieren.
1. E INLEITUNG Der Umbau der Hochschulgovernance setzte in Deutschland vor rund zwei Jahrzehnten ein und ist bis heute nicht abgeschlossen. An den Hochschulen werden neue Steuerungsinstrumente wie leistungszahlorientierte Mittelvergabe (LOM) und Zielvereinbarung inzwischen nahezu flächendeckend eingesetzt (vgl. Jaeger
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Frank Marcinkowski, Matthias Kohring, Andres Friedrichsmeier, Silke Fürst
2006; König 2007; Bogumil et al. in diesem Band). Zugleich ist das Hochschulmanagement personell markant angewachsen (vgl. Krücken et al. 2009). Auf der Ebene der Hochschulgesetze hat eine erhebliche Deregulierung stattgefunden (vgl. Hüther 2010), und im Besoldungssystem von Hochschullehrern spielen sogenannte Leistungsindikatoren eine zunehmend wichtige Rolle (vgl. Jaeger/in der Smitten 2011: 5-10). Neben dem intensivierten Wettbewerb nennt die gängige Literatur vier weitere typische Kennzeichen des Governance-Umbruchs: Die Hochschulen in den meisten OECD-Ländern erleben demnach einen Rückgang von »academic selfgovernance [by] collegial decision-making within universities« sowie von »state regulation […] by directives« (de Boer et al. 2007: 139-140). Gewachsen ist hingegen die Bedeutung von »stakeholder guidance« und »managerial self-governance [by] hierarchies within universities« (ebd.: 140; aufbauend auf de Groof et al. 1998: 11-24; vgl. auch OECD 2008). Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einem weiteren Charakteristikum des Umbruchs in der Hochschullandschaft, das in der bisherigen Literatur weitgehend unbeachtet geblieben ist, nämlich mit der veränderten Bedeutung der öffentlichen Sichtbarkeit von Hochschulen. Im Folgenden steht die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Hochschulen in der Öffentlichkeit positionieren, unter welchen Bedingungen sie sich umgekehrt an den Kriterien öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung orientieren und wie sich diese neue Orientierung in der Hochschulgovernance auswirkt. Forschungsleitend ist die Annahme, dass Öffentlichkeits- und Medienorientierung als eine direkte Folge des intensivierten Wettbewerbs zu verstehen sind. Neu am ›neuen‹ Wettbewerb im Hochschulbereich ist nicht, dass es überhaupt wissenschaftlichen Wettstreit gibt, sondern dass er nun zusätzlich zur personellen Dimension einzelner Wissenschaftler auf der Ebene der Organisation ausgetragen wird (vgl. auch Friedrichsmeier/Fürst 2012: 48). Neuerdings sind es die Hochschulen selbst, die um Aufmerksamkeit konkurrieren und mit Hilfe eines ›Profils‹ um die Gunst ihrer wichtigsten Geldgeber werben (wie u.a. bereits vom Wissenschaftsrat 1985: 9-19 konzeptionell eingefordert). Im Sinne eines klassischen Marktes soll der neue Wettbewerb höhere Leistungen und Diversifizierung ermöglichen, insoweit er ausreichend ›Transparenz‹ aufweist (vgl. ebd.: 7, 9, 24). Dass ein öffentlich vorgeführter Wettbewerb zwangsläufig zu Transparenz im Sinne objektiver Vergleichbarkeit führt, ist allerdings, wie ein Blick in die wissenschaftliche Marketing- und PR-Literatur (z.B. Mast 2006: 297ff; Bruhn 2009: 2ff) zeigt, eher naiv: Organisationsintern könnten viel eher die Bemühungen um eine möglichst vorteilhafte öffentliche Selbstdarstellung forciert werden. Es ist nicht auszuschließen, dass dies auch für den neuen Wettbewerb der Hochschulen zutrifft. Dies liegt schon in der Kontingenz politischer Bewertungen und Programme begründet. Der wesentliche Grund ist aber, dass der Wettbewerb der Hochschulen primär auf politisch konstituierte Quasi-Märkte verlagert wird (vgl. Marginson 2007; 2004). Die Hochschulen produzieren für die neuen Quasi-Märkte Vertrauensgüter, deren Wert sich schlecht objektivieren lässt (vgl.
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Arrow 1971; Kortendieck 2006; Osterloh/Frey 2008: 3-7). Prinzipiell lassen sich die dadurch aufgeworfenen Bewertungsprobleme nicht umgehen, wenn man darauf besteht, Hochschulen marktförmig nach nicht-wissenschaftlichen Kriterien zu evaluieren (denn wissenschaftsintern gibt es diese Qualitätskriterien). Die Ausbildungsleistungen der Hochschulen sind ebenfalls nicht direkt beobachtbar. Auch hier entsteht unter einem aus der Wirtschaft entlehnten Wettbewerbsmodell der Druck, sie öffentlich symbolisch darzustellen, um sie als Leistungsausweis nutzen zu können. Es erscheint nach allem plausibel, dass die meisten Hochschulen unter diesen Bedingungen der Kreation eines möglichst positiven ›öffentlichen Images‹ gesteigerte Bedeutung beimessen, um langfristig Erfolg im neuen Wettbewerb zu haben. Als wesentlichen Adressaten hierfür sehen sie die Massenmedien an. Die Möglichkeit, dass der neue Wettbewerb von Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen zu einer Orientierung an den Massenmedien beiträgt, wurde insbesondere von Peter Weingart (2001; 2005; 2011) in die Diskussion eingebracht.
2. D ER NEUE W E T TBE WERB UND DIE R OLLE ÖFFENTLICHER S ICHTBARKEIT Im Folgenden präsentieren wir erste Ergebnisse aus umfangreichen standardisierten Befragungen von Entscheidungsträgern an deutschen Hochschulen. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts »Organisation und Öffentlichkeit von Hochschulen« haben wir Ende 2010 eine bundesweite Vollerhebung aller Hochschulleitungen, Senatsmitglieder und Presseverantwortlichen 1 sowie im Frühjahr 2011 eine Befragung aller Hochschulräte, Kuratorien und Beiräte durchgeführt. Das Interesse an dieser Thematik zeigte sich in dem für eine Elitenbefragung sehr hohen Gesamtrücklauf von 56 %. Die als Onlinebefragung mit optionaler Papiervariante durchgeführte Studie umfasst insgesamt 1980 Befragte, die 265 deutsche Hochschulen repräsentieren. Im ersten Schritt haben wir nach den strukturellen Grundlagen der öffentlichen Sichtbarkeit akademischer Organisationen gefragt. Unzweifelhaft hat die Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen an Umfang zugelegt. 62 % der Pressesprecher geben an, dass ihre Abteilung in den letzten fünf Jahren personell ausgebaut wurde (n = 175). Der öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung wird demnach zunehmende Bedeutung beigemessen. Wir haben zusätzlich nach der 1 | Ausgewählt wurden 274 Hochschulen mit laufendem öffentlichen Studienbetrieb und erkennbarer akademischer Binnenstruktur aus der HRK-Hochschulliste unter Ausschluss der reinen Kunst- und Musikhochschulen sowie von Kliniken. Die Befragung deckt 265 Hochschulen ab; neun private Einrichtungen mit einer Lehrleistung von insg. 0,5 % der in Deutschland eingeschriebenen Studierenden beteiligten sich nicht. Von allen staatlichen Hochschulen nach den o.g. Kriterien gingen Antworten ein.
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absoluten Zahl der Mitarbeiter mit Zuständigkeit für Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne gefragt, die auf zentraler Hochschulebene tätig sind. Dies umfasst die Beschäftigten der Pressestelle, der zentralen Marketingabteilungen und die Sprecher weiterer zentraler Einrichtungen. Auf Basis dieser Daten haben wir das Zahlenverhältnis von Professoren zu Öffentlichkeitsverantwortlichen auf Hochschulebene berechnet. Über alle Hochschulen berechnet, für die uns entsprechende Angaben vorliegen,2 liegt diese Relation bei 20 zu 1. Das bedeutet, dass pro 20 hauptberuflichen Professoren je ein Öffentlichkeitsarbeiter eingesetzt wird – und zwar allein auf der zentralen Hochschulebene, also ohne Fakultätsund Fächerebene. Unsere Vermutung ist, dass dieser Aufwand mit der neuen Wettbewerbssituation zusammenhängt. Inwiefern dieser Wettbewerb wahrgenommen wird, erörtern wir in 2.1. Anschließend gehen wir auf die neue betriebswirtschaftliche Orientierung an Kennziffern (2.2) und auf die neue öffentliche Orientierung (2.3) ein. Im Anschluss analysieren wir den Zusammenhang zwischen den drei Phänomenen (2.4).
2.1 Wie erleben die Hochschulen den verschärften Wettbewerb? Handlungsrelevant ist eine Wettbewerbssituation dann, wenn sie von den wichtigsten Entscheidern als eine solche wahrgenommen wird.3 Um den Grad des wahrgenommenen Konkurrenzdrucks zu messen, haben wir die Entscheider gebeten zu gewichten, ob an ihrer Hochschule in den letzten zwei Jahrzehnten »mehr darüber gesprochen [wird], wie man im Vergleich mit anderen Hochschulen dasteht«. Wesentlich an der Messung ist, dass die Veränderung auf der Ebene der gesamten Hochschule abgefragt wird, es also nicht um Wettbewerb zwischen einzelnen Wissenschaftlern geht (vgl. Wissenschaftsrat 1985: 9). Die befragten Entscheider (n = 582 Rektoren und Prorektoren; n = 1006 Senatoren; n = 175 Pressesprecher) haben den Eindruck, dass der Hang zur Konkurrenzbeobachtung deutlich zugenommen hat: Auf einer Skala von 0 (»gar nicht«) bis 10 (»sehr stark«) lag der Wert der Hochschulleitungen im Mittel bei 7,7, mit einer Standardabweichung (SD) von 2,27, bei den Professoren im Senat im Mittel bei 7,3 (SD = 2 | n = 189 Hochschulen. Die in der Berechnung berücksichtigten Hochschulen repräsentieren in Bezug auf die eingeschriebenen Studierenden 86 % der deutschen Hochschullandschaft. 3 | Aus diesem Grund haben wir nicht ›objektive‹ Organisationsparameter verwendet, sondern individuelle Erfahrungen und Beobachtungen abgefragt. Die ermittelten Werte spiegeln also ganz bewusst subjektive Einschätzungen der Befragten wider. Unseres Erachtens stellen individuelle Wahrnehmungen eine der zuverlässigsten Möglichkeiten der empirischen Abbildung latenter Organisationseigenschaften dar. So konstituiert sich beispielsweise der Wettbewerbsdruck, dem eine Organisation ausgesetzt ist, erst über das subjektive Erleben der Beteiligten.
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2,42) und bei den Pressesprechern bei 7,2 (SD = 2,05). 4 Die Erfahrung eines intensivierten Wettbewerbs auf Hochschulebene ist in unserer Studie die prägnanteste Veränderung des Hochschulalltags in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Laut unseren Ergebnissen erleben auch kleine Universitäten oder regionale Fachhochschulen die Intensivierung des Wettbewerbs auf Hochschulebene, und auch sie spüren die Auswirkungen der Exzellenzinitiative auf die eigene Organisation. Wenn die Hochschulleitung eine solche Ansicht vertritt, hat dies mutmaßlich Auswirkungen auf ihr Entscheidungshandeln und damit auf die Gesamtorganisation (zur Untersuchung potenzieller Folgen siehe Kapitel 4). Organisationsrelevant ist allerdings nicht allein die jeweilige Leitung. Die in den Hochschulen tätigen Professoren prägen die Hochschulorganisation ebenfalls (vgl. z.B. Pellert 1999; 2006). Selbst dann, wenn die Leitungen formal zu Alleinentscheidungen berechtigt sind, handeln sie in der Regel mit Rücksicht auf andere Hochschulmitglieder. Die organisationsrelevanten Interessen und Einstellungen der anderen Hochschulmitglieder werden insbesondere über die Professorenmehrheit im höchsten Selbstverwaltungsorgan, dem akademischen Senat, repräsentiert. Der Senat kann zudem in den meisten Fällen direkten Einfluss bei der Wahl oder Abwahl der jeweiligen Hochschulleitung ausüben (vgl. Hüther 2010: 274-292).5
2.2 Die Bedeutung von Indikatoren und Kennziffern Die bisher in der Hochschulforschung am prominentesten diskutierte Folge des neuen Wettbewerbs lässt sich wie folgt zusammenfassen: Je höher der erlebte Wettbewerbsdruck an den Hochschulen, desto stärker setzen die Hochschulen auf Quantifizierung und betriebswirtschaftliche Steuerung (vgl. z.B. Krücken 2004; Nullmeier 2001; Münch 2011). Demnach stellen die Hochschulen ihre Arbeit über betriebswirtschaftliche Kennziffern dar, weil sie davon ausgehen, von der Öffentlichkeit an ebensolchen Kennziffern gemessen zu werden. Wie stark die Hochschulen dies tatsächlich tun, wurde bisher allerdings nicht umfassend empirisch untersucht. Dass die Hochschulen ihre Leistung über Kennzahlen öffentlich darstellen, ist zugleich eine hochschulpolitische Erwartungshaltung. So forderte der Wissenschaftsrat (1985: 25), die Hochschulen sollten u.a. Kennziffern 4 | Bei den folgenden Zusammenhangsanalysen wird der Mittelwert aller befragten Angehörigen einer Hochschule als Wert für die Organisation verwendet. 5 | Für die folgenden Berechnungen fassen wir je Hochschule die von den Leitungsmitgliedern und der Gruppe der Professorenvertreter getrennt geschätzte Wettbewerbsintensität in einem Summenindex zusammen. Dies gilt analog für die anderen der im Folgenden berechneten Indexwerte auf Hochschulebene. An den im Folgenden berücksichtigten 235 Hochschulen mit Antworten aus beiden Befragtengruppen gehen im Schnitt 4,2 Antworten von Senatoren und 2,4 Antworten von Leitungsmitgliedern in die Indexwerte ein. Diese Hochschulen repräsentieren bezogen auf die Anzahl der Professoren 87 % und bezogen auf die eingeschriebenen Studenten 91 % der deutschen Hochschullandschaft.
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zur Zahl der Promotionen, Habilitationen und Drittmittel je Professur veröffentlichen. Um die Bedeutung von Kennzahlen für die externe Leistungsdarstellung der Hochschulen zu ermitteln, haben wir eine entsprechende Einschätzung der Rektorate und Präsidien eingeholt. Typischerweise geben wissenschaftliche Einrichtungen den äußeren Wettbewerbsdruck nach innen weiter. Sie tun dies im Rahmen der internen wettbewerblichen Steuerung (vgl. z.B. Jaeger 2006; König 2007; Bogumil et al. in diesem Band). Beim internen Einsatz von Kennzahlen verteilen die Hochschulen bspw. die eigenen Finanzmittel danach, welcher Fachbereich wie viele Drittmittel und Habilitationen erzielt hat (LOM). Ferner honorieren sie das Erreichen bestimmter Sollwerte über Zielvereinbarungen oder schreiben intern Mittel im Rahmen wettbewerblicher Verfahren aus. Da die Hochschulen die genannten Verfahren sehr uneinheitlich und mit unterschiedlicher Gewichtung handhaben, liefert eine bloße Bestandsaufnahme der eingesetzten Instrumente keine geeignete Vergleichsgröße für das Ausmaß der internen Anreizsteuerung (vgl. Friedrichsmeier 2012). Zudem hängt die Wirkung von Anreizen davon ab, inwieweit sie den Betroffenen überhaupt bekannt sind. Letzteres kann bei deutschen Hochschullehrern keinesfalls vorausgesetzt werden (vgl. Wilkesmann/Schmid 2011: 263). Wenn aber die zu Steuernden keine Kenntnis der gesetzten Anreizmechanismen haben, bleiben diese Mechanismen formaler Natur: Sie bewirken dann möglicherweise finanzielle Umverteilung, sind aber kein gültiger Indikator für Hochschulsteuerung durch Leistungswettbewerb. Um empirisch zu ermitteln, wie verbreitet Wettbewerbsverfahren an den Hochschulen sind und wie stark sie auf Kennzahlenverfahren zurückgreifen, haben wir Beteiligte und Betroffene selbst nach deren Rolle an ihren jeweiligen Hochschulen gefragt. Von den Professorenvertretern wurde eine Einschätzung des internen Einsatzes von Anreizverfahren eingeholt. Sie wurden gebeten zu beurteilen, wie stark die »Leitung meine[r] Hochschule über Wettbewerbe, Leistungsanreize und Ausschreibungen [steuert]«. Die Befragten ordnen dies im Schnitt jenseits des Skalenmittelpunkts unserer 11er-Skala ein (Mittelwert 5,6 auf einer Skala von 0 »gar nicht« bis 10 »sehr stark«; Anzahl der Antworten n = 975, Standardabweichung SD = 2,89). Aus den Antworten lässt sich ablesen, dass Anreizsteuerung im deutschen Hochschulsystem verbreitet ist, allerdings ist sie von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Standardabweichung des Antwortmittelwertes ist beträchtlich und beträgt fast drei Skalenpunkte. Die Hochschulleitungen wurden ihrerseits nach der Öffentlichkeitswirkung von Kennzahlen gefragt. Bei der Beurteilung, ob die »öffentliche Akzeptanz meiner Hochschule von der Darstellung ihres Outputs durch Kennziffern [profitiert]«, ordnen sich die Hochschulleitungen im Schnitt exakt auf dem Mittelpunkt unserer Skala ein, nämlich im Durchschnitt bei 5,0 (n = 579, SD = 2,96). Demnach hält sich der Glaube der Hochschulleitungen an die Akzeptanz erzeugende Wirkung nackter Kennwerte in Grenzen. Auch hier ist die Standardabweichung groß, was bedeutet, dass die Erfahrungen der Befragten mit dem internen
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und externen Einsatz von Kennzahlen und Wettbewerbsverfahren eher uneinheitlich sind.
2.3 Die Bedeutung medienvermittelter Öffentlichkeit Anders als bei Parteien und Regierungen erwartet man von Hochschulen nicht unbedingt, dass Journalismus und veröffentlichte Meinung einen bedeutenden Referenzpunkt ihres Handelns bilden. Im Gegenteil: Klassisch war die moderne Wissenschaft geradezu umgekehrt dadurch charakterisiert, sich von massenmedialen Einflüssen und anderen nicht-wissenschaftlichen ›Störgrößen‹ unabhängig gemacht zu haben. In ihrer klassischen modernen Form herausgebildet hat sich die Wissenschaft, als sie damit begann, sich primär an den von ihr selbst hervorgebrachten wissenschaftlichen Fachöffentlichkeiten zu orientieren (vgl. Weingart 2001: 35ff., 100f.). Zwar wurden andere Meinungen von gesellschaftlicher Relevanz – in der frühen Neuzeit etwa die von Kirche und Fürst, in der modernen Demokratie die der allgemeinen Öffentlichkeit –, für den praktischen Wissenschaftsbetrieb nie bedeutungslos. Allerdings macht den Kern klassischer moderner Wissenschaft aus, sich unmittelbar nur noch an wissenschaftsinterner Öffentlichkeit zu orientieren, selbst wenn die ausschlaggebenden Geldgeber des Wissenschaftsbetriebs die Steuerzahler sind (vgl. dazu Franzen/Rödder in diesem Band). Dieser Form der Selbstreferenz verdankt die neuzeitliche Wissenschaft den enormen Anstieg ihrer Leistungsfähigkeit (vgl. Luhmann 1992). Die bisher geschilderten Entwicklungen legen die Vermutung nahe, dass die Selbstabschließung wissenschaftlicher Kommunikation zunehmend schwieriger durchzuhalten ist.
Boulevardisierung von Wissenschaft? Wissenschaft und mediale Öffentlichkeit unterscheiden sich in ihren grundlegenden Logiken. Vereinfacht ausgedrückt sind die Massenmedien darauf spezialisiert, knappe öffentliche Aufmerksamkeit zu bündeln. Sie bedienen sich dabei zunehmend der Stilmittel von Unterhaltsamkeit. Wissenschaft ist demgegenüber an der Leitwährung ›Wahrheit‹ orientiert. Die Attraktivität wissenschaftlicher Kommunikation beruht folglich auf der Aussicht, Wahres über die Welt zu erfahren. Im Folgenden soll geprüft werden, ob und in welchem Maß Wissenschaftler an Hochschulen inzwischen darauf eingestellt sind, sich auf die nicht-wissenschaftliche Logik der Massenmedien einzulassen, wenn es um die öffentliche Vermittlung wissenschaftlichen Wissens geht. Dazu haben wir gefragt, ob wissenschaftliche Ergebnisse in den Medien auch unterhaltsam statt in erster Linie exakt dargestellt werden sollten. Die wissenschaftliche Leitwährung ›Wahrheit‹ operationalisieren wir hier also über den Begriff der ›Exaktheit‹. Der Begriff ›Unterhaltsamkeit‹ ist ein Indikator für die mediale Logik öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung. Gemessen wird also der Grad der Zustimmung dazu, wissenschaftliche Exaktheit dem nicht-wissenschaftlichen Wert der
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Unterhaltsamkeit unterzuordnen. Wie in Tabelle 1 ersichtlich, sind die befragten Hochschulangehörigen dazu nur in begrenztem Umfang bereit. Aus ebendiesem Grund bieten Pressestellen von Hochschulen in vielen Ländern spezielle Kurse für Wissenschaftler an, um die vorhandenen Vorbehalte gegen den Vorrang nichtwissenschaftlicher Werte zu zerstreuen (vgl. Rowe et al. 2011; Engwall 2008: 40). Tabelle 1: Akzeptanz der Medienlogik (0 »gar nicht« bis 10 »sehr stark«; Mittelwerte) Zustimmung zur Aussage »Wissenschaft in den Medien sollte nicht in erster Linie exakt, sondern unterhaltsam sein.« Antwort Hochschulleitungen
Antwort Professoren Nur Professoren im Senat Mathematik u. Informatik
3,9 (ø) n = 565, SD = 2,71
3,4 (ø) n = 940, SD = 2,78
4,2 (ø) n = 113, SD = 2,66
Nur Professoren Philosophie, Theologie u. Sprachen 2,5 (ø) n = 91, SD = 2,43
Weiteren Informationsgehalt bietet der Vergleich der Antworten unterschiedlicher Teilgruppen. Die in Tabelle 1 ablesbaren Mittelwertunterscheide sind statistisch signifikant. Danach stimmen die Hochschulleitungen der abgefragten Aussage signifikant stärker zu als die Professorenvertreter. Hier deutet sich eine Tendenz an, die wir in vielen der nachfolgenden Auswertungen wiederfinden: Ämter und Funktionen innerhalb der Hochschulorganisation prägen das Verhältnis zur medial vermittelten Öffentlichkeit. So ist die Organisationsspitze, deren Angehörige zudem während ihrer Amtszeit in der Regel weniger Zeit für eigene wissenschaftliche Arbeit haben, in ihrer Verantwortung für die öffentliche Sichtbarkeit der Hochschule offenbar eher dazu bereit, sich auf die Ansprüche der journalistischen Wissenschaftsvermittlung einzulassen, als die ›einfachen‹ Professoren. Bei den Antworten der Professoren findet sich zudem ein signifikanter Zusammenhang mit der jeweiligen Fachzugehörigkeit. Er lässt sich auf folgenden gemeinsamen Nenner bringen: Je stärker sich die Fachöffentlichkeit einer Disziplin von der allgemeinen Öffentlichkeit unterscheidet, desto eher sind ihre Angehörigen bereit, sich auf den Unterhaltungsanspruch der Massenmedien einzulassen. Offenbar haben Informatiker und Mathematiker, deren Fachveröffentlichungen für die allgemeine Öffentlichkeit in der Regel wenig verständlich sind, weniger starke Einwände gegen eine nicht exakte mediale Darstellung ihrer Ergebnisse als die Hochschullehrer der Fächer Philosophie, Theologie und Sprachwissenschaften. Dieser Befund lässt sich mit Ergebnissen des Beitrags von Franzen und Rödder in diesem Band in Beziehung setzen. Franzen und Rödder konstatieren ebenfalls Effekte auf der Ebene der Fächer, allerdings ohne sich direkt mit dem Aspekt der Unterhaltsamkeit auseinanderzusetzen. Sie untersuchen, wie stark sich massenmediale Berichte über Forschungsergebnisse von Fachveröffentlichungen desselben Fachs unterscheiden. In der Mathematik ist dieser Unterschied stärker aus-
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geprägt als in der Zeitgeschichte. Franzen und Rödder zufolge führt dies zu einer geringeren Beachtung von massenmedialer Kommunikation in diesem Fach. Da es für Mathematiker also schwieriger ist, wissenschaftliche Ergebnisse allgemein verständlich in den Massenmedien zu vermitteln, sei der Einfluss der Medien auf dieses Fach unter Umständen kleiner. Der in diesem Beitrag dargestellte Befund zur unterhaltsamen Darstellung von Forschungsergebnissen (Tabelle 1) beleuchtet die andere Seite des Medienverhältnisses: Mathematiker und Informatiker, deren Forschungsergebnisse besonders schwierig in den allgemeinen Medien zu vermitteln sind, haben signifikant weniger Einwände dagegen, in der Öffentlichkeit auf wissenschaftsfremde Darstellungsweisen zurückzugreifen. Die relativ große Kluft zwischen Mathematikberichterstattung in den Massenmedien und in Fachorganen geht demnach mit geringerer Scheu einher, eigene Forschungsergebnisse nicht exakt und unterhaltsam an die Öffentlichkeit zu bringen. Die durchschnittlich geringere Scheu der Mathematiker vor einer unterhaltsamen und mediengerechten Darstellung ihrer Befunde lässt sich inhaltlich durchaus rechtfertigen: Tatsächlich kann die ›unterhaltsame‹ Präsentation einer mathematischen Formel weniger anhaben als etwa einem philosophischen Theorem.6 Fachveröffentlichungen der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe unterscheiden sich demgegenüber weniger ausgeprägt von Texten, die sich beispielsweise auch auf den Feuilletonseiten überregionaler Zeitungen finden lassen. Entsprechend höher ist das Abgrenzungsbedürfnis dieser Wissenschaftler. Wesentlichen Einfluss darauf, wie stark Hochschulangehörige eine primär unterhaltsamkeitsorientierte Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse in den Medien tolerieren, hat neben der Fachzugehörigkeit noch ein weiterer Faktor: das Interesse daran, dass ihre Hochschule in den Medien sichtbar ist. Je höher der Antwortwert auf die Frage »Wie wichtig ist Ihnen, dass Ihre Hochschule in den Medien sichtbar ist?« ist, desto höher stimmen Befragte der oben diskutierten Aussage zu, dass Wissenschaft »nicht in erster Linie exakt, sondern unterhaltsam« sein solle. Die erhaltenen Antworten korrelieren signifikant (Korrelationskoeffizient nach Pearson r = ,167, zweiseitiges Signifikanzniveau sig. kleiner als ,001, n = 1692 Hochschulleitungen und Professoren). Interesse an Mediensichtbarkeit geht also mit einem reduzierten Anspruch an wissenschaftliche Exaktheit in der medialen Präsentation einher. Wer in den Medien sichtbar sein möchte, wird dieses Ziel eher erreichen, wenn er bereit ist, deren Selektions- und Präsentationskriterien entgegen zu kommen. Dieses Entgegenkommen bedeutet etwa, sich auf die Bedürfnisse der Medien nach simplifizierender Darstellung 6 | Anschauliche Beispiele für eine auf Unterhaltsamkeit ausgerichtete öffentliche Darstellung von Mathematik sind u.a. das von der Mathematik der TU Wien unterstützte Projekt »Zahlenjagd« (www.zahlenjagd.at), die »Mathematik-Olympiade Niedersachsen« (www. mo-ni.de/), die über viele Jahre von der Mathematik der Universität Göttingen gehostet wurde, oder die vom Clay Mathematics Institute in Cambridge festgesetzte Liste ungelöster Probleme der Mathematik, die öffentlich als »Millennium Prize Problems« geführt werden.
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komplexer Sachverhalte einzulassen. Hier deutet sich an, dass das Interesse an der medialen Sichtbarkeit durchaus Rückwirkungen auf die Bedeutung wissenschaftlicher Werte haben kann. Warum aber sind Wissenschaftler, die ja bei der Bestimmung des Wahrheitswerts einer Aussage gerade nicht auf öffentliche Zustimmung angewiesen sind, überhaupt an medialer Sichtbarkeit interessiert?
Das Ausmaß der Orientierung an Medien Ein offensichtlicher Grund für die Attraktivität von medialer Sichtbarkeit ist die soziale Reichweite von Massenmedien. Die Öffentlichkeit moderner Gesellschaften wird vor allem durch die journalistischen Massenmedien hergestellt. Sie werden in der Öffentlichkeitsforschung als die zentrale – autonome – Vermittlungsinstanz zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen angesehen (vgl. Gerhards 1994; Gerhards/Neidhardt 1991; Kohring 1997; 2004; Marcinkowski 1993). Ein werbendes Interesse von Hochschulen richtet sich aber nicht allein auf die mediale Öffentlichkeit. Wie wir unter 3.2 detaillierter in den Blick nehmen werden, spielen die verschiedenen gesellschaftlichen Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder der Hochschulen eine unterschiedliche Rolle. Strategisch lassen die Massenmedien sich primär als ein ›Instrument‹ betrachten, mit dem sich andere Stakeholder erreichen lassen. Die Darstellung in den Medien hat den potenziellen Vorzug, das Bild von Hochschulen gegenüber vielen Stakeholdern gleichzeitig verbessern zu können – allerdings nur im Rahmen der Produktionsbedingungen und Präsentationsroutinen von journalistischen Massenmedien. Organisationen, die mediale Berichterstattung strategisch für sich nutzen wollen, müssen sich an dieser sogenannten Medienlogik orientieren (vgl. z.B. Altheide/Snow 1979: 236; Hjarvard 2008; Lundby 2009). Die aktive Orientierung an der Medienlogik (sogenannte ›reflexive‹ Medialisierung; vgl. Marcinkowski/Steiner 2010) folgt dabei dem Kalkül, dass andere maßgebliche Akteure der Medienberichterstattung ebenfalls eine entscheidende Bedeutung für ihr Handeln beimessen (sogenannte ›einfache‹ Medialisierung; vgl. Marcinkowski/Steiner 2010) und mediale Sichtbarkeit daher entsprechend hoch bewerten. Die meisten Hochschulleitungen sehen die von ihnen verantwortete Reformpolitik allerdings nur geringfügig an der Berichterstattung in den Medien orientiert (vgl. Tabelle 2). Gleichzeitig gehen die Befragten aber davon aus, dass sich ihre Kollegen in der Leitung stark an den Medien orientieren, und zudem ist ihnen ausgesprochen wichtig, dass ihre Hochschule in den Medien sichtbar ist.
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Tabelle 2: Die Bedeutung von medialer Öffentlichkeit (0 »gar nicht« bis 10 »sehr stark«; Mittelwerte) Orientierung der Hochschulen an medialer Öffentlichkeit Dimension
Frage
Individuelle Bewertung
»Wie wichtig ist Ihnen, dass Ihre Hochschule in den Medien sichtbar ist?« »Wie stark orientiert sich die Hochschulleitung an dem, was die Medien berichten?« »Wie stark orientiert sich die Professorenschaft an dem, was die Medien berichten?« »Wie stark orientiert sich Ihre Hochschule bei Reformen an den Debatten und der Berichterstattung in den Medien (z.B. ZEIT, FAZ, Deutschlandfunk)?«
Orientierung der anderen
Orientierung der Hochschule bei Reformentscheidungen
Antwort Hochschulleitung 8,3 (ø) n = 567, SD = 1,81
Antwort Professoren im Senat 7,2 (ø) n = 967, SD = 2,22
6,6 (ø) 7,3 (ø) n = 575, SD = 2,12 n = 990, SD = 2,18 4,5 (ø) n = 576, SD = 2,51
4,5 (ø) n = 996, SD = 2,40
3,1 (ø) n = 583, SD = 2,22
3,4 (ø) n = 1014, SD = 2,55
Deutlich wird, dass die Leitungen der Hochschulen Medien signifikant wichtiger nehmen, als es die Vertreter der Professorenschaft tun. Dieser Unterschied lässt sich mit der Managementfunktion der Hochschulleitungen erklären: Sie repräsentieren die Hochschule als gesamte Organisation, während die Professoren im Senat in erster Linie ›nur‹ die Belange von Forschung und Lehre vertreten.
2.4 Wie der Wettbewerb die Ausrichtung der Hochschulen verändert Die Beziehungen zwischen Medienorientierung (2.3) zum erlebten Wettbewerbsdruck (2.1) und zur Kennziffernorientierung der Hochschulen (2.2) wurden in einem Pfadmodell gemeinsam geschätzt (s. Abbildung 1).7 Die ermittelten Werte zeigen einen hoch signifikanten Zusammenhang (Zufallswahrscheinlichkeit kleiner als ,005) von neuem Wettbewerb und Medienorientierung der Hochschulen, der unabhängig von dem ebenfalls hoch signifikanten Zusammenhang mit der Kennzahlenorientierung auftritt. Die Stärke beider Effekte ist als mittelgroß zu bezeichnen. 7 | Es handelt sich um Summenindizes. Um zu messen, wie stark sich einzelne Hochschulen an medialer Öffentlichkeit bzw. an Kennzahlen orientieren, fassen wir die Antworten aller befragten Angehörigen derselben Hochschule zu einem Summenindex zusammen.
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Abbildung 1: Zusammenhang von wahrgenommenem Wettbewerb und Kennzahlen- sowie Medienorientierung 8 Neuer Wettbewerb, Kennzahlen- und Medienorientierung
Neuer Wettbewerb wird an Hochschule erlebt ,28 Orientierung der Hochschule an Kennzahlen
,19 Orientierung der Hochschule an medialer Öffentlichkeit
Damit ist die erste Annahme bestätigt: Je mehr die Hochschulen den neuen Wettbewerb spüren, desto stärker orientieren sie sich an der über die Medien vermittelten Öffentlichkeit. Parallel bestätigt sich der schon bisher in der Forschung prominent diskutierte Effekt einer vermehrten Orientierung an Kennzahlen: Hochschulen, die den Wettbewerb besonders deutlich spüren, setzen nach innen auf Anreize und nach außen auf die quantitative Darstellung ihres Outputs. Medienorientierung und Kennzahlenorientierung sind aber voneinander unabhängige Effekte des neuen Wettbewerbs. Die neue Medien- und Öffentlichkeitsorientierung umfasst nämlich mehr, als Kennzahlen gegenüber der Öffentlichkeit transparent zu machen. Die Hochschulen entfalten vielmehr zusätzlich umfangreiche Bemühungen zur Verbesserung ihres öffentlichen Bildes: Auf die Frage, ob »der Wettbewerb die Hochschulen dazu zwingt, ein eigenständiges Profil und Image in der Öffentlichkeit auszubilden«, antworten die Leitungen auf unserer Skala von 0 – 10 im Mittel mit 8,5 (vgl. Tabelle 3). Damit wird der neue Wettbewerb noch stärker als Zwang zu einer forcierten Imagepolitik wahrgenommen denn als Anreiz für eine betriebswirtschaftliche Optimierung.
8 | Pfadmodell nach Maximum-Likelihood-Berechnung (AMOS 20), nur statistisch signifikante Korrelationen in gemeinsamer Schätzung; n = 235 Hochschulen. Die Beziehungen zeigen sich in ähnlicher Form auch auf der Auswertungsebene individueller Befragter.
