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German Pages 304 Year 2014
Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen
Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.)
Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen
Herausgegeben von Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli und Sibylle Lichtensteiger im Auftrag von historisches museum frankfurt Stapferhaus Lenzburg Gefördert mit Mitteln der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, des Kantons Aargau sowie des Kulturamts der Stadt Frankfurt am Main
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Partizipatives Ausstellungsprojekt auf der Tagung »Das partizipative Museum. Zwischen Kooperation und User Generated Content«, 18. und 19.11.2010, historisches museum frankfurt, museoon Konzeption: Susanne Gesser, Angela Jannelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger Koordination und Redaktion: Angela Jannelli, Martin Handschin Redaktionsassistenz: Sonja Thiel (hmf) Satz: Janosch Perler Übersetzungen: Rita Dominet, Cécile Maurer, James Lyons Lektorat: der springende punkt/Eva Hauck, Claudia Lüdtke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1726-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Das partizipative Museum Susanne Gesser, Angela Jannelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger | 10
1 PARTIZIPATION UND GEGENWART: ZWEI TRENDS IM SPIEGEL DER EUROPÄISCHEN MUSEUMSLANDSCHAFT Einführung | 20 Nicht von gestern! Das historische museum frankfurt wird zum Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert Jan Gerchow, Susanne Gesser, Angela Jannelli | 22
Gegenwart als Kernthema und Partizipation als Selbstverständnis: das Stapferhaus Lenzburg Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger, Detlef Vögeli | 33
Stadtmuseum Stuttgart. Partizipation als Chance, einer sich verändernden Stadtgesellschaft gerecht zu werden Markus Speidel, Anja Dauschek | 41
Die Zukunft ausstellen. M Shed – ein Museum über Zukunft und Vergangenheit Julie Finch | 46
Das Museum der Weltkulturen Göteborg. Aktuelle globale Themen und partizipative Strategien Cajsa Lagerkvist | 52
Das Museum of Liverpool. Welche Rolle Partizipation und Gegenwart bei seiner Neukonzeption spielten Lizzy Rodgers | 56
PLÄDOYER Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik Kurt Imhof | 61
2 DAS PARTIZIPATIVE MUSEUM: GESELLSCHAFTSPOLITISCHE GRUNDLAGEN UND PROGRAMMATISCHE ENTWÜRFE Einführung | 72 Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum Arnoud Odding | 74
Von Zielgruppen zu Communities. Ein Plädoyer für das Museum als Agora einer vielschichtigen Constituent Community Léontine Meijer-van Mensch | 86
Das partizipative Museum Nina Simon | 95
Eigentlich kein Museum: das Écomusée in Frankreich. Ein Rückblick oder auch ein Ausblick auf das partizipative Museum? Nina Gorgus | 109
PLÄDOYER Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum Nora Sternfeld | 119
3 PARTIZIPATION IN DER PRAXIS: POTENTIALE, PROZESSE, PROJEKTE Einführung | 132
A POSITIONEN Gegenwartsräume. Ansätze einer sozialen Szenografie im Museum Beat Hächler | 136
Strategien der Partizipation Sabine Jank | 146
Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum. Erfahrungen und Perspektiven Martin Düspohl, Frauke Miera, Lorraine Bluche | 156
Wilde Museen. Das Amateurmuseum als partizipative Graswurzelbewegung Angela Jannelli | 164
Grenzen und Chancen von partizipativen Projekten Claudia Glass, Beat Gugger | 174
Szenografie partizipativ. Der partizipative Ausstellungsraum und die partizipative Formfindung Matthias Schnegg | 179
„Kuratorenteam 2.0“ für Partizipation an historischen Museen und Stadtmuseen. Objektbewahrer, Ausstellungsmacher, Vermittler und Facilitator in Kollaboration Barbara Wenk | 186
Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum? Renate Flagmeier | 192
The Revolution Will Be Televised. Social Media und das partizipative Museum Axel Vogelsang | 203
Den ganzen Eisberg wahrnehmen. Die Förderung einer „partizipativen Kultur“ in Museen und welche Rolle Evaluation dabei spielen kann Patricia Munro | 213
Partizipation in Museum und Ausstellung. Versuch einer Präzisierung Anja Piontek | 221
B PRAXISBEISPIELE Dein Stadtbild – Hannover 2010. Partizipation und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen im Stadtmuseum Jan Willem Huntebrinker | 236
Stadtgeschichte(n). Das partizipative Ausstellungsprojekt „Meine Sache. Bremens Gegenwart“ Anja Piontek | 241
„OSTEND / / OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“. Die erste partizipative Stadtlabor-Ausstellung des historischen museums frankfurt Katja Weber | 246
Das experimentelle Museum. Besuchergenerierte Ausstellungen museeon: Oraide Bäß, Paul Beaury, Antje Canzler, Yvonne Rieschl, Ute Schweizerhof, Julia Tödt | 251
„Crossing Munich“. Eine Migrationsausstellung aus den Positionen Wissenschaft und Kunst Natalie Bayer | 257
„NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“. Eine Laborausstellung im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Christine Gerbich | 262
„Zeigt her Eure Dreidl!“ Die Entstehung einer temporären Sammlung Jutta Fleckenstein | 266
Geschichte multiperspektivisch erzählen. Bürgerbeteiligung im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Weltbürger. 650 Jahre Neukölln in Lebensgeschichten“ Barbara Lenz, Marlene Kettner | 271
Das Nationale Glasmuseum in Leerdam. Ein transparentes Netzwerk-Museum Arnoud Odding | 277
Strategien partizipativen Sammelns im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Fabian Ludovico | 282
PLÄDOYER Mal frech werden auf Augenhöhe? Im Zweifelsfall findet die Partizipation ohne uns statt! Christian Hirte | 285
Autorenverzeichnis | 290 Bildnachweis | 300 Danksagung | 301
Das partizipative Museum Susanne Gesser, Angela Jannelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger
Partizipation ist heute in aller Munde: Unter dem Schlagwort der Bürgerbeteiligung ist sie aus Politik oder Stadtplanung nicht mehr wegzudenken. Und auch in den Museen werden bereits seit längerer Zeit partizipative Projekte durchgeführt – auch wenn sie nicht immer so genannt werden. Der Trend zu partizipativen Methoden geht einher mit einer zunehmenden Hinwendung zu Gegenwartsthemen. Denn nur wo die (Besucher-)Gegenwart interessiert, werden partizipative Praxen wirklich relevant. Der vorliegende Band ist das Resultat einer Kooperation zweier Institutionen, die sich intensiv mit Fragen der Partizipation und der Gegenwart beschäftigen. Das historische museum frankfurt – derzeit mitten in einem mehrjährigen Umbauprozess – wandelt sich zu einem Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert. Partizipative Methoden und Gegenwartsthemen sind Kernelemente dieses Wandels. Das Stapferhaus Lenzburg kümmert sich seit 15 Jahren ausschließlich um Gegenwartsfragen und arbeitet dabei mit Geschichten und Erfahrungen aus dem Publikum. Die beiden Institutionen haben in den Jahren 2010 und 2011 Baustelle und Ausstellungsalltag ab und an hinter sich gelassen, um gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen über Fragen der Partizipation und der Gegenwart im Museum nachzudenken: Warum sollte sich das Museum partizipatorischen Arbeitsweisen öffnen? Wie gestaltet man partizipative Museumsarbeit? Wo fängt die Partizipation im Museum an, wo hört sie auf und warum drängt sie sich immer dann auf, wenn man Gegenwartsfragen thematisiert?
Das revolutionäre Potential der Partizipation Partizipation entwickelt sich derzeit zum geflügelten Wort und zur viel erhobenen Forderung – nicht nur im Museum. Manchmal drängt sich gar der Verdacht auf, dass in ihr ein Allheilmittel für die aktuellen Probleme in der Museumswelt gesehen wird: Partizipation soll dem Museum mehr Besucher, eine breitere Trägerschaft und damit eine
Das partizipative Museum
größere gesellschaftliche Akzeptanz und Relevanz sichern, den Partizipienten soll sie einen Zuwachs sozialer und kultureller Kompetenzen bescheren und gerade marginalisierten Gruppen zu mehr „social inclusion“ verhelfen.1 Eine Verfechterin dieser Position ist Nina Simon. Sie verlangt von der Institution Museum, Anknüpfungspunkte für das Publikum zu schaffen, um so ihren kulturellen Wert und ihre gesellschaftliche Relevanz in der Gegenwart zurückzugewinnen: „I believe they can do this by inviting people to actively engage as cultural participants, not passive consumers. As more people enjoy and become accustomed to participatory learning and entertainment experiences, they want to do more than just ‚attend‘ cultural events and institutions“ 2.
Warum dieser Anspruch auf Beteiligung bzw. Mitbestimmung? Die Antwort ist laut Simon im Social Web zu finden: Dieses hat uns eine Vielzahl von Partizipationsmöglichkeiten beschert, die beim Publikum zu einem Anspruch auf Teilhabe geführt haben. Museumsbesucher erwarten heute nicht nur Zugang zu einem breiten Spektrum von Informationen und Perspektiven, sondern auch die Möglichkeit, diese Informationen zu kommentieren, zu diskutieren oder zu bewerten. Kurzum: Sie wollen nicht mehr länger passive Rezipienten von Informationen sein, sondern in ihrer Rolle als aktive Konsumenten und Produzenten von Bedeutungen ernst genommen werden. Werden diese Anliegen berücksichtigt, so Nina Simon, hat dies positive Auswirkungen auf die Institution Museum: „When people can actively participate with cultural institutions, those places become central to cultural and community life.“ 3 Partizipative Museumsarbeit operiert also mit veränderten Vorstellungen vom Besucher und vom Museum: Der Besucher ist kein unbeschriebenes Blatt, dem im Museum Wissen vermittelt wird. Im Gegenteil, er wird als (Alltags-)Experte angesprochen, seine Erfahrungen, Meinungen und Ansichten sollen in die Ausstellungen integriert werden. Das Museum tritt nicht als allwissend auf, sondern versteht sich selbst als ‚lernende Institution‘ die die jeweiligen Bedeutungen eines Themas gemeinsam mit den Benutzern aushandelt. Damit gleicht das partizipative Museum weniger einem Bildungsinstrument als vielmehr einer Kommunikationsplattform. Die partizipative Museumsarbeit erscheint sehr oft im Zusammenhang mit einer Hinwendung zur Gegenwart auf der Agenda: Gerät der Besucher – seine Erfahrungen, Meinungen, Ansichten – in den Mittelpunkt der Ausstellungsarbeit, so geht es im Rahmen von partizipativ angelegten Ausstellungsprojekten immer auch um die (Besucher-)Gegenwart, um die (heutige) Sicht des Besuchers auf ein – historisches oder die Gegenwart verhandelndes – Thema. Die Verschiebung, die das partizipative Museum mitmacht, ist folglich eine doppelte: zum einen hin zu mehr Involvierung (oder eben 1 | Paradigmatisch hierzu die Forschungen und Forderungen von Richard Sandell. 2 | Vgl. Simon, Nina: The Participatory Museum. Santa Cruz 2010, auch einsehbar unter http://www.participatorymuseum.org/read/ [letzter Zugriff 15.10.2011]. 3 | Ebd.
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Susanne Gesser, Angela Jannelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger
Partizipation) der Besucher, zum anderen hin zu Themen, die Partizipation überhaupt zulassen – also hin zu mehr Gegenwart. Doch: Wie genau funktioniert das partizipative Museum? Was ist wirklich neu an diesem Konzept? Wie wirkt sich eine solche Ausrichtung der Museumsarbeit auf die Institution selbst und die Ausgestaltung seiner (klassischen) Aufgaben aus? Welcher Zusammenhang besteht zwischen ‚mehr Gegenwart‘ und ‚mehr Partizipation‘ im Museum? Und nicht zuletzt: Kann die Partizipation all den Erwartungen gerecht werden, die man an sie stellt? In enger Kooperation haben das historische museum frankfurt und das Stapferhaus Lenzburg zwei Tagungen zum partizipativen Museum durchgeführt, die sich diesen Fragen widmeten. Vom 18. bis 19. November 2010 fand in Frankfurt die Tagung „Das partizipative Museum. Zwischen Kooperation und user generated content“ statt, eine Arbeitstagung zur gegenwartsorientierten und partizipativen Ausrichtung der Museumsarbeit. Vom 30. Juni bis 1. Juli 2011 wurden in Lenzburg „Häuser der Gegenwart und ihr partizipatorischer Ansatz“ vorgestellt und diskutiert. Die vorliegende Textsammlung vereint die wichtigsten Beiträge der beiden Tagungen und präsentiert ergänzend dazu Aufsätze weiterer Autorinnen und Autoren, die sich mit Fragen der Partizipation, Besucherorientierung oder der gesellschaftlichen Relevanz von Museen auseinandersetzen.
Aktuelle Fragen und konkrete Praxis: Inhaltsvorschau Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Es beginnt mit aktuellen Fragen aus der Praxis: Am Beispiel des historischen museums frankfurt und des Stapferhauses Lenzburg wird aufgezeigt, wie partizipatives Arbeiten in Institutionen verankert sein kann. Der partizipative Ansatz erweist sich dabei in beiden Ausstellungshäusern nicht als Novum: Das historische museum frankfurt blickt auf eine in den 1970er-Jahren entwickelte partizipative Tradition zurück, und auch das Stapferhaus Lenzburg arbeitet seit seiner Gründung 1960 – im weitesten Sinne – partizipativ, auch wenn beide Traditionen damals nicht unter dem Signum der Partizipation firmierten. Die ersten beiden Texte dieses Buches zeigen, was das historische museum frankfurt und das Stapferhaus Lenzburg unter Partizipation verstehen, auf welchem Weg der partizipative Ansatz Einzug in die jeweiligen Ausstellungspraxen fand und wie der Ansatz heute und in Zukunft das Ausstellungsmachen in den beiden Häusern beeinflusst. Ergänzt werden die beiden Texte durch die Präsentation von vier Museen aus Deutschland, Schweden und England, die in ihren thematischen und methodischen Zurichtungen dem historischen museum frankfurt und dem Stapferhaus Lenzburg verwandt sind. Das (sich in Planung befindende) Stadtmuseum Stuttgart, das seit 2004 agierende Museum der Weltkulturen in Göteborg sowie die im Sommer 2011 neu eröffneten Stadtmuseen in Bristol und Liverpool zeigen, dass Gegenwartsbezug und Partizipation zwei Trends sind, die sich in kulturhistorischen Museen je länger, je mehr durchsetzen. Der zweite Teil des Buchs fragt nach den Ursachen für das Auftauchen der Partizipation im Diskurs der Museumsfachleute und präsentiert diverse Gründe für die
Das partizipative Museum
Hinwendung zum partizipativen Schaffen im Museum. Vier Denkmodelle des partizipativen Museums – das „Netzwerk-Museum“, die „Agora“, das „participatory museum“ und das „Écomusée“ – ergänzen die jeweiligen Ausführungen. Die Texte von Arnoud Odding und Léontine Meijer-van Mensch benennen die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, die die Forderung nach dem partizipativen Schaffen zwingend erscheinen lassen bzw. die Implikationen, die es mit sich bringt. Mit dem „Netzwerk-Museum“ bzw. der „Agora“ schlagen sie zwei konkrete Ausgestaltungen des partizipativen Museums vor, welche die benannten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen berücksichtigen. Ähnlich verfährt Nina Simon, die in ihrem Text aufbauend auf ihren Beobachtungen der nordamerikanischen Museumsszene und gesellschaftlicher Transformationsprozesse das Programm des „participatory museum“ skizziert. Und Nina Gorgus beschreibt in ihrem Text die Parallelen zwischen dem französischen Ecomusée der 1970er-Jahre und den aktuellen Diskussionen rund um die Partizipation. Der dritte Teil des Buches geht auf die veränderten Rollen der Mitarbeiter und neue Prozesse im partizipativen Museum ein. Wie verändern sich das Sammeln, Aufbewahren, Vermitteln und Forschen unter der Prämisse der Partizipation? Die ersten beiden Texte schließen an den zweiten Buchteil an, indem sie nach konkreten Raummetaphern des partizipativen Museums fragen. Beat Hächler entwirft das Bild vom partizipativen Museum als „Gegenwartsraum“, er beschreibt die Bedeutung der Inszenierung und die Rolle, die Raum und Besucher dabei spielen. Sabine Jank zeigt am Beispiel des Forums, des Labors und des Social Web, wie das ‚partizpative Museum‘ in Zukunft konkret aussehen könnte. Die weiteren Texte dieses Buchteils sind als eine Art Leitfaden für das partizipative Arbeiten zu lesen, indem sie – im Sinne von Erfahrungsberichten oder als themenspezifische Reflexionen von Experten – einen multiperspektivischen Blick auf die Praxis der Partizipation werfen. Martin Düspohl und seine Kolleginnen Frauke Miera und Lorraine Bluche skizzieren basierend auf ihren Erfahrungen im Kreuzberg Museum erfolgversprechende Strategien partizipativen Arbeitens. Angela Jannelli zeigt, was ‚professionelle Museumsmitarbeiter‘ vom Amateurmuseum im Hinblick auf das partizipative Arbeiten lernen können und wo immer wieder Stolpersteine in der Zusammenarbeit mit Laien auftauchen. Ähnlich verfahren Claudia Glass und Beat Gugger, die anhand eines konkreten Beispiels die Grenzen und Chancen partizipativer Projekte benennen. Matthias Schnegg untersucht die Rolle der Szenografie im partizipativen Museum. Er beschreibt zum einen den Einsatz partizipativer Methoden in der Formfindung, zum anderen die Ausgestaltung von Ausstellungen mit partizipativen Elementen. Barbara Wenk stellt den ‚partizipativen Kurator‘ vor und umreißt, welche Fragen auf ihn zukommen. Im Beitrag von Renate Flagmeier steht das partizipative Sammeln im Vordergrund. Sie beschreibt verschiedene Ansätze und fragt danach, wie Partizipation beim musealen Sammeln perspektivisch größere Relevanz erhalten könnte. Axel Vogelsang verweist auf das Potential des Social Web und Patricia Munro reflektiert die Rolle der Evaluation in partizipativen Museumsprojekten. Anja Piontek schließlich fasst in ihrem Überblickstext verschiedene Definitionen und Facetten des partizipativen Arbeitens zusammen. Anschließend werden anhand von Praxisbeispielen konkrete Spielarten der Partizipation im Museum vorgestellt. Beob-
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Susanne Gesser, Angela Jannelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger
achtet man die ‚partizipative Museumsszene‘, so fällt auf, dass es derzeit offenbar ebenso viele Vorstellungen und Definitionen von ‚Partizipation‘ wie partizipative Projekte gibt. Die Spannbreite reicht dabei vom bloßen ‚Mit-Teilen‘ bis hin zu Formen einer radikalen, basisdemokratischen Zusammenarbeit. Gleichzeitig zeigt sich eine große Vielfalt in Bezug auf die verhandelten Themen und auf die jeweiligen Zielgruppen. In den hier versammelten Texten stehen zwei Themen im Fokus: die Stadt und die Migration. Jan Willem Huntebrinker stellt ein Projekt zur Wahrnehmung des Stadtbilds von Hannover vor. Anja Piontek stellt mit „Meine Sache“ eine Bremer Ausstellung vor. Katja Weber beschreibt ein Projekt, in dem es um die Reflexion der massiven Veränderung eines Frankfurter Stadtteils geht. Und die Ausstellungsgestalter von museeon beschreiben ihre Versuche mit dem „Experimentellen Museum“ – einmal anhand eines Festivals in Neukölln, einmal anhand einer Aktion im Rahmen der Frankfurter Tagung –, das ganz auf besuchergenerierte Inhalte setzt. In den Beiträgen von Christine Gerbich, Jutta Fleckenstein, Barbara Lenz und Marlene Kettner sowie von Natalie Bayer steht das Thema der Migration im Vordergrund – ein Thema, das offenbar besonders häufig mit einem Rückgriff auf partizipatorische Arbeitsweisen verbunden ist. Arnoud Odding beschreibt die Wiederauferstehung des Nationalen Glasmuseums in Leerdam als „Netzwerk-Museum“. Fabian Ludovico schließlich beschreibt, welche Erfahrungen im Werkbundarchiv-Museum der Dinge im Rahmen partizipativer Sammelprojekte gemacht wurden. Die Autorinnen und Autoren benennen dabei die Schwierigkeiten, auf die sie im Rahmen ihrer partizipativen Projektarbeit gestoßen sind, beschreiben aber auch die zahlreichen positiven Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den ‚non-professionals‘. Insgesamt wird in den Projektbeispielen deutlich, welche Methodenvielfalt im partizipativen Museum gefragt ist, mit welchen Anforderungen sich die ‚partizipativen Kuratorinnen und Kuratoren‘ konfrontiert sehen. Die drei Buchteile sind zwar thematisch geordnet, jedoch nicht komplett trennscharf. So tauchen bereits im ersten Buchteil ganz konkrete Hinweise zum partizipativen Arbeiten auf, und auch die verschiedenen Entwürfe eines partizipativen Museums im zweiten Buchteil stützen sich zumindest zum Teil auf ganz konkrete Vorschläge, wie denn Partizipation im Museum gelingen kann. Im dritten Buchteil schließlich wird immer wieder auf die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen verwiesen, welche die Rede vom partizipativen Museum überhaupt erst notwendig bzw. wünschbar machen, und schließen damit an die Gedanken an, welche die Autorinnen und Autoren der ersten zwei Kapitel formulieren. Ergänzt werden die drei Buchteile durch je ein Plädoyer: Kurt Imhof fordert die Museen zu mehr Gegenwartsbezug und mehr pointierter Stellungnahme auf. Nur so kann das Museum, so seine Aussage, zu seiner ursprünglichen Funktion und seiner gesellschaftlichen Legitimation zurückfinden und sich gegen eine Vereinnahmung durch die Kulturindustrie verwehren. Nora Sternfeld plädiert in ihrem Text für einen Partizipationsbegriff radikalen Zuschnitts. Nur wer konsequent ergebnisoffen arbeitet, so ihre Behauptung, arbeitet wirklich partizipativ. Christian Hirte schließlich geht auf ‚ungewollte‘ Formen der Partizipation – den Diebstahl, das Nörgeln und Korrigieren,
Das partizipative Museum
das (verbotene) Berühren von Exponaten – ein und leitet dazu über, welche Schritte hin zu einem tatsächlich partizipativen Museum notwendig sind: „Den Besucher als musealen Pfadfinder zu akzeptieren, heißt […], ihn in einer ihm spezifischen Kompetenz ernst zu nehmen, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, ihn als konstitutives und autonomes Element des Systems Museums zu akzeptieren. In der Praxis sind wir davon weit entfernt.“
Die Debatte ist eröffnet.
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PARTIZIPATION UND GEGENWART: ZWEI TRENDS IM SPIEGEL DER EUROPÄISCHEN MUSEUMSLANDSCHAFT
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Einführung
Die Hinwendung zu Gegenwartsthemen und die Anwendung partizipativer Methoden liegen im Trend, das zeigt der Blick in die europäische Museumslandschaft. Doch woher kommt das Interesse an der Partizipation und an der Gegenwart? Und wie hängen die beiden Trends zusammen? In diesem Kapitel beantworten sechs Ausstellungshäuser diese Fragen. Auf den ersten Blick fallen die Antworten dieser der Stadt- und Kulturgeschichte gewidmeten Institutionen aus Frankfurt, Lenzburg, Göteborg, Stuttgart, Liverpool und Bristol ähnlich aus. Gegenwartsbezug und partizipatives Arbeiten gelten als Schlüssel für eine zeitgemäße, relevante und sich konsequent an den Besucherinnen und Besuchern orientierende Museumsarbeit. Es geht darum, (aktuelle) Themen zu setzen und ein möglichst breites Publikum in einen Diskurs zu involvieren. Nicht zuletzt, um das eigene Dasein zu legitimieren. Wie dieser Gegenwartsbezug genau hergestellt wird und wie die partizipative Praxis in das eigene Schaffen einfließt, ist jedoch sehr unterschiedlich. Der Grad der Teilhabe beispielsweise variiert von Projekt zu Projekt: Je nach Zuschnitt reicht er von der reinen Information der Beteiligten bis hin zu Kooperationsprojekten, bei denen die gesamte Ausstellung in partnerschaftlicher Zusammenarbeit entsteht. Entsprechend variantenreich wird der Begriff der Partizipation in den Texten in diesem Kapitel – oft abgeleitet aus der eigenen Praxis – ausgelegt. Am historischen museum frankfurt gehören partizipative Methoden seit den frühen 1970er-Jahren zum Praxisrepertoire, erst mit dem aktuellen Wandel des Museums hin zu einem Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert kommen sie jedoch voll und ganz zum Tragen. Mit Frankfurt Jetzt! erhält das 2015 wieder zu eröffnende historische museum frankfurt einen Ausstellungsteil mit konsequentem Gegenwartsbezug. Dieser soll als Ort der Reflexion und Diskussion über die verschiedenen Realitäten und Identitäten der Stadt dienen. Im Stadtlabor – Teil von Frankfurt Jetzt! – werden zukünftig zweimal pro Jahr Ausstellungen gezeigt, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppierungen der Stadt entstanden sind. Das Stapferhaus Lenzburg – Ort der „geistigen Auseinandersetzung“ im Schweizer Mittelland – arbeitet seit seinen Anfängen 1960 mit partizipativen Methoden, jedoch in unterschiedlichen Formaten. War es bis in die frühen 1990er-Jahre die Tagung, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu round
Einführung
tables einlud, so ist es seither die Ausstellung. Diese involvieren die Besucherinnen und Besucher mittels partizipativer Elemente – mal geistig, mal handfest – und laden sie zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart ein. Gegenwartsbezug und partizipatives Arbeiten sind auch kennzeichnend für die vier weiteren Häuser, die in diesem Kapitel in kurzen Porträts vorgestellt werden. Das 2004 gegründete Museum der Weltkulturen in Göteborg thematisiert mit Ausstellungen und Hunderten von Veranstaltungen jährlich aktuelle Themen und Lebensweisen der globalisierten Gesellschaft. Die beiden im Sommer 2011 neu eröffneten Stadtmuseen M Shed Bristol City Museum und Museum of Liverpool sind Institutionen mit langer Vergangenheit, die heute beide ein Schwergewicht auf Gegenwartsthemen legen und im Rahmen verschiedener Programme die Möglichkeiten des partizipativen Ausstellungsmachens ausloten. Das neu gegründete Stadtmuseum Stuttgart schließlich, das aller Voraussicht nach 2016 eröffnet wird, regt mit aktuellen Themen und Fragestellungen zur Auseinandersetzung mit den Geschichten der Stadt Stuttgart und ihrer Bewohner an.
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Nicht von gestern! Das historische museum frankfurt wird zum Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert Jan Gerchow, Susanne Gesser, Angela Jannelli
Das historische museum frankfurt (hmf) befindet sich derzeit in einem grundlegenden Transformationsprozess. Mit seiner Neukonzeption, die 2015 mit der Einweihung eines Neubaus und neuen Dauerausstellungen zur Stadtgeschichte abgeschlossen sein soll, will es sich zu einem Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts wandeln. Es möchte eine fest in der Stadtgesellschaft verankerte und von möglichst vielen Menschen als relevant betrachtete Institution werden. In dieser konzeptionellen Neuausrichtung spielt ‚Vernetzung‘ eine zentrale Rolle: Es geht uns um eine zunehmende Öffnung des Museums, um die Etablierung dialogischer Strukturen. Wir wollen verstärkt mit unseren Besucherinnen und Besuchern – die wir uns lieber als ‚Museumsbenutzer‘ vorstellen – in Kontakt treten und qualitative Beziehungen zu ihnen aufbauen. Um dieses Ziel zu erreichen, wenden wir uns in der Museumsarbeit konsequenter der Gegenwart zu und bedienen uns verstärkt partizipativer Methoden. Zudem entwickeln wir derzeit vielfältige Kommunikations- und Ausstellungsformate, die den verschiedenen Benutzergruppen mit ihren sehr unterschiedlichen Zeit- und Informationsbedürfnissen gerecht werden sollen: von den am Frankfurter Flughafen landenden Europa-Touristen, die nur einen halben Tag in unserer Stadt verbringen, bis hin zu den Frankfurterinnen und Frankfurtern, für die das hmf ein Ort der Auseinandersetzung mit ihrer Stadt sein soll. Unsere Informations- und Kommunikationsangebote beschränken sich dabei nicht nur auf die Ausstellungen, sondern erstrecken sich auch in den virtuellen Raum.
Ein Blick zurück nach vorn Der Einsatz partizipativer Methoden hat im historischen museum bereits eine lange Tradition. Im Spiegel partizipativer Museumsarbeit betrachtet, kann sogar seine Grün-
Nicht von gestern!
dung 1877 / 78 als ‚kollaboratives Projekt‘ betrachtet werden: Das historische museum ist das älteste kommunale Museum Frankfurts. Es stützt sich auf bürgerliche Sammlungen, die bis in das frühe 15. Jahrhundert zurückreichen. 1877 schlossen sich Bürger der Stadt zu einem Museumsverein zusammen und trugen Sammlungen zusammen, um das Gedächtnis an die nach der Besetzung durch Preußen untergegangene freie Reichsstadt aufrechtzuerhalten. Die Gründung des Museums entsprach einem Bedürfnis der Bürger, einen romantischen Gedenkort an die Zeit der freien Reichsstadt zu kreieren. Wie in vielen Vereinen dieser Zeit wurde also auch hier über das kollektiv organisierte Sammeln, über den Austausch von Objekten eine Gemeinschaft gepflegt – oder wie wir heute sagen würden: eine Community wurde konstituiert, die sich mit dem Museum einen Ort der identitären Rückversicherung schuf.1 So gesehen zeigen sich bereits hier erste Spuren einer Museumsarbeit im partizipativen Geiste – auch wenn dies damals sicherlich keiner so gesehen, geschweige denn so benannt hat! Im 20. Jahrhundert wurde das historische museum dann mehrmals neu definiert: Zunächst positionierte es sich klar auf der antimodernen Seite der Gegner des „Neuen Frankfurt“ und propagierte dann die von den Nationalsozialisten ausgegebene Parole von der „Stadt des deutschen Handwerks“. Nach dem Zweiten Weltkrieg positionierte sich das Museum dann im ‚ideologiefreien‘ Raum als Museum für regionale Kunst. Mit seiner letzten Neukonzeption in den 1970er-Jahren vollzog es einen Paradigmenwechsel „vom Musentempel zum Lernort“ (Spickernagel / Walbe 1975). Dieses dezidiert didaktische Museumskonzept wurde damals international beachtet und galt im museologischen Diskurs über lange Jahre als vorbildhaft, das hmf wird zum Teil noch bis heute mit dieser Neukonzeption identifiziert. Schon in Architektur und Ausstellungsgestaltung drückte sich das Leitbild des Museums aus: Es verstand sich als Museum für die demokratische Gesellschaft. Das damals neu errichtete Betongebäude hatte den egalitären Charme einer Gesamtschule, die Ausstellung war konsequenterweise als Lernausstellung konzipiert: Die Entmystifizierung historischer Personen und Daten sowie die Entauratisierung der musealen Objekte, die unter Neonröhren im Kontext ihrer sozialen und historischen Bedingungen gezeigt wurden, waren wesentliche Aspekte des damaligen Ausstellungskonzepts. Teil des damaligen Programms war ein ausgesprochener Gegenwartsbezug der musealen Präsentationen sowie eine ständige Aktualisierung der Dauerausstellungen. Im Rhythmus von vier bis fünf Jahren sollten bestimmte Aspekte der Stadtgeschichte neu bearbeitet und präsentiert werden. Das historische museum frankfurt der 1970er-Jahre verstand sich als Bildungsstätte und Informationszentrum, an dem auch die Museumsbesucher aktiv an der Museumsarbeit und der Entwicklung der Ausstellungen beteiligt sein sollten.
1 | Diesen Aspekt teilt das historische museum frankfurt mit zahlreichen anderen im 18. und 19. Jahrhundert gegründeten Museen und wissenschaftlichen Vereinen. Vgl. hierzu te Heesen (2001) und Knell (2007).
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Jan Gerchow, Susanne Gesser, Angela Jannelli
Frühe partizipative Ausstellungen des historischen museums Bereits Mitte der 1970er-Jahre wurde eine erste positive Erfahrung mit einer partizipativ erarbeiteten Ausstellung gemacht. Sie war eine der ersten dieser Art, verstand sich als ein Beispiel der sozialen Kulturarbeit und fußte auf der sich gerade entwickelnden Oral-History-Bewegung unter dem Motto „Geschichte von unten“. Auch wenn damals noch nicht von partizipativer Museumsarbeit gesprochen wurde, so folgten diese Ausstellungen doch partizipatorischen Prinzipien. Die Ausstellung mit dem Titel „Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt am Main 1904 – 1945. Material zu einer verschütteten Kulturgeschichte“ wurde vom historischen museum in Zusammenarbeit mit dem zu diesem Zweck 1977 gegründeten Verein zur Erforschung der Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Frankfurt am Main erarbeitet (Neuland / Werner-Cordt 1980). Auch für die im Oktober 1980 eröffnete Ausstellung „Frauenalltag und Frauenbewegung 1890 – 1960“ wurden neue Wege beschritten: Mit der Frauengeschichte bekam die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts einen neuen thematischen Schwerpunkt. Mit einer zweijährigen Vorbereitungsphase war ausreichend Zeit eingeplant, um die Ausstellung zusammen mit Gruppen aus der Stadtgesellschaft zu erarbeiten. Für die konzeptionelle Arbeit konnte „eine breitere fachwissenschaftliche und publikumsbezogene weibliche Öffentlichkeit“ 2 gewonnen werden. Neben zwei universitären Arbeitsgruppen wurde mit mehreren 100 Besucherinnen und Besuchern ein Jahr vor Eröffnung in offenen Diskussionen, Vorträgen und einem Wochenendseminar gearbeitet. In den Jahren 2000 bis 2004 wurden weitere richtungweisende und viel beachtete partizipative Ausstellungen konzipiert und erarbeitet. Mit der durch die Künstlerin Sigrid Sigurdsson konzipierten „Bibliothek der Alten“ entstand ein „Offenes Archiv“, das sich bis zum Jahr 2105 weiterentwickeln wird. 2004 wurde die Ausstellung „Von Fremden zu Frankfurtern“ eröffnet, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen migrantischen Gruppen und Verbänden erarbeitet wurde. Und im kinder museum frankfurt entstand 2004, in Zusammenarbeit mit 300 Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren, eine Ausstellung mit dem Titel „Herzknistern – (D)eine Reise durch Liebe, Freundschaft, Liebeskummer“. An diese Tradition soll mit der heutigen partizipativen und gegenwartsorientierten Ausrichtung des hmf angeknüpft werden. Allerdings verschiebt sich nun der Fokus vom Fachmuseum für Geschichte zum Stadtmuseum für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
2 | Vgl. Informationsblätter zur Ausstellung „Frauenalltag und Frauenbewegung in Frankfurt 1890 – 1980“. Historische Dokumentation 20. Jahrhundert, Historisches Museum Frankfurt a. M., 1981, zugleich als Katalog erschienen Basel / Frankfurt a. M. 1981.
Nicht von gestern!
Grundsätze der heutigen Neukonzeption Mit seiner Neukonzeption als Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts reagiert das historische museum frankfurt auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Mit der zunehmenden Urbanisierung, der fundamentalen Wandlung der Stadtgesellschaften, der Nivellierung historisch gewachsener Stadtkulturen durch die Globalisierung und einem gleichzeitig immer offensiver betriebenen Standortmarketing sind Stadtmuseen vor eine große Herausforderung gestellt: 3 Sind sie noch der Referenzort für die Geschichte und Eigenheiten der Stadt? Repräsentieren sie wirklich die Stadt und ihre (vielen neuen) Bewohner? Viele Museen sind die Kulturinstitutionen des ‚eingesessenen‘ Bürgertums geblieben, nicht alle Teile der Bevölkerung sprechen sie ausreichend an. Dabei kann es heute nicht mehr nur – wie noch in den 1970erJahren – um eine Öffnung von Kultur- und Bildungsinstitutionen für die ‚bildungsfernen‘ Schichten gehen, sondern darum, einen Diskussions- und Referenzort für die „Eigenlogik“ (Löw / Berking 2008) der Stadt zu schaffen. Dies möchten wir in erster Linie mit Frankfurt Jetzt! erreichen, einem von sieben großen Ausstellungsteilen des zukünftigen Museums, der als dezidiert gegenwartsorientiertes und partizipatives Format konzipiert ist.
Frankfurt Jetzt! als Anlass und Medium der Vergegenwärtigung Warum sollte sich ein Stadtmuseum der Gegenwart und Zukunft zuwenden? Ist es nicht ein Widerspruch in sich: Museum und Gegenwart? Und stellt dies nicht einfach nur eine Verdoppelung der ohnehin immer vorhandenen Realität dar? Mit dem Ausstellungsteil Frankfurt Jetzt! möchten wir den Besuchern die Möglichkeit bieten, für die Dauer des Ausstellungsbesuchs aus der Gegenwart herauszutreten und sie aus einer künstlich hergestellten Distanz zu betrachten. Diese ‚sichere Distanz‘ eröffnet einen Reflexionsraum, in dem wir uns über unsere Stadt und ihre Bewohner bewusst werden können, in dem wir uns ‚vergegenwärtigen‘ können, wer und was unsere Stadt ausmacht. Frankfurt Jetzt! verstehen wir in diesem Sinn als Anlass und Medium zur Vergegenwärtigung, als einen Ort der Auseinandersetzung über Fragen der aktuellen Stadtgesellschaft. In Frankfurt Jetzt! können Fragen der Identifikation mit den lokalen Traditionen, das Nebeneinander verschiedener kultureller Traditionen, hier kann die „Eigenlogik“ der Stadt fortwährend thematisiert und diskutiert werden. Bei der Konzeption dieses Ausstellungsteils stützen wir uns auf eine durch die Soziologin Martina Löw entwickelte Raumvorstellung, nach der Raum viel mehr ist als nur ein ‚Container‘. Löw definiert Raum „als relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“ (Löw 2001:177), d. h., Raum entsteht erst im Erleben. Angewandt 3 | Vgl. hierzu auch Gerchow, Jan: Denkschrift des DMB zur Lage der Museen. Stadtund regionalhistorische Museen. Unveröffentlichtes Manuskript.
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auf die Stadt heißt dies, dass sie mehr ist als eine bebaute Fläche, der Stadtraum entsteht erst im Erleben, in der Erfahrung der Bewohner und Besucher. Dies bedeutet aber auch, dass jede und jeder Frankfurt anders erlebt: Auch wenn wir alle in Frankfurt leben, erleben wir die Stadt doch nicht alle gleich. Mit der zunehmenden Diversifizierung der Lebenswelten, die unsere Gesellschaft prägt, haben sich auch mehrere ‚Frankfurts‘ herausgebildet, die immer weniger Berührungspunkte untereinander aufweisen. Das Frankfurt eines Bankers hat sicher wenig gemein mit dem Frankfurt eines jugendlichen Arbeitslosen und die beiden Frankfurts überschneiden sich nur äußerst selten. Wer lebt hier? Und wer erlebt die Stadt auf welche Weise? Das neue hmf will nicht nur ein Ort, sondern auch ein Medium und ein Anlass für die Begegnung und Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Lebenswelten sein.
Partizipation als Reaktion auf neue Formen des Wissens und des bürgerschaftlichen Engagements Das Museum kann sich nur schlecht diesen Erfahrungsdimensionen zuwenden, ohne die Stadtgesellschaft einzubeziehen. Um multiperspektivische und aktuelle Ausstellungsproduktionen zu schaffen, braucht es die Mitarbeit und Partizipation der Stadtbevölkerung. Im neuen hmf arbeiten wir mit einem weiten Partizipationsbegriff, der von der reinen ‚Mit-Teilung‘ bis hin zur gemeinsamen, partnerschaftlichen Erarbeitung von Inhalten reicht (vgl. Österreichisches Bundeskanzleramt 2009). Dementsprechend variieren auch unsere Angebote: Im neuen hmf wird es traditionelle Ausstellungsformate geben, die in erster Linie dem Prinzip der informativen Beteiligung folgen, vielerorts werden wir aber auch die Möglichkeit zur Kommentierung unserer Inhalte geben, und mit Frankfurt Jetzt! kreieren wir ein Format, in dem wir uns kollaborativen Formen der Partizipation verschreiben. Mit der partizipativen Ausrichtung der Museumsarbeit reagieren wir auch auf die Herausbildung der Wissensgesellschaft. Durch das Web 2.0 wird eine neue Wissenskultur geprägt. Der Internetuser ist mehr als nur ein Besucher von Websites und diese im Netz gemachten Erfahrungen überträgt er auch auf die etablierten Kulturinstitutionen.4 Partizipation und Integration von Benutzern in die Generierung von Ausstellungen und Programmen, in die Dokumentation und Publikation von Sammlungen, das ist der Weg, den das Web 2.0 weist. Im Zusammenhang mit Partizipation bei Ausstellungen und Ausstellungsthemen mit noch unbekannten Personengruppen wird immer wieder die Wissenschaftlichkeit und Verlässlichkeit der Informationen infrage gestellt. Es bestehen Zweifel an der Expertise der Laien. Doch gerade ein Seitenblick auf die Naturwissenschaften zeigt, dass die Trennlinie zwischen Wissenschaftlern und Amateurforschern nicht eindeutig und
4 | Siehe hierzu auch den Beitrag von Nina Simon in diesem Band.
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scharf ist.5 Aktuell werden in den naturwissenschaftlichen Fächern einige groß angelegte partizipative Projekte durchgeführt, die beeindruckende Ergebnisse erzielen. Es handelt sich dabei um partizipative Projekte, die unter dem Begriff des Crowdsourcing 6 zu subsumieren sind. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist das Astronomieprojekt „Galaxy Zoo“ 7: Der amerikanische Astrophysiker Kevin Schawinski lud über das Internet User aus aller Welt ein, ihn bei der Auswertung von Bildern des Hubble-Space-Teleskops zu unterstützen. Er bat um Mithilfe bei der Klassifikation und Beschreibung von Galaxien, da das menschliche Gehirn diese Einordnung besser als jede Bilderkennungssoftware vollziehen kann. Sein Team stellte zunächst eine Million Bilder ein, die das Teleskop aufgenommen hatte, und man ging davon aus, dass es etwa zwei Jahre dauern würde, bis alle Bilder ausgewertet sein würden. Doch bereits nach einem Tag erhielt das Team über die Website 70.000 klassifizierte Bilder pro Stunde, im ersten Jahr wurden insgesamt mehr als 50 Millionen Bilder von 150.000 Teilnehmern klassifiziert. Ein weiteres Projekt ist das „Evolution MegaLab“ 8, ein von verschiedenen Initiatoren im Darwinjahr 2009 gestartetes europaweites Experiment zur Artenvielfalt. Von Frühjahr bis Herbst waren u. a. Schulklassen, Museumsbesucher und Naturfreunde eingeladen, sich aktiv an einer Dokumentation von Bänderschnecken zu beteiligen. Europaweit wurden mehr als 7.000 Datensätze erhoben. Doch Crowdsourcing allein legitimiert noch nicht eine Hinwendung zur Partizipation. Unsere partizipative Ausrichtung umfasst zwar auch solche kollaborativ angelegten ‚Wissens-Sammlungen‘ – wir wollen z. B. unsere Objektdatenbank digitalisieren und zur Bearbeitung durch externe Experten öffnen9 –, es geht uns aber nicht allein darum, das Wissen anderer zu inkorporieren. Mit unserer Hinwendung zu partizipativen Methoden reagieren wir auch auf die Aufwertung anderer Wissensformen gegenüber dem zunehmend kritisch betrachteten wissenschaftlichen Wissen. Wir haben zu viele Krisen und Katastrophen erlebt, um noch daran zu glauben, dass die Wissenschaft alle Probleme lösen wird. Zudem sind wir heute zunehmend mit Fragen konfrontiert, auf die auch die Wissenschaft keine endgültigen oder befriedigenden Antworten mehr geben kann, wie sich z. B. an der Diskussion um die Gentechnik deutlich zeigt. Die „Krise der Wissenschaften“ (Nowotny / Scott / Gibbons 2005) geht einher mit einer Aufwertung der Expertise und des Erfahrungswissens. 5 | Zur Bedeutung von Amateurwissenschaftlern in der Naturforschung vgl. Jardine (1996), Secors (1994) oder te Heesen (2001). 6 | Unter Crowdsourcing versteht man kollaborative Methoden, bei denen (web-basiert) Daten mithilfe einer großen Anzahl von Akteuren unterschiedlichster Bildungsniveaus erhoben oder ausgewertet werden. Vgl. auch den Beitrag von Léontine Meijer-van Mensch in diesem Band. 7 | Vgl. http://www.galaxyzoo.org/ [letzter Zugriff 28.11.2011]. 8 | Vgl. http://www.evolutionmegalab.org/de_DE/information/viewHomePage [letzter Zugriff 28.11.2011]. 9 | Mehr hierzu im nächsten Abschnitt.
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Zusammen mit den Entwicklungen des Web 2.0 ist so ein gewachsener Anspruch auf Partizipation entstanden. Diese Tendenz wird zusätzlich durch eine Veränderung des bürgerschaftlichen Engagements verstärkt. Der Trend geht weg von der lebenslangen Bindung an Parteien, Kirchen oder Vereine und hin zu einem temporären, themenbezogenen und damit projektorientierten Engagement. Auf all diese Veränderungen muss ein Museum reagieren. Wenn es Teil der Gesellschaft sein will, muss es auch Möglichkeiten dafür bieten, dass man teil-haben kann, d. h., es muss Anknüpfungspunkte bieten und Möglichkeiten, sich zu engagieren, seine Erfahrungen und seine Expertise einzubringen.
Partizipative Formate: Frankfurt Jetzt!, das Stadtlabor und das Museumsportal In der Ausstellung Frankfurt Jetzt! steht das Erfahrungswissen über die Stadt im Mittelpunkt. Sie richtet sich in erster Linie an Frankfurterinnen und Frankfurter und bietet sowohl passive als auch aktive Zugänge für die Auseinandersetzung mit dem heutigen Frankfurt. Frankfurt Jetzt! ist im zweiten Obergeschoss des Neubaus verortet und erstreckt sich auf rund 1.000 qm. Diese Form der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Stadt erfordert neue Formen der musealen Arbeit. Das Museum geht davon aus, dass alle 692.516 10 Frankfurterinnen und Frankfurter Experten für ihre Stadt sind und lädt sie (und die vielen Bewohner und Kenner der Region) ein, dieses Expertenwissen im neuen historischen museum mitzuteilen. Dadurch erweitert sich das Themenspektrum des Museums und nimmt das Alltags- und Erfahrungswissen der Stadtgesellschaft mit auf. In dem dort angesiedelten Stadtlabor kommen die kollaborativen Formen der Partizipation voll zum Tragen. Die mehrmals pro Jahr wechselnden Stadtlabor-Ausstellungen, -Veranstaltungen und -Publikationen werden gemeinsam mit Gruppierungen der Stadtgesellschaft generiert, entwickelt und moderiert. Die Themen dafür werden dabei nicht nur durch das Museum gestellt, sondern direkt von den Gruppen vorgeschlagen. Neben den partizipativen Ausstellungen werden dort auch Veranstaltungen zu verschiedenen aktuellen Themen durchgeführt, die die Stadt beschäftigen.11 Für das Stadtlabor stehen bis zu 600 qm Ausstellungsfläche zur Verfügung, die flexibel genutzt werden können. Auch die bereits seit 2000 am hmf angesiedelte „Bibliothek der Alten“ wird in Frankfurt Jetzt! einen neuen Standort erhalten. Selbst wenn es sich hier um ein künstlerisches Erinnerungsprojekt handelt, ist die „Bibliothek der Alten“ dennoch hier richtig angesiedelt, denn dieses „Offene Archiv“ (Pottek 2007) stellt eine Form des kollektiven 10 | Bevölkerungsstand am 30.06.2011. Statistik aktuell 21 (2011). Bürgeramt, Statistik und Wahlen, Frankfurt a. M. 11 | Eine erste Pilotausstellung wurde 2010 / 2011 realisiert. Das Projekt „OSTEND // OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“ stellt Katja Weber in diesem Band vor.
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Gedächtnisses unserer Stadt dar, einen Ort für die mit Frankfurt verbundenen individuellen Erinnerungen und Erfahrungen. Ein weiteres wichtiges Element in Frankfurt Jetzt! wird ein ca. 70 qm großes, künstlerisch gestaltetes Stadtmodell sein. Es wird das heutige Frankfurt zeigen, durch seine künstlerische Form aber deutlich machen, dass die Stadt nicht nur aus dem gebauten, sondern auch aus dem erlebten Raum besteht. In diesem Sinne sollen am Stadtmodell auch Bezüge und Alltagserfahrungen der gelebten Stadt deutlich werden. Dazu soll eine Art ‚digitale Lupe‘ entwickelt werden, die zur Untersuchung des Modells benutzt werden kann. Sie soll es möglich machen, zum einen Fakten über einzelne Orte, Gebäude oder Viertel abzurufen und zum anderen individuelle Erfahrungen in Form von Interviews, Soundscapes oder kurzen Filmen zu erleben. Diese Daten sollen auch von den Besucher-Benutzern direkt in die Ausstellung eingespielt werden können. Um die Kommunikation und Interaktion zwischen Museum und Usern auch außerhalb der Museumsmauern intensivieren zu können, entwickeln wir derzeit verschiedene ‚Schnittstellen‘, die über ein Museumsportal erreichbar sein sollen: Damit wird es den Museumsbesuchern und Netz-Aktiven möglich, sowohl direkt in der Ausstellung als auch von zu Hause aus ihr Wissen über die ausgestellten Themen für alle einsehbar zu dokumentieren und damit auch untereinander auszutauschen. Über das Museumsportal sollen zudem die Museumsinhalte zur Kommentierung und Bearbeitung geöffnet werden, ähnlich wie es jetzt schon die großen Tageszeitungen praktizieren. Auch unsere Objektdatenbank soll in Zukunft über das Museumsportal online zu benutzen sein. Über Kommentarfelder haben externe Experten (wie z. B. Sammler) die Möglichkeit, ihr Wissen einzubringen. Wir freuen uns, dass diese fundierten und stark spezialisierten Kenntnisse – die ein Kurator, der ja immer mehrere Sammlungsbereiche zu betreuen hat, nie erwerben könnte – über die Datenbank der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Mit der Onlinedatenbank inkorporieren wir also nicht nur das Wissen externer Spezialisten, sondern schaffen vielmehr eine Plattform für die Zirkulation und Vermehrung des kollektiven Wissens.
Konsequenzen des partizipativen Ansatzes für das kuratorische Selbstverständnis und den musealen Gegenstand Partizipatives Arbeiten führt zu einer Nivellierung traditioneller Hierarchien. Es ist nicht mehr das Museum, das als alleiniger Experte auftritt und von einer auktorialen Sprecherposition aus unwissenden Besuchern die Welt erklärt. Im partizipativen Museum geht es vielmehr darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen und sich gegenseitig als Experten wahrzunehmen. Dementsprechend folgen wir im Rahmen unserer kollaborativen Projekte dem Prinzip der ‚geteilten Expertise‘: In der Konzeption und Realisierung der Stadtlabor-Ausstellungen z. B. betrachten wir unsere Kooperationspartner als Experten für das zu bearbeitende Thema, wir steuern die kuratorische Expertise bei, d. h. unsere museologischen und organisatorischen Erfahrungen als Ausstellungsma-
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cherinnen. Uns kommt in gewissem Sinne auch die Rolle eines ‚Besucheranwalts‘ zu, damit auch all jene, die nicht am kollaborativen Prozess beteiligt waren, ein sinnvolles und qualitativ hochwertiges Ausstellungserlebnis haben. Dementsprechend rücken in partizipativen Projekten kommunikative Fähigkeiten in den Vordergrund. Bei der Realisierung der Stadtlabor-Ausstellungen beispielsweise sind von uns weniger fundierte Sachkenntnisse über das jeweilige Ausstellungsthema gefragt, gefordert sind vielmehr Moderationstechniken, kommunikatives Gespür und Verhandlungsgeschick, um mit den oftmals sehr heterogenen Gruppen konstruktiv zusammenarbeiten zu können. Auch unser Verhältnis zum Museumsobjekt ändert sich durch die partizipative Museumsarbeit. Wir verstehen uns nicht in erster Linie als Sammlungsverwalter, sondern eher als ‚Beziehungspfleger‘. In unserem ‚Sammlungsbereich‘ geht es weniger darum, den Objektbestand des Museums durch Neuzugänge zu komplettieren, uns geht es eher darum, Perspektiven, Meinungen, Beziehungen und Erfahrungen zu sammeln und sie wiederum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf diese Wiese möchten wir einen Dialog in Gang setzen, um gesellschaftliche Grenzen überschreiten und verschiedene Lebenswelten miteinander in Kontakt bringen zu können. Erleben wir hier einen immaterial turn in der Museumsarbeit? Ist die verstärkte Hinwendung zur Partizipation auch eine Folge dessen, dass zunehmend auch immaterielles Kulturgut (intangible heritage) Gegenstand des musealen Interesses wird? Diese zunehmende Immaterialisierung des musealen Objekts findet im Kontext veränderter Objektvorstellungen statt, wie sie u. a. von Gernot Böhme (1995), Daniel Miller (2005) oder nicht zuletzt auch von Bruno Latour (2005) formuliert werden: Das Ding ist nicht mehr im heideggerschen Sinn als in sich geschlossener Gegenstand zu sehen, sondern als ein über sich hinausweisendes „offenes Objekt“12, als Kreuzungspunkt von Beziehungen, Meinungen und Erfahrungen. In diesem Licht betrachtet, rücken die symbolischen und diskursiven Qualitäten des Objekts in den Vordergrund. Die partizipative Museumsarbeit ist ein Prozess mit offenem Ende. Sie erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit sowie Improvisationsfähigkeit. Auch und vor allem von den Museumsmitarbeitern ist eine gewisse ‚Uneitelkeit‘ gefordert, denn eigene konzeptionelle Ideen müssen offen zur Diskussion gestellt werden. Indem das Museum anerkennt, dass auch das Erfahrungswissen der Stadtbewohner seinen berechtigten Platz im Museum hat, verzichtet es auf seine Deutungshoheit. Für uns Museumsmitarbeiter ist es oft nicht einfach, uns zurückzunehmen und uns von eigenen Vorstellungen zu verabschieden. Oft muss man anders denken, als man es eigentlich aus seinen professionellen Routinen gewohnt ist, und muss versuchen, Lösungen für Probleme zu finden, von denen man sich nie hatte vorstellen können, sie überhaupt jemals zu haben! Andererseits führt diese Art der Museumsarbeit auch zu spannenden Begegnungen 12 | Vgl. die Tagung „Offene Objekte / Open Objects“, die im April 2010 vom Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar durchgeführt wurde. http://ikkm-weimar.de/forschung/tagungen/offene_objekte/ookonzept de/prm/250/ses_id__92e9aa82f1453d5987213aa12e404a22/cs__11/index.html [letzter Zugriff 25.11.2011].
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mit Menschen, die man im routinierten Museumsalltag nie getroffen hätte, und die Lösung der ungewohnten Herausforderungen wirkt durchaus sehr inspirierend und erfrischend. Wir im historischen museum frankfurt haben die Erfahrung gemacht, – und hoffen dies fortsetzen zu können –, dass das Kennenlernen, Erleben und Mitarbeiten am Museum und seinen Ausstellungen zu großer Sympathie und einem gesteigerten Interesse an der Institution, aber auch an der Stadtgeschichte und der eigenen Einbindung in diese hervorruft.
Literatur Böhme, Gernot: „Das Ding und seine Ekstasen. Ontologie und Ästhetik der Dinghaftigkeit“, in: ders.: Atmosphäre, Frankfurt a. M. 1995, S. 155 – 176. Cameron, Duncan F.: „The Museum, a Temple or the Forum“, in: Anderson, Gail (Hg.): Reinventing the museum. Historical and Contemporary Perspectives on the Paradigm Shift, Walnut Creek u. a. 2004, S. 61 – 73 (Erstveröffentlichung 1971 in Curator: The Museum Journal, Xiv / 1 (1971), S. 11-24). Clifford, James: „Museums as Contact Zones“, in: ders.: Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge, Mass., u. a. 1997, S. 188 – 219. Gerchow, Jan: Denkschrift des DMB zur Lage der Museen. Stadt- und regionalhistorische Museen. Unveröffentlichtes Manuskript. Historisches Museum Frankfurt a. M.: Frauenalltag und Frauenbewegung in Frankfurt 1890 – 1980. Historische Dokumentation 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1981. Hörning, Karl H.: Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, Weilerswist 2001. Jardine, Nicholas / Secors, James A. / C. Spary, Emma (Hg.): Cultures of Natural History, Cambridge 1996. Knell, Simon J.: „Museum, fossils and the cultural revolution of science: mapping change in the politics of knowledge in early nineteenth-century Britain“, in: ders. (Hg.): Museum Revolutions. How Museums Change and are Changed, Oxon / New York 2007, S. 28 – 47. Latour, Bruno: Von der Realpolitik zur Dingpolitik, Berlin 2005. Löw, Martina / Berking, Helmuth (Hg.): Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung, Frankfurt a. M. / New York, 2008 Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001. Miller, Daniel: „Materiality: An Introduction“, in: ders. (Hg.): Materiality, Durham / London 2005, S. 1 – 50. Neuland, Franz / Werner-Cordt, Albrecht (Hg.): Die junge Garde. Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt am Main 1904 –1945“, Gießen 1980. Nowotny, Helga / Scott, Peter / Gibbons, Michael: Wissenschaft neu denken. Wissenschaft und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit, 1. Aufl., Weilerswist 2005.
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Österreichisches Bundeskanzleramt (Hg.): Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung, Wien 2009. Pottek, Martina: Kunst als Medium der Erinnerung. Das Konzept der „Offenen Archive“ im Werk von Sigrid Sigurdsson, Weimar 2007. Secors, Anne: „Science in the Pub. Artisan Botany in Early-Nineteenth-Century in Lancashire“, in: History of Science 32 (1994), S. 269 – 315. Spickernagel, Ellen / Walbe, Brigitte (Hg.): Das Museum: Lernort contra Musentempel, Gießen 1976. te Heesen, Anke: „Vom naturgeschichtlichen Investor zum Staatsdiener. Sammler und Sammlungen der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin um 1800“, in: dies. / C. Spary, Emma (Hg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001, S. 62 – 84.
Das Stapferhaus Lenzburg
Gegenwart als Kernthema und Partizipation als Selbstverständnis: das Stapferhaus Lenzburg Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger, Detlef Vögeli
Die Schweizer Kulturinstitution Stapferhaus Lenzburg setzt seit 15 Jahren konsequent auf Ausstellungen zu Gegenwartsfragen: Als Ausstellungsmacher bringen wir Themen in den Raum, die gesellschaftlich relevant sind, mit dem Ziel, eine Debatte zu lancieren und ein breites Publikum zum Nachdenken zu bringen. Wir vertrauen dabei auf partizipative Elemente, weil wir überzeugt sind, dass Auseinandersetzung mit der Gegenwart nur mittels Teilhabe funktioniert. Allerdings gehen wir dabei von einem weiten Partizipationsbegriff aus. Wir sprechen nicht nur bei visitor generated content von Partizipation, sondern begreifen bereits die ‚geistige Auseinandersetzung‘ als Teilhabe oder Partizipation. Die Publikumsorientierung in jeder Projektphase zielt dabei auf möglichst große Chancen für möglichst viele, am Projekt und damit an der geistigen Auseinandersetzung zu partizipieren. Der Grund für diese breite Auslegung des Partizipationsbegriffs lässt sich in der Geschichte der Institution finden, die eine ganz andere ist als jene klassischer Museen.
Ausstellungen als partizipatives Format Das Stapferhaus wurde 1960 als „Ort der Begegnung und der geistigen Auseinandersetzung“ auf Schloss Lenzburg gegründet. Der ungewöhnliche Name erweist Philipp Albert Stapfer die Ehre, dem Kultur- und Bildungsminister der Helvetischen Republik, einem Mann mit außerordentlich fortschrittlichen Ideen. Im Stapferhaus sollte der Geist Stapfers weiterleben, indem das Haus Fragen der Bildung, der Kultur und der Gesellschaft im weitesten Sinne zum Thema macht. Die Gründungsstatuten lassen das Vermittlungsformat offen, die „Form soll aus der Erfahrung erarbeitet werden“, heißt
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es da. Dennoch hatten die Gründerväter des Stapferhauses ein konkretes Vermittlungsformat im Auge: Sie rüsteten das Haus nicht nur mit Büro-, sondern auch mit Seminarräumen aus. Und so wurde in den Stapferhausräumen auf Schloss Lenzburg 30 Jahre lang praktiziert, was heute round table heißt: 68er trafen auf arrivierte Politiker, Forstwarte auf Umweltschützer und Offiziere auf Rüstungsgegner. Die Gegenwart wurde in der ganzen Vielfalt von Bildung über Politik und Kultur bis zur Wirtschaft diskutiert. Gegenseitige Verständigung und gemeinsame Zielformulierungen standen im Fokus, mit dem Ziel, die Gegenwart zu gestalten und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Schon damals kam der partizipative Ansatz zum Tragen: Das Stapferhaus war darum bemüht, im Rahmen der Tagungen Vertreterinnen und Vertreter möglichst aller Interessengruppen um einen Tisch zu versammeln. Doch bei aller Partizipation: Das Stapferhaus arbeitete damals nach dem Top-down-Prinzip. Formatbedingt wurde nur eine handverlesene Auswahl von Meinungsmachern zum Gespräch geladen, mit der Idee, dass die in den Höhen von Schloss Lenzburg gewonnenen Einsichten durch sie in den Alltag getragen würden. In den 1980er-Jahren wurde dieses Selbstverständnis infrage gestellt. Auf allen Ebenen und immer lauter wurde für mehr Partizipationsmöglichkeiten für die breite Bevölkerung plädiert. Zudem hatte das Stapferhaus im Zuge des Wandels der institutionellen Landschaft in der Schweiz zwischen 1960 und 1990 seine Pionierrolle eingebüßt. Zum Gespräch luden nun auch andere. Das Stapferhaus war aufgefordert, sich um mehr Breitenwirksamkeit zu bemühen. So machte sich die unterdessen 30-jährige Institution auf die Suche nach neuen Vermittlungsformaten, mit dem Ziel, ein breiteres Publikum zur „geistigen Auseinandersetzung“ anzuregen. Und sie wurde fündig: 1994 lockte die Ausstellung „Anne Frank und wir“ in fünf Wochen 25.000 Besucherinnen und Besucher in den Rittersaal auf Schloss Lenzburg. Die kleine Ausstellung traf einen Nerv der Zeit: Noch vor dem in der Schweiz heftig diskutierten Bergier-Bericht zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zeigte die Ausstellung nicht nur Bilder und Texte zu Anne Frank, sondern warf auch einen kritischen Blick auf die ‚neutrale Schweiz‘ und aktuelle Tendenzen von Intoleranz und Rassismus. Die Brücke zur Gegenwart und zu den Besucherinnen und Besuchern wurde mit großem Erfolg geschlagen. Der Zusatz „und wir“ wurde zur programmatischen Prämisse. Das Stapferhaus setzte fortan konsequent auf das Ausstellungsformat und auf Gegenwartsthemen: Es verhandelte in seinen bisherigen Ausstellungen den Umgang mit Sterben und Tod, Mobilitätsfragen, die Strafkultur, den Glasuben, die Zeitkultur und die Auswirkungen der Digitalisierung auf unser Leben. Für das Selbstverständnis des Stapferhauses als Ausstellungsinstitution ist seine Geschichte prägend. Das Ausstellungsformat war nicht, wie bei klassischen Museen, vordefiniert: Das Stapferhaus entdeckte das Ausstellungsformat vor gut 15 Jahren als Mittel zum Zweck.
Gegenwart verlangt nach Partizipation Dem Stapferhaus fehlt bis heute der Kern dessen, was ein Museum zum Museum macht: Es hat weder eine Sammlung noch feste Ausstellungsräume. Das Kapital des
Das Stapferhaus Lenzburg
Hauses ist nicht das kulturelle Erbe, das im Keller lagert, sondern die Gegenwart, die vor der Haustüre liegt. Wer über die Schlosszinnen hinunterblickt, erkennt am Fuß des Berghügels das schmucke Altstädtchen Lenzburgs, links davon die sternförmige Strafanstalt und am Horizont den weißen Wolkenturm des Kernkraftwerks Gösgen. Dazwischen liegen ein paar Kirchtürme, ein goldenes buddhistisches Tempeldach, der rot-weiße Turm einer Kehrichtverbrennungsanlage und eine vierspurige Autobahn. So präsentiert sich vor unseren Augen der Kanton Aargau, der als der Schweizer Durchschnittskanton schlechthin gehandelt wird. Es ist diese alltägliche Gegenwart, die uns als Ausstellungsmacher interessiert. Der Soziologe Hartmut Rosa versteht Gegenwart als Stabilitätszeitraum, innerhalb dessen eine Gesellschaft bestimmte Erfahrungen, eine ‚gemeinsame Gegenwart‘ teilt (Rosa 2005). In unserer beschleunigten Gesellschaft lösen sich die gemeinsamen Erfahrungshorizonte in immer kürzeren Zeitabständen ab. Die Gräben in einer Gesellschaft werden dadurch in allen Belangen größer, die Unsicherheiten wachsen – und damit wächst auch die Notwendigkeit, die Gegenwart und die verschiedenen Standpunkte der Gegenwartsakteure zu klären und die Spielregeln gemeinsam zu verhandeln. Darin liegt das Ziel der Stapferhaus-Ausstellungen: Sie zeigen nicht nur Gegenwart, sondern sie laden die Besucherinnen und Besucher ein, die Gegenwart aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und sie über vermeintliche Gräben hinweg zu diskutieren. Weil das Stapferhaus nicht primär Objekte, sondern Perspektiven und Meinungen ausstellt, werden bereits bei der Erarbeitung der Ausstellungen Gegenwartsakteure miteinbezogen. Die Stapferhaus-Crew hat zu keinem Thema Fachwissen im Haus. Sie macht sich bei jedem Thema neu auf die Suche nach unterschiedlichen Gegenwartserfahrungen und spezifischem Gegenwartswissen. Wird in der Ausstellung „Glaubenssache“ die Glaubenslandschaft Schweiz verhandelt, ist neben der Erfahrung des Gläubigen auch die der Atheistin gefragt, neben dem Wissen des Pfarrers auch das des Rabbis, des Hindupriesters und des muslimischen Geistlichen. Und die Ausstellung „nonstop“ zur Geschwindigkeit des Lebens interessiert sich genauso für jene, die für unser hohes Lebenstempo verantwortlich sind wie für jene, die diesem hohen Tempo nicht gewachsen sind – und für jene, die sich dem Zeitgeist bewusst entgegenstellen. Zu diesen Gegenwartsakteuren gehört zwingend auch das Publikum. Denn der Referenzpunkt ist stets die eigene Lebenserfahrung. Wie erlebe ich die Gegenwart? Wie erleben andere die Gegenwart? Wo reiben sich Erwartungen und Erfahrungen? Das Stapferhaus vermittelt mit seinen Gegenwartsausstellungen keine Gewissheiten, sondern stellt ebendiese zur Disposition. Es lädt das Publikum ein, Position zu beziehen und Gegenwart aktiv zu verhandeln. Die traditionelle Rollenzuteilung zwischen den Kuratierenden als Wissensvermittlern und dem Publikum als Laien wird aufgehoben. Das Stapferhaus nimmt die Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher ernst und lässt sie Teil des Dialogs über die Gegenwart werden.
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Plädoyer für einen breiten Partizipationsbegriff Die Online-Enzyklopädie Wikipedia umschreibt Partizipation wörtlich als „Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung, Einbeziehung“ 1. Auseinandersetzung mit der Gegenwart funktioniert nur mittels Teilhabe. Möchte man wie das Stapferhaus Gegenwart nicht zur zeigen, sondern auch verhandeln, so muss den Besuchern die Möglichkeit zur Beteiligung gegeben werden. Die Ausstellungen des Stapferhauses laden in diesem Sinne ein zur Teilhabe, zur Beteiligung – zur Partizipation. Partizipation wird dabei in einem doppelten Sinne weit gefasst. Zum einen weil das Stapferhaus nicht nur den visitor generated content als partizipatives Element einer Ausstellung verstanden haben möchte, sondern bereits die ‚geistige Auseinandersetzung‘ als Teilhabe oder Partizipation begreift. Zum anderen, weil das Stapferhaus den partizipativen Ansatz nicht dahingehend auslegt, dass das (zukünftige) Publikum in jeder Projektphase – von der Themensetzung bis zur Evaluation – in einem direkten Sinn zum Mitmachen eingeladen werden muss. Im Gegenteil: Das Setting zu gestalten, in welchem die „geistige Auseinandersetzung mit der Gegenwart“ – die Teilhabe oder Partizipation in der Ausstellung – erfolgt, ist das Kerngeschäft der Ausstellungsmacher im Stapferhaus. Aus unserer Praxis argumentierend, plädieren wir entsprechend für einen breiten Partizipationsbegriff und verorten diesen auf den folgenden drei Ebenen: auf der Konzeptebene, auf der Raumebene und auf der Vermittlungsebene. Dabei kann es sich, je nach Projekt und Zielformulierung, genauso um Partizipation im Sinne von Beteiligung wie im Sinne von Teilhabe, Teilnahme, Einbeziehung, Mitwirkung oder Mitbestimmung handeln.
Publikumsorientierung auf Konzeptebene: Thema, Titel und Recherche Wer ein breites Publikum vor Augen hat, dem ist die Möglichkeit zur Teilhabe für möglichst alle ein zentrales Anliegen. Diese Publikumsorientierung beginnt bei der Themensetzung. Das Stapferhaus sucht nach Gegenwartsthemen, die gesellschaftlich relevant sind und möglichst alle ‚etwas angehen‘. In der folgenden konzeptionellen Arbeit bleibt das Ziel stets vor Augen, Zugänge zur „geistigen Auseinandersetzung“ zu ermöglichen und jeden einzelnen Besucher dort abzuholen, wo er mit seinen Erfahrungen, Erwartungen oder Fragen steht. Die Themenwahl zur jüngsten Stapferhaus-Ausstellung „HOME. Willkommen im digitalen Leben“ brachte z. B. mit sich, dass sich das Stapferhaus mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen konfrontiert sah: Ein klassisches, älteres Kulturpublikum, das Begriffe wie Crowdsourcing, Facebook oder Twitter nur vom Hörensagen kennt, steht einem jungen Fachpublikum gegenüber, das sich in der digitalen Welt bewegt wie die Fische im Wasser. Wir haben deshalb nach einem Bild gesucht, das alle verstehen, und 1 | http://de.wikipedia.org/wiki/partizipation [letzter Zugriff 01.09.2011].
Das Stapferhaus Lenzburg
wollten eine Welt kreieren, in der sich alle wohlfühlen. Und (er-)fanden das Bild des home als Heimat und Zuhause. Unter dem Titel „HOME. Willkommen im digitalen Leben“ klingen die Fragen der Ausstellung an: Wer fühlt sich zu Hause in der digitalen Welt? Und wer nicht? Was heißt sich zu Hause fühlen im digitalen Zeitalter? Das home-Bild erlaubt eine inhaltliche Zuspitzung auf jene Themen, die das Stapferhaus an der Digitalisierung interessieren: Die Auswirkungen auf Themenbereiche wie Freundschaft, Arbeit, Politik oder Bildung. Mit „HOME“ hatte das Stapferhaus den Schlüssel in der Hand, um das Thema szenografisch wie inhaltlich für ein breites Publikum zu erschließen und das Thema im Raum sinnlich erfahrbar zu machen. Zurzeit arbeiten wir im Stapferhaus am nächsten Ausstellungsprojekt. Es wird sich dem Thema „Entscheiden“ widmen. Noch wissen wir wenig darüber. Nur, dass die Ausstellung das Freiheitspotential thematisieren wird, das Entscheidungen in sich tragen, genauso wie unsere Mühen, dieses Freiheitspotential in ein zufriedenes Leben umzumünzen. Und wie immer setzt das Stapferhaus im Rahmen der Recherchen nicht primär auf eine Auswahl Bücher, die im Regal steht, sondern auf das Wissen und die Erfahrungen verschiedener Gegenwartsakteure, die wir vor der Ausformulierung des Ausstellungskonzepts befragen. Auf unserer Liste stehen: eine Psychologin, eine Philosophin, ein Ökonom, ein Neurowissenschaftler, ein Therapeut, ein Zoologe, ein alter Mann mit viel Lebenserfahrung, eine Gymnasiastin, die vor der Berufswahl steht, ein Manager, der Entscheidungen im Sekundentakt fällt, und eine Frau, die von sich behauptet, mit all ihren Entscheidungen zu hadern. Für die Arbeit am Konzept heißt dies: Wir haben die (zukünftigen) Besucher im Kopf und die relevanten Fragestellungen und die prägenden Erfahrungen unserer Gesprächspartner im Gepäck.
Partizipation auf Ausstellungsebene: der Besucher und der Raum Eine Institution, die Ausstellungen zum Mittelalter realisiert, rechnet zu einem großen Teil mit einem Laienpublikum. Was aber erklärt wer wem in Gegenwartsausstellungen? Eine Gegenwartsausstellung kann die Gegenwart nicht erklären – aber unterschiedliche Perspektiven auf die Gegenwart skizzieren. Sie will zur Selbsterkenntnis anregen, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Position und mit konträren Positionen. Sie versucht, Orientierung zu bieten, indem sie Zusammenhänge aufzeigt, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich aufbereitet und individuelle Meinungen in einen gesellschaftlichen Kontext stellt. Die Besucher verlassen Gegenwartsausstellungen im Idealfall voller (Selbst-)Erkenntnisse und mit einer großen Lust, sich am gesellschaftlichen Geschehen aktiv zu beteiligen – zu partizipieren. Das sind große Ziele. Erreichen lassen sie sich selbstverständlich nur, wenn die Besucher nicht in der klassischen, betrachtenden Besucherrolle verharren, sondern Teil der Ausstellung werden. Das Stapferhaus spricht den Besucher nicht als visitor, als Betrachter, sondern als actor, als Akteur, an. Dieses Ansinnen zielt auf die Handlungen des Ausstellungsbesuchers. Damit ist nicht die permanente Partizipation des Besuchers
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im Sinne eines Mitgestaltenden gemeint. Stapferhaus-Ausstellungen basieren nicht auf dem Konzept des ‚Je-Ka-Mi‘ (Jeder-Kann-Mitmachen), vielmehr ist die punktuelle aktive Teilnahme auf verschiedenen Ebenen das Ziel.2 Als Eintrittsticket in die Ausstellung „HOME“ z. B. erhalten die Besucher ein Paar blaue „HOME“-Socken. Denn: „HOME“ ist wörtlich zu nehmen, die Szenografie spielt mit Zitaten des realen Heims – u. a. ist die ganze Ausstellung mit Teppich ausgelegt. Die Schuhe werden an der Garderobe zurückgelassen, die Ausstellung wird auf leisen Sockensohlen erkundet, behaglich fläzen sich die Besucher auf den „HOME“-Sofas, tauchen in fremde oder vertraute digitale Welten ein. Tatsächlich reicht diese Schwellenhandlung – Schuhe abstreifen, Socken anziehen –, um aus den (passiven) Besuchern (aktive) Akteure zu machen. Der Überraschungseffekt und das durch die Socken geweckte Bewusstsein dafür, dass sich alle – egal ob digital natives oder digital immigrants – auf dem gleichen Boden bewegen, sorgen dafür, dass sich alle Besucher als Teil von „HOME“ betrachten – und im besten Fall bereit sind, über das digitale Leben in Verhandlung zu treten. Weitere Ausstellungsstationen beinhalten partizipative Elemente im weitesten Sinn: So stehen ganz am Anfang des Parcours durch „HOME“ sechs Porträtfilme über digital natives, Menschen also, die sich in der digitalen Welt genauso zu Hause fühlen wie in der realen Welt. Das abstrakte Phänomen der Digitalisierung bekommt dadurch ein Gesicht – es wird personalisiert. Die Porträtierten dienen als Spiegelbilder, sie erlauben Identifikation und Abgrenzung. Der junge, sympathische Killergamespieler lässt das Publikum genauso wenig kalt wie die Teenagerin, die erklärt, warum sie ohne Handy nicht leben kann, oder der Familienvater, der intensiv „World of Warcraft“ spielt. Sie alle fordern das Publikum heraus – sowohl die digital natives als auch die digital immigrants. Die Porträts werfen Fragen auf: Macht das digitale Leben gewalttätig, asozial und süchtig? Oder befördert das Leben in digitalen Welten nicht vielmehr das vernetzte Denken, die rasche Informationsbeschaffung und den sozialen Austausch? Die Porträts lösen Betroffenheit aus, der Besucher ist involviert. Seine Meinung zum Thema kann er einige Ausstellungsstationen später abgeben, indem er an einer Umfrage teilnimmt: Darf man die Mails des Partners lesen? An Sitzungen auf dem iPhone die Mails checken? Per SMS eine Beziehung beenden? Sollen Killergames per Gesetz und der Handygebrauch in der Schule verboten werden? Die Besucher antworten mit Ja oder Nein, ihre Antworten werden daraufhin in der Gesamtheit aller Antworten verortet. Diese Selbstbefragung löst eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun aus und zeigt den Besuchern, wo sie mit ihren Antworten in der Gesellschaft stehen. Doch auch die Königsdisziplin unter den partizipativen Methoden, der visitor generated content (d. h. die Generierung von Ausstellungsinhalten durch das Publikum), kommt in „HOME“ nicht zu kurz. Im Dachstock der Ausstellungshalle betritt der Besucher den sehr (atmo-)sphärisch gestalteten Raum „HOME 2.0“ und begegnet dort Filmen der 2 | Vgl. zu den im Folgenden vorgestellten Spielarten der Partizipation in StapferhausAusstellungen auch den Text zur sozialen Szenografie von Beat Hächler in diesem Band.
Das Stapferhaus Lenzburg
„HOME“-Community, die via Web-Portal eingespielt werden. Die Besucher werden in der Ausstellung und übers Web aufgefordert, ihre Meinung zum digitalen Leben filmisch umzusetzen und damit Teil der Ausstellung „HOME“ zu werden. Hier partizipiert der Ausstellungsbesucher nicht nur geistig, sondern macht seine Ideen, Gedanken, Beiträge den anderen Besucherinnen und Besuchern zugänglich.
Partizipation und Vermittlung: Führungen, Workshops, Veranstaltungen, Online-Aktivitäten Klassische Ausstellungsführungen basieren auf dem Konzept, dass eine Fachperson den Besucherinnen und Besuchern die Ausstellung ‚erklärt‘. Die Mitwirkung beschränkt sich dabei meist auf die Aufforderung, aktiv Fragen zu stellen. In den Gegenwartsausstellungen des Stapferhauses machen klassische Führungen keinen Sinn. Es gibt in unseren Ausstellungen nichts zu ‚erklären‘, die Ausstellungen sind selbstvermittelnd. Trotzdem entsprechen Führungen einem Bedürfnis – und können je nach Ausgestaltung auch einen realen Mehrwert bieten. Im Rahmen von „HOME“ ist das Stapferhaus dem Bedürfnis nach persönlicher Betreuung und Ausstellungsführungen mit dem Einsatz von Hosts und dem Angebot einer iPad-Führung nachgekommen. Die Hosts – zwei Vermittlungspersonen – sind in der Ausstellung rund um die Uhr präsent. Sie stehen sowohl den Einzelbesuchern als auch den Gruppenbesuchern zur Verfügung und erfüllen zwei Funktionen. Zum einen sind sie gewissermaßen lebende, interaktive Exponate. Sie kennen die digitalen Welten (und die Ausstellungsinhalte) wie ihre Westentasche. Zum anderen verfügen sie über ausreichende kommunikative Kompetenzen, um sowohl mit Einzelbesuchern in einen Dialog zu treten als auch eine Diskussion mit einer Gruppe moderieren zu können. Ergänzend zur personalen Vermittlung wird bei Gruppenführungen auf die mediale Vermittlung mittels iPad gesetzt. Das iPad nimmt dabei nicht die Rolle eines enzyklopädischen Multimediaguides ein, der weiter gehende Informationen vermittelt, sondern wird als Kommunikationswerkzeug eingesetzt. Es führt die Besucher entlang ihrer Interessenprofile durch die Ausstellung und befragt sie regelmäßig zu den Inhalten. Die Resultate dieser Befragung werden gesammelt, ausgewertet und in einer abschließenden Runde durch einen Host präsentiert und diskutiert. Nebst den Führungen zielen auch die Workshopangebote auf eine zielgruppengerechte, mit partizipativen Mitteln arbeitende Vertiefung. Im Fall von „HOME“ werden sowohl digital natives als auch digital immigrants im Rahmen maßgeschneiderter Workshops dazu eingeladen, sich mit verschiedenen Facetten des digitalen Lebens auseinanderzusetzen. So führt beispielsweise der „Workshop für digital Ungeübte“ ein älteres Publikum an die Welt von E-Mail, Games und Social Media heran, während sich junge Besucher im Rahmen des Workshops „Die Macht der Bilder“ mit der digitalen Manipulation von Bildern auseinandersetzen, indem sie selber entsprechende Bilder bzw. Filme produzieren. Schließlich sind es eine Reihe von Veranstaltungen sowie diverse Online-Angebote – z. B. eine ausführliche Website oder eine Stapferhaus-Seite auf Facebook –, die ver-
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suchen, das Publikum in eine Diskussion rund um das digitale Leben zu involvieren. Auch auf diesen Kanälen findet Partizipation statt.
Die Rolle des Ausstellungsmachers im partizipativen Prozess Wer den Begriff der Partizipation politisch auslegt und nur dann von Partizipation spricht, wenn es den Besuchern möglich ist, „um die Spielregeln zu spielen“3, der mag von den Stapferhaus-Ausstellungen enttäuscht sein. Der weitgefasste Partizipationsbegriff des Stapferhauses impliziert jedoch nicht, dass wir das Publikum nicht ernst nehmen. Im Gegenteil: Aus unseren Besucherumfragen wissen wir, dass unser Publikum durchschnittlich eine gute Stunde Anreisezeit auf sich nimmt, um dann durchschnittlich über zwei Stunden in unseren Ausstellungen zu verweilen. Unser Publikum reist mit der berechtigen Erwartung nach Lenzburg, dass das Stapferhaus zwar über wenig thematisches Expertenwissen verfügt, dafür aber die Kunst des Ausstellungsmachens versteht. Wir verstehen uns als Experten in Sachen Dramaturgie und Vermittlung. Seit seinen Anfängen verfolgt das Stapferhaus das Ziel, zur lustvollen geistigen Auseinandersetzung anzuregen, pflegt es die Kunst des (In-)Frage-Stellens. Die Leistung von uns Ausstellungsmachern liegt in der thematischen Reduktion, im Aufzeigen von Zusammenhängen und – in Zusammenarbeit mit weiteren Experten – der Erarbeitung eines szenografischen Settings, das im besten Fall unvergessliche Momente und eindrückliche (Selbst-)Erkenntnisse schafft. Von Partizipation in einem engen Sinne, welche die Involvierung des (zukünftigen) Publikums in allen Projektphasen verlangt, kann hier nicht die Rede sein. Unsere Kernaufgabe liegt gerade darin zu definieren, wo, in welchem Rahmen und auf welcher Ebene eine Involvierung der Besucherinnen und Besucher sinnvoll ist.
Literatur Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Temporalstrukturen in der Moderne, Frankfurt a. M. 2005.
3 | Vgl. den Beitrag von Nora Sternfeld in diesem Band.
Stadtmuseum Stuttgart Partizipation als Chance, einer sich verändernden Stadtgesellschaft gerecht zu werden Markus Speidel, Anja Dauschek
Seit Anfang 2007 plant die Landeshauptstadt Stuttgart ein Stadtmuseum, das in zentraler Lage in der Innenstadt, im sogenannten Wilhelmspalais, entstehen soll. Das Wilhelmspalais war bisher zentrale Stadtbücherei, ab 2016 sollen dort für das Stadtmuseum rund 900 qm Dauerausstellungsfläche, 500 qm Sonderausstellungsfläche und weitere rund 500 qm Kinder- und Jugendbereich geschaffen werden. Für eine Landeshauptstadt wie Stuttgart mit rund 600.000 Einwohnern ist es ein eher kleines Stadtmuseum, aber bisher fehlte es komplett an einer Einrichtung, in der die Stadtgeschichte präsentiert wird. Warum gerade jetzt ein neues Stadtmuseum? Auf der einen Seite ist es dem Engagement von Bürgern mit Interesse an der Stadtgeschichte zu verdanken, die sich seit Jahren für ein Stadtmuseum eingesetzt hatten. Auf der anderen Seite aber vor allem der politischen Erkenntnis, dass in einer Stadt, deren Einwohner heute schon zu rund 40% einen sogenannten Migrationshintergrund haben, Fragen rund um eine mögliche gemeinsame städtische Identität im Rahmen der kommunalen Integrationsaufgabe wichtig sind. Schon heute hat Stuttgart neben Frankfurt am Main den höchsten Anteil von Bürgern mit Migrationshintergrund. Bis das Stadtmuseum 2016 eröffnet, werden die Stuttgarter Schulkinder bereits in der überwiegenden Mehrheit aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte stammen. Wie kann man für eine solchermaßen diversifizierte Stadtgesellschaft ein Stadtmuseum konzipieren? Was charakterisiert denn Stuttgart als gemeinsame Heimat oder vielleicht auch nur gemeinsamen Wohnort von 170 Nationen? Wie wirkt sich dies auf die Aufgaben und Ziele des Museums aus? Das Leitbild des Stadtmuseums stellt die Menschen in den Mittelpunkt des Museums, inhaltlich als Handelnde im Sinne der historischen Stadtentwicklung und ebenso als Besucher, die heute und zukünftig die Stadt gestalten. Dies ist das grundlegende Vermittlungsprinzip des Museums. Dabei
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hat es sich das Museum zum Ziel gesetzt, die Migrationsgeschichte der Stadt als einen integrierten Teil der Stadtgeschichte zu erzählen. Stuttgart wurde – ebenso wie andere Städte – schon früh durch Aus- und Einwanderung geprägt, besonders jedoch durch die Einwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Stadtgeschichte soll deshalb mit bewusstem Blick auf die Vielfalt der Stadt erzählt werden. Dabei steht die Frage im Fokus, wie sich die Stadt durch Migration verändert hat. Die museale Dokumentation der Migrationsgeschichte konfrontiert Stadtmuseen mit einem „grundlegenden Paradigmenwechsel“ (Tschofen 2010: 219) auch jenseits des Themas der Migrationsgeschichte. Zwei wesentliche Konstanten, der traditionell nationale Bezugsrahmen eines Stadtmuseums und der Fokus auf eine Stadt, verlieren mit und unter der Perspektive der Migration ihre Relevanz. Der Alltag der Stuttgarter – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – ist seit Jahrzehnten polylokal und transkulturell geprägt. Viele Menschen haben mehr als eine Heimat, sind zwei- oder dreiheimisch und pendeln zwischen Ländern und Sprachen: „Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Nationalkulturen, sondern überschreiten diese und finden sich ebenso in anderen Kulturen“ – so beschreibt Wolfgang Welsch das Konzept der Transkulturalität (Welsch 1995: 2).1 Sich dies immer wieder ins Gedächtnis zu rufen ist entscheidend, um nicht in der Dokumentation von Objekten zur Migration implizit die Dichotomie von ‚wir‘ und ‚sie‘ fortzuführen oder gar eine einseitige Integrationsgeschichte zu schreiben. Transkulturelle Blicke nehmen eine andere Perspektive auf Dinge und ihre Geschichte ein und tauschen nicht etwa den üblichen Zunftpokal gegen den inzwischen auch schon beinahe ubiquitär anzutreffenden Migrantenkoffer ein. Wie wirkt sich das auf das Sammeln und das Ausstellen aus? Welche Themen sind relevant angesichts der soziodemografischen Entwicklung der Stadt? Bisher gibt es, wie Rainer Ohliger und Jan Motte in ihrer Publikation „Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft“ treffend festgestellt haben, keine geteilten Erinnerungen von Deutschen und Migranten (Motte / Ohliger 2004). Es gibt auch keine lieux de mémoires der gemeinsamen Vergangenheit aus dem letzten halben Jahrhundert. Es ist Aufgabe gerade eines Stadtmuseums, diese jetzt zu schaffen. Es muss gerade in einem ortsbezogenen Museum immer darum gehen, die Veränderung des Orts durch die Menschen – egal woher sie kommen – zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen. Dabei darf die kulturelle Vielfalt nicht unter dem Deckmantel der Transkulturalität wieder zum Verschwinden gebracht werden. In diesem Sinne äußerten sich auch die bislang befragten Multiplikatoren der Migrantenkulturvereine in einer von uns durchgeführten Pilotstudie. Das Eigene wie das Andere wollten alle im Museum vorfinden und eine Geschichtserzählung der Stadt, die deutlich macht, dass diese Geschichte schon immer von Ein- und Auswanderung geprägt wurde. Es muss jenseits der Geschichte einzelner Nationen darum gehen, Themen zu entwickeln, anhand derer die durch Migration ausgelösten Veränderungsprozesse gezeigt werden können. So kann, um mit Gottfried Korff zu sprechen, „… [das] Orts1 | Vgl. auch http: / / www.forum-interkultur.net / uploads/tx_textdb / 28.pdf [letzter Zugriff 28.11.2011].
Stadtmuseum Stuttgart
museum […] dazu beitragen, die Gesellschaft als Gesellschaft im Wandel, in Bewegung, in ständiger Transformation zu explizieren, als Gesellschaft, die durch Kulturen im Plural und so durch dauernde Fremdheitserfahrungen, durch dauernde Kontakt- und Kontrasterfahrungen gekennzeichnet ist“ (Korff 2005: 13). Das Konzept der Transkulturalität bietet hier auch eine Planungsperspektive. Ohne dass Welsch sich explizit auf Städte beziehen würde, beschreibt er mit dem Konzept der Transkulturalität eben das, was Städte heute kennzeichnet: Vielfalt, Vermischung und Entstehung neuer Formen. Als lebensnaher Philosoph gibt er uns auch den Ansatz eines Handlungskonzepts mit auf den Weg, wenn er sagt: „the individuals’ discovery and acceptance of their transcultural constitution is a condition for coming to terms with societal transculturality“ (Welsch 1999). Partizipative Methoden leiten uns, um das Stadtmuseum zu einem Ort zu machen, an dem Besucher ihre ‚transkulturelle Verfasstheit‘ erkunden können. Eine wichtige Erfahrung auf dem Weg zum Stadtmuseum war eine Sonderausstellung zum 50. Jahrestag der Anwerbeabkommen mit Griechenland und Spanien im Jahr 2010, die mit einem Sammlungsprojekt verbunden war. „Liebe auf den zweiten Blick“ war der Titel des Projekts – denn die Begegnung mit Stuttgart war für die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Griechenland und Spanien meist eine Liebe auf den zweiten Blick. Aber ebenso mussten die ‚einheimischen‘ Stuttgarter zweimal hinsehen, bevor sie die neuen Mitbürger akzeptierten. Im Rahmen von 30 explorativen Interviews mit Stuttgarterinnen und Stuttgartern der ersten ‚Gastarbeiter‘-Generation erinnerten sich die Gesprächspartner an ihre ersten Jahre in Stuttgart. Vielen Interviewpartnern war der historische Anlass nicht gegenwärtig, sie entwickelten jedoch im Lauf der Gespräche ein Bewusstsein für ihre Geschichte und ihren Anteil an der Entwicklung der Stadt. Eine der wichtigsten Fragen zu Beginn jedes Gesprächs war: „Was wollen Sie in dieser Ausstellung sehen?“ Als Kurator nahm man so einen anderen Blickwinkel ein, stellte die eigenen Vorstellungen der Ausstellung nicht in den Vordergrund, sondern hörte die Themen, die die Menschen wirklich bewegten. Die Interviewpartner waren so nicht nur Auskunftspersonen, sondern auch und vor allem an der Konzeption beteiligt. Sie waren ein ständiges und wichtiges Korrektiv. Individuelle Biografien und Stadtgeschichte wurden im Kontext der Interviews in reflektierter Weise verknüpft. Die Ausstellung, die im Stuttgarter Rathaus gezeigt wurde, da das Stadtmuseum ja noch keine Ausstellungsfläche hat, war nicht nur ein Erfolg im Sinne der Präsentation mit großem Zuspruch. Durch die partizipative Methodik und die bewusste Multiperspektivität wurde eine stabile und glaubwürdige Basis geschaffen. Das Stadtmuseum genießt seit der Ausstellung großes Vertrauen bei migrantischen Kulturvereinen und wird als eine Kompetenz für das Thema Geschichte der Arbeitsmigration betrachtet. Last but not least ist auch die Sammlung während und nach der Ausstellung um einige wichtige Stücke gewachsen. Diese Ausstellungserfahrung war auch in einem erweiterten Sinn bedeutsam für die Weiterentwicklung der Konzeption der ständigen Ausstellung des Stadtmuseums. Zum einen wurde deutlich, wie wichtig ein narrativ-chronologischer Ansatz mit Bezug zur städtischen Gegenwart ist. Zum Zweiten wurde die Bedeutung von Biografien in der Vermittlung von Geschichte nochmals bestätigt. Die Dauerausstellung soll deshalb
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in einem narrativen Teil, der rund um ein medial bespielbares Modell der gegenwärtigen Stadt angeordnet ist, in vier chronologisch geordneten Themen die Geschichte der Stadt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erzählen. Ein zweiter Bereich der ständigen Ausstellung fordert die Besucher auf, verschiedene Perspektiven einzunehmen und ihre eigene Perspektive einzubringen – unabhängig von einem Migrationshintergrund, aber immer in der Absicht, eben diese Perspektive sichtbar werden zu lassen. Unter dem Arbeitstitel „Stadt gestalten“ sollen historische und aktuelle Ansätze der sozialen und der baulichen Gestaltung der Stadt präsentiert und diskutiert werden. Dabei spielt das Thema der Migration in vielerlei Hinsicht und auch jenseits der Arbeitsmigration des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Diese Ausstellungsbereiche sollen in einem partizipativen Prozess entstehen und in der Ausstellung selbst Partizipation ermöglichen. Sie sollen den Dialog über die Stadt, ihre Geschichte und gegenwärtige Stadtgesellschaft darstellen und anregen. Hier ist jeder Stadtbewohner als Experte gefragt. Dabei ist in beiden Ausstellungsbereichen die Nutzung neuer Medien wesentlich, um das Museum mit der Stadt zu verbinden. Analog dem ‚Wiki-Modell‘ und den Strukturen des Web 2.0 soll das Museum nicht nur auf dem Wissen der Kuratoren beruhen, sondern die gesamte Stadtgesellschaft einbinden. Inhalte des Museums sollen von den Besuchern ergänzt werden können. Insbesondere am Stadtmodell sollen so einzelne Orte unterschiedlichste Bedeutungen und Zuschreibungen erhalten. Der transkulturelle Blick im Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts bedeutet nicht nur ein neues Sammlungsgebiet anzulegen und Ausstellungen zur Migration zu konzipieren. Dieser neue Blick verändert das Verständnis und die Arbeit des Museums. Als Stadtmuseum haben wir die Chance, diese Herausforderung anzunehmen und die diversifizierte Stadtgesellschaft in ihrer Vielfalt darzustellen und diese Vielfalt als Basis ihres Selbstverständnisses zu zeigen. Dazu gehört die Partizipation der Stuttgarterinnen und Stuttgarter von der Museumskonzeption bis zum Museumsbesuch. Nur so kann ein Museum zum Ort des Dialogs werden.
Literatur Motte, Jan / Ohliger, Rainer: Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft, Essen 2004. Korff, Gottfried: „Fragen zur Migrationsmusealisierung“, in: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum, Münster 2005. Tschofen, Bernhard: „‚Auspacken‘ – ein Projekt der Stadt Reutlingen im Kontext der Diskussion um Migration und Museum“, in: Stadtarchiv beim Kulturamt der Stadt Reutlingen (Hg.): Auspacken: Dinge und Geschichten von Zuwanderern. Eine Dokumentation zur Reutlinger Migrationsgeschichte, Reutlingen 2010. Welsch, Wolfgang: „Transculturality – the Puzzling Form of Cultures Today“, in: Featherstone, Mike / Lash. Scott (Hg.): Spaces of Culture: City, Nation, World, London 1999, S. 194 – 213, auch online einsehbar: http: / / www2.uni-jena.de / welsch / Pa pers / transcultSociety.html [letzter Zugriff 26.10.2011].