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Tabelle 3: Wahrgenommene Richtung des Wettbewerbsdrucks (0 »gar nicht« bis 10 »sehr stark«; Mittelwerte) Frage
Antwort Hochschulleitung
»Der Wettbewerb zwingt die Hochschulen dazu … … ihre Strukturen und Abläufe betriebswirtschaftlich zu optimieren.« »… ein eigenständiges Profil und Image in der Öffentlichkeit auszubilden.«
7,6 (ø) n = 568, SD = 2,47
Antwort Professoren im Senat 6,6 (ø) n = 970, SD = 2,97
8,5 (ø) n = 564, SD = 1,70
7,8 (ø) n = 967, SD = 2,18
Die PR-Abteilungen der Hochschulen setzen verschiedenste PR- wie Marketinginstrumente ein, um das Profil ihrer Hochschule zu schärfen. Sie machen ihren Wissenschaftlern Vorschriften zum Gebrauch von Logos und geben Plakatwerbung, Imagebroschüren sowie Imagefilme in Auftrag. Die meisten größeren deutschen Hochschulen unterhalten mittlerweile Merchandise-Shops, über die mit dem Hochschul-Logo bedruckte T-Shirts, Taschen u.ä. verbreitet werden. In unserer Befragung gaben ferner 59 % der Pressesprecher (n = 186) an, ihre Hochschule setze einen Social Media- oder Social Network-Auftritt (z.B. Facebook, Twitter) ein, um für die Hochschule Werbung zu machen.
3. P OLITIK ODER L AIENPUBLIKUM — UM WEN WERBEN DIE H OCHSCHULEN ? 3.1 Mehr Autonomie gegenüber der Politik: Pro & Contra Die bloße Tatsache, dass die Hochschulen überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert werden9 , bedeutet nicht automatisch, dass sie aktiv um die Gunst der Politik werben und Marketing- und Presseabteilungen ausbauen müssen. Das Ziel der Governance-Reformen der vergangenen Jahrzehnte lautete ja genau umgekehrt: Die Hochschulen sollten autonomer gegenüber staatlichem Einfluss werden (vgl. z.B. Müller-Böling 1994; Pasternack/Wissel 2010: 42), unter anderem indem ihre Finanzierung über mehrjährige Hochschulpakte (vgl. z.B. König 9 | 2010 gaben Bund und Länder 22,3 Milliarden Euro für den Hochschulbereich aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2011a: 46). Die Hochschulen bestreiten ihre Ausgaben zu 71 % aus den Grundmitteln. Auch die Drittmittel mit einem Anteil von 19,5 % an der Gesamtfinanzierung stammen überwiegend von der öffentlichen Hand. Der Anteil der gewerblichen Wirtschaft an den Drittmittelgebern beträgt nur 22,9 % und deckt mithin weniger als 5 % der Gesamtausgaben (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b).
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2007: 21) und höhere Finanzautonomie (vgl. z.B. Ziegele/Federkeil 2001) Unabhängigkeit gegenüber tagespolitisch motivierten Entscheidungen gewinnt. Das Instrument der leistungsorientierten Mittelvergabe (vgl. z.B. Minssen et al. 2003) lässt sich ebenfalls als Versuch werten, eine Versachlichung und damit auch Entpolitisierung von Fragen der Hochschulsteuerung zu erreichen: »state regulation« wurde durch »stakeholder guidance« ersetzt (vgl. de Boer et al. 2007: 139140). Die öffentliche Hand hat – zumindest oberflächlich betrachtet – mit allen diesen Reformschritten ihren eigenen politischen Gestaltungsraum verkleinert. Entsprechend ließe sich vermuten, dass die Hochschulen keinen Grund haben, sich werbend gegenüber Politik und Öffentlichkeit darzustellen. Ein erster Hinweis darauf, dass diese Vermutung nicht zutreffen könnte, ist das bereits oben dargestellte hohe Interesse der Hochschulen an ihrem Bild in den Medien und die von den Befragten berichtete Orientierung an der Medienberichterstattung. Ist es also denkbar, dass die Hochschulen unter den Bedingungen neuer Governance sogar mehr werbende Bemühungen in Richtung Politik und Öffentlichkeit entfalten (müssen) als zuvor?
3.2 Die Zielgruppen der Hochschulkommunikation Wir haben die Entscheider gefragt, um wessen Akzeptanz sich ihre Hochschule bemühen muss. Neben den Medien haben wir die wichtigsten Stakeholder der Hochschulen zur Auswahl gestellt. Tabelle 4: Akzeptanzbedarf bei Stakeholdern (0 »gar nicht« bis 10 »sehr stark«; Mittelwerte) »Wie stark müssen Hochschulen bei den folgenden Gruppen und Institutionen um Akzeptanz werben?« Stakeholder
Antwort Hochschulleitung
Wirtschaftsunternehmen und -verbände Potenzielle Studierende und deren Eltern Medien
6,5 (ø) n = 583 SD 2,56 8,1 (ø) n = 584 SD 2,30 6,3 (ø) n = 580 SD 2,31 7,5 (ø) n = 575 SD 2,35 6,9 (ø) n = 569 SD 2,59 7,5 (ø) n = 584 SD 2,34
Wissenschaftspolitik und -ministerium Wissenschaftliche Community Öffentliche Drittmittelgeber wie DFG und Stiftungen
Antwort Professoren im Senat 6,2 (ø) n = 1005 SD 2,79 7,7 (ø) n = 1009 SD 2,46 5,6 (ø) n = 1001 SD 2,57 7,5 (ø) n = 997 SD 2,43 6,7 (ø) n = 985 SD 2,71 7,3 (ø) n = 1006 SD 2,31
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Auf den ersten Blick fällt auf, dass dem Werben um Akzeptanz generell ein hoher Stellenwert beigemessen wird: Die Entscheider empfinden gegenüber allen Stakeholdern einen erheblichen Legitimationsbedarf. ›Die Medien‹ werden dabei als Vehikel der Akzeptanzbeschaffung wahrgenommen, wie der hohe Mittelwert dieser Kategorie belegt. Wir haben zusätzlich gefragt, wie sich die Hochschulen ein Bild von jenen gesellschaftlichen Erwartungen machen, die an sie gerichtet werden. Sowohl die Hochschulleitungen als auch die Professorenvertreter geben an, dass sie dies am stärksten über die Medien tun. Der empfundene Bedarf an Akzeptanzbemühungen bei externen Stakeholdern und die Orientierung der Hochschulen an den Medien hängen also mutmaßlich zusammen. Ein hohes Maß an Akzeptanzbedarf wird auch gegenüber der Wissenschaftspolitik gesehen. Dieser Befund deutet bereits darauf hin, dass es sich bei der Verteilung der staatlichen Mittel keinesfalls um einen versachlichten und entpolitisierten Vorgang handelt, jedenfalls nicht aus Hochschulsicht.
3.3 Laienöffentlichkeit und wissenschaftsinternes Publikum Im Folgenden soll analysiert werden, ob die Befragten über einzelne Akteure hinweg generelle Typen von Stakeholdern unterscheiden, die möglicherweise auch unterschiedliche Akzeptanzstrategien erfordern. Hierbei konzentrieren wir uns auf die Leitungen staatlicher Universitäten.10 Wir vermuten, dass die Universitätsleitungen zwischen einerseits wissenschaftsinternen und andererseits wissenschaftsexternen oder gesellschaftlichen Stakeholdern unterscheiden. Medien, Privatwirtschaft und Studieninteressierte würden demnach zu den externen Publika gehören. Die Zuordnung des Wissenschaftsministeriums fällt weniger leicht. Über Detailsteuerung griff das Ministerium früher in Einzelfragen ein, was es letztlich zu einem Mitakteur im Wissenschaftssystem machte. Welche Rolle die Ministerien nun unter reformierten Governance-Bedingungen einnehmen, zeichnet sich bisher noch nicht ab. Viele wissenschaftspolitische Empfehlungen für die neue Rolle der Ministerien sind in dieser Hinsicht unbestimmt (vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft et al. 2008) oder bemerkenswert vage (»gesellschaftliche und politische Ziele«, Müller et al. 2010: 13). Demokratietheoretisch betrachtet ist die Lage eindeutiger: Der moderne Staat ist jener Ort, an dem sich die Aushandlung gesellschaftlicher Ansprüche bündelt (vgl. Degenhart 2010: 25). Die gebündelten gesellschaftlichen Ansprüche würde der Staat demnach über die Wissenschaftsministerien an die Hochschulen vermitteln. Wenn dies die heute erreichte Praxis wäre, würden die Hochschulen auf relativ ähnliche Weise um die
10 | Die Stakeholder-Orientierung von Fachhochschulen und Universitäten unterscheidet sich in einigen Aspekten: Für Fachhochschulen spielen die Privatwirtschaft eine systematisch größere und die DFG bzw. die öffentlichen Drittmittelgeber eine geringere Rolle.
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Anerkennung der Ministerien werben, wie sie auch um Wirtschaft, Medien und Studieninteressierte werben. Entgegen dieser Erwartung rechnen die Befragten das Ministerium zu den ›innerakademischen‹ Stakeholdern. Wirtschaft, Studieninteressierte und Medien gruppieren sich dagegen erwartungsgemäß zu einem Typus, den wir als ›Gesellschaft/externes Publikum‹ bezeichnen.11 Abbildung 2: ›Mental Map‹ der Umwelt von Hochschulen12 Bündelung der Stakeholder in der Wahrnehmung der Rektorate und Präsidien staatlicher Universitäten Wirtschaft
,51
Pot. Stud. und Eltern ,53
Medien
,26
,55
Ministerium
,56
Wiss. Community ,56
Öff. Drittmittelgeber
,63
Wissenschaft/ internes Publikum
Gesellschaft/ externes Publikum ,59
Die Leitungen der staatlichen Universitäten betrachten ihr Ministerium also keineswegs als Repräsentanten gesellschaftlicher Anforderungen an die Wissenschaft, sondern als einen Akteur innerhalb des Wissenschaftssystems. Zugleich sehen sich Präsidien und Rektorate, die besonders stark um die Akzeptanz des Wissenschaftsministeriums werben, auch besonders in der Pflicht, um die Medien zu werben (Querpfeil von rechts nach links in Abbildung 2; die ML-Schätzung verweist auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen beiden Indikatoren von r = ,26). Wir interpretieren diesen Befund so, dass die Hochschulleitungen der Politik eine ausgeprägte Medienorientierung unterstellen (s. 3.4).
3.4 Die Hochschulsicht: der medialisierte Politikbetrieb In 2.3 wurde gezeigt, dass die Professoren und Pressesprecher ihrer jeweiligen Hochschulleitung unterstellen, sich erheblich an den Medien zu orientieren. Dem Wissenschaftsministerium unterstellen die Hochschulentscheider eine sogar noch stärkere Orientierung an dem, was die Medien über Hochschulpolitik 11 | Laut den Modellgütemaßen ist dies die einzige Zuordnung mit statistischer Signifikanz (vgl. Hu/Bentler 1995; Schermelleh-Engel et al. 2003; Moosbrugger/SchermellehEngel 2007). 12 | Konfirmatorische Faktorenanalyse (vgl. Moosbrugger/Schermelleh-Engel 2007) zur Gruppierung der Stakeholder in der Wahrnehmung von Leitungen staatlicher Universitäten, n = 214 (Ausschluss listwise). ML-Estimation mit AMOS 20, Ƶ² = 17,909 (df = 11, p = ,084), RMSEA = ,054, CFI = ,958, BIC = 71,569.
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berichten. Die Befragten beobachten darüber hinaus einen engen Zusammenhang zwischen veröffentlichter Meinung und den politischen Initiativen für den Umbau der Hochschulgovernance. Wir haben die Rektorate und Präsidien aller staatlichen Hochschulen daher gefragt: »Wenn Sie an das Reformhandeln des Wissenschaftsministeriums in den letzten fünf Jahren denken: Welche Bedeutung hatte dabei, dass sich die Politiker in den Medien profilieren wollten?« Im Mittel setzen die Befragten die Bedeutung dieser Profilierungsabsicht auf der von 0 bis 10 reichenden Skala mit dem hohen Wert von 7,2 an (n = 460, SD = 2,40). Die Frage, wie stark man die Orientierung von »Wissenschaftsministerium und -politikern an dem, was die Medien berichten«, einschätze, erzielt sogar einen Wert von 8,1 (n = 458, SD = 2,00). An den staatlichen Hochschulen geht man also davon aus, dass die mediale Resonanz einen zentralen Bezugspunkt ministeriellen Handelns darstellt. Staatliche Politik, die sich regelmäßig demokratischen Wahlen stellen muss, gilt in der Fachliteratur zwar durchaus als medialisiert (vgl. z.B. Mazzoleni/Schulz 1999; Marcinkowski/Pfetsch 2009; Donges 2008). Bemerkenswert ist allerdings, wie ausgeprägt die Hochschulleitungen die für sie zuständigen Ministerien als medienorientiert wahrnehmen. Wie bereits dargestellt (Tabelle 4), halten es Hochschulleitungen für wichtig, ihre Akzeptanz bei den Ministerien zu verbessern. Damit liegt die Vermutung nahe, dass die der Politik unterstellte Medialisierung auf die Öffentlichkeitsorientierung der Hochschulen selbst zurückwirkt. Diese Annahme betrifft die Hochschule als ganze und nicht allein das individuelle Verhalten einzelner Leitungsmitglieder. Daher aggregieren wir im Folgenden die Antworten der Befragten einer Hochschule zu einem Wert für die gesamte Organisation. Die in Tabelle 5 dargestellten Beziehungen sind mithin auf Hochschulebene gemessen und spiegeln strukturelle Zusammenhänge wider. Tabelle 5: Zusammenhang von wahrgenommener Medienorientierung des Ministeriums und Medialisierung der Hochschulen Hochschulleitungen, die dem Ministerium eine ausgeprägte Medienorientierung unter-stellen, werden von ihrer Professorenschaft selbst als ausgeprägt medienorientiert erlebt Medienorientierung des Ministeriums Hochschulleitungen: »Wie stark orientieren sich Wissenschaftsministerium und -politiker an dem, was die Medien berichten?«
Medienorientierung Korrelationsder staatlichen Hochschulen koeffizient (Pearson) Professoren im Senat: ,179 »Wie stark orientiert sich unsere Hochschulleitung an dem, was die Medien berichten?« Medienorientierung der ,162 Hochschule insgesamt
Signifikanzniveau (2s.) ,016 (n = 182)
,028 (n = 184)
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Die statistische Analyse bestätigt unsere Vermutung. Je mehr die Hochschulleitung davon überzeugt ist, dass sich das zuständige Ministerium an den Medien orientiert, desto stärker werden auch die Hochschulleitung und die Hochschule selbst als medienorientiert wahrgenommen. Der Anreiz für mediale und öffentlichkeitsbezogene Bemühungen der Hochschulen besteht demnach in der vermuteten Wirkung auf relevante Dritte: Ein gutes öffentliches Image der Hochschule trage zum Wohlwollen des zuständigen Ministeriums bei und steigere darüber hinaus die Bekanntheit bei relevanten Drittmittelgebern. Zudem mag es sogar die Akzeptanz der Hochschulleitung bei den eigenen Hochschulmitgliedern befördern. In der Kommunikationswissenschaft werden solche Zusammenhänge als Einfluss des unterstellten Medieneinflusses diskutiert (vgl. Gunther/Storey 2003). Unsere Daten bestätigen, dass solche Zusammenhänge auch im Hochschulsektor wirksam sind (vgl. auch Tsfati et al. 2011). Gesellschaftliche Akteure orientieren sich nicht (nur) an tatsächlichen, sondern an unterstellten, zukünftigen Medienwirkungen – was selbst als eine indirekte Medienwirkung zu begreifen ist.
4. TR ANSFORMIERT M EDIENORIENTIERUNG DIE B INNENSTRUK TUR DER H OCHSCHULEN ? Als die treibenden Kräfte für die neue Medienorientierung wurden der Wettbewerb auf Hochschulebene und die nach wie vor hohe Bedeutung einer medialisierten Wissenschaftspolitik identifiziert. Im Rahmen der empirischen Bestimmung dieser neuen Medienorientierung erhielten wir bereits einzelne Hinweise darauf, dass sie die Hochschulen auch in ihrem Inneren beeinflussen könnte: In zunehmendem Maße binden Hochschulen Personalkapazitäten für medienbezogene Zwecke und investieren in PR-Aktivitäten (vgl. 2.). Ferner ging das Interesse an medialer Sichtbarkeit mit einer steigenden Bereitschaft einher, sich in der medialen Außendarstellung an nicht-wissenschaftliche Werte anzupassen (›Unterhaltsamkeit vor Exaktheit‹; vgl. 2.3). Aber wie tiefgreifend verändert dies die Hochschulen im Inneren? Vertraut man der Beobachtung der Hochschulangehörigen, wirkt sich die Medienorientierung unmittelbar auf die Hochschulreform aus. Wir haben die Vertreter der Professorenschaft gefragt: »Wenn Sie an das Reformhandeln Ihrer Hochschulleitung in den letzten fünf Jahren denken: Was meinen Sie, welche Bedeutung hatte dabei, dass man sich in den Medien profilieren wollte?« Im Durchschnitt wird dem medialen Profilierungsinteresse der eigenen Hochschulleitung eine mittelstarke Bedeutung für das Reformhandeln zugeschrieben, wobei die Bewertung von Hochschule zu Hochschule stark variiert (im Durchschnitt 5,0, n = 981, SD = 3,10). Die von den Professoren unterstellte Bedeutung von medialer Profilierung ist umso ausgeprägter, je stärker sich die Hochschulleitung für Medienpräsenz interessiert. Die Antwortwerte an den einzelnen Hochschulen korrelieren signifikant (r = ,201; sig. = ,002; n = 231 Hochschulen), d.h. es zeigt sich ein Zusammenhang zwischen den Angaben unterschiedlicher Befragtengruppen
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an jeweils derselben Hochschule. Die Orientierung einer Hochschulleitung an Medien beeinflusst ihr Reformhandeln demnach so deutlich, dass dies von den Professoren ihrer Hochschule relativ genau identifiziert werden kann. Damit ist allerdings noch nichts über die Richtung des Einflusses auf die Hochschulreform gesagt; ferner ist die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass dieser Einfluss nicht nur auf das Handeln der jeweiligen Hochschulleitung wirkt, sondern letztlich auch das wissenschaftliche Arbeiten der einzelnen Professoren beeinflusst. Wir formulieren zunächst einige theoretisch plausible Erwartungen zu Medialisierungsfolgen. Die ersten drei dieser potenziellen Medialisierungsfolgen behandeln die Art der Umsetzung von Hochschulreformen. Die vierte potenzielle Folge betrifft den Wissenschaftsbetrieb selbst. Im Anschluss überprüfen wir, ob sich diese vier Folgen auch empirisch nachweisen lassen.
4.1 Anerkennung der Kompetenz des Hochschulrats In den letzten Jahren haben die meisten Hochschulen ein neues Organ installiert, das ebenfalls eine spezielle Öffentlichkeitsfunktion erfüllt: die Hochschul- oder Aufsichtsräte bzw. Kuratorien. Über diese Gremien werden Repräsentanten hochschulexterner Gruppen an grundlegenden Entscheidungen der Hochschulen beteiligt – beratend, aber zumeist auch mit formaler Entscheidungskompetenz (vgl. Hüther 2010: 348-359; Nienhüser 2011). Laut einer Befragung von 2007 ist die »höhere Legitimation des Hochschulrats nach außen« ein wesentlicher Grund für die Besetzung von Hochschulräten mit Externen (vgl. Bogumil et al. 2007: 25-26; vgl. auch Laske et al. 2007). Das Auswahlverfahren ist in den meisten Ländern auf »charismatische Einzelpersönlichkeiten« (vgl. Bogumil et al. 2007: 13, 48) zugeschnitten, was die Frage nahelegt, ob die Medienaufmerksamkeit, die von Personen mit besonderer Ausstrahlung und erhöhtem Bekanntheitsgrad ausgeht, eine zumindest indirekte Bedeutung für dieses neue Organ hat. Wir vermuten, dass Hochschulen, die sich besonders stark an medialer Sichtbarkeit orientieren, auch die Kompetenz ihres Hochschulrats höher bewerten. Dahinter steht die strategische Überlegung, dass der Hochschulrat zwischen Hochschule und gesellschaftlichen Anspruchsgruppen vermitteln kann. Wir überprüfen den Zusammenhang mit folgender Frage an Leitungen und professorale Senatsvertreter: »Wie nützlich sind Anregungen und Ideen des Hochschulrats, wenn es um strategische Struktur- und Personalentscheidungen geht?«
4.2 Öffentlichkeitswirksame Rangplätze werden zur Währung für interne Konflikte Rankings zu Studiengängen sind nach gängiger Auffassung als Entscheidungshilfen für Studieninteressierte konzipiert und werden seit etlichen Jahren unter anderem in DIE ZEIT, Spiegel und Stern publiziert (vgl. Ott 1999). Studienfächer verweisen häufig auf ihrer Internetpräsenz auf ihr gutes Abschneiden. Es
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ist unmittelbar plausibel, dass sich die Rankings auf die Studienplatznachfrage auswirken; zudem nimmt die Mehrheit der Studienbewerber jüngeren Studien zufolge die Rankings zumindest zur Kenntnis (vgl. Hachmeister et al. 2007: 85; Willich et al. 2011: 202). Im Rahmen unserer Befragung haben wir allerdings festgestellt, dass die Hochschulen andere Wirkungen der Studiengangrankings stärker wahrnehmen: So scheinen Rankingergebnisse als Argumentationshilfe in hochschulinternen Auseinandersetzungen herangezogen zu werden. Die Beobachtung »Wenn in der Hochschule Entscheidungen anstehen, die die Fächer betreffen, argumentieren Beteiligte mit den Ergebnissen von Studiengangrankings« findet auf der Skala von 0 bis 10 eine Zustimmung von immerhin 5,5 (n = 555 Mitglieder der Hochschulleitungen), die Auswirkung auf die Studienplatznachfrage dagegen von nur 5,1. Die hohe Publizität der Rankings erlaubt es, so die Annahme, darauf basierende Argumentationen mit dem Menetekel der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verknüpfen. Daher sollte an jenen Hochschulen, die sich stärker an Medien orientieren, auch das interne Argumentieren mit Ranking-Ergebnissen eine größere Rolle spielen.
4.3 ›Big is beautiful‹? Wir haben die Hochschulentscheider gefragt, wie stark sie beobachten, »dass kleine Fächer und Forschungsgebiete zu großen Einheiten und Themenfeldern zusammengefasst werden«. Leitungen antworten darauf im Schnitt knapp oberhalb des Mittelpunkts der Zehner-Skala mit 5,5 (n = 550), Hochschulprofessoren im Senat mit 5,8 (n = 936). Die gestiegene Größe von wissenschaftlichen Einheiten kann dadurch zu einer besseren Wettbewerbssituation führen, dass die Sichtbarkeit erhöht wird. Ein Beispiel ist die Fusion der Universität Duisburg-Essen 2003, die die Hochschule im Shanghai-Ranking auf einen Schlag um 100 Plätze bzw. zwei Platzkategorien aufsteigen ließ.13 Einen analogen Effekt haben Hochschulzusammenschlüsse auf den Rangplatz im DFG-Förderranking (DFG 2009: 54). Neben der Größe trägt auch eine übersichtliche Struktur dazu bei, dass solche Einheiten vermutlich leichter Aufmerksamkeit bei den Medien finden, und vermittels dieser bei gesellschaftlichen Stakeholdern. Wir vermuten daher, dass an stärker medienorientierten Hochschulen auch eine stärkere Tendenz der Restrukturierung hin zu größeren Strukturen zu beobachten ist.
4.4 Wissenschaftliche Unabhängigkeit Von besonderer Relevanz wäre es, wenn sich ein Effekt der neuen Medien- und Öffentlichkeitsorientierung auf die wissenschaftliche Unabhängigkeit feststellen ließe. Für Wissenschaftler an staatlichen Hochschulen ist das Ideal wissenschaftlicher Unabhängigkeit ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Um 13 | Vgl. Rauhvargers 2011: 25-26, 70 sowie Angaben unter www.arwu.org/.
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den Einfluss von Medienorientierung auf die freie Auswahl von Forschungsthemen unvoreingenommen zu ermitteln, haben wir die Professoren gebeten, »in ihrer Rolle als Wissenschaftler« einzuschätzen, wie sehr »Kollegen in meinem Fach bei der Auswahl ihrer Forschungsthemen darüber nachdenken, was öffentliche Aufmerksamkeit verspricht«. 14 Vermutet wird also, dass die Medienorientierung der Hochschule einen Einfluss auf ihre Forschungsagenda ausübt. Wie Abbildung 3 zeigt, erweisen sich alle unter 4.1 bis 4.4 diskutierten Folgen der Medienorientierung von Hochschulen als statistisch signifikant. Berechnet wurden bivariate Korrelationen. Das ›Big is beautiful‹-Phänomen weist dabei den schwächsten Zusammenhang mit der Medienorientierung auf. Es ist darüber hinaus mit der Größe der jeweiligen Hochschule korreliert: An großen Hochschulen ist der Effekt signifikant stärker als an kleineren Hochschulen, an denen es im Schnitt ja auch weniger kleine Einheiten gibt, die innerhalb der Hochschule zu größeren Einheiten zusammengeschlossen werden könnten. Abbildung 3: Folgen von Medienorientierung der Hochschulen 15
,2
2
Anerkennung der strategischen Kompetenz des Hochschulrats
Orientierung der Hochschule an medialer Öffentlichkeit
,21
,14
Öffentliche Rangplätze sind Währung für interne Auseinandersetzungen
Druck auf kleine Einheiten zum Zusammenschluss zu größeren
,2
2
Forschungsthemenauswahl nach öffentlicher Aufmerksamkeit
5. F A ZIT Ein Organisationssystem definiert sich über sein Verständnis der Umwelt, von der es sich unterscheidet (vgl. Luhmann 2006). Hochschulen, die sich verstärkt an Medienberichten und öffentlicher Sichtbarkeit orientieren, gewinnen dadurch 14 | Die Frage nach dem Einfluss auf Kollegen neutralisiert tendenziell den Umstand, dass die Professoren in dieser Befragung keine Zufallsstichprobe darstellen. Da die Professoren im Senat Vertreter ihrer Fächergruppe sind, repräsentieren sie auch das Fächerspektrum ihrer Universität. 15 | Alle dargestellten Korrelationen sind statistisch signifikant (beidseitige Zufallswahrscheinlichkeit kleiner als ,05).
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nicht einfach nur zusätzliche Kontextinformationen für ihre Entscheidungen, sondern sie verändern gleichzeitig auch ihre Umweltwahrnehmung. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Binnenstrukturen. Von den möglichen Konsequenzen konnte hier nur ein kleiner Ausschnitt betrachtet werden, viele weitere harren noch der empirischen Untersuchung. Die neue Medienorientierung der Hochschulen findet erst langsam eine angemessene Beachtung (vgl. z.B. Peters et al. 2008; Peters 2009; Rowe/Brass 2011; Tsfati et al. 2011; Weingart 2011). Die bisher maßgeblich betriebswirtschaftlich geprägte Forschung (vgl. Winter 2004: 6) hat die einfacher zu messende Veränderung der formalen Steuerung fokussiert. Die Konsequenzen der neuen Medien- und Öffentlichkeitsorientierung mögen auch deshalb unterschätzt worden sein, weil in dem Streben nach Öffentlichkeit eine bloße Reaktion auf den neuen Wettbewerb gesehen wurde. Dies ist zwar an sich nicht unzutreffend. Offensichtlich entfaltet die Orientierung an medialer Öffentlichkeit aber zusätzliche und ungeplante Wirkungen eigener Art. Das intensivierte ›Schaulaufen‹ und die neue Öffentlichkeitsorientierung der Hochschulen sind eine Begleiterscheinung des Wettbewerbs öffentlich finanzierter Hochschulen auf politisch konstituierten Quasi-Märkten. Mit dem klassischen betriebswirtschaftlichen Modell des idealen Markts lassen sich die besondere Dynamik und die besonderen Wirkungen dieser Medien- und Öffentlichkeitsorientierung lediglich bruchstückhaft erfassen. Auch die bisher in der Literatur gängigen Kennzeichen des Governance-Umbruchs erfassen die hier untersuchten Phänomene nur ungenügend: Zwar überschneidet sich z.B. die bereits in der Literatur etablierte ›stakeholder guidance‹ teilweise mit Medienorientierung (›media guidance‹), weil sich die Hochschulen wesentlich über die Medien an den Ansprüchen der externen Stakeholder orientieren und die Medien den Hochschulen zudem wie ein Stakeholder mit eigenständigen Ansprüchen gegenübertreten. Tatsächlich aber ist der Begriff des ›Stakeholders‹ eher ungeeignet, um die besondere Dynamik und die besonderen Folgen der Öffentlichkeitsund Medienorientierung zu erfassen. Der im Wesentlichen betriebswirtschaftlich geprägte Begriff ›Stakeholder‹ betrachtet die Ansprüche der Stakeholder als je einzeln technisch-objektiv erfassbar und unterstellt sogar, dass sie sich zu Steuerungszwecken sachgerecht miteinander verrechnen ließen. Im Unterschied zu den – auf dem Papier – differenziert benennbaren ›Stakeholdern‹ ist ›die‹ Öffentlichkeit einer Hochschule allerdings erheblich unschärfer konturiert. Zwar umfasst ›Öffentlichkeit‹ alle denkbaren Stakeholdergruppen, sie geht aber solcherart über die je einzelnen Stakeholder hinaus, so dass sich deren Ansprüche nicht mehr objektiv festlegen lassen, sondern sich vielmehr politisch-dynamisch immer wieder neu bilden. Die Abbildung gesellschaftlicher Ansprüche an Non-Profit-Organisationen erfolgt daher zum einen über politische Wahlen und zum anderen über die mediale Berichterstattung. Das letztgenannte Phänomen umfasst zwei Dimensionen: zum einen die Handlungsorientierung anhand der Gesellschaftsbeschrei-
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bungen und Relevanzzuweisungen in der Berichterstattung – von Marcinkowski und Steiner (2010) als »einfache Medialisierung« bezeichnet –, zum anderen die aktive Anpassung an und Ausrichtung auf die Aufmerksamkeitskriterien der Medien – von Marcinkowski und Steiner (2010) »reflexive Medialisierung« genannt. Beide Formen lassen sich an der Hochschule beobachten, wobei – da die reflexive Medialisierung auffälliger ist – die Konsequenzen der einfachen Medialisierung vielleicht sogar unterschätzt werden. Das Ganze nimmt erheblich an Komplexität zu, wenn zusätzlich noch Medienorientierung resp. Medialisierungseffekte bei anderen gesellschaftlichen Akteuren unterstellt werden, wie z.B. im Verhältnis von Hochschulpolitik und Wissenschaftsministerien. Auch wenn die Medien- und Öffentlichkeitsorientierung mutmaßlich von der Ausweitung der Wettbewerbsfigur auf die Hochschulorganisation angestoßen wurde, ist sie keinesfalls als ein Subphänomen der Kennzahlen-Orientierung von Hochschulen zu verstehen. Das Thema der Hochschulgovernance lässt sich nicht überschneidungsfrei in eine kommunikationswissenschaftliche (›Bedeutungszuwachs medienvermittelter öffentlicher Ansprüche‹) und eine betriebswirtschaftliche Richtung (›Ökonomie der Institutionen‹) aufgliedern. Sie geht auch nicht in einer politikwissenschaftlichen Perspektive (›Regieren jenseits des Staats‹) auf. Vielmehr lenkt das Konzept der ›Governance‹ die Aufmerksamkeit gerade »darauf, wie die Grenzen zwischen ›staatlich‹, ›öffentlich‹ und ›privat‹ verschwimmen« (Kussau/Brüsemeister 2007: 10). Institutionelle Beispiele sind die Hochschulräte, Public Private Partnerships im Hochschulbau, die Überführung der Trägerschaft vom Staat auf öffentlich-rechtliche Stiftungen oder die Gründung gewinnorientierter Untereinheiten durch gemeinnützige Hochschulen (vgl. Estermann et al. 2011: 24). In Deutschland kann die Medienorientierung der Hochschulen als eine politisch vermittelte angesehen werden. Wie eng Governance und die Frage politischer Beteiligung verknüpft sind, zeigt sich unter anderem daran, dass der Begriff der Governance ganz wesentlich auf die Möglichkeit zielt, dass die »Entscheidungsadressaten selber mitentscheiden« (Mayntz 2008: 44). Im Hochschulbereich lässt sich etwa am Beispiel der Einführung von Hochschulräten ablesen, dass mit dem Governance-Umbruch im Hochschulbereich auch eine gewisse Offenheit für die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen einhergeht. Analytisch gesehen ist diese Öffnung gegenüber Gesellschaft und gesellschaftlicher Öffentlichkeit ein ›indirekter Politisierungseffekt‹: Die Öffentlichkeit spielt eine gestiegene Rolle für die Hochschulen, obschon sich die stärkere Berücksichtigung der Öffentlichkeit im Wesentlichen nicht über demokratische Verfahren vollzieht, sondern stattdessen über die Medienorientierung mehr oder weniger aller relevanten Akteure und Entscheider. Der Effekt der indirekten Politisierung ist eine Folge der Governance-Reformen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Zu den auslösenden Momenten gehört der Versuch, die staatliche Detailsteuerung der Hochschulen zurückzubauen. Allerdings wurde dabei die Aufgabe staatlicher Politik bisher im Wesentlichen
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negativ definiert (vgl. Müller et al. 2010: 12-14; Zechlin 2002): Sie soll sich inhaltlich (aber nicht unbedingt finanziell) zurückhalten. Wenn man der Politik den Raum durch Reformen zu nehmen versucht, sucht und findet sie dennoch den von ihr benötigten Spielraum, dann aber ggf. an anderer Stelle als zuvor (vgl. z.B. auch Marcinkowski/Pfetsch 2009). Indirekte Politisierung meint, dass ursprünglich im traditionellen Kerngebiet der Politik verortete Funktionen, hier das Zustimmungsmanagement in der Gesellschaft, in andere Bereiche, hier die Hochschulen, verschoben werden. Unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass die neue Medien- und Öffentlichkeitsorientierung der Hochschulen als eine solche Verschiebung politischer Funktionen zu charakterisieren ist. Ein verwandtes Phänomen wurde bereits von der Forschung zum Governance-Umbruch im Bereich der Kommunalverwaltungen konstatiert. Auch bei den Reformen in diesem Bereich sei nämlich eine »Abschichtung von Politik« versucht worden, die inzwischen in der Verwaltungswissenschaft als »Konzeptfehler« (Bogumil 2006: 13-14) kritisiert wird, weil sich die Politik dann andere Räume suche. Auf der Ebene individueller Wissenschaftler wurde die These eines indirekten Politisierungseffekts formuliert: In der heutigen Wissensgesellschaft, so die Diagnose von Weingart et al. (2002), werde zunehmend auf Wissenschaftler zurückgegriffen, um politische Entscheidungen zu legitimieren. Dies geschehe insbesondere über die Figur des Experten. Eine ›Politisierung‹ wissenschaftlichen Wissens erwachse daraus insbesondere, weil auch die (politischen) Modalitäten dieses Rückgriffs auf Wissenschaft ihrerseits Gegenstand politischer Diskurse werden (vgl. Maasen 2002: 3). In der Konsequenz werde dann anhand politischer Kriterien über wissenschaftliche Urteilsbildung debattiert und ergo Wissenschaft politisiert (vgl. bereits Langenbucher 1969: 121; zitiert nach Jarren/ Wessler 1998: 190; vgl. ferner Peters 2001; Weingart et al. 2002).
Wissenschaftspolitische Herausforderungen Wissenschaftliche Politikberatung sollte der praktischen Politik neue, ungewohnte Sichtweisen und Vorstellungen von existierenden Problemlagen liefern. Solche Irritationen und Blickerweiterungen für eine politische Positionierung zu nutzen, bleibt aber Aufgabe der verantwortlichen Politiker. In dem Sinne benennen wir abschließend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Herausforderungen und Handlungsfelder, auf die sich Wissenschaftspolitik unseres Erachtens künftig einzustellen hat. Dabei handelt es sich nicht um Prognosen im strengen Sinne, sondern um Extrapolationen heute schon erkennbarer Trends und Entwicklungen. Mit Bedacht dominiert dabei der kritische Blick auf die beschriebenen Phänomene – Stimmen, die jeden Zugewinn an medienöffentlicher Sichtbarkeit der Hochschulen umstandslos für gut heißen, sind bereits zur Genüge zu hören.
Beschleunigte Taktung von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik Was heute öffentliches Interesse findet, kann in der medialen Öffentlichkeit schnell an Aufmerksamkeit verlieren. Da die allgemeine Öffentlichkeit schneller
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getaktet ist als die wissenschaftliche Öffentlichkeit, ist eine Beschleunigung der Konjunktur von Themen zu erwarten, und zwar sowohl von wissenschaftlichen Forschungsthemen als auch von Themen der Hochschulreform und -organisation. Das führt zu der auch im politischen Bereich beobachtbaren Präferenz für kurzfristige ›Erfolge‹ und einem generellen Trend zur Diskontierung von Zukunft. Wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Unternehmungen, die einen längeren Atem benötigen, etwa im Bereich der Grundlagenforschung oder komplexer Reformprojekte, drohen an Bedeutung zu verlieren und sind generell viel schwieriger zu implementieren.
Rücknahme von Differenzierung Da die öffentliche Aufmerksamkeit immer nur Raum für ein begrenztes Spektrum an Themen bietet, können nicht alle Forschungsbereiche gleichzeitig öffentliche Aufmerksamkeit gewinnen. Welche Forschung das öffentliche Interesse auf sich zieht, bemisst sich aber unter den beschriebenen Bedingungen nicht primär an Kriterien wissenschaftlicher Relevanz, sondern an Selektoren für öffentliche Aufmerksamkeit wie (vermeintliche) Neuheit, Überraschung, Quantität, Moralisierung oder Konflikt. Das produziert nicht nur neue Ungleichheiten im (Aufmerksamkeits-)Wettbewerb, weil nicht alle Fachdisziplinen und Forschungsbereiche in gleichem Maße auf diese Kriterien ansprechen, sondern auch eine Tendenz zu mehr Uniformität: Wenn sich viele Wissenschaftler und viele wissenschaftliche Einrichtungen an den wenigen Chancen zu öffentlicher Aufmerksamkeit orientieren, hat dies tendenziell einen vereinheitlichenden Effekt, der Differenzierung eher zurücknimmt als verstärkt (vgl. auch Franzen/Rödder in diesem Band). Das gilt auch, wie oben beschrieben, auf institutioneller Ebene: Die zunehmende Medienorientierung setzt kleine und deshalb schlechter sichtbare Forschungseinheiten unter Druck. Schon jetzt ist ein Druck zur Entdifferenzierung zu beobachten, etwa als Zusammenschluss in größere organisatorische Einheiten.
Fehlallokation von Ressourcen Wenn eine beschleunigte Taktung wissenschaftspolitischer Entscheidungen und der Vereinheitlichungsdruck von öffentlicher Aufmerksamkeit zusammenkommen, ist mit der Fehlallokation von Ressourcen zu rechnen. Wissenschaftspolitisch brisant wäre es beispielsweise, wenn die oben beschriebenen Effekte bei der Wiederbesetzung oder Neueinrichtung von Professuren wirksam würden. Damit könnten knappe Mittel über Jahre hinweg an Modethemen gebunden werden, die genauso schnell wieder verschwunden sind, wie sie medial forciert wurden. Hochschulintern ist zu befürchten (und schon jetzt zu beobachten), dass der alerte Wissenschaftsmanager, der öffentlichkeitswirksam ankündigt und prophezeit, belohnt wird, der stille Forscher aber trotz, wenn nicht wegen seiner Exzellenz leer ausgeht. Auch der oben angesprochene Ausbau der Öffentlichkeitsabteilungen an Hochschulen birgt die Gefahr von Fehlallokationen. Das von uns beobachtete
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Wachsen dieser Abteilungen setzt ja voraus, dass Finanzmittel für Marketingzwecke statt für Wissenschaft eingesetzt werden. Zwar sind Investitionen in Öffentlichkeitsarbeit nicht grundsätzlich als Fehlallokation zu interpretieren, aber natürlich handelt es sich um Ressourcen, die in Forschung und Lehre fehlen. Im Wettbewerb um Geld, Studierende und die ›besten Köpfe‹ könnten demgegenüber die Hochschulen mit dem höchsten Werbebudget, die sich geschickt zu vermarkten wissen, erfolgreicher sein als konkurrierende Hochschulen, die zwar hervorragende Leistungen in Ausbildung und Forschung erreichen, sich aber dem eingebauten Zwang zur Hochstapelei verweigern.
Intransparenz statt Transparenz Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass Anreize für ›Scheininnovationen‹ verstärkt werden: Da alle Hochschulen permanent gezwungen sind, mehr scheinen zu müssen, als sie sein können, liegt es nahe, Forschungsprojekte, Reformmaßnahmen, Studiengänge u.a. als Neuerungen zu ›verkaufen‹, auch wenn man im Wesentlichen dasselbe macht wie schon zuvor. Unter diesen Bedingungen wird es für Wissenschaftspolitik und externe Anspruchsgruppen immer schwieriger, wissenschaftliche Leistungsfähigkeit von gelungener Selbstvermarktung zu unterscheiden. Ein anschauliches Beispiel dafür liefern die viel beachteten Studiengang-Rankings, die von vielen Studienanfängern für ›bare Münze‹ und als Entscheidungshilfe ernst genommen werden, obwohl ihre Ergebnisse nicht zuletzt die Fähigkeit der Institute und Fakultäten zum strategischen Umgang mit diesen Instrumenten reflektieren. Zuverlässige Orientierung und die Beschaffung verlässlicher Entscheidungsgrundlagen wird also trotz intensivierter Organisationskommunikation der Hochschulen eher schwieriger als leichter.
Eigenwerbung statt Wissenschaftskommunikation Die Leistungen der Wissenschaft sind von zentraler Bedeutung für den sozialen Wandel, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und nicht zuletzt das kulturelle Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Zugleich gehen von Forschung und Technologie Risiken für die Gesellschaft aus. Angesichts dieser Ausgangslage ist die Wissenschaft zunehmend gefordert, den Elfenbeinturm zu verlassen und ihre Forschungsziele und Erkenntnisse einer interessierten Öffentlichkeit verständlich zu vermitteln. Der wissenschaftspolitisch gewollten Intensivierung und Verbesserung der Wissenschaftskommunikation gilt eine Vielzahl staatlicher und privater Initiativen, die mit zum Teil beträchtlichen Geldsummen gefördert werden. Im Hinblick auf diese Zielsetzung hat die hier dargelegte Entwicklung ambivalente Folgen. Einerseits bauen Universitäten und Hochschulen Kommunikationskapazitäten auf und individuelle Wissenschaftler wie Entscheidungsträger Vorbehalte gegenüber medialer Sichtbarkeit ab. Zugleich aber stehen Hochschulund Wissenschaftskommunikation mehr als jemals zuvor unter dem Primat institutioneller Eigenwerbung. Was hochschulangehörige Wissenschaftler, die auch in Zukunft den größten Teil der gesellschaftlich sichtbaren Wissenschaft ausma-
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chen werden, über sich und ihre Arbeit verlauten lassen – und was nicht – wird ganz entscheidend von den strategischen Kommunikationszielen und Konzepten der Organisationen abhängen. Die Wissenschaftskommunikation der Zukunft steht damit nicht primär im Dienste gesellschaftlicher Aufklärung, sondern ist ein Mittel zum Zweck der Selbstvermarktung wissenschaftlicher Einrichtungen, die sich im politisch gewollten Wettbewerb behaupten müssen. Wie unter diesen Bedingungen das gemeinhin propagierte Konzept einer ›dialogischen‹ Wissenschaftskommunikation verwirklicht werden kann, ist dagegen eine Frage, deren Beantwortung man tunlichst nicht der Wissenschafts-PR überlassen sollte. Sollte die Wissenschaftspolitik von Bund, Ländern und den Wissenschaftsfördereinrichtungen keine Antworten auf diese Herausforderungen finden, wird die zu enge Kopplung der wissenschaftlichen Leitwährung ›Wahrheit‹ mit der öffentlichen Leitwährung ›Aufmerksamkeit‹ über kurz oder lang dysfunktionale Folgen zeitigen – mit nicht intendierten Konsequenzen für das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft.
L ITER ATUR Altheide, David L./Snow, Robert P. (1979): Media Logic. Beverly Hills: Sage. Arrow, Kenneth J. (1971): Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention. In: Lamberton, Donald M. (Hg.): Economics of Information and Knowledge. Baltimore: Penguin Books. 141-159. Bogumil, Jörg (2006): Ökonomisierung der Verwaltung: Auswirkungen zunehmender Vermarktlichung der Verwaltung auf die kommunale Steuerungsfähigkeit. In: Neues Verwaltungsmanagement, 06/06. Bogumil, Jörg/Heinze, Rolf G./Grohs, Stephan/Gerber, Sascha (2007): Hochschulräte als neues Steuerungsinstument? Eine empirische Analyse der Mitglieder und Aufgabenbereiche. Abschlussbericht der Kurzstudie. Bochum. Bruhn, Manfred (2009): Relationship Marketing. Das Management von Kundenbeziehungen. München: Vahlen. de Boer, Harry/Enders, Jürgen/Schimank, Uwe (2007): On the Way Towards New Public Management? The Governance of University Systems in England, the Netherlands, Austria, and Germany. In: Jansen, Dorothea (Hg.): New Forms of Governance in Research Organizations. Dordrecht: Springer. 137-154. de Groof, Jan/Neave, Guy/Švec, Juraj (1998): Democracy and Governance in Higher Education. Den Haag: Kluwer. Degenhart, Christoph (2010): Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht: Mit Bezügen zum Europarecht. Heidelberg: Müller. DFG (2009): Förder-Ranking 2009. Institutionen – Regionen – Netzwerke. Fachliche Profile von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Licht öffentlich geförderter Forschung. Bonn.
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Medien, Fächer und Politik Wie Medien forschungspolitische Entscheidungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beeinflussen Bernd Blöbaum, Andreas M. Scheu, Annika Summ, Anna-Maria Volpers
1. E INLEITUNG Welche Rolle spielen Medien in forschungspolitischen Entscheidungsprozessen? Um diese Frage zu erörtern, geht diese Untersuchung zwei Leitfragen nach: Die erste bezieht sich auf die Logik der Medienberichterstattung über Forschungspolitik und Wissenschaft: Wie berichten journalistische Medien über Forschungspolitik und Wissenschaft? Hierbei fokussiert die Studie Unterschiede der Berichterstattung zu verschiedenen Disziplinen und Fachkulturen, die Funktionen, die Wissenschaftler in der Medienberichterstattung übernehmen und die mediale Darstellung (kommunikativer) Handlungen. So soll geklärt werden, welches Bild von Forschung und Forschungspolitik in Massenmedien vermittelt wird. Die zweite Frage bezieht sich auf die Medialisierung der forschungspolitischen Governance-Konstellation, also auf Anpassungen der forschungspolitischen Praxis an eine solche Logik: Wie beurteilen beteiligte Akteure die Rolle der Medien für Forschungspolitik? Die hier vorgestellten Befunde1 liefern forschungspolitischen Entscheidungsträgern einen Überblick darüber, wie über Forschung und Forschungspolitik in verschiedenen Medien berichtet wird und welche Rolle die öffentliche Darstellung von Wissenschaft für Akteure spielt, die an forschungspolitischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Dieser Beitrag erläutert zunächst analytische Prämissen und klärt die zentralen Begriffe. Darauf aufbauend werden die Leitfragen unter Bezugnahme auf
1 | Die Erkenntnisse beruhen auf einer ausführlichen Inhaltsanalyse der Berichterstattung und auf Intensiv-Interviews mit Entscheidern aus Politik, Forschungsförderung, Wissenschaft und Journalismus.
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Ergebnisse aus einer laufenden Studie diskutiert. 2 Die Ergebnisse erlauben Entscheidungsträgern aus Wissenschaft und Politik, die Bedeutung von aktuell berichtenden Medien für ihr Handeln einzuschätzen.
2. G OVERNANCE UND M EDIALISIERUNG — Z WEI K ERNBEGRIFFE »Governance bedeutet Steuerung und Koordination (oder auch Regieren) mit dem Ziel des Managements von Interdependenzen zwischen (in der Regel kollektiven) Akteuren.« (Benz 2004: 25) Dieses Konzept erweitert lineare Steuerungsmodelle, die davon ausgehen, dass Politik über bestimmte Impulse (z.B. Kritik, Empfehlungen, Geld, Gesetze) in anderen Systemen beabsichtigte Reaktionen provozieren kann. Die intentionale Beeinflussung über Systemgrenzen hinweg ist wenig wahrscheinlich, weil sich soziale Systeme primär an ihrer eigenen Logik orientieren. Dabei richten sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft etc. nach ihrer jeweiligen Funktion in der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1997: 743-749). Was die politische Regulierung wissenschaftlicher Entwicklungen betrifft, ist also nicht uneingeschränkt von kontrollierter Steuerung auszugehen. Zu berücksichtigen sind nicht-intendierte Folgen von Regulierungsabsichten, die sich auch durch die eigensinnige Verarbeitung der Irritationen aus der Politik von Seiten der am Governance-Prozess beteiligten Organisationen ergeben. Regulierung aus der Governance-Perspektive ist ein »multistakeholder process« (Crozier 2007: 3), an dem unterschiedliche (insbesondere kollektive) Stakeholder aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen beteiligt sind, die je eigene Interessen verfolgen und jeweils versuchen, durch strategisches Handeln und damit auch strategische Kommunikation den Regulierungsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Bereich Forschungspolitik dominieren vor allem Akteure aus den Bereichen Politik und Wissenschaft. Diese sind intern jeweils stark differenziert: politische Parteien, Fraktionen, Ausschüsse, Ministerien, Landes- und Bundesebene etc. im Feld der Politik; Hochschulen, Förderorganisationen, Beratungsgremien, Ressortforschungseinrichtungen etc. im Feld der Wissenschaft. Schließlich versuchen auch Stakeholder aus anderen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Privatwirtschaft, Journalismus oder Nicht-Regierungs-Organisationen), Einfluss auf forschungspolitische Prozesse auszuüben. Die Governance-Perspektive nimmt das komplexe Zusammenwirken der vielen Akteure und ihre Konstellation in den Blick. Governance-Konstellationen sind dynamisch. Nach Schimank (2010: 204206) gehören dazu die Konstellation der Akteure (»Konstellationsstrukturen«), formelle und informelle Normen, Rollen oder Institutionen, die das Verhalten von Akteuren regeln (»Erwartungsstrukturen«) und grundlegende Kategorien 2 | Für eine eingehende Darstellung der theoretischen und methodischen Anlage des Projektes verweisen wir auf die Publikation »Science policy in mediatized constellations of politics, science, and media« (Blöbaum et al. 2012).
Medien, Fächer und Politik
der Wahrnehmung und Deutung von Realität (»Deutungsstrukturen«), die in der Funktionsweise von sozialen Systemen selbst begründet sind und sich beispielsweise auf die Zielsetzungsprozesse von Organisationen auswirken können. Der Beitrag untersucht, welche Rolle Massenmedien bzw. Journalismus in forschungspolitischen Entscheidungsprozessen spielen. Mit Journalismus ist jener Bereich der Medien gemeint, in dem gesellschaftlich relevante aktuelle Inhalte recherchiert, selektiert, bearbeitet und an ein Publikum vermittelt werden (vgl. Blöbaum 2004). Gefragt wird nach der Medialisierung forschungspolitischer Entscheidungsprozesse. Medialisierung wird als Kontextbedingung von Forschungspolitik betrachtet. Der Begriff beschreibt Wirkungen und Rückwirkungen, die sich aufgrund der Existenz und der Leistungen von Journalismus und Medien ergeben. Medieneinfluss lässt sich bei individuellen Akteuren (z.B. Wissenschaftler, Politiker), bei Organisationen (z.B. Ministerien, Hochschulen) ebenso wie auf der Systemebene (Politik, Wissenschaft) identifizieren. 3 Solche Rückwirkungen werden als Anpassungen an eine mediale Logik (vgl. Altheide/Snow 1979; Donges 2008: 25) interpretiert, die davon ausgelöst werden, dass die Relevanz journalistischer Leistungen – insbesondere der Leistung, Informationen über Systemgrenzen hinweg zu vermitteln (vgl. Marcinkowski/Steiner 2009) – zugenommen hat. Medialisierung ist auf zwei Ebenen beobachtbar: Erstens als eine Zunahme der Orientierung von Akteuren an der massenmedialen Berichterstattung und zweitens als strukturelle Veränderungen, die dazu dienen, dieser Entwicklung gerecht zu werden. Anders ausgedrückt: Forschungspolitik unter Medialisierungsbedingungen bedeutet, dass die öffentliche Wahrnehmung von und Meinung zu Forschung und forschungspolitischen Entscheidungen wichtige Einflussfaktoren im forschungspolitischen Entscheidungsprozess darstellen. Damit geht einher, dass Individuen und Organisationen Journalismus und Medien verstärkt berücksichtigen, wenn sie handeln; also wenn sie sich wechselseitig beobachten, beeinflussen und miteinander verhandeln. So wird die massenmediale Berichterstattung von den beteiligten Akteuren beispielsweise dazu genutzt, sich über forschungspolitische Akteure und Entscheidungen zu informieren: Welche forschungspolitischen Entscheidungen werden öffentlich diskutiert? Welche Positionen vertreten wichtige Akteure? Wie reagiert die Öffentlichkeit (oder Teilöffentlichkeiten) auf forschungspolitische Themen und Entscheidungen? Außerdem werden beteiligte Akteure versuchen, die öffentliche Wahrnehmung von Forschung und forschungspolitischen Themen über strategische Kommunikation zu beeinflussen. Journalismus und Massenkommunikation eröffnen damit neue Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen (vgl. z.B. Spörer-Wagner/Marcinkow3 | Die These einer Medialisierung der forschungspolitischen Governance-Konstellation wird gestützt durch Forschungsarbeiten zu den Themengebieten Agenda Setting (vgl. stellvertretend für andere: McCombs 2004), Framing (vgl. stellvertretend für andere: Matthes 2009), Medialisierung von Politik (vgl. stellvertretend für andere: Marcinkowski/Steiner 2009) und Medialisierung von Wissenschaft (vgl. stellvertretend für andere: Schäfer 2008).
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ski 2010), die strategisch einsetzbar sind: wenn Kontakte zu Journalisten dazu genutzt werden, eigene Argumente in die öffentliche Diskussion einzubringen, Entscheidungen zu provozieren, andere Akteure zu beeinflussen oder die eigene Position in Verhandlungskonstellationen zu verbessern. In diesem Prozess kann sich die Akteurskonstellation (»Konstellationsstruktur«) selbst verändern. Wer das mediale Spiel besonders gut beherrscht, kann seine Position möglicherweise verbessern und seinen Einfluss ausweiten. Sogar Akteure, die traditionell wenig mit forschungspolitischen Prozessen zu tun haben, erlangen Einfluss auf Entscheidungen – man denke an die Versuche von NGOs oder religiösen Gruppen, über öffentlichkeitswirksame Aktionen eine Debatte über bestimmte Forschungsmethoden (z.B. Tierversuche) oder bestimmte Forschungsgebiete (z.B. Stammzellforschung) anzustoßen oder zu beeinflussen. Weitere Anpassungen sind bezogen auf formelle und informelle Normen, Rollen oder Institutionen (»Erwartungsstrukturen«) zu erwarten. Dabei werden berufliche Rollen dahingehend erweitert, dass sie auch journalistisch relevante, mediengerechte Fähigkeiten mit einschließen. In Politik und Wissenschaft werden entsprechende Weiterbildungen (Medientraining) angeboten. Und es bilden sich spezifische Institutionen (z.B. PRExperten) heraus, die für den Kontakt zum Journalismus zuständig sind. Schließlich sind die grundlegenden Kategorien der Wahrnehmung und Deutung von Realität (»Deutungsstrukturen«) ebenfalls von Medialisierungsprozessen betroffen. Dass für Forschungsförderer zu guter Forschung dazugehört, dass Forscher ihre Ergebnisse einer Laienöffentlichkeit nahebringen, kann in den Kriterienkatalogen diverser Förderorganisationen nachgelesen werden. Eine solche Erweiterung der Kriterien zur Beurteilung von Forschung könnte aber (in einem voraussetzungsreichen Szenario) dazu führen, dass sich einzelne Forscher in zunehmendem Maß für ›mediengerechte‹ Forschungsprojekte entscheiden (also Forschungsprojekte, von denen sie annehmen, dass sie auf Grund der Orientierung von Förderern an Massenmedien bessere Chancen auf Förderung haben) – weil sie sich von positiver Berichterstattung bessere Karrierechancen versprechen (vgl. auch Franzen et al. 2012).
3. F ORSCHUNG UND F ORSCHUNGSPOLITIK IM S PIEGEL DER M EDIEN Wissenschaftskommunikation – im Sinne einer Information der Öffentlichkeit über wissenschaftliche Innovationen und Forschungsergebnisse – wird in großem Maße von aktuellen Massenmedien übernommen oder diesen als Aufgabe zugewiesen (vgl. Kohring 2005; Weingart 2006). »Science coverage in the mass media was and still remains the major channel that bridges the gap between science and the general public« (Schäfer 2010: 2). Das gilt sowohl für die Laienöffentlichkeit als auch für Entscheidungsträger (vgl. ebd.). Damit tragen Medien dazu bei, das öffentliche Bild von Wissenschaft und Forschung zu prägen. So befördert beispielsweise die Berichterstattung über bestimmte Forschungsgebie-
Medien, Fächer und Politik
te oder Themen deren Bekanntheit (Stichwort: Agenda-Setting) (vgl. z.B. Brosius 1994; McCombs 2004; Rössler 1997; Scheufele/Tewksbury 2007) und legitimiert diese (vgl. Eyck/Williment 2003). Für einen Akteur, der »seine Ereignisse massenmedial präsentieren kann, ist es einfacher, auch gleich noch sich selbst und seine Ansichten zu platzieren« (Gerhards/Schäfer 2006: 103). Akteure, die in den Medien zu Wort kommen, können die Darstellung aus ihrer Perspektive beeinflussen. Letzteres wird in der Kommunikationswissenschaft unter dem Stichwort Framing (vgl. Matthes 2009) untersucht. Die Analyse des Zusammenspiels von Wissenschaft und Medien (vgl. Rödder et al. 2012) liefert Einsichten in die Vermittlung und Entwicklung von Wissenschaft.
3.1 Lebens-, geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen dominieren die Berichterstattung Um herauszufinden, ob und wie sich die Berichterstattung über Fachkulturen unterscheidet, orientiert sich diese Studie an der Forschungssystematik der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die Lebens-, Ingenieur-, Natur- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften differenziert. Für jede Fachkultur werden stellvertretend zwei Fächer ausgewählt: Virologie und Agrarwissenschaft (Lebenswissenschaften), Informatik und Rohstoffe/Recycling (Ingenieurwissenschaften), Lebensmittelchemie und Geophysik (Naturwissenschaften) sowie Philosophie und Politikwissenschaft (Geistes- und Sozialwissenschaften). Dieses Vorgehen erweitert einen Teil der Forschung insofern, als in vielen einschlägigen Studien nur eine wissenschaftliche Disziplin oder ein bestimmtes Forschungsfeld (vorwiegend aus den Naturwissenschaften) fokussiert wird (vgl. Schäfer 2010: 5). Vergleiche über Disziplingrenzen hinweg sind rar. Zum Beispiel zeigt aber Rödder (2009), dass die spezifische wissenschaftliche Kultur zu Unterschieden hinsichtlich der öffentlichen Darstellung und der Rolle von Wissenschaftlern bei der medialen Darstellung führt. Die Analyse4 ergibt, dass die Berichterstattung über Forschung durch lebenswissenschaftliche Disziplinen dominiert ist (38 %). Dabei stechen die Fachgebiete Medizin (20 %) und Biologie (16 %) hervor – wie auch in anderen Studien zur Wissenschaftsberichterstattung (vgl. Badenschier/Wormer 2012; Bucchi/Mazzolini 2003; Elmer et al. 2008). Allerdings wird in mehr als jedem dritten Artikel über Forschung bzw. Forschungsergebnisse eine Disziplin aus den Geistes- und Sozialwissenschaften thematisiert. Der Anteil der Themen mit sozial- und verhal4 | Die Ergebnisse beruhen auf einer Inhaltsanalyse (Januar bis Oktober 2011) ausgewählter überregionaler (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Welt) und regionaler (Badische Neueste Nachrichten, Göttinger Tageblatt, Hamburger Abendblatt, Kölner Stadtanzeiger, Sächsische Zeitung, Tagesspiegel, Thüringer Allgemeine, Westfälische Nachrichten) Tageszeitungen, von Nachrichtenmagazinen und Wochenzeitungen (Focus, Spiegel, DIE ZEIT) und dem Online-Angebot Spiegel Online. Darin wurden alle Artikel aufgegriffen, in denen Forschungsprojekte oder Forschungsergebnisse thematisiert sind.
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tenswissenschaftlichem Bezug liegt dabei etwas höher (21 %) als der mit geisteswissenschaftlichem (17 %). Die naturwissenschaftlichen Fächer liegen an dritter Stelle (19 %), wobei sich hier die Berichterstattung auf mehrere Disziplinen verteilt. Ein Bezug zu den Ingenieurwissenschaften ist in jedem zehnten Artikel (10 %) über Forschung gegeben. Abbildung 1: Fachkulturen in der Medienberichterstattung über Forschung
Lebenswissenschaften
38%
36%
Geistes- und Sozialwissenschaften
19%
Naturwissenschaften
10%
Ingenieurwissenschaften
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
n = 1452; Mehrfachcodierung möglich
Diese Befunde unterscheiden sich von denen anderer Studien zur Wissenschaftsberichterstattung in Printmedien. Vor allem geistes- und sozialwissenschaftliche Themen oder Fächer tauchen dort entweder überhaupt nicht oder als Schlusslichter auf (vgl. Badenschier/Wormer 2012; Bucchi/Mazzolini 2003; Elmer et al. 2008; Schäfer 2010). Anders als Vorgängeruntersuchungen analysiert die vorliegende Studie auch forschungsrelevante Artikel aus nicht-wissenschaftlichen Rubriken und Sektionen (z.B. Politikteil oder Feuilleton) der Zeitungen und Zeitschriften: Es ist davon auszugehen, dass Medienrezipienten Wissenschaft nicht nur innerhalb der ausgewiesenen Wissenschaftsberichterstattung wahrnehmen. Das Bild, das die Medienberichterstattung von Wissenschaft und Forschung zeichnet, wird auch durch die Berichterstattung außerhalb von Wissenschaftsseiten und -themen geprägt. Geistes- und sozialwissenschaftliche Themen werden weniger oft in explizit als wissenschaftlich gekennzeichneten Rubriken behandelt als lebens-, ingenieur- oder naturwissenschaftliche, und sie tauchen häufiger in diversen Ressorts auf. 28 % der geistes- und sozialwissenschaftlichen Artikel stehen in Wissenschaftsressorts. Bei den lebenswissenschaftlichen Artikeln sind es 57 %, 55 von 100 naturwissenschaftlichen Artikeln finden sich dort und die Hälfte der ingenieurwissenschaftlichen Artikel steht im Wissenschaftsressort. Geistes- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und Positionen werden in der aktuellen Be-
Medien, Fächer und Politik
richterstattung in verschiedenen politisch, sozial und gesellschaftlich relevanten Themenfeldern angeführt. Insgesamt ist die Forschungsberichterstattung von Befunden aus den Lebenswissenschaften (vor allem Medizin und Biologie) und den Geistes- und Sozialwissenschaften geprägt. Weniger prägend für das über Medien vermittelte Bild von Forschung sind Natur- und Ingenieurwissenschaften.
3.2 Wissenschaft erklärt Gibt es eine in den Fachkulturen selbst begründete Arbeitsteilung der wissenschaftlichen Akteure in den Medien? Sind beispielsweise Vertreter der Geistesund Sozialwissenschaften eher medial vertreten, wenn es darum geht, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu begleiten und liefern Naturwissenschaftler eher nüchterne Daten und Fakten? Medien beziehen sich nicht nur dann auf Wissenschaftler, wenn es um Forschungsergebnisse geht, sondern zitieren z.B. auch Meinungen, (moralische) Einschätzungen oder spekulative Aussagen. Die Studie untersucht, welches Spektrum an Funktionen wissenschaftliche Aussagen über gesellschaftlich relevante Ereignisse mit Bezug zu den ausgewählten Disziplinen übernehmen. Beispiele für solche Themen im Untersuchungszeitraum sind der Arabische Frühling (Politikwissenschaft), die Integrationsdebatte (Philosophie), Grippeepidemie (Virologie), Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel (Agrarwissenschaft), DioxinSkandal (Lebensmittelchemie), Erdbeben vor Japan (Geophysik), Seltene Erden (Rohstoffe/Recycling), Datenschutz (Informatik). Wie werden wissenschaftliche Akteure bzw. ihre Aussagen in die Medienberichterstattung eingebunden? Präsentieren sie neutral Daten und Fakten5, liefern sie wissenschaftliche Erklärungen 6 oder thematisieren sie auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung Risiken7
5 | Klassischerweise handelt es sich hierbei um Forschungsergebnisse, zum Beispiel wenn die Lebensmittelwissenschaftlerin Pauline Emmett im Tagesspiegel vom 06.03.2011 mit einer Zusammenfassung eines Studienergebnisses zitiert wird: »Das Fünftel der Kinder, die am meisten von diesen Nahrungsmitteln bekamen, schnitt später 5 Punkte schlechter im IQ-Test ab als das Fünftel, das die wenigsten dieser Nahrungsmittel bekommen hatte.« 6 | Eine wissenschaftliche Erklärung besteht aus mehr als der Zusammenfassung von Daten und Fakten. Aussagen, die wissenschaftliche Erklärungen enthalten, thematisieren und erklären komplexe Zusammenhänge, zum Beispiel wenn ein Geophysiker in der Sächsischen Zeitung vom 18.03.2011 zusätzlich zur Nennung von Messergebnissen, die eine Verkürzung der Zeit für eine Erdumdrehung durch das Beben vor Japan belegen, erklärt, wie diese Verkürzung zustande kommt und welche Kräfte hierbei wirken. 7 | Beispielsweise formuliert Christian Meyer vom Bernard-Nocht-Institut für Tropenmedizin im Tagesspiegel vom 09.01.2011 das Risiko, Tropenkrankheiten könnten sich »im Rahmen von Klimaveränderungen weiter nach Norden ausbreiten«.
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und Chancen8? Übernehmen die Wissenschaftler Wertungen und spekulieren sie? Letzteres wäre beispielsweise der Fall, wenn die Forscher andere Akteure für bestimmte Entwicklungen verantwortlich machten (Verantwortungszuschreibung9), moralische Bewertung10 lieferten, alternative Handlungsoptionen11 vorschlagen oder Prognosen12 entwerfen würden. Die Inhaltsanalyse zeigt, dass die hier untersuchten Disziplinen überwiegend mit Aussagen in Medienberichten vorkommen, die wissenschaftlich-wertneutral sind (vgl. Abbildung 2). Alle untersuchten Disziplinen bieten in erster Linie wissenschaftliche Erklärungen (also Hintergrundinformationen auf wissenschaftlicher Basis) an. Dass die wissenschaftliche Erklärung so eindeutig im Vordergrund steht und eben nicht die bloße Nennung von Daten und Ergebnissen (welche im Durchschnitt aller beobachteten Disziplinen die dritthäufigste Funktion wissenschaftlicher Akteure in Medienberichten ist), weist darauf hin, dass die Einordnung durch wissenschaftliche Experten journalistisch erwünscht ist.
8 | Forscher vom KIT in Karlsruhe haben im Zusammenhang mit einer Untersuchung über Produktionsverfahren für Biokraftstoffe die Chance formuliert, »künftig möglichst viel Treibhausgas einzusparen« (Badische Neueste Nachrichten vom 29.03.2011). 9 | Der Mathematiker und Biometriker Gerd Antes macht beispielsweise die Politik für mangelnde Transparenz bei den Pharmakonzernen und Fehlinformationen der Bevölkerung in Bezug auf Grippeimpfungen verantwortlich: »Die Politik ignoriert aber publiziertes Wissen. Es existiert eine Unfähigkeit, mit Fakten umzugehen. Oder der Unwille dazu.« 10 | So bewerten die Philosophen Habermas und Nida-Rümelin in einem Aufruf, der Anfang 2011 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist, das Verhalten der EU im Kontext der Einführung des umstrittenen Mediengesetzes in Ungarn und schließen mit dem Satz: »In China wird zu Recht die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert. Aber im eigenen Haus sieht man sich nicht so genau auf die Finger. Das ist der Skandal im Skandal.« 11 | In einem Gastbeitrag »Europa ist noch zu retten« des Philosophen Julian Nida-Rümelin in der Süddeutschen Zeitung vom 13.01.2011 entwirft der Autor eine Alternative zum jetzigen Konzept der Europäischen Union: »Die ›willigen‹ Nationen schließen sich zu einem Kerneuropa zusammen, mit gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie vergleichbaren Standortbedingungen, einschließlich akzeptierter Mindestnormen der Sozial- und Kulturstaatlichkeit. Die gemeinsame Währung wäre dann eine logische Folge und keine problematische Hypothek.« 12 | In einem Interview in der taz vom 02.02.2011 beispielsweise spekuliert der Politologe Amr Hamzawy über den Fortgang des Arabischen Frühlings und prognostiziert unter anderem die »Entmachtung des Militärs« und eine randständige Rolle der Muslimbruderschaft im weiteren Verlauf.
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Abbildung 2: Funktionen wissenschaftlicher Aussagen Wissenschaftliche Erläuterungen/ Erklärungen
59% 34%
Thematisierung von Risiken Zahlen/Daten
26%
Bewertungen
25%
Prognosen
25% 20%
Lösungen
18%
Thematisierung von Chancen
16%
Verantwortungszuschreibung 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
n = 1116 Artikel, die wissenschaftliche Aussagenträger enthalten; Mehrfachcodierung möglich.