Stadtmuseum Stuttgart
ders.: „Transkulturalität – zur veränderten Verfasstheit heutiger Kulturen“, in: Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.): Migration und Kultureller Wandel, Schwerpunktthema der Zeitschrift für Kulturaustausch 45 (1995), online einsehbar: www.foruminterkultur.net / uploads / tx_textdb / 28.pdf, S. 2 [letzter Zugriff 28.11.2011] ders.: „Transkulturalität – Lebensformen nach Auflösung der Kulturen“, in: Luger, Kurt / Renger, Rudi (Hg.): Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien. Wien 1994, S. 147 – 169.
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Die Zukunft ausstellen M Shed – ein Museum über Zukunft und Vergangenheit Julie Finch
Der Definition nach blickt man in einem Museum für gewöhnlich zurück. Doch wie wäre es, den Blick vorwärts zu richten, nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft in den Blick zu nehmen? 1
Hinter dem Namen M Shed verbirgt sich ein neues und innovatives Museum für Bristol, in dem Geschichten aus der Vergangenheit dazu dienen, Diskussionen über die Zukunft der Stadt anzuregen. Das Museum sieht sich den Grundsätzen der Demokratie und des Dialogs verpflichtet und stellt die Repräsentation und aktive Einbeziehung der Lokalbevölkerung und einer breiten Öffentlichkeit ins Zentrum seiner Besucherorientierung. In Bristol bestand lange der Wunsch nach einem Museum, in dem die Leute etwas über die äußerst vielschichtige und interessante Geschichte der Stadt erfahren können. Für das Museum wurde daher die Vision formuliert, „[…] gemeinsam mit den Gruppierungen der Stadtgesellschaft und den Besuchern ein dynamisches Umfeld zu schaffen, in dem die einzigartige Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner sowie ihre Bedeutung erfahren und geteilt werden können, und so als Inspirationsquelle für die Gestaltung der Zukunft dienen kann […]“ 2. Diese Vision kann nur – das war von Anfang an deutlich – in direkter Zusammenarbeit mit der Stadtbevölkerung Bristols verwirklicht werden. Die Stadtbewohner erhielten deshalb mehrfach Gelegenheit, ihre Meinung über gewünschte Schwerpunkte zu äußern und ihre Erwartungen an das neue Museum zu formulieren. Die Ergebnisse dieser Befragungen bestimmten den Charakter des Museums und dessen zukünftige Ausrichtung. Die Auseinandersetzung mit der Frage, was im Rahmen partizipativer 1 | Sämtliche Zitate stammen aus einer Publikumsbefragung, die vor der Eröffnung des M Shed durchgeführt wurde. 2 | Museum of Bristol Masterplan 2007.
Die Zukunft ausstellen
Projekte realistischerweise erreicht werden kann und was nicht, führte zu einer Verfeinerung unseres partizipativen Ansatzes, der Mitbestimmungsgedanke an sich hat sich jedoch nie verändert und somit den gesamten Konzeptionsprozess bis zur Fertigstellung des Museums geprägt. Es war uns wichtig, ein Museum zu schaffen, das auch für ein zukünftiges Publikum attraktiv bleibt. Das bedeutete, dass wir die Inhalte so gestalten mussten, dass sie – innerhalb eines äußerst flexiblen Ausstellungsraums – ständig angepasst, weiterentwickelt oder auch komplett verändert werden können.
Partizipatives Sammeln für den Aufbau von M Shed Wir brauchen etwas, das wirklich relevant für uns ist […] Ich glaube, wenn es etwas gäbe, das uns wirklich angehen würde, würde es mich und meine Kinder vermutlich mehr interessieren.
Wo würden Sie hingehen, wenn Sie wirklich erfahren wollten, wie das Leben früher war? Traditionellerweise wurde Geschichte auf eine ganz bestimmte Art gemacht und überliefert, wobei bestimmte Aspekte stärker hervorgehoben worden sind als andere. Ein Museum beschäftigt sich üblicherweise eher mit dem Leben und Wirken der Großen und Mächtigen. Doch seit etwa einem Jahrzehnt rücken Museen zunehmend davon ab und legen den Fokus mehr auf den Alltag, auf die Erfahrungen und Meinungen ‚normaler‘ Bürger. Das M Shed beruht ganz auf diesem Ansatz. Es soll ein Museum sein, wo jedermann sich selbst und sein Leben wiedererkennen kann und das Gefühl bekommt, Teil der Geschichte zu sein, aktiven Anteil daran zu nehmen. Es möchte ein Museum sein, in dem die Stimmen aus der Vergangenheit direkt zu Wort kommen, damit die Leute heute wissen, dass ihre Worte und Erfahrungen auch in der Zukunft gehört werden. Im Hinblick auf die Verwendung der Sammlungen und deren zukünftige Weiterentwicklung geht es also nicht nur um das Sammeln der ‚Dinge des Lebens‘, sondern auch darum, das Vergängliche, Gewöhnliche und die kleinen Dinge des Alltags festzuhalten. Im M Shed soll es also sowohl um die gesehene, gehörte, erzählte, gefühlte, vergessene oder tradierte Geschichte gehen als auch um die großen Errungenschaften und einschneidenden Katastrophen. Dabei soll jedoch der Fokus auf dem Individuellen liegen und nicht auf dem Allgemeingesellschaftlichen. Wir waren uns von Anfang an bewusst, dass die mündliche Überlieferung dabei eine zentrale Rolle spielen würde. Das Museum hatte durch mehrere Projekte bereits eine Sammlung persönlicher Erlebnisberichte zusammengetragen, aus denen wir Stimmen hervorheben konnten, die bereits mehrere Jahrzehnte zurückreichten. Bei der Entwicklung von M Shed konnte das Team auf diesem Material aufbauen sowie in weiteren Interviews die Leute nach ihren Gedanken, Ansichten und Erinnerungen befragen. Die Geschichtswahrnehmung eines jeden Einzelnen auf diese Weise zu fördern und zu würdigen bedeutet, dass unsere Narrative subjektiv, eigensinnig und – aus
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einer traditionellen historischen Perspektive betrachtet – gelegentlich sogar faktisch falsch sein können, da individuelle Erinnerungen leicht von der allgemein akzeptierten Sicht der Dinge abweichen können. Unsere Mitarbeiter steuern deshalb sorgfältig recherchierte Kontexte und Hintergründe bei, ermutigen aber gleichzeitig die Besucher weiterhin, ihre eigenen Sichtweisen einzubringen und mehrschichtige Perspektiven zu entwickeln. Obwohl wir für die Entwicklung von M Shed einen neuen Ansatz gewählt haben, waren wir uns doch alle einig, dass wir ein Museum voller Objekte wollten. Eine traditionelle, etwa nach Disziplinen geordnete Darstellung stand aber nie zur Debatte. Das M Shed sollte thematisch organisiert sein, Kunst und Archäologie, Naturgeschichte, Mode und Geologie sollten mit den sozial-, industrie-, und seefahrtsgeschichtlichen Sammlungen verquickt sein, angereichert mit Archivmaterial aus dem Stadtarchiv Bristol. Obwohl das Museum über umfassende Sammlungen verfügt, wurde deutlich, dass darin Lücken und Ungleichgewichte bestanden, die bearbeitet werden mussten, sowohl im Hinblick auf die aktuellen Ausstellungen als auch auf das zukünftige Sammeln. Insbesondere sollten die zahlreichen ethnischen und religiösen Gemeinschaften der Stadt repräsentiert werden. Der gemeinschaftsorientierte Ansatz des M Shed war in dieser Hinsicht eine große Hilfe. Indem neue Kontakte und Beziehungen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufgebaut wurden, wurde das Sammeln und das Beschaffen von Leihgaben erleichtert und ermöglichte es dem Museum außerdem, neue Geschichten zu erhalten. Vor allem aber finden sich die Leute dadurch im Museum so repräsentiert, wie sie sich selbst tatsächlich sehen – in den Worten und durch die Objekte, die sie gewählt haben. Es gibt immer noch viele gesellschaftliche Gruppen, mit denen wir gerne zusammenarbeiten würden, um die Sammlungen weiterzuentwickeln. Die wechselnden Ausstellungen in M Shed werden dafür auch weiterhin die notwendigen Impulse liefern.
Partizipatives Sammeln in der Zukunft Sammlungen für das M Shed anzulegen bedeutete, schriftliche Zeugnisse, Filmmaterial, mündliche Überlieferungen und Objekte zusammenzutragen – dabei handelte es sich sowohl um traditionelle Ausstellungsstücke als auch um Dinge, die viele Besucher nie in einem Museum erwarten würden. Für die Kuratoren hieß das, einen neuen Ansatz zu verfolgen, bei dem der Fokus auf den eigenen Erzählungen der Menschen liegt, und für die Zukunft das zu bewahren, was sie selbst sehen, schätzen und erfahren. Anstatt von außen nach innen zu schauen, geht es vielmehr darum, Einblick in das Leben der Leute zu nehmen und deren Blick von innen nach außen aufzuzeichnen. M Shed ist mittlerweile eröffnet und die – realen und virtuellen – Besucher haben nun die Gelegenheit, aktiv auf das zu reagieren, was sie erfahren haben, sie können darauf antworten und etwas dazu beisteuern. Via Computerterminals in den Ausstellungsräumlichkeiten, über die Website oder schlicht mittels Stift und Papier können sie ihre
Die Zukunft ausstellen
Meinungen und Kommentare hinterlassen oder eigene Geschichten mitteilen. Über Abstimmungsstationen in den Ausstellungsräumen können sie ihre Meinung äußern und so Aspekte des Stadtlebens mitgestalten. Durch ihre Kommentare und Geschichten können sie die Sammlungen ergänzen, was wiederum Auswirkungen auf zukünftige Museumsinhalte haben wird. Die – von außerhalb oder vom Museum selbst angeregte – partnerschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen spezifischer Projekte mit Schulen, Hochschulen, Geschichtsvereinen und spezifischen Gruppierungen wird weiterhin ein zentraler Bestandteil der Art und Weise sein, wie die Sammlungen weiterentwickelt und gepflegt werden. Die immanenten Werte und Vorurteile unserer heutigen Geschichtsmethodik werden zukünftigen Generationen sicher genauso viel über unsere Gegenwart vermitteln wie die Inhalte selbst. Dieses partnerschaftliche Arbeiten ermöglicht es dem Museum, reflexiver vorzugehen und einem ausgewogeneren Ansatz zu folgen, der hoffentlich dazu beiträgt, künftigen Generationen ein vielschichtiges Bild unserer Geschichte zu vermitteln. Zusätzlich wirkt M Shed bereits heute als Dokumentationsstelle für Ideen und Informationen sowie als führende Institution für kommunale und gemeinschaftliche Geschichtsprojekte. M Shed hat sich bereits als ein Speicher für das in solchen Projekten erarbeitete Material erwiesen, sodass viele dieser z. T. bereits abgeschlossenen Projekte in M Shed ein Zuhause finden werden.
Die Zukunft – Communities und Partizipation Man sollte sich willkommen und anerkannt fühlen.
Im früheren Industriemuseum waren Ehrenamtliche ein wesentlicher Bestandteil des Museumsbetriebs, und M Shed ist in der glücklichen Lage, eine engagierte Gruppe Freiwilliger von seinem Vorläufer übernehmen zu können. Ihr Hauptinteresse und Tätigkeitsschwerpunkt lagen immer auf den in Betrieb befindlichen Großobjekten, die einen wesentlichen Bestandteil des Orts ausmachten. Alle diese Großobjekte waren zentrale Bestandteile des Industriemuseums und gelten auch als wichtige Bestandteile von M Shed. Es erwies sich zuweilen als schwierig, den Leuten, die diese Exponate am besten kannten und sie jahrelang pflegten, eine andere Arbeitsweise zu vermitteln, dennoch sind diese ehrenamtlichen Mitarbeiter immer noch da. Dies gelang zum einen durch die Betonung und Anerkennung ihrer Wichtigkeit sowie durch ihre Einbindung in die Entwicklung und Durchführung neuer Vermittlungsstrategien für die Großobjekte. Wie bei vielen solchen Gruppen ist das Durchschnittsalter der Teilnehmer hoch, und es besteht die allseits anerkannte Notwendigkeit, eine Nachfolgeregelung zu finden, die den Betrieb der jeweiligen Exponate langfristig sichert. Zwar werden neue junge Freiwillige angeworben, doch es besteht ein wachsender Bedarf, jungen Leuten die notwendigen praktischen Fertigkeiten zu vermitteln, die nötig sind, um mit den
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Großobjekten auch in Zukunft umzugehen. Zurzeit arbeiten wir daran, dass die jetzigen Ehrenamtlichen ihr Fachwissen an die nächste Generation weitergeben können. Es bleibt noch viel zu tun, gerade um Leute, für die ehrenamtliche Arbeit nicht selbstverständlich ist, an der Arbeit des M Shed zu beteiligen, ganz zu schweigen von all den anderen Hindernissen, die einem musealen Engagement entgegenstehen. Entscheidend wird vermutlich sein, dafür zu sorgen, dass sich möglichst viele Menschen von und im M Shed, in seinen Ausstellungen und Veranstaltungen repräsentiert fühlen. Unser Communities-Team spielt eine gewichtige Rolle, wenn es darum geht, diesen Prozess in Gang zu bringen, doch letztlich muss das gesamte M Shed-Team an der Erreichung dieses Ziels mitarbeiten. Dabei geht es nicht nur darum, ethnische Minderheiten an das Museum zu binden – auch Leute aus der weißen Arbeiterklasse sind in unseren Freiwilligenteams nicht besonders stark vertreten.
Die Zukunft und die Stadt Eine Art öffentlicher Diskussionsraum.
Eine der Hauptbestrebungen des M Shed ist es, die Geschichte Bristols zugänglich zu machen und darüber (bürgerschaftliches) Selbstbewusstsein aufzubauen. Es geht darum, die Bürger Bristols zu ermutigen, aktiv am demokratischen Prozess teilzuhaben, sodass sie eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Stadt spielen können (vgl. Vincent 2007). Geschichten über die Triumphe und Tragödien der Stadt wurden verwendet, um zu zeigen, wie wichtig es war und ist, eine Stimme zu haben. Um Diskussionen, Debatten und Gespräche zu aktuellen Themen zu befördern, hat das Museum ein besonderes Format entwickelt: die Stadtgespräche. Hauptzweck der Stadtgespräche ist es, die Besucher dazu zu ermutigen, so zu denken und zu handeln, dass sich Bristol positiv verändern kann und „zu einer der führenden Städte Europas wird, dass sich die Lebensqualität insgesamt erhöht, Benachteiligungen abgebaut und die Bedürfnisse lokaler Communities befriedigt werden“. 3 Besucher können sich an den Stadtgesprächen im M Shed auf verschiedene Weisen beteiligen, sei es im Rahmen von Ausstellungen, in denen bestimmte Objekte als Impuls wirken, oder durch den Einsatz neuer Technologien (in den Ausstellungsräumen und online). Ein sich laufend weiterentwickelndes Veranstaltungsprogramm, das sich mit einer breiten Palette von Themen befasst, erlaubt andere Möglichkeiten, sich zu engagieren; dazu kommen spezifische Angebote, die es dem Einzelnen oder ganzen Gruppen ermöglichen, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Sämtliche Exponate des M Shed werden von Informationen begleitet, die an interaktiven Infosäulen in den Ausstellungsräumen abgerufen werden können. Im Rahmen von Feedback-Elementen werden die Besucher einerseits dazu aufgefordert, zu thematisch strukturierten Fragen Stellung zu nehmen, und sie erhalten andererseits Zugang 3 | Ebd. Museum of Bristol Masterplan 2007.
Die Zukunft ausstellen
zu laufenden städtischen Diskussionen. Durch M Shed werden echte Antworten auf echte Fragen zur Verfügung gestellt, Fragen, die sowohl von gesellschaftlichen Gruppen als auch durch kommunale Institutionen gestellt werden. Sie sollen dazu beitragen, Bristol eine bessere Zukunft zu geben. Jeder Stadtgespräch-Terminal in den Ausstellungsräumen des M Shed ist dabei einem bestimmten thematischen Schwerpunkt gewidmet. Diese in Form eines großen interaktiven Bildschirms gestalteten Elemente beziehen ihre Themen derzeit aus einem Entwicklungsplan zur nachhaltigen urbanen Entwicklung. Die Themen umfassen derzeit Nachhaltigkeit, Demokratie und Identität. Der Terminal in der Ausstellungshalle „Bristol Places“ ist beispielsweise dem Schwerpunkt „Future Bristol“ gewidmet. Auf dem großen Touchscreen können sich die Besucher Filmdokumente ansehen, sie können Antworten hinterlassen und sich mit einer attraktiven Simulation zum Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, die illustriert, wie kleine Veränderungen des eigenen Lebensstils große Auswirkungen auf die unmittelbare Umwelt haben können. Die Besucher werden aufgefordert, individuelle Verpflichtungen in Bezug auf ihren Lebensstil einzugehen, deren kumulierte Resultate dann auf dem Bildschirm angezeigt werden. Die neue Website des M Shed verschafft auch Leuten außerhalb des Museums, über Links zu sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook die Möglichkeit, an den Stadtgesprächen teilzunehmen. All diese Debatten werden dann auch außerhalb des Internets fortgesetzt. Indem wir diese öffentlichen Veranstaltungen durchführen und solche Fragen stellen, hoffen wir, neue Gedanken, Ideen und Antworten zu provozieren sowie ein Sammelbecken für die öffentliche Meinung zu werden. In den ersten beiden Monaten seit der Eröffnung des M Shed strömten über 150.000 Besucher ins Museum und auch der finanzielle Nutzen dieses Besucherstroms für das lokale Gewerbe sollte nicht unterschätzt werden.4 Es gibt unseres Erachtens keine bessere Werbung für die Stadt als das Museum, da es den lokalen und auswärtigen Besuchern nicht nur eindrücklich zeigt, wie die Stadt ihre heutige Gestalt erlangt hat, sondern auch skizziert, wohin sich die Stadt in Zukunft bewegt – und jeden Besucher dazu ermutigt, diese Zukunft mitzugestalten.
Literatur Vincent, Rachel: A Conversation with the City: Civic Dialogue & the Museum of Bristol, Bristol 2007.
4 | Besucherstand Ende September 2011: 250.000.
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Das Museum der Weltkulturen Göteborg Aktuelle globale Themen und partizipative Strategien Cajsa Lagerkvist
Das Museum der Weltkulturen Göteborg kann einerseits als eine sehr junge Institution bezeichnet werden. Es wurde 2004 in einem neuen Gebäude im Zentrum von Göteborg, der zweitgrößten Stadt Schwedens, eröffnet. Die Geschichte der Institution reicht andererseits aber auch weit zurück, denn das Museum der Weltkulturen ist die Nachfolgeinstitution des im 19. Jahrhundert gegründeten ethnografischen Museums Göteborg. Der Bau des neuen Museums verdankt sich einer überregionalen politischen Initiative. Ende der 1990er-Jahre entschied die schwedische Regierung, vier nationale Museen mit internationalen Sammlungen zusammenzulegen. Das neu zu gründende Museum der Weltkulturen sollte eine besondere Rolle bei der Behandlung des internationalen Kulturerbes spielen und damit einen Beitrag zum Diskurs rund um das Thema Multikulturalismus in Schweden leisten. Mit dieser Zielformulierung im Rücken und den neuen Räumlichkeiten vor Augen konnte der umfangreiche Erneuerungsprozess des ehemaligen ethnografischen Museums in Angriff genommen werden. Der Wandlungsprozess des Museums der Weltkulturen ist jedoch nicht nur an die nationale Politik gebunden. Er ist genauso eine Folge der Transformationsprozesse, die momentan in vielen ethnografischen Museen – in Europa und rund um den Globus – zu beobachten sind. Die Gründe für diese Prozesse sind an einer Art ‚Sinnkrise‘ festzumachen. Die bisherigen Ausstellungs- und Sammlungsmethoden sowie die Art und Weise des Erzählens über fremde Völker werden seit rund drei Jahrzehnten grundlegend hinterfragt. Globalisierung und Einwanderungsströme haben die Welt und die europäischen Städte und Gesellschaften verändert. Man könnte durchaus sagen, dass der ‚Fremde‘ von früher heute unser Nachbar ist – das vormals Ferne liegt heute ganz nah. Forschungsarbeiten in den Feldern der Globalisierung und des Postkolonialismus haben außerdem aufgezeigt, dass die museale Repräsentation von Objekten und Kulturen aus anderen Teilen der Welt oft von rassistischen Vorurteilen oder zumindest eurozentrischen Ideologien bestimmt war. Diese Erkenntnisse bildeten denn auch die Grundlage für das Leitbild des Museums der Weltkulturen Göteborg:
Das Museum der Weltkulturen Göteborg
„Im Dialog mit seiner Umwelt will das Museum der Weltkulturen Göteborg zu einem Treffpunkt werden, an dem sich die Menschen grenzübergreifend zu Hause fühlen und Verantwortung übernehmen für eine gemeinsame, globale Zukunft in einer Welt, die sich ständig verändert.“
Hybridität und Vielfalt Das Museum der Weltkulturen Göteborg kann als hybrides Museum bezeichnet werden – es ist eine Mischung aus Museum, Kulturzentrum, Plattform für Kunst und Forum für Diskussionen und Dialoge. Hybridität und Vielfalt ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Ausstellungen und öffentlichen Programme. Wir folgen dabei einer umfassenden Vorstellung von Vielfalt, die Parameter wie Alter, Generationenzugehörigkeit, Nationalität, Ethnie, Religion, kultureller und wirtschaftlicher Hintergrund, subkulturelle Identifikation, Ausbildung, Klassenzugehörigkeit, Behinderung, sexuelle Orientierung etc. umfasst. Unser Interesse gilt nicht zuletzt den hybriden Kulturen, d. h. den neuen und hybriden kulturellen Ausdrucksformen, die das Resultat eines wachsenden globalen Austauschs sind.
Grundsätze Zwei Grundsätze leiten unsere Arbeit im Museum der Weltkulturen an. Ein erster Grundsatz lautet, dass wir bei der Entwicklung von Ausstellungen und Programmen nicht für andere Menschen sprechen, sondern diejenigen direkt miteinbeziehen, für die die jeweiligen Fragen relevant sind und die unmittelbar von ihnen betroffen sind. Ein zweiter Grundsatz ist derjenige der ‚vielen Stimmen‘, der auch mit dem Motto überschrieben werden kann: „Vielfalt als Ausstellungsprinzip“. Das bedeutet, dass Besucher in unseren Ausstellungen den unterschiedlichsten Inhalten, Stimmen und Meinungen begegnen sollen. Im Idealfall können sie mit ihrer eigenen Stimme ebenfalls einen Beitrag leisten. Unter ‚Stimmen‘ verstehen wir alle Arten von sprechenden, mit Bedeutung aufgeladenen Inhalten wie Artefakte, Kunstwerke, Bilder und Texte.
Globale Themen und neue Interpretationen von Objekten Das Museum hat zwei große Themenfelder definiert: Unser Hauptaugenmerk legen wir zum einen auf aktuelle globale Herausforderungen und zum anderen auf die Neuinterpretation von Sammlungen und Objekten. Seit der Eröffnung bietet das Museum einem jungen Publikum Ausstellungen zu aktuellen, mit der Globalisierung in Zusammenhang stehende Themen – nicht selten behandeln diese Ausstellungen schwierige und herausfordernde Inhalte. Als Beispiel kann die Ausstellung „No Name Fever“ dienen, in der die HIV / Aids-Pandemie zum Thema gemacht wurde. Die Ausstellung bestand
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Cajsa Lagerkvist
aus einer Vielzahl von Stimmen – Geschichten, Kunstwerken und Fakten – und richtete sich in erster Linie an Jugendliche und junge Erwachsene. Ein weiteres Beispiel ist „Traficking“, eine Ausstellung über Menschenhandel sowie über Versklavung und sexuelle Ausbeutung, deren Opfer in erster Linie Frauen und Kinder sind. Auch diese Ausstellung hat vor allem ein junges Publikum angesprochen, sie war zudem Teil des von der EU finanzierten Anti-Menschenhandel-Projekts. Wenn wir mit unserer eigenen Sammlung arbeiten, stellen wir stets eine Frage von globalem Interesse in den Vordergrund, aus der wir die jeweilige Erzählung der Ausstellung ableiten. In der Ausstellung „A Stolen World“ beispielsweise präsentierten wir die museumseigene Sammlung peruanischer archäologischer Textilien aus Paracas, die in den 1930er-Jahren nach Schweden geschmuggelt und von einem schwedischen Diplomaten dem damaligen ethnografischen Museum in Göteborg geschenkt wurden. Wir haben dieses schwierige Kapitel der Museumsgeschichte in „A Stolen World“ ausgestellt und dabei auch Fakten über ähnliche Plünderungen in der Gegenwart thematisiert, stellt doch der verbotene Handel mit Kulturgütern heute einen der größten illegalen Märkte weltweit dar. So konnten wir das Publikum zu einem Dialog über ein schwieriges Thema anregen. Zudem hat die Ausstellung – die Textilien wurden erstmals öffentlich präsentiert – einen Dialog zwischen Peru und Schweden über die Rückführung dieses wertvollen Kulturerbes ausgelöst, die Verhandlungen dauern bis heute an. In der Ausstellung „Horizons: Voices from a Global Africa“ hat das Museum mit Menschen zusammengearbeit, die ursprünglich aus der Region des Horns von Afrika stammen und heute in Göteborg leben. Mit ihren persönlichen Geschichten und ihrer Neuinterpretation der museumseigenen Sammlung haben sie die Ausstellung in starkem Maße bereichert. Diese Art der partizipatorischen Arbeit liefert dem Museum wichtige neue Erkenntnisse über die eigenen Sammlungen. Sehr wichtig für unser Museum sind die öffentlichen Veranstaltungen, die die gleichen Fragen wie unsere Ausstellungen verhandeln. Das Ziel dieser Veranstaltungen besteht darin, weitere Stimmen in die Diskussionen einbeziehen zu können. Dazu organisieren wir Gespräche im kleinen Kreis, groß angelegte Eröffnungen, wissenschaftliche Referate oder künstlerische Darbietungen.
Strategien der Einbeziehung Das Museum bedient sich verschiedener Methoden, um unterschiedliche Bevölkerungsgruppen miteinzubeziehen: t Im Rahmen von Koproduktionen – z. B. in Form einer Zusammenarbeit mit externen Interessenvertretern für Ausstellungen oder Veranstaltungen – können ergänzende Stimmen und Perspektiven mit einbezogen werden. t Verschiedene Formen der Publikumspartizipation können durch Mitsprachemöglichkeiten in den Ausstellungen oder im Rahmen des Entwicklungsprozesses von Ausstellungen realisiert werden.
Das Museum der Weltkulturen Göteborg
t Fehlt dem Museum bei gewissen Themen das spezifische Expertenwissen, kommen offizielle Partnerschaften zum Tragen. Die Partnerorganisationen können die für das Museum nötigen Erkenntnisse und Netzwerke liefern. t Im Moment entwickelt das Museum das sogenannte Botschafterprogramm. Junge, aufgeschlossene Menschen, die Teil verschiedener in der Stadt präsenter Netzwerke sind, werden Botschafter des Museums. Diese Botschafter erreichen ein Publikum, welches das Museum normalerweise nicht erreichen kann. t Schlussendlich profitiert das Museum auch von Social-Media-Sites. In unseren Blogs schaffen wir Diskussionsforen und schließen uns laufenden Chats und Diskussionen an.
Herausforderungen und Möglichkeiten Diese Strategien der Einbeziehung von Externen stellen viele Herausforderungen, vor allem an die Zeitplanung und den Einsatz von Ressourcen: Dialoge und Kooperationsprojekte sind viel zeitintensiver, als man denkt. Wenn man nicht über genügend Zeit oder Ressourcen verfügt, dann ist das Risiko groß, dass Partnerschaften sich schlecht entwickeln, dass man sich nicht einig wird oder Erwartungen nicht erfüllt werden. Diese Punkte stehen im direkten Zusammenhang mit einer weiteren großen Herausforderung: Es gilt, im Rahmen von Entscheidungsprozessen ein Gleichgewicht zu finden zwischen der professionellen und routinierten Art der Museumsmitarbeiter und den verschiedenen Bedürfnissen und Erwartungen der Partizipienten, die auf die Museumsarbeit – Ausstellungen und Veranstaltungsprogramme – Einfluss nehmen möchten. Wenn man externe Kooperationspartner in die Museumsarbeit einbezieht, ist es unabdingbar, dass man sich der potentiellen Konflikte bewusst ist und ein aufrichtiges Interesse an ihrer Lösung hat. In erster Linie sollte man sich jedoch auf die großartigen Chancen konzentrieren, die der partizipative Ansatz mit sich bringt. Dank dem Einbezug Externer in die Museumsaktivitäten wurde das Museum der Weltkulturen Göteborg zu einem einladenden Ort. Es hat sich gezeigt, dass der partizipative Ansatz zu grundlegenden und wahrhaft positiven Veränderungen führen kann.
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Das Museum of Liverpool Welche Rolle Partizipation und Gegenwart bei seiner Neukonzeption spielten Lizzy Rodgers
Am 19. Juli 2011 wurde das Museum of Liverpool eröffnet, das größte neu gebaute Nationalmuseum in Großbritannien seit über 100 Jahren. Das Museum of Liverpool, ein Museum für Stadt- und Sozialgeschichte, erkundet die globale Bedeutung der Stadt Liverpool unter Berücksichtigung ihrer einzigartigen geografischen Lage, ihrer Geschichte und Kultur. Die Besucher erleben im neuen Museum, wie Hafen, Bevölkerung, Kunst und Sport die Stadt geprägt haben. Vom Staat finanziert und für die Besucher gratis, ist das Museum of Liverpool Teil der aus neun Museen und Galerien bestehenden Museumsgruppe National Museums Liverpool (NML). Das Museum of Liverpool setzt die Erfolgsgeschichte des ehemaligen, 1993 eröffneten Museum of Liverpool Life fort, das im Juni 2006 geschlossen wurde, um mit den Bauarbeiten für das neue Museum zu beginnen. Die Architektur des neuen Museums baut auf Flexibilität: Dank eines aufwendigen Stahlgerüsts benötigen die weitläufigen Räume keine tragenden Säulen. Damit wurden beste Voraussetzungen für flexible Ausstellungsflächen geschaffen. Die 1.500 qm große Fensterfläche bietet zudem eine atemberaubende Sicht auf die Stadt. Entstanden ist ein Museum, das nicht nur Ausblicke ermöglicht, sondern genauso zu Einblicken einlädt.
Die Rolle der Partizipation Seit 1884 das erste Bildungsprogramm im damaligen Liverpool Museum eingeführt wurde, sind die Mitarbeiter des NML darum bemüht, integrierende und kreative partizipative Aktivitäten anzubieten, die Menschen jeden Alters einladen, mit den Sammlungen zu arbeiten und diese optimal zu nutzen. Besonders herausfordernd ist dabei die Tatsache, dass in Liverpool so viele sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen leben
Das Museum of Liverpool
wie in keiner anderen Stadt Englands. Deshalb widmen sich ausgesuchte CommunityTeams des NML einem spezifischen, relativ schwer zu erreichendem Publikum. Dieses Publikum besteht unter anderem aus ethnischen Minderheiten, Kindern, Jugendlichen, älteren Personen, Flüchtlingen und Asylbewerbern. Indem diese Gruppen in partizipative Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Museums eingebunden werden, sollen Berührungsängste gegenüber der Institution Museum abgebaut werden. Entsprechend wurde bei der Entwicklung des Museum of Liverpool – eines brandneuen stadtgeschichtlichen Museums – die Chance genutzt, in stärkerem Maße als zuvor partizipatorische Verfahren anzuwenden und die Bevölkerung Liverpools in jeden Aspekt der Museumsentwicklung einzubeziehen. Diese Entscheidung entsprang dem Wunsch, aus dem Museum einen Ort für die (Selbst-)Präsentation der verschiedenen städtischen Communities sowie eine Aufbewahrungsstätte für die historisch relevanten Sammlungen zu machen. Das Museum operierte dabei mit einem Selbstverständnis, nach dem die Kuratoren nicht die Wächter, sondern die Betreuer des kulturellen Erbes sind. Im Museum und darüber hinaus sollte nicht allein die Sicht der Kuratoren auf die Objekte und Geschichte(n) zu sehen sein. Aus diesem Grund suchte das Museum aktiv nach Menschen aus Liverpool, die dabei halfen, die Ausstellungen zu kuratieren, die relevanten Geschichten auszuwählen und zu erzählen. Ein solches Vorgehen garantiert eine Vielfalt an Perspektiven sowie die Präsenz spannender und außergewöhnlicher Erzählungen. Zudem konnten mehr ‚versteckte‘ Geschichten präsentiert werden und Randgruppen wurden besser repräsentiert. Auf diese Weise wird nicht zuletzt sichergestellt, dass die Menschen aus Liverpool im Museum auf Objekte treffen, mit denen sie sich identifizieren – sie fühlen sich so auch als Mitinhaber des Museums. Im Rahmen der Museumsentwicklung manifestierte sich die Verpflichtung zur Partizipation auf mehreren Ebenen: Ein Bürgerbeirat des Museums arbeitete über das ganze Projekt hinweg an der Seite der Kuratoren. Gemeinsam einigte man sich darauf, die Inhalte der einzelnen Ausstellungsteile thematisch und nicht chronologisch zu organisieren. Im Zuge der Ausstellungsentwicklung haben sich die Kuratoren große Mühe gegeben, interessante Geschichten zu finden, die von den üblichen Erzählungen abweichen. Wann immer möglich, werden die Geschichten von den Betroffenen selbst, in ihren eigenen Worten und mit ihrer eigenen Stimme erzählt – zum Beispiel mittels Zitaten oder in filmischen Porträts. Die Auswahl der Objekte erfolgte nach ihrer lokalen Relevanz – und nicht anhand ästhetischer Kriterien. Wann immer möglich, sind den ausgestellten Objekten persönliche Geschichten zur Seite gestellt. Viele der ausgestellten Objekte sind daher private Leihgaben. Jeder Ausstellungsteil wird durch Filme, Audioaufnahmen oder interaktive Elemente ergänzt, die es den Besuchern ermöglichen, die Geschichten, Gedanken oder Meinungen der jeweils Betroffenen zu erfahren. Nebst diesem allgemeinen gemeinschaftsorientierten Ansatz hat das Team des Museum of Liverpool das Programm Our City, Our Stories ins Leben gerufen, bei dem verschiedene Bewohner Liverpools in Zusammenarbeit mit den Museumskuratoren eigene Ausstellungen entwickeln, die in die Dauerausstellung des Museums integriert sind. Die Gruppen können dabei an offen formulierten Themen und unter weiten Rahmenbedingungen arbeiten, die ausgestellten Objekte, die präsentierten Erzählungen
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sowie das Gesamtbild der Ausstellungen werden von den Teilnehmern ausgewählt und gestaltet. Eines der Hauptziele dieses Programms ist es, den Partizipienten die Verantwortung für die Konzeption der Ausstellungen zu übertragen. Das NML unterstützt die Teilnehmer, indem es eigene Objekte zur Verfügung stellt oder die Beschaffung von Leihgaben übernimmt. Our City, Our Stories richtet sich dabei stark an den jeweiligen Personen aus, die Teil des Programms sind. Die Bedürfnisse der Teilnehmer werden sehr ernst genommen, die Arbeit mit den Objekten wird so gestaltet, dass das für die Teilnehmer bestmögliche Resultat erzielt wird. Im Gegensatz zu anderen Projekten, bei denen einzelne Objekte oder ganze Sammlungen den Ausgangs- und Mittelpunkt der Ausstellungsarbeit bilden, werden Objekte im Rahmen von Our City, Our Stories oft nur als Inspirationsquelle benutzt – es kommt durchaus vor, dass sie im Laufe des Arbeitsprozesses in den Hintergrund rücken und durch andere Inhalte ersetzt werden.
Die Gegenwart einer modernen Stadt untersuchen Die Gegenwart spielt im Museum of Liverpool eine wichtige Rolle. Das Museumsteam hat sich ganz bewusst dafür entschieden, die moderne Stadt Liverpool zu präsentieren. Der Fokus auf die Gegenwart ist aber immer eng mit der Geschichte Liverpools verknüpft – mit der Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Dorfs, eines Städtchens, einer Stadt und eines Königreichs. Im bereits 2007 formulierten mission statement des neuen Museums spielt daher die Gegenwart eine genauso tragende Rolle wie die Vergangenheit: „Wir werden Themen wie Identität, Diversität und Gemeinschaft ansprechen – von der Frühzeit bis zur Gegenwart. Wir werden uns aber vor allem auf die Zeit des spektakulären Wachstums und Niedergangs Liverpools konzentrieren, als diese Stadt sowohl zum Synonym für außergewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolg wurde als auch für katastrophalen urbanen Zerfall.“
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Liverpool in der jüngeren Vergangenheit Ereignisse von großer Tragweite – und mit schwerwiegenden Folgen – erlebt hat. Diese haben das Gesicht der Stadt innerhalb kürzester Zeit verändert. Weil wir diese Ereignisse in den Worten derer wiedergeben wollen, die sie erlebt haben, stellte für uns das Sammeln von Material aus der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart eine selbstverständliche und unumgängliche Forderung dar.
Partizipation und Gegenwart Doch der verstärkte Gegenwartsbezug war nicht nur eine Folge der Entscheidung, im neuen Museum of Liverpool die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart der Stadt in den Mittelpunkt zu stellen. Genauso ausschlaggebend dafür war der von uns ge-
Das Museum of Liverpool
wählte partizipative Ansatz, der quasi automatisch zu Gegenwartsthemen führt. Wie bereits ausgeführt, arbeiteten und arbeiten wir im Rahmen des Programms Our City, Our Story mit Menschen aus allen Teilen Liverpools zusammen. Mit ihnen entwickeln und kuratieren wir die Ausstellungen. Zusammen durchleuchten wir die Themen des Museums auf verschiedenste Arten, zum Beispiel im Rahmen von künstlerischen, reinterpretierenden oder gemeinsam kuratierten Projekten. Bis heute wurden über 30 solcher Projekte durchgeführt. Diese Projekte widmen sich den unterschiedlichsten Themen, u. a. Graffiti, Immigration, Unternehmertum oder der walisischen Gemeinde von Liverpool. Wir haben für jede Gruppe einen anderen Ansatz gewählt und hatten dabei immer auch das Ziel vor Augen, unterschiedliche Ausstellungselemente – Filme, Objektensembles, Modelle – für das neue Museum zu schaffen. Bald zeigte sich, dass verschiedene Gruppen unterschiedlich auf die vorgeschlagenen Themen und Zugänge reagierten. Menschen mit einem gewissen ‚Expertenwissen‘ und einem hohen Bildungsniveau, wie beispielsweise Lehrer oder Schüler, interessierten sich mehr für historische Themen. Anderen Gruppen fiel der Zugang zu geschichtlichen Themen schwerer. Es handelte sich dabei oft um Menschen, die zum ersten Mal mit einem Museum und partizipatorischer Arbeit zu tun hatten, d. h. vor allem Jüngere oder Menschen mit Lernproblemen. Mit diesen erwies sich ein thematischer Einstieg über die Gegenwart oft als einfacher. Aus der Betrachtung der Gegenwart konnte dann eine Brücke in die Vergangenheit geschlagen werden. Die folgenden drei Projekte zeigen exemplarisch, wie das Museum of Liverpool mit Gruppen an historischen und aktuellen Themen arbeitet – und auf welche Hindernisse es dabei gestoßen ist: t „Echoes of Everton Village“: Mit einer Gruppe ortsansässiger Teilnehmer sollte die Geschichte des Stadtteils Everton erforscht werden. Im Laufe des Projekts zeigten sich die Stärken und Schwächen der Teilnehmer sowie der gewählten Methoden, der Fokus musste neu auf die Gegenwart gelegt werden. t „Taking Liberties: Women’s Suffrage in Liverpool“: In Gesprächen tauschte sich eine ausgewählte Gruppe über aktuelle Probleme der Frauen in Liverpool aus – was sehr gut funktionierte. Als die Teilnehmer jedoch aufgefordert wurden, die Themen im Rahmen einer kleinen Ausstellung aufzuarbeiten, wich das Interesse einer gewissen Skepsis – vielleicht, weil die Gruppe das Gefühl hatte, dass die diskutierten Themen und die vorgeschlagenen Objekte nicht interessant oder dekorativ genug waren, um im Museum ausgestellt zu werden? t „Made Up: The Liverpool Look“: Auf einer ersten Ebene war dieses Projekt sehr erfolgreich: Menschen, die üblicherweise nicht im Museum anzutreffen sind, kreierten gemeinsam mit dem Team des Museum of Liverpool eine Ausstellung mit Puppen, die verschiedene (Liverpooler) Identitäten repräsentierten. So wurden die Teilnehmer zum Nachdenken über aktuelle gesellschaftliche Themen wie Identität, Stereotypisierung und Persönlichkeit angeregt. Die fertige Ausstellung stieß allerdings auf unterschiedliche Reaktionen – manche Besucher stellten die Frage, ob solch eine ‚Puppensammlung‘ überhaupt ins Museum gehöre.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der partizipatorische Ansatz bei der Ausstellungsentwicklung und der Fokus auf die jüngste Geschichte der Stadt Liverpool dazu geführt haben, dass sich das Museum of Liverpool vor allem auf Gegenwartsthemen konzentriert. Die Entwicklung des Museums und vor allem die Arbeit an Our City, Our Stories haben gezeigt, dass die Kombination von Diskussionen über die Gegenwart mit Diskussionen über die Vergangenheit eine einzigartige Möglichkeit bietet, einen Teil des Publikums zur Auseinandersetzung mit historischen Themen zu motivieren. Es kann jedoch auch passieren, dass Gespräche über die Gegenwart die Besucher eines ‚historischen Museums‘ irritieren und der Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit nicht erkannt wird.
Plädoyer: Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik PLÄDOYER Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik Kurt Imhof
Museen und ihre Ausstellungen sind öffentliche Kommunikation über die Selbstverständigung der Zeitläufe. Dadurch lassen sich Museen mit ihren Ausstellungstrends und -moden als Indikatoren der Formen der Selbstvergewisserung der Moderne verstehen. Als Nicht-Museologe, sondern Öffentlichkeitssoziologe, versuche ich das im Folgenden zu zeigen und zwar im Wesentlichen auf der Basis von Sekundärliteratur, die sich mit dem Museumswesen befasst. Als Einstieg wähle ich eine Theorie des sozialen Wandels und wende sie auf die Musealisierung an (Imhof 2011). Eine der wichtigsten Beobachtungen hinsichtlich Regularitäten in den Zäsuren des sozialen Wandels machte bereits Karl Marx: Er beobachtete in seinem glänzenden Essay „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ (Marx 1852)1, dass die Geschichte in Umbruchsituationen zum Bauchladen wird, aus dem sich die Akteure bedienen, um Kontinuität in der Diskontinuität herzustellen. Im Falle des Staatsstreichs des Louis Napoleon 1799 und seines gleichnamigen Neffen 1851 meinte Marx, das dies das eine Mal in Form einer Tragödie, das andere Mal als Farce geschah, aber beide Male mit Rückgriff auf die Draperien, Figuren und Symbole der römischen 1 | Mit diesem Text nimmt Marx Bezug auf den Coup d’état des Louis Napoleon, der die Institutionen der Februar-Revolution von 1848 endgültig vernichtete. Marx rekurriert mit dem Essay auf die von ihm beißend beschriebene Historisierung der Gegenwart in Phasen des Umbruchs. Er macht dies zum einen anhand der ‚Tragödie‘ des Staatsstreichs Bonapartes gegen das Direktorium und den Rat der 500 am 18. Brumaire (9. November 1799) und zum anderen anhand des Putsches seines Neffen Louis Napoleon gegen die Errungenschaften der 1848er-Revolution in Frankreich am 2. Dezember 1851.
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Republik und des römischen Imperiums. Während die Sansculotten der französischen Revolution von 1789 symbolpolitisch auf die Emblematik der römischen Sklavenaufstände – Hut auf Stange – zurückgriffen, verwendeten die beiden Louis 1799 und 1851 die römische Herrschaftssymbolik, um ihren Staatsstreichen historische Legitimität zu verschaffen. Wie lange die sozialen Beine solcher Symbolpolitiken sind, zeigt die Grande Nation mit ihrer kaiserlichen Emblematik rund um ihre Präsidenten und politischen Institutionen noch heute. Größe lässt sich symbolpolitisch der Historie entlehnen und deshalb hat sich der Symbol-Steinbruch Cäsars und Augustus’ bis in die Moderne hinein erhalten. Beide Aspekte, der Rückgriff auf den Bauchladen der Geschichte wie die Personalisierung des Politischen in Umbruchperioden, sind repetitive Momente im sozialen Wandel der Moderne. Freilich nicht erst bei der Durchsetzung einer neuen Herrschaftsund Gesellschaftsordnung, sondern bereits vorher in der Legitimitätskrise des alten Gesellschaftsmodells. Die Revolutionen und Umbrüche an der Schwelle der Moderne bis zu denjenigen in Ostmitteleuropa nach dem Ende des Kalten Krieges und bis zu den unmittelbar gegenwärtigen in Nordafrika und im Nahen Osten sind geprägt durch eine immer mit historischen Argumenten und Geschichtsphilosophien durchsetzte Selbstvergewisserung von – nach wie vor – nationalen Gesellschaften. In Krisenzeiten, also in Zeiten erhöhter Zukunftsunsicherheit, wird die Geschichte zum Bauchladen, mithin die Gegenwart historisiert und die Geschichte politisiert. Heimat und Herkunft werden zu identitätsstiftenden Ressourcen in Zeiten der Unsicherheit. Diese Diskontinuität der Moderne lässt sich an der öffentlichen medienvermittelten Kommunikation ablesen. In Krisen und Umbrüchen finden konfliktinduzierte Kommunikationsverdichtungen auf dieselben umstrittenen Themen statt, die Ko-Orientierung in der Gesellschaft erhöht sich durch diese Konflikte sprunghaft und in ihnen belegen die politischen Lager aus dem Bauchladen der Geschichte ihre Gegenwarts- und vor allem ihre Entwicklungsdiagnosen. Dieses Phänomen einer diskontinuierlichen Relevanz der Vergangenheit für die Gegenwart in Perioden getrübter Zukunftssicherheit mitsamt der Personalisierung des Politischen lässt sich, so meine These, auch auf das Ausstellungswesen kulturhistorischer Museen anwenden. Zumindest entnehme ich das der Deskription, die der Historiker Heinrich Theodor Grütter 1998 über das Ausstellungswesen seit den 1960er-Jahren im deutschen Sprachraum, vor allem aber in Deutschland, gemacht hat. Er verweist auf den Auf- und Umbruch des Ausstellungswesens in der Auf- und Umbruchzeit Ende der 1960er- und in den 1970er-Jahre(n), zunächst in Gestalt großer dynastischer Ausstellungen „in der Tradition der Europaausstellung über Karl den Großen in Aachen 1965“ und dann den Paradigmenwechsel „von der kunstgeschichtlichen Ausstellung älteren Typs hin zu sozialgeschichtlichen“ Ausstellungen, zur Kolportage des Alltagslebens und zur thesenorientierten Ausstellung. Dabei spricht er von der „demokratische[n] Öffnung der Institution Museum“ in den 1970er-Jahren und benennt hierfür eine Fülle von Beispielen (Grütter 1998: 180 f.). Dieser Paradigmenwechsel im Museumswesen wurde auch auf den Dualismus „Lernort contra Musentempel“ gebracht (Spickernagel / Walbe 1976).
Plädoyer: Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik
Die Zurücksetzung der klassischen Devotionalienausstellung zugunsten der Inszenierung des Alltags und der Arbeitsbedingungen vergangener Zeiten im Licht von Fragestellungen und Thesen, die auf die Politik und soziale Fragen rekurrieren, war die eine Seite des Paradigmenwechsels. Zusätzlich wurden diese Ausstellungen nun neu durch Architekten, Bühnenbildner und Künstler konzipiert. Beides stand am Anfang eines durch Paradigmen geleiteten Museumsbooms der 1980er- und 1990er-Jahre, der durch die Globalisierung bzw. die Deindustrialisierung der Städte beflügelt wurde.2 Dadurch sind bis in die Kleinstädte hinein auf Industriebrachen ganze Museumsmeilen und Kulturmeilen neu entstanden, um nun mit Kultur im entfesselten Standortwettbewerb bestehen zu können. Diese Entwicklung setzte allerdings das in der bildungsbürgerlichen Tradition verankerte Museumswesen immer stärker in Konkurrenz zur Kulturindustrie: Auf der Ausgehmeile kann sich das Museum nicht mehr auf sein altes Publikum verlassen, das Bildungsbürgertum dünnt sich aus, und die knappen Budgets zwingen die Häuser immer stärker dazu, ihre Einnahmen über möglichst hohe Eintrittsquoten und durch Sponsoring zu ergänzen. Diese Kommerzialisierung und Eventisierung des Museumswesens im Standortwettbewerb verschärfte sich zusätzlich durch das Faktum, dass das Museum mit dem Niedergang des Feuilletons seine Aufmerksamkeitsplattform in den Medien verlor und sich neu um Resonanz unter den Ausgehtipps und in Lifestylebeilagen bewerben musste. Der Museumsboom auf den Industriebrachen erfolgte somit unter den Bedingungen der Kulturindustrie, mithin zahlloser Konkurrenz, eines Austausches des Publikums und wegbrechender kritischer Auseinandersetzungen mit dem Museumswesen selbst. Ausgehsternchen ersetzen die Museumskritik nicht. Soweit ich nun die Literatur einschätzen kann, ist diese, einst institutionalisierte Auseinandersetzung mit dem kulturhistorischen Museumswesen – im Übrigen auch gegenüber den Kunstmuseen – nicht durch eine verstärkte kritische Auseinandersetzung innerhalb der Expertenkultur des musealisierenden Personals ersetzt worden. Diese Expertenkultur wurde denn ja auch durch Inszenatoren ergänzt, die den Publikumserfolg sichern sollen. Auch dadurch sind die Binnendiskurse über Theorie und Praxis des Musealisierens nicht belebt worden, außer wohl in Fragen der Museumsdidaktik- und -inszenatorik. Das ist misslich und verstärkt die Gefahr, dass das Museumswesen unreflektiert seine tatsächlich bildungsbürgerlichen Traditionen, Normen und Werte in einer kommerziell fokussierten Eventorientierung verliert, ohne neue Leitbilder zu schaffen. Bevor ich nun die hegemoniale Theorie des Museumswesens referiere, sind hier nochmals die wichtigsten Thesen zur jüngsten Entwicklung des kulturhistorischen Museums holzschnittartig zusammengefasst: t Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre, also gleichläufig mit einem kulturrevolutionären Umbruch und während einer Wirtschaftskrise, hatten wir es mit 2 | Allein zwischen 1968 und 1988 vervierfachte sich die Zahl der Museen in Deutschland. Vgl. Grütter 1998, S. 179.
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einem Paradigmenwechsel der Museumskultur zu tun. Diese rückte nun den Alltag und die Arbeitswelten von Menschen unter politischen und ökonomischen Fragestellungen in den Vordergrund, was zu einer Bedeutungssteigerung des kulturhistorischen Museumswesens und einer neuen inszenatorischen Sinnlichkeit führte. t Dieser Pfad weg von der Vitrine mit entlang der Zeitachse ausgerichteten Devotionalien hin zu Fragestellungen der Alltagskultur mündete jedoch in den 1980er- und 1990er-Jahren in einen Museumsboom auf den neu zu möblierenden Industriebrachen der Innenstädte, die allesamt den Standortfaktor Kultur in Anschlag zu bringen suchten. Diese Brachen galt es mit einem immer weiter geöffneten Kulturverständnis irgendwie aufzufüllen. t Über den Standortwettbewerb führte dies zu neuen, nun möglichst spektakulären Ausstellungen, die tatsächlich ein Massenpublikum anzogen und Drittmittelfinanzierungen ermöglichten wie befeuerten. Das partizipative Museum und die neue Beliebigkeit in der Gegenwartsannäherung sind Entwicklungen eines kulturhistorischen Museumswesens, das sich in die Ausgeh-, Freizeit- und Eventkultur einzugliedern sucht und eingliedern muss. t Dieser Abschied von der traditionellen Bildungs- und Aufklärungsorientierung ist begleitet von der Erosion der wichtigsten bildungsbürgerlichen Plattform der Auseinandersetzung mit den Geisteswissenschaften, dem Feuilleton. Damit haben wir es mit einem Niedergang des Ausstellungsraisonnements in der öffentlichen Kommunikation zu tun. Innerhalb der Expertenkultur des musealisierenden Personals wurden jedoch Theorie und Praxis des Ausstellungswesens im neuen Stress um das Publikum wenig reflektiert. Mittlerweile läuft das Museumswesen Gefahr, klassische Standards im Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln zu verlieren, ohne neue Standards zu entwickeln und ein Paradigma seiner geschichtsvermittelnden Praxis in modernen Gesellschaften aufzustellen. Das aktuelle Museumswesen steckt in der Unübersichtlichkeit seiner Beliebigkeit aus den 1990er-Jahren fest. Hierzu passt die weitum dominierende Museumstheorie der Gegenwart. Es handelt sich um die Kompensationstheorie von Hermann Lübbe in der Tradition der „Kompensationsphilosophie“ von Joachim Ritter (1974) und Odo Marquart (1986).3 Diese Museumstheorie mutet insbesondere dem kulturhistorischen Museum die Rolle eines Sedativs in der Moderne zu. Kulturhistorische Ausstellungen sind in dieser Perspektive das Opium für das Volk in der Fortschrittsdynamik der Moderne, die, in dem Maße, wie sie die Zukunft erobert, die Vergangenheit kompensatorisch für das Publikum musealisiert und ästhetisiert. Die Kompensationsthese ist so gefasst, dass man sie ‚beidsei3 | Weit abgeschlagen finden sich Theorien der institutionellen Verwandlung von Alltagsartefakten zu Ausstellungsgegenständen bzw. der durch Kunsthäuser institutionell erfolgenden Verwandlung von Artefakten zu Kunst. Vgl. zu diesen konstruktivistischen und phänomenologischen Perspektiven: Dickie 1984, Danto 1964. Zusammenfassung in: Collenberg -Plotnikow 2011.
Plädoyer: Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik
tig‘ lesen kann: Die entfesselte Musealisierung alles soeben Vergangenen und darüber hinaus auch der Denkmal- und Landschaftsschutz sind Reaktionen auf die traditionsund heimatvernichtende Fortschrittsdynamik, und umgekehrt verweist die neue Museums- und Ausstellungsdichte auf den beschleunigenden Fortschritt (Lübbe 1989). Das eine belegt also das andere, und das andere das eine. Diese sich selbst beweisende Theorie weist darüber hinaus den Geisteswissenschaften generell die Rolle zu, die kalte Rationalität der Moderne zu kompensieren, indem sie das vergessene Wesen der Dinge hervorhebt und Kunst als Kunst bewahrt. In dieser funktionalistischen Perspektive dient uns also das Museumswesen dazu, den Stress des Fortschritts auszuhalten, und in dieser Konpensationsfunktion seien die Ausstellungen zwangsläufig zu Massenmedien geworden. Diese neokonservative Lesart der Demokratisierung und des Booms des Museumswesens seit dem Umbruch in den späten 1960er- und in den frühen 1970er-Jahren kehrt ihre Vorzeichen gänzlich um, denn diese Demokratisierung stand völlig in der entgegengesetzten Tradition der Geistes- und Sozialwissenschaften, derjenigen der Demokratiebefähigung und des Demokratieausbaus, mithin des Fortschritts des Projekts Moderne. Die Funktionslogik von Museen und Ausstellungen als sedierende und identitätsversichernde Medien im unaufhaltbaren ökonomisch-technischen Fortschrittsprozess, der Heimat und Herkunft vernichtet, stellt das Demokratisierungsparadigma von den Füßen auf den Kopf. Die Kompensationstheorie ist die vollständige Umkehr dessen, was die Aufklärung und in der Folge das Bildungsbürgertum mit dem vom Ancien Régime geerbten, noch in der Tradition der Repräsentation von Herrschaft und Ehre verankerten Museumswesen vorhatte. Für die Aufklärung bedeutete die Selbstvergewisserung der Vergangenheit die Voraussetzung für die Eroberung der Zukunft, insbesondere durch die nachfolgenden Generationen; das heißt, das Museumswesen diente, wie die Aufklärungsperiodika, der Wissensproduktion und der Bildung über Vergangenheit zwecks „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant). Es entzieht sich mir nun, inwieweit sich die Expertenkultur der Musealisierenden in der Funktionsrolle sedierender Akteure bzw. ihr Museumswesen als populärkulturelles Antidot gesellschaftlicher Spannungen durch „Vergangenheitsvergegenwärtigung“ (Lübbe) zwecks Vermeidung von Identitätsverlust sieht oder inwieweit sie sich in der Tradition der Aufklärungswissenschaft verortet. Möglicherweise hat längst ein erfolgsorientierter Pragmatismus diese antagonistischen Leitbilder überformt. Wenn das stimmt, dann ist dies zu wenig für eine Expertenkultur, die etwas auf sich hält. Ein Indiz für diesen leitbildlosen Pragmatismus ist die schwache Kritik an der dominierenden Museumstheorie. Herbert Schnädelbach hat immerhin die mangelnde Komplexität der Kompensationstheorie und die konservative Kulturauffassung kritisiert. In der Tat lebt die Kompensationstheorie von der metaphysischen Annahme eines unausweichlichen technisch-ökonomischen Fortschrittsprozesses, auf den die Kultur nur reagiert (Schnädelbach 1992). Die kulturelle Entwicklung und mit ihr die Geisteswissenschaften befinden sich gleichsam auf der reaktiven und Schaden nehmenden Kehrseite des ökonomisch-wissenschaftlich-technischen Fortschrittszwangs. Die umgekehrte Perspektive, dass spezifische Traditionen – wie etwa die protestantische Ethik oder der
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Kurt Imhof
konsumbasierte Statuswettbewerb im Kapitalismus – technisch-ökonomische Entwicklungen vor sich hertreiben, wäre ebenso möglich – wie allerdings auch ebenso verkürzt. Denn die Kultur, und damit auch das Museumswesen, hat eine kreative Potenz, und die verträgt sich nicht mit bloßer Kompensation. Außerdem berücksichtigt die Kompensationstheorie ausgerechnet die ökonomischen Zwänge im entfesselten Standort- und Publikumswettbewerb zwischen den in der Deindustrialisierung neu entstandenen Kulturmeilen nicht, die den Boom der Museen befeuert haben. Allerdings wäre es falsch, die Kompensationsthese gänzlich vom Tisch zu wischen. Eingangs dieses Beitrags habe ich mit der Diskontinuitätsthese hinsichtlich der wiederkehrenden Historisierung der Gegenwart und der Politisierung der Geschichte in der öffentlichen Kommunikation in Zeiten schwindenden Zukunftsvertrauens auf Perioden hingewiesen, in welchen die Vergangenheit tatsächlich im Rahmen von Konflikten um neue Gesellschaftsmodelle stärker in die Gegenwart drückt. Allerdings handelt es sich hierbei weniger um Kompensation, die natürlich zum Repertoire menschlichen Handelns zählt, als vielmehr um unterschiedliche Gerechtigkeits- und Gesellschaftsvorstellungen. Insofern begründen die Globalisierung und vor allem die Krise der Globalisierung in der Gegenwart tatsächlich einen erhöhten Bedarf an Selbstverständigungsdiskursen, die im politischen Raum heute allerdings maßgeblich durch eine fremdenfeindlich orientierte Renaissance des Nationalismus bestimmt sind. In solchen Zeiten kommt dem Museumswesen – wie einst in den 1970er-Jahren oder am Ende des Kalten Kriegs bei der deutschen Wiedervereinigung in Gestalt des deutschen Museumswesens – tatsächlich eine erhöhte Bedeutung zu und es kommt zu vergangenheitsinformierten Gegenwartsvergegenwärtigungen. Es sind auch immer wieder diese Perioden, die zur Neubesinnung Anlass geben können. Diese Neubesinnung erscheint mir allerdings notwendig, sonst sehe ich die Gefahr eines ‚Self-Fullfilling‘ der Kompensationstheorie: Prächtig inszenierte Ausstellungen ohne griffige Fragestellungen und Thesen transferieren das Museumswesen zu einem Element der Kultur- und Unterhaltungsindustrie und dieses dient dann tatsächlich nur noch der zerstreuenden Kompensation in der Freizeit. Damit dem Museumsboom nicht ein Museumssterben folgt, sollte der Zweck der Musealisierung wieder weiter gesteckt werden. Ein solches ‚back to the roots‘ könnte beispielsweise bei Hegel ansetzen: Für ihn – mit Bezug auf Kunstmuseen – ist der Habitus der Besonnenheit der Schlüssel zur Aneignung eigener wie auch fremder Identität und damit von Bildung. Diese Besonnenheit auf Seiten des Publikums muss das Museum durch Anschaulichkeit und Sinnlichkeit der Ausstellungen ermöglichen, um reflexives Wissen zu vermitteln (Collenberg-Plotnikow 2011). Wenn das auch über partizipatorische Mittel gelingt, spricht nichts dagegen. Wichtiger aber sind Thesen und Fragestellungen mit Biss. Das kulturgeschichtliche Museumswesen muss heute Kritik hervorrufen, um kritisches Raisonnement zu ermöglichen und zu einer nicht-kompensatorischen, sondern spannungsreichen, vergangenheitsinformierten Gegenwartsvergegenwärtigung beizutragen. Die Museen der Moderne sind als Elemente einer mit sinnlichen Mitteln betriebenen unaufhörlichen Aufklärung der Moderne über sich selbst unersetzbar. Als bloße Bestandteile der
Plädoyer: Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik
Kulturindustrie hingegen werden sich diese traditionsreichen Bildungs- und Kulturinstitutionen auflösen wie Zucker im Kaffee. Als bloße Kompensationseinrichtungen verwelkender Traditionen würde also das Museumswesen auch die eigene Tradition zum Verwelken bringen.
Literatur Collenberg-Plotnikow, Bernadette: „Die Musealisierung des Alltäglichen. Zur Bedeutung der Institutionen für die Kunst“, in: Gethmann-Siefert, Annemarie / WeisserLohmann, Elisabeth / Collenberg-Plotnikow, Bernadette (Hg.): Musealisierung und Reflexion, Frankfurt a. M. 2011, S. 9 – 32. Danto, Arthur C.: „The Artworld“, in: The Journal of Philosophy 19 (1964), S. 571 – 584. Dickie, George: The Art Circle. A Theory of Art, New York 1984. Grütter, Heinrich Theodor: „Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen“, in: Blanke, Horst-Walter u. a. (Hg.): Dimensionen der Historik: Geschichtstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Geschichtskultur heute, Köln / Frankfurt a. M. 1998, S. 179 – 193. Imhof, Kurt: Die Krise der Öffentlichkeit. Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels, Frankfurt a. M. 2011. Lübbe, Hermann: Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Köln / Graz 1989. Marquard, Odo: Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986. Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 1981 (1852), Bd. 8. Ritter, Joachim: Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a. M. 1974. Schnädelbach, Herbert: „Kritik der Kompensation“, in: ders.: Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt a. M. 1992. Spickernagel, Ellen / Walbe, Brigitte (Hg.): Das Museum: Lernort contra Musentempel, Gießen 1976.
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DAS PARTIZIPATIVE MUSEUM: GESELLSCHAFTSPOLITISCHE GRUNDLAGEN UND PROGRAMMATISCHE ENTWÜRFE
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Einführung
Die Forderung nach mehr Partizipation im Museum kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern ist die Folge von gesellschaftlichen Transformationsprozessen: Globalisierung, Beschleunigung, Enttraditionalisierung und Optionierung sind nur einige der Schlagworte, die das Leben in der Gegenwart beschreiben und auf die wachsende Komplexität unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Es ist die Aufgabe des Museums, sich in dieser komplexen Gegenwartsgesellschaft ein zeitgemäßes Profil zu geben, Orientierung und Identität zu stiften. Damit der Herausforderungen nicht genug: Denn zu den gestiegenen inhaltlichen Ansprüchen kommt der finanzielle Druck – die Museen müssen ihr Dasein je länger, je mehr mit einem konkreten Nutzen legitimieren können, um weiter mit der Unterstützung durch die öffentliche Hand rechnen zu dürfen. Und schließlich müssen die Museen verstärkt um die Gunst des Publikums buhlen. Im ‚Kampf um Aufmerksamkeit‘ müssen sie nach neuen Wegen suchen, das Publikum längerfristig an sich zu binden. Da kommt die Partizipation wie gerufen. Sie soll helfen, zum einen mithilfe der Gegenwartsakteure – also der Besucher – ebendiese Gegenwart besser zu verstehen, zum anderen durch Partizipationsprozesse – die ‚en passant‘ auch Inklusionsprozesse beschleunigen sollen – konkrete politische Anliegen wahrzunehmen. Und schließlich soll sie auch Identifikationsprozesse in Gang bringen, die das Publikum nachhaltig an die Institution Museum binden. Die Texte im vorliegenden Buchteil gehen den eben beschriebenen Herausforderungen und Prozessen auf den Grund und skizzieren den gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die Forderung nach dem partizipativen Museum herausbildet. Gleichzeitig arbeiten die Autorinnen und Autoren dieses Buchteils mit verschiedenen Bildern, die dem partizipativen Museum ein konkretes Gesicht geben. So beschreibt Arnoud Odding das partizpative Museum – basierend auf Beobachtungen der niederländischen und nordamerikanischen Museumsszene – als „disruptives“ bzw. „Netzwerk-Museum“. Léontine Meijer-van Mensch spricht vom Museum als „Agora“, als einem Ort, der einen freien Gedanken- und Erfahrungsaustausch ermöglicht, wo „die Beteiligten (potentiell) die Gelegenheit bekommen, sich von reinen Zulieferern von Informationen zu Mitdenkern über die Sinngebung im musealen Prozess zu entwickeln“. Nina Simon
Einführung
– sie war die Erste, die unter dem Stichwort „participatoy museum“ das Phänomen Partizipation in den Museen aufspürte, beschrieb und analysierte – geht in ihrem Text von den gesellschaftlichen Voraussetzungen Nordamerikas aus, auf deren Basis die Forderung nach dem partizpativen Museum laut werden. Dazu gibt sie ganz konkrete Anleitungen, wie partizipatives Arbeiten im Museum auszusehen hat. Zum Abschluss des Kapitels unternimmt Nina Gorgus Rückblick und Vorschau in einem. Unter Bezugnahme auf das französische Konzept des Écomusée, einem in den 1970er-Jahren entwickelten Museumstyp, der in manchen Punkten dem partizpativen Museum verwandt ist, skizziert sie mögliche Lehren, die man aus den dort gemachten Erfahrungen für die partizipative Museumspraxis in der Gegenwart ziehen kann. Ob „Netzwerk-Museum“, „Agora“, „participatory museum“ oder „Écomusée“ (oder auch „post-repräsentatives Museum“, wie Nora Sternfeld im Plädoyer am Schluss dieses Buchteils schreibt) – alle in diesem Kapitel vorgestellten Konzepte des partizpativen Museums basieren auf der Annahme, dass sich die Institution Museum (oder zumindest das kulturhistorische Museum) angesichts der gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart vom Bild des bildungsbürgerlichen Musentempels verabschieden muss, dass sie ihr Dasein in der Gesellschaft neu denken und legitimieren muss. Dazu gehört – darauf verweist etwa Arnoud Odding – nicht zuletzt das Verlassen der Museumsmauern. Das Museum muss ‚zu den Leuten gehen‘, im wortwörtlichen wie übertragenen Sinne. Nur so wird es nicht nur ein Museum ‚für die Besucher‘, sondern auch ‚von den Besuchern‘.
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Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum Arnoud Odding
Vorbemerkung Seit Anfang des neuen Jahrhunderts herrscht Unruhe in der Welt, wobei es den Niederländern manchmal so vorkommt, als ob ihr eigenes Land am meisten davon betroffen wäre. Ausgerechnet die Niederlande, dieses ruhige Land an der Nordsee, das sich bereits seit Jahrhunderten auf seine vermeintliche Toleranz beruft. Gerade diese Niederlande jedoch waren im vergangenen Jahrzehnt zweimal Schauplatz eines politischen Mordes. Das gesellschaftliche Leben ist aus den Fugen geraten. Seit 2010 wird die christlich-konservative Regierung sogar von einer der intolerantesten rechtspopulistischen Hetzparteien in ganz Europa unterstützt. Dies hat Verwirrung ausgelöst und diese Verwirrung hat auch die niederländischen Museen erreicht. In meinem Buch „Das disruptive Museum“ zeichne ich ein Bild der enormen Veränderungen, die unsere Gesellschaft zurzeit erfährt, und versuche, sie mit den Veränderungen in Relation zu bringen, denen sich die Museen ausgesetzt sehen.1 Denn die ganze Diskussion über Kultur und Identität, die in den letzten Jahren so viel Aufregung verursacht hat, stellt für mich lediglich ein Symptom für tiefer liegende Ursachen dar. Es ist unsere Gesellschaft selbst, die im Wandel begriffen ist, und Einrichtungen wie Museen haben keine andere Wahl, als mit diesem Wandel Schritt zu halten. In diesem Beitrag versuche ich, einen Eindruck der schwerwiegenden Entscheidungen zu vermitteln, die Museen in den nächsten Jahren werden treffen müssen. Ich fokussiere mich dabei auf das Verhältnis und die Verbindung zwischen Museum und Gesellschaft sowie auf die Art seiner Beziehungen zum Publikum. In meine Darstellung 1 | Das Buch „Het disruptieve museum“ ist im Dezember 2011 im Selbstverlag erschienen (http://www.odd.nl). Dieser Beitrag bietet eine kondensierte Zusammenfassung von drei der insgesamt 17 Kapitel.
Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum
fließen dabei zahlreiche Zitate von Fachleuten ein, mit denen ich während der Vorbereitung meines Buches gesprochen habe.
„We the Museum“ – zum Verhältnis zwischen Museum und Gesellschaft Schon seit längerer Zeit wird darauf hingewiesen, dass Museen nur ihr eigenes Fachgebiet im Auge haben und sich mehr nach den Wünschen des Publikums richten sollten. Und gerade das geschieht jetzt. Die Museen sind in Bewegung geraten und diese Bewegung vollzieht sich immer schneller – nicht nur bei den großen Museen in Großstädten, auch bei kleineren Museen, wie beispielsweise dem Stadtmuseum Kampen, das im Frühling 2009 im alten Rathaus von Kampen neu eröffnet wurde. Einen der wichtigsten Ausgangspunkte für die Neukonzeption benennt Kustos René van Mierlo – treibende Kraft hinter der Erneuerung – mit dem Slogan „Das Museum in der Stadt, die Stadt im Museum“: „Viele Menschen haben große Hemmungen, in ein Museum zu gehen. Diese Hemmschwelle wollen wir abbauen. Wir wollen uns nach außen begeben und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen zu uns hereinkommen. […] So haben wir z. B. bereits 2005 einen multimedialen Rundgang entwickelt, der nicht nur durch das Museum, sondern auch durch die Stadt führte. Manche der in den Innenräumen ausgestellten Exponate mit einem Bezug zur Stadt wurden in Wort und Bild erklärt. Anschließend wurden die Besucher mittels GPS zu bestimmten Punkten in der Stadt geführt, die sich wiederum auf die Ausstellung bezogen. Auf diese Weise entsteht eine Wechselwirkung zwischen innen und außen. Ein Museum hört ja nicht bei den Außenwänden auf, es geht einfach weiter in die Stadt hinein, ist Teil dieser Stadt.“
Das Stadtmuseum Kampen versucht, auf viele verschiedene Weisen die Mauern zwischen Stadt und Museum abzubauen, die Barrieren möglichst niedrig zu halten. Das Museum macht sein Gebäude und seine Ausstellung öffentlich zugänglich und geht selbst in die Stadt hinein. Den gleichen Zweck verfolgt das Museum Rotterdam mit seinem Projekt „Die Stadt als Muse“, bei dem es der Frage nachgeht, woraus das heutige Kulturerbe in Rotterdam besteht, und versucht, entsprechend neue Präsentationsformen zu finden – und zwar möglichst gemeinsam mit den Menschen in den Stadtvierteln. Das zunächst kleine Projekt startete 2010 mit den „Frauen aus Velden“. Dabei handelt es sich um eine Gruppe Frauen, die sich dafür einsetzt, das im Süden von Rotterdam gelegene Stadtviertel Velden für ihre Kinder und sich selbst lebendig und attraktiv zu erhalten. Dieses ärmliche Viertel wurde in den 1950er-Jahren umstrukturiert: Wegen der umfassenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs mussten neue Wohnungen gebaut werden, die mittlerweile zu klein, zu zugig und zu kalt geworden sind und derzeit saniert oder abgerissen werden. Die „Frauen aus Velden“ treffen sich jeden Mittwoch zum Frühstück und versuchen, die Lebensqualität in ihrem Viertel zu verbessern. Dazu organisieren
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Arnoud Odding
sie unter anderem Aktivitäten für Kinder. Auf die Frage, welches Ziel „Die Stadt als Muse“ verfolgt, antwortete die Projektleiterin Nicole van Dijk: „Zu Beginn dieses Projekts haben wir uns überlegt: Was ist denn interessant in Rotterdam-Süd? Wer lebt hier? Was ist hier bemerkenswert oder auffällig? Wir sind einfach mit offenen Augen durch die Straßen gegangen und haben mit Menschen, mit Vereinen, mit Schlüsselfiguren gesprochen.“
„Warum ist es für Sie so interessant, darauf als Museum einzugehen?“ „All diese Entwicklungen bringen Transformationsprozesse zutage. Vor allem in Rotterdam war diese Transformation, geschichtlich betrachtet, immer ausgesprochen präsent. Das ist es auch, was eine Stadt ausmacht, diese Dynamik. Diese fortwährende Bewegung wollen wir festhalten oder zumindest verfolgen.“
„Demnach besteht Ihre Aufgabe also darin, das Kulturerbe zu beschreiben? Bleibt es dabei oder reicht das Projekt weiter?“ „,Die Stadt als Muse‘ reicht weiter, weil wir uns letztes Jahr letztendlich dazu entschlossen haben, gemeinsam mit den „Frauen aus Velden“ weiterzugehen und sie auf eine fast anthropologische Art und Weise zu begleiten. Zusammen mit ihnen haben wir auch eine Präsentation in Form einer Zeitschrift herausgebracht. Sie haben alle Themen vorgebracht und sich diese Zeitschrift zu eigen gemacht. Wir fanden es sehr wichtig, dass sie sich selbst darin erkannten, dass die Zeitschrift ihre eigene Situation widerspiegelte. […] Wir haben die Zeitschrift in Velden präsentiert. Wir haben dort eine Art Außenstelle des Museums eingerichtet, große Zelte aufgebaut und diese innen gestaltet. Die Präsentation dauerte einen ganzen Tag, es gab auch eine Talkshow. […] Wir haben uns bemüht, eine Plattform für einen Erfahrungsaustausch zwischen den Besuchern zu schaffen.“
„Und in der Zeit muss das eigentliche Museum also geschlossen bleiben?“ „Genau diese Frage versuchen wir im Augenblick zu klären. Wir richten solche Veranstaltungen immer häufiger aus. Wir organisieren Feste, Präsentationen in einem Stadtviertel und vieles mehr, was sich nicht innerhalb der eigenen Museumswände abspielt. Die Frage lautet: Müssen wir das machen?“
Museen, die in ein Stadtviertel hineingehen, gibt es natürlich schon viel länger. Nichts Neues, könnte man also sagen. Die Gespräche, die ich in den letzten Monaten geführt habe, zeigen jedoch ein neues Spannungsfeld auf, einiges deutet sogar darauf hin, dass wir auf einen offenen Bruch mit dem Bestehenden zusteuern. Führt man sich nämlich vor Augen, dass ein Museum von jeher ein Tempel und ein Aufbewahrungsort gewesen ist, ein Ort, an dem wir unsere seltensten und kostbarsten Schätze zusammengetragen
Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum
haben, und berücksichtigt man dann auch, dass sich Museen jetzt, wo sie sich den Menschen, für die sie nach eigenen Angaben die ganze Mühe auf sich nehmen, zuwenden und ihnen zuhören und dann zu dem Schluss kommen, dass sie sich tatsächlich auch zu den Menschen hinbegeben sollten, dann drängt sich die Frage auf, inwiefern das Museumsgebäude an sich noch relevant ist. Charles Esche, Direktor des Van Abbemuseums in Eindhoven, bemerkt in diesem Zusammenhang: „Meine Idealvorstellung von einem Museum ist ein ‚dispersed museum‘, ein verstreutes Museum. Das Museum sollte nicht länger als Gebäude gedacht werden, sondern vielmehr als ein Gedankenkonstrukt, eine Möglichkeit, das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft auszuloten. Ein solches Museum könnte an verschiedenen Stellen auftauchen. Das Museum würde sich nach draußen begeben und Einfluss auf verschiedene Dinge an unterschiedlichen Orten der Welt nehmen. Es gibt einen griechischen Architekten, der ein Haus in Athen entworfen hat. Das Badezimmer soll in einem bestimmten Teil von Athen, das Wohnzimmer in einem anderen und das Schlafzimmer in noch einem anderen Stadtteil liegen. Stadtteile, die in einer besonderen Beziehung zur Funktion der Zimmer stehen. So soll sich die Küche in der Nähe des Marktes, das Wohnzimmer im Ausgehviertel, das Badezimmer in einem ruhigen Stadtteil mit Blick auf das Meer und die Toilette im Arbeiterviertel befinden. Ich weiß zwar nicht, ob das alles stimmt, aber es geht um die Idee eines Hauses, das wirklich ‚dispersed‘ ist, um ein verstreutes Haus. Die Vorstellung, dass man durch die Stadt reist und in gewissem Sinne überall zu Hause ist, finde ich großartig: jederzeit und überall Zugang zum eigenen Zuhause.“
Die Idee des verstreuten Museums ist teilweise bereits Wirklichkeit geworden. Das Van Abbemuseum führt Projekte in verschiedenen Stadtvierteln von Eindhoven durch, richtet Ausstellungen in Bordeaux und Istanbul aus, arbeitet mit der Kunstakademie in Ramallah zusammen und hat ein Projekt im Rif-Gebiet in Marokko initiiert. Das Konzept des verstreuten Museums scheint Charles Esches Wunsch zu entspringen, das Museum als Denkfabrik zu betrachten, als Ort, an dem über das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft nachgedacht werden kann, als Ort, an dem wichtige gesellschaftliche Themen erörtert werden: „Als ich damals meine Tätigkeit als Direktor dieses Museums aufnahm, beschlossen wir, dass wir ein außergewöhnliches Museum bleiben wollten. Das Museum meines Vorgängers Jan Debbaut, das auf moderne europäische Kunst ausgerichtet war, hatte sich meines Erachtens nach 1989 geändert. Der Fall der Mauer, die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz in China, die Erfindung des World Wide Web, des globalen Netzwerks, das auch ein persönliches Netzwerk ist, und die Ausbreitung des Kapitalismus als einzig mögliche Überlebensstrategie für die Menschen in dieser Welt – das Jahr 1989 markierte in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt: für die Südafrikaner, die Chinesen, die Technikfreaks, die Osteuropäer und auch für den Rest der Welt. Der
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Westen hat damals einen Zufallssieg errungen, auch wenn wir diesen nicht bewusst wahrgenommen haben. Im Laufe der Zeit haben wir jedoch auch hier die Auswirkungen gespürt. Die Zeit der Nationalstaaten ist vorbei, aber auch die Europäische Union hat ihre Vision verloren. Und das sind, so meine ich, allesamt Folgen dieses Moments, dieses Jahres.“
Als er Direktor des Van Abbemuseums wurde, beschloss Esche das Verhältnis zwischen West und Ost auszuloten. Zu diesem Zweck führte er zunächst Gespräche zum Thema Naher Osten mit Schauspielern, Künstlern, Konservatoren, Schriftstellern und Historikern: „Zusammen mit einigen Kollegen, die vor Ort wohnen, haben wir Leute zu einer Reihe von privaten Gesprächen eingeladen, bei denen wir folgende Fragen erörtern wollten: Wie können wir als westeuropäisches Museum mit unserem Kulturerbe in diesen Gebieten umgehen? Welchen Stellenwert hat unser Kulturerbe dort? Wird unserem Kulturerbe in diesen Gebieten, von diesen Menschen, überhaupt ein Stellenwert beigemessen?“
Einer der Teilnehmer an diesen Gesprächen war Khaled Hourani, der damals gerade dabei war, eine internationale Kunstakademie in Ramallah in den palästinensischen Gebieten zu errichten. Im Rahmen der Diskussion entstand die Idee, ein Gemälde Picassos aus der Sammlung des Van Abbemuseums nach Ramallah zu überführen. Dieses Projekt bekam den Titel „Picasso in Palästina“. Wie sehr Charles Esche dies auch immer abstreiten mag, und was auch immer man davon halten mag, das Projekt ist zumindest politisch eine heikle Angelegenheit. So schrieb beispielsweise ein gewisser Carl in Jerusalem („Ich bin ein orthodoxer Jude, manche würden mich sogar als ultraorthodox bezeichnen“) in einem Blogbeitrag: „Das Van Abbemuseum in Eindhoven leiht Picassos Frauenbildnis aus dem Jahre 1943 an die internationale Kunstakademie in Ramallah aus. Wieder einmal eine Gelegenheit, die dazu genutzt wird, Israel zu brüskieren. Die Reise des Gemäldes soll verfilmt werden, wobei auch gezeigt werden soll, wie es die israelische Grenze und andere Kontrollpunkte passiert. So kann dem internationalen Publikum vorgeführt werden, wie die ‚grausamen Israelis‘ darauf bestehen, ein ‚harmloses Gemälde‘ zu inspizieren. Dies ist nur ein weiterer Vorwand bei dem Versuch, die Kontrollpunkte zu öffnen, sodass Waffen eingeschmuggelt werden können. Was könnte da noch schiefgehen?“ 2
Für Charles Esche bestand das Ziel des Projekts nach eigenen Angaben in erster Linie darin, Kontakte im Nahen Osten aufbauen zu wollen: „Wir möchten Kontakte in diesen Gebieten aufbauen. Zum einen könnten wir unsere Sammlung erweitern, indem wir Werke aus diesen Gebieten hierherbringen. Zum 2 | Vgl. http://israelmatzav.blogspot.com/2011/02/picasso-in-palestine-another-occa sion.html [letzter Zugriff 18.10.2011].
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anderen könnten sich die dortigen Gegebenheiten und Denkweisen als Inspirationsquelle für uns erweisen. Denn es gibt nur eine Welt, und die ist anders als früher. […] Ich möchte nicht irgendwo hingehen, um dort ein paar hübsche Gemälde zu kaufen, ich möchte eine Beziehung zu diesen Orten. […] Ich bin davon überzeugt, dass dort – wenn sich die politische Situation in Marokko, der Türkei und Palästina noch etwas ändert – die Kunstgeschichte des 21. Jahrhunderts geschrieben wird, zumindest teilweise. Sehen wir uns doch einmal Ägypten oder Tunesien an. Es ist offensichtlich, dass dort etwas im Gange ist, da tut sich etwas, und das wirkt sich auch auf die Kunst aus, genauso wie der politische Wandel in Russland die Kunst stark beeinflusst hat. Gleiches gilt für die Industrialisierung. Lesen Sie mal Walter Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Diese Linie verfolgen wir.“
Charles Esche verweist hier auf einen der wichtigsten kunsttheoretischen Essays: Walter Benjamins Text aus dem Jahr 1936 beschreibt die Beziehung zwischen den politischen, technischen und künstlerischen Entwicklungen in einer kapitalistischen Welt. Mangels traditioneller Werte müsse sich Kunst in der modernen Zeit an der politischen Praxis orientieren. Fazit: Kunst ist Politik (Benjamin 1936). Während das Museum Rotterdam nach einem neuen Verhältnis zwischen dem Museum und den Stadtvierteln sucht, stellt das Van Abbemuseum Überlegungen über die Rolle der Kunst und des Kunstmuseums in der Weltgemeinschaft an. Und während das Stadtmuseum in Kampen von dem Leitgedanken „Das Museum in der Stadt, die Stadt im Museum“ ausgeht, strebt das Van Abbemuseum Beziehungen zur globalen Welt an. Charles Esche geht also noch einen Schritt weiter als das Stadtmuseum Kampen und das Museum Rotterdam. Wenn man aber als Museum die Nähe der Gemeinschaft sucht, so beeinflusst dies auch die Antwort auf die Frage, was ein Museum ist. Auch hier vertritt Charles Esche mit seinem Ansatz des ,verstreuten Museums‘ den radikalsten Standpunkt. Nach seinen Vorstellungen soll die Gesellschaft zum Museum und das Museum zur Gesellschaft werden. Er gibt den Menschen das Museum zurück, ein Museum das kein Gebäude ist, sondern ein aktiver Bestandteil der Gesellschaft, ganz wie auch Walter Benjamin die Kunst als aktiven Bestandteil ansah. Die Menschen ergreifen Besitz vom Museum. Ich höre schon das Stimmengewirr, ich stelle mir vor, wie die Leute sich organisieren, und unwillkürlich muss ich an den berühmten einleitenden Satz aus der Verfassung von 1787 denken, mit dem sich die Vereinigten Staaten als moderner Nationalstaat definierten: „We the people“. Der gleiche Nationalstaat, der nach Meinung von Charles Esche nun am Ende ist. Es sind nicht Esches Worte, aber ich höre ihn förmlich sagen: „We the Museum“.
Das Netzwerk-Museum – das Museum als Attraktor Wenn „We the Museum“ das Bestreben der Museen zum Ausdruck bringt, sich mit den Menschen zu verbinden, so stellt das Netzwerk-Museum die Form dar, in der Museen
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dieses Bestreben umsetzen können. Das disruptive Museum ist also ein Netzwerk-Museum. Und die zentrale Frage lautet dann: Für wen kann ich einen Mehrwert darstellen? Für wen bin ich wichtig? Eine einfache Frage, die jedoch sehr unterschiedlich beantwortet werden kann. Die Museen machen eine Kehrtwende um 180 Grad, wodurch das Ganze allerdings nicht einfacher wird. Nicht nur ihre eigenen Fachgebiete sind in den vergangenen hundert Jahren zunehmend komplexer geworden. Für die Gesellschaft als solche gilt dies noch um ein Vielfaches mehr. All die neuen Techniken, die uns im vergangenen Jahrhundert zur Verfügung gestellt wurden, bieten uns Zugang zu mehr Orten, mehr Kenntnissen und mehr Meinungen als jemals zuvor. Das macht die Welt transparenter und zugänglicher, zugleich aber durch die Unmenge an Möglichkeiten auch komplexer und somit unverständlicher. Die Triebfeder hinter diesem Prozess ist die Informationstechnologie mit dem Internet als Aushängeschild. Das Internet ist jedoch keineswegs die einzige treibende Kraft, auch Massenmedien, Flugzeuge, Autos und sogar Fahrräder des 20. Jahrhunderts spielen eine Rolle. Sie alle sind Produkte einer technologischen Revolution, mittels derer einer immer größer werdenden Anzahl von Menschen die Welt in ihrer ganzen Komplexität nähergebracht werden konnte. Bedingt durch diesen Überfluss und diese Komplexität werden herkömmliche Ideen jedoch in Frage gestellt, Ideen, mit denen sich ganze Generationen identifizieren konnten. Was bedeutet es im 21. Jahrhundert noch, evangelisch oder katholisch zu sein? Was bedeutet es heutzutage, Niederländer oder Deutscher zu sein? Wer bin ich? Infolge dieser enormen Fragmentierung der Identitäten und Inhalte sind die Menschen „mutiert“, wie Alessandro Baricco in seinem berühmten Buch „Die Barbaren“ postuliert (Baricco 2010). Wir entscheiden uns immer seltener dafür, fundierte und tief gehende Kenntnisse in einem bestimmten Bereich zu erwerben oder uns lebenslang mit einem einzigen Fachgebiet zu befassen, in dem wir dann Expertenstatus erlangen. Stattdessen schwimmen und lavieren wir, wir assoziieren, suchen nach flüchtigen Werten in einer ständig fließenden Wirklichkeit. Es geht nicht mehr um das romantisch-moderne Ideal, die Welt in ihrem tiefsten Wesen zu erfassen, sondern um den situativen Zugang zu Kenntnissen und ihre temporäre Nutzung. Unser ganzes Selbstverständnis – wer sind wir, wohin streben wir, was ist uns wichtig? – wird dadurch hinterfragt, wenn nicht gar gefährdet. In seinem Buch „Die Improvisationsgesellschaft“ beschreibt Hans Boutellier die Folgen dieser Entwicklungen: „In einer digital unbegrenzten Welt ist die Frage der Identität umso mehr eine Kernaufgabe der Staaten, Gemeinschaften, Institutionen und Einzelpersonen.“ (Boutellier 2010) Diese eindeutige Identität ist jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir erlangen alle zunehmend mehr Identitäten. Einige werden dies als bereichernd erfahren, aber nicht alle. Für Hochqualifizierte mit einer gut dotierten Stelle gestaltet sich das Ganze einfacher als für Chancenlose, denn sie sind diejenigen, die am meisten zu verlieren haben in einer Welt, in der sich alles um Flexibilität dreht. Netzwerkstrukturen eignen sich hervorragend für diese Flexibilität, da Netzwerke nach den jeweiligen gemeinsamen Zielen der Menschen ausgerichtet werden können. Boutellier betrachtet
Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum
Netzwerke daher nicht als Ursache der Komplexität, sondern als deren Lösung. Wenn man diesen Gedanken weiterführt und auf Museen anwendet, würden Netzwerk-Museen den Menschen dabei behilflich sein, sich in der Gemeinschaft zu orientieren und ihre eigene Identität herauszubilden. Dick Rijken, Dozent für Information, Technologie und Gesellschaft an der Hochschule in Den Haag, hat dazu eine dezidierte Meinung: „Der springende Punkt ist, dass wir heutzutage völlig entwurzelt sind. Alles ist möglich. Die Welt ist unheimlich komplex. Die Anzahl der Beziehungen, die wir zu Menschen und Gegenständen haben, ist unendlich. Wir haben mehr Gegenstände als jemals zuvor. Es gibt eine immense Vielfalt und eine komplexe Interrelation zwischen diesen Dingen. Außerdem ist das alles auch viel mehr in Bewegung als vorher. Daher finden wir keinen Halt mehr in der Welt, in der wir leben, die Welt verleiht unserem Dasein keine Struktur mehr. Daher müssen wir diese Struktur selbst herbeiführen. Mehr als je zuvor sind die einzelnen Individuen gezwungen, ihre eigene Ordnung zu schaffen. […]. Das Museum kann einem dabei helfen, wieder Halt zu finden. Die Vergangenheit der Dinge ist eine interessante Möglichkeit, dem Ganzen eine Bedeutung zu geben.“
Dick Rijken ist der Meinung, dass wir unsere eigene Wahrheit und unsere eigenen Werte fortwährend selbst kreieren. Deshalb müssten die Museen Kreativität und Selbstrepräsentation in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen und die Ausdrucksfähigkeit der Menschen fördern. Er zieht den Vergleich mit Facebook: „Worum geht es bei Facebook? Um Identität und Gruppe. ‚Ich und meine Freunde‘ – das ist Facebook. Es wundert mich eigentlich nicht, dass Facebook zurzeit der größte Akteur ist. Dabei macht das Unternehmen nichts anderes, als den Leuten die Tools an die Hand zu geben, mit denen sie sich selbst ausdrücken und mit anderen verständigen können. Das ist natürlich positiv in einer vernetzten Gesellschaft. […] Derjenige, der einem anderen Ausdrucksmittel zur Verfügung stellt, wird Erfolg haben.“
Seiner Ansicht nach sollten Museen daher Netzwerke oder Gemeinschaften für Kulturgüter bilden, um genauso wie Facebook den Menschen dabei behilflich zu sein, „sich selbst auszudrücken und sich mit anderen zu verständigen“: „Ich selbst habe Erfahrung mit dem Versuch, eine Gamelan-Gemeinschaft aufzubauen. Es gibt vier Museen mit Gamelan-Sammlungen, hier in Amsterdam gibt es ein Gamelan-Haus, dort kann man einen Kurs belegen. Viele Musiker fühlen sich zum Gamelan hingezogen, weil es völlig anders gestimmt ist als andere Instrumente. Jeder, der sich mit Musik auseinandersetzt, wendet sich irgendwann dem Gamelan zu und ist von dessen Andersartigkeit fasziniert. […] Dies ist ein Beispiel für eine potentielle Gemeinschaft, die rund um ein bestimmtes Thema organisiert werden könnte. Die Frage ist aber: Wer würde dies tragen? Es gibt kein einziges Museum oder irgendeine
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Einrichtung, die dies bewerkstelligen könnte. Welcher Träger bietet sich dafür an? Es gibt auch keine Fonds für derartige Gemeinschaften. Wir setzen uns zusammen, wir diskutieren das Thema, das Projekt ist zum Greifen nah, aber niemand kann es konkretisieren. Dabei würde man sich vor Freiwilligen kaum retten können, wenn es sich irgendwann realisieren ließe. […] Auf diese Weise wird man zum Attraktor. In der Chaostheorie ist das ein feststehender Begriff; er bezeichnet einen Ort, um den sich alles schnell und leicht organisieren lässt.“
Wäre das die Lösung? Das Netzwerk-Museum als Attraktor, als Ausgangspunkt, um den alles schnell und leicht organisiert werden kann?
Communities – über die Qualität der Beziehung zwischen Museum und Gesellschaft Wenn man über das Museum als Attraktor nachdenkt, landet man automatisch beim Begriff Zielgruppen. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen einem Museum als Attraktor und einem Museum, das sich an Zielgruppen richtet. Zunächst konnte ich diesen Unterschied nicht genau bestimmen, aber dann erinnerte ich mich an einen Gedankenaustausch mit Macha Roesink vom Museum De Paviljoens: „Nun, ich möchte am liebsten nicht in eine einzige Schublade gesteckt werden. Ich ziehe es gerade vor, mehrere Optionen zu haben. Die Dinge werden heutzutage doch allzu häufig zu stark vereinfacht. Bei den Privatsendern z. B., da wird man nach dem größten gemeinsamen Nenner in Zielgruppen eingeteilt. In die Zielgruppe Frauen oder die Gruppe 40plus. Das sind allesamt Einschränkungen und nehmen einem die Möglichkeit, sich dieser einen, von außen auferlegten Kategorie zu entziehen.“
Macha Roesink sucht die Offenheit, sie wendet sich ab von dem zielgruppengerichteten Denken, mit dem Einrichtungen und Unternehmen ihre Produkte möglichst effizient vermarkten möchten. Dieses Gespräch erinnerte mich wiederum an eine Reise zum weltgrößten Glasmuseum in Corning im Staat New York. Vor Ort fiel mir auf, wie häufig dort das Wort Community verwendet wurde. Ich hatte das Wort natürlich schon vorher gehört, aber niemals zuvor in einer solchen Frequenz. In den Vereinigten Staaten ist man ständig auf der Suche nach der eigenen Community. Bei einem Spaziergang durch die Ortschaft Corning sah ich ein Schild, auf dem vermerkt war, dass die „local community“ für den Unterhalt des (übrigens wunderschönen) Parks zuständig ist, im Fernsehen schien das Wort alle fünf Minuten zu fallen, während meines Gesprächs mit der Geschäftsführerin des Glasmuseums verwendete diese gleich dreimal die Formulierung „serving our community“ und auf den Ausweisen der Mitarbeiter war zu lesen „We are here to serve you“. Dahinter steckt eine ganz andere Denkweise, als wir uns in den Niederlanden vorstellen können: Mit dem Wort Zielgruppe bringt man zum Ausdruck, dass man etwas von den Menschen möchte. Sie sollen in das Museum kom-
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men, sie sollen sich die Produkte der Museumsarbeit ansehen, je öfter, desto besser. Eigentlich ist der Begriff Zielgruppe ein Relikt des alten produktbezogenen Denkens: Museen richten Ausstellungen aus, von denen sie meinen, dass die Leute sie sich ansehen müssen, weil sie wichtig sind, und nicht weil sie einem Bedürfnis entsprechen. Ganz anders hingegen der Ansatz des amerikanischen Glasmuseums, das sich das ehrgeizige Ziel gesteckt hat, tatsächlich einem Bedürfnis zu entsprechen. Ausgehend von dem Leitgedanken „serving our community“ versucht dieses Museum, die Menschen in sein Spezialgebiet Glas einzubinden. Eine Gemeinschaft ist keine Zielgruppe: Man ist Teil einer Gemeinschaft, man steht mittendrin. Ob das amerikanische Museum nun ein Netzwerk-Museum ist oder nicht, ist hier nicht weiter relevant. Mir geht es darum zu zeigen, dass ein Netzwerk-Museum ein Attraktor ist, ein Attraktor, der seine eigene Gemeinschaft anzieht. Genauso wie Fliegen, die sich um einen Honigtopf sammeln, ohne dass der Topf selbst festgelegt hat, welche Fliegen er zu seiner Zielgruppe zählt. Ist das nicht der Anfang eines jeden Museums? Ein offener Honigtopf? Der Ausgangspunkt für jedes Museum und für jedes menschliche Handeln ist das Staunen: Wir staunen über die Wunder der Welt, wir wollen diese Wunder untersuchen und sammeln. Und je mehr wir sammeln, desto mehr Interessierte wollen sich die Objekte ansehen oder auf andere Weise einen Beitrag zum Museum leisten: „We the Museum“. Im Laufe der Zeit wird das Museum jedoch zunehmend größer und bedeutsamer. Es arbeiten immer mehr Menschen dort. Menschen, die ihre Tätigkeit irgendwann aus Liebe zu den Wundern aufgenommen haben, die aber auch ein gutes Gehalt möchten, rechtzeitig Feierabend und, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, auch eine ordentliche Rente aufbauen möchten. Das ist verständlich und berechtigt. Irgendwann kommt jedoch der Augenblick, in dem die Anziehungskraft der Wunder nicht mehr ausreicht, um das Museum am Leben zu erhalten. Die Kosten nehmen überhand, weil die Gesellschaft immer mehr von ihren Wundern erwartet. Das Museum muss wachsen, und eines Tages muss eine professionelle Lösung her, damit die Geschäfte besser durchstrukturiert und mehr Besucher angezogen werden. Und dann setzt das Zielgruppendenken ein. Häufig etwas halbherzig, indem die Zielgruppen, beispielsweise ,die allgemeine Öffentlichkeit‘, viel zu breit definiert werden. Aber das Ziel ist deutlich. Das Museum braucht mehr Besucher. Der Honigtopf wird also aufgewärmt, damit er wieder stärker duftet und auch Fliegen von weiter weg anzieht. Doch genau darin besteht die Falle für viele Museen: Sie müssen immer mehr Menschen anziehen, um nicht an Bedeutung zu verlieren. Deswegen geht es den Museen immer mehr darum, wie viele Besucher sie verzeichnen können, und immer weniger darum, in welchem Ausmaß sie die Menschen in Staunen versetzen können. Die jährliche Besuchszahl ist eine der beiden Zahlen, mit denen Museen ihre Relevanz zu belegen versuchen. Die andere Zahl ist der Prozentsatz der eigenen Einnahmen, d. h. der Prozentsatz des jährlichen Umsatzes, der ohne staatliche Subventionen erwirtschaftet wurde. Diese Zahl ist in den Niederlanden erst seit Kurzem bedeutsam geworden. Während die Besucherzahl ausdrückt, wie viele Menschen vom Honigtopf angezogen werden – was wichtig ist, wenn man das Museum als Einrichtung betrach-
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tet, die gesellschaftliche Interessen vertritt –, so gewinnt der Prozentsatz der eigenen Einnahmen dann an Bedeutung, wenn man der Meinung ist, dass diejenigen, die am meisten Gebrauch davon machen, auch am meisten dafür zahlen müssen. Es ist also nicht mehr der Staat, der sagt: „Dieser Honig ist wichtig“, sondern der Markt, der bereit ist, dafür zu zahlen. In dem Fall wird die Relevanz eines Museums durch den Markt bestimmt. Kunst, Kultur und kulturelles Erbe sind nicht mehr an sich wichtig, sie erlangen erst Bedeutung, nachdem der Nachweis erbracht wurde, dass ein Bedarf danach besteht. Der Geschäftsführer des niederländischen Museumverbandes, Siebe Weide, bemerkt in diesem Zusammenhang: „Ich glaube, dass ‚die Gesellschaft‘ erst seit etwa zwanzig Jahren dazu übergegangen ist, deutliche Forderungen aufzustellen und Wünsche zu formulieren. Vorher war das Museum einfach da, in der bekannten Form. Der Staat trug Sorge dafür. […] Das Museum war eine öffentliche Einrichtung. Erst mit dem Aufkommen des Individualismus und Konsumerismus in Verbindung mit den Diskussionen über die Kernaufgaben des Staates (was ist der eigentliche Zweck des Staates, welchen Einrichtungen können wir mehr Spielraum lassen oder vollständige Bewegungsfreiheit einräumen?) wurde eine gewisse Distanz zu den Museen aufgebaut, wodurch der Kontakt zum Publikum eine andere Dimension bekam. Seitdem spielt auch der finanzielle Faktor eine zunehmend wichtige Rolle, wobei dieser Faktor häufiger als je zuvor zum Nachweis der Bedeutung eines Museums herangezogen wird.“
Es hat den Anschein, dass die Museen die allmähliche Erosion der Selbstverständlichkeit, dass Kultur und Kulturerbe vom Staat bereitgestellt werden, in den letzten Jahrzehnten durch die Präsentation immer höherer Besucherzahlen wettzumachen versucht haben, frei nach dem Motto: „Sehen Sie, was wir machen, ist wichtig.“ Doch dieser Weg erweist sich jetzt als trügerisch, da der niederländische Staat heutzutage nicht nur die Besuchszahlen für wichtig hält, sondern auch das Ausmaß, in dem ‚die Gesellschaf῾ bereit ist, finanziell zum Museum beizutragen. Dazu muss man sich als Museum jedoch schnell auf neue Chancen und geänderte Umstände einstellen können, dazu muss man flexibel sein. Langsam wird einer immer größer werdenden Anzahl von Einrichtungen klar, dass das Erzielen immer höherer Besuchszahlen und das Realisieren immer erfolgreicherer Blockbuster-Ausstellungen nicht für jedes Museum der richtige Weg ist. Nicht jedes Museum ist auf ein Massenpublikum ausgerichtet. Daher werden jetzt vorsichtig andere Strategien entwickelt, bei denen sich Museen beispielsweise auf kleinere Fachgebiete konzentrieren und ihr Publikum nicht als eine anonyme Zielgruppe betrachten, sondern als eine Gemeinschaft, mit der man zusammenarbeitet. Damit kehren diese Museen zu ihren Ursprüngen zurück, denn am Anfang nahezu jeden Museums stand das Staunen der Menschen. Netzwerk-Museen sind Museen für Menschen, die das Staunen nicht verlernt haben. Solche Museen richten sich nicht an Zielgruppen, sondern an Menschen und Einrichtungen, mit denen man eine Beziehung eingehen kann.
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Literatur Baricco, Alessandro: De barbaren, Amsterdam 2010. Benjamin, Walter: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie“, in: ders.: Gesammelte Schriften Bd. I, Frankfurt a. M. 1980, S. 431– 469, (Ersterscheinung 1936). Boutellier, Hans: De improvisatiemaatschappij, Den Haag 2010.
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Von Zielgruppen zu Communities Ein Plädoyer für das Museum als Agora einer vielschichtigen Constituent Community 1 Léontine Meijer-van Mensch
Der Ruf nach einer aktiven Rolle der Museen in der Gesellschaft ist seit den 1970er-Jahren immer lauter geworden. Seit der Jahrtausendwende hat sich in der Museumswelt auch die Idee der sozialen Verantwortung stark verbreitet. Dementsprechend werden die drei Aspekte der gesellschaftlichen Einbindung – Zugang, Repräsentanz und Partizipation – zunehmend als Schlüssel für eine nachhaltige Arbeit im Museumsbereich verstanden.2 Darüber hinaus hat auch die Entwicklung des Web 2.0 den Trend zur Beteiligung der Besucher an den Inhalten erheblich beschleunigt. Partizipative Museumsarbeit ist Teil einer umfassenden Erneuerungsbewegung, die sich unter dem Oberbegriff der Neuen Museologie zusammenfassen lässt. Nicht nur die Museumsmitarbeiter entscheiden, was wichtig ist und somit gesammelt, bewahrt und ausgestellt werden soll, sondern die jeweilige Gemeinschaft definiert dies zusammen mit der entsprechenden Einrichtung. Der Besucher entwickelt sich somit zum Benutzer und das Museum stellt ihm verschiedene Möglichkeiten dafür zur Verfügung. In der Entwicklung dieser neuen Selbstdefinition, die zum Teil unter dem Slogan vom „Museum 2.0“ firmiert, liegt vor allem für Stadtmuseen eine wichtige Aufgabe. Gerade im städtischen Kontext – der maßgeblich durch die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Menschen geprägt wird – ist es wichtig, die urbane Hybridität auch in den Museen sichtbar zu machen, z. B. indem möglichst viele Personen das Museum mitgestalten und mitbestimmen, was dort gezeigt wird.
1 | Sinngemäß: mitwirkende / mittragende Gemeinschaft. 2 | Vor allem Richard Sandell (Department of Museum Studies, Universität Leicester) hat eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Konzepts der sozialen Einbindung und seiner Anwendung in der Museumspraxis gespielt.
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Für Steven Zucker, einen der Erfinder der „sokratischen Museum-Podcasts“3, markiert diese neue Auffassung, was ein Museum sein kann und muss, den Übergang von der Akropolis – einer unzugänglichen Schatztruhe auf einem befestigten Hügel – zur Agora – einem Marktplatz von Ideen, der Raum für Gespräche bietet (Proctor 2010: 36). Zucker zufolge ist das „Museum 2.0“ eine Plattform mit Foren, in denen sich Bürger treffen und miteinander sowie mit dem Museum in einen Dialog treten können. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, was die Ausrichtung des Museums als Agora bedeuten kann. Dabei wird von der Hypothese ausgegangen, dass das Museum nicht länger am klassischen Konzept der Communities im Sinne von Source Communities 4 festhalten, sondern über ein neues, offenes Gemeinschaftskonzept nachdenken sollte.
Das Museum als Kontaktzone Die Idee der Agora schließt an die Idee des Museums als „contact zone“ an (Clifford 1997), als ein Ort der Begegnung und des Dialogs. Eine solche Begegnungs- und Dialogstätte könnte durchaus auch aktivistisch ausgerichtet sein, bildete die klassische Agora doch den Mittelpunkt der Athener Demokratie. Sie war der Ort, an dem Sitzungen des Volksgerichts abgehalten und Märkte veranstaltet wurden. Außerdem hatte sie eine religiöse Funktion. Die Agora war jedoch nicht für alle offen. Die Athener Demokratie war eine Demokratie für einige wenige. Insofern stellt die moderne Auffassung des Museums als Agora eine Radikalisierung der klassischen griechischen Idee dar: eine Kontaktzone für alle. Richard Sandell befürwortet den aktivistischen Ansatz. Ihm zufolge sind Museen „Räume, in denen Ideen mittels Diskursen visuell und verbal auf den Prüfstand gestellt werden können“ 5. Die von Sandell, Jocelyn Dodd und Rosemarie Garland-Thomson herausgegebene Publikation „Re-Presenting Disability“ untersucht, inwiefern Museen über das erforderliche Potential verfügen, um eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung im Hinblick auf Themen wie Ungleichheit und Ungerechtigkeit herbeizuführen oder um weitergehende Experimente und Praktiken zu initiieren (Sandell / Dodd / Garland-Thomson 2010). Eine diskursive Ausrichtung des Museums wird noch wichtiger, wenn man Elizabeth Crookes Feststellung berücksichtigt, dass „jede Gruppe unterschiedliche Vorstellungen einer Gemeinschaft hat und der Bedeutung des Kulturerbes und dessen Beitrag zu ihrem jeweiligen sozialen, kulturellen oder politischen Projekt einen ande-
3 | Vgl. http://museummobile.info/archives/136 [letzter Zugriff 25.11.2011]. 4 | Gemeinschaften, aus denen die Sammlungen ursprünglich stammen; im Folgenden auch Ursprungsgemeinschaften genannt. 5 | Vgl. http://museumethics.org/2008/11/keynote-dr-richard-sandell-on-museumethics/ [letzter Zugriff: 25.11.2011].
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ren Stellenwert beimisst“6 (Crooke 2010: 16). In dem Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes aus dem Jahr 2003 (UNESCO 2003) wird zwischen drei Hauptkategorien von Interessengruppen unterschieden: Source Communities, nationalen Regierungen (Vertragsstaaten) und Fachleuten – jede von ihnen verfügt über spezifische Verpflichtungen und Verbindlichkeiten. Es finden sich aber auch allgemeinere Belege dafür, dass an der Herausbildung von ,Kulturerbe‘ immer mehrere Parteien beteiligt sind und dass dies bei der Neudefinition ethischer Richtlinien berücksichtigt werden muss. So wird beispielsweise in der letzten Fassung der „Ethischen Richtlinien für Museen“ (2006) vom Internationalen Museumsrat ICOM der Einfluss unterschiedlicher Stimmen auf die Wirkungsfelder und Belange von Museen anerkannt. Das Konzept des Museums als Kontaktzone lässt sich nur schwer mit dem bis vor Kurzem von Museumsfachleuten dominierten professionellen Diskurs vereinbaren. Diese nahmen das natürliche und ausschließliche Recht für sich in Anspruch, ein „objektiviertes, informiertes und nachvollziehbares Urteil über die Bedeutung des Kulturerbes“ abzugeben (Schouten 2010: 36). Dabei wurde das Kulturerbe häufig ausschließlich als materielles Gut gedacht. Nach Ansicht von Laurajane Smith ist aber jedes Kulturgut im Prinzip immateriell (Smith 2007: 4), denn Kulturerbe definiert sie als „einen kulturellen Prozess oder eine kulturelle Leistung, die sich mit der Erzeugung und Vermarktung einer kulturellen Identität, eines individuellen oder kollektiven Gedächtnisses oder sozialer und kultureller Werte befasst“ (Smith 2007: 2). Smiths Definition schließt an die Versuche an, das Konzept des Kulturerbes vom herkömmlichen Heritage Discourse (Kreps 2003) zu ,befreien‘ und stattdessen im Lichte eines New Heritage Discourse zu sehen, in dem Mitgestaltung, Mitverwaltung und Mitbestimmung propagiert werden und der auch der Tatsache Rechnung trägt, dass im Musealisierungsprozess verschiedene Beteiligte eine Rolle spielen, die jeweils einen Einfluss auf die Schaffung von kulturellem Erbe haben.7 Museumsfachleute sind zunehmend bereit, Gemeinschaften in die Erstellung und Deutung der Museumssammlungen einzubinden. Der Schlüsselbegriff dabei heißt Community. Bei der ICOM-Generalkonferenz 2010 in Shanghai hielt Bernice Murphy, Vorsitzende des ICOM-Ethikausschusses, im Rahmen der von den Nationalkomitees Niederlande, China und Südafrika organisierten Diskussionsrunde „Teilen oder nicht teilen?“ – in Anlehnung an eine entsprechende Diskussion im „International Journal of Heritage Studies“ (Waterton / Smith 2010) – ein Plädoyer für die Dekonstruktion des Begriffs Community bzw. Gemeinschaft. In den derzeitigen ethischen Richtlinien von ICOM (2006) wird bereits implizit zwischen Constituent Communities und Source Communities differenziert. Nach Ansicht von Bernice Murphy sollte dieser Unterschied in der nächsten Fassung der Richtlinien explizit zum Ausdruck gebracht werden. Insbesondere Stadtmuseen werden mit einem breit gefächerten Kreis von Gemeinschaften und Interessengruppen konfrontiert. Manche Gemeinschaften meinen, keinen vollständigen Zugang zum Museum zu haben, nicht vertreten zu sein oder nicht beteiligt zu werden. Im Bereich der Muse6 | Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wurden alle Zitate übersetzt. 7 | Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Eva Sturm zur Musealisierung (Sturm 1991).
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umsethik dominiert derzeit die Tendenz, vorwiegend Source Communities in die Museumsarbeit einzubeziehen. Bernice Murphy zufolge sollte jedoch in einem nächsten wichtigen Schritt der Wandel von Source Communities zu Constituent Communities vollzogen und von den Museen umgesetzt werden. Museen bilden zunehmend Netzwerke, die aus User-Gemeinschaften bestehen. Jedes Museum interagiert – ob es will oder nicht – mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gemeinschaften. Dieser Trend von den Source zu den Constituent Communities soll nachfolgend anhand von zwei Fallstudien aus den Niederlanden näher ausgeführt werden. Bei den Fallstudien handelt es sich um ein Projekt des Amsterdam Museum, „Geheugen van Oost“ (Das Gedächtnis von Amsterdam-Ost), sowie um das Projekt „Thuis in Zoetermeer“ (Zu Hause in Zoetermeer), das im dortigen Stadtmuseum durchgeführt wurde.
Fallstudie 1: Amsterdam Museum Das Amsterdam Museum ist eines der ersten Museen in den Niederlanden, das Partizipationsprojekte umsetzte. Seit ungefähr 20 Jahren ist das Stadtmuseum mit und in seiner städtischen Umgebung tätig. Bereits in den 1990er-Jahren initiierte es verschiedene Projekte, darunter: „Anatolien in Amsterdam daki Anadolu“ (es wurde in Kooperation mit türkischen Einwohnern Amsterdams realisiert) sowie „Ich habe eine Tante in Marokko – Leben in zwei Kulturen“ (das gemeinsam mit marokkanischen Einwohnern umgesetzt wurde). Das in den Niederlanden bekannteste Projekt einer solchen ,Selbstdokumentation‘ ist aber zweifelsohne die Website von „Das Gedächtnis von Amsterdam-Ost“.8 Dieses Projekt ist ein herausragendes Beispiel dafür, welche Bedeutungserweiterung der Begriff Community durch Museumsarbeit erfahren kann und wie Mitglieder unterschiedlicher Ursprungsgemeinschaften Teil der an einem Museum mitwirkenden Gemeinschaft werden können. Die Website wurde 2003 durch das Amsterdam Museum als Teil eines Ausstellungsprojekts ins Leben gerufen und ist bis heute ein Ort lebendiger Interaktion. „Gedächtnis von Amsterdam-Ost“ ist eines der zahlreichen Projekte, die im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts den Menschen die Gelegenheit geben wollten, ihre Geschichten miteinander zu teilen, und ihnen dazu eine Plattform für Meinungsbeiträge zur Verfügung stellten. Die Website ist eine virtuelle Sammlung von Gegenständen und Geschichten, die von den Einwohnern von Amsterdam-Ost – einem Stadtviertel mit einer sehr heterogenen Einwohnerschaft, die zudem mit sozioökonomischen Problemen zu kämpfen hat – zusammengetragen wurden. Beim „Gedächtnis von Amsterdam-Ost“ wurde nicht eine bestimmte Ursprungsgemeinschaft, sondern ein ganzes Stadtviertel von Amsterdam zur Beteiligung und Meinungsäußerung eingeladen. Über das Projekt wurde ein starkes Bindeglied zwischen einem Ort und der dort lebenden Gemeinschaft geschaffen. Die lokale Dimension des neuen museologischen Ansatzes bei diesem Projekt lässt sich am besten mit der Erscheinungsform eines Écomuseums vergleichen.9 Zwar hatten 8 | Vgl. http://www.geheugenvanoost.nl [letzter Zugriff 25.11.2011]. 9 | Vgl. den Beitrag von Nina Gorgus in diesem Band.
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die Mitwirkenden bzw. Ko-Kuratoren zunächst nicht die vollständige Kontrolle über die Website – gelegentlich intervenierte das Kuratorium noch, indem es Mitwirkende einlud, ihre Beiträge sammelte, auswählte und gestaltete –, seit Anfang 2010 existiert die Website jedoch unabhängig vom Museum, sodass die Mitwirkenden nunmehr einen direkten Zugriff auf ihre eigenen Beiträge haben. Obwohl die Website mittlerweile eigenständig verwaltet wird und vom Museum losgelöst ist, lässt sich festhalten, dass die Ko-Kuratoren zu einer das Museum mittragenden Gemeinschaft geworden sind. Durch das langjährige Projekt „Gedächtnis von Amsterdam-Ost“ konnte das Museum dauerhafte Beziehungen zu Vertretern unterschiedlicher Ursprungsgemeinschaften aufbauen. Viele der freiwilligen Projektteilnehmer sind auch an nachfolgenden partizipativen Projekten des Museums beteiligt (gewesen) und fungieren somit als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Ursprungsgemeinschaften und dem Museum. Solche langjährigen und dauerhaften Beziehungen setzen jedoch eine enge Verbundenheit des Museums mit der mittragenden Gemeinschaft voraus. Dazu sollte Partizipation als integriertes und internalisiertes Paradigma im Selbstverständnis des Museums verankert sein. Partizipative Arbeit, die lediglich auf Projektbasis und Drittmittelverwaltung ausgerichtet ist, entbehrt der dauerhaften Grundlage, die für den Erfolg von partizipativen Projekten entscheidend ist.
Fallstudie 2: Stadtmuseum Zoetermeer Ein weiteres, aktuelleres Beispiel für partizipative Museumsarbeit in den Niederlanden ist das Projekt „Give & Take“ des Stadtmuseums Zoetermeer (2009). Bei diesem Projekt wurden die Einwohner der niederländischen Gemeinde gebeten, einen Gegenstand zu spenden, der für sie das Gefühl „zu Hause in Zoetermeer“ symbolisierte. In dem Folgeprojekt „Zoetermeers Wunderkammer“ organisierte das Museum eine Reihe von Workshops, in denen museale Abläufe und Verfahren mit Unterstützung von Museumsfachleuten, Künstlern und Philosophen diskutiert und dekonstruiert wurden (Van der Ploeg 2009). Das Museum wurde somit zum Mittelpunkt eines Bürgerdialogs (Meijer 2009: 135), bei dem grundlegende Themen wie Identität und Kulturerbe sowie Probleme der Aneignung und Manipulation erörtert wurden. Indem das Museum den Bürgern eine Rolle bei der Dokumentation, Registrierung und Aufbewahrung von Objekten einräumte, vermittelte es ihnen ein Gefühl von geteilter Verantwortung für das Heritage Making, museale Prozesse wurden transparent gemacht. Zur Beschreibung dieser Transparenz kann Erving Goffmans bekanntes Modell der sozialen Interaktion herangezogen werden. Demnach gibt es – ähnlich wie bei Theateraufführungen – eine Vorderbühne, wo die ,Darsteller‘ direkt vor den Zuschauern auftreten, und eine Hinterbühne, wo die ,Darsteller‘ sich unverstellt geben können (Goffman 1990). Das Projekt in Zoetermeer war insofern bedeutend, als dass Partizipation und Transparenz nicht auf die Vorderbühne beschränkt waren, sondern sich auch auf die – den Museumsfachleuten bislang als Refugium dienende – Hinterbühne erstreckten. Konnte das Museum durch dieses Projekt mehr Constituent Communities gewinnen? Bei dem Projekt „Give & Take“ konnten die Einwohner Zoetermeers im Museum
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Gegenstände im Tausch gegen eine Flasche Champagner oder ,Designer-Wasser‘ abgeben. Es sollte sich dabei um einen Gegenstand handeln, der dem Motto „zu Hause in Zoetermeer“ entsprach. Doch wie breit angelegt und einladend war das Motto dieser Eintausch-Ausstellung wirklich? So lobenswert diese Initiative des partizipativen Sammelns auch war, es bleibt die frustrierende Feststellung, dass sich unter den 86 Einwohnern, die auf den Aufruf reagierten, nur ein einziger Einwohner mit einem fremden kulturellen Hintergrund befand. Die Niederlande haben sich seit den 1960er-Jahren zu einem kulturell vielfältigen Land entwickelt. Im gleichen Zeitraum war Zoetermeer eine der am schnellsten wachsenden Städte in Europa. Zoetermeer kann somit als Musterbeispiel für eine moderne, kulturell vielschichtige Stadt angesehen werden. Dementsprechend hätte die Sammlung des Stadtmuseums diese Diversität widerspiegeln müssen, zumal sich das Museum verstärkt als reflexive städtische Plattform – im Dialog mit seinem Umfeld – definieren möchte. Trotz der aus museologischer Sicht höchst interessanten Eintauschaktion „Give & Take“ ist es also nicht gelungen, die heutigen demografischen Strukturen repräsentativ abzubilden. Zum Glück hat das Museum nicht versucht, das Ganze im Sinne einer „political correctness“ zu steuern. Insofern ist dieser einzelne Beitrag eines Menschen mit einem fremden kulturellen Hintergrund einfach als das anzusehen, was er ist: kein haarsträubendes oder künstlich motiviertes Beispiel für Partizipation, sondern ein glaubwürdiger Beitrag eines Gemeinschaftsmitglieds. Aber warum bleibt es so schwierig, bestimmte Gruppen ins Museum zu holen? Sind wir als Museumsfachleute doch noch zu sehr der überholten Klassentheorie von Bourdieu verhaftet (Bourdieu 1984)? Interessanterweise haben Studien ergeben, dass ein hohes Ausbildungsniveau, beispielsweise bei Marokkanern, nicht automatisch zu mehr Museumsbesuchen führt (Van den Broek / de Haan / Huysmans 2009: 129). Woran liegt es dann? Das Motto „zu Hause in Zoetermeer“ rief – höchstwahrscheinlich von den Initiatoren ungewollt – die Assoziation hervor „irgendwo dazuzugehören“. Aber wann gehört man irgendwo dazu? Wird das durch die Geburt bestimmt oder durch die Herkunft der Eltern? Angesichts der Art der gespendeten Objekte liegt dieser Gedanke nahe. Viele der Objekte repräsentierten für die Spender ihre Kindheit im alten Dorf Zoetermeer oder das Handwerk, das die Eltern ausgeübt hatten. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang war die Tatsache, dass die Spender diese Vergangenheit, trotz der damals vorhandenen Entbehrungen und Armut, stark idealisierten. Mit „zu Hause in Zoetermeer“ wurde vielfach auch der Pioniergeist der 1960er-Jahre heraufbeschworen. Zuhause bedeutete für viele: neu sein in einer neuen Stadt und etwas aufbauen – möglicherweise weil dieser Aufbau am Anfang ihres eigenen Lebens stand und somit eine gemeinsame, geteilte Unternehmung war. „Zu Hause in Zoetermeer“ sagt daher viel über das kollektive Gedächtnis einer ersten Generation neuer Einwohner aus. Auffällig ist auch, dass die betreffenden Objekte romantisch verklärt wurden. Es stellt sich somit die Frage, ob Gegenstände, die mit einem negativen oder traurigen Erlebnis verbunden sind, durch unreguliertes partizipatives Sammeln überhaupt ins Museum gelangen. Angesichts der mangelnden Beiträge von Menschen mit einem fremden kulturellen Hintergrund ist davon auszugehen, dass der gewählte Ausgangspunkt – „zu
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Hause sein in Zoetermeer“ – für die betreffenden Gruppen keine Bedeutung zu haben scheint. So stellte sich beispielsweise heraus, dass eine Einwohnerin von Zoetermeer mit ,Migrationshintergrund‘ sich mehr angesprochen gefühlt hätte, wenn das Projekt einen anderen Titel gehabt hätte. Sie fühlt sich zwar als Einwohnerin von Zoetermeer, am meisten fühlt sie sich jedoch in Surinam zu Hause. Mehr Sensibilität für Personen, die jetzt in Zoetermeer ,zu Hause‘ sind, sich aber auch in Fez, Bosnien oder Kabul ,zu Hause fühlen‘, hätte möglicherweise dazu geführt, dass mehr, aber vor allem auch andere Gegenstände in das Museum gebracht worden wären. Darf man sich an mehreren Orten zu Hause fühlen? Oder hat man letztendlich doch nur ein Zuhause? In einer weitgehend globalisierten Welt haben Museen die Aufgabe, das gegenseitige Verhältnis zwischen Erinnerung, Ort, Identität und Kulturerbe neu zu reflektieren, um der heutigen pluriformen Gesellschaft gerecht zu werden. Ein anderer Grund, weshalb sich die Einwohner mit Migrationshintergrund möglicherweise nicht sonderlich angesprochen fühlten, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass das Museum zu sehr von einer westlichen Vorstellung von Museen und Objekten ausgegangen ist. Indem die Einwohner gefragt wurden, ob sie Objekte hätten, die etwas über ihre Bindung zur Stadt aussagten, wurden immaterielle Objekte ausgeschlossen. Denn wie soll man sich verhalten, wenn man aus einer Kultur kommt, in der Erinnerung und Identität in erster Linie immateriell übertragen werden, beispielsweise durch Geschichten, Lieder oder bestimmte Rituale – und weniger durch Objekte? Museen sollten sich viel mehr der Tatsache bewusst sein, dass sie immer noch auf der Basis westlicher Traditionen agieren. Die Dominanz des westlichen Weltbilds und seiner kulturellen Repräsentation ist seit den 1960er-Jahren innerhalb der Kulturwissenschaften vielfach hinterfragt worden und gilt nunmehr als überholt. Auch die bereits erwähnte Neue Museologie hat sich der postmodernen, postkolonialen und dekonstruktivistischen Bewegung verschrieben. Doch trotz besseren Wissens und trotz aller guten Absichten hinkt die Museumspraxis diesen neuen Ansichten häufig noch hinterher.
Die Macht der Masse Crowdsourcing ist ein relativ neuer Begriff, der 2006 von Jeff Howe eingeführt wurde. 2008 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel: „Crowdsourcing. How the power of the crowd is driving the future of business“. Howe bezeichnet Crowdsourcing als die „Auslagerung einer traditionell von einem bestimmten Beauftragten (in der Regel einem Arbeitnehmer) erbrachten Tätigkeit auf eine undefinierte, meistens größere Gruppe von Personen mittels eines offenen Aufrufs“ (Howe 2009: Klappentext). Statt also die Kenntnisse eines einzelnen Fachmanns heranzuziehen, wird das Wissen der Masse genutzt, in der Annahme, dass sich in ihr ein unbekannter, fachkundigerer Experte befindet oder die Anhäufung von fragmentierten Kenntnissen vieler Experten zu neuen Einsichten führen kann. Es gibt deutliche Parallelen zwischen Howes Konzept des Crowdsourcing und James Surowieckis Buch „The wisdom of crowds. Why the many are smarter than the few“ (2004). Beide Autoren verweisen auf die Bedeutung des In-
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ternets. Mit dem von Tim O’Reilly (2004) eingeführten Konzept des Web 2.0 wird auf das Potential des World Wide Web aufmerksam gemacht, von Usern generierte Inhalte zu akkumulieren. Ein gutes Beispiel dafür, wie das Wissen der Masse organisiert werden kann, ist Wikipedia. Interessanterweise sind auf der englischsprachigen Website von Wikipedia unter dem Stichwort Crowdsourcing Kustoden des British Museum abgebildet. Der Bildunterschrift ist zu entnehmen, dass Kustoden zusammen mit ,Wikipedianern‘ ein gemeinsames Lemma für Wikipedia erstellen. Unter dem Stichwort Crowdsourcing verweist Wikipedia, das ja selbst durch Crowdsourcing zustande gekommen ist, in einer Art Metareflexion auf sich selbst. Die Abbildung suggeriert, dass Crowdsourcing vorwiegend von und mit Experten erfolgt: Kustoden sind schließlich nicht irgendwelche Leute von der Straße, sondern stehen für Fachwissen und Professionalität. Crowdsourcing beruht jedoch auf einer anderen Auffassung von Expertise. Das klassische Fachwissen von ausgewiesenen Experten wird durch die in der Gesellschaft latent vorhandenen Kenntnisse ersetzt bzw. ergänzt. Die Schlüsselworte in Howes Umschreibung sind „undefiniert“ und „offener Aufruf “. Die „crowd“ besteht nicht aus vorab definierten Communitys oder Zielgruppen, wie dies traditionellerweise bei Museen der Fall ist: Museen bestimmen häufig die für ein Projekt relevanten Zielgruppen bereits vor Projektbeginn. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit handelt und sie dann gezielt Vertreter der betreffenden Gemeinschaften auswählen. Dieses Auswahlverfahren ist jedoch nicht frei von (vielfach unbewussten) Stereotypisierungen. Waterton und Smith haben nachgewiesen, dass im Bereich des Kulturerbes eine bestimmte Auslegung des Begriffs Community vorherrscht, die übersieht, dass eine solche Repräsentation vermeintlicher Realitäten starke Auswirkungen auf jede sich neu herausbildende Gruppe haben kann (Waterton / Smith 2010: 9). Sie kommen zu dem Schluss, dass „reale Lebensgemeinschaften nicht anerkannt werden und sich darüber hinaus im Prozess der Entwicklung des kulturellen Erbes falsche Darstellungen ihrer Identität institutionalisiert haben“ (Waterton / Smith 2010: 12). Crowdsourcing geht von einem offenen Aufruf aus, der dazu führt, dass Interessengemeinschaften sich selbstständig bilden. Bei den oben beschriebenen Projekten haben sowohl das Amsterdam Museum als auch das Stadtmuseum Zoetermeer versucht, einen offenen Aufruf als Ausgangspunkt zu nehmen, wobei beide Museen darauf verzichtet haben, eine im Vorfeld explizit definierte Gemeinschaft auszuwählen. Angesichts der Ergebnisse bleibt jedoch festzuhalten, dass diese Praxis eher an die traditionelle Vorgehensweise anknüpfte, weil die Formulierung des Aufrufs de facto selektierend wirkte. Dennoch können die genannten Projekte als richtungweisend für eine dauerhafte Entwicklung des Museums zur Agora, d. h. zu einem Ort, der einen freien Gedanken- und Erfahrungsaustausch ermöglicht, betrachtet werden. Die Stärke des Projekts „Gedächtnis von Amsterdam-Ost“ lag in dem thematischen Schwerpunkt (Nachbarschaft) und der aktiven Beteiligung einer wachsenden Gruppe von Einwohnern. Diese Einwohner waren nicht länger lediglich eine Source Community, sondern wuchsen auf der Grundlage des Web-2.0-Modells zu einer Constituent Community heran. Die Stär-
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ke des Zoetermeerer Projekts lag in seiner Transparenz und damit auch Verwundbarkeit. Das Museum machte seine Arbeitsweise zum Thema eines Partizipationsprojekts, wodurch die Beteiligten (potentiell) die Gelegenheit bekamen, sich von reinen Zulieferern von Informationen zu Mitdenkern über die Sinngebung im musealen Prozess zu entwickeln.
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Das partizipative Museum 1 Nina Simon
Warum Partizipation? Ende 2009 veröffentlichte die Bundeskulturstiftung der USA („National Endowment for the Arts“) einen ernüchternden Bericht über die Publikumsentwicklung in amerikanischen Kulturinstitutionen. Die Autoren nahmen dabei kein Blatt vor den Mund. Sie schrieben im Vorwort: „Die Ergebnisse der 2008 durchgeführten Studie sind – schon auf den ersten Blick – enttäuschend.“ 2 Im Laufe der letzten 20 Jahre haben in den USA die Besucherzahlen in Museen, Galerien und anderen Ausstellungsinstitutionen abgenommen, und das verbliebene Publikum ist älter und ‚weißer‘ als die durchschnittliche Bevölkerung. Die betroffenen Institutionen behaupten zwar, dass ihr Angebot einen einmaligen kulturellen und gesellschaftlichen Wert habe – immer mehr Menschen haben sich jedoch anderen Formen der Unterhaltung, der Weiterbildung und des Dialogs zugewandt. Sie teilen ihre Kunst, Musik und Erfahrungen über das Internet. Sie engagieren sich politisch und arbeiten mehr als je zuvor ehrenamtlich. Sie lesen sogar mehr. Aber im Vergleich zu früher besuchen sie weniger Ausstellungen. Wie können Kulturinstitutionen wieder mit dem Publikum in Verbindung treten? Wie können sie ihren Wert und ihre Relevanz für die heutige Gesellschaft deutlich machen? Ich denke, dass sie dies erreichen können, indem sie das Publikum als aktive Teilnehmer an Kultur ansprechen – und nicht als passive Konsumenten betrachten. Je mehr Leute gewohnt sind, Wissen und Erfahrungen auf partizipativem Weg zu erwerben, und Gefallen daran finden, desto weniger möchten sie nur ‚Besucher‘ kultureller Veranstaltungen und Institutionen sein. Soziale Netzwerke haben eine schwindelerregende Anzahl an Mustern und Möglichkeiten hervorgebracht, die Partizipation zugänglicher 1 | Der Text ist eine gekürzte Fassung des ersten und zweiten Kapitels von Nina Simons breit rezipierter Publikation „The Participatory Museum“, Santa Cruz, 2010. 2 | NEA Survey of Public Participation in the Arts Report [PDF], Download unter http://www.participatorymuseum.org/refp-1/ [letzter Zugriff 10.01.2012].
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denn je machen. Dementsprechend erwarten Besucher heute Zugang zu einem breiten Spektrum an Informationsquellen und Perspektiven. Sie erwarten die Möglichkeit, reagieren zu können und ernst genommen zu werden. Sie wollen mitreden, teilnehmen und das, was sie konsumiert haben, neu zusammenstellen. Wenn Menschen aktiv an Kulturinstitutionen teilhaben können, dann werden diese Institutionen zu zentralen Orten des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Eine partizipative Kulturinstitution definiere ich als einen Ort, an dem Besucher Inhalte miteinander schaffen, teilen und sich darüber miteinander vernetzen können. Mit ‚Schaffen‘ meine ich, dass Besucher ihre eigenen Ideen, Objekte und kreativen Äußerungen einbringen können. ‚Teilen‘ bedeutet, dass die Leute das, was sie während ihres Besuchs sehen und machen, auch diskutieren, neu definieren, anderen zugänglich machen oder mit nach Hause nehmen können. ‚Sich vernetzen‘ bedeutet, dass Besucher mit anderen Menschen, die ihre besonderen Interessen teilen (Mitarbeiter wie Besucher), in Kontakt treten können. ‚Inhalte‘ bedeutet, dass sich die Diskussionen der Besucher und die von ihnen erstellten ‚Werke‘ auf die Aussagen, Objekte oder Ideen beziehen, die für die Institution von größter Bedeutung sind. Das Ziel partizipativer Verfahren besteht einerseits darin, die Erwartungen der Besucher an aktive Teilhabe zu berücksichtigen. Andererseits geht es darum, durch sie auch die Ziele und zentralen Werte einer Institution zu befördern. Statt jedem Besucher die gleichen Inhalte zu präsentieren, sammeln und teilen partizipative Institutionen mit ihrem Publikum vielfältige, individualisierte und sich ständig ändernde Inhalte. In solchen Institutionen wird der Besucher aufgefordert, auf kulturelle Artefakte, wissenschaftliche Befunde und Laienmeinungen zu reagieren und Eigenes beizutragen. Menschen nutzen diese Institutionen als Treffpunkte für einen themenspezifischen Austausch. Eine partizipatorische Institution ist nicht ‚über‘ etwas oder ‚für‘ jemanden, sondern sie wird ‚mit‘ den Besuchern gestaltet und betrieben.
Grundsätze der Partizipation Wenn es darum geht, den partizipativen Ansatz in konkrete Angebote zu übersetzen, bei denen Besucher Inhalte schaffen, teilen und sich vernetzen sollen, dann ist ihre Gestaltung entscheidend. Der Hauptunterschied zwischen traditionellen und partizipativen Gestaltungstechniken liegt in der Art, wie Informationen zwischen der Institution und den Nutzern fließen. In traditionellen Ausstellungen und Veranstaltungen werden den Besuchern Inhalte geboten, die sie konsumieren sollen. In diesem Fall konzentrieren sich die Gestalter darauf, solide Inhalte von hoher Qualität zu schaffen, sodass jeder Besucher, unabhängig von seinem Hintergrund oder seinen Interessen, ein positives Ausstellungserlebnis hat. Bei partizipativen Projekten dagegen bietet die Institution mehrdimensionale Erfahrungen rund um Inhalte. Die Institution dient hier als ‚Plattform‘, die verschiedene Nutzer verbindet, sie in die Rolle von Schaffenden, Vertreibern, Konsumenten, Kritikern und Mitarbeitern schlüpfen lässt. Das bedeutet, dass eine Institution keine einheit-
Das partizipative Museum
lichen Ausstellungserlebnisse mehr garantieren kann. Dafür ermöglicht sie vielfältige, gemeinsam mit dem Publikum erzeugte Erlebnisse. Dies mag chaotisch klingen. Oder aber auch unglaublich aufregend. Entscheidend ist, das ‚Chaos‘ zugunsten von Begeisterung einzudämmen. Erfolgreiche partizipatorische Modelle gestalten ihre Plattformen so, dass die von Laien geschaffenen und mitgeteilten Inhalte nach außen attraktiv vermittelt werden. Hier kommt es zu einer wesentlichen Neuerung: Es gilt nicht nur, Inhalte auf hohem Niveau zu generieren, partizipative Institutionen müssen den Besuchern auch Möglichkeiten bieten, ihre eigenen Inhalte auf sinnvolle und attraktive Art mit anderen zu teilen. Partizipation zu fördern bedeutet, Vertrauen in die Fähigkeiten der Besucher zu haben – Inhalte zu gestalten, zu interpretieren und sie Dritten zugänglich zu machen. Es bedeutet außerdem, offen dafür zu sein, dass sich ein Projekt nach der Eröffnung möglicherweise verändert, dass es wächst – auch über die ursprünglichen Absichten der Institution hinaus. Partizipative Projekte machen die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern einer Institution, den Besuchern, der Gemeinschaft der Teilnehmer und anderen Interessengruppen durchlässiger und gleichberechtigter. Sie eröffnen unterschiedlichen Menschen neue Wege, sich auszudrücken und an institutionellen Praktiken teilzunehmen.
Partizipation fassbar machen Die meisten Institutionen ziehen es vor, mit Partizipation hinter geschlossenen Türen zu experimentieren. Kulturelle Institutionen entwickeln seit jeher Projekte in Zusammenarbeit mit Zielgruppen. Einige entwickeln Ausstellungen mit Mitgliedern bestimmter Gemeinschaften – entweder um ethnische Gruppen und ihre spezifischen Erfahrungen zu repräsentieren oder um Kunstwerke von Laien zu präsentieren. Solche partizipativen Projekte werden oft durch die ausrichtenden Institutionen vordefiniert, sie sind zeitlich begrenzt und lassen nur eine kleine Anzahl Teilnehmer zu. Die Entwicklung sozialer Netzwerke in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts führte dazu, dass sich ‚Partizipation‘ von etwas Begrenztem und Sporadischem in eine Aktivität verwandelte, die jederzeit, überall und für jeden zugänglich wurde. Einige Kulturinstitutionen, genauso wie manche Musikproduzenten und Fernsehanstalten, haben daraufhin ihre Inhalte für die Öffentlichkeit gesperrt, sodass niemand darauf zurückgreifen konnte. Mit der Zeit aber haben immer mehr Institutionen ihre Inhalte zugänglich gemacht und die Besucher bzw. Konsumenten dazu eingeladen, Inhalte zu teilen, neu zu schaffen und sich auszutauschen. Vor allem kulturelle Institutionen, die sich dazu verpflichtet haben, ihre Sammlungen zum öffentlichen Wohl zu nutzen, erhoben die Digitalisierung der Bestände und eine Zugänglichkeit der Inhalte zur ersten Priorität. Doch Besucher über das Internet teilnehmen zu lassen, ist nur ein Anfang. Kulturinstitutionen haben unendlich viele Möglichkeiten, sich von anderen Angeboten zu unterscheiden, indem sie Partizipation im physischen Raum – in Museen, Bibliotheken oder Kulturzentren – befördern. Diese Institutionen haben etwas, das nur wenige
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webbasierte Unternehmen bieten können: reale Orte, authentische Objekte und erfahrene, in der realen Welt arbeitende Gestalter. Kombiniert man diese professionellen Möglichkeiten der Gestaltung mit den aus dem Netz hervorsprudelnden partizipativen Ansätzen, dann können Kulturinstitutionen zu führenden partizipatorischen Orten in unseren Städten, Gemeinden und Quartieren werden. Um den partizipativen Ansatz in konkrete Projekte zu übersetzen, müssen Mitarbeiter einer Institution Erlebnisse gestalten, die zu einer fortlaufenden und nachhaltigen Besucher-Teilnahme einladen. Die Zusammenarbeit mit traditionell in partizipative Projekte involvierten Gruppierungen wie Community-Beiräten oder mit bestimmten vordefinierten Zielgruppen ist wichtig, diese Formen der Partizipation sind allerdings begrenzt. Partizipation ist dann am wirkungsvollsten, wenn Gestalter ihre gemeinschaftlichen Angebote für alle interessierten Besucher öffnen. Das heißt jedem einzelnen Besucher eine angemessene Möglichkeit anzubieten, seine Inhalte einzubringen, das, was ihn interessiert, zu teilen, sich mit anderen Menschen auszutauschen und als engagierter Teilnehmer anerkannt zu werden. Viele Museumsfachleute behaupten, es gibt Besuchergruppen, auf die der partizipative Ansatz eher abschreckend wirkt. Das mag richtig sein – aber auch das Gegenteil ist richtig. Es gibt viele Menschen, die häufig und mit großer Selbstverständlichkeit soziale Netzwerke nutzen, um sich mit Freunden, Freizeitkollegen und potentiellen Partnern zu vernetzen. Manche bevorzugen soziale und kreative Freizeitbeschäftigungen, meiden aber Museen, weil sie diese als unsozial, undynamisch und nicht partizipativ wahrnehmen. Genauso wie interaktive Ausstellungselemente in Museen eingeführt wurden, um den angeblichen Lernbedürfnissen und dem Wunsch nach aktivem Handeln eines jungen Publikums gerecht zu werden, können partizipative Elemente ein Publikum anziehen, für das kreative Tätigkeiten und soziale Interaktion eine Voraussetzung für kulturelles Engagement sind. In ihrem 1992 veröffentlichten Essay „The Importance of ‚And‘“ thematisiert Elaine Heumann Gurian die Notwendigkeit für Museen, vielen verschiedenen und potentiell widersprüchlichen Zielen gerecht zu werden: so etwa der Forschung, der Bildung, der Integration oder dem Umweltschutz (Heuman-Gurian 2006: 14 – 18). Partizipative Techniken sind ein weiteres ‚Und‘ im Werkzeugkasten der Museumsfachleute. Es handelt sich dabei um Techniken, die genutzt werden können, um die jeweiligen Institutionen zu relevanten, mehrstimmigen, dynamischen und für alle zugänglichen öffentlichen Räumen zu machen. Nehmen wir nochmals den Vergleich mit interaktiven Ausstellungen. Interaktive Elemente sind zusätzliche Mittel, die traditionelle didaktische Präsentationsformen ergänzen. Die Einführung interaktiver Ausstellungselemente bedeutet nicht, dass eine Institution von Grund auf neu definiert werden muss. In den meisten Museen sind interaktive Ausstellungselemente bloß eine von mehreren eingesetzten Vermittlungsformen. Ich denke, dass viele Museen in den kommenden 20 Jahren partizipative Ansätze übernehmen werden – als eine von vielen Formen, den Besucher anzusprechen. Vielleicht wird es einige Institutionen geben, die ganz auf den partizipativen Ansatz setzen und ihre ganze Unternehmenskultur und inhaltliche Aus-
Das partizipative Museum
richtung daran orientieren werden.3 Für die meisten Institutionen jedoch wird der partizipative Ansatz bloß eine von vielen Möglichkeiten darstellen – eine Möglichkeit, die den Besuch der Institution mehr und mehr zu einer sozialen Erfahrung machen wird. Die Einführung partizipativer Ansätze erfordert eine veränderte Sicht auf Autorität und Besucher, doch diese Veränderungen hängen ganz von dem Stellenwert ab, den eine Institution dem partizipativen Ansatz zukommen lässt. Welche Rolle die Partizipation auch immer in einer Institution spielen wird, partizipative Elemente müssen sorgfältig gestaltet sein, um sinnvoll zu sein. Schlecht gestaltete partizipative Angebote tragen kaum etwas zu einer erhöhten Erlebnisqualität bei. Ein gutes partizipatives Projekt bietet sowohl der ausrichtenden Institution als auch den Teilnehmenden und dem nicht aktiv teilnehmenden Publikum einen Nutzen. Wenn eine Institution wirklich neue Werte bieten will, dann werden Projekte entstehen, die tatsächlich etwas bewirken – in der Institution und beim Publikum – und nicht einfach nur lächerlich sind.
Wie sieht Partizipation aus? Viele Museumsfachleute konzentrieren sich nur auf eine Art der Partizipation: benutzererzeugte Inhalte (User Generated Content). Doch diejenigen, die originäre Inhalte schöpfen, repräsentieren nur einen kleinen Teil des partizipativen Feldes – das auch Menschen umfasst, die solche Inhalte konsumieren, kommentieren, gliedern und bewerten, neu zusammenstellen und anderen Konsumenten zugänglich machen. Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research hat 2008 in der von ihm herausgegebenen Publikation „Groundswell: Winning in a World Transformed by Social Technologies“ (Bernoff / Li 2008) eine Typologie erarbeitet, die veranschaulicht, wie verschiedene Zielgruppen die sozialen Netzwerke nutzen. Die Marktforscher haben das Onlinepublikum in sechs verschiedene, an ihrem Aktivitätsgrad orientierte Kategorien eingeteilt:4 1. Schöpfer und Urheber (24%), die Inhalte schaffen, Videos hochladen und bloggen, 2. Kritiker (37%), die Rezensionen veröffentlichen, Inhalte bewerten und Kommentare auf Social Media Sites hinterlassen, 3. Sammler (21%), die Verbindungen herstellen und gliedern sowie Inhalte für den eigenen oder den öffentlichen Gebrauch zusammentragen, 4. Mitglieder (51%), die ein Konto auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder LinkedIn unterhalten, 3 | Ein Beispiel für eine vollumfänglich partizipatorische Institution ist das Wing Luke Asian Museum. 4 | Diese Erhebung wurde im August 2009 in den Vereinigten Staaten unter Erwachsenen (18+) durchgeführt. Für aktuelle Erhebungen für andere Länder, Geschlechter und Altersgruppen vergleiche: http://www.participatorymuseum.org/ref1-5/ [letzter Zugriff 10.01.2012].
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5. Zuschauer (73%), die Blogs lesen, Videos auf YouTube ansehen und Social Media Sites besuchen, 6. Inaktive (18%), die keine Social Media Sites besuchen. Die Prozentwerte ergeben insgesamt mehr als 100%, weil die Kategorien fließend sind und viele Menschen gleichzeitig mehreren Kategorien angehören. Die Prozentwerte ändern sich stetig (und sind je nach Land, Geschlecht und Altersklasse verschieden), doch eine Sache bleibt gleich: Die Schöpfer und Urheber machen nur einen kleinen Teil der sozialen Medienlandschaft aus.
Wer ist an Partizipation beteiligt? Bei partizipativen Projekten geht es nicht nur darum, die Selbstbestimmung der Besucher zu stärken. Jedes partizipative Projekt hat drei hauptsächliche Interessengruppen (Stakeholder): die Institution, die Teilnehmer und das Publikum. Mit Publikum sind einerseits die Besucher einer Institution gemeint, zum anderen kann der Begriff aber auch Personenkreise umfassen, die ein besonderes Interesse an den Projektergebnissen haben, wie Nachbarn oder Geschäfts- und Kooperationspartner der Projektteilnehmer. Damit ein Projekt erfolgreich ist, sollten die Projektmitarbeiter die Interessen all dieser Gruppen klar benennen – und diesen auch gerecht werden können. Aus der Sicht der ausrichtenden Institution bieten partizipative Projekte dann einen Mehrwert, wenn sie den Zielsetzungen der Institution entsprechen. Institutionen engagieren sich nicht in partizipativen Projekten, nur weil diese Spaß machen oder besonders aufregend sind, sondern weil sie den eigenen Zielen dienen. Das ist einfacher gesagt als getan. Viele Museumsfachleute sind eher damit vertraut, den Besuchern Erlebnisse anzubieten, als darüber nachzudenken, wie Besucher einen sinnvollen Beitrag zur Institution leisten können. Wenn ich partizipative Ausstellungselemente entwickle, stelle ich mir immer die Frage: Was können wir damit anfangen? Was können Besucher beitragen, was die Mitarbeiter nicht können? Welche Aufgaben können sie übernehmen, die für die gesamte Institution von Bedeutung sind? Wenn die Projektmitarbeiter diese Fragen überzeugend und ohne Zögern beantworten können, dann können partizipative Projekte starke Resultate hervorbringen, von denen sowohl die Institution als auch die Teilnehmer gleichermaßen profitieren.
Was partizipative Projekte Teilnehmern und Publikum bringen Die Ergebnisse partizipativer Projekte können so unterschiedlich sein, wie es die allgemeinen Ziele einer Institution sind, die darin liegen können, neue Besucherschichten anzusprechen, besuchergenerierte Inhalte zu sammeln und zu bewahren oder Besuchern ein lehrreiches Erlebnis zu ermöglichen. Sie können auch reizvolle Marketing-
Das partizipative Museum
kampagnen entwickeln, Ausstellungen von lokaler Bedeutung zeigen oder die Kulturinstitution zu einem urbanen Kommunikationsraum entwickeln. Man sollte klar beschreiben können, welchen Mehrwert ein partizipatives Projekt für die eigene Institution hat, und auch in der Lage sein, diesen Mehrwert mit dem eigenen Leitbild in Verbindung zu bringen. So kann es z. B. für ein Museum sinnvoll sein, viele von Besuchern gesammelte Schneckenhäuser zu erhalten, während der Mehrwert für eine andere Institution darin liegt, ein Forum zu schaffen, in dem die Besucher über Rassismus diskutieren können. Es ist gleichermaßen wichtig, deutlich benennen zu können, welche Spielarten der Partizipation für die eigene Institution nicht von Nutzen sind. Eine Sammlung von Schneckenhäusern kann die eine Institution in Begeisterung versetzen, die andere hingegen sieht darin ein lästiges Ärgernis. Wenn es um den Wert von Partizipation geht, geben sich viele ‚Kulturarbeiter‘ leider mit einer anspruchslosen Begründung zufrieden, die weder der Institution noch den Interessengruppen etwas bringt: „Die Besucher werden Spaß daran haben.“ Das ist kein handfester Nutzen; diese Art der Begründung trivialisiert die Bedeutung partizipativer Projekte. Wenn eine Teilnahme einzig den ‚Spaßfaktor‘ erhöhen soll, dann ist damit weder der Institution noch den Besuchern gedient. Je klarer eine Institution definiert, welche für das Leitbild relevanten Ziele durch partizipative Projekte unterstützt werden sollen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Projekte entstehen, die nicht nur das Bedürfnis der Besucher nach Unterhaltung erfüllen. Geoff Godbey, Professor für Freizeitstudien an der Pennsylvania State University, brachte diesen Umstand im Wall Street Journal folgendermaßen auf den Punkt: „Um wirklich befriedigend zu sein, sollten in der Freizeit genau diejenigen Aspekte zum Tragen kommen, die auch in der Arbeitswelt für Befriedigung sorgen, nämlich: eine Herausforderung zu bieten, die eigenen Fähigkeiten einzubringen, und soziale Kontakte knüpfen zu können“ (Sandberg 2006).5 Partizipative Projekte können diesen Bedürfnissen gerecht werden. Im Vergleich zu konventionellen Museumsprojekten gelingt es ihnen besser, Besuchern die Möglichkeit zu einer sinnvollen Beschäftigung zu bieten. Die Qualität partizipativer Projekte leidet, wenn Besucher das Gefühl haben, dass die Mitarbeiter sich ihnen gegenüber nur gefällig zeigen oder ihre Zeit mit Trivialem vergeuden. Partizipative Formate sollten niemals nur als ‚Abladeplatz‘ für interaktive oder dialogische Elemente gesehen werden. Wenn die Besucher tatsächlich darum gebeten werden, zu ‚arbeiten‘, dann sollte diese Arbeit für die Institution auch tatsächlich relevant sein. Es ist unerheblich, ob Besucher etwas erarbeiten sollen, was die Mitarbeiter eines Museums schneller und präziser bewerkstelligen könnten. Wichtig dabei ist nur, dass das Endprodukt für die Institution dennoch von Nutzen ist. Wenn einem Museum die hergestellten Beiträge von Besuchern egal sind, wieso sollten die Besucher dann überhaupt partizipieren?
5 | Der ganze Artikel von Jared Sandberg 2006, Wall Street Journal: http://www.parti cipatorymuseum.org/ref1-11 [letzter Zugriff 25.11.2011].
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Den Bedürfnissen der Teilnehmer gerecht werden In seinem Buch „Here Comes Everybody“ zählt der Technologie-Experte Clay Shirky drei Merkmale für ein erfolgreiches partizipatives Projekt auf: „[…] ein glaubwürdiges Versprechen, effiziente Arbeitsmittel und eine faire Abmachung zwischen Institution und Teilnehmern“ (Shirky 2008). Die ausrichtende Institution muss zunächst den Teilnehmern eine attraktive Erfahrung versprechen; sie muss dann den Teilnehmern Arbeitsmittel zur Verfügung stellen, die leicht verständlich und einfach in der Handhabung sind. Schließlich sollte die Abmachung zwischen Institution und Partizipierenden – in Bezug auf den Umgang mit geistigem Eigentum, mit Projektergebnissen und auf die Rückmeldungen an die Teilnehmenden – den Erwartungen der Teilnehmer entsprechen. Auch wenn sich das besagte Versprechen, die angewandten Mittel oder die Abmachung im Laufe des Projekts ändern, sollte man in der Lage sein, klar benennen zu können, was man bietet und was man erwartet. Auf diese Weise äußert sich die Achtung einer Institution gegenüber der Zeit und den Fähigkeiten der Teilnehmer. Was das Versprechen angeht, so müssen Museumsmitarbeiter den Teilnehmenden etwas Grundlegendes anbieten können: Selbsterfüllung. Institutionen haben Leitbilder, die klar vorgeben, welche Aktivitäten sie verfolgen sollen. Individuen hingegen haben kein Leitbild, ihr Verhalten wird von einer breiten Palette persönlicher Ziele und Interessen bestimmt. Die Untersuchungen von John Falk zu Museumsbesuchern und Selbsterfüllung zeigen, dass Besucher ihre Aktivitäten danach aussuchen und bewerten, inwieweit sie ihnen die Gelegenheit zur Reflexion und Stärkung ihrer Selbstwahrnehmung bieten (Falk 2009). Wer sich selbst als kreativ wahrnimmt, den wird die Möglichkeit befriedigen, mit einem Selbstporträt in einer gruppengenerierten Ausstellung vertreten zu sein. Wer glaubt, etwas Spannendes zu erzählen zu haben, dem wird die Möglichkeit gefallen, eigene, mit dem Ausstellungsinhalt verbundene Erinnerungen aufzuzeichnen. Diejenigen, die sich als hilfsbereit bezeichnen, werden in Aufgaben Erfüllung finden, die klar zur Erreichung eines übergeordneten Ziels beitragen. Bloß eine Performance zu betrachten oder passiv durch eine Ausstellung zu wandeln, verschafft Menschen nicht eine vergleichbar aktive, soziale Bereicherung. Zu selten fordern die Museen vor allem erwachsene Besucher mit Aufgaben heraus, die sie ermutigt, ihre kreativen, physischen oder kognitiven Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nur vier Sachen braucht der Mensch, um glücklich zu sein, behauptet die Spielforscherin Jane McGonigal: „eine befriedigende Arbeit; das Gefühl, etwas gut zu können; Zeit, die man mit angenehmen Leuten verbringt, und die Möglichkeit, Teil von etwas Größerem zu sein“ 6. Menschen besuchen Museen in Gruppen häufig deshalb, um mit Gleichgesinnten ihre Zeit sinnvoll zu verbringen. Die Möglichkeit, selbst Inhalte zu schöpfen, stellt für Besucher eine befriedigende Tätigkeit dar und bietet ihnen die Möglichkeit, sich ihrer Fähigkeiten bewusst zu werden. Zusammengenommen kann 6 | McGonigal hat diese Liste in einer Vorlesung zum kulturellen Kontext im Dezember 2008 überliefert: „Gaming the Future of Museums“. Siehe Slide 22 in folgender Präsentation unter http://www.participatorymuseum.org/ref/1-15/ [letzter Zugriff 10.01.2012].
Das partizipative Museum
ein Museum mit der Einladung zur Partizipation allen vier Voraussetzungen für ein glückliches Dasein gerecht werden. Möglichen Teilnehmern von Partizipationsangeboten soll man deutlich darlegen, ob bzw. auf welche Weise ihre Teilnahme der Erfüllung eigener Bedürfnisse dient und wie sie gleichzeitig einen Beitrag zu einem wertvollen Projekt leisten. Aktivitäten anzubieten, die ‚einfach Spaß machen‘, entwertet das Leitbild der Partizipation und verringert bei Besuchern das Verständnis dafür, wie sie einen aufregenden und bedeutenden Beitrag für das große Ganze leisten können. Hängt der Erfolg eines Projekts tatsächlich von den Teilnehmern ab – ob es sich um ein Forschungsprojekt, das die Mitarbeit Freiwilliger erfordert, ein Umfrageprojekt, das verschiedene Standpunkte sammeln möchte, oder ein kreatives Projekt handelt, das möglichst vieler helfenden Hände bedarf –, sollte man dies auch deutlich machen. Ein Versprechen ist dann am überzeugendsten, wenn es einem tatsächlichen Bedürfnis der Institution entspringt. Was die Arbeitsmittel angeht, so brauchen Teilnehmer klare Rollenzuteilungen und Informationen darüber, wie ihre Teilnahme genau aussehen soll. Die Mittel sollten aber so flexibel wie möglich sein. Nicht alle Teilnehmer müssen sich auf dieselbe Art oder mit dem gleichen Grad von Engagement an einem Projekt beteiligen. Wenn Museumsmitarbeiter nur nach Lust und Laune zur Arbeit kämen, wäre das fatal, aber im Rahmen partizipativer Projekte ist Flexibilität ein Vorteil. Man sollte Teilnehmern ermöglichen, sich so zu engagieren, wie es für sie am besten ist. Wenn Teilnehmer einen Projektbeitrag leisten, dann wollen sie das Ergebnis ihrer Arbeit zeitnah, stil- und respektvoll präsentiert sehen. Bei allzu vielen partizipativen Projekten fehlt es an einer rechtzeitigen Rückmeldung an die Teilnehmer falls sich Ergebnisse durch interne Abläufe, inhaltliche Besprechungen oder redaktionelle Arbeiten verzögern. In manchen Fällen ist eine zeitliche Verzögerung zwischen der partizipativen Aktion und der Präsentation der Ergebnisse völlig vertretbar. Eine absehbare Verzögerung sollte jedoch den Teilnehmern klar mitgeteilt werden. Dies kann die Institution auch zu ihrem Vorteil nutzen. Das Museum kann den Teilnehmern z. B. einige Tage oder Wochen nach ihrem Museumsbesuch eine E-Mail schicken, dass die von ihnen gefertigte Skulptur nun ausgestellt ist oder ihre Geschichte in die Audiotour integriert wurde. Das Wertschätzen einer Teilnahme sollte, unabhängig von den Zeitabläufen, in drei immer gleichen Schritten erfolgen. Erstens, die Institution soll klar darlegen, wie und wann Besucher für ihre Teilnahme belohnt werden. Zweitens sollte den Teilnehmern sofort für ihre Mitwirkung gedankt werden, auch wenn ihr Beitrag nicht unmittelbar genutzt wird. Drittens sollten die Museumsmitarbeiter einen realistischen Fahrplan ausarbeiten, wie die entstandenen Inhalte ausgestellt oder veröffentlicht werden sollen – und sie sollten idealerweise die Teilnehmenden auch darüber informieren, wann ihre Arbeit gezeigt wird. Eine ‚faire Abmachung‘ für die Teilnahme an einem partizipativen Projekt anzubieten, bedeutet, die Arbeit der Teilnehmer wertzuschätzen. Das heißt nun nicht, dass jeder Besucher für seine Teilnahme einen Orden erhalten soll. Es geht vielmehr darum, den Teilnehmenden ein offenes Ohr zu schenken, ihnen eine Rückmeldung zu ihrem
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Beitrag zu geben und ihnen zu zeigen, wie die geleisteten Beiträge von der Institution genutzt werden. Klarheit und Ehrlichkeit sind entscheidend, damit Teilnehmer ein gutes Gefühl bei der Sache haben, egal ob die Institution eine längere Verpflichtung oder nur eine kurze Begegnung anstrebt. Dazu gehört auch, Themen wie die Privatsphäre oder die Frage nach dem geistigen Eigentum anzusprechen. Was passiert mit Videoaufnahmen, die Teilnehmende aufgenommen haben? Wem gehören die Ideen, die sie einer Institution mitteilen? Klar, deutlich und ehrlich soll man den Teilnehmenden ihre Rolle im Rahmen eines partizipativen Projekts erläutern, damit sie wissen, was zu erwarten ist und besser entscheiden können, ob ein Angebot für sie richtig ist. Falls vollständige Transparenz nicht möglich ist, genügt Ehrlichkeit. Mitarbeiter dürfen ihre Meinung ändern, Fehler machen oder ihr Verhältnis zu den Teilnehmern weiterentwickeln – solange sie dabei ehrlich bleiben. Je mehr die Mitarbeiter zum Ausdruck bringen – mit Worten und Taten –, wie wertvoll die Arbeit der Teilnehmenden für die Institution oder andere Besucher ist, desto mehr sehen sich die Partizipierenden als Partner und Teilhaber eines Projekts und dadurch als gefühlter Teilhaber der Institution.
Qualitativ hochwertige Produkte für das Publikum schaffen Partizipatorische Projekte sind nicht nur für die Institution oder die Teilnehmer gedacht. Sie sollten auch das Publikum, also die nicht partizipierenden Besucher ansprechen. Wie generiert ein partizipatives Projekt Ergebnisse, die auch für ein breiteres Publikum interessant und von Bedeutung sind? Es gibt zwar partizipative Angebote, die dem gesamten Publikum jederzeit zur Teilnahme offenstehen, doch die meisten Projekte beschränken lieber ihre Teilnehmerzahl und Fristen. Es ist einfacher zu sagen: „Bis Ende des Jahres können Sie Ihre Ideen einreichen“ oder „Wir werden dieses Projekt mit 20 Jugendlichen einer Oberstufenklasse entwickeln“ als Strukturen zu schaffen, die es jedem jederzeit erlauben teilzunehmen. Ein partizipatives Projekt mit klar abgestecktem Rahmen stellt für viele Institutionen einen angemessenen Ausgangspunkt für ein Engagement mit kollaborativen Formaten dar. Doch egal wie groß die Gruppe der Teilnehmer ist, es geht letztendlich immer um das Publikum. Auch außerordentliche Erlebnisse der Teilnehmer müssen sich letztlich daran messen lassen, wie andere sie wahrnehmen. Eine Wandmalerei sollte nicht nur den Malern gefallen, sie muss auch das Publikum als Kunstwerk ansprechen. Genauso müssen auch Ausstellungsstücke, Forschungsergebnisse, Werbematerialien, Veranstaltungen und Ereignisse, die in Zusammenarbeit mit Besuchern entstanden sind, für sich stehen und überzeugen können. Dies heißt nicht, dass sie sich nicht vom üblichen Programm einer Institution unterscheiden dürfen. Im Idealfall haben partizipatorische Projekte einen Mehrwert, der nicht durch traditionelle Arbeitsweisen erzielt werden kann. Die Besucher verfolgen dabei genauso eigenwillige Ziele wie die Teilnehmer. Man kann nicht allen gefallen, die Museumsmitarbeiter können jedoch einen Rahmen für verschiedene Erlebnisebenen abstecken und dementsprechende partizipative Angebote
Das partizipative Museum
machen. Manche Besucher sind nur an einem hochwertigen Endprodukt interessiert und wollen gar nicht wissen, wie das Ergebnis zustande gekommen ist. Museumsmitarbeiter müssen sicherstellen, dass partizipative Projekte Ergebnisse generieren, die den inhaltlichen und qualitativen Ansprüchen dieser Besucher gerecht werden. Andere Besucher wollen sich zunächst von einem ‚sicheren Standpunkt‘ aus mit der Partizipation vertraut machen und zunächst nur zuschauen, bevor sie sich beteiligen. Diesen potentiellen Teilnehmern sollten Museumsmitarbeiter eine Ebene bieten, die Einblicke in das partizipative Schaffen ermöglicht, ihren Wert unterstreicht und zur Teilnahme ermutigt. Je genauer man das Zielpublikum eines Projekts definieren kann, desto besser gelingt es, partizipatorische Projekte zu entwerfen, die den Bedürfnissen des Publikums wirklich gerecht werden.
Wie funktioniert Partizipation? Im Kern jedes erfolgreichen partizipativen Projekts stecken zwei widersprüchliche Grundgedanken: 1. Teilnehmer brauchen Richtlinien, keine grenzenlose Möglichkeit der Selbstdarstellung. 2. Um vertrauensvoll und offen mit fremden Menschen zusammenarbeiten zu können, müssen die Teilnehmer auf persönlicher – und nicht auf gemeinschaftlicher Ebene – angesprochen werden. Diese beiden Gestaltungsprinzipien bilden das Gerüst partizipativer Projekte. Richtlinien bilden eine wichtige Stütze für kreative Erfahrungen. Am Anfang jeder gemeinschaftlichen Erfahrung steht der persönliche Einstieg. Diese beiden Prinzipien stellen die Grundlage dafür dar, dass sich Besucher mit einem guten Gefühl auf einen kreativen Prozess einlassen, an dem auch andere fremde Menschen beteiligt sind.
Partizipation fußt auf Beschränkungen Wenn Besucher dazu animiert werden sollen, einen Beitrag zu leisten, der als einzigartig gilt und durch die Institution auch tatsächlich wertgeschätzt wird, dann müssen die Möglichkeiten der Selbstdarstellung eher eingeschränkt denn erweitert werden. Nehmen wir das Beispiel einer Wandmalerei. Nur die wenigsten Menschen würden sich ohne jede Anleitung an einer Wandmalerei versuchen wollen. Nicht das Material ist die Hürde – sondern die Ideen und das Selbstvertrauen. Man muss wissen, was und wie man malen will. Aber stellen wir uns vor, dass wir persönlich dazu eingeladen werden, ein Wandbild mitzugestalten. Die Farben sind schon vorgemischt, die Pinsel stehen bereit und die Anweisungen sind klar. Jeder weiß, was zu tun ist, damit ein schönes Wandbild entsteht. Man hat die Chance, an einem gemeinschaftlichen Projekt mitzuwirken und etwas Schönes zu schaffen. Zudem ist das Ziel des Projekts klar. Mit Stolz kann man auf seinen Beitrag im Endprodukt hinweisen. Dieser klar definierte Auftrag eröffnet den Teilnehmern die Möglichkeit, einen konkreten Beitrag zum Projekt zu leisten, diese Erfahrung wird als bereichernd empfunden.
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In erfolgreichen partizipativen Projekten erschaffen die Teilnehmer nicht ganze Ausstellungsteile aus dem Nichts oder entwerfen eigene wissenschaftliche Versuchsreihen; indem sie sich zu Teams zusammenfinden und ihren Anteil erledigen, empfinden sie sich als Teil eines größeren Projekts. Projekte mit klaren Richtlinien bieten die Möglichkeit, sich punktuell einzubringen – ein schwunghafter Pinselstrich hier, ein geistreicher Satz da –, das Endprodukt wird jedoch in entscheidendem Maße durch das jeweilige partizipative Projekt bestimmt. Sinnvolle Richtlinien motivieren und fokussieren partizipative Mitarbeit. Oder um es mit Orson Welles zu sagen: „Die Abwesenheit von Verboten ist der Feind der Kunst.“
Going social Bisher habe ich einige Rahmenbedingungen vorgestellt, die verschiedene Formen der Partizipation ermöglichen und zu sinnvollen Ergebnissen führen. Ein weiterer Schwerpunkt meines Buches widmet sich der Frage, wie Menschen dazu ermutigt werden können, gemeinsam partizipativ zu interagieren. Gemeinschaftliche Erlebnisse entwickelt man allerdings nicht ‚für die Masse‘. Man sollte sich stattdessen eher in der Rolle des Gastgebers einer Cocktail-Party sehen. Seine Aufgabe ist es, einen Gast charmant und herzlich zu empfangen und ihn dann mit Leuten bekannt zu machen, mit denen er sich gut verstehen könnte. Wenn der Gastgeber genügend Leute miteinander vernetzt hat, haben bald alle das Gefühl, Teil eines großen, gemeinschaftlichen Erlebnisses zu sein. Ich nenne das ein „me-to-we“-Design: Es baut auf individuellen Erfahrungen auf (me) und befördert das Gemeinschaftsgefühl (we). Mit anderen Worten: Ein partizipatives Umfeld wird nicht im Top-Down-Verfahren geschaffen. Damit eine Kulturinstitution zu einem gesellschaftlichen Knotenpunkt werden kann, braucht sie engagierte Individuen und sie muss die Verbindungen zwischen ihnen stärken. Während der Gastgeber einer Cocktail-Party Menschen aus den verschiedensten Gründen miteinander in Verbindung bringt – gleiche berufliche Interessen, eine gemeinsame Vorliebe für Hunde, ähnliche Charakterzüge –, sollten Museumsmitarbeiter die Leute über die Ausstellungsinhalte zusammenbringen. Indem sie Besucher anhand jener Inhalte vernetzen, die die Besucher lieben, hassen oder zu denen sie sonst einen persönlichen Bezug haben, fördern die Museumsmitarbeiter den Dialog und den Aufbau von Beziehungen, die jeweils um die Kernthemen einer Institution kreisen. Diese Intensivierung der Besuchererfahrung – von individueller hin zu gemeinschaftlicher Interaktion – kann mit einem fünfstufigen Schema dargestellt werden, das verschiedene Schnittstellen zwischen der Institution und ihren Besuchern beschreibt. Die Basis aller fünf Stufen bilden dabei die Inhalte. Die Veränderung liegt vielmehr in der Art und Weise, wie die Besucher mit dem Inhalt interagieren und wie stark er die Interaktion zwischen den Besuchern beeinflusst. Jede Stufe bietet den Besuchern etwas Besonderes. Stufe 1 eröffnet Besuchern Zugang zu den Inhalten, für die sie sich interessieren. Stufe 2 bietet ihnen die Möglichkeit,
Das partizipative Museum
STUFE 5
Einzelbesucher interagieren miteinander
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Reaktionen der Einzelbesucher werden für die Stimulation sozialer Interaktion genutzt
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Reaktionen der Einzelbesucher werden mit denen der Gesamtheit aller Besucher in Verbindung gebracht
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Einzelbesucher reagiert auf die Inhalte
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Einzelbesucher konsumiert Inhalte
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aktiv zu werden, etwas zu erforschen und Fragen zu stellen. Stufe 3 zeigt Besuchern, in welchem Verhältnis ihre individuellen Interessen und Aktivitäten zur Gesamtheit der Museumsbesucher stehen. Stufe 4 hilft Besuchern, mit gleichgesinnten Menschen – Mitarbeitern wie Besuchern – in Verbindung zu treten. Stufe 5 vermittelt das Gefühl, dass es sich bei der jeweiligen Institution um einen sozialen Raum handelt, der voller interessanter Herausforderungen und bereichernder Begegnungen steckt. Diese Stufen bauen aufeinander auf – ohne die Grundlage der ersten vier Ebenen kann kein Erlebnis in der Qualität von Stufe 5 erzeugt werden. Sie können allerdings flexibel gehandhabt werden: Kontaktfreudige Menschen können problemlos von der Stufe 2 zur Stufe 5 springen, wohingegen sich andere wohler fühlen, wenn sie nicht über Stufe 3 hinausmüssen. Nicht alle Projekte müssen dabei zu sozialer Interaktion führen. Jede Stufe bietet eine eigene Art von Besuchserlebnis. Und die meisten Leute machen im Rahmen ihres Besuchs ohnehin Erlebnisse, die mehreren Stufen zugeordnet werden können. Momentan lassen sich die meisten institutionellen Angebote den ersten zwei Erlebnisstufen zuordnen. Das heißt aber noch lange nicht, dass alle Besucherangebote deswegen überarbeitet werden müssen. Ich plädiere vielmehr für eine größere Vielfalt von Erlebnisarten, von denen einige das Gemeinschaftserlebnis über das individuelle Erlebnis stellen. Während traditionelle Museumsbesucher mit einer Erlebnisqualität der ersten zwei Stufen vollkommen zufrieden sind, könnte eine Institution mit der Einführung weiterer Ebenen für neue Besucher attraktiver und wertvoller werden. Viele kulturelle Institutionen machen moderierte Angebote, die sich auf allen fünf Ebenen bewegen. Viele Besucherbetreuer und Museumspädagogen sorgen dafür, dass sich die Besucher selbstsicher und vertrauensvoll fühlen und sich so auf eine soziale Interaktion mit anderen einlassen. Manche angeleiteten Vermittlungsangebote wie Camps oder ‚Reenactments‘, bei denen historische Ereignisse nachgespielt werden, bieten die Gelegenheit zur Team- oder Gruppenarbeit und entsprechen damit der Er-
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lebnisqualität von Stufe fünf. Falls aber kein Vermittler anwesend ist oder gerade keine Veranstaltung stattfindet, dann kommt die soziale Interaktion sofort zu einem Ende. Die Entwicklung von Erlebnissen der Stufen drei und vier kann die Basis dafür schaffen, dass soziale Interaktion auch ohne Anleitung stattfinden kann. Gute Rahmenbedingungen machen es den Besuchern möglich, selbstständig und jederzeit in soziale Interaktion zu treten. Das heißt nicht, dass Museen ihre Pädagogen, Besucherbetreuer oder Ehrenamtlichen durch Ausstellungsdisplays ersetzen sollen. Die Begegnung und Interaktion mit Museumsmitarbeitern gehört zu den nachhaltigsten sozialen Erfahrungen, die Menschen im Museum machen können, und die Präsenz von Mitarbeitern kann selbst bei noch so partizipativ angelegten Ausstellungsmodulen unterstützend und animierend sein. Aber die Museumsmitarbeiter können nicht überall sein. Räume, in denen soziale Interaktionen stattfinden sollen, müssen so gestaltet sein, dass diese Interaktion jederzeit möglich ist – auch wenn gerade keine Besucherbetreuer oder andere Museumsmitarbeiter präsent sind. Es geht nicht darum, Personal zu ersetzen, sondern darum, mehr Möglichkeiten zur sozialen Interaktion zu bieten. Soziale Netzwerke im Internet sind hierin vorbildlich. Hier werden die Interessen vieler Einzelner gebündelt, um neue Verbindungen und Möglichkeiten zur sozialen Interaktion zu schaffen. Doch wo setzt man am besten an, wenn man Strukturen entwickeln will, die die Besucher darin unterstützen, sich auf der Basis ihrer inhaltlichen Interessen miteinander zu vernetzen? Bevor man anfängt, das soziale Potential von Besuchserlebnissen der Stufen drei, vier und fünf auszuloten, sollte man sich zunächst ein konkreteres und individualisiertes Bild seiner Besucher machen. Erinnern wir uns an den Vergleich mit der CocktailParty: Um Besucher und Mitarbeiter mit Leuten in Verbindung bringen zu können, mit denen sie die meisten Interessen teilen und deren Bekanntschaft für sie am wertvollsten ist, muss man sie nicht nur persönlich ansprechen und willkommen heißen, sondern auch ihre individuellen Interessen und Begabungen kennenlernen und wahrnehmen.
Literatur Bernoff, Josh / Li, Charlene (Forrester Research Company): Groundswell. Winning in a World Transformed by Social Technologies, Boston 2008. Falk, John: Identity and the Museum Visitor Experience, Walnut Creek 2009. Heuman Gurian, Elaine: Civilizing the Museum, London / New York 2006. Shirky, Clay: Here Comes Everybody: The Power of Organizing without Organizations, London u. a. 2008.
Eigentlich kein Museum: das Écomusée in Frankreich Ein Rückblick oder auch ein Ausblick auf das partizipative Museum? Nina Gorgus
„L’Écomusée est fait pour mourir“, so sagte einmal sein Erfinder, der französische Museologe Georges Henri Rivière (Desvallées 2000: 27). Dies ist zunächst ein ambivalenter Befund, hat doch der innovative Museumstyp in Frankreich in vieler Hinsicht reichlich Furore gemacht. Lohnt es sich dennoch, einen Blick auf die Institution zu werfen, die Partizipation als Prinzip sogar in ihrem Statut verankert? Gibt es möglicherweise Aspekte, die sich auf die deutschsprachigen Diskussionen über Partizipation im Museum übertragen lassen? Können Entwicklung und Umsetzung aus den 1960 / 70er-Jahren überhaupt mit der heutigen Situation verglichen werden? Welche Erfahrungen in Frankreich mit Partizipation im Museum gemacht wurden, möchte ich hier beleuchten. Zunächst lege ich die Grundzüge der Idee dar und werfe danach einen Blick in die Praxis – und zwar auf das Museum, das zum Synonym für den Museumstyp des Écomusée wurde: das Écomusée Creusot-Montceau in Burgund. Dann beschäftige ich mich mit den Protagonisten der Partizipation. Drittens möchte ich schauen, welche Konsequenzen das Écomusée für die museale Praxis in Frankreich hatte und wie und ob sich das auf die aktuellen Tendenzen der deutschsprachigen Museumslandschaft übertragen lässt.
Idee und Umsetzung Idee und Konzept des Ecomusée entstanden bereits in den 1950er-Jahren. Als der Begriff 1971 geprägt wurde, bündelte er bereits bestehende Bestrebungen, die das Ziel hatten, eher ländliche Regionen aufzuwerten und der Bevölkerung ein Bewusstsein
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für ihr Gebiet und kulturelles Erbe zu vermitteln. Angeregt wurden die Überlegungen auch durch die international geführten Diskussionen – etwa auf der ICOM-Tagung in Santiago de Chile 1972 über die Rolle der Museen in Lateinamerika. Auch wenn der damalige ICOM-Direktor Hugues de Varine derjenige ist, der den Begriff erfand und um viele Aspekte bereicherte, gilt als maßgeblicher Ausgestalter des Konzepts der Museologe Georges Henri Rivière, der wie kein anderer die kulturhistorischen Museen im 20. Jahrhundert in Frankreich, aber auch weltweit prägte.1 Rivière bezeichnete seine Überlegungen zum Écomusée als eine stets erweiterbare Definition, eine gewisse Dynamik und Prozesshaftigkeit waren immer impliziert. Rivière definierte das Écomusée als eine Einrichtung, die sich dem Menschen und seiner natürlichen wie sozialen Umgebung annimmt. Sie soll ein Spiegel für die Bewohner eines bestimmten Gebietes sein, in dem soziale und historische Zusammenhänge zu erkennen sind, um die Gegenwart besser zu verstehen. Das Écomusée soll ein „Labor“ sein: ein Ort, in dem die Menschen und das Terrain von Experten und Bevölkerung gemeinsam erforscht werden, eine „Aufbewahrungsstätte“, um zu helfen, das kulturelle Erbe zu erhalten und zu bewahren; und schließlich eine „Schule“ – oder in der Sprache von heute – ein Lernort, der die Bevölkerung an allen Aktionen des Museums beteiligt, um aktuelle gesellschaftliche Probleme besser verstehen zu können. Das Bewusstsein um die Zugehörigkeit zu einer fest umrissenen Region oder zu einem bestimmten Ort soll für die Zukunft geschaffen und gestärkt werden, deshalb sollte die Bevölkerung in den Aufbauprozess mit eingebunden werden. Waren die ersten Umsetzungen mit der Gründung von Nationalparks verknüpft, so befindet sich das Écomusée Creusot-Montceau, das so emblematisch für das Konzept steht, an einem ehemaligen Industriestandort. Seit dem frühen 19. Jahrhundert prägte das Unternehmen Schneider mit Eisengießerei, Maschinenbau und Rüstungsfabriken die Stadt Creusot. Ab den 1960er-Jahren vollzog sich mit dem Tod des Firmenpatriarchen ein struktureller Wandel, der das Unternehmen zunächst in einen internationalen Konzern verwandelte und schließlich mit der Wirtschaftskrise Anfang der 1970er-Jahre zur Aufgabe des Standorts führte. Viele Arbeitsplätze gingen verloren. Hinzu kam eine Gemeindereform, die die bestehende Struktur komplett veränderte und die kleine Stadt zu einem Kommunenverband aus 16 Gemeinden mit ca. 150.000 Einwohnern machte. In dieser Umbruchsituation wünschte sich der neue Stadtverband ein Museum, um den gesellschaftlichen Wandel für die Region mitzugestalten. Hier entstand zwischen 1971 und 1974 das museale Experimentierfeld par excellence. Den Wandel von der Fabrikstadt zur Museumsstadt begleiteten Ausstellungsmacher aus der Kunstszene, Museolo-
1 | Zu Rivière vgl. „La muséologie selon Georges Henri Rivière“ und Gorgus (1999). Die verschiedenen Definitionen Rivières zum Écomusée sind bei Desvallées (1992) zu finden.
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gen wie Rivière oder Hugues de Varine, damals Generaldirektor von ICOM, und, als Hauptprotagonist, die Bevölkerung.2 In Creusot sollte das gesamte Territorium das klassische Museumsgebäude ersetzen. „Die ganze Kommune bildet ein lebendiges Museum, dessen Publikum sich im Innern befindet. Ein Écomusée hat keine Besucher, sondern Bewohner. Jedes Objekt, ob Möbel oder Gebäude, das sich im Gebiet befindet, ist moralisch gesehen ein Bestandteil des Museums: damit wird das Recht auf kulturelles Eigentum eingeführt“, so de Varine (de Varine 1973: 244). Die neue Institution setzte sich aus einem Komitee für die Benutzer, dem Komitee der wissenschaftlichen und technischen Mitarbeiter sowie aus dem Verwaltungskomitee zusammen. Die Rolle der Bevölkerung wurde demnach institutionell verankert. Für das Projekt fand man den Namen „Musée de l’Homme et de l’Industrie“. Da nicht eine Sammlung die Grundlage des Museums bildete, unterstützte das Kulturministerium das Projekt zunächst nicht. Neue Verbündete konnten dann im neu gegründeten nationalen Umweltministerium gefunden werden. Hugues de Varine erfand passend dazu den Namen Écomusée, als Standort wurde der ehemalige Firmensitz im Schloss bestimmt. Wie wurde nun die Bevölkerung aktiviert? Zunächst fand sich niemand, der bereit war, sich in das Projekt einzubringen. Erst nach und nach konnten die Akteure aus der Bevölkerung über Gewährsleute wie Bürgermeister, Lehrer oder Gewerkschafter organisiert werden. Es fanden Veranstaltungen aller Art statt, die sich in vielfältiger Form mit dem Gebiet und seinen Bewohnern beschäftigten oder die sich der Rolle von Kunst im öffentlichen Raum widmeten. Andere Gruppen sammelten Objekte und Dokumente für Ausstellungen. Für manche Themen wurden auch externe Experten hinzugezogen. Außenstellen entstanden in jeder zum Kommunenverband gehörenden Gemeinde – das fragmentarische Museum war geschaffen. Die Außenstellen konnten Orte wie ein Arbeiterhaus, ein Naturdenkmal oder ein altes Industriegebäude sein. 1974 wurde im Schloss eine Dauerausstellung eröffnet, in der die Region in Zeit und Raum präsentiert und die Kulturgeschichte auch um naturwissenschaftliche Aspekte ergänzt wurde.3 Die gemeinsame Arbeit mit der Bevölkerung wird vom charismatischen Gründungsdirektor Evrard als „echtes, lebendiges Labor“ beschrieben, „in dem Seite an Seite Wissenschaftler, Praktiker, Techniker, und Einwohner arbeiten und in das jeder seine Erfahrungen, seine Kritik und seinen Standpunkt einbringt“ (Evrard 1980: 230). 2 | An der Spitze standen Marcel Evrard und der Verein CRACAC, der sich für zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum einsetzte. Evrard bekam von der Stadt den ehemaligen Firmensitz, das Schloss von Creusot, als Vereinssitz angeboten, dafür sollte er im Gegenzug ein lokales Museum auf die Beine stellen. Zu Evrard vgl. Ferriot (2010) und zur Museumsgeschichte Debary (2002). 3 | Interessant ist de Varines Umgang mit Objekten, die er in zwei Kategorien teilte: Zum einen die Objekte, die zum Museum gehörten, aber beim Besitzer verblieben, da noch eine emotionale Bindung vorhanden sei. Zum anderen die Objekte, die die emotionalen und funktionalen Bindungen zu ihren Besitzern verloren hatten und in die Sammlung aufgenommen werden konnten (Debary 2000: 207).
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Das Museum bündelte weitere Bestrebungen: Als Zentrum linkspolitischer Diskussionen über die Industrialisierung und ihre Folgen konnte sich hier die „archéologie industrielle“ als Kulturerbe entwickeln und institutionalisieren. Zahlreiche Tagungen zogen auch internationale Wissenschaftler und Museologen an. Das Écomusée hatte Anfang der 1980er-Jahre international so viel Renommee wie einst das Unternehmen Schneider, es galt, so Kenneth Hudson damals, als „Lourdes oder Compostella der Museumswelt“ (Hudson 1987: 187). Es gibt mehrere Gründe, weshalb sich das Museum ab etwa 1985 sukzessive veränderte. Eine erneute Wirtschaftskrise mit Abbau von Arbeitsplätzen – auch im Museum selbst – wirkte sich lähmend auf die Institution aus. Anders als über ein Jahrzehnt zuvor konnte sich das Museum in den 1980er-Jahren nicht mehr als Bewältigungsmotor an die Spitze setzen. Hinzu kam ein Generationenwechsel im Museum: Die Protagonisten der Gründung wurden abgelöst, was einem symbolischen Vatermord der Begründer und dem Ende des links-ideologischen Diskurses gleichkam. Das patriarchalische Wirtschaftsmodell konnte in der Folge nun musealisiert und verklärt werden, da das ihm nachfolgende, liberalere, gescheitert war. Das Museum übernahm die Funktion der „Geschichts-Resteverwertung“ (Debary 2002) und verwandelte sich in ein ,normales‘ Museum mit Objekten. Die Benutzer wurden wieder zu Besuchern. Mitbegründer de Varine (de Varine 1993) hielt drei Szenarien für Creusot möglich: erstens das Verschwinden der Institution, zweitens die Institutionalisierung und drittens die Verwandlung der Institution. Creusot sei nach de Varine der zweiten Möglichkeit gefolgt, was er nicht als Misserfolg wertet. Enttäuschend findet er jedoch, dass dabei das moralische Engagement aus der Anfangszeit in Vergessenheit geriet. Im Rückblick zeichnete sich Creusot vor allem als Forschungsfeld aus, in dem neue Museumstheorien entwickelt, praktiziert und evaluiert wurden. Besondere Bedeutung kam der Aufbauphase zu: Gerade hier kommt ein Écomusée dem Anspruch nach, ein Museum der gleichberechtigten Teilhabe zu sein – Partizipation also verstanden in einer umfassenden, politischen Dimension.
Partizipation in der musealen Praxis Hugues de Varine hatte das Écomusee auch als eine Institution charakterisiert, die „von unten“ kommt und nicht „von oben“ aufgepfropft wird. Wie stellte sich das in der musealen Praxis dar? Da in der Anfangszeit das Vorgehen nicht reflektiert wurde, möchte ich ein späteres Beispiel heranziehen, das mir vergleichbar erscheint. Serge Chaumier (Chaumier 2003) hat über Jahre hinweg den Aufbau eines anderen Écomusée empirisch untersucht. Das Anfang der 1980er-Jahre gegründete Museum versuchte, die Ideen von Rivière umzusetzen. Die Dauerausstellungen im Herrenhaus einer ehemaligen Brennerei wurden komplett von einem Verein mit ca. 50 aktiven Personen sowie mit der Unterstützung des regionalen Museumsverbandes aufgebaut. Die Gemeinde stellte die Gebäude zur Verfügung und kam für den Unterhalt auf. Der Verein organisierte zahlreiche Veranstaltungen mit interaktiven Teilen, Vorträge und
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Feste mit Vorführungen alter Handwerke oder kleine, temporäre Ausstellungen. Das Museum wurde so zum sozialen Ort, der Verein zur politischen Kraft. Auch wenn sich der Gemeindevorstand (als Geldgeber) eher im Hintergrund hielt, kam es zu Interessenkonflikten. Als dann die Stadt einen Kurator einstellte, verlagerte sich der Konflikt. Die Differenzen zwischen Kurator und Vereinsmitgliedern sind auf verschiedenen Ebenen zu beobachten; sie sind exemplarisch zu verstehen. In erster Linie betrafen sie den Umgang mit dem musealen Objekt; es ging um die Deutungshoheit der Objekte. Zwei Beispiele dafür: Der Kurator versah die Exponate mit für die Institution Museum gängigen Objektschildern. Dieses Vorgehen empfand der Verein als massiven Eingriff, kannten sie doch alle der dort ausgestellten Objekte sowie die dazugehörenden Geschichten. Weitere Erklärungen waren unnötig, da der Blick von außen auf die Exponate als nicht relevant galt. Auch die Objektauswahl unterlag verschiedenen Vorstellungen. Während der Verein alle Objekte der Sammlung als gleichwertig einschätzte und deshalb alles zeigen wollte, ging der Kurator nach selektiven Kriterien und nach den diskursiven Bedeutungen vor. Darüber hinaus wollte der Kurator die lokale Kultur in Bezug zur regionalen und nationalen Geschichte setzen, während dem Verein die lokale Ausrichtung genügte. Weiteres Konfliktpotential boten schließlich auch die Renovierung der denkmalgeschützten Gebäude und die Neukonzeption der Ausstellungen. Während der Kurator mit Architekten und Museografen kooperierte, wollte der Verein alles in Eigenregie bewältigen. Das Arbeitsethos, immer nur das umzusetzen, was selbst erbracht werden kann – wie Materialbeschaffung und handwerkliche Tätigkeiten – bildete die Basis des Vereins. Chaumier hat seine Untersuchung vor Beilegung des Streits beendet; für ihn zeichnete sich aber eine eindeutige Entwicklung ab: Der einstige ,Bewohner‘ des Écomusée wurde zum Kunden. Seine Prognose scheint sich bestätigt zu haben: Aus dem Bericht einer Architekturzeitschrift über Umbau und Erweiterung des Museums geht hervor, dass sich die Kuratorenseite durchgesetzt hat: „Das charmante Ensemble, das vom lokalen guten Willen verwaltet wird, muss sich dem Rahmen einer wissenschaftlichen Satzung anpassen.“ (Chirat 2005: 5) Die Frage drängt sich auf: Hat die Professionalisierung der Idee des Écomusée den Garaus gemacht? Auch wenn eine genauere Analyse noch aussteht, zeichnet sich eine grundsätzliche Problematik ab: Nach dem Prozess des Aufbaus, der so markant für ein Écomusée ist, verändern sich die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Museum: aus Partizipienten werden ,normale‘ Besucher. Vielerorts zeigte die Bevölkerung gar kein großes Interesse mehr daran, sich langfristig ins Museum einzubringen. Allerdings waren ja nun die Partizipationsmöglichkeiten im Vergleich zum Aufbauprozess stark eingeschränkt. Das war in Creusot so, ist aber auch in anderen Museen zu beobachten (Delarge 2002). Dennoch wird bis heute die Partizipation der Bevölkerung in der sogenannten Charta der Écomusées festgehalten, ohne aber genau zu definieren, was darunter zu verstehen ist.4 Blickt man in die museale Praxis der Gegenwart, sind die 4 | Die Charta ist auf den Seiten der Fédération des écomusées et des musées de société (FEMS) abgedruckt, vgl. http://fems.asso.fr/ [letzter Zugriff am 25.07.2011].
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Formen der Partizipation vielfältig: Die Palette reicht von der Erweiterung der Sammlung durch Sammlungsaufrufe über das Reflektieren individueller Lebenserfahrungen in Ausstellungen bis hin zu gemeinsam kuratierten Ausstellungen, bei denen es häufig um soziopolitische Teilhabe eines Ortes oder einer Region geht.