Im Vergleich der Disziplinen und Fachkulturen stechen hinsichtlich der Wahrnehmung der hier untersuchten Funktionen die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen Philosophie und Politikwissenschaft hervor. Beide Disziplinen tauchen vergleichsweise häufig mit wertenden Aussagen – also Einschätzungen und Meinungen – in der Medienberichterstattung auf. Diese Fächer fungieren in der Medienberichterstattung als Generalisten, die nicht nur den Forschungsstand im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen vorstellen, sondern solche Prozesse auch in einem erweiterten Kontext interpretieren. Häufiger als in anderen Disziplinen wird der wissenschaftliche Akteur dabei dann zum Kritiker und Kommentator, der Einschätzungen über moralische Implikationen sowie Leistungen und Fehlleistungen anderer Akteure (Verantwortungszuschreibung) liefert. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die naturwissenschaftlichen, lebenswissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen die hier unterschiedenen Aufgaben innerhalb der Medienberichterstattung auf ähnliche Weise übernehmen. Dies sind vorwiegend Aufgaben, die die wissenschaftliche Kompetenz der Forscher betreffen (Erläuterungen, Zahlen/Daten). Die Unterschiede – dass beispielsweise Akteure aus der Lebensmittelchemie häufiger Risiken thematisieren oder Geophysiker häufiger Prognosen liefern – können auf den jeweiligen Gegenstandsbereich zurückgeführt werden. Die Fachkulturen Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Ingenieurwissenschaften werden in der journalistischen Wahrnehmung mit ähnlichen Aufgaben konnotiert. Die Geistes- und Sozialwissenschaften scheinen in der Medienberichterstattung eine Sonderrolle einzunehmen, die als kritische Gesellschaftsbeobachtung beschrieben werden kann: Zahlen und Daten stehen hier weniger im Vordergrund, stattdessen liefern geistes- und sozialwissenschaftliche Akteure wesentlich häufiger als andere Akteure Bewertungen.
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Abbildung 3: Funktionen wissenschaftlicher Aussagen nach Fachkulturen
n = 1034; Artikel, die wissenschaftliche Aussagenträger enthalten und sich eindeutig einer Fachkultur zuordnen lassen; Mehrfachcodierung möglich.
4. B EEINFLUSSUNG VON F ORSCHUNGSPOLITIK IN UND DURCH M EDIEN Um herauszufinden, inwiefern Medien Instrumente zur wechselseitigen Beeinflussung von Politik und Wissenschaft sind, wurden die kommunikativen Handlungen in der Berichterstattung untersucht. Kommunikative Handlungen geben an, welcher inhaltliche Gehalt in einem Beitrag identifizierbar ist. Kommunikative Handlungen können sein: Handlungsempfehlungen, Kritik, Forderung, Würdigung, Beruhigung und Protest. Die Untersuchung unterscheidet mit ›Politik‹, ›Wirtschaft‹ und ›Bevölkerung‹ drei Adressatengruppen, an die sich kommunikative Handlungen aus der Wissenschaft richten können. Des Weiteren wurde erfasst, welche Richtung das Beeinflussungshandeln hat: von der Wissenschaft ausgehend oder auf Wissenschaft bezogen. Neben der Inhaltsanalyse wurden Interviews mit Entscheidern in Politik und Wissenschaft geführt, die ebenfalls Aufschluss über die Beobachtungs- und Beeinflussungskonstellation geben.13
13 | Insgesamt wurden 58 qualitative Interviews mit Entscheidern aus den Bereichen Wissenschaft (Hochschulen, außeruniversitäre Forschungsinstitute, Ressortforschung), Politik (z.B. Bundestagsfraktionen, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Wissenschaftsrat, Forschungsförderer) und Journalismus geführt.
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4.1 Wissenschaft als Ratgeber und Kritiker Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die Richtung der in Medien vermittelten Handlungen eindeutig ist: Sie gehen von der Wissenschaft aus – und sind kaum auf sie gerichtet. In der Medienberichterstattung werden nur sehr selten Forderungen an Akteure aus der Forschung gerichtet. Abbildung 4: Kommunikative Handlungen in der Medienberichterstattung
n = 489 Artikel mit Governance-Bezug; Mehrfachcodierung möglich
Hauptadressat des von der Wissenschaft ausgehenden Beeinflussungshandelns ist die Politik (vgl. Abbildung 4). Dabei spielen vor allem Handlungsempfehlungen, kritische Äußerungen und Forderungen (verstanden als intensive Form der Handlungsempfehlung) eine Rolle. Beispielsweise empfehlen Geowissenschaftler in einem Artikel vom 20.06.2011 auf Spiegel Online, dass die Politik sich statt auf Aufforstung besser darauf konzentrieren sollte, »den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken«. Basis dieser Aussage war eine aktuelle Studie, die gezeigt habe, dass Aufforstung eher wenig zum Welt-Klimaschutz beitragen kann. Im Artikel »Weltmeeren droht ein Massensterben« vom 21.06.2011, ebenfalls auf Spiegel Online, werden auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse explizit konkrete Maßnahmen zur Rettung der Meere gefordert. Wissenschaft artikuliert deutlich Erwartungen an Politik und tritt ihr gegenüber fordernd auf. Dies liegt insofern nahe, als politische Entscheidungen eine große Rolle bei der Ressourcenausstattung von Wissenschaft spielen. Hier zeigt sich aber auch, dass Politik ein beliebter Adressat für Empfehlungen und Forderungen ist – Politik soll es richten. Weniger oft richten sich kommunikative
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Handlungen in den untersuchten Berichten ausgehend von der Wissenschaft an die Bevölkerung. Hier liegt der Schwerpunkt auf Handlungsempfehlungen und Beruhigung. Zum Beispiel haben wissenschaftliche Akteure im Rahmen der EHEC-Berichterstattung immer wieder dazu aufgefordert, auf den Verzehr von Gurken und Salat zu verzichten; im Zusammenhang mit der Dioxin-Berichterstattung wurde die Bevölkerung vor allem beruhigt, indem Wissenschaftler zitiert wurden, die keine Gefahren bei normalen Essgewohnheiten erkannten. Äußerungen, die Akteure aus der Wirtschaft adressieren, sind sehr selten. Vergleicht man den Anteil, den Disziplinen aus unterschiedlichen Fachkulturen hier haben, so schreibt sich der oben genannte Trend fort. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sind am häufigsten mit kommunikativen Beeinflussungshandlungen in der Medienberichterstattung vertreten. Dabei zielen die von Politikwissenschaftlern und Philosophen artikulierten Handlungsempfehlungen und Kritiken vorwiegend auf politische Akteure. Die allgemeine Bevölkerung wird tendenziell eher von den lebenswissenschaftlichen Disziplinen Virologie und Agrarforschung angesprochen. Denkt man an medial intensiv diskutierte Ereignisse wie Grippeepidemien, den Dioxin-Skandal oder EHEC, wird deutlich, dass dies mit den Gegenstandsbereichen der Disziplinen begründbar ist, welche oftmals den menschlichen Alltag direkt tangieren. Deutlich seltener ist das mediale Beeinflussungshandeln an Vertreter aus der Wirtschaft gerichtet. Hierbei wiederum stehen – was aufgrund der Verzahnung zwischen Forschung/ Entwicklung und Wirtschaft in diesem Bereich nicht überrascht – die ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen Informatik und Rohstoffe/Recycling im Vordergrund. Auch die Agrarforschung (Lebenswissenschaften) sendet vergleichsweise häufig Empfehlungen an die Wirtschaft aus.
4.2 Medien sind Instrumente zur wechselseitigen Beeinflussung Hat die oben beschriebene Art der Einbindung wissenschaftlicher Aussagen in die Medienberichterstattung Einfluss auf forschungspolitische Entscheidungsprozesse? Die Entscheider-Befragung liefert dafür Hinweise. Alle bisher befragten Akteure, ob aus Wissenschaft oder Politik, sind sich einig: Medien widmen Forschung und Forschungspolitik heute deutlich mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Sie sind für die Befragten zu einem festen Bestandteil im wissenschaftlichen und politischen Alltag geworden. Dies bedeutet: Kontakte zu Journalisten und die Einflussnahme auf die Berichterstattung lassen sich als Handlungsoptionen in der Konstellation einsetzen. Diese Haltung stimmt mit der Selbstwahrnehmung von Wissenschaftsjournalisten überein. Die für diese Studie befragten Journalisten nehmen eine gesteigerte Nachfrage nach Themen über Forschung und Forschungspolitik wahr. Ein Journalist bringt dies auf den Punkt: »Es ist unbestritten, dass das Interesse an Themen aus der Wissenschaft bei Mediennutzern ganz allgemein gewachsen ist.« Medienvertreter nehmen an, dass konzentrierte journalistische Kritik politische Entscheidungen beeinflussen
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kann: »Wenn das Interesse der Journalisten an diesem Thema [Exzellenzinitiative] größer wäre, könnte man die Politik auch dahin bewegen, dort einiges zu verändern und noch einmal über solche Wettbewerbe nachzudenken«, meint eine der befragten Journalistinnen bei einer regionalen Tageszeitung. Allerdings sind einige Journalisten eher skeptisch, was Handlungsfolgen in Bezug auf ihre Berichte angeht. So bezweifelt ein Journalist bei einer Wissenschaftssendung im Hörfunk, »dass Wissenschaftsjournalismus auf die Politik einen wirklich großen Einfluss hat«. Akteure aus der Wissenschaft argumentieren hier optimistischer. Sie meinen, dass über die Medienagenda die Themen der Forschungspolitik beeinflussbar sind, insbesondere, wenn es gelingt, Themen in überregionalen Qualitätsmedien zu platzieren. Dies ist ein starkes Indiz für Medialisierung. Die Berichterstattung hat aus der Sicht der Wissenschaft Einfluss auf die forschungspolitische Agenda. Davon gehen alle bisher befragten Akteure aus. Dies unterstreicht die Rolle der Medien in der Governance-Konstellation. Die beschriebene Entwicklung vollzieht sich nicht hinter dem Rücken der Beteiligten, sondern alle scheinen zu erkennen und zu reflektieren, wie die Konstellation funktioniert. Die Aussagen der Interviewpartner belegen mehrfach, dass jeder dabei seine Rolle bewusst wahrnimmt – und sieht, wie andere ihre Rollen spielen. Der Vorstand einer außeruniversitären Forschungseinrichtung aus dem Bereich Lebenswissenschaften sieht einen Einfluss von Berichterstattung auf forschungspolitische Entscheidungen und erläutert dies an einem Beispiel: Die negativ konnotierte Berichterstattung über Themen wie »Dioxinskandal, Würmer in Fischen oder BSE«, führe dazu, dass »dort die Politik eine sehr zurückhaltende Position zur Förderung« habe. Um in der Konstellation einflussreich zu agieren, entwickeln alle Strategien – in dem Sinne, dass die befragten Akteure ihr (Kommunikations-)Handeln bezogen auf Journalismus und Massenmedien planen, um darüber eigene Ziele zu verfolgen. Wissenschaftliche Entscheider setzen auf konventionelle Pressearbeit, manche greifen direkt auf Kontakte zu Journalisten zurück. Beschrieben wird, wie in Form von Gastbeiträgen, Interviews oder Kommentaren eigene Positionen am besten publik gemacht werden. Die Reaktionen auf derartige Beiträge vonseiten anderer Akteure aus Wissenschaft und Politik würden zeigen, dass mit dieser Strategie Erfolge erreichbar sind. Der Vizepräsident für Forschung einer Universität erläutert, wie Einfluss auf Forschungspolitik ausgeübt werden kann: »Da initiieren Sie Interviews mit bestimmten Personen, die Sie kennen, und versuchen, über diese Interviews oder über wie auch immer geartete Berichte, die diese Journalisten schreiben, die Themen in einer Art und Weise zu beeinflussen, wie Sie glauben, dass Sie auch national gespiegelt werden sollen. Das geht aber grundsätzlich nur über Journalisten, die Sie kennen, und umgekehrt, die sie auch schätzen.«
Ein Interviewpartner aus der Akteursgruppe der Hochschulleitung sprach davon, dass Journalisten bestimmte Forschungsthemen unterstützen würden und
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damit auch das Entscheidungsverhalten von Forschungsförderorganisationen beeinflussten. Beispiele, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, sind Elektromobilität, Energiewende oder auch Nanotechnologie. Diese Themen seien medial sehr gut zugänglich und daher auch stark publik gemacht worden, was Rückwirkungen auf Politik und Forschungsförderung gehabt habe. Diese Form der Instrumentalisierung von Medien durch Akteure aus der Wissenschaft in forschungspolitischen Debatten registrieren auch politische Akteure (nicht immer wohlwollend). Medienvertreter erkennen ihre Rolle in der skizzierten Konstellation ebenfalls. Eine Wissenschaftsjournalistin aus dem Hörfunk führt aus: »Ganz prinzipiell gesehen spielen Wissenschaftsjournalisten da schon eine Rolle, weil Forschungsförderung auch davon beeinflusst wird, wie häufig der Name [eines Forschers] in den Medien auftaucht.« Einen solchen Einfluss weisen die meisten befragten Entscheider aus der Forschungsförderung zurück. Allerdings konstatieren sie aus ihrer Sicht ebenfalls einen – wenn auch eingeschränkten – Einfluss der Medienberichterstattung auf Forschungspolitik. Zum einen sei erfolgreiche Wissenschaftskommunikation, das versichern verschiedene Interviewpartner, inzwischen ein Kriterium zur Beurteilung der geförderten Projekte, zum anderen würden sich vor allem Akteure aus der Politik, aber auch Wissenschaftler an der medialen Berichterstattung orientieren. Die eigene Position in dieser Konstellation deuten Entscheider aus der Forschungsförderung so, dass sie die Wissenschaft gegenüber Ansprüchen von außen – sei es vonseiten der Politik, sei es von Ansprüchen der Medien – verteidigen. Der Leiter einer Förderorganisation erklärte die Gewährleistung wissenschaftlicher Autonomie zum »Prinzip, nach dem wir antreten«.
5. M EDIALISIERUNG FORSCHUNGSPOLITISCHER E NTSCHEIDUNGSPROZESSE Die Untersuchung legt nahe, dass Wissenschaft und Politik intensiv die Medienberichte über Forschung und Forschungspolitik beobachten. Oft werden die Medieninhalte hierzu systematisch ausgewertet. Nahezu alle Interviewpartner geben an, dass die Bedeutung medialer Präsenz zugenommen hat und eine wichtige Aufgabe und Herausforderung für die eigene Institution darstelle. Auf die Frage, weshalb Medienpräsenz denn wichtig sei, antworteten die Befragten einhellig, dass die eigene Arbeit (weil mindestens zum Teil öffentlich finanziert) auch öffentlich legitimiert werden müsse. Und der »Legitimationsdruck, den die Gesellschaft auf die Politik ausübt, wächst« – so ein Interviewpartner aus dem Wissenschaftsrat im Gespräch. Neben dem Gesichtspunkt der Legitimation können als weitere Motive für zunehmende Medienpräsenz Auf klärung, Imagearbeit und Transparenz ausgemacht werden. Medienpräsenz als Voraussetzung und Indikator für Medialisierung wird von allen befragten Gruppen konstatiert. Gelegentlich sehen Wissenschaftler diese Entwicklung als zweischneidiges Schwert.
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Zu ihrer individuellen Medienstrategie gehört nicht selten, Medienpräsenz eher zu vermieden. Einige aktive Forscher kritisieren Kollegen, die sehr oft als Experten in den Medien auftreten, sich zu unbedacht äußerten und zum Teil Meinungen zu Themen vertreten, für die sie wissenschaftlich nicht einschlägig seien. Der Präsident einer Fachgesellschaft fand es beispielsweise »nicht positiv, wenn einzelne Kollegen, die sehr fotogen sind, dann zu jedem und allem irgendwie ihre Meinung äußern, auch wenn sie nicht wirklich Spezialisten auf dem Gebiet sind.« Einige Befragte haben negative Erfahrungen mit der Medienberichterstattung über die eigene Institution gemacht. Ein Beispiel ist die Berichterstattung über die Exzellenzinitiative, in der vor allem Nicht-Geförderte zu wenig Differenzierung sehen und eine zu starke Zuspitzung der Informationen auf eine Gewinner-Verlierer-Rhetorik bemängeln. Die befragten Entscheider reflektieren das Zustandekommen der Berichterstattung und haben zum Teil sehr konkrete Vorstellungen davon, welchen Imperativen Journalisten bei der Konstruktion der Berichte folgen und welche Mechanismen den journalistischen Prozess beeinflussen. Medialisierung ist damit für die an Forschung und Forschungspolitik Beteiligten kein Prozess, der sich hinter ihrem Rücken vollzieht, sondern etwas, das sie sehenden Auges verfolgen und woran sie sich aktiv beteiligen. Wie sehr die Mechanismen der Medien Akteuren aus Politik und Wissenschaft vertraut sind, belegen zahlreiche Aussagen der Interviewpartner. Sie haben sehr differenzierte Vorstellungen davon, in welchen Punkten man den Journalisten entgegenkommen muss, um Medienpräsenz zu erzielen. Dazu zählen die Bereitschaft, kurzfristig für Interviews zur Verfügung zu stehen, zeitraubende Hintergrundgespräche zu führen, die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in pointierte Aussagen zu übersetzen sowie mediengerechte Visualisierungen. Diese Wahrnehmung deckt sich weitgehend damit, was die befragten Journalisten über ihre Anforderungen an Experten aus der Wissenschaft berichten. Die Medialisierung von Wissenschaft und Politik zeigt sich mithin darin, dass diese Bereiche sich den medialen Erwartungsstrukturen anpassen. Ohne Medialisierung keine relevante öffentliche Aufmerksamkeit – und damit auch keine Möglichkeit, Entscheidungen zu beeinflussen – so lässt sich die Haltung beschreiben. Die Beobachtungskonstellation ist Voraussetzung für eine Beeinflussungskonstellation.
5.1 Medialisierte Konstellationsstrukturen Die befragten Entscheider beobachten Veränderungen der Konstellationsstruktur. Zwar werden, fragt man nach den relevanten forschungspolitischen Organisationen in Deutschland, stets die bekannten zentralen Akteure genannt: Bund und Länder, Beratungsorganisationen (z.B. Wissenschaftsrat, Expertenkommission Forschung und Innovation), Forschungsförderer (DFG, BMBF, Stiftungen), universitäre (Universitäten, Hochschulrektorenkonferenz) und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (HGF, MPG, WGL) sind die häufigsten Nennungen.
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Jedoch betonen einige Akteure, dass die Positionierung der Akteure sich verändert habe. So bietet der Zugang zu Massenkommunikation und damit Öffentlichkeit neue Ressourcen in der Konstellation. Dies führt nach Meinung der meisten Interviewpartner dazu, dass sich alte Machtverhältnisse verändern und beispielsweise die Position von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gegenüber politischen Entscheidern gestärkt wurde. Andere Aussagen aus den Interviews legen den Schluss nahe, dass Medienberichterstattung zudem Akteuren Einfluss (z.B. Themensetzung, öffentlicher Druck) auf forschungspolitische Entscheidungsprozesse ermöglicht, die traditionell nicht zur forschungspolitischen Akteurskonstellation zu zählen sind: NGOs und Studierende.
5.2 Medialisierte Er wartungsstrukturen Was die Erwartungsstrukturen angeht, erkennen fast alle Befragten an, dass Kompetenzen im Umgang mit Journalisten und Medien inzwischen zum Berufsprofil gehören. Von Akteuren aus der Politik war dies zu erwarten. Nunmehr bieten auch Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Ressortforschungsinstitute Medientrainings für ihre Mitarbeiter (auch im Bereich Forschung) an. Medienkontakte werden strukturell in den Organisationen verankert (vgl. dazu Marcinkowski/Kohring in diesem Band) und auf der Akteursebene professionalisiert. Die große Mehrheit der Befragten berichten vom Ausbau der institutionalisierten Öffentlichkeitsarbeit in Wissenschaft und Forschungsförderung – inklusive der Wissenschaftsjournalisten, die diesen Professionalisierungsschub begrüßen. Entscheider aus Wissenschaft und Forschungsförderung sehen diesen Prozess meist positiv und loben Verbesserungen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit ihrer jeweiligen Institution. Die Anpassung von Erwartungsstrukturen an eine mediale Logik wird von den Interviewpartnern auch als Möglichkeit wahrgenommen, sich in anderen Bereichen (vor allem Deutungsstrukturen) der medialen Logik zu widersetzen.
5.3 Medialisierte Deutungsstrukturen Eine Verinnerlichung der medialen Logik – also Auswirkungen auf Deutungsstrukturen – erkennen die befragten Akteure nicht. Zumindest nicht im funktionalen Kernbereich ihres Arbeitsbereiches. Sie betonen zwar, dass durch Medien zusätzliche Kriterien in bestehende informelle oder formelle Kataloge integriert würden, die auch in forschungspolitischen Entscheidungsprozessen relevant werden. Gleichzeitig wird aber herausgestellt, dass es sich hierbei in der Tat um zusätzliche Kriterien handle und dass diese weniger relevant sind als die jeweiligen wissenschaftlichen und politischen Handlungsorientierungen. Zum Beispiel berichten Entscheider aus der Forschungsförderung davon, dass eine positive mediale Resonanz von geförderten Forschungsprojekten auch ein Indikator zur Bewertung ihres Erfolgs darstelle, dass dieses Kriterium aber weit hinter ande-
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ren zurückfalle. Ausschlaggebend sei immer noch die wissenschaftliche Qualität: »Was über all diesem steht, ist Qualitätssicherung«, betont ein Vertreter aus dem Wissenschaftsrat. Wissenschaftliche Qualität werde durch Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und nicht durch Medienpräsenz belegt. Der Leiter einer Förderorganisation bringt das auf den Punkt: »Wenn Sie schlechte Forschung gut verkaufen, dann ist es nach wie vor schlechte Forschung. Das fördern wir nicht.« Akteure aus der Forschung verweisen im Zusammenhang mit Anpassungen an journalistische Anfordernisse zwar auf einige schwarze Schafe, die ihrer Ansicht nach mediale Kriterien zu sehr verinnerlicht hätten. Dies geschehe mitunter auf Kosten der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit und sei auch deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil mediale Hypes zwar kurzfristige Förderspitzen von Forschungsfeldern hervorrufen würden, die langfristige Karriereplanung damit aber gefährdet sei. Medienpräsenz ist kein harter Faktor für wissenschaftliche Reputation. Ein Interviewpartner aus der Hochschulleitung beispielsweise betont: »Also wenn Sie in einem wettbewerblichen Verfahren sind, wird immer zuerst die Qualität gemessen werden und die können Sie nicht durch Fernseh-Interviews oder durch Artikel in Wissenschaftsmagazinen kompensieren. Da müssen Sie Originalpublikationen vorlegen und richtig durch Qualität überzeugen.«
Am ehesten lassen sich Medienanpassungen im Darstellungsbereich der Wissenschaft finden: Forscher lernen, Pressemitteilungen zu schreiben, passen ihren Sprachstil medienkonform an und fügen ihren Aussagen mediengerechte Bilder hinzu. Auch die politischen Akteure trennen zwischen marginalen Anpassungen an eine mediale Logik, die notwendig seien, um die Bevölkerung zu erreichen, und einem politischen Kern der Entscheidungsprozesse, bei denen eine mediale Logik keine Rolle spielt. Ein Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung führt dazu aus, »dass man sich dieser Medienlogik anpasst, ohne die eigenen Kriterien zu verletzen«.
6. F A ZIT Das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an Forschung und Forschungspolitik hat laut der befragten Wissenschaftsjournalisten zugenommen. Damit ist die mediale Beobachtung von Forschung und Forschungspolitik intensiver geworden (vgl. auch Elmer et al. 2008). In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob es sich um einen pull-Prozess handelt, bei dem die Nachfrage des Medienpublikums mehr Wissenschaftsberichterstattung provoziert, oder um einen push-Prozess, bei dem eine Ausweitung des Angebots die Nachfrage erst erzeugt. Festzuhalten ist: Es gibt mehr Berichterstattung über Forschung und Forschungspolitik in aktuellen Medien.
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Forschung wird quer über alle Ressorts in die Berichterstattung eingebunden und es werden alle Fachkulturen in der Berichterstattung abgedeckt. Die Hauptaufgabe von Forschung in der Medienberichterstattung besteht darin, wissenschaftliche Erklärungen, Risikobewertungen und Forschungsergebnisse in Form von Daten oder Fakten zu liefern. Allein die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen Philosophie und Politikwissenschaft stechen hervor: Sie sind intensiv in die Berichterstattung über gesellschaftspolitische Themen, Probleme und Streitfragen eingebunden und liefern hier – entgegen dem eindeutigen Trend bei den anderen Fachkulturen – wesentlich häufiger auch normative Bewertungen. Geistes- und Sozialwissenschaften dominieren zusammen mit Lebenswissenschaften (oft Medizin) die Forschungsberichterstattung. Inwieweit dies Effekte für ihren jeweiligen Medialisierungsgrad im Vergleich zu Natur- und Ingenieurwissenschaften hat, müssen weitere Auswertungen untersuchen. Die befragten Entscheider aus Politik, Wissenschaft und Journalismus nehmen die Medienberichterstattung als wichtigen Einflussfaktor in der forschungspolitischen Governance-Konstellation wahr. Medien werden als Instrumente zur wechselseitigen Beobachtung und Beeinflussung betrachtet. Forschungspolitische Entscheidungen fallen damit auch mit Blick auf Medien als Repräsentanten von Öffentlichkeit. Dementsprechend geben alle Befragten an, die Berichterstattung über Forschung und Forschungspolitik intensiv und systematisch zu beobachten. Medien werden genutzt, um das öffentliche Bild der eigenen Institution zu reflektieren und kontrolliert zu gestalten. Auch die Medienauftritte anderer Akteure in der Konstellation werden beobachtet. Ein weiteres Interesse besteht darin, zu erfahren, welche Themen und Standpunkte in Bezug auf Forschung und Forschungspolitik wie öffentlich diskutiert werden. Schließlich gilt Medienpräsenz allen Befragten als Instrument für die öffentliche Legitimation von Wissenschaft und Politik. Die Interviewpartner geben an, dass die Beobachtung der Medienberichterstattung zu konkreten Handlungen führen kann – diese können von persönlichen Gesprächen (z.B. Rückfragen bei zitierten Akteuren) über PR-Aktionen (z.B. Pressemeldungen) bis hin zur persönlichen Teilhabe am medialen Diskurs (z.B. Gastbeitrag) reichen. Was die Beeinflussung über Medienberichterstattung betrifft, kann zwischen direkten Einflussversuchen durch publizierte kommunikative Handlungen und indirekten Einflussnahmen durch die Veröffentlichung der eigenen Perspektive auf ein Thema unterschieden werden. Kommunikative Handlungen innerhalb der untersuchten Medienberichte gehen fast ausschließlich von Akteuren aus der Wissenschaft aus. Hierbei stehen Handlungsempfehlungen, Kritik und Forderungen an die Politik im Vordergrund. Einflussnahme bedeutet aber nicht unbedingt die direkte Ansprache von Missständen oder Aufforderungen zum Handeln, sondern soll – das betont der Großteil der Interviewpartner – hauptsächlich durch die Veröffentlichung wichtiger Themen, Argumente, Standpunkte und Perspektiven geschehen. Besonders relevant seien persönliche Kontakte zu Jour-
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nalisten, die dazu genutzt werden könnten, die eigene Perspektive z.B. in Form von Interviews, Gastbeiträgen oder Kommentaren massenmedial zu verbreiten. Die befragten Entscheider thematisieren Anpassungen auf Organisations- und Akteursebene, die dazu dienen, den eigenen Zugriff auf die Medienberichterstattung zu optimieren. Dazu zählen in erster Linie der Ausbau und die Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit und die Institutionalisierung von speziellen Weiterbildungsprogrammen, aber auch eine Öffnung der Akteurskonstellation in Richtung von Akteursgruppen, die bisher eher wenig Einfluss auf Forschungspolitik hatten, sowie auch teilweise Anpassungen im Bereich von Berufsnormen und der Funktionsweise bestimmter Organisationen und Akteure. Letzteres trifft allerdings lediglich auf die Randbereiche der jeweiligen Funktionssysteme zu. Das heißt, dass Forscher zwar z.B. die grafische Aufbereitung von Daten gemäß einer medialen Logik verinnerlichen können, dass aber die wesentlichen Kriterien wissenschaftlicher Qualität davon unberührt bleiben. Ähnliches gilt für die Akteursgruppen der Forschungspolitiker und Forschungsförderer. Die befragten Akteure führen solche Medialisierungsprozesse auf die Relevanz von Medien und Journalismus in der forschungspolitischen GovernanceKonstellation zurück. Die Akteure nehmen einen Einfluss der Medienberichterstattung bei sich selbst und bei anderen wahr und gehen davon aus, dass die in der Konstellation aktiven Akteure versuchen, über Medien Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nehmen. Damit ist schon die Antizipation der Entscheider ein Motor der beobachteten Medialisierungsprozesse. Wissenschaft und Politik beobachten sich via Medien gegenseitig. Was sie dabei sehen, ist ein relevantes Merkmal der forschungspolitischen Governance-Konstellation. Die Beobachtung ist Basis für Beeinflussung – die Darstellung von Wissenschaft in Medien wird so gestaltet, dass damit auch forschungspolitische Absichten verknüpft sind. Politik ist Adressat von Wissenschaft in Medien; umgekehrt gilt dies nicht: Die Forschungspolitik tritt in Medien der Wissenschaft gegenüber kaum fordernd auf. Die Medien sind auf indirekte Art an dem Governance-Prozess beteiligt. Ihr Eigensinn, die Logik und Routinen ihrer Operationen nötigen Wissenschaftler und Forschungspolitiker einerseits zur Anpassung an die medialen Mechanismen; sie eröffnen andererseits Chancen, die Medienlogik als Ressource im Governance-Prozess zu nutzen.
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Medialisierung der Neurowissenschaften Bedeutung journalistischer Medien für die Wissenschafts-Governance Hans Peter Peters, Joachim Allgaier, Sharon Dunwoody, Yin-Yueh Lo, Dominique Brossard, Arlena Jung
1. E INLEITUNG Wissenschaftler nutzen journalistische Medien, um Forschungsergebnisse und Expertise an Zielgruppen außerhalb der Wissenschaft zu vermitteln, aber auch, um die ›Meta-Botschaft‹ eigener Relevanz und Exzellenz an Adressaten außerhalb (und möglicherweise auch innerhalb) der Wissenschaft zu kommunizieren. Während wissenschaftliches Wissen an potenzielle Nutzer und Interessenten über alle möglichen Kommunikationsformen vermittelt werden kann – häufig sogar effektiver als über journalistische Medien – beruht die Effektivität der journalistischen Vermittlung dieser Meta-Botschaft auf der gesellschaftsweiten Unterstellung, dass das, was in den journalistischen Medien zu finden ist, als ›relevant‹ markiert ist und allgemeine Aufmerksamkeit verdient. Unsere zentrale These ist, dass Wissenschaftsjournalismus daher nicht nur von Bedeutung für die Dissemination von Informationen an ein breites Publikum ist, sondern ebenfalls eine wichtige Rolle in der Wissenschafts-Governance spielt, indem gesellschaftliche Relevanzen und normative Erwartungen aus strategischem Kalkül bei den Entscheidungen wissenschaftlicher und im weitesten Sinne ›wissenschaftspolitischer‹ Akteure einbezogen werden bzw. subtil deren intuitive Relevanzwahrnehmungen beeinflussen. Nach Kohring (1997) ist Wissenschaftsjournalismus die Beobachtung der Wissenschaft nach eigenen journalistischen Kriterien, die sich an außerwissenschaftlicher Relevanz orientieren. Daraus lässt sich die Erwartung ableiten, dass wissenschaftliche Ereignisse und Erkenntnisse in den journalistischen Medien außerwissenschaftlich kontextualisiert werden, d.h. unter den Beobachtungsperspektiven anderer gesellschaftlicher Teilsysteme bzw. des ›Alltags‹ dargestellt und mit den Erwartungen von Akteuren aus der gesellschaftlichen Umwelt der Wissenschaft konfrontiert werden.
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Medien sind nach dieser Annahme für Wissenschaftler und wissenschaftliche Organisationen in doppelter Hinsicht von Bedeutung: rezeptiv als Mittel der Umweltbeobachtung, bei der relevante wissenschaftsexterne Erwartungen ins Blickfeld der Wissenschaft geraten, zu denen man sich verhalten muss, und instrumentell als Mittel der Beeinflussung der Wissenschaftsbeobachtung anderer gesellschaftlicher Systeme und Akteure durch geeignete Selbstdarstellung in den Medien. Wer sind nun aus Sicht der Wissenschaftler ›relevante Akteure‹, in deren Umweltbeobachtung man Aufmerksamkeit erzeugen will? Dies variiert natürlich mit der jeweiligen Situation und der Art der Forschung. In erster Linie gehören zu den relevanten Akteuren aber diejenigen, die über Ressourcen und Regulation entscheiden: Ministerien, Projektträger, Förderorganisationen, vermutlich nicht zuletzt auch die Leitung der eigenen Universität oder Forschungseinrichtung – also wissenschaftspolitische Akteure im weitesten Sinne. Aber auch potenzielle Studenten, Patienten und Versuchspersonen zählen dazu. Weingart (2001; 2012) hat mit seiner These der »Medialisierung der Wissenschaft« auf die zunehmende Medienorientierung von Wissenschaftlern hingewiesen. Danach werden mediale Kriterien zunehmend auch innerhalb der Wissenschaft relevant und konkurrieren mit der genuin wissenschaftlichen Logik. In den sich an diesem Paradigma orientierenden empirischen Studien wurde die Variabilität von Formen und Intensität der Medialisierung in Abhängigkeit von der Art der Interdependenz zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Umwelt gezeigt (vgl. Schäfer 2007; Peters 2012b; Franzen/Rödder 2012, in diesem Band). Außerdem wurden die katalysierenden Funktionen von Wissenschaftsorganisationen, medialisierter Politik (vgl. Petersen et al. 2010; Peters 2008b) und von hochrangigen und auf einen über den Spezialistenkreis hinausreichenden »Impact« bedachten Journals wie Science und Nature (vgl. Franzen 2011) deutlich. Die erwartete Medienorientierung von Wissenschaftlern beruht dabei potenziell auf zwei Anreizmechanismen: (1) auf der wahrgenommenen Notwendigkeit der Anpassung der eigenen Forschung bzw. ihrer öffentlichen Darstellung (oder Nichtdarstellung) an die in den Medien gespiegelten externen Erwartungen, z.B. um frühzeitig Konfliktanlässe zu erkennen und Konflikte zu vermeiden, und (2) auf der Anpassung der eigenen Forschung und ihrer öffentlichen Darstellung an die Erwartungen der medialen Logik, um die Selektivität der Medien zu bedienen und (positive) öffentliche Sichtbarkeit der eigenen Forschung, der eigenen Person, des eigenen Instituts oder der eigenen Wissenschaftsorganisation zu erzielen und damit in der medial vermittelten Umweltbeobachtung relevanter Akteure als relevant und erfolgreich zu erscheinen. Beides informiert sowohl wissenschaftliche Akteure als auch Akteure im wissenschaftspolitischen Umfeld (vor allem Förderer und Wissenschaftspolitik) darüber, welche Aktivitäten gesellschaftlichen ›Impact‹ haben, und an welchen Stellen sich Konflikte mit der gesellschaftlichen Umwelt entwickeln. Das mediale Feedback und seine Effekte in der Wissenschaft und in der gesellschaftlichen Umwelt der Wissenschaft lassen vermuten, dass Medien Interdependenzen zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Umwelt
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schaffen, die für die Wissenschaftsgovernance eine wichtige Randbedingung darstellen, da die medialen Konstrukte an wissenschaftsexternen Relevanzkriterien orientiert sind, und Einflüsse von Stakeholdern sowie Erwartungen des Medienpublikums spiegeln. Die unseren empirischen Erhebungen zugrunde liegende Erwartung ist daher, dass sich wissenschaftliche Akteure neben anderen Kriterien auch am medialen Feedback orientieren – und zwar potenziell in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung, in der Planung und Gestaltung von Forschung und in der innerwissenschaftlichen Kommunikation. Außerdem erwarten wir, dass diejenigen Akteure, die die materiellen, organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen für Forschung bereit stellen, sich dabei ebenfalls (unter anderem) vom öffentlichen Bild der entsprechenden Forschung bzw. der Medienpräsenz der Forscher leiten lassen. Letzteres analysieren wir allerdings nicht direkt sondern als Wahrnehmung entsprechender Effekte durch Wissenschaftler. In diesem Beitrag untersuchen wir diese Prozesse beispielhaft an den Neurowissenschaften, die in den Medien zunehmende Aufmerksamkeit finden und deren öffentliche Thematisierung und Selbstdarstellung vielfach kritisiert wird (vgl. Gonon 2012; Racine 2010; Illes 2010; O’Connell 2011; Heinemann 2012; Caulfield 2010). Die empirischen Erhebungen sind international vergleichend angelegt (Deutschland vs. USA), wobei der Schwerpunkt dieses Beitrags allerdings nicht auf dem internationalen Vergleich liegt. Basierend auf den Annahmen einer unsichereren und stärker auf Drittmitteln beruhenden Finanzierungssituation für biomedizinische Forschung in den USA und einem geringeren Professionalisierungsgrad der deutschen öffentlichen Wissenschaftskommunikation (vgl. Peters 2012a) erwarten wir in den USA im Vergleich zu Deutschland eine stärkere Medialisierung der Wissenschaft und damit eine größere Bedeutung von Medien für die Wissenschafts-Governance.