Gibt es ein Post-Écomusee? Auch wenn Partizipation in ihrer umfassenden politischen Bedeutung sich letztendlich nicht umsetzen ließ, lohnt es sich dennoch, nach möglichen Konsequenzen des Écomusée in der musealen Praxis zu fragen. Es lohnt sich vor allem aus zwei Gründen: Erstens hat die Écomuséologie der französischen Museologie in Theorie und Praxis wichtige Impulse gegeben. Bereits Anfang der 1980er-Jahre wurden verschiedene Organisationen gegründet, die sich der „nouvelle muséologie“ widmeten und die bis heute in unterschiedlicher Form weiter existieren.5 „Mittel ist die Interdisziplinarität, Entwicklung ist das Ziel und die Beteiligung der Bevölkerung der Motor“, so charakterisierte Jean-Claude Duclos (1987: 68) einmal die drei Pfeiler der neuen Museologie, die sich bis heute relativ unabhängig von der angelsächsischen „new museology“ entwickelte (Meijer-van Mensch 2011). Zweitens hat das Écomusée die musealen Praktiken in Frankreich dauerhaft geprägt. Gerade die sogenannten Musées de société, die sich zu Beginn der 1990er-Jahre in Frankreich als Größe neben den Kunstmuseen formiert haben, stützen sich auf Erfahrungen aus dem Écomusée. Museen wie die im Aufbau befindlichen Institutionen in Marseille, das MuCEM (Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée, die Nachfolgeinstitution des Volkskundemuseums in Paris) oder das natur- und kulturgeschichtlich ausgerichtete Musée des Confluences in Lyon integrieren bei der Konzeption gezielt Gruppen aus der Bevölkerung (Colardelle 2002). Ein Museum, das das écomuseale Erbe in seiner ursprünglichen Bedeutung gar institutionalisiert hat, ist das Musée dauphinois in Grenoble. Gegründet 1906 mit einer volkskundlich-kunsthandwerklichen Sammlung, ist das Museum heute das Zentrum eines überregionalen Netzwerkes und positioniert sich im Departement Isère. Als Sitz der Conservation du Patrimoine de l‘Isère erfüllt das Musée dauphinois die Aufgabe der Aufarbeitung und Repräsentation des kulturellen Erbes des Departements. Hinzu kommen elf Außenstellen in situ, wie das Geburtshaus des Komponisten Hector Berlioz, ein Viskose-Museum in einer ehemaligen Fabrik oder das Musée de la Résistance et de la Déportation de l’Isère. Das Musée dauphinois verfolgt in Ausstellungen immer wieder Themen, die mit der Geschichte der Stadt und der Region verknüpft sind. Alles 5 | André Desvallées, langjähriger Mitarbeiter von Rivière, prägte um 1980 den Begriff. Desvallées wertet die „écomuséologie“ als Teil der „nouvelle muséologie“. Die Organisation Mouvement International pour une Nouvelle muséologie MNES wurde 1982 gegründet und existiert bis heute, nun als Unterorganisation von ICOM. Vgl. Desvallées (1994). Ich bedanke mich herzlich bei André Desvallées für seine hilfreichen Hinweise.
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ist denkbar – von Technikgeschichte über Gedenktage bis hin zu kulturwissenschaftlichen Themen, die stets in die Gegenwart verlängert werden. Das Museum versteht sich als Gesellschaftsmuseum, als Ort, in dem es um Objekte geht, aber vor allem auch um Beziehungen, die die Bewohner zu unterschiedlichen Zeiten miteinander pflegten: „Das Musée dauphinois schreibt seine Handlungen in der engen Beziehung ein, die es mit den ursprünglichen und den hinzugekommenen Bewohnern der Region Alpes dauphinoises unterhält. Es sieht sich als Ort der Befragung aller Epochen der alpinen Geschichte sowie als Ort, an dem über unsere Zeit nachgedacht wird.“ (http: / / www. musee-dauphinois.fr / [letzter Zugriff 22.7.2011]) Das Medium der ,Befragung‘ sind die Ausstellungen. Vor allem der ehemalige Direktor, Jean-Claude Duclos, einst selbst aktiv im Aufbau von Écomusées, erarbeitet seit Beginn der 1980er-Jahre viele Ausstellungen gemeinsam mit verschiedenen Gruppen aus der Bevölkerung. Sie werden für Duclos zu „habitants-experts“, wie beispielsweise die Mitglieder der armenischen Gemeinde, die das Museum 1998 selbst als Partner ausgesucht hatten, um an die Lebenswelten vor dem Völkermord in Armenien zu erinnern und zugleich die zur Heimat gewordene Stadt Grenoble zu würdigen. Auch wenn sich viele der Ausstellungsprojekte mit Migrationsthemen beschäftigten, hat Duclos mehr als nur einen Ausschnitt der Gesellschaft im Auge: Das Museum möchte als temporäre Schnittstelle und Treffpunkt für die verschiedenen Gedächtniskulturen der Stadt dienen. Das Museumsteam versteht sich bei diesen Kooperationen als vermittelnde Instanz. Es hat sich die Praxis herausgebildet, als dritte Kraft noch Wissenschaftler hinzuzuziehen, die in dem entsprechenden Thema ausgewiesen sind. Die Ausstellungen selbst werden immer mit Szenografen umgesetzt, wobei nach Duclos stets ein Konsens mit allen Beteiligten gesucht wird. Erarbeitete Dokumente oder gesammelte Objekte werden dann in die Museumssammlung aufgenommen. Duclos (2008) charakterisiert seine Vorgehensweise als „co-écriture“ auf allen Ebenen. Es gehe immer um das Kennenlernen nicht oder wenig wahrgenommener Lebenswelten und um Anerkennung zugleich. Duclos sieht das partizipative Vorgehen am Musée dauphinois als moralische Verpflichtung an, vor allem aber als politisches Statement.6
Resümee Das Écomusée hat unterschiedlichste Reaktionen auf den Plan gerufen. Gottfried Korff (1982) lobte es vor allem wegen seines Werkstattcharakters und seiner Vieldimensionalität, Peter Davis (1999) strich seine Wichtigkeit für die Herausbildung der kulturellen Identität heraus und Duclos (2005) betonte die Museografie in Zeit und Raum, die Beteiligung der Bevölkerung, die Möglichkeit einer kollektiven Reflexion sowie seine
6 | Ich danke Jean-Claude Duclos ganz herzlich für die Überlassung des Manuskripts. Duclos plant ein Buch über die praktizierte Partizipation im Musée dauphinois.
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Transdisziplinarität. Andererseits musste sich die Institution auch den Vorwurf eines „Selbstbespiegelungsmuseums“ (Raphaël / Herberich-Marx 1990: 146) gefallen lassen. Ist der Rückblick vielleicht auch ein Ausblick? Gibt es möglicherweise Aspekte, die sich auf die heutigen Diskussionen über Partizipation im Museum übertragen lassen? Und ist das Labor, als welches sich das Écomusée verstand, dasselbe wie das, auf das heute so gerne zurückgegriffen wird, um die partizipatorische Arbeit am Museum zu beschreiben? 7 Das Écomusée hat insbesondere in den 1970 / 80er-Jahren die Diskussionen in der internationalen Museumsszene geprägt. Hier wurden erstmals Anforderungen an das kulturhistorische Museum formuliert, die heute vielleicht selbstverständlich erscheinen, wie etwa ein erweiterter Kulturbegriff oder die Demokratisierung der Institution Museum. Es hat aber auch deutlich gemacht, dass die Vorstellung, auf Dauer gemeinsam ein Museum mit der Bevölkerung nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu führen, nicht zu verwirklichen ist – sei es, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, sich langfristig einzusetzen, sinkt oder das Prinzip des Museums selbst diese Beziehungen gar nicht dauerhaft zulässt. Das Labor wurde in seiner Idealform als eine Werkstatt verstanden, in der sich alle Protagonisten einfinden, um gemeinsam dauerhaft etwas zu entwickeln. Die Werkstatt schließt dann sozusagen, wenn das ,Werk‘ vollbracht ist. Mit den aktuellen, sich stetig weiterentwickelnden musealen Kulturtechniken, die sich eher auf eine partizipative Demokratie berufen und beeinflusst sind von den Möglichkeiten, die die Social Media bieten (Stichwort: User Generated Content) scheint die Idee des Écomusée weniger zu tun zu haben. Das museale Labor der Gegenwart scheint eher eine Art Gefäß zu sein, das für wechselnde Gruppen und Themen Raum und Strukturen zur Verfügung stellt – ohne die museale Institution in Gänze zu berühren. Insofern lassen sich schwerlich Aspekte übertragen und der Blick nach Frankreich auf das Écomusée ist dann eher ein Rückblick ohne Konsequenzen. Manche Fragen bleiben aber auch heute unbeantwortet, und vor allem diejenige nach der gesellschaftlichen Rolle des Museums. Ist das Museum eher ein Ort der „Stabilisierung“ oder ein „Brückenbauer“ (Guiyot-Corteville 2010: 71) in der Gesellschaft bzw. ein Instrument, das „Brüche in der Gesellschaft kittet“ (Jeudy 1990: 109)? Oder sollte es nicht eher ein Ort der „Destabilisierung der Kultur“ (Hainard 1996: 322) sein, wie es der Schweizer Museologe Jacques Hainard immer fordert, um das Eigene zu hinterfragen? Das Écomusée hat ganz stark dazu beigetragen, kontinuierlich auf solche Fragen einzugehen. Insofern ist der Rückblick nun doch auch ein Ausblick und das Écomusée bleibt auf seine alten Tage noch ganz schön lebendig.
7 | Vgl. Beat Hächler (2009: 218), der auf verschiedene Verwendungsformen zu verschiedenen Zeiten hinweist.
Eigentlich kein Museum: das Écomusée in Frankreich
Literatur Chaumier, Serge: Des musées en quête d’identité, Écomusée versus technomusée, Paris 2003. Chirat, Sylvie: „Fougerolles – Écomusée: promenade parmi paysage et bâtiments“, in: Construction moderne 118 (2005), S. 5 – 7. Colardelle, Michel (Hg.): Réinventer un musée. Le Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée à Marseille. Projet scientifique et culturel, Paris 2002. Davis Peter: Écomuseums. A sense of place, Leicester 1999. Debary, Octave: „Un entretien avec Hugues de Varine“, in: Desvallées, André (Hg.): Publics & Musées 17 & 18 (2000), S. 203 – 210. Debary, Octave: La fin du Creusot or l’art d’accomoder les restes, Lyon 2002. Delarge, Alexandre: „La pratique communautaire comme projet de musée“, in: Écomusées et musées de société: pour quoi faire? Actes du colloques FEMS, November 2002, o. O., o. J., S. 30 – 34. Desvallées, André (Hg.): Vagues. Une anthologie de la nouvelle museologie (2 Bände), Maçon / Savigny du Temple 1992 und 1994. Desvallées, André (Hg.): L’Écomusée: Rêve ou Réalité. Publics & Musées 17 & 18 (2000). Evrard, Marcel: „Le Creusot-Montceau-les-Mines: la vie d’un écomusée, bilan d’un décennie“, in: Museum 32 (1980), S. 226 – 234. Duclos, Jean-Claude: „Les écomusées et la nouvelle muséologie“, in: Écomusées en France. Premières rencontres nationales des écomusées. L’isle d’Abeau 13. – 14.11.1986. Ecomusée du Nord Dauphiné (1987), S. 61 – 69. Duclos, Jean-Claude: „Depuis Riviére …“ Manuskript für Le Monde alpin et Rhodanien. Mémoire, patrimoine et musées 2005. Duclos, Jean-Claude: La co-écriture au musée. Vortrag bei der Tagung Expositions de sciences et de société: Particularités, tendances, enjeux. Musée des Confluences, Lyon, 26. – 27. November 2008. Ferriot, Dominique: „Marcel Evrard (1920 – 2009)“, in: L’Archéologie industrielle en France n° 55 (2010), http: / / www.icom-musees.fr / uploads / media / publication / CILAC_55.Evrard.pdf [letzter Zugriff: 21.09.2011]. Gorgus, Nina: Der Zauberer der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivières, Münster u. a. 1999. Guiyot-Corteville, Julie: „L’écomusée de Saint-Quentin-en-Yvelines, acteur ou témoin de la ville nouvelle?“, in: Ethnologie française, 3 / 37 (2010), S. 69 – 80. Hächler, Beat: „Ausstellung als Selbstversuch. Elemente einer sozialen Szenografie“, in: Kilger, Gerhard / Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hg.): Szenografie in Ausstellungen und Museen, IV. Raum und Körper – Körperraum, Kreativität und Raumschöpfung, Essen 2009, S. 216 – 223. Hainard, Jacques: „Quels musées d’ethnographies pour demain?“, in: Actes du premières rencontres des musées d’ethnographie 1993. Musée national des arts et traditions populaires / École du Louvre, Paris: Réunion des musées nationaux 1996, S. 321 – 326.
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Hudson, Kenneth: Museums of Influence, Cambridge 1987. Jeudy, Henri Pierre: „Erinnerungsformen des Sozialen“, in: Korff, Gottfried / Roth, Martin (Hg.): Das historische Museum: Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt a.M. / New York 1990, S. 107 – 145. Korff, Gottfried: „Die Ecomusées in Frankreich – eine neue Art, die Alltagsgeschichte einzuholen“, in: Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum. Hg. von den Mitarbeitern des Historischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1982, S. 78 – 88. La muséologie selon Georges Henri Rivière: cours de muséologie, textes et témoignages, Paris 1989. Meijer-van Mensch, Léontine: „Stadtmuseen und ‚Social Inclusion‘: Die Positionierung des Stadtmuseums aus der ‚New Museology‘“, in: Gemmeke, Claudia / Nentwig, Franziska (Hg.): Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, Bielefeld 2011, S. 81 – 92. Raphaël, Freddy / Herberich-Marx, Geneviève: „Das Museum als Provokation des Erinnerungsvermögens“, in: Gottfried Korff / Roth, Martin (Hg.): Das historische Museum: Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt a.M. / New York 1990, S. 146 – 178. Varine, Hugues de: „Le musée éclaté: Le Musée de l’Homme et de l’Industrie“, in: Museum 23 (1973), S. 242 – 249. Varine, Hugues de: „Tomorrows community Museums“, Vortrag, 15. Oktober 1993, in der Universität von Utrecht, Onlinedokument, http: / / assembly.coe.int / Museum / ForumEuroMusee / Conferences / tomorrow.htm [letzter Zugriff 25.07. 2011].
Plädoyer: Um die Spielregeln spielen!
PLÄDOYER Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum Nora Sternfeld
Mit der Idee der Partizipation adressiert dieser Band einen Trend in aktuellen institutionellen Diskursen und fragt nach Museumspraxen, die zunehmend auf ,soziale Inklusion‘ setzen. Aber wer soll eigentlich in welches Verhältnis inkludiert werden? Welche Zuschreibungen sind dabei im Spiel? Und warum sollte überhaupt irgendjemand Lust haben, bei einem Spiel mitzuspielen, das gänzlich andere erfunden haben? Der Text widmet sich Handlungsräumen im Museum, die mit der Idee der Partizipation verbundene Zuschreibungen zurückweisen, überschreiten oder aber auch neu definieren wollen. Dies geschieht in drei Teilen: Der erste Teil widmet sich der Problematik des „partizipatorischen Imperativs“1 – anhand eines historischen deutschen Beispiels einerseits und mit einem Blick auf den Begriff des Transformismus bei Antonio Gramsci andererseits. Im zweiten Teil möchte ich (mit Hilfe von Carmen Mörsch und Jacques Rancière) die Spielregeln selbst ins Spiel bringen. Und drittens wird es (anhand von Überlegungen von Irit Rogoff) um die Frage nach dem Möglichkeitsraum gehen. Denn vielleicht kann im post-repräsentativen Museum ja Unerwartetes geschehen …
1 | Vgl. dazu die Tagung „Der Partizipatorische Imperativ“, Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb, 13. – 15. Mai 2010, http://www.imperativsudjelovanja.net/index_njem. html, [letzter Zugriff 30.08.2011], sowie die in diesem Zusammenhang erschienene Publikation: Jedermann, Katharina / Leko, Kristina: „The Participatory Imperative. Art Mediation, The Art of Mediation“, in: Zivot Umjetnosti 88 (2011), S. 6 – 19.
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Der partizipatorische Imperativ Kultur für alle! Das ist keine politische Forderung, vielmehr fast eine Drohung in der Geschichte der Kulturpolizei. Beginnen wir mit der Kunst. Gleichzeitig mit ihrem Autonomwerden und ihrer damit einhergehenden Möglichkeit, politisch Position zu beziehen, erhält diese auch eine erzieherische, staatstragende Funktion. Im ausgehenden 18. Jahrhundert unterstellt Schiller der Kunst die Möglichkeit zur Moralbildung. Und so wird mit dem Anspruch auf Verbreitung von Kultur – mit der Öffnung der Museen und der allgemeinen Schulpflicht – auch die Teilnahme an der Kunstbetrachtung von Jahr zu Jahr mehr zu einer Herrschaftstechnik. „Die Kunst für alle!“ Unter diesem programmatischen Titel ließen sich Anfang des 20. Jahrhunderts sogar sehr gut reaktionäre, rassistische und antisemitische Strömungen vertreten: So erscheint 1885 in Deutschland die erste Ausgabe einer Kunstzeitschrift mit diesem Namen, die sich selbst als „volkserzieherisch“ versteht.2 Sie entwickelte sich bis 1910 zu einer der auflagenstärksten Kunstzeitschriften Deutschlands. Erster Herausgeber und Chefredakteur war Friedrich Pecht, für den „Kunst für alle“ das Synonym für eine volkstümliche und national geprägte Kunst war. Der volkserzieherische Gedanke der Zeitschrift bestand im Wesentlichen in einer Verbindung von gegenständlicher Malerei, Volk, Gesundheit und Rasse. Sie existierte bis 1944. Antielitäre Rhetorik ging in der Geschichte deutscher Kunstrezeption also durchaus mit antimodernistischen und antiintellektuellen Haltungen einher. Heute sollen Kunst und Kultur nicht mehr nur ‚für alle‘ da sein, sondern unter dem Schlagwort der ‚Partizipation‘ zur Kunst ‚mit allen‘ werden. Darüber hinaus geht es unter dem Label ‚Herstellung von Sichtbarkeit‘ immer wieder darum, das Feld der Repräsentation auf marginalisierte Gruppen der Gesellschaft zu erweitern. Aus der Perspektive von diesen ‚allen‘ (gemeint sind marginalisierte Positionen, die bisher nicht als Teil von ‚allen‘ – oder besser als Zielgruppen – gewonnen werden konnten ), an die sich die neuen institutionellen Diskurse richten, bedeutet das, dass sie einerseits eingeladen werden mitzumachen und andererseits als Objekte der Repräsentation zur Verfügung stehen sollen. Der Kunst- und Kulturvermittlung wird in diesem Zusammenhang die Rolle der Brücke zwischen den Zielgruppen und den elitären Inhalten der Institutionen zugeschrieben. Sie soll – zumeist bei kompletter Unangetastetheit der Institution – die Lücken schließen, die diese ihrem (Bildungs-)Auftrag schuldig bleibt.
2 | Vgl. Meister, Jochen / Brantl, Sabine: Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle, München 2006, Die Publikation erschien anlässlich der Ausstellung „Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle“ im Haus der Kunst, München, 14. Juni bis 3. September 2006, Onlinedokument, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/frontdoor.php?source_opus=102 [letzter Zugriff 09.11.2011].
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Partizipation meint in diesem Zusammenhang eigentlich vor allem Interaktion.3 Alle sollen den Eindruck haben sich zu beteiligen, ohne dass diese Beteiligung irgendeinen Einfluss nehmen kann. Wie ist diese Partizipation, bei der sich möglichst viele beteiligen sollen, ohne dass sie etwas zu entscheiden haben, nun zu verstehen? Zumeist handelt es sich dabei wohl nicht um eine emanzipatorische, sondern um eine institutionell-hegemoniale Strategie, die Antonio Gramsci „Transformismus“4 genannt hat. Diese basiert – Gramsci zufolge – darauf, dass Hegemonie nie nur durch Zwang, sondern immer auch durch Bildungsprozesse hergestellt und erhalten werden muss. „Jedes Verhältnis von Hegemonie“, schreibt er, „ist ein pädagogisches Verhältnis“5. Und weil er die reformpädagogische Einsicht ernst nimmt, dass Lernen keine Einbahnstraße von den Lehrenden zu den Lernenden, sondern ein Verhältnis voller gegenseitiger Lerneffekte ist, macht er deutlich, dass Hegemonie auch darin besteht, von den Rändern zu lernen. Allerdings nicht zur Veränderung der Machtverhältnisse, sondern im Hinblick auf ihre Erhaltung. „Wer Gutes bewahren will, muss manches verändern“ war ein Slogan der Österreichischen Volkspartei in den 1990er-Jahren: eine transformistische Einsicht im Hinblick auf die Erhaltung der bestehenden Machtverhältnisse. Das Ziel des Transformismus besteht darin, Kritik zu integrieren, ohne dass die Verhältnisse und Strukturen von Macht und Ausschluss selbst ins Spiel kommen müssen.6
Die Spielregeln selbst Neben diesem hegemonialen Verständnis von Partizipation möchte ich versuchen einen anderen Begriff der Partizipation vorzustellen und zu entwickeln: Ich schlage vor, Partizipation nicht als bloßes ‚Mitmachen‘ zu begreifen, sondern als eine Form der Teilnahme und Teilhabe, die die Bedingungen des Teilnehmens selbst ins Spiel bringt.
3 | Vgl. Kravagna, Christian: „Arbeit an der Gemeinschaft“, republicart webjournal 1 (1998), Onlinedokument, http://www.republicart.net/disc/aap/kravagna01_de.htm, [letzter Zugriff 30.08.2011]: „Interaktivität überschreitet ein bloßes Wahrnehmungsangebot insofern, als sie eine oder mehrere Reaktionen zuläßt, die das Werk in seiner Erscheinung – meist momentan, revidierbar und wiederholbar – beeinflussen, seine Struktur aber nicht grundlegend verändern oder mitbestimmen.“ 4 | Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 10 / II, § 44, Hamburg 1994, S. 1.727 f. 5 | Ebd. S. 1.335. 6 | Vgl. Marchart, Oliver: Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung, Köln 2008, S. 25. Oliver Marchart wendet den Begriff des Transformismus aus der politischen Theorie auf das Ausstellungsfeld an und ermöglicht damit eine über Vereinnahmungslamentos hinausgehende differenzierte Analyse gegenwärtiger Tendenzen und Strategien im Ausstellungskontext.
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Die Vermittlungstheoretikerin Carmen Mörsch unterscheidet vier verschiedene Formen der Vermittlung und spricht von affirmativen, reproduktiven, dekonstruktiven und transformativen Ansätzen der Vermittlung: 7 Mörsch zufolge geben affirmative Ansätze das Wissen und die Werte von Institutionen frontal weiter, während reproduktive Methoden für den Erwerb von institutionellem Wissen und Werten eher dialogische und interaktive Mittel wählen. In beiden Fällen werde der institutionelle Kanon allerdings nicht hinterfragt. Dies finde vielmehr erst in der dritten Kategorie, bei den dekonstruktiven Zugängen, statt. Denn diese würden Institutionen und ihre Logiken reflektieren, während die vierten, die transformativen Strategien noch einen Schritt weiter gehen würden: Sie hätten nämlich das Ziel, die Institutionen nicht nur zu analysieren, sondern sie auch zu verändern. Ich schlage nun vor, nur bei den transformativen Strategien von Partizipation im eigentlichen Sinne zu sprechen. Denn Partizipation im demokratischen Verständnis des Worts ist die Teilhabe an der Entscheidung über die Bedingungen des Teilnehmens, an den Bedingungen der Entscheidungen und der Repräsentation. Partizipation ist also nicht das bloße Mitspielen, sondern die Öffnung für die Frage nach den Spielregeln selbst: nach den Bedingungen unter denen Bildung, Öffentlichkeit und Repräsentation in Institutionen stattfinden. Und genau in diesem Sinn kann sie auch einen Unterschied machen. Partizipation hat also mit der Möglichkeit zur Transformation zu tun. Ob wir uns allerdings bei dieser Öffnung für eine mögliche Veränderung in einer transformistischen (im Sinne der Herrschaftstechnik, wie Gramsci sie beschreibt) oder in einer transformativen Situation (im emanzipatorischen Verständnis von Mörsch) befinden, ist in der jeweiligen Situation zu entscheiden. Vielleicht hilft bei dieser Entscheidung noch einmal die Unterscheidung zwischen Politik und Polizei bei Jacques Rancières. In Rancières politischer Theorie findet Politik in dem Moment statt, wo der „Teil ohne Anteil“ im Namen der Gleichheit seinen Teil einfordert – und damit die polizeiliche Logik der Verwaltung und der organisierten Ungleichheit durchbricht.8 Diesen Begriff aufnehmend, scheint Partizipation zumeist ein polizeiliches Moment zu beinhalten: freiwillige Selbstbeteiligung im Hinblick auf freiwillige Selbstregulierung. Es gibt demgemäß keinen Grund, warum Kunst als Herrschaftstechnik für alle gefordert werden sollte, bloß damit der Mangel an Definitionsmacht von jenem Teil der Gesellschaft, dem sie verwehrt ist, besser einstudiert und akzeptiert werden könnte und die bestehenden Definitionsmachtverhältnisse besser verinnerlicht. Ebenso wenig scheint es notwendig, für eine ‚Kunst mit allen‘ einzutreten, wie sie in politischen Programmen und Kunstvermittlungskonzepten seit den 1990er-Jahren gerne gefordert 7 | Vgl. Mörsch, Carmen: „Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation“, in: dies. (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Zürich / Berlin 2009, S. 9 – 33. 8 | Vgl. Rancière, Jacques: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie (frz. Erstveröffentlichung 1995), Frankfurt a. M. 2002.
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wird. Wer will schon mitmachen? Es kann nicht ausreichen, bloß mitzumachen: Die Herstellung von Sichtbarkeit – sichtbar zu sein oder auch was sagen zu dürfen – kann einfach nicht genügen. Vielmehr geht es darum, in eine Auseinandersetzung über die Bedingungen der Definitionsmacht einzutreten. Ein Perspektivenwechsel, der einen Unterschied macht, zielt auf die gesamten Spielregeln und nicht bloß auf die Möglichkeit mitzuspielen: auf die Definitionsmacht über das Sichtbare. Dabei geht es darum, in das umkämpfte Terrain dessen, was als sichtbar und sagbar gilt, einzutreten. Und das ist eben ein Kampf um Hegemonie, um Macht, um Umverteilung und auch um Enteignung der bestehenden Machtverhältnisse im Feld der Sichtbarkeit. Was also auf dem Spiel steht, sind die Spielregeln selbst. Diese Forderung nach Teilhabe ist aus Rancières Perspektive eine Frage von Politik. Partizipation erfolgt nicht auf Einladung: Sie wird erkämpft, dabei durchkreuzt und verschiebt sie die bis dahin bestehenden gesellschaftlichen Logiken.
Möglichkeitsräume im post-repräsentativen Museum In den letzten Jahren arbeitete die Theoretikerin und Kunsthistorikerin Irit Rogoff an einer Neuformulierung des Begriffs der Partizipation. Ihren Text „Looking Away. Participations in Visual Culture“9 beginnt sie mit der Frage: „What comes after the critical analysis of culture?“ Sie stellt also die Frage, was über die Institutionskritik hinaus in Institutionen getan werden kann. Rogoff schlägt einen Blickwechsel vor, der darin besteht, dass binäre Logiken von Akteuren und Betrachtern durchkreuzt werden: „[…] a shift of the traditional relations between all that goes into making and all that goes into viewing, the objects of visual cultural attention“. Während die traditionelle Kunstgeschichte ebenso wie die erprobte Praxis der Vermittlung immer davon ausging, dass es darum gehe, besser, gemeinsam und genauer hinzusehen, schlägt Rogoff ‚wegsehen῾ – „looking away“ – als eine Strategie der Partizipation vor. Sie lenkt den Blick auf das, was geschehen kann, t wenn die Intentionen (von Künstlern und Kuratoren) nicht mehr alle Gespräche und Handlungsformen in Ausstellungen dominieren, t wenn unerwartete und ungewöhnliche Begegnungen stattfinden, t wenn performative Handlungen neue Formen des Umgangs mit Institutionen und Ausstellungen generieren. Rogoffs Verständnis der Partizipation beginnt also dann, wenn die Vorstellung von Ausstellungen als Räumen der Repräsentation verlassen wird und ein Raum der Möglichkeit entsteht. Was kommt also nach der Kritik? Oder mit anderen Worten: Wie kann die Kritik am Museum im Museum Folgen haben, die wir nicht bereits vorher 9 | Rogoff, Irit: Looking Away. Participations in Visual Culture o. J., Onlinedokument, http://collabarts.org/?p=6 [letzter Zugriff 25.11.2011].
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definieren und kennen? Und wie können diese Folgen über bloße Repräsentation und vorgefertigte Identitätszuschreibungen hinausgehen? Rogoff geht auf einen wichtigen Aspekt der Diskussionen um ‚Identitäten‘ in den letzten 20 Jahren ein. Tatsächlich sind diese stark mit der Debatte um ‚Partizipation‘ verbunden, geht diese doch oft Hand in Hand mit der Funktion der Museen und Institutionen zur ‚sozialen Inklusion‘. Rogoff macht darauf aufmerksam, dass die Repräsentation von marginalisierten Gruppen keine Errungenschaft an und für sich ist. Und offensichtlich – soll hier über Rogoff hinaus hinzugefügt werden – sind die Vermittlungskonzepte, die sich an marginalisierte Gruppen richten bzw. deren Ziel die soziale Inklusion ist, bei näherer Betrachtung viel mehr von Zuschreibungen als von Selbstdefinitionen getragen. Hier werden zumeist neue Zielgruppen definiert, deren Anliegen zur Inklusion als benannte und ausgemachte gesellschaftliche Gruppen in zahlreichen Aspekten die Exklusion (als über die Zielgruppe hinausgehende Akteure) sogar verstärken kann. Gerne ist etwa in Vorstellungen von partizipatorischen Projekten dann stolz von ‚ehemaligen Drogensüchtigen‘ zu hören – eine Zuschreibung, die die Vergangenheit der Beteiligten in ihre Gegenwart in einer Ausstellung hereinträgt. Warum eigentlich? Bei Fragen der Partizipation, Integration und Inklusion ist darüber hinaus auch die Frage danach wichtig, wer hier mit welchem Recht glaubt, wen inkludieren zu können. Um dieser Frage zugleich zu entgehen und sie für eine mögliche Handlungsmacht fruchtbar zu machen, schlägt Rogoff vor, einen neuen post-identitären Wir-Begriff zu entwickeln. Sie versteht Partizipation auf diese Weise als eine kollektive Praxis des öffentlichen Sprechens und Handelns, die sich identitären Zuschreibungen widersetzt. Diesem postidentitären ‚Wir‘ soll zum Abschluss dieses Texts nun noch die Idee einer post-identitären Solidarität hinzugefügt werden. Dafür gilt es die Frage zu stellen, wie in Institutionen, wenn diese (wie im Fall des Transformisms bei Gramsci beschrieben) von marginalisierten Positionen lernen, auch solidarisch gehandelt werden kann – also nicht im Hinblick auf eine Erhaltung des Bestehenden, sondern im Hinblick auf eine Veränderung. Was ist damit gemeint? Solidarisches institutionelles Handeln wäre eines, das mit der Erschütterung solidarisch ist, die durch die von Rancière beschriebene Durchkreuzung der Logik der Polizei vom „Teil ohne Anteil“ erfolgt. Solidarisches institutionelles Handeln würde sich der permanenten Zurückweisung dieser Erschütterung durch den Transformismus zu widersetzen versuchen. Da der Transformismus ebenso in kleinen Handlungen wie in großen Strukturen wirkt, wäre diese post-identitäre Solidarität genauso im kleinen institutionellen Alltag wie im Hinblick auf die gesellschaftlichen Strukturen und Ausschlüsse zu denken. Kunstvermittlung als Möglichkeitsraum zu begreifen, bedeutet in diesem Sinne den Ausstellungsraum als Raum der Repräsentation zu verlassen und ihn als postrepräsentativen öffentlichen Raum zu begreifen: 1. als einen Raum, in dem etwas geschehen kann – etwas von dem vorher nicht definiert ist, was es sein wird und wer darin agiert –, 2. geht es darüber hinaus nicht bloß darum, dass irgendetwas Unerwartetes geschieht, sondern darum, dass das, was geschieht, etwas verändern kann, und
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3. findet all das – auch wenn es die Logiken der Zuschreibungen verlässt – innerhalb von Machtverhältnissen statt.10 Eine solche demokratische Idee der Partizipation bezieht zugleich Position und lässt offen, worauf sie hinausläuft. Sie ist zugleich Kritik und Affirmation (im Sinn von Handlungsmacht). Das klingt gut, ist aber – das soll zum Abschluss dieses Textes nicht verschwiegen werden – in der Realität mit zahlreichen Folgefragen verbunden. Denn Kunst- und Kulturvermittlung als Möglichkeitsraum zu begreifen, heißt auch, sich mit allen Problemen auseinanderzusetzen, die mit offenen Prozessen verbunden sind: Was ist, wenn nichts Unerwartetes geschieht? Was ist, wenn niemand handeln will? Was ist, wenn wir mit marginalisierten Reklamationen nicht einverstanden sind? Was ist, wenn niemand etwas zu reklamieren hat? Unsere Arbeit im Rahmen von trafo.K11 – einem Büro, in dem meine Kolleginnen Elke Smodics-Kuscher, Renate Höllwart und ich seit zwölf Jahren Vermittlungsprojekte an der Schnittstelle von Bildung und Wissensproduktion machen – zeigt, wie widersprüchlich das Handeln im Möglichkeitsraum ist. Denn wenn eben nicht schon vorher klar sein kann, worum es geht, wenn es um Teilhabe geht, dann haben wir keine Antworten, handeln uns Probleme und Leerläufe ein, Schwierigkeiten, Auseinandersetzungen, Fragen … Und es sind gerade diese Herausforderungen der Partizipation, die ihre Stärke ausmachen und für die hier plädiert werden sollte.
Literatur Clifford, James: Routes, Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge Mass. 1997. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 10 / II, § 44, Hamburg 1994. Jedermann, Katharina / Leko, Kristina: „The Participatory Imperative. Art Mediation, The Art of Mediation“, in: Zivot Umjetnosti 88 (2011), S. 6 – 19. Kravagna, Christian: Arbeit an der Gemeinschaft, in republicart webjournal 1 (1998), Olinedokument, http: / / www.republicart.net / disc / aap / kravagna01_de.htm [letzter Zugriff 30.08.2011]. Marchart, Oliver: Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung, Köln 2008. 10 | James Clifford spricht von Museen als „Contact Zones“. Er betont dabei, dass das Ziel einer polydimensionalen und multiperspektivischen Auseinandersetzung im Museum nicht auf Augenhöhe verfolgt werden kann, wenn die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht zugleich mit thematisiert und (im Hinblick auf ihre Veränderung) in Betracht gezogen werden. Vgl. Clifford, James: Routes, Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge Mass. 1997, S. 189 – 219. 11 | http://www.trafo-k.at/ [letzter Zugriff 30.08.2011].
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Meister, Jochen / Brantl, Sabine: Ein Blick für das Volk. Die Kunst für Alle, München 2006. Mörsch, Carmen: „Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation“, in: dies. (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Zürich / Berlin 2009, S. 9 – 33. Rancière, Jacques: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt a. M. 2002 (frz. Erstveröffentlichung 1995). Rogoff, Irit: Looking Away. Participations in Visual Culture o. J., Onlinedokument, http: / / collabarts.org / ?p=6 [letzter Zugriff 25.11.2011].
PARTIZIPATION IN DER PRAXIS: POTENTIALE, PROZESSE, PROJEKTE
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Einführung
Die Arbeit mit dem partizipativen Ansatz im Museum manifestiert sich zum einen in Strategiepapieren und Leitbildern. Soll sie nicht bloßes Lippenbekenntnis bleiben, sondern tatsächlich zu neuen Ufern führen, muss sie jedoch vor allem ganz handfeste Auswirkung auf die Tätigkeit der Mitarbeitenden im Museum haben. Der dritte Buchteil untersucht, welche Folgen der partizipative Ansatz für den Museumsalltag hat. Welches Selbstverständnis braucht das partizpativen Museum als Institution? Auf welche – den traditionellen Vorstellungen von Museumsarbeit oft entgegenlaufende – Punkte gilt es in der partizipativen Praxis im Besonderen zu achten? Wo sind Konflikte sozusagen vorprogrammiert? Wie verändern sich die Rollen von Kuratoren, Konservatoren, Szenografen, Vermittlungs- und Kommunikationsbeauftragten im partizpativen Museum? Welche (neuen) Prozesse, Methoden und Tools befördern einen partizipativen Ansatz? Und nicht zuletzt: Wie könnten partizipative Projekte genau ausschauen? Die Texte von Beat Hächler, Sabine Jank, Angela Jannelli, Beat Gugger und Claudia Glass sowie der Aufsatz von Martin Dühspol, Frauke Miera und Lorraine Bluche zeigen anhand von konkreten Beispielen, durch welche Merkmale sich das partizipative Arbeiten auszeichnet. Ob die Inszenierung von Besucherhandlungen im „Gegenwartsraum“ (Hächler), das Experimentieren mit dem Forum, dem Labor und dem Social Web (Jank), die Auseinandersetzung mit der partizipativen Graswurzelbewegung der wilden Museen (Jannelli), die konkrete Projektarbeit mit Laien (Gugger und Glass) oder die Beschäftigung mit Migrationsgeschiche als Stadtgeschichte (Dühspol, Miera und Bluche) – das Arbeiten mit partizipativen Ansätzen birgt viele Chancen, scheitert jedoch auch immer wieder an der mangelnden Bereitschaft, sich auf die Unwägbarkeiten der Partizipation einzulassen. Die ersten fünf Texte dieses Kapitels sind denn auch nicht nur als Erfahrungsberichte zu lesen, sondern fächern zugleich einen Katalog an Forderungen auf, die an die Mitarbeiter im partizpativen Museum gestellt werden. Die anschließenden Texte beschäftigen sich mit konkreten Facetten der Orientierung am partizipativen Ansatz im Museum. So erörtert Matthias Schnegg die Folgen des „participatory turn“ für die Szenografie. Barbara Wenk versucht sich an einem Katalog von Eigenschaften, die den partizipativ arbeitenden Kurator ausmachen. Renate
Einführung
Flagmeier reflektiert – basierend auf den Erfahrungen des Werkbundarchivs / Museums der Dinge – die Möglichkeiten des partizipativen Sammelns. Axel Vogelsang fordert das Museum im Anschluss an Nina Simon dazu auf, Social Media nicht mehr nur als Marketingtool zu betrachten, sondern auch in einem inhaltlichen Sinne ernst zu nehmen und zu nutzen. Und Patricia Munro beschäftigt sich mit der „partizipativen Kultur“ als einem Idealzustand. Zum Abschluss des ersten Teils dieses dritten Kapitels versucht Anja Piontek – quasi als Zusammenfassung der vorhergehenden Texte – wesentliche Aspekte von Partizipation im Museums- und Ausstellungswesen zu beleuchten und eine Systematisierung dieses komplexen Feldes vorzunehmen. In einem zweiten Teil werden dann acht Praxisbeispiele vorgestellt, die die verschiedenen Spielarten der Partizipation ausleuchten. Wie Jan Wilhelm Huntebrinker in seinem Text ausführt, sind es oft Stadtmuseen, die partizipative Projekte verfolgen, da diese helfen, „das Profil des Museums als Stadtmuseum zu stärken, indem die Stadtbewohner selbst ihre Perspektiven auf die Stadt einbringen und zur Diskussion stellen können“. Neben Huntebrinker stellen Anja Piontek, Katja Weber und die Ausstellungsgestalter von museeon weitere partizipative Projekte vor, die sich auf die Stadt beziehen. Die Texte von Natalie Bayer, Christine Gebrich, Jutta Fleckenstein sowie Barbara Lenz und Marlene Kettner präsentieren Projekte, die allesamt das Thema Migration in den Mittelpunkt stellen. Arnoud Odding lässt die dank partizipativer Strategien gelungene ‚Wiederauferstehung‘ des Nationalen Glasmuseums Leerdam Revue passieren. Und Fabian Ludovico zeigt, welche unterschiedlichen Positionen der Kurator im Rahmen von partizipativen Sammlungsprojekten im Werkbundarchiv / Museum der Dinge einnehmen kann. In seinem ebenso hintergründigen wie provokanten Plädoyer verweist Christian Hirte auf die Autonomie des Besuchers, die sich auch in Formen der Partizipation äußert, die vom Museum alles andere als intendiert sind. So unterschiedlich die hier vorgestellten Konzepte, Stoßrichtungen und Projekte sind, so haben sie doch einen gemeinsamen Nenner: Partizipatives Arbeiten hat mit Offenheit und (ehrlicher) Neugierde zu tun. Oder negativ formuliert: mit Kontrollverlust und der Negierung des Museumsmitarbeiters als autonomer Entscheidungsinstanz. Wer den partizipativen Ansatz ernst nimmt, muss die Bereitschaft erkennen lassen, tradierte Rollenverständnisse hinter sich zu lassen, den Partizipierenden auf Augenhöhe zu begegnen, neue Konstellationen auszuprobieren und den eigenen (Experten-) Standpunkt zu hinterfragen. Auch machen die in diesem Buchteil versammelten Texte klar, dass wir erst am Anfang stehen: Das partizipative Museum steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar sind vielerorts partizipative Ansätze zu erkennen, das Potential der Partizipation im Museum kommt jedoch noch lange nicht vollends zum Tragen.
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POSITIONEN
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Gegenwartsräume Ansätze einer sozialen Szenografie im Museum Beat Hächler
„Andy Warhol. Cars“ hieß im Frühling 2010 eine Ausstellung in der Albertina Wien. Gezeigt wurden Werke aus der Daimler Kunst Sammlung von Andy Warhol, Robert Longo, Vincent Szarek und der Genfer Künstlerin Sylvie Fleury. Fleury war unter anderem mit einer Installation einer lose an die Wand gelehnten Bildergruppe vertreten. Die neun großformatigen Aluminiumplatten zeigten Covers amerikanischer Automagazine. Wahrscheinlich wäre die Ausstellung ohne internationale Beachtung zu Ende gegangen, hätte sich nicht folgende Geschichte zugetragen; ich zitiere und kolportiere aus der Berichterstattung der Berner Tageszeitung „Der Bund“ und aus dem Magazin der „Arbeiterkammer Wien“1. Der Vorfall ereignete sich an einem Vormittag, kurz bevor die Albertina ihre Tore wie gewöhnlich für die Besucher öffnete. Oberaufseher Wolfgang Dorn machte noch einmal eine Kontrollrunde durch die leeren Säle, als er von einem Unteraufseher darauf aufmerksam gemacht wurde, dass eine der neun Platten leicht verrutscht sei. Zu diesem Zeitpunkt gab es vor der Installation noch keine Absperrung; möglicherweise war ein Besucher oder die Raumpflegerin am Vortag daran gestoßen. Dorn zögerte nicht lange und rückte mit vorsichtigem Druck das Kunstwerk wieder in die ursprüngliche Position. Nicht mehr als einen Zentimeter habe er die Tafel bewegt, erklärt er später. Für Oberaufseher Dorn war damit die Angelegenheit erledigt – nicht aber für das Management der Albertina. Wolfgang Dorn wurde unverzüglich vom Dienst im Museum freigestellt. Die Vizedirektorin begründete diesen Schritt mit „Vertrauensverlust“: Ein Oberaufseher habe Kunst nicht anzugreifen, „egal ob von Rembrandt, Dürer oder Fleury“. Dorn hätte nach Entdeckung des verrückten Kunstwerks Restauratoren, Kuratoren und das „Exhibition Management“ verständigen müssen, nicht aber selber Hand anlegen dürfen. Der Beschuldigte, 45-jährig, ließ vor dem Arbeitsgericht Reue erken1 | Vgl. Bernhard Odendahl: „Verrückte Kunst“, in: Der Bund, 17. April 2010, S. 44; „Museumsaufseher zurück im Job“, in: AK für Sie, 09 / 2010, S. 16.
Gegenwartsräume
nen; er habe im Affekt gehandelt. Das Gericht ließ Milde walten und sprach nur eine Verwarnung aus. Dorn durfte seine Stelle als Oberaufseher behalten. Szenenwechsel, von Wien nach Lenzburg. Lenzburg ist eine Kleinstadt im Schweizer Mittelland, 8.000 Einwohner, 20 Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt und Homebase des Schweizer Ausstellungshauses Stapferhaus Lenzburg. Im Jahre 2007 zeigte das Stapferhaus „Glaubenssache. Eine Ausstellung für Gläubige und Ungläubige“; danach war die Ausstellung in Luxemburg zu sehen. Es ging den Machern um die Auseinandersetzung mit Glaube und Religion im Alltag der Gegenwart. Die Ausstellung fand – mangels eigener Ausstellungsräumlichkeiten, das Stapferhaus ist kein Museum – in einem unprätentiösen ehemaligen Zeughaus der Armee, zwischen Einfamilienhaussiedlung und Industriezone, statt. Was viele überraschte: Die Ausstellung begann nicht drinnen, sondern bereits draußen vor der Tür. Anstelle des erwarteten Halleneingangs erwartete eine Installation mit zwei beschrifteten Eingängen das Publikum: hier der Eingang für Gläubige, dort der Eingang für Ungläubige. Eine dritte Tür gab es nicht, nicht einmal für Lieferanten und das Personal. Die Türen wurden aufwendig, aber gleichwertig inszeniert. Strahlendes Weiß mit goldener Schrift, eingefasst durch einen in Messingplatten gekleideten Türkasten. Die Besucher, die auf eine der Türen zugehen wollten, schritten auf einem 5 cm hohen Laufsteg aus Gussasphalt, der sich in die Halle hinein verlängerte. Die Wahl der Tür begann dadurch schon 5 m vor der Tür mit dem ersten Schritt auf den Laufsteg. Wer in die Ausstellung gelangen wollte, musste sich auf dem Steg als „Gläubiger“ oder „Ungläubiger“ öffentlich zu erkennen geben. Erst das Sich-Exponieren, das Gehen auf dem Steg, der Griff zur Klinke, das Öffnen der Tür, brachte das eigentliche Exponat, die Handlung, hervor. Die beiden Szenen lassen in Kurzform zwei fundamental verschiedene Konzeptionen erkennen, die beim Nachdenken über das partizipative Museum relevant sind. Ich möchte hier kurz fünf, in beiden Konzeptionen angelegte Elemente skizzieren, um dann auf die Umrisse einer „sozialen Szenografie“ zu sprechen zu kommen.
Fünf Merkmale sozialer Szenografie 1. Das Werk: Sehen vs. Gehen oder: Betrachten vs. Handeln Sylvie Fleurys Werk der neun Aluminiumtafeln hat zweifellos eine zu entziffernde Bildbotschaft zum Thema „Cars“. Primär besteht das Werk jedoch aus dem räumlichen Ensemble von Bildtafeln, dessen Anordnung im white cube in Überlappungen, bestimmten Abständen und Neigungswinkeln von der Künstlerin bestimmt und fixiert wurde. Das Werk steht für sich alleine und erschließt sich durch seine physische Präsenz und Materialität. Die Rolle des Besuchers ist es, dieses Werk zu sehen, mit den Augen zu lesen und allenfalls zu verstehen. Wollte man genau dieses Verhalten auf die Eingangssituation von „Glaubenssache“ anwenden, müsste der geübte Albertina-Besucher vor dem Eingang von „Glaubenssa-
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Beat Hächler
che“ eine gewisse Zeit verharren, die Messingplatten mustern, die Türaufschrift lesen, über die Bedeutung des Installierten nachdenken und – unverrichteter Dinge weiterziehen. Der Gestus des Sehens führt im Falle von „Glaubenssache“ buchstäblich zu keinem Zugang. Dazu braucht es zwingend den Gestus des Handelns. Türen sind dann aber nicht Schauobjekte, sondern Handlungsanweisungen. Sie sind da, um geöffnet zu werden. In der Albertina – so viel wissen wir bereits – verhielt sich die Raumkonstruktion genau umgekehrt. Die an der Wand angelehnten Bilder signalisierten nicht, „wer hängt uns an die Wand?“ oder „wer räumt uns weg?“, sondern „hier steht ein unberührbares Kunstwerk“. Ein Handeln (im wörtlichen Sinne von Hand anlegen) war nicht nur nicht vorgesehen, sondern verletzte elementare Spielregeln des Kunstmuseumsbetriebs und wurde als ‚Vertrauensverlust‘ geahndet. Das Vertrauen der Institution Museum in die Besucher und in die nur für gewisse Handlungen autorisierten Angestellten war in diesem Fall das Vertrauen in rezipierende Betrachter-Besucher, die mit den Augen sehen, was Kurator und Künstlerin für das Publikum angerichtet habe und diese Rollenteilung in Handelnde und Nicht-Handelnde auch fraglos zu akzeptieren haben. Damit scheint etwas zweites Grundlegendes auf, das bereits angeklungen ist.
2. Die Stofflichkeit: Materialität vs. Immaterialität Der Gegenüberstellung der beiden Ansätze von Handlung bzw. Nicht-Handlung ist die unterschiedliche Stofflichkeit der beiden Exponatbeispiele eingeschrieben. Fleurys Bildwerk ist materiell und statisch, das performative Werk der Türwahl immateriell und flüchtig. Das performative Werk zeigt sich allenfalls weiteren Zufallszeugen vor der Tür, sicher aber der handelnden Person selbst. Diese führt sich im völlig artifiziellen Kontext Zeughausareal Lenzburg die Gretchenfrage „Glaube ich?“ mit ihrem Tun selber vor. Die Raumkonstruktion macht aus dem an Glaubensfragen interessierten Besucher einen Besucherakteur in eigener Sache. Die physische Distanz, die in der Albertina eingefordert und bei Fleurys Installation sogar nachträglich mit einem Absperrband durchgesetzt wurde, ist in der performativen Anordnung gerade nicht erwünscht. Das Design von Laufsteg und Tür musste gerade so gewählt werden, dass ein Begehen und Handanlegen an der Installation ohne Scheu und Zweifel erfolgen konnte. Das war nur durch ein szenografisches Fait accompli möglich, das die erwünschte Handlung in einem ganz bestimmten Raumkontext designte. Das führt zum Raumbegriff.
3. Der Raumbegriff: Raum vs. Ort Der französische Philosoph und Historiker Michel de Certeau unterscheidet in seinem Buch „Kunst des Handelns“ klar zwischen Ort (lieu) und Raum (espace): „Ein Ort ist die Ordnung (egal, welcher Art), nach der Elemente in Koexistenzbeziehungen aufgeteilt werden. Damit wird also die Möglichkeit ausgeschlossen, dass sich zwei Dinge an derselben Stelle befinden. […] Ein Ort ist eine momentane Konstellation von festen Punkten.“ (de Certeau, zitiert nach Dünne / Günzel 2006: 345) Umgekehrt ist für de
Gegenwartsräume
Certeau Raum ein „Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten. […] Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht.“ (Ebd.) Die Trennungslinie zwischen den beiden Fallbeispielen ähnelt der Grenzziehung zwischen Ort und Raum. Bei Sylvie Fleurys Installation ist die punktgenaue Position und das zentimetergenaue Nebeneinander zentral. Wichtig ist die Ortsbezogenheit, „die momentane Konstellation von festen Punkten“, wie de Certeau dies nennt. Platte neben Platte, aber auch Besucher dort und Werk hier. Anders die Anordnung von Besuchern, Laufsteg und Tür bei „Glaubenssache“. Die vor dem Zeughaus verortete Eingangsinstallation ist nur Voraussetzung für den zu schaffenden Raum. Der Raum entsteht aus den Handlungen der Besucherakteure. Dieser Raum ist genauso immateriell wie die Handlungen selbst, vor allem aber emanzipiert sich der Raum von der Vorstellung des einen und unteilbaren Orts. Es können durchaus verschiedene Räume am gleichen Ort entstehen, je nachdem wer hier welche Handlungen ausführt. Damit stellt sich anknüpfend die Frage nach den Akteuren.
4. Die Akteure Oberaufseher vs. Unteraufseher, Kurator vs. Künstlerin, Besucherbetrachter vs. Besucherakteur: Das Museum ist immer ein Feld von Handelnden mit unterschiedlichen Rollenzuschreibungen. In den beiden Beispielen sind die Räume der Akteure jedoch ganz unterschiedlich aufgespannt. Hier das Kunstmuseum mit einer feingliedrigen Hierarchie von Museumsleitung, Kuratorin, Künstlerin, Ober- und Unteraufseher und Besucherinnen und Besuchern. Ihre unterschiedlichen Handlungsfelder sind in einer vertikalen Stufenordnung angelegt. Je weiter unten ein Akteur steht, desto weniger Aktionsradius besteht. Dort das themenbezogene Ausstellungshaus mit einem temporären Projektteam, das sich aus Kulturwissenschaftlern, Szenografen, Architekten, Medientechnikern, Vermittlungsleuten etc. zusammensetzt und das Publikum mit einer partizipativen und performativen Raumanordnung konfrontiert – als Mitspieler und einigermaßen auf Augenhöhe. Natürlich existieren auch hier Hierarchien und Einflusssphären; die Szenografie macht unverhandelbare Vorgaben und wirft die Besucher ungefragt in eine vorgegebene Situation. Aber die inhaltlich angelegte Handlungsebene der Besucherakteure entsteht erst in der Situation. Sie bringt sich selber hervor und ist zwingender Bestandteil für die Produktion des Raums. Der Raum entsteht erst aus der Verschränkung von inhaltlicher Konzeption, räumlicher Gestaltung und sozialer Praxis / Handlung durch die Besucher.
5. Die Macht der Hülle Museum vs. Zeughaus, white cube vs. Forum, Tempel vs. Labor: Die Frage ist so alt wie das Museum selbst. Die ersten Wunderkammern waren dem Gegenwartslabor vermutlich näher, als es viele Museen heute sind. Die Frage stellt sich: Wie sehr sind Museen in ihrem Raumbildungsvermögen durch ihre institutionelle Architektur und
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Betriebskultur bereits geprägt, gebunden, beschränkt? Welchen Unterschied macht es, Sylvie Fleurys Bildinstallation im white cube in der Albertina, in der Zeughaushalle in Lenzburg oder an einem Messestand am Automobilsalon in Genf zu zeigen? Das Historische Museum Frankfurt ist gerade daran, auf diese Frage eine neue Antwort zu geben. Nämlich: eine Museums- und Ausstellungsarchitektur zu schaffen, die den gewünschten partizipativen Raum zulässt oder sogar verstärkt. Wenn wir die Hüllen von Albertina Wien und Zeughaus Lenzburg einander gegenüberstellen, schließen wir intuitiv auf die Existenz völlig verschiedener Räume. Umgekehrt ließe sich auch formulieren: Wenn wir uns, gesetzt den Fall, von beiden Institutionen identische Wirkungen erhoffen würden, müssten die Interventionen an den beiden Orten völlig verschieden ausfallen, weil die raumkonstituierenden Elemente so verschieden ausgeprägt sind. Wie aber müssen partizipative Räume aussehen, damit sie einlösen, was sie versprechen? Wie weit gehört das partizipative Museum ins Museum und nicht in den Supermarkt oder in den Quartiertreff? Wie verträgt sich der partizipative Anspruch mit der tradierten Wahrnehmung des Museums als einer sakralen Zone des Unberührbaren?
Partizipative Räume als Stabilitätszonen zur „Gegenwartsvergegenwärtigung“ Die Frage nach dem partizipativen Museum geht über die Frage nach partizipativen Methoden und interaktiven Tools weit hinaus. Im Kern geht es um das Vermögen der Institution Museum, in der Gegenwart neue soziale Räume zu schaffen. Ich nenne sie hier etwas salopp: Gegenwartsräume; Räume (also nicht bloß Orte), die Gegenwart erkennbar, verhandelbar und reflektierbar machen, was den Einbezug von Geschichte ein- und nicht ausschließt. Was meint „Gegenwart“ in diesem Kontext? Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt Gegenwart als „Stabilitätszeitraum, für den aktuelle Erfahrungen und Erwartungen, gestützt auf Institutionen und Praktiken, Gültigkeit haben“ (Rosa 2009). Gegenwart ist die Periode des Gültigen, der Planbarkeit und der Stabilität. Gleichzeitig stellt Rosa fest, dass die Stabilitätsperioden der Gegenwarten zunehmend kürzer werden. Er greift die bereits von Hermann Lübbe popularisierte Vorstellung einer beschleunigten „Gegenwartsschrumpfung“ (Lübbe 1992) auf. Die „Verfallsraten von handlungsorientierenden Erfahrungen und Erwartungen“ (Rosa 2005: 133) nähmen progressiv zu, was die Konstruktion einer kollektiven kulturellen Gegenwart zunehmend erschwere. Rosa stellt die These auf, dass sich Gegenwartswahrnehmung dadurch auszeichne, dass wir immer mehr Erlebnisse pro Zeiteinheit machten, diese Erlebnisse jedoch episodisch blieben und nicht mehr miteinander und der je eigenen Identität verknüpft würden. „Die durch das Kurz-kurz-Muster gekennzeichnete Gesellschaft […] könnte sich daher als eine gleichermaßen erlebnisreiche wie erfahrungsarme Gesellschaft erweisen.“ (Ebd. 470) Das Museum als institutioneller „Gegenwartsraum“ müsste sich vor diesem Hintergrund als temporäre Stabilitätszone einbringen, in der Gegenwart vergegenwärtigt wird. Und das heißt primär, indem eigene Erfahrungen Raum erhalten und reflektiert werden können; Erlebniswelten gibt es ja genug. Man
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kann sich eine solche Stabilitätszone wie ein Freezing im öffentlichen Raum vorstellen; das sind jene kollektiven Kurzzeit-Happenings, an welchen wildfremde Personen für eine Minute ihre Bewegungen einfrieren und dadurch die Bewegung erst sichtbar werden lassen. Der Schweizer Soziologe Kurt Imhof braucht für die Stabilitätszone ein schönes deutsches Wort: Vergegenwärtigung. Museen, behauptet er, sind „Gegenwartsvergegenwärtigungsinstitutionen zum Zwecke einer orientierten Zukunftseroberung“ (Imhof 2008: 49). Sie stiften Orientierung für das, was kommt. Die Richtung ist klar: Die Wahrnehmung von Gegenwart erschließt sich nicht automatisch aus Zeitgenossenschaft und der Vervielfachung von Erlebnissen, sondern bedarf der Vergegenwärtigung, der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“, wie dies die Wissenssoziologen Peter Berger und Thomas Luckmann in ihrem Klassiker vor über 40 Jahren formulierten (Berger / Luckmann 1966). Erfahrungen müssen aus Erlebnissen herausgefiltert werden; der in Aussicht gestellte Mehrwert ist Orientierungsgewinn. Vergegenwärtigung geht von Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion der Gegenwartsakteure aus, die nur in der Einnahme einer minimalen Betrachtungsdistanz zum eigenen Tun zu haben sind. Die Disziplin, die hier seit Jahren Praxis gestaltet, ist die Szenografie. Der Begriff ist aus der antiken Theaterwelt entlehnt; seit gut zehn Jahren befindet er sich in ungebremster Expansion. Szenografie umfasst die „kulturelle Praxis und Theorie der Gestaltung performativer Räume in den Bereichen und an der Schnittstelle von Architektur, Theater, Ausstellung und Medien. […] In der Betonung des Prozesshaften, Ereignishaften und Konstruierten verbinden sich ehemals getrennte gestalterische Genres von Design über Architektur, Theater, Ausstellung, Messe und Museum zu inszenatorischen Gesten von Räumlichkeit“ (Brejzek / Müller von der Haegen / Wallen 2009: 371). Selber spreche ich im Falle von Ausstellungen wie „Glaubenssache“ lieber von „sozialer Szenografie“, verstanden als Metadesign von Inhalt, Form und Handlungen, mit Betonung auf den Handlungen. Martina Löw hat in ihrer Raumsoziologie einen relationalen Raumbegriff entworfen, der wesentliche Elemente einer handlungsorientierten Szenografie enthält. Sie versteht Raum ausschließlich als soziales Phänomen. „Raum ist eine relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten“ (Löw 2001: 271). Dieser Begriff grenzt sich insbesondere gegen ein absolutes Raumverständnis ab, das den Raum als Behälter begreift. „Die Erwartung an einen soziologischen Grundbegriff Raum muss demnach sein, dass er den Prozess der Konstitution erfasst und nicht dessen Ergebnis, z. B. Behälter zu sein, schon voraussetzt“ (ebd. 270 f.). Zweifellos ist die Prozesshaftigkeit ein zentrales Element, um Ausstellungen als performative Räume zu verstehen. Markus Schroer kritisiert jedoch zurecht, dass es nicht nur darum gehe, zu sehen, dass Raum sozial hergestellt werde, sondern auch zu berücksichtigen, was der Raum selber vorgebe. Schroer meint damit den Einbezug „räumlicher Arrangements“, die „nicht ohne Wirkung auf unser Verhalten“ blieben (Schroer 2006: 178). Schroer holt damit die ‚klassische‘ Gestaltung der Form, Raum auch als Container, in seine Raumbetrachtung zurück. Selber erlebe ich soziale Szenografie ganz ähnlich als die Konstruktion von Gegenwartsräumen in hoch artifiziellen Environments, die die
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Besucherakteure dazu anstiften, ihre eigene oder zumindest ihre zeitgenössische kulturelle Praxis über Handlungen besser wahrzunehmen.
Fünf Methoden sozialer Szenografie Zum Abschluss möchte ich dies mit fünf Methodenkategorien der Raumkonstruktion noch etwas konkreter machen. Die Begriffe sind alles andere als messerscharf, aber zeigen das Zusammenspiel von Inhalt, Form und Handlungsdesign ganz anschaulich auf. Als Kategorien sozialer Szenografie schlage ich vor: Personalisierung, Selbstbefragung, Partizipation, Dialogische Interaktion und Exponierung.
1. Personalisierung Personalisierung ist ein gängiges journalistisches Prinzip. Ein Phänomen, eine Gruppe, eine Menge wird individualisiert. Das Phänomen erhält ein Gesicht und eine Identität und damit Nähe. Die Zoombewegung, die Nähe schafft, nimmt in Kauf, spezifisch zu werden. Mann oder Frau, alt oder jung, impulsiv oder abgeklärt, redegewandt oder verstockt, sympathische Erscheinung oder Kotzbrocken. Die Figur ist real und doch durch und durch Konstruktion. Die Stapferhaus-Ausstellungen arbeiten seit 1994 mit zunehmend ausgetüftelten Konstruktionsparametern, wenn es darum geht, gesellschaftliche Zustände mit Individuen abzubilden. Die Ausstellung „Anne Frank“ wählte die personale Repräsentation noch in einem völlig anderen Kontext, aber bereits damals mit großem Erfolg. In „Last minute“, der Ausstellung über „Sterben und Tod“, sprachen zehn Berufsakteure in Hörinstallationen über makroskopisch vergrößerte Berufshandlungen. In „Autolust“ entstand erstmals eine typologische Struktur, die die Auto fahrende Schweiz auf sechs Individuen reduzierte, vom frivolen Schnellfahrer im Sportcoupé bis zur Mutter mit der Familienkutsche. „strafen“, „Glaubenssache“, „nonstop“ und 2010 / 2011 die Ausstellung „HOME. Willkommen im digitalen Leben“ haben dieses Muster beibehalten und versucht, über aufwendig konstruierte Personensamples Gesellschaft abzubilden. Zugleich waren diese Personalisierungen immer auch Spiegelbilder, die sich an den Zielgruppen der Ausstellung orientierten. Denn Personalisierung ist die Benutzeroberfläche für Identifikation. Legendär ist die Reaktion jenes jungen Polizisten in Ausbildung, der sich in der Ausstellung „strafen“ das Filmporträt über den Mörder M. anschaute und sich empörte, dass ein Mörder Schnitzel und Pommes in der Gefängniszelle erhalte statt Wasser und Brot. Die Diskussion über Sinn und Zweck von Strafen war ergiebig.
2. Selbstbefragung Selbstbefragung erfolgt jedoch nicht nur implizit, sondern auch explizit, als eigentliche Methode. Das Stapferhaus hat in den letzten Jahren mehrfach mit Befragungstools gearbeitet. Bei „Glaubenssache“ wurde die Selbstbefragung zum Leitmotiv für „Gläubige“
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und „Ungläubige“. Ausgangspunkt war die Absicht, religionsübergreifend die Glaubensintensität der Besucherinnen und Besucher zu messen und damit die scheinbar unverrückbaren Religionsunterschiede zugunsten von interreligiösen Glaubensmustern aufzulösen. Dramaturgisches Prinzip war kein Fragebogenausfüllen, sondern ein dreimaliges Einchecken mit einem Gläubigen- oder Ungläubigen-USB-Datenstick, den die Besucherinnen und Besucher nach ihrem Eintritt in die Ausstellung erhielten und wie ein Amulett um den Hals trugen. Die bankomat-artigen Fragestationen funktionierten als Check-points. Sie befragten anonym, aber individuell Glaubenspositionen, die für die Berechnung eines persönlichen Glaubensprofils nötig waren. Mehr als 95% der Besucherinnen und Besucher machten davon Gebrauch. Die letzte Station gab den Testpersonen den errechneten Glaubenstyp bekannt und führte sie zu einem großen runden Tisch mit weiterführenden Informationen. So wie der Tisch die möglichen fünf Glaubensmuster im Kreis anordnete, sammelten sich auch die Testpersonen kreisförmig bei ihrem Glaubensprofil. Die Intention dahinter: Personen unterschiedlicher Religionen (beispielsweise in Schulklassen) mit dem neuen, gemeinsamen Glaubensprofil zu konfrontieren und damit Gespräche über Religiosität und Religionszugehörigkeit loszutreten.
3. Partizipation Partizipation, der Einbezug von Besucherinnen und Besuchern in Konzeption, Umsetzung und den Betrieb einer Ausstellung, ist eine beliebte und wichtige Spielart sozialer Szenografie. In „Autolust“ fotografierten Schulkinder des Tankstellendorfs Hunzenschwil ihre Eltern, Tanten und Nachbarn mit Auto. Es entstanden über 200 Fotos für Buch und Ausstellung, die ein Berufsfotograf in dieser Vertrautheit kaum hätte schießen können. Vor allem aber entstand im Dorf eine Auseinandersetzung rund um diese Fotoaktion, die fast noch mehr Wert war als das fotografische Resultat. In „Glaubenssache“ versuchten wir die Glaubenslandschaft der Schweiz von einer quantitativen Menge der Religionszugehörigkeiten in eine qualitative Menge von Glaubensbefindlichkeiten überzuführen. Also der Frage nachzugehen, worin sich 33% Evangelische von 41% Katholiken in ihrer Glaubenssache unterscheiden. Wir baten repräsentativ ausgewählte Personen aus der Bevölkerung, uns ein Objekt zu leihen, das für ihren Glauben steht, und dieses mit einem kurzen Kommentar zu begleiten. Die Objekte wurden in Plastiktaschen eingenäht und wie ein Corpus Delicti präsentiert. In „nonstop“ hinterließen über 50.000 Besucherinnen und Besucher im Dachraum der Ausstellungshalle ihre Zeitwünsche auf einem Blatt Papier. Mit der Zeit füllte sich der Dachboden mit Tausenden von Blättern. „HOME“ führte die Idee des user generated content mit digitalen Mitteln weiter. Im Raum „HOME 2.0“ konnten multimediale Clips auch von zu Hause aus übermittelt und in die Ausstellung eingespeist werden. Die Teilnehmenden wurden informiert, wann ihr Beitrag in der Ausstellung lief. Im Web wurden alle Produktionen dokumentiert.
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4. Dialogische Interaktion Dialogische Interaktion, Face-to-Face-Begegnungen von Besucherinnen und Besuchern unter sich oder mit Personal in der Ausstellung ist ein weiterer Ansatz. Für „nonstop“ entschlossen wir uns, 25 Freiwillige zu suchen und deren Leistung (uns Zeit zur Verfügung zu stellen) in der Ausstellung als Inhalt sichtbar zu machen. Aus der Idee entstand das Konzept der life-time-bar, an der es nichts zu trinken, aber Lebensgeschichten über Tempo, Zeitnot und Auszeiten auf Vinylplatten zu hören gab. Die Freiwilligen traten als Storykeeper auf, berieten die Besucherinnen und Besucher bei ihrer Geschichtenbestellung und verführten im Gespräch zum Gespräch über den eigenen Umgang mit der Zeit.
5. Exponierung Exponierung, der Besucher als Exponat. Die Eingangssituation von „Glaubenssache“ mit den beiden Eingängen war ein solches Beispiel. „Autolust“ machte aus dem Parkplatz eine Inszenierung der automobilen Ausstellungsbesucher. „strafen“ empfing seine Besucher mit der Botschaft „Rasen betreten verboten“. Wer sich an die Regeln halten wollte, musste einen Umweg in Kauf nehmen, was selbstverständlich nur eine Minderheit machte, aber per Videokamera in der Ausstellung denunziert wurde. „HOME“ gibt sich demgegenüber liebenswürdiger und kleidet alle Ausstellungsbesuchenden in einheitlich blaue „HOME“-Socken. Das Raumbild einer stilisierten „Wohnung“ spielt mit dem Thema von Öffentlichkeit und Privatheit im digitalen Zeitalter; die Socken sind gewissermaßen das Attribut einer öffentlich gewordenen Intimität.2 Beispiele wie diese gäbe es noch viele. Letztlich sind sie aber nur Variationen der gleichen szenografischen Haltung, Menschen zu involvieren und über Identifikation, Selbstbefragung, Partizipation zur Reflexion zu bringen. Das Publikum agiert in Gegenwartsräumen vorwiegend als Akteur in eigener Sache.
Literatur Arbeiterkammer Wien: „Museumsaufseher zurück im Job“, in: AK für Sie, 09 (2010). Berger, Peter L. / Luckmann, Thomas: The Social Construction of Reality, A Treatise in the Sociology of Knowledge, New York 1966. Brejzek, Thea / Mueller von der Haegen, Gesa / Wallen, Lawrence: „Szenografie“, in: Stephan Günzel (Hg.): Raumwissenschaften, Frankfurt a.M. 2009. De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns, Berlin 1988, zitiert nach Dünne, Jörg / Günzel, Stephan (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2006, S. 343 – 353. 2 | Weitere Informationen zu den zitierten Ausstellungen, siehe http://www.stapferhaus. ch/ausstellungen/home.html [letzter Zugriff 20.01.2011].
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Dünne, Jörg / Günzel, Stephan (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006. Imhof, Kurt: „Europäische Museen der Zukünfte“, in: Kreis, Georg (Hg.): Europa als Museumsobjekt, Basler Schriften zur europäischen Integration 85, Basel 2008, S. 48 – 61. Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001. Lübbe, Hermann: Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin 1992. Odendahl, Bernhard: „Verrückte Kunst“, in: „Der Bund“, 17. April 2010. Rosa, Hartmut: Vortragsmanuskript der Tagung „Gegenwart ausstellen“ vom 1. / 2. Mai 2009 im Stapferhaus Lenzburg (nicht veröffentlicht). Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a. M. 2005. Schroer, Markus: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt a. M. 2006.
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„‚Participation‘ is a word that has been used a lot lately. What does this word mean today after it has been turned into a cliché so many times? How can people participate? Also how can the architect or curator participate? Who has the initiative?“ (Obrist 2006, zitiert nach Miessen / Basar 2006: 18) In unterschiedlichen Disziplinen aus Wissenschaft und Kultur stellt sich immer häufiger die Frage nach der Machbarkeit partizipativer Öffentlichkeiten. Dabei sind divergierende Standpunkte zur Strategie, zur möglichen Ausformung des Einbeziehens der Öffentlichkeit sowie zum Wissenstransfer und der räumlichen Praktiken Bestandteil des Diskurses.
Partizipation als Utopie Partizipative Öffentlichkeiten gelten aufgrund ihrer geforderten multiperspektivischen und kongenialen Zusammensetzung und einer damit einhergehenden Auflösung tradierter Wissensproduktion oft als utopische Entwürfe. Der Medienwissenschaftler und Publizist Stefan Münker beschreibt in seinem Essay „Emergenz digitaler Öffentlichkeiten“ (Münker 2009) den Idealtypus einer solchen partizipatorischen Öffentlichkeit. Er beruft sich dabei auf Jürgen Habermas, für den die Sphäre bürgerlicher Öffentlichkeit durch vier Kriterien bestimmt wird: „Der Zugang zu ihr ist prinzipiell offen, ihre Mitglieder sind einander vollkommen ebenbürtig, die Themenwahl ist gänzlich offen und der Kreis potentieller Teilnehmer unabgeschlossen.“ Diese Kriterien sind für Münker „der Kern utopischer Entwürfe partizipativer Öffentlichkeiten überhaupt“ (Münker 2009: 36 – 37). In Anlehnung an Habermas sieht Münker in der „Idee einer kritischen, aufklärerischen Öffentlichkeit […] die eines Raumes medial realisierter, aber prinzipiell unbeschränkter Kommunikation von begründeten Meinungen, die, vermittelt durch das Korrektiv anderer, zu objektiviertem Wissen gerinnen […]“ (ebd.: 35).
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Der von Münker beschriebene Habermassche Entwurf entspricht einem Idealtypus partizipativer Öffentlichkeiten, der mit dem Wunsch nach einem interdisziplinären Diskurs verbunden ist, der es möglich werden lässt, neue Konzepte zu entwickeln, die bewusst gewohnte Ordnungen übersteigen und nach neuen Wegen Ausschau halten.
Partizipation als Konflikt Ein weiterer Aspekt des Diskurses über partizipative Öffentlichkeiten beinhaltet die Forderung, bei ihrer Gestaltung eine Philosophie des Konflikts zu etablieren, um eine Öffentlichkeit zu konstituieren, in der sich alle gleichberechtigt widerspiegeln, ohne Angst zu haben, auf Ablehnung zu stoßen. So fordert beispielsweise der Architekt und Kulturwissenschaftler Markus Miessen, Partizipation als eine Form der kritischen Auseinandersetzung zu verstehen: „Wenn wir den Konflikt im Gegensatz zu unschuldigen Formen der Partizipation betrachten, ist er nicht als eine Form des Protests oder eine konträre Provokation zu verstehen, sondern vielmehr als eine mikropolitische Praxis, durch die die Partizipierenden zu aktiv Handelnden werden, die darauf bestehen in dem Kräftefeld, mit dem sie sich konfrontiert sehen, zu AkteurInnen zu werden. […] Wichtig ist hierbei die Rolle der Außenseiter, denn nur diese können den vorher etablierten Machtbeziehungen des Expertenwissens kritisch etwas hinzufügen.“ (Miessen 2007: 3) Die Forderungen nach objektiviertem Wissen, unbeschränkter Kommunikation, einem offenen kritischen Dialog, der Auflösung tradierter Praktiken, öffentlicher Zugänglichkeit, kongenialer Einbindung von Außenseitern und Prozesshaftigkeit werden im Zusammenhang mit partizipativen Öffentlichkeiten mannigfach kontrovers diskutiert. Welche Rolle spielen gegenwärtig Museen in diesem Spannungsfeld und welche progressive Position sind sie zukünftig bereit einzunehmen?
Partizipation und Museum Zur theoretischen Einordnung aktuell praktizierter Formen der Mitwirkung im Kontext musealer Projekte werden die von Nina Simon in ihrem Buch „The Participatory Museum“ (Simon 2010) vorgestellten partizipativen Modelle in die Betrachtung mit einbezogen: t Contribution Projects: Das Publikum wird aufgefordert, über einen begrenzten Zeitraum hinweg von einem Kurator definierte Objekte, Geschichten und Ideen in einen von der Institution klar vorgegebenen Rahmen einzubringen. t Collaboration Projects: Hier ist das Publikum eingeladen, als aktiver Partner ein neues (Museums-)Projekt mit zu erarbeiten, während dem die Initiative und die Kontrolle der Inhalte letztlich bei der Institution liegen.
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t Co-creation Projects: In diesem Modell werden das Publikum und die Institution zu Partnern, wobei die letzte Entscheidungsinstanz beim Publikum liegt und nicht bei der Institution. Die thematischen Schwerpunkte solcher Projekte liegen häufig bei aktuellen Inhalten, die sich aus dem direkten Umfeld des Museums heraus generieren. t Hosted Projects: Hier kooperiert die Institution ‚bewusst‘ oder ‚unbewusst‘ mit einem externen Partner. Die Institution stellt dabei einen Teil ihrer Ressourcen zur Verfügung, um Programme zu unterstützen, die von externen Partnern entwickelt und durchgeführt werden (Simon 2010: 187f.). Setzt man die oben beschriebenen partizipativen Modelle miteinander in Beziehung, ist festzustellen, dass mit einer Steigerung der Aktivität des Publikums eine Abnahme des Einflusses durch den Kurator / die Institution einhergeht. Aus diesem Grunde wird der Grad an Mitwirkungsmöglichkeiten von Außenstehenden oftmals durch die Kuratoren bzw. die Institution stark limitiert. Um nutzbringende Formen der Mitwirkung für alle Beteiligten zu erreichen, ist eine Neudefinition respektive eine Weiterentwicklung des Zusammenwirkens von Kuratoren, Publikum und Institution erforderlich. Dafür werden im Folgenden aktuell in Museen praktizierte Einbindungsstrategien bzw. -methoden unter den Aspekten der eingesetzten Kommunikations- und Handlungsstrukturen betrachtet. Deren szenografische bzw. räumlich-mediale Umsetzungen sollen dabei als Leitmotive dienen. Diese exemplarisch dargestellten Umsetzungen werden den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen und einem zunehmenden Trend zur Partizipation gegenübergestellt. Überdies wird untersucht, ob diese Entwicklungen nutzbar gemacht und in den musealen Kontext überführt werden können.
Das Museum als Forum Ist das Museum als Forum im Sinne Joseph Beuys’ ein „Ort der permanenten Konferenz“, „ein permanentes Inspirationssystem, an dem alle Menschen teilhaben können“ (Kurnitzky 1980: 64) oder ist es, wie Roy Ascott fordert, eine Wissenslandschaft, „die als lebendige, sich ständig wandelnde, auf die Menschen reagierende und von Ihnen beeinflussbare Umwelt“ fungiert (Ascott 1996)? Gegenwärtig treten viele Museen in der Öffentlichkeit als Forum auf. Jedoch lösen sie kaum die von Beuys oder Ascott formulierten Ansprüche ein. Die Idee des Forums beschränkt sich häufig auf die Durchführung von Veranstaltungen, die im Rahmenprogramm von Wechsel- und Dauerausstellungen stattfinden. Bei diesen Veranstaltungsreihen und museumspädagogischen Angeboten liegt der Fokus nicht auf dem im Diskurs geforderten multiperspektivischen und kongenial geführten Dialog, hier geht es vielmehr um eine tradierte Form der Wissensproduktion, vom Experten zum Publikum. Welchen Charakter hätte nun ein Museum, welches de facto als Forum in Erscheinung tritt, als eine Plattform des Austauschs und der Begegnung auf Augenhöhe – ein Museum als sozialer Raum, Marktplatz oder öffentlich zugänglicher Versammlungsort?
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Denkbar ist an dieser Stelle eine Form von partizipativem Wissenstransfer, in dem vom Prinzip der Zuständigkeit einzelner Experten abgerückt und der durch das Wissen aller Mitwirkenden realisiert wird. Zielsetzung eines partizipativen Museums kann in diesem Falle sein, ein Experimentierfeld zu eröffnen, in dem sich eine partizipative Öffentlichkeit im Sinne des „objektivierten Wissens“ ausbilden kann. Hier setzt meines Erachtens das Format des BarCamps den richtigen Impuls, eine gegenwärtig immer häufiger praktizierte Alternative zur Konferenz oder Tagung: „A BarCamp is an ad-hoc unconference born from the desire for people to share and learn in an open environment. It is an intense event with discussions, demos and interaction from attendees.“ 1 Alle Teilnehmer sind aufgefordert, sich einzubringen. Das Leitmotiv eines BarCamps lautet: „Wissen teilen, um das eigene Wissen zu vermehren.“ Auf der Homepage der BarCamp Community wird diese Form des partizipativen Umgangs mit Wissen wie folgt zusammengefasst: „When you come, be prepared to share with barcampers. When you leave, be prepared to share it with the world.“ 2 Wie kann nun diese Vorgehensweise, die offene und kritische Formen der Wissensproduktion in den Fokus rückt, in den musealen Alltag übertragen werden? Die zentrale Herausforderung liegt hierbei darin, die etablierten Machtbeziehungen des Expertenwissens zu modifizieren. Ist es denkbar, dass die Kuratoren der Zukunft sich von dem Gedanken lösen, die alleinigen Experten für ein bestimmtes Thema zu sein, um auf diese Weise einen authentischen, auf Augenhöhe geführten Dialog mit den Besuchern zu gewährleisten? Ist es genauer gesagt denkbar, dass sie ihr Wissen nicht nur an das Publikum transferieren, sondern gleichzeitig auch das Wissen des Publikums in ihre Arbeit integrieren wollen? Ist es ferner vorstellbar, dass das partizipative Museum seine Aufgabe darin sieht, eine Architektur des Wissens, einen Ort zu schaffen, der kontinuierlich Impulse gibt und für Provokationen sorgt, um so einen nachhaltigen Diskurs und Dialog mit dem Publikum in Gang zu bringen?
Das Museum als Labor Eine zweite häufig verwendete Raummetapher ist die vom Museum als Labor. In einem Labor wird in erster Linie praktisch gearbeitet. Hier wird experimentiert, entwickelt und wieder verworfen. Ein Labor ist eine Forschungsplattform, die technische und räumliche Möglichkeiten dafür bietet, Prozesse zu simulieren, zu überprüfen und zu optimieren. Das FabLab 3 im Ars Electronica Center in Linz ist Teil des Museumskonzepts „Partizipation statt Interaktion“: „Das in den 1990er Jahren bahnbrechende Prinzip der In1 | Vgl. http://barcamp.org/w/page/405173/TheRulesOfBarCamp [letzter Zugriff 24.01.2012]. 2 | Ebd. 3 | http://de.wikipedia.org/wiki/FabLab [letzter Zugriff 01.09.2011].
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teraktion wurde zur umfassenden Partizipation erweitert. Das eigene Erleben, Ausprobieren und Experimentieren der BesucherInnen ist zentrales Anliegen eines Museums, das längst nichts mehr ‚ausstellt‘, sondern sich mit seinen offenen Schwerpunktlabors und interaktiven Szenarien als eine Infrastruktur für Neugierige versteht.“4 Dabei lässt das FabLab die Besucher lediglich im Rahmen von Workshops jene Abläufe, die in Wirklichkeit stattfinden, erleben. Ihnen werden vornehmlich das Prinzip und die Funktionsweise des FabLabs erklärt und transparent gemacht. Hier wird ausprobiert und Realität nachempfunden und es werden nicht – wie dies eigentlich im Sinne der partizipativen Idee wäre – eigene Erfahrungen und eigenes Wissen eingebracht, um die Idee des FabLabs zu erweitern. Ein weiteres Beispiel ist das „DNA-Besucherlabor“ im Zentrum Neue Technologien des Deutschen Museums in München. 5 Auf der Homepage präsentiert sich das Labor folgendermaßen: „Unter Anleitung von Nachwuchswissenschaftlern darf im DNA-Besucherlabor jeder selbst Versuche durchführen und mit einer Pipette und anderen Laborgeräten aus der Molekularbiologie umgehen. Dabei kann man nicht nur die alltägliche Arbeit der Forscher im Labor nachvollziehen, sondern erfährt auch Wissenswertes zur Zellbiologie, Vererbung und Gentechnik.“ 6 Die hier beschriebenen, im musealen Kontext realisierten Labore fokussieren sich in deutlich vorgegebenem Rahmen auf die Fertigstellung eines Produktes oder die Simulation eines bereits bekannten Prozessablaufs. Die in diesem Zusammenhang erneut zu beobachtende traditionelle und unilineare Form des Wissenstransfers, die sich unter fachlicher Anleitung vom Experten zum Laien vollzieht, lässt nur wenig Spielräume für die Mitwirkenden, demzufolge scheinen zum aktuellen Zeitpunkt museale Labore im Schwerpunkt nicht auf Partizipation, sondern vielmehr auf Interaktion ausgelegt zu sein. Labore dienen der Entwicklung von Innovationen, sie dienen der Forschung und sind Experimentierfelder utopischen Denkens. Eine bloße Hands-on- oder Mitmachphilosophie wird ihnen daher nicht gerecht. Im Hinblick darauf ist das „Ars Electronica FutureLab“ ein erster Ansatz, ein von transdisziplinären Teams bestimmter Handlungsraum, in welchem Künstler und Wissenschaftler mit der im ‚Labor-Atelier‘ zur Verfügung stehenden Infrastruktur Forschungsvorhaben realisieren. 7 Lassen sich solche oder ähnliche Teilhabeformate nicht auch auf Besucher übertragen? Sind im Museum Labore denkbar, die sowohl der individuellen als auch der kollaborativen Forschung dienen, Labore, in denen gemeinsam Konzepte, Produkte oder Prozessabläufe für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts entwickelt werden?
4 | Vgl. http://www.aec.at/center/ [letzter Zugriff 23.08.2011]. 5 | Vgl. http://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/neue-technologien/labore/be sucherlabor/ [letzter Zugriff 22.08.2011]. 6 | Ebd. 7 | http://www.aec.at/futurelab/de/ [letzter Zugriff 26.11.2011]
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Seit geraumer Zeit setzen sich, hauptsächlich in der Kreativszene, neue Formen und Konzepte des Arbeitens und Zusammenarbeitens durch. Ein Beispiel hierfür sind „Coworking Spaces“ (Knake; Popp: 2010). Coworking Spaces sind räumliche Konzepte, die den Handlungs- und Kommunikationsmechanismen des Web 2.0 Rechnung tragen. Sie verbinden die ‚virtuelle‘ mit der ‚realen‘ Welt, indem sie die Spielräume, Freiheiten, Spontaneitäten und Philosophien des Web 2.0 in die Prozessabläufe der Arbeitswelt übersetzen und diese mit ihr kombinieren (Jank 2010: 42). Aus und in einem solchen Coworking Space entstehen verschiedene Projekte, wie z. B. die „Open-Design-City“ (ODC) 8 im betahaus 9 in Berlin. Die ODC ist ein ‚kollaborativer Raum‘, in dem transdisziplinäre Beziehungen zwischen den Nutzern entstehen. Dieser Ort motiviert die Nutzer, ihr Know-how, ihre Ideen, ihre Fähigkeiten und ihre Werkzeuge mit anderen zu teilen und neue Wege des Open Design10 zu erforschen und zu entwickeln. Die Initiatoren stellen die räumliche und technische Logistik zur Verfügung, die sich stets mit den Ansprüchen der Nutzer prozessual verändert und weiterentwickelt. Hier wird ähnlich geworben wie auf dem BarCamp Wiki. „The guideline for Open Design City is one word. Share. Share yourself. Share your tools. Share your time. Share your ideas.“ 11 In diesem Sinne wäre das partizipative Museum als transdisziplinäres Labor denkbar. Ein transdisziplinäres Labor in dem Teilhabende dazu eingeladen sind, Ideen gemeinsam zu erarbeiten, zu präsentieren, zu diskutieren und infrage zu stellen. Eine Umgebung, die verschiedene Nutzer miteinander verbindet, die als Konzepter, Gestalter, Verteiler, Konsumenten, Kritiker und Kollaborateure Inhalte erforschen und weiterentwickeln. Ein sozialer Interaktionsraum, der als Open Space für kollaboratives Arbeiten fungiert, der kollaborative Prozesse in Gang bringt und fördert und der es den Nutzern ermöglicht, die Kompetenz für diese Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln bzw. zu professionalisieren. Ein Open Space, der als Plattform respektive als Wegweiser für neue Formen der Zusammenarbeit fungiert, die sich die Teilhabenden zu eigen machen und nach ihren Bedürfnissen verändern.
Das Museum im Social Web Immer mehr kulturelle Einrichtungen sind bestrebt, sich die Handlungs- und Kommunikationsräume des Social Webs zu erschließen. Dabei stellt sich indes immer wieder die Frage nach dem „Wie“.
8 | Vgl. http: // opendesigncity.de / [letzter Zugriff 23.08.2011]. 9 | Vgl. http: // betahaus.de/ [letzter Zugriff 22.08.2011]. 10 | Vgl. http://www.ronen-kadushin.com/Open_Design.asp [letzter Zugriff 20.08.2011]. 11 | Vgl. http://opendesigncity.de/about/mission-statement/ [letzter Zugriff 23.08.2011].
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Das Projekt „Ask a Curator“ 12 von Jim Richardson, Geschäftsführer von Sumo13, war ein Social-Media-Experiment für Museen weltweit. Die Einbindungsstrategie basierte auf dem partizipativen Prinzip des Fragenstellens und nahm erstmalig das Museum und dessen Wirken in den Fokus. Im Rahmen des Projekts waren Museen weltweit dazu aufgerufen, 24 Stunden lang über die Social-Media-Plattform Twitter mit Interessierten, Experten und Laien in Dialog zu treten und sich auszutauschen. 340 Museen in 23 Ländern nahmen daran teil. „Ask a Curator“ hatte nicht nur den Effekt, dass die Kommunikation von Museen nach außen gestärkt wurde, sondern es hatte zum Teil auch museumsinterne Konsequenzen, wie im Blogbeitrag des Journalisten Scott Billings deutlich wird. Er zitiert dabei Wenke Mast, Assistentin für Website und Events des Royal Museum of Fine Arts in Antwerpen: „For us, ‚Ask a Curator‘ was the start of an ongoing conversation. Our communications department will now screen Twitter every day and pass relevant questions to our curators. We will keep on answering questions.“ Des Weiteren stellt Billings fest: „Perhaps this is a first step towards breaking down the ‚barriers‘ between curators and marketing departments […]“ (Billings 2010). Ein vom Guggenheim Museum in New York initiiertes Projekt „YouTube Play. A Biennial of Creative Video“ 14 hatte sich zum Ziel gesetzt, außergewöhnliche Talente aus dem Bereich Onlinevideo zu entdecken und diese erstmalig im Guggenheim Museum New York der Kunstwelt zu präsentieren. Das Projekt war eine Zusammenarbeit von YouTube und dem Guggenheim Museum in Kollaboration mit den IT-Unternehmen HP und Intel. Mit ihrem offenen, weltweiten Aufruf an die Internetcommunity strebten die Initiatoren den Erhalt von innovativen, originellen Videos an. Aus mehr als 23 000 Einreichungen wurden in einem zweistufigen Verfahren die 25 besten Videos ausgewählt. Kritisch zu sehen ist, dass hier die Einreichungen nicht von der Masse der Internetnutzer kuratiert und bewertet wurden, sondern von Experten wie Kuratoren und Kunstschaffenden. Die exemplarisch dargestellten Projekte lassen erahnen, welche Möglichkeiten das Social Web für eine Veränderung der Kommunikationspolitik inner- und außerhalb der Museen bietet. Aber inwieweit können derartige Projekte eine nachhaltige Wirkung in der musealen Kommunikationspolitik haben? Diese Frage drängt sich auf, da Museen Social-Media-Plattformen oftmals nur auf halbherzige und selbstzentrierte Art und Weise nutzen. Sie versuchen, die viralen Effekte des Netzes zu nutzen, aber letztendlich geht es nur darum, in tradierter Manier eingleisige Botschaften zu transportieren. Vorrangig bei solchen Vorhaben sind tradierte marketingstrategische Ziele, wie die Besucherzahlen zu erhöhen oder neue Zielgruppen zu erschließen und weniger offene, dialogische Prozesse zu initiieren. 12 | Das Projekt wurde von Sumo zu einer Online-Videoplattform weiterentwickelt. Mehr Informationen unter http://www.askacurator.com/about.html [letzter Zugriff 22.08.2011]. 13 | Vgl. http://www.sumodesign.co.uk/company/about.html [letzter Zugriff 20.08.2011]. 14 | Vgl. http: / / www.guggenheim.org / new-york / interact / participate / youtube-play [letzter Zugriff 22.08.2011].
Strategien der Partizipation
So entsteht verstärkt der Eindruck, dass die partizipativen Praktiken der Handlungs- und Kommunikationsräume des Social Webs die Museen noch nicht wirklich erreicht haben. Social Software ermöglicht den Usern, sich zu vernetzen und Inhalte kollaborativ zu erstellen, diese zu teilen, zu kommentieren, zu bewerten und weiterzudenken, Informationen zu sammeln und zu indexieren. Im Gegensatz dazu ist festzustellen, dass kulturelle Einrichtungen heute nur einen minimalen Anteil der vom Social Web angebotenen Möglichkeiten nutzen. Ein partizipatives Museum hingegen nimmt die Position des Vorreiters einer digitalen Öffentlichkeit ein. Es nutzt die Möglichkeiten des Social Webs und initiiert durch kluge experimentelle Formen der Vernetzung einzelner Social-Media-Aktivitäten eine ‚Atmosphäre der Demokratie‘. Über die kongeniale Einbindung von Außenstehenden entwickeln sich kollaborative Plattformen, die sowohl den offenen Austausch von Mitgliedern der Community mit Museumsmitarbeitern motivieren als auch die Kommunikation zwischen und innerhalb der Museen fördern. Abschließend ist zu konstatieren, dass sich die hier vorgestellten, im musealen Kontext realisierten partizipativen Strategien hauptsächlich auf klar begrenzte und vordefinierte Beiträge reduzieren – also jene Stufe der Partizipation, die für den Kurator oder die Institution den geringsten Verlust an Einfluss mit sich bringt und somit überschaubar bleibt. Um Konzepte partizipativer Museen zu denken und zu realisieren, müssen Kuratoren, Publikum und Institution gemeinsam Vorstellungen eines Zusammenwirkens entwickeln, um in einem zweiten Schritt Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Eines der wichtigsten Paradigmen ist dabei Offenheit: Offenheit, das tradierte Rollenverständnis neu zu definieren und neue Konstellationen zuzulassen. Konkreter formuliert: Gefordert ist eine echte Bereitschaft der Institutionen, partizipative Museums- bzw. Ausstellungsarbeit zu leisten, die der Zielsetzung folgt, dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihm gemeinsam Programm- und Sammlungsangebote zu entwickeln. Denn in einem partizipativen Museum geht es nicht darum, die Besucher einfach nur zu beschäftigen, es geht vielmehr darum, in der Partizipation des Publikums einen Mehrwert für alle Beteiligten zu sehen. Es geht darum, das Museum vom Monolog zum Dialog zu führen, um aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und sie auf interdisziplinärem, diskursivem Weg weiterzuentwickeln, um neue Denkweisen zu etablieren. Die dafür notwendigen infrastrukturellen Veränderungen bestehen aus kleinen, überschaubaren Schritten, es geht darum, zunächst partizipative Formate in die ‚normale‘ museale Arbeit zu integrieren und diese perspektivisch auszubauen. Dabei ist es hilfreich, einen offen zugänglichen Bereich im Museum zu etablieren, ein SocialLAB, einen transdisziplinären Kommunikations- und Handlungsraum, geprägt von Prozesshaftigkeit, in dem kollaborativ verschiedene Formen partizipativer Praktiken experimentell konzipiert, entwickelt und umgesetzt werden können: das SocialLAB als Experimentierfeld gelebter partizipativer Öffentlichkeiten und als diskursive, kritische Plattform.
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Sabine Jank
Literatur Ascott, Roy: „Der Geist des Museums“, in: Telepolis 09.12.1996, Onlinedokument, http: / / www.heise.de / tp / r4 / artikel / 6 / 6077 / 1.html [letzter Zugriff 21.08.2011]. Billings, Scott: Ask a Curator, Onlinedokument, http: / / www.museumnext.org / 2010 / blog / new-post [letzter Zugriff 22.08.2011]. Chung, James / Wilkening, Susie / Johnstone, Sally (Center for the Future of Museums, an Initiative of the American Association of Museums): Museums & Society 2034. Trends and Potential Futures, o. O. 2008, Onlinedokument, http: / / aam-us.org / upload / museumssociety2034.pdf [letzter Zugriff 21.08.2011]. Düspohl, Martin: „Das Museum als sozialer Faktor“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49 (2007), S. 33 – 38. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a. M. 2006. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Öffentlichkeit, Frankfurt a. M. 1990. Jank, Sabine: „Soziale Interaktionsmodelle und deren räumlich, mediale Repräsentanz“, in: Sieck, Jürgen (Hg.): Kultur und Informatik: Interaktive Systeme, Boizenburg 2010, S. 41 – 45. John, Hartmut / Dauschek, Anja (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008. Knake, Lena / Popp, Andreas: „Coworking Spaces weltweit“ – Arbeitswut & Reisefieber, in: weave 02 (2010), S. 108 – 113. Kurnitzky, Horst (Hg.): Kunst, Gesellschaft, Museum, Berlin 1980. Miessen, Markus / Basar, Shumon (Hg.): Did Someone Say Participate? Cambridge 2008. Miessen, Markus: Die Gewalt der Partizipation. Räumliche Praktiken jenseits von Konsensmodellen, Onlinedokument, http: / / www.eurozine.com / pdf / 2007-08-01-mies sen-de.pdf [letzter Zugriff 23.08.2011]. Münker, Stefan: Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0., Frankfurt a. M. 2009. Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010. Weibel, Peter: „Das Museum im Zeitalter von Web 2.0“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49 (2007), S. 3 – 6. Weibel, Peter: „Interkulturalität im Medienzeitalter“, in: Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg (Hg.): Museen als Foren zur Vermittlung fremder Kulturen, Stuttgart 2005, S. 35 – 38.