2. E MPIRISCHE E RGEBNISSE Die nachfolgend beschriebenen Ergebnisse beruhen auf mehreren empirischen Erhebungen. Diese umfassen eine Inhaltsanalyse von 800 Artikeln aus der deutschen und US-amerikanischen Print- und Online-Berichterstattung über neurowissenschaftliche Forschung1 , 30 Leitfadeninterviews mit Neurowissenschaftlern 1 | Die Inhaltsanalyse basiert auf einer Stichprobe der deutschen und amerikanischen journalistischen Berichterstattung über Neurowissenschaften in Printmedien (einschließlich einiger Online-Medienauftritte) mit einem Schwerpunkt auf den wichtigsten Meinungsführermedien. Ausgewählt wurden mit einem geschichteten Stichprobenansatz aus äquivalenten deutschen und US-Medien je 400 Artikel mit Bezug zur Neurowissenschaft, die 2010 erschienen waren. Das Codierbuch umfasst u.a. Kategorien zur Art der berichteten Forschung, zur Kontextualisierung der Forschung, zu den vorkommenden Akteuren sowie zu
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in Deutschland und in den USA 2 , zwei standardisierte Online-Befragungen von deutschen und US-amerikanischen Neurowissenschaftlern zur Nutzung und Einschätzung verschiedener Medien sowie zu medienbezogenen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Orientierungen3 und eine qualitative Inhaltsanalyse von Pressemitteilungen über neurowissenschaftliche Forschung, die von deutschen und US-amerikanischen Universitäten und Forschungseinrichtungen herausgegeben wurden.
Unsicherheit, Einflussversuchen und Bewertungen von Forschung und Anwendungen. Etwa ein Drittel der Artikel wurde doppelt codiert, um eine Überprüfung der Intercoder-Reliabilität zu ermöglichen. Die Reliabilitätswerte (Cohens Kappa) variieren in Abhängigkeit von der Art des Kategoriensystems und liegen meist im Bereich des Intervalls (0,41-0,60), das von Landis und Koch (1977) als »moderate« bezeichnet wird; teilweise liegen sie aber auch im Bereich »fair« (0,21-0,40). Allerdings wurden alle Artikel ungeachtet ihrer Sprache in eine Zufallsreihenfolge gebracht und nach dem Zufallsprinzip auf die zweisprachigen Codierer verteilt, so dass die bei interpretationsabhängigen semantischen Kategorien trotz Schulung noch verbliebenen Diskrepanzen in der Anwendung der Kategorien durch die verschiedenen Codierer nicht zu einem systematischen Bias beim Vergleich von Teilstichproben (z.B. der deutschen und US-amerikanischen Berichterstattung) führen. 2 | Befragt wurden 2011-2012 Neurowissenschaftler in Deutschland und den USA, die mit der Planung und Durchführung von Forschung befasst sind und fast alle über eigene Erfahrungen mit den Medien verfügen. Der Leitfaden erstreckt sich auf zwei Themenbereiche: (1) Planung und Durchführung der Forschung und dabei zu berücksichtige Faktoren sowie (2) Bedeutung öffentlicher Sichtbarkeit und die Wahrnehmung öffentlicher Erwartungen. 3 | Die beiden Online-Befragungen wurden mit verschiedenen, aber gleich konstruierten Stichproben durchgeführt. Sie basieren jeweils auf Zufallsauswahlen von Autoren von Publikationen in internationalen neurowissenschaftlichen Zeitschriften. Bei der ersten Befragung 2010 ging es um den Vergleich klassischer journalistischer Medien und ›neuer Medien‹ (Blogs und soziale Netzwerke) in Bezug auf Mediennutzung und der zugeschriebene Wirkungspotenziale auf öffentliche Meinung und wissenschaftspolitische Entscheidungen. Befragt wurden etwa 260 Wissenschaftler; die Ausschöpfungsraten betrugen 33 % (Deutschland) bzw. 21 % (USA) nach E-Mail-Einladung und bis zu drei ErinnerungsE-Mails (vgl. Allgaier et al. 2013). Bei der zweiten Befragung 2011-2012 wurden etwa 460 deutsche und US-amerikanische Neurowissenschaftler zu ihren Wahrnehmungen, Erfahrungen und Orientierungen im Verhältnis zum Journalismus bzw. zu den Massenmedien befragt. Das deutsche Subsample stammt aus einer umfassenderen Befragung deutscher Wissenschaftler aus 16 verschiedenen Fächern, darunter Neurowissenschaft (vgl. Peters et al. 2012). Für den Vergleich wurde eine äquivalente Stichprobe von US-amerikanischen Neurowissenschaftlern mit dem ins Englische übersetzten und etwas gekürzten Fragebogen befragt. Die Ausschöpfungsraten betrugen 32 % (Deutschland) und 16 % (USA) nach Einladungs-E-Mail und bis zu fünf (Deutschland) bzw. vier (USA) E-Mail-Erinnerungen.
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Medienvermittelte Beobachtung der sozialen Umwelt der Neurowissenschaft Nimmt man an, dass Wissenschaftler die für sie relevante soziale Umwelt unter anderem über die Medien beobachten, stellt sich die Frage, welche Medien sie dafür heranziehen. Die Unterstellung, dass es sich dabei hauptsächlich um journalistische Meinungsführermedien – also z.B. um überregionale Tages- und Wochenzeitungen sowie politische Nachrichtenmagazine handelt – ist unter Verweis auf die wachsende Bedeutung von Blogs und virtuellen sozialen Netzwerken nicht mehr unumstritten (vgl. Chafe 2011; Brossard 2012). Unsere Befragung der deutschen und amerikanischen Neurowissenschaftler über ihr Mediennutzungsverhalten und das verschiedenen Medien unterstellte Wirkungspotenzial zeigt jedoch, dass die klassischen journalistischen Medien, allerdings einschließlich ihrer OnlineVarianten, nach wie vor die von Neurowissenschaftlern am häufigsten genutzte (nicht-wissenschaftliche) Informationsquelle für »Nachrichten und Informationen über wissenschaftliche Themen« sind (vgl. Allgaier 2013). 94 % der amerikanischen und 98 % der deutschen Neurowissenschaftler gaben an, Informationen über wissenschaftliche Themen über Printmedien, Hörfunk oder Fernsehen zu rezipieren; im Vordergrund stehen dabei insbesondere Zeitungen mit überregionaler Bedeutung. Die erwähnten neuen Medien spielen quantitativ betrachtet (noch) eine sehr untergeordnete Rolle als routinemäßige Informationsquelle für Neurowissenschaftler; selbst populärwissenschaftliche Medien werden seltener als allgemein-informierende journalistische Medien als Informationsquelle über wissenschaftliche Themen genutzt. Die Befragung ergab auch, dass die oben genannten klassischen Meinungsführermedien nicht nur die höchsten Nutzungsraten aufweisen, sondern ihnen auch am häufigsten Effekte auf öffentliche Meinung und Entscheidungsträger zugeschrieben werden. Unsere Schlussfolgerung aus dieser Befragung ist daher, dass zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt die klassischen journalistischen Meinungsführermedien die medienvermittelte Umweltbeobachtung der Neurowissenschaftler dominieren und weiterhin die präferierten Orte für die öffentliche Selbstdarstellung sind. Die Inhaltsanalyse, mit der die von den Wissenschaftlern rezipierte mediale Beobachtungsleistung analysiert wurde, beinhaltet Indikatoren zur Kontextualisierung der Neurowissenschaften sowie Indikatoren, die explizit Aufschluss über die Kongruenz oder Inkongruenz der Neurowissenschaften mit normativen gesellschaftlichen Erwartungen geben. Von diesen Indikatoren nehmen wir an, dass sie die Forscher über gesellschaftliche Erwartungen an die Neurowissenschaften bzw. die von der gesellschaftlichen Umwelt wahrgenommene Erfüllung oder Nichterfüllung dieser Erwartungen informieren. Ein plausibler Medialisierungseffekt besteht im medialen Agenda Setting. Die öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte Forschungsthemen oder Probleme könnte die Einschätzung der Wissenschaftler hinsichtlich der Relevanz bestimmter Forschungsfragen beeinflussen und damit Einfluss auf die Forschungsagenda
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nehmen. Zwar ist mit unserem empirischen Ansatz kein medialer Agenda-SettingEffekt auf die Forschung, oder umgekehrt ein Einfluss der Selbstdarstellung der Forschung auf die mediale Agenda nachzuweisen, doch lässt sich durch die Inhaltsanalyse die mediale Agenda als potenzieller Einflussfaktor bei Unterstellung eines medialen Agenda-Setting-Effekts beschreiben. Die Klassifizierung der berichteten Forschung nach einer Vielzahl von Aspekten zeigt, dass in beiden Ländern über ein sehr breites Forschungsspektrum in den Medien berichtet wird. Berichtet wird sowohl über grundlagenorientierte Forschung zur Analyse der Funktionsweise des ungestörten neuronalen Systems (insbesondere des Gehirns) als auch über anwendungsorientierte Forschung mit medizinischer Zielsetzung. Anwendungsorientierte Forschung mit nicht-medizinischer Zielsetzung wird deutlich seltener thematisiert. Hinsichtlich der erwähnten neurowissenschaftlichen Forschungsmethoden gibt es zwei (sich überschneidende) Schwerpunkte: Neuroimaging (insbesondere die funktionelle Magnetresonanztomographie – fMRT) und experimentelle Verfahren. Eine Tabuisierung der Erwähnung der Verwendung von Versuchstieren in der Berichterstattung über Neurowissenschaften gibt es in beiden Ländern nicht. Zwar bezieht sich der größte Teil der Forschung auf Forschung mit menschlichen Versuchspersonen bzw. mit Patienten, doch wird in rund einem Viertel der Artikel (meist beiläufig) erwähnt, dass die Forschung Tierversuche beinhaltete, darunter in rund 5 % der Fälle Forschung mit Primaten. Interessanterweise gibt es aus den Leitfaden-Interviews mit den Neurowissenschaftlern (siehe unten) Hinweise darauf, dass zumindest manche Journalisten selbst zurückhaltend über die Verwendung von Tieren in der Forschung berichten – wenn Tierversuche nicht das eigentliche Thema sind – und emotionalisierende Bilder vermeiden, um ihr Publikum nicht zu schockieren. Eine Rezeptionsstudie zeigte in der Tat, dass selbst relativ harmlose Fernsehbilder von Tierversuchen bei Teilen des Medienpublikums zu heftigen emotionalen Reaktionen und Vermeidungsreaktionen (z.B. Abwenden vom Fernsehgerät, Hände vor die Augen halten) führen (vgl. Peters 2003). In der Berichterstattung über neurowissenschaftliche Anwendungen stehen medizinische Anwendungen gegenüber den potenziell konfliktträchtigeren nichtmedizinischen Anwendungen bei weitem im Vordergrund. Alzheimer ist die in beiden Ländern am häufigsten erwähnte Erkrankung, mit der sich die berichtete medizinisch relevante Forschung befasst. Aber ein ganzes Spektrum an weiteren neurologischen Erkrankungen – Depression, Parkinson, Multiple Sklerose, Autismus, ADHS, Hirnverletzungen – kommen ebenfalls vor. Die Grundstruktur der Berichterstattung ist in beiden untersuchten Ländern sehr ähnlich, doch gibt es einige Unterschiede, vor allem einen deutlich höheren Anteil an Grundlagenforschung in Deutschland und einige Unterschiede bei den erwähnten Krankheiten. Psychologische Traumata und Hirnverletzungen werden deutlich häufiger in der US-Berichterstattung erwähnt; dies dürfte zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass solche Erkrankungen häufig Soldaten betreffen, die bei militärischen Einsätzen verletzt bzw. traumatisiert wurden. Aber auch Autismus wird in den US-Medien häufiger erwähnt als in der deutschen Berichterstattung.
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Bei der Inhaltsanalyse wurden die Kontexte – z.B. Wissenschaft, Wirtschaft, Medizin, Recht, Ethik Politik/Regulation – kodiert, in denen Neurowissenschaft dargestellt wird, und zwar zunächst der dominante Kontext und dann alle anderen ebenfalls angesprochenen Kontexte. Die in beiden Ländern am häufigsten vorkommenden Kontexte (aus einer Liste von insgesamt 13 möglichen Kontexten) sind Wissenschaft, Medizin und Alltag (vgl. Abbildung 1). Der mit Abstand wichtigste Kontext ist Wissenschaft – in 54 % der amerikanischen und 68 % der deutschen Artikel ist Wissenschaft der dominante Kontext und nur in wenigen Artikeln wird dieser Kontext nicht angesprochen. Es folgen nach Häufigkeit geordnet die Kontexte Medizin und Alltag. Der Vergleich der beiden Länder zeigt eine stärkere wissenschaftliche Kontextualisierung der Neurowissenschaft in der deutschen Berichterstattung und eine entsprechend stärkere außerwissenschaftliche Kontextualisierung in den US-Medien. Entsprechend findet sich in deutschen Medien auch ein erheblich höherer Anteil der identifizierten Artikel auf Wissenschaftsseiten oder -rubriken als in der der US-Berichterstattung (60 % gegenüber 34 %), was nicht auf den Stichprobenansatz zurückzuführen ist. Die Kontexte, bei denen man erwarten würde, dass sie für Governance-Effekte besonders bedeutsam sind, insbesondere also Politik/Regulation, Recht, Ethik/Moral und öffentliche Meinung, kommen kaum als dominante Kontexte vor und werden als Nebenkontexte nur in einem kleinen Anteil der Artikeln verwendet, und zwar häufiger in der amerikanischen als in der deutschen Berichterstattung. Ein weiterer Indikator für Kontextualisierung ist, welche individuellen und institutionellen Akteure in der Berichterstattung über Neurowissenschaft in Erscheinung treten. Unterschieden wurde dabei zwischen dem Auftreten als Kommunikator, dessen Äußerungen oder Meinungen in den Artikeln zitiert oder referiert werden, und dem Auftreten als Handlungsträger, über dessen Entscheidungen und Handlungen berichtet wird. Beide Gruppen überschneiden sich, d.h. in vielen Fällen wird in den Artikeln sowohl über Entscheidungen/Handlungen von Akteuren berichtet, als auch kommen diese Akteure zu Wort. Entsprechend der dominanten wissenschaftlichen Orientierung der analysierten Artikel stammen sowohl die meisten erwähnten Kommunikatoren als auch Handlungsträger aus dem weiteren Bereich der Wissenschaft, speziell aus dem Bereich Neurowissenschaft bzw. allgemeiner aus dem biomedizinischen Forschungsfeld. Kommunikatoren und Handlungsträger aus dem Gesundheitswesen, aus Politik, Administration und Recht, aus der Wirtschaft, aus NGOs sowie Bürger, Patienten und Versuchspersonen treten jeweils deutlich seltener in Erscheinung. Auch bei diesem Indikator wird die höhere Wissenschaftsdominanz in der deutschen im Vergleich zur amerikanischen Berichterstattung deutlich. Während in den amerikanischen Medien knapp 60 % der erwähnten Kommunikatoren und Handlungsträger aus dem Bereich Wissenschaft/Expertise stammen, sind es in den deutschen Artikeln etwa drei Viertel. Entsprechend ist der Anteil der Kommunikatoren und Akteure aus wissenschaftsexternen Bereichen in der amerikanischen Berichterstattung deutlich höher als in der deutschen Berichterstattung.
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Abbildung 1: Kontextualisierung der Neurowissenschaften in der Berichterstattung deutscher und US-amerikanischer Print-/Online-Medien4 Primärer Kontext D
Primärer Kontext USA
Kontexte D
Primärer Kontexte USA
Wissenschaft
Ökonomie
Gesundheit
Recht
Ethik/Moral
Bildung/Erziehung
Politik/Regulation
Militär
Öffentliche Meinung
Alltag
Andere 0%
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90%
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Die vorgenannten Indikatoren zeigen, wie häufig und mit welchen Bereichen der sozialen Umwelt Neurowissenschaft in der journalistischen Berichterstattung in Verbindung gebracht und mit anderen Systemlogiken konfrontiert wird. Inwieweit daraus positives oder kritisches Feedback für die Neurowissenschaften folgt, lässt sich anhand der Berichterstattung über Bewertungen, Kontroversen, Aussagen über Unsicherheiten und Versuchen der Einflussnahme auf Neurowissenschaft erschließen. Ein Teil der Artikel enthält Verweise auf wissenschaftliche Ambiguität in Form einer Erwähnung von Unsicherheit (18 %) oder Forschungsbedarf (10 %). Rund 15 % der Artikel in beiden Ländern erwähnen innerwissenschaftliche Kontroversen, je4 | Codiert wurde, in welchen Zusammenhängen neurowissenschaftliche Forschung und Anwendungen thematisiert wurde, also zum Beispiel als Forschungsproblem, als Fortschritt in der Medizin oder Gesundheitsrisiko, als Kostenproblem oder Basis unternehmerischer Aktivitäten, bzw. als Gegenstand politischer, rechtlicher oder moralischer Erwägungen. Dass bei nahezu allen Artikeln ›Wissenschaft‹ ‚als ein Kontext codiert wurde, ist die Konsequenz der Auswahl der Artikel nach Thematisierung von neurowissenschaftlicher Forschung oder Expertise.
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doch enthalten nur rund 5 % der Artikel Verweise auf gesellschaftliche Kontroversen, in denen sich Wissenschaft und gesellschaftliche Umwelt gegenüber stehen. Ebenfalls gering ist der Anteil der Artikel, in denen Einflussversuche der gesellschaftlichen Umwelt auf die Neurowissenschaften zu erkennen waren, also zum Beispiel Forderungen erhoben oder Erwartungen geäußert wurden. In der US-Berichterstattung kamen solche Hinweise etwas häufiger vor als in der deutschen Berichterstattung (8 % vs. 3 %). Insgesamt identifizierten die Codierer in den 800 Artikeln lediglich rund 370 manifeste Bewertungen von neurowissenschaftlicher Forschung oder medizinischen bzw. (ganz selten) nicht-medizinischen Anwendungen. Die Bewertungen beziehen sich in der Regel auf Einzelaspekte; sie prägen meist nicht den Tenor der Berichte. Die neurowissenschaftliche Forschung wird häufiger positiv als negativ bewertet, in der amerikanischen Berichterstattung noch ausgeprägter als in der deutschen. Bei den Anwendungen dominieren dagegen die negativen Bewertungen, auch hier ist der Anteil kritischer Bewertungen in der deutschen Berichterstattung höher als in der US-Berichterstattung. Die wenigen Bewertungen nicht-medizinischer Anwendungen in Deutschland sind allesamt negativ, etwa die von Neuromarketing, wie im folgenden Beispiel: »Das Institut hat jahrelang Kunden nach Typen eingeteilt und dafür spezifische Erkenntnisse der Hirnforschung benutzt. […] Da wurden vorsichtige Menschen eingeschüchtert oder Leistungsträger umgarnt. Keiner konnte ahnen, wie umfassend er gerade beeinflusst wurde. So unverfroren hat in Deutschland bisher selten ein Geldinstitut manipuliert. So hat die Haspa bis Mitte der Woche gar nicht zugeben wollen, dass sie ein solches Neuromarketing nutzt.« (SZ, 05.11.2010)
Bewertungen speisen vermutlich die Wahrnehmung eines zustimmenden bzw. kritischen gesellschaftlichen Feedbacks auf neurowissenschaftliche Forschung und Anwendungen. Allerdings kommt über die Hälfte dieser Bewertungen von Wissenschaftlern selbst. Ein weiterer großer Anteil der Bewertungen ist ohne expliziten Urheber bzw. stammt explizit vom Artikelautor. Nur rund 13 % (USA) bzw. 9 % (Deutschland) der Bewertungen stammen von Akteuren aus der gesellschaftlichen Umwelt der Wissenschaft wie z.B. dem Gesundheitswesen, dem politischadministrativen oder rechtlichen Bereich, der Wirtschaft, NGOs oder von Bürgern und Patienten. Nun lässt sich vermuten, dass auch die impliziten oder expliziten journalistischen Bewertungen häufig auf außerwissenschaftlichen Beurteilungskriterien beruhen; aber selbst wenn diese Vermutung zutrifft, handelt es sich bei den in der Berichterstattung enthaltenen expliziten Bewertungen überwiegend um die Verteilung von Lob und Kritik innerhalb der Wissenschaft. Während Neurowissenschaftler in beiden Ländern der Berichterstattung über ihr Forschungsgebiet in Bezug auf Genauigkeit und die Verwendung glaubwürdiger wissenschaftlicher Quellen eher neutral oder ambivalent bewerten – also weder besonders positiv noch besonders negativ – nehmen sie die Berichterstattung weit
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überwiegend nicht als wissenschaftsfeindlich wahr. In der standardisierten Befragung wurde die Aussage »die Medienberichterstattung über mein Forschungsfeld ist häufig wissenschaftsfeindlich« von 90 % (USA) bzw. 83 % (Deutschland) der Befragten mehr oder weniger entschieden abgelehnt. Aus den Leitfaden-Interviews mit deutschen und US-Neurowissenschaftlern geht hervor, dass sich die Forscher mit einem hohen Medieninteresse an ihrem Fach konfrontiert sehen. Sie führen das zurück auf ein generelles Interesse des Medienpublikums an medizinischen Themen, Alltagserfahrungen mit Familienmitgliedern und Bekannten, die neurologische Probleme haben, sowie die Berichterstattung über Prominente mit neurodegenerativen Krankheiten oder Rückenmarksverletzungen. Darüber hinaus konstatieren sie die Attraktivität neurowissenschaftlicher Methoden (bildgebende Verfahren) und Befunde für die Erklärung von Verhalten und Kompetenzen im Alltag; diese Attraktivität wird im Übrigen von der Forschung bestätigt (vgl. Gruber/Dickerson 2012; McCabe/ Castel 2008; Weisberg 2008). Die befragten Neurowissenschaftler nehmen ein thematisch selektives Interesse der Medien wahr: »Well, I think the public perceives it as, you know, being very disease oriented, right? … I think what the public cares about is … the public health impact, right? I mean, a lot of scientists are in science because they love science. They love making these basic research discoveries. But in the end, the general public, you know, they don’t really care if I understand how, you know, the brain works. They care if I understand how you can fix it when it’s broken, right?« (USA) »Das weiß ich noch, da war ich ein bisschen frustriert, weil ich gedacht habe, das wäre vielleicht auch etwas gewesen für die Süddeutsche, für den Wissenschaftsteil. Aber die schreiben irgendwie hauptsächlich über Studien aus Psychology Today. Was wieder sensationell festgestellt wurde, dass Frauen beim rückwärts einparken schlechter sind als Männer oder irgend so ein Blödsinn.« (D) »Also neurowissenschaftliche Forschung interessiert viele Menschen, weil sie gerne etwas über ihr Hirn lernen wollen. Und es sind ja auch einige Themen sehr intensiv diskutiert worden. Also zum Beispiel: freier Wille – was ist das?« (D)
Als Resultat sehen einige einen Hang zu Trivialisierungen, fehlerhaften Darstellungen und Spekulationen sowie die Gefahr einer Übertreibung der medizinischen Anwendungsrelevanz und konstatieren – gelegentlich mit kritischem Unterton, teils mit Verständnis für die Eigengesetzlichkeit der Medien oder sogar mit positiver Einschätzung der Wirkungen der Aufmerksamkeitslenkung – die Diskrepanz zwischen seriöser Forschungsagenda und Bedienung von Laieninteressen in den Medien. Als sensitive Themen, bei denen es zu kritischen Fragen oder negativen Effekten für das Image der Forscher kommen kann, werden Tierversuche genannt und – seltener – Forschung, die zu Manipulationsbefürchtungen Anlass geben kann.
Medialisierung der Neurowissenschaf ten
Medienorientierte Kommunikationspraxis und -strategien der Wissenschaftler Nach den Ergebnissen der standardisierten Online-Befragung haben etwa 20 % der produktiven (publizierenden) Neurowissenschaftler in Deutschland und den USA mehr oder weniger regelmäßigen Kontakt zu Journalisten (mehr als fünf Medienkontakte in den letzten drei Jahren), weitere rund 55 % haben gelegentlichen Kontakt (ein bis fünf Medienkontakte in den letzten drei Jahren). Entsprechend konnten auch fast alle Neurowissenschaftler in der Leitfaden-Befragung auf eigene Erfahrungen mit Journalisten verweisen. Unter den Befragten waren in beiden Ländern auch einige ›visible scientists‹, die sehr häufig in den Medien auftreten. Die Frage, ob man sich mit Journalisten einlässt, stellt sich für die befragten Wissenschaftler kaum. Selbst wenn sie es wegen des Zeitaufwands und der Risiken fehlerhafter Darstellung oder Zitierung häufig als lästige Pflicht betrachten, und sie legitimatorisch darauf verweisen, dass sie es nur ungern und nicht als Selbstvermarktung tun, sehen die befragten Neurowissenschaftler die Bereitschaft zu Kontakten mit Journalisten mit ganz wenigen Ausnahmen als Notwendigkeit an und betrachten sie als (peripheren) Bestandteil ihrer Rolle als Wissenschaftler. Die Begeisterung hinsichtlich der Erfüllung der entsprechenden Erwartungen ist dabei sehr unterschiedlich. Bei einigen zeigt sich eine gewisse Distanz zu diesem Aspekt ihrer Rolle, die sie als sekundär gegenüber dem ›Kerngeschäft‹ der Forschung und innerwissenschaftlichen Publikation betrachten; andere dagegen äußern sich sehr positiv und engagiert über ihre Medienkontakte. Die ›Bedienung‹ des journalistischen Interesses an der eigenen Forschung gilt jedenfalls als Normalfall unter den befragten Neurowissenschaftlern; eine Ablehnung erfordert rechtfertigende Gründe – etwa die Befürchtung einer unangemessenen Darstellung bei als unseriös angesehenen Medien oder zeitlich konkurrierende Aufgaben mit höherer Priorität. Gelegentlich versuchen besonders gefragte Wissenschaftler, die Zahl ihrer Medienkontakte zu reduzieren und Prioritäten zu setzen (›wichtige Medien‹), weil sie den Zeitaufwand für Medienarbeit in Grenzen halten wollen. Sie versuchen auch, eine gewisse Kontrolle über die Inhalte der Berichterstattung zu behalten, und bitten daher häufig darum (nicht immer erfolgreich), den fertigen journalistischen Beitrag vor der Veröffentlichung vorgelegt zu erhalten. Die Motivation zur Kooperation mit Journalisten resultiert aus der Kombination von Wahrnehmung einer abstrakten moralischen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, der Erfüllung von Erwartungen relevanter Bezugsgruppen und der Erwartung von nützlichen Effekten für das Forschungsfeld, die Finanzierung der eigenen Forschung und die eigene Stellung in der Organisation (siehe unten). Zwischen wahrgenommener Verpflichtung und Nützlichkeit werden in der Regel keine Zielkonflikte gesehen. Medienkontakte der Wissenschaftler kommen entweder durch spontane Journalistenanfragen zustande oder werden durch hochrangige Publikationen
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und/oder proaktive Medienarbeit (hauptsächlich Pressemitteilungen) stimuliert. Spontane Journalistenanfragen können sich auf die jeweilige Forschung des kontaktierten Forschers beziehen oder auf andere Themen, etwa die Einschätzung von Ergebnissen anderer Forscher bzw. die Kommentierung aktueller Ereignisse oder Entscheidungsprobleme auf der Basis allgemeiner neurowissenschaftlicher Expertise. Teilweise erreichen sie die Wissenschaftler direkt, teilweise durch Vermittlung der Pressestelle. Proaktive Medienarbeit bezieht sich in der Regel auf die eigene Forschung, oftmals aus Anlass einer Publikation in einer hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschrift. Die Kooperation mit der Pressestelle, die bei proaktiver Medienarbeit routinemäßig erfolgt, wird als Professionalisierung der Medienarbeit breit akzeptiert bzw. sogar als Entlastung geschätzt. Abhängig von der jeweiligen Organisation wird seitens der Pressestelle mit mehr oder weniger Nachdruck die Erwartung kommuniziert, dass man als Wissenschaftler mit den Medien zu reden hat: »Aber jetzt eine dieser Maßnahmen grundsätzlich einfach nur so aus Prinzip abzusagen, wenn man sagt: ›Nee, also die Zeitung lese ich nicht.‹ … Also das kann man nicht machen. Das wird auch von uns … erwartet. Also sowohl von der [Organisationsname] im Sinne von zum Ruhme der [Organisationsname]. Die [Organisationsname] zählt natürlich auch ihre Erbsen. Ich krieg jeden Morgen … den Pressespiegel.« (D) »Hier eigentlich nicht. Nein, ich mein, das Presseamt kommt mal und sagt: ›Bitte, ich möchte, dass Sie ein Interview dort und dort geben.‹ Aber verglichen mit den Leuten, die spontan kommen, ist es gering. Und ein richtiger Druck wird … also zumindest an dieser Uni auf uns überhaupt nicht ausgeübt.« (D)
Die Initiative zu Pressemitteilungen oder anderen Kommunikationsaktivitäten, die sich auf konkrete Forschung bezieht, geht dennoch in der Regel von den Wissenschaftlern aus. Diese informieren bei ihnen als geeignet erscheinenden Anlässen und Themen die Pressestelle. Die Texte für die Pressemitteilungen werden normalerweise zwischen Wissenschaftlern und Pressestellen ›ausgehandelt‹. Die Leitfaden-Interviews ergaben keine Hinweise auf typische Konflikte zwischen den Wissenschaftlern und der Pressestelle. Die Wissenschaftler nehmen zur Kenntnis, dass Pressestellen die Organisationsinteressen vertreten und finden das überwiegend legitim. Es kommt im Grunde zu einer doppelten Selektion: durch die Wissenschaftler, die zunächst gegenüber der Pressestelle initiativ werden müssen und dabei u.a. die wissenschaftliche Seriosität und Relevanz der Ergebnisse im Blick haben, und durch die Pressestellen, die vor allem nach medialer Anschlussfähigkeit selektieren und zusätzlich vermutlich Organisationsinteressen berücksichtigen wie Schärfung des angestrebten öffentlichen Profils, Betonung des Organisationsbezugs oder Vermeiden von Konflikten mit der signifikanten Organisationsumwelt. Medienerfahrene Wissenschaftler antizipieren aber bereits im Vorfeld die Selektionskriterien der Pressestelle. Gemeinsam ist Wissenschaftlern wie Pressestellen das Interesse an Medienpräsenz.
Medialisierung der Neurowissenschaf ten
Aus der Vielzahl potenzieller Themen werden diejenigen für die Medienarbeit ausgewählt, die mediale Resonanz erwarten lassen, bzw. in den Texten werden die Aspekte der Forschung betont, die das Thema attraktiv für Medien machen. Zu den medialen Selektionskriterien gehören aus Sicht der Wissenschaftler vor allem der medizinische Anwendungsbezug der Forschung und Bezüge zu Alltagserfahrungen des Medienpublikums. Letztere führen zur Auswahl von Studien, die neurowissenschaftliche Erklärungen für im Alltag beobachtbare Phänomene wie z.B. Krankheiten, Wirkung von Alkohol oder Geschlechterunterschiede anbieten. In diesem Zusammenhang wird (im Einklang mit der Forschung) auch auf die gute öffentliche Vermarktungsfähigkeit der mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie erzielten Ergebnisse hingewiesen (vgl. Racine 2005). Die allzu platte Bedienung solcher Anschlusspotenziale durch Kollegen wird allerdings teilweise mit einem zynischen Unterton kommentiert. In den untersuchten Pressemitteilungen wird der utilitaristische Charakter der Forschung betont, indem auf (künftige) Anwendungen verwiesen wird. Oftmals werden die Aussagen über Anwendungen jedoch als unsicher markiert und damit die Notwendigkeit weiterer Forschung begründet. D.h. die berichtete Forschung wird als Schritt auf einem Weg dargestellt, wobei das Ziel meist nicht die Erkenntnis, sondern der praktische (medizinische) Nutzen ist. Ein zweites Merkmal ist die Betonung des empirischen Charakters der Forschung, die häufig einher geht mit der detaillierten Schilderung von Laborarbeit. Erkenntniszuwachs wird somit als Ergebnis von Experimenten oder Messungen ›objektiviert‹. Und schließlich wird auf den Teamcharakter wissenschaftlicher Arbeit verwiesen (»Ein Forscherteam um …«), womit vermutlich ein Kompromiss geschlossen wird zwischen der journalistischen Präferenz für Personalisierung und der von der Scientific Community missbilligten öffentlichen Selbstdarstellung einzelner Wissenschaftlern (vgl. Rödder 2009). Übertreibungen von Anwendungsrelevanz und -nähe erachten die befragten Neurowissenschaftler allerdings als problematisch, weil solche Pressemitteilungen und Berichte zu Anfragen von Patienten und deren Angehörigen führen. Diese empfinden die Wissenschaftler häufig als belastend, weil sie in solchen Fällen regelmäßig Hoffnungen enttäuschen müssen. Die Antizipation dieser Reaktionen wirkt vermutlich als ein gewisses Korrektiv gegenüber der Versuchung, in den Pressemitteilungen oder Interviews allzu explizite Aussagen über die Anwendungsrelevanz zu machen. Einige wenige befragte Wissenschaftler gingen von einer grundsätzlich ablehnenden Haltung der Fachkollegen zu Medienkontakten aus; die meisten jedoch hielten Medienkontakte für unter Kollegen akzeptabel. Negativ kommentiert wurden Fälle, in denen Neurowissenschaftler zu weitgehende, wissenschaftlich nicht belegte Behauptungen aufstellen, sich über die Grenzen ihrer Kernkompetenz hinaus äußern oder Medienpräsenz nicht wegen der Information des Medienpublikums, sondern zur Erhöhung der eigenen Sichtbarkeit anstreben. Rödder (2009) hat auf die Ambivalenz der Scientific Community und den kontingenten
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Charakter der Akzeptanz von Medienkontakten hingewiesen. Diese Auffassung wird sowohl in den Leitfaden-Interviews als auch in der standardisierten Befragung der Neurowissenschaftler bestätigt. Die befragten Neurowissenschaftler berichteten über gelegentliche kritische Kommentare von Kollegen nach Medienauftritten und kommentierten auch selbst bestimmte Arten von Medienauftritten kritisch. Soweit sie selbst betroffen waren, betrachteten sie diese kritischen Kommentare jedoch als Ausdruck von Kollegenneid statt als Missbilligung aufgrund der Verletzung geltender Normen.