Internetquellen http: / / www.aec.at / center / [letzter Zugriff 23.08.2011]. http: / / www.aec.at / futurelab / de / [letzter Zugriff 26.11.2011] http: / / www.askacurator.com / about.html [letzter Zugriff 22.08.2011]
Strategien der Partizipation
http://barcamp.org/w/page/405173/TheRulesOfBarCamp [letzter Zugriff 24.01.2012] http: / / betahaus.de / [letzter Zugriff 22.08.2011] http: / / www.deutsches-museum.de / ausstellungen / neue-technologien / labore / besu cherlabor / [letzter Zugriff 22.08.2011] http: / / de.wikipedia.org / wiki / FabLab [letzter Zugriff 01.09.2011] http: / / www.guggenheim.org / new-york / interact / participate / youtube-play [letzter Zugriff 22.08.2011] http: / / opendesigncity.de / [letzter Zugriff 23.08.2011] http: / / opendesigncity.de / about / mission-statement / [letzter Zugriff 23.08.2011] http: / / www.ronen-kadushin.com / Open_Design.asp [letzter Zugriff 20.08.2011] http: / / www.sumodesign.co.uk / company / about.html [letzter Zugriff 20.08.2011]
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Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum Erfahrungen und Perspektiven Martin Düspohl, Frauke Miera, Lorraine Bluche
Die Idee der sozialen Verantwortung in der Arbeit eines Museums mit Besuchern und Interessengruppen hat seit Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts stark zugenommen. Museen sind aufgefordert, sich mit der demografischen, kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt auseinanderzusetzen und deshalb inklusiv, also einbindend und pluralistisch zu sein.1 Das Berliner Kreuzberg Museum kann auf eine mehr als zehnjährige Praxis der Partizipation von Besuchern an der Ausstellungsarbeit zurückblicken. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über diese Erfahrungen und stellt einige allgemeine Fragen zur Bedeutung von Partizipation im Museum.
Zur Genese partizipativer Verfahren im Kreuzberg Museum Das Kreuzberg Museum befindet sich am Kottbusser Tor in der südlichen Innenstadt Berlins in den Räumen eines ehemaligen Fabrikgebäudes. Seit der Berliner Bezirksfusion heißt es offiziell Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg und ist auch zuständig für die Stadtteilgeschichtsarbeit im Ortsteil Friedrichshain auf der anderen Seite der Spree. Beide Berliner Stadtteile waren nie Orte bürgerlicher Traditionspflege – im Gegensatz zu Neukölln, Schöneberg, Charlottenburg, Spandau usw., die auf eine traditionsreiche Vergangenheit als selbstständige Kommunen zurückblicken und einen entsprechenden Lokalstolz vorweisen können. Insbesondere Kreuzberg ist seit jeher 1 | Vgl. Meijer-van Mensch, Léontine: „Stadtmuseen und ‚Social Inclusion‘“. Vortrag im Rahmen der Konferenz: Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, 3. März 2009 im Berliner Stadtmuseum.
Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum
ein Einwandererstadtteil. Seit 300 Jahren tauscht sich die Bevölkerung in dieser Gegend Berlins statistisch gesehen in jeder Generation einmal komplett aus: In Kreuzberg kommt man an, will aber in der Regel nicht lange bleiben. Insofern gab es, als das Museum 1991 gegründet wurde, keinen nennenswerten Fundus und kein Archiv, das ihm als Grundstock hätte dienen können. Die ersten Ausstellungen über einzelne Aspekte der Bezirkgeschichte2 dienten daher dem Aufbau einer Sammlung. Sie fanden ihr Publikum bei kulturinteressierten und ehemaligen Kreuzbergern, Schülern und Studierenden. Vergleichsweise gering war aber das Interesse der ca. 40.000 direkten Nachbarn des Museums, darunter viele mit ,Migrationshintergrund‘, im umgebenden Quartier am Kottbusser Tor in der ehemaligen Luisenstadt. Es wurde schnell deutlich, dass diese Nachbarn in anderer Weise angesprochen werden wollten. Einerseits galt es, Themen der jüngeren Bezirksgeschichte aufzugreifen, die der Lebenswirklichkeit der aktuellen Wohnbevölkerung näher waren. Andererseits sollten durch eine stärkere Einbindung der Kiezbewohnerinnen und -bewohner in die konkrete Ausstellungsarbeit das Interesse am Museum befördert und neue Besuchergruppen erschlossen werden. Zwei Projekte sind in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben. Im Jahr 2000 lud das Museum ältere, aus der Türkei stammende Kreuzberger und Kreuzbergerinnen ein, unter dem Titel „Wir waren die ersten … Türkiye’ den Berlin’e“ ihre persönliche (und kollektive Migrations-)Geschichte für eine Museumsausstellung aufzuarbeiten. 2003 folgte das Ausstellungsprojekt „Geschichte wird gemacht“ über die Nachkriegszeit, Stadtsanierung und Protestbewegung in Kreuzberg. Für dieses Vorhaben suchte das Museum in der unmittelbaren Nachbarschaft interessierte Laien als ehrenamtliche Ausstellungsmacher und bot ihnen zur Vorbereitung zwei leere Fabriketagen und alle erforderlichen Arbeitsmaterialien an. „Geschichte wird gemacht“ ist bis heute in komprimierter Form Teil der Dauerausstellung des Kreuzberg Museums3. Das Kreuzberg Museum hat sich auf diese Weise zu einem stark von dem umliegenden Gemeinwesen geprägten und genutzten Stadtteilmuseum entwickelt. Dies geschah aus dem Impetus heraus, die eigentlichen Adressaten der eigenen Arbeit, nämlich die direkten Nachbarn, ins Museum zu holen. Dieser Ansatz war gleichzeitig dem ständigen Bemühen geschuldet, Fördermittel zu akquirieren. Fördermittel gab es nicht für den Aufbau eines Museums, wohl aber für Kulturarbeitsprojekte, die geeignet erschienen, Ressourcen des Stadtteils positiv zu verstärken, Bewohner zu aktivieren und sie zu ermutigen, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Quartiersmanage2 | Vgl. www.kreuzbergmuseum.de (Museumsprogramm > bisherige Ausstellungen). 3 | Zu den beiden Ausstellungen und ihrer Entstehungsgeschichte vgl.: Düspohl, Martin: „In jeder Generation tauscht sich die Bevölkerung einmal aus …“ Migrationsgeschichte in der Konzeption des Kreuzberg Museums (Berlin), in: Motte, Jan / Ohliger, Rainer (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004, S. 159 – 179, und ders.: „Das Museum als sozialer Faktor“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament, APuZ 49 (Dez. 2007), S. 33 – 38.
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ments sollten die ,Selbstheilungskräfte‘ von Stadtteilen befördern, die man als soziale Brennpunkte identifiziert hatte. So lag es nahe, öffentliche Förderinteressen und stadtteilgeschichtliche Museumsarbeit in Kreuzberg miteinander zu verbinden.
Migrationsgeschichte als inhaltlicher Schwerpunkt im Kreuzberg Museum Das Gebiet des heutigen (Teil-)Bezirks Kreuzberg ist seit jeher stark von Zuwanderung geprägt. Insofern lag es nahe, sich in den Ausstellungsprojekten des Museums immer wieder mit dem Thema Migration zu beschäftigen.4 Den Auftakt machte in diesem Zusammenhang die oben genannte Ausstellung „Wir waren die ersten … Türkiye’ den Berlin’e“ (2000) über die Arbeitsmigration aus der Türkei und die ersten 20 Jahre der Niederlassung in Berlin. Hierbei handelte es sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Museums zusammen mit einem lokalen Nachbarschafts- und Gemeinwesenzentrum (Kotti e.V.). Es wurden Einwanderer und Einwanderinnen aus der Türkei als sogenannte lokale Experten gewonnen, die zusammen mit dem Verein und dem Museum die Ausstellung konzipierten und realisierten. Außerdem erarbeiteten im Rahmen eines Biografie-Workshops des deutsch-türkischen Begegnungszentrums der Arbeiterwohlfahrt Berlin, den die Künstlerin Fatma Hermann leitete, ältere türkische Migrantinnen und Migranten ihre Lebensgeschichten mit Fotos, Texten und Exponaten, die ebenfalls in der Ausstellung präsentiert wurden. Die Migrantinnen und Migranten hatten insgesamt große Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume bei der Auswahl der Inhalte und der Exponate der Ausstellung. In der nachfolgenden Ausstellung „Wir waren die nächsten“ kamen Angehörige der zweiten und dritten Generation der angeworbenen Arbeitsmigranten aus der Türkei in einem ähnlichen Verfahren zu Wort. In der Ausstellung konnte eine Vielfalt von Objekten zusammengetragen werden: Schriftstücke, private Fotos, persönliche Erinnerungsstücke, Materialien aus Gewerkschafts- und Verbandsarbeit, Plakate, Kunst, Literatur, immaterielles Erbe wie Musik, Tonbänder. Die Objekte vermittelten im Zusammenhang mit den Erzählungen der Migranten individuelle Lebensgeschichten. Das Museum öffnete sich den Erzählungen der Akteure der Geschichte, übertrug somit die Autorschaft an diejenigen, deren Geschichte erzählt wurde. Die gute Vernetzung des Museums im Bezirk, auch in der migrantischen (v. a. türkischen und kurdischen) Bevölkerung bildete eine Vertrauensbasis für weitere Projekte, die in den folgenden Jahren stattfanden.
4 | Bereits Mitte der 1970er-Jahre bzw. Anfang der 1980er-Jahre realisierte das Kunstamt Kreuzberg die Ausstellungen „Mehmet kam aus Anatolien“ und „Morgens Deutschland, abends Türkei“ zur Migrationsgeschichte türkischer Arbeitsmigranten.
Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum
Migrationsgeschichte als Stadtgeschichte Die bisherigen Ausstellungsprojekte zur Migrationsgeschichte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg hatten einen bestimmten Zugang: Es wurde Zuwanderungs- und Niederlassungsgeschichte einer bestimmten oder mehrerer Herkunftsgruppe / n zum Thema gemacht. Auf diese Weise wurden Migranten als Bewohner des Bezirks repräsentiert und ihre Geschichte(n) einem breiteren Publikum vorgestellt. Gleichzeitig blieben die Ausstellungen jedoch einer eingeschränkten und stereotypen Sichtweise verhaftet: Migration wurde als Sondergeschichte isoliert und nicht als integraler Bestandteil von Stadtgeschichte präsentiert. Bei dem im Januar 2010 begonnenen neuen Ausstellungsvorhaben mit dem Arbeitstitel „Migration macht Geschichte“ wird nun versucht, in dieser Hinsicht konzeptionell neue Wege zu gehen. Geplant ist die Entwicklung einer neuen Dauerausstellung für Ende 2011 auf ca. 300 qm in zwei Etagen des Museumsgebäudes am Kottbusser Tor. Das vom Berliner Hauptstadtkulturfonds über einen Zeitraum von zwei Jahren geförderte Projekt hat innovativen und experimentellen Charakter in Bezug auf Konzeption, Umsetzung und Auswertung. Jenseits von nationalen oder ethnischen Zuschreibungen steht die Frage im Zentrum, wie Gesellschaft sich durch Migrationsprozesse verändert und was das gemeinsame ‚Wir‘ ausmacht. Um diesen Ansatz zu operationalisieren, rückt die Ausstellung Orte ins Zentrum, an denen sich Migrationsgeschichte einerseits und gesellschaftliche Veränderungsprozesse im Kontext von Migration andererseits kristallisieren, kurz ‚Erinnerungsorte der Migration‘, deren weitere Entwicklung in der Ausstellung diskutierbar gemacht werden soll. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen daher die aktuelle und historische Interaktion zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft einschließlich der jeweils ansässigen Bevölkerung. Das Interesse gilt hierbei dem Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander der unterschiedlichen Akteure in verschiedenen zentralen Lebensbereichen. Letztlich geht es also um die Frage der Integration im Sinne der Kommunikation und Wechselbeziehungen verschiedener Akteure einer Gesellschaft, nicht im Sinne einer einseitigen Anpassung der Neuankömmlinge bzw. Menschen mit Migrationshintergrund an eine als relativ statisch gefasste ‚Mehrheitsgesellschaft‘. Es ist also zu fragen, was die verschiedenen Akteure und Gruppen, die aufnehmende Gesellschaft ebenso wie die Neuankömmlinge und ihre Nachkommen, zur Ausgestaltung eines Miteinanders beitragen. Wo entstehen Konflikte? Wie werden diese verhandelt, gelöst oder ausgehalten? Wann und wie kommt es zu Eskalationen von Konflikten? Wie funktionieren Strategien der Deeskalation? Unter welchen Bedingungen gelingt ein Miteinander in Kooperation oder schlicht in gegenseitiger Ignoranz? Wo entsteht Neues? Wo wird Altes neu entdeckt, bewahrt, modifiziert oder aufgegeben? Auf diese Weise soll Migrationsgeschichte als integraler Bestandteil Berliner Stadtteilgeschichte und nicht als Sondergeschichte erzählt werden. Das Projekt wird wieder in enger Kooperation mit Experten und Laien aus der migrantischen und nicht-migrantischen Bevölkerung realisiert. Durch die Einbindung
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der lokalen Wohnbevölkerung, beispielsweise im Rahmen von Workshops, soll eine facettenreiche, alltagsgeschichtliche Expertise gewonnen werden, um so herkömmliche Erzählweisen aus der Perspektive von Vertretern der Mehrheitsgesellschaft zu hinterfragen. Darüber hinaus vermag dieser Ansatz, die lokale Identifikation und die interkulturelle, intergenerationelle sowie Ost-West-Bezirke überschreitende Begegnung der verschiedenen Stadtteilbewohner zu fördern und damit zur sozialen und kulturellen Integration beizutragen.
Ein neuer Blick auf bestehende Sammlungen Neben der Konzeption und Umsetzung einer neuen Ausstellung widmet sich das Projekt „Migration macht Geschichte“ dem Thema Sammeln und Migration, und zwar ebenfalls unter Einbeziehung von Besuchern. Im Museum wird traditionell das kulturelle Erbe einer Gesellschaft gesammelt und präsentiert. Doch das Erbe der Einwanderer, die Vielfalt von Kulturen, Lebenswirklichkeiten und Erinnerungen sind in den Sammlungsbeständen und Ausstellungen deutscher Museen bislang kaum sichtbar. Zurecht fordern daher seit einigen Jahren migrantische Selbstorganisationen, aber auch Politiker und Museumsleute selbst, die Kulturinstitutionen stärker für Menschen mit Migrationshintergrund und für die Themen Migration und kulturelle Vielfalt zu öffnen. In den unterschiedlichen Ausstellungen des Kreuzberg Museums zur Zuwanderungsgeschichte Friedrichshain-Kreuzbergs wurde eine ganze Reihe von Objekten zusammengetragen. Allerdings handelte es sich in der Mehrheit um an konkrete Projekte gebundene, temporäre Leihgaben. Insofern konnte bislang zum Thema Migration eine der wichtigsten Museumsaufgaben, das Sammeln, nur begrenzt wahrgenommen werden. Dies soll sich nun ändern. Auch in Bezug auf die Sammlungsstrategie wird im Rahmen des Projektes in Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin eine experimentelle Vorgehensweise eingeschlagen. Anstatt den Fokus auf die Akquise neuer Objekte zu legen, wird zunächst der Blick auf bestehende Sammlungen gerichtet. Hierbei wird von der These ausgegangen, dass diese weitaus mehr über Migrationsgeschichte zu erzählen vermögen, als bisher angenommen. Es ist anzunehmen, dass insbesondere stadtgeschichtliche Museen über zahlreiche Objekte verfügen, die Migrationsgeschichte erzählen, auch wenn diese bisher nicht als solche wahrgenommen und systematisch erfasst und verschlagwortet wurden. Bevor bestehende Bestände also durch aktives Sammeln erweitert werden, gilt es, Seh-, Wahrnehmungs- und Systematisierungsgewohnheiten zu reflektieren. Ein solches Umdenken trägt letztendlich dem gesellschaftspolitisch übergeordneten Anspruch Rechnung, Integration als gegenseitigen Prozess zu begreifen, bei dem Aufnahmegesellschaft wie Zuwanderer neue Denkweisen erproben und lernen. Schließlich sollen Leerstellen in den Sammlungen und die Gründe für das Fehlen von Sammlungsstücken aufgespürt werden. Auf dieser Grundlage lassen sich perspektivisch neue Sammlungsstrategien entwickeln.
Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum
Das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg hatte dafür zur ‚Probe aufs Exempel‘ zusammen mit dem Stadtmuseum Berlin, dem Museum für Islamische Kunst, dem Museum der Dinge / Werkbundarchiv und dem bei der Technischen Universität Berlin angesiedelten Forschungsprojekt „Experimentierfeld Museologie“ im Januar 2011 die Laborausstellung „NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ organisiert, in der sich auf experimentelle Art und Weise dem Thema Sammeln und Migration genähert wurde.5
Warum Partizipation? Welche Partizipation? Partizipation ist nicht gleich Partizipation. Nina Simon unterscheidet in ihrem Handbuch „The Participatory Museum“6 drei Ebenen der Beteiligung: „In contributory projects, visitors are solicited to provide limited and specified objects, actions, or ideas to an institutionally controlled process. […] In collaborative projects, visitors are invited to serve as active partners in the creation of institutional projects that are originated and ultimately controlled by the institution. […] In co-creative projects, community members work together with institutional staff members from the beginning to define the project’s goals and to generate the program or exhibit based on community interests.“ (Simon 2010: 187)
Die Kreuzberger Ausstellungen „Wir waren die ersten“ und „Geschichte wird gemacht“ wurden maßgeblich von Akteuren aus dem Bezirk konzipiert und umgesetzt, können also nach dieser Definition als „co-creative projects“ bezeichnet werden. Das aktuelle Ausstellungsprojekt „Migration macht Geschichte“ wie auch die Laborausstellung „NeuZugänge“ zum Thema Sammlung und Migration enthalten zahlreiche partizipative Elemente, die teilweise als „collaborative“, teilweise als „contributory“ eingeordnet werden können. Bei letzterer trafen die grundsätzlichen Entscheidungen über das Ausstellungskonzept aber die Kuratorinnen. Dieser Weg wurde vor dem Hintergrund des hohen Arbeitsaufwands der vorherigen Projekte eingeschlagen. Dennoch wurden die Partizipationsformen immer wieder reflektiert und die möglichen Gestaltungsspielräume der lokalen Akteure experimentell ausgelotet. Daran anknüpfend stellen sich die Fragen: Was macht gelungene Partizipation aus? Ist ein „co-creative project“ ,besser‘ oder ,mehr‘ wert als ein „contributory project“ oder 5 | Vgl. dazu den Bericht von Christine Gerbich in diesem Band und http://www.kreuz bergmuseum.de/index.php?id=230 [letzter Zugriff 25.11.2011]. 6 | Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz, 2010. Das Buch wurde in seiner im Internet verfügbaren Version verwendet (http://www.participatorymuseum.org/ [letzter Zugriff 27.07.2010]). Alle folgenden Zitate stammen aus dem fünften Kapitel des Buches (Chapter 5: Defining Participation in Your Institution).
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macht es schließlich nur mehr Arbeit durch einen sehr hohen Koordinierungs- und Vermittlungsaufwand? Bedeutet die Beteiligung von sogenannten Laien immer die Erweiterung von Wissen oder geht damit eine Entprofessionalisierung des Museums einher? Wie viel Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum will und soll das Museum sinnvollerweise abgeben? Welche neue Gestalt soll das (Nachbarschafts-)Museum perspektivisch haben? Gleichzeitig hängt damit die Frage nach den Motiven für eine partizipative Museumsarbeit zusammen. Nina Simon nennt in diesem Zusammenhang die folgenden drei institutionellen Werte: „Desire for the input and involvement of outside participants, Trust in participants’ abilities, responsiveness to participants’ actions and contributions“ (Simon 2010: 183). Tatsächlich liegen auch der Arbeit des Kreuzberg Museums als einem inklusiven (Nachbarschafts-)Museum verschiedene Prämissen bzw. Werte zugrunde. Dies impliziert einerseits die Entscheidung für einen alltagsgeschichtlichen und pluralistischen Zugang zur Geschichte, andererseits die Bereitschaft, zur sozialen und kulturellen Integration der Stadtteilbewohner durch Inklusion beizutragen, und nicht zuletzt den Wunsch, neue Besuchergruppen für sich zu erschließen. Doch geht es wirklich immer nur um die hehren Ziele der „social inclusion“7 und der Öffnung der Institutionen? Für die eigene Arbeit und Reflexion in den Museen ist es wichtig, sich differenziert mit der eigenen Vorgehensweise auseinanderzusetzen, sich die Frage zu stellen, mit welchem Ziel welche Methode angewandt wird, und dies transparent zu machen. Vor dem Hintergrund der Praxiserfahrungen des Kreuzberg Museums lassen sich durchaus weitere Triebkräfte benennen. Dass die Chance, öffentliche Fördermittel zu erhalten, steigt, wenn ein Museum partizipativ arbeitet, wurde bereits erwähnt. Ein weiterer Aspekt ist, dass Partizipation, zugespitzt formuliert, auch bedeutet, von der Expertise ehrenamtlicher Arbeitskräfte zu profitieren, die aus eigenen Mitteln nicht zu finanzieren wäre. Vermutlich greifen hier für gewöhnlich mehrere Faktoren ineinander, die es für die eigene Arbeit aber immer wieder kritisch zu hinterfragen gilt. Mit einer nunmehr zehnjährigen Tradition der partizipativen Ausstellungsarbeit, dem entsprechenden Erfahrungswissen und dem nötigen zeitlichen Abstand zu vergangenen Projekten strebt das Kreuzberg Museum an, insbesondere im Rahmen der aktuell laufenden, oben beschriebenen Projekte noch stärker als zuvor, die eigene Praxis kritisch zu reflektieren und mit anderen zu diskutieren. Hierzu soll der vorliegende Aufsatz einen kleinen Beitrag liefern.
7 | Vgl. Richard Sandell: Museums, Prejudice and the Reframing of Difference. London / New York 2007; oder ders. (Hg.): Museums, Society, Inequality. London / New York 2002.
Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum
Literatur Düspohl, Martin: „In jeder Generation tauscht sich die Bevölkerung einmal aus …“ Migrationsgeschichte in der Konzeption des Kreuzberg Museums (Berlin), in: Motte, Jan / Ohliger, Rainer (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004, S. 159 – 179. Düspohl, Martin: „Das Museum als sozialer Faktor“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament, APuZ 49 (Dez. 2007), S. 33–38. Sandell, Richard: Museums, Prejudice and the Reframing of Difference. London / New York 2007. Sandell, Richard (Hg.): Museums, Society, Inequality. London / New York 2002. Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010, auch einsehbar unter http: / / www.participatorymuseum.org / read / [letzter Zugriff 10.01.2012].
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Wilde Museen Das Amateurmuseum als partizipative Graswurzelbewegung Angela Jannelli
Seit den 1970er-Jahren wird das Medium Museum immer populärer. Nicht nur, dass die Besuchszahlen in deutschen Museen kontinuierlich steigen1, auch die Anzahl der Museen wächst beständig. Wir erleben eine Art musealer Gründerzeit, einen Museumsboom, der auch häufig unter dem von Wolfgang Zacharias geprägten Slogan „Zeitphänomen Musealisierung“ diskutiert wird.2 Viele dieser neu gegründeten Museen werden von Amateuren betrieben, also von Menschen, die das ‚Museummachen‘ aus privatem Interesse und ohne kuratorische Ausbildung betreiben. Hans Lochmann, Leiter der Geschäftsstelle des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen, sowie Wolfgang Stäbler von der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern gehen davon aus, dass heute sogar 50% aller Museen ehrenamtlich geführt werden (Lochmann 2010; Stäbler o. D.). Das ‚Museummachen‘ stellt folglich eine große und äußerst populäre kulturelle Äußerungsform dar.
1 | Vgl. die jährlichen statistischen Gesamterhebungen des Instituts für Museumsforschung: http://www.smb.museum/ifm/index.php?ls=8&topic=Publikationen&subtopi c=Materialien&lang=de&te=ja&tf=ja [letzter Zugriff 25.11.2011]. 2 | Zum Museumsboom vgl. Hoelscher, Steven: „Heritage“, in: Macdonald, Sharon (Hg.): A Companion to Museum Studies, Oxford 2006, S. 198 – 218; Baur, Joachim: „Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands“, in: ders. (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 15 – 48; Zacharias, Wolfgang (Hg.): Zeitphänomen Musealisierung, Essen 1990; zur Musealisierung allgemein vgl. Lübbe, Hermann: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen, London 1982. Mit dem Stichwort Museumsboom wird nicht nur die Proliferation von Museen bezeichnet, sondern auch die beständig wachsende Anzahl von Museumsbesuchen pro Jahr.
Wilde Museen
Die häufigste Trägerschaftsform ehrenamtlich betriebener Museen ist der Verein (Institut für Museumsforschung 2008). Hinter einem Amateurmuseum steht folglich mit großer Wahrscheinlichkeit eine Gruppe von Menschen, die für ihr Museum sorgt, sei es als Gründer oder Betreiber. Amateurmuseen können folglich als eine Art ‚Graswurzelbewegung‘ der partizipativen Museumsarbeit betrachtet werden. Was aber motiviert die Museumsmacher? Warum wählen sie von allen möglichen kulturellen Äußerungsformen ausgerechnet das Museum? Was bietet ihnen das Medium Museum? Und was können wir als ‚partizipative Museumsarbeiter‘ daraus für die Zusammenarbeit mit Amateuren ableiten? Diesen Fragen möchte ich in meinem Beitrag nachgehen. Dafür skizziere ich zunächst einige Merkmale der ehrenamtlichen Museumsarbeit, die sich während meiner Feldforschung in drei Amateurmuseen herauskristallisiert haben3, und beschreibe dann, wie diese Erkenntnisse in die partizipative Museumspraxis einfließen können.
Begriff wildes Museum Zunächst möchte ich aber noch eine kurze Erklärung zu der von mir gewählten Bezeichnung wilde Museen geben: Den Begriff habe ich von dem französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss entlehnt, der 1962 eine Theorie des „wilden Denkens“ (LéviStrauss 1962) veröffentlichte. Lévi-Strauss kritisiert darin die damals in der Ethnologie vorherrschende Haltung, das Denken sogenannter ‚primitiver‘ Völker als rückständig oder unzivilisiert zu betrachten. Er plädiert vielmehr dafür, das wilde Denken nicht als eine unterentwickelte Vorstufe des wissenschaftlichen Denkens zu betrachten, sondern vielmehr als eine eigenständige, der Wissenschaft gleichwertige Art, die Erscheinungen der Welt zu interpretieren (ebd., S. 23 f.). Diesen Gedanken habe ich auf die Museumswelt angewandt: Ein wildes Museum stellt für mich daher keine primitive, unterentwickelte Form des Mediums Museum dar, sondern es bezeichnet einen eigenständigen Museumstyp, eine dem wissenschaftlichen Museum ebenbürtige und gleichwertige Form des Sammelns und Ausstellens.4 Bei der Analyse des ‚wilden Museummachens‘ ging es mir daher auch nicht darum, zu beurteilen, wie wissenschaftlich korrekt die jeweiligen Ausstellungen waren, sondern darum, wie und wozu die Museumsmacher ihr Museum benutzten. Die Ausstellungen habe ich daher nicht wie fertige, abgeschlossene ‚Werke‘ analysiert, sondern ich habe meine Aufmerksamkeit auf den Prozess des 3 | Die Forschungen habe ich im Rahmen meiner Dissertation angestellt. Die untersuchten Museen waren das Berliner McNair-Museum, das Museum der ehemaligen Zivilangestellten der Alliierten, das Bienen- und Imkereimuseum Moorrege in Schleswig-Holstein sowie das Heimatmuseum Wilhelmsburg in Hamburg. Die Arbeit wird im Mai 2012 unter dem Titel „Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums“ in diesem Verlag veröffentlicht. 4 | Diese Unterscheidung stellt ein analytisches Hilfsmittel dar. In der Realität lassen sich wilde und wissenschaftliche Museen nicht so klar unterscheiden.
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Museummachens gelenkt und danach gefragt, welche ‚Denkoperationen‘ bzw. (symbolischen) Handlungen über das Medium Museum realisiert werden. Anhand des Sammelns und Ausstellens möchte ich im Folgenden einige Merkmale des ‚wilden Museummachens‘ darstellen.
Sammeln und Objektbedeutung In den von mir untersuchten Amateurmuseen wurde unsystematisch gesammelt. In der Gründungsphase der jeweiligen Museen wurden so viele Gegenstände wie möglich zusammengetragen, die dann in den Ausstellungen arrangiert wurden. Nach der Eröffnung der Museen wurde die Sammlung im Wesentlichen nur dann erweitert, wenn den Museen ein Gegenstand angeboten wurde. Die Museumsmacher entschieden im Einzelfall, ob sie das Objekt annehmen oder ablehnen sollten. In den meisten Fällen fiel die Entscheidung jedoch positiv aus. Die Gründe hierfür unterschieden sich in den verschiedenen Museen. Im Bienenmuseum Moorrege pflegte man einen eher pragmatischen Umgang mit den Objekten: Wichtig war zunächst nur, das Objekt zu sichern und davor zu bewahren, weggeworfen zu werden. Ob und wie es in der Ausstellung gezeigt werden sollte, wollten die Museumsmacher in einem zweiten Schritt entscheiden. Die Objekte interessierten hier in erster Linie als Träger von konkretem, praktischem Erfahrungswissen. Sie wurden gesammelt, weil sich in ihnen die jahrelange Erfahrung der Imker materialisierte und sich diese anhand der Objekte darstellen und vermitteln ließ. Ein Objekt abzulehnen hieße gleichzeitig, auf einen Teil des kollektiven Erfahrungsschatzes zu verzichten. Im Museum Elbinsel Wilhelmsburg wurden Objekte angenommen, um die bestehenden Ausstellungen zu komplettieren. Als weiteren Grund benannte eine Museumsmacherin aber auch ihre Bedenken, die potentiellen Objektgeber durch eine Ablehnung zu brüskieren. Man müsse die Leute doch dafür belohnen, dass sie an das Museum dächten und es für einen würdigen Aufbewahrungsort für die alten und geschätzten Dinge erachteten; es sei nicht gut, so meine Interviewpartnerin, sie in diesem Glauben zu enttäuschen. Bei der Annahme eines Objekts wog folglich ein Gefühl der persönlichen Verpflichtung gegenüber dem Objektgeber schwerer als der Informations- oder „Schauwert“ (vgl. König 2009: 183 f.) des Objekts selbst. Beim Sammeln, so zeigte sich, dominieren im wilden Museum tendenziell konkrete Argumente, es sind weniger abstrakte Fragen, die über die Annahme eines Objekts entscheiden. Im Vordergrund steht häufig die persönliche Beziehung zwischen Objektgeber und Museum und weniger die Überlegung, ob ein Objekt die Sammlung sinnvoll ergänzt. Im McNair-Museum zeigte sich diese persönliche Dimension im Verlauf der Führungen durch die Ausstellung besonders deutlich: Die Museumsmacher erzählten in erster Linie die Geschichte des früheren Besitzers des jeweiligen Exponats, sie erklärten weniger, wofür oder wie es verwendet wurde bzw. welche Bedeutung es im Kontext der Ausstellung hat.
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Diese persönliche Bedeutungsdimension ist je nach Museumstyp stärker oder schwächer ausgeprägt. Im McNair-Museum z. B. wog sie besonders schwer: Hier symbolisierte jedes Objekt eine persönliche Beziehung, die mit jedem Mal, wenn in einer Führung über das Objekt gesprochen wurde, erneuert, gepflegt und damit auch aufrechterhalten wurde. Im Fall der ehemaligen Zivilangestellten erwies sich diese ‚beziehungsreiche‘ Bedeutung der Dinge als zentral, wurde doch die Gemeinschaft der Zivilangestellten mit dem Abzug der Alliierten aus Berlin unwiederbringlich aufgelöst, eine Gemeinschaft, die als besonders stark und privilegiert empfunden wurde. Dieser sehr ‚persönliche‘ und das Soziale berücksichtigende Umgang mit Objekten erinnert an Marcel Mauss’ Theorie vom Gabentausch (Mauss 1950). Der Ethnologe interpretiert den „kula“, ein auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neu-Guinea gepflegtes Tauschritual, als ein Mittel für das Etablieren und Pflegen sozialer Beziehungen: Durch den Austausch von Gaben wird zwischen Geber und Nehmer eine persönliche Beziehung etabliert, zwischen ihnen eröffnet sich ein sozialer Raum, der auch dem Austausch von Wissen und Traditionen dient. Eine Gabe abzulehnen wäre gleichbedeutend mit einer Verweigerung der Freundschaft und Gemeinschaft. Im Licht des Gabentauschs betrachtet, zeigt sich das wilde Museum als ein sozialer Raum, der durch den Austausch von Objekten etabliert wird. Die Objekte haben hier eine konkrete, persönliche Bedeutung, sie stehen für eine unmittelbare Beziehung zwischen Objektgeber und Museum. Das McNair-Museum kann demnach als Ort interpretiert werden, an dem durch das Sammeln, Ausstellen und Pflegen von Objekten die aufgelöste Gemeinschaft der Zivilbeschäftigten symbolisch aufrechterhalten werden kann, es ist ein durch ‚Gabentausch‘ geschaffener sozialer Raum, der dem Fortbestand dieser nur noch als Erinnerungsgemeinschaft existierenden Gruppe dient. Die Museumsmacher bezeichnen ihr Museum konsequenterweise auch als „Begegnungsstätte“. Mit Mauss’ Theorie vom Gabentausch lässt sich auch die große Objektfülle erklären, die in vielen wilden Museen vorherrscht. Die Ausstellungen sind meistens mit einer unüberschaubaren Menge von Objekten bestückt, kaum ein Fleckchen, das nicht für die Präsentation von Exponaten genutzt werden würde. Ausstellung und Sammlung sind meistens identisch, Archiv- oder Depotflächen sind meistens nicht vorhanden. Berücksichtigt man diese auf soziale Beziehungen fixierte Verwendung der Objekte, so wird klar, dass in der Ausstellung möglichst viele Objekte gezeigt werden sollen, denn ein Objekt abzulehnen oder es ins Depot zu ‚verbannen‘ wäre gleichbedeutend damit, eine persönliche Beziehung abzulehnen bzw. zu kappen. In diesem ‚beziehungsreichen‘ Umgang mit Objekten liegt eine der größten Quellen für Konflikte zwischen Amateuren und Museumsmitarbeitern. Kuratoren sind bestrebt, die Aussage eines Exponats oder eines Objektensembles so klar und evident wie möglich zu machen. Im wissenschaftlichen Museum werden die Dinge in erster Linie losgelöst von ihrem konkreten personengebundenen Kontext gezeigt (autobiographische Objekte sind hier ausgenommen), es geht in erster Linie um die Verweiskraft der Dinge, d.h. um ihre Fähigkeit, auf historische, naturwissenschaftliche, künstlerische, kurzum: auf abstrakte Sachverhalte zu verweisen. Um dies zu erreichen, versucht der im wissenschaftlichen Museum tätige Kurator, Objekte zu finden, die den zu vermit-
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telnden Sachverhalt klar und eindeutig verkörpern. Der Kurator braucht ikonische Objekte, die als möglichst eindeutige Repräsentanten eines Sachverhalts fungieren, andere Bedeutungen sind hierbei eher hinderlich und sollen – z. B. durch eine sorgfältige Inszenierung der Objekte – in den Hintergrund gedrängt werden. Diese Repräsentationsfunktion der Dinge ist im wilden Museum eher sekundär, hier dominiert die symbolhafte Kraft des Dings, seine Fähigkeit, eine persönliche Beziehung, Erinnerung oder Erfahrung zu evozieren und damit immer auch zu aktualisieren. Der ‚de-kontextualisierte‘ Umgang mit Objekten, wie er im wissenschaftlichen Museum gepflegt wird, wird daher von vielen Amateuren als unpersönlich oder auch schlichtweg als uninteressant empfunden. In der Zusammenarbeit mit Laien sollte dieser Aspekt berücksichtigt werden. Viele Konflikte zwischen Kuratoren und Ehrenamtlichen bzw. Partizipienten brechen genau dann auf, wenn es um die Auswahl von Objekten für eine Ausstellung geht bzw. um die Art ihrer Inszenierung. Diese unterschiedliche – symbol- vs. zeichenhafte oder beziehungsreiche vs. verweiskräftige – Verwendung der Objekte stellt meines Erachtens einen der größten Stolpersteine in der Zusammenarbeit von Museen mit Laien dar. Dieses unterschiedliche Verständnis von der Bedeutung eines Objekts und seiner Funktion in der Ausstellung sollte bei partizipativen Projekten immer mitbedacht werden, um zu verhindern, dass Projektteilnehmer sich durch das Nicht-Zeigen eines Objekts, eine für sie fremde und damit ‚zweifelhafte‘ Betrachtungsweise des Gegenstands oder eine in ihren Augen unangemessene Präsentation zurückgewiesen, falsch verstanden oder nicht richtig gewürdigt fühlen.
Sammeln und Ausstellen – die Dinge in Ordnung bringen Die Popularität und Proliferation des Amateurmuseums zeigt, dass das Sammeln und Ausstellen heute sehr weitverbreitet ist und viele Menschen es zu ihrem Hobby erkoren haben. Die Popularität dieser Kulturtechniken lässt sich durch ihren unmittelbaren Bezug zu sinn- und identitätsstiftenden Prozessen erklären.
Sich sammeln Wie sowohl der Ethnologe James Clifford als auch der Forscher der Material Culture Studies Andrew Moutu konstatieren, beinhaltet das Sammeln stets ein selbstreflexives und damit identitätsstiftendes Moment (Clifford 1990; Moutu 2007): Sammeln bedeutet immer auch „sich (selbst) sammeln“. Für Moutu steht am Beginn jeder Sammlung ein Gefühl des Verlusts oder der Orientierungslosigkeit: Um Fortfahren zu können, muss man „sich sammeln“ – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn. Laut Moutu birgt auch das Sammeln von Objekten ein Moment des „Sich-sammelns“ im Sinne eines Innehaltens in sich, das es erst ermöglicht, einen verlorenen Faden wieder aufzunehmen und in der Zeit voranzuschreiten. Diese Dimension des „Sich-sammelns“ wird im McNair-Museum besonders deutlich: Durch das Anlegen und Pflegen der Sammlung kann die aufgelöste Gemeinschaft der Zivilangestellten weiterbestehen, wenn auch in
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einer anderen, symbolischen Form: als Erinnerungsgemeinschaft. Die ehemaligen Zivilangestellten haben ,sich gesammelt‘ und darüber eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit und ihren ehemaligen Kollegen hergestellt, eine Verbindung, die ihnen sowohl eine Verortung im Hier und Jetzt als auch die Herstellung eines für die Zukunft tragfähigen Identitätsentwurfs ermöglicht. Über die Museumsarbeit hat sich ihnen zudem die Möglichkeit einer ‚sinnvollen‘ und prestigereichen Tätigkeit eröffnet: Sie sind zum einen die offiziellen „Träger des Gedächtnisses“ (Assmann 1992: 53 f.) der Gruppe, zum anderen werden sie nun als Repräsentanten einer Kulturinstitution im Bezirk Steglitz immer häufiger zu politischen Empfängen oder anderen gesellschaftlichen Anlässen eingeladen. Mit anderen Worten: Durch das Engagement in einem Museum können aus ‚normalen Bürgern‘ Personen des öffentlichen Lebens werden. Dieser Zuwachs an sozialem und kulturellem Kapital mag auch einer der Beweggründe dafür sein, warum sich Menschen in Museen – wilden wie wissenschaftlichen – engagieren. Dieser bei vielen Menschen vorhandene Wunsch nach einer sinnvollen Tätigkeit, nach gesellschaftlicher Wahrnehmung und Anerkennung sowie nach der Verfolgung eigener Absichten (die durchaus nicht deckungsgleich mit denjenigen des Museums sein müssen!) sollten Kuratoren in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen immer im Hinterkopf behalten. Wird dieser Wunsch enttäuscht – z. B. indem den Ansichten und Erfahrungen der Partizipienten nicht genug Raum gegeben oder ihre Leistung nicht in ausreichendem Maße gewürdigt wird –, kann dies zu ernsthaften Konflikten zwischen dem Museum und seinen jeweiligen Kooperationspartnern führen.
‚Ausstellen und (An-)Ordnen‘ Eine Ausstellung aufzubauen bedeutet, dass die gesammelten Dinge in sinnvolle Zusammenhänge gebracht werden müssen. Wenn man eine Ausstellung aufbaut, muss man für jedes Ding einen logischen und stimmigen Platz finden, die Dinge müssen in Ordnung gebracht werden. Die in wilden Museen vorhandenen Ordnungen basieren nicht auf wissenschaftlichen Klassifikationen, sie beruhen auf lebensweltlichem Erfahrungswissen. Diese Form des Wissens wird auch als implizites Wissen bezeichnet, d. h., es ist unbewusst, lässt sich nicht in Begriffe fassen und wird intuitiv angewandt. Diese Dominanz des impliziten Wissens macht die Ausstellungen für Außenstehende oft so schwer verständlich: Ihnen fehlt einfach das bei den Museumsmachern vorhandene Erfahrungswissen, um die Dinge und ihre konkreten Bedeutungen erfassen zu können. Zudem sind in den meisten wilden Museen kaum Texte vorhanden, die die Funktion übernehmen könnten, zwischen Objekt und Besucher einen Dialog in Gang zu setzen (vgl. Hanak-Lettner 2010). Die ‚wilden Museumsdinge‘ offenbaren ihre Bedeutung daher meist nur in einer Führung, wenn die Museumsmacher über die gesammelten Objekte und die hinter ihnen liegenden Ordnungen erzählen. Es sind Orte der oralen Vermittlung, Orte des Erzählens über Dinge. Bereits das (An-)Ordnen der Dinge weist enge Parallelen zum Erzählen auf, denn auch hier geht es darum, einzelne Geschehnisse und Ereignisse so zu ordnen, dass ein
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stimmiges Ganzes, eine gute Geschichte entsteht. Ordnende, d. h., narrative Verfahren kommen auch in der Psychotherapie zum Einsatz, besteht doch das Ziel einer erfolgreichen Gesprächstherapie darin, sinnvolle Zusammenhänge bzw. kohärente (Lebens-) Erzählungen zu schaffen. Mit dem Aufzeigen dieser Parallele möchte ich die wilden Museen nicht als therapeutische Einrichtungen bezeichnen. Es geht mir vielmehr darum, zu zeigen, dass das (An-)Ordnen der Dinge in Ausstellungen eine kohärenz- und sinnstiftende Wirkung entfalten kann. Die Dinge bieten dabei den unbestreitbaren Vorteil, auch ohne Worte zu funktionieren: Über das (An-)Ordnen der Dinge kann man sehr viel thematisieren, ohne es direkt verbalisieren zu müssen. Dass sich die erzählte Botschaft durchaus auch grundlegend von den gezeigten Objekten unterscheiden kann oder anders gesagt: dass plot und story nicht identisch sein müssen, zeigt sich im Museum Elbinsel Wilhelmsburg: Der Großteil der Objekte stammt aus der Zeit um 1900 und ist in idyllischen Bildern gruppiert, wie z. B. der Bauernstube oder der Arbeiterküche. Sie vermitteln ein geschlossenes Bild von einem vorindustriellen, agrarisch geprägten Wilhelmsburg, aus dem die heutige (post-)industrielle und durch soziale und kulturelle Heterogenität gekennzeichnete Realität ausgeklammert ist. Betrachtet man den Objektbestand des Museums, so offenbart sich eine romantische story einer verklärten, versunkenen Welt. Doch in den Führungen wurde dann ein ganz anderer plot realisiert: Ausgehend von den ‚alten‘ Dingen wurde immer wieder die Frage nach der heutigen Wilhelmsburger Identität gestellt. Was und wie ist Wilhelmsburg? Wer gehört hierher? Und vor allem: Wer hat dies zu entscheiden? Diese Fragen entbehrten zum Zeitpunkt meiner Forschung im Jahr 2009 nicht einer gewissen Brisanz, da Wilhelmsburg damals wieder einmal in den Fokus der Hamburger Stadtplanung gerückt war: 2013 wird dort eine internationale Bauausstellung ausgerichtet, in deren Zuge zahlreiche Bau- und Infrastrukturprojekte realisiert werden. Über das Museum und seine idyllischen Objektarrangements wird die Differenz zwischen gestern und heute offensichtlich und erfahrbar. Diese Differenz regte einige der Museumsmacher dazu an, sich über die aktuelle Situation Gedanken zu machen und sich mit identitätspolitischen Forderungen im Hier und Jetzt zu positionieren. Die wilden Museumsmacher nutzen die Ausstellungen durchaus als Plattformen, auf denen sie eigene Fragen und Interessen formulieren. Wir haben es hier mit einer aktiven Aneignung zu tun, die die Ausstellung zwar zum Anlass nimmt, aber durchaus nicht mit ihrer ursprünglich intendierten Botschaft deckungsgleich sein muss.5 Dieser Aspekt sollte in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen immer berücksichtigt werden, vor allem wenn sie im Bereich der Vermittlung eingesetzt werden sollen. Ein weiterer Aspekt, der in partizipativen Projekten zu Konflikten oder zumindest zu Irritation zwischen Kuratoren und Kokuratoren führen kann, ist die unterschiedliche Herangehensweise an das Ausstellungsmachen: In den wilden Museen werden die Ausstellungen meistens spontan, ohne vorher festgelegte Raumordnungen eingerichtet. Die konkrete Anordnung der Gegenstände erfolgt intuitiv, die Kriterien für 5 | Vgl. hierzu den grundlegenden Text von Stuart Hall: „Kodieren / Dekodieren“ (Hall 1973).
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die Zusammenstellung der Exponate basieren dabei auf dem impliziten, konkreten Erfahrungswissen der Museumsmacher. Die Gegenstände werden so arrangiert, dass sich ein stimmiges Bild ergibt. Dieses Vorgehen unterscheidet sich grundlegend von dem der wissenschaftlichen Museumsmacher, die meistens in jahrelanger Vorarbeit in Zusammenarbeit mit einem Team von Szenografen Raum- und Ausstellungsdrehbücher erstellt haben. Das heisst, dass die Ausstellungen im wissenschaftlichen Museum bereits fertig konzipiert sind, bevor überhaupt mit dem Einbringen der Exponate begonnen wird. Ganz anders verhält es sich im wilden Museum, wo die Ausstellungen einen eindeutig bricolierenden Charakter aufweisen. Ob ein Gegenstand ins Bild passt, wird beim konkreten Aufbau geprüft, nicht im Vorfeld. Hier stoßen zwei verschiedene Arbeitsweisen aufeinander, zwei unterschiedliche Problemlösungsstrategien, denen Claude Lévi-Strauss die Figuren des bricoleurs, also des Bastlers, und des Ingenieurs zuordnet. In der Zusammenarbeit mit Amateuren sollte man sich dieser grundlegend anderen Herangehensweise an das Ausstellungmachen bewusst sein und den Prozess nicht ‚ingenieurmäßig‘ durchplanen, sondern immer auch genug Raum und Zeit für bricolierende Elemente und intuitive (An)Ordnungen lassen.
Das Museum – ein vielseitiges und flexibles Medium Aus einer handlungstheoretischen Perspektive betrachtet, erweist sich das Museum als ein äußerst vielseitiges und flexibel einsetzbares Medium. In der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen sollte dieser Aspekt berücksichtigt werden: Ehrenamtliche möchten das Medium individuell nutzen, sie möchten in ihrer Sicht und Interpretation der Dinge nicht auf die für wissenschaftliche Museen üblichen Konventionen festgelegt werden, sondern verfolgen beim Sammeln und Ausstellen durchaus eigene Interessen und folgen eigenen Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien, die durchaus zu denen des Museums in Widerspruch stehen können. Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass die Wissenschaft nur eine mehrerer Wissensformen darstellt, die im Museum Raum haben können – in der Zusammenarbeit mit Laien will auch das persönliche Erfahrungswissen, wollen individuelle Ansichten und Anliegen Gültigkeit und Gehör erlangen. Um es in Lévi-Strauss’ Worten auszudrücken: Man sollte vom bricoleur nicht erwarten, wie ein Ingenieur vorzugehen, und der Ingenieur sollte die unkonventionellen und kreativen Lösungswege des Bastlers, seine Expertise und Experimentierfreude nicht als unprofessionell und damit unbrauchbar abtun. Es gibt verschiedene Strategien, ein Problem zu lösen, beide Seiten können voneinander lernen und am Ende kann das gemeinsame Projekt nur davon profitieren. Übertragen auf die Museumswelt heißt das, dass man in partizipativen Projekten bereit sein muss, andere als die eigenen, professionellen, an der Wissenschaft geschulten Standards gelten zu lassen, dass man in Kauf nehmen muss, dass Ehrenamtliche eigene Ziele verfolgen und eigene Vorstellungen in Bezug auf die Bedeutung der Dinge oder der Museumsarbeit haben. Es muss einem klar sein, dass das Museum ein Medium ist, das in vielen Genres realisiert werden kann. Am Beispiel des Mediums Buch
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wird dies besonders deutlich: Vom Tagebuch über die Betriebsanleitung und das wissenschaftliche Sachbuch bis hin zum Roman – es gibt viele Arten von Büchern. Und nicht jeder, der schreiben kann, möchte ein wissenschaftliches Sachbuch verfassen. Ebenso möchte auch nicht jeder, der sammeln und ausstellen kann, eine wissenschaftliche Ausstellung machen. Vielleicht verfolgt er dabei ein ganz anderes Projekt? Kuratorinnen und Kuratoren partizipativer Projekte stellt das vor die Herausforderungen, verschiedenen Erwartungen und Parteien gerecht werden zu müssen, zwischen verschiedenen Positionen vermitteln zu müssen. Denn sie sind nicht nur ihren Kooperationspartnern und Kokuratoren gegenüber verpflichtet, sondern auch dem Publikum gegenüber, das gut gemachte Ausstellungen mit verlässlichen Informationen erwartet. Die Aufgabe des Kurators besteht darin, sich über die verschiedenen Erwartungen klar zu werden und sie moderierend in Einklang zu bringen. Ein partizipatives Projekt kann ziemlich viele Stolpersteine in sich bergen, über die man sich bereits im Vorfeld klar sein sollte. Die Durchführung partizipativer Projekte bedeutet immer auch, mit sehr vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten, mit den vielfältigsten Meinungen und unterschiedlichsten Erwartungen konfrontiert zu sein und diese oft divergierenden Positionen unter einen Hut bringen zu müssen – ein oftmals anstrengendes und kräftezehrendes Unterfangen! Die Zusammenarbeit mit Ausstellungslaien ist immer ein Abenteuer mit offenem Ausgang. Ein Scheitern ist immer möglich – aber auch die Neuentdeckung neuer, ungeahnter Welten!
Literatur Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Baur, Joachim: „Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands“, in: ders. (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 15 – 48. Clifford, James: „Sich selbst sammeln“, in: Korff, Gottfried / Roth, Martin (Hg.): Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt a. M., New York 1990, S. 87 – 106. Hanak-Lettner, Werner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand, Bielefeld 2010. Hall, Stuart: „Kodieren / Dekodieren“, in: Bromley, Roger / Göttlich, Udo, Winter, Carsten (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, Lüneburg 1999. (engl. Erstveröffentlichung 1973) Hoelscher, Steven: „Heritage“, in: Macdonald, Sharon (Hg.): A Companion to Museum Studies, Oxford 2006, S. 198 – 218. Institut für Museumsforschung: Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2008, 63 (2009), Onlinedokument: http: / / mu seum.zib.de / ifm / mat63.pdf [letzter Zugriff 29.10.2010]. König, Gudrun M.: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900, Wien (u. a.) 2009.
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Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt a. M. 1968 (frz. Erstveröffentlichung 1962) Lochmann, Hans: „Museen als Phänomen der Bürgergesellschaft. Das Beispiel Heimatmuseen“, in: Dreyer, Matthias / Wiese, Rolf (Hg.): Das offene Museum. Rolle und Chancen von Museen in der Bürgergesellschaft. Ehestorf 2010, S. 147 – 156. Lübbe, Hermann: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen, London 1982. Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1984 (Erstveröffentlichung 1950). Moutu, Andrew: „Collections as a Way of Being“, in: Henare, Amiria / Holbraad, Martin / Wastell, Sari (Hg.): Thinking Through Things. Theorising Artefacts Ethnographically, London / New York 2007, S. 93 – 112. Stäbler, Wolfgang: Ehrenamtliche Arbeit im Museum – ein unentbehrlicher Bestandteil des kulturellen Lebens, Onlinedokument: http: / / www.kupoge.de / ifk / ehren amt / museum / museen2.htm [letzter Zugriff 25.11.2011]. Zacharias, Wolfgang (Hg.): Zeitphänomen Musealisierung, Essen 1990.
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Grenzen und Chancen von partizipativen Projekten Claudia Glass, Beat Gugger
Im Zeitalter der Social Media werden partizipative Projekte vom Publikum im Museum erwartet. Das Museum hat dank seiner hohen Glaubwürdigkeit im ‚Kampf um Aufmerksamkeit‘ gute Chancen, einen wichtigen Platz in aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen einzunehmen. Dazu muss es seine traditionellen Aufgaben überdenken und den demokratischen und bildungspolitischen Anforderungen der Gegenwart anpassen. Der Dialog zwischen Museum und Publikum wird zu einer wichtigen Aufgabe der Museumsarbeit. In unserem Beitrag möchten wir anhand eines Beispiels aus der Ausstellungspraxis den Fokus auf die Stolpersteine partizipativer Prozesse lenken. Dieses Beispiel haben wir innerhalb zweier Workshops im Rahmen einer Tagung zur Partizipation in Museen erörtert, die daraus abgeleiteten Fragen bilden die Komplexität und auch die Schwierigkeiten ‚realer Partizipation‘ ab. Das Beispiel kreist um die Themen der Deutungshoheit des Wertes von Objekten sowie um die politische Positionierung in demokratischen Prozessen, es dient als exemplarischer Aufhänger, um die Grenzen und Chancen von partizipativen Prozessen zu erläutern.
Wer hat die Deutungshoheit? Das Beispiel spielt in einem lokalen Museum: Für ein Ausstellungsprojekt waren Kinder und Jugendliche aufgefordert, interdisziplinäre Arbeiten zur Bedeutung des Flusses ihrer Wohnregion zu entwickeln. Ein Sponsor aus dem Energiebereich unterstützte die Ausstellung. Die Arbeiten wurden von der Ausstellungsgestalterin und von Lehrpersonen betreut. Die jungen Menschen setzten sich intensiv mit dem Thema Fluss auseinander. Im Verlauf des interdisziplinären Prozesses machten sie das ihnen gesetzte Thema „Fluss des Lebens“ zu ihrem Thema: Von der Quelle bis zur Mündung – der
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abwechslungsreiche Weg des regionalen Flusses – wurde zum Symbol ihrer eigenen Entwicklung. Kurz vor der Vernissage kam es zu Differenzen zwischen Museum, Sponsor und den Betreuerinnen der Jugendlichen: Sponsoren und Mitarbeiter des Museums hatten sich ‚etwas anderes‘ als Ergebnis vorgestellt. Ihnen genügte die ‚Qualität‘ der von einer Gruppe von Schülerinnen zusammengetragenen Arbeiten nicht. Dieser Konflikt wirft eine Reihe von Fragen in Bezug auf partizipative Ausstellungsprojekte auf: Reicht es, dass der Weg das Ziel ist – oder muss ein ausstellbares Resultat (das auch den Qualitätskriterien des Museums entspricht) erarbeitet werden? Wie weit können die museumsexterne Personen bei der Umsetzung der Ausstellung mitentscheiden? Oder werden sie ‚nur als Lieferanten‘ von erwarteten Inhalten betrachtet? Oder als Feigenblatt? Welche Rolle erhalten Sponsoren und Museumsmitarbeiter in einem partizipativen Prozess? Inwieweit verstehen sich Museumsmitarbeiter und Sponsoren als Teil des Prozesses und bringen ihre Kompetenzen ein – und das in einem partnerschaftlichen Dialog? Darf es ein Scheitern geben? Sind sich die Verantwortlichen seitens des Museums und die Sponsoren bewusst, dass sie sich – sofern der partizipative Ansatz ernst gemeint ist – auch auf unterschiedliche Präsentationsformen der jeweiligen Gruppen einlassen müssen?
Politik im Museum? Stadt- und Regionalmuseen haben ein großes Potential für partizipative Projekte: Jede Bewohnerin, jeder Bewohner ist ein Experte für seinen Wohnort. Es sind gerade die aktuellen lokalpolitischen Fragen, die Potential für partizipative Prozesse bergen. Das Museum kann als Plattform zum Austausch dieser Themen dienen. Es ist aber häufig direkt von politischen Behörden abhängig. Sie sind oft Aufsichtsorgan des Museums. Oder politisch-wirtschaftliche Exponenten von Gemeinden und Kommunen sind Mitglieder der Trägerorganisation. Sponsoren haben sowieso – ob offen oder verdeckt – immer ein wichtiges Wort mitzureden. Wie weit darf sich ein Museum unter diesen Umständen auf ‚heiße Themen‘ einlassen? Wie darf das Museum sich an gesellschaftspolitischen Prozessen beteiligen? Welche Stolpersteine gibt es hier? Wie geht man mit Exponenten extremer Positionen um? Sind Extreme nicht auch notwendig, damit ein demokratischer Austausch stattfinden kann? Verändert diese Art der Partizipation Sammlung und Ausstellung?
Kommunikation und Dialog statt festgeschriebener Werte? Museologische Nachlese zu den Qualitätsund Wertebegriffen Das Museum wird von der Mehrzahl, gerade auch von denen, die im Museum arbeiten, als Ort verstanden, in dem Werte ‚unserer‘ Kultur in Form von Dingen gesammelt,
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erforscht und verwaltet werden. Im Hort der Schätze – oder poetischer – im ‚Musentempel‘ wird weder passiv noch aktiv hinterfragt, ob die Kriterien, nach denen den gesammelten Objekten Werte und Bedeutungen zugeschrieben werden, stichhaltig sind. Der ‚Wert‘ scheint durch die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen festgeschrieben zu sein. In der öffentlichen Meinung ist das meist akzeptiert, ja in der öffentlichen Meinung übersteigt die Glaubwürdigkeit von Museen diejenige anderer Medien und wissenschaftlicher Institutionen, von Politik und Wirtschaft ganz zu schweigen. Weiter wird das Museum als Bildungsort definiert, in dem das gesammelte und erforschte Wissen an das Publikum vermittelt wird. Bisher hatte diese Vermittlung vor allem eine Richtung: vom Museum zum Publikum. Das Publikum darf Fragen stellen. Das Museum definiert sich als Ort, der qua seiner Disziplin ‚weiß‘, welche Werte und Zuschreibungen die in ihm gesammelten ‚Bedeutungsträger‘ haben. Es allein gibt die Antworten. Auch die unüberschaubare Reihe von museumspädagogischen Angeboten ändert an dieser Grundhaltung nichts. Die für Bildung und Vermittlung Verantwortlichen werden nicht selten erst nach Abschluss der Ausstellungsinstallation hinzugezogen. Zur Vorbereitung und Ausführung partizipatorischer Projekte müssten diese Mitarbeiter von der Planung einer Ausstellung bis zur Realisierung aber eingebunden werden. Die Vermittlungsaufgabe des Museums – so wie sie in der ICOM-Definition festgeschrieben ist – birgt den bildungsbürgerlichen Gedanken, dass Bildung auch emanzipatorischen Charakter hat. Doch rückt diese Kernaufgabe des Museums gegenüber dem kuratorisch und konservatorisch korrekten Umgang mit Objekten oft in den Hintergrund. Die kulturelle Bildung hat unsichtbare und manifeste Grenzen dank Definition und Selbstverständnis der einzelnen vom Museum bemühten Wissenschaften und ihrer Vertreter. Transdisziplinarität, Interkulturalität oder die Assoziations- und Erinnerungskraft, fremden Dingen zu begegnen, haben selten Eingang in Museen oder gar in die Sammlungen gefunden, ganz zu schweigen von den kulturellen Minderheiten, die heute mit uns in unseren Städten leben. Der statische Charakter der ‚Deutungshoheit‘ und die Auswahl der ‚wertvollen Objekte‘ steht im Gegensatz zur Beschleunigung und damit auch zur Veränderung unserer Gesellschaft(en) in den letzten Jahrzehnten. Die monolithisch-statische Institution ‚Museum‘ wird von diesen Bewegungen erfasst. Das Museum ist neuen Anforderungen ausgesetzt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neuen Lebensauffassungen und Weltentwürfen drängen in die ‚heiligen Hallen‘ und beginnen, die Institution Museum neu zu prägen, die bisher dem gehobenen Bürgertum als Repräsentationsort des eigenen Wissens vorbehalten war. Diese neuen Mitarbeiter lassen zunehmend neue Besuchergruppen mit anderen Gewohnheiten eintreten und lassen sie sogar ‚die Stimme‘ erheben. Museum muss heute weniger als Gebäude und Hort für Gesammeltes denn als Beziehungs- und Kommunikationsraum zwischen den Dingen und dem Publikum verstanden werden. Radikaler formuliert: Das Museum als öffentlicher Bildungsraum für Besucher und Museumsmitarbeiter entsteht erst dann, wenn sich die Vertreter und Vertreterinnen der einzelnen musealen Disziplinen mit den Besuchern über die In-
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halte auseinanderzusetzen beginnen. Übersetzt in die Sprache des Managements heißt das: Die Kommunikation und die Vermittlung in Museen müssen sowohl top-down als auch bottom-up funktionieren. Hier aber entstehen stille und laute Schreie: Wo kommen wir denn da hin, wenn die Deutungshoheit nicht mehr nur bei den Fachleuten im Museum liegt? Zu einem Bildungsprozess mit offenem Ausgang ... ? An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass nicht selten außermuseale Experten bei der täglichen Arbeit als ‚Nervexperten‘ wahrgenommen werden. Mit guter Vorbereitung des Settings kann dieses Risiko jedoch minimiert werden. Schon in der Vorbereitungsphase muss das Forschungsdesign klar umrissen werden, muss sich das Museum selbstbewusst seiner Fähigkeiten und Aufgaben vergewissern, jedoch ohne das ‚andere Wissen‘ auszuschließen. Intensive und transparente Betreuung sowie permanente Kommunikation mit allen Beteiligten während des gesamten Prozesses sind zwar zeitlich aufwendig, bereichern aber alle Partizipierenden. Eine weitere Form der Partizipation ist der Einbezug der Social Media. Beim genauen Hinschauen zeigt es sich, dass die meisten Social-Media-Projekte in Museen von den „im Umgang mit neuen Medien ja viel geübteren Praktikanten“ erledigt werden. Viele Museen sind sich nicht bewusst, dass auch diese Form der partizipativen Arbeit das „ganze Haus“ verändern wird. Die Kommunikation und der Einbezug der Besucherinnen und Besucher muss sich – wenn er ernst gemeint ist – auch in der Arbeit und der Ausrichtung der Konservatoren und Kuratoren, der Sammlungstätigkeit, kurzum in der gesamten Politik des Museums niederschlagen. Kommunikation zwischen den Museumsmitarbeitern, den Gestaltern und den Besucherinnen und Besuchern ist in diesem Prozess umso wichtiger, weil ein partizipativer Prozess ein Lernen und Lehren in beide Richtungen sein muss. Alle Parteien sind Mediatoren bei der musealen Umsetzung. Das Museum muss sich auch auf ‚Nicht-Erwartetes‘ einlassen können; dabei stellt es seine Fähigkeiten und Fertigkeiten den Externen zur Verfügung.
Politische Bildung statt bloße Abbildung? Museologische Nachlese zur ‚Politik‘ in partizipatorischen Prozessen Das Museum hat die Freiheit und die Aufgabe, sich zu überlegen, welche Rolle es in den aktuellen lokalen Diskussionen um gesellschaftliche, städteplanerische und politische Entscheidungen spielen will. Diese Fragestellungen kann es journalistisch erarbeiten. Alle persönlichen Positionen und einseitigen Meinungen von Gruppen müssen klar erkennbar gemacht werden. Das Museum agiert als Mediator, der das Abbild der verschiedenen politischen Positionen zeigt. Es zeigt Zusammenhänge auf und bietet historische Hintergründe an, um die Positionen verständlich zu machen. Die einzelnen Positionen werden in ihrem historischen Entstehungskontext transparent gemacht. Es muss sich als ‚öffentlich-rechtliche Institution‘ zu erkennen geben, die im demokratischen Geiste und mit journalistischer Unabhängigkeit Prozesse und Sachverhalte zur Diskussion stellt. Es kommt damit auch dem bildungsbürgerlichen Anspruch nach, politische und kulturelle Identität transpa-
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rent zu machen und demokratische Prozesse diskursiv zu unterstützen. Die Autorisierung zu politischem Handeln unter Abwägung verschiedener Positionen dient dem emanzipatorischen Bildungsanspruch und führt zur Handlungsfähigkeit in einer Gesellschaft.
Fazit Ernst gemeinte partizipative Projekte – gerade wenn die Ergebnisse in eine Ausstellung integriert werden – verlangen von allen Beteiligten den Mut, sich auf einen unsicheren Weg zu begeben und damit auf Prozesse einzulassen, die nicht immer die erhofften Resultate zeigen müssen. Partizipation bietet die Möglichkeit, Wissen aus unterschiedlichen, bisher nicht erschlossenen Quellen zu generieren und damit einen inhaltlichen Mehrwert zu schaffen, der das bisherige Wissen des Museums ergänzt. Bildung als Prozess des Lernens und Lehrens kann gerade im Museum, das nicht wie andere Bildungsinstitutionen mit Noten und Zeugnissen selektionieren muss, Eingang finden und so kulturelle Bildung und Identifikation fördern.
Szenografie partizipativ Der partizipative Ausstellungsraum und die WHY[PaPWH[P]L-VYTÄUK\UN Matthias Schnegg
Die Gestaltung von Ausstellungsräumen wird durch den partizipativen Ansatz in zweierlei Weisen beeinflusst. Zum einen wird von Szenografen je länger je mehr verlangt, Räume mit partizipativem Charakter – d. h. zur Publikumsmitwirkung einladende Räume – zu gestalten. Zum anderen eröffnet das partizipative Schaffen neue Wege der Formfindung unter Mitwirkung von Laien. Im Folgenden wird durch die Gegenüberstellung einer Auswahl exemplarischer Situationen und Räume zuerst der Frage nachgegangen, wodurch sich Szenografien und Räume mit partizipativem Charakter auszeichnen. Von der These ausgehend, dass die partizipative Handlung ein gewisses Maß an (emotionaler und inhaltlicher) Involvierung voraussetzt, behandelt der Text aktuelle gestalterische Tendenzen, die diese Involvierung befördern. In einem zweiten Teil wird aufgezeigt, wie sich Gestaltungskonzepte in einem partizipativen Prozess entwickeln lassen.
Überraschen und in Staunen versetzen Wodurch unterscheidet sich die Gestaltung einer Ausstellung mit partizipativem Charakter von einer konventionell gestalteten Ausstellung? In den letzten Jahren veränderte sich der Anspruch von Szenografen, Ausstellungsmachern und Kuratoren an die Ausgestaltung von Ausstellungen: Räume, die ein distanziertes Betrachten voraussetzen und einseitig den Intellekt ansprechen, wurden abgelöst durch Räume, die sowohl die Interaktion als auch das Erlebnis in den Vordergrund stellen. Eine Ausstellung soll heute sowohl Erlebnis- als auch Reflexionsort sein. In einer partizipativen Ausstellung wird der Besucher eher als Akteur denn als Betrachter angesprochen, er nimmt aktiv an der Ausstellung teil und ist inhaltlich in hohem Maße involviert. Der partizipati-
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ve Akt in einem engen Sinne steht dabei oft am Schluss einer sorgfältig formulierten Dramaturgie, welche die emotionale und inhaltliche Involvierung zum Ziel hat – ohne Involvierung keine Partizipation. Wie sehen Szenografien und Räume aus, denen dieses Ansinnen gelingt? Und welche aktuellen gestalterischen Tendenzen sind es, die dafür nutzbar gemacht werden können?
1. Der Auftakt als Zündung Der Eintritt in den Ausstellungsraum kann unterschiedlich aussehen und formuliert sein. Der Übergang vom Alltag in den Raum der Ausstellung, die Ausformulierung des Auftakts ist entscheidend für die Erlebnisqualität von Ausstellungen. Beispiele, denen dieser Übergang besonders gut gelingt, gibt es einige. Oft werden die Besucher dabei gleich zu Beginn von einem überwältigenden Objekt- oder Raumbild empfangen. Ein Beispiel dafür ist das monumentale Spiegelkabinett, das den Auftakt zur Ausstellung „Albert Einstein (1879 – 1955)“ (Historisches Museum Bern, 2006, Gestaltung Raphaël Barbier) bildete. Im allseitig verspiegelten Treppenhaus wurden die Besucher Teil des illusionistisch erweiterten Raums, umgeben von unendlich vielen groß projizierten Filmsequenzen, die Einstein vervielfacht im Porträt zeigten. Die tausendfache Verwendung der bekannten Porträtbilder fragt nach der Bedeutung und der Person des populären Physikers. Und die gelungene bildhafte Darstellung eines unendlichen Raumes führt direkt zu den grundlegenden wissenschaftlichen Fragen der Ausstellung. Bei „nonstop – über die geschwindigkeit des lebens“ (Stapferhaus Lenzburg, 2009, Gestaltung Philipp Clemenz und groenlandbasel) wurden die Besucher erst sachte und langsam über einen langen Steg zum Ausstellungsgebäude geführt. Die meisten Besucher verlangsamten ihren Gang auf dem Steg. Einzelne blieben kurz stehen und wechselten ein paar Worte. Eine ‚Entschleunigung‘ auf dem Weg in die Ausstellung fand statt, bevor man sich im Innern des Ausstellungsgebäudes entscheiden musste, ob man den Kassenbereich im Erdgeschoss ‚beschleunigt῾ via Feuerwehrstange oder gemächlich über eine flache Wendeltreppe erreichen wollte. Und der Auftakt zu „Glaubenssache“ (Stapferhaus Lenzburg, 2007, und Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg, 2009, Gestaltung Philipp Clemenz) führte die Besucher auf überraschende und einfache Weise in die Ausstellungsthematik ein, indem er von ihnen eine persönliche Entscheidung einforderte. Sie mussten sich zwischen zwei Türen entscheiden – die eine beschriftet mit „Eingang für Gläubige“, die andere mit „Eingang für Ungläubige“. Es handelte sich dabei um eine ‚Schwellenhandlung‘, die niemand umgehen konnte und die auch Konsequenzen für den weiteren Verlauf des Ausstellungsbesuchs hatte.1 In allen drei Beispielen konfrontiert bereits der Ausstellungsauftakt den Besucher unmittelbar mit den Kerninhalten des jeweiligen Projekts, wobei die Besucher im Rahmen von „Glaubenssache“ am direktesten involviert wurden. Sie werden nicht nur von einem (ausdrucksstarken) Bild empfangen, sondern gleich zu einer Handlung animiert. 1 | Vgl. hierzu den Text von Beat Hächler in diesem Band.
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Die (thematische) Interaktion, das Involviertsein beginnt schon vor der Ausstellungshalle.
2. Der Raum als Bühne Jede Ausstellung – insbesondere diejenige, die zur Mitwirkung einladen möchte – soll die Besucher überraschen und in Staunen versetzen. Interessanterweise finden sich diese Qualitäten bereits bei den Vorläufern der Museen, in den Sammlungskabinetten und Wunderkammern der Renaissance. Dabei spielte und spielt die Inszenierung von Objekten eine tragende Rolle. „Das Korrelat zum Gebrauch fiktionaler Elemente in der narrativ-literarischen Darstellung der Vergangenheit bietet in Ausstellungen und Museen die Inszenierung, das Objektarrangement. Inszenieren ist deshalb nichts anderes als die Anordnung und Installation der Objekte im Raum, wie es die Dreidimensionalität der Dinge verlangt – und zwar nach Maßgabe einer Deutung“ (Korff 2002: 147). Bei Ausstellungen, die ein hohes Maß an Involviertheit (und Partizipation) erreichen wollen, geht die Inszenierung über das reduzierte Arrangieren der Objekte im Raum hinaus. Damit der Besucher unmittelbare, physische Erfahrungen machen kann, wird heute der Raum mit allen klassischen Mitteln der Architektur und der zur Verfügung stehenden szenischen Möglichkeiten (dynamisches Licht, Soundcollagen, sich bewegende Architekturen, begehbare Medieninstallationen) bespielt: Ausstellungsräume werden zu Erlebnisräumen, ähnlich wie dies im Theater der Fall ist. Die Ausstellungsdramaturgie bedient sich dabei zunehmend der Mittel des Films. In der Ausstellung „Bisj poles, Sculptures from the Rainforest“ (Tropenmuseum Amsterdam, 2007, Gestaltung: Kossmann.dejong) beispielsweise wird der Raum zur theatralen Bühne, die Ausstellungsobjekte agieren wie Schauspieler. Über 50 bis zu 12 m hohe Ahnenpfähle bilden eine grosse ‚Figurengruppe‘, die von durchschimmernden Textilien umfasst wird. Während einer 30-minütigen Filmperformance werden dokumentarische Bilder auf die textilen Flächen projiziert. Authentische Geräusche und ein spannendes Licht- und Schattenspiel erwecken die Stelen zum Leben. Die dynamische Inszenierung mit großem medialen Einsatz macht die ursprünglich zeremonielle Verwendung der Objekte unmittelbar erfahrbar. Diese Art der (emotionalen) Involvierung kann jedoch sehr rasch unerwünschte Effekte haben. Wenn eine Ausstellung exzessiv mit medialen (vor allem filmischen) Mitteln arbeitet – die den ganzen Raum filmisch durchdringende Inszenierung scheint aktuell an Attraktivität zu verlieren –, erreicht sie das Gegenteil: Der Besucher verlässt den Raum wie das Kino nach einem sehr opulenten Hollywoodfilm. Die Dramaturgie muss Raum lassen für eigene Assoziationen und Gedanken. Je reduzierter die Verwendung der Gestaltungsmittel ausfällt, desto mehr Raum bleibt für die Imagination der Besucher. Die Ausstellung „Berge. Eine unverständliche Leidenschaft“ (Alpenvereinmuseum Innsbruck, 2009, Gestaltung arge gillmann schnegg) soll hier als Beispiel für eine reduzierte Verwendung der Gestaltungsmittel angeführt werden: Im Rahmen der In-
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szenierung wurde auf jegliche naturalistische Nachahmung der Bergwelt verzichtet. Vielmehr wurde mit sinnlich erfahrbaren Elementen – z. B. schrägen Sitzmöbeln sowie Holz- und Filzoberflächen – gearbeitet. Im „Hüttenraum“ wurde versucht, die körperliche Erfahrung des Bergsteigens zu vermitteln. Durch die Auskleidung des Raums mit Schlafsackfutterstoff wurde die schweißtreibende Enge in den Berghütten ironisch assoziativ hervorgerufen. Eine Collage mit Tonaufnahmen aus Berghütten ergänzte das Raumbild. Diese ‚offene‘, mit Assoziationen spielende Dramaturgie erlaubt es dem Besucher, eigene Wahrnehmungsmuster zu entfalten, was sich bereichernd auf die Erlebnisqualität auswirkt.
3. Involvierung durch Interaktion Das Angebot an Vermittlungstools ist so groß wie noch nie. Die Neuen Medien im Ausstellungsraum versprechen auf den ersten Blick eine zusätzliche Qualität von Interaktion zwischen Besucher und Inhalt. Sie bedeuten in der Praxis jedoch meistens einen großen Bruch in der Erzählung und in der Dramaturgie. Der Grund dafür liegt in der mangelnden Einbettung in die bestehenden Raumbilder. Ähnlich wie klassische Audioguides werden sie meist als eigentlicher Zusatz, d. h. zur reinen Wissensvermittlung eingesetzt. Die Gefahr, dass der Einsatz von iPod und Smartphone eher Distanz als Nähe innerhalb der Ausstellungserzählung schafft, ist dementsprechend groß. Ein überzeugendes Beispiel für den Einsatz interaktiver Medien ist der Medientisch im deutschen Salzmuseum (Lüneburg, 2010, Entwicklung: ART + COM AG). Die Installation bildet den Abschluss des Rundgangs durch die Dauerausstellung in einer stillgelegten Saline. Die Besucher können sich an dem Tisch über exemplarisch ausgewählte Salzgewinnungsstätten informieren. Auf der projizierten Weltkarte sind kristallförmige Würfel montiert. Durch die Berührung dieser ‚Kristalle‘ löst der Besucher eine Projektion in einem Bereich der Tischfläche aus. Virtuelle Salzkristalle rieseln über die Hand der Besucher auf den Tisch und verdichten sich zu Bildern und Textflächen, die über die ausgewählten Salinen und Salzminen berichten. Auch rein analoge Rauminstallationen können zur Interaktion einladen. Die Ausstellung „Unexposed“ zur zeitgenössischen Fotografie (Post CS, Amsterdam, 2005) ist dafür ein wunderbares Beispiel. Die Besucher holen sich die gewünschten Fotografien mechanisch über Gegengewichte aus einer riesigen Sammlung von der Decke. Dadurch gestalten sie den Raum durch ihre Auswahl immer wieder neu.
Beobachtungen zur Partizipation in der Praxis Die Mitgestaltung unter Beteiligung von späteren Nutzergruppen ist bei (Architektur-) Projekten im öffentlichen Raum durchaus üblich. Ausstellungsprojekte, die unter partizipatorischen Bedingungen entstanden sind, scheinen eher selten zu sein. In unserem Büro groenlandbasel haben wir bereits mehrere partizipative Projekte entwickelt. Neben einem Restaurant, der Entwicklung von Begegnungszonen im öffentlichen Stra-
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ßenraum und der Gestaltung von Wartezonen in einem Spital realisierten wir zwei Sonderausstellungen in Museen. Alle realisierten Projekte sind unter der Beteiligung von Kindergruppen entstanden und richteten sich an ein primär junges Publikum. Partizipative Projekte mit Kindern lassen sich häufiger beobachten – anscheinend sind sie einfacher zu realisieren. Ich gehe aber davon aus, dass sich unsere Erfahrungen bei diesen Projekten weitgehend auch auf Projekte, die unter Mitwirkung von Erwachsenen entstehen, übertragen lassen. Näher eingehen werde ich hier auf die Sonderausstellung „Coole Götter. Total spannend! Eine Ausstellung von Kindern für Kinder und Erwachsene“, die unter der Leitung des Kinderbüros Basel entwickelt und im Jahr 2010 in der Skulpturenhalle Basel gezeigt wurde. Kinder begegnen der gestalteten Umwelt unkritisch. Es ist erstaunlich, wie Kinder (und meistens auch Erwachsene) gestaltete Räume als gegeben hinnehmen und sich nicht vorstellen können, dass die Gestaltung einer Ausstellung bis in kleinste Detail geplant wurde – also durchaus auch anders aussehen und funktionieren könnte. Im Gespräch mit den Kindern können Ausstellungsdramaturgie und -struktur jedoch entschlüsselt und erklärt werden. Voraussetzung dafür ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Format Ausstellung. Oft ist die Vorstellung, was eine Ausstellung oder ein Museum sein kann, zu Beginn der Beschäftigung erschreckend konventionell: Kinder möchten in Ausstellungen etwas lernen – am liebsten wäre ihnen, das Gelernte würde am Ende des Besuchs auch gleich noch abgefragt. Gemeinsame Ausstellungsbesuche eignen sich gut, um ins Thema einzusteigen. Im Laufe der Zeit entsteht in Zusammenarbeit mit den Kindern ein differenzierter Kriterienkatalog für gute (kindgerechte) Ausstellungen. Im Projekt „Coole Götter. Total spannend!“ erarbeiteten die Kinder, ausgehend von ihren Erfahrungen, folgende Ausstellungskriterien: Exponate zum Berühren, ungehindertes Gehen in der Ausstellung und zwischen den Exponaten, gute Einsehbarkeit (Kinder wollen nicht hochgehoben werden), einfache und dennoch gründliche Informationen, Einbezug aller Sinne, Interaktivität, keine Angst machenden Ausstellungssituationen, dauernde Zugänglichkeit der Ausstellung (d. h. nicht nur während spezieller Aktionen und Workshops für Kinder), Personal muss Auskunft geben können. In einem nächsten Schritt erarbeiteten die Kinder jeweils zu zweit oder in kleinen Gruppen im Rahmen von halb- bis zweitägigen Workshops unter Anleitung die inhaltlichen Schwerpunkte der Ausstellung und die Vermittlungsprämissen. Es ist interessant zu beobachten, wie schnell Kinder verstehen, dass eine Ausstellung als Ganzes wie eine Geschichte funktioniert, die erzählt wird – und dass diese Geschichte auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen erzählt werden kann. Für das Projekt „Coole Götter. Total spannend!“ entschlossen sich die Kinder, den Besuchern eine Auswahl ihrer „Lieblingsgötter“ näherzubringen, die Geschichten zu den Göttern wurden dabei von Kindern für Kinder erzählt. Comics erklärten die mythologischen Figuren, Spiele und Bücher wurden zugänglich gemacht, Gipsabgüsse konnten hergestellt werden, die Kinder konnten mit den Attributen der Götter posieren und spielen, ein Rätselheft führte als roter Faden durch die Ausstellung und die Kinder boten selber Führungen an. Gestalterisch formulierten sie die Idee einer „Lichtung im Wald der Skulpturen“.
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Die ausgewählten Figuren wurden auf bunten Inseln in einer der mythologischen Figur entsprechenden Stimmung präsentiert. Mit Zeichnungen und einfachen Modellen entwarfen und bauten die Kinder die einzelnen Räume und Raumbilder. Die eigentliche Umsetzung der Entwurfsideen sowie die detaillierte Planung und Ausführung übernahmen wir vom Büro groenlandbasel. Entscheidend ist, dass wir die Umsetzung in unterschiedlichen Stadien den am Entwurf Beteiligten präsentierten und diese so den weiteren Verlauf der Umsetzung beeinflussen konnten. Dabei wurden beispielsweise die von uns ausgearbeiteten Farbkonzepte und Objektanordnungen weitgehend wieder verändert. Ob Partizipation in der eigentlichen Ausstellungsproduktion überhaupt möglich ist, hängt von den jeweiligen Rahmenbedingungen, vor allem aber vom Anspruch an die Professionalität der Gestaltung ab. Im Falle von „Coole Götter. Total spannend!“ – und auch bei den anderen, partizipativ angelegten Projekten – verzichteten wir auf die praktische Mitarbeit der beteiligten Kinder. Grundsätzlich spricht jedoch nichts gegen die Mitarbeit von Beteiligten im Rahmen der Produktion. So entsteht nicht nur eine stärkere Identifikation der Beteiligten mit dem Projekt, im besten Fall entsteht ein Resultat, welches die verschiedenen Stimmen der Beteiligten besser sichtbar macht und den Entwicklungsprozess mit abbildet. Es wäre einen Versuch wert, den partizipativen Ansatz auch im Rahmen der Produktion zum Tragen kommen zu lassen. Auch wenn ein Projekt dadurch viele Unwägbarkeiten in Kauf nimmt und wir Gestalter das Resultat noch weniger in den eigenen Händen haben. Kinder bringen als Beteiligte und Experten in eigener Sache Erfahrungen und Wissen mit, die sie in vielen Bereichen einbringen können. Partizipation gelingt nur, wenn dieses Ansinnen von den Gestaltern ernst genommen wird. Aufwendige partizipative Arbeit im Rahmen gestalterischer Prozesse ist nur sinnvoll, wenn sich die Beteiligten entscheidend und im Resultat sichtbar einbringen können. Dabei verlangt die moderierende und anleitende Arbeit eine große Offenheit von den Gestaltern. Es dürfen nicht nur jene Ideen umgesetzt werden, die von den Gestaltungsprofis erwartet und erhofft werden. Gestalter, die Teamarbeit nicht gewohnt sind, werden sich mit dieser Arbeit schwertun. Wagt man den Versuch, wird dieser oft reich belohnt: Gerade bei der Detailgestaltung haben Kinder überraschende und präzise Vorstellungen, welche von den (jugendlichen) Besuchern mit Begeisterung aufgenommen werden. Im Rahmen partizipativer Projekte wie „Coole Götter. Total spannend!“ geht es in erster Linie um eine Sensibilisierung, um die Schaffung eines Zugangs zu den Themen Ausstellung und Ausstellungsgestaltung – und nicht um das Vermitteln von fundierten gestalterischen Kenntnissen. Bei allen Mitwirkungsprojekten definierten wir einen klaren inhaltlichen und funktionalen Rahmen, innerhalb dessen sich die Workshopteilnehmer bewegen konnten. Eine partizipative Projektentwicklung bringt dabei im Vergleich zu konventionell entwickelten Projekten keine Zeitersparnis. Partizipation kann nicht ad hoc realisiert werden. Im Gegenteil: Für den Gestaltungsprozess muss deutlich mehr Zeit eingeplant werden. Für das Projekt „Coole Götter. Total spannend!“ haben die neun beteiligten Kinder über zwei Jahre hinweg immer wieder einen Teil ihrer wertvollen Freizeit eingebracht.
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In unserer Arbeitspraxis arbeiten wir selten partizipativ, entsprechende Projekte stellen eine spannende Abwechslung dar. Trotz allen mit der partizipativen Praxis verbundenen Erschwernissen und Umwegen war die Beteiligung der Kinder in diesen Projekten eine echte Bereicherung. Ihr Einfluss lässt sich bei keinem der realisierten Projekte wegdenken. Die Erfahrung aus diesen Projekten können wir darüber hinaus auch für andere Ausstellungen nutzen. Die Arbeit des Szenografen und Gestalters in partizipativen Projekten unterscheidet sich stark von der Arbeit in einem eingespielten kleinen Kernteam mit einem Kurator oder einer Kuratorin. Vergleiche ich Projekte wie „Coole Götter. Total spannend!“ jedoch mit einem komplexer strukturierten Projekt, bei dem eine große Zahl von Kuratoren, diversen Spezialisten und Fachplanern beteiligt ist, unterscheiden sich diese nicht grundlegend. Der Anspruch, dass innerhalb einer Gesamtregie alle beteiligten Experten eine Stimme haben und sich gegenseitig im Projekt weiterbringen, ist derselbe.
Literatur Korff, Gottfried: „Zur Eigenart der Museumsdinge“, in: ders.: Museumsdinge: Deponieren – Exponieren, Köln u. a. 2002, S. 140 – 145.
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„Kuratorenteam 2.0“ für Partizipation an historischen Museen und Stadtmuseen Objektbewahrer, Ausstellungsmacher, Vermittler und Facilitator in Kollaboration Barbara Wenk
Die Forderung nach Partizipation ist für Museen wie auch für andere öffentliche Institutionen wieder aktuell geworden. Es wird versucht, Stadtbewohnerinnen und -bewohner sowie Touristinnen und Touristen aktiver in das Geschehen am Museum einzubeziehen, um so das Museum für eine breite Nutzerschaft interessanter und relevanter zu machen. Neben neu konzipierten Stadtmuseen als „Museum für die Stadt“ (Stockholm, Manchester etc.) bieten auch historisch ausgerichtete Museen vermehrt einen Gegenwartsbezug in ihren Themen an und beteiligen Besucher aktiver als bisher am Geschehen am Museum. Ein wichtiges Ziel ist dabei, das an historische Objekte gebundene Wissen und die mit ihnen verbundenen Erfahrungen für eine breite Öffentlichkeit so zugänglich zu machen, dass die historischen Objekte auch weiterhin für Fragestellungen der Gegenwart relevant sind und in aktuelle Diskussionen eingebracht werden können.1 Eine geteilte Vergangenheit wird so zu einer geteilten Gegenwart. In meinem Beitrag möchte ich ausgehend von den Kuratorinnen und Kuratoren erläutern, was es für deren tägliche Arbeit bedeuten könnte, wenn ihr Museum vermehrt 1 | Ich gehe davon aus, dass Museen gerade heute einen Gegenwartsbezug herstellen müssen, um interessant und relevant zu bleiben, indem sie z. B. mit entsprechenden spezifischen Angeboten aktuelle und immer wieder auftauchende gesellschaftliche Themen aufgreifen, wie z. B. „Wie gehen wir im Zusammenleben in unserer Stadt mit Vielfalt und Unterschieden um?“, „Welche Schule wollen wir – wie wollen wir lernen?“ oder „Wie sollen wir unseren täglichen Energiebedarf definieren und sichern?“.
Kuratorenteam 2.0
mit partizipativen Methoden arbeiten oder sich zu einem partizipativen Museum 2 entwickeln möchte: Inwiefern würde sich das herkömmliche museale Arbeiten an Ausstellungen, Führungen, Workshops und Katalogen durch das Angebot von partizipativen Formaten verändern? Inwiefern benötigt es neben dem herkömmlichen Wissen und Erfahrungen eines Kurators weitere Fertigkeiten, um Partizipation am Museum zu ermöglichen? Und inwiefern führt dies zu einer weiteren Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Kuratorenarbeit, v. a. im Hinblick darauf, dass insbesondere die Fähigkeit zur Teamarbeit sowie das gekonnte Zusammenführen von Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen der verschiedenen Projektteilnehmer für das Gelingen von partizipativen Angeboten zentral sind? 3 Da ich von den beiden Prinzipien „wie im Kleinen – so im Großen“ und „wie innen – so außen“ ausgehe, ist für mich die Intention zur Partizipation zunächst eine interne Angelegenheit, die es für die Mitarbeiter 4 eines Museums sowohl einzeln als auch als Team zu erkunden und zu klären gilt. Die Ausgestaltung von Partizipation hängt insbesondere von den damit verbundenen Intentionen, Erwartungen wie auch der grundsätzlichen Haltung aller Beteiligten – insbesondere der Museumsmitarbeiter und Museumskuratoren – gegenüber Partizipation und partizipatorischen Vorgehensweisen ab: Wollen wir wirklich partizipative Angebote? Wieso, was streben wir damit an? Inwiefern sind wir mit partizipativer Arbeit und Auseinandersetzung (auch am eigenen Haus) vertraut? In welchem Verhältnis stehen unsere bisherigen Arbeiten und Aufgaben zu Partizipation und partizipativen Angeboten? Inwiefern könnte unsere Arbeit von Partizipation profitieren, wo können sich Schwierigkeiten ergeben? Mit der Klärung der Intention, des Verständnisses und der möglichen Auswirkungen von partizipativen Angeboten wird auch klarer, inwiefern und in welchem Rahmen Partizipation stattfinden soll: Geht es darum, besondere partizipative Angebote für spezielle Anlässe zu schaffen? Oder geht die Partizipation darüber hinaus, wird sie als ein 2 | Unter einem partizipativen Museum verstehe ich in Anlehnung an Nina Simon „einen Ort, an dem Besucher rund um ein Thema kreativ tätig sein, sich austauschen und miteinander in Beziehung treten können“. Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010, Onlinedokument, http://www.participatorymuseum.org/preface/ [letzter Zugriff: 09.04.2011]. 3 | Ich beziehe mich dabei auf meine eigenen Erfahrungen in der Ausstellungsarbeit, auf die im Rahmen meiner Promotion angestellten Forschungen zur multidisziplinären Ausstellungsarbeit an Museen der Technik und Kultur in Europa (Technology mediated at the Museum. Zur gegenwärtigen Praxis des Ausstellens von Technik am Museum. Universität Basel 2011). Zudem sind weitere Erfahrungen, die sich aus einem experimentellen Projekt mit Räumen und Lernräumen ergeben haben, eingeflossen (WWTF-Fellowship-Projekt der Stadt Wien in Zusammenarbeit mit dem Science Center Netzwerk Wien und der Universität für Angewandte Kunst: Communication lab for developing network-based spaces for science center activities in Vienna, 2009 / 2010). 4 | Ich spreche hier vorerst bewusst von allen Museumsmitarbeitern und erst später speziell von den Museumskuratoren.
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auf lange Sicht geplanter Prozess angelegt? Und steht hinter Partizipation evtl. auch der Wunsch nach Erreichung politischer Ziele? Inwiefern werden partizipative Angebote beispielsweise auch als Methoden eingesetzt, um demokratische Vorgehens- und Kommunikationsweisen einzuüben? Ein partizipatives Projekt besteht jedoch aus mehr als einer wohlüberlegten und klar formulierten Intention. Partizipation bewährt sich im Prozess und wird von den Beteiligten insbesondere auch ‚gefühlt‘: Daher ist es auch zentral, inwiefern die beteiligten Museumsmitarbeiter und Kuratoren ein Klima schaffen können, in dem sich interessierte Besucher tatsächlich mit ihren Anliegen wahrgenommen und auch tatsächlich beteiligt fühlen. Das heißt, dass Museumsleute auch ein Bewusstsein dafür haben müssen, woher die Besucher kommen und was sie jeweils beitragen können. Für das eigene Selbstverständnis als Kurator heißt dies auch, sich darüber bewusst zu sein, dass die eigene Stimme nur eine unter vielen Stimmen zu einem bestimmten Thema ist, dass meine Expertise nur eine von vielen ist. Sind Intention, Verständnis und die grundsätzlichen Haltungen aller Museumsmitarbeiter gegenüber Partizipation vorläufig geklärt, ist dies eine gute Grundlage, um partizipative Angebote zu entwickeln. Im folgenden Abschnitt möchte ich mögliche Veränderungen speziell für Museumskuratoren und für das Arbeiten an Museen skizzieren, die mit der Intention zur Partizipation einhergehen können. Ich möchte dies anhand der folgenden drei Schlagworte erläutern: Gastgeber- und Gasthaushaltung, Umgang mit Vielfalt und Diversität, Prozessgestaltung und Moderation.
Gastgeber- und Gasthaushaltung Jeden Morgen ein neuer Gast […] begrüße und bewirte sie alle! 5
Im Umgang mit Partizipation ist es für Museen sicherlich hilfreich, für die Interaktion mit den Beteiligten in die Rolle eines Gastgebers zu schlüpfen, dessen erste Aufgabe es ist, die Einladung gut vorzubereiten. Denn partizipative Veranstaltungen sind in erster Linie soziale Veranstaltungen, bei denen ‚sich treffen‘, ‚sich kennenlernen‘, ‚sich austauschen‘ ganz wesentliche Elemente darstellen. Das heißt, Besucher werden als Gäste eingeladen, die sich vor Ort willkommen, wohl und zur aktiven Beteiligung ermuntert fühlen sollen. Jemand muss im Vorfeld für das Einladen und während der Veranstaltung für das Setting, für die Gesamtatmosphäre verantwortlich sein. Um dies zu leisten, braucht es Räumlichkeiten im Museum, die sich flexibel an die Bedürfnisse von verschiedenen Gruppen und den Charakter verschiedener Themen anpassen lassen.
5 | „Das menschliche Dasein ist ein Gasthaus. Jeden Morgen ein neuer Gast. Freude, Depression und Niedertracht – auch ein kurzer Moment von Achtsamkeit kommt als unverhoffter Besucher. Begrüße und bewirte sie alle!“ http://www.coachingberlinblog. com/2010/07/12/ein-guter-gastgeber-sein/ [letzter Zugriff: 09.04.2011]
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Und es stellt sich die Frage, wer zu einem bestimmten Diskussionsthema eingeladen wird oder ‚wie offen das Gasthaus sein soll‘. Grundsätzlich sollte sich die Einladung an alle Stakeholder richten, die sich in ihrem Alltag aufgrund eigener Erfahrungen oder beruflichen bzw. privaten Engagements mit dem Diskussionsthema auseinandersetzen. Gerade in einer komplexen Welt ermöglicht eine Vielfalt von Teilnehmenden das Erarbeiten einer gesamtheitlichen Sicht auf ein Thema und fördert letztlich das Finden von nachhaltigeren Lösungen. Daran schließt sich dann die Frage an, wie genau eingeladen wird: Wird persönlich eingeladen oder mittels eines öffentliches Aufrufs? Sind alle willkommen, auch Vertreter von Extrempositionen, oder gibt es da Grenzen? Wie können insbesondere Gruppierungen, die sich normalerweise wenig an öffentlichen Diskussionen aktiv beteiligen, zur Teilnahme bewegt werden?
Umgang mit Vielfalt und Diversität Die Vertreter einer großen Vielfalt von Interessen, Meinungen und Kommunikationsstilen ins Museum und miteinander ins Gespräch bringen.