Wirkungen und Rückwirkungen der Medienorientierung Marcinkowski et al. ( in diesem Band) haben in einer umfassenden Befragung von Funktionsträgern in Universitäten den hohen Stellenwert von Mediensichtbarkeit für Universitäten ermittelt. Leitfaden-Befragungen von Pressereferenten im Wissenschaftsbereich zeigen ebenfalls den hohen Stellenwert von Mediensichtbarkeit für Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Sie belegten zudem das Ziel der Pressestellen, Wissenschaftler in ihrer Organisation zu Medienkontakten zu ermutigen, durch proaktive Medienarbeit Kontaktchancen zu Journalisten zu schaffen, diese Medienkontakte zu beobachten und – meist subtil – darauf Einfluss zu nehmen, um sie mit den Organisationszielen kompatibel zu machen (vgl. Peters 1984; 2012; Kallfass 2009; Jung 2012). Unsere Befragungen von Neurowissenschaftlern zeigen komplementär dazu die Wahrnehmung dieser Organisationspolitik durch die Forscher. Unter den Wirkungen, die unsere befragten Neurowissenschaftler mit Sichtbarkeit in den Medien verbinden, haben erwartete positive Implikationen für ihre Position innerhalb der eigenen Wissenschaftsorganisation einen erstaunlich hohen Stellenwert: »Also, wenn man sich zum Beispiel an einem Institut etablieren will, dann ist es schon ein wichtiger Bereich, dass man auch in der Öffentlichkeit präsent ist. Also, das spielt für Chefs schon eine Rolle, dass da jemand ist, der irgendwie Arbeit macht, die auch in der Öffentlichkeit rezipiert wird. Also, und deswegen kann man eigentlich wieder nicht ›nein‹ sagen; aber manchmal wird’s einem dann auch zu viel, weil also das kostet dann häufig einen ganzen Tag, wenn ein Fernsehteam kommt…« (D) »So for me, I actually don’t like media attention. I would prefer to not have any. … It’s a waste of time. …And I’ve always liked the idea of anonymity. … However, over the … time of my career I’ve learned that if the press or the media pick up on your story, it has very good repercussions for you in terms of your power within the institution, your ability to get resources, compared to other people.« (USA) »… it’s good for our college, good for department and it’s good … in terms of showing the university administration that we are dynamic and, you know, deserve your resources.« (USA) »Und wenn ich jetzt viel in den Medien wäre und irgendwie ja Ramba Zamba machen würde, und würde im Fernsehen auftreten, und würde dann zum Herrn [Personenname] gehen und sagen: ›Oh, Herr [Personenname], ich brauche noch drei Räume mehr.‹ Da [wäre] bestimmt die Chance größer, dass ich [die] bekomme.« (D)
Medialisierung der Neurowissenschaf ten »Vielleicht … nicht unbedingt die Mitglieder der Kommission als Wissenschaftler. Das ist denen vermutlich eher weniger wichtig. Aber dann doch, wenn es darum geht, wenn das Präsidium der Universität mit involviert ist, wenn’s dann doch um irgendwelche Kleinigkeiten geht, kann es dann doch vielleicht den Ausschlag geben. Also, ich glaub jetzt nicht, dass man allein wegen seiner Öffentlichkeitswirksamkeit eine Stelle allein bekommt. Aber es kann dann doch vielleicht in einem Kopf-an-Kopf-Rennen … den Ausschlag geben. Ohne dass ich selbst jemals in dem Präsidium gesessen … und solche Entscheidungen getroffen hätte. Aber das ist doch, was man zumindest wenn man Veröffentlichungen von Universitätspräsidien beziehungsweise Universitätsrundbriefe hört und liest, ist es doch zumindest naheliegend, das anzunehmen. Das ist doch, dass die Außenwirksamkeit der Universität doch für diese Leute eine relativ große Rolle spielt.« (D)
Die befragten Neurowissenschaftler verbinden also mit Medienpräsenz eine Reihe von Vorteilen für ihre Stellung innerhalb der Wissenschaftsorganisation. Wenn ihre Wahrnehmung zutreffend ist, dann ›belohnen‹ Wissenschaftsorganisationen diejenigen Forscher mit Ressourcen und Einflussmöglichkeiten, die zur Medienpräsenz der Organisation beitragen. Die standardisierte Online-Befragung zeigt, dass die meisten Wissenschaftler sowohl in Deutschland (75 % der Befragten) als auch in den USA (70 %) davon ausgehen, dass Leitung und Management ihrer Organisation im Normalfall positiv zu Medienberichten über Forschung stehen (vgl. Tabelle 1). Dagegen gibt es so gut wie keine Befragten, die eine grundsätzlich ablehnende Haltung ihrer Organisation wahrnehmen. Wichtiger impliziter Adressat bei Medienkontakten ist die eigene Organisationsleitung, der durch Medienpräsenz die Relevanz der eigenen Arbeit aus Sicht der Organisationsumwelt glaubwürdig kommuniziert wird, und die damit zudem auf den Beitrag der jeweiligen Forschung (und des jeweiligen Forschers) für die Legitimierung der Organisation hingewiesen wird. Ein effektiver Weg für Wissenschaftler, die Organisationsleitung von der Wichtigkeit der eigenen Forschung (für die Organisation) zu überzeugen, führt daher über die tägliche Presseauswertung. Die Bedeutung von Medienpräsenz für die Sicherstellung von öffentlichen Ressourcen wird in zwei verschiedenen Weisen kommentiert: als unterstützender Faktor, der ganz allgemein die Ressourcenanforderungen der Wissenschaft politisch zu legitimieren hilft, und als Faktor, der Einfluss auf die Förderung konkreter Projekte hat. In Bezug auf den ersten Punkt hat Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem häufig zitierten Postulat einer »Bringschuld der Wissenschaft« darauf verwiesen, dass die politische Durchsetzbarkeit von Ressourcenerwartungen der Wissenschaft auch davon abhängt, ob Wissenschaft in den Medien präsent ist. In einem aufschlussreichen Beitrag für die WZB-Mitteilungen hat er sein bereits vor Jahrzehnten vorgetragenes Argument vor einigen Jahren noch einmal erläutert (vgl. Schmidt 2005). Danach hilft Mediensichtbarkeit den der Wissenschaft wohlgesonnenen Politikern, die Wissenschaftsbudgets gegenüber den konkurrierenden Ressourcenforderungen anderer gesellschaftlicher Stakeholder zu begründen. Ein allgemein positiver Einfluss der Medienbericht-
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erstattung auf die gesellschaftliche Unterstützung der Wissenschaft wird von den Befragten tendenziell unterstellt und in Verbindung mit einer moralischen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit gesehen. Tabelle 1: Einschätzung von Erwartungen und Effekten von Medienpräsenz deutscher und US-amerikanischer Neurowissenschaftler »Wie steht die Leitung Ihrer Hochschule oder Forschungseinrichtung dazu, wenn Wissenschaftler in den Medien über ihre Forschung berichten?« Überwiegend positiv Überwiegend kritisch Teilweise positiv, teilweise kritisch Weder positiv noch kritisch Weiß nicht
Deutschland
USA
75 %
70 %
1 %
1 %
12 %
10 %
1 %
7 %
11 %
12 %
100 % (n = 212) »Wird es in Ihrem Forschungsfeld für Wissenschaftler, über die in den Medien berichtet wird, leichter oder schwerer, finanzielle Mittel für ihre Forschung zu erhalten?« 100 % (n = 236)
Deutschland
USA
Wird leichter
39 %
19 %
Wird schwerer
0 %
1 %
Teils, teils
23 %
12 %
Kein Einfluss
14 %
35 %
Weiß nicht
24
33 %
100 % (n = 216) »Wenn Sie einmal an die Gesamtheit Ihrer Medienkontakte während Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn zurückdenken: Wie groß waren deren positive oder negative Auswirkungen in beruflicher Hinsicht auf Sie?«* 100 % (n = 241)
Überwiegend positiv Relativ ausgewogen Überwiegend negativ Überhaupt keine Aus-wirkungen
Deutschland
USA
35 %
43 %
26 %
27 %
1 %
2 %
38 %
28 %
100 % (n = 186)
100 % (n = 162)
*Nur Befragte, die angaben, dass sie in den letzten drei Jahren Kontakt zu Journalisten hatten.
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Bedeutsamer im Hinblick auf mögliche Governance-Effekte, die zu einer Anpassung der Forschung an die Kriterien der Medien führen, ist jedoch, ob Mediensichtbarkeit auch bei der Verteilung finanzieller Ressourcen, also bei Einzelentscheidungen über die Finanzierung von Projekten und konkreten Forschungsprogrammen, eine Rolle spielt. Die Ansichten unter Neurowissenschaftlern hierzu sind gespalten zwischen der Auffassung, dass Medienpräsenz die Wahrscheinlichkeit auf Förderung erhöht, und dass sie manchmal förderlich und manchmal hinderlich ist bzw. überhaupt keinen Einfluss hat (vgl. Tabelle 1). Eine ähnliche Streuung von Erwartungen zeigt sich auch in den Leitfaden-Interviews. Ein Teil der Neurowissenschaftler ist skeptisch, ob Medienpräsenz es leichter macht, die Finanzierung der Forschung zu sichern, andere verweisen aber auf Beispiele, in denen sie einen Zusammenhang zwischen Mediensichtbarkeit und Finanzierung sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Geldgebern herstellen: »So I think to have people who are really doing science, and then can speak about it clearly, intelligently, and usefully to general audience. I think it’s very important for the field. For us to support and sustain, say support for funding things like the NIH. It’s also important, I think, for individuals so that people know that there is real useful science, not just a waste of money…« (USA) »Yeah, well, I definitely think the public exposure has affected me personally as well as my work in various ways. Certainly, it has … changed my relationship to private fundraising, that’s for sure, in giving me more opportunities in those ways. Occasionally, there will be someone that will approach me after reading an article about our work and be really interested. And I mean, there was once an article about our work on the New York Times and some person from California called me and expressed interest. Flew out on his private jet and, you know, spent two hours talking to me and gave me a check for a quarter of a million Dollars. That doesn’t happen that often.« (USA) »Well, so right after the press release, there is kind of a flurry of activity. So that’s when I do receive phone calls for setting up interviews on the telephone. I also got a call from a prospective investor in New York City who wanted to know more about the study and more a venture capitalist tried to find out if there was something that could be more they have an investment.« (USA) »I think the real consequence is at the end: If you apply to the Deutsche Forschungsgemeinschaft and you are a rather famous person. Then they have more difficulties to reject because they fear the public in a way and this is the only thing.« (D) »Auch ist es so, dass natürlich … Organisationen wie das BMBF nicht uneigennützig sind, und natürlich auch im Lichte dessen stehen wollen … also die sind sehr drauf bedacht. … Und [wo] das Fernsehen da ist, und dass halt dann irgendwie das BMBF als der Förderer von tollen Gesundheitsforschungsprojekten da steht. Also, teilweise ist das das Motiv einerseits für uns, ein ehrliches und direktes und hat eben mit dem Ansprechen von Patienten zu tun. Und dem sozusagen diesen gesamtgesellschaftlichen Kontext dessen klar zu machen, was wir eigentlich machen. Und das andere ist vermittelt beziehungsweise indirekt, und reflektiert, dass unsere Fördergeber ein Interesse daran haben, dass sie durch unsere Arbeit ins Sonnenlicht geraten.« (D)
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Die Befragten machen dabei auf zwei Effekte aufmerksam, die eine Rolle spielen: erstens die Mediensichtbarkeit der Forschung bzw. mediale Prominenz des Forschers als Faktoren, die die (gesellschaftliche) Relevanz der zu fördernden Forschung bzw. des beantragenden Forschers gegenüber dem Förderer belegen; zweitens der Imagegewinn, den der Förderer von der medialen Darstellung der von ihm geförderten Forschung erwartet. Hierbei mag die Erwartung eine Rolle spielen, dass der Förderer sich beim nächsten Antrag an den gelungenen Medienauftritt erinnert, der ihn ins ›Sonnenlicht‹ gerückt hat, und die Aussicht auf Wiederholung bei der Förderentscheidung eine Rolle spielen wird. Einige Wissenschaftler verweisen darauf, dass Geldgeber wie BMBF und EU in manchen Fällen explizit erwarten, dass die öffentliche Kommunikation der späteren Projektergebnisse bereits im Projektantrag mit eingeplant wird. Betont wird allerdings, dass Mediensichtbarkeit kein Ersatz für wissenschaftliche Qualität ist, sondern synergistisch den Einfluss wissenschaftlicher Qualitätskriterien ergänzt. In den Leitfaden-Interviews wurden eine Vielzahl weiterer möglicher Wirkungen genannt, die teilweise als karriererelevant eingeschätzt wurden, wie Einladungen zu Kongressvorträgen, Publikationsangebote von Verlagen und Jobangebote, bis hin zu der Erfahrung, dass Medienpräsenz es ausländischen Forschern in den USA erleichtert, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Im organisatorischen, wissenschaftspolitischen und administrativen Umfeld der Wissenschaftler ist Medienpräsenz ganz offensichtlich ein Indikator für den ›Impact‹ eines Forschers. Entsprechend gilt zahlreichen Wissenschaftlern Mediensichtbarkeit als ein karrierefördernder Faktor. In Übereinstimmung mit früheren Befragungen (vgl. Peters 2008a) gaben in der standardisierten Befragung 35 % (Deutschland) bzw. 43 % (USA) der Neurowissenschaftler mit eigenen Medienkontakten an, dass diese – trotz partieller Ambivalenz der Scientific Community – eher karriereförderlich gewesen sind; nur rund 1 % sagten, dass die Medienkontakte ihre Karriere negativ beeinflusst haben. Die übrigen Befragten sahen entweder keine oder ambivalente Auswirkungen auf die Karriere (vgl. Tabelle 1). Weitere von den Neurowissenschaftlern in den Leitfaden-Interviews genannten Effekte medialer Präsenz betrafen z.B. Möglichkeiten wissenschaftspolitischer Einflussnahme durch leichteren Zugang zu entsprechenden Entscheidungsträgern, inter- und transdisziplinäre Vernetzung sowie Diffusion von Erkenntnissen in die medizinische Praxis. Heinemann (2011; 2012) beschreibt auf der Basis von mehrmonatigen Laborbeobachtungen in mehreren deutschen und amerikanischen neurowissenschaftlichen Instituten ein Beispiel, in dem erwartete mediale Resonanz Wissenschaftler zu Modifikationen des Forschungsdesigns veranlasst hat. Dabei ging es um den Einsatz eines Lasers (statt des normalerweise verwendeten Hitzereizes oder elektrischen Schocks) zur Erzeugung eines Schmerzstimulus bei den Probanden, weil dies nach Ansicht des Wissenschaftlers spektakulärer und besser populärwissenschaftlich zu verkaufen sei als die Standardmethode. In weiteren Fällen unterstellt er die Verwendung bildgebender Verfahren statt (wissenschaftlich
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sinnvollerer) einfacher Verhaltensexperimente zur besseren, auch populären Vermarktung der Ergebnisse. Schließlich meint er, dass Studien mit dem primären Ziel der medialen Vermarktung durchgeführt würden, die keinen wissenschaftlichen Erkenntniswert hätten und wissenschaftlichen Qualitätskriterien nicht genügen würden. Tatsächlich ergeben sich auch aus unserer standardisierten Befragung von Neurowissenschaftlern Hinweise auf solche Effekte, sowohl im Hinblick auf die Gestaltung der Forschungsprozesse als auch in Bezug auf innerwissenschaftliche Kommunikation (vgl. Abbildung 2). Etwa ein Drittel der befragten Neurowissenschaftler gibt an, dass erhoffte oder befürchtete ›Publicity‹ in den Medien schon einmal eine die Forschung betreffende Entscheidung beeinflusst hat; bei knapp unter 40 % der Befragten haben nach eigenen Angaben solche Erwartungen schon einmal die wissenschaftliche Publikation beeinflusst. Abbildung 2: Rückwirkungen der Medienorientierung von Neurowissenschaftlern in Deutschland und den USA auf den Forschungsprozess und die innerwissenschaftliche Publikation5 Deutschland (n=241)
USA (n=216)
Bestimmte Forschungsfragen gewählt oder vermieden Bestimmte Forschungmethoden gewählt oder vermieden Bestimmte Finanzierungsquellen gewählt oder vermieden Bestimmte Kooperationspartner gewählt oder vermieden INDEXFORSCHUNG: mindestens einer der vier Punkte trifft zu Eine wiss. Publikation beschleunigt oder verzögert Einen Vortrag auf einer wiss. Konferenz gehalten oder nicht gehalten Bestimmte Formulierungen in einer wiss. Publiaktion verwendet oder vermieden Bestimmte Schlussfolgerungen oder Interpretationen betont oder unerwähnt gelassen INDEXPUBLIKATION: mindestens einer der vier Punkte trifft zu 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% »Ja, ist schon vorgekommen«
5 | Dargestellt sind die Anteile der Befragten, die zustimmende Antworten auf die Frage gaben: »Wegen erhoffter oder befürchteter ›Publicity‹ in den Medien habe ich schon einmal …«. Die Antworten auf die je vier Items, die sich auf Forschung bzw. Publikation bezogen, wurden in zwei Indizes zusammengefasst.
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Im Vergleich zu anderen Fächern liegt der Anteil der Neurowissenschaftler, die solche direkten Medialisierungseffekte einräumen, allerdings leicht unter dem Durchschnitt (vgl. Peters 2012b). In Bezug auf die Rückwirkungen der Medien- und Öffentlichkeitsorientierung auf Forschungsprozess und innerwissenschaftliche Publikation gibt es eine gewisse Diskrepanz zwischen den Ergebnissen unserer standardisierten Befragung und den zitierten Erfahrungen von Heinemann auf der einen Seite, und den Ergebnissen unserer Leitfaden-Befragung auf der anderen Seite. In den Protokollen der Leitfaden-Befragung von Neurowissenschaftlern finden sich kaum Hinweise auf solche direkten Medialisierungseffekte auf den Forschungsprozess oder innerwissenschaftliche Publikation, obwohl einige Befragten ökonomisch motivierten Opportunismus durchaus einräumen. Unsere Schlussfolgerung ist daher, dass solche direkten Medialisierungseffekte gelegentlich vorkommen mögen, dass aber die Antizipation von medialer Resonanz kein allgemein verbreitetes oder einflussreiches Kriterium in den Entscheidungskalkülen von Neurowissenschaftlern beim Design von Forschung oder bei der Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften ist und keinesfalls die Praxis der Forschung oder der Publikation prägt.
3. R ESÜMEE Die Ergebnisse legen für den untersuchten Fall der Neurowissenschaften eine partielle Revision der in der Einleitung skizzierten Hypothesen nahe. Zwar berichten die Medien umfangreich und thematisch vielfältig über die Neurowissenschaften, aber die Berichterstattung ist – vor allem in Deutschland – stark wissenschaftsfokussiert und -dominiert. Kritische Bewertungen neurowissenschaftlicher Forschung oder Anwendungen anhand nicht-wissenschaftlicher Kriterien sind relativ selten. Entsprechend nehmen die befragten Neurowissenschaftler überwiegend eine wissenschaftsfreundliche Tendenz der Berichterstattung wahr. Die Vorstellung, dass in der Wissenschaftsberichterstattung die Forschung mit gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert und nach wissenschaftsexternen Kriterien gemessen wird, ist offenbar nur bedingt zutreffend. Der quantitativ größte Anteil der Berichte ist sachlich-neutral und spiegelt – wenn überhaupt – eher die Diskussion über Vor- und Nachteile innerhalb der Wissenschaft als externe Zustimmung und Kritik. Soweit gesellschaftliche Kontextualisierungen vorliegen (z.B. Anwendungsbezug), sind sie überwiegend bereits in der Wissenschaft antizipiert worden und werden von wissenschaftlichen Akteuren kommuniziert. Trotzdem ist ein gewisses Steuerungspotenzial der Medienberichterstattung erkennbar und mögliche Grundlage eines Agenda-Setting-Effekts zugunsten von Studien, die methodisch mit bildgebenden Verfahren arbeiten und vor allem von solchen, die einen medizinischen Anwendungs- oder Alltagsbezug aufweisen. Auch setzt die Antizipa-
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tion medialer Kriterien durch wissenschaftliche Kommunikatoren einen langen Prozess der Co-Orientierung von Wissenschaft und Journalismus voraus, reflektiert also sehr wohl langfristige Einflüsse der Medien. Sensible Punkte, bei denen Neurowissenschaftler ein Konfliktpotenzial mit gesellschaftlichen Erwartungen wahrnehmen, sind Forschung mit Tierversuchen und das unterstellte Manipulationspotenzial der Neurowissenschaften. Bei der Tierversuchsproblematik besteht das signifikante Feedback aber in erster Linie aus direkten Aktionen und Kampagnen radikaler Tierversuchsgegner; die Rolle der Medien dabei wird von den Wissenschaftlern hauptsächlich so gesehen, dass unvorsichtige Darstellungen in den Medien solche direkten Aktionen provozieren können. Zwar wurde deutlich, dass Wissenschaftler sich in ihrer Kommunikation an die thematischen Erwartungen der Medien und die normativen Erwartungen des Medienpublikums anpassen, doch ist in den Leitfaden-Interviews mit Neurowissenschaftlern eine klare Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem Handlungs- bzw. Kommunikationsraum und öffentlichem Kommunikationsraum erkennbar. Die Frage stellt sich natürlich, ob diese Differenzierung in erster Linie rhetorischer Natur ist, wie Felt und Fochler (2012) vermuten. Die befragten Neurowissenschaftler und die Pressestellen orientieren sich in ihren Kommunikationsstrategien zwar an medialen Selektions- und Darstellungskriterien – durch Auswahl geeigneter Studien für die öffentliche Kommunikation und Zurückhaltung bei Studien, die potenziell konfliktträchtig sind – aber die Forschung selbst wird hauptsächlich wissenschaftlich bzw. ökonomisch durch Verweise auf die Verfügbarkeit von Finanzierungsquellen begründet. Die Kalküle der Neurowissenschaftler sind stark durch Finanzierungserwägungen geprägt. Teilweise spiegeln sogar Institutsstrukturen die Kriterien verschiedener Geldgeber, um damit das gesamte Förderpotenzial nutzen zu können: Grundlagenforschung, um auf Mittel der DFG zugreifen zu können, anwendungsorientierte, aber noch marktferne Forschung, um Zugang zur BMBF- oder NIH-Förderung zu haben, und klinisch relevante Forschung, die attraktiv für Industriekooperationen oder Venture Capital ist. Im Vergleich zum Gewicht ökonomischer Faktoren erschien in den Interviews die direkte Steuerung der Forschung durch Orientierung an medialen Kriterien nachrangig. Allerdings ergab die Studie deutliche Hinweise auf einen anderen (indirekten) medienbasierten Governance-Effekt, der über die Zuteilung von Ressourcen wirkt: Forscher und Projekte, die öffentlichkeitswirksam sind, haben in der Wahrnehmung vieler Forscher eine erhöhte Chance auf die Allokation von Ressourcen. Und das leitende Management der Hochschulen unterstellt einen ähnlichen Effekt für die Organisation insgesamt (vgl. Marcinkowski et al. in diesem Band). Kriterien medialer Sichtbarkeit wirken daher vermutlich primär über ihren Einfluss auf die Verfügung über finanzielle Mittel, organisatorische Unterstützung, Einfluss und Gestaltungsspielräume. Dass dies von vielen Wissenschaftlern auch so wahrgenommen wird, führt zu einer starken Motivation zu Medienkontakten sowie zu entsprechenden Erwartungen seitens der Wissenschaftsorganisationen
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an ihre Forscher, so dass die Bereitschaft zu Interaktionen mit journalistischen Medien (sowie zu anderen Formen öffentlicher Kommunikation) als Teil der Wissenschaftler-Rolle in Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen angesehen werden muss. Wissenschaftler nehmen zur Kenntnis, dass sich Wissenschaftsorganisationen und wissenschaftspolitische Akteure, die über die Verteilung von Ressourcen wie z.B. Positionen, finanzielle Mittel, Zugang zu Infrastrukturen und Entscheidungsspielräume entscheiden, in doppelter Weise an medialer Sichtbarkeit orientieren: erstens, indem diese Akteure Mediensichtbarkeit der jeweiligen Projekte oder Forscher als Relevanz- und Qualitätsindikator interpretieren, und zweitens durch die Erwartung, dass die Förderung medienwirksamer Projekte und Forscher ihre eigene mediale Präsenz vergrößert und sie damit ihr eigenes Image verbessern. Auf Mediensichtbarkeit zielende Selbstdarstellungsstrategien sind damit für Wissenschaftler, Projekte, Institute und Forschungsorganisationen eine mögliche Option, Erfolg im Sinne von ›broader impacts‹ zu demonstrieren und damit der gesellschaftlichen Umwelt Förderungswürdigkeit zu suggerieren. Die Wirkungen auf die Forschung beruhen dagegen nicht in erster Linie auf der expliziten Berücksichtigung medialer Kriterien durch Wissenschaftler in den Kalkülen ihrer Forschungsplanung und innerwissenschaftlichen Publikation (obwohl dies gelegentlich auch vorkommen mag), sondern vielmehr auf der Strukturierung ihrer Handlungsräume durch entsprechende Erwartungen ›medialisierter‹ Organisationen, Journals und wissenschaftspolitischer Akteure. Weniger die Orientierung der Forscher an den Medien als vielmehr die Orientierung der Wissenschaftsorganisationen und des wissenschaftspolitischen Umfelds an der öffentlichen Sichtbarkeit von Forschern, Projekten und Ergebnissen ist Grundlage der Beeinflussung der Forschungsagenda oder anderer Aspekte der Forschungspraxis. Die beschriebenen wissenschaftspolitischen und organisatorischen Erwartungen erzeugen bei der Verteilung von Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil für Wissenschaftler, die Forschung betreiben, die auf öffentliches Interesse stößt. Medialisierung verknüpft damit ›erfolgreiches‹ Forschungsmanagement auf individueller, organisatorischer und nationaler bzw. sogar internationaler Ebene mit der Medienagenda und medialer Resonanz. Die These einer generell stärkeren Medialisierung in den USA wird durch unsere Studie nur bedingt bestätigt. Zwar zeigt sich eine höhere außerwissenschaftliche Kontextualisierung neurowissenschaftlicher Forschung und eine stärkere Konfrontation mit außerwissenschaftlichen Erwartungen in der USamerikanischen Medienberichterstattung, doch fehlen in den analysierten Leitfadeninterviews klare Hinweise auf eine stärkere strategische Adaption der Forschung bzw. der Selbstdarstellung an die Erwartungen der Medien in den USA. In Bezug auf die Erwartung, dass Medienpräsenz den Zugang zu finanziellen Ressourcen erleichtert, zeigten sich die US-Neurowissenschaftler sogar weniger optimistisch als die deutschen.
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1. E INLEITUNG Seit den 1990er Jahren wird für viele Länder ein regelrechter ›Wissenschaftsboom‹ in den Massenmedien konstatiert (vgl. Görke et al. 2000; Schäfer 2007; Elmer et al. 2008; Bauer 2012). Besonders betrifft dies die Biowissenschaften. Themen aus der Stammzellforschung und der Genomforschung sind nunmehr im medienöffentlichen Diskurs etabliert, d.h. Journalisten knüpfen ohne viel Begründungsaufwand beispielsweise an die Entzifferung des menschlichen Erbguts an, um über aktuelle Entwicklungen in der Genomforschung zu berichten. Aber auch von einem ›Geschichtsboom‹ lässt sich sprechen, der vor allem die Zeitgeschichte, und hier wiederum die jüngere deutsche Vergangenheit, zum Dauerthema im TV ebenso wie in den Printmedien macht (vgl. etwa Kellerhoff 2006; Nolte 2008). Wenn Wissenschaft zum Gegenstand medialer Dauerbeobachtung und damit zu einer »öffentlichen Angelegenheit« (Neidhardt 2002) geworden ist, ist anzunehmen, dass dies umgekehrt auch Folgen für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion und Arbeitsweise hat. Dies ist der Kern der Medialisierungsthese, die Peter Weingart (2001, 2005, 2012) formuliert hat. Der Begriff der Medialisierung bezeichnet die Wechselwirkung von Wissenschaft und Massenmedien, verstanden als soziale Systeme, die ihre Operationen an systeminternen Kriterien orientieren und so Eigenwerte produzieren: neues Wissen im Fall des Wissen-
* | Unter Mitarbeit von Carina Brinkmann.
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schaftssystems und nachrichtenwerte Information im Fall der Massenmedien. Es steht also zur Debatte, ob eine Orientierung an der Medienöffentlichkeit die Wissenschaft mit Anforderungen konfrontiert, die nicht mit der ihr eigenen Operationslogik vereinbar sind.1 Ausgehend von dieser differenzierungstheoretischen Rahmung wird im Folgenden zunächst der Forschungsstand zur Medialisierung der Wissenschaft resümiert und ein Design für einen Fachkulturenvergleich entwickelt, denn offensichtlich gilt das medienöffentliche Interesse nur einigen wenigen Themen und nicht der Wissenschaft als Ganzes. Ein Vergleich von Mathematik, Molekularbiologie und Zeitgeschichte soll darüber Aufschluss geben, ob und wie das sehr unterschiedlich ausgeprägte Medieninteresse an diesen Fächern die Herstellungs- und Darstellungsbedingungen von Wissen in diesen Fächern tangiert. In diesem Beitrag werden Ergebnisse des Fachkulturenvergleichs am Beispiel der Medienorientierung wissenschaftlicher Zeitschriften vorgestellt. Abschließend wird auf der Grundlage unserer Daten versucht, Medialisierung als Kontextbedingung der neuen Governance der Wissenschaft innerhalb des komplexen Zusammenspiels wissenschaftlicher, ökonomischer und politischer Erwartungen an die Generierung neuen Wissens zu verorten. Die zentrale Frage ist, inwiefern die Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Forschung durch Medialisierungsprozesse beeinflusst wird, d.h. zu welchem Preis eine »Wissenschaft der Öffentlichkeit« (Weingart 2005) zu haben ist.
2. G R ADE DER M EDIALISIERBARKEIT WISSENSCHAF TLICHER F ÄCHER Vor dem skizzierten Hintergrund ist es wissenschaftssoziologisch wie wissenschaftspolitisch relevant zu fragen, was es für die Wissenschaft, die Wissenschaftler und ihre Organisationen bedeutet, dass einige Fächer in hohem Maße medienöffentlich präsent sind, andere dagegen nicht. Im ersten Falle stellt sich die Frage, ob »der Bezug auf Öffentlichkeit ein größeres Gewicht erhält als der Bezug auf ›Wahrheit‹, und damit die Medien einen indirekten Einfluss auf die Selbststeuerung der Wissenschaft gewinnen« (Weingart 2001: 282). Im zweiten Fall interessieren die Umstände einer fehlenden öffentlichen Sichtbarkeit und deren wissenschaftspolitische Folgen. Aufgabe der empirischen Medialisierungsforschung ist es also, genauer zu analysieren, unter welchen Bedingungen und an welchen Stellen in medialisierten Systemen welche Typen von Resonanz2 auftreten (vgl. Franzen et al. 2012). Es lässt sich argumentieren, dass insbesondere auf der Ebene der Organisation mit Resonanzen zu rechnen ist (vgl. Weingart 2012; siehe auch Donges 2008 1 | Siehe aktuell die Beiträge in Rödder et al. (2012). 2 | Vgl. zur Resonanzmetapher Luhmann (1986) sowie bezogen auf Wissenschaft und Medien Weingart (2012).
Die Herstellung und Darstellung von Wissen unter Medialisierungsbedingungen
sowie Peters et al. und Marcinkowski et al. in diesem Band). Bereits zu einem früheren Zeitpunkt haben Peters und Kollegen auf den Zusammenhang zur Medienorientierung des politischen Systems aufmerksam gemacht (vgl. Peters et al. 2008). Medienpräsenz wird demnach als Indikator für die wissenschaftspolitisch erwünschte gesellschaftliche Relevanz der Forschungsleistungen eingestuft und gewinnt angesichts des Wettbewerbsdrucks um öffentliche Mittel an Bedeutung. Entsprechend haben sich seit den 1990er Jahren die PR-Bemühungen wissenschaftlicher Einrichtungen intensiviert (Neidhardt 2002: 3f.); an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wurden in den vergangenen Jahren flächendeckend Pressestellen eingerichtet (Peters et al. 2008; Kallfass 2009; Marcinkowski et al. in diesem Band). Diesen organisationalen Grenzstellen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gilt schon »die bloße Spiegelung in den Medien […] als Erfolg« (Weingart 2001: 247). Im Anschluss an die Medialisierungsthese stellt sich jedoch die Frage, ob strukturelle Veränderungen lediglich auf der Ebene der Organisationen (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) wirksam werden oder ob tatsächlich, wie häufig postuliert wird (Nowotny et al. 2001; Gibbons et al. 1994), der epistemische Kern von Wissenschaft betroffen ist. Die bisherigen Studien gelangen zu unterschiedlichen Diagnosen. Das Spektrum reicht von einer medial gesteuerten thematischen Ausrichtung der Forschung im Falle der Klimaforschung mit Folgen für die Mittelverteilung (Kepplinger/Post 2008), der Ausdifferenzierung »symbolischer Forschung« und ihrer Abgrenzung von der theoretisch und methodisch kontrollierten Herstellung biowissenschaftlichen Wissens (Rödder 2009), der Verschärfung des Tons von archäologischen Fachdebatten während und nach deren Verlagerung ins Feuilleton (Wagenknecht 2012), der Veränderung wissenschaftlicher Argumente, wenn, wie im Fall von soziologischen Zeitdiagnosen, ein breiteres Publikum adressiert wird als die Fachkollegen (Osrecki 2011) hin zur Inflationierung des Wahrheitsmediums angesichts medial erzeugter Erwartungen im Fall der Stammzellforschung (Franzen 2011a). Eine Erklärung für die unterschiedlichen Befunde liegt darin, dass sich die bisherigen Studien mit unterschiedlichen Fachkulturen befassen. Was bislang fehlt, ist ein systematischer Vergleich der Resonanz von massenmedialen Erwartungen in der Wissenschaft, der ihrer Binnendifferenzierung in Disziplinen mit ihren entsprechenden Fachgemeinschaften Rechnung trägt. Hier setzt die vorliegende Untersuchung an; ihr Ziel ist, die These einer Medialisierung von Wissenschaft anhand eines Vergleichs dreier Fachkulturen empirisch zu differenzieren. Die forschungsleitenden Annahmen sind erstens, dass Medialisierung für die Wissenschaft sowohl funktionale als auch dysfunktionale Implikationen haben kann und zweitens, nicht die Wissenschaft als Ganze betrifft, sondern lediglich in bestimmten Fachkulturen strukturwirksam ist. Gerade vergleichend, vielleicht sogar nur so, sollte es möglich sein, Ansatzstellen für Resonanz zu identifizieren bzw. verschiedene Ausprägungen einer Medienorientierung der Wissenschaft zu unterscheiden.