Partizipation bedeutet ebenfalls, dass die Vielfalt von Erwartungen, Meinungen, Erfahrungen und die Vielfalt von Kommunikationsstilen, die in eine Diskussion eingebracht werden, zunimmt: Wie geht ein Museum, das Partizipation anstrebt, mit dieser Vielfalt um? Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass in einer globalisierten Welt eine große Vielfalt von Interessen, Meinungen und Stimmen in der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen notwendig ist, um tiefer gehende Einsichten zu erzeugen und Veränderungen bewusster und nachhaltiger zu gestalten.6 Es gilt nicht nur, eine Vielfalt von Meinungsvertretern einzuladen, sondern ebenfalls einen Raum und ein Setting zu schaffen, in dem Meinungen und Erfahrungen in ihrer ganzen Vielfalt und in all ihren Nuancen eingebracht und miteinander in Beziehung gebracht werden können. Wie kann dieser Raum so gestaltet werden, dass sich Interessierte mit unterschiedlichen Kommunikations- und Arbeitsstilen tatsächlich einbringen und in persönlichen Gesprächen miteinander auseinandersetzen können? 7 Oft erleben die Beteiligten im Rahmen eines partizipativen Projekts erstmals einen öffentlichen, direkten und persönlichen Austausch diverser Meinungen und Erfahrungen. Sie erfahren, dass sie sich selbst einbringen können, dass durch das aktive Beteiligtsein alle ihr Wissen zum Thema sowie ihre Erfahrungen vertiefen können.
6 | Vgl. Mindell, Arnold: The Deep Democracy of Open Forums, Practical Steps to Conflict Prevention and Resolution for the Family, Workplace, and World, Charlottesville 2002. 7 | Diese beiden letzten Fragen sind für das Museum auch intern, für das multidisziplinäre Zusammenarbeiten und Konzipieren von Ausstellungen relevant.
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Prozessgestaltung und Moderation Partizipation braucht Rahmenbedingungen und ist ein Prozess, der bewusst gestaltet und betreut werden muss.
Partizipation bedingt einen Prozess – von den Vorbereitungen über die Einladung über das partizipative Projekt selbst bis hin zu den Nachbereitungen und Implementierungen –, der in einem vorgegebenen Rahmen abläuft, der Zeit, Regeln und eine gewisse Rhythmisierung vorgibt und von den einladenden Kuratoren bewusst geplant und gestaltet werden muss. Das heißt, es braucht jemanden, der oder die sich um die gesamte Prozessgestaltung und Moderation des partizipativen Angebots kümmern und den Überblick über das Gesamtgeschehen und dessen Koordination haben muss. Auch während der partizipativen Veranstaltungen selber benötigt es spezielle Moderatoren, welche die gewählten Formate begleiten und moderieren können – seien es Führungen, Workshops oder andere Veranstaltungen. Neben Wissen und Fähigkeiten zur Prozessgestaltung und -begleitung benötigen Kuratorinnen und Kuratoren partizipativer Projekte daher insbesondere auch Verhandlungsgeschick sowie die Fähigkeit, im Team bzw. mit einer Vielfalt von Menschen zu arbeiten – dies gilt sowohl für die Zusammenarbeit mit internen wie auch für die mit externen Kollegen. Auch die Frage, inwiefern Museumsmitarbeiter am Gesamtprozess beteiligt werden sollen und ob zusätzlich externe Mitarbeiter oder Fachpersonen benötigt werden, ist von zentraler Bedeutung. Die gesamte Prozessgestaltung und auch die Moderation von spezifischen partizipativen Angeboten – wie stark sind sie vorstrukturiert, wie offen werden sie formuliert? – ist sehr abhängig von der Intention und der gewählten Zielsetzung des Museums: Handelt es sich um kurze, einmalige Veranstaltungen, z. B. zur Vorbereitung einer Ausstellung oder innerhalb des Vermittlungsangebots nach der Ausstellungseröffnung? Oder besteht das Angebot, sich langfristig regelmäßig aktiv am Museumsgeschehen zu beteiligen, wie dies z. B. für die Erarbeitung einer Ausstellung der Fall ist oder für die Mitbetreuung eines bestimmten Sammlungsteils oder die Beteiligung an Ausstellungsführungen? Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass partizipative Angebote an Museen, die aus einer Gastgeberhaltung heraus entstehen und die einen bewussten Umgang mit Vielfalt und Diversität ermöglichen, die Vertreter verschiedener Meinungen und Erfahrungen miteinander ins Gespräch bringen wollen und daher eine entsprechende Prozessbegleitung und Moderation benötigen, sehr hohe Anforderungen an die Museumsmitarbeiter und die Museumskuratoren stellen. Um ein partizipatives Angebot vorzubereiten und um an die Leute und die Gruppierungen heranzukommen, die man einladen möchte, sind outreach skills und Verhandlungsgeschick erforderlich. Das heißt, dass Kuratoren auch gegen außen präsenter sein, dass sie sich vermehrt direkt mit Besuchern und den zur Partizipation Eingeladenen auseinandersetzen müssen. Für die Gestaltung eines für partizipative Arbeit geeigneten Veranstaltungsorts braucht es Fähigkeiten und Erfahrungen, jedoch sicherlich auch eine gewisse Experimentierfreudigkeit mit diversen Möglichkeiten der Raumgestaltung und der Gestal-
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tung von Settings, die den Austausch und die Kommunikation unter einer Vielfalt von Menschen sinnvoll unterstützen und fördern. Für den Umgang mit Vielfalt und Diversität im Rahmen partizipativer Veranstaltungen ist eine entsprechende Begleitung oder Moderation nötig, welche die unterschiedlichen Meinungen und Erfahrungen im Raum unterstützt und auch mit emotionalen Kommunikationsstilen und kontroversen Auseinandersetzungen umgehen kann. Und letztlich muss Partizipation auch als Prozess und in seinen Auswirkungen auf das Arbeiten am Museum betrachtet und dementsprechend begleitet werden. Wie wir gesehen haben, braucht Partizipation von der Museumsseite her ein starkes, kollaborierendes Team – ein Kuratorenteam 2.0 –, das all seine vielfältigen Erfahrungen, Fähigkeiten und sein Wissen in partizipative Angebote einbringen kann, das einen geeigneten Raum und eine Atmosphäre schaffen kann, in der Partizipation stattfinden kann. Das heißt auch, dass es gilt, im Kuratorenteam das üblicherweise geforderte Wissen, die traditionellen kuratorischen Fähigkeiten und Erfahrungen mit den sich durch partizipative Angebote neu ergebenden und oben ausgeführten Anforderungen zu verknüpfen und letztlich alle Museumsmitarbeiter in den Prozess einzubeziehen. So ist als Vorbereitung für partizipative Angebote am Museum zunächst eine partizipative Vorgehensweise unter den Kuratoren und allen Museumsmitarbeitern ideal. Wenn es museumsintern wirklich gelingt, alle Kuratoren und Museumsmitarbeiter partizipativ und integrativ zu beteiligen, wirkt das als Signal gegen innen und außen und es werden zugleich gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch von außerhalb des Museums weitere Interessierte eingeladen und aktiv beteiligt werden können. Und nicht zu vergessen, letztlich kann Partizipation als offener Prozess trotz der notwendigen Sorgfalt nicht wirklich geplant werden, sondern vielmehr intendiert und dann mit konkreten, gezielten Taten und Versuchen angestrebt werden.
Literatur Mindell, Arnold: The Deep Democracy of Open Forums, Practical Steps to Conflict Prevention and Resolution for the Family, Workplace, and World, Charlottesville 2002. Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010, auch einsehbar unter http: / / www.participatorymuseum.org / read / [letzter Zugriff 25.11.2011]
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Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum? Renate Flagmeier
Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche Ansätze es für ein partizipatives Sammeln in Museen allgemein und im Museum der Dinge im Besonderen gibt und auf welche Weise Partizipation beim musealen Sammeln perspektivisch größere Relevanz erhalten könnte. Die dargestellten Überlegungen und Erkenntnisse sind aus der jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Sammeln abgeleitet. Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge hat seit Mitte der 1990er-Jahre einige große Projekte realisiert, in denen die eigene Sammlungstätigkeit reflektiert und das Sammeln auch thematisch behandelt wurde, und verfügt in einer 2007 eröffneten Schausammlung über eine neue Ebene der ständigen Auseinandersetzung mit dem öffentlich sichtbaren Sammlungskonzept.1 Beim partizipativen Sammeln geht es wie bei anderen partizipativen Strategien um die Grenzen bzw. Grenzverschiebungen zwischen individuellen und kollektiven Interessen in Bezug auf die repräsentative Funktion von Museen. Bevor die klassischen Vertreter individueller Sammlungsinteressen im Museum wie Objektspender und private Sammler genauer betrachtet werden, müssen zunächst einige grundsätzliche Aspekte des Sammelns sowie Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem privaten Sammeln und dem im öffentlichen Auftrag rekapituliert werden.
1 | Projekte: ohne Titel. Sichern unter … Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs 1995 – 98 (Katalog); sammeln! 2000 – 2001; vgl. dazu: Renate Flagmeier, Sammlungspräsentation und Sammlung im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin 2003 (Website: www.museumderdinge.de); seit 2007 Schausammlung; vgl. dazu Katalog „Kampf der Dinge. Der Deutsche Werkbund zwischen Anspruch und Alltag“, Leipzig 2008.
Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum?
Was ist eine Sammlung? In seinem Grundlagentext zum Sammeln als Ursprung des Museums definiert Krzysztof Pomian eine Sammlung als eine Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweilig oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgenommen sind und auf besondere Weise geschützt und ausgestellt werden. Über frühe Sammlungsformen wie Grabbeigaben, Opfergaben über Sammlungen von Kriegsbeute, Reliquien und sakralen Gegenständen zu fürstlichen Schatz- und Wunderkammern bis schließlich zu den klassischen bürgerlichen Museen stellt Pomian als das Gemeinsame heraus, dass Sammlungen das Sichtbare mit dem Unsichtbaren verknüpfen (Pomian 1986). Die Dinge, die das Unsichtbare repräsentieren, nennt Pomian Semiophoren; dies sind in Anschauungs- und Bedeutungswerte verwandelte Dinge. Das Sammeln wird generell als Schutz vor der Prozesshaftigkeit der Existenz und der Unkontrollierbarkeit der Welt angesehen. In vielen Texten zum Sammeln wird, ohne zwischen privat und öffentlich zu unterscheiden, seine kompensatorische Funktion herausgestellt. So gibt es etliche Positionen, die das in den letzten Jahrzehnten zum Massenphänomen gewordene private Sammeln, das schier unglaubliche Ausmaß an Musealisierung, auf den gewachsenen Bedarf zurückführen, sich seiner Erinnerungen zu versichern und dem ständig wachsenden Überfluss und immer schneller werdenden Verschwinden von Objekten in unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Nach Walter Benjamin ist das Sammeln eine „Form des praktischen Erinnerns“ und ein „Kampf gegen die Zerstreuung“. Er schreibt: „Der große Sammler wird ganz ursprünglich von der Verworrenheit, von der Zerstreutheit angerührt, in dem die Dinge sich in der Welt vorfinden“ (Benjamin 1989: 279). Der Psychoanalytiker und Museumsspezialist Karl-Joseph Pazzini beantwortet die Frage, warum gesammelt wird, damit, dass „es eine unbeantwortbare, unerfüllte Sehnsucht gibt“. Die Sammlung sei der Versuch, eine Leere, eine Lücke zu schließen (Pazzini 1993). Zugespitzt sieht der Kulturtheoretiker Boris Groys den Grund für das vermehrte Sammeln darin, dass die Welt weder verstanden noch verändert werden kann. „Die moderne Subjektivität hat heute keine andere Definitionsmöglichkeit als durch das Sammeln und „wir sind, was wir sammeln“ lautet die Neubestimmung unserer Identität, nachdem keine metaphysische, religiös oder ideologisch begründete vorgegebene Ordnung mehr angenommen wird (Groys 1996: 32). Eine mit dem Sammeln verbundene Sinnsuche und das Bedürfnis nach Transzendenz der eigenen begrenzten Existenz sind bei genauerer Auseinandersetzung gerade mit privaten Sammlern unverkennbar. Darüber hinaus ist Sammeln eine Form der Erkenntnis, sowohl im privaten als auch im musealen Kontext.2 Welche Formen des Sammelns gibt es? Der Philosoph und Sammlungsforscher Manfred Sommer differenziert zwischen dem ökonomischen Sammeln als einem temporären Aufbewahren und Akkumulieren für eine spätere Nutzung und dem ästhetischen Sammeln als dem eigentlichen Sammeln, das abgeleitet von der aisthesis, also der 2 | Vgl. te Heesen, Anke / Spary, E. C. (Hg.): Sammeln als Wissen, 2001.
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sinnlichen Wahrnehmung, das „Zusammentragen von Dingen um ihrer Anschauung willen“ meint und auf die dauerhafte Bewahrung angelegt ist (Sommer 2011: 44).3
Individuelles und kollektives Erinnern Sammeln und Erinnern sind eng miteinander verbunden. Aus diesem Grund und im Kontext der Frage nach der Grenze zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen ist es sinnvoll, den Unterschied zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis zu rekapitulieren, wie ihn die Erinnerungsexpertin Aleida Assmann dargestellt hat: Individuelle Erinnerungen sind immer subjektiv, unaustauschbar, unübertragbar, für sich allein betrachtet, sind sie fragmentarisch und ungeformt. Sie sind instabil und flüchtig und erhalten erst durch Erzählungen (Versprachlichung) Form und Struktur. Sie sind im eigentlichen Sinn gemeinschaftsbildend, da sie mit den Erinnerungen anderer verbunden sind. Dies bietet einen strukturellen Ansatz für die Übertragung in den kollektiven Bereich. Das kollektive Gedächtnis, repräsentiert durch Institutionen (z. B. Museen) und Körperschaften, ist dagegen ein selbst geschaffenes Gedächtnis, entsprechend der Identität dieser Kollektive. Es ist intentional und symbolisch konstruiert, nicht vernetzt und auf Anschlussfähigkeit angelegt; es hat eine narrative Struktur, eine klare Aussage und es beruht auf symbolischen Zeichen, die die Erinnerung fixieren, verallgemeinern, vereinheitlichen, tradierbar machen (Assmann 2000: 21 – 27). Zwei Aspekte in der Frage der Gedächtniskonstruktion sind für das Thema Partizipation wesentlich: zum einen der Aspekt, dass sowohl das individuelle als auch das kollektive Gedächtnis durch eine bestimmte Perspektive und Auswahl festgelegt sind, und zum zweiten die Notwendigkeit, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Der Aspekt des Perspektivischen ist damit verbunden, dass kollektive Erinnerungsformen, also Geschichtserzählungen, dazu tendieren, wie Assmann schreibt, „den Horizont des Gedächtnisses zu verengen und seinen Gehalt zu vereinheitlichen“ (ebd.: 27). Auch individuelle Erinnerungen neigen zu einer einmal festgelegten Perspektive, ohne die Sichtweise anderer angemessen berücksichtigen zu können. Die notwendige Unterscheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigen führt zu den Fragen: Wer oder was bestimmt, was in das kollektive Gedächtnis aufgenommen wird? Wer sagt, was getrost vergessen werden kann und was unbedingt bewahrt werden muss? In Bezug auf das öffentlich Erinnerte wird um die Grenzlinie zwischen dem als wichtig und als unwichtig erachteten gerungen, seit ca. 40 Jahren mit einer besonderen Energie; diese Grenze hat sich auch im Kontext einer kritischen Reflexion der geltenden Gedächtniskonstruktionen auf vielen Ebenen verschoben. Nur um einiges kurz aufzuzählen: das Interesse an der Alltagskultur seit den 1970er-Jahren, am Leben der ‚kleinen Leute‘ verbunden mit der Ablehnung einer Geschichte der ‚großen‘ Männer, die Aufhebung der Trennlinie zwischen high und low culture, Geschichtswerkstätten, 3 | Eine fundierte Differenzierung des Sammelns bietet Susan M. Peirce (1994).
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oral history, zunehmende Gründungen von Museen bestimmter communities oder von Privatmuseen. Bildende Künstler, d. h. individuelle Erinnerungsformen verschieben die Grenzen zwischen Erinnertem und Vergessenem durch unerwartete Perspektiven. Durch diese veränderten Geschichtsauffassungen und die Notwendigkeit der Multiperspektivität ist das Werkbundarchiv – Museum der Dinge geprägt.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für ein partizipatives Sammeln? In der Folge der o. g. Auseinandersetzungen um das kulturelle Erbe gab es auch Projekte, die statt eines bestimmten Museums explizit die Gesellschaft als sammelndes Kollektiv im Blick hatten, so beispielsweise in dem Projekt „Hildesheim sammelt“ von 1999. Bei diesem vom Studiengang Kulturpädagogik initiierten und im Stadtmuseum Hildesheim vorgestellten Projekt wurden 53 private Sammlungen von Alltagskultur vorgestellt, explizit im Sinne einer Möglichkeit von Selbstverwirklichung in der Konsum- und Informationsgesellschaft (Hügel 1999). In der Katalogeinführung wird zwischen den Sammlungen zur Alltags- und zur Hochkultur in Bezug auf übliche Wertsetzungen stark unterschieden und die Motivation für das private Sammeln u. a. damit charakterisiert, „weil man etwas schön findet“. Den professionellen Akteuren im Museum wird in der Einleitung zum Katalog generell der Status als Sammler abgesprochen. So schreibt Hans-Otto Hügel: „Die Sammler von Berufs wegen in Museen und Archiven […] sind nicht Sammler, sondern haben die Aufgabe – für die Öffentlichkeit – zu sammeln und zu erschließen und auszustellen. Fremdbestimmt, der Satzung ihres Hauses verpflichtet, legen sie keine Sammlung an, sondern betreiben im öffentlichen Auftrag kulturelle Vorratshaltung. Sie sind […] öffentlich bestallte Antiquitätenhändler oder Antiquare.“ (Ebd.: 19) Die unversöhnliche Gegenüberstellung von privaten und öffentlich beauftragten Sammlern lässt sich in zahlreichen Texten zum Sammeln erkennen. Auch Benjamin betont die Bedeutung der sinnlichen Nähe im Verhältnis Sammler und Sammlung und resümiert: „Das Phänomen der Sammlung verliert, indem es sein Subjekt verliert, seinen Sinn. Wenn öffentliche Sammlungen nach der sozialen Seite hin unanstößiger, nach der wissenschaftlichen nützlicher sein mögen als die privaten – die Gegenstände kommen nur in diesen zu ihrem Recht.“ (Benjamin 1991: 395) Angela Jannelli, die Amateurmuseen als ‚kulturelle Praxis‘ wissenschaftlich untersucht hat, zeigt auf, dass in diesen privaten Museen die individuelle unorthodoxe Ordnungsstruktur dominiert. Sie schreibt: „Amateurmuseen sind Orte des Erfahrungswissens, der Alltagsexpertise. Wissenschaftliche Klassifikationen, taxonomische Systeme oder chronologische Ordnungen wird man hier nur selten finden. Wenn man mit einem an wissenschaftlichen Prinzipien geschulten Ordnungsbedürfnis die Ausstellungen der wilden Museen betrachtet, so wird man nichts anderes sehen, als einen Wust ungeordneter Dinge. Die Bedeutung dieser Orte enthüllt sich nur, wenn man das Museum als sozialen Prozess, als kulturelle Äußerungsform betrachtet.“ (Jannelli 2011:
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75 f.) Einschränkend muss man allerdings sagen, dass die meisten privaten Sammler die klassisch museale Vitrinenpräsentation (d. h. ein visuelles, distanziertes Verhältnis zu den Dingen) längst aufgenommen und sich von einem dem Sammler traditionell zugewiesenen, nahen und eher haptischen Verhältnis zu den Dingen entfernt haben. Im Museum der Dinge gab es immer ein Bemühen, die für die private Sammlung kennzeichnende Unmittelbarkeit im Umgang mit den Sammlungsobjekten zu erhalten. In den verschiedenen Versuchen, die eigene Sammlungsstruktur zu visualisieren, wird die Museumssammlung als offen, flexibel, mit variabler Zuweisung von Objekten zu bestimmten Sammlungsfeldern vorgestellt.
Objektspenden – Minimalform der Partizipation In einem kultur- und alltagshistorischen Museum wie dem Museum der Dinge ist man in besonderer Weise mit der grenzenlosen Musealisierungssucht und einer großen Schenkungsbereitschaft konfrontiert. Dadurch entsteht ein begründetes Misstrauen der Kuratoren, dass das Museum als billige und einfache Entsorgungsmöglichkeit benutzt werden soll. Tatsächlich suchen Spender häufig den Weg der Schenkung zur eigenen Entlastung, da sie sich selbst das Wegwerfen und das damit verbundene Schuldgefühl ersparen können. Zwei Beispiele aus der Praxis des Museums sollen das Spektrum an „normalen“ Spendern von Einzelobjekten umreißen, um den Beitrag privater individueller Positionen zum kollektiven musealen Sammlungsauftrag zu konkretisieren. Zunächst ein Beispiel aus der aktuellen Museumspraxis, die Ausstellung „Böse Dinge“ (2009 / 2010), bei der die Besucher aufgefordert waren, Objekte mitzubringen, die sie für ‚böse‘ im Sinne von geschmacklichen Entgleisungen hielten. Mitgebracht wurden überwiegend Objekte, die die Spender selbst geschenkt bekommen hatten und die sie eigentlich nicht haben wollten, allerdings ohne sie wegwerfen zu können. In den Kategorien der Ausstellung handelte es sich um sogenannten Geschenkkitsch. Die Objektspender wurden gebeten, das mitgebrachte Objekt zu kommentieren, insofern konnten vom Museum die Hintergründe präzise nachvollzogen werden. Die direkte Aufforderung an die Besucher, Objekte mitzubringen, war als partizipative Strategie konzipiert im Hinblick auf ein aktivere Auseinandersetzung der Besucher mit der im Projekt vorgestellten historischen Systematik zur Beurteilung von materiellen und ästhetischen Dingqualitäten. Die Einflussnahme der Besucher an einer Sammlungserweiterung um ‚böse‘ Dinge war von vornherein eingeschränkt. Es wurde immer kommuniziert, dass über die endgültige Aufnahme der abgegebenen Objekte in die Museumssammlung am Ende des Projekts von kuratorischer Seite entschieden werden sollte. Dieser Entscheidungsprozess wurde allerdings im Rahmen eines abschließenden Jour fixe öffentlich diskutiert. Das zweite Beispiel ist die länger zurückliegende Schenkung eines anonymen Fotos vom Beginn des 20. Jahrhunderts, begleitet von einem Brief der Spenderin: „Angeregt durch den Besuch ihrer Ausstellung ‚Ohne Titel. Sichern unter …‘ möchte ich Ihnen
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beiliegendes Foto zusenden. Es ist niemand aus meinem Verwandten- / Bekannten- / Freundeskreis. Es fiel durch Zufall in meine Hände, und ich finde es ganz besonders hübsch und ansprechend. Jedoch bin ich alt, und meine Erben würden sich nur den Kopf zerbrechen, wer das auf dem Foto wohl sei. Mit freundl. Grüßen […]“ 4 In diesem Fall ist interessant, dass die Spenderin keine übliche Geschichte zu dem Foto mitlieferte und es gerade nicht ins Museum gab, weil es die eigene bzw. die Familiengeschichte repräsentierte, eine häufig festzustellende Motivationsbasis. Das dem Museum geschenkte Foto eines kleinen Mädchens, vermutlich in einem Atelier mit den üblichen Requisiten aufgenommen, war durch Zufall im Besitz der Spenderin und hatte keinen dokumentarischen Wert für sie und ihre Familie. Ihre Beziehung zu dem Objekt war wesentlich ästhetisch charakterisiert und emotional im Sinne des Angerührtseins, aber nicht im Sinne einer individuellen Erinnerungsfunktion des Fotos. Die Schenkung wurde durch einen Ausstellungsraum ausgelöst, der mit einer Sammlung anonymer privater Fotografien bestückt war; dadurch hatte die Spenderin offenbar das Gefühl, an diesem Ort sei es gut aufgehoben. Warum? In der Ausstellung war die dokumentarische Qualität der Fotos vollkommen ausgeblendet – es ging nicht darum, jemanden individuell wiederzuerkennen, noch um die Vermittlung soziologischer oder kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse –, stattdessen stand die dingliche Eigenart und Präsenz von Porträtfotografie überhaupt im Vordergrund und das Prinzip des Seriellen. Das Changieren zwischen serieller Grundstruktur des Mediums Fotografie und dem individuellen, an einen konkreten Augenblick gebundenen Bezugspunkt in der Fotografie wurde genutzt in einem Versuch, individuell spürbar zu machen, was der Gegensatz von seriell und individuell bedeutet. Das Foto, das durch Zufall in den Besitz der Spenderin und absichtsvoll in den Besitz des Museums kam, war in doppeltem Sinn aufgehoben im Museum: bewahrt und mit der Übergabe an das alles gleichmachende Museum in seiner individuellen Einzigartigkeit aufgehoben. Für die Schenkerin gab es schon vorher nichts zu erinnern.
Privatsammler und Museen Ein Objekt ohne Geschichte ist für ein kulturhistorisches Museum üblicherweise wertlos; bei dem Übergang vom individuellen in den öffentlichen Erinnerungsraum wird eine verallgemeinerbare Bedeutung erwartet und ohne Geschichte scheint dies nicht gegeben, zumindest nicht überprüfbar. An den erläuterten Beispielen wird aber erkennbar, wie eng das öffentliche Sammeln von Objekten mit ihrer perspektivischen Kontextualisierung im Museum verbunden ist, ein außerordentlich abstrahierender Prozess. 4 | Brief im Archiv des Museums der Dinge – Werkbundarchiv. Der Brief nimmt Bezug auf das Projekt „ohne Titel. Sichern unter … Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs“, Berlin 1995 – 1998.
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Parallel zu den Grenzverschiebungen in Bezug auf das, was öffentlich als bewahrenswert angesehen wird, und trotz des starken Anwachsens der privaten Sammlungen gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen dem privaten und öffentlichen Sammeln. Im Gegensatz zur privaten ist die öffentliche Sammlung jedermann zugänglich, auf Dauer eingerichtet, der Verkauf der Sammlungsobjekte ausgeschlossen. Einrichtungen mit öffentlichen Sammlungen sind verpflichtet, sich zu legitimieren und der Identitätsbildung der Gesellschaft zu dienen, d. h., die Sammlung muss nachvollziehbare Sammlungskriterien im Rahmen eines spezifischen inhaltlichen und allgemeinen gesellschaftlichen Auftrags erfüllen. Private Sammlungen dagegen folgen einer individuellen Frage und einem spezifischen, selbst definierten Interesse, das gesellschaftlich relevant sein kann, aber nicht sein muss. Es droht die Auflösung, wenn der private Sammler stirbt oder aus anderen Gründen seine Sammlung aufgeben muss.5 Das Verhältnis zwischen Museen und privaten Sammlern ist ein weiteres, für die Frage der Partizipation interessantes Anschauungsfeld. Im Kunst- und kulturhistorischen Museum ist das eine eingespielte Beziehung und die öffentlichen Kunstsammlungen basieren in hohem Maße auf Privatsammlungen. Seit einiger Zeit wird zunehmend kritisch über die wachsende Bedeutung der privaten Sammler debattiert und über die „Heilige Macht der Sammler“ 6 nachgedacht und geschrieben. Im Museum der Dinge sind die zwei wichtigsten Berührungsebenen mit privaten Sammlern die Ausstellungs- und die Sammlungsarbeit. An einem Beispiel aus der früheren Ausstellungspraxis des Museums können die unterschiedlichen Grundpositionen individueller und musealer Sammler konkretisiert werden. Die Ausstellung „sammeln!“ (von 2000 bis Ende 2001) war vor dem Hintergrund folgender Fragestellungen konzipiert: Nach welchem Konzept, nach welchem System wird unterschieden zwischen Wertlosem und Wertvollem? Ist das Museum noch die Heimat des Sammelns oder gibt es Zweifel und Misstrauen gegenüber der identitätsstiftenden Funktion des Museums? Wie unterscheidet sich das individuelle vom Sammeln im öffentlichen Auftrag? In dem Projekt wurden private und künstlerische Sammlungen der eigenen musealen Sammlung gegenübergestellt und die Ähnlichkeit der drei Arten von Sammlungen (privaten, künstlerischen und musealen) hervorgehoben; alle folgen ähnlichen Grundimpulsen, nämlich dem Bedürfnis, Dinge zu suchen und zu finden, Dinge zu horten und aufzuheben und sie zu ordnen, sich in den Dingen zu spiegeln und sich in den Dingen zu verlieren. 5 | Bei Ebay werden zunehmend Sammlungen angeboten, die entweder nach dem Tod des sammelnden Menschen oder aufgrund veränderter Interessen der Sammler wieder aufgelöst werden. Ein niederländischer Sammler ersteigert z. B. private Sammlungen bei Ebay und macht daraus eigene Ausstellungen. Siehe: http://www.petsmarkt plaats.nl [letzter Zugriff 25.11.2011]. 6 | Vgl. Kunstforum International 209 und 211 (2011), „Die Heilige Macht der Sammler“, mit diversen grundsätzlichen Beiträgen zum Sammeln und besonderer Aufmerksamkeit für die Kunstsammler.
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Im Zentrum der Ausstellung und über den gesamten Zeitraum unverändert, wurde die Museumssammlung in einer großen Rauminstallation als Modell mit einer Konstruktion aus sich kreuzenden Sammlungslinien vorgestellt; der Titel: „Kreuzungen – ein Sammlungsmodell“. 7 Für die anderen Räume gelang es mit einem öffentlichen Aufruf eine große Zahl an ausstellungsbereiten privaten Sammlern und Künstlern, die mit Sammlungsstrategien arbeiten, zu gewinnen. Im Gegensatz zur Hildesheimer Ausstellung, bei der die ausgewählten privaten Sammlungen in enger Verknüpfung mit der jeweiligen Sammlerpersönlichkeit vorgestellt wurden, stand bei dieser Ausstellung das Thema „Sammeln“ im Vordergrund. Die verschiedenen, sehr heterogenen privaten Sammlungen waren in langen, durchgehenden Reihen von Metall-Lagerregalen eingeordnet, die mit Hilfe von Spiegeln, die an jeweils beiden Regalenden angebracht waren, ins Unendliche fortgesetzt wurden. So wurde die Geste des Sammelns als allgemeine, anthropologische Konstante, als zunehmendes und unbegrenztes, alltagskulturelles Phänomen verdeutlicht. Zudem hat sich das Museum die Aufstellung der Objekte selbst vorbehalten. Die museale Konzeption sah vor, die Einzelsammlungen nüchtern aufzureihen und als Dingfolge von links nach rechts lesbar zu machen und nicht als einzelnes Konvolut zu arrangieren. Auf diese Weise wurde die Heterogenität der Sammlungen gebannt. Es wurde nicht so sehr das Individuelle und Originelle jeder Sammlung herausgestrichen als vielmehr Homogenität erzeugt und nivellierend gearbeitet, entsprechend der Funktionsweise des klassischen Museums. So gab es Fotoapparate, Radios, Gummitiere, Erstausgaben, Kaufmannsläden, Rasierpinsel, Teeeier, Zollstöcke, Feuerwehrautos, Nussknacker, Mineralien, Sand, eingelegte Tiere usw. in einem den Vergleich anregenden Nebeneinander. Es war nicht einfach, die nivellierende Präsentation gegenüber den Sammlern durchzusetzen. Hier kommt ein zentraler Unterschied zwischen dem individuellen und dem musealen Sammeln zum Ausdruck. Die privaten Sammler verstanden ihre Sammlungen zumeist als Teil ihrer Persönlichkeit, als individuellen Ausdruck, den sie in der eigenhändigen Aufstellung der Objekte gerne betont hätten. Sie wurden in ihrem Gestaltungswillen gebändigt und die museale Präsentationsweise wirkte disziplinierend; es war eine Art von „Anästhesie“. Das Bild der Betäubung bezieht sich auf eine Charakterisierung des Sammelns von Pazzini: Er beschreibt das individuelle Sammeln als ein Suchen, das assoziativ, emotional, nicht unbedingt objektivier- und von außen nachvollziehbar und meist erst nachträglich zu benennen sei. Dem musealen Sammeln dagegen wurde „die Sprunghaftigkeit, die Liebe, die Lust und die Not ausgetrieben“, es sei „anästhe(ti)siert“ (Pazzini 1993: s. p.). Aber zurück zum Ausstellungsraum: Während das Kuratorenteam dessen Gesamtwirkung und die überzeugende visuelle Übersetzung der inhaltlichen Konzeption im Auge hatte, war es für die meisten Sammler schwierig, von den eigenen Objekten zu abstrahieren. Das hatte zum einen damit zu tun, dass diese oft auf die konventionelle
7 | Vgl. dazu den Text von Flagmeier (2003).
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Bedeutungssteigerung im musealen Rahmen fixiert waren und einen Ort für ihre eigene Selbstrepräsentation suchten. Den Sammlungen von Künstlern wurde ein etwas größerer Gestaltungsspielraum gewährt, da diese durch die Anordnung der Dinge ähnliche ästhetische Positionen wie das Museum zum Ausdruck brachten. Diese ästhetischen Positionen waren geeignet, die musealen Sammlungsintentionen zuzuspitzen. Eine ähnliche Aufmerksamkeit gegenüber den Dingen findet das heutige Museum der Dinge bei einer ganzen Reihe von privaten Sammlern, die regelmäßig und aktiv zur Sammlung beitragen. Künstler oder andere gestalterisch und ästhetisch geschulte Menschen, die privat sammeln oder mit Sammlungsstrategien arbeiten, konnten und können dem Museum wichtige Impulse auf der Ebene der Wahrnehmung und der Anordnung von Dingen geben – ein Aspekt, der in der aktuellen Ausstellungsreihe „Sammlungen zeigen“ genutzt wird. Auch ästhetische Laien können den Blick auf bisherige ‚blinde Flecken‘ in der Museumsarbeit öffnen, geben dem Museum aber vor allem Impulse auf der Ebene des Erfahrungs- und Spezialwissens. Gerade bei dem weiten Sammlungsfeld der alltäglichen Produktkultur des 20. und 21. Jahrhunderts braucht es externe Experten, die sich meist durch eigene Sammlungstätigkeit spezialisiert haben auf verschiedene Materialien, verschiedene Dingarten, auf Firmengeschichten etc. In der Zusammenarbeit mit diesen ‚Museumslaien‘, aber thematischen Spezialisten muss das Museum ständig überprüfen, wie der jeweils gemeinsam analysierte Sammlungsbereich sinnvoll überarbeitet und ergänzt werden kann oder ob ein Spezialbereich durch die Beratung des externen Experten nicht ein zu großes Gewicht erhält oder in eine vom Museum aus gesehen falsche Richtung akzentuiert wird. Diese Überprüfung kann nur auf der Basis eines Sammlungskonzepts mit klaren Auswahl- und Bewahrungskriterien sinnvoll stattfinden. Für alle Museen gilt die Notwendigkeit eines schriftlich fixierten und veröffentlichten Sammlungskonzepts und musealen Selbstverständnisses, um die Fragen zu beantworten: Was und für wen sammeln wir? Wofür werden die Sammlungen gebraucht? Wer bestimmt über die Sammlungen? Sind die Sammlungen auch in der Zukunft sinnvoll? Diese Sammlungskonzepte und transparenten Wertsetzungen bedürfen einer ständigen Überprüfung und Aktualisierung und sind der eigentliche Ansatzpunkt für Partizipation.
Sammlungs- und Ausstellungsstrategie im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Das Museum der Dinge versucht, sich als Ort der Verhandlung zu organisieren und z. B. in speziellen Veranstaltungsformaten, Überlegungen zur Sammlung und zur Museumsarbeit allgemein öffentlich zu machen. Das Museum der Dinge bzw. seine Schausammlung hat eine dialogische Struktur und arbeitet mit der Gegenüberstellung von werkbundgemäßer stiller, funktionaler Formensprache mit ihren von Komplexitätsreduktion geprägten Intentionen und ei-
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nem z.T. wild gestikulierenden, dick auftragenden Geschwätz gewöhnlicher Dinge. Im Gegensatz zu vielen Designmuseen werden dort nicht die Highlights der Designgeschichte und die Designerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts oder der Werkbundprotagonisten aneinandergereiht. Durch die dialogische Struktur der (Schau-)Sammlung wird die historische Auseinandersetzung um die ‚richtige‘ Formgebung sichtbar und ein Raum der Relativierungen, der Auseinandersetzung und der Verhandlung geöffnet. Trotz aller Debatten um Erinnerungskonstruktion und Formen der Geschichtsdarstellungen orientiert sich die übliche historische Vermittlung in Publikationen und Museen meist an bedeutenden Personen und Objekten, deren Auswahl durch einen Kanon bestimmt ist, der sich allmählich herausgebildet und verfestigt hat und immer wieder bestätigt wird. In diversen Publikationen werden die Klassiker gefeiert und in ihrer Zeitlosigkeit dem aktuellen Urteil entzogen. Dagegen ist Kanonbildung als Setzung durchschaubar zu machen. Eine monologische Meistergeschichte verstellt den Blick auf historische Positionen innerhalb einer Auseinandersetzung und verschließt den gegenwärtigen Raum der Verhandlung, der Partizipation überhaupt möglich macht. Dass das Sammeln als Form des praktischen Erinnerns inzwischen so weit verbreitet ist, könnte die Museen enorm entlasten und Kapazitäten freisetzen für andere Aktivitäten, wie z. B. Orientierungs- und Wahrnehmungsschulung in einer zunehmend undurchschaubar werdenden Welt.
Literatur Assmann, Aleida: „Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funktionen und Medien“, in: Das Gedächtnis in der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2000, S. 21 – 27. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften Bd. V.1, Frankfurt a. M. 1989 (3. Aufl.). Benjamin, Walter: „Ich packe meine Bibliothek aus“, in: Denkbilder, Gesammelte Schriften Bd. IV.1, Frankfurt a. M. 1991. Flagmeier, Renate: Sammlungspräsentation und Sammlung im WerkbundarchivMuseum der Dinge, Berlin 2003 (Website: www.museumderdinge.de). Groys, Boris: „Sammeln, gesammelt werden“, in: Lettre International Heft 33 (1996). Hügel, Hans-Otto (Hg.): Hildesheim sammelt. 53 Sammlungen zur Alltags- und Hochkultur (Ausstellungskatalog), Hildesheim 1999. Jannelli, Angela: „Warum machen Menschen Museen? Eine Untersuchung des Amateurmuseums als kulturelle Äußerungsform“, in: Ferrum. Nachrichten aus der Eisenbibliothek. (83) 2011, S. 74 – 81. Pazzini, Karl-Josef: Sammeln als kulturelles Phänomen, unveröffentlichtes Manuskript, Basel 1993. Peirce, Susan M.: „Collecting reconsidered“, in: dies.: Interpreting objects and collections. London, New York 1994, S. 193 – 204.
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Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museum, Vom Sammeln, Berlin 1986. Sommer, Manfred: „Eine Phänomenologie des Sammelns und des Sammlers“, in: Kunstforum Bd. 211, 2011. te Heesen, Anke / Emma C. Spary (Hg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001.
The Revolution Will Be Televised Social Media und das partizipative Museum Axel Vogelsang
Lou Patrou: We know where the line is … what’s next? cereal box as art? procter & gamble packages? oh someone already did those! Ulf Skei: Of course it’s art, let me point my finger in the direction of „Fountain“, 1917, I believe, Marcel Duchamp. To me it sure is art, I think it’s all about contextuality, drag something out of its own turf and plant it where it provokes feeling, and it is art … Rifka Jerebker: Yike. i suppose you have to leap on the bandwagon … but just shows me that I’m really one of the old dying breed of traditionalists. Does it have to be ‚art‘ per se? can it not just be what it is? i guess with funding possibly closing from the new obama package museums are looking for other ways to slip in the cracks? oh were is pope Julius the 2 when you need him?
Lou Patrou, Ulf Skei und Rifka Jerebker diskutieren die essenzielle, vielleicht auch müßige Frage, was denn nun eigentlich Kunst sei, anlässlich der Fragestellung, ob denn Videospiele ins Museum gehören. Interessant dabei ist, dass die drei sich sehr wahrscheinlich nicht kennen und sich auch noch nie getroffen haben, denn diese Diskussion fand statt auf der Facebook-Fanseite des MoMA, New York. Diese Seite verzeichnet über 800.000 Fans, die damit auch gleichzeitig Abonnenten der Facebook-Nachrichten des Museums sind. Facebook gehört zu den sogenannten Social Media. Die Begriffe Social Media, partizipative Medien oder auch Web 2.0 beschreiben bestimmte Anwendungen und Plattformen im Internet, die es jedem einzelnen Benutzer ermöglichen, sich ohne großen Aufwand mit anderen Anwendern zu vernetzen und eigene Inhalte ins Web zu laden. Diese Entwicklung nahm vor ca. zehn Jahren ihren Anfang. Dazu gehören z. B. soziale private Netzwerke wie Facebook oder Google+, welche die direkte Kommunikation zwischen Individuen und Gruppen ermöglichen. Andere Plattformen wie YouTube
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oder Flickr erlauben das Hochladen, Austauschen und Bewerten von Filmen und Bildern. Blogs wiederum funktionieren eher wie individuelle Nachrichtenplattformen, auf denen mitunter sehr detailliert berichtet und diskutiert wird, ganz im Gegensatz z. B. von Twitter, einem sogenannten Microblogging-Dienst, über den Kürzestnachrichten ausgesandt werden. Auch Wikipedia, die Enzyklopädie, an der jedermann mitschreiben kann, gehört zu diesem neuen Typus von Medien. Bereits im Jahr 2010 waren 39% der über 14-jährigen Onlinenutzer in Deutschland in sozialen Netzwerken unterwegs und 36% gaben an, mindestens wöchentlich auf diesen Plattformen vorbeizuschauen (ARD / ZDF 2010). In den letzten Jahren haben Firmen, Behörden und Institutionen diese Plattformen vermehrt für sich entdeckt und so wurden auch Museen zunehmend aktiv, allen voran Flagschiffe wie das MoMA in New York oder das British Museum in London mit über 130.000 Fans (Stand August 2011). Museen bloggen1, benutzen Twitter oder stellen Filme über YouTube zur Verfügung 2. Allerdings ist die Nutzung von sozialen Medien im Museumskontext im internationalen Vergleich noch recht unterschiedlich. Eine vergleichende Studie 3 über die Integration von Web-2.0-Tools in die eigentlichen Websites von Museen ergab, dass britische und amerikanische Museen den meisten europäischen Museen noch weit voraus sind (Lopez et al. 2010). Eine Onlineerhebung unter US - amerikanischen Museen aus dem Jahr 2010 stellte gar fest, dass 90,2% aller beteiligten Museen Social Media für ihr Museum nutzen (Fletcher 2010). Deutschland hinkt den Entwicklungen im angelsächsischen Raum erheblich hinterher. Ein Facebook-Ranking vom August 2011 gibt als Spitzenreiter das NRW-Forum in Düsseldorf mit 20.482 Fans an. Renommierte Museen wie die Neue Nationalgalerie in Berlin oder die Schirn in Frankfurt haben 5.964 respektive 9.205 Fans um sich geschart (Public Plan 2011; Stand August 2011).
Störfaktor oder gesellschaftliche Notwendigkeit? Das Interessante am Einsatz von sozialen Medien im Museumskontext ist die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme mit dem Publikum auch außerhalb der Institution und das geht weit über den Einsatz von Social Media als Ankündigungsplattform für Veranstaltungen hinaus. Man kann beispielsweise die Inhalte der eigenen Arbeit unterstützen durch Interviews mit Künstlern und Kuratoren oder man kann dem Besucher einen Blick hinter die Kulissen des Museums gewähren, indem man z. B. den Aufbau einer Ausstellung dokumentiert oder die Restauratoren bei der Arbeit begleitet. Das 1 | Siehe z. B. das Blog des Österreichischen Jüdischen Museums: http://www.ojm. at/blog/ [letzter Zugriff 25.11.2011]. 2 | Siehe z. B. den YouTube-Kanal des Guggenheim Museums: http://bit.ly/pdj3rM [letzter Zugriff 25.11.2011]. 3 | Es wurden italienische, französische, spanische, englische und amerikanische Websites verglichen.
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Städel-Blog 4 begleitet den Umbau des Städelmuseums in Frankfurt und das Indianapolis Museum of Art schickt gar den Haustechniker Reed durchs Haus, um die einzelnen Abteilungen zu interviewen und per Video vorzustellen5. Somit werden die sozialen Medien zu einem hauseigenen Multimediakanal, der es einem Museum erlaubt, über die eigene Arbeit zu berichten, aber auch eine ganz spezifische Themenkompetenz über die eigenen Mauern hinaus zu etablieren. Entscheidend dabei ist jedoch, dass man versteht, dass dieser Kanal zwei Richtungen hat. Social Media sind nicht nur dazu da, Informationen zu verteilen. Sie leben vielmehr vom Austausch mit dem Publikum. Dieser Austausch kann recht umfassend sein. So kann man das Publikum z. B. an Oral- und Visual-History-Projekten beteiligen. Zeitzeugen des Mauerfalls beispielsweise tragen ihre Fotos und Eindrücke auf der Plattform „Wir waren so frei …“ 6 zusammen, und auf Audioboo7 finden sich verschiedene Interviews mit überlebenden Mitarbeitern des englischen Bletchley-Park-Labors, welches während des Zweiten Weltkriegs die Funksprüche der deutschen Truppen und Geheimdienste entschlüsselte. Zum einen zeigt dies ganz deutlich, dass der Einsatz von sozialen Medien ganz spezifische und nicht unerhebliche Ressourcen braucht. Zum anderen aber verlangt es die innere Bereitschaft der Institution, sich auf den direkten Dialog mit dem Besucher einzulassen. Der Einsatz von sozialen Medien setzt voraus, dass man als Institution ein Stück weit die Kontrolle aufgibt. In der Außendarstellung heißt das, dass man zum Teil auch unbequeme Meinungen und Sichtweisen von Besuchern zulassen muss. Nach innen bedeutet es, dass man in einem schnellen Medium kommuniziert, bei dem nicht mehr jede Zeile, jedes Bild von der Leitung freigegeben werden kann. Idealerweise kommunizieren sogar Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen direkt mit den Besuchern, ohne dass eine Kontrollinstanz alle Schritte überwacht. Das setzt in vielen Institutionen ein Umdenken voraus. So gefährlich das klingen mag, es sei jedoch auch die Frage erlaubt, ob dieser Ansatz denn wirklich so etwas grundsätzlich Neues im Museumskontext ist. Partizipative Medien existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind Teil eines generellen Trends, der sich dadurch auszeichnet, dass die Menschen mehr Mitsprache verlangen, sowohl als Bürger als auch als Konsumenten. Auch die Rolle des Museums wird diesbezüglich zumindest seit den 1960er-, 1970er-Jahren vermehrt diskutiert. Die Frankfurter Tagung „Das Museum: Lernort contra Musentempel“ von 1975 (Spickernagel / Walbe 1976) hob die didaktischen Aspekte der Museumsarbeit hervor und stärkte damit der Vermittlungstätigkeit den Rücken. Es gibt auch durchaus radikalere Forderungen in Bezug auf museale Partizipation. Nora Sternfeld benutzt einen starken Partizipationsbegriff, bei welchem die klassischen Hierarchien infrage gestellt werden.8 Der Besucher wird 4 | http://www.das-neue-staedel.de [letzter Zugriff 25.11.2011] 5 | http://www.youtube.com/watch?v=tzlxV7WVGYo [letzter Zugriff 25.11.2011] 6 | http://www.wir-waren-so-frei.de/ [letzter Zugriff 25.11.2011] ist eine von der Deutschen Kinemathek betriebene Plattform. 7 | http://bit.ly/oTYEXc [letzter Zugriff 25.11.2011] 8 | Vgl. hierzu den Beitrag von Nora Sternfeld in diesem Band.
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hier nicht nur beim Mitmachen angeleitet, er soll die Spielregeln mitbestimmen. Etwas pragmatischer kommt Nina Simons Partizipationsmodell daher (Simon 2010), welches einen flexiblen Rahmen darstellt, dessen Bandbreite von einer stark vom Museum geleiteten Partizipation bis hin zu publikumskuratierten Ausstellungen geht. Dieser Paradigmenwechsel in der Museumsarbeit wird zum einen mit finanziellen und kulturpolitischen Erwägungen begründet, also der Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erreichen und Besucherbindungen zu stärken. Zum anderen steht oft eine politische Haltung dahinter, die den Besucher nicht als Kunden, sondern als steuerzahlenden Bürger und somit Mitbesitzer der Institution versteht. Nina Simon (2010) sieht in einer nachhaltigen Veränderung der Museumslandschaft hin zur stärkeren Partizipation und Mitsprache eine gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Notwendigkeit, da man ihrer Meinung nach viele Menschen mit der klassischen Museumsarbeit nicht mehr erreicht. Sie argumentiert unter anderem, dass ein Publikum, welches gewohnt ist, über die verschiedensten digitalen Plattformen direkt mit Institutionen und Firmen zu sprechen, dies auch von den Museen erwartet. Der Künstler und Theoretiker Peter Weibel (Weibel 2007), Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM), bringt zusätzlich eine kunsthistorische Argumentation in die Diskussion mit ein. Für ihn sind partizipative Medien die logische Weiterführung künstlerischer Konzepte des 20. Jahrhunderts. Er zitiert Marcel Duchamp, der den Betrachter als Teil des Kunstwerks sieht, und verweist auf kinetische Kunst und Op-Art. Beides sind Kunstrichtungen, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen Rezipienten und Kunstwerk nähren. Die sozialen Medien, so Weibel, gehen jedoch noch einen Schritt weiter, indem der Betrachter nicht nur mehr Auslöser eines Kunstwerks ist, sondern selbst zum Künstler und Kurator wird. Er prophezeit den Museen den Untergang, sollten sie nicht in der Lage sein, sich den Mediengepflogenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen. Der Trendbericht „Museums & Society 2034“ (Chung / Wilkening 2008) gibt Weibel und Simon recht, zumindest was den amerikanischen Raum angeht. Museen werden sich dort gemäß der Studie in den nächsten 20 Jahren zunehmend zu Zentren des kulturellen Austauschs entwickeln. Gleichzeitig wird der Trend zur Personalisierung von Medien weiter anhalten. Das hat zwei Folgen: Zum einen wird die Kommunikation immer fragmentierter, da die Besucher zunehmend individuell oder in kleinen Gruppen angesprochen werden, und zum anderen wird die Expertenkultur weiter ausgehöhlt. Dies, so der Bericht weiter, führt letztendlich dazu, dass Museen die Art und Weise, wie Objekte und Themen kuratiert werden, zwangsläufig überdenken müssen.
Wer benutzt wen? Social Media werden im Museumskontext mitunter eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Das verwundert nicht weiter, denn schließlich sind digitale Medien „disrupti-
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ve technologies“ 9, die dem bewahrenden Charakter der Museen diametral entgegenstehen. Die Skepsis macht nicht im Museum selbst halt. So sind viele Museen in der Schweiz und auch in anderen Ländern in ihren Onlineaktivitäten von übergeordneten Behörden abhängig und für deren IT-Spezialisten bedeuten soziale Medien vor allem zusätzliche Arbeit und Sicherheitsrisiken. Das kann mitunter zu ziemlichen Problemen führen, beispielsweise wenn der zuständige IT-Experte sich weigert, den Facebook-Gebrauch für den Arbeitsplatz im Museum freizuschalten. Über den Umgang mit solchen Problemen haben meine Kolleginnen und ich nicht zuletzt in unserem Social-MediaLeitfaden geschrieben (Vogelsang / Minder / Mohr 2011). Im Kontext partizipativer Ansätze sind jedoch die ideologischen Vorbehalte gegenüber Social Media von größerem Interesse. Social Media haben auch jenseits der Museumswelt nicht nur Freunde. Es gab in den vergangenen Jahren einige Bücher, die mit den digitalen Medien heftig ins Gericht gingen. So beschreiben z. B. der amerikanische Autor Nicholas Carr (Carr 2010) in seinem Buch „The Shallows“ (zu Deutsch „Die Oberflächlichen“) und Frank Schirrmacher (Schirrmacher 2009) in seinem Bestseller „Payback“ das Internet und vor allem die sozialen Medien als eine Umgebung, in der Konzentration, Diskurs und Erinnerungsfähigkeit auf der Strecke bleiben. In den USA, wo der Einsatz von sozialen Medien im Kulturbereich sehr weit fortgeschritten ist, hat diese Diskussion bereits die Museen erreicht. So haben sich z. B. Arianna Huffington (Huffington 2010), die Gründerin der Newsplattform Huffington Post, und Edward Rothstein (Rothstein 2010), Kulturkritiker der „New York Times“ sehr kritisch über den Einsatz von mobilen Anwendungen und Social Media vor Ort im Museum geäußert. Diese würden das eigentliche kontemplative Museumserlebnis verwässern und nicht wirklich Relevantes hinzufügen. Es stellt sich also die Frage, ob die sozialen Medien den Ansprüchen eines Museums überhaupt gerecht werden können. Vorwürfe von Oberflächlichkeit und Dialogunfähigkeit und die Angst vor Verlust von persönlichem Gedächtnis begleiteten auch andere größere Umbrüche in der Mediengeschichte. Genau diese Vorbehalte finden sich z. B. in „Platos Phaidros“ (vgl. Hare / Russell 1970: 295 f.), in dem er das Schreiben kritisiert und betont, dass nur der gesprochene Dialog der Wahrheitsfindung dienen könne. Bestimmte Aspekte der Erinnerungsfähigkeit des Einzelnen mögen durchaus durch die Mediennutzung leiden, aber das ist ein Problem, welches bereits seit der Erfindung des Schreibens akut ist, und nicht zuletzt profitieren ja auch Museen davon, die ebenfalls Orte der Gedächtnisauslagerung sind. Es ist auch klar, dass in sozialen Medien wie Facebook und Twitter vieles geschrieben und hochgeladen wird, welches nur persönliche Relevanz hat. Doch Tratsch, Albernheiten und Floskeln gehören nun einmal zum sozialen Repertoire der meisten Menschen und werden auch im echten Museumsraum ständig praktiziert, sowohl von 9 | Der Begriff disruptive technologies beschreibt das Phänomen, dass neue digitale Technologien in vielen Institutionen erst einmal nicht als Chance begriffen werden, sondern als eine Störung gewohnter Arbeitsabläufe und damit als Bedrohung (vgl. Peacock 2008).
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Besuchern als auch von Mitarbeitern. Aus der Tatsache, dass vermehrt das gesprochene Wort vom Privaten in die digitale Öffentlichkeit überführt wird, zu schließen, dass die Menschen vor der Einführung sozialer Medien mit mehr Tiefsinn kommuniziert hätten, ist ein Trugschluss. Dazu kommt, dass die meisten Kritiker sozialer Medien der vordigitalen Generation angehören.10 Deren Kulturpessimismus ist zumindest zum Teil ein Ausdruck des Verlustes, den die dramatische Veränderung der Medienwelt für diese Generation mit sich gebracht hat. Dies deutet sich auch in der heftigen Replik von Nina Simon (Simon 2011) an, die sich mit ihrem Blog Museum 2.0 und ihrem Buch „The Participatory Museum“ zu einer Vorreiterin partizipativer Ansätze im Museum gemacht hat. Sie wirft den Kritikern Huffington und Rothstein ein reaktionäres Museumsverständnis vor, welches den eurozentrischen, aristokratischen Ursprüngen des Museums verhaftet sei. Weiterhin argumentiert sie, dass der kontemplative Betrachter in heutigen Museen nachweislich in der Minderzahl sei und Museen mittlerweile auch andere Aufgaben hätten, wie z. B. das Zelebrieren oder Erforschen spezifischer Themen oder auch das Herausfordern der Besucher. Simons Replik weist darauf hin, dass es in dieser Diskussion nur vordergründig um Social Media geht. Es handelt sich letztendlich wieder um die klassische Machtdiskussion Kurator vs. Publikum, die sich zur Abwechslung die sozialen Medien als Spielfeld ausgesucht hat. Von den positiven Vordenkern digitaler Medien wird immer wieder ins Feld geführt, dass diese Medien Transparenz, Demokratie und Teilhabe fördern. Das Frühlingserwachen der arabischen Staaten in jüngster Zeit wird nicht zuletzt auch dem massiven Einsatz von sozialen Medien zugeschrieben und man spricht diesbezüglich auch von der Twitter- oder Facebook-Revolution. Aber auch da muss man vorsichtig sein. Es gibt durchaus Stimmen, die davor warnen, den Einfluss solcher Medien auf politische Ereignisse zu überschätzen (Neumann 2011). Sowohl die Pauschalkritiker von Social Media als auch diejenigen, die sie als treibende Kraft des Guten betrachten, müssen sich den Vorwurf des Determinismus gefallen lassen. Medien schaffen zwar einen gewissen Rahmen, können die eigene Nutzung jedoch nur bedingt determinieren. So kann man im Museumsbereich Social Media als reines Marketingtool benutzen. Damit würde man aber kaum vom klassischen Medienverständnis abweichen, welches einen Sender (Museum) und viele Empfänger (Besucher) vorsieht. Man kann aber auch in eine neue Form des Dialogs mit dem Besucher treten, kann ihn in die Hintergründe der Museumsarbeit einführen und ihn um seine Meinung bitten und somit zu einer intensiven Auseinandersetzung kommen, die sonst nur im persönlichen Gespräch möglich ist.
10 | Man spricht hier auch von „digital immigrants“ – digitalen Immigranten – im Gegensatz zur Generation der „digital natives“ – den digitalen Eingeborenen.
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Der Anfang vom Ende des Museums? Unbestritten ist allerdings, dass Social Media die Duplizierung und Verbreitung von Bildern aus dem Museumskontext fördern und dadurch die ohnehin schon immense Bilderflut weiter ansteigen lassen. Damit stellt sich für Museen auch die Frage, ob Social Media die Aura des Kunstwerks nicht noch weiter untergraben. Wird durch den unmittelbaren Zugriff aufs digitale Bild der Besuch im Museum nicht irgendwann obsolet? Schulz (Schulz 2010) argumentiert, dass gerade durch die verstärkte Medialisierung die Menschen umso intensiver auf der Suche nach dem Echten, dem Original sind. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass gerade große Kunstausstellungen mit bekannten Namen und Bildern immensen Zulauf haben. In der Befürchtung um die Marginalisierung des Museumsraums schwingt außerdem die Angst mit, dass Menschen mittels digitaler Medien die reale Welt gegen eine vermeintlich ärmere digitale Welt eintauschen. Diese Angst spielt auch in der oben genannten kritischen Literatur eine wesentliche Rolle. Jurgenson (Jurgenson 2011) spricht hier von einer Perspektive des „digital dualism“, welche unsere Welt in einen echten, physikalischen Raum und einen virtuellen, digitalen Raum einteilt. Er schlägt ein Gegenmodell einer Welt vor, in der physikalischer und digitaler Raum sich immer mehr miteinander vermischen und das Digitale den physikalischen Raum unterstützt und erweitert: „We are not crossing in and out of separate digital and physical realities, a la The Matrix, but instead live in one reality, one that is augmented by atoms and bits.“ (Jurgenson 2011) Insofern kann also von der Flucht aus dem physikalischen Realraum keine Rede sein. Es geht vielmehr darum, diesen Raum entsprechend mit digitalen Medien zu unterstützen. Diese Sichtweise wird in einer vom British Arts Council in Auftrag gegebenen Studie unterstützt, die zum Schluss kommt, dass digitale Medien die Realwelterfahrung unterstützten und nicht ersetzten (MTM London 2010). Eine amerikanische Studie (National Endowment for the Arts 2010) kommt sogar zum Schluss, dass diejenigen Besucher, die via Internet auf E-Kultur zugreifen – in den USA immerhin 37% –, mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit einen Live-Event besuchen. In dieses Bild passt auch die Meldung vom August dieses Jahres, dass die virtuelle Dresden Gallery mangels Besucher geschlossen wurde. Diese Galerie war eine aufwendige 3-D-Nachbildung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der virtuellen Welt Second Life. Second Life war noch vor einigen Jahren als die Zukunft des Internet angepriesen worden. Es zeigt sich jedoch mehr und mehr, dass virtuelle 3-D-Welten eher ein Nischendasein führen und vor allem im Spielebereich erfolgreich sind. Eine einfache Duplizierung des Echtraums im Digitalen ohne Mehrwert vermittelt zumindest bis heute immer nur ein mattes Spiegelbild des Originals. Zwar gibt es auch einen kleinen Anteil an Besuchern, der nur digital auf die Kulturangebote zurückgreift. Dabei handelt es sich jedoch um Menschen, denen es entweder aus finanziellen Gründen oder aufgrund räumlicher Distanz nicht möglich ist, die entsprechenden Veranstaltungen zu besuchen (ebd.).
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Lösung statt Problem Der Einsatz von Social Media im Museum stellt mit Sicherheit eine große Herausforderung für viele Museen dar. Die Bedrohung für die klassische Museumsarbeit liegt jedoch nicht in den sozialen Medien oder in partizipativen Konzepten. Sie liegt in einer sich verändernden Gesellschaft, die Autoritäten zunehmend misstraut und auf Augenhöhe diskutieren will. Hier bieten partizipative Konzepte und Social Media eine Chance, um Distanzen abzubauen und neue Zielgruppen anzusprechen. Dabei spielen sie keine isolierte Rolle, sondern sind lediglich die Fortsetzung etablierter partizipativer Konzepte mit neuen Mitteln. Interessante Social-Media-Konzepte sind in der Regel in guter Museumsarbeit vor Ort verankert. Genau deswegen aber sollten Vermittler und Kuratoren die Social Media nicht einfach dem Marketing und der Kommunikation überlassen, sondern sich überlegen, wie sie selbst neue Medien kreativ für ihre eigenen Arbeitsbereiche einsetzen können. Allerdings sollte man die Bereitschaft zur Partizipation nicht überschätzen. Auch in den Social Media ist die Anzahl der passiven Zuschauer und Leser wesentlich höher als die der Menschen, die aktiv durch das Hochladen von Daten oder das Schreiben von Texten und Kommentaren teilnehmen (Li / Bernoff 2008: 41 f). Nicht alle Menschen wollen jederzeit beteiligt sein und ständig partizipieren. Noch immer wollen Besucher sich unterhalten lassen, sie wollen sich wundern und staunen und emotional berührt werden. Die Aura des Erhabenen und Elitären, die bedeutende Galerien und große Werke umweht, übt nach wie vor ihren Reiz aus. Es ist weiterhin Platz für spannende Inszenierungen und große Erzählungen. Diese Erzählungen jedoch müssen zunehmend vielschichtig und multiperspektivisch erzählt werden. Auch hierfür bieten Social Media eine hervorragende Plattform.
Literatur ARD / ZDF-Onlinestudie 2010, Onlinedokument, http: / / www.ard-zdf-onlinestudie.de [letzter Zugriff 12.08.2011]. Carr, Nicholas: The shallows: How the Internet is changing the way we think, read and remember, London 2010. Chung, James / Wilkening, Susie: Museums & Society 2034: Trends and potential futures, Center for the Future of Museums & American Association of Museums 2008, Onlinedokument, http: / / conference.archimuse.com / biblio / museums_society_2034_trends_and_potential_futures [letzter Zugriff 12.08.2011]. Fletcher, Adrienne: Social Media Museum Research Survey, Public Relations and Marketing Committee of the American Association of Museums 2008, Onlinedokument, http: / / www.pram-aam.org / ResultsSummaryMar2010.pdf [letzter Zugriff 12.08.2011]. Hare, Richard M. / Russell, Donald A. (Hg.): The dialogues of Plato, London 1970.
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Den ganzen Eisberg wahrnehmen Die Förderung einer „partizipativen Kultur“ in Museen und welche Rolle Evaluation dabei spielen kann Patricia Munro
„Die Würde, die in der Bewegung eines Eisberges liegt, beruht darauf, dass nur ein Achtel von ihm über dem Wasser ist.“ Ernest Hemingway
Ein partizipatives Museum. Auf den ersten Blick scheint das Konzept ziemlich unkompliziert: Ein partizipatives Museum ist ein Museum, dessen Charakter durch Partizipation geprägt ist. Der Ursprung des Begriffs „Partizipation“ liegt im Lateinischen: Das Verb participare bedeutet teilnehmen. In einem Museum bedeutet Partizipation aber viel mehr als nur ein aktives ‚Mitmachen‘. Diese Form der Partizipation ist gewissermaßen nur der sichtbare Teil des Eisbergs; der andere (größere) Teil ist unsichtbar: Er besteht daraus, wie ein Museum Partizipation versteht bzw. welchen Wert und welche Bedeutung es ihr in der täglichen Praxis beimisst. Allzu oft liest und hört man nur über den sichtbaren Teil der Partizipation, der sich in konkreten Ereignissen und Veranstaltungen zeigt – sei es in Form von Ausstellungen, pädagogischen Angeboten oder virtuellen Projekten. Allerdings ist es letztendlich der unsichtbare Teil, der den Charakter – und den Erfolg – von Partizipation beeinflusst. Die Qualität (und Nachhaltigkeit) der Partizipation wird maßgeblich durch die Organisationskultur eines Museums und dessen Planungsprozesse bestimmt. Hierzu muss das Museumsmanagement Partizipation als strategisches Ziel verstehen, aktiv fördern und auch finanziell unterstützen. Nur mit dieser Grundeinstellung und auf diese Weise kann sich ein Museum das Konzept der Partizipation wirklich zu eigen machen. Das Streben nach einem partizipativen Museum macht die Dualität des Charakters der Partizipation deutlich. Nur wenn der sichtbare Teil der Partizipation in Einklang mit der unsichtbaren Organisationskultur eines Museums steht, kann sich eine effektive und nachhaltige Wirkung auf die Ausstellungen (sowie auf die pädagogischen Angebote, virtuellen Projekte etc.) entfalten.
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Das Fundament des unsichtbaren Teils der Partizipation ist „commitment“, d. h. die Selbstverpflichtung eines Museums gegenüber seinen Besuchern in Bezug auf Inhalte, Werte und Formen der Zusammenarbeit. Es gilt zu fragen, ob der Begriff der Besucherorientierung einen Wert darstellt, der alle Bemühungen des Museums tagtäglich prägt und der von seinen Mitarbeitern gelebt wird. Ein hübsch formuliertes Lippenbekenntnis zur Besucherorientierung reicht hier nicht aus. Echtes commitment fördert eine ganz neue Art von Qualitätsanspruch. Ist Besucherorientierung erst einmal zu einem festen Bestandteil des Selbstverständnisses eines Museums geworden, müssen geeignete Wege gefunden werden, um die gewünschte Qualität nicht nur zu realisieren, sondern auch deren Wirkung zu bewerten.
Wie kann eine partizipative Museumskultur entstehen? In einem Museum wirken mehrere Faktoren zusammen, die die Entstehung einer ‚partizipativen Kultur‘ ermöglichen. Will man die Chancen der Partizipation ergreifen, spielt das „Leadership“, also die Führung, eine maßgebende Rolle. Dies fängt damit an, dass die Direktion oder die Geschäftsführung des Museums persönlich von der Bedeutung der Besucherorientierung überzeugt sein muss. Sie ist dafür verantwortlich, im Museum die notwendigen Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dieses Ziel tatsächlich zu erleben. Sie erkennt die Möglichkeiten für gelebte Partizipation und lädt dementsprechend geeignete Ansprechpartner ein, an diesem partizipativen Entwicklungsprozess mitzuwirken. Im Zuge dieser Bemühungen verleiht die Museumsleitung der Organisationskultur der Einrichtung ihre individuelle und somit einzigartige Form. Zusammen mit dem commitment des gesamten Museumsteams wird diese partizipativ geprägte Kultur dann zum festen Bestandteil des institutionellen Selbstverständnisses bzw. der Identität des Museums. Um die Chancen der Partizipation wahrzunehmen, muss das neue, am partizipativen Grundgedanken entwickelte Verständnis der Besucherrolle verinnerlicht werden, im Museum müssen neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit wahrgenommen und eingeführt werden. Über die Parameter der Partizipation wird im Museumsteam reflektiert – z. B. in Bezug auf die Frage, wann ein Prozess am effektivsten partizipativ durchgeführt werden sollte. Im Lauf solcher gemeinsam angestellter Überlegungen können im Museum ständig neue Chancen der Partizipation entdeckt und erkannt werden – z. B. neue Formen der Kooperation in Verbindung mit Ausstellungen, pädagogischen Programmen oder virtuellen Projekten. Diese Kooperationen können in Zusammenarbeit mit „Stakeholdern“1 sowie Besuchern und Nichtbesuchern innerhalb und außerhalb des Museums stattfinden. Auch der Einsatz von Evaluation kann 1 | Unter „Stakeholdern“ versteht man spezifische Zielgruppen, die ein Museum mit seinen Angeboten unbedingt ansprechen möchte. Das Museum versteht den Aufbau einer nachhaltigen Beziehung zu diesen Zielgruppen als Kernaufgabe aller seiner besucherorientierten Bemühungen.
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für ein Museum mit der Zeit zu einem selbstverständlichen Instrument und Bestandteil seiner Planungsprozesse werden. All diese gemeinsamen Überlegungen und Aktivitäten haben zur Folge, dass ein partizipatives Museum Besucherorientierung zunehmend als zentralen Wert seiner Bemühungen versteht und auch nach außen hin verkörpert. Die strategische und in allen Aspekten praktizierte Ausrichtung auf den Besucher wirkt sich nach und nach auf das gesamte Haus aus. Grundlegende Fragen werden im Museumsteam intern zur Diskussion gestellt – z. B.: Wer sind wir als Museum? Was macht unser Museum einzigartig? Was wollen wir als Museum erreichen? Im „partizipativen Museum“ werden der Zweck (mission) und die Ziele des Museums aber nicht nur inhaltlich und sammlungsbezogen, sondern auch besucherorientiert formuliert. Eine Projektdefinition in Form von einem übergeordneten Zweck, formulierten Zielen und einem definierten Zielpublikum für ein bestimmtes Vorhaben liefert die Basis, um besucherorientiertes Denken und Handeln in den Planungsprozess von Projekten jeglicher Art zu integrieren. Diese strategische Ausrichtung und die Projektdefinition können als Kernelemente der Seele eines partizipativen Museums betrachtet werden. Um authentisch zu sein, muss ein partizipativ orientiertes Museum den Qualitätsanspruch haben, seine Tradition zu bewahren, gleichzeitig aber neue Perspektiven und Vorgehensweisen zu fördern. Mit einem besseren Verständnis für das Publikum können sich einem Museum hier neue Wege eröffnen, ohne dabei seinen traditionellen Charakter verleugnen zu müssen. Welche Bedeutung eine fest in der Organisationskultur eines Museums verankerte Besucherorientierung hat, tritt im Verlauf einer partizipativen Ausstellungsentwicklung besonders deutlich hervor. Die Ausstellungsevaluation liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie eine ‚partizipative Kultur‘ konkret und gezielt gefördert werden kann.
Verschiedene Formen der Evaluation und ihr Beitrag zur Förderung einer partizipativen Museumskultur Für eine Institution, die ihre Identität als partizipatives Museum und ihre jeweiligen Ausstellungsprojekte stimmig in Einklang bringen möchte, bietet sich der Einsatz der Basisevaluation an. Diese Form der Evaluation hat strategischen Charakter, wobei der Fokus entweder auf der Institution Museum selbst oder auf einem speziellen Ausstellungsprojekt liegen kann. Die einrichtungsbezogene Form der Basisevaluation unterstützt die Identitätsentwicklung eines Museums durch eine konkrete Formulierung von Zweck (mission), Zielen und Werten unter Berücksichtigung des Zielpublikums. Diese Überlegungen werden seitens der Museumsleitung und des Mitarbeiterteams angestellt – z. B. im Rahmen von Teammeetings oder Workshops und mithilfe von Moderation oder Coaching. Die Ergebnisse dieser Reflexionen liefern eine grundlegende Orientierungs- und Entscheidungsbasis für das gesamte Tätigkeitsspektrum des Museums und für das commitment gegenüber den Besuchern. Die Ergebnisse der Publikumsfor-
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schung in Form von Besucheranalysen sind eine wichtige Unterstützung dieser internen Überlegungen. Im konkreten Fall einer ausstellungsbezogenen Basisevaluation steht die Definition eines Projekts im Mittelpunkt. Hier gilt es, den angestrebten Zweck, das Zielpublikum und die gewünschten Ziele und Botschaften (auf kognitiver sowie affektiver Ebene) zu definieren, die alle im Einklang mit der Identität des Museums stehen sollen. Im Zuge dieser Überlegungen entsteht dann ein klares Bild des Publikums eines bestimmten Ausstellungsprojekts, was die Ausstellungsentwicklung und die Art der Möglichkeiten für Partizipation maßgeblich prägt. Die Formulierung einer Projektdefinition erfolgt dann gemeinsam im Team (Projektmanager, Pädagoge, Ausstellungsgestalter, Evaluator, Fachwissenschaftler) im Rahmen von Meetings und Workshops. Die Projektdefinition bildet die Grundlage für den Einsatz der Ausstellungsevaluation. Während dieser Phase der Basisevaluation werden die für das betreffende Projekt am besten geeigneten Feedbackmechanismen ausgewählt und in den Ausstellungsplanungsprozess integriert – wie z. B. begleitende Evaluationsmaßnahmen, die die Partizipation fördern.
Der Eisberg: eine ‚partizipative Kultur‘ wird sichtbar Durch den Einsatz der Evaluation als Planungsmethode für ein Ausstellungsprojekt wird der Charakter eines partizipativen Museums durch die aktive Teilhabe nicht nur seitens des Museumsteams, sondern auch seitens des Publikums für alle Beteiligten sichtbar. Diese Form der Evaluation kann während verschiedener Phasen der Ausstellungsplanung, -gestaltung und -realisierung eingesetzt werden. Die unterschiedlichen Arten der Evaluation bieten dem Planungsteam mannigfaltige Möglichkeiten, Besucherfeedback (quantitativer bzw. qualitativer Art) zu erhalten, anhand dessen ein Ausstellungsprojekt, ein pädagogisches Programm oder ein virtuelles Medium ,besucherfreundlicher‘ gestaltet bzw. optimiert werden kann. Stehen die Ergebnisse langjähriger Recherchen zu einem Thema bereit, um in einer Ausstellung präsentiert zu werden, werden vom Museumsteam Ideen entwickelt, um diese Inhalte dem Publikum zu vermitteln. Dies ist der richtige Zeitpunkt, um die Durchführung einer Vorabevaluation zu erwägen. Diese Evaluationsform liefert Impulse für die Entwicklung eines Konzepts, und zwar noch bevor die gestalterische Umsetzung einer Ausstellung konkret in die Wege geleitet wurde. Mithilfe verschiedener Erhebungsmethoden – Fragebögen, Interviews, Fokusgruppen u. ä. – werden Vertreter ausgewählter Zielgruppen und das Planungsteam miteinander ins Gespräch gebracht über das Konzept bzw. die Inhalte einer Ausstellung. Dadurch nimmt das Publikum als Partner aktiv an der Konzeptentwicklung einer Ausstellung teil, was dem Museumsteam neue und besucherrelevante Denkanstöße für seine Planungsarbeit liefert. Auch die Mundpropaganda für das Ausstellungsprojekt wird angestoßen; die Publikumsvertreter berichten in ihrem Bekanntenkreis über ihre Erfahrung mit der Vorabevaluation und über die Ausstellungsinhalte. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass im gewünschten Zielpublikum bereits vor der Eröffnung über das Ausstellungsthema diskutiert wird.
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Was kann von solchen Maßnahmen als Ergebnis erwartet werden? Nun, bei dieser Form der Evaluation werden zum einen die Bedürfnisse, Erwartungen, Vorkenntnisse und Fehlvorstellungen der Besucher zu bestimmten Ausstellungsinhalten bzw. Umsetzungsideen erkennbar. Eine Vorabevaluation hat vorausschauenden und vertiefenden Charakter und ergänzt und bereichert ein Ausstellungskonzept um Anregungen seitens der Besucher. Eine Fehlvorstellung vieler Kritiker ist, dass die Vorabevaluation die Vermittlung der wissenschaftlichen Recherche oder projektrelevante Fakten verwässert oder nivelliert. Erwiesenermaßen ist jedoch gerade das Gegenteil der Fall: Durch diese Form der Partizipation mit Vertretern einer Zielgruppe wird die Darstellung bzw. Vermittlung eines wissenschaftlichen Themas nicht nur für diese Gruppe, sondern auch für das gesamte Museumspublikum verbessert. Wenn eine Ausstellung allmählich Form annimmt, kann die formative Evaluation zum Einsatz kommen. Sie ermöglicht eine z. T. erhebliche Optimierung ausgewählter Module oder Elemente einer Ausstellung (z. B. der Texte oder interaktiver Medien). Mithilfe von Modellen oder Prototypen wird die Interaktion verschiedener Besucher mit diesen Elementen beobachtet, anschließend wird ihre Meinung eingeholt, um den Umgang und die Reaktion der Besucher mit den Modellen und Testbauten zu überprüfen. Der Besucher wird also vom Museum eingeladen, aktiv zur Ausstellungsentwicklung beizutragen, indem er dem Museumsteam seine persönlichen Erfahrungen mit ausgewählten Ausstellungselementen, einem Textentwurf oder interaktiven Medien mitteilt. Warum sollte ein Museum das Publikum bitten, sich mit noch unfertigen Ausstellungsentwürfen auseinanderzusetzen? Nun, zunächst einmal macht es den meisten Besuchern Spaß, bei einem solchen Entwicklungsprozess mitzuwirken. Darüber hinaus bietet die formative Evaluation dem Museum die Möglichkeit, die Gestaltung besuchergerecht (und das ist ja das Hauptanliegen eines partizipativen Museums!) zu optimieren und ggf. auch zu korrigieren, indem es (durch Besucherbeobachtungen, mündliche Interviews oder schriftliche Befragungen) erfährt, wie sein künftiges Publikum auf ein ausgewähltes Ausstellungsmodul reagiert bzw. wie es damit zurechtkommt. Auf diese Weise lässt sich beurteilen, ob ein Element seinen intendierten Zweck tatsächlich erfüllt, ob es problemlos zu handhaben und eindeutig zu verstehen ist – und zwar aus der Perspektive des Zielpublikums, nicht der eines Museumsmitarbeiters oder Kurators. Bei explorativen Tests dieser Art kommen nicht nur verbesserungswürdige Aspekte eines Ausstellungsmoduls zum Vorschein, sondern auch unerwartete Hindernisse, die es einem Besucher erschweren, einen bestimmten Aspekt nachzuvollziehen bzw. damit umzugehen. Dieses Feedback liefert dem Planungsteam wertvolle Hinweise, wie das Ausstellungserlebnis für das Museumspublikum optimiert werden kann. Nach Abschluss der Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen wird die Ausstellung zur Besichtigung eröffnet. Wie kommen die Ausstellung und ihre Botschaften beim Museumspublikum an? Im Verlauf der summativen Evaluation kann das Museum mit Unterstützung eines externen Evaluators hilfreiche Schlussfolgerungen zur Wirkung der Ausstellung ziehen. Hier wird nach der Eröffnung die Gesamtwirkung einer Ausstellung untersucht. Im Unterschied zu den bisher erwähnten Evaluationsformen, die
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nur bestimmte Aspekte einer Ausstellung unter die Lupe nehmen, wirft die summative Evaluation einen systemischen Blick über das gesamte Ausstellungserlebnis, das sich aus vielen verschiedenen Facetten zusammensetzt – wie den Exponaten, Texten, Medien, interaktiven Elementen oder der Inszenierung. In dieser Phase nimmt die Partizipation der Besucher eine andere Form an: Sie werden nun gebeten, Näheres zu ihrem persönlichen Ausstellungserlebnis zu erzählen. Dieses Feedback kann mithilfe einer Vielzahl von Methoden eingeholt werden (z. B. Befragungen und Interviews, Beobachtungen oder begleitende Ausstellungsbesuche). Das Spannende an den Ergebnissen einer summativen Evaluation für ein Museum ist nicht nur die Erkenntnis, wie eine Ausstellung von den Besuchern tatsächlich genutzt wird. Diese abschließende Form der Evaluation ermöglicht auch eine umfassende und tiefer gehende Betrachtung des Ausstellungserlebnisses in seiner Gesamtheit und bietet dem Museum die Gelegenheit, sich über die Wirkung der Ausstellung auf ihre Besucher weitere Gedanken zu machen. Jedes Planungsteam möchte mit seiner Ausstellung dem Besucher bestimmte Erkenntnisse möglichst effektiv nahebringen und vermitteln – darüber hinaus steht es aber auch vor der Herausforderung, jedem einzelnen Besucher ein persönliches, einprägsames und möglichst nachhaltiges Ausstellungserlebnis zu bieten. Gelingt dies, wachsen auch die Qualität und der nachhaltige Charakter der partizipativen Kultur des Museums. Die Erfassung bzw. Dokumentierung dieses für den Besucher ganz persönlichen und bedeutungsvollen Ausstellungserlebnisses erfordert ein Know-how auf dem neuesten Stand der Evaluationspraxis. Wegen der Komplexität der Erfassung einer tatsächlich nachhaltigen Auswirkung der Partizipation auf eine sehr persönliche und affektive Ebene ist diese fortgeschrittene Form der summativen Evaluation unerlässlich. Die Weiterentwicklungsevaluation ist besonders geeignet für Museen, die in der Besucherorientierung einen fest verankerten Bestandteil all ihrer Bemühungen sehen. Diese Form der Evaluation hilft Museen bei der Optimierung sowohl einer fertigen Ausstellung als auch bei der Entwicklung künftiger Strategien im Hinblick auf das gesamte Museumserlebnis. Wenn Museen die ständige Verbesserung ihrer Besucherorientierung als Ziel definieren, so bietet die Weiterentwicklungsevaluation dem Museumsmanagement und -team die Chance, gemeinsam über die Implikationen der Evaluationsergebnisse zu reflektieren und daraus Schlussfolgerungen für die alltägliche Praxis des Museums zu ziehen. Ähnlich wie bei der Basisevaluation gibt es auch hier sowohl eine projektbezogene Weiterentwicklungsevaluation, die sich z. B. mit einer Ausstellung befasst, als auch eine einrichtungsbezogene Weiterentwicklungsevaluation, die das gesamte Museum betrifft. Die projektbezogene Weiterentwicklungsevaluation wird nach der Ausstellungseröffnung eingesetzt, um eventuelle Defizite ausgewählter Aspekte zu erkennen, nach Lösungen zu suchen und diese umzusetzen. Dies kann z. B. die inhaltliche und formale Gestaltung von Texten, interaktiven Modulen, Medienelementen oder die Wegeführung betreffen. Diese Evaluation – auch bekannt als „Nachbesserungsevaluation“ – läuft genau so ab wie eine formative Evaluation, kommt aber erst nach erfolgter Ausstellungseröffnung zum Einsatz. Um spezifische Hinweise zur Erhöhung der Qualität des Ausstellungserlebnisses zu erlangen, werden die Besucher
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wieder aktiv einbezogen und im Rahmen von Tests, Beobachtungen und Interviews nach ihren Meinungen und Erfahrungen befragt. Der Einsatz der Methoden einer einrichtungsbezogenen Weiterentwicklungsevaluation erfordert vom Museumsmanagement und seinem Team eine zeitliche Investition, um über die Effektivität der gemeinsamen Bemühungen zu reflektieren. Denkanstöße für diese Überlegungen liefern die Evaluationsergebnisse und / oder Dialoge mit Stakeholdern. Fragen, die evtl. während des Evaluationsprozesses aufgetaucht sind, werden in internen Workshops diskutiert – z. B., wie und in welchem Ausmaß die im Zweck (mission) und mit den Zielen angestrebte einzigartige Museumsidentität von den Besuchern der Ausstellung, den Teilnehmern an einem pädagogischen Programm oder den Nutzern der Internetpräsenz des Museums wahrgenommen wurde. Auch über die Wirkung einer besucherfreundlichen Organisationskultur auf die Qualität und Nachhaltigkeit der Museumsangebote kann im Team strategisch nachgedacht werden. Die Ergebnisse all dieser Reflexionen fließen in die praktische Umsetzung ein und fördern somit eine ständige Erneuerung der Qualität der Besucherorientierung im Museum. Um dieses herausragende Qualitätsniveau tatsächlich zu erreichen, muss ein Museum seine Aufmerksamkeit ganz bewusst auf zwei Kernaspekte richten: die Wirkungskraft seiner Angebote und die Qualität des Besuchserlebnisses. Diese beiden Aspekte werden durch ein partizipativ orientiertes Museum gefördert und durch den Einsatz der Evaluation konkret erfassbar. Eine partizipative Organisationskultur setzt allerdings voraus, dass ein Museum seine Identität in Form von Zweck und Werten klar definiert und dass dieses Selbstverständnis vom Museumsmanagement und allen Mitarbeitern verinnerlicht und gelebt wird – erst dann entsteht eine wahrhaft besucherorientierte Einstellung, die sich im Verhalten der Mitarbeiter und in allen Museumsprojekten widerspiegelt. Auf diese Weise eröffnen sich bei der Entwicklung von Museumsprojekten ganz neue Wege für die Partizipation des Publikums. Den Einsatz von Evaluation im Museum verstehe ich als unverzichtbar, Evaluation ist ein Weg, sich fortwährend engagiert an den Bedürfnissen der Besucher zu orientieren. Dadurch entfaltet sich eine neue Kultur der gemeinsamen Reflexion über die Evaluationsergebnisse und eine konsequente Umsetzung der dabei gewonnenen Erkenntnisse und Empfehlungen. Ähnlich wie bei einem riesigen Eisberg in kalten Gewässern bleibt der größte Teil einer partizipativen Kultur nach außen hin unsichtbar. Der unsichtbare Teil – das ist die besucherorientierte Organisationskultur und das commitment eines Museums gegenüber seinen Besuchern. Diese beiden Faktoren sind richtungsweisend für die Entwicklung einer nachhaltigen und wahrhaft partizipativen Museumskultur. Der Einsatz von Evaluation zeigt den Weg zur Integration von Besucherorientierung in vielen Bereichen der Museumsarbeit. Auf diese Weise kann ein Museum seinen Besuchern ein rundum gelungenes Besuchserlebnis anbieten, in dem die sichtbaren und auch die unsichtbaren Aspekte seiner partizipativen Organisationskultur ebenso deutlich wie nachhaltig spürbar werden.
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Literatur Munro, Patricia / Siekierski, Eva / Weyer, Monika: Wegweiser Evaluation. Von der Projektidee bis zum bleibenden Ausstellungserlebnis, München 2009.
Partizipation in Museum und Ausstellung Versuch einer Präzisierung Anja Piontek
Ziel dieses Textes ist es, wesentliche Aspekte von Partizipation im Museums- und Ausstellungswesen zu beleuchten und eine erste Systematisierung dieses komplexen Feldes vorzunehmen. Wesentliche Facetten des Themas werden anschließend kritisch reflektiert.
Wortbedeutung und Auslegung des Begriffs im kulturellen Kontext Der Begriff Partizipation geht zurück auf das spätlateinische Wort participatio (-ionis, f), das in seiner ursprünglichen Bedeutung mit ,Teilhaftmachung, Mitteilung‘ (vgl. z. B. Georges 1962) übersetzt wird. Unter ,Mitteilung‘ verstehen wir heute üblicherweise die Weitergabe sprachlicher Informationen, der Begriff bezog sich laut dem „Deutschen Wörterbuch“ der Gebrüder Grimm (Ausgabe 1885, mittheilen und Mittheilung) historisch jedoch auch auf das Teilen von Waren und Wertvorstellungen. Das Wort ,Teilhaftmachung‘ geht weiter – es enthält sprachliche Anleihen an Begrifflichkeiten wie ,Haft‘ oder ,haftbar machen‘: Jemand wird, ob er will oder nicht, zum Teil einer Sache gemacht – wird Teilhaber – und ist fortan an den Konsequenzen mitbeteiligt. In beiden Fällen sieht die ursprüngliche Wortbedeutung den Partizipienten1 nicht in erster Linie als aktiv mitbestimmendes und mitgestaltendes Subjekt, sondern eher als passives Gegenüber, dem etwas widerfährt. Eine entsprechende Auslegung von Partizipation findet sich auch heute noch als ein Pol in der Bandbreite existierender Definitionen (Partizipation als Teilhabe im Sinne von ,Zugang haben‘ / ,dabei sein‘: Partizipient als Rezipient). Auf der anderen Seite gibt es Positionen, die den Partizipierenden als echten Akteur verstehen, der tatsächlich 1 | Im gesamten Text beschränke ich mich auf die Verwendung maskuliner Bezeichnungsformen, die ich jedoch geschlechtsneutral verwende.
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mitgestaltet, mitbestimmt und interveniert (Partizipation als Teilnahme im Sinne von ,mitmachen‘ / ,mitarbeiten‘: Partizipient als Akteur). Zwischen diesen Polen entfalten sich fließend weitere, z. T. sehr individuelle Auslegungen von Partizipation. Wo genau diese zwischen Vereinnahmung, Mitmachen und Selbstbestimmung stehen, ist nicht immer eindeutig.
Dimensionen von Partizipation Wie können Formen und Konzepte aktiver Beteiligung im Museums- und Ausstellungswesen aussehen und von welchen Faktoren sind sie abhängig? Im Folgenden soll ein erster Versuch unternommen werden, entscheidende Dimensionen von Partizipation mit Unterkategorien anzudenken – ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen (symbolisiert durch das Fragezeichen im Schaubild, s. Abb.1). Das Zusammenspiel dieser Dimensionen in ihrer jeweiligen Art und Ausprägung macht letztlich das individuelle Partizipationsangebot eines Museums oder eines Ausstellungsprojekts aus. Wenn nun die einzelnen Dimensionen der Reihe nach vorgestellt werden, so geschieht dies nicht im Sinne einer Rangfolge: Bei der Dimension ,Beteiligung‘ ist die Frage leitend, wer wie und in welcher Intensität beteiligt ist. Der Grad der sogenannten ,Partizipationsintensität‘ ist dabei laut Cornelia Ehmayer (Ehmayer 2002: 38) im Wesentlichen von zwei Faktoren abhängig, nämlich 1. vom Bezug der Partizipierenden zu Entscheidungsstrukturen und 2. von der Wirksamkeit ihres Einflusses. Einen ähnlichen Betrachtungswinkel wählt auch Nina Simon: Sie unterscheidet vier Typen von Partizipationsformaten, die sich danach staffeln, wie sehr das Museum bestimmend in Erscheinung tritt – angefangen bei „Contribution“ als einer sehr eng gefassten Beteiligungsmöglichkeit in einem vom Museum bereits voll ausgearbeiteten Rahmen bis hin zu völlig selbstständigen Ausstellungsprojekten, bei denen das Museum lediglich als „Host“ – also als Gastgeber oder Hausherr – fungiert (Simon 2010: 203 – 298). Beteiligung kann außerdem auf ganz verschiedenen Ebenen stattfinden: einmal online als User, als Besucher vor Ort im Museum (beispielsweise im Rahmen eines partizipativen Programmangebots) oder aber als Projektbeteiligter, der beim Sammeln, Bewahren, Forschen und / oder Vermitteln aktiv mitwirkt. Unter die Dimension ,Akteure‘ fällt einerseits, an wen ein Angebot adressiert ist. So individuell die Zielgruppendefinition im Einzelfall auch ausfällt, immer kann unterschieden werden zwischen Angeboten, die sich an Einzelteilnehmer wenden (und in der Regel auf eine möglichst breite und zahlenmäßig hohe Beteiligung abzielen), und solchen, die explizit auf Gruppen bezogen sind (und meistens eine zahlenmäßig kleinere, dafür aber feste Teilnehmergruppe über einen längeren Zeitraum bilden).
Partizipation in Museum und Ausstellung
Abb. 1: Zentrale Dimensionen von Partizipation mit Unterkategorien (Grafik: Anja Piontek)
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Manchmal ist die Mitarbeit verpflichtend, z. B. wenn mit einer Schulklasse kooperiert wird – dies steht eigentlich im Gegensatz zum heute landläufigen Idealverständnis von Partizipation, bei dem der Grundsatz der freiwilligen Beteiligung gilt, die aus persönlicher Überzeugung erfolgt. Zum anderen wird ein Partizipationsformat in seiner konkreten Erscheinung davon beeinflusst, wer der Projektinitiator ist und wer mit der leitenden Durchführung betraut wird: Handelt es sich um Museumsinterne oder um Externe? Um Kuratoren, Vermittler, vielleicht sogar Künstler oder Sozialarbeiter – oder um die zukünftigen Teilnehmer selbst? Welches Ausstellungs- oder Projektthema gemeinsam bearbeitet werden soll, beschreibt wiederum die Dimension ,Ausstellungsgegenstand‘. Dabei ist eine Tendenz dahingehend zu beobachten, dass Partizipation insbesondere bei Migrations- und bei Gegenwartsthematiken eine Rolle spielt. Weiter zählt zu dieser Dimension, mit welchen Objekten gearbeitet wird: Das kann die museumseigene Sammlung sein, das können aber auch Gegenstände aus dem persönlichen Besitz der Teilnehmer sein. Als dritte Variante gibt es – vor allem im künstlerischen Bereich – Projekte, bei denen Partizipation selbst zum ,Gegenstand‘ wird oder bei denen gemeinsam erst Ausstellungsstücke erschaffen werden. Zur Dimension ,Raum‘ gehört zum einen, wo ein partizipatives Projekt verortet ist – dass dies nicht zwangsläufig im Museum sein muss, zeigt etwa die Ausstellung „Berg der Erinnerungen“, die 2003 im Stollensystem des Grazer Schlossbergs stattfand. Zum anderen spielt auch der formale Beteiligungsradius eine Rolle: Zwar arbeiten Museen oftmals mit Menschen aus dem lokalen Umfeld, es gibt aber auch Projekte mit nationaler und sogar internationaler Ausrichtung, etwa das deutsch-dänische Projekt „Dinge des Jahrhunderts“ aus dem Jahr 2000 oder das „Museum of Broken Relationships“ in Zagreb, das Relikte gescheiterter Liebesbeziehungen aus aller Welt sammelt. Ob Bürgerbeteiligung auf eine Sonderausstellung beschränkt ist oder ob es um ein partizipatives Dauerausstellungskonzept geht, fällt unter die ,Zeit- bzw. Prozessdimension‘. Abgesehen davon ist es von großer Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Projektprozesses eine Mitwirkung von Außenstehenden ermöglicht wird: In der Konzeptionsphase, in der Umsetzungsphase, während der Laufzeit einer Ausstellung oder vielleicht erst danach? ,Kommunikation‘ und ,Interaktion‘ bilden eine zentrale Dimension, die in der Praxis oftmals geradezu einen neuralgischen Punkt markiert. Neben der Frage, welche Kommunikationsmittel und -wege genutzt werden, geht es dabei auch um die Interaktion der Beteiligten untereinander. Dabei können im Wesentlichen drei Muster unterschieden werden: Zum einen gibt es Formate, bei denen ein Austausch nur zwischen Museum und Teilnehmern stattfindet (wobei das Museum in der Regel wortführend ist). In der Erweiterung wird ein Austausch auch unter den Teilnehmenden gefördert, indem Gruppensituationen (z. B. durch Workshoparbeit) geschaffen werden. So besteht die Chance, dass das Museum zum sozialen Raum wird. Wenn das Museum dann auch noch externe Fachleute dazuholt, die die Teilnehmenden unterstützen, ist eine dritte Qualität des Austauschs erreicht, weil das Museum sein eigenes Wissensmonopol und seine Autorität offen relativiert.
Partizipation in Museum und Ausstellung
Als weitere Dimension beeinflussen selbstverständlich auch die jeweiligen ,Zielsetzungen‘ die Art und Weise eines Beteiligungsangebots, denn nicht jede Partizipationsform eignet sich gleichermaßen für jedes Ziel. Da partizipative Konzepte oftmals mehrere Zielsetzungen gleichzeitig verfolgen, sind Interessenkonflikte nicht auszuschließen; dabei ist insbesondere zu unterscheiden zwischen Zielsetzungen, die von der Institution aus gedacht sind, und Zielen, die an den Partizipierenden orientiert sind. Mit den Zielen eng verwoben ist auch jene Dimension, die ich als ,Stellenwert der Partizipation‘ bezeichne. Hier ist zunächst danach zu fragen, mit welchem übergeordneten Selbstverständnis partizipativ gearbeitet wird: Wird Partizipation als museales Prinzip begriffen, dann steht die Idee im Vordergrund, das Museum als Ort für die Gesellschaft, getragen von der Gesellschaft wortwörtlich zu realisieren. Angelehnt an Carmen Mörsch (Mörsch 2009) könnte man somit von einer „transformativen“ Funktionszuschreibung sprechen, da die Funktionen und Mechanismen des Museums demokratisiert und erweitert werden sollen. Dem gegenüber steht ein instrumentelles Verständnis, bei dem Partizipation als Mittel zum Zweck verstanden wird (dazu zählt insbesondere auch Partizipation als museumspädagogische Methode). Jenseits dieser beiden Pole gibt es in der Kunstpraxis auch noch die Idee von Partizipation als spezifischer künstlerischer Ausdrucks- und Arbeitsform. Unterhalb dieser Metaebene lassen sich noch projektimmanente Funktionalitäten unterscheiden, die sich zwischen Partizipation als konstituierendem Faktor und Partizipation als ergänzendem Element bewegen. Im ersten Fall hängen Scheitern oder Projekterfolg vollständig von einer Beteiligung von außen ab.2 Im zweiten Fall ergänzt ein partizipativ generierter Inhalt oder ein Partizipationsangebot lediglich eine bestehende Ausstellung (beispielsweise als zusätzliche Perspektive, als Veranschaulichung oder als Auflockerung der ,klassischen‘ Museumspräsentation).3
Idealverständnis und Ambivalenzen Im Zusammenspiel der eben skizzierten Dimensionen lässt sich erahnen, welche enorme Bandbreite an Spielarten von Partizipation existiert. Trotz dieser Variationsbreite 2 | Ein Beispiel hierfür ist etwa das Ausstellungsprojekt „gerhardWER?“, das vom 8. Mai bis 7. August 2011 im Gerhard Marcks Haus (Bremen) stattfand. 3 | Dies war z. B. bei der Ausstellung „Böse Dinge“ der Fall, die ausgehend von einer rund 100 Jahre alten musealen Lehrsammlung mit sogenannten Geschmacksverirrungen verschiedene historische Positionen über Ästhetik und Geschmack thematisierte. Ergänzend gab es einen partizipativen Aktionsbereich, in dem Besucher anhand selbst mitgebrachter „böser Dinge“ auf verschiedene Weise eigene Geschmacks- und Werturteile fällen und reflektieren sollten („Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“ 2009 / 10 im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin; 2011 in abgewandelter Form als „Böse Dinge. Positionen des (Un)Geschmacks“ im Gewerbemuseum Winterthur, CH).
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gibt es aber doch einige Punkte, die typischerweise mit dem Stichwort Partizipation verbunden werden. Dazu zählt insbesondere die Idealvorstellung des gleichgestellten Partizipienten, der den Fachleuten auf Augenhöhe begegnet und dem echte Möglichkeiten zur Einmischung und Intervention gegeben sind. Dahinter steht der Wunsch, das Ungleichgewicht an Macht und die bestehenden Hierarchien zwischen Museum und Besuchern zu brechen. Allerdings reproduzieren auch partizipative Projekte graduell immer traditionelle hierarchische Strukturen. Stephan Fürstenberg hat dies einmal sehr anschaulich mit dem Bild eines Gastmahls beschrieben, bei dem nun einmal ein struktureller Statusunterschied zwischen Gastgeber und Gast besteht:4 Der Gastgeber will zwar die anderen an seinem Gastmahl teilhaben lassen, er aber bestimmt, wer eingeladen wird und wer nicht dabei sein darf; außerdem gibt er vor, in welchem Rahmen sein Mahl stattfinden soll. Umgekehrt erkennen die Gäste die Regeln des Gastgebers automatisch an, sobald sie die Einladung annehmen, und unterwerfen sich diesen. Das heißt: Ein wesentliches Element von Partizipation ist also gerade die Ungleichheit zwischen dem, der partizipieren lässt, und dem, der partizipiert oder partizipieren soll 5 – und zwar unabhängig davon, wer von beiden die Partizipation initiiert hat. Somit bedeutet partizipatorisches Handeln unweigerlich auch, „[…] sich in den Logiken von Exklusivität und Exklusion zu bewegen und hierarchisierende Prozesse innerhalb des Feldes nicht einfach auflösen zu können“ (Fürstenberg / Motakef 2009: 138). Ein weiteres Ideal verbunden mit Partizipation ist Ergebnisoffenheit. Stella Rollig (Rollig 2002: 135) betont, dass gerade dies Partizipation von Agitation und Aktionismus unterscheide. Weiter gedacht bedeutet Ergebnisoffenheit auch, dass Partizipation ein Risiko des Scheiterns und – aus Kuratorensicht – des Kontrollverlusts in sich birgt. Rein pragmatisch gesehen stellt sich aber vor allem die Frage, wie Ergebnisoffenheit respektive Prozessorientierung in die traditionellen Organisationsmuster des Museumsbetriebs integriert werden kann, wobei langfristige Zeitpläne und feste Abgabetermine meist die Regel sind. Offen bleibt aber auch, wie man möglichen Geldgebern Projekte mit ungewissem Ausgang und ohne Erfolgsgarantie schmackhaft machen könnte. Unmittelbar daran schließt sich als wichtige Frage an, wie und woran man den Erfolg und die Qualität solcher Projekte messen könnte – per definitionem sind ja eben nicht in erster Linie die sichtbaren Ergebnisse, sondern der Verlauf und die prozessualen Entwicklungen von Bedeutung. Lohnenswert erscheint auch ein Seitenblick in die Soziologie, in der Partizipation oftmals eng mit Identifikation verwoben ist (vgl. z. B. Hillmann / Hartfiel 1994: 654). In den Fokus gerät somit unmittelbar dasjenige, an dem teilgehabt werden soll – und zwar als eine gemeinsamen verbindlichen Werte- oder Ideenbasis, ohne die Partizipation 4 | Fürstenberg bezieht sich auf partizipatorische Kunstprojekte, seine Überlegungen sind aber auf nicht-künstlerische Partizipationsvorhaben übertragbar (ebenso wie der in Fürstenbergs Text integrierte soziologische Kurzkommentar von Mona Montakef). Vgl. Fürstenberg / Motakef 2009. 5 | Für Christian Kravagna (Kravagna 1998: 30) macht dies den Unterschied zwischen Partizipation und „kollektiver Praxis“ aus.
Partizipation in Museum und Ausstellung
nach dieser Auffassung nicht gelingen kann. Mein Eindruck ist jedoch, dass Museen vielfach kaum darüber nachdenken, ob ihre Werte, ihr Wissen und Kulturgut auch eine gemeinsame und erstrebenswerte Basis bzw. Identifikationsmöglichkeit für heutige Besucher und potentielle Partizipienten bieten. Häufig bekommt Partizipation in solchen Fällen leider einen ,kulturmissionarischen‘ Beigeschmack und wird so eher zur ,Teilhaftmachung‘.
Potentiale von Partizipation Was ist – angesichts der eben geschilderten Spannungsfelder und Ambivalenzen – aber nun das, was Partizipation gerade für das Museums- und Ausstellungswesen interessant macht? Das große Potential von Partizipation ist das der Vergegenwärtigung – sei es die Vergegenwärtigung eines Gegenstands oder Themas, gesellschaftlicher Verhältnisse, der eigenen Identität oder des ,Systems Museum‘. Denn wenn etwas für einen Menschen gegenwärtig wird, dann ist es in sein Bewusstsein gerückt und ihm im Hier und Jetzt unmittelbar nahe; er ist – im positiven Sinne – betroffen, weil diese Sache einen unmittelbaren Lebensweltbezug und persönliche Relevanz, einen Identifikationspunkt, bekommen hat. Und genau das ist es ja, worum es Museen seit jeher geht (oder gehen sollte), was aber im herkömmlichen Museumsbetrieb nicht immer gelingt. Ernsthafte Partizipationsangebote führen hingegen unweigerlich zu dieser starken kognitiven wie emotionalen Identifikation: Dadurch, dass sich Teilnehmer ganz persönlich einbringen, gewissermaßen einen Teil von sich in ihren Beitrag hineingeben und öffentlich machen, wird unweigerlich eine Brücke geschlagen und eine Nähe zum Gegenstand bzw. Thema erzeugt, die eine weiter gehende, tiefere Auseinandersetzung bewirkt und neue Handlungsweisen nach sich zieht. Wichtig ist dabei allerdings, zwischen machen und handeln zu unterscheiden. Machen, also bloßes Tun allein um der Aktivität willen, wird nicht unbedingt die erhoffte Wirkung erzielen. Vielmehr muss ein Partizipationsangebot seine Teilnehmenden ins Handeln bringen, was eine reflektierte Tätigkeit meint, die Entscheiden und Werten miteinschließt. Ein Patentrezept für Partizipation kann es allerdings nicht geben und Museen werden immer individuelle, auf ihre jeweilige Situation zugeschnittene Wege finden müssen, wenn sie nachhaltige Austauschprozesse initiieren wollen, anstatt nur blind einem Trend zu folgen. Dass in diesem Findungsprozess bereits kleine partizipative Experimente lohnen, soll im Folgenden exemplarisch anhand des Ausstellungsprojekts „gerhardWER?“ verdeutlicht werden, das 2011 vom Bremer Gerhard Marcks Haus durchgeführt wurde: Über einen Zeitraum von drei Monaten waren Interessierte eingeladen, sich persönlich im Museumsdepot oder per Internetdatenbank aus der Skulpturensammlung „ihren Lieblingsmarcks“ (Zitat Museumshomepage) auszusuchen, der dann zusammen mit einer individuellen Begründung ca. 14 Tage lang ausgestellt wurde. So entstand eine dynamische Ausstellung, die sich über die gesamte Laufzeit hinweg stetig veränderte und Teilnehmer wie auch unbeteiligte Besucher zu Mehrfachbesuchen einlud. Insbesondere das Angebot, individuell das Depot besuchen zu können,
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ermöglichte eine persönliche Bindung der Teilnehmenden sowohl zum Museum (das in diesem Moment durch den betreuenden Mitarbeiter repräsentiert wurde) als auch zu den Kunstwerken von Marcks, die durch den Auftrag zur Auswahl der persönlich bedeutsamsten Skulptur mit ganz anderem Blick als dem sonst üblichen Blick des Ausstellungsrezipienten betrachtet werden mussten. Der Spielraum der Teilnehmer war sicherlich vergleichsweise begrenzt. Als Kritik ließe sich etwa anbringen, dass Mitbestimmung nur so weit zugelassen wurde, wie sie vom Museum noch gut zu kontrollieren und arbeitsmäßig zu bewältigen war. Wenngleich es also weitaus demokratischere und progressivere Praxisbeispiele gibt,6 so sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst kleine, beschränkte Partizipationssituationen ihren Wert haben, weil sie neue Einsichten bieten und Blickwinkel verändern können: Beispielsweise führte der Weg der Teilnehmer am „gerhardWER?“-Projekt durch den Pausenraum des Personals und die Hausmeisterwerkstatt ins Depot. Dadurch erfuhren Museumslaien, dass Museen keine statischen, unveränderlichen Häuser sind, sondern dass sie voller Leben stecken und dass hinter den Kulissen tatsächlich gearbeitet wird. Das klingt vielleicht banal, es ist jedoch anzunehmen, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht unbedingt weiß, was überhaupt in Museen passiert und wozu sie da sind. Doch gerade das Wissen um die Aufgaben und Funktionen des Museums ist enorm wichtig, um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Institution anzustoßen und so die Museen wieder relevanter zu machen. Außerdem: Indem Teilnehmende einen Gegenstand auswählten und dessen Bedeutung und Wert beschrieben, wurde für sie greif- und erlebbar, dass genau das sonst im Museum immer anderen vorbehalten ist; vielleicht mag sich der eine oder andere Teilnehmer daraufhin gefragt haben, welche Maßstäbe und Kriterien die Fachleute eigentlich an ihre Auswahl anlegen und wessen Interessen sie damit spiegeln oder zu spiegeln glauben. Das heißt: Selbst eine solch eng gefasste, kurze Teilnahmesituation birgt also durchaus den Keim zu kritischem Bewusstsein und auch zu Ernsthaftigkeit. Abgesehen davon haben auch die Mitarbeiter unmittelbar profitiert: So sind beispielsweise Skulpturen ausgewählt worden und zu regelrechten Publikumslieblingen avanciert, die noch niemals zuvor ausgestellt worden waren, u. a. weil man intern nicht geglaubt hatte, dass sie Besucher so sehr ansprechen würden. Über die Einbindung der Bevölkerung konnte das Gerhard Marcks Haus seine Besucher also besser kennenlernen und bekam eine Ahnung davon, wie sehr sich der fachwissenschaftliche Blickwinkel vom Blickwinkel der Besucher unterscheiden kann.
Ein erstes Fazit Die Diskussion um Partizipation nimmt einerseits – und das ist begrüßenswert – stetig zu, andererseits scheint sie sich bisweilen in Extrempositionen zu verlieren, etwa wenn allein ein Maximalmaß an Mitbestimmung und Autonomie als ,gute‘ oder ,richtige‘ 6 | Siehe z. B. das Projekt „Ostend // Ostanfang“ in diesem Band.
Partizipation in Museum und Ausstellung
Partizipation gewürdigt wird. Partizipation wird auf diese Weise regelrecht zur Grundsatzfrage stilisiert, als ginge es einzig darum, alles Bisherige gegen Partizipation einzutauschen. Auf Dauer konstruktiver wäre sicherlich eine Haltung, die Partizipationsformate nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung des Museumsbetriebs anerkennt – also ,sowohl – als auch‘ statt ,entweder – oder‘. Vielleicht können die z. T. konträren Positionen im Museumswesen gegenüber Partizipation auch durch einen Ansatz entschärft werden, der Partizipation im Kern eben nicht als ,klassische‘ Anwendung oder ,bloße‘ Methode versteht, sondern als offenen Prozess, genauer gesagt als Lernprozess – und zwar für alle Beteiligten. Aufseiten der Teilnehmenden bzw. der Noch-nicht-Teilnehmenden bedeutet dieser Lernprozess wohl vor allem, „Mitbestimmungsfähigkeit“ (Wolfgang Klafki) zu erlangen und einzuüben. Als ein Aspekt von Mitbestimmungsfähigkeit kann der „Mut zum Wagnis“ (Klafki 1996: 227) gelten oder allgemeiner formuliert: das „Sich-Einlassen“ (Schaub / Zenke 2007: 437). Diese scheinbar simple Fähigkeit, sich einlassen zu können, hat auch für die museale Diskussion um Partizipation besondere Relevanz, weil sich Projekterfolg oder -misserfolg oftmals schon an diesem frühen Punkt entscheiden. Wobei „Sich-Einlassen“ durchaus wechselseitig verstanden werden muss, denn Partizipation beinhaltet nach meinem Verständnis in erster Linie, dass Museen dazu bereit sind, sich auf die Gesellschaft zuzubewegen. Unter diesem Gesichtspunkt sei noch einmal daran erinnert, dass im ursprünglichen Kern des Worts Partizipation auch der Aspekt der Mitteilung enthalten ist – Partizipation heißt also auch, ein ernsthaftes Interesse daran zu haben, sich dem anderen mitzuteilen und dann in Dialog zu treten. Für die Institution Museum bedeutet dies folglich, dazu bereit zu sein, sich selbstkritisch mit den eigenen Mustern der Kommunikation, der Macht und der Repräsentation auseinanderzusetzen.
Ausblick Welche Auswirkungen könnte eine so verstandene partizipative Praxis langfristig haben? Naheliegend erscheint eine Bedeutungsverschiebung dahingehend, dass die Teilnehmer und das Teilnahmeerlebnis verstärkt in den Fokus der Museumsarbeit treten und eine Bedeutungsaufwertung erfahren werden (die wiederum auch eine graduelle Neubewertung bzw. Umwertung der traditionell zentralen Rolle des Objekts und der Sammlung im musealen Gefüge zur Folge haben dürfte). Das beeinflusst natürlich auch die kuratorische Arbeit, für die in zunehmendem Maße kommunikative, moderierende und beratende Fähigkeiten relevant werden. Kooperative Verfahrensweisen verlangen darüber hinaus sowohl Geduld als auch Spontaneität, vor allem aber eine Bereitschaft zu ernsthafter Kooperation und zur Abgabe von Macht. In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle von professionellen Vermittlern, die als Bindeglied zwischen Kurator und Teilnehmern bzw. Museum und Gesellschaft fun-
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gieren, aufgewertet werden (müssen), denn Partizipation ist vor allem Beziehungs- und Kommunikationsarbeit, für die es geschultes Fachpersonal braucht. Was das Selbstverständnis des Museums betrifft, so erscheint eine Entwicklung zur Fragen stellenden, Fragen aufwerfenden Institution anstatt zur bloß erklärenden naheliegend. Damit einhergehend wird es weniger um stringente und möglichst umfassende Ausstellungsnarrationen gehen, sondern vielmehr um Ausschnitthaftigkeit und Vielstimmigkeit. Brüche und Irritationen in der Narration sind dabei nicht nur eine logische Folge, sondern angestrebtes Ziel.
Literatur Ehmayer, Cornelia: Kulturvermittlung und Partizipation. Bewertung von fünf Kulturvermittlungsprojekten unter dem Aspekt der Partizipation. Abschlussbericht einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien 2002. Fürstenberg, Stephan / Motakef, Mona: „Verzehrungen eines Gastmahls. Die Figur des Gastgebenden in partizipatorischen Kunstprojekten“, in: Blohm, Manfred / Burkhardt, Sara / Heil, Christine (Hg.): Tatort Küche. Kunst, Kulturvermittlung, Museum. Die Küche als Lebens- und Erfahrungsort, Flensburg 2009, S. 135–142. Georges, Karl Ernst u. Heinrich: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 11. Aufl., Nachdruck d. 8. verb. u. verm. Aufl., Hannover 1962. Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bearb. v. Moritz Heyne, Leipzig 1885. Hillmann, Karl-Heinz / Hartfiel, Günter (Hg.): Wörterbuch der Soziologie. 4., überarb. und erg. Aufl., Stuttgart 1994. Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 5., unveränd. Aufl., Weinheim 1996. Kravagna, Christian: „Modelle partizipatorischer Praxis“, in: Babias, Marius / Könneke, Achim (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen. Projekte, Ideen, Stadtplanungsprozesse im politischen, sozialen, öffentlichen Raum, Amsterdam 1998, S. 28–47. Mörsch, Carmen: Vier Funktionen der Vermittlungsarbeit in Museen und Ausstellungsinstitutionen – von den Institutionen her gedacht, 2009, Onlinedokument, http: / / iae.zhdk.ch / fileadmin / data / iae / documents / vier_funktionen_der_kunstver mittlung.pdf (eingestellt 2009) [letzter Zugriff 13.06.2011] Rollig, Stella: „Zwischen Agitation und Animation. Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, in: Rollig, Stella / Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum. Art, Education, Cultural Work, Communities, Wien 2002, S. 128–139. Schaub, Horst / Zenke, Karl G.: Wörterbuch Pädagogik. Orig.-Ausg., grundlegend überarb., aktualisierte und erw. Neuausg., München 2007. Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010.
PRAXISBEISPIELE
B
Dein Stadtbild – Hannover 2010 Partizipation und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen im Stadtmuseum Jan Willem Huntebrinker
Museen wünschen sich derzeit von ihren Besuchern Beteiligung an der Museumsarbeit. Dabei geht es nicht mehr um die alte bildungspolitische Forderung nach einem ,Museum für alle‘, sondern vielmehr um ein ,Museum von allen‘. Möglichst heterogene Besucherkreise sollen sich in die Museumsarbeit einbringen, ihre Perspektiven auf bestimmte Themen im Museum sichtbar werden lassen oder sogar selbst über die Themen entscheiden, mit denen sich das Museum beschäftigt. An die Partizipation der Besucher werden hohe Erwartungen geknüpft, da sie der Museumsarbeit verstärkte Relevanz und Legitimation verleihen soll. Stadtmuseen stehen bei der Diskussion um neue Formen der Beteiligung momentan im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kein Wunder, denn sie haben ein besonderes Interesse daran, ihre Relevanz für die Stadtgesellschaft unter Beweis zu stellen, und deshalb zu erfahren, welche Themen die Stadtgesellschaft bewegen und wie die Stadtbewohner diese Themen sehen. Dies gilt insbesondere angesichts einer zunehmenden Ausdifferenzierung und Pluralisierung urbaner Gesellschaften und der damit einhergehenden heterogenen Interessenlagen der Stadtbewohner. Zugleich erhoffen sich die Museen von der Beteiligung der Bürger an der Museumsarbeit eine stärkere Identifikation mit ,ihrem Stadtmuseum‘. Die Besucher sollen feststellen, dass das Museum nicht nur Themen ausstellt, die ihre Lebenswelt und Interessen berühren, sondern auch, dass sie selbst Einfluss nehmen und ihre eigenen Perspektiven einbringen können, wodurch ihre Anliegen zu den Anliegen des Stadtmuseums werden. Das hier vorgestellte Projekt hat die Beteiligung einer spezifischen Gruppe der Stadtgesellschaft – Kinder und Jugendliche – an der Arbeit eines Stadtmuseums er-
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probt.1 Dabei stand das Bestreben im Vordergrund, den Teilnehmern des Projekts die Möglichkeit zu eröffnen, ihre eigenen Perspektiven auf die Stadt und ihr Image sowie ihr Lebensgefühl in der Stadt darstellen zu können.
Projektrahmen und Ziele Stadtbilder gehören zu den klassischen Sammlungs- und Ausstellungsthemen eines Stadtmuseums. Die Dokumentation des Wandels von Topografie und Image der Stadt, die in den Stadtbildern zum Ausdruck kommen, gehört zu den ureigensten Aufgaben eines Stadtmuseums. Ausstellungen, die diesen Wandel zeigen, sind in der Regel beim Publikum sehr beliebt und sind häufig ein selbstverständlicher Bestandteil der Dauerausstellung von Stadtmuseen.2 Während die meisten Sammlungen eine große Anzahl historischer Stadtbilder aufweisen, wird die Entscheidung darüber, welche aktuellen Stadtbilder in die Sammlung aufzunehmen sind, zunehmend schwierig. Das liegt an der Bilderflut, die zudem von einer großen Heterogenität geprägt ist. Stadtbilder sind eben nicht mehr allein Produkt mehr oder weniger offizieller Auftragswerke, sondern das Werk ganz unterschiedlicher Personen, die ganz unterschiedliche Motive, Perspektiven und Motivationen einbringen. Wo sollte aber angesichts der nahezu unendlichen Verbreitung und stetigen Zunahme von Stadtaufnahmen im digitalen Bildzeitalter ein schlüssiges Sammlungskonzept ansetzen? Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen entstand die Idee zum Projekt. Ziel war es, durch eine bestimmte Gruppe von Stadtbewohnern eine aktuelle Serie von Stadtbildern erstellen zu lassen und diese dann auszustellen. Es ging also darum, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, ihren spezifischen Perspektiven auf die Stadt bildlichen Ausdruck zu verleihen und diese Perspektiven im Museum einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Beteiligt haben sich rund 30 Kinder und Jugendliche aus einer Grundschule, einer Realschule sowie einem Gymnasium (9. und 12. Klasse). Ausgerüstet mit Fotoapparaten haben sie den urbanen Raum erkundet und ihre Sichtweisen auf die schönen, die hässlichen und die typischen Orte der Stadt festgehalten. Begleitet wurden sie dabei von einem professionellen Fotografen, bei dem die Teilnehmer zuvor einen Workshop zur Digitalfotografie und zur Bildbearbeitung absolviert hatten. Sichtbares Ergebnis war die Ausstellung einer Auswahl von 40 der weit über 100 entstandenen Fotografien. Die
1 | Der Beitrag ist eine erweitere Form der Projektbeschreibung: Huntebrinker, Jan Willem: „Dein Stadtbild – Hannover 2010. Ein Projekt kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche“, in: Standbein – Spielbein 88 (2010), S. 49 – 51. 2 | Vgl. Urban, Andreas / Ziegan, Uta (Hg.): Stadtbilder. Hannover 1870 – 1900 (Schriften des Historischen Museums Hannover; Bd. 36), Hannover 2010. Die Auseinandersetzung mit dieser Ausstellung gab den Anlass zum hier vorgestellten Projekt.
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Entscheidung, welche der zahlreichen Bilder in die Ausstellung gelangen sollten, wurde von den Teilnehmern selbst durch ein moderiertes Abstimmungsverfahren getroffen. Das Museum war nicht nur Ausstellungsort, dem Fotoprojekt gingen auch Workshops in der Dauerausstellung voraus, bei denen sich die Schüler mit dem historischen Wandel von Stadtbildern und ihren medialen und kulturellen Darstellungsbedingungen beschäftigt haben. Das Museum verfolgte mit dem Projekt sowohl museumspolitische als auch pädagogische Ziele, die eng mit den oben beschriebenen Erwartungen an die Eröffnung von Partizipationschancen in einem Stadtmuseum verbunden sind: Erstens sollte das Projekt das Profil des Historischen Museums Hannover als Stadtmuseum schärfen, indem eine aktuelle und spezifische Bestandsaufnahme von Stadtbildern hervorgebracht und ausgestellt wurde. Zweitens sollte es die Kinder und Jugendlichen zu einer Auseinandersetzung mit ihrer urbanen Lebenswelt, dem Erscheinungsbild und dem Image der Stadt anregen.3 Drittens ging es um die Vermittlung von Medienkompetenz im Umgang mit der Digitalfotografie als alltäglich genutztes Medium, dessen Bedingungen und Potentiale dabei aber selten reflektiert werden. Viertens sollte eine starke Beteiligung und Mitbestimmung der Schüler an der Arbeit ihres Stadtmuseums erprobt werden.
Digitalfotografie und urbane Lebensräume Die digitale Fotografie hat die Produktion und den Umgang mit Bildern in unserer Gesellschaft radikal verändert. Noch nie wurden so viele Bilder von so vielen Menschen angefertigt wie heute. Dies gilt besonders auch für Kinder und Jugendliche. Noch vor wenigen Jahren wäre es nahezu undenkbar gewesen, dass sie in einem so hohen Ausmaß Bilder produzieren. Kinder und Jugendliche nutzen das Medium inzwischen ganz selbstverständlich und alltäglich. Sei dies, um Erlebnisse des Alltags mit der Handykamera festzuhalten oder um in sozialen Netzwerken, wie schülerVZ oder Facebook, an ihrer medialen Selbstdarstellung zu arbeiten (vgl. Scharnberg 2009; Meier 2009). Medienkompetenz für den Umgang mit Digitalfotografie steht allerdings eher selten auf den Lehrplänen der Schulen und kann höchstens in außerschulischen Bildungseinrichtungen erlernt werden. Dabei verdient gerade das Medium Digitalfotografie eine besondere analytische Aufmerksamkeit. Die Möglichkeit, auf den Auslöser zu drücken und im selben Moment ein scheinbar genaues Abbild der Realität zu besitzen, lässt das Medium besonders authentisch wirken. Im unreflektierten Umgang mit dem Medium scheint es so, als erzeuge es unhinterfragbare ,Abbilder der Wirklichkeit‘. Die Erfahrungen mit Digitalfotografie bestätigen damit eine Vorstellung vom Wesen der Fotografie, gegen die Kulturwissenschaftler schon seit langer Zeit ankämpfen, indem sie auf die 3 | Entwickelt wurde diese Zielsetzung aus der Beschäftigung mit dem Paradigma der Eigenlogik der Stadt in der neueren Stadtsoziologie. Vgl. Löw, Martina: Soziologie der Städte, Frankfurt a. M. 2008; Berkin, Helmuth/ Löw, Martina (Hg.): Die Eigenlogik der Städte, Frankfurt a. M. 2008.
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Konstruiertheit der fotografischen Wirklichkeit hinweisen.4 Eine Sensibilisierung im Umgang mit analoger Fotografie hat deshalb auch längst in den Schulunterricht und in die Schulbücher Einzug gehalten. Als „Bilder, die lügen“ ist das Spiel zwischen Schein und Sein der Fotografie auch in breitenwirksamen Ausstellungen thematisiert worden.5 Und dennoch: bei der Digitalfotografie, deren Manipulationsmöglichkeiten besonders vielfältig und unaufwendig sind, fehlt eine breite Auseinandersetzung, erst recht als Angebot für Kinder und Jugendliche. Eines der Ziele des Projekts war es, Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen, dass auch die spontane, scheinbar eher abbildende Digitalfotografie konstituierende Wirklichkeitsausschnitte zeigt. Neben der Vermittlung von Medienkompetenz war ein weiteres pädagogisches Anliegen des Projekts die Sensibilisierung der Kinder und Jugendlichen für ihren urbanen Lebensraum. Alle Teilnehmer leben und bewegen sich täglich in der Stadt. Dabei wird der urbane Raum im Alltag in der Regel als scheinbar natürlicher Lebensraum wahrgenommen oder vielleicht besser gesagt: Er wird einfach so hingenommen. Über den Einfluss von Architektur und Stadtgestaltung, von der Anlage von Verkehrswegen oder Quartiersstrukturen auf den Alltag der jungen Menschen machen sich die meisten von ihnen aber kaum Gedanken. Das Projekt verfolgte daher auch das Ziel, die Wahrnehmung hierfür zu schärfen.
Museum 2.0 – Kinder und Jugendliche als Kuratoren einer Ausstellung Eine Besonderheit des Ausstellungsprojekts war das hohe Ausmaß der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Auswahl der Bilder für die Ausstellung. Da es das Ziel war, der Perspektive der Teilnehmer Ausdruck zu verleihen, haben sich die Projektleiter nicht inhaltlich in den Auswahlprozess eingeschaltet, sondern die Kinder und Jugendlichen selbst die Auswahl treffen lassen. Gearbeitet wurde dabei mit einem Punktevergabesystem. Jede Schülerin und jeder Schüler konnte jeweils bis zu drei Punkten an die Bilder vergeben, die sie oder er am eindrucksvollsten fand. Somit entstand ein klares Ranking. Dieses Vorgehen wurde von allen Beteiligten als positiv, da transparent und fair, eingestuft. Diese direkte Beteiligungsform der Schüler hat besonders motivierend gewirkt und führte auch zu einer spürbar starken Identifizierung mit der Institution Museum, da sie nun als gestaltungsoffen und interessiert an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen wahrgenommen wurde. Die Museumsmitarbeiter und 4 | Die Diskussion zusammenfassend: Dubois, Philipe: „Von der Wirklichkeit zum Index. Ein kleiner historischer Rückblick auf das Problem des Realismus in der Fotografie“, in: ders.: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam u. a. 1998, S. 27–58; Jäger, Jens: Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung, Tübingen 2000. 5 | Vgl. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Bilder, die lügen, 3. Aufl., Bonn 2003.
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anderen professionellen Projektbeteiligten verstanden ihre Rolle dann auch eher als die von Moderatoren, als ,Anreger‘ und ,Ermöglicher‘ von Prozessen und nicht so sehr als ,Entscheider‘ und ,Bestimmer‘.
Fazit Das Projekt hat eine Beteiligungsform von Kindern und Jugendlichen an der Museumsarbeit erprobt und dabei pädagogische und museumspolitische Zielsetzungen verfolgt. Das Thema (aktuelle Stadtbilder) und die Herangehensweise (starke Beteiligung) sollten das Profil des Museums als ein Stadtmuseum stärken, in dem die Stadtbewohner selbst ihre Perspektiven auf die Stadt einbringen und zur Diskussion stellen können. Die Erwartung einer stärkeren Identifizierung der Teilnehmer mit ihrem Stadtmuseum wurde erfüllt, da sich das Museum in ihrer Wahrnehmung von einem Ort der eher passiven und ,erzwungenen‘ Rezeption der Museumsinhalte im Rahmen eines klassischen Schulbesuchs zu einem Ort mit Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten gewandelt hat. Eine dringende Aufgabe für die Zukunft ist es, darüber nachzudenken, wie solche temporären und stark themenbezogenen Partizipationschancen außerhalb von begrenzten Projekten ermöglicht und damit auch verstetigt werden können, um dem Ziel einer stärkeren Identifikation von ganz unterschiedlichen Gruppen der Stadtgesellschaft mit ihrem Stadtmuseum näherzukommen.
Literatur Berkin, Helmuth/Löw, Martina (Hg.): Die Eigenlogik der Städte, Frankfurt a. M. 2008. Dubois, Philipe: „Von der Wirklichkeit zum Index. Ein kleiner historischer Rückblick auf das Problem des Realismus in der Fotografie“, in: ders.: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam u. a. 1998, S. 27–58. Huntebrinker, Jan Willem: „Dein Stadtbild – Hannover 2010. Ein Projekt kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche“, in: Standbein – Spielbein 88 (2010), S. 49–51. Jäger, Jens: Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung, Tübingen 2000. Löw, Martina: Soziologie der Städte, Frankfurt a. M. 2008. Meier, Stefan: „‚Pimp your profile‘ – Fotografie als Mittel visueller Imagekonstruktion im Web 2.0“, in: IMAGE 9 (2009). Scharnberg, Gianna Lisa: „Der virtuelle Knipser und seine digitalen Bilder im StudiVZ. Eine Fallstudie“, in: Ziehe, Irene / Hägele, Ulrich (Hg.): Digitale Fotografie. Kulturelle Praxis eines neuen Mediums, Münster u. a. 2009, S. 119 – 130. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Bilder, die lügen, 3. Aufl., Bonn 2003. Urban, Andreas / Ziegan, Uta (Hg.): Stadtbilder. Hannover 1870 – 1900 (Schriften des Historischen Museums Hannover; Bd. 36), Hannover 2010.
Stadtgeschichte(n) Das partizipative Ausstellungsprojekt „Meine Sache. Bremens Gegenwart“ Anja Piontek
„Meine Sache. Bremens Gegenwart“ war ein partizipatives Ausstellungsprojekt im Focke-Museum (Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte), das in diesem Text aus Kuratorensicht vorgestellt und reflektiert werden soll.1 Im Rahmen des Projekts war die Bremer Bevölkerung dazu aufgerufen, Exponate für einen Jahresrückblick der besonderen Art auf Bremen im Jahr 2005 vorzuschlagen und zu begründen. Aus persönlichen Dingen und den daran festgemachten Erinnerungen entstand 2006 eine Ausstellung, die Leihgeber 2 wie auch Besucher an der Gestaltung und am Rahmenprogramm3 der Ausstellung partizipieren ließ. Uns Kuratoren ging es bei diesem experimentellen Projekt vor allem darum, Partizipation in verschiedenen Bereichen musealer Arbeit praktisch zu erproben. Leitfragen waren beispielsweise: Wie sieht eine geeignete Präsentationsform für partizipativ generierte Inhalte aus? Wie gelingt es, Teilnehmern einerseits eine „substanzielle Beteiligung und Mitsprache“ (Baur 2008: 47) zu ermöglichen, andererseits der Gefahr einer späteren Privatausstellung nur für Leihgeber zu entgehen? Ist Partizipation ein Mittel, um Strömungen der Gegenwart auszumachen? 1 | Projektdauer: April 2005 bis November 2006, Ausstellung: 16. Juli bis 29. Oktober 2006. Kuratoren: Dr. Jörn Christiansen, Anja Piontek, Britta Janssen, Jakob Hartmann, Cynthia Hoedoro, Ute Duwensee, Barbara Campaner, Jarkynay Minbaeva. 2 | Ich beschränke mich im Text auf die Verwendung maskuliner Bezeichnungsformen, die ich jedoch geschlechtsneutral verwende. 3 | An Leihgeberführungen wirkten jeweils zwei bis vier Leihgeber mit. Abgesehen davon gestaltete ein Leihgeber (ein iranischer Musiker, der zur Ausstellung sein Instrument eingereicht hatte) das musikalische Rahmenprogramm von Vernissage und Finissage.
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Wie gewannen wir Teilnehmer? In der ersten Projektphase waren alle Bremer eingeladen, ‚ihre Sache des Jahres 2005‘ auszuwählen und ihre Auswahl zu begründen. Die traditionell den Fachleuten im Museum vorbehaltene Aufgabe der Objektauswahl und -bewertung wurde damit – zumindest graduell – demokratisiert (wegen der begrenzten Ausstellungsfläche mussten wir aus den Vorschlägen eine Auswahl treffen). Die erhoffte Resonanz auf unsere Medienaufrufe und Flyer blieb zunächst jedoch hinter unseren Erwartungen zurück. Die entscheidende Wende brachte die Erkenntnis, die plakativ formuliert lautete: Wenn wir wollen, dass die Stadt ins Museum kommt, dann müssen wir zunächst raus aus dem Museum und hin zu den Menschen, die wir einladen wollen! Es stellte sich als unbedingt notwendig heraus, dass wir das Museum als solches verließen, um an den unterschiedlichsten Orten und mit oftmals unkonventionellen Methoden mit Menschen ins Gespräch zu kommen.4 Dabei zeigte sich, dass es enorme Hemmschwellen gab: Kaum jemand wollte sich anmaßen, etwas ‚Museumswürdiges‘ zu besitzen. In der Vorstellung unserer Gesprächspartner hatte das, was ein Museum interessiert, und das, was ihre Lebensrealität ausmacht, nichts miteinander gemein. Erst durch uns bekam für viele das abstrakte Konstrukt Museum ein ‚menschliches Gesicht‘ und damit eine Möglichkeit des Zugangs. Letztlich erzielten wir eine zufriedenstellende Resonanz von rund 200 Einsendungen von Menschen im Alter zwischen 12 und 83 Jahren.
Die Ausstellungsgestaltung In der Frage nach einer geeigneten Präsentationsform wählten wir einen Weg, der den Projektteilnehmern, aber auch den Ausstellungsbesuchern5 weitere Beteiligungsmöglichkeiten bot und die Partizipationsintensität des Projekts widerspiegelte: Eine Mischung aus ‚klassisch-musealer‘ Präsentation – um so die in der Gegenwart verhafteten Gegenstände eindeutig als „zu musealen Objekte[n] erhöht[e] Dinge“ (Sturm 1991: 107) zu kennzeichnen – bei gleichzeitiger Unterwanderung derselben. Die rund 60 Exponate wurden in einem geheimnisvoll abgedunkelten Raum auf Einzelsockeln präsentiert. Die typisch museale „Enträumlichung“ (ebd. 106) erfolgte bei uns nicht mit Vitrinenglas, sondern durch einen mit rotem Teppich ausgelegten Laufsteg, der den 4 | Wir fuhren z. B. auf Märkten und Plätzen mit einem museumseigenen Oldtimer vor, der sich als optisches Lockmittel und Gesprächsanlass sehr bewährte. Die unkonventionellste Aktion war jedoch ein eigener Flohmarktstand, bei dem die vermeintlichen Verkaufsobjekte dazu dienten, als exemplarische Erinnerungsstücke unsere Projektidee anschaulich zu vermitteln. 5 | Ein leerer Sockel mit entsprechendem Text lud die Besucher dazu ein, selbst ein Erinnerungsstück beizusteuern. Die Ausstellung war also darauf angelegt, zu wachsen. Als handhabbare Lösung für Kuratoren und Haustechnik wurden die Besucherobjekte in einer gesonderten Vitrine präsentiert.
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Raum zweiteilte und die Besucher von den Exponaten trennte. Wir haben den Dingen aus der Bevölkerung also ‚den roten Teppich ausgerollt‘. Erläuterungen zu den Ausstellungsstücken fehlten auf den ersten Blick scheinbar gänzlich, weil sich die Texte unter Klappen auf der Brüstung des Laufstegs verbargen. So konnten die Exponate zunächst allein in ihrer sinnlichen Präsenz wirken. Die Besucher mussten – quasi in Schatzgräbermanier – den unsichtbaren Erinnerungswert der Dinge im wortwörtlichen Sinn erst freilegen. Zum Vorschein kamen Texte, die die Leihgeber selbst verfasst hatten und die wir unverändert im ‚O-Ton‘ und in Originalhandschrift6 präsentierten. Jede Objekt-Text-Kombination überschrieben wir augenzwinkernd mit einem Adjektiv (z. B. ‚heilig‘ oder ‚strapaziert‘). So sollte die ansonsten im Museum übliche Klassifizierung humorvoll gebrochen werden, damit Dingbedeutsamkeiten als menschengemacht und verhandelbar deutlich werden konnten. Ein weiteres partizipatives Ausstellungselement war eine Foto-Beamershow, die die Leihgeber (sofern sie sich beteiligen wollten) zu Hause mit ‚ihrer Sache‘ zeigte. Flankiert wurde die Fotoshow von einer offiziellen Stadtchronik mit den wichtigsten Pressemeldungen des Jahres, anhand derer die vielen Querverbindungen von persönlichen Erinnerungen und offizieller Stadtgeschichte ablesbar waren. Vielfach kamen im persönlichen Erinnern neben lokalgeschichtlich Bedeutsamem auch gesamtgesellschaftliche Themen zum Tragen. So symbolisierte z. B. ein Puppenwägelchen für seine im Jahr 2005 40 Jahre alt gewordene Besitzerin das schmerzliche Dilemma zwischen unerfülltem Kinderwunsch und mangelnder beruflicher Absicherung und warf so ganz konkret eine „Frage mit gesellschaftspolitischer Dimension“ (Zitat aus dem Leihgebertext) auf. Weiter erzählten Objekte etwa von Sozialabbau, dem Kampf um den Arbeitsplatz, Globalisierung oder Flüchtlingspolitik. Dies zeigt, dass, entgegen der häufigen Befürchtung, ein subjektiver Blickwinkel nicht zwangsläufig auch zu einer Trivialisierung eines Sachverhalts im Museum führen muss.
Wechselwirkungen zwischen Partizipation und kuratorischer Arbeit Gemessen an den von Cornelia Ehmayer (Ehmayer 2002: 38) benannten Kriterien zur Bestimmung der Partizipationsintensität, nämlich 1. dem Bezug zu Entscheidungsstrukturen und 2. der Wirksamkeit des Einflusses, wies unser Projekt einen recht hohen Grad an Einfluss- und Mitgestaltungsmöglichkeiten auf. Indem etwa alle Teilnehmer völlige Entscheidungshoheit hatten, was sie im ersten Schritt an das Museum herantragen wollten, bestimmten sie zugleich die Arbeitsgrundlage für alle weiteren Schritte der Kuratoren. Diese projektimmanente Ergebnisoffenheit und erhöhte Planungsunsicherheit verlangte von uns (Rollen-)Flexibilität und prozessorientiertes Denken und Handeln. Waren wir anfangs eher Mediatoren, die eine Brücke zwischen Bremern und Projekt zu schlagen suchten, fungierten wir im weiteren Verlauf gewissermaßen als An6 | Zur besseren Lesbarkeit gab es auch eine maschinengeschriebene Fassung.
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wälte des Museums und Anwälte der Museumslaien in einem. Als Vertreter der Institution mussten wir versuchen, wie Seismografen hinter den persönlichen Geschichten deren mögliche übergeordnete Relevanz aufzuspüren und einzuschätzen. Dabei durften wir andererseits nicht vergessen, dass hinter jedem Vorschlag – sei er in unseren Augen vielleicht auch trivial – ein Mensch stand, der es verdient hatte, mit seiner Geschichte ernst genommen und für seinen Mut zur Teilnahme anerkannt zu werden.
Projektleistungen Trotz der Anlaufschwierigkeiten in der ersten Phase gelang es uns, Menschen einer breiten Altersspanne für unser Projekt zu interessieren, darunter auch solche, die bisher kaum mit der Institution Museum in Berührung gekommen waren. Dem offenen Charakter des Projekts entsprach es, dass wir Kuratoren uns zurücknahmen, damit die individuellen Perspektiven der Teilnehmer in den Vordergrund treten konnten. Durch die so erzielte Multiperspektivität und den Facettenreichtum an Objekten, Geschichten und Erzählstilen hat „Meine Sache“ Identifikationspunkte für unterschiedlichste Menschen geboten und sprach verschiedene Generationen gleichermaßen an. Wie Eintragungen aus dem Besucherbuch nahelegen, fungierte vor allem der subjektiv-biografische Blickwinkel als ansprechender und Neugier weckender ‚Türöffner‘ für bisher eher ‚museumsungeübte‘ Leihgeber und Besucher. Aus unserer Sicht hat es sich also gelohnt, Offenheit und Ungewissheit zu riskieren und insbesondere auch das Wagnis der selbst verfassten Leihgebertexte einzugehen. Indem wir den verschiedenen Blickwinkeln der Bremer Raum gaben – aber auch durch die gegenwartsbezogene Themenstellung sowie durch die Bereitschaft, zu den Menschen in die Stadt zu kommen –, hat sich das Focke-Museum als ein bürgernahes und gegenwärtiges Museum gezeigt. Für Teilnehmer wie für Besucher ist das Focke-Museum so zu ,ihrer Sache‘ geworden. Insgesamt erscheint es lohnenswert, neben dem regulären Ausstellungsbetrieb turnusmäßig ein feststehendes Format wie etwa ,Meine Sache‘ zu etablieren.
Resümee Will die Institution Museum den Weg zu mehr Bürgerbeteiligung gehen, ist es wichtig, partizipative Projekte als offene, nicht ganz risikolose Prozesse anzuerkennen, in denen die Dinge u. U. immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden müssen und bei denen „Mut zur Polarisierung“ (Parmentier 2009: 89) nicht fehlen darf. Das muss erlernt werden – sowohl auf Seiten der Bevölkerung als auch auf Seiten der Kuratoren. Mit Blick auf die langfristigen Planungsprozesse im Ausstellungsbetrieb steckt hierin auch eine logistische Herausforderung. Abgesehen davon ist Partizipation für Kuratoren und Museum ein anstrengender Prozess, weil er den Willen voraussetzt, sein Gegenüber ernst zu nehmen – und zwar mit all den Konsequenzen, die daraus früher oder später
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für die museale Arbeit und das Selbstverständnis der Institution Museum folgen. Wir dürfen gespannt sein, welche neuen Wege und Blickwinkel sich dadurch für das Museum eröffnen.
Literatur Baur, Joachim: „Museum 2.0 – Notizen zum Museum als Plattform gesellschaftlichen Wandels“, in: Museumskunde 2 (2008), S. 42 – 50. Ehmayer, Cornelia: Kulturvermittlung und Partizipation. Bewertung von fünf Kulturvermittlungsprojekten unter dem Aspekt der Partizipation. Abschlussbericht einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien 2002. Parmentier, Michael: „Agora. Die Zukunft des Museums“, in: Pädagogische Korrespondenz 39 (2009), S. 81 – 90. Piontek, Anja / Janssen, Britta / Campaner, Barbara: „Meine Sache. Ein Ausstellungsprojekt zum Sammeln in der Gegenwart“, in: Mitteilungsblatt Museumsverband Niedersachsen und Bremen 68 (2007), S. 49 – 56. Sturm, Eva: Konservierte Welt. Museum und Musealisierung, Berlin 1991.
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„OSTEND / / OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“ Die erste partizipative Stadtlabor-Ausstellung des historischen museums frankfurt Katja Weber
Die Gegenwart gestalten und die Zukunft andenken. Dieser Vision folgt das historische museum frankfurt mit dem Stadtlabor, seinem partizipativen Ausstellungsformat. Es möchte damit u. a. jene Themen im sozialen Stadtraum aufspüren, die bedeutsam für unsere urbanen Lebensrealitäten sind. Basierend auf der Idee eines Forums, schafft das Stadtlabor Ausstellungsräume, in denen kommunikative Aushandlungen über aktuelle, vergangene, zukünftige, alltägliche, ungewöhnliche oder drängende Themen möglich werden. Da das Museum bis in das Jahr 2015 an der Verwirklichung des Neubaus und der neuen Dauerausstellungen arbeitet, war das Stadtlabor-Team vom Dezember 2011 für fünf Monate im Frankfurter Stadtteil Ostend unterwegs, um sein erstes partizipatives Ausstellungsprojekt zu realisieren. Das Viertel gilt derzeit als einer der interessantesten Frankfurter Stadtteile, denn als ehemaliges Industrieviertel erfährt es seit geraumer Zeit einschneidende städtebauliche und soziale Umwertungen, u. a. durch den Zuzug der europäischen Zentralbank, die mit dem Begriff Gentrifizierung umschrieben werden. Wir als Stadtlaborteam 1 wollten der Frage nachspüren, wie die Bewohner und Bewohnerinnen mit den Veränderungen im Stadtteil umgehen, die ja immer auch persönliche Bewegung und Umbruch bedeuten. Realisiert wurde die Ausstellung im Ostend auf einer 620 qm umfassenden, leerstehenden Fläche in einem ansonsten gut vermieteten Bürogebäude. Das sogenannte 1 | Das Team setzte sich aus Susanne Gesser (Projektleiterin), Angela Jannelli (wissenschaftliche Mitarbeiterin), mir (wissenschaftliche Volontärin) und den beiden Praktikantinnen Karoline Schmidt und Verena Wolf zusammen.
„OSTEND / / OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“
Kontorhaus entstand 2004 direkt am Hafenbecken des Osthafens und verkörpert paradigmatisch den Wandel des Viertels vom Industrie- zum Dienstleistungsstandort. In 38 Ausstellungsbeiträgen richteten hier verschiedenste Menschen aus dem Viertel und Menschen, die sich aus persönlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen mit dem Stadtteil beschäftigen, authentische und abwechslungsreiche Blicke auf das Ostend. Nicht entlang eines roten Fadens wurde ,die‘ Geschichte des Ostends erzählt, sondern fragmentarisch und kaleidoskophaft standen die einzelnen Beiträge für die menschliche Vielfalt, die verschiedenen Orte und Institutionen des Viertels. Manche blickten auf seine Vergangenheit, manche nahmen die Gegenwart zum Thema, andere schauten in die Zukunft oder setzten sich kritisch mit den Begleiterscheinungen und Folgen des Wandels auseinander. Trotz der (von der Gruppe) getroffenen Entscheidung, die Beiträge eigenständig zu präsentieren, kommentierten und kontextualisierten sie sich durch die Art und Weise ihrer Anordnung zueinander und erzählten somit ,mehrere‘ Geschichten über das Ostend.
Über die Gestaltung des partizipativen Prozesses Nach einer kurzen, aber intensiven Phase der Recherche (vgl. Abb. 1) nahm ich mir in der Rolle der initiierenden Akteurin die Feldforschung aus der qualitativen Soziologie und Ethnologie zum Vorbild und beobachtete die Bewegungen auf den Plätzen des Viertels, in seinen Straßenzügen und Gebäuden, ging in Fahrradshops und Buchläden, Cafés, Kioske und Kultureinrichtungen. Zu diesem Zeitpunkt kontaktierte ich persönlich oder schriftlich gezielt jene Akteure, die in der Literatur als Antriebskräfte, Gewinner, Verlierer oder einfach nur als Betroffene von Gentrifizierungsprozessen identifiziert werden. In dieser Phase des Feldeinstieges wollte ich erfahren, welche Themen, Fragen und Probleme in Bezug auf das Viertel für die Bewohner sowie die dort arbeitenden Menschen bedeutsam und erzählenswert sind und ob die Bereitschaft für eine gemeinsame Ausstellung vorhanden sein würde. Die zwar zurückhaltende, aber neugierige Resonanz auf mein Anliegen bestärkte uns schließlich im Team, sowohl persönlich als auch öffentlich über die Presse zu einem Workshop einzuladen, zu dem über 40 Personen an einem Sonntag im Dezember kamen. Mithilfe der Gruppenmethode „World-Café“ 2 wollten wir wissen, was das Ostend für die Teilnehmer unverwechselbar mache und wie sie es in einer Ausstellung darstellen würden. An der ernsthaften Mitarbeit und der regen, diskussionsfreudigen Stimmung wurde deutlich, dass wir den ,Wandel des Ostends‘ mit den daran direkt oder indirekt beteiligten Akteuren in einer gemeinsamen Ausstellung sichtbar machen würden. Mit diesem Treffen begann die Phase der Konsolidierung und einige Teilnehmer / -innen erarbeiteten bereits ihre Ausstellungsbeiträge. Manche Workshopbesucher / -innen stiegen aus dem Projekt aus 2 | Für eine Erläuterung der Methode vgl. http://www.theworldcafe.com/translations/ Germancafetogo.pdf [letzter Zugriff 29.08.2011].
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– häufig persönlich begründet –, während weitere durch Mundpropaganda hinzu gewonnen wurden. Die Rücksprache mit den Kolleginnen im Museum war unbedingt notwendig, denn das Aushalten der „projektimmanenten Ergebnisoffenheit und Planungsunsicherheit“ (Anja Piontek) war vor allem bis zu diesem Zeitpunkt nur durch eine gemeinsame, professionelle Reflexion des eigenen Handelns möglich. Um weiterhin an den alltäglichen Lebenszusammenhängen im Viertel teilzunehmen, weitere Ostend-Akteure zu erreichen und neue Ausstellungsobjekte zu sammeln, richteten wir das Projektbüro in einem Bauwagen ein, mit dem ich mich an einer hoch frequentierten und gut erreichbaren Straße im Viertel positionierte. Der Bauwagen übernahm vor allem die Funktion einer Kontaktzone zwischen den Ausstellenden und dem Stadtlabor-Team. Es begann die Phase der Erarbeitung. Mit einer von uns aus initiierten Sammlungsaktivität versuchte ich, jene Themen in der Ausstellung abzubilden, die für das Ostend prägend sind, aber durch die bisherigen Ausstellenden noch nicht abgedeckt waren. Als Maßgabe dienten mir hierfür zum einen die Ergebnisse aus den Recherchen und zum anderen die dokumentierten Meinungen aus dem ersten Workshop. Schließlich gingen die im Viertel gesammelten Alltagsobjekte und ihre Geschichten in Form eines Musée Sentimental in die Ausstellung ein. Ein zweites Gruppentreffen fand in den Atelierräumen eines Teilnehmers (Jugendladen Bornheim) statt. Jeder stellte seinen Beitrag vor, wodurch sowohl die Anzahl der Ausstellungsbeiträge als auch die inhaltliche Vielfalt erkennbar wurden, die in der Ausstellung zu erwarten sein würden. Bewohner, Künstler, Stadtteilhistoriker, Einzelhändler, Sozial- und Jugendarbeiter, Kulturschaffende, Galeristen, Hobby- und Profifotografen, Lehrer, Studenten der Stadtplanung und Performancekünstler zählten zu den Mitwirkenden. Während dieses Treffens wurde ferner über den Ausstellungsort und den kostenlosen Eintritt abgestimmt sowie anstehende Aufgaben verteilt, wie die Entwicklung eines Stadtteilplans oder des Ausstellungskonzepts, das Verfassen und Redigieren der Ausstellungstexte, die Organisation des Rahmenprogramms bzw. der Vernissage und schließlich die Unterstützung beim Ausstellungsaufbau. Dem Stadtlabor-Team kamen im Entstehungsprozesses unterschiedliche soziale Rollen zu, die sich durch die Anliegen der Teilnehmer ergaben: Je nach Anforderung handelten wir als Beraterinnen, Moderatorinnen oder als Kuratorinnen. Als Beraterinnen, indem wir z. B. mit einer am Projekt beteiligten Fotografin die Auswahl der zu porträtierenden Personen beratschlagten, einen Sammler historischer Ansichtskarten bei der thematischen Zusammenstellung unterstützten oder dem Internationalen Familienzentrum Ausstellungsideen für die Umsetzung seiner spezifischen Migrationsthemen vorschlugen. Als Moderatorinnen lenkten wir den Gruppenprozess und moderierten die Workshoptreffen in dem Bestreben, eine offene, demokratische Gesprächskultur zu schaffen, in der die unterschiedlichen Wissensfelder und Fähigkeiten der Teilnehmenden gleichermaßen Entfaltung und Wertschätzung erfahren sollten. Und gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Kokuratoren aus dem Teilnehmerkreis übernahmen wir schließlich als Kuratorinnen das Erarbeiten einer thematischen Grundstruktur und eines räumlichen sowie gestalterischen Konzepts. In diesem letzten Workshop (Phase der Konzeption) suchten wir im Ausstellungsraum gemeinsam
„OSTEND / / OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“
mit den Kokurator/ -innen, den beratenden Ausstellungsarchitekten von Kossmann. dejong und dem ausführenden Schreiner anhand der vorhandenen Beiträge nach einem Präsentationskonzept. Aus der Vielzahl der Beiträge wurden fünf Oberthemen (Menschen, Orte, Vielfalt, Erinnerung, Zeit) herausgeschält, nach der die 38 Beiträge gruppiert werden sollten. Gleichzeitig entschied sich die Gruppe aber gegen eine offene Formulierung der Themen und dafür, jeden einzelnen Ausstellungsbeitrag mit seiner spezifischen Perspektive für sich stehen und wirken zu lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es uns während des gesamten Verlaufs gelungen, konsequent eine hohe Bereitschaft zur Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitentscheidung herbeizuführen und zu erhalten – u.a. auch durch den Einsatz des Blogs www.ostend.stadtlabor-unterwegs.de. Unser Projektbüro hatten wir mittlerweile in den zukünftigen Ausstellungsraum verlagert. Hierhin brachten die Ausstellenden ihre Objekte und erörterten mit uns die Präsentation oder bauten ihren Beitrag selbst mit den Schreinern auf. Abhängig vom persönlichen Zeitbudget halfen sie beim Streichen der Vitrinen und Zusammenbau der angefertigten Sockel und Wände bzw. bei der Hängung der Objekte und Texte. Auch das Rahmenprogramm wurde zum größten Teil von den Beteiligten gestaltet. Mit rund 1.300 Ausstellungs- und Veranstaltungsbesuchern über einen Zeitraum von acht Wochen haben wir keine quantitativ beeindruckende Zahl an Besuchern an dem eher abgelegenen Ausstellungsort erreicht. Uns überzeugte aber vielmehr die hohe Verweildauer der Einzelbesucher und positive Resonanz auf die „raue und spannende“, „ungewöhnliche“, „kreative“ „informative“, „wunderschöne“, „menschliche“ Ausstellung (Zitate aus dem Gästebuch). Kritische Stimmen fanden das Viertel in seinen vielschichtigen Facetten nicht abgebildet, vermissten „den roten Faden“ oder eine intensivere kritische Auseinandersetzung mit den negativen Folgen der Veränderungen. In dem letzten Prozessschritt, der Phase der Dokumentation ging es auch darum, die menschlichen Beziehungen, die das Stadtlabor-Team aufbauen konnte, über die Dauer des Projekts hinweg zu erhalten. Neben einer Publikation zur Erinnerung 3, die auch in das „Archiv der Projekte“, einen Teil der neuen Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“, eingehen wird, wird das Stadtlabor-Team auch in Zukunft aufgefordert sein, diese Kontakte zu pflegen.
3 | Die ausführliche Projektdokumentation ist auf der Website des historischen museum frankfurt zu finden: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/files/ostend_ ostanfang_dokumentation_web_1.pdf
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Museum
Forscher, teilnehmender Beobachter
Moderator
Berater
Moderator, Kurator
Kurator
Moderator, Kurator
FELDEINSTIEG
KONSOLIDIERUNG
ERARBEITUNG
KONZEPTION
AUSFÜHRUNG
DOKUMENTATION
hoch
Museum, Teilnehmer, Gestalter, Handwerker
gering
hoch
Teilnehmer, Museum, Gestalter
Museum
sehr hoch
sehr hoch
gering
gering
Intensität der Mitwirkung (Teilnehmer)
Teilnehmer
Teilnehmer, Museum
Museum
initiierende Akteure
Forscher
Rolle des Museums
RECHERCHE
Phase
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Abb. 1: Intensität der Partizipation an Inhalten und Entscheidungen in den Projektphasen (Abb.: Katja Weber)
Das experimentelle Museum Besuchergenerierte Ausstellungen museeon: Oraide Bäss, Paul Beaury, Antje Canzler, Yvonne Rieschl, Ute Schweizerhof, Julia Tödt museeon
„Remember_be member – Experimentelles Museum I“ Kann eine Ausstellung funktionieren, wenn die Inhalte, die vermittelt werden sollen, noch nicht existieren? Wie können die Besucher dazu aufgefordert werden, einen leeren Ausstellungsraum mit ihren Gedanken, Geschichten und Meinungen zu füllen? Im partizipativen Ausstellungsprojekt „remember_be member – Experimentelles Museum I“ gingen museeon-Ausstellungsgestalter diesen Fragen experimentell nach und beschäftigten sich dabei mit dem Potential szenografischer Gestaltung innerhalb partizipativer Prozesse. Das Ausstellungsprojekt „remember_be member – Experimentelles Museum I“ fand vom 25. bis 27. Juni 2010 im Rahmen des 12. Kunst- und Kulturfestivals „48 Stunden Neukölln“ im gleichnamigen Berliner Stadtteil statt. Der besondere Anspruch lag darin, dass die Inhalte für die Ausstellung, nämlich Geschichten und persönliche Erinnerungen an Orte und Erlebnisse in Neukölln, allein durch die Besucher generiert werden sollten. Die Ausstellungsinhalte wurden also nicht im Vorfeld entwickelt, sondern entstanden erst durch die aktive Beteiligung der Besucher während der 48 Stunden dauernden Öffnungszeit von „remember_be member“. Ein reduziert ausgestatteter Ausstellungsraum im Herzen Neuköllns stand am Anfang des Experiments. Auf dem Boden des Raums war eine grafisch gestaltete Straßenkarte von Neukölln aufgeklebt. An der Decke schwebten 400 weiße Heliumluftballons, an denen lange Schnüre und je eine Exponatkarte mit den Fragen „Wann“, „Wo“ und „Was“ befestigt waren. Auf eine Wand im Ausstellungsraum wurden assoziative Textfragmente projiziert. Ähnlich wie Erinnerungen tauchten diese Fragmente langsam auf und verschwanden dann wieder. Die Besucher konnten sich an der Installation beteiligen, indem sie einen Ballon an der Schnur zu sich herabzogen, ihre Erinnerungen an Neukölln mit einem schwarzen
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museeon
Stift auf die Exponatkarte schrieben und den Luftballon anschließend mit einem Kreuz aus rotem Klebeband auf der Straßenkarte verorteten. So entstand eine Rauminstallation, die ein vielfältiges Bild von Neukölln zeichnete, mit sachlichen, emotionalen, aber immer persönlichen Geschichten, die durch die Verortung der Luftballons auf der Karte ihren Zusammenhang fanden. Das schwebende Luftballonmeer verzauberte die Besucher vom ersten Moment an. Während die Besucher sich vorsichtig durch den am Boden wachsenden Erinnerungswald aus Ballons bewegten, eigene Erinnerungen notierten, fremde Erinnerungen lasen, schauten sie immer wieder strahlend nach oben in das Luftballonmeer. Die meisten Besucher waren sehr berührt von dem Anblick und die fragil anmutende Installation wurde mit Bedacht behandelt. „remember_be member“ wurde in den gesamten 48 Stunden von rund 500 Menschen besucht. Insgesamt füllte sich der Raum mit gut 270 verorteten Erinnerungsballons. Die Besucher nutzten die vorgegebenen Mittel wie Stifte, Klebeband und Exponatkarten. Einige wenige bemalten den Ballon oder beklebten ihn mit dem roten Klebeband. Die Erinnerungen waren in der Regel als Text verfasst, manche aber auch als Zeichnung. Inhaltlich waren die Beiträge sehr unterschiedlich. Viele bezogen sich ganz direkt auf die Straßenkarte: „Hier habe ich von 1997 bis 2004 gewohnt.“ Ein großer Teil der Erinnerungen waren Liebesgeschichten: „I met my boyfriend in the jam section at Kaiser’s. Since then we are a happy couple.“ Einige Erinnerungen waren länger zurück liegende Ereignisse: „1986. Damals war ich doch tatsächlich ein wenig verliebt in meine Kieferorthopädin“. Es wurden aber auch Vermisstenanzeigen für gestohlene Fahrräder verfasst oder Berichte über gefundene Geldbeträge geschrieben sowie Lieblingsorte markiert. Die inhaltliche Qualität variierte stark; einige Beiträge blieben oberflächlich, andere erzählten sehr persönliche Geschichten und Erinnerungen. Während die ersten Besucher noch sehr mitteilsam waren, nahm die Zahl der aktiven Beteiligungen mit der Menge der verorteten Luftballons ab. Je mehr Erinnerungen zu Orten in Neukölln gesammelt waren, desto länger blieben die Besucher in der Ausstellung und lasen Geschichten. Besuchergruppen lasen sich gegenseitig vor oder fingen an, sich Geschichten zu erzählen. Manche suchten nach spannenden oder humorvollen Botschaften. Andere waren an Erlebnissen zu Orten interessiert, zu denen sie selbst Bezug hatten. In der folgenden Auswertung werden wichtige Aspekte und Erfahrungen von „remember_be member“ näher betrachtet.
Szenografische Raumgestaltung museeon ging bei der Planung für das „Experimentelle Museum I“ von der Annahme aus, dass die Inhalte rein durch die Besucher generiert werden können und diese folglich aktiv an „remember_be member“ partizipieren würden. Damit diese Beteiligung durch die Besucher erreicht werden konnte, musste am Ausstellungsort eine räumliche Erfahrungsqualität geschaffen werden, die die Besucher auf einer emotionalen Wahrnehmungsebene anspricht und sie dazu bringt, ihre persönlichen Erinnerungen für an-
Das experimentelle Museum
dere Besucher zu hinterlassen. Die Raumgestaltung musste den Besuchern außerdem ermöglichen, die Partizipationsmöglichkeiten intuitiv zu erfassen. Das Raumbild von „remember_be member“ war sehr eingängig. Die szenografische Gestaltung des Raums mit dem Luftballonmeer, der Straßenkarte und den projizierten Textfragmenten sprach den Besucher auf einer sinnlich-emotionalen Ebene an. Damit wurde der Besucher für die Handlung in der Ausstellung gewonnen.
Identifikation der Besucher Die Identifikation war ein ganz wesentlicher Faktor für die aktive Beteiligung der Besucher an „remember_be member“. Beim Spaziergang durch den Erinnerungswald begaben sich die Besucher auf die Suche nach lokalen Bezügen wie aktuellen und früheren Wohnorten oder sozialen Bezügen wie den Geschichten der Nachbarn. Durch die persönlichen Anknüpfungspunkte und Identifikationsmöglichkeiten wurden die Besucher angeregt, sich mit ihren eigenen Erinnerungen auseinanderzusetzen. Der zweite wichtige Faktor war, dass den Besuchern bewusst war, dass sie mit ihrem verorteten Erinnerungsballon Teil der Gesamtinstallation waren und das Wachsen des Erinnerungswaldes aktiv beeinflussten. Die Besucher wurden von Zuschauern zu Akteuren.
Zielgerichtete Besucheraussage Ein wichtiger Aspekt der Überlegungen im Vorfeld zu „remember_be member“ waren die Fragen auf den Exponatkarten und die damit zu erwartenden Besucheraussagen. museeon entschied sich für eine einfache Befragung, auch um die Beteiligungshürde niedrig zu halten. Die Fragen waren mit „Wann“, „Wo“ und „Was“ sehr offen gestellt. Dementsprechend waren die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Viele Aussagen waren inhaltlich sehr oberflächlich, einige wiederum erzählten von sehr persönlichen Geschichten. Zu prüfen wäre, inwiefern man mit einer vorherigen inhaltlichen Zielformulierung und der entsprechenden Fragestellung – beispielsweise nach Themen wie Liebesgeschichten oder prägenden Ereignissen – eine zielgerichtete Aussage erhält und ob sich das auf die Besucherbeteiligung auswirkt.
Besucher Faktor X Die wahrscheinliche Annahme, dass das Experiment „remember_be member“ funktionieren würde und sich die Besucher aktiv beteiligen, setzte in der Konzeptionsphase eine Empathie mit dem Besucher voraus. Der Besucher ist mit seinen Reaktionen und Handlungen der nicht endgültig bestimmbare Faktor X. Deshalb ist das Ergebnis einer partizipativen Ausstellung zwar planbar, aber nicht komplett vorhersehbar. Vor diesem Hintergrund ist eines der wichtigsten Ergebnisse des „Experimentellen Museums I“, dass die Einbindung der Besucher so gut wie immer funktioniert hat.
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Erreichbare Besuchergruppe Obwohl „remember_be member“ grundsätzlich allen Neuköllnern und Neuköllnbesuchern während des Festivals offenstand, geben die Erinnerungen nur einen selektiven Eindruck von Neukölln. Die Besucher des „Experimentellen Museums I“ waren kein repräsentativer Querschnitt der Neuköllner Bevölkerung, sondern stellten hauptsächlich kulturinteressierte Menschen zwischen 20 und 40 Jahren dar.
Räumliche Grenzen Hinsichtlich der möglichen Anzahl an aktiven Beteiligungen hat museeon bei „remember_be member“ die Erfahrung gemacht, dass es – abhängig von der Art der Partizipationsmöglichkeiten und den räumlichen Gegebenheiten – eine Belastungsgrenze bei partizipativen Projekten geben kann. Bei„remember_be member“ war die räumliche Belastungsgrenze nach ca. 43 Stunden erreicht. Ballungszentren, in denen besonders viele Luftballons mit Erinnerungen verortet waren, konnten von den Besuchern nicht mehr durchquert werden; Stifte und Klebeband wurden nicht mehr direkt gefunden. Das hatte ganz direkte Auswirkungen auf das Verhalten und die Wahrnehmung der Besucher. Manchen Besuchern war nicht ersichtlich, dass und wie sie sich beteiligen konnten. Einige Besucher nahmen an, dass die Installation mit den Geschichten bereits im Vorfeld erarbeitetet worden ist. Andererseits verlängerte sich die Verweildauer mit der Zunahme der verorteten Erinnerungen, weil die Besucher intensiver die Erinnerungen anderer lasen, statt eigene zu hinterlassen. „remember_be member – Experimentelles Museum I“ war mit über 500 Besuchern und einer Besucherbeteiligung von mehr als 50 Prozent ein großer Erfolg. Zahlreiche Besucher waren durch Mundpropaganda auf das Projekt aufmerksam gemacht worden. Viele kamen mehrmals in die Ausstellung, um im Erinnerungswald immer wieder neue Geschichten zu entdecken. Ein besonderer Höhepunkt war das Ende der Ausstellung: Nach 48 Stunden „remember_be member“ ließ museeon gemeinsam mit Besuchern und Erinnerungsgebern die Luftballons mit den Erinnerungen in den Neuköllner Himmel schweben.
„Konter_balance – Experimentelles Museum II“ Kann im Rahmen einer Fachtagung mit einer Installation ein Diskussionsforum geschaffen werden, an dem die Tagungsbesucher partizipieren und sich intensiv über die Tagungsinhalte austauschen? Wie viel Vor- und Fachwissen darf für eine Diskussion vorausgesetzt werden und welche Erfahrungen und Meinungen bringen die Teilnehmer bereits mit? Wie wirkt sich eine räumliche Installation auf die aktive Teilnahme der Tagungsbesucher aus? Mit „konter_balance – Experimentelles Museum II“ wagten wir den Versuch.
Das experimentelle Museum
Wie schon bei unserem besuchergenerierten Ausstellungsprojekt „remember_ be member“ ging es bei „konter_balance“ darum, mit Formen der Partizipation im Rahmen von Ausstellungen und Installationen zu experimentieren. Bezogen auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema und die daraus folgenden Partizipationsmöglichkeiten unterscheiden wir drei Stufen der Partizipation. 1. Die einfache Abstimmung. Hier kann sich der Besucher für Pro oder Kontra entscheiden. 2. Die persönliche Befragung. Der Besucher ist gefragt, seine Gedanken und Geschichten mitzuteilen und für andere Besucher zu hinterlassen. 3. Die Diskussion. Der Besucher ist aufgefordert, zu Thesen Stellung zu beziehen und sich zu Statements von anderen Besuchern zu äußern, sodass sich eine lebendige Diskussion entwickelt. Da wir konter_balance im Rahmen der Fachtagung zum partizipativen Museum veranstaltet haben, wollten wir die Tagungsbesucher zur komplexesten Partizipationsmöglichkeit, der Diskussion, herausfordern. Wir entwickelten ein Konzept für eine Rauminstallation, in der sich die Tagungsbesucher zum Thema Partizipation im Museum äußern sollten. Dazu hatten wir im Vorfeld der Tagung gemeinsam mit dem historischen museum frankfurt fünf Fragen formuliert. Die Fragen druckten wir auf gelbe Schilder, hängten sie an Drahtkleiderbügel und montierten sie als Mobile an die Raumdecke: t t t t
Sichert Partizipation die Zukunft des Museums in der modernen Wissensgesellschaft? Verliert das Museum durch Partizipation seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit? Wird dem Besucher mit kollaborativen Projekten Zeit und Wissen gestohlen? Ist Partizipation gemeinschaftsstiftend und regt nachhaltig zu Reflexionen und Gesprächen an? t Wird der partizipative Kurator mehr ein Beziehungspfleger als Objekthüter sein? Nun waren die Tagungsbesucher gefordert: Eine freundliche Garderobiere gab mit Transparentpapier bespannte Kleiderbügel aus, auf denen die Tagungsbesucher ihre Meinung zu den „konter_balance“-Fragen schrieben oder auf Statements von anderen Tagungsbesuchern antworten konnten. Die beschrifteten Kleiderbügel wurden dann an entsprechender Stelle in die bereits hängenden Kleiderbügel eingehakt. So veränderte sich das Mobile je nach Diskussionsverlauf. Die Balance zwischen den einzelnen Beiträgen wurde im wörtlichen Sinn mit jedem eingehängten Kleiderbügelstatement neu austariert. Die Mobilestruktur machte die Vernetzung zwischen einzelnen Aussagen sichtbar, zeigte aber auch deutlich, welche Statements besonders viele Reaktionen hervorriefen. Durch die Beteiligung der Tagungsbesucher entstand eine Rauminstallation aus 49 Kleiderbügelstatements, die den Diskurs über Partizipation im Museum räumlich sichtbar machte. Die anfänglichen Reaktionen auf „konter_balance“ waren zurückhaltend. Gerade zu Beginn lag es an uns, die Tagungsbesucher aufzufordern, sich an „konter_balance“ zu beteiligen. Das Interesse der Tagungsbesucher war groß, sich die Statements durchzulesen. War die Hürde zur aktiven Beteiligung aber erst genommen, schrieben diese Teilnehmer häufig mehrere Kleiderbügelstatements. Die Reaktionen auf Fragen und
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Thesen waren dann besonders gut, wenn die Statements kontrovers waren. Tagungsbesucher, die zunächst nur durch die Installation schlenderten, blieben an provokanten Thesen hängen, schüttelten den Kopf oder gaben ihre Zustimmung zum Ausdruck und entschlossen sich dann doch, selbst den Stift in die Hand zu nehmen und sich mit einem Kleiderbügelstatement am Mobile zu beteiligen. Dabei erwies sich das Mobile als gut ablesbare Struktur, die mit ihren Partizipationsmöglichkeiten selbsterklärend funktionierte. Dennoch hatten wir im Hinblick auf das Tagungsthema mit einer höheren Beteiligung gerechnet, hatten wir doch insgesamt 240 Kleiderbügel zum Beschriften vorbereitet. Möglicherweise stellte die Komplexität der „konter_balance“-Fragen in Zusammenhang mit dem knappen Zeitrahmen eine Teilnahmehürde dar. Das Tagungsprogramm war recht straff organisiert, sodass in den Pausen wenig Zeit blieb, sich mit den „konter_balance“-Fragen auseinanderzusetzen und sich an der Diskussion zu beteiligen. Für uns ist „konter_balance“ dennoch eine gelungene Aktion, bei der die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Partizipation und die spielerische Freude an der aktiven Beteiligung zum sinnlichen Raumerlebnis wurden.
„Crossing Munich“ Eine Migrationsausstellung aus den Positionen Wissenschaft und Kunst Natalie Bayer
Wenn in politischen Debatten und Massenmedien das Thema Migration verhandelt wird, dominieren meist Bilder von verschleierten Frauen, entindividualisierten Menschenmassen, Hochhauswohnblöcken und Schlagzeilen wie ‚Bildungsferne‘, ‚Integrationsunwilligkeit‘, ‚Kulturkonflikt‘ oder ‚Parallelgesellschaft‘, die in einen Gegensatz zur vermeintlich homogenen deutschen ‚Leitkultur‘ gestellt werden. Außerdem werden Einwanderungsprozesse häufig mit Metaphern einer bedrohlich anmutenden Überflutung oder Welle beschrieben und in einen Zusammenhang mit Illegalität gebracht. Aus diesen Perspektiven haftet Migration stets ein Makel und Defizit an, sie erscheint wie ein problematischer, störender Sonderfall.1 So wird ein Bild von Deutschland imaginiert, welches einem klar abgrenzbaren, nicht durchlässigen Kulturcontainer gleicht; Realitäten von transnational verflochtenen und durch Migration geprägten Gesellschaften werden dabei ausgeblendet, in denen Überschneidungen, das Mit- und Nebeneinander diverser Lebensentwürfe sowie hierdurch angestoßene soziokulturelle Veränderungen längst selbstverständlich gelebt werden. Der hiesige Multikulturalismus deutet zwar kulturelle Vielfalt zunächst positiv, gleichzeitig werden Menschen aber unter ethnisierenden Kategorien differenziert und entlang kulturalisierender Kategorien als ‚anders‘ bzw. ‚eigen‘ festgeschrieben.2 Ausgehend von migrantischen Lebensrealitäten ging es dem Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration“ (10. Juli 1 | Vgl. Kerstin Poehls: „Zeigewerke des Zeitgeistes? Migration, ein boundary object im Museum“, in: Zeitschrift für Volkskunde II (2010), S. 225 – 245. 2 | Vgl. Sabine Hess, Andrea Engl: „Crossing Munich. Ein Ausstellungsprojekt aus der Perspektive der Migration“, in: Bayer, Natalie / Engl, Andrea / Hess, Sabine / Moser, Johannes (Hg.): Crossing Munich, München 2009, S. 10 – 14, hier S. 11.
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bis 15. September, Rathausgalerie München) um eine Neuerzählung von Geschichte und Gegenwart der Migration jenseits von etablierten Diskursen wie denen der Bereicherung oder der Bedrohung – mit einem Geschichtsverständnis, das Praxis, Handlungen und die Autonomie der Migration in den Vordergrund stellt. Dies bedeutet zum einen eine kritische Sichtweise auf gängige Debatten um ,Integration‘ und ,Ethnizität‘. Zum anderen wurde Migration als eine Geschichte von Aneignungsversuchen mit Forderungen nach Rechten und Teilhabe gezeigt. „Crossing Munich“ spürte auch den kontrollierenden Diskursen und Stadtpolitiken nach, Migration zu steuern, zu regulieren oder auch unter ökonomischen Gesichtspunkten gezielt zu fördern. Da das gesamte Projekt von einer transnationalen Sichtweise geprägt war, konnte München als eine auf unterschiedlichsten Ebenen durch Mobilitäts- und Kommunikationspraxen global vernetzte Stadt dargestellt werden. So zeugten die Forschungs- und Ausstellungsprojekte mittels eines unaufgeregten Blicks von einem migrantischen Alltag im städtischen Raum, der die Geschichte und Gegenwart von München mittlerweile selbstverständlich mitgeprägt hat und prägt.
Repräsentation, Nation, Wissen Obwohl gerade das Reflektieren über Migration das Potential hat, die Bruchstellen längst überkommener Differenzierungen zwischen ‚wir‘ und ‚den anderen‘ und die Konstruiertheit von Konzepten wie ‚Nation‘ aufzuzeigen, scheint auch die Praxis des Ausstellens unter einer ambivalenten Longue Durée des nationalen Paradigmas zu stehen, bei der Migration wie die andere Seite einer Medaille zur Negativbeschreibung des ‚Selbst‘ und somit zur Refixierung einer nationalen „Imagined Community“ 3 benutzt wird. Dabei ist die nationale Idee vor allem ein Konzept des 19. Jahrhunderts, welches in einem wechselseitigen Verhältnis mit dem Kolonialismus entscheidende Kategorien des ,Eigenen‘ und ,Anderen‘ geprägt hat. Auch die Bereiche Sammeln und Ausstellen stellen dabei keine neutralen Projekte dar, sondern sind mit und durch Wissenschaftsdiskurse aus evolutionstheoretischer Rhetorik erzeugt: Im 19. Jahrhundert folgte das Ausstellen von Menschen und Dingen aus den Kolonien einer Mischung aus Sensationslüsternheit und Wissenschaftsrationalität, indem exotisierende Inszenierungen nichteuropäischer Gesellschaften dem vermeintlich zivilisierten, modernen Europa gegenübergestellt wurden.4 Dabei wurden nichteuropäische Regionen und die jungen entstehenden Nationalstaaten zu Territorien der ‚Fremden‘ gemachten, deren Bewohnerinnen und Bewohner einem linearen Entwicklungsstufenmodell unter darwinistischer Fortschrittsrhetorik zugeordnet wurden, an dessen Spitze die europäischen Impe-
3 | Vgl. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a. M. / New York 2005. 4 | Vgl. Tony Bennett: The Birth of the Museum, History, Theory, Politics, London / New York 1995.
„Crossing Munich“
rialmächte standen. Aufgrund solcher Blickregime wurden die ‚Fremden‘ bezähmt und mithilfe von Klassifizierungs- und Repräsentationsordnungen zu ‚anderen‘ gemacht. Die Beteiligung der Ethnologien an der Produktion von Konzepten wie Nation und Kultur und der damit korrelierten Institutionalisierung ist spätestens seit der „Writing Culture“-Debatte und der damit einhergehenden „Krise der Ethnologie“ offengelegt. In der Konsequenz gerieten Forscherinnen und Forscher unter Druck, sich mit ihrer Rolle und mit den Bedingungen ihrer Wissensproduktion auseinanderzusetzen. Gerade durch das Überdenken der wissenschaftlichen Textproduktion wurden Rhetoriken in der Rede über das ‚Andere‘ bzw. ‚Fremde‘ in diametraler Opposition zum scheinbar wissenschaftlichobjektiven, schreibenden ‚Selbst‘ entschleiert.5 In Folge solcher grundsätzlichen Befragungen über Sprecherpositionen, Legitimierungsstrategien und hegemonialer Implikationen wurden neue Formen des Forschens und Repräsentierens gefordert, die das Dialogische und Prozesshafte in den Fokus rücken, was auch in einer Hinwendung zur Visuellen Anthropologie in den Feldern Fotografie, Film und bildende Kunst sowie durch experimentellere Forschungs- und Repräsentationsformen zum Ausdruck kam.
Kollaboratives Forschen und Ausstellen Um die eingangs skizzierten Bilder und Debatten nicht zu reifizieren, um einem methodischen Nationalismus zu entgehen und um eine Ausstellung aus einer Perspektive der Migration zu erzählen, standen für die „Crossing Munich“-Forschungsgruppe während des gesamten Forschungs- und Ausstellungsprozesses selbstreflexive Fragen zur Forschungspraxis und Wissensproduktion im Vordergrund: Wer spricht wie über wen? 6 Da die Felder Kunst und Architektur sich in den vergangenen Jahrzehnten kritisch mit Gesellschaftsthemen, den Bedingungen von Kunst- und Kulturproduktion auseinandergesetzt und eigene aktivistische Positionen entwickelt haben, war es ab dem Zeitpunkt, als ein Großteil der wissenschaftlichen Recherchen abgeschlossen war, nahe liegend, Kunst und Wissenschaft für „Crossing Munich“ zu verbinden. In kollaborativen Prozessen zwischen Künstlerinnen und Künstlern sowie jungen Forscherinnen und Forschern der Ethnologie, Europäischen Ethnologie/Volkskunde sowie Neueren und Neuesten Geschichte entstanden unter kuratorischer und künstlerischer Leitung 14 Ausstellungsinstallationen zu den Themen Transnationale Ökonomien, Urbane Politiken, Kulturproduktion / -konstruktion und Stadt(t)räume. Die unterschiedlichen Kunst-Wissenschaft-Konstellationen bewirkten mittels neuer Arbeitsweisen, Zugänge und Perspektiven bei allen Einzelprojekten hybride Wissensproduktionen. Dabei wur5 | Vgl. James Clifford: „Über ethnographische Autorität“, in: Berg, Eberhart / Fuchs, Martin (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt a. M. 1993, S. 109 – 157, hier S. 114 ff. 6 | Siehe http://crossingmunich.org [letzter Zugriff 28.11.2011].
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den vielschichtige Repräsentationsformate entwickelt, wodurch einerseits Sprecherpositionen, Diskurse und Wissenschaftspraxis reflektiert, andererseits der Agency und einem migrantischen Protagonismus nachgespürt wurden. So konnten gewohnte Bilder und Erzählungen in ihren Evidenzen hinterfragt und gegengelesen werden, um neue Sichtweisen auf Migration zu ermöglichen. „Bildungsbürger machen oft auf tolerant wie Westernhagen, interessieren sich nur für uns, damit sie was zu lästern haben: Wir sind ja so kindisch, weil wir andere Kleidung tragen. Wir sind ja so kriminell, weil wir unsere Meinung sagen. Hip-Hop ist nicht subaltern! Bildungsbürger, kuck mal her: Dinge sind nicht immer, wie sie aussehen und das muss man lernen. Schau, ich habe Abitur und studiere selbst, du Spast. Hip-Hop kannst du sein, egal woher du kommst und wie viel Geld du hast.“
Die „Crossing Munich“-Installation „Rap vom Rand. Representing 089 meine Stadt“, aus der das obige Zitat stammt, untersuchte migrantischen Hip-Hop in München. Mithilfe des künstlerischen Umsetzungskonzepts einer multimedialen Rauminstallation, angelehnt an eine Freizeitheimbühne, konnten verschiedene Aspekte der ethnografischen Untersuchung thematisiert werden. Die Rauminstallation vermittelte zusätzlich einen Eindruck von dem Forschungsprozess, da die unterschiedlichen Installationselemente den Akteuren, Lokalitäten und Methoden der Forschung nachspürten. Mit einem CDArchiv gab das Ausstellungsprojekt einen Einblick in die vielfältigen Hip-Hop-Produktionen migrantischer Akteure in den Randbezirken Münchens, welche jedoch kaum auf breiter Ebene wahrgenommen werden. In einer Videostation wurden Musikclips gezeigt, deren Audiospuren mit einem Interview mit einem Hip-Hop-Akteur unterlegt wurden; auf diese Weise wurde die Strategie, sich als ‚Gangsterrapper‘ 7 an den peripheren Zonen Münchens gegen das Vorurteil, dass München die Stadt der Müslirapper und Rucksackträger sei, zu inszenieren, als eine selbstkritische Aneignungstaktik verdeutlicht. Hip-Hop stellte sich somit als eine Praxis des selbstbewussten Hinterfragens von stereotypisierenden Images, nationalisierenden Diskursen, der eigenen Rolle und der Gesellschaft mittels Hip-Hop-Reimen heraus. Durch die Inszenierung eines RapBattles zwischen Hip-Hop-Künstlern und „Crossing Munich“-Wissenschaftlern kamen die Beforschten als Subjekte eloquent zu Wort; auf diese Weise konnte die Installation nebenbei eine Selbstkritik an den Forschungs- und Repräsentationsprozessen von „Crossing Munich“ üben und darauf verweisen, dass jede Ausstellung die Möglichkeit in sich birgt, Subjektpositionen und Differenzierungen zu reproduzieren.
7 | Vgl. Fuchsloch, Agnes / Stein, Sebastian / Witt, Anna: Rap vom Rand. Representing 089 meine Stadt, multimediale Installation, umgesetzt im Rahmen von „Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration“ (10. Juli bis 15. September 2009, Rathausgalerie München).
„Crossing Munich“
Literatur Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a. M., New York 2005. Bennett, Tony: The Birth of the Museum. History, Theory, Politics, London / New York 1995. Clifford, James: „Über ethnographische Autorität“, in: Berg, Eberhart / Fuchs, Martin (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt a. M.: 1993, S. 109 – 157 Hess, Sabine / Engl, Andrea: „Crossing Munich. Ein Ausstellungsprojekt aus der Perspektive der Migration“, in: Bayer, Natalie / Engl, Andrea / Hess, Sabine / Moser, Johannes (Hg.): Crossing Munich, München 2009, S. 10 – 14. Poehls, Kerstin: „Zeigewerke des Zeitgeistes? Migration, ein boundary object im Museum“, in: Zeitschrift für Volkskunde II (2010), S. 225 – 245.
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„NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ Eine Laborausstellung im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Christine Gerbich1
Projektbeschreibung Museen sammeln und präsentieren das kulturelle Erbe von Gesellschaften. Dass viele Objekte in den Sammlungsbeständen deutscher Museen über kulturelle Vielfalt und Migrationsgeschichte Zeugnis ablegen, bleibt allerdings meist unberücksichtigt. Da Migration und kulturelle Vielfalt jedoch integrale Bestandteile der deutschen Gesellschaft sind, existiert zu Recht die Forderung, dieser Tatsache auch in der musealen Praxis stärker Rechnung zu tragen. Dies ist das Ziel der Ausstellung „NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“, die im Januar 2011 im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg auf einer Fläche von rund 140 qm eröffnet wurde. Im Fokus stehen dabei zwei Fragestellungen: Wie bildet sich kulturelle Vielfalt in den Sammlungen Berliner Museen bisher ab? Und welche Objekte sollen zukünftig von Museen gesammelt werden, um Einwanderungsgeschichten und kulturelle Vielfalt zu dokumentieren? Die Vielfalt hinsichtlich musealer Sammlungsgeschichten, -inhalte und -praktiken wird dabei durch die Unterschiedlichkeit der Sammlungen der beteiligten Museen – des Kreuzberg Museums, des Museums der Dinge, des Stadtmuseums Berlin sowie des Museums für Islamische Kunst (SMPK) – verdeutlicht. 1 | Zum Ausstellungsteam gehören neben der Autorin: Susan Kamel, Susanne Lanwerd (Experimentierfeld Museologie): Lorraine Bluche, Frauke Miera (Kreuzberg Museum); Fabian Ludovico, Renate Flagmeier (Museum der Dinge); Gisela Helmecke (Museum für Islamische Kunst, SMPK); Peter Schwirkmann, Martina Weinland (Stadtmuseum Berlin).
„NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“
Neben den vier genannten Museen gehört auch das an der Technischen Universität Berlin angesiedelte Forschungsprojekt „Experimentierfeld Museologie“ zu den Kooperationspartnern. Das Projekt wird seit 2009 von der VolkswagenStiftung gefördert und verfolgt das Ziel, innovative Vermittlungskonzepte für Ausstellungen zu erproben, wobei Ausstellungsevaluation und Besucherforschung eine wesentliche Rolle spielen.2 Grundlage des Projekts sind die Neuen Museologien (Vergo 1989; Macdonald 2006; Meijer-van Mensch 2009), die die Demokratisierung des Museums – und damit auch die partizipative Beteiligung am Prozess des musealen Sammelns, Forschens, Bewahrens und Vermittelns – einfordern (Kamel 2010). Es handelt sich dabei um eine politische Forderung, die u. a. von marginalisierten sozialen Gruppen vorangetrieben wurde. Hierbei geht es um eine tatsächliche Teilhabe, die unterschiedlichste Formen und Intensitäten annehmen kann. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich für eigene Interessen einsetzen zu wollen und diese auch formulieren zu können. Teilhabe kann regelmäßig und unregelmäßig, in informellen oder formellen Strukturen (z. B. im Leitbild) etabliert werden, ihre Ergebnisse können beratende, mitbestimmende oder selbstbestimmte (wie im National Museum of the American Indian in Washington, D. C.; Hatoum 2009) Funktion haben.
Der partizipative Ansatz An der Konzeption der Ausstellung „NeuZugänge“ waren vier Gruppen von Expertinnen bzw. Experten beteiligt, die in jeweils unterschiedlicher Weise an dem Prozess des Kuratierens partizipierten: 1. Die Museumsmitarbeiter wählten jeweils zwei Objekte aus ihren Sammlungsbeständen aus und reflektierten deren Migrationsgeschichten auf einem vom Team erarbeiteten Datenblatt. 2. Diese Objekte wurden im Rahmen zweier Fokusgruppen diskutiert, die mit Berlinerinnen und Berlinern3 durchgeführt wurden, die sich in Bezug auf Ethnizität, Religion, Gender und soziale Herkunft unterschieden4. 3. Jedes Museum benannte zwei Personen mit Migrationsgeschichte5 , die gebeten wurden, die Sammlung des Museums durch ein Objekt zu ergänzen, das aus ihrer Sicht für die Dokumentation von kultureller Vielfalt und Migrationsgeschichte von Bedeutung ist. 4. Und schließlich wurde an verschiedenen Stellen in der Ausstellung Gelegenheiten für die Besucherinnen und Besucher zur Partizipation eröffnet, indem sie um ergänzende Kommentare und Objekte gebeten wurden. Im Folgenden werden die Ziele der Fokusgruppen sowie die damit verbundenen Herausforderungen diskutiert.
2 | Vgl. http://www.experimentierfeld-museologie.org [letzter Zugriff 25.11.2011]. 3 | Ziel war es, eine möglichst heterogene Gruppe aus Personen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenzustellen. 4 | An dieser Stelle geht unser herzlicher Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fokusgruppen. 5 | Unser Dank gilt an dieser Stelle den Leihgeberinnen und Leihgebern.
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Christine Gerbich
Die Methode des „Revisiting Collections“ Vorbild für die Vorgehensweise in den Fokusgruppen war die Methode des „Revisiting Collections“.6 Ziel dieser Methode ist es, Museen und Archive dabei zu unterstützen, ihre Sammlungen einer kritischen Prüfung durch verschiedene soziale Gruppen und externe Experten zu unterziehen, um so die Vielschichtigkeit von Bedeutungen und Bedeutsamkeiten offenzulegen und museale Objekte für verschiedene Öffentlichkeiten nutzbar und zugänglich zu machen. Die beiden Fokusgruppen zur Ausstellung „NeuZugänge“ tagten in den Räumen des Museums der Dinge. Die Beteiligten wurden als Erstes über die Ausstellungsinhalte informiert und dann gebeten, sich zunächst alleine mittels einiger Leitfragen mit einem der musealen Objekte zu beschäftigen. Im ersten Schritt fand dies ohne weitere Informationen seitens der Museen statt, später wurden dann Informationen zum Objekt und seinem Migrationsbezug zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmer wurden u. a. gebeten, ihre Reaktion hinsichtlich der Auswahl des Objekts für die Ausstellung zum Ausdruck zu bringen. Im Anschluss wurden die Kommentare zu den Objekten von den Beteiligten vorgestellt und in der Runde diskutiert. Die Diskussionen in den Fokusgruppen spiegeln sich in der Ausstellung durch eine Auswahl wörtlicher Zitate neben den musealen Objekten wider; sie werden zudem im Rahmen der Projektdokumentation veröffentlicht.
Herausforderungen Ist Partizipation Selbstzweck oder ein Gewinn für Museen? Welchen Sinn ergibt es, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse7 durch die anderer Experten zu ergänzen? Inwieweit ist es gerade bei dem Thema Migration sinnvoll, persönliche Erfahrungen zu dokumentieren? Zu den Herausforderungen des Kooperationsprojekts gehörten die kontroversen Diskussionen über das Thema Migration und das Sammeln von Migrationsgeschichte. Auch der partizipative Ansatz wurde stellenweise hinterfragt und die Ausdehnung des Expertenbegriffs kritisch betrachtet. Die Ansprache der Teilnehmer erfolgte über bestehende Netzwerke und Multiplikatoren.8 Angestrebt wurde eine heterogene Zusammensetzung der Gruppe, die jedoch hinsichtlich des Bildungsniveaus nicht realisiert werden konnte: Die Gruppe setzte sich mehrheitlich aus höher Gebildeten zusammen, von einer ursprünglich geplanten Ko-
6 | Vgl. http://www.collectionslink.org.uk [letzter Zugriff 25.11.2011]. 7 | Der vermeintlich universelle westliche Wissenskanon wird von der Neuen Museologie kritisch hinterfragt (Macdonald 2006: 3). 8 | Im Verlauf des Projekts „Experimentierfeld Museologie“ ist geplant, ein Besucherforum zu realisieren, das die Ausstellungsentwicklung am Museum für Islamische Kunst unterstützt.
„NeuZugänge – Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“
operation mit einer Kreuzberger Schule musste aufgrund knapper Ressourcen abgesehen werden. Durch die Fokusgruppen gelang es, neue Zugänge zu den musealen Objekten aufzuzeigen. So wurde erst auf Nachfrage einer blinden Teilnehmerin nach der Authentizität der Architektur eines Weckers in Form einer Moschee dessen Abbildhaftigkeit deutlich; ein Teilnehmer merkte kritisch an, dass durch die Auswahl eines Koranblatts eine Reduktion von Migrantinnen und Migranten auf deren Religionszugehörigkeit stattfinden könne. Diese Beispiele weisen auf die Vielfalt der in den Gruppen diskutierten Themen hin. Für Folgeprojekte sollte hier über eine Schwerpunktsetzung reflektiert werden. Und was bleibt? Im Anschluss an die Fokusgruppen wurde eine Reihe von Fragen diskutiert: Wer sind die Autoren eines partizipativen Ausstellungsprojekts? Wie können unterschiedliche Bewertungen des Prozesses durch verschiedene Mitglieder eines Teams vermittelt werden? Wie soll mit möglichen Divergenzen zwischen den verschiedenen Expertengruppen umgegangen werden? Was passiert mit der Fülle von Beiträgen aus den Diskussionsrunden, die nicht im Rahmen einer Ausstellung gezeigt werden können? Inwieweit besteht die Gefahr, dass individuelle Aussagen des Mitglieds einer sozialen Gruppe verallgemeinert werden? Und schließlich stellte sich die Frage, wie die lehrreichen Erfahrungen aus der Laborausstellung nachhaltig genutzt werden können. Als Fazit könnte man frei nach Karl Valentin resümieren: „Partizipation ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Ohne ausreichende zeitliche, finanzielle, personelle und räumliche Ressourcen können partizipative Prozesse nur mit Mühe erfolgreich und nachhaltig gestaltet werden. Auf dem Weg zum inklusiven Museum bedarf es deshalb nicht nur neuer Vermittlungs- und Ausstellungsformate, sondern es gilt gleichermaßen, organisationsinterne Hierarchien und Strukturen zur Diskussion zu stellen.