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Fachkulturen lassen sich bezüglich der Bedingungen unterscheiden, unter denen die Wissensproduktion jeweils stattfindet: ihr Ressourcenbedarf, ihre Anwendungsnähe, ihre ethischen Implikationen, ihr rechtlicher Regulierungsbedarf, ihre technische und strategische Aufgabensicherheit sowie die Geltung allgemein anerkannter Paradigmen, ihr Publikationsverhalten, ihr Publikumsbezug und nicht zuletzt die Medienaufmerksamkeit, die einem Fach zuteil wird (Whitley 1984; Gibbons et al. 1994: Knorr Cetina 1999; Nowotny et al. 2001; Schäfer 2007). Ausgehend von der Annahme, dass Medialisierung in Fachkulturen in unterschiedlichem Maße strukturwirksam wird, werden drei Fächer verglichen, die sich hinsichtlich ihrer Medienpräsenz und den Bedingungen der Erkenntnisproduktion deutlich unterscheiden: Mathematik, Molekularbiologie (Genomforschung und Stammzellforschung) und Zeitgeschichte. Das Projekt lenkt den Blick also auf eine spezifische Eigenschaft des Wissenschaftssystems, seine Binnendifferenzierung in Fachkulturen, um anhand des Vergleichs Medialisierungsindikatoren zu identifizieren und Resonanzen qualifizieren zu können. Das Forschungsdesign kombiniert mehrere methodische Zugänge: Ausgangspunkt bildete eine Medienresonanzanalyse fachwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel in überregionalen Medien (FAZ, DIE ZEIT und Süddeutsche Zeitung) im Zeitraum 1993-2009, um Themenkonjunkturen und Charakteristika medialisierter Ereignisse zu analysieren. In einem zweiten Schritt wurde die sogenannte konsonante Berichterstattung3 einer detaillierten Analyse unterzogen, wobei neben den entsprechenden Fachartikeln (n = 34) auch die zugehörigen redaktionellen Beiträge in den entsprechenden Zeitschriften sowie Pressemitteilungen zu den Artikeln in die Untersuchung einbezogen wurden. Drittens wurden 33 leitfadengestützte Interviews geführt und mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Interviewpartner waren Wissenschaftler, Pressesprecher außeruniversitärer Fachinstitute und Zeitschriftenherausgeber/ -redakteure sowie Pressestellenleiter von Fachzeitschriften und -instituten sowie Wissenschaftsjournalisten. Im Folgenden werden die Ergebnisse zur Resonanz massenmedialer Erwartungen in den Fachkulturen Mathematik, Zeitgeschichte und Molekularbiologie am Beispiel der Medienorientierung von Fachzeitschriften näher ausgeführt.
3 | Konsonante Berichterstattung liegt dann vor, wenn ein Thema gleichzeitig in mehreren Medien verhandelt wird, d.h. es kann vom Überschreiten einer Thematisierungsschwelle oder einem Nachrichtenwert ausgegangen werden, der die Freiheitsgrade der journalistischen Themenauswahl verringert.
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3. Z UR R OLLE WISSENSCHAF TLICHER Z EITSCHRIF TEN IM M EDIALISIERUNGSPROZESS Fachzeitschriften sind ein wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Publikationssystems, das die Kommunikation der Wissenschaftler untereinander trägt 4 . Während im Fall der Massenmedien journalistische Redaktionen über die Publikationswürdigkeit von Meldungen auf der Grundlage ihres Nachrichtenwerts entscheiden, sind es im Fall der Wissenschaft die Zeitschriftenredaktionen (bzw. die Herausgeber), die mit Hilfe des Peer-Review-Verfahrens ihre Veröffentlichungsentscheidungen treffen. Dabei gilt für wissenschaftliche Zeitschriften genauso wie für massenmediale Produkte: Sie müssen einen Absatz finden und sich für den jeweiligen Eigentümer, einen Verlag oder eine Fachgesellschaft rentieren. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Unterschieden: Erstens sind die führenden Fachzeitschriften einer Disziplin Pflichtlektüre der entsprechenden Community, weswegen die akademischen Bibliotheken als Hauptabnehmer nicht, wie auf Märkten üblich, auf Preissteigerungen mit Konsumverzicht oder Anbieterwechsel reagieren können. Zweitens ist im Unterschied zu massenmedialen Produkten die Reichweite wissenschaftlicher Zeitschriften beschränkt, ihr primäres Publikum ist die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit. Dementsprechend ist die Art der Kommunikation, ihre Gestaltung und die Auswahl der Beiträge an den Bedürfnissen dieser Fachöffentlichkeit orientiert, die zahlenmäßig sehr klein sein kann. Redaktionelle Entscheidungsprogramme sind in gewissem Maße variabel und der Erfolg einer Zeitschrift misst sich dabei vor allem an ihrer direkten Konkurrenz. Dies schließt eine wechselseitige Beobachtung mit ein, wie in der Aussage eines Zeitschriftenredakteurs in der Zeitgeschichte exemplarisch zum Ausdruck kommt: »Ich meine, dass wir uns sehr gut halten angesichts der Konkurrenz. Die Aufmerksamkeit, die wir genießen, ist ungleich größer als es bei den anderen Zeitschriften der Fall ist. Unsere Hauptkonkurrenz ist auch institutionell natürlich das [Institut B]. Man wird ohne Übertreibung sagen können, dass [Zeitschrift A] eine 10mal höhere Auflage hat als [Zeitschrift B], die sich ja in der Papierform so gut wie überhaupt nicht verkauft. Das ist bei uns ganz anders.« (Redakteur Zeitschrift A)
Generell ist der akademische Zeitschriftenmarkt hochgradig ausdifferenziert gemäß der Binnendifferenzierung der Wissenschaft in Fachgemeinschaften (Gläser 2006). Neben den speziellen Fachjournalen existiert in den Naturwissenschaften der Typus der multidisziplinären Zeitschrift, der die Idee einer Einheit der Wissenschaft aufrechterhält und den Wissenstransfer zwischen den Disziplinen begünstigt (Ackerson/Chapman 2003; Franzen 2009). Das wissenschaft4 | Für klassische Buchwissenschaften wie die (Zeit-)Geschichte gilt dies nicht im selben Maße, wie in 3.1. im Abschnitt zur Zeitgeschichte näher ausgeführt wird.
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liche Zeitschriftenwesen lässt sich als Zentrum-Peripherie-Struktur beschreiben, mit einigen wenigen Kernzeitschriften im Zentrum und einer großen Anzahl geringer renommierter Fachzeitschriften an den Rändern. Diese Ordnung hat eine doppelte Funktion: Sie steuert die Aufmerksamkeit potenzieller Leser und verteilt gleichzeitig Reputation an die Autoren. Im Unterschied zur Reputation von Wissenschaftlern, die einmal erworben quasi auf Dauer gestellt ist (Merton/ Zuckerman 1985), wurde für die Zeitschriften argumentiert, dass sie ihren Ruf immer neu bestätigen müssen (Taubert/Weingart 2010). Dies erfordert seitens der Redaktion ein Gespür für innovative Forschungsthemen, was besonders für multidisziplinäre Zeitschriften gilt, wie ein Herausgeber betont: »The challenges are for [the Journal] to respond quickly when new areas of science open up. And to find good referees and to be aware of uncertainties on those new disciplines.«
Angesichts der Wettbewerbssituation auf dem akademischen Zeitschriftenmarkt stehen nicht nur die Herausgeber, sondern auch die Verlage vor zahlreichen Herausforderungen. Im Zuge stagnierender Bibliotheksbudgets haben viele Verlage einen Rückgang an Abonnements zu verzeichnen, die sie durch Preiserhöhungen und den bündelweisen Verkauf ihrer Titel zu kompensieren suchten – dies gilt als Ursache der Zeitschriftenkrise, die den STM-Markt (Science, Technology, Medicine) im Besonderen betrifft. In Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Rezession kommt hinzu, dass die Werbeeinnahmen zurückgegangen sind, die Zeitschriften in den technologieorientierten Feldern traditionell als größte Einnahmequelle dienen (Relman 1981). Gleichzeitig verursachte die in den letzten Jahren erfolgte retrospektive Digitalisierung der Zeitschrifteninhalte hohe Kosten, die sich amortisieren müssen. Mit der Digitalisierung der Inhalte haben sich nicht nur die Bezugskonditionen (Verkauf von Seitenlizenzen an Bibliotheken), sondern auch das Rezeptionsverhalten geändert, das eine Indexierung von Artikeln in einschlägigen Online-Datenbanken miteinschließt. Die Open Access-Bewegung stellt die Verlage vor die Entscheidung, ihr Geschäftsmodell zu ändern, z.B. von ›readerpays‹- auf ›author-pays‹-Modelle umzustellen. Wie das Beispiel Public Library of Science (PLOS) zeigt, haben sich in den vergangenen Jahren selbst in Fächern mit einer ausgeprägten Reputationshierarchie der Zeitschriften Open Access-Titel wie PLOS Biology oder PLOS Medicine etablieren können, denen es gelungen zu sein scheint, das fachliche Renommee, an dem die Marktmacht der Verlage hängt, für ihre Zeitschriften in kürzester Zeit aufzubauen. Grundsätzlich geht es im Zeitschriftenwesen also darum, welche Titel sich am Markt langfristig und in welcher Form (gedruckt oder elektronisch) halten können. Wenn sich die strukturellen Bedingungen des akademischen Publikationswesens derartig ändern, stellt sich die Frage, welchen Einfluss dies auf die redaktionelle Entscheidungsprogrammatik haben kann. In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie, so lässt sich vermuten, kann eine Orientierung an massenmedialen Relevanzkriterien zwecks Inklusion eines breiten Publikums zur Existenzsiche-
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rung wissenschaftlicher Zeitschriften beitragen. Für ein Paradebeispiel medialisierter Wissenschaft, das Feld der Stammzellforschung, legen empirische Daten nahe, dass dies für die Wissenschaft nichtintendierte Nebenfolgen hat: Wenn ranghohe multidisziplinäre Zeitschriften wie Science und Nature die gesellschaftliche Relevanz der Forschungsergebnisse zum redaktionellen Entscheidungskalkül erheben, neigen Autoren dazu, ihre Ergebnisse zu überzeichnen, was sich in den Korrekturraten sogenannter high-impact Artikeln widerspiegelt. Hierhin spiegelt sich nicht nur die genauere nachträgliche Überprüfung exponierter Thesen (Nath et al. 2006), sondern generell die strukturelle Divergenz der Herstellung und Darstellung von Wissen (Knorr-Cetina 1984), die im Rahmen des Peer Review-Verfahrens nicht vollends überbrückt werden kann. Konfligierende Erwartungen an wissenschaftliche Qualität und massenmediale Nachrichtenwerte reproduzieren sich über die redaktionellen Entscheidungsprogramme derjenigen Zeitschriften, die zugleich die höchsten Reputationsgewinne versprechen und verstärken die Kluft zwischen der methodisch kontrollierten Herstellung und medial geformten Darstellung von Wissen innerhalb wissenschaftlicher Publikationen (Franzen 2011a). Diese ersten Ergebnisse zu Medialisierungstendenzen im wissenschaftlichen Kommunikationssystem lassen sich nicht ohne weiteres generalisieren. Die Frage für den Vergleich von Mathematik, Zeitgeschichte und Molekularbiologie ist, ob und wie Medialisierung in der wissenschaftlichen Kommunikation zum Ausdruck kommt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Publikationskulturen der untersuchten Fächer deutlich unterscheiden.
3.1 Die Publikationskulturen der Mathematik, Zeitgeschichte und Molekularbiologie im Vergleich Die Mathematik ist mit etwa 65 Hauptarbeitsgebieten und 6000 Spezialgebieten hochgradig diversifiziert (Heintz 2000; Schmidt 2003). Gleichwohl erscheint sie in sozialer wie in kognitiver Hinsicht als intern homogen: In Interviews und Veröffentlichungen beziehen sich Mathematiker zumeist auf die Mathematik als Ganzes als Referenz, nicht auf ihr Arbeitsgebiet, und die kognitive Einheit erklärt Heintz durch den Beweis als zentrales Integrationsmedium (Heintz 2000: 193 und 273). Dem entspricht, dass die anerkanntesten Zeitschriften, Annals of Mathematics und Inventiones Mathematicae, das gesamte Fach umfassen. Weil es eine konsensfähige Hierarchie reputierter Probleme gibt, spielen die Zeitschriften für die Aufmerksamkeitssteuerung im Fach eine geringe Rolle, stattdessen steht mit arXiv.org ein Open-Access-Dokumentenserver für preprints im Zentrum eines globalen Kommunikationssystems (vgl. Gritzmann 2008). Dass es eine Hierarchie wichtiger Forschungsthemen gibt, bedeutet jedoch nicht, dass sich alle Mathematiker mit den Hilbertschen Jahrhundertproblemen befassen. Zwar lässt sich mit einigen Themen ein »Riesenmedienpaukenschlag« landen, wie ein Mathematiker am Beispiel der Goldbach-Vermutung anführt, jedoch wählt man grundsätzlich das Forschungsthema auf einem Schwierigkeitsgrad,
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der zu den eigenen Kompetenzen passt. Hierfür existieren diverse Fachzeitschriften mit einem sehr speziellen Profil. Der Anspruch des institutionalisierten PeerReview-Verfahrens, vor allem im oberen Segment der allgemeinmathematischen Zeitschriften ist, dass Beweise veröffentlicht werden, die auf ihre Validität bereits geprüft sind und dies braucht Zeit.5 Mathematische Fachzeitschriften haben im Vergleich zu anderen Disziplinen niedrige Impact-Faktoren aufgrund der vergleichsweise niedrigen durchschnittlichen Zitationsraten pro Artikel (Hornbostel et al. 2008), bei Zeitschriften der angewandten Mathematik liegt der Impact-Faktor etwa zwischen 0,5 und 3 (Drösser 2010). Nach Meinung derer, die professionell mit Zahlen arbeiten, sind Zitationsstatistiken als Maß für Qualität an sich wenig brauchbar und deshalb mit großer Vorsicht zu behandeln (vgl. Adler et al. 2008). Im August 2010 beschloss die International Mathematical Union (IMU), dass die Qualität mathematischer Zeitschriften zukünftig nur noch von Experten beurteilt werden soll, nachdem ein Fall künstlicher Zitationssteigerung einer Zeitschrift bekannt wurde (vgl. Drösser 2010). Bei der Zeitgeschichte handelt es sich wie bei allen geisteswissenschaftlichen Fächern um eine Fachkultur, in der in der fachinternen Kommunikation genauso wie in der öffentlichen Rezeption Monographien eine wichtige Rolle spielen, wodurch sie sich von den naturwissenschaftlichen Fächern abhebt. Hier sind neben den Zeitschriftenredaktionen die (Publikums-)Verlage und ihre Lektorate als zentrale Organisationen im Publikationssystem zu nennen. Ein weiterer Unterschied zu Mathematik und Molekularbiologie besteht darin, dass Zeithistoriker überwiegend in nationalen Zeitschriften publizieren, da internationale Publikationen kaum Reputationsgewinne versprechen, es sei denn in Form von Übersetzungen. Mehrere historische Zeitschriften bieten jedoch die Möglichkeit, die Publikationssprache selbst zu wählen (in der Regel Deutsch, Englisch und Französisch) oder ggfs. zu übersetzen. Die Zeitgeschichte wurde als akademisches Fach in Deutschland erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs institutionalisiert und ist eng geknüpft an die Gründung der ›Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte‹ im Jahr 1953. Ihr Begründer, Hans Rothfels, definierte in seinem programmatischen Aufsatz Zeitgeschichte als die »Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung« (Rothfels 1953: 4) zusammen und etablierte damit einen dynamischen Epochenbegriff. Von Beginn an sprachen die Vierteljahrshefte nicht allein die Fachöffentlichkeit, sondern eine breitere Öffentlichkeit an, was der doppelten Zielsetzung des Instituts für Zeitgeschichte in München entspricht, an dem die Zeitschrift bis heute herausgegeben wird. Selbst gestellte Aufgabe ist: »Die nationale Schreckensherrschaft zu erforschen und die Öffentlichkeit über die Schandtaten und Funktionsweisen des Dritten Reichs aufzuklären« (Graml/ Woller 2003: 52). Eine breite Öffentlichkeitsorientierung gilt auch beispielsweise 5 | Für ein Gutachten in mathematischen Zeitschriften gibt es beispielsweise keine strengen Abgabefristen (Geist et al. 2010). Dies steht im Gegensatz zu den Forschungsfronten der Molekularbiologie, in denen enge Zeitvorgaben den Veröffentlichungsprozess leiten.
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für die ›Zeithistorischen Forschungen‹, seit 2004 Publikationsorgan des gleichnamigen Potsdamer Instituts mit Schwerpunkt DDR-Geschichte. Über Qualitätskriterien in der geisteswissenschaftlichen Forschung herrscht generell wenig Einigkeit, so dass jüngst eine Debatte zum Begutachtungssystem historischer Zeitschriften angestoßen wurde (vgl. Schmidt-Glintzer 2010). Auch eine Kontroverse um die Einführung des sogenannten European Reference Index for the Humanities (ERIH) zur Bewertung der relevanten Fachzeitschriften seitens der European Science Foundation zeugt von der generellen Schwierigkeit, Qualitätsstandards in einem multiparadigmatischen Fach zu definieren. Bei historischen Zeitschriften lässt sich auch nicht ohne weiteres eine Ablehnungsquote der Manuskripte beziffern, die andernorts als Qualitätsindikator einer Zeitschrift angeführt wird. Dies hängt damit zusammen, dass der Einreichungsmodus ein anderer ist: Häufig werden Themenhefte erstellt und die entsprechenden Manuskripte bei einschlägigen Wissenschaftlern angefragt. Autor und Redaktion arbeiten dann quasi gemeinsam an einem Artikel, was sicherstellt, dass er vom Profil und der Art der Darstellung her passt. Anders als in den Naturwissenschaften ist für die Reputation und Karriere nicht die Annahme von Manuskripten bei Fachzeitschriften entscheidend, sondern diejenige bei renommierten Verlagen. Blaschke (2010) konnte zeigen, dass ein Verlag wie C.H. Beck, der sich als »wissenschaftlicher Publikumsverlag« versteht, in der Wunschliste der Publikationsorte von Historikern an erster Stelle rangiert, und damit eine zentrale Rolle für die Reputationsvergabe in der Geschichtswissenschaft spielt. Solche Verlage mit paradigmatischer Stellung, wie die befragten Wissenschaftler sie wahrnehmen, stehen also im Zentrum einer Reputationshierarchie, die vor allem unterschiedliche Reichweiten bedeutet und bei hohen Auflagen auch finanzielle Anreize. Ein erfolgreicher Buchautor kann von den Tantiemen leben. Die Molekularbiologie zeichnet sich durch einen starken innerwissenschaftlichen Wettbewerb aus, der von forschungspolitischen Richtungsentscheidungen und privatwirtschaftlichen Investitionen mitbestimmt wird. Mit der engen Verknüpfung von wissenschaftlichem Fortschritt und technologischen Durchbrüchen geht ein fließender Übergang zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung einher (vgl. Abels 2000: 61), wobei die ethischen Implikationen dieser Forschung, die das Leben jedes Einzelnen betreffen kann, Gegenstand öffentlicher Debatten werden. Die Molekularbiologie weist ein enormes Publikationsaufkommen gekoppelt mit überdurchschnittlich hohen Zitationsraten auf. Hier strukturiert eine klare Reputationshierarchie der Zeitschriften durch den Impact-Faktor die wissenschaftsinterne Kommunikation. Diejenigen Zeitschriften, die zu den renommiertesten gehören, sind nicht wie das Gros der Zeitschriften hochgradig spezialisiert, sondern decken entweder das gesamte Feld der Molekularbiologie ab oder sind sogar multidisziplinär angelegt. Diese sogenannten ›high-impact‹-Zeitschriften vollziehen einen hochselektiven Entscheidungsprozess; ihre Ablehnungsquoten liegen bei über 90 %. Nicht selten bieten Autoren ihre Manuskripte zuerst hochrangigen Zeitschriften an, um bei Ablehnung eine
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oder mehrere Stufen unterhalb schlussendlich akzeptiert zu werden (vgl. Myers 1985), was eine Überlastung des Gutachtersystems zur Folge hat. Sobald neue Forschungsgebiete entstehen, kommt es zur Neugründung von Zeitschriften, die in Konkurrenz zu bestehenden Titeln treten. Die Marktförmigkeit des akademischen Zeitschriftenwesens tritt hier insgesamt am deutlichsten zutage. Wie lässt sich dieser Hinweis auf unterschiedlichen Publikationskulturen nun mit der Medialisierungsthese verbinden? Generell handelt es sich bei Zeitschriftenaufsätzen, wie Ludwik Fleck bereits frühzeitig betonte, um vorläufiges Wissen, das der weiteren Überprüfung bedarf, um von der Fachgemeinschaft anerkannt zu werden. Dasselbe Wissen erhält im öffentlichen Raum apodiktische Züge (vgl. Fleck 1980 [1935]: 150). Für eine Berichterstattung in den Massenmedien muss die fachinterne Kommunikation in Richtung Allgemeinverständlichkeit angepasst werden. Dies wird einerseits von Wissenschaftsjournalisten geleistet bzw. je nach Fach auch von Journalisten im Ressort Kultur oder Politik, häufig unter Mitarbeit von Wissenschaftlern als Experten. Andererseits wird sie an Pressestellen überantwortet. Offensichtlich ist, dass nicht jede Fachpublikation für die breite Öffentlichkeit von Interesse ist und dementsprechend Medienaufmerksamkeit erfährt – im Gegenteil, die direkte mediale Resonanz auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse ist mit etwa 0.01 % aller publizierten Zeitschriftenartikel die Ausnahme (vgl. Suleski/Ibaraki 2010)6. Die im Projekt vollzogene methodische Konzentration auf den Fachartikel als Kern der wissenschaftlichen Kommunikation erlaubt es jedoch, Medialisierung in den verschiedenen Fachkulturen empirisch vergleichend an die Zeitschriften und Verlage rückzubinden7. Die durchgeführte Medienresonanzanalyse aktueller Forschungsergebnisse zeigt, dass die mediale Beobachtung der jeweiligen Fachentwicklung ungleich verteilt ist: Mathematische Forschungsergebnisse etwa werden so gut wie nie Gegenstand wissenschaftsaktueller Berichterstattung. Die wenigen Ausnahmefälle betreffen Artikel, die in den multidisziplinären Zeitschriften Science und Nature publiziert wurden, Publikationsorte mit wenig Bedeutung in der mathematikinternen Reputationshierarchie. Gerade angesichts dieses Befundes lässt sich resümieren, dass die Erwähnung in der Presse eng an den Zeitschriftentitel gekoppelt ist, zunächst unabhängig vom jeweiligen Forschungsthema. Die Konzentration von Aufmerksamkeit auf einige wenige Zeitschriften lässt sich zum einen auf das Renommee
6 | Solche Zahlen sind zwar aus methodologischen Gründen mit Vorsicht zu genießen und schwanken auch erheblich zwischen den Disziplinen (vgl. ebd.). Sie unterstreichen dennoch deutlich die Grenzziehung zwischen dem wissenschaftlichen und medialen Diskurs. 7 | Diese methodische Engführung wird der Zeitgeschichte als klassischer Buchwissenschaft nur bedingt gerecht, wie die Analysen zeigten. Das Projektvorhaben wird deshalb aktuell durch eine Rezeptionsanalyse ausgewählter Buchklassiker/Bestseller der zeithistorischen Forschung ergänzt.
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der Zeitschrift und zum anderen auf die Intensität ihrer Pressearbeit zurückführen.
3.2 Die Pressearbeit der Zeitschriftenredaktionen und Verlage im Vergleich Wie unsere Analysen zeigen, unterscheidet sich der Professionalisierungsgrad der PR-Arbeit in den drei Fächern deutlich. Die Zeitschriften für die Molekularbiologie bieten mehrheitlich einen Presseservice an. Sie unterhalten in der Regel eine Pressestelle mit einem oder mehreren hauptamtlichen Mitarbeitern, um u.a. Pressemitteilungen zu einzelnen Artikeln zu erstellen in Absprache mit den Fachredakteuren, die die Begutachtung des Manuskripts betreut haben. Registrierte Journalisten erhalten eine Woche vor dem Erscheinungstermin umfangreiche Vorabinformationen, die die Recherchearbeit erleichtern und damit auch die Berichterstattung. Die mit Sperrfristen versehenen Pressemitteilungen (›Embargoed News‹) koppeln die Medienaufmerksamkeit an die Zeitschriftenagenda. Sie sind damit ein Erklärungsfaktor für die konsonante Berichterstattung, die in der Molekularbiologie gehäuft vorkommt, d.h. mehrere Medien berichten nahezu zeitgleich über einen Fachartikel. Medienresonanz wird generell als Bestätigung der redaktionellen Entscheidungen interpretiert und unterstützt aus Sicht eines Chefredakteurs die Markenbildung einer Zeitschrift: »Media coverage is very important in terms of our brand.« Allerdings entsteht gerade bei einer engen Kopplung von hoher wissenschaftlicher Reputation einer Zeitschrift auf der einen Seite und einer intensiven medialen Aufmerksamkeit auf der anderen Seite eine gewisse Spannung. Hier illustrieren die Interviews, dass sich nach Einschätzung der Forscher der mediale Erfolg einiger Spitzenzeitschriften nicht immer mit wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen in Übereinstimmung bringen lässt. Ein Stammzellforscher meint: »Dass sie [Science und Nature] oft der Versuchung erliegen, auch falsche Sachen zu früh zu publizieren, weil sie eine Sensation sind.« Dieser Vorwurf an Zeitschriften mit hoher öffentlicher Sichtbarkeit ist allgemein verbreitet. Eine solche Kritik verweist auf die generelle Konflikthaftigkeit wissenschaftlicher und massenmedialer Relevanzkriterien (vgl. Franzen 2011a). Aus Sicht der Redakteure wird jedoch eine klare Grenze gezogen zwischen dem Innen und Außen, der Auswahl der Beiträge und ihrer öffentlichen Rezeption. Ein Chefredakteur eines disziplinübergreifenden und publikumswirksamen Titels betont an dieser Stelle: »Media coverage has never been a criterion for our selection of papers. Okay? We have always insisted that we only accept papers because of their scientific interest. And because newspapers have an interest in science anyway, we find that we got tons of coverage. That is not a problem, right?«
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Würde der Eindruck entstehen, dass massenmediale Interessen Berücksichtigung im redaktionellen Entscheidungshandeln finden, wäre dies laut Aussage eines Herausgebers das »Todesurteil« für ein Journal. Dies steht im Einklang mit der normativen Erwartung, dass allein wissenschaftliche Relevanzkriterien für die Publikationswürdigkeit von eingereichten Manuskripten herangezogen werden sollten. Tenor unter den Redakteuren im molekularbiologischen Feld ist insgesamt, dass potenzielle Medienresonanz überhaupt keine Rolle im redaktionellen Entscheidungsprozess spielt. »For me, the media is an after event. It does not affect, the editors are not interested in the media at all«, so ein Redakteur einer multidisziplinären Zeitschrift mit Schwerpunkt Molekularbiologie. Gleichwohl fällt bei näherem Hinsehen auf, dass die Unterscheidung von wissenschaftlichen und medialen Erfolgskriterien nicht trennscharf ist. ›Medizinische Relevanz‹ ist beispielsweise ein solcher Faktor, der in beide Richtungen auszudeuten ist. Dementsprechend existieren redaktionelle Erfahrungswerte, mit welchen Themen Medienaufmerksamkeit wahrscheinlich wird, wie z.B. krankheitsspezifische Forschung oder neue Beiträge zur menschlichen Evolution. Aufsätze, die laut Aussage eines Redakteurs in der Zeitgeschichte »wissenschaftliches Schwarzbrot« sind, finden in der Regel keinen journalistischen Anklang; die Überbetonung der gesellschaftlichen Relevanz einzelner Forschungsergebnisse kann umgekehrt jedoch negative Schlagzeilen für die Zeitschrift und alle Beteiligten bedeuten. 8 Die Kunst der Pressearbeit zu aktuellen Forschungsartikeln besteht darin, den Mittelweg zu finden und wissenschaftliche und mediale Relevanzkriterien in Einklang zu bringen. Um dem Dauerverdacht einer Nachrichtenwertorientierung seitens der Pressestelle zu begegnen, hat beispielsweise eine international sichtbare und multidisziplinäre Zeitschrift eine Art Rückkopplungsschleife in ihre Pressearbeit eingebaut: »We have a statement in it that says, we try not to hype our results. This is just for journalists. If you think this is being hyped by us, let us know. Because that is really important to us, that is part of the trust. We need the journalists to trust us as much as anybody else.« (Pressestellenleiter Zeitschrift)
Für die Zeitschriften der Mathematik existiert dagegen kein Presseservice. Dies deckt sich mit der Einschätzung, mathematische Forschungsergebnisse seien nicht vermittelbar, die sich sowohl bei den Mathematikern selbst als auch bei PR-Akteuren und Wissenschaftsjournalisten findet. Die PR mathematischer Forschungseinrichtungen setzt deshalb vorrangig auf Öffentlichkeitsarbeit zu Veranstaltungen statt auf Pressearbeit zu aktueller Forschung, denn »aus diesen rein 8 | Ein offensichtlicher Fall eines solchen Hypes um einzelne Forschungsergebnisse war ein Science-Artikel, der laut Presseerklärung der NASA auf die Existenz außerirdischen Lebens schlussfolgern ließ, wissenschaftlich jedoch schon früh als unsolide eingestuft wurde (siehe im Detail Franzen 2011b).
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mathematischen Themen aus den Fachzeitschriften lässt sich fast nichts machen, außer sie haben Anwendungsbezug oder sind ein Jahrhundertereignis«, wie ein Pressesprecher es formuliert. Trotzdem – oder gerade aus diesem Grund – betreibt die Deutsche Mathematiker-Vereinigung eine nationale Pressestelle für die Disziplin mit hauptamtlichem Personal. Das Wissenschaftsjahr »Jahr der Mathematik‹« 2008 gilt nicht zuletzt wegen dieser Verstetigung der disziplinären Öffentlichkeitsarbeit als ein besonders erfolgreiches Wissenschaftsjahr. Fachzeitschriften der Zeitgeschichte betreiben zwar Pressearbeit, die jedoch in den Redaktionen praktisch nebenbei erledigt wird. Dies lässt sich etwa daran festmachen, dass die Rolle des zuständigen Mitarbeiters für Pressearbeit nicht als eigene Berufsrolle institutionalisiert ist, sondern die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter betreut wird, der dafür etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit aufwendet. Die Pressearbeit ist – statt auf maximale Verbreitung, wie bei den ›Embargoed News‹ der Molekularbiologie – auf eine direkte Ansprache von bestimmten Journalisten ausgelegt. Zwar werden die Heftinhalte regelmäßig über einen Emailverteiler versendet, aber nach Einschätzung der Verantwortlichen lassen sich Themen der Zeitgeschichte besser über das exklusive Nutzungsrecht einzelner Beiträge an Qualitätszeitungen verkaufen als über den Versand der Informationen an große Verteiler, die in der Flut an Pressemitteilungen leicht untergehen. Ähnlich gehen die Verlage vor, deren Pressearbeit hauptsächlich auf Rezensionen zum Erscheinungstermin eines neuen Buches abzielt. Sie beliefern ausgewählte Journalisten bereits Monate im Voraus, zunächst mit dem kommenden Verlagsprogramm und dann z.T. exklusiv mit Vorabdrucken neuer Publikationen. Die Pressereferenten der zeithistorischen Institute und Verlage haben es in den Redaktionen der für sie relevanten überregionalen Tages- und Wochenpresse fast ausschließlich mit promovierten Historikern zu tun. Diese werden von den befragten Wissenschaftlern übereinstimmend als »Kollegen in den Redaktionen« wahrgenommen, die in der Lage sind, den »öffentlichen Diskurs über Geschichte auf fachwissenschaftlichem Niveau und ›hart an der Forschungsfront‹ zu gestalten« (Nolte 2008: 144). In der Zusammenarbeit geht es um Themen, deren Relevanz nicht weiter begründet werden muss. »Sobald es das Dritte Reich ist, gehen sie alle wie elektrisiert in die Höhe«, so der Leiter eines Forschungsinstituts. Die Pressereferenten können gut voraussagen, welche Beiträge auf Medienresonanz stoßen werden: »Meistens sind es Aufsätze aus der NS-Zeit, wo tatsächlich Neues, Spektakuläres auftaucht, anderes, Geheimdienste, DDR, Stasi. Da weiß ich todsicher – oder Widerstand, Wehrmachtsdebatte – das ist in der Presse nach wie vor begehrt.«
Da die breite Öffentlichkeit als Publikum bei der Zeitgeschichte grundsätzlich mit angesprochen wird, ist die mediale Beachtung ihrer Publikationen für die Zeitschriften von Bedeutung: »Es ist für Zeitschriften schon etwas wert, wenn sie in
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den Medien überhaupt jemals beachtet werden«, so ein Redakteur. Von Medienaufmerksamkeit nimmt die Redaktion an, dass sie förderlich für den Absatz einer Zeitschrift ist und einen Legitimationsgewinn für das herausgebende Institut erbringt. Ähnlich wie in der Molekularbiologie wird Medienresonanz also als Bestätigung der redaktionellen Entscheidungen interpretiert und im Sinne einer breiten Publikumsorientierung als Qualitätsausweis einer wissenschaftlichen Zeitschrift verstanden. Dass zeithistorische Themen immer schon öffentliche Themen sind, mag erklären, warum die Pressearbeit der zeithistorischen Zeitschriften und Institute vergleichsweise neu und wenig professionalisiert ist. Diese Zurückhaltung steht in auffallendem Kontrast zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Publikumsverlage. Letztere wird von den dort verlegten Wissenschaftlern als außerordentlich professionell wahrgenommen, so werden etwa Lesereisen organisiert und gemeinsam mit dem Autor der Zeitpunkt der Veröffentlichung optimiert. Die Buchverlage versuchen ebenso wie einige naturwissenschaftliche Zeitschriften, die journalistische Berichterstattung über Sperrfristen zu steuern und so auf den Erscheinungstermin eines neuen Buches zu konzentrieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Professionalisierungsgrad der fachspezifischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit stark unterscheidet, was etwa in der Anzahl der Pressemitteilungen deutlich wird: In der Mathematik kommen Pressemitteilungen zu aktueller Forschung in unserer Stichprobe gar nicht vor, weder bei den Zeitschriften noch bei den Forschungsinstituten, gleichwohl gibt es ein nationales Pressebüro für die Mathematik, das vor allem über Veranstaltungen informiert. Auch in der Zeitgeschichte finden sich Pressemitteilungen zu einzelnen Artikeln nur in Ausnahmefällen und in den zeithistorischen Instituten wird relativ wenig Aufwand für Pressearbeit betrieben. Man geht – wohl zu Recht – davon aus, dass viele zeithistorische Themen keine Pressearbeit brauchen, sondern für sich selbst sprechen, weil sie auf ein bereits vorhandenes öffentliches Interesse stoßen. Unsere Daten zeigen neben der engen Kopplung von wissenschaftlicher und medialer Agenda in der Molekularbiologie wenig konsonante Berichterstattung in den anderen beiden Fachkulturen, in denen kein (Mathematik) oder ein stark individualisiertes (Zeitgeschichte) Informationssystem für Journalisten existiert. Dies deutet, in Übereinstimmung mit Selbstbeschreibungen von Wissenschaftsjournalisten in der Mathematik ebenso wie in den Geisteswissenschaften (vgl. Kaube 2012), darauf hin, dass die Freiheitsgrade für die Themenwahl sehr hoch sind, und zwar sowohl im Feuilleton als auch auf den Wissenschaftsseiten. Neben Zufallsauswahlen ist die Medienagenda am ehesten auf die Ausbildung und die Interessen der Journalisten zuzurechnen. Sieht man die Vereinheitlichung der nationalen und wohl auch der internationalen Medienberichterstattung in der Molekularbiologie als einen Erfolg des ›convenience food‹, das Science und Nature anbieten, wie es der Wissenschaftsjournalist Gero von Randow einmal ausgedrückt hat, dann bleiben in den anderen Fachkulturen aktuell noch einige Einflussmöglichkeiten auf die mediale Agenda ungenutzt.