Literatur Hatoum, Rainer: „In the light of the ,scientification‘ of tradition“. In: Guzy, Lidia / Hatoum, Rainer / Kamel, Susan (Hg.): Museumsinseln – Museum Islands, Berlin 2009, S. 23 – 76. Kamel, Susan: „Coming back from Egypt. Working on exhibitions and audience development in museums today“. In: Guzy, Lidia / Hatoum, Rainer / Kamel, Susan (Hg.): From imperial museum to communication centre?, Würzburg 2010, S. 35 – 56. Macdonald, Sharon (Hg.): A companion to museum studies. Oxford 2006. Macdonald, Sharon: „Expanding Museum Studies: An introduction“. In: Macdonald, Sharon (Hg.), A companion to museum studies. Oxford 2006, S. 1 – 12. Meijer-van Mensch, Léontine: „Stadtmuseen und ‚Social Inclusion‘“. Vortrag im Rahmen der Konferenz: Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, 3. März 2009 im Berliner Stadtmuseum. Vergo, Peter (Hg.): The New Museology. London. 1989.
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„Zeigt her Eure Dreidl!“ Die Entstehung einer temporären Sammlung Jutta Fleckenstein
Jüdische Museen in Deutschland erinnern im Allgemeinen an die Geschichte und Kultur derjenigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, und an diejenigen, denen in letzter Not die Flucht aus der Heimat gelang. Für das Jahresthema „Juden 45 / 90“, das von November 2011 bis Januar 2013 zu sehen sein wird, geht das Jüdische Museum München den umgekehrten Weg und zeichnet die Geschichte und Kultur der jüdischen Personen und Gruppen nach, deren Familiengeschichte und Biografie in Osteuropa begann und von dort an die Isar führte. Erstmals stehen für dieses Jahresthema heutige jüdische Münchner und ihre Erfahrungsgeschichten im Fokus. Der Bogen spannt sich von den Holocaustüberlebenden aus Osteuropa, den Displaced Persons, die nach 1945 eine unfreiwillige Heimat in den Flüchtlingslagern in und um München fanden, bis zu den russisch-jüdischen Migranten, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge seit 1990 zuwanderten und heute die Mehrheit der Juden in Deutschland stellen. Das Jahresthema, das Zuwanderung und Beheimatung in den Mittelpunkt des Interesses stellt, ist ein Novum für das Jüdische Museum München. Es wird sowohl eine wichtige Vermittlungsfunktion zwischen den jüdischen Münchnern heute und dem Jüdischen Museum übernehmen wie auch die Zuwanderung von Juden nach 1945 in der allgemeinen Zuwanderungsgeschichte Münchens verorten.
Die Ausgangssituation Das Jahresthema „Juden 45 / 90“ hält viele Fragen bereit: Wie können die Migrationsgeschichten im Museum gezeigt werden? Wie kann die neueste Zeitgeschichte – die letzte Zuwanderung begann vor 20 Jahren – ausgestellt werden? Wie können konkurrierende Erinnerungen und Wahrnehmungen dargestellt werden? Wie sieht es mit Objekten
„Zeigt her Eure Dreidl!“
aus? Wie können die Protagonisten der Migration an der Ausstellung teilnehmen? Wie überwinden die Kuratoren die „Angst des Forschers vor dem Feld“ (Lindner 1981)? Aufgrund der zeitlichen Nähe war die Forschungslage wie auch die Objektsituation für die Zuwanderung der russisch-jüdischen Migranten nach 1991 am problematischsten. Bisher waren nur wenige Zeitzeugen der Migration von Ost nach West seit 1991 als Informationsgeber oder als Leihgeber oder auch nur als interessierte Besucher im Jüdischen Museum vertreten, da die dort präsentierten bayerisch-jüdischen Themen in keiner Form deren Lebensgeschichten widerspiegelten, tangierten, diskutierten oder kommentierten.
„Zeigt her Eure Dreidl!“ – ein Versuch Bereits zu Beginn der Überlegungen zum Jahresthema „Juden 45 / 90“ stand fest, dass bei der geplanten „Archäologie der Gegenwart“ (Gogos 2011) die Zeitzeugen vor Ort wesentlich stärker partizipieren sollten und vielleicht auch wollten. Als Thema war nach ersten Aussagen der Protagonisten die mitgebrachte Erinnerung wesentlich wichtiger als die Geschichte des Ankommens an einem anderen Ort. Die Idee, erstmals eine jüdische, osteuropäische, zufällige und temporäre Sammlung zu erstellen und zu präsentieren, die die Zeitzeugen selbst zusammenstellen und kommentieren sollten, war schnell gefunden. Das Jüdische Museum München würde somit auf einer Ebene zu einem Ost-Jüdischen Museum umgewandelt – und zwar von den Zugereisten selbst. Wie konnte nun ein erstes Zusammentreffen von Protagonisten und Museum aussehen? Nach Gesprächen mit der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in der mehr als 85% der Gemeindemitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, und der Tolstoi-Bibliothek in München, in deren Leserschaft russisch-jüdische Migranten stark vertreten sind, zeigte sich ein Erzählnachmittag als geeignetes Format. Da eine spätere Ausstellung mit möglichst vielen Originalobjekten angestrebt wurde, sollte neben dem persönlichen Kennenlernen jeweils ein mitgebrachter Gegenstand, mit dem die Teilnehmer Heimat und Identität verbinden, im Zentrum stehen. „Zeigt her Eure Dreidl“ wurde zum Motto für einen Objektnachmittag am 17. Juni 2010 bestimmt. Der Aufruf „Zeigt her Eure Dreidl! – Mitgebrachte Dinge aus Osteuropa“, der das Projekt in Gang setzen sollte, wurde auf Russisch und Deutsch formuliert und in mehreren Medien wie dem russisch-deutschen Gemeindeblatt, der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“ und auf Flyern veröffentlicht. Die Reaktionen waren verhalten. Auf Rückfrage bei ausgewählten, dem Jüdischen Museum bekannten Personen der russisch-jüdischen Community erhielten wir ein deutliches Stimmungsbild, das sich in Fragen äußerte wie: Was könnten sie aus unserer früheren Heimat mitgebracht haben? Etwas, das wertvoll ist? Etwas, das als ein Ausstellungsstück in einem Museum gezeigt werden könnte? Vor dem inneren Auge unseres Gegenübers stand häufig die bedeutende Sammlung der Eremitage in Sankt Petersburg. Es schlossen sich Fragen an wie: Wen könnte ihre Geschichte interessieren? Sie sei gewöhnlich. Jeder von ihnen habe diese Geschichte erlebt. Es wurde deutlich,
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Jutta Fleckenstein
dass die Überzeugungsarbeit, dass die eigenen Alltagsobjekte auch für die Münchner Stadtgesellschaft interessante Museumsobjekte sein könnten, nur von sogenannten Key-Persons aus der Community übernommen werden konnte, z. B. den Initiatoren einer Archivgruppe in München, die Lebensgeschichten der russisch-jüdischen Migranten sammeln, der Leiterin des Chors Club Simcha in der israelitischen Kultusgemeinde München oder einer Journalistin der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“, die viele neue Kontakte einbrachte. Spätestens an diesem Punkt wurde klar, dass an dem Objektnachmittag große Flexibilität und viele Ansprechpartner gefragt sein würden, um Erwartungen, Wünsche, Ideen und Irritationen diskutieren zu können. Neben der Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde und vielen engagierten Privatpersonen war die Kooperation mit dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur entscheidend. Dank Prof. Michael Brenner konnte die Vorbereitung des Erzähl- und Objektnachmittags mit einer Übung an der Ludwig-Maximilians-Universität verbunden und realisiert werden. Studierende aus den Fachbereichen Jüdische Geschichte, Slawistik, Volkskunde und Osteuropäische Studien arbeiteten hier gemeinsam zum Thema Migration von Ost nach West und bereiteten das Treffen mit den Zeitzeugen mit vor und standen auch als Ansprechpartner an dem Tag zur Verfügung. Bereits die Szenografie des Objektnachmittags sollte die Verbindung von persönlichem und thematischem Interesse aneinander widerspiegeln. Neben einem informellen Bereich mit Kaffee und Kuchen gab es vier Anlaufstellen, an denen die mitgebrachten Objekte angeschaut, fotografiert und die dazugehörigen Erinnerungen erzählt und dokumentiert werden konnten. Nach einer Begrüßung starteten die Zeitzeugen, immer begleitet von einem Studierenden, ihren Weg durch den Objektnachmittag. Zuerst markierten sie ihren jeweiligen Herkunftsort auf einer Landkarte und verdeutlichten so noch einmal visuell, wie viele tausend Kilometer z. B. Kiew in der Ukraine und Birobidschan in Russland auseinanderliegen. „Osten ist eben nicht Osten“, kommentierte hier eine Zeitzeugin. An einem nächsten Treffpunkt wurde das mitgebrachte Objekt fotografiert und so für eine spätere Recherche im Jüdischen Museum dokumentiert. An den folgenden Interviewtischen erzählten die Zeitzeugen die Geschichte ihres Objekts, warum sie es mit ihrer Herkunft und Identität verbinden und auch wieso es im Jüdischen Museum München gezeigt werden kann. Eine Interviewsituation bestand immer aus dem Zeitzeugen und seinem Interviewpartner sowie einem begleitenden Studierenden, der die Gespräche und die dazugehörigen Dinggeschichten dokumentierte, sowie einem Dolmetscher, der bei Bedarf mit Übersetzungen reagieren konnte. Ausgehend von dem mitgebrachten Objekt entstanden interessante und kurzweilige Gespräche, die bei allen Beteiligten zu oft überraschenden Erkenntnissen führten.
„Zeigt her Eure Dreidl!“
„Zeigt her Eure Dreidl!“ – ein Zwischenstand Schließlich nahmen 24 Zeitzeugen der jüdischen Migration von Ost nach West mit mindestens einem Objekt an dem Nachmittag teil. Neben Fotografien, den gesammelten Werken von Lion Feuchtwanger in Russisch und jiddischen Schallplatten wurden auch ein Mazzesroller aus Kiew, eine Flöte aus Usbekistan und eine Geburtsurkunde der Großmutter in Jiddisch aus Moskau gezeigt. Allerdings wurden an diesem Nachmittag auch viele Barrieren für beide Seiten sichtbar, sowohl für die Zeitzeugen wie auch für die Interviewer. Zum einen war für Erzählungen zu Objekten und Erinnerungen das Fehlen einer gemeinsamen Sprache eine Herausforderung, die jedoch durch gute Vorbereitung und die große Anzahl von Dolmetschern, die das Projekt ehrenamtlich unterstützten, gemeistert wurde. Hinzu kamen die unklaren Erwartungen an das jeweilige Gegenüber und eine dadurch entstehende Verunsicherung. Erzähle ich, was gefragt ist? Frage ich, was erzählt werden möchte? Viele der Neu-Münchner erlebten die Situation eines Zeitzeugen-Interviews zum ersten Mal, wodurch die Anspannung erhöht wurde. Auch bezüglich der Begriffe „wertvolles Objekt“, „Ausstellung“ und „Museum“ lagen die Meinungen meist weiter auseinander. Dennoch ist es gelungen, mit jedem Objektbesitzer, das für ihn wichtigste Objekt auszuwählen und die häufig sehr persönlichen Erinnerungen, die mit dem Objekt verbunden sind, aufzuschreiben. Außerdem wurde je ein kurzes Interview zu den Themen Heimat, Jüdischsein und Auswanderung nach Deutschland geführt und dokumentiert. Durchgehend alle Teilnehmer des Objektnachmittags, gleich in welcher Rolle, waren am Ende mit den Ergebnissen sehr zufrieden und kommentierten den Objektnachmittag symptomatisch mit den Worten „Irgendwie habe ich es dann doch geschafft“. Das Jüdische Museum München hat mit dem Objektnachmittag erreicht, eine von dem Kulturwissenschaftler Joachim Baur in seinem Standardwerk „Musealisierung der Migration“ geforderte „Kontaktzone“ (Baur 2009: 358 f.; Clifford 1997: 188 ff.) zu schaffen. Entworfen wird darin nach der Definition von James Clifford „die Vision eines Museums, das diejenigen, deren Kultur und Geschichte es ausstellt, umfassend und dauerhaft in seine Operationen einbezieht“ (Baur 2009: 358). Der partizipative Start in das Jahresthema „Juden 45 / 90“ mit der Erstellung einer temporären Sammlung wirkte sich auf nachfolgende Recherchen und Ideen aus. Inzwischen waren viele Objektbringer bei Ausstellungseröffnungen im Jüdischen Museum München dabei, und dies nicht zuletzt, um zu sehen, was dort passiert, bevor „ihre Dinge“ gezeigt werden. Außerdem entstand eine angenehme Gesprächsbasis für weitere Themen und Objektwünsche in Zusammenhang mit dem Jahresthema wie auch eine Plattform für weitere Veranstaltungen und Initiativen. Außerdem werden wöchentlich neue Objekte gezeigt und erläutert, woraus zu schließen ist, dass das Jüdische Museum München für die heutigen jüdischen Münchner als Erinnerungsraum in den Blick gerückt ist. Die temporäre Sammlung des Objektnachmittags wird vom 11. Juli 2012 bis 27. Januar 2013 im Jüdischen Museum München gezeigt. Ergänzend werden in zwei weite-
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ren Ausstellungen das Ankommen der Displaced Persons (30. November 2011 bis 17. Juni 2012) sowie das Ankommen der russisch-jüdischen Migranten (11. Juli 2012 bis 27. Januar 2013) beleuchtet.
Literatur Baur, Joachim: Musealisierung der Migration, Bielefeld 2009. Clifford, James: „Museums as Contact Zones“, in: ders.: Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge, Mass., 1997. Gogos, Manuel: „Schaut! Uns! An! Ausstellungen zum Thema Migration“, in: Tagesspiegel, 10.01.2011. Lindner, Rolf: „Die Angst des Forschers vor dem Feld“, in: Zeitschrift für Volkskunde, 77 (1981), S. 51 – 66. Ein Video zum Objektnachmittag kann unter folgender URL abgerufen werden: http: / / www.youtube.com / user / JuedischesMuseum#p / a / u / 0 / FcaWjc0hRWs [letzter Zugriff 25.11.2011].
Geschichte multiperspektivisch erzählen Bürgerbeteiligung im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Weltbürger. 650 Jahre Neukölln in Lebensgeschichten“ Barbara Lenz, Marlene Kettner
Anlass und Ausgangsidee Im Juni 2010 feierte der Stadtteil Berlin-Neukölln1 seinen 650. Geburtstag. Als Beitrag zum Jubiläum hatte Dorothea Kolland, Leiterin des Kulturamts Neukölln, die Entwicklung eines Ausstellungsprojekts initiiert, das sich auf multiperspektivische Weise mit der heutigen Realität des Bezirks und den historischen Wurzeln seiner Bewohner auseinandersetzen sollte. Anstatt die Geschichte des Stadtteils chronologisch nachzuvollziehen, sollte (Welt-)Geschichte erzählt werden, die heute in Neukölln lebende Menschen erfahren haben. Die Zahl 650 sollte dabei nicht gänzlich aus den Augen verloren werden, sondern sie sollte sich in den summierten Lebensaltern der in der Ausstellung zu porträtierenden Personen wiederfinden. Ausgehend von dem Befund, dass bei den meisten Feiern nationaler und lokal-historischer Ereignisse die Realität Deutschlands als Einwanderungsland vollkommen außer Acht gelassen wird, war es Anliegen des Kulturamts, insbesondere die (welt-)historischen Erfahrungen von Neuköllnern2 mit Migrationshintergrund zu würdigen3.
1 | Neukölln war einst ein Dorf mit 100 Bewohnern. 1360 unter dem Namen Richardsdorf gegründet, wurde es später in Rixdorf, schließlich 1912 in Neukölln umbenannt. 2 | Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Text die männliche Form bei Personengruppen gewählt, stets sind Frauen inbegriffen. 3 | In Bezug auf die Herkünfte seiner Bewohner ist Berlin-Neukölln einer der heterogensten Stadtteile Deutschlands. Hier leben rund 300.000 Menschen aus insgesamt über 160 Nationen.
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Barbara Lenz, Marlene Kettner
Der Fonds Soziokultur sowie die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ konnten als Förderer gewonnen werden.4 Konzipiert und umgesetzt wurde das Vorhaben von uns, Marlene Kettner und Barbara Lenz, sowie einem großen Team zumeist ehrenamtlicher Unterstützer.
Der partizipatorische Arbeitsprozess Im Sinne einer Kulturarbeit, die Inklusion und soziale Ermächtigung fördert, war von Beginn an klar, dass die Entwicklung der Ausstellung ein partizipatorischer Prozess werden sollte, bei dem Neuköllner Verlauf und Ausrichtung des Endprodukts wesentlich mitbestimmen sollten. Das Projekt sollte zu einer Plattform für den Austausch über Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders werden und allen Beteiligten als Experimentierfeld für die Erprobung von neuen Möglichkeiten einer multiperspektivischen Geschichtsschreibung dienen. Den Anfang für die Prozesse der Bürgerbeteiligung setzten wir mit der Einrichtung eines zivilgesellschaftlichen Gremiums, mit dem wir die Inhalte der Ausstellung im kollaborativen Prozess erarbeiten wollten.5 Die Einladung erfolgte zum einen gezielt an Vertrauenspersonen aus den Netzwerken des Kulturamts. Um auch mehr Personen als die ,üblichen Verdächtigen‘ anzusprechen, schließlich auch offen über Multiplikatoren, wie die Vertreter von Kulturvereinen und den Migrationsbeauftragten des Stadtteils. Gewonnen werden konnten neun Frauen und Männer unterschiedlicher Herkünfte, darunter auch Personen ohne Migrationshintergrund.6 Anfangs war die Rolle des Gremiums noch offen. Wie viel Zeit und Energie würde eine ganz aus Ehrenamtlichen bestehende Gruppe in das Projekt einbringen können? Wie weit würden wir uns den Wünschen und Bedürfnissen der Teilhabenden öffnen 4 | An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für die Unterstützung. 5 | Im weiteren Verlauf haben wir neben diesem Gremium dann noch einige weitere Formate der Bürgerbeteiligung konzipiert, die es Neuköllnern verschiedener Generationen ermöglichten, sich fortwährend in die Prozesse der Ausstellungsgenerierung ,einzumischen‘ und daran teilzuhaben: 1. die gemeinsam mit den Protagonisten der Ausstellung entwickelten Porträts, 2. geschichtsvermittelnde Workshops an einer Neuköllner Schule, deren Ergebnisse direkt in die Ausstellung einflossen, 3. die Zusammenarbeit mit der lokalen Künstlerinitiative Neukoellnimport, 4. ein interaktives ,Geschichtsbuch‘, in diesem Rahmen in Zusammenarbeit mit der VHS Neukölln, und 5. interaktive Elemente in der Ausstellung. Insgesamt waren an dem Projekt über 70 Personen beteiligt. 6 | Namentlich Alejandra Borja, Nuriye Sayman, Julia Pankrayteva, Raymond Wolff, Bettina Fuchs, João Fernandes Lino, Horst Köhler, Jana Taube und Sabour Zamani. Durch den Einbezug von ,Nichtmigranten‘ wollten wir die Gefahr der Pauschalisierung und auch Diffamierung, die mit der Fokussierung auf den Migrationshintergrund verbunden ist – Paul Mecheril spricht in diesem Zusammenhang von der Konstruktion „Migrationsanderer“ – von Beginn an umschiffen.
Geschichte multiperspektivisch erzählen
können? Und wie weit mussten wir als Auftragnehmer des Kulturamts Neukölln dem inhaltlichen Ausgangskonzept verpflichtet bleiben, für das schließlich auch die Gelder beantragt wurden? Die Gruppe einigte sich darauf, im zweiwöchentlichen Rhythmus zusammenzukommen.7 Während dieser Treffen wurde zunächst die Grundidee des Kulturamts Neukölln kritisch diskutiert, schließlich eigene Zielvorstellungen für die geplante Ausstellung gesammelt. Ausgehend davon entwickelten wir, die Projektleiterinnen, ein inhaltliches und gestalterisches Gesamtkonzept. In Anwendung von Methoden aus dem partizipativen Design stellten wir dieses immer wieder zur Diskussion: visualisiert in Form von Stimmungsbildern und Collagen, anhand von Beispielen anderer Ausstellungen, Skizzen und eines Ausstellungsmodells. Gemeinsam wurden die Ansätze weiterentwickelt, ergänzt und schließlich in ein finales Konzept überführt. Nicht gänzlich ohne Reibungen einigten wir uns dabei darauf, die Grundidee unseres Auftraggebers beizubehalten und in der Ausstellung 15 Personen zu porträtieren. Einige der Beteiligten waren gegenüber einer Porträtausstellung deswegen negativ eingestellt, da es in den Jahren zuvor mehrere Ausstellungen im Bezirk gab, in denen Neuköllner porträtiert wurden. Einige Beteiligte aber sträubten sich aus der verständlichen Angst vor einer erneuten Stigmatisierung heraus, die die beabsichtigte Würdigung und damit gleichzeitige Betonung der ‚Vorgeschichten‘ zu provozieren schien. Die Gremiumsmitglieder wiesen einhellig darauf hin, dass sie als Bürger von Neukölln wahrgenommen werden wollten – statt ihrer Geschichte, vielleicht auch ihrer Belastungen, sollten die Leistungen von Menschen mit Migrationshintergrund für den Stadtteil in den Vordergrund gerückt werden. Doch hier sahen wir Projektleiterinnen nicht nur eine Gefahr der Themenwiederholung – erst im Jahr zuvor hatte das Museum Neukölln eine Ausstellung gezeigt, in deren Fokus das bürgerschaftliche Engagement von Migranten stand. Wir wollten auch nicht in den Sog von Meinungsmachern geraten, die Migranten nur dann würdigend anerkennen, wenn sie etwas für die deutsche Gesellschaft leisten. Schließlich einigten wir uns gemeinsam darauf, auch Menschen ohne Migrationshintergrund in die Auswahl der Porträtierten aufzunehmen. Auf diese Weise konnte in den Blickpunkt gerückt werden, wie sehr jedes Leben von Geschichte gezeichnet ist, und es konnte die Vielfalt von Erfahrungen und Lebenswegen von Menschen jedweder Herkünfte gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden.8
7 | Insgesamt fanden zwischen November 2009 und Februar 2010 sechs Treffen statt, die jeweils zwei bis drei Stunden dauerten. 8 | Dies sollte sich auch in der Ausstellungsgestaltung reflektieren. Hierfür brachten wir an den Wänden des Hauptausstellungsraums eine Weltkarte an, auf dem Boden eine Umrisskarte von Neukölln. Die Besucher konnten entlang von bunten Linien die Lebenswege aller Porträtierten ,durch die Welt‘ und innerhalb Neuköllns nachvollziehen. Insgesamt ergab sich dadurch im Raum ein Bild von parallelen und sich überschneidenden Wegen – die schließlich alle in Neukölln zusammentrafen.
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Bei der Auswahl der konkreten Personen wurde seitens des Gremiums der Wunsch laut, dass niemand als vermeintlich typischer Vertreter einer ethnischen Gruppe porträtiert werden sollte. Stattdessen sollten Individuen sichtbar werden. Die Bedeutung des Teils der Geschichte, der hier – in Deutschland oder Neukölln – stattgefunden hatte, sollte in den Porträts eine starke Berücksichtigung finden, schließlich auch unterschiedliche Perspektiven auf den Stadtteil: Es sollte von hier geborenen Alteingesessenen und Neuankömmlingen berichtet werden; es sollte jemand aus der DDR dabei sein, ein Flüchtling, ein Neuköllner Arzt und jemand vom sogenannten Rand der Gesellschaft. Noch immer bestand eine gewisse Skepsis gegenüber dem Vorhaben, uns neben dem Jetzt auch stark der Vergangenheit zu widmen. Doch gefragt, was sie ihren Kindern von sich erzählten, kommenden Generationen mit auf den Weg geben wollten, wurden bei vielen Gremiumsmitgliedern die Erinnerungen an die Zeit vor ihrer Ankunft in Neukölln wieder wach und auch die Bedeutung von kulturellen Prägungen wurde zum Thema. Wir entschlossen uns daher, der Frage nach dem, was bleibt, und – sozusagen als Gegenstück – auch der jüngeren Generation jeweils einen Raum in der Ausstellung zu widmen.9 Dadurch, dass die Frage nach der Vergangenheit nun eine zukunftszugewandte Dimension erhielt, bekam sie für alle einen tieferen Sinngehalt. Nicht alle Wünsche des Gremiums konnten, meist aus Platz- und finanziellen Gründen, z. T. aber auch aufgrund inhaltlicher Erwägungen, berücksichtigt werden. Ein Gremiumsmitglied erhoffte sich z. B. eine stärkere politische Ausrichtung der Ausstellung, eine Plattform für die Artikulation von politischen Rechten von Migranten. War ein stadthistorisches Jubiläum, bei dem es in erster Linie um die Würdigung von geschichtlicher Vielfalt gehen sollte, dafür der richtige Anlass? Wir spürten, dass diese Forderung die Dimension unseres Vorhabens gesprengt hätte – doch begleitete sie uns stets gedanklich bei den Gesprächen, die wir mit den Porträtierten führten und lenkte unser Augenmerk auf deren politische und rechtliche Situation – falls gewünscht, machten wir diese in der Ausstellung kenntlich. Die regelmäßige Arbeit mit dem Gremium endete mit der Einigung auf das Ausstellungskonzept. Einzelne Gremiumsmitglieder beteiligten sich weiterhin an der Umsetzung und während der Ausstellungslaufzeit: als Auftragskünstler im Rahmen der Entwicklung einer Videoinstallation, als Führungskräfte, Vermittler, Interviewer, Übersetzer, schließlich auch selbst als Porträtierte10 und als unsere wichtigsten Multiplikatoren. Die Ausstellung wurde am 20. Juni 2010 in der Galerie im Saalbau, an der belebten Karl-Marx-Straße im Herzen Neuköllns, eröffnet und am 29. Oktober 2010 gemeinsam wieder abgebaut.
9 | Für den Raum, der der Jugend von Neukölln gewidmet war, wurde die Frage nach dem Umgang mit ganz unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Prägungen von in Deutschland geborenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die Frage nach Mischungsprozessen und nach Identitäten, zentral. 10 | Für diese Tätigkeiten wurden die Gremiumsmitglieder auch finanziell entlöhnt.
Geschichte multiperspektivisch erzählen
Erkenntnisse Die Forderung nach mehr Partizipation erfolgte im Zuge eines kultur- und bildungspolitischen Umdenkungsprozesses, innerhalb dessen sich Kultureinrichtungen zunehmend die Frage stellen, wen sie mit ihren Angeboten eigentlich erreichen. Die meisten Ausstellungshäuser in Deutschland suchen heute nach Wegen, um ein größeres und breiteres Publikum anzusprechen, und öffnen ihre Häuser mittels partizipatorischer Projekte für zuvor ausgeschlossene oder weniger berücksichtigte Zielgruppen. Diese Öffnung hat häufig zur Folge, dass sich die klassische Beziehung zwischen Museum und Besuchern – den Produzenten von Kultur und ‚Wahrheit‘ und den Rezipienten von Kultur und ‚Wahrheit‘ – auflöst.11 Dies machte auch unser Projekt deutlich. Partizipation, die kein Lippenbekenntnis bleiben will, impliziert Einmischung und damit die ‚Gefahr‘, dass die Anliegen der Kulturinstitution infrage gestellt werden und sich damit auch die Inhalte verändern. Auch an Bürger geht eine Forderung, nämlich die, sich einzubringen und gleichsam Verantwortungsträger zu werden. Wird Einmischung ermöglicht und ernst genommen, kann sie gewinnbringend für beide Seiten sein. Die wichtigsten Erkenntnisse, die wir aus den letztlich nur kleineren Konflikten zogen: t Im Vorhinein sollte klar definiert werden, bis zu welchem Grad Beteiligung möglich ist. t Es sollte genug Zeit und Geld, auch für nicht nur ehrenamtliche Beteiligung, einkalkuliert werden. t Es sollte mit den Beteiligten geklärt werden, wo die Arbeit den Rahmen des (ehrenamtlich) Möglichen sprengt bzw. welche Aufgaben überhaupt verteilt werden können (und an wen), ohne den Kurs des Projekts maßgeblich zu stören. t Die Aneignung von Moderationsmethoden und der Erwerb von Qualifikationen für die Lenkung von Gruppenprozessen werden Teil der kuratorischen Praxis. Den Mehrwert, dem wir unseren partizipatorischen Ansatz und den damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand zu verdanken haben, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Es hat sich gezeigt, dass es einen Unterschied macht, ob man die Zuschreibungen einer Zielgruppe aus Gesprächen über sie oder mit ihr ableitet. Wenn wir uns auch darüber bewusst sind, dass wir mit dem Ausstellungsprojekt „Weltbürger. 650 Jahre Neukölln in Lebensgeschichten“ nicht die Bedürfnisse und Sichtweisen aller Neuköllner widerspiegelten, konnten wir zeigen, dass durch den Einbezug eines klei11 | Die Kritik an Museen als „Wahrheitsmaschinen“ (vgl. Mörsch 2009: 10), die einseitig bestimmen, was gesammelt und ausgestellt wird, wer darin repräsentiert wird und wer die Museumsinhalte interpretiert, wurde erstmals in den 1960er-Jahren von der Neuen Museologie formuliert und findet sich heute in einer kritischen Kunst- und Kulturvermittlung wieder, wie sie im deutschsprachigen Raum u. a. von Carmen Mörsch und Birgit Mandel proklamiert wird.
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nen zivilgesellschaftlichen Gremiums Positionen berücksichtigt werden konnten, die normalerweise gar nicht gehört worden wären.12
Literatur Baur, Joachim: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009. Kolland, Dorothea: Z. B. Rixdorf: Die 650-Jahr-Feier. Annäherung an Geschichte als Quelle für Identität und Identifikation einer multikulturellen Gesellschaft 2010, Onlinedokument, http: / / kultur-neukoelln.de / client / media / 115 / z.b._rixdorfgeschichtskongressinput.pdf [letzter Zugriff 15.08.2011]. Mandel, Birgit (Hg.): Audience Development, Kulturmanagement, Kulturelle Bildung. Konzeptionen und Handlungsfelder der Kulturvermittlung, München 2008. Mecheril, Paul u. a.: Migrationspädagogik, Basel 2010. Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Berlin / Zürich 2009. Watson, Sheila (Hg.): Museums and their Communities, London / New York 2007.
12 | Die Ausstellung hatte insgesamt 4.074 Besucher. Es wurden 62 Besuchergruppen durch die Ausstellung geführt.
Das Nationale Glasmuseum in Leerdam Ein transparentes Netzwerk-Museum Arnoud Odding
Die Vorgeschichte Im Frühjahr 2001 schien das Nationale Glasmuseum in Leerdam vor dem Aus zu stehen. Das Museum war 1953 auf Initiative der Glasfabrik gegründet worden und seitdem in der alten Villa von Petrus Marinus Cochius untergebracht, dem Fabrikdirektor, der Anfang des 20. Jahrhunderts dem Leerdamer Glas zur ersten Blüte verhalf. In der zweiten Blütezeit, den 1950er-Jahren, öffnete das Museum seine Tore. Es war die Zeit des Wiederaufbaus, des Glaubens an eine machbare bessere Welt, zu der auch die Kunst einen Beitrag leisten könnte. Ab den 1960-Jahren brachen schwierigere Zeiten für das Leerdamer Glas und somit auch für das Museum an. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass auch anderswo hübsche Schalen und Vasen hergestellt werden konnten, häufig sogar preiswerter. Der Ruf und Ruhm von Leerdam sorgte noch einige Jahre für gute Umsätze, die aber von Jahr zu Jahr geringer ausfielen.
Pläne schmieden 2001 beschloss die Geschäftsführung der Glasfabrik – die mittlerweile durch mehrere Fusionen in ausländische Hand übergegangen war – das kleine Museum ihrer verlustbringenden Tochter in die Selbstständigkeit zu entlassen. Die Stiftung durfte die Museumsvilla zum Marktpreis übernehmen, ebenso wie die Hälfte der Exponate, d. h. des Teils, der noch im Eigentum der Fabrik war. Eine schier unmögliche Aufgabe, denn mittlerweile – fast 50 Jahre nach seiner Errichtung – verfügte das Museum nur noch über einen teilzeitbeschäftigten Kustos, einen Verwalter, der ein- bis zweimal die Woche vorbeikam, um die Buchhaltung zu erledigen, einige Damen, die abwechselnd die Besucher empfingen, sowie einen Schatzmeister, der sich um den Garten kümmerte. Die Museumsleitung stand mit dem Rücken zur Wand und beschloss, die Flucht
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nach vorn anzutreten: Der Kustos wurde gebeten, zusammen mit mir als externem Museumsberater einen anspruchsvollen Arbeitsplan zu erstellen. Anhand dieses Plans sollten Mittel zur Sicherung der museumseigenen Sammlung eingeworben werden. Bereits in den ersten Besprechungsunterlagen wurde festgehalten, dass ein unorthodoxes Geschäftsmodell erforderlich sein würde.
Grundlage schaffen 2002 erwarb der niederländische Staat, mit Unterstützung einiger Fondsgesellschaften, die Sammlung der Glasfabrik und übergab diese dem Nationalen Glasmuseum. Ausschlaggebend waren die Bedeutung der Sammlung sowie die Pläne des Museums, die u. a. den Um- und Ausbau des Gebäudes vorsahen. Ferner wurde die Stiftung Glas & Kristall, ein etwa 400 Glasliebhaber zählender Verein, dem Museum einverleibt, womit eine breitere gesellschaftliche Grundlage geschaffen wurde. Ende 2003 stellte das Museum beim niederländischen Staat einen Antrag auf Subvention, nicht weil die Erfolgschancen besonders hoch eingeschätzt wurden, sondern eher um Engagement zu zeigen. Umso größer war die Überraschung, als im Lauf des Jahres 2004 das Ministerium mitteilte, dass es bereit sei, dem Antrag zu entsprechen. Ein bescheidener Beitrag, aber ein entscheidender Moment für das neue Glasmuseum. Das Ministerium hatte zudem die Auflage erteilt, einen leitenden Direktor einzustellen. Diese Funktion übernahm ich ab Oktober 2004, zunächst für zwei Tage die Woche.
Freunde und Freiwillige Aber wo anfangen? Das Museumsgebäude war ziemlich heruntergekommen und das nötige Kleingeld für die Renovierung fehlte. Zum Glück war bereits 2004 damit begonnen worden, die notwendigen Mittel zu beschaffen, um wenigstens die Sammlung digitalisieren und im Internet veröffentlichen zu können. Im Sommer 2006 war das Glasmuseum das erste niederländische Museum, das seine gesamte Sammlung im Internet erschlossen hatte. Die professionelle Website vermittelte vielen Besuchern den Eindruck, dass das Museum größer und besser ausgestattet sei, als dies in Wirklichkeit der Fall war. 2006 wurde eine Vereinbarung mit dem Verein „Freunde des modernen Glases“ geschlossen, wodurch der Freundeskreis von 400 auf 1.400 Mitglieder anstieg. Über diesen Freundeskreis wurde ein beträchtlicher Teil der vielen Freiwilligen rekrutiert, die ab Januar 2006 mit den unterschiedlichsten Aufgaben betraut wurden. Mit einigen wenigen bezahlten Mitarbeitern hätte das Museum niemals die viele Arbeit bewältigen können. Die Freiwilligenarbeit wurde somit ein wichtiger Bestandteil des Geschäftsmodells. Durch das Hinzuziehen freiwilliger Helfer war das Museum in der Lage, das angestrebte Wachstum zu realisieren.
Das Nationale Glasmuseum in Leerdam
Zusammenarbeit Ein weiterer Schwerpunkt war die Zusammenarbeit mit den anderen Glasstandorten in Leerdam wie der Fabrik, den Galerien und selbstverständlich dem Glaszentrum Leerdam mit seinen zahlreichen Glasbläserei-Vorführungen. Diese Einrichtungen standen sich seit jeher feindlich gegenüber, immer wurden die Unterschiede hervorgehoben anstatt der Überschneidungen und gemeinsamen Interessen. 2005 erschien erstmals eine gemeinsame Website. Im Jahr darauf kamen ein landesweit verbreiteter „GlasstadtProspekt“ sowie eine Kombikarte für eine Besichtigung des Glasmuseums und eine Bootsfahrt auf dem kleinen Fluss Linge hinzu. Wieder ein Jahr später wurde ein Jahresthema eingeführt und es wurden zweimal jährlich die Leerdamer Glastage veranstaltet. Alle Beteiligten profitierten davon und auch die Besucherzahlen stiegen wieder. Dieser Erfolg konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Zustand des Museumsgebäudes über die Jahre hinweg verschlechterte. Der Moment, in dem das Museum wegen fortschreitender Baufälligkeit geschlossen werden musste, stand kurz bevor. Manchmal sah es danach aus, als ob das Museum der Lösung dieses drückenden Problems keinen Schritt näher käme. Dann aber hatte das Museum Glück, und zwar gleich zweimal …
Das Museum ist ein Laboratorium Als sich im Herbst 2006 zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit organisatorische Probleme im konkurrierenden Glaszentrum Leerdam ergaben, beschlossen die Verwaltungen des Museums und des Glaszentrums, eine enge Zusammenarbeit anzustreben. Es fing damit an, dass 2007 der Direktor des Museums zugleich auch Leiter des Glaszentrums wurde, was im Januar 2008 zu einer Fusion führte. Für das Glaszentrum, das seitdem „Glasbläserei Leerdam“ heißt, stellte dies einen einschneidenden Kurswechsel dar. Von da an waren nicht nur der Erhalt des Kunsthandwerks und das Angebot an Glasbläsereivorführungen von Bedeutung, sondern auch die Förderung von Experimenten und künstlerischer Erneuerung, um dieses Fachgebiet in eine neue Zukunft zu führen. Damit erfüllte sich ein lang ersehnter, bereits im Arbeitsplan aus dem Jahre 2001 formulierter Wunsch des Glasmuseums. In der Folge wurden Dutzende bekannte und weniger bekannte Künstler und (Mode-)Designer eingeladen, vor Ort neue Werke zu fertigen. Mehrere dieser Experimente führten zu serienmäßigen Produkten, die – zusammen mit den bei den Vorführungen hergestellten Glasobjekten – in den Museumsläden und anderswo verkauft werden konnten. Das Museum war ein wirkliches kulturelles Unternehmen geworden.
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Endlich Neubau! Der zweite große Glücksfall war der Umstand, dass 2007 das Nachbarhaus neben der alten Villa zum Kauf angeboten wurde. Mit Unterstützung der Gemeinde Leerdam und der Wohnungsbaugenossenschaft Kleurrijk Wonen (farbenfrohes Wohnen) konnte dieses stattliche Gebäude innerhalb weniger Monate erworben werden. 2008 wurden die Baupläne vorgelegt, woraufhin Mitte 2009 der erste Spatenstich durch den Bürgermeister von Leerdam erfolgte. Wieder ein Jahr später, am 22. Juni 2010, wurde das spektakuläre neue Glasmuseum durch Königin Beatrix eröffnet. Die zwei alten Deichvillen sind über alle vier Stockwerke durch einander kreuzende Laufbrücken miteinander verbunden, in denen das sogenannte transparente Depot untergebracht ist. Das Nationale Glasmuseum ist das erste Museum in den Niederlanden, das seine komplette Sammlung dem Publikum präsentiert. Das transparente Depot ist das physische Gegenstück zum digitalen Wissenszentrum, an dem das Museum seit 2004 arbeitet.
Das Museum ist ein Wissenszentrum Das Glaszentrum gelangte bereits 2004 zu der Schlussfolgerung, dass es sich zu einem Wissenszentrum neuen Typs entwickeln musste, zu einem Ort, an dem alles Wissen über Glas gespeichert und aufbereitet wird, sodass die Datenbanken ständig für neue Interpretationen, Bewertungen und Meinungen genutzt werden können. Denn nur so konnte das Museum die Flexibilität erlangen, sich der im permanenten Wandel befindlichen Gesellschaft anschließen zu können. Nicht die vermeintliche Unveränderlichkeit der Geschichte steht nunmehr im Mittelpunkt des Glasmuseums, sondern die sich jeweils ändernde Auslegung der Primärquellen. Ein wahrer Paradigmenwechsel! Bereits seit 2006 ist die gesamte Sammlung des Museums online einsehbar und seit diesem Zeitpunkt wird die digitale Sammlung intensiv genutzt.1 Die zweite Etappe auf dem Weg zu einem vollwertigen Wissenszentrum wurde im Frühling 2010 mit einer komplett erneuerten Website abgeschlossen. Während die meisten Websites von Museen spezifische Vorkenntnisse erfordern, um etwas effektiv suchen und finden zu können, erschließt sich die neue Site des Glasmuseums völlig intuitiv. Anhand der vielen Zehntausend manuell erstellten Verknüpfungen zwischen den Datensätzen können die User mühelos durch die Sammlungsdatenbank surfen. Mittels iPods können auch die Besucher in dem kürzlich neu eröffneten Museum auf die digitale Datenbank zugreifen. Hunderte Gegenstände sind multimedial erschlossen und können unter mehreren ‚Perspektiven‘ betrachtet werden: Zu jedem dieser Objekte hört oder sieht man, welche Absicht der Hersteller damit verfolgte, was es für den Geschäftsführer der Fabrik bedeutete, wie der Sammler darüber denkt und was der Auftraggeber dazu meinte. Die Wahl des Besuchers und sein Interesse für bestimmte Objekte und Fragmente steuern 1 | Siehe http://www.nationaalglasmuseum.nl/collectie/layout/ 25.11.2011].
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Das Nationale Glasmuseum in Leerdam
die von der Software unterbreiteten Vorschläge für alternativ zu betrachtende Gegenstände. Jeder Besucher erhält auf diese Weise seinen eigenen, individuellen Rundgang.
Schlussbemerkung Wer in Bedrängnis gerät, reagiert oft unvorhersehbar. Und in Bedrängnis war das Nationale Glasmuseum in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ganz gewiss. Als die Leerdamer Glasfabrik gegen Ende des Jahres 2000 verkündete, dass sie ihre Unterstützung zurückziehen wolle, verlor das Museum seine letzte Stütze und wurde endgültig aus seinem Dämmerschlaf gerissen. Die Museumsdirektion begriff, dass es sich nicht nur um ein vorübergehendes finanzielles Problem handelte, sondern dass das Museum in eine existenzielle Krise geraten war. Das Museum sah sich einer neuen Realität gegenüber und stellte Überlegungen über seine Daseinsberechtigung und Relevanz an. Dem Glasmuseum war klar, dass es die verlorenen Sicherheiten nie wiedererlangen würde. Seit 2001 ist unwahrscheinlich viel geschehen und das Glasmuseum steht jetzt besser da als je zuvor. Die Einrichtung ist von vier bezahlten Mitarbeitern auf 20, von einem Freiwilligen auf 150 und von 14.000 Besuchern im Jahr 2004 auf 90.000 im Jahr 2010 gewachsen. Dies alles war die Folge der einfachen Fragen, die sich das Museum stellte: Welchen Zweck erfüllen wir? Wem können wir etwas bedeuten? Und wenn man sich diese Fragen immer wieder stellt, gelangt man irgendwann automatisch zu einem Netzwerk-Museum.
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Strategien partizipativen Sammelns im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Fabian Ludovico
Im Folgenden werden die partizipativen Ansätze der Sammlungsbildung und -präsentation im Werkbundarchiv – Museum der Dinge betrachtet. Hierfür wurden drei Ausstellungen des Museums sowie die Erfahrungen bei der Teilnahme an dem Kooperationsprojekt „NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ herangezogen. Der breiter werdende Diskurs über Partizipation im Museum und die Forderungen nach einer angemessenen Repräsentation der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Schichten beziehen sich bisher weniger auf den Bereich des Sammelns, der eine zentrale Funktion des Museums darstellt. Für alle Bereiche der Partizipation im Museum ist die Definition des Verhältnisses zwischen Partizipient und Museumsmitarbeiter von entscheidender Bedeutung. Die Rolle des Kurators bzw. der Kuratorin ist über die inhaltliche Arbeit hinaus bestimmt durch: die Verantwortung gegenüber dem materiellen Erbe (Konservatorenfunktion), die Vermittlungsverantwortung in Bezug auf Sinnhaftigkeit der musealen Tätigkeit, die Moderation zwischen Interessengruppen, die Verantwortung gegenüber dem öffentlichen Auftrag und den Museumsnutzern (auch den potentiellen). Dem Kurator sollte selbst klar sein, dass er in einem institutionellen Rahmen handelt. Dieser Rahmen muss verstanden und kommuniziert werden. In Bezug auf das Sammeln bildet der schriftlich fixierte, öffentlich kommunizierte und kontinuierlich aktualisierte Sammlungsauftrag den Rahmen. Eine unmoderierte Form der öffentlichen Sammlungsbildung ist nicht denkbar, weil schnell räumliche Grenzen erreicht werden würden und eine Beliebigkeit der Sammlung deren Gebrauchswert nehmen würde. Die Schenkung oder Leihgabe von Objekten kann als Form der Teilhabe angesehen werden, bei der der Objektgeber nur eine sehr niedrige Schwelle überwinden muss. Er bestimmt weitgehend selbst über Form und Umfang der Beteiligung, die von einer anonymen Abgabe des Objekts im Museum bis zur Beigabe ausführlicher mündlicher oder schriftlicher Informationen reichen kann.
Strategien partizipativen Sammelns im Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Der Bereich der Sammlungspräsentation ist von dem der Sammlungsbildung deutlich zu unterscheiden. Die Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltung von Partizipation auf dieser Ebene werden im Folgenden an Beispielen betrachtet. Die Ausstellung „sammeln!“, die Renate Flagmeier in diesem Buch vorstellt (vgl. S. 186), bezog eine größere Gruppe privater Sammler ein, denen aber kein Einfluss auf die Präsentation ihrer Sammlungen eingeräumt wurde. Dies wirft die Frage auf, in welchen Grenzen Partizipation stattfinden kann. Wie weit können und dürfen Kuratoren ihre Verantwortung für Inhalt und Gestaltung einer Ausstellung abgeben, ohne ihre eigene Position überflüssig zu machen? In einer aktuell entwickelten Ausstellungsreihe des Museums der Dinge mit dem Titel „Sammlungen zeigen“ erhalten die privaten Sammler einen anderen Freiraum. Im ersten Projekt, der Ausstellung „Funktionsprinzipien der Dinge“ von 2010, zeigte der Designer Tim Brauns seine private Sammlung von Alltagsobjekten wie Reisekleiderbügel, Korkenzieher u. Ä.. Die Gestaltung und der Aufbau der Sammlungspräsentation blieb dem Sammler selbst überlassen, da hier die Sammlung und ihre Präsentation miteinander verknüpft waren. Ziel der Ausstellungsreihe ist es, die unterschiedlichen Aufmerksamkeiten, Interessen und Ordnungsweisen beim Sammeln vergleichbar zu machen. Im Gegensatz zu „sammeln!“ hat es für diese Sammlungsreihe bisher keinen öffentlichen Aufruf gegeben, sodass es problematisch ist, hier von Partizipation zu sprechen. An der Gegenüberstellung der Ausstellung „sammeln!“ und der Reihe „Sammlungen zeigen“ wird jedoch deutlich, dass die Rolle des Kurators grundsätzlich von der jeweiligen Zielsetzung abhängt. Im Rahmen der Ausstellung „Böse Dinge“ (2009) wurde ein partizipatives Element in eine kuratierte Ausstellung eingebunden, das den Besuchern die Möglichkeit der Teilhabe an der Ausstellung durch mitgebrachte Exponate gab, die sämtlich unhierarchisch integriert wurden – in Reihen an die Wand gehängt oder auf Tischen ausgebreitet. Des Weiteren beeinflussten die Objektgeber dabei aber auch die Sammlung des Museums durch die spätere Inventarisierung und Übernahme eines ausgewählten Teils der mitgebrachten Dinge in die museale Sammlung. Die Qualität der Partizipation ist hier durchaus eine andere als bei der üblichen, nicht ausstellungsgebundenen Schenkung, da eine aktive Ansprache der Besucher stattfand, die durch den Anreiz des freien Eintritts für Objektgeber verstärkt wurde. Auch durch die thematische Eingrenzung der Schenkungen fand die Beteiligung stärker zielgerichtet auf den Ausbau eines bestimmten Sammlungsbereichs statt. Die Schenkungen wurden in der Ausstellung sichtbar und der Beitrag der Besucher damit deutlich, wogegen Schenkungen sonst nicht unmittelbar Eingang in die sichtbare Schausammlung finden. Mit der Kooperationsausstellung „NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ nahm das Werkbundarchiv – Museum der Dinge an einer explizit als partizipatives Projekt intendierten Ausstellung teil. Zunächst als Laborausstellung bezeichnet, ging es um die Erprobung einer neuen Ausstellungskonzeption mit drei partizipativen Ebenen: Die Fokusgruppe unterzog die kuratorische Auswahl einer Kritik von außen. Private Objektgeber waren angesprochen, durch die Leihgabe von Objekten Lücken in der Sammlung des Museums zu schließen. Schließlich bot die Ausstellung
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selbst allen Besuchern mehrere Möglichkeiten zum Kommentar und zur Erweiterung durch private Leihgaben oder Schenkungen. Neben der Möglichkeit, neue Formate auszuprobieren, hat die Versuchsanordnung auch wesentliche Schwierigkeiten partizipativer Modelle aufgezeigt. Es wurde eine möglichst breite Repräsentation angestrebt, die jedoch nicht immer erreicht werden konnte. Der partizipative Ansatz bedeutet in jedem Fall einen höheren Zeit- und Arbeitsaufwand, da die Gewinnung von Teilnehmern eine große Herausforderung darstellt. Auf der Ebene der Sammlung fand die Ausstellung „NeuZugänge“ in zwei Bereichen einen Niederschlag im Museum der Dinge. Zum einen konnten durch die Diskussion in den Fokusgruppen zusätzliche Informationen über die Museumsobjekte erschlossen werden, sowohl persönliche Assoziationen als auch konkrete Informationen, die Anlass zu einer weiteren Erforschung der Objekte waren. Darüber hinaus wurden Lücken in der Sammlung sichtbar, vor allem in dem sich neu konstituierenden Sammlungsbereich der migrantisch geprägten Produkt- und Alltagskultur. Die Komplexität der Ausstellungskonzeption und der Umfang der Einbindung partizipativer Elemente stellen eine Übertragbarkeit etwas infrage. Die gewonnenen Erfahrungen sind allerdings für die Entwicklung unterschiedlicher partizipatorischer Ansätze sehr hilfreich. Auf der Ebene der Sammlung wäre z. B. die Arbeit mit Fokusgruppen auch in anderen Konstellationen eine Möglichkeit der Einbindung unterschiedlicher Akteure. Um den Begriff der Partizipation gleichermaßen auf die Sammlung und die Sammlungspräsentation anwenden zu können, ist eine Differenzierung notwendig. Ein vereinfachtes Modell hierfür könnte die Unterscheidung von aktiver und passiver Partizipation sein, wobei die Grenze dazwischen fließend erscheint. Dies macht eine Verhandlung der Rollen aller Beteiligten im Einzelfall notwendig. Im Bereich der Sammlungspräsentation sind die Auswirkungen der Partizipation meist zeitlich begrenzt. Bezogen auf die Sammlung sind sie jedoch von Dauer. Dies kann eine stärkere Reglementierung rechtfertigen. Wenn der Partizipation aber eine tragende Rolle in der Konstitution einer Sammlung gegeben werden soll, müssen für diese auch Freiräume – im wörtlichen und übertragenen Sinn – geschaffen werden. Partizipation ist in temporären Formaten leichter zu realisieren. Diese können auch bewusst als Zwischenschritt, im Sinne einer Sammlung auf Probe, genutzt werden und die konkrete Auseinandersetzung mit dem Anschauungswert der Objekte ermöglichen. Um eine Partizipation für alle Beteiligten sinnvoll zu gestalten, ist grundsätzlich und zwar im Voraus die Frage nach dem Mehrwert zu stellen und die Gültigkeit der Antworten durch eine fortlaufende Evaluation zu prüfen. Bei der aktiven Einbeziehung von Vertretern bestimmter Communitys muss vorher geklärt werden, wodurch die Vertreter legitimiert und wie deren Einzelinteressen zu verstehen sind. Auch das spezifische Verhältnis zu der jeweiligen öffentlichen Einrichtung ist wesentlich. Grundlage partizipativen Sammelns ist eine offene Sammlungsstrategie. Förderlich ist eine institutionelle Grundhaltung, die die Ausstellung und das Museum als Erkenntnis- und Verhandlungsraum über Werte, Bedeutungen, Geschichte / n, Identitäten begreift, so wie es das Museum der Dinge tut.
Plädoyer: Mal frech werden auf Augenhöhe?
PLÄDOYER Mal frech werden auf Augenhöhe? Im Zweifelsfall findet die Partizipation ohne uns statt! Christian Hirte
Wer will sie eigentlich, die Partizipation? Es kann ja durchaus angenehm sein, nicht partizipieren zu müssen, das Museum einfach zu konsumieren oder zwanglos über sich ergehen zu lassen. Aber wenn schon, dann möchte ich partizipieren, wie mir gerade zumute ist, und nicht in einem Rahmen, den sich irgendwer für mich ausgedacht hat. Das macht den Unterschied zwischen Spielraum und Freiraum. Man könnte vielleicht sagen, ernst genommene Partizipation beginne damit, Freiräume zu öffnen. Aber das will bei einem so weitgehend durchherrschten und kontrollierten Raum wie einem Museum schon eine Menge heißen. Schließlich steht noch immer „der Frage, was das Publikum vom Museum wünscht, […] die Frage gegenüber, was das Museum aufgrund seines Selbstverständnisses und seiner vorgesehenen Bedeutsamkeit als öffentliche Einrichtung in Bezug auf sein Publikum beabsichtigt […]“ (Herles 1996: 173). Die Bedeutsamkeit von Museen konstituiert sich zu guten Teilen aus wichtigtuerischen Gesten und Selbstinszenierungen. Dazu gehört es, dem Besucher gegenüber den Eindruck zu erwecken, man müsste sich latent vor ihm in Acht nehmen. Neben Kirchen und Kasernen gehören Museen darum zu den öffentlichen Institutionen, bei deren Besuch man striktesten Verhaltensregeln unterworfen ist. Mit dem Erwerb der Eintrittskarte wird zugleich eine Verpflichtung zur Regelkonformität abgegeben. Damit das auch beim Rundgang so bleibt, steht der Besucher unter ständiger Beobachtung sogenannter Aufsichtskräfte. Diese entwickeln sich dadurch, wie wir sehen werden, zu besten Kennern von Besucherverhalten. Angebote zu selbstbestimmter Teilhabe des Besuchers beschränken sich auf Entscheidungen wie „Nehme ich einen Audioguide oder nicht?“. Verbesserungsvorschläge dürfen im Besucherbuch abgelegt werden, sei es in der Form grundsätzlicher Kritik („Please use a different museological approach. Very interesting paintings, but very
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boring museum“) oder kleinerer Korrekturen („Die Zitterspielerin muß richtig geschrieben lauten ,Die Zither-Spielerin‘. Außerdem ist das Instrument eine Laute“).1 Und schließlich ist da noch der Museumsshop, der immerhin das Berühren und Aneignen erlaubt. Aber nicht jedem reicht das: „Manchmal kommen Leute, die sind, wie soll ich sagen, ein bisschen verhaltensgestört“, stellt eine Museumsaufsicht fest (Meier-Ewert / Resch 2008: 22). Gemeint sind Museumsbesucher, die offenbar nicht regelkonform auftreten. Da Störung immer Ansichtssache ist, wäre hier zu fragen, ob es wirklich die ,Störer‘ sind, von denen die Störung ausgeht, oder ob die Verhaltensnormung im Museum den autonomen Besucher nicht zur ,Störung‘ provozieren muss. Der Besucher als Subjekt muss diesen Status schließlich irgendwie, zumindest symbolisch, behaupten. Dieser, nennen wir ihn einmal ,verhaltenskreative‘ Besucher sollte uns eigentlich näher interessieren. Er ist es nämlich, der zu der Hypothese Anlass gibt, dass von der Norm abweichendes Besucherverhalten nicht nur eine Form selbstbestimmter Partizipation darstellen kann, sondern auch Bedürfnisse zum Ausdruck bringt, die der Partizipationsdiskussion durchaus einige Anregungen geben können. Hören wir dazu noch einmal einige „Ansichten von Aufsichten“ (MeierEwert / Resch 2008): t „Unheimlich sind immer die Leute, die so lange vor einem Exponat stehen bleiben.“ (Ebd.: 98) t „Alte Leute erzählen häufig ihre Lebensgeschichte.“ (Ebd.: 97) t „Durch sie (Besucher) füllt sich der Ort mit wirklichen Erfahrungen.“ (Ebd.: 102) t „[…] es gibt Besucher, die hereinkommen und sich erst einmal umschauen, ob jemand da ist und ob sie auch gesehen werden. Und dann schreiten sie durch die Räume und präsentieren sich.“ (Ebd.: 95) t „Die Besucher unterhalten sich über allen möglichen Kram, bis hin zu privaten Dingen, die mit dem Museum aber auch gar nichts zu tun haben.“ (Ebd.: 18) t ,Handwerklicher‘ Besuchertypus: „[…] den nicht das Ausstellungsstück selbst, sondern die Beleuchtung, die Heizung, die Machart der Fensterläden interessiert.“ (Ebd.: 83) t „Und dann wird eben aus Langeweile einfach irgendetwas angegrapscht.“ (Ebd.: 53) t „Die (älteren Damen) fassen immer die Kettenhemden an, um zu prüfen, ob die eins rechts, zwei links gestrickt sind.“ (Ebd.: 91) t „Und natürlich möchten die Besucher mit einem flirten, denn die haben ja Urlaub.“ (Ebd.: 71) t „Dann kommen junge Pärchen, denen es peinlich ist, wenn man um die Ecke kommt und sie sind am Knutschen.“ (Ebd.: 94) t „Man sieht, wie sich Paare auf den Hintern fassen, aber man kann auch wunderbar Gäste beobachten, wie sie selbst andere Gäste beobachten.“ (Ebd.: 115)
1 | Zitate aus Besucherbüchern der Gemäldegalerie Alter Meister (SMPK), Berlin.
Plädoyer: Mal frech werden auf Augenhöhe?
Sehen und gesehen werden, über irgendetwas plaudern, eigene Kompetenz zur Geltung bringen, etwas ,angrapschen‘, Intimitäten austauschen: eigentlich sehr alltägliches Verhalten, Nähe herstellen, wo Distanz gefordert wird; selbst wissen, wo sonst das Museum alles weiß; Belangloses tun, wo alles bedeutend sein soll; Unsinn machen, wo Sinnhaftigkeit konstitutiv scheint. Die Äußerung dieser banalen Besucherbedürfnisse werteten die Aufsichten aber als eine Art Arbeitsverweigerung: „Wenn ein Besucher in ein Museum kommt, dann soll er sich auch darauf konzentrieren und nicht irgendwelche Sachen machen, die da nicht hingehören.“ (Ebd.: 68) Gehört Scham ins Museum? Auf einer Tagung berichtete eine Kollegin jüngst über eine kulturell gemischte Schulklasse vor einem barocken Gemälde. Zwei muslimische Mädchen weigerten sich strikt, eine Bildbeschreibung zu geben, vielmehr schauten sie weg und schwiegen. Wie sich herausstellte, fühlten sie sich von der Darstellung nackter Frauenkörper peinlich berührt. Die Mädchen nahmen sich daher heraus, sich einer Situation zu entziehen, die für sie einer kulturellen Nötigung gleichkam. Es gibt Formen der Museumsverweigerung, die das Museum subversiv umdeutet und individueller Benutzung zuführt. In seiner Komödie „Alte Meister“ beschreibt Thomas Bernhard ein solches Projekt: Der 82-jährige Herr Reger, ein erklärter Museumshasser, besucht seit 36 Jahren an jedem zweiten Vormittag das Kunsthistorische Museum Wien. Er hat sich durch die Bestechung einer Aufsicht dauerhaft einen festen Platz im „Bordone-Saal“ reserviert. Hier schätzt er das gedämpfte Licht, die ganzjährig gleichbleibende Temperatur von 18° C und, beiläufig, die Gegenwart von Tintorettos Porträt eines „Weißbärtigen Mannes“, im Übrigen nutzt er den Ort als „Geistesproduktionsstätte“, als „Denk- und Lesezimmer“, in dem er mit Vorliebe auf bernhardsche Weise schwadroniert und nörgelt. Aufsicht und der Ich-Erzähler dienen ihm dabei als Publikum: der Museumsraum als individuelles Biotop. Der Museumsalltag bietet ähnliche Beispiele. Ich kannte einen Museumsbesucher, der sich, wie er behauptete, in erster Linie für die Ausblicke aus den Toilettenfenstern interessierte und darüber ein Ranking führte, dessen Spitzenplatz lange der Abort der Neuen Residenz in Bamberg einnahm. Oder da war ein Sammler von musealen Verbotsschildern, die er entwendete und zu Hause nach den Objekten inventarisierte, auf die sich die jeweiligen Berührungs- oder Betretungsverdikte bezogen hatten, darunter die Personenwaage Wilhelms II. oder Goethes Sekretär im Gartenhaus zu Weimar. Es kommt vor, dass Exponate von Besuchern aus Ausstellungen entfernt, also vermutlich gestohlen, aber auch dass Dinge heimlich hinzugefügt werden, die teils tatsächlich in den betreffenden Ausstellungskontext passen, in anderen Fällen aber auf geradezu absurde Weise jedem Zusammenhang widersprechen. Auch wurden von Museumsbesuchern Dinge für die Sammlung abgegeben, für die sich die Spender, wie erst im Nachhinein herauskam, fiktive Objektbiografien ausgedacht hatten. Sicher weniger subtil, dafür in sozial organisierterer Form partizipierten jene, die im vergangenen Jahr zur Rettung des Altonaer Museums in Hamburg auf die Straße gingen („Wir sind das Altonaer Museum!“) oder Anfang 2009 für die Schließung des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg demonstrierten („Den braunen Sumpf
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trockenlegen!“). In Lüneburg hatte sich der Protest der örtlichen Antifa an der unzureichenden Kommentierung einer Jagdtrophäe Herrmann Görings entzündet. Bei den geschilderten Beispielen haben wir es offenbar mit Interventionen zu tun, die sich, in der einen oder anderen Form, mit musealen Praktiken auseinandersetzen und durch die Besucher den Anspruch erheben, ungefragt mitreden zu dürfen, die Hegemonie musealen Wissens zu unterlaufen oder überhaupt im Museum Dinge zu tun, die vielleicht nur hier möglich sind, deren Möglichkeit aber das Museum selbst noch gar nicht bemerkt hat. Den Besucher als musealen Pfadfinder zu akzeptieren heißt jedoch, ihn in einer ihm spezifischen Kompetenz ernst zu nehmen, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, ihn als konstitutives und autonomes Element des Systems Museums zu akzeptieren. In der Praxis sind wir davon weit entfernt. Die in der Debatte um eine Reform der Stadtmuseen immer wieder aufscheinenden Schlagworte von der ,Diversifizierung der Narrative‘, der ,Multilingualität‘ und der ständigen Bereitschaft zum identitären Perspektivwechsel, der webgeschulten Besucherskepsis an vorgesetzten Tatbeständen, all diese ,neue Uneindeutigkeit‘ sollte nicht dazu führen, dass sich die Museen mit partizipativen Reservaten aus der Affäre ziehen. Es geht doch vielmehr darum – das muss ab und an mal sein – neu und grundsätzlich über Rollen, Funktionen und Verhältnisse nachzudenken. Mitte der 1980er-Jahre, zu einer Zeit verbreiteter gesellschaftskritischer Renitenz, hat man auch schon klug und folgenlos über die Bedürfnisse von Museumsbesuchern nachgedacht: „Museen sind nicht für alle da, sondern für einen bestimmten Typ von Menschen. […] Museen sind wichtig geworden in der Zeit, in der auch dieser Menschentyp sich herausbildete, vielleicht sind sie einfach so geblieben. Oder die Macher gehören überwiegend diesem Menschentyp an und versuchen, den Museumsmenschen zu bewahren, ihn am Leben zu erhalten. Oder die Museumsmenschen stellen eine wichtige gesellschaftliche Gruppe dar, die sich ihre eigenen Einrichtungen hält, um sich gegen andere gesellschaftliche Gruppen abzugrenzen und Fluchtburgen zu haben.“ (Schuck-Wersig/Wersig 1986: 38 f.)
Aber: „Der Alltagsmensch, mit dem wir es heute zu tun haben, nimmt nicht einfach alles hin, sondern hat Ansprüche, die er auch zum Ausdruck bringen will. Er will selbst entscheiden können, sogar wenn es falsch sein sollte, er will darüber aufgeklärt werden, was für Konsequenzen Entscheidungen haben können, er will sich Gehör verschaffen bis hin zum Gefühl, eine Spur seiner selbst hinterlassen zu haben. Dies verbindet er mit einem gründlichen Misstrauen gegen alles und jedes, schließlich wird er häufig genug übers Ohr gehauen. Natürlich hat er auch schon seine resignativen Züge, die sich dann aber in Verweigerung, da, wo sie möglich ist, niederschlagen. Und so verweigert er sich dem Museum, weil es neben Askese und Duldsamkeit auch noch ein fast blindes Vertrauen erfordert.“ (Ebd.: 35)
Wie viel Kontrollverlust ist möglich? Und was gewinnen wir dabei?
Plädoyer: Mal frech werden auf Augenhöhe?
Literatur Bernhard, Thomas: Alte Meister, Frankfurt a. M. 2010. Herles, Diethard: Das Museum und die Dinge, Frankfurt a. M. 1996. Meier-Ewert, Lavinia / Resch, Andreas: Ansichten von Aufsichten, Berlin 2008. Schuck-Wersig, Petra / Wersig, Gernot: Die Lust am Schauen oder: Müssen Museen langweilig sein?, Berlin 1986.
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Natalie Bayer hat 2001 ihre Ausbildung zur Mode- und Grafikdesignerin und 2009 ihr Studium der Volkskunde / Europäischen Ethnologie, Kunstgeschichte und Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert. Bei dem Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration“ (2009, München) war sie Assistenzkuratorin und Katalogmitherausgeberin. Als freie Wissenschaftlerin hat sie u. a. ein Ausstellungsmodul für das Stadtmuseum Kaufbeuren und die Veranstaltungsreihe „Tipik München?!“ zur Migration in München für das Münchner Stadtmuseum konzipiert und realisiert. Daneben ist sie als Redakteurin bei der Wissenschaftszeitschrift „kuckuck. notizen zur alltagskultur“ aktiv. Derzeit promoviert sie an der Georg-August-Universität Göttingen über die Musealisierung der Migration in Deutschland.
Lorraine Bluche studierte Frankreichwissenschaften an der Freien Universität Berlin mit Diplomabschluss. 2004 – 2006 absolvierte sie ein wissenschaftliches Volontariat am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Seit 2006 arbeitet sie an einem geschichtswissenschaftlichen Dissertationsprojekt im Rahmen des Forschungsprojekts „Imagined Europeans. Die wissenschaftliche Konstruktion des Homo Europaeus“. Derzeit ist sie am Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin freiberuflich tätig im Ausstellungsprojekt „Migration macht Geschichte“.
Anja Dauschek (Dr.) ist seit 2007 Leiterin des Planungsstabes Stadtmuseum, Landeshauptstadt Stuttgart. Sie studierte Amerikanische Kulturgeschichte, Soziologie, Markt- und Werbepsychologie sowie Volkskunde in München sowie Museums Studies an der George Washington University in Washington D. C. Im Jahr 2000 Promotion (Dr. phil.) Volkskunde an der Universität Hamburg („Management für kulturhistorische Museen. Amerikanische Praxis in der deutschen Diskussion“), zwischen 2000 und 2007 war sie Direktorin von LORD Cultural Resources Planning & Management, Berlin. Anja Dauschek ist Mit-
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glied verschiedener Verbände und publiziert regelmäßig zu den Themen Museumsund Kulturmanagement.
Martin Düspohl studierte Erziehungswissenschaft / Erwachsenenbildung und Soziologie an der Freien Universität Berlin. Seit 1983 ist er in der Berliner Kultur- und Bildungsarbeit tätig, u. a. als Mitbegründer von Stattreisen Berlin und als Leiter des Kreuzberg Museums. Derzeit leitet er den Fachbereich Kultur und Geschichte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Martin Düspohl veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur Berliner Regionalgeschichte und zur Museums- und Kulturarbeit.
Julie Finch ist Direktorin des M Shed Bristol City Museum. Im Rahmen ihrer Arbeit interessiert sie sich für Wege, die die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Gegenwart, der eigenen Identität und der Identität anderer ermöglichen. Sie studierte Geschichte an der Universität Hull und besitzt einen MA in Museum Studies der Universität Leicester. Nach Engagements in diversen Funktionen an Museen in ganz Großbritannien stieß sie 2006 zur Museumsgruppe von Bristol.
Renate Flagmeier ist leitende Kuratorin im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin. Seit 1991 realisierte sie dort zahlreiche Ausstellungen. Nach dem Verlust der Ausstellungsräume im Martin-Gropius-Bau im Jahr 2003 führte sie unter dem Titel „Nomadisches Museum“ Ausstellungsexperimente durch. Sie war Projektleiterin der Eröffnungsausstellung des Museums am neuen Standort unter dem Titel „Kampf der Dinge“ (2007), die bis heute als Schausammlung des Museums dient. Sie studierte Kunstwissenschaft und Romanische Literaturen in Berlin und Paris (M. A.). Neben ihrer Museumstätigkeit ist sie in der museologischen Bildungsarbeit tätig, u. a. für die Museumsakademie Joanneum Graz und die Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Als Lehrbeauftragte für Designgeschichte / Designtheorie und Museums- und Ausstellungsdesign war / ist sie an der Universität der Künste Berlin / FB Design, der Fachhochschule Joanneum Graz / FB Ausstellungs- und Museumsdesign und an der FH Potsdam / FB Design tätig.
Jutta Fleckenstein studierte Geschichte und Germanistik an den Universitäten Erlangen und Rom. Von 2000 bis 2005 war sie als Kuratorin am Jüdischen Museum Franken, Fürth und Schnaittach tätig, u. a. für das Projekt „Krautheimer Krippe“. Seit 2005 ist sie Kuratorin am Jüdischen Museum München, wo sie die Dauerausstellung „Stimmen. Orte. Zeiten – Juden in München“ konzipierte sowie die Wechselausstellung „Orte des Exils 01: Münih ve Istanbul“. Seit 2010 ist sie am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur der LMU München als Lehrbeauftragte tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen auf der jüdischen Geschichte und Kultur im 20. Jahrhundert, Exil, Geschichte der Displaced Persons und der Erinnerungskultur.
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Das partizipative Museum
Christine Gerbich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Volkswagen-Projekt „Experimentierfeld Museologie. Über das Kuratieren islamischer Kunst- und Kulturgeschichten“ und dort zuständig für den Bereich Ausstellungsevaluation und Besucherforschung. Nach ihrem Soziologiestudium in Mannheim und den USA arbeitete sie als Evaluatorin im Bildungs- und Gesundheitssektor. Seit 2007 hat sich ihr Tätigkeitsschwerpunkt auf Museen in der arabischen Welt und Europa ausgedehnt.
Jan Gerchow (Dr.) studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Freiburg i. Br. und Durham (GB). 1984 promovierte er im Fach Geschichte mit einer Arbeit über „Die Gedenküberlieferung der Angelsachsen“. Nach einer wissenschaftlichen Assistenz am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte in Freiburg (1985 – 1990) und einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Referent am MPI für Geschichte in Göttingen (1990 – 93) wechselte er an das Ruhrlandmuseum in Essen, wo er von 1993 bis 2005 als Kurator für die Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zahlreiche Ausstellungen und Publikationen verantwortet hat. Seit 2005 leitet er das historische museum frankfurt und setzt sich für dessen bauliche wie programmatische Neuausrichtung ein.
Susanne Gesser studierte Kunstpädagogik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. Seit 1992 ist sie Kuratorin im kinder museum frankfurt, das sie seit 1998 leitet. Sie hat zahlreiche Ausstellungen für Kinder und in Zusammenarbeit mit ihnen kuratiert und befasst sich seit vielen Jahren mit der Fragestellung des Mediums Ausstellung in der Praxis. Seit 2003 vertritt sie das historische museum frankfurt in allen Bauangelegenheiten und ist seit 2006 Mitglied der Arbeitsgruppe Neukonzeption. Dort ist sie verantwortliche Projektleiterin der Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“ mit dem Stadtlabor. Sie ist Gründungsmitglied des Bundesverbandes Museumspädagogik e. V. und des Bundesverbandes der Deutschen Kinder- und Jugendmuseen e. V. Neben ihrer Museumstätigkeit hatte und hat sie Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und ist in der Ausbildung von Museumspädagogen und Kuratoren tätig.
Claudia Glass lebt und arbeitet als freie Ausstellungsgestalterin in Frankfurt am Main und Basel. Sie studierte Diplompädagogik an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Anschließend arbeitete sie 15 Jahre selbstständig als Gestalterin in der Werbung. 2001 schloss sie das Museologiestudium (MAS) an der Universität Basel ab. Seitdem arbeitet sie als Ausstellungsmacherin für verschiedene Museen in Deutschland und der Schweiz. Ihre Schwerpunkte sind historische und naturhistorische Ausstellungen, in denen sie poetische Narrationen entwickelt.
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Nina Gorgus (Dr.) studierte Volkskunde / Empirische Kulturwissenschaft, Französisch und Soziologie in Freiburg und Tübingen. 1999 promovierte sie über Georges Henri Rivière, ‚Erfinder‘ des Écomusée. Zwischen 1997 und 1999 absolvierte sie ein Volontariat am Altonaer Museum in Hamburg und war dann als Ausstellungsassistentin im Haus der Geschichte in Bonn tätig. Sie führte längere Forschungsprojekte zu museologischen Themen in Frankreich durch und war international als freiberufliche Ausstellungskuratorin und Uni-Dozentin tätig. Seit 2010 ist sie am historischen museum frankfurt für die Neukonzeption der historischen Dauerausstellung tätig.
Beat Gugger ist seit 2003 als freischaffender Ausstellungskurator in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Südtirol tätig und realisiert Ausstellungsprojekte mit den Schwerpunkten Kultur- und Alltagsgeschichte, Heimat, Berge, Utopien und Visionen. Darüber hinaus arbeitet er immer wieder an freien Projekten, die sich selbstreflexiv mit der Institution Museum und dessen Inszenierungs- und Narrationsformen auseinandersetzen.
Beat Hächler studierte Geschichte und Medienwissenschaften in Bern und Madrid. Seit 1992 war er als Mitarbeiter und Ausstellungsmacher in unterschiedlichen Funktionen im Stapferhaus Lenzburg tätig, das er von 2002 bis 2010 zusammen mit Sibylle Lichtensteiger leitete. 2008 absolvierte er ein berufsbegleitendes Studium der Szenografie an der Zürcher Hochschule der Künste und der Universität Wien. Seit Oktober 2011 ist er Direktor des Alpinen Museums der Schweiz (ALPS) in Bern.
Martin Handschin studierte Soziologie und Kulturwissenschaften in Zürich. Von 2003 bis 2007 war er Projektmitarbeiter im Stapferhaus Lenzburg, daneben arbeitete er als freier Ausstellungsmacher und Autor. Seit 2009 ist er Projektleiter Ausstellungen im Stapferhaus Lenzburg.
Christian Hirte studierte prähistorische Archäologie und Volkskunde. Er leitete Museen in Offenburg, Spremberg und Halle (Saale) und führte Lehrtätigkeiten an den Universitäten von Berlin und Frankfurt am Main durch. Von 2001 bis 2004 war er Vorstandssprecher des Museumsverbandes Brandenburg. Derzeit ist er als freiberuflicher Museumsberater und Kurator in Berlin tätig.
Jan Willem Huntebrinker (Dr.) studierte Geschichte, Soziologie und Pädagogik an der Universität Bielefeld, wo er anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt zur politischen Kommunikation im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gearbeitet hat. Promoviert hat er in dem internationalen Graduiertenkolleg 625 an der TU Dresden und der EPHE
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Das partizipative Museum
Paris mit einer Arbeit über „Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert“. Hieran schloss sich ein Volontariat im historischen museum frankfurt an. Seit Oktober 2009 leitet er die Abteilung „Bildung und Kommunikation“ des Historischen Museums Hannover. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind: Geschichte der visuellen Kultur, Kriminalitätsgeschichte sowie Stadtmuseen im Wandel.
Kurt Imhof (Prof. Dr.) ist Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie am IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung und am SUZ – Soziologisches Institut der Universität Zürich. Er ist Leiter des „fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich“ sowie Mitglied beim „National Center of Competence in Research (NCCR Democracy): Challenges to Democracy in the 21st Century“. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Öffentlichkeits- und Mediensoziologie, Gesellschaftstheorie, Soziologie sozialen Wandels, Konfliktsoziologie. Publikationen (Auswahl): Die Krise der Öffentlichkeit. Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels. Frankfurt a.M.: Campus 2011; Die Diskontinuität der Moderne. Theorie des sozialen Wandels, Reihe „Theorie und Gesellschaft“ Frankfurt a.M.: Campus, 2006. Mediengesellschaft und Medialisierung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, M & K 54, Hamburg: Nomos, 2006.
Sabine Jank ist künstlerische Leiterin und Mitbegründerin der interdisziplinären Plattform szenum – Atelier für Rauminszenierungen. In ihren Projekten untersucht und erforscht sie unterschiedliche Formen partizipativer Strategien. Sie führt den Aspekt der Einbindung als grundlegendes Element in ihre räumlich-medialen Inszenierungen ein. Sabine Jank hält zu diesem Thema Vorträge und führt Workshops durch. In Ausstellungen und Publikationen werden ihre Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Seit 2001 ist sie als Dozentin in den Bereichen Szenografie und interaktive mediale Räume an verschiedenen Hochschulen tätig.
Angela Jannelli absolvierte nach einem Studium der Germanistik, Romanistik und Volkskunde von 2001 bis 2003 ein Volontariat im Museum der Arbeit Hamburg. Danach realisierte sie als freischaffende Kuratorin kulturhistorische Ausstellungen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz und war bzw. ist zudem als Dozentin für theoretische Museologie tätig. Seit Juli 2010 realisiert sie im historischen museum frankfurt die neue Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“. 2011 wurde sie an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zu „Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums“ promoviert.
Marlene Kettner studierte an der HfK Bremen und der IUAV in Venedig (Italien) Integriertes Design. Nach dem Diplom arbeitete sie von 2008 bis 2009 in den Deutsche Telekom Laboratories als wissenschaftliche Mitarbeiterin und anschließend als freiberufliche Gestalterin
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mit Lehrassistenzen an der HfK Bremen und der HUST in Wuhan / China. Vornehmlich arbeitet sie in den Bereichen Produkt- und Ausstellungsgestaltung, mit einem Interessenschwerpunkt in partizipativen Projekten.
Cajsa Lagerkvist ist Leiterin der Abteilung Ausstellungen und Forschung im Museum der Weltkulturen in Göteborg. Ihre beruflichen Hauptinteressen fokussieren auf das Museum und seinen Platz in der Gesellschaft sowie die Entwicklung des Mediums Ausstellung als Forum für den Dialog und Ort der gesellschaftlichen Repräsentation und kulturellen Vielfalt. Sie hat einen MA in Museum Studies der Universität Leicester.
Barbara Lenz studierte Ethnologie und Kulturwissenschaften in Leipzig, Berlin, Leiden (Niederlande) und Padang (Indonesien). Nach dem Abschluss ihres Magisterstudiums absolvierte sie ein zweijähriges wissenschaftliches Volontariat am Ethnologischen Museum Berlin. Seit 2006 ist sie freischaffend im Bereich der (inter-)kulturellen Bildung tätig, mit einem Schwerpunkt auf der Konzeption und Realisierung von partizipatorischen Ausstellungs- sowie ethnologischen Vermittlungsprojekten an Schulen und Museen.
Sibylle Lichtensteiger leitet die Kulturinstitution Stapferhaus Lenzburg seit 2002 (bis 2010 in Co-Leitung). Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Stapferhaus Lenzburg und als Journalistin, u. a. als Redakteurin beim Schweizer Radio DRS. Sibylle Lichtensteiger hat Geschichte und Germanistik in Zürich und Berlin studiert. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Fabian Ludovico (Dr.) studierte Europäische Kunstgeschichte und Germanistik an den Universitäten von Karlsruhe und Heidelberg. 2007 schloss er sein Magisterstudium mit der Arbeit „Der städtebauliche Ideenwettbewerb für den Spreebogen in Berlin“ ab und wurde 2010 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit einer Dissertation zu „Karl Otto – Architekt und Lehrer. Ein biographischer Beitrag zur deutschen Nachkriegsmoderne“ promoviert. Seit Mai 2010 ist er wissenschaftlicher Volontär im Werkbundarchiv – Museum der Dinge in Berlin, wo er u. a. im Kuratorenteam der Kooperationsausstellung „NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ (29.01. bis 27.03.2011 im Kreuzberg Musem, Berlin) tätig sowie mit der Bearbeitung des Nachlasses des Architekten Hermann Muthesius betraut ist.
Léontine Meijer-van Mensch ist Dozentin für theoretische Museologie und Ethik an der Reinwardt Akademie in Amsterdam. Sie ist Mitglied einer Arbeitsgruppe, die im Rahmen der Dauerausstellung des Nationalen Instituts zur niederländischen Sklavereivergangenheit und ihrem Erbe eingerichtet wurde. Zudem ist sie Vorstandsmitglied der Internationalen Schule für
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Das partizipative Museum
Museologie in Celje (Slowenien) und Vorsitzende des ICOM-Ausschusses COMCOL, der sich mit Fragen der Sammlungsstrategien und -entwicklung befasst. Als Forscherin arbeitet sie zurzeit an einer Studie zum Thema Museologie als Wissenschaft in Mitteleuropa, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland.
Frauke Miera (Dr.) studierte Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Seit 1995 führt sie Forschungs- und Lehrtätigkeiten mit dem Schwerpunktthema Migration / Integration durch, u. a. im EU-Forschungsprojekt „EMILIE – A European Approach to Multicultural Citizenship: Legal, Political and Educational Challenges“ (2006 – 2009). Seit 2002 ist sie im Rahmen von Ausstellungen am Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und im Deutschen Historischen Museum Berlin tätig. Derzeit arbeitet sie als freiberufliche Kuratorin im Ausstellungsprojekt „Migration macht Geschichte“ im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin.
Patricia Munro erhielt nach dem Erwerb eines BA in Kulturwissenschaften am Swarthmore College (Pennsylvania) ein Fulbright-Stipendium. Ihrem Interesse am Museumsmanagement ging sie an der George Washington University nach, wo sie den MA in diesem Fachbereich erwarb. Sie ist Geschäftsführerin von zephyrus – Menschen und Ideen im Dialog, einer Beratungsfirma zur Förderung effektiver Kommunikation durch Feedback-Loops und Evaluation. Frau Munro ist Koautorin des Buches „Wegweiser Evaluation – von der Projektidee bis zum bleibenden Ausstellungserlebnis“ (oekom Verlag 2009) und Mitbegründerin von World Café Europe e. V.
museeon ist eine Gruppe Berliner Ausstellungsgestalter, die sich Anfang 2009 gegründet hat. Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Inhalten und Besuchern. In ihren Projekten experimentiert die Gruppe museeon mit partizipativen Strategien wie besuchergenerierten Inhalten und sozialen Szenografien, in denen die Besucherinnen und Besucher eine aktive Rolle einnehmen. museeon sind Oraide Bäß, Paul Beaury, Antje Canzler, Juli Junghänel, Tinka Molkenthin, Yvonne Rieschl, Ute Schweizerhof und Julia Tödt.
Arnoud Odding studierte Museologie an der Reinwardt Akademie sowie Kunstgeschichte an der Universität Leiden. Seit 1990 organisiert er mit seinem Beratungsbüro O dubbel d (www. odd.nl) Großausstellungen und berät Museen zu strategischen Fragen. Von Januar 2001 bis Mai 2011 war er für das Nationale Glaszentrum tätig, zunächst als Berater, später als Geschäftsführer. Arnoud Odding ist ein produktiver Publizist, der sich auf das Verhältnis zwischen der sich wandelnden Gesellschaft und den auf diesen Wandel reagierenden Museen konzentriert. Im Herbst 2011 erscheint sein neues Buch „The disruptive museum“.
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Anja Piontek ist Stipendiatin der Universität Bremen und promoviert über Partizipation im Museums- und Ausstellungsbereich. Sie hat museale Kunst- und Kulturvermittlung an der Universität Bremen, Fachbereich Kulturwissenschaften studiert und war als Kunst- und Kulturvermittlerin am Überseemuseum und der Kunsthalle Bremen tätig. Erste Erfahrungen mit Partizipation sammelte sie 2005 / 06 als Kuratorin des Ausstellungsprojekts „Meine Sache. Bremens Gegenwart“ im Focke-Museum. Im Erstberuf ist Anja Piontek Lehrerin (Studium der Fächer Kunst, Deutsch, Religion und Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Freiburg). Nach dem Referendariat in Hamburg arbeitete sie mehrere Jahre im Grund- und Sekundarschulbereich sowie als freie Autorin für Unterrichtsmaterial.
Lizzy Rodgers ist Curator of Community Content im neuen Museum of Liverpool. Sie hat Politikwissenschaften, Geschichte und Soziologie studiert und interessiert sich insbesondere dafür, wie Museen verschiedene Methoden des Ko-Kuratierens anwenden können, um Lernerfahrungen zu ermöglichen, Schwellenängste abzubauen und zur Verbesserung der Darstellung von Randgruppen in Museen beizutragen.
Matthias Schnegg arbeitet als Architekt, Ausstellungsgestalter und Szenograf. Nach einer mehrjährigen Lehrtätigkeit im Bereich Gestaltung hat er sich zum Architekten weitergebildet. Das Hauptinteresse seiner Arbeit gilt den kommunikativen und inszenatorischen Qualitäten von Architektur. Entsprechend entwickelt und realisiert er mit seinem Büro groenlandbasel seit 2001 vor allem Museums- und Ausstellungsprojekte, temporäre Architekturen und Installationen im öffentlichen Raum.
Nina Simon ist seit 2011 Direktorin des Museum of Art & History in Santa Cruz. Nach Tätigkeiten als Kuratorin im The Tech Museum of Innovation in San José sowie als Spezialistin für ‚Erlebnisdesign‘ im International Spy Museum in Washington D.C. gründete sie die auf die Entwicklung partizipativer Angebote für Museen, Bibliotheken und Kulturinstitutionen spezialisierte Designagentur Museum 2.0. Sie ist die Autorin des weit beachteten Blogs Museum 2.0 (http: / / museumtwo.blogspot.com / ) und ist als Dozentin für soziale Technologien im Studiengang Museologie der University of Washington tätig.
Markus Speidel (Dr.) ist als Kurator für Sozial-, Wirtschafts- und Industriegeschichte Teil des Planungsstabes Stadtmuseum Stuttgart. Er hat in Berlin Europäische Ethnologie und Technikgeschichte studiert. Diese Kombination führte zu einem Volontariat im Verkehrszentrum des Deutschen Museums in München mit anschließender Promotion. Seit 2009 ist er zurück im ‚Ländle‘.
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Das partizipative Museum
Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin. Sie ist Mitbegründerin und Teilhaberin von Büro trafo.K in Wien, das seit 1999 an Forschungs- und Vermittlungsprojekten an der Schnittstelle von Bildung und Wissensproduktion arbeitet. Seit 2004 lehrt sie an der Akademie der bildenden Künste Wien und seit 2006 ist sie im Leitungsteam des ecm – educating / curating / managing – Masterlehrgang für Ausstellungstheorie und Praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Vermittlung, Ausstellungstheorie, Geschichtspolitik und Antirassismus.
Detlef Vögeli studierte nach dem Lehrerseminar Gesellschaftswissenschaften (Zeitgeschichte, Journalistik, Medien- und Kommunikationswissenschaft) in Fribourg und Bordeaux und absolvierte eine Weiterbildung zum Geschichtslehrer für Maturitätsschulen an der PH Bern. Als Projektmitarbeiter ist er seit 2008 für das Stapferhaus Lenzburg tätig, seit Mai 2009 als Projektleiter Vermittlung.
Axel Vogelsang (Dr.) wechselte nach einer Karriere als Schriftsetzer und Art Director in der klassischen Werbung 1997 ins Design für digitale Medien. 1999 zog er nach London und absolvierte am Central Saint Martins College einen MA in visueller Kommunikation. Von 2002 bis 2008 promovierte er an der gleichen Institution zur Thematik der Nutzung von Bild und Text in Hypertextmedien. Währenddessen unterrichtete er dort am MA Communication Design und arbeitete freischaffend als Webdesigner und Informationsarchitekt. Seit Sommer 2008 ist er Dozent und Forscher am Institut für Design der Hochschule Luzern. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Erzählen und die visuelle Kommunikation in digitalen Netzwerken, Interaktionsdesign sowie die Veränderung von Lese- und Schreibgewohnheiten durch digitale Medien
Katja Weber studierte Soziologie und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen und arbeitete anschließend im Wettbewerbsteam des Ausstellungsbüros space4 (Stuttgart). Vor ihrem Studium war sie rund vier Jahre in einer Berliner Full-Service-Werbeagentur für Kunden aus dem sozialen, politischen und kulturellen Umfeld tätig. Von 2009 bis 2011 war sie als wissenschaftliche Volontärin am historischen museum frankfurt tätig, wo sie u. a. an der Neukonzeption der Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“ mitarbeitete und mit „Ostend / / Ostanfang. Ein Stadtteil im Wandel“ die erste partizipative, gegenwartsorientierte Sonderausstellung des Stadtlabors realisierte. Seit Oktober 2011 ist sie als Kuratorin und Koordinatorin mit der Konzeption und Realisierung von Ausstellungsprojekten beschäftigt sowie als Lehrbeauftragte am Ludwig-UhlandInstitut der Universität Tübingen tätig.
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Barbara Wenk (Dr. des.) ist Historikerin, Museologin und Prozessbegleiterin und arbeitet seit 2010 als Freischaffende in den Bereichen Wissenschaftsvermittlung, Ausstellungsarbeit, Erwachsenenbildung und Prozessbegleitung. Sie interessiert sich speziell für neuartige Lern- und Vermittlungssettings an Museen und für partizipative, prozessorientierte Ansätze in der Museumsarbeit. Nach ihrem Studium arbeitete sie von 2001 – 2003 am Museum für Kommunikation in Bern als Ausstellungskuratorin und Vermittlerin. Von 2003 bis 2008 forschte sie zu Prozessen in der multidisziplinären Ausstellungsarbeit an Technikmuseen in Europa und lehrte von 2005 bis 2006 Museologie an der Universität Hamburg. Von 2009 bis 2010 war sie WWTF-Fellow der Stadt Wien für ein Projekt zu ‚Lernräumen‘ in Kooperation mit dem Science Center Netzwerk und der Universität für angewandte Kunst.
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Bildnachweis
Foto Cover: Partizipatives Ausstellungsprojekt auf der Tagung „Das partizipative Museum. Zwischen Kooperation und User Generated Content“, 18. und 19.11.2010, historisches museum frankfurt, museoon Foto S. 16/17: Ausstellungsdetail aus „OSTEND // OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“, 30.04.– 25.06.2011, historisches museum frankfurt, Stefanie Kößling Foto S. 68/69: Ausstellungsdetail aus „HOME – Willkommen im digitalen Leben“, 26.10.2010 – 27.11.2011, Stapferhaus Lenzburg, Anita Affentranger Foto S. 128/129: Ausstellungsdetail aus „Glaubenssache – Eine Ausstellung für Gläubige und Ungläubige“, 27.10.2006 – 27.10.2007, Stapferhaus Lenzburg, Adrian Stähli Foto S. 232/233: Ausstellungsdetail aus „OSTEND // OSTANFANG. Ein Stadtteil im Wandel“, 30.04.– 25.06.2011, historisches museum frankfurt, Uwe Dettmar
Danksagung
Dieses Buchprojekt und die beiden vorausgehenden Tagungen in Frankfurt und Lenzburg waren nur möglich durch die Unterstützung vieler. Ein herzliches Danke an die Referentinnen und Referenten der Tagungen. Sie haben mit großem Engagement und Begeisterung die Tagungen mitgestaltet und dazu beigetragen, dass diese gehaltvoll und ertragreich wurden. Sie alle haben sich spontan bereit erklärt, ihre Beiträge für dieses Buch zu verschriftlichen. Ergänzt haben wir die Tagungsbeiträge durch Aufsätze von geschätzten Kolleginnen und Kollegen, die uns trotz ihrer vielen anderweitigen Verpflichtungen bereitwillig und zügig ihre Texte geliefert haben. Auch danken wir unseren Übersetzern: Rita Dominet für die niederländischen sowie Cécile Maurer und James Lyons für die englischen Texte. Sonja Thiel, Volontärin am historischen museum frankfurt, war bei der Endredaktion eine gewissenhafte Unterstützung. Unsere Lektorinnen Eva Hauck und Claudia Lüdtke schließlich haben die letzten Schreib- und Tippfehler aufgespürt und der Grafiker Janosch Perler hat dafür gesorgt, dass aus all den Texten schließlich auch ein schönes Buch wurde. Auch dem transcript Verlag gebührt unser Dank für die Betreuung und Begleitung des Buches von der ersten Idee bis zum Druck und darüber hinaus. Für die Realisierung der Tagungen waren eine Reihe von Helferinnen und Helfer nötig: Von der Organisation, über das Tagungsbüro bis hin zur Logistik und Verpflegung. Stellvertretend seien hier Katja Weber vom historischen museum frankfurt sowie Andrea Grossenbacher, Nadja Good und Elisabeth Meer vom Stapferhaus Lenzburg erwähnt, sie haben mit Schwung und Elan einen Hauptteil zum Gelingen der Tagungen beigetragen. Dem Theaterhaus Frankfurt danken wir für die freundliche und kostengünstige Vermietung seines Veranstaltungsraums. Ohne die maßgebliche finanzielle Förderung durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und den Kanton Aargau sowie das Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main wären die Realisierungen der beiden Tagungen in Frankfurt und Lenzburg sowie der Publikation nicht möglich gewesen. Ein ganz besonderer Dank gebührt den beiden Redakteuren Angela Jannelli und Martin Handschin für die Arbeit am Buch- und Tagungskonzept und für die unermüdliche und leidenschaftliche Bearbeitung der Texte. Susanne Gesser und Sibylle Lichtensteiger
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen Juli 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3
Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis September 2012, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9
Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive November 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1291-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Andrea Rohrberg, Alexander Schug Die Ideenmacher Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide 2010, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1390-2
Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld November 2012, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1781-8
Jochen Zulauf Aktivierendes Kulturmanagement Handbuch Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement für Kulturbetriebe Oktober 2012, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1790-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes
Peter Leimgruber, Hartmut John Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide
2010, 292 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-814-8
2011, 348 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7
Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.) Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen 2011, 172 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1597-5
Doris Harrasser, Karin Harrasser, Stephanie Kiessling, Karin Schneider, Sabine Sölkner, Veronika Wöhrer Wissen Spielen Untersuchungen Wissensaneignung von Kindern im Museum September 2012, 304 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1926-3
Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch 2010, 238 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7
Yvonne Leonard (Hg.) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps Oktober 2012, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2078-8
Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.) Die Praxis der Ausstellung Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer Februar 2012, 258 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1862-4
Martina Padberg, Martin Schmidt (Hg.) Die Magie der Geschichte Geschichtskultur und Museum (Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 3) 2010, 208 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1101-4
Hans Scheurer, Ralf Spiller (Hg.) Kultur 2.0 Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media 2010, 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1352-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de