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3.3 Medienorientierung als ein sich selbst verstärkender Prozess Die Intensität der Pressearbeit wächst erwartungsgemäß mit ihren personellen und finanziellen Ressourcen und ihrer Professionalisierung, weil sich die einmal eingerichtete Pressestelle legitimieren muss. Dies zeigt sich wiederum am deutlichsten für die Molekularbiologie. Hier ist Pressearbeit ein gängiges Mittel, um auf Forschungsleistungen hinzuweisen und dies im Namen des Forschungsinstituts, der Forschungsförderung, der beteiligten Biotech-Unternehmen und eben der Zeitschrift selbst. Aus Sicht der Zeitschriftenredaktionen ist ihre Pressearbeit eine Reaktion auf die Ausweitung der Medienaktivitäten im gesamten Forschungsumfeld. Die Redakteure nehmen einen verstärkten Wunsch nach Medienaufmerksamkeit seitens der Wissenschaftler, ihrer Organisationen und insbesondere seitens der Forschungsförderer wahr: »Scientists call the press. They want to be in the media. […] Now, when we press release something, we are being hounded by the university press office, by the funding body’s press office, who all want to do something massive and they want to know what [journal X] is doing.« (Redakteurin Zeitschrift X).
Die Analyse des medialen Netzwerks von Fachartikeln bestätigt eine selbstverstärkende Tendenz der Medienorientierung. Im Material zur Molekularbiologie finden sich bis zu acht Pressemitteilungen pro Zeitschriftenbeitrag, und zwar aus den Reihen der Forschungsförderer, der Verlage, der Zeitschriften, der herausgebenden Fachgesellschaften, der Forschungsinstitute oder auch der beteiligten Unternehmen. Wissenschaftler nehmen ihrerseits eine Erwartung medienöffentlicher Sichtbarkeit sowohl seitens der Forschungsförderer als auch seitens ihrer Organisationen wahr. Sie problematisieren die Spannung zwischen den Erwartungen an peer reviewtes Wissen und science by press release. Beispielhaft dafür steht die folgende Aussage eines Humangenomforschers: »Frequently what happens is that the institution says, ›We have a fundraising dinner coming up next week and Bill and Linda Gates are coming and if we have a cure for cancer they may give us a lot of money.‹ Do we think this [not yet published research] is important, let’s have a press conference.«*9
Wissenschaftler in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA gehen gleichermaßen davon aus, dass auch Forschungsförderer wie nationale Ministerien Medienaufmerksamkeit als Indikator für die Relevanz eines Forschungs-
9 | Die mit (*) gekennzeichneten Interviewdaten mit Humangenomforschern in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA wurden in einer früheren Studie erhoben (vgl. Rödder 2009).
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projekts verstehen und entsprechendes Bemühen um Sichtbarkeit erwarten. Ein deutscher Forscher ist sich sicher: »Das BMBF möchte das. Je mehr Ergebnisse vermarktet werden als BMBF-gesponsert, wenn’s nur toll verkauft wird und wenn es heißt, jetzt haben wir wieder Fortschritte gemacht, dann ist es sehr willkommen.«*
Was die Zeitschriften betrifft, beobachten und kritisieren die Wissenschaftler dramaturgische Vorgaben, die darauf abzielen, neben wissenschaftlichen möglichst auch gesellschaftliche Anschlüsse zu schaffen. Dies gilt in erster Linie für hochrangige multidisziplinäre Zeitschriften, die damit nach Ansicht biomedizinischer Forscher wissenschaftliche Themenkonjunkturen steuern (vgl. Franzen 2011a: 138ff.). Die Zeitschriftenredaktionen im molekularbiologischen Feld nehmen dagegen umgekehrt einen verstärkten Druck seitens der Autoren wahr, deren Institute nach Aussage eines Chefredakteurs davon auszugehen scheinen, »wenn wir nicht in der Presse sind, sind wir tot!« Zwar haben sie Verständnis dafür, dass Forschungsförderinstitutionen ein Interesse daran haben, zu wissen, warum ihr Geld in ein bestimmtes Feld fließt, aber Medienaufmerksamkeit als hartes Kriterium für finanzielle Zuwendungen an Forschungseinrichtungen wird aus Herausgebersicht für »wirklich einen schockierenden Schritt« gehalten. Eine geäußerte Befürchtung ist der ›Ausverkauf‹ des Journals – gegen wissenschaftlich begründete Zielsetzungen. Selbstgestecktes Ziel der Presseaktivität der Fachzeitschriften ist es, für eine wissenschaftlich solide Berichterstattung zu sorgen: »If the funding body or the institute are press releasing the paper, then we normally do it as well. Just to make sure the findings are accurately reported«,
so der Pressestellenleiter einer multidisziplinären Zeitschrift. Hierfür sind jedoch Kapazitäten nötig, über die in der Regel nur die Zeitschriften im Zentrum des Publikationswesens verfügen.
4. D IE MEDIALE A NSCHLUSSFÄHIGKEIT AK TUELLER F ORSCHUNGSERGEBNISSE IM V ERGLEICH Die Medienresonanz zu aktueller Forschung fällt in den Fachkulturen10 nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ höchst unterschiedlich aus. Eine Erklärung dafür ist die unterschiedliche Integrationsfähigkeit der fachwissenschaftlichen 10 | In der vergleichenden Medienresonanzanalyse aktueller Forschungsergebnisse wurde die thematische Einschlägigkeit von Fachartikeln im Projekt wie folgt definiert: für die Zeitgeschichte Studien zur Geschichte ab 1933, für die Mathematik die Beschränkung auf
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Themen in öffentliche Debatten. Dies lässt sich für die drei Fächer wie folgt konkretisieren: Die Forschungsthemen der Zeitgeschichte sind immer schon ›öffentliche‹ Themen in dem Sinne, dass es medienöffentliche Deutungsmuster unabhängig von den wissenschaftlichen gibt, die in Konkurrenz zueinander treten können. Die Einheit der Themen in Wissenschaft und Massenmedien hat u.a. zur Folge, dass wissenschaftliche Kontroversen nicht nur in den fachwissenschaftlichen Medien, sondern auch im öffentlichen Raum ausgetragen werden. Die Unterschiede zwischen fachwissenschaftlichen und massenmedialen Publikationsformaten sind lediglich formaler Natur (Länge, Fußnotenapparat), in Einzelfällen werden Texte oder Originaldokumente aus Fachzeitschriften wörtlich oder leicht gekürzt in die Zeitung übernommen. Der Publikumsverlag und das Feuilleton der überregionalen Tages- und Wochenpresse sind wichtige und reputationsrelevante Publikationsorte. Damit nehmen Organisationen des Mediensystems eine Stellung im Zentrum des fachlichen Publikationssystems ein, die in den Naturwissenschaften multidisziplinären Journalen vom Typus Science und Nature zukommt.11 Wenn jedoch die Gesetze des Feuilletons die Aufmerksamkeit steuern und Fachkontroversen mitbestimmen, so stellt sich die Frage, ob es gelingt, dass sich solche Kontroversen von Debatten um die geschichtspolitische Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit zu wissenschaftlichem Streit emanzipieren. Diese Kontinuität von fachlichem und medienöffentlichem Diskurs gilt aber nicht für alle massenmedialen Titel und Formate. Geschichtsdarstellung im Fernsehen nach dem ›Modell Guido Knopp‹ wird von Wissenschaftlern (Kansteiner 2003) und Feuilletonisten (Schirrmacher 1998) gleichermaßen harsch kritisiert. Die Grenze zwischen wissenschaftlicher und populärer Kommunikation verläuft also innerhalb dessen, was wir als Massenmedien ansprechen: Das Feuilleton zählt zur fachlichen Kommunikation, das Fernsehen sicher nicht, auch nicht das öffentlich-rechtliche. Die breite Öffentlichkeitsorientierung entfaltet ihre Resonanz in der Zeitgeschichte des weiteren über die Buchverlage. Die höchste Reputation nach der Qualifikationsphase lässt sich mit einer Veröffentlichung in einem seriösen Publikumsverlag erreichen. Dies koppelt das akademische Anerkennungssystem an die verlegerische Nachfrage. Einer umfassenden Studie des historischen Verlagswesens zufolge »machen Verleger Geschichte« (Blaschke 2010), indem sie Buchideen bei einzelnen Historikern in Auftrag geben. Dagegen verweist ein befragter Ergebnisse der reinen Mathematik und für die Molekularbiologie die Fokussierung auf zwei Themengebiete, und zwar die Genomforschung und die Stammzellforschung. 11 | Zeitschriften haben noch eine weitere wesentliche Funktion im wissenschaftlichen Kommunikationssystem, sie fungieren als Marken und vergeben Reputation. Inwieweit das Feuilleton auch diese Funktion übernimmt, d.h. inwieweit mediale Prominenz in fachliche Reputation konvertierbar ist, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, eine entsprechende Analyse findet sich in Rödder (2013).
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Lektor darauf, dass er sein Feld kennt und potenzielle Publikumsautoren ausschließlich aus den besten Wissenschaftlern auswählt. Ebenso wie bei den hochrangigen Zeitschriften der Molekularbiologie zeigt sich also die Tendenz, einen wissenschaftsfremden Einfluss auf das Feld von sich zu weisen. Die Mathematik scheint vom Strukturwandel im Zusammenhang mit der neuen Governance der Wissenschaft insgesamt nur wenig betroffen. Dies gilt auch für Medialisierungsprozesse. Aktuelle mathematische Forschung findet aufgrund der abstrakten Problemstellungen und der formalisierten Sprache kaum massenmediale Anschlüsse, wie die Ergebnisse der Medienresonanzanalyse zeigen. Dass sich mathematische Ergebnisse nicht medial vermitteln lassen, ist auch die einhellige Meinung aller Befragten. Jedoch existiert eine Pop-Version der Mathematik, in die die mathematische Gemeinschaft in Deutschland im Dienste der Nachwuchsrekrutierung und Verbesserung des öffentlichen Bildes der Fachkultur viel Öffentlichkeitsarbeit investiert (beispielhaft im »Jahr der Mathematik 2008«). Sie hat jedoch weder einen thematischen noch einen zeitlichen Bezug zur aktuellen Forschungsmathematik: Mathematik in der Öffentlichkeit ist zeitlich »die Mathematik aus dem Jahr 1780«, wie ein Forscher es ausdrückt, und inhaltlich Rätsellösung. Diese vollständige Entkopplung der Themen legt nahe, dass sich auch eine höhere mediale Aufmerksamkeit für die Mathematik nicht auf die Wissensherstellung und -darstellung der Fachkultur auswirkt. In der Molekularbiologie schließlich stimmen die massenmediale und die wissenschaftliche Agenda weitgehend überein, was darauf zugerechnet werden kann, dass sich die Medien in hohem Maße an der Wissenschaftsaktualität von Publikationsereignissen orientieren. Hierbei spielen das Embargo-System der führenden Fachzeitschriften, das registrierten Journalisten vorab Zugang zu den Heftinhalten und weiterführenden Informationen ermöglicht, sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Forschungsinstitute eine zentrale Rolle für die journalistische Themenselektion. Über Kontextualisierungen von Themen (Ethik, Recht, Heilung) werden zahlreiche Anschlüsse an wissenschaftliche Forschungsergebnisse generiert und in der öffentlichen Debatte aufgegriffen. Mediale Aufmerksamkeit dient hier vor allem der Ressourcengenerierung und gesellschaftlichen Legitimation. Die Daten der Medienresonanzanalyse zeigen darüber hinaus, dass es in der Stammzellforschung vor allem die politischen Implikationen einzelner Studien sind, die mediale Resonanz erzeugen, während die publizierten Sequenzierungserfolge der Genomforschung als Mittel der PR für die beteiligten privat und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen genutzt werden.
5. F A ZIT : M EDIALISIERUNG ALS K ONTE X TBEDINGUNG DER G OVERNANCE VON W ISSENSCHAF T Als »zentrale Infrastruktur der modernen Gesellschaft« (Jarren 1998: 74) erfüllen die Massenmedien ihre Funktion durch die gesellschaftsweite Zirkulation
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von Themen, deren Behandlung in ihrer Umwelt Anlass zu Irritationen gibt (vgl. Luhmann 1996: 28). In dem Maße, in dem Forschungsfördereinrichtungen ihre finanziellen Zuwendungen an die gesellschaftliche Relevanz von Forschung und diese an Formen einer öffentlicher Präsenz knüpfen, wächst der Druck vor allem in den Forschungseinrichtungen, ihre wissenschaftlichen Leistungen sichtbar zu machen, und ein Weg führt dabei über die Massenmedien (vgl. für diesen Befund ausführlich die Beiträge von Marcinkowski et al. und Peters et al. in diesem Band). Medialisierung ist damit eine Kontextbedingung der neuen Governance der Wissenschaft. Die Massenmedien leisten eine Reichweitenvergrößerung von Kommunikation und stellen damit eine wichtige Randbedingung für die Wissenschaftspolitik dar. Anders als etwa das Hochschulwesen können die Medien aber nicht direkt zum Ziel wissenschaftspolitischer Instrumente werden. Ihre Eigengesetzlichkeit ebenso wie die Eigenlogik der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion beschränken den politischen Handlungsspielraum: Auf die Herstellung und Darstellung von Wissen bezogen können zwar wissenschaftspolitische Anreize geschaffen werden, gleichwohl kann Medienpräsenz ebenso wenig erwartet werden wie ein bestimmtes Forschungsergebnis. Dabei ist die Aufmerksamkeit gegenüber wissenschaftlichen Themen ungleich verteilt. Insofern ist auch die Ausgangsfrage nach dem Einfluss von Medialisierung auf die Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Forschung zunächst fachspezifisch zu beantworten. Wissenschaftliche Leistungen manifestieren sich in Veröffentlichungen, die in Abhängigkeit von ihrem Publikationsort ihren Autoren Reputation bringen. Akademische Zeitschriften und ihre Organisationen unterliegen deshalb hohen Erwartungen an Qualitätssicherung, und zwar seitens der Leser, der Autoren, aber auch der Wissenschaftsjournalisten. Bei den Autoren steigt den Interviews zufolge neuerdings ebenfalls das Interesse an einer maximalen Verbreitung der Ergebnisse im Wettbewerb um knappe Fördermittel. Die PR-Arbeit der Zeitschriften hat sich vor diesem Hintergrund intensiviert, was gleichzeitig den ökonomischen Interessen der Verlage entgegenkommt. Antriebsfeder einer Medienorientierung sind aber nicht primär die Verlagsinteressen, sondern die Veränderungen in der gesamten Forschungslandschaft. Große Übereinstimmung herrscht in Bezug auf die Einschätzung, dass Forscher und ihre Organisationen der politischen Forderung nachkommen, wissenschaftliche Leistungen nach außen sichtbar zu machen (vgl. die Beiträge von Peters et al., Marcinkowski et al. und Blöbaum et al. in diesem Band). Übereinstimmend zeigen die Studien, dass wissenschaftliche Organisationen ihre Presseaktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren entweder verstärkt oder zumindest stärker in den Mittelpunkt gerückt haben. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt mehr Medienresonanz, sondern zunächst nur mehr Konkurrenz auf der Anbieterseite gegenüber den Medien. Als erfolgversprechendes Mittel der PR-Arbeit von Forschungseinrichtungen gilt die Publikation in einer hochrangigen Zeitschrift (vgl. Kallfass 2009). Dies koppelt den medialen Diskurs an die wissenschaftliche Aktualität.
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Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen Medialisierung als einen sich selbst verstärkenden Prozess. Zwischen den beteiligten Akteuren – Wissenschaftler, Universitäten/Forschungsinstitute, Zeitschriftenredaktionen, Pressestellen und Verlage – wird der schwarze Peter jedoch hin und her geschoben: Jeder beobachtet den anderen als medienorientiert und weist gleichzeitig eine eigene Medienorientierung von sich. Einigkeit herrscht in der Einschätzung einer steigenden Nachfrage nach Medienresonanz durch die Forschungsförderer. Bezüglich der Resonanzfähigkeit zeigt sich auf der Ebene wissenschaftlicher Themen ein Steigerungszusammenhang zwischen medialer und politischer Aufmerksamkeit, wie er auch von Peters et al. (2008) für wissenschaftliche Organisationen und von Marcinkowski et al. (in diesem Band) für die Leitungsebene der deutschen Hochschulen gefunden wurde. Angesichts der Bedeutung medienöffentlicher Debatten für das politische System ist dies auch nicht weiter überraschend. Im Fachkulturenvergleich wird umso mehr deutlich, dass die mediale Resonanz umso höher ausfällt, je größer das politische Interesse ist. Vermittelt wird dieser Zusammenhang typischerweise durch eine Moralisierung der entsprechenden Themen. In den von uns untersuchten Fächern betrifft dies die Molekularbiologie genauso wie die Zeitgeschichte. Paradigmatisch für eine enge Kopplung sind die ›Embargoed News‹ in der Molekularbiologie, über die einige Spitzenzeitschriften die Medienagenda steuern, dabei aber gleichzeitig massenmediale Kriterien berücksichtigen und als redaktionelle Erwartung an die Autoren weitergeben. Die Spannung zwischen medienöffentlicher Sichtbarkeit und wissenschaftlichen Standards tritt hier am deutlichsten hervor. Es droht Glaubwürdigkeitsverlust, wenn Zeitschriften und Forschungseinrichtungen versuchen, ihre Themen über Gebühr öffentlich zu verkaufen. Andererseits – hier liefert die Zeitgeschichte einen Paradefall für andere geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer – vollzieht sich bei nachrichtenwerten Themen eine dauerhafte Verlagerung der fachinternen Kommunikation von den disziplinären Publikationsorganen in die Massenmedien, konkret ins Feuilleton und in die Publikumsverlage. Die damit einhergehende Orientierung an den Erfolgskriterien der Medien spitzt typischerweise Kontroversen zu, wodurch sich der Ton einer fachwissenschaftlichen Debatte verschärft und Argumente durch ›soundbites‹ ersetzt werden. Ein Beispiel dafür war 2010 die kontroverse Aufnahme des Berichts der Historikerkommission, in dem die Rolle des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit aufgearbeitet wurde und aus dem Amt eine ›verbrecherische Organisation‹ wurde. Insofern bestätigen diese Ergebnisse, dass die Identifikation von Medialisierungstendenzen in der Wissenschaft nur unter Berücksichtigung disziplinspezifischer Herstellungs- und Darstellungsroutinen erfolgen kann. Vor dem Hintergrund der vorgelegten Ergebnisse scheint es sehr unwahrscheinlich, dass mediale Erwartungen das gesamte Wissenschaftssystem in Schwingung bringen und damit eine ›Resonanzkatastrophe‹ auslösen. Vielmehr illustriert der Vergleich des Publikationswesens in Mathematik, Molekularbiologie und Zeitgeschichte, wie
Die Herstellung und Darstellung von Wissen unter Medialisierungsbedingungen
unterschiedlich die Fachkulturen mit Medialisierungsprozessen konfrontiert sind. Aktuelle Forschungsergebnisse, die in der Presse aufgegriffen werden, unterliegen den Eigengesetzlichkeiten der Medien in all ihren Facetten. Die Distanz, die dabei überwunden werden muss, ist jedoch verschieden groß. Das Herstellen eines ›Verständnisproblems‹ mit Hilfe von Begriffen und formalisierter Sprache schafft Grenzen zwischen öffentlichem und fachwissenschaftlichem Diskurs und ist daher, dies zeigt die Geschichte der modernen Wissenschaft, zentral für ihren Autonomiegewinn. Dagegen ist der Verzicht auf spezielle Terminologien ein Aspekt, der den Übergang von wissenschaftlichen zu massenmedialen Publikationsorten begünstigt und damit außerordentlich geeignet ist, Medialisierungstendenzen Vorschub zu leisten. Die hier untersuchten Fachkulturen weisen einen deutlich unterschiedlichen Grad an Fachsprachlichkeit auf: Am esoterischen Ende des Spektrums liegt die Formelsprache der Mathematik, am gegenüberliegenden Ende die am Alltagsgebrauch der Sprache orientierte zeithistorische Darstellung, dazwischen die Fachsprachenterminologie der Molekularbiologie. Damit sind die drei Fachkulturen sehr unterschiedlich gewappnet, den Selbstverstärkungsprozessen zwischen der Medienorientierung aller Beteiligten eine schwer zu treffende Eigenfrequenz entgegenzusetzen.
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Die Herstellung und Darstellung von Wissen unter Medialisierungsbedingungen
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Die Herstellung und Darstellung von Wissen unter Medialisierungsbedingungen
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Autorinnen und Autoren
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Böschen, Stefan, geb. 1965, PD Dr. phil. Dipl.-Ing., seit 2012 Senior Research Scientist am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Soziologie. Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet interdisziplinärer Wissenschafts-, Technik- und Umweltforschung und Technikfolgenabschätzung sowie der Theorie moderner Gesellschaften. Brandl, Barbara, geb. 1982, Dipl. Soz., seit 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie in München (LMU). Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie sowie der Wirtschafts- und Agrarsoziologie. Brossard, Dominique, geb. 1963, Ph.D., Professur an der University of WisconsinMadison, Department of Life Sciences Communication sowie Holtz Center for Science &Technology Studies. Forschungsschwerpunkte: Schnittstellen von Wissenschaft, Medien und Politik, wissenschaftliche Kontroversen, Risikokommunikation, neue Medien. Burgi, Martin, geb. 1964, Prof. Dr., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht sowie Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen der LudwigMaximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Öffentliches Wirtschaftsrecht, Modernisierung des Verwaltungsrechts, Privatisierungsrecht, Vergaberecht sowie Kommunalrecht. Daimer, Stephanie, geb. 1976, Dr. rer. pol., Projektleiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe. Forschungsschwerpunkte: Policy-Analysen, Analyse von Entscheidungsprozessen und Instrumenten in der Forschungs-, Technologie und Innovationspolitik, Wissens- und Technologietransfer, Evaluation und Wirkungsanalyse, Internationalisierung von Forschung und Entwicklung. Döhler, Marian, geb. 1957, Prof. Dr., seit 2008 Professor für »Vergleichende Politikfeldanalyse und empirische Verwaltungswissenschaft« an der Leibniz Universität Hannover, zuvor Fernuniversität Hagen. Forschungsschwerpunkte: empirische Verwaltungsforschung, Politikfeldanalyse, Interessengruppen, Verwaltungs- und Organisationstheorien, Wissenschaftsforschung. Dornbusch, Friedrich, geb. 1982, Diplom Geograph, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe. Forschungsschwerpunkte: Wissens- und Technologietransfer zwischen Universität und Industrie, Identifikation und Analyse von akademischen Patenten, Evaluation von Innovations- und Technologiepolitik.
Autorinnen und Autoren
Dunwoody, Sharon, geb. 1947, Ph.D., Evjue-Bascom Professur an der University of Wisconsin-Madison, School of Journalism and Mass Communication. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsjournalismus, Umwelt- und Risikokommunikation, Medienrezeption und Medienwirkungen. Franzen, Martina, geb. 1974, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsforschung, Medientheorie, Wissens- und Organisationssoziologie. Friedrichsmeier, Andres, geb. 1971, Dr. phil, wiss. Mitarbeiter und Koordinator des Forschungsprojekts »Öffentlichkeit und Hochschulperformanz« am Arbeitsbereich »Kommunikation – Medien – Gesellschaft« des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Hochschulmanagement, Organisationen des öffentlichen Sektors und Medienwirkungen in Organisationen. Fromm, Nadin, geb. 1977, M.A., Politikwissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt in der Hochschulforschung. Gegenwärtig promoviert sie am Fachgebiet für Sozial- und Bildungsökonomie der Universität Flensburg zur Transnationalisierung von Hochschulbildung. Forschungsschwerpunkte: Politikfeldforschung, Governance des deutschen Wissenschaftssystems im internationalen Vergleich, Transnationalisierungsprozesse im Hochschulsektor. Fürst, Silke, geb. 1983, M.A., seit Oktober 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Fribourg, 2009 bis 2012 Mitarbeiterin im BMBF-Projekt »Organisation und Öffentlichkeit von Hochschulen« an der Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Öffentlichkeitsorientierung von Hochschulen, Wissenschaftskommunikation, Journalismus- und Kommunikationstheorie. Gerber, Sascha, geb. 1980, Dipl. Sozialwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Empirische Verwaltungsforschung (vor allem auf kommunaler Ebene), empirische Hochschulforschung. Gill, Bernhard, geb. 1958, Prof. Dr., seit 1996 Akademischer Rat am Institut für Soziologie in München (LMU). Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Umwelt-, Wissenschafts- und Techniksoziologie sowie der Politischen Ökonomie und Wirtschaftssoziologie.
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Gläser, Jochen, Dr. phil, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftssoziologie, Bibliometrie, Organisationssoziologie und qualitative Methoden. Gräf, Ilse-Dore, geb. 1984, Dipl. Juristin, Rechtsreferendarin im Freistaat Thüringen. Forschungsschwerpunkte: Hochschulrecht sowie allgemeines Verwaltungsund Europarecht. Grande, Edgar, Prof. Dr., seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Grözinger, Gerd, geb. 1953, Prof. Dr., Fachgebiet »Sozial- und Bildungsökonomie« an der Universität Flensburg. Sprecher des von der Heinrich Böll Stiftung unterstützten Graduiertenkollegs »Verantwortliche Hochschule«. Forschungsschwerpunkte: Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Ungleichheit, Wirtschaftsund Sozialsysteme. Heinze, Rolf G., geb. 1951, Prof. Dr., Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftsstruktureller Wandel und regionale Innovationssysteme, Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, neue Sektoren und Wachstumsfelder sowie Entwicklungsperspektiven moderner Wohlfahrts- und Zivilgesellschaften. Hufnagl, Miriam, geb.1983, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am FraunhoferInstitut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe. Forschungsschwerpunkte: Policy-Analyse, insbesondere Wissenschafts- und Innovationspolitik, Evaluation innovationsbezogener Policy-Instrumente, Analyse politischer Strategie-Konzepte. Jansen, Dorothea, Prof. Dr., Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie der Organisation an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie stellvertretende Direktorin des Deutschen Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung (FÖV). Jarren, Otfried, Prof. Dr., Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Zürich (seit 2008) und Ordinarius für Publizistikwissenschaft am IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich (seit 1997).
Autorinnen und Autoren
Jochheim, Linda, geb. 1984, Dipl. Sozialwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Empirische Verwaltungsforschung (vor allem administrative Elitenforschung), empirische Hochschulforschung. Jung, Arlena, geb. 1972, Dr. rer. soc., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Abteilung »Kulturelle Quellen von Neuheit«. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftssoziologie, Organisationssoziologie, Öffentlichkeit und Massenmedien, Differenzierungstheorie. Kohring, Matthias, geb. 1965, Prof. Dr., Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim. Forschungsschwerpunkte: Öffentlichkeit, Vertrauen, Wissenschaftskommunikation, Vertrauen in Ärzte, Arztbewertungsportale. Koschatzky, Knut, Prof. Dr. rer. nat., Leiter des Competence Centers »Politik und Regionen« am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe und Professor für Wirtschaftsgeographie an der Leibniz Universität Hannover. Krempkow, René, geb. 1970, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung e.V. – iFQ Berlin. Forschungsschwerpunkte: Forschung zu Leistungs- und Qualitätsbewertung und Anreizsystemen an Hochschulen; Indikatorenentwicklung, Evaluationsforschung; Akademische Karrieren; Hochschul- und Bildungsforschung. Kroll, Henning, geb. 1979, Dr. rer. nat., Projektleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe. Forschungsschwerpunkte: Hochschulbasierte Regionalentwicklung, universitär-industrielle Beziehungen, Analyse regionaler und nationaler Innovationssysteme, Evaluation regionaler Innovations- und Technologiepolitik. Landrock, Uta, geb. 1976, Dipl.-Soz., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung e.V. – iFQ Berlin. Forschungsschwerpunkte: Hochschulforschung, quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung. Lo, Yin-Yueh, geb. 1984, M.Sc., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum Jülich, Institut für Neurowissenschaften und Medizin: Ethik in den Neurowissenschaften und Doktorandin an der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftskommunikation, Neue Medien.
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Marcinkowski, Frank, geb. 1960, Prof. Dr. phil. habil, seit Oktober 2006 Professur für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Medien- und Öffentlichkeitstheorie, Wissenschaftskommunikation. Peters, Hans Peter, geb. 1955, Prof. Dr. rer. soc., Sozialwissenschaftler am Forschungszentrum Jülich, Institut für Neurowissenschaften und Medizin. Ethik in den Neurowissenschaften, und Honorarprofessor für Wissenschaftsjournalismus an der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaft und Öffentlichkeit, Wissenschaftskommunikation. Philipps, Axel, geb. 1975, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftssoziologie, visuelle Soziologie sowie periphere Verhältnisse und Praktiken. Riegraf, Birgit, geb. 1961, Prof. Dr., seit Dezember 2009 Professur für Allgemeine Soziologie an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Forschungsschwerpunkte: Gesellschafts-, Gerechtigkeits- und Staatstheorien, Arbeits- und Organisationssoziologie, Wissenschafts- und Hochschulforschung, Theorien und Methodologien der Frauen- und Geschlechterforschung. Rip, Arie, Prof. Dr., em. Professor für Wissenschafts- und Technikphilosophie, Universität Twente, Niederlande. Derzeit Professor an der Universität Stellenbosch, Südafrika. Rödder, Simone, geb. 1977, Dipl.-Biol., Dr. phil. nat., Postdoc am KlimaCampus der Universität Hamburg. Projektleitung »Understanding Science in Interaction«. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftskommunikation, Theorie und Praxis des Wissenschaftsjournalismus. Scheu, Andreas M., geb. 1979, Dr., Projektkoordinator (BMBF-Projekt) am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Medialisierung, Wissenschaftskommunikation, qualitative Methoden, Theoriegeschichte der Kommunikationswissenschaft. Schickentanz, Maren, geb. 1979, Dipl. Sozialwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Modernisierung und Reformen der öffentlichen Verwaltung.
Autorinnen und Autoren
Schimank, Uwe, geb. 1955, Prof. Dr., seit 2009 Professor für Soziologie am Institut für Soziologie, Fachbereich Sozialwissenschaften an der Universität Bremen, Leiter der AG »Soziologische Theorie/Gesellschaftliche Differenzierung und Governance-Regimes« am Institut für empirische und angewandte Soziologie (EMPAS). Schneider, Michael, geb. 1958, PD Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie in München (LMU). Forschungsarbeiten zu den Themen Innovation, Risikokommunikation und Nachhaltige Entwicklung. Schulze, Nicole, geb. 1979, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Forschungsschwerpunkte: Wissenschafts- und Hochschulforschung, Organisationsforschung, Technologieund Innovationspolitik, Management und Führung von Non-Profit-Organisationen. Spranger, Philipp, geb. 1980, M.A. Soziologie, seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg (WZU). Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Wissens- und Wirtschaftssoziologie sowie der Wissenschaftsforschung und Handlungstheorie. Summ, Annika, geb. 1980, Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Journalismusforschung, Berufssoziologie und Wissenschaftsjournalismus. Viehöver, Willy, Dr. (Phd), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Soziologische Theorie, Kulturtheorie, Umweltsoziologie, Soziale Bewegungen, Policy-Analysen, Methoden qualitativer Sozialforschung. Volpers, Anna-Maria, geb. 1983, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsjournalismus, Visuelle Kommunikation und Methoden der empirischen Sozialforschung. von Stuckrad, Thimo, Dipl. Pol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Forschungsschwerpunkte: Organisationssoziologie der Hochschule und Wissenschaftssoziologie.
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Wächter, Monika, geb. 1956, Dr. rer. nat., wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (PT-DLR) mit Arbeitsschwerpunkten im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, Wissenschaftsforschung. Weber, Lena, Dipl.-Soz., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Allgemeine Soziologie an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Forschungsschwerpunkte: Gesellschaftstheorie, Geschlechterforschung, Arbeitsund Organisationssoziologie, Wissenschafts- und Hochschulforschung, qualitative Sozialforschung. Wehling, Peter, PD Dr. phil., Projektleiter an der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Wissenschafts- und Technikforschung, Wissenssoziologie, Gesellschaftstheorie, Soziologie der Biomedizin und Biopolitik. Weingart, Peter, Prof. Dr., em. Professor für Wissenschaftssoziologie. Von 1989 bis 1994 leitete er als geschäftsführender Direktor das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) an der Universität Bielefeld, von 1993 bis zu seiner Emeritierung 2009 war er Direktor des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie.
Science Studies Diego Compagna (Hg.) Leben zwischen Natur und Kultur Zur Neuaushandlung von Natur und Kultur in den Technik- und Lebenswissenschaften Januar 2014, ca. 250 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2009-2
Stefan Kühl Der Sudoku-Effekt Hochschulen im Teufelskreis der Bürokratie. Eine Streitschrift 2012, 172 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1958-4
Sibylle Peters (Hg.) Das Forschen aller Artistic Research als Wissensproduktion zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft Mai 2013, 262 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2172-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Science Studies Rudolf Stichweh Wissenschaft, Universität, Professionen Soziologische Analysen (Neuauflage) April 2013, 360 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2300-0
Tristan Thielmann, Erhard Schüttpelz (Hg.) Akteur-Medien-Theorie Oktober 2013, 776 Seiten, Hardcover, zahlr. Abb. , 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1020-8
Christine Wolters, Christof Beyer, Brigitte Lohff (Hg.) Abweichung und Normalität Psychiatrie in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Deutschen Einheit 2012, 410 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2140-2
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Science Studies Andrea Adams Psychopathologie und »Rasse« Verhandlungen »rassischer« Differenz in der Erforschung psychischer Leiden (1890-1933) November 2013, 370 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2468-7
Celia Brown, Marion Mangelsdorf (Hg.) Alice im Spiegelland Wo sich Kunst und Wissenschaft treffen 2012, 220 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., inkl. DVD mit Filmen und Musik, 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2082-5
Catarina Caetano da Rosa Operationsroboter in Aktion Kontroverse Innovationen in der Medizintechnik Mai 2013, 392 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2165-5
Susanne Draheim Das lernende Selbst in der Hochschulreform: »Ich« ist eine Schnittstelle Subjektdiskurse des Bologna-Prozesses 2012, 242 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2158-7
Andreas Franzmann Die Disziplin der Neugierde Zum professionalisierten Habitus in den Erfahrungswissenschaften 2012, 640 Seiten, kart., farb. Abb., 44,80 €, ISBN 978-3-8376-2073-3
Gudrun Hessler, Mechtild Oechsle, Ingrid Scharlau (Hg.) Studium und Beruf: Studienstrategien – Praxiskonzepte – Professionsverständnis Perspektiven von Studierenden und Lehrenden nach der Bologna-Reform April 2013, 314 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2156-3
Anna Leuschner Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft Eine wissenschafts- und erkenntnistheoretische Analyse am Beispiel der Klimaforschung 2012, 238 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1974-4
Tanja Paulitz Mann und Maschine Eine genealogische Wissenssoziologie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1850-1930 2012, 392 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1804-4
Ulrich Salaschek Der Mensch als neuronale Maschine? Zum Einfluss bildgebender Verfahren der Hirnforschung auf erziehungswissenschaftliche Diskurse 2012, 226 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2033-7
Katharina Schmidt-Brücken Hirnzirkel Kreisende Prozesse in Computer und Gehirn: Zur neurokybernetischen Vorgeschichte der Informatik 2012, 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2065-8
